Die Wirtschaftsverfassung des MERCOSUR: Eine rechtsvergleichende Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des Rechts der Europäischen Union [1 ed.] 9783428524983, 9783428124985

In der sich in drei Teile gliedernden Arbeit kommentiert Felix Fuders das Wirtschaftsverfassungsrecht des südamerikanisc

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Die Wirtschaftsverfassung des MERCOSUR: Eine rechtsvergleichende Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des Rechts der Europäischen Union [1 ed.]
 9783428524983, 9783428124985

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Rechtsfragen der Globalisierung Band 15

Die Wirtschaftsverfassung des MERCOSUR Eine rechtsvergleichende Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des Rechts der Europäischen Union Von Felix Fuders

Duncker & Humblot · Berlin

FELIX FUDERS

Die Wirtschaftsverfassung des MERCOSUR

Rechtsfragen der Globalisierung Herausgegeben von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Erlangen-Nürnberg

Band 15

Die Wirtschaftsverfassung des MERCOSUR Eine rechtsvergleichende Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des Rechts der Europäischen Union

Von

Felix Fuders

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1619-0890 ISBN 978-3-428-12498-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Luisa, Magdalena und meine Eltern

Vorwort Der 1991 gegründete südamerikanische Gemeinsame Markt Mercosur, dem neben Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay demnächst auch Venezuela angehören wird, ist der viertgrößte Wirtschaftsblock der Welt und der bedeutendste Handelspartner der Europäischen Union nach den USA. Der Mercosur wurde von der Europäischen Union von Anbeginn unterschützt, und es ist eine interregionale Freihandelszone zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur geplant. Die Wirtschaft der beiden größten Mitgliedstaaten Argentinien und Brasilien hat sich nach den Krisenjahren 1999–2001 wieder erholt und das Wachstum in den letzten beiden Jahren berechtigt, diese Länder wieder als „emerging markets“ zu bezeichnen. Man ist sich einig, dass der Mercosur auch im Rahmen einer von den USA forcierten gesamtamerikanischen Freihandelszone, sollte sie jemals verwirklicht werden, bestehen bleiben wird. Die im Sommersemester 2006 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommene Arbeit kommentiert die Wirtschaftsverfassung des Mercosur, wobei rechtsdogmatische Fragestellungen insbesondere anhand des Vergleichs mit dem Europarecht beurteilt werden. Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile und möchte den heutigen Stand des Wirtschaftsrechts des Mercosur dem Leser in übersichtlicher Weise zugänglich machen. Keine einfache Aufgabe auch deshalb, weil anders als im Europarecht Vorschriften nicht nach Themen geordnet sind und anhand der Überschrift eines Rechtsaktes dessen Inhalt nur unklar hervorgeht. Hinzu kommt, dass Vorschriften von jüngeren aufgehoben oder abgeändert werden, wobei dies aus dessen Titel meistens ebenfalls nicht erkennbar ist. Es muss folglich das gesamte Primär- und Sekundärrecht des Mercosur durchforstet werden, um auf dem aktuellen Stand auch nur eines Teilgebiets des Rechts zu sein. Im Laufe der letzten 16 Jahre seit Unterzeichnung des Gründungsvertrags hat sich eine beträchtliche Menge an Mercosur-Recht angesammelt, weshalb die Arbeit nicht nur einen wesentlich größeren Unfang, sondern auch mehr Zeit in Anspruch genommen hat als ursprünglich geplant war. Letzteres ist für einen externen Doktoranden, der zudem noch eine Familie versorgen muss, kein unerhebliches Problem. Meinem Doktorvater Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, danke ich für die angenehme, engagierte und

8

Vorwort

unkomplizierte Zusammenarbeit sowie für die Aufnahme des Werkes in diese Schriftenreihe. Seine Freiheits-, Rechts- und Staatslehre hat mich nicht nur fachlich, sondern auch persönlich bereichert und den Erkenntnisgewinn dieser Arbeit beeinflusst. Professor Schachtschneider fand zum Teil sehr spontan und auch zu unkonventionellen Tageszeiten Zeit für meine Anliegen und ermöglichte dadurch eine zügige Einsichtnahme und das Einhalten von Terminen kurz vor dem Rigorosum. Professor Dr. Harald Herrmann sei für die wohlwollende Erstellung des Zweitgutachtens gedankt. Besonderer Dank gebührt meinen Eltern Heinz-Tony und Elisabeth Fuders für die geduldige Finanzierung meiner langen Ausbildung. Meinem Vater verdanke ich zudem die wertvolle und mühselige Arbeit des Korrekturlesens. Wichtige Hinweise und Anregungen gab mir auch Dr. Peter Wollenschläger. Frau Else Hirschmann war mir mit ihrer menschlichen und fachkundigen Unterstützung stets eine große Hilfe. Danken möchte ich des Weiteren Professor Dr. Diego Fernández Arroyo von der Universidad Complutense de Madrid, der mir erste Einblicke in das Mercosur-Recht verschaffte, sowie Professor Erich Spencer von der Universidad de Chile, der mir die Benutzung der Bibliothek ermöglichte. Meine Frau Luisa Fernández Bermffldez ermutigte mich auch in schwierigen Zeiten, das angestrebte Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Unsere Tochter Magdalena gab mir mit ihrem Lächeln tagtäglich die hierzu notwendige Energie. Die Arbeit befindet sich im Wesentlichen auf dem Stand von Juli 2006. Wichtige Neuerungen in Rechtsprechung und Rechtsetzung konnten noch bis Anfang 2007 berücksichtigt werden. Nürnberg, im Juni 2007

Felix Fuders

Inhaltsverzeichnis Einführung

17

Allgemeines zum Mercosur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

II. Integration in Lateinamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

I.

Teil 1 Die Verfassung des Mercosur

31

Rechtsnatur des Vertrags von Asunción . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rahmenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übergangscharakter des Vertrags von Asunción . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 34 37 42

II. Das institutionelle Recht des Mercosur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Organe mit Entscheidungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Handelskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Revisionsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organe ohne Entscheidungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinsame Parlamentarische Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Konsultative Wirtschafts- und Sozialforum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwaltungssekretariat/Mercosur-Sekretariat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wichtige Hilfsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 46 46 49 51 54 55 55 55 58 58

III. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 65 67 73 78

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht . . . . . . . . . . . 1. Begriffe des EU-Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mercosur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unmittelbare Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbare Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83 86 103 105 118 127

I.

10

Inhaltsverzeichnis d) Verfassungen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4. Supranationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

V. Streitschlichtungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Streitschlichtungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Politisch-diplomatischer Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der juristische Teil – das Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschwerden von Privatpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Wahl des Streitschlichtungsforums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schnellverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die ersten Schiedssprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150 152 152 154 165 172 173 175 186

VI. Bewertung der Vorgehensweise im Mercosur insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . 199

Teil 2 Die Grundfreiheiten im Mercosur

209

Die Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches zur Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mercosur-Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Programm zur Handelsliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Anpassungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gemeinsamer Außenzoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ursprungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schutzklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Nichttarifäre Handelshemmnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ordre-public-Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211 212 221 225 226 229 236 241 245 257 261

II. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Multilaterales Sozialrechtsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennung von Bildungsabschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abgrenzung zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

262 266 271 273 277 278 279

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Dienstleistungsprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff der Dienstleistung und Abgrenzung zu anderen Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281 282

I.

283 285

Inhaltsverzeichnis

11

c) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schutzgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Meistbegünstigung und Nichtdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zusätzliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Ordre-public-Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

286 287 291 292 294 295 297 299 301

IV. Die Kapitalverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion der Kapitalverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff und Abgrenzung zu anderen Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit im Mercosur . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Protokoll von Colonia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Meistbegünstigung und Nichtdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Enteignungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Freier Kapitaltransfer im Rahmen von Investitionen . . . . . . . . . . ff) Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten . . . . . . . . . . . c) Die Ratsentscheidung 8/93 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weitere Entscheidungen des Mercosur-Rates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

304 306 307 310 312 312 313 318 318 319 320 321 323 326 327

V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

Teil 3

I.

Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

336

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wettbewerbsfunktionen und -theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit gemeinsamer Wettbewerbsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Wettbewerbsrecht in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

336 341 346 350 352

II. Die Wettbewerbsordnung des Mercosur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

358 362 362 365 365

12

Inhaltsverzeichnis cc) Andere Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Staatliche Monopole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Örtlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenstaatlichkeit der Handelsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestand nach Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls . . . . . . . . . . . . . . a) Verbot wettbewerbsbeschränkender Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Maßnahmen/Relevantes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Definition von Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschränkung des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Schutzwürdiger Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Arten von Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Marktzugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Bezwecken oder Bewirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Spürbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Relevanter Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Festsetzen von Preisen und Geschäftsbedingungen . . . . . . . . (2) Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen . . . (3) Aufteilung der Märkte und Versorgungsquellen . . . . . . . . . . . (4) Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Koppelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Geschäfts- oder Lieferverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Weitere Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Freistellung oder rule of reason . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rule of reason im US-Antitrustrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Freistellung/Legalausnahme nach Art. 81 Abs. 3 EGV . . . . (3) Freistellung im brasilianischen Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . (4) Das wirtschaftliche Allgemeininteresse im argentinischen Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Ausblick im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls . . . . b) Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Relevanter Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beherrschende Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Marktanteil und Marktzutrittsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Konkurrenz zwischen Kartellverbot und Missbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ausbeutungsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

367 371 379 381 394 395 395 413 413 415 418 422 424 425 428 433 443 444 454 458 460 462 464 464 465 467 469 491 497 504 508 508 510 513 518 522 523 525 530

Inhaltsverzeichnis

13

(3) Koppelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes . . . . . . . . . (5) Ausschließlichkeitsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Geschäfts- oder Lieferverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Essential-facilities-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Kampfpreisunterbietung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Gewerbliche Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (10) Staatliche Monopole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Beschränkung des Restwettbewerbs als Missbrauchstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatliche Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff der Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die bisherigen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Organisation und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

535 540 541 548 551 555 560 562 564 567 568 571 573 577

IV. Abschließende Betrachtung zum Wettbewerbsschutzprotokoll . . . . . . . . . 582

I.

Zusammenfassung der Ergebnisse

586

Ausblick

613

Anhang

623

Vertrag von Asunción . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623

II. Protokoll von Ouro Preto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 III. Anhang zum Protokoll von Ouro Preto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 IV. Protokoll zum Schutz des Wettbewerbs des MERCOSUR . . . . . . . . . . . . 640 V. MERCOSUR/CMC/Dec. (Ratsentscheidung) Nr. 2/97 . . . . . . . . . . . . . . . . 647 VI. Protokoll von Olivos zur Beilegung von Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 648

Literaturverzeichnis

663

Sachwortregister

710

Abkürzungsverzeichnis A. C. AADI ABl. Abs. ADCL ADLA ALADI ALALC Alt. A. P. Art. BB Bd. BGH BGHZ BID BLC BT-Dr BVerfGE bzw. CADE CAEI Case W. Res. J. Int’l L. CCM/Dir. CEPAL CMC/Dec. CNDC Dok. DOU DSU EAG EGKS

Ato de Concentração Anuario Argentino de Derecho Internacional (Zeitschrift) Amtsblatt Absatz Anuario de Derecho Constitucional Latinoamericano (Zeitschrift) Anales de la Legislación Argentina Asociación Latinoamericana de Integración Asociación Latinoamericana de Libre Comercio Alternative Averiguação Preliminar Artikel Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Banco Interamericano de Desarrollo Boletín Latinoamericano de Competencia (Zeitschrift) Bundestagsdrucksache Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Conselho Administrativo de Defensa Econômica (brasilianische Wettbewerbsbehörde) Centro Argentina de Estudios Internacionales Case Western Reserve Journal of International Law (Zeitschrift) Comisión de Comercio/Directiva (= Richtlinie der Handelskommission) Comisión Económica para América Latina y el Caribe Consejo Mercado Comffln/Decisión (= Entscheidung des Rates) Comisión Nacional de Defensa de la Competencia (argentinische Wettbewerbsbehörde) Dokument Diario Oficial da União (brasilianisches Amtsblatt) Dispute Settlement Understanding Europäische Atomgemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

Abkürzungsverzeichnis EGV EU EuG EuGH EuR EuZW EWG Expte. f. F. A. Z. ff. FG Fn. Fordham Int’l L.J. FS Ga. J. Int’l & Comp. L. GATS GATT gem. GG GMC/Res. GS GWB Halbs. h. M. Hrsg. HStR ICLQ i. E. insb. INTAL i. V. m. JA Jhg. JZ Kap. KomE LA lit.

15

Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaften Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Expediente (Aktenzeichen) folgende Seite Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende Seiten Festgabe Fußnote(n) Fordham International Law Journal Festschrift Georgia Journal of International and Comparative Law (Zeitschrift) General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade gemäß Grundgesetz Grupo Mercado Comffln/Resolución (= Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt) Gedächtnisschrift Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Halbsatz herrschende(r/n) Meinung Herausgeber Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland The International and Comparative Law Quarterly im Erscheinen insbesondere Instituto para la Integración de América Latina y el Caribe in Verbindung mit Jurisprudencia Argentina (Zeitschrift) Jahrgang Juristenzeitung Kapitel Kommissionsentscheidung Liber Amicorum litera

16 Loseblatts. m. w. N. n. F. Nr. OECD öOGH SZ P.A. RabelsZ RGBl. RIW S. Slg. sog. Suplm. SZ TRIPS u. a. UNCTAD v. vgl. Vol. Vorbem. vs. WM WTO WuW WVRK ZeuS zit.

Abkürzungsverzeichnis Loseblattsammlung mit weiterem/n Nachweis/en neue Fassung Nummer Organisation for Economic Cooperation and Development österreichischer Oberster Gerichtshof Processo Administrativo Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsgesetzblatt Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Seite(n)/Satz Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs so genannt(e/er/es) Suplemento (Beilage) Süddeutsche Zeitung Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights und andere United Nations Conference on Trade and Development vom vergleiche Volume Vorbemerkung(en) Versus Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) World Trade Organisation (Welthandelsorganisation) Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) Wiener Vertragsrechtskonvention Zeitschrift für europarechtliche Studien zitiert

Einführung I. Allgemeines zum Mercosur Mercosur steht für Mercado Comffln del Sur, was übersetzt Gemeinsamer Markt des Südens heißt1. Der Mercosur ist ein ambitioniertes2 wirtschaftliches Integrationsprojekt zwischen Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay3, dessen Ziel, wie der Name bereits vermuten lässt, die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes ist4. Durch die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen in den Märkten soll wirtschaftliches Wachstum, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden5, bei gleichzeitigem Erhalt der sozialen Gerechtigkeit6.

1

In der Literatur und in der Presse hat sich die Abkürzung „Mercosur“ durchgesetzt. Die offizielle Abkürzung lautet jedoch gemäß Art. 1 der Entscheidung des Mercosur-Rates Nr. 17/02 (ersetzt Entscheidung Nr. 1/98) i. V. m. den Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt Nr. 65/93 und 25/97 „MERCOSUR“ bzw. MERCOSUL entsprechend der portugiesischen Schreibweise Mercado Comum do Sul (Zu den Organen und den von diesen zu erlassenen Rechtsakten siehe Kapitel II und III dieses Teils). Die Abkürzung MERCOSUR/MERCOSUL ist ein geschütztes Zeichen im Sinne des Art. 6 der Pariser Konvention über industrielles Eigentum und wurde von der World Intellectual Property Organization (WIPO) als solches anerkannt, vgl. Präambel der Mercosur-Ratsentscheidung 1/98. Alle Rechtsakte der Mercosur-Organe sind ebenso wie die Verträge und Protokolle im Boletín Oficial del Mercosur veröffentlicht und auf der offiziellen Mercosur-Webseite abrufbar: http://www.mercosur.int. 2 Qualifizierung findet sich bei R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, 1999, S. 105; M. E. Carranza, Mercosur, The Free Trade Area of the Americas, and the future of U.S. Hegemony in Latin America, Fordham Int’l L.J., Bd. 27 (2004), S. 1031. 3 Am 04.07.2006 wurde ein Beitrittsabkommen mit Venezuela unterzeichnet, welches aber bisher nicht in Kraft getreten ist, so dass Venezuela noch kein Vollmitglied des Mercosur ist. 4 Vgl. Art. 1 des Vertrags von Asunción (eine deutsche Fassung des Vertrags ist im Anhang abgedruckt). Zum Begriff der internationalen Integration: C. Callies, Art. 1 EUV, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl. 2002, Rn. 9 ff.; vgl. auch bereits F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. III: Streiterledigung, Kriegsverhütung – Integration – 1977, S. 188 ff.; dogmatischer: L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I: Das institutionelle Recht, 1977, S. 123 ff. 5 D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, in: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.), Avan-

18

Einführung

Der Mercosur ist nach den USA, der Europäischen Union und Japan der viertgrößte Wirtschaftsraum der Welt7 und zweifelsohne das politisch und ökonomisch bedeutendste Projekt Südamerikas8. Er umfasst 70% der Fläche des Kontinents9 bzw. 8,9% der Fläche der Erde10 und hat eine Gesamtbevölkerung von 200 Mio. Menschen11. Das Bruttoinlandsprodukt des Mercosur beträgt ca. eine Billionen US-Dollar, was 80% des gesamten südamerikanischen Bruttoinlandsprodukts entspricht12 und etwa ein fünftel über dem von China liegt13. Für Europa ist der Mercosur zunehmend wichtig. Die Europäische Union ist Abnehmer von über 20% der Mercosur-Exporte14. Damit exportiert der Mercosur mehr nach Europa als in die geographisch näheren USA15. Umgekehrt konnte die Europäische Union ihre Anteile an den Mercosur-Einfuhren in den 1990er-Jahren ausbauen16. Aus keices del Derecho Internacional Privado en América Latina, Liber Amicorum Jürgen Samtleben, 1. Aufl. 2002, S. 457. 6 Vgl. Präambel des Vertrags von Asunción. 7 S. Jardel/A. Barraza, Mercosur – Aspectos jurídicos y económicos, 1998, S. 9 und 137; EU-Kommission (Directorate Latin America, Mercosur, Chile Unit), Mercosur – European Community Regional Strategy Paper, v. 10.09.2002, S. 3; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, 2003, S. 35; J. Vervaele, Mercosur and regional integration in South America, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 387. Zum Teil wird der Mercosur auch als der drittgrößte Wirtschaftsblock nach der NAFTA und der Europäischen Union gesehen, vgl. R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR: The Common Market of the Twenty-First Century?, Georgia Journal of International and Comparative Law 32 (2004) 1, S. 2, 48. 8 H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, in: Ibero-Amerikanisches Institut Preußischer Kulturbesitz (Hrsg.), Ibero-Analysen, Heft 9, 2001, S. 7; A. Loschky, Mercosur und EU, S. 1; S. Gratius/H. Coronado halten den Mercosur für das „dynamischste Integrationsprojekt“ Lateinamerikas, in: Zehn Jahre MERCOSUR – Der Anfang vom Ende einer Erfolgsgeschichte?, in: Institut für Iberoamerika-Kunde (Hrsg.), Brennpunkt Lateinamerika Nr. 4, 2001, S. 41; in diesem Sinne auch: A. O’Connell, Los desafíos del MERCOSUR ante la devaluación de la moneda brasilera, S. 5; A. O’Connell, Los desafíos del MERCOSUR ante la devaluación de la moneda brasilera, in: CEPAL (Hrsg.), Estudios estadísticos y prospectivos, Serie 10, 2001; D. Flemes, Seguridad Cooperativa en el Sur de América Latina – Una Propuesta Teórica, in: Instituto de Estudios Iberoamericanos (Hrsg.), Congreso Internacional de Americanistas Nr. 51 in Santiago de Chile am 14.–18.07.2003, S. 2; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2003, S. 172. 9 D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 457. 10 M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, 1999, S. 9. 11 D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 457. 12 D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 457. 13 S. Gratius/H. Coronado, Zehn Jahre MERCOSUR, S. 42. 14 H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 17.

I. Allgemeines zum Mercosur

19

ner anderen Region der Welt importiert der Mercosur soviel Güter wie aus der Europäischen Union, was diese zum wichtigsten Handelspartner des Mercosur macht17. Die Bedeutung des Mercosur hat die Europäische Union erkannt18. Sie unterstützt die Bildung des Gemeinsamen Marktes des Südens von Anfang an19. 1995 wurde in Madrid ein „interregionales Rahmenabkommen“ zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur geschlossen, das als Fernziel eine interregionale Assoziation zwischen beiden Wirtschaftsblöcken vorsieht20. Dieses Abkommen unterstreicht die Bedeutung des Mercosur, dessen Rechtspersönlichkeit hierdurch erstmals von dritter Seite anerkannt wurde21. Der Mercosur wird als ein Garant für Stabilität in der Region gesehen, mit der Europa traditionell gute Beziehungen 15

Die USA nehmen nur ca. 14% der Mercosur-Produkte ab, vgl. H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 17. 16 H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 17. 17 Vgl. Webseite der Europäischen Union, die der Beziehung zum Mercosur ein eigenständiges Kapitel widmet: http://europa.eu.int/comm/external_relations/merco sur/intro; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 52. 18 Die EU-Kommission sieht im Mercosur „erwiesenermaßen den dynamischsten Markt für die europäischen Exporteure“, vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament (1994), zitiert nach: U. Wehner, Der Mercosur – Rechtfragen und Funktionsfähigkeit eines neuartigen Integrationsprojektes und die Erfolgsaussichten der interregionalen Kooperation mit der Europäischen Union, 1999, S. 23; EU-Kommission (Latin America Directorate), Unión Europea – Mercosur, Una Asociación para el Futuro, 2002; J. Vervaele, Mercosur and regional integration in South America, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 387. 19 Bereits 1992 wurde ein Abkommen über die interinstitutionelle Zusammenarbeit zwischen dem Mercosur-Rat und der Kommission der Europäischen Union geschlossen, vgl. Acuerdo interinstitucional entre las Comunidades Europeas y el Mercado Comffln del Sur, unterzeichnet in Santiago de Chile am 09.05.1992. Ausführlich zu den Beziehungen Mercosur-EU: R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 33 ff.; ders., MERCOSUR, S. 139 ff.; A. Ruche, La política de cooperación Unión Europea y Mercosur, in: M. Á. Ciuro Caldani u. a. (Hrsg.), Integración Unión Europea y Mercosur, 2000, S. 137 ff.; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 202 f.; A. Estevadeordal/E. Krivonos, Negotiating market access between the European Union and Mercosur: issues and prospects, in: INTAL-ITD (Hrsg.), Occasional Paper Nr. 7, 2005; I. Malcher, Der Mercosur in der Weltökonomie, 2005, S. 207–243. 20 Interregional Framework Cooperation Agreement between the European Community and its Member States, of the one part, and the Southern Common Market and its Party States, of the other part, unterzeichnet in Madrid am 15.12.1995. Hierzu auch: J. Samtleben, Das Recht des Mercosur – wichtig für Europa?, EuZW 1998, S. 65; sehr ausführlich U. Wehner, Der Mercosur, S. 194 ff. 21 Wodurch der Integrationsprozess gefestigt wird, vgl. E. I. Rimoldi de Ladmann, La estructura institucional a patir del Protocolo de Ouro Preto, in: dies. (Hrsg.), Mercosur y Comunidad Europea, 1995, S. 208. Zur Völkerrechtspersönlichkeit des Mercosur: Teil 1, I.

20

Einführung

pflegt22. Trotz zahlreicher weiterer Treffen auf der Ebene von Staats- und Regierungschefs sowie eines institutionalisierten und regelmäßigen diplomatischen Dialogs (so genanntes Biregional Negotiations-Committee) konnte man sich auch wegen der Schwierigkeit auf Seiten der Europäischen Union zur Öffnung des Agrarmarktes23 bisher nicht einigen. Auf dem letzten Gipfeltreffen am 26. Mai 2005 in Luxemburg wurde der Wille bekräftigt, weiter auf die interregionale Assoziierung hinzuarbeiten. Die Minister hoben die wirtschaftliche und handelspolitische Bedeutung des Mercosur für Europa hervor. Das Ende des festen Wechselkurses in Argentinien wird als positiv für die Entwicklung des Mercosur gewertet, da die Handelsverzerrungen zwischen den beiden größten Ländern Argentinien und Brasilien verringert werden. Die Währungsumstellung bedeute eine politische Stärkung für das Bündnis, und sogar eine gemeinsame Währung in der Zukunft sei nicht mehr ausgeschlossen24. Der neue wirtschaftliche Aufschwung in den Mercosur-Staaten25 gibt Grund zur Annahme, dass die Argentinienkrise überwunden ist, und lässt es durchaus wieder als gerechtfertigt erscheinen, die vier Länder am Rio de la Plata als „emerging markets“ zu bezeichnen. Nach allgemeiner Einschätzung sei die Bildung des Mercosur nicht mehr rückgängig zu machen26. 22 So der ehemalige Handelskommissar in der Kommission der Europäischen Union, Pascal Lamy, in: EU-Kommission, Unión Europea – Mercosur, Una Asociación para el Futuro, S. 8. 23 Vgl. ohne Nennung des Autors, EU und Mercosur uneins über Handelsbeziehungen, F. A. Z. v. 14.08.2004. 24 S. Salgueiro, Brasil – Alemanha ANO 10 Nº1, in: http://www.brasilien.de/wirt schaft/allgemein/mercozu.asp. Der ehemalige argentinische Präsident Menem hatte bereits 1997 die Idee von einer gemeinsamen Währung im Mercosur ausgesprochen, vgl. B. Eichengreen, Does Mercosur need a single currency, in: National Bureau of Economic Research (Hrsg.), Working Paper Nr. 6821, Cambridge 1998, S. 4; A. Loschky, Mercosur und EU, S. 85; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 327; vgl. auch: P. Arestis/F. Ferrari-Filho/L. F. de Paula/M. Sawywer, The Euro and the EMU: Lessons for MERCOSUR, in: P. Arestis/L. F. de Paula (Hrsg.), Monetary Union in MERCOSUR: lessons from EMU, 2003; E. Levy Yeyati/F. Sturzenegger, The Euro and Latin America – III: Is EMU a Blueprint for Mercosur?, Cuadernos de Economía, 37 (2000) 110, S. 67 ff.; L. Uchitelle, Argentina’s Woes may strengthen its ties to Brazil, NY Times v. 10.01.2002, Late Edition – Final, Section C, S. 1; S. Gratius, Neue Impulse für den MERCOSUR: Der Faktor „Lula“, in: Institut für Iberoamerika-Kunde (Hrsg.), Brennpunkt Lateinamerika Nr. 4, 2003, S. 38; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 260, 265 f.; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur – Ein Modell für die Kooperation zwischen mehreren Freihandelszonen im Rahmen der Welthandelsordnung, 2004, S. 117 f.; R. A. PorrataDoria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 3, 58. 25 Vgl. INTAL-BID (Instituto para la Integración de América Latina y el Caribe – Banco Interamericano de Desarrollo), Informe Mercosur Nr. 10 (2005), S. 2 ff.; vgl. auch Fn. 13–15 (Ausblick).

II. Integration in Lateinamerika

21

Die Analyse der rechtlichen Strukturen sowie die Beantwortung von Fragen nach dem Hintergrund und Sinn einzelner Normen erfordern die Beachtung der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen und vor allem der Herkunft des Mercosur27. Die geschichtlichen Vorläufer des Mercosur werden daher kurz dargestellt.

II. Integration in Lateinamerika Lateinamerika verfügt über Erfahrungen regionaler Kooperation und Integration, die bis in das frühe 19. Jahrhundert zurückreichen28. Einige der jüngeren Bemühungen, vor allem aus den 1960er-Jahren, haben bis heute Bestand, werden aber als nicht erfolgreich eingeschätzt29. 26

S. Salgueiro, Brasil – Alemanha ANO 10 Nº1, in: http://www.brasilien.de/ wirtschaft/allgemein/mercozu.asp; M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 9 Fn. 1; H. Arbuet Vignali, Reflexiones políticas, jurídicas y epistemológicas sobre el Mercosur, in: A. Lattuca/M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Economía globalizada y Mercosur, 1998, S. 27; U. Wehner, Der Mercosur, 76; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, 2003, S. 5; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 126. 27 In diesem Sinne auch: R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, 1998, S. 53; A. Haller, Mercosur – Rechtliche Würdigung der außenwirtschaftlichen Beziehungen und Vereinbarkeit mit dem Welthandelssystem, 2001, S. 33. 28 H.-J. Lauth/M. Mols, Anmerkungen zum Stand der Integration und Kooperation auf dem amerikanischen Kontinent: Eine Einleitung, in: H.-J. Lauth/M. Mols (Hrsg.), Integration und Kooperation auf dem amerikanischen Kontinent, Mainz, 1993, S. 1; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 5 f. Ein Überblick über die Integrationsbemühungen findet sich bei: J. P. Montero Traibel, MERCOSUR: La armonización de los impuestos al consumo en los procesos de integración, 2000, S. 7–9; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 389 ff.; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR – The Common Market of the Southern Cone, 2005, S. 10 ff. Ausführlicher zur Integrationsgeschichte: R. X. VeraFluixá, Principios de Integración Regional en América Latina y su análisis comparativo con la Unión Europea, in: Zentrum für europäische Integrationsforschung, Rheinische Friedrich Wilhelms-Universität (Hrsg.), Discussion Paper C 73, 2000, S. 6–29; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, 2005, S. 161 ff. 29 H.-J. Lauth/M. Mols, Anmerkungen zum Stand der Integration und Kooperation auf dem amerikanischen Kontinent, S. 1; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 176 f.; Fernández Arroyo spricht von einer „Tradition des Scheiterns“ südamerikanischer Integrationsprojekte, vgl. D. Fernández Arroyo, El Derecho Internacional Privado en el Mercosur: ¿Hacia un sistema institucional?, in: Facultad de Derecho de la Universidad Católica del Uruguay (Hrsg.), Temas de Derecho Internacional Privado y de Derecho Comunitario, 1996, S. 95; U. Wehner, Der Mercosur, S. 24, 43 ff., 141; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 60, 149; W. Greiner, Die Interregionale Assoziie-

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Einführung

Die drei neben dem Mercosur bedeutsamsten Integrationsprojekte in Lateinamerika sind die Asociación Latinoamericana de Libre Comercio30 (ALALC), der Andenpakt sowie die Asociación Latinoamericana de Integración31 (ALADI). Die ALALC Die ALALC32 ist der erste größere Versuch regionaler Integration in Lateinamerika33. In weniger als 12 Jahren seit der Gründung 1960 sollte eine Freihandelszone zwischen den Vertragsstaaten34 errichtet werden35. Das übergeordnete Ziel war die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes36. Obwohl die ALALC von der EWG beeinflusst war37, setzte man zur Erreichung der Ziele auf die Wahrung der Souveränität der Mitgliedstaaten. Die Organe waren zwischenstaatlich organisiert und setzten sich aus Repräsentanten der Vertragsstaaten zusammen38. Die Liberalisierung des Handels sollte Produkt für Produkt ausgehandelt werden. Die Produkte wurden sodann in speziellen Listen geführt39. Das Projekt entwickelte sich zunächst rung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 9, 22; R. A. PorrataDoria, MERCOSUR, S. 17; W. Hummer, Integration in Lateinamerika und in der Karibik. Aktueller Stand und zukünftige Entwicklungen, Verfassung und Recht in Übersee, Bd. 38 (2005), S. 7. 30 Übersetzt: Lateinamerikanische Freihandelsassoziation. 31 Übersetzt: Lateinamerikanische Integrationsassoziation. 32 Gegründet durch den ALALC-Vertrag (Tratado que establece una zona de libre comercio e instituye la Asociación Latinoamericana de Libre Comercio), unterzeichnet am 18. Februar 1960 in Montevideo. Eine ausführliche Darstellung des Systems findet sich in: R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 187–199; M. Quiroga Obregón, Mercosur, 1997, S. 31 f.; H. Babace, Derecho de la Integración y Relaciones Laborales, 2. Aufl. 2004, S. 54 ff.; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 172 ff. 33 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 187; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 9. 34 Gründungsmitglieder: Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko, Paraguay, Peru, Uruguay; Beitritte: Kolumbien (1961), Ecuador (1961), Venezuela (1966), Bolivien (1967). 35 Art. 2 des ALALC-Vertrags. 36 Präambel des ALALC-Vertrags. 37 E. Aimone Gibson, ALALC y ALADI – Comparación entre dos intentos de integración económica en Latinoamérica – Función y alcance de la cláusula de la nación más favoricida, in: G. Lüke/G. Ress/M. R. Will (Hrsg.), Rechtsvergleichung, Europarecht und Staatenintegration – Gedächtnisschrift für Léontin-Jean Constantinesco, 1983 S. 1. 38 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 196; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 174.

II. Integration in Lateinamerika

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relativ zufriedenstellend. Später verlangsamte sich jedoch die Entwicklung und kam in den 1970er-Jahren fast ganz zum Stillstand40. Die Vertragsstaaten setzten ihre Politik der Importsubstitution41 sowie Bevorzugung außerregionaler Märkte fort. Die angestrebte Freihandelszone wurde niemals realisiert und 1980 offiziell durch die ALADI ersetzt42. Der Andenpakt Der Andenpakt43 wurde 1969 aus der zunehmenden Unzufriedenheit an der ALALC, vor allem der wirtschaftlich schwächeren Länder geboren, die Vorteile eher bei den stärker entwickelten Ländern Argentinien, Brasilien und Mexiko sahen44. Mitgliedsländer waren zunächst Bolivien, Chile, Ecuador und Peru. Später trat Venezuela bei, während Chile 1976 wieder austrat. Die neue Militärregierung Chiles verfolgte eine Politik der Marktöffnung, mit der sie zunehmend Erfolg hatte45, während die übrigen Mitglieder des Andenpaktes einer Öffnung der Märkte gegenüber Drittstaaten nicht folgen wollten46.

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Art. 14, 15, 16, 17 des ALALC-Vertrags. J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, 2001, S. 27; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 10; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 176. 41 Die von Raffll Prebisch empfohlene so genannte Importsubstituierende Industrialisierung (ISI) ist eine in allen lateinamerikanischen Staaten über Jahrzehnte betriebene Politik des Protektionismus. Die heimische Produktion soll durch Subventionen einerseits und hohe Außenzölle andererseits geschützt werden. Hierzu auch: D. Nohlen, Raffll Prebisch (1901–1986) – Das Zentrum-Peripherie-Modell der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, in: http://www.inwent.org/E+Z/1997-2002/ ez1199-6.htm; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 7 ff. 42 Siehe weiter unten in diesem Gliederungspunkt, S. 23. 43 Gegründet durch das Cartagena-Abkommen (Acuerdo de Integración Andina – Acuerdo de Cartagena), unterzeichnet am 26. Mai 1969 in Cartagena. Eine ausführliche Darstellung des Systems findet sich bei: R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 217–234; vgl. auch M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 171 f.; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 14 ff.; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración: Mercosur – Solución de Controversias, 2004, S. 73 ff.; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros: el caso de los países del MERCOSUR, 2003, S. 14; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 67 ff. 44 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 217. 45 Auch bekannt als die Politik der Chicago Boys, weil sie konsequent die Politik des Chicagoer Ökonomen Milton Friedman durchsetzte. 46 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y Derecho, S. 220. 40

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Einführung

Die Ziele des Andenpaktes waren sehr viel allgemeiner gehalten als die der ALALC. Nach Art. 1 des Cartagena-Abkommens sollen Wohlstand und Lebensverhältnisse in der Region durch wirtschaftliche Integration und eine auf einander abgestimmte und ausgewogene Entwicklung der Vertragsstaaten gefördert werden47. Die Errichtung einer Freihandelszone oder eines Gemeinsamen Marktes als übergeordnetes Ziel wird nicht ausdrücklich genannt, kann aber dennoch als unausgesprochenes Ziel gesehen werden48. Das im Cartagena-Abkommen vorgesehen Programm zur Handelsliberalisierung sah eine jährliche, automatische und unwiderrufliche Zollsenkung um sieben Prozent vor. Bis zum 31. Dezember 1980 sollte der Handel zwischen den Mitgliedstaaten vollständig liberalisiert sein49. Der Andenpakt verfügte von Anfang an über eine ausdifferenzierte Organstruktur50 und später mit dem Andengerichtshof ein dem Europäischen Gerichtshof nachempfundenes Gericht51. Die Organe waren mit unabhängigen Funktionären besetzt. Gegensätze zwischen einzelstaatlichen und gemeinschaftlichen Interessen sollten durch diese institutionellen Vorkehrungen ausgeglichen werden. Mitte der 1990er-Jahre wurde der Andenpakt wohl auch mit Blick auf die Erfolge des Mercosur wieder belebt. Mit der Acta de Trujillo52 wurde

47 Art. 1 des Cartagena-Abkommens zählt folgende Ziele auf: „Förderung einer ausgeglichenen und harmonischen Entwicklung in den Mitgliedstaaten und Beschleunigung des Wachstums durch wirtschaftliche Integration (. . .) mit dem Ziel, eine dauerhafte Verbesserung des Lebensstandards der Menschen in der Region zu erreichen.“, eigene Übersetzung. 48 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y Derecho, S. 221. 49 Art. 41 ff. i. V. m. Art. 51 des Cartagena-Abkommens. 50 B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), in: M. C. Vázquez u. a. (Hrsg.), Estudios multidisciplinarios sobre el Mercosur, 1995, S. 193–229, S. 220; ders., La creación de un tribunal de justicia en el Mercado Comffln del Sur (MERCOSUR) – Regímenes de derecho comparado, in: M. C. Vázquez u. a. (Hrsg.), Estudios multidisciplinarios sobre el Mercosur, 1995, S. 174; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 222 ff.; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 16. 51 M. A. Elizeche, Mercosur – Proyección y estructura jurídica – Solución de controversias – Reflexiones y ponencias, Asunción 1998, S. 49; S. Czar de Zalduendo, La integración económica y la interpretación uniforme del Derecho, El Derecho Nr. 168 (1996), S. 1046 f.; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 16 f.; R. Vigil Toledo, La cooperación entre el Tribunal de Justicia de la Comunidad Andina y el Tribunal Permanente de Revisión del Mercosur, ADCL 11 (2005) 2, S. 783 f.; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 390. Der Andengerichtshof (Tribunal de Justicia de la Comunidad Andina) wurde im Jahr 1979 gegründet und 1996 durch das Protocolo de Cochabamba vom 28.05.1996 modifiziert. Ausführlich zum Andengerichtshof: J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, 2002, S. 208–220.

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die Andengemeinschaft gegründet, unter der der Andenpakt nunmehr geführt wird53. Die ALADI Die ALADI54 besteht bis zum heutigen Tage. Sie wurde 1980 als Ersatz der ALALC gegründet und gilt als dessen Nachfolgeorganisation55. Wie sich aus ihrer Bezeichnung „Lateinamerikanische Integrationsassoziation“ entnehmen lässt, sollte nicht, wie in der ALALC, eine bloße Freihandelszone erreicht werden, sondern die lateinamerikanische Integration. Das langfristige Ziel war bzw. ist die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes56, ohne dass hierfür jedoch ein Zeitrahmen vorgesehen wurde. Das zu erreichende Ziel war demnach ehrgeiziger als das der ALALC, die Instrumente zur Zielerreichung sind jedoch flexibler und weniger rigide. Hauptinstrument sind die so genannten acuerdos de alcance parcial – Abkommen mit beschränkter Reichweite. Hierbei handelt es sich um bilaterale oder multilaterale Kooperationsabkommen innerhalb der Vertragsstaaten der ALADI. Der Inhalt dieser Teilabkommen ist nicht abschließend geregelt. Den einzelnen Vertragsstaaten wird so die Möglichkeit gegeben, flexibel, entsprechend ihrem Integrationswillen und der Integrationsmöglichkeiten Abkommen zu schließen, in denen sie sich gegenseitig Vorteile gewähren. So sollte schließlich ein Vorzugsgebiet, eine Präferenzzone der wirtschaftlichen Kooperation geschaffen werden. Dass die Präferenzbehandlung auf diesem 52 Acta de Trujillo – Protocolo modificatorio del Acuerdo de Integración subregional andino, unterzeichnet am 10.03.1996. 53 Art. 1 Acta de Trujillo. 54 Gegründet durch den Vertrag von Montevideo (Tratado de Montevideo estableciendo la Asociación Latinomaricana de Integración), unterzeichnet am 12. August 1980 in Montevideo. Eine ausführliche Darstellung der ALADI findet sich bei: R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 235–251; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 11 ff.; vgl. auch M. Quiroga Obregón, Mercosur, 1997, S. 32 f.; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2003, S. 170 f.; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 11 ff.; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 58 ff.; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 176 ff. 55 Vgl. Präambel des Vertrags von Montevideo; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 235; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 12. Die Vertragsstaaten sind daher dieselben wie in der ALALC: Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko, Paraguay, Peru, Uruguay, Kolumbien, Ecuador, Venezuela, Bolivien. 56 Art. 1 Vertrag von Montevideo: „(. . .) Dieser Prozess hat als langfristiges Ziel die stufenweise und progressive Errichtung eines gemeinsamen lateinamerikanischen Marktes.“, eigene Übersetzung.

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Einführung

Wege nicht gleichmäßig auf alle Vertragsstaaten der ALADI ausgedehnt wird, wird in Kauf genommen57. Der Mercosur selbst ist ein Beispiel für ein solches Abkommen beschränkter Reichweite58. Der Mercosur Zum Ende der 1980er-Jahre befanden sich Argentinien und Brasilien in einer schweren Krise, die durch Hyperinflation, hohe Haushaltsdefizite sowie bedrohliche Auslandsverschuldung gekennzeichnet war59. Die prekäre wirtschaftliche Situation förderte Mitte der 1980er-Jahre in beiden Ländern Bestrebungen, bei der Wandlung und Modernisierung der Volkswirtschaften zusammen zu arbeiten60. Die noch auf die Zeit der Kolonialherrschaft zurück gehende Rivalität zwischen beiden Ländern61 wurde mit der Declaración de Iguazffl (Erklärung von Iguazffl62) Ende 1985 zu beenden versucht63. Der hiermit eingeleitete Entspannungsprozess führte zu zahlreichen Kooperationsabkommen zwischen beiden Ländern64 und gipfelte 1991 in der Un57

Art. 4 des Vertrags von Montevideo. Vgl. Präambel des Vertrags von Asunción. 59 U. Wehner, Der Mercosur, S. 48. Zur Vorgeschichte auch: I. Malcher, Der Mercosur in der Weltökonomie, 2005, S. 104 ff.; E. Rivas, El futuro del Mercosur, Comunicação & política, Vol. XI (2004) 1, S. 171 ff.; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 112 ff.; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, insb. S. 166 ff. 60 R. Lavagna, Primeros pasos del Mercosur, in: http://www.cari1.org.ar/spanish/ mercosur/pasos.htm; A. Castro Escudero, Mercosur, contra viento y marea, Comercio Exterior Vol. 44 (1994) Nr. 11, S. 990 ff.; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, 2000, S. 31; C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR: sus fortalezas y debilidades, in: INTAL-ITD (Hrsg.), documento de divulgación Nr. 31, 2005, S. 4 f. 61 J. H. Herrera Vegas, Política Exterior: de la rivalidad a la integración regional, 1995, S. 5 f. Zu einem Höhepunkt der Spannungen zwischen Argentinien und Brasilien kam es in den 1970er-Jahren im Streit um einen Staudamm, der Argentinien benachteiligte und beinahe in einem Krieg endete. Eine Übersicht über die Entwicklung der Beziehung zwischen Argentinien und Brasilien seit der Kolonialherrschaft bis zur Gründung des Mercosur findet sich bei: L. Bertoni, MERCOSUR – Clausulas de salvaguardia y fallos arbitrales, 2000, S. 182–189; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, 1998, S. 148 ff. 62 Unterzeichnet am 30. November 1985; die Erklärung sah eine Zusammenarbeit im Transport- und Energiebereich vor, vgl. C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt – Eine rechtliche Analyse des Mercosur, WM 1992, S. 1346. 63 R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 10 f.; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 256. 64 Übersicht bei R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 261 ff.; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 148 ff.; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und 58

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terzeichnung des Vertrages von Asunción65, der die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes, dem Mercado Comffln del Sur (Mercosur), zwischen den Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay vorsieht66. Der angestrebte südamerikanische Gemeinsame Markt umfasst den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren67. Als Produktionsfaktoren sind sowohl Arbeit als auch Kapital zu verstehen68. Dieses Ziel soll, unter anderem, im Wege der Beseitigung der Zollabgaben und nichttarifären Handelshemmnissen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung erreicht werden69. Von den genannten Marktfreiheiten ist damit nur die dem Mercosur, S. 23–29; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 23 ff.; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 167 f. Das Ziel dieser Abkommen war es, durch eine schrittweise Annäherung einzelner Wirtschaftssektoren, eine gleichmäßige Entwicklung der beiden Volkswirtschaften sicherzustellen, vgl. C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1346. Hervorzuheben ist das 1986 geschlossene Integrations- und Kooperationsabkommen (Programa de Integración y Cooperación) zwischen Argentinien und Brasilien und die Akte von Buenos Aires (Acta de Buenos Aires), die 1990 die Einrichtung eines Gemeinsamen Marktes zwischen Argentinien und Brasilien vorsah und als direkter Vorgänger des Mercosur gilt, vgl. R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 31 f. Vgl. auch: C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 85 ff.; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 11 ff.; E. Rivas, El futuro del Mercosur, Comunicação & política, Vol. XI (2004) 1, S. 172–176. 65 Tratado para la constitución de un mercado comffln entre La Repfflblica Argentina, la Repfflblica Federativa del Brasil, la Repfflblica del Paraguay y la Repfflblica Oriental del Uruguay – Tratado de Asunción, in Kraft getreten am 29. November 1991, abgedruckt in deutscher Übersetzung im Anhang. 66 Art. 1 Abs. 1 des Vertrags von Asunción. 67 Art. 1 Abs. 2 des Vertrags von Asunción. 68 Vgl. C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1348, Fn. 43; m. w. N. E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul – Perspektiven für das Niederlassungsrecht von Gesellschaften anhand von Erfahrungen in der Europäischen Union, 2002, S. 106 f.; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 133; R. Olivera García, Los mercados de capitales en el proceso de integración regional, in: H. Arbuet Vignali, u. a. (Hrsg.), IV encuentro internacional de derecho para América del Sur – El desarollo de la integración hacia el siglo XXI: Mercosur, balance y perspectivas, 1996, S. 305. Dass unter Produktionsfaktoren auch die menschliche Arbeitskraft fällt, stellen auch heraus: C. E. Echegaray de Maussion, Libre circulación de trabajadores y profesionales, in: M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Del Mercosur – Aduana, Jurisdicción, Informática, Relaciones Intercomunitarias, 1996, S. 369; M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, 1995, S. 49; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 132 und R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 309; H.-H. Barbagelata, El Derecho Laboral del Mercosur Ampliado – Problemática de los Trabajadores en el Mercosur: Examen Comparado de los Regímenes en Materia de Trabajo y Seguridad Social, 2. Aufl. 2000, S. 24. 69 Art. 1 Abs. 2 des Vertrags von Asunción.

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Warenverkehrsfreiheit in konkreter Weise beschrieben70. Es sollen des Weiteren ein gemeinsamer Außenzoll und eine gemeinsame Handelspolitik gegenüber Drittstaaten eingeführt werden71. Durch die Koordination der Wirtschaftspolitiken zwischen den Vertragsstaaten werden angemessene Wettbewerbsbedingungen zwischen den Vertragsstaaten angestrebt72. Der Integrationsprozess soll schließlich durch eine Harmonisierung der Gesetzgebung zwischen den Mitgliedstaaten verstärkt werden. Der Zielkatalog zeigt eine weitgehende Übereinstimmung mit den Zielsetzungen im EGVertrag73. Der Vertrag von Asunción selbst ist nicht der Gründungsvertrag des Gemeinsamen Marktes, sondern sieht dessen Errichtung bis zum 31. Dezember 1994 vor74. Tatsächlich kommt der Mercosur erst seit etwa 2006 dem Integrationsstadium eines Gemeinsamen Marktes nahe75. Die bewusst unrealistische Zielsetzung76 verdeutlicht den starken Integrationswillen77 im Vergleich zu den vorhergegangenen Integrationsbemühungen, die die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes lediglich als Fernziel, ohne konkrete Zeitvorgabe vorsahen78. Auch wenn das Ziel, einen Gemeinsamen Markt bereits bis zum 31. Dezember 1994 zu schaffen, nicht erreicht werden konnte, ist der Mercosur das bisher erfolgreichste79 Integrationsprojekt in Lateinamerika: Be70 So auch C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1348. 71 Art. 1 Abs. 3 des Vertrags von Asunción. 72 Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción. 73 Wie zutreffend festgestellt wird, vgl. C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1348; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung: Europäische Gemeinschaften und Mercosur im Vergleich, 1997, S. 80. 74 Art. 3 des Vertrags von Asunción. Hierauf verweisen auch H. Babace, Derecho de la Integración, S. 219. 75 Hierzu ausführlich Teil 2. 76 U. Wehner, Der Mercosur, S. 140. 77 In der Europäischen Union gilt der Binnenmarkt seit dem Inkrafttreten des EGVertrages in der Maastrichter Fassung von 1992 als verwirklicht. Die Europäische Union hat mithin 35 Jahre benötigt, um den Gemeinsamen Markt zu erreichen. Den Kritikern dieser kurzen Frist wurde damals entgegengehalten, dass bei einer längeren Frist niemand ernsthaft daran gegangen wäre, an der Verwirklichung der Vertragsziele zu arbeiten, vgl. J. Samtleben, Das Recht des Mercosur, EuZW 1998, S. 65. 78 Ein größerer Kooperationswille im Vergleich zu den früheren Integrationsversuchen wird den Mitgliedstaaten des Mercosur von verschiedenen Autoren bescheinigt, vgl. etwa M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano (con especial referencia al Mercosur), 1994, S. 352; J. Samtleben, Das Recht des Mercosur, EuZW 1998, S. 65.

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reits seit Ende 1994 gilt der Mercosur als Freihandelszone80 und Zollunion81. Hierdurch bedingt hat sich der Intra-Mercosur-Handel vervierfacht82. Zudem internationalisierte sich die Unternehmenskultur im Mercosur. Immer mehr Unternehmen gründen Joint Ventures und Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedsländern und haben begonnen, ihre Produktionsstandorte grenzüberschreitend zu organisieren83. Auch bei der Harmonisierung verwaltungstechnischer Regelungen wurden erhebliche Fortschritte verzeichnet, wodurch eine große Zahl nichttarifärer Handelshemmnisse beseitigt wurde84. Die Bedeutung des Mercosur wird auch von dritter Seite anerkannt. Neben dem „Interregionalen Rahmenabkommen“ zwischen dem 79 H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 3 und 7; S. Abreu Bonilla, Mercosur e integración, S. 35; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 23; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 57, 69; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 125; A. O’Connell, Los desafíos del MERCOSUR ante la devaluación de la moneda brasilera, S. 5; D. Flemes, Seguridad Cooperativa en el Sur de América Latina, S. 2. 80 D. Fernández Arroyo, El Derecho Internacional Privado en el Mercosur, S. 94; J. Ortuz, Reformulación de los esquemas de integración – Especialmente en el Mercosur, 1998, S. 45. Ausnahmen gibt es noch für die empfindlichen Wirtschaftsbereiche Automotor und Zucker, vgl. Ratsentscheidungen 19/94, 29/94, 16/96, 21/97, 70/00, 4/01; hierzu R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 444 ff. u. 448 ff. 81 Allerdings sind einige Produkte von dem gemeinsamen Außenzoll ausgenommen. Vor allem für die Wirtschaftsbereiche Informatik und Telekommunikation sowie für Kapitalgüter gibt es noch zeitlich begrenzte Sonderregelungen. Hierzu ausführlich Teil 2, I. Der Mercosur präsentiert sich also nach wie vor als unvollständige Zollunion. So auch bereits H. Babace, Empleo, migraciones y libre circulación de trabajadores, in: H. Arbuet Vignali, u. a. (Hrsg.), IV encuentro internacional de derecho para América del Sur – El desarollo de la integración hacia el siglo XXI: Mercosur, balance y perspectivas, Montevideo 1996, S. 403; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 154, 167; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 63 f.; J. Samtleben, Das Recht des Mercosur, EuZW 1998, s. U. Wehner, Der Mercosur, S. 169; 65; H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 10; M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 9 und 11; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 49; m. w. N. A. Haller, Mercosur, S. 84; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 87, 117; zuletzt J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 396 f. Das hält einige nicht davon ab, den Mercosur schon seit dem 31.12.1994 als vollständige Zollunion zu betrachten, vgl. C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, 2. Aufl. 1998, S. 95. 82 J. Samtleben, Das internationale Prozess- und Privatrecht des Mercosur – ein Überblick, RabelsZ 63 (1999), S. 4. 83 H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 11. 84 So die Einschätzung bei: R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 71, 88; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 40.

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Mercosur und der Europäischen Union85 haben bereits 1996 Chile und Bolivien Assoziierungsabkommen mit dem Mercosur geschlossen86 und gelten als potentielle Beitrittskandidaten87. In den Jahren 2003 und 2004 wurden zudem Peru, Venezuela, Ecuador und Kolumbien als assoziierte Mitglieder akzeptiert88. Mit Mexiko, der Andengemeinschaft89, Ägypten, Indien, Israel und Pakistan wurden Abkommen über eine gegenseitige wirtschaftliche Annäherung geschlossen, die als Fernziel die Schaffung einer Freihandelszone zwischen diesen Ländern und dem Mercosur vorsehen90. Seit der Unterzeichnung des Vertrags von Asunción wurde die Institution Mercosur durch zwei weitere Verträge entscheidend weiter entwickelt. Das Protokoll von Olivos regelt das Streitbeilegungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten91. Mit dem 1994 verabschiedeten Protokoll von Ouro Preto bekam der Mercosur seine bis heute gültige institutionelle Struktur92. Auf beide Protokolle, die zusammen mit dem Vertrag von Asunción als die Wir85

Vgl. S. 19. Vgl. Acuerdo de Complementación Económica MERCOSUR-Bolivia, verabschiedet auf dem Gipfeltreffen in Punta del Este im Dezember 1995; Acuerdo de Complementación Económica MERCOSUR-Chile, verabschiedet durch Ratsentscheidung 3/96. Hierzu: J. Samtleben, Das Recht des Mercosur, EuZW 1998, S. 65; J. Ortuz, Reformulación de los esquemas de integración, S. 49 ff., 54 f. Assoziierte Mitglieder einer internationalen Organisation sind solche, die zwar grundsätzlich an der Arbeit der Organisation interessiert sind, aber sich nicht voll mit ihr identifizieren möchten, vgl. I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen einschließlich der supranationalen Gemeinschaften, 5. Aufl. 2000, Rn. 0516. 87 J. Samtleben, Das internationale Prozess- und Privatrecht des Mercosur, RabelsZ 63 (1999), S. 1–69, S. 4. Zu den Assoziierungsabkommen mit Chile und Bolivien vgl. R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 24 ff. 88 Vgl. Ratsentscheidungen 39/03 (Peru), 42/04 (Venezuela), 43/04 (Ecuador), 44/04 (Kolumbien). Der Vertrag über die Vollmitgliedschaft Venezuelas wurde im Juli 2006 zwischen den vier bisherigen Mitgliedstaaten und Venezuela geschlossen, ist aber bisher mangels Ratifikation in den Mitgliedstaaten nicht in Kraft getreten. Vgl. auch Fn. 10 im Ausblick. 89 Hierzu C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 251 ff. 90 Die Abkommen wurden vom Mercosur-Rat durch die Entscheidungen 15/02 (Mexiko), 31/02 (Andengemeinschaft), 9/03 (Indien), 16/04 (Ägypten), 22/05 (Israel), 7/06 (Pakistan) angenommen. 91 Das Protokoll von Olivos (deutsche Fassung im Anhang) ersetzt das bis zum 02.01.2004 gültige Protokoll von Brasilia (deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 8). Das Streitbeilegungsverfahren wird in Kapitel V dieses Teils dargestellt. 92 In Kraft getreten am 15.12.1995, vgl. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 653. Das institutionelle Recht wird in Kapitel II dieses Teils dargestellt. 86

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belsäule des Mercosur bezeichnet wurden93, wird im Rahmen dieser Arbeit ausführlich eingegangen werden. Charakteristisch ist der Weg, den die vier Staaten gewählt haben, um das Ziel, die Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes, zu erreichen. Vor allem der Andenpakt, aber auch die ALALC verfügten von vornherein über eine ausdifferenzierte Organstruktur, die sich in weiten Teilen an das institutionelle Recht der Europäischen Union anlehnte94. Jetzt zeichnet sich ein neuer Weg ab, der erfolgreicher zu sein scheint95 und der sich im Wesentlichen durch den zwischenstaatlichen Charakter und Flexibilität auszeichnet96. Einige Autoren sprechen von einer neuen Art der Integration, die es seit Mitte der 1980er-Jahre in Südamerika anzutreffen gibt97. Diese unterscheide sich von den Schemata der klassischen Integration vor allem durch eine beschleunigte Handelsliberalisierung, größere Flexibilität, größerer Weltoffenheit und eine verstärkte Beachtung des Grundsatzes der Reziprozität98. Die Mercosur-Vertragsstaaten haben es vermieden, Hoheitsrechte auf die Organe zu übertragen. Diese setzten sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen. Wohl mit Blick auf das erfolgreiche Integrationsprojekt Euro93

R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 13. Vgl. R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 217 ff. und 196 ff.; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 16; für den Andenpakt vgl. auch U. Wehner, Der Mercosur, S. 141; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 61 f. 95 R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 2. 96 M. A. Elizeche, Mercosur – Proyección y estructura jurídica, S. 16; U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, in: W. Zippel (Hrsg.), Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten – Stand und Perspektiven, 2001/2002, S. 85; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 151; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 60; E. Rivas, El futuro del Mercosur, Comunicação & política, Vol. XI (2004) 1, S. 180 f.; C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 1, 4, 13. Das Merkmal der Flexibilität findet sich bereits bei der 1980 gegründeten ALADI und wird für den Mercosur ausdrücklich in der Präambel des Vertrags von Asunción festgehalten. 97 Vgl. L. Bizzozero, La estrategia institucional del Mercosur. Avances y perspectivas, in: ders. (Hrsg.), El Estado de la Integración en la Unión Europea y el Mercosur, 1994, S. 19; B. Garré Copello, Solución de Controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 193; Der Mercosur wird als Integrationsprojekt „sui generis“ bezeichnet, vgl. U. Wehner, Der Mercosur, S. 140; M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur después del Protocolo de Ouro Preto, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 77. 98 B. Garré Copello, Solución de Controversias en el Mercado comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 193; ähnlich H.-J. Lauth/M. Mols, Anmerkungen zum Stand der Integration und Kooperation auf dem amerikanischen Kontinent, S. 2 ff., S. 12. 94

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Einführung

päische Union, die sich durch ihren supranationalen99 Charakter auszeichnet, glaubten anfangs nur wenige an einen Erfolg des Mercosur100. Dennoch erreichte man in Rekordzeit eine Freihandelszone und eine Zollunion101. Der neue, eigentlich alte, weil eher dem klassischen Völkerrecht entsprechende Weg102, scheint hier dennoch zu funktionieren. Wehner formuliert die Vorgehensweise im Vergleich zur Europäischen Union treffend: „gleiche Ziele, andere Wege“103. Der Weg des Mercosur wird im folgenden ersten Teil der Arbeit untersucht. Der zweite Teil widmet sich der Frage, inwieweit der Mercosur das Integrationsstadium eines Gemeinamen Marktes erreicht hat. Der dritte Teil stellt das Wettbewerbsrecht des Mercosur, welches im Protokoll zum Schutze des Wettbewerbs niedergelegt ist, den Art. 81, 82 EGV gegenüber.

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Der Begriff Supranationalität wurde erstmals in der französischen Fassung des EGKS-Vertrags verwendet und vor allem in der spanischen Literatur häufig mit dem Begriff des Gemeinschaftsrechts in einen Zusammenhang gebracht, vgl. C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 12, 14, 23; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur – Desde Asunción a Ouro Preto – Aspectos Jurídico-Institucionales, 1995, S. 24. Es handelt sich jedoch um verschiedene und getrennt zu untersuchende Charakterisierungen des Rechts der Europäischen Union, hierzu Teil 1, IV. 4. 100 J. Samtleben, Das internationale Prozess- und Privatrecht des Mercosur, RabelsZ 63 (1999), S. 4. 101 R. R. Díaz Labrano, Naturaleza Jurídica del Mercosur, in: H. Arbuet Vignali, u. a. (Hrsg.), IV encuentro internacional de derecho para América del Sur – El desarollo de la integración hacia el siglo XXI: Mercosur, balance y perspectivas, Montevideo 1996, S. 14; C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, 2. Aufl. 1998, S. 95; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 96; J. Samtleben, Das Recht des Mercosur, EuZW 1998, S. 65; H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 10; D. Fernández Arroyo, El Derecho Internacional Privado en el Mercosur, S. 94; A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 80, Fn. 48. Es gibt allerdings noch Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll, vgl. Teil 2, I. 2. c) und oben, Fn. 81. 102 A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario – Análisis comparativo de la Unión Europea y el Mercosur, 1996, S. 161; J. J. Villamarín, Las constituciones en el Mercosur. Notas a propósito de una judicialización en el ámbito regional, in: Universidad de Buenos Aires, Facultad de Derecho y Ciencias Sociales (Hrsg.), Lecciones y ensayos, Bd. 79 (2004), 71 f.; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 42. 103 U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 84.

Teil 1

Die Verfassung des Mercosur Vorgehensweise Zunächst wird die Rechtsnatur des Vertrags von Asunción dargestellt. In der Literatur zum Mercosur wird der Vertrag von Asunción regelmäßig als Rahmenvertrag bezeichnet, und ihm wird ein Übergangscharakter zugewiesen. Es soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit diese Beschreibungen zutreffen. Das zweite Kapitel beschreibt die institutionelle Struktur des Mercosur. Dies ist zum einen notwendig, um eine Vorstellung von der Institution Mercosur zu bekommen. Zum anderen ist das Wissen über die Rechtsetzungsbefugnisse der Organe erforderlich, um anschließend im dritten Kapitel die Rechtsquellen des Mercosur herauszuarbeiten. Das so definierte Mercosur-Recht wird im vierten Kapitel auf seinen supranationalen bzw. gemeinschaftsrechtlichen Charakter hin analysiert. In diesem Zusammenhang wird ausführlich auf die vom EU-Gemeinschaftsrecht bekannten Fragestellungen des Verhältnisses des Mercosur-Rechts zu den nationalen Rechtsordnungen eingegangen. Das fünfte Kapitel widmet sich dem Streitbeilegungsmechanismus. Im letzten Kapitel wird eine abschließende Bewertung der Integrationsmethode vorgenommen. Zum Sprachgebrauch des Begriffs Mercosur Wörtlich übersetzt bedeutet Mercado Comffln del Sur Gemeinsamer Markt des Südens. Der Mercosur ist demnach das angestrebte Ergebnis des Integrationsprozesses, der mit dem Vertrag von Asunción initiiert wurde1. In der Praxis wurde jedoch von Anfang an mit der Abkürzung Mercosur die institutionelle Struktur des Integrationsprozesses bezeichnet. Die Entscheidung des Mercosur-Rates Nr. 1/982 bestätigt diese Vorgehensweise. Seit dieser Entscheidung bezeichnet der Begriff Mercosur auch offiziell die institutionelle Struktur dieses Integrationsprozesses: die Mitgliedstaaten, die Organe und die Ministertreffen. 1

B. Feder, El Protocolo de Olivos: Profundización institucional y régimen renovado de solución de controversias en el Mercosur, in: D. Fernández Arroyo (Hrsg.), Liber Amicorum en homenaje al profesor Dr. Didier Opertti Badán, 2005, S. 837. 2 Ersetzt durch die Entscheidung des Mercosur-Rates Nr. 17/02.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

I. Rechtsnatur des Vertrags von Asunción Der zwischen den vier Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay geschlossene Vertrag von Asunción ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach Art. 2 I lit. a) der WVRK3. Der Mercosur besitzt gemäß Art. 34 des Protokolls von Ouro Preto Völkerrechtssubjektivität. Völkerrechtssubjektivität kann angenommen werden, wenn es sich um ein auf Dauer angelegtes völkerrechtliches Gebilde handelt, das durch eine völkerrechtliche Willenseinigung in beliebiger Form zustande kam. Vertragspartner müssen Staaten (oder andere Völkerrechtssubjekte4) sein. Das Gebilde muss ein völkerrechtlich erlaubtes Ziel verfolgen und wird mit mindestens einem Organ ausgestattet, das den eigenen Willen dieser Organisation zu vertreten berechtigt ist5. Die Abtretung von Souveränitätsrechten ist nicht zwingend erforderlich6. Diese Merkmale treffen auf den Mercosur zu7. Die Rechtsper3 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl. 1985 II 962); A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 103 f.; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 83; H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, in: ders. u. a. (Hrsg.), El Derecho de la Integración del MERCOSUR, 1999, S. 43, 50; A. Haller, Mercosur, S. 41. 4 Dass auch nicht souveräne Staaten Völkerrechtssubjekte sein können, wird erst in der jüngeren Völkerrechtslehre anerkannt, vgl. O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 7. Aufl. 2000, S. 71 ff.; F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 2. Aufl. 1975, S. 112; vgl. auch bereits D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1: Einführung – Allgemeine Lehre, 3. Aufl. 1929, S. 89 ff. 5 Die Merkmale internationaler Organisationen, die Völkerrechtssubjekte sind, finden sich bei: I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 0105 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 122 ff. Vgl. auch bereits P. Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, 1948, S. 220 f.; F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 139 f., 160 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, 3. Aufl. 1984, S. 249 ff.; sehr ausführlich V. Epping, Völkerrechtssubjekte, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 71 ff. Zur Völkerrechtspersönlichkeit der Europäischen Gemeinschaften (die Europäische Union, unter dessen Dach die Europäischen Gemeinschaften zusammengefasst sind, besitzt nach herrschender Meinung keine Rechtspersönlichkeit) vgl. R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, S. 54 f. Rn. 134 f.; T. Oppermann, Europarecht, 2005, S. 55 Rn. 1 f.; J. C. Wichard, Art. 1 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 7 ff.; B. Simma/C. Vedder, Art. 281 EGV, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union: Kommentar, Loseblatts., Stand 2006, Rn. 1 ff.; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 50 ff.; C. Koenig/M. Pechstein, Die Europäische Union – Der Vertrag von Maastricht, 1995, S. 20 ff.; sehr ausführlich bereits L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I, S. 200 ff. 6 I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 0116. Dies ist von daher wichtig, als, wie noch zu sehen sein wird, keine Souveränitätsrechte an die Mercosur-Organe übertragen wurden.

I. Rechtsnatur des Vertrags von Asunción

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sönlichkeit des Mercosur wurde durch den Abschluss von Abkommen mit anderen Staaten8 von dritter Seite anerkannt9. Alle vier Mitglieder sind auch Mitglieder der ALADI, weshalb der Mercosur eine Präferenzzone (acuerdo de alcance parcial) innerhalb der ALADI ist10. Damit muss der Mercosur grundsätzlich offen sein für den 7 Dass der Mercosur Völkerrechtspersönlichkeit besitzt, ist in der Literatur unbestritten, vgl. R. Then de Lammerskötter, WTO und Regional Trade Agreements (RTAs) – Artikel XXIV und die enabling clause im Lichte eines idealen Regulierungssystems, 2004, S. 68; N. Lavranos, An introduction into the Regional Economic Integration Process of the Americas, ZEuS 2001 Nr. 1, S. 146; L. Coronel/N. Sedrán, Mecanismos de solución de conflictos, in: M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Del Mercosur – Aduana, Jurisdicción, Informática, Relaciones Intercomunitarias, 1996, S. 295; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 167; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 77; M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 81; B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, in: A. Lattuca/M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Economía globalizada y Mercosur, 1998, 59; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 428, 492; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 83, 363; H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 47; R. Bloch, Aportes para la resolución de conflictos en el Mercosur, in: ders. (Hrsg.) La construcción del Mercosur – La evolución de un nuevo actor en las relaciones internacionales, 2003, S. 51, 501; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 136; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 33; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 392; L. M. del Carmen Calderón Vico de Della Savia u. a., El Arbitraje en el Mercosur – Breves Reflexiones, 2004, S. 25; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 233; das 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung) hält fest, dass es sich beim Mercosur um eine internationale Organisation handelt, welche die Integration fördern soll, (Punkt Considerando). 8 Hier seien insbesondere die Assoziierungsabkommen und das interregionale Rahmenabkommen mit der Europäischen Union genannt. Ausführlich zur Anerkennung des Mercosur als Völkerrechtssubjekt durch Drittstaaten vgl. A. Haller, Mercosur, S. 275 ff. 9 Dies ist besonders vor dem Hintergrund der Tatsache relevant, dass noch bis zur ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Frage der Völkerrechtssubjektivität von der Anerkennung durch dritte Staaten abhängig gemacht wurde, vgl. etwa D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 122 ff.; G. Dahm, Völkerrecht, Bd. 1, 1958, S. 121 f.; Übersicht bei: F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 229–237. 10 Gem. Art. 7 des Vertrags von Montevideo; unstreitig, vgl. auch: J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 9; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 284; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 104; H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 6; Präambel des Vertrags von Asunción. Innerhalb der ALADIPräferenzzone wurde der Mercosur gem. Art. 8 i. V. m. Art. 11 des Vertrags von Montevideo als „acuerdo de complementación económica“ (A.C.E.) eingeordnet

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Beitritt anderer Mitglieder der ALADI11, was Art. 20 des Vertrags von Asunción ausdrücklich festhält. Um die strengen Ausnahmeregelungen von der Meistbegünstigungsklausel des GATT12 zu umgehen, stützt sich der Mercosur, ebenso wie die ALADI, auf die so genannte „Ermächtigungsklausel“ (enabling clause)13. Diese wurde im Rahmen der Tokio-Runde des GATT am 28. November 1979 verabschiedet und nimmt die Integrationsmodelle zwischen Entwicklungsländern vom Meistbegünstigungsprinzip aus14. Da der Vertrag die Bildung eines Gemeinsamen Marktes einschließlich der Koordination der Politiken und nicht nur einen bloßen Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen vorsieht, kann er als Integraund als A. C. E. Nr. 18 (vom 29.11.1991) bei der ALADI registriert, vgl. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 88 f., 393. 11 Art. 9 lit. a des Vertrags von Montevideo. 12 Vgl. Art. I i. V. m. Art. XXIV GATT. Kritisch hierzu aus Sicht der Europäischen Union: N. Nagarajan, Regionalism and the WTO: New Rules for the game?, in: EU-Kommission, DG II (Hrsg.), Economic Papers Nr. 128, 1998, S. 6 ff.; ähnlich: H. Siebert, Weltwirtschaft, 1997, S. 204 ff. Positiv aber: M. Beise/T. Oppermann/G. G. Sander, Grauzonen im Welthandel – Protektionismus unter dem alten GATT als Herausforderung an die WTO, 1998, S. 43; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 137. Sehr ausführlich zu Art. XXIV GATT: R. Then de Lammerskötter, WTO und Regional Trade Agreements (RTAs) – Artikel XXIV und die enabling clause im Lichte eines idealen Regulierungssystems, 2004, S. 159 ff., 207 ff. 13 C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1387; N. Nagarajan, Regionalism and the WTO, S. 6 f.; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 390 f.; W. Hummer, Integration in Lateinamerika und in der Karibik, Verfassung und Recht in Übersee, Bd. 38 (2005), S. 21 f. Die Rechtslage ist allerdings nicht eindeutig: Nach Ansicht der USA und der Europäischen Union kann sich der Mercosur nicht auf die „enabling clause“ stützen, vgl. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 86 Fn. 6; vgl. auch W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 122; sehr ausführlich zur Problematik A. Haller, Mercosur, S. 312 ff. und S. 400 f. 14 Die „enabling clause“ (Vereinbarung über differenzierte und günstigere Behandlung, Gegenseitigkeit und stärkere Beteiligung der Entwicklungsländer) stützt sich auf Art. XXV Abs. 5 GATT. Sie ist abgedruckt bei: R. Then de Lammerskötter, WTO und Regional Trade Agreements, S. 289 ff. Zur „enabling clause“ auch: J. H. Kareseit, Welthandelsorganisation (WTO) – Allgemeines Zoll- und Handels-Abkommen (GATT) 1994: Aktuelle Textfassung nebst Einführung, 1998, S. 64 ff.; W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, 2003, S. 164 f. Rn. 399 f., S. 319 Rn. 744, S. 427 f. Rn. 989, S. 429 f. Rn. 994; P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht, 2002, S. 49 Rn. 125 f.; ausführlich und auch zur Konkurrenz zwischen „enabling clause“ und Art. XXIV GATT: R. Then de Lammerskötter, WTO und Regional Trade Agreements, S. 197 ff.; W. Hummer, Integration in Lateinamerika und in der Karibik, Verfassung und Recht in Übersee, Bd. 38 (2005), S. 20 ff.

I. Rechtsnatur des Vertrags von Asunción

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tionsabkommen im Gegensatz zu einem einfachen Liberalisierungsabkommen bezeichnet werden15. 1. Rahmenvertrag Der Vertrag von Asunción besteht aus nur 24 Artikeln und 5 Anhängen. Ziel des Vertrags von Asunción war es, bis zum 31. Dezember 1994 einen Gemeinsamen Markt mit einer freien Zirkulation von Gütern, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren16 zu schaffen. Bis auf das im Anhang I enthaltene Programm zur Handelsliberalisierung (Programa de Liberación Comercial), in dem automatische und lineare Zollsenkungen vorgeschrieben werden, enthält der Vertrag von Asunción nur Zielfestsetzungen17. Der Vertrag von Asunción schafft also keinen Gemeinsamen Markt18, sondern hält den gemeinsamen Willen der Vertragsstaaten fest, einen solchen bis zum 31. Dezember 1994 zu erreichen19. Er stellt den Ausgangspunkt und nicht den vorläufigen Abschluss eines zwischenstaatlichen Verhandlungsprozesses in Richtung eines Gemeinsamen Marktes dar20. Der Mercosur muss sich also durch spezifische internationale Akte sowie interne Entscheidungen herausbilden21. Dies wird besonders deutlich am Punkt 3 des Anhangs III des Vertrags von Asunción22, der festschreibt, dass innerhalb von 120 Tagen nach Unterzeichnung des Vertrags von Asunción ein provisorisches Streitbeilegungssystem ausgearbeitet und bis zum 31. Dezember 1994 ein permanentes Streitbeilegungssystem etabliert werden sollte. Damit unterscheide sich der Vertrag von Asunción grundlegend von den römischen Verträgen von 1957, 15 B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 83; A. Haller, Mercosur, S. 41. 16 Art. 1 des Vertrags von Asunción. 17 Er wurde daher von einem seiner Gründungsväter als primitiv bezeichnet, vgl. C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 136. 18 Wie zutreffend feststellen: H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 43; M. R. Brito, Solución de controversias en el Mercosur, in: H. Gros Espiell, u. a. (Hrsg.), El Derecho de la Integración del MERCOSUR, 1999, S. 161. 19 H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur – Aspectos de la Integración – Normas del Trabajo Comparadas – Asimetrías – Armonización, 1999, S. 44. 20 M. Midón, El mayor desafío del siglo, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 919; C. E. A. v. Wuthenau, Mercosur: Entstehung, Ziele und Perspektiven, in: H.-J. Lauth/M. Mols (Hrsg.), Integration und Kooperation auf dem amerikanischen Kontinent, Mainz, 1993, S. 104. 21 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 13. 22 Deutsche Übersetzung des Programms zur Handelsliberalisierung findet sich in: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Rechtsquellen des Mercosur – Spanischer Text und deutsche Übersetzung der wichtigsten Verträge und Rechtsakte, Teilband II, Kapitel VI.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

mit denen unmittelbar die Europäische Gemeinschaft gegründet worden ist23 und die daher ohne weiteres als Gründungsverträge anzusehen sind24. Der EWG-Vertrag sei von vornherein ein endgültiger Vertrag, obgleich auch er nicht unmittelbar nach Unterzeichnung einen Gemeinsamen Markt schuf25. Aufgrund seines nicht endgültigen, also programmatischen Charakters wird der Vertrag von Asunción einhellig als acuerdo marco, als Rahmenvertrag bezeichnet26. Abreu Bonilla meint, den Vertrag von Asunción dürfe man nicht als Endvertrag, der den Mercosur gründet, ansehen, sondern vielmehr als ein Instrument internationalen Charakters mit dem Ziel einer möglichen Herstellung des Mercosur, weshalb es sich hier im Unterschied zu anderen Integrationsverträgen um einen Rahmenvertrag handle27. Magariños formuliert, es hätte sich die Gewohnheit durchgesetzt, Verträge ohne Details als 23 Herrera Vegas, zitiert nach A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 54, Fn. 10; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 72; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos: el caso MERCOSUR, in: Institut für Iberoamerika-Kunde (Hrsg.), MERCOSUR und NAFTA: Institutionen und Entscheidungsstrukturen in asymmetrischen Integrationsprozessen, Arbeitspapier Nr. 1, 2002, S. 2; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 174. Nicht so Menem, der im Vertrag von Asunción sehr wohl einen Gründungsvertrag sieht, vgl. C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 39. 24 H. J. Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1982, S. 264 ff. 25 Herrera Vegas, zitiert nach: A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 54, Fn. 10. Zur Entwicklung der europäischen Idee bis zur Vollendung des gemeinsamen Binnenmarktes, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 1–14. 26 Vgl. statt vieler M. Midón, El mayor desafío del siglo XX – Inexorable emprendimineto reservado al derecho: La integración a través del Mercosur, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 915; M. C. Vázquez, Análisis de algunos aspectos de la integración en el Mercosur, desde el punto de vista del derecho administrativo, in: M.C.Vázquez u. a. (Hrsg.), Estudios Multidisciplinarios sobre el Mercosur, Montevideo 1995, 13; L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur: diagnóstico y evaluación de lo acordado, in: Universidad de la Repfflblica, Facultad de Ciencias Sociales, documento 15/93, 1993, S. 10; J. H. Lavopa, La dimensión jurídica de la integración, Contribuciones Nr. 4 (1996), S. 162 f.; J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, las alternativas del diseño institucional definitivo, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 4; M. A. Elizeche, Mercosur, S. 15; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 260, 520; M. Hassemer, Gewerbliche Schutzrechte im Mercosur – Patent-, Muster-, Sorten- und Kennzeichenschutz in Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, 1999, S. 17; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 72; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 44; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 151; U. Wehner, Der Mercosur, S. 75; H.-H. Barbagelata, El Derecho Laboral del Mercosur Ampliado, S. 27; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 211; m. w. N. A. Haller, Mercosur, S. 42. Den Ausdruck verwendet auch das 1. Ad-hocSchiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 34, 56. Alle Schiedssprüche sind abrufbar auf der offiziellen Webseite des Mercosur-Verwaltungssekretariats unter: http://www.mercosur.int.

I. Rechtsnatur des Vertrags von Asunción

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Rahmenverträge zu bezeichnen28, und Bizzozero/Vaillant/Vera definieren den Rahmenvertrag als einen Vertrag, dessen Instrumente zur Erreichung der Ziele in weiteren Übereinkünften oder Rechtsakten entwickelt werden29. 2. Übergangscharakter des Vertrags von Asunción In Zusammenhang mit dem programmatischen Charakter des Vertrags von Asunción wird als herausragendes methodisches Merkmal der provisorische Charakter oder Übergangscharakter der getroffenen Regelungen genannt30, wodurch sich der Mercosur von allen bisher bekannten Integrationsmechanismen unterscheide31. Dieser wird aus verschiedenen Artikeln des Vertrags von Asunción deutlich, vor allem aber aus Art. 3, der vorschreibt, dass die Vertragsstaaten während einer período de transición, einer Übergangszeit, die sich vom Inkrafttreten des Vertrags von Asunción bis zum 31. Dezember 1994 erstrecken soll, Ursprungsregeln, ein System zur Streitbeilegung und Schutzklauseln beschließen, wie sie in den Anhängen II–IV vorgesehen sind. Art. 18 des Vertrags von Asunción legt schließlich fest, dass vor Beendigung der Übergangszeit am 31. Dezember 1994 die endgültige institutionelle Struktur in einer neuen Vereinbarung geregelt werden soll32. Dieser transitorische Charakter33 wird auch in späteren Protokollen weiter beibehalten, obwohl der Vertrag von Asunción das Ende der Übergangszeit 27 S. Abreu Bonilla, Mercosur e integración, S. 47; in diesem Sinne L. Bertoni, MERCOSUR – Clausulas de salvaguardia y fallos arbitrales, S. 190. 28 G. Magariños, Uruguay en el Mercosur, Montevideo 1991, S. 162. 29 L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 11. 30 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 17; L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 10 f.; U. Wehner, Der Mercosur, S. 76; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 74; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 151; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 50 f.; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 105. 31 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 17; U. Wehner, Der Mercosur, S. 76 f. 32 Art. 18 des Vertrags von Asunción lautet: „Vor der Errichtung des Gemeinsamen Marktes am 31. Dezember 1994 berufen die Vertragsstaaten eine außerordentliche Tagung ein mit dem Ziel, die endgültige institutionelle Struktur der Verwaltungsorgane des Gemeinsamen Marktes festzulegen, ebenso wie die besonderen Befugnisse eines jeden von ihnen und sein Entscheidungsverfahren“. 33 Der Begriff ist aus dem Spanischen übernommen: carácter transitorio = transitorischer Charakter, vgl. etwa: J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 4, 12; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 1; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 219.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

und damit auch der Transitorietät für den 31. Dezember 1994 vorgesehen hatte34. So legt Art. 47 des Protokolls von Ouro Preto35 fest, dass die Mitgliedstaaten jederzeit, wenn sie es für notwendig erachten, eine Konferenz einberufen können, um die mit diesem Protokoll festgelegte institutionelle Struktur des Mercosur zu überarbeiten. Der in Art. 18 des Vertrags von Asunción vorgesehenen endgültigen Festlegung einer institutionellen Struktur wird somit eine Absage erteilt. Die Delegierten reagierten damit auf die positive Entwicklung des Integrationsprozesses bis dato und entschieden sich für ein Beibehalten dieses Grundsatzes, der ein weiteres prägendes Merkmal der gesamten Integrationsmethode darstellt und in keinem der bekannten Integrationsprojekte eine Entsprechung findet36. In der Europäischen Union existierten sämtliche Organe schon seit den Verträgen von Rom 195737, obgleich die Europäische Union nicht mit diesem Gründungsdatum die heutige Form hatte, sondern in einem jahrelangen Prozess entstanden ist38. Der transitorische Charakter entspricht dem Grundsatz der Flexibilität39, dem sich die Vertragsstaaten bereits in der Präambel verschreiben40. Ent34

Art. 18 des Vertrags von Asunción. Protocolo Adicional al Tratado de Asunción sobre la Estructura Institucional del MERCOSUR, unterzeichnet am 17.12.1994 in Ouro Preto, abgedruckt in deutscher Übersetzung im Anhang. Mit dem Protokoll von Ouro Preto wird die institutionelle Struktur des Mercosur wie in Art. 18 des Vertrags von Asunción vorgesehen überarbeitet. 36 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 17; U. Wehner, Der Mercosur, S. 77. 37 Das Europäische Parlament hieß zunächst „Versammlung“ (französisch: assemblée), womit der im Französischen gebräuchliche Begriff des Parlaments in den EWG-Vertrag Eingang gefunden hatte. Erst mit Art. 3 der EEA (Einheitliche Europäische Akte) wurde der Begriff des Parlaments für die Organe und Mitgliedstaaten verbindlich eingeführt, um die Bezeichnungen in den verschiedenen sprachlichen Fassungen des EWG-Vertrags zu vereinheitlichen. Die Namensänderung trug dem Struktur- und Funktionswandel der Versammlung der Repräsentanten der mitgliedstaatlichen Parlamente hin zu einer Versammlung von direkt gewählten Abgeordneten Rechnung. Zur Entwicklung von der „Versammlung“ zum Europäischen Parlament vgl. W. Kluth, Art. 189 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1 ff.; zum Europäischen Parlament auch: T. Oppermann, Europarecht, S. 82 ff. Rn. 14 ff.; R. Bieber/M. Haag, Art. 189 EG, in: H. v. d. Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), EU-/EGVertrag, Kommentar, 6. Aufl. 2003, Rn. 1 ff. Eine übersichtliche Darstellung der Organe der Europäischen Union findet sich bei: T. Oppermann, Europarecht, S. 82–116; M. Herdegen, Europarecht, 2005, S. 95 ff. 38 Hierauf verweisen: A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 54, Fn. 10; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 17. Zur geschichtlichen Entwicklung der Europäischen Union vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 1–18; M. Herdegen, Europarecht, S. 41 ff.; M. Hilf/E. Pache, EUV Vorbem., in: Grabitz/Hilf, Rn. 7 ff. 39 U. Wehner, Der Mercosur, S. 130. 35

I. Rechtsnatur des Vertrags von Asunción

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gegen der Transitorietät in seiner inhaltlichen Ausgestaltung stellt der Vertrag von Asunción ebenfalls klar, dass seine Gültigkeit unbegrenzt ist41, weshalb geschlussfolgert wird, dass das Ziel der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes irreversibel sei42. Sinn dieser Flexibilität war und ist es, die institutionelle Ausgestaltung dem jeweiligen Stand der Integration anzupassen43. Diese Argumentation geht aus der schlechten Erfahrung der früheren Integrationsversuche hervor, die ähnlich wie die Europäische Union sehr strikte Integrationsschemata besaßen44. Diese Vorgehensweise wird kritisiert. Auch bei der Gründung eines demokratischen Staates würde von vornherein die vollständige operative und institutionelle Struktur festgelegt und nicht erst die ersten Verbrechen abgewartet, bis das erste Gericht etabliert wird45. Es sei fraglich, ob der bisherige Erfolg des Mercosur nicht gerade aus dem einzigen strikten, mit einem verbindlichen Zollsenkungsautomatismus versehenen Teil des Vertrags von Asunción, dem Programm zur Handelsliberalisierung, hervorgehe46. 40 Der zweite Satz der Präambel bestimmt: „In dem Verständnis, dass diese Zielsetzung erreicht werden soll (. . .) auf der Grundlage der Prinzipien der Gradualität, der Flexibilität und des Gleichgewichts“. 41 Art. 19 des Vertrags von Asunción. 42 Vgl. bereits Hinweise in Fn. 26 (Einführung). Deshalb ist jedoch nicht der Integrationsprozess unumkehrbar. Ein Staatenzusammenschluss ist solange umkehrbar, wie sich die Völker nicht zu und in einer gemeinsamen Verfassung entschieden haben. In diesem Sinne hat das deutsche Bundesverfassungsgericht das Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum jederzeitigen Austritt anerkannt. Vgl. BVerfGE 89, 155 (190); vgl. auch: K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union. Ein Beitrag zur Lehre vom Staat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag über die Europäische Union von Maastricht, in: W. Blomeyer/K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 101; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: W. Hankel/ders./J. Starbatty, Der Ökonom als Politiker – Europa, Geld und die soziale Frage, Festschrift für Wilhelm Nölling, 2003, S. 309; ders., Verweigerung des Rechtsschutzes in der Euro-Politik und Wiederherstellung des Rechts durch Austritt aus der Währungsunion, in: W. Hankel/W. Nölling/K. A. Schachtschneider/J. Starbatty, Die Euro-Illusion – Ist Europa noch zu retten?, 2001, S. 320 ff.; vgl. auch Hinweise in Fn. 1052 (1. Teil). 43 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 18; in diesem Sinne L. Bizzozero, La estrategia institucional del Mercosur, S. 39. 44 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 18. 45 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 18; in diesem Sinne auch A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 55. 46 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 18. Auch Sanguinetti und Sallustro sehen den Zollsenkungsmechanismus als Grundlage für den Erfolg des Liberalisierungsprozesses, vgl. P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial: aranceles y barreras no tarifarias, in: Centro de Estudios para el Desarrollo Institucional (Hrsg.) Documento 34, 2000, S. 9, 33 f.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

3. Stellungnahme Weder in der WVRK noch bei bekannten Autoren des Völkerrechts wie Heinrich Triepel47, Hans Kelsen48, Dionisio Anzilotti49, Alfred Verdross50, Otto Kimminich51 oder Knut Ipsen52 findet sich die Definition eines Rahmenvertrags. Einen Gemeinsamen Markt in einem einzigen juristischen Akt zu schaffen ist kaum möglich53. Es kann nicht jede Eventualität vorhergesehen und von vorn herein im Detail geregelt werden. Deshalb werden Organe mit Rechtsetzungsbefugnis geschaffen. Auch der Gemeinsame Markt der Europäischen Gemeinschaft war nicht von Anbeginn vollendet54, und auch der EGVertrag enthält überwiegend Zielbestimmungen und Kompetenzvorschriften über die Ausgestaltung des sekundären Gemeinschaftsrechts55. Jeder Integrationsvertrag ist nach der oben angeführten Definition ein Rahmenvertrag, da er der Konkretisierung durch das Sekundärrecht oder weiterer primärrechtlicher Verträge bedarf56. Dennoch sei der Vertrag von Asunción aufgrund seines programmatischen Charakters und geringen Umfangs im Unterschied zum EG-Vertrag ein Rahmenvertrag57. Der Unterschied liegt im Umfang der Vereinbarungen. In der Europäischen Union existierten alle Organe58 bereits seit den Verträgen von Rom, weshalb der EG-Vertrag im Gegensatz zum Vertrag von Asunción nicht als Rahmenvertrag einzustufen sei59. Einen Inte47 H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 1899 (unveränderter Nachdruck, Aalen 1958). 48 H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925; ders., Reine Rechtslehre – mit einem Anhang: das Problem der Gerechtigkeit, 2. Aufl. 1960 (Nachdruck 1983). 49 D. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1: Einführung – Allgemeine Lehre, 3. Aufl. 1929. 50 A. Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., 1964; ders./B. Simma, Universelles Völkerrecht. 51 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht. 52 K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1999. 53 So auch J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 92. 54 Vgl. Hinweise in Fn. 38 (1. Teil). 55 Vgl. etwa M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 5. Aufl. 1996, S. 32 Rn. 89. 56 Tatsächlich wurde auch der EG-Vertrag als Rahmenvertrag bezeichnet, vgl. M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 22 Rn. 64, S. 32 Rn. 89; M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 78; W. Hummer, Paradigmenwechsel im Internationalen Organisationsrecht – Von der „Supranationalität“ zur „strukturellen Kongruenz und Homogenität“ der Verbandsgewalt, in: ders. (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 157. 57 A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 54, Fn. 10; vgl. bereits Autoren in Fn. 26 (1. Teil). 58 Mit Ausnahme des Parlaments, hierzu vgl. bereits Hinweise in Fn. 37 (1. Teil).

I. Rechtsnatur des Vertrags von Asunción

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grationsvertrag aber nur aufgrund seines geringeren Umfangs als Rahmenvertrag zu klassifizieren, ist nicht überzeugend. Zudem enthält der Vertrag von Asunción nicht ausschließlich programmatische Zielsetzungen60. Das im Anhang I abgedruckte Programm zur Handelsliberalisierung enthält nähere Bestimmungen über den linearen und automatischen Abbau von Zöllen. Die oben angeführten Definitionen eines Rahmenvertrags treffen damit nicht vollständig auf den Vertrag von Asunción zu. Das Schiedsgericht befindet in dem ersten Schiedsspruch von 199961, dass der Vertrag von Asunción sowohl operative Normen enthält, als auch solche, die auf einen Rahmenvertrag schließen lassen62. Der Vertrag von Asunción wurde deshalb als „völkerrechtlicher Vertrag gemischten Charakters“ bezeichnet63. Mit den negativen Erfahrungen der gescheiterten Integrationsprojekte vor Augen versuchten die Vertragsväter offenbar, nicht der Zeit vorauszueilen und ein komplexes System von Normen aufzustellen, das nicht dem jeweiligen Stand des Integrationswillens entspricht64. Vor allem sollten keine Institutionen geschaffen werden, deren Rechtsakte später mangels Integrationswillen nicht von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Vielmehr wollte man mit dem Vertrag von Asunción den Willen bekunden, das Projekt Gemeinsamer Markt anzugehen bei vollem Bewusstsein der Tatsache, dass 59 M. A. Elizeche, Mercosur, S. 15. Dieser Sichtweise liegt wohl die „Gesamtaktlehre“ Hans Peter Ipsens (der sich freilich an H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 49 ff. anlehnt) zugrunde, nach der die Europäischen Gemeinschaften durch einen „Gesamtakt staatlicher Integrationsgewalt“ geschaffen wurden, vgl. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 61; dazu R. Streinz, Art. 1 EGV, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 223 Rn. 18; T. Oppermann, Europarecht, S. 182 Rn. 2 bezeichnet die EG-Verträge als verfassungsrechtliche „Gründungsakte“ der Gemeinschaft. 60 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 17; zustimmend D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, 1998, S. 151; U. Wehner, Der Mercosur, S. 75; L. Bizzozero/T. Vera, De Asunción a Ouro Preto, Definiciones y estrategia en la construcción del MERCOSUR, in: Universidad de la Repfflblica, Facultad de Ciencias Sociales, documento 1/95, 1995, S. 5; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 91. So auch ausdrücklich das 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 66. 61 Hierzu ausführlich Teil 1, V. 3. 62 Vgl. 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 64: „(. . .) muestra claramente una combinación de nornas propias de un tratado marco con otras de crarácter operativo. (. . .)“. 63 B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 78. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 83–94 weist dem Vertrag von Asunción 11 Charakteristika zu. 64 So der argentinische Botschafter des Mercosur Herrera Vegas, zitiert nach: A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 54, Fn. 10; so auch J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 18; M. A. Elizeche, Mercosur, S. 16 f.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

dieser überwiegend Ziele definiert und viele weitere Vereinbarungen nach sich ziehen muss65. Wohl um Kritikern des programmatischen, wenig differenzierten Vertragsaufbaus zuvorzukommen, wurde im Art. 18 des Vertrags von Asunción festgehalten, dass die in diesem Vertrag definierte institutionelle Struktur noch nicht endgültig ist und bis Ende 1994 eine solche in einer weiteren Übereinkunft definiert werde, woraus nun regelmäßig geschlussfolgert wird, es handle sich um eine neue Kategorie von Vertrag: ein Rahmenvertrag mit Übergangscharakter. Die „Übergangsklausel“ in Art. 18 des Vertrags von Asunción ist aber nicht notwendig. Jeder zwischenstaatliche Vertrag kann grundsätzlich durch einen nachfolgenden Vertrag aufgehoben werden66. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, in einer erneuten Übereinkunft die institutionelle Struktur zu überarbeiten, erzeugt keinen Übergangscharakter. Jeder Vertrag ist ein Übergangsvertrag. Er gilt so lange, bis ein neuer geschlossen wird67. Ein Nachteil ist allerdings die Unübersichtlichkeit der Regelungen im Mercosur68. Rechtsakte sind nicht nach Themenbereichen geordnet und der Titel einer Vorschrift lässt nur bedingt Rückschlüsse auf dessen Inhalt zu. Zudem werden Rechtsakte durch spätere aufgehoben, abgeändert oder in ihrer zeitlichen Geltung verlängert, wobei hier keine Rücksicht auf die Qualität des ursprünglichen Rechtsaktes genommen wird69. So werden Entscheidungen des höchsten Mercosur-Organs, dem Mercosur-Rat, durch Beschlüsse hierarchisch untergeordneter Organe wie beispielsweise Richtlinien der Handelskommission abgeändert70. Um auf dem aktuellsten Stand eines Teilgebiets des Mercosur-Rechts zu sein, muss zwangsläufig das gesamte Regelwerk herangezogen werden. In Bezug auf die Effektivität dieser Integrationsmethode ist eine Kritik nicht gerechtfertigt. In Rekordzeit wurden 80% der Zölle zwischen den 65

Deshalb handelt es sich beim Mercosur aber nicht, wie bei anderen Integrationsvorhaben, um ein „Agreement to agree in the future“, vgl. C. Salomão Filho/ J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1391. 66 Vgl. etwa A. Verdross, Völkerrecht, 176; vgl. auch Art. 30 Nr. 3 der WVRK. 67 Abgesehen davon galt auch in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine 12-jährige Übergangsfrist, welche zur Jahresende 1969/70 endete. Hierauf verweisen: R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 36; W. Hummer, Paradigmenwechsel im Internationalen Organisationsrecht, S. 157; W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, S. 61 Rn. 116; 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. F. 1. 68 Auf die Unüberschaubarkeit des Mercosur-Rechts verweisen U. Wehner, Der Mercosur, S. 149; E. Rivas, Adopción e internalización de la normativa comunitaria en el seno del MERCOSUR – Un repaso histórico, in: CAEI (Hrsg.), Working Paper, 2006, S. 34. 69 Zu den verschiedenen Rechtsakten unten, Teil 1, III. 1. b). 70 Vgl. Hinweise in Fn. 1282 (Teil 3).

II. Das institutionelle Recht des Mercosur

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Mitgliedstaaten abgeschafft71, und der Intra-Mercosur-Handel hat sich verdoppelt72. Für ein solches Ergebnis brauchte die Europäische Union bis zum Ende der 1960er-Jahre.

II. Das institutionelle Recht des Mercosur Entsprechend dem oben beschriebenen programmatischen Charakter des Vertrags von Asunción wurde die institutionelle Struktur des Mercosur zunächst überschaubar gehalten. Der Vertrag von Asunción sah lediglich zwei Gemeinschaftsorgane vor: den Consejo Mercado Comffln, den Rat des Gemeinsamen Marktes und die Grupo Mercado Comffln, die Gruppe des Gemeinsamen Marktes73. Mit dem im Dezember 1994 beschlossenen Protokoll von Ouro Preto wurde die institutionelle Struktur, wie in Art. 18 des Vertrags von Asunción vorgesehen, überarbeitet. Seit dem Protokoll von Ouro Preto gibt es folgende Organe74: – der Rat, – die Gruppe, – die Handelskommission, – die Parlamentarische Kommission, – das ökonomisch-soziale Forum, – das Verwaltungssekretariat. Art. 1 einziger Unterabsatz i. V. m. Art. 8 Nr. VII des Protokolls von Ouro Preto ermächtigt den Rat, Hilfsorgane zu schaffen, sofern dies zur Erreichung der Ziele erforderlich ist. Von dieser Ermächtigung hat er bisher zweimal Gebrauch gemacht. Es wurde das Forum für politische Beratung und Abstimmung75 sowie die Kommission der ständigen Vertreter des Mercosur76 eingerichtet. Das im Protokoll von Olivos niedergelegte Streitbeilegungssystem sieht die fallweise Einberufung von Ad-hoc-Schiedsgerichten vor. Das Schiedsverfahren ist zwar eine permanente Institution, die Schiedsgerichte treten jedoch nur zusammen, wenn das vorgesehene Verfahren 71

A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 80, Fn. 48. Der durchschnittliche Intra-Mercosur-Handel betrug in den 1990er-Jahren 19,5%, während er zu Beginn der 1990er-Jahre nur 11% erreichte, vgl. H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 8. 73 Art. 9 des Vertrags von Asunción. 74 Vgl. Art. 1 des Protokolls von Ouro Preto. 75 „Foro de Consulta y Concertación Política“, vgl. Ratsentscheidung 18/98. 76 „Comisión de Representantes Permanentes del Mercosur“, vgl. Ratsentscheidung 11/03. 72

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

nicht zuvor zu einer Lösung geführt hat77. Mit dem Protokoll von Olivos, welches das Protokoll von Brasilia ersetzt, wurde ein ständiges Revisionsgericht eingerichtet. Die Organe lassen sich in solche mit Entscheidungsbefugnis und solche ohne Entscheidungsbefugnis einordnen78. Entscheidungsbefugnis haben der Rat, die Gruppe, die Handelskommission79 und das Revisionsgericht. Mit Ausnahme des Verwaltungssekretariats, des Revisionsgerichts und der Kommission der ständigen Vertreter haben die Organe keinen festen Sitz und unterhalten auch keinen ständigen Betrieb. Alle Organe sind aber dennoch als feste Institutionen angelegt. Sie treffen sich in den vorgeschrieben Abständen und treten zu besonderen Anlässen ad hoc zusammen80. Es wird nun zunächst die Organstruktur durch eine Beschreibung der einzelnen Organe dargestellt, um im anschließenden Kapitel die von den Organen erlassenen Rechtsakte, die Art der Entscheidungsfindung und die jeweiligen Kompetenzen zu analysieren. 1. Organe mit Entscheidungsbefugnis a) Rat Der Rat wurde bereits mit dem Vertrag von Asunción gegründet und wird durch das Protokoll von Ouro Preto beibehalten. Er erfährt durch das Protokoll von Ouro Preto keine Veränderungen in seiner Funktion und Beschaffenheit, sondern lediglich Konkretisierungen und Klarstellungen81. Art. 10, 11 und 12 des Vertrags von Asunción werden praktisch wortgleich von Art. 3 und 7 des Protokolls von Ouro Preto wiederholt. Ein Unterschied ist aber darin zu sehen, dass durch seine Beibehaltung im Protokoll von 77

Zum Streitbeilegungsverfahren: Teil 1, V. Eine solche Unterscheidung treffen auch D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 158 ff.; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 429 f.; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 568; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 157 ff.; C. E. Delpiazzo, Fuentes del Derecho de la Integración, in: H. Gros Espiell u. a. (Hrsg.), El Derecho de la Integración del MERCOSUR, 1999, S. 69 f.; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, 2000, S. 84; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 39. 79 Rat, Gruppe und Handelskommission werden in Art. 2 des Protokolls von Ouro Preto ausdrücklich als Organe mit Entscheidungsbefugnis benannt. 80 Art. 6, 13, 18, 31 des Protokolls von Ouro Preto; M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 83. 81 E. I. Rimoldi de Ladmann, La estructura institucional a patir del Protocolo de Ouro Preto, S. 207; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 64. 78

II. Das institutionelle Recht des Mercosur

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Ouro Preto der provisorische Charakter des Rates behoben ist und dieser jetzt als ständiges Organ anzusehen ist82. Aufgaben und Kompetenzen Der Rat ist gemäß Art. 3 des Protokolls von Ouro Preto bzw. Art. 10 des Vertrags von Asunción das höchste Organ, dem die politische Führung obliegt und das Entscheidungen erlässt, die die Erfüllung der Ziele in den vorgesehenen Zeiträumen gewährleisten83. Damit kommt ihm als politisches Organ schlechthin die Möglichkeit zu, über den Fortgang der Integration zu entscheiden84, weshalb er auch mit dem Rat der Europäischen Union verglichen wird85. Spezifische Ermächtigungen sieht der Vertrag von Asunción nicht vor. Damit hat der Rat zunächst sämtliche Befugnisse, die er zur Erfüllung der Vertragsziele benötigt86. Diese Allzuständigkeit wird durch das Protokoll von Ouro Preto beendet. Die Kompetenzen des Rates finden sich nun in Art. 8 des Protokolls von Ouro Preto bestimmt87. Zu den wichtigsten Aufgaben gehören die Überwachung der Einhaltung des Vertrags von Asunción, seiner Protokolle sowie in dessen Rahmen geschlossener Vereinbarungen und das Erarbeiten und Durchsetzen weiterer Maßnahmen, die zur Erreichung des Gemeinsamen Marktes notwendig sind88. Der Rat vertritt den Mercosur nach außen89 und kann im Namen des Mercosur mit dritten Staaten, Staatengruppen oder internationalen Organisationen Vereinbarungen 82

U. Wehner, Der Mercosur, S. 84. M. Quiroga Obregón, Mercosur, S. 54; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 162, 164; F. Rotondo, Organisación del Mercosur, in: H. Gros Espiell u. a. (Hrsg.), El Derecho de la Integración del MERCOSUR, 1999, S. 84; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 14. 84 U. Wehner, Der Mercosur; S. 84; J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 5; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 494, 525; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 164 f.; L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 16; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 176. 85 J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 391; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 29. 86 Vgl. hierzu A. Zelada Castedo, Competencias legales y toma de decisiones en la integración en América Latina, Integración Latinoamericana Nr. 196 (1993), S. 64–71; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 19; Die weitreichenden Befugnisse des Rates erkennen auch: R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 529; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 165. 87 Vgl. auch das interne Reglement des Rates, verabschiedet mit Ratsentscheidung 2/98. 88 Art. 8 I. und II. des Protokolls von Ouro Preto. 89 Art. 8 III. des Protokolls von Ouro Preto. 83

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

schließen90. Die hierfür notwendige Rechtspersönlichkeit verleiht Art. 34 des Protokolls von Ouro Preto dem Mercosur91. Der Rat trifft die notwendigen Finanz- und Budgetentscheidungen92, kann Organe schaffen oder auflösen93, wodurch er die institutionelle Struktur des Mercosur zu verändern vermag94. Die Aufzählung der Befugnisse in Art. 8 des Protokolls von Ouro Preto ist zwar als abschließend anzusehen95. Weil sie jedoch zum Teil sehr allgemein formuliert sind, hat der Rat weitreichende Kompetenzen96. Das Problem der demokratischen Legitimation umfangreicher und in den Mitgliedstaaten verbindlicher Entscheidungen wird durch die zwischenstaatliche Zusammensetzung des Rates97 und durch das Konsensprinzip98 gemildert99. Dieses gewährleistet, dass Entscheidungen des Rates dem Willen aller Mitgliedstaaten entsprechen. Auf das mit den Kompetenzen der Organe verbundene „Prinzip der begrenzten Ermächtigung“ wird im Kapitel III eingegangen100. Gemäß Art. 9 des Protokolls von Ouro Preto äußert sich der Rat durch Decisiones – Entscheidungen, die für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Hiermit wird ein Defizit des Vertrags von Asunción behoben, der keine Bezeichnung der Rechtsakte versieht. Der Vertrag von Asunción spricht zwar 90

Art. 8 IV. des Protokolls von Ouro Preto. Die Rechtspersönlichkeit des Mercosur wurde 1995 erstmals durch den Abschluss eines „Interregionalen Rahmenabkommens“ zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union anerkannt, vgl. J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt (MERCOSUR) und seine neue Verfassung, WM 1996, S. 1997. Zur Rechtspersönlichkeit ausführlich H. Arbuet Vignali, El Protocolo de Ouro Preto – Una excusa para hablar de integración, in: ders. u. a. (Hrsg.), IV encuentro internacional de derecho para América del Sur – El desarollo de la integración hacia el siglo XXI: Mercosur, balance y perspectivas, 1996, S. 47–50; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 492 f. 92 Art. 8 X. des Protokolls von Ouro Preto. 93 Art. 8 VII. des Protokolls von Ouro Preto. 94 A. Haller, Mercosur, S. 98. 95 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 80. 96 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 80; D. Fernández Arroyo, Procedencia y límites de los nuevos procesos de codificación del Derecho Internacional Privado en el marco de los organismos de integración: Union Europea – Mercosur, in: Revista Uruguaya de Derecho Constitucional y Político, Serie Congresos y Conferencias Nr. 17, 1997, S. 18 f.; M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 13. 97 Vgl. nächster Absatz. 98 Siehe hierzu auch: Teil 1, III. 1. b). 99 In diesem Sinne J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 39. 100 Vgl. Teil 1, III. 1. b). 91

II. Das institutionelle Recht des Mercosur

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von Entscheidungen, die der Rat zu treffen hat101. Dieser Begriff war aber eher in einem allgemeinen Sinne gemeint und sollte nicht den Rechtsakt des Rates benennen102. In der Entscheidung 19/02 weist sich der Rat zudem die Befugnis zu, nicht verbindliche Empfehlungen an die Mitgliedstaaten zu richten. Zusammensetzung und Arbeitsweise Die Bestimmungen des Vertrags von Asunción zur Zusammensetzung, Tagungsweise und Präsidentschaft werden im Protokoll von Ouro Preto wiederholt103. Demzufolge besteht der Rat aus den Außen- und Wirtschaftsministern der Mitgliedstaaten, unter denen die Präsidentschaft alle sechs Monate wechselt. Die Zusammentreffen finden so oft statt, wie dies für notwendig gehalten wird, mindestens jedoch alle sechs Monate. Art. 2 des Protokolls von Ouro Preto stellt die zwischenstaatliche Zusammensetzung der Organe nochmals fest, obwohl sich diese bereits klar aus der Zusammensetzung der Organe ergibt und zudem nochmals in den jeweiligen Artikeln für die Organe genannt wird104. b) Gruppe Die Gruppe wurde ebenfalls wie der Rat bereits durch den Vertrag von Asunción gegründet und hat durch das Protokoll von Brasilia sowie das Protokoll von Ouro Preto an Kontur gewonnen und eine deutliche Differenzierung erfahren. Aufgaben und Kompetenzen Die Gruppe ist das Exekutiv- und Administrativorgan des Mercosur105. In Anlehnung an die EU-Kommission als Motor der Integration wird ihr 101

Art. 10 des Vertrags von Asunción. J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 21. 103 Vgl. Art. 4 ff. des Protokolls von Ouro Preto und Art. 11 f. des Vertrags von Asunción. 104 Art. 4, 11, 17 des Protokolls von Ouro Preto; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 79. 105 Art. 13 des Vertrags von Asunción; Art. 10 des Protokolls von Ouro Preto; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 167; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 7; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 65; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 178; J. Vervaele, Mer102

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

entscheidende Bedeutung bei der Verwirklichung der Vertragsziele zugesprochen106. Nach Art. 14 des Protokolls von Ouro Preto ist sie für die Gewährleistung der Einhaltung des Vertrags von Asunción sowie in seinem Rahmen geschlossener Protokolle zuständig. Sie erlässt die notwendigen Maßnahmen zur Durchsetzung der Entscheidungen des Rates. Des Weiteren hat sie die Initiativfunktion in Form von Vorschlägen für die Entscheidungen des Rates, kann Zusammenkünfte organisieren und vorbereiten sowie Studien und Informationen beschaffen, die der Rat anfordert. Die Gruppe übt eine Vermittlungsfunktion im Rahmen des Streitbeilegungssystems aus107. Unter der Führung des Rates besitzt sie Entscheidungsbefugnisse in Finanz- und Haushaltsangelegenheiten. Der Rat kann ihr zudem ausdrücklich eine Verhandlungsbefugnis gegenüber Drittstaaten übertragen. Die Befugnisse der Gruppe und des Rates sind sehr ähnlich108. Um Abgrenzungsprobleme zu vermeiden, stellt Art. 14 Nr. I des Protokolls von Ouro Preto fest, dass die Gruppe nur „im Rahmen ihrer Kompetenzen“ für die Überwachung der Einhaltung des Vertrags von Asunción und den in seinem Rahmen geschlossenen Protokollen und Vereinbarungen zuständig ist. Während die Kompetenzabgrenzung zwischen Gruppe und Rat im Vertrag von Asunción noch vollkommen unklar war, wird die Meinung vertreten, dass sich aus Art. 8 und Art. 14 des Protokolls von Ouro Preto eine insgesamt klare Abgrenzung der Kompetenzen109 sowie die hierarchische Unterordnung ergäbe110. Genau wie beim Rat kann auch hier die Aufzählung der Kompetenzen als abschließend betrachtet werden111. Durch die Offenheit und Allgemeinheit einiger Abschnitte112 hat die Gruppe dennoch einen weiten Kompetenzbereich113. Die Problematik der demokratischen Legitimation so weitreichender Befugnisse wird, wie für den Rat auch, durch die rein zwischenstaatliche Zusammensetzung der Gruppe114 und dem Konsensprinzip in der Beschlussfassung gemildert115. cosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 391; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 191. 106 L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 17. 107 Art. 6 ff. des Protokolls von Olivos. 108 Vgl. A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 163 ff., 169 f. 109 U. Wehner, Der Mercosur, S. 87; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 81; anders aber wohl A. Zelada Castedo, Competencias legales y toma de decisiones, Integración Latinoamericana Nr. 196 (1993), S. 68 f. 110 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 81. 111 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 81. 112 Vgl. Art. 14 Nr. III des Protokolls von Ouro Preto: „die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen (. . .)“. 113 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 81. 114 Art. 11 des Protokolls von Ouro Preto; siehe nächster Absatz.

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Gemäß Art. 15 des Protokolls von Ouro Preto äußert sich die Gruppe in Form von Resoluciones – Entschließungen –, die für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Diese Nennung ist von daher redundant, als bereits das interne Reglement der Gruppe116 in Ermangelung einer Nomenklatur der Rechtsakte im Vertrag von Asunción die von ihr zu erlassenen Rechtsakte als Entschließungen benennt. Das interne Reglement hat sich die Gruppe unmittelbar nach ihrer Gründung, wie in Art. 13 Abs. 4 des Vertrags von Asunción vorgesehen, selbst gegeben und wurde durch die Ratsentscheidung Nr. 4/91 vom Rat angenommen. In Art. 8 Nr. XI i. V. m. Art. 14 Nr. X des Protokolls von Ouro Preto wird diese Vorgehensweise bestätigt. Zusammensetzung und Arbeitsweise Die Zusammensetzung der Gruppe ist im internen Reglement definiert. Demnach setzt sich die Gruppe aus 32 Mitgliedern zusammen, die Repräsentanten der Regierungen der Mitgliedstaaten sind. Jeder Mitgliedstaat entsendet vier ständige und vier temporäre Mitglieder, die zwingend Vertreter des Außenministeriums, des Wirtschaftsministeriums sowie der Zentralbank sein müssen117. Die Gruppe kommt mindestens alle drei Monate zusammen, wobei außerordentliche Sitzungen einberufen werden können118. In jedem Mitgliedstaat wird eine Sección Nacional – eine Nationale Abteilung – gebildet, die vor allem bei dem Individualverfahren der Streitbeilegung eine Rolle spielt119. c) Handelskommission Die Handelskommission wurde durch die Entscheidung des Rates Nr. 9/94120 gegründet. Dieses Vorgehen der Gründung der Handelskommission durch eine Ratsentscheidung war nicht mit dem bis dahin geltenden Mercosur-Recht vereinbar121. Der Rat hat hier seine Kompetenzen überschritten. Er begründete die Gründung der Handelskommission mit Art. 1 und 10 des Vertrags von Asunción. Zur Verwirklichung der Zollunion sei 115

Zur Beschlussfassung siehe Teil 1, III. 1. b), S. 76. Reglamento interno del Grupo Mercado Comffln vom 17.12.1991, verabschiedet als Entscheidung Nr. 4/91 des Rates. 117 Art. 11 des Protokolls von Ouro Preto; Art. 2 und Kapitel 3 Reglamento interno del Grupo Mercado Comffln. 118 Art. 13 des Protokolls von Ouro Preto i. V. m. Art. 5 Reglamento interno del Grupo Mercado Comffln. 119 Zum Streitbeilegungsmechanismus siehe Teil 1, V. 120 Ratsentscheidung 9/94, erlassen am 5. August 1994 in Buenos Aires. 121 So J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 81. 116

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ein Organ zur Überwachung des Prozesses notwendig, und es ist die Aufgabe des Rates, Entscheidungen zu erlassen, die die Erfüllung der Ziele des Vertrags von Asunción sicherstellen122. Aus der Ermächtigung, Entscheidungen zur Sicherstellung der Einhaltung der Ziele des Vertrags von Asunción zu treffen, kann nicht eine Kompetenz zur Gründung der Handelskommission abgeleitet werden123. Der Vertrag von Asunción hat seine institutionelle Struktur klar festgelegt und stellt in Art. 18 des Vertrags von Asunción präzise fest, dass diese durch einen neuen Vertrag (noch vor dem 31. Dezember 1994) verändert werden soll und eben nicht durch den Rat. Zudem ermächtigt Art. 13 des Vertrags von Asunción den Rat, Arbeitsuntergruppen ohne Entscheidungsbefugnis zu bilden. Der Vertrag von Asunción sagt also explizit, wenn neue Strukturen gebildet werden können sollen. Im Umkehrschluss heißt das, dass es nicht möglich ist, neue Organe mit Entscheidungsbefugnis zu gründen124. Mit der ausdrücklichen Nennung der Handelskommission im Protokoll von Ouro Preto125 wurde diese Befugnisüberschreitung jedoch nachträglich genehmigt und die Handelskommission in die strukturelle Organisation des Mercosur eingebunden126. Die Entstehung der Handelskommission ist charakteristisch für die gesamte Vorgehensweise im Mercosur, und es zeigt sich in ihr die flexible und pragmatische Handhabung127 des Integrationsmechanismus durch die Vertragsstaaten. Aufgaben und Kompetenzen Die Handelskommission unterstützt die Gruppe in allen Belangen der gemeinsamen Handelspolitik, dem Intra-Mercosur-Handel und dem Handel mit Drittstaaten128. Sie sorgt für ein reibungsloses Funktionieren der Zollunion. Speziell verfügt sie nach Art. 19 des Protokolls von Ouro Preto über die Entscheidungs- und Administrativbefugnisse in allen Bereichen, die mit der Einführung und Anwendung von tarifären Handelshemmnissen und sonstigen handelspolitischen Maßnahmen verbunden sind. Sie übt die Initiativ122

Vgl. J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 82. J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 82. 124 Zu dieser Argumentation: J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 81 f. 125 Art. 16–21 des Protokolls von Ouro Preto. 126 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 82. 127 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 60. 128 Art. 16 des Protokolls von Ouro Preto. 123

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funktion in Form von Vorschlägen an die Gruppe in allen ihren Kompetenzbereich betreffenden Belangen aus. Sie darf so genannte Comités Técnicos – Fachausschüsse – als Unterorgane einsetzen und kann im Namen der Gruppe mit Drittstaaten und internationalen Organisationen in Verhandlung treten, wenn die Gruppe entsprechende Kompetenzen delegiert. Erwähnenswert ist darüber hinaus ihre Funktion innerhalb des Streitbeilegungsmechanismus. Gemäß Art. Art. 21 des Protokolls von Ouro Preto werden Beschwerden, die in den Kompetenzbereich der Handelskommission fallen, an die jeweilige nationale Abteilung der Handelskommission gerichtet129. Die Handelskommission erlässt entweder Directivas – Richtlinien –, die in den Mitgliedstaaten bindend sind, oder unverbindliche Propuestas – Vorschläge130. Zusammensetzung und Arbeitsweise Die Handelskommission setzt sich wie die Gruppe aus Secciones Nacionales – Nationalen Abteilungen – zusammen, die ihrerseits aus vier ständigen und vier nicht ständigen Mitgliedern pro Mitgliedstaat bestehen und durch die jeweiligen Außenministerien koordiniert werden131. Damit ist auch die Handelskommission rein zwischenstaatlich organisiert. Die ausdrückliche Nennung der Handelskommission als zwischenstaatliches132 Organ in Art. 2 des Protokolls von Ouro Preto stellt dies nochmals ausdrücklich fest. Die Handelskommission tagt mindestens einmal im Monat oder wenn es von der Gruppe oder einem der Mitgliedstaaten verlangt wird133. Aufgrund der zunehmenden Integrationstiefe und der wachsenden Arbeitsbelastung der Handelskommission sieht die Ratsentscheidung 30/03 neben den ordentlichen weitere regelmäßige Fachtagungen vor, die von der jeweiligen Ratspräsidentschaft koordiniert werden134 und auf welchen die auf den ordentlichen Tagungen zu behandelnden Fragestellungen vorbereitet werden135. Wie alle übrigen Organe ist sie kein permanentes Organ, sondern übt ihre Tätigkeit im Rahmen einzelner Zusammenkünfte aus.

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Zum Streitbeilegungsmechanismus siehe Teil 1, V. Art. 20 des Protokolls von Ouro Preto. 131 Art. 17 des Protokolls von Ouro Preto. 132 Wörtlich in Art. 2 des Protokolls von Ouro Preto: „Organe mit Entscheidungsbefugnis und intergouvernementaler Art (. . .)“. 133 Art. 18 des Protokolls von Ouro Preto. 134 Art. 1 der Ratsentscheidung 30/03. 135 Art. 2 der Ratsentscheidung 30/03. 130

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Stellung im Institutionsgefüge Trotz ihrer Bedeutung kommt der Handelskommission hierarchisch nur eine untergeordnete Rolle zu136. Art. 2 der Entscheidung Nr. 9/94, die die Handelskommission gründete, legt fest, dass die Handelskommission dem Exekutivorgan, also der Gruppe untergeordnet ist. Diese Unterordnung wurde im Protokoll von Ouro Preto nicht wiederholt, um die Struktur nicht unnötig komplex zu gestalten und um Komplikationen zu vermeiden137. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass eine Unterordnung unter die Gruppe entfällt138. Die Unterordnung ergibt sich aus der Feststellung im Protokoll von Ouro Preto, dass die Handelskommission die Arbeit der Gruppe unterstützt. Die Handelskommission wird als Schlüsselorgan mit fundamentaler Bedeutung für die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes angesehen139. Die Handelskommission würde sich zu dem dynamischsten Organ des Mercosur schlechthin entwickeln140 und sei mit der EU-Kommission als Hüterin der Verträge zu vergleichen141. Insgesamt gibt es also drei mit Rechtssetzungsbefugnis ausgestatte Organe, die sich einander unterordnen. An der Spitze steht der Rat, dem die Gruppe und der ihrerseits die Handelskommission untergeordnet ist. d) Revisionsgericht Mit dem am 2. Januar 2004 in Kraft getretenen Protokoll von Olivos wurde eine viertes Organ mit Entscheidungsbefugnis geschaffen, welches in keiner hierarchischen Beziehung zu den drei genannten Organen steht: das Revisionsgericht. Es hat die Aufgabe, die Urteile des Mercosur-Schiedsgerichts, welches sich als nicht ständige Einrichtung von Fall zu Fall jeweils ad hoc neu zusammensetzt, auf Rechtsfehler zu untersuchen142, sollte einer der Vertragsstaaten dies wünschen143. Es kann aber auch unmittelbar 136 E. I. Rimoldi de Ladmann, La estructura institucional a patir del Protocolo de Ouro Preto, S. 216. 137 So J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 83. 138 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 83. 139 Wörtlich: „pieza esencial“, vgl. M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 85. 140 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 84. 141 E. I. Rimoldi de Ladmann, La estructura institucional a patir del Protocolo de Ouro Preto, S. 216–231. Zur EU-Kommission vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 100 ff. Rn. 75 ff.; M. Herdegen, Europarecht, S. 119 ff. Rn. 51 ff. 142 Art. 17 Abs. 2 i. V. m. Art. 22 Abs. 1 des Protokolls von Olivos.

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als erste und letzte Instanz angerufen werden144. Es handelt sich um ein permanentes Organ mit Sitz in Asunción145. Das Revisionsgericht verfügt über ein ständiges Sekretariat146, und die Richter werden für mehrere Jahre gewählt147. Der Streitbeilegungsmechanismus wird in Kapitel V dieses ersten Teils ausführlich dargestellt. 2. Organe ohne Entscheidungsbefugnisse Es gibt insgesamt fünf Organe, die über keine Entscheidungsbefugnis verfügen. Da diese Organe kein Recht setzten können, sind sie für den Fortgang der Untersuchung weniger bedeutend und werden daher nur kurz dargestellt. a) Gemeinsame Parlamentarische Kommission Die Gründung der Gemeinsamen Parlamentarischen Kommission war bereits in Art. 24 des Vertrags von Asunción vorgesehen. Sie wurde jedoch erst mit dem Protokoll von Ouro Preto in das institutionelle Gefüge integriert148. Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission repräsentiert die Parlamente der Mitgliedstaaten149. Die 64 Mitglieder werden von den jeweiligen Parlamenten gewählt, wobei jedes Land dieselbe Anzahl entsendet150. Eine direkte Wahl durch die Bürger der Mitgliedstaaten ist nicht vorgesehen, was mit dem zwischenstaatlichen Charakter des Mercosur im Einklang steht151. Dies ist insofern bedenklich, als auch Kritik an der demokratischen Legitimation des EU-Gemeinschaftsrechts geübt wird, obwohl die Europäische Union über eine solche Volksvertretung verfügt152. 143 Art. 17 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. Zum Streitschlichtungsverfahren ausführlich vgl. Teil, Kapitel V. 144 Art. 23 des Protokolls von Olivos. 145 Art. 38 des Protokolls von Olivos; Ratsentscheidung 1/05. 146 Art. 35 des Reglements zum Protokoll von Olivos. 147 Art. 18 des Protokolls von Olivos. Die Richter treffen allerdings nur dann zusammen, wenn das Gericht angerufen wird, müssen aber ab ihrer Wahl dauerhaft zur Verfügung stehen, vgl. Art. 19 des Protokolls von Olivos. 148 Art. 1 des Protokolls von Ouro Preto. 149 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 444. 150 Art. 22–24 des Protokolls von Ouro Preto. 151 L. Bizzozero/T. Vera, De Asunción a Ouro Preto, S. 15. 152 Kritisiert wird, dass es keinen echten Parlamentarismus in der Europäischen Union gibt. Das EU-Parlament vertritt nicht das Unionsvolk, sondern die Unionsvölker. Ein echtes EU-Parlament mit substantiellen Parlamentsrechten kann es aber nicht geben, solange es kein verfasstes Unionsvolk gibt, solange die Europäische Union kein Staat im existentiellen Sinne ist. Hierzu vgl. K. A. Schachtschneider,

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission trifft sich mindestens zweimal jährlich153. Ihre Aufgabe ist es, die Umsetzung der Rechtsakte der Organe mit Entscheidungsbefugnis in nationales Recht sicherzustellen154, sowie diese vor der innerstaatlichen Ratifikation zu untersuchen und die Harmonisierung der nationalen Gesetzgebungen zu fördern155. Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission kann an der Rechtsetzung mitwirken, indem sie dem Rat und der Gruppe Empfehlungen unterbreitet156. Regieren für statt durch das Volk? Demokratiedefizite in der Europäischen Union, in: H. H. v. Arnim, (Hrsg.), Adäquate Institutionen: Voraussetzungen für „gute“ und bürgernahe Politik?, Vorträge auf dem 2. Speyerer Demokratie-Forum vom 14. bis 16. Oktober 1998 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1999, insb. S. 224–227; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 195 ff.; ders./A. Emmerich-Fritsche/T. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 48 (1993), S. 755; K. A. Schachtschneider, Beschwerdeschrift B. vom 18. Dezember 1992, in: I. Winkelmann (Hrsg.), Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993 – Dokumentation des Verfahrens mit Einführung, 1994, S. 90 ff., 142 ff.; ders., Quo vadis Europa? – Finis Democratiae!, Manuskript 2006 (i. E.), insb. Kap. 3; K. Bretz, Föderalismus und Regionalismus, S. 233 ff. Die demokratische Legitimation des EU-Gemeinschaftsrechts sei auch aufgrund zu weitgehender Übertragung von Kompetenzen an die Gemeinschaftsorgane, insbesondere durch die Währungsunion nicht gewährleistet, vgl. K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 308–322; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, in: ders./dies. (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 2005, S. 95; ders./dies., Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, DSWR 1999 Nr. 1–2, S. 20; und bereits ders./dies./T.C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 48 (1993), S. 751–754; C. Kirchner/J. Haas, Rechtliche Grenzen für Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft, JZ 48 (1993), S. 761 ff. Auch die „umfassende Jurisdiktionsgewalt“, über die die Gemeinschaftsrechtsprechung verfügt, ist nicht mit dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung zu vereinbaren, welches der „demokratierechtliche Eckpfeiler“ der Integrationsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts ist, vgl. K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, in: D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche (Hrsg.), Karl Albrecht Schachtschneider: Freiheit – Recht – Staat: Eine Aufsatzsammlung zum 65. Geburtstag, 2005, S. 618 ff.; vgl. auch Hinweise in Fn. 1044 (1. Teil) und Fn. 54 (Ausblick). Gegen ein Demokratiedefizit: D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses – Anwendungsbereich und Schranken des Art. 23 des Grundgesetzes, 2000, S. 651 f. 153 Art. 6 lit. a Reglamento de la Comisión Parlamentaria Conjunta. 154 Zur Geltung des Mercosur-Rechts in den Mitgliedstaaten siehe Teil 1, IV. 2. a). 155 Art. 25 des Protokolls von Ouro Preto; vgl. auch Art. 3 der Geschäftsordnung, die sich die Gemeinsame Parlamentarische Kommission aufgrund der Ermächtigung in Art. 27 des Protokolls von Ouro Preto gegeben hat: Reglamento de la Comisión Parlamentaria Conjunta del MERCOSUR, vom 13.12.1997, abrufbar unter http:// www.mercosur.int. 156 Art. 26 des Protokolls von Ouro Preto.

II. Das institutionelle Recht des Mercosur

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Jüngst hat der Rat des Mercosur beschlossen, dass bis zum 31. Dezember 2006 die Gemeinsame Parlamentarische Kommission in ein „Mercosur-Parlament“ (Parlamento del Mercosur) umgewandelt werden soll, welches die Völker der Mitgliedstaaten vertritt157. Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission wird beauftragt, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen. Die konkreten Befugnisse, die dem geplanten Parlament zukommen sollen, bleiben ebenso offen wie die Frage, ob die Volksvertreter direkt gewählt oder weiterhin indirekt von den Parlamenten der Vertragsstaaten entsandt werden sollen. b) Das Konsultative Wirtschafts- und Sozialforum Das Konsultative Wirtschafts- und Sozialforum wurde durch das Protokoll von Ouro Preto neu geschaffen und wird in der Literatur mit dem Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union verglichen158. Es ist das Repräsentationsorgan der verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Gruppierungen159 und setzt sich aus einer gleichen Anzahl von Vertretern pro Mitgliedstaat zusammen160. Es äußert sich ebenso wie die Gemeinsame Parlamentarische Kommission durch Empfehlungen, die in diesem Fall einzig an die Gruppe zu richten sind161. Eine Verpflichtung der Organe mit Entscheidungsbefugnis zur Anhörung des Konsultativen Wirtschafts- und Sozialforums, wie das in der Europäischen Union bei dem Wirtschafts- und Sozialforum der Fall ist162, besteht hingegen nicht163. Der bisweilen geäußerten Kritik, bestimmte gesellschaftlich relevante Bereiche fänden überhaupt keine Berücksichtigung im Mercosur, wird mit der Schaffung des Konsultativen Wirtschafts- und Sozialforums die Grundlage entzogen164. 157 Art. 1, 2 der Ratsentscheidung Nr. 49/04. Hierzu auch: R. Correa Freitas, Los órganos del Mercosur: hacia la conformación de un Parlamento comffln, Anuario de Derecho Constitucional Latinoamericano (ADCL) 11 (2005) 2, S. 809 ff. 158 Vgl. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 628, 631; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 82. 159 Beispielsweise der Arbeitnehmer, der Privatwirtschaft, der Verbraucher, der Freiberufler, der kleinen und mittleren Unternehmen, der Landwirte, vgl. M. L. Casás, un foro con espacio para todos, La Nación, Comercio Exterior, v. 13.1.1998, S. 2. 160 Art. 28 des Protokolls von Ouro Preto. 161 Art. 29 des Protokolls von Ouro Preto. 162 Vgl. Art. 4 Abs. 2 und Art. 198 EGV. 163 A. Loschky, Mercosur und EU – Eine vergleichende Betrachtung des institutionellen und materiellen Rechts, Frankfurt (Oder) 1998, S. 40. 164 U. Wehner, Der Mercosur, S. 94. Allerdings wird die mangelnde Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen sowie finanzschwacher Organisationen kritisiert,

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

c) Verwaltungssekretariat/Mercosur-Sekretariat Das Verwaltungssekretariat war im Vertrag von Asunción als Hilfsorgan der Gruppe und als das offizielle Dokumentenarchiv des Mercosur angelegt165. Mit der Nennung des Verwaltungssekretariats im Art. 1 des Protokolls von Ouro Preto erhält es ausdrücklich die Stellung eines eigenständigen Organs. Seine Aufgabenzuweisung ist sehr allgemein gehalten und stellt eine Verbindung zu allen anderen Organen des Mercosur her. Als Organ der operativen Unterstützung soll es seine Leistungen den anderen Organen zukommen lassen166. Die wichtigsten konkreten Aufgaben nennt Art. 32 des Protokolls von Ouro Preto: Archivierung und Übersetzung aller Rechtsakte des Mercosur, die dann im Boletín Oficial del Mercosur veröffentlicht werden. Die Schaffung einer solchen Publikationsplattform für das von den Mercosur-Organen geschaffene Recht ist als wichtig für die Fortentwicklung der Integration einzustufen, da sie eine Systematisierung und Verbreitung des Mercosur-Rechts gewährleistet167. Mit der Entscheidung des Rates 30/02 wurde dem Sekretariat zudem eine beratende Funktion zugewiesen, wofür ein eigenständiger Beraterstab eingerichtet wurde. Da der Aufgabenbereich nun nicht mehr lediglich administrative Tätigkeiten umfasst, wurde das Verwaltungssekretariat in Mercosur-Sekretariat (Secretaría del Mercosur) umbenannt168. Das Mercosur-Sekretariat hat einen festen Sitz in Montevideo169 Es ist das einzige Organ, das sich nicht aus Repräsentanten der Mitgliedstaaten zusammensetzt. Die Leitung obliegt einem Direktor, der aus einem der Mitgliedstaaten für die Dauer von zwei Jahren gewählt wird170. d) Wichtige Hilfsorgane Mit der Entscheidung des Rates 18/98 wurde das Forum für politische Beratung und Abstimmung (Foro de Consulta y Concertación Política) gevgl. R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 10 f.; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 182 f. 165 Art. 15 des Vertrags von Asunción. 166 Art. 31 des Protokolls von Ouro Preto. 167 E. I. Rimoldi de Ladmann, La estructura institucional a patir del Protocolo de Ouro Preto, S. 214. 168 Hierzu auch J. P. Schmidt, Neue Impulse durch institutionelle Reformen – der Mercosur ist wieder auf Kurs, EuZW 2005, S. 139 f. 169 Art. 15 des Vertrags von Asunción; Art. 31 des Protokolls von Ouro Preto. Der Sitz ist das so genannte „Mercosur-Gebäude“ (Edificio Mercosur) in der Straße La Manzana Nr. 3.079, vgl. Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung Nr. 22/98. 170 Art. 33 des Protokolls von Ouro Preto.

II. Das institutionelle Recht des Mercosur

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schaffen, welches als Hilfsorgan des Rates im Sinne des Art. 1 einziger Unterabsatz des Protokolls von Ouro Preto anzusehen ist171. Es setzt sich aus hohen Funktionären der Mitgliedstaaten zusammen und soll die Zusammenarbeit zwischen den Staaten auf allen im Integrationsprozess relevanten Gebieten fördern und die nationalen Politiken auch im Verhältnis mit Drittstaaten abstimmen172. Das Forum für politische Beratung und Abstimmung trifft sich auf den jeweiligen Zusammenkünften des Rates. Die Ratsentscheidung 2/02 sieht zudem regelmäßige Treffen mit der Gruppe Gemeinsamer Markt vor und erweitert die abzustimmenden Politiken um die Bereiche Bildung, Recht, Kultur, Inneres und soziale Entwicklung173. Ausdrücklich soll die Beratung auch nicht rein wirtschaftliche Aspekte umfassen174. Das Forum richtet Empfehlungen an den Rat, welche durch Konsens beschlossen werden175, und kann dem Rat mittelbar über die Gruppe Normvorschläge einreichen176. Die Funktion, auch politische und soziale Zusammenarbeit zu fördern, verdeutlicht den vertieften Integrationsprozess, in dem sich der Mercosur befindet. Offenbar strebt man über das Ziel eines Gemeinsamen Marktes hinaus eine politische und soziale Union an. Mit der Ratsentscheidung 11/03 wurde die Kommission der ständigen Vertreter des Mercosur (Comisión de Representantes Permanentes del Mercosur) gegründet, eine Art Mercosur-Außenministerium. Es handelt sich, wie der Name zu erkennen gibt, um ein permanentes Unterorgan des Rates177 mit Sitz in Montevideo178, welches aufgrund seiner Nähe zum Rat an den Ausschuss der ständigen Vertreter beim Ministerrat der EU (Art. 207 Abs. 1 EGV) erinnert179. Es besteht aus fünf Mitgliedern: jeweils einem Vertreter der vier Vertragsstaaten und einem Präsidenten, der vom Rat auf Vorschlag der Staatspräsidenten der Mitgliedstaaten für zwei Jahre gewählt wird180. Die Aufgabenbeschreibung der Kommission der ständigen Vertreter 171

Art. 1 der Ratsentscheidung 18/98 sowie Art. 1 des internen Reglements des Forums für politische Beratung und Abstimmung, verabschiedet mit Ratsentscheidung 23/03. 172 Art. 2 und 3 der Ratsentscheidung 18/98 und Art. 2 des internen Reglements des Forums für politische Beratung und Abstimmung. 173 Art. 2 und 3 der Ratsentscheidung 2/02. Wenn die Mitglieder es für notwenig erachten und die besonderen Umstände es rechtfertigen, können auch davon abweichende Themen beraten werden, vgl. Art. 6 Abs. 2 des internen Reglements des Forums für politische Beratung und Abstimmung. 174 Art. 1 sowie die Präambel der Ratsentscheidung 2/02. 175 Art. 4 der Ratsentscheidung 18/98. 176 Art. 5 der Ratsentscheidung 2/02. 177 Art. 1 der Ratsentscheidung 11/03. 178 Art. 8 der Ratsentscheidung 11/03. 179 J. P. Schmidt, Neue Impulse durch institutionelle Reformen – der Mercosur ist wieder auf Kurs, EuZW 2005, S. 140; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 34.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

des Mercosur ist sehr allgemein gehalten. Ihr kommt eine Initiativfunktion bezüglich jeglicher Materie im Zusammenhang mit der Förderung des Integrationsprozesses, der Schaffung des Gemeinsamen Marktes und Beziehungen zu Drittstaaten zu. Sie ist zudem als Bindeglied zwischen der Gemeinsamen Parlamentarischen Kommission und dem Konsultativen Wirtschaftsund Sozialforum angelegt und soll auf diese Weise die wirtschaftlichen, sozialen und parlamentarischen Beziehungen der Vertragsstaaten untereinander stärken181. Der Präsident der Kommission der ständigen Vertreter vertritt den Mercosur im Auftrag des Rates gegenüber dritten Staaten und internationalen Organisationen182 und nimmt daher an den Treffen des Rates sowie den Ministertreffen teil183. Als Präsident kommen nur herausragende politische Persönlichkeiten in Betracht184. Dem Präsidenten wird in Uruguay diplomatische Immunität gewährt185, weshalb man ihn auch als hohen Vertreter des Mercosur bezeichnen könnte. Die Ratsentscheidung 14/03 bestimmt den ehemaligen argentinischen Präsidenten Eduardo Duhalde als ersten hohen Vertreter des Mercosur.

III. Rechtsquellen Im Vertrag von Asunción gibt es keine ausdrückliche Auflistung der Quellen des Mercosur-Rechts. Allerdings geht aus ihm hervor, dass, zumindest bis zum Ende der Übergangsphase, die Entscheidungen des Rates und der Gruppe als Recht des Mercosur Geltung besitzen sollten. Aus dem Protokoll von Brasilia, das den Streitbeilegungsmechanismus bis zum Inkrafttreten des Protokolls von Olivos am 2. Januar 2004 regelte, wurde erstmals erkennbar, was die Rechtsquellen des Mercosur sind. Art. 1, 19 und 25 des Protokolls von Brasilia nennen als Recht, das möglicher Streitgegenstand eines Schiedsgerichtsverfahren sein kann, die Entscheidungen des Rates, die Entschließungen der Gruppe, den Vertrag von Asunción selbst und alle in seinem Rahmen geschlossen Verträge und Protokolle. Die Direktiven der Handelskommission werden nicht erwähnt, da die Handelskommission erst nach Verabschiedung des Protokolls von Brasilia gegründet 180

Art. 3 und 4 der Ratsentscheidung 11/03. Art. 4 lit. b und c der Ratsentscheidung 11/03. 182 Art. 5 der Ratsentscheidung 11/03. 183 Art. 6 der der Ratsentscheidung 11/03. 184 Art. 2 S. 2 der Ratsentscheidung 11/03. 185 Art. 9 der Ratsentscheidung 11/03. Ausdrücklich werden ihm die gleichen Vorzüge zu Teil, wie sie den Missionschefs („Jefes de Misión“) ständiger Vertretungen vor internationalen Organisationen gewährt werden: persönliche Unantastbarkeit, Immunitäten. Privilegien, Steuerfreiheit. Zum Diplomatenrecht, vgl. beispielsweise O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 310–319. 181

III. Rechtsquellen

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wurde. Des Weiteren zählt Art. 19 des Protokolls von Brasilia die allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts zu dem Recht, das Gegenstand eines Rechtsstreites sein kann; ähnlich wie der Europäische Gerichtshof das EURecht um die von ihm entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze erweitert hat186. An diesen beiden Formulierungen „allgemeine Rechtsgrundsätze“ im EU-Recht im Unterschied zu „allgemeinen Rechtsprinzipien des Völkerrechts“ im Mercosur-Recht wird die rein völkerrechtliche, zwischenstaatliche Ausrichtung des Mercosur im Unterschied zur gemeinschaftsrechtlichen, supranationalen Ausrichtung der Europäischen Union deutlich187. Die Formulierung in diesem Protokoll wurde für einen konzeptionellen Fehler gehalten. Nicht nur das Schiedsgericht, sondern alle Organe müssen sich an die angegebenen Rechtsquellen halten188. Auch wenn Art. 19 des Protokolls von Brasilia seiner Formulierung nach an das Schiedsgericht ge186 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 92. Vgl. EuGH, v. 17.12.1970, Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft/Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide und Futtermittel), Slg. 1970, 1125, 1135 – Grundrechtsschutz; EuGH v. 24.10.1973, Rs. 5/73 (Balkan-Import-Export/Hauptzollamt Berlin-Packhof), Slg. 1973, 1091, 1112 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; EuGH v. 05.07.1974, Rs. 1/73 (Westzucker GmbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Zucker), Slg. 1973, 723, 729 – allgemein anerkannte Grundsätze; EuGH v. 05.03.1980, Rs. 265/78 (Ferwerda/Produktschap), Slg. 1980, 617, Rn. 16 ff. – Rechtssicherheit; EuGH v. 18.03.1980, Rs. 154, 205, 206, 226–228, 263 und 264–78 sowie 39, 31, 83 u. 85–79 (Ferriera u. a./Kommission), Slg. 1980, 907, Rn. 87 – Grundsatz der Solidarität; EuGH v. 20.06.1985, Rs. 141/84 (Henri De Compte/EU-Parlament), Slg. 1985, 1951, 1966 – Grundsatz des kontradiktorischen Charakters des Verfahrens; EuGH v. 09.08.1994, Rs. C-359/92 (BRD/EU), Slg. 1994 I, 3681, Rn. 42 ff. – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; EuGH v. 06.06.2000, Rs. C-402/98 (ATB/Ministero per le Politiche Agricole), Slg. 2000 I, 5501, Rn. 37 – Vertrauensschutz; EuGH v. 10.03.2005, Rs. C-96 u. 97/03 (Eheleute T. H. J. M. u. a./Directeur van de Rijksdienst), Slg. 2005 I, 1895, Rn. 31 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; EuGH v. 12.05.2005, Rs. C-347/03 (ERSA/Ministero delle Politiche Agricole e Forestali), Slg. 2005 I, 3785, Rn. 119 – Eigentumsrecht. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die der Europäische Gerichtshof anwendet, vgl. R. Streinz, Europarecht, S. 140 Rn. 412; T. Oppermann, Europarecht, S. 144 ff. Rn. 20 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Grundrechte in der Gemeinschaft, in: K. A. Schachtschneider/dies. (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 2005, S. 298 ff.; H. Arbuet Vignali, Las claves jurídicas de la integración – En los sistemas del Mercosur y la Unión Europea, 2004, S. 709–713. Neben den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts sind aber auch in der Europäischen Union die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ zu beachten, vgl. etwa T. Oppermann, Europarecht, S. 145 f. Rn. 24, S. 192 Rn. 30; M. Herdegen, Europarecht, S. 67 Rn. 3. 187 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 271. Die Frage, ob ein eigenes Mercosur-Gemeinschaftsrecht vergleichbar mit dem EU-Gemeinschaftsrecht existiert, wird im nächsten Kapitel IV, Gliederungspunkt 3 erörtert werden. 188 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 270.

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richtet zu sein scheint, gilt er auch für alle anderen Organe der Mitgliedstaaten189. Das Protokoll von Ouro Preto benennt erstmals die zuvor genannten Normen ausdrücklich als Rechtsquellen des Mercosur, womit der oben bemängelte Fehler des Protokolls von Brasilia behoben wird190. Art. 41 des Protokolls von Ouro Preto zählt folgende Rechtsquellen auf: – der Vertrag von Asunción einschließlich der Protokolle und weiterer zusätzlicher oder ergänzender Anlagen, – die im Rahmen des Vertrags von Asunción geschlossenen Abkommen einschließlich deren Protokolle, – die Entscheidungen des Rates, die Entschließungen der Gruppe und die Richtlinien der Handelskommission. Mit der ausdrücklichen Benennung der im Rahmen des Vertrags von Asunción geschlossenen Protokolle und Abkommen als Rechtsquellen wird diese in der Europäischen Union zunächst umstrittene Frage von vorn herein der Diskussion entzogen191. Die Unterscheidung zwischen Abkommen und Protokollen hat lediglich semantische Bedeutung192. Die Aufzählung der Rechtsakte in Art. 41 Nr. III des Protokolls von Ouro Preto kann insoweit als abschließend betrachtet werden, als weiterhin zu gründende Organe keine die Mitgliedstaaten bindende Rechtsakte erlassen können193. Als gültige Rechtsquellen sind auch die vor dem Inkrafttreten des Protokolls von Ouro Preto erlassenen Rechtsakte zu sehen. Sie zählen im Sinne der „acquis communautaire“-Lehre zu dem gemeinschaftlichen Normenkodex, der im Falle eines Beitritts eines neuen Vertragsstaats zum Mercosur von diesem übernommen werden müsse194. 189 So R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario Derecho comunitario – Sistemas de integración – Régimen del Mercosur, 1995, S. 177. 190 Art. 41 des Protokolls von Ouro Preto lautet: „Die Rechtquellen des Mercosur sind: (. . .)“. 191 J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, S. 2003. 192 So J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, S. 2003, Fn. 105. 193 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 101. Die Aufzählung in Art. 41 des Protokolls von Ouro Preto ist jedoch nicht abschließend, da auch allgemeine Rechtsprinzipien und die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu den Rechtsquellen zu zählen sind, vgl. nächster Absatz. 194 Ohne weitere Begründung so J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, S. 741. Zur „acquis communautaire“-Lehre: R. Streinz, Europarecht, S. 40 Rn. 97; B. Beutler, in: B. Beutler u. a. (Hrsg.), Die Europäische Union – Rechtsordnung und Politik, 5. Aufl. 2001, Rn. 27; M. Pechstein, Art. 49 EUV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Ver-

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Die erlassenen Rechtsakte sind zum Teil nur schwierig den in Art. 41 des Protokolls von Ouro Preto genannten Rechtsquellen zuzuordnen195. So werden Protokolle oftmals zunächst als Entscheidungen des Rates verabschiedet und erst später von den Parlamenten der Mitgliedstaaten angenommen. Entgegen der Bezeichnung Protokoll handelt es sich bis zur Zustimmung durch die Parlamente um Entscheidungen im Sinne des Art. 41 Nr. III des Protokolls von Ouro Preto196. Allgemeine Rechtsprinzipien, Gewohnheitsrecht und Schiedssprüche Fraglich ist, inwieweit die allgemeinen Rechtsprinzipien, das internationale Gewohnheitsrecht und die Schiedssprüche zu den Rechtsquellen des Mercosur gehören. In der Europäischen Union hat der Europäische Gerichtshof die Rechtsquellen des Europäischen Gemeinschaftsrechts um die allgemeinen Prinzipien des Rechts und das Gewohnheitsrecht erweitert197. Teilweise werden auch im Mercosur die allgemeinen Prinzipien des Rechts zu den Rechtsquellen des Mercosur gezählt, obwohl sie weder im Protokoll von Brasilia und seinem Nachfolger dem Protokoll von Olivos noch im Protokoll von Ouro Preto ausdrücklich genannt werden198. Sie seien wichtrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 6. 195 J. Kleinheisterkamp, Legal Certainty in the Mercosur – The Uniform Interpretation of Community Law, in: NAFTA: Law and Business Review of the Americas, Vol. 6 (2000) Nr. 1, Fn. 10 und 11. 196 Hierzu vgl. auch S. 114 ff. 197 E. Grabitz, Art. 189 EGV, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union – Maastrichter Fassung, Loseblatts., Stand 1999, Rn. 16; R. Streinz, Europarecht, S. 4 Rn. 7; W. Schroeder, Art. 249, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 15, 19; M. Ruffert, Art. 249 EGV, in: Calliess/ders., Rn. 3 f. Für die Anerkennung der allgemeinen Rechtsgrundsätze durch den Europäischen Gerichtshof vgl. bereits Fn. 186 (1. Teil). Zum internationalen Gewohnheitsrecht vgl. EuGH v. 27.09.1988, Rs. 89, 104, 114, 116, 117 und 125–129/85 („Zellstoff“/Kommission), Slg. 1988, 5193, 5243, Rn. 15, 18; EuGH v. Rn. 9 ff.; 24.11.1992, Rs. C-286/90 (Anklagemyndigheden/Poulsen u. a.), Slg. 1992 I, 6019, Rn. 9 f.; EuGH v. 16.06.1998, Rs. C-162/96 (Racke/Hauptzollamt Mainz), Slg. 1998 I, 3655, Rn. 8, 24, 29, insb. 43–61; EuGH v. 20.02.2001, Rs. C-192/99 (Queen/Secretary of State), Slg. 2001 I, 1237, Rn. 20; EuGH v. 18.11.2003, Rs. C-216/01 (Budéjovicky Budvar u. a./Ammersin), Slg. 2003 I, 13617, Rn. 3 ff. u. 154; EuGH v. 23.03.2004, Rs. C-233/02 (Frankreich/Kommission), Slg. 2004 I, 2759, Rn. 29 ff.; zuletzt: EuGH v. 12.05.2005, Rs. C-347/03 (ERSA/Ministero delle Politiche Agricole e Forestali), Slg. 2005 I, 3785, Rn. 4 ff. Die Anerkennung eines eigenständigen EU-Gewohnheitsrechts wird aber z. T. abgelehnt, vgl. C. Gaitanides, Art. 220 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 43; dafür: T. Oppermann, Europarecht, S. 143 f. Rn. 18.

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tige Stützen eines jeden demokratischen Rechtssystems199. Diese Sichtweise wird inzwischen von verschiedenen Mercosur-Schiedsurteilen bestätigt, welche unter anderem das Vertrauensschutzprinzip, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den Gleichheitsgrundsatz und die Gewährleistung von Rechtssicherheit herausstellen200. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts und damit auch die WVRK201 werden im Protokoll von Olivos als Rechtsquellen zur Beurteilung von Streitigkeiten genannt202. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts schließen auch das internationale Gewohnheitsrecht ein203, während ein mercosurspezifisches Gewohnheitsrecht noch nicht anzunehmen ist204. 198 M. A. Elizeche, Mercosur – Proyección y estructura jurídica, S. 23; L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 21; R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 161; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 213–215; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 54; S. Jardel/A. Barraza, Mercosur – Aspectos jurídicos y económicos, S. 85; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 696; C. E. Delpiazzo, Fuentes del Derecho de la Integración, S. 73. Zur Diskussion auch A. Haller, Mercosur, S. 113. 199 C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 145. 200 Vertrauensschutzprinzip: 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 2. c. Verhältnismäßigkeitsprinzip: 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 1. c. Rechtssicherheit: 3. Ad-hocSchiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. H. 3; 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 1. c. Gleichheitsgrundsatz: 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 1. c; 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt Considerando. Pacta sunt servanda: 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 56; 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 8.10. Bona-fides-Prinzip: 7. Ad-hocSchiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 8.10; 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Punkt X.; 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 56. Zu den von den Mercosur-Schiedsgerichten anerkannten Rechtsgrundsätzen vgl. L. M. del Carmen Calderón Vico de Della Savia u. a., El Arbitraje en el Mercosur, S. 53 ff. 201 So für die gleich lautende Vorgängervorschrift Art. 19 Abs. 1 des Protokolls von Brasilia: L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 21; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 540; A. Haller, Mercosur, S. 113. 202 Art. 34 Abs. 1 des Protokolls von Olivos; bekräftigt durch 5. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 2.07.2001 (Herkunftsangaben), Punkt III. 3.1; 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 1. a). 203 L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 21; E. J. Rey Caro, Introducción, in: ders. u. a. (Hrsg.), Cuaderno de Derecho Internacional Nfflmero I, Doctrina Jurisprudencial de los laudos arbitrales del Mercosur, 2004, S. 15. 204 M. C. Vázquez, Análisis de algunos aspectos de la integración en el Mercosur, desde el punto de vista del derecho administrativo, S. 38; B. Garré Copello, Solu-

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Weder im Protokoll von Olivos noch im Protokoll von Ouro Preto werden die Schiedssprüche als Rechtsquellen erwähnt. Es ist demnach davon auszugehen, dass die Entscheidungen des Schiedsgerichts nicht zu den Rechtsquellen des Mercosur zu zählen sind205. Nach Art. 26 Abs. 1 des Protokolls von Olivos sind die Schiedssprüche des Schiedsgerichts für die am Schiedsverfahren beteiligten Mitgliedstaaten bindend. Aus dieser Formulierung kann geschlossen werden, dass sie für die anderen, nicht am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten nicht verbindlich sind206. Auch das Schiedsgericht selbst ist nicht an seine Entscheidungen gebunden und könnte in ähnlichen Fällen unterschiedliche Entscheidungen treffen207. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Urteile trotz des Ad-hoc-Charakters des Schiedsgerichts aufeinander Bezug nehmen208 und ihnen daher eine faktisch große Präzedenzwirkung zukommt209. 1. Systematisierung Eine Systematisierung der Rechtsquellen lässt sich in Anlehnung an die im Europäischen Gemeinschaftsrecht getroffene Unterscheidung in Primärund Sekundärrecht vornehmen210. Danach werden die Gründungsverträge ción de Controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 217; A. Haller, Mercosur, S. 113. 205 Anderer Ansicht: A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 215; C. E. Delpiazzo, Fuentes del Derecho de la Integración, S. 73. Als Hilfsquellen bezeichnet sie A. Haller, Mercosur, S. 113. 206 So für die Vorgängervorschrift Art. 21 des Protokolls von Brasilia: B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 209; hierauf verweist auch: J. Samtleben, Erster Schiedsspruch im Mercosur – Wirtschaftliche Krise als rechtliche Herausforderung?, EuZW 2000, S. 80. 207 B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 209. 208 C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 32. Vgl. Anmerkungen in Fn. 935 (1. Teil). 209 Vgl. U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 91; J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 126; A. Baars/P. Bischoff-Everding, Antidumping und Ursprungsregime – das Schiedsverfahren im Mercosur wird zu einer festen Größe, EuZW 2002, S. 330; in diesem Sinne wohl auch C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 172. Zum Schiedsverfahren siehe: Teil 1, V. Zur rechtssetzenden Funktion von Gerichtsurteilen vgl. K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 142 ff., 244 ff., insb. S. 203 ff.; ders., Res publica res populi, S. 880 ff. 210 Vgl. etwa: B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 206 f.; M. A. Elizeche, Mercosur, S. 23; L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 18 f.; J. H. Lavopa, Organización institucional y Derecho Comunitario en el

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der Europäischen Gemeinschaften einschließlich der Anlagen, Anhänge und Protokolle als das originäre, konstitutive Recht oder Primärrecht bezeichnet211. Das Sekundärrecht ist das abgeleitete, von den Gemeinschaftsorganen erlassene Recht. Dem entsprechend lassen sich der Vertrag von Asunción einschließlich seiner Anhänge und der in seinem Rahmen geschlossenen Protokolle und Vereinbarungen als primäres Recht bezeichnen, während die von den Mercosur-Organen erlassenen Rechtsakte sekundäres Recht sind212. Ekmekdjian konstatiert, dass eine solche Unterscheidung im Mercosur nicht eindeutig möglich sei. Da die Organe sich aus Repräsentanten der jeweiligen Regierungen der Mitgliedstaaten, also rein zwischenstaatlich zusammensetzten, handle es sich um Beschlüsse einer internationalen diplomatischen Konferenz im herkömmlichen völkerrechtlichen Sinn213. Eine Trennung zwischen Primär- und Sekundärrecht sei nicht eindeutig möglich.

Mercosur, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 910; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 173; U. Wehner, Der Mercosur, S. 73; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 209, 211 ff.; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 521; C. E. Delpiazzo, Fuentes del Derecho de la Integración, S. 69; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 569, 654, 667; m. w. N. A. Haller, Mercosur, S. 113 f. A. Perotti, El Derecho de Integración en el Mercosur, in: Secretaría General de la Comunidad Andina (Hrsg.), Integración y Supranacionalidad, 2001, S. 79; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur – Los efectos del Derecho Comunitario sobre las legislaciones nacionales, 2003, S. 76; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 47; J. Samtleben, La solución de controversias en la Unión Europea y en el Mercosur, in: Fernández Arroyo (Hrsg.), Liber Amicorum en homenaje al profesor Dr. Didier Opertti Badán, 2005, S. 955; 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 53. Zu der Systematisierung des EU-Rechts in Primär- und Sekundärrecht grundlegend: H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 6; vgl. auch: R. Streinz, Europarecht, S. 2 f. Rn. 3 f.; T. Oppermann, Europarecht, S. 141 ff., 156 ff.; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union – Europarecht und Politik, 6. Aufl. 2005, S. 183 ff. Eine solche Systematisierung findet sich auch bereits bei: W. Wengler, Völkerrecht, Bd. 1, 1964, S. 184 ff., 319 ff. 211 So auch H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 49. 212 Vgl. B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 206; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 93; A. Perotti, El Derecho de Integración en el Mercosur, S. 79; C. E. Delpiazzo, Fuentes del Derecho de la Integración, S. 69. 213 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 264. In diesem Sinne auch: A. Haller, Mercosur, S. 114; J. Lehmann, Neues von der Schiedsgerichtsbarkeit des Mercosur – ein Integrationsmotor à la Luxemburg?, EuZW 2001, S. 666.

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a) Primärrecht Während Art. 9, 15, 20 und 42 des Protokolls von Ouro Preto für das Sekundärrecht festhält, dass dieses in den Mitgliedstaaten verbindlich ist, gibt es eine solche Norm für das Primärrecht nicht. Die Verbindlichkeit des Primärrechts ergibt sich allerdings aus dem völkerrechtlichen Grundsatz pacta sunt servanda214 und damit aus dem Willen der Völker, sich selbst zu binden215, also aus dem völkerrechtlichen Konsensprinzip216. Das folgt aus der Lehre vom umgekehrten Monismus, wonach keine Gesetze und Verträge aus einem anderen Grund Geltung beanspruchen können als aus dem Willen des Volkes, von dem alle Staatsgewalt ausgeht217. Die Verbindlichkeit wird aber dadurch eingeschränkt, dass der Vertrag für den Fall der Nicht-Einhaltung keinerlei (Zwangs-)Maßnahmen vorsieht. Hier kommt erneut die am klassischen Völkerrecht ausgerichtete Struktur des Mercosur zum Vorschein. Das klassische Völkerrecht betrachtet die Souveränität der Staaten als das höchste Gut. Eine über dem Souverän stehende Gewalt gibt es nicht218. Daher gibt es auch keine über dem Selbstbestimmungsrecht219, der Souveränität der Staaten, stehende Macht, die die Einhaltung der Verträge erzwingen kann220. Völkerrecht ist genossenschaftliches Recht221. Die 214

Geregelt in Art. 26 WVRK. A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, in: K. A. Schachtschneider, (Hrsg.) Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 133. Zur Selbstbindung als Grundlage des Völkerrechts vgl. bereits G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge – Ein Beitrag zur juristischen Construktion des Völkerrechts, 1880, S. 2 f., 45. 216 K. Ipsen, Regelungsbereich, Geschichte und Funktion des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1999, S. 15 f. Rn. 42 ff.; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 59 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 167 f.; A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, Manuskript 2006 (i. E.), S. 79 ff. Zum gesetzgeberischen Konsens auch: K. A. Schachtschneider, Res publica res populi – Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre – Ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts- und Staatslehre, 1994, S. 526. 217 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 124 f.; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis – Teil I, S. 19 f. Zum umgekehrten Monismus ausführlicher: Teil 1, IV. 1., S. 97 ff. 218 J. Bodin, Les six livres de la République, 1583, 1. Buch, Kapitel IX, zitiert nach: M. Á. Ekmekdjian, Integración regional y soberanía nacional, El Derecho Pfflblico Actual 1995, S. 74. 219 Zum Selbstbestimmungsrecht der Völker siehe: A. Verdross, Völkerrecht, S. 574–576; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 100–102. 220 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, in: ders./A. Emmerich-Fritsche (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 2005, S. 60; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 124 f., 126 f. 215

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Einhaltung hängt vom guten Willen der Genossen ab222, also von der Moralität223. Moralische Gesetze sind auch verbindlich, aber es gibt keinen Zwang224; zumindest keinen freiheitlich begründeten Zwang, vergleichbar mit der Zwangsgewalt, über die ein republikanischer Staat in seinem Hoheitsgebiet verfügt225. Etwaige Zwangsgelder, wie sie in der Europäischen Union die Kommission verhängen kann226, sind machtlos bei einem zahlungsunwilligen Staat. Eine Befugnis der Gemeinschaft, einen Mitgliedstaat zur Einhaltung des Rechts und damit zur Zahlung zu zwingen, haben die Organe nicht227. Über den Mitgliedstaaten gibt es keinen Völkerstaat, der Zwang ausüben könnte228. Die Union vertraut darauf, dass die Mitgliedstaaten ihr die Treue halten229. Die Gründungsväter des Mercosur waren 221 A. Verdross, Völkerrecht, S. 110; F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 16 ff.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 167. 222 A. Verdross, Völkerrecht, S. 110; auch bereits G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. (Neudruck 1960), S. 765, 767. In diesem Sinne auch: H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 279, der von der „Rechtlichkeit des Genossen“ spricht. 223 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005) S. 58 f. O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 167 und F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 32 sprechen von „sittlichen Momenten“, die die Rechtseinhaltung gewähren. 224 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 58 f. 225 Zum freiheitlichen Gebietsprinzip: K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 59 ff. Es gibt allerdings sehr wohl Zwangsgewalt in Form von „Selbsthilfe“. Hierzu zählen Retorsionen und Repressalien, Notwehr und als ultima ratio auch Krieg, vgl. A. Verdross, Völkerrecht, S. 424 ff.; ders./B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 901 ff. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen auf dem Willen eines (verfassten) Volkes beruhenden Zwang, um die Einhaltung des Rechts und damit die Freiheit zu gewährleisten. Es ist kein freiheitlich begründeter, also rechtlicher Zwang. Zum Zwang im Völkerrecht siehe auch: A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insb. S. 128–150; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 225–231. Vgl. auch Fn. 930 (1. Teil). 226 Art. 226 Abs. 4 EGV. 227 Gemäß Art. 244 EGV i. V. m. Art. 256 Abs. 1 EGV sind die von der Kommission oder vom Europäischen Gerichtshof verhängten Bußgelder gegenüber Staaten nicht vollstreckbar. Vgl. auch: F. Emmert, Europarecht, 1996, S. 222; dogmatischer: K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 109; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 69–71. Zu Sanktionen und der Vollstreckung des Europäischen Gemeinschaftsrechts auch: T. Oppermann, Europarecht, S. 210 ff. Rn. 28 ff. 228 In diesem Sinne K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 60, der allerdings in den Vereinten Nationen einen sich in der Entwicklung befindlichen Völkerstaat erkennt. Zum relativen Mangel an zentralen Organen als Eigenart des Völkerrechts vgl. A. Verdross, Völkerrecht, S. 122 f. 229 M. Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Gemeinschaft, in: W. Blomeyer/K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechts-

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sich dessen offenbar bewusst und haben Zwangsmöglichkeiten erst gar nicht vorgesehen. Die Verträge und Protokolle werden wie andere multilaterale Verträge geschlossen und können als internationale Verträge angesehen werden230. Erwähnenswert ist die Stellung des Protokolls von Ouro Preto innerhalb des Normgefüges. Es ist das „protocolo adicional al Tratado de Asunción sobre la estructura institucional del Mercosur“, also das Zusatzprotokoll zum Vertrag von Asunción über die institutionelle Struktur des Mercosur, mit dem der transitorische Charakter des Mercosur beendet werden sollte231. Es wird daher als Bestandteil des Vertrags von Asunción selbst betrachtet232. Es war bei seiner Verabschiedung in Erwägung gezogen worden, den Vertrag von Asunción vollständig durch das Protokoll von Ouro Preto zu ersetzten. Weil der Vertrag von Asunción aber bereits ein Symbol für einen funktionierenden Integrationsmechanismus war, entschied man sich stattdessen für ein Beibehalten des Vertrags von Asunción233. In Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto werden diejenigen Normen des Vertrags von Asunción für ungültig erklärt, die dem Protokoll von Ouro Preto und den während der Übergangszeit erlassenen Entscheidungen des Rates widersprechen. Letzteres ist besonders bedeutsam. Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto heilt damit nachträglich eine Befugnisüberschreitung des Rates234. Die durch die Repräsentanten der Regierungen der Mitgliedstaaten gefällten Ratsentscheidungen hätten den Normen des Vertrags von Asunción nicht widersprechen dürfen, denn dieser wurde von den Parlamenten der Mitgliedstaaten angenommen235. Tatsächlich wurden aber sogar die Anhänge gemeinschaft, 1995, S. 15; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 109; T. Oppermann, Europarecht, S. 210 ff. Rn. 28 ff. Beispielhaft hierfür: A. Geiger, EuGH-Generalanwalt geht neue Wege bei Zwangsgeldern gegen Mitgliedstaaten, EuZW 2004, S. 417. 230 H. Gros Espiell, El Tratado de Asunción y algunas cuestiones jurídicas que plantea, El Derecho Nr. 144 (1991), S. 915; vgl. Kapitel II, S. 17. 231 Siehe auch Gliederungspunkt II 2., S. 20. 232 Art. 48 des Protokolls von Ouro Preto. 233 A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 84. 234 A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 84; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 74 f.; H. Arbuet Vignali, El Protocolo de Ouro Preto, S. 53; so ist wohl auch das 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), zu verstehen, das in Rn. 35 feststellt, dass die durch Ratsentscheidungen vorgenommenen materiellen Änderungen am Gründungsvertrag durch Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto nachträglich „formalisiert“ (formalizó) wurden. Die Vorgehensweise wird als „ungewöhnlich“ (poco habitual) bezeichnet, vgl. M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 75. 235 A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 84.

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des Vertrags von Asunción durch Ratsentscheidungen ersetzt236 und auch neue Organe durch den Rat gegründet237. Zwar ermächtigt ihn der Vertrag von Asunción, alle Maßnahmen zu ergreifen, die zum Erreichen der Ziele des Vertrags von Asunción notwendig sind238. Eine Kompetenz des Rates, den Vertrag von Asunción selbst zu verändern, kann hieraus aber nicht abgeleitet werden. Eine demokratische Legitimation, die von den Parlamenten der Mitgliedstaaten ratifizierten Abkommen durch Entscheidungen von Regierungsvertretern zu annullieren, kann es nicht geben. Durch Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto werden diese Ratsentscheidungen nun nachträglich demokratisch legitimiert239. Teilweise werden der Vertrag von Asunción und seine Protokolle als die Verfassung des Mercosur bezeichnet240. Diese Bezeichnung kann aber nur in einem übertragenen Sinn gemeint sein, so wie Ipsen vom EWG-Vertrag als die materielle Verfassung der Gemeinschaften spricht241. Der Vertrag 236 Der Anhang II „Allgemeine Ursprungsregelung“ wurde durch die Ratsentscheidungen 6/94, 23/94 ersetzt, deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur II, Dokumente 53 f. 237 Die Handelskommission wurde als Unterorgan der Gruppe vom Rat durch die Entscheidung Nr. 9/94 gegründet, erlassen am 5.08.1994 in Buenos Aires; vgl. Teil 1, II. 1. c). 238 Vgl. Art. 10 des Vertrags von Asunción. 239 Das dritte Mercosur-Schiedsgericht bestätigt, dass Sekundärrecht gemäß Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto den Vertrag von Asunción modifizieren kann, vgl. 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. D. 2. Auch M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 75 halten die Vorgehensweise für „legitim“. Unklar ist allerdings, inwieweit nach der Übergangszeit erlassene Rechtsakte, die dem Vertrag von Asunción widersprechen, demokratisch legitimiert sind (vgl. etwa Ratsentscheidungen 18/03 und 1/04, welche die in Anhang II des Vertrags von Asunción niedergelegten Ursprungsregeln ersetzen). Dass auch nach der Übergangszeit erlassenes Organrecht Bestimmungen des Vertrags von Asunción abzuändern vermag, hat das dritte Mercosur-Schiedsgericht bestätigt (Punkt III. F. 3; III. G. 1; III. H. 2 u. 3). Die Problematik der fehlenden demokratischen Legitimation wird durch die zwischenstaatliche Zusammensetzung der Organe, das Konsensprinzip bei der Beschlussfassung und die Pflicht zur Inkorporation des gemeinsamen Rechts in die nationale Rechtsordnung abgemildert (Hierzu auch weiter unten: Teil 1, III. 1. b), S. 75). 240 M. Midón, El mayor desafío del siglo XX, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 915; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 216; F. Rotondo, Organisación del Mercosur, S. 79; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 500; J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, 740; J. Samtleben, Der südamerikanische Gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, S. 1997 ff.; M. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 85 und 264. 241 Wodurch die Gemeinschaften aber keinesfalls einen Staats- oder staatsartigen Charakter besäßen, vgl. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 64. Be-

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von Asunción ist keinesfalls gleichzusetzen mit der Verfassung eines republikanischen Staates. Ein Integrationsvertrag zwischen Völkern kann allenfalls Völker verbinden, nicht jedoch verfassen, d.h. er konstituiert keinen existentiellen Staat242. Kein Volksvertreter hat das Recht, die existentielle Staatlichkeit243 eines Volkes zu relativieren oder dem Volk gar eine neue Verfassung zu geben, in deren Auftrag er handelt244. Zudem beruhen die reits der Entwurf des späteren Vertrags von Maastricht wurde als „Verfassungsentwurf für eine Europäische Union“ bezeichnet, vgl. I. Pernice, Verfassungsentwurf für eine Europäische Union, EuR 19 (1984), S. 126, 142. Der Europäische Gerichtshof bezeichnete den EWG-Vertrag als „Verfassungsurkunde“ einer Rechtsgemeinschaft, vgl. EuGH v. 23.04.1986, Rs. 294/83 (Les Verts/Parlament), Slg. 1986, 1339, 1365; EuGH v. 14.12.1991, Gutachten 1/91 (EWR), Slg. 1991 I, 6079, 6080; ähnlich auch: BVerfGE 22, 293 (296); T. Oppermann, Europarecht, S. 182 Rn. 2 spricht von einer verfassungsähnlichen Gründung einer autonomen Gemeinschaftsrechtsordnung; vgl. auch: R. Streinz, Art. 1 EGV, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, S. 221 Rn. 9; ders., Europarecht, S. 56 f. Rn. 138. Ausführlich zum Verfassungscharakter der Gemeinschaftsverträge: K. A. Schachtschneider, Die Verträge der Gemeinschaften und der Union, in: ders./A. Emmerich-Fritsche (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 2005, S. 20 ff.; D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses – Anwendungsbereich und Schranken des Art. 23 des Grundgesetzes, 2000, S. 64 ff.; C. Callies, Art. 1 EUV, in: ders./Ruffert, Rn. 17 ff. Weitere Literaturhinweise bei: B. Simma/C. Vedder, Art. 281 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 32. 242 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 106, Fn. 540. Nach überkommenem staatsrechtlichem Verständnis ist der Begriff der Verfassung mit demjenigen des Staates und des Volkes eng verbunden, vgl. C. Callies, Art. 1 EUV, in: ders./Ruffert, Rn. 18. Zur Verfasstheit der Europäischen Union auch A. Schmitt Glaeser, Grundgesetz und Europarecht als Elemente Europäischen Verfassungsrechts, 1996, S. 152 ff. 243 Der existentielle Staat ist die verfasste Bürgerschaft, das Volk. Der existentielle Staat unterscheidet sich von dem Staat der Ämter, dem funktionalen Staat oder Staat im engeren Sinne, welcher Staatsgewalt aufgrund der Hoheitsrechte ausübt, die das Volk ihm in der Verfassung übertragen hat, vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, insb. S. 159 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 58 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 76; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 283 f.; ders., Deutschland nach dem „Vertrag über eine Verfassung für Europa“, in: ders./A. Emmerich-Fritsche (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union 2005, S. 68; A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, 1. Teil, A. V.; J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: ders./P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. III: Das Handeln des Staates, 1988, S. 6 ff. Rn. 7 ff.; ders., Staat und Verfassung, in: ders./P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. II: Verfassungsstaat, 3. Aufl. 2004, S. 80 Rn. 152. 244 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 90; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 81. Demokratische Legitimation hat ein Amtswalter nur für die Aufgaben des Amtes, in das er gewählt wurde, vgl. ders., Das europäisierte Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfas-

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Gewaltbefugnisse des Staates (im engeren Sinne) zur Verwirklichung der Freiheit auf der Verfassung, in der das Volk den Staatsorganen Hoheitsrechte überträgt245. Die mitgliedstaatliche Zwangsbefugnis leitet sich aus der existentiellen Staatlichkeit ab, die nur existentiellen Staaten zukommt246. In einem Gebiet kann es keine konkurrierenden Verfassungen geben; denn konkurrierende Verfassungen bedeuten konkurrierende Gewalten, die es um des Friedens willen nicht geben kann247. Weil in einem Bundesstaat die Gliedstaaten ihren staatlichen Charakter verlieren248, höbe eine Mercosur-Bundesstaatsverfassung die Verfassungen der Mitgliedstaaten staatsrechtlich als solche auf249. Eine Verfassung kann sich das Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, aber nur selbst geben250, denn sie ist die sung für Europa“, Recht und Politik 2003 S. 211; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 317; ders., Deutschland nach dem Vertrag, S. 94. Für Deutschland im Hinblick auf die europäische Integration auch: BVerfGE 89, 155 (172, 182 ff., 186); C. D. Classen, Art. 23, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Rn. 4; P. Kirchhof, Europäische Integration, in: HStR, Bd. VII, 1992, S. 884 Rn. 62. 245 Gesetze dienen der Verwirklichung der Freiheit, denn sie schützen einen jeden vor eines anderen nötigender Willkür, vgl. I. Kant, Metaphysik der Sitten, in: Hartenstein, G. (Hrsg.), Immanuel Kant’s sämmtliche Werke – In chronologischer Reihenfolge, Bd. VII, 1868, S. 34. Da die Moralität der Menschen die Einhaltung der Gesetze und damit die Freiheit nicht gewährleistet, ist Zwang notwendig. Zwang ist die „Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit“, vgl. I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 28 f. Die entsprechenden Zwangsbefugnisse überträgt das Volk in der Verfassung auf die Organe des Staates, auf den funktionalen Staat oder Staat im engeren Sinne, vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 76; ders., Res publica res populi, S. 545 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 2007, 2. Kap., VIII. 246 Mit weiteren Nachweisen: K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 70 f. 247 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 77, 81. Widersprüchliche Verfassungen und damit Gesetze in einem Gebiet führen zu Friedlosigkeit, vgl. ebenda S. 86; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 59, 87 f.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre – Die geschichtliche Legitimationsgrundlage des demokratischen Verfassungsstaates, 4. Aufl. 1975, S. 68 f. 248 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 771. 249 Ebenso wie eine Verfassung, welche die Europäische Union zu einem existentiellen Staat verfasst, die Verfassungen der Mitliedstaaten aufheben würde. Hierzu m. w. N.: K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), 103 und 115; U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, Der Staat 32 (1993), S. 205. 250 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 81 und 115; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 89 f.; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 106, Fn. 549; P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: J. Isensee/ders., (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR),

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höchstrangige Verwirklichung der Freiheit der Bürger251 und zugleich das vornehmste Merkmal der existentiellen Staatlichkeit eines Volkes252. Eine Mercosur-Bundesstaatsverfassung, die die existentielle Staatlichkeit der Mitgliedstaaten einschränkt zugunsten eines Mercosur-Bundesstaates mit eigenständiger existentieller Staatlichkeit und eigenständigem Mercosur-Volk, bedürfte daher eines gemeinsamen Aktes der Völker des Mercosur in der Funktion als pouvoir constituant253. b) Sekundärrecht Während der Vertrag von Asunción noch keine Bezeichnung der Rechtsakte vorsah und auch keine Aussage über die Verbindlichkeit der Normen in den Mitgliedstaaten machte254, steht seit dem Protokoll von Ouro Preto Bd. VII: Normativität und Schutz der Verfassung – Internationale Beziehungen, 1992, S. 870 ff. Rn. 34 ff.; K. Bretz, Föderalismus und Regionalismus in Deutschland, Spanien und der Europäischen Union, 2005, S. 196; in Bezug auf die Entwicklung der Europäischen Union zu einem existentiellen Bundesstaat: K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 317; ders., Deutschland nach dem Vertrag, S. 94. Nach Kant ist das Recht zur obersten Gesetzgebung kein „veräußerliches, sondern das allerpersönlichste Recht“, vgl. I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 160. 251 Soweit die Gesetze durch ihre Sittlichkeit Recht schaffen, vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 77; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 87 f. 252 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 87; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 77. 253 So im Hinblick auf die Gründung eines europäischen Bundesstaates jeweils m. w. N.: D. Murswiek, Maastricht und der Pouvoir Constituant, Der Staat 32 (1993), S. 163 f.; C. Tomuschat, Art. 24, in: R. Dolzer/K. Vogel/K. Graßhof (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Loseblatts. Stand 2006, Rn. 46; P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII, 1992, S. 884 Rn. 62; K.-P. Sommermann, Art. 20, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Rn. 59; K. Heckel, Der Föderalismus als Prinzip überstaatlicher Gemeinschaftsbildung, 1998, S. 124 ff.; K. Bretz, Föderalismus und Regionalismus, insb. S. 190, 196, 208; K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, in: R. Göschner/M. Morlok (Hrsg.), ARSP-Beiheft 71, Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs, 1997, S. 175; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 286 f., 303, 307, 317, 323; ders., Das europäisierte Deutschland, Recht und Politik 2003, S. 214; in diesem Sinne bereits G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 774 ff. Weil das Volk bei der Verfassungsgebung nicht vertreten werden kann, wurde der von den Regierungen und Parlamenten der Europäischen Union eingesetzte Verfassungskonvent als verfassungswidriger Umsturzversuch bezeichnet, vgl. K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 89. Ein Mercosur-Bundesstaat mit Mercosur-Bürgerschaft wird vorgeschlagen von J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 194–197. 254 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 21, 23.

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fest, dass der Rat Entscheidungen, die Gruppe Entschließungen und die Handelskommission Richtlinien erlässt, die für die Mitgliedstaaten bindend sind255. Dies war insofern ein großer Schritt, als einige Autoren bis dahin eine Verbindlichkeit der Rechtsakte, vor allem wegen der programmatischen Formulierungen des Vertrags von Asunción, anzweifelten256. Dabei wird keine Aussage über die Reichweite der Verbindlichkeit getroffen257. Eine inhaltliche Unterscheidung nach dem Adressatenkreis, dem Ausmaß der Verbindlichkeit und der jeweiligen innerstaatlichen Geltung wie aus dem EU-Recht bekannt258, gibt es nicht. Im Mercosur bestimmt sich die Art des Rechtsaktes nach dem Organ, das ihn erlässt, und nicht aus seinen inhaltlichen Merkmalen259. Nur der Rat kann Entscheidungen erlassen, die Gruppe erlässt Entschließungen und die Handelskommission Richtlinien. Der Inhalt eines Rechtsaktes ergibt sich aus dem Organ, der diesen beschlossen hat. Welches Organ handelt, ergibt sich aus den zugewiesenen Befugnissen der Organe260. Kompetenzkonflikte zwischen den Organen werden offensichtlich auch durch das institutionelle Machtgefüge innerhalb des Mercosur vermieden261. Als höchstes Organ, das die Politik des Mercosur bestimmt, erlässt der Rat Leitentscheidungen262. Die Entschließungen der dem Rat untergeordneten Gruppe sowie die Richtlinien der dieser untergeordneten Handelskommission dienen lediglich zur Materialisierung der Leitentscheidungen des Rates. Zu untersuchen bleibt die Reichweite der Verbindlichkeit von Rechtsakten in den nationalen Rechtsordnungen, die im Zusammenhang mit der 255

Art. 9, 15, 20, 42 des Protokolls von Ouro Preto. So J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 25. 257 Wie zutreffend festgestellt wird, vgl. A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 212. Die Problematik der innerstaatlichen Geltung wird im Zusammenhang mit der Diskussion des Verhältnisses des Mercosur-Rechts zum innerstaatlichen Recht erörtert werden, vgl. Teil 1, IV. 258 Vgl. Art. 4 und 249 EGV; dazu G. Schmidt, Art. 249 EG, in Groeben/ Schwarze, Rn. 25 ff. 259 So auch J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, S. 2004. 260 T. Vera/L. Bizzozero/M. Vaillant, La Construcción del Mercosur, S. 19. 261 S. Jardel/A. Barraza, Mercosur – Aspectos jurídicos y económicos, S. 85; U. Wehner, Der Mercosur, S. 95. 262 Zu den Aufgaben und Kompetenzen des Rates vgl. bereits Teil 1, II. 1. a), S. 47. J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 5 bezeichnet den Rat als „órgano de decisión política por excelencia“; ähnlich J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 176; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 494, 525; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 3. Der Rat wurde mit dem Rat der Europäischen Gemeinschaft verglichen, vgl. R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 16. 256

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Frage, ob es ein eigenständiges Mercosur-Gemeinschaftsrecht gibt, erörtert werden wird. Wie auch in der Europäischen Union kann davon ausgegangen werden, dass die Organe grundsätzlich nur im Rahmen der zugewiesenen Befugnisse tätig werden dürfen, obgleich es im Mercosur keine dem Art. 5 Abs. 1 EGV entsprechende Norm gibt, die dies ausdrücklich feststellt263. Da die Zuständigkeiten teilweise, wie oben gesehen, sehr weit formuliert sind, kann jedoch kaum von einem „Prinzip der begrenzten Ermächtigung“ gesprochen werden, wie dies von der EU-Rechtslehre bekannt ist264. Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung folgt aus der existentiellen Staatlichkeit der Völker265. Um der demokratischen Legitimation willen dürfen Hoheitsrechte nur begrenzt an Gemeinschaftsorgane übertragen werden; ansonsten ist eine ausreichende Mitverantwortung der Parlamente der Mitgliedstaaten an der Politik nicht gewährleistet266. Eine Unterscheidung in ausschließliche und konkurrierende Zuständigkeiten, wie aus der EURechtslehre bekannt267, wird in der Literatur bisher nicht getroffen. In welchem Rahmen die Organe folglich legitimiert sind, tätig zu werden, scheint nicht abschließend geklärt268. Eine Subsidiaritätsklausel, vergleichbar mit Art. 5 Abs. 2 EGV, nach der die Organe grundsätzlich nur tätig werden dürfen, wenn eine Regelung besser auf Gemeinschaftsebene als auf nationaler Ebene getroffen werden kann, gibt es jedenfalls nicht269. Die Problematik der demokratischen Legitimation sehr weitgehender MercosurRechtsakte wird auch hier durch die intergouvernementale Zusammensetzung der Organe und das Konsensprinzip bei der Beschlussfassung270 und 263

So R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 168. Vgl. hierzu M. Zuleeg, Art. 5 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 2 ff.; K. A. Schachtschneider, Ermächtigungen der Union und der Gemeinschaften, in: ders./A. Emmerich-Fritsche (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 2005, S. 123–127; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 425 ff.; R. Streinz, Europarecht, S. 183 Rn. 498. Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung wurde vom Bundesverfassungsgericht anerkannt, vgl. BVerfGE 89 155 (181, 191 ff.). 265 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 50; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 74. 266 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 50; BVerfGE 89 155 (191 ff.). 267 Wie aus der EU-Rechts-Dogmatik bekannt, vgl. M. Zuleeg, Art. 5 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 7–13; K. A. Schachtschneider, Ermächtigungen der Union und der Gemeinschaften, S. 146 ff. 268 So auch J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 39. 269 R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 168; R. Bloch, El principio de subsidiariedad en la Unión Europea y en el Mercosur, in: ders. (Hrsg.) La construcción del Mercosur – La evolución de un nuevo actor en las relaciones internacionales, 2003, S. 143. 264

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vor allem durch die Verpflichtung, Rechtakte in innerstaatliches Recht umzusetzen271, abgemildert. Beschlussverfahren Weder in den Verträgen und Protokollen noch im sekundären Recht selbst gibt es ein zusammenhängendes und vollständiges Systems der Beschlussfassung272. Ein solches System muss daher aus dem Normgefüge und der bisherigen Entscheidungspraxis geschlussfolgert werden. Danach hat sich folgender Ablauf der Beschlussfassung durchgesetzt273: – Das jeweilige Organ gibt das mit einem Rechtsakt zu behandelnde Thema an eine Spezialistenrunde, eine untergeordnete Arbeitsgruppe oder, wenn es sich um die Handelskommission handelt, einem technischem Komitee (Fachausschuss) weiter. – Diese Unter- oder Hilfsorgane verabschieden sodann eine Empfehlung. Diese wird an die Gruppe bzw. Handelskommission weitergeleitet. Die Handelskommission erlässt eine Richtlinie oder leitet die Empfehlung an die Gruppe weiter. – Die Gruppe verwirft oder verabschiedet die vorgeschlagene Maßnahme durch eine Entschließung oder leitet den Entscheidungsvorschlag an den Rat weiter, wenn er nicht im Zuständigkeitsbereich der Gruppe liegt. – Auf der Grundlage der an ihn weitergeleiteten Vorschläge erlässt der Rat eine Entscheidung. Des Weiteren kann er auch direkt Entscheidungen erlassen, also ohne dass das vorgestellte Verfahren durchlaufen wird. Die Beschlüsse der Organe kommen por consenso, also auf dem Wege des Konsensverfahrens und bei Anwesenheit aller Mitgliedstaaten zustande274. Konsens bedeutet nicht Einstimmigkeit275. Der Unterschied zur Einstimmigkeit liegt in der Möglichkeit der Beschlussfassung trotz der Enthaltung eines oder mehrerer Stimmberechtigter276, wodurch die Entschei270 In diesem Sinne J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 39, Fn. 108. 271 Hierzu weiter unten: Teil 1, IV. 2. a), S. 105. 272 M. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 287. 273 Vgl. U. Wehner, Der Mercosur, S. 95; ausführlicher: A. Haller, Mercosur, S. 117. 274 Art. 37 des Protokolls von Ouro Preto. 275 F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 227; M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 89. 276 A. Haller, Mercosur, S. 116; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 168.

III. Rechtsquellen

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dungsfindung erleichtert wird277. Diese Vorgehensweise räumt jedem Mitgliedstaat ein Vetorecht ein278. Da in Art. 37 des Protokolls von Ouro Preto keine Differenzierung hinsichtlich der Organe vorgenommen wird, gilt diese Vorgehensweise grundsätzlich für alle Organe, also auch für die Hilfsorgane279, obwohl bei diesen in der Praxis durchaus Mehrheitsentscheidungen vorkommen280. Häufig geäußerte Kritik Das Konsensprinzip offenbart eine weitere Eigenart des Mercosur und entspricht der rein zwischenstaatlichen Ausrichtung der Organe. Es bietet den Vertragstaaten die größte Sicherheit, keine gegen nationale Interessen gerichtete Entscheidung hinnehmen zu müssen281. Damit wurde dem Mehrheitsprinzip eine Absage erteilt, welches für ein wichtiges Mittel zur Bändigung nationaler Interessen gehalten wird282. Das Konsensprinzip als Ausdruck eines am klassischen Völkerrecht orientierten Integrationsprojektes wird kritisiert. Es sei Ausdruck gegenseitigen Misstrauens, auf dessen Basis eine wirkliche Integration nicht funktionieren könne283. Ohne auf die abschließende Bewertung der Integrationsmethode insgesamt vorzugreifen, sei an dieser Stelle angemerkt, dass die zwischenstaatliche Zusammensetzung der Organe und das Konsensprinzip die Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu dem erlassenen Recht sicherstellen. Das Mercosur-Recht entspricht dem Willen aller Mitgliedstaaten284. Dies ist besonders vor dem Hintergrund der Abwesenheit einer demokratischen Bür277

B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción) S. 196 f.; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 22; J. M. Vacchino, La dimensión institucional en la integración latinoamericana, Integración Latinoamericana Nr. 185 (1992), S. 14. 278 J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 4; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 22; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 40; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 232. 279 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 91. 280 J. H. Lavopa, La dimensión jurídica de la integración, Contribuciones Nr. 4 (1996), S. 173. 281 A. Haller, Mercosur, S. 116; ähnlich R. M. Gajate, El rol del derecho en un proceso de integración, in: Universidad de La Plata (Hrsg.), Aportes para la integración latinoamericana, 1995, S. 138. 282 M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 99 Rn. 6. 283 M. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 208 und S. 259; kritisch auch H. Babace, Derecho de la Integración, S. 232 f.; vgl. auch Fn. 1025 (1. Teil). 284 Vgl. auch Hinweise in Fn. 1022 (1. Teil).

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gervertretung wichtig285. Es erschwert aber auch eine Kollision des Mercosur-Rechts mit den Verfassungsbestimmungen der Mitgliedstaaten286. Zudem gewährleistet es eine zügige Integration des Rechts in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Der unbestrittene Erfolg des Mercosur-Projekts bestätigt diese Sichtweise. Schließlich wurde das bereits im Art. 16 des Vertrags von Asunción festgelegte Konsensprinzip im Protokoll von Ouro Preto aufgrund der positiven Erfahrung beibehalten287. 2. Hierarchie Eine hierarchische Ordnung der Rechtsquellen findet sich in keiner Norm288, weshalb Samtleben davon ausgeht, dass Normenkonflikte im Einzelfall nach den „allgemeinen Grundsätzen und entsprechend dem Sinn der Integrationsvertrag“ gelöst werden müssten289. Die jeweilige Rechtsquelle könnte jedoch einen Anhaltspunkt über eine mögliche Rangordnung geben290. Zunächst haben viele Autoren keinen Zweifel, dass Primärrecht dem Sekundärrecht vorgehe291, da das Primärrecht das Sekundärrecht überhaupt erst ermögliche und seine inhaltlichen Grenzen sowie die Kompetenzen der Organe festlege292. So verleiht Art. 10 des Vertrags von Asunción dem Rat die Macht, Entscheidungen zu erlassen, die die Einhaltung des 285

Hierzu Teil 1, II. 2. a). J. Samtleben, Las experiencias para un tribunal del Mercosur y la experiencia europea, JA 1998-I, S. 802. 287 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 91. 288 So auch M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 270; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 209. 289 J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, S. 2003. 290 D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 174; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 44. 291 Ohne weitere Begründung so: J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 108; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 82; H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 50; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 54; C. E. Delpiazzo, Fuentes del Derecho de la Integración, S. 69. 292 B. Garré Copello, Solución de Controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 206; H. Arbuet Vignali, Las claves jurídicas de la integración – En los sistemas del Mercosur y la Unión Europea, 2004, S. 337 f., 612, 622 f., 702; m. w. N. A. Haller, Mercosur, S. 135 f.; C. E. Delpiazzo, Fuentes del Derecho de la Integración, S. 74; ähnlich A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 211, 216. Eine vergleichbare Argumentation wird auch für das Verhältnis zwischen dem primären und sekundären Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union angeführt, vgl. M. Nettesheim, Art. 249 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 232; T. Oppermann, Europarecht, S. 141 Rn. 12, S. 156 Rn. 60; 286

III. Rechtsquellen

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Vertrags von Asunción sicherstellen sollen. Diese Rangordnung gilt jedoch nicht für die während der Übergangszeit erlassenen Entscheidungen des Rates, die dem Primärrecht widersprechen. Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto räumt ihnen ausdrücklich einen Vorrang vor anders lautenden primärrechtlichen Vorschriften ein293. Aufgrund dieser Vorschrift wird zum Teil für eine Gleichrangigkeit von Primär- und Sekundärrecht plädiert294. Für eine Gleichrangigkeit spricht auch, dass, wie bereits erwähnt wurde, eine Trennung zwischen Primär- und Sekundärrecht im Mercosur aufgrund der zwischenstaatlichen Zusammensetzung der Organe im Grunde nicht sinnvoll ist. Beim Sekundärrecht handelt es sich ebenso wie beim Primärrecht um Beschlüsse einer internationalen diplomatischen Konferenz295. Dem Primärrecht widersprechende später erlassene Rechtsakte dürften dann sogar als lex posterior und eventuell auch als Spezialregelung Vorrang vor Primärrecht haben. Die Handhabe im Mercosur scheint diese Vermutung zu bestätigen. So ersetzen beispielsweise die Ratsentscheidungen 6/94 und 18/03 die Ursprungsregeln, wie sie im Anhang II des Vertrags von Asunción niedergelegt sind296. Dies wäre nicht möglich, wenn das Primärrecht dem Sekundärrecht grundsätzlich übergeordnet wäre. Fraglich ist allerdings, aus welchem Grund später erlassene Protokolle häufig ausdrücklich als Bestandteil des Vertrags von Asunción bezeichnet werden297, wenn die ausdrückliche Zuordnung zum Gründungsvertrag die hierarchische Stellung nicht beeinflusst. Zudem räumt Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto lediglich den während der Übergangszeit, also bis Ende 1994 erlassenen Ratsentscheidungen Vorrang vor widersprechenden Bestimmungen im Vertrag von Asunción ein. Hieraus lässt sich der Umkehrschluss ziehen, dass später verabschiedete Ratsentscheidungen keinen Vorrang vor dem Gründungsvertrag haben sollen. C. Gaitanides, Art. 220 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 17; so auch bereits L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I, S. 540 f. 293 Hierzu bereits Gliederungspunkt III. 1. a), S. 69. 294 J. Samtleben, Der Mercosur als Rechtssystem, in: J. Basedow/ders. (Hrsg.), Wirtschaftsrecht des Mercosur – Horizont 2000, Tagung im Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht am 21.-22. Januar 2000, 2001, S. 58–60; ähnlich auch: M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 264; J. Lehmann, Neues von der Schiedsgerichtsbarkeit des Mercosur, EuZW 2001, S. 666; für eine Gleichrangigkeit von Primär- und Sekundärrecht jedoch ohne weitere Begründung auch L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 19. 295 Vgl. bereits Fn. 213 (1. Teil). 296 Vgl. auch bereits oben, Teil 1, III. 1. a), S. 69. 297 Vgl. etwa Art. 12 des Protokolls von Colonia (verabschiedet durch Ratsentscheidung 11/93) oder Art. 32 des Wettbewerbsschutzprotokolls (verabschiedet durch Ratsentscheidung 18/96) oder Art. 27 des Dienstleistungsprotokolls (verabschiedet mit Ratsentscheidung 13/97).

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Klarheit schafft erst das dritte Ad-hoc-Schiedsgericht vom 10. März 2000, welches über die Frage zu entscheiden hatte, ob Argentinien auch nach dem Ende der Übergangszeit entgegen der eindeutigen Verbotsaussage im Vertrag von Asunción Maßnahmen zum Schutz der heimischen Wirtschaft298 anwenden durfte299. Diese sind laut Art. 5 Abs. 2 des Anhangs IV zum Vertrag von Asunción in keinem Fall (en ningffln caso) über den 31. Dezember 1994 hinaus erlaubt. Nach Ansicht des Gerichts sei jedoch zu untersuchen, ob es nachträgliche spezielle Regelungen gebe, die ausnahmsweise Schutzmaßnahmen zulassen300. Das Gericht prüfte unter anderem eine Entscheidung des Rates und eine Richtlinie der Handelskommission, welche 1996 erlassen wurden und damit außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto liegen, der lediglich den während der Übergangszeit erlassenen Ratsentscheidungen Vorrang vor kollidierenden Bestimmungen des Vertrags von Asunción einräumt301. Auch wenn das Gericht zu dem Ergebnis kam, dass im konkreten Fall keine einschlägige Spezialregelung die von Argentinien eingesetzte Maßnahme rechtfertigen konnte302, so ist der Tenor des Gerichts klar. Organrechtsakte sind dem Mercosur-Primärrecht nicht untergeordnet und können als lex specialis sogar vorrangig anzuwenden sein303. Ob es eine Rangordnung innerhalb des Primärrechts gibt, wird unterschiedlich beurteilt. In der Literatur wird dem Vertrag von Asunción zwar zum Teil ein Vorrang vor den Protokollen und Abkommen zugestanden. Dieser ergebe sich aus Art. 19 Abs. 1 des Protokolls von Brasilia304, der die für die Beurteilung einer Streitfrage anzuwendenden Rechtsnormen nacheinander aufzählt. Die hier gewählte Reihenfolge lasse auf eine untereinander bestehende hierarchische Ordnung schließen305. Ob aber die Ver298 Sogenannte „medidas de salvaguardia“. Hierzu weiter unten im Rahmen der Untersuchung der Warenverkehrsfreiheit, Teil 2, I. 2. e). 299 Das Streitbeilegungsverfahren wird weiter unten in Gliederungspunkt V dargestellt. 300 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. D. 2; III. E; III. F 3; III. H 3; IV D; IV F. 301 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. G. 2; III. H. 2. 302 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. H. 3; III. I; IV. F. 303 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. F. 3; III. G. 1; III. H. 2 u. 3. An dieser Stelle sei angemerkt, dass dadurch die primärrechtliche Vorschrift nicht aufgehoben, sondern lediglich unanwendbar wird. 304 Das Protokoll von Brasilia wurde durch das am 02.01.2004 in Kraft getretene Protokoll von Olivos ersetzt. Art. 19 Abs. 1 des Protokolls von Brasilia wurde in Art. 34 Abs. 1 des Protokolls von Olivos übernommen. 305 M. C. Vázquez, Análisis de algunos aspectos de la integración en el Mercosur, desde el punto de vista del derecho administrativo, S. 38; A. Freeland López Le-

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tragsväter an eine Festlegung der Rangfolge dachten, als sie Art. 19 des Protokolls von Brasilia formulierten, ist fraglich, zumal der Vertrag von Asunción nicht als „Verfassung“ konzipiert wurde306, der sich alle nachfolgenden Rechtsnormen unterzuordnen haben307. Die im Rahmen des Vertrags von Asunción geschlossenen Protokolle, insbesondere das Protokoll von Ouro Preto verändern den Vertrag von Asunción in weiten Teilen seines Inhalts, können diesem demnach nicht untergeordnet sein. Die Anhänge und Protokolle zum Vertrag von Asunción haben daher den gleichen juristischen Wert wie der Haupttext308. Hiergegen ließe sich zwar einwenden, dass Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto Vorschriften des Protokolls, die gegen Bestimmungen des Vertrags von Asunción verstoßen, ausdrücklich Vorrang einräumt, was für eine grundsätzliche Überordnung des Vertrags von Asunción gegenüber später verabschiedetem Primärrecht sprechen könnte. Wenn das Protokoll von Ouro Preto nämlich auf einer Hierarchieebene mit dem Vertrag von Asunción stünde, dann wäre Art. 53 des Protokolls als Ausnahmevorschrift überflüssig, weil dem Vertrag von Asunción widersprechende Vorschriften als lex posterior ohnehin Vorrang zukäme. Eine Rangregel, wie sie Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto aufstellt, wäre allerdings systemwidrig, wenn der Vertrag von Asunción als Gründungsvertrag Vorrang vor später verabschiedetem Primärrecht hätte. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Rangregel in Art. 53 des Protokolls von Ouro Preto keine Ausnahme von einem etwaigen Vorrang des Vertrags cube, Manual de derecho comunitario, S. 210; nach Ekmekdjian reflektiert Art. 19 des Protokolls von Brasilia (jetzt Art. 34 Abs. 1 des Protokolls von Olivos) die Norm-Pyramide nach Kelsen, vgl. M. Á. Ekmekdjian, Introducción al derecho comunitario latinoamericano, S. 270 f. Die gleiche Argumentation wird für die Aufzählung der Rechtsquellen des Mercosur in Art. 41 des Protokolls von Ouro Preto vorgebracht, vgl. S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 77; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 174. 306 So aber wohl C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 25; J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, S. 740. 307 A. Haller, Mercosur, S. 136; S. Jardel/A. Barraza, Mercosur – Aspectos jurídicos y económicos, S. 85. 308 So auch: A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 57; M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 74; J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, S. 741; A. Haller, Mercosur, S. 136; ohne weitere Begründung auch: J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 11; S. Jardel/A. Barraza, Mercosur – Aspectos jurídicos y económicos, S. 85; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 82; U. Wehner, Der Mercosur, S. 74; bezogen auf das Verhältnis des Protokolls von Ouro Preto zum Vertrag von Asunción: R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 563.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

von Asunción begründet, sondern vielmehr der Klarstellung der Anwendbarkeit des Grundsatzes lex posterior derogat legi priori und damit der grundsätzlichen Gleichrangigkeit des Protokolls von Ouro Preto mit dem Vertrag von Asunción dient. Eine Rangfolge innerhalb des Primärrechts ist daher nicht anzunehmen. Dies folgt im Übrigen auch aus der Praxis der Vertragsstaaten, die wie erwähnt sogar dem Sekundärrecht als lex posterior oder als Spezialregelung Vorrang vor dem Vertrag von Asunción einräumt. Wenn sogar Mercosur-Sekundärrecht mit dem Vertrag von Asunción auf einer Rangstufe steht, so ist eine Rangordnung innerhalb des Primärrechts, also zwischen dem Vertrag von Asunción und den in seinem Rahmen geschlossenen Abkommen und Protokollen sachlogisch nicht begründbar. Eine Hierarchie der von den Mercosur-Organen erlassenen Rechtsakte ergibt sich aus dem institutionellen Machtgefüge309: Der Rat ist nach Art. 3 des Protokolls von Ouro Preto als ranghöchstes Organ konzipiert worden, der die Leitentscheidungen zur Verwirklichung der im Vertrag von Asunción definierten Ziele trifft. Die Gruppe erlässt die notwendigen Maßnahmen, um den Rat bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen310. Die Gruppe ist dem Rat klar untergeordnet. Die Entscheidungen des Rates stehen daher über den Entschließungen der Gruppe, welche ihrerseits Vorrang vor den Richtlinien der Handelskommission haben, die der Gruppe zur Unterstützung beigeordnet ist311. Die hierarchische Stellung der allgemeinen Prinzipien des internationalen Rechts und des Völkergewohnheitsrechts sowie die Stellung der vom Mercosur mit dritten Staaten oder Organisationen geschlossenen Verträge sind aufgrund einer fehlenden eigenständigen Dogmatik des Mercosur-Rechts ungeklärt. Die wenigen Autoren, die hierzu Stellung nehmen, verweisen auf die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellte Rangordnung, nach der die oben genannten Rechtsquellen zwischen dem EG-Vertrag und dem Sekundärrecht anzusiedeln sei312. 309 Diese Argumentation findet sich bei: J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 108; A. Haller, Mercosur, S. 137; J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 10; S. Jardel/A. Barraza, Mercosur – Aspectos jurídicos y económicos, S. 85; J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, 742; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 174; C. E. Delpiazzo, Fuentes del Derecho de la Integración, S. 69, 75; so wohl auch: R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 525; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 54; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 216; S. Jardel/A. Barraza, Mercosur – Aspectos jurídicos y económicos, S. 85. 310 Art. 14 Nr. III des Protokolls von Ouro Preto. 311 Art. 16 des Protokolls von Ouro Preto; zum institutionellen Gefüge siehe Teil 1, II.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht In der Europäischen Union wird die Lehre der einzelnen Rechtsquellen vom übergeordneten Begriff des Europäischen Gemeinschaftsrechts oder Europarechts313 überlagert. Es besteht insoweit Einigkeit darüber, dass als Gemeinschaftsrecht im engeren Sinne das Recht der EGKS314, der EAG, des EWG und das der Europäischen Union insgesamt bezeichnet wird315. Dabei hat sich eine EU-Gemeinschaftsrechts-Dogmatik entwickelt, die das Gemeinschaftsrecht als eine eigenständige, autonome, d.h. von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten losgelöste Rechtsordnung begreift316. 312 Vgl. J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 108 ff.; M. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 91 f. Anmerkung: Auf welche Urteile sich die Autoren beziehen, ist nicht klar. Das Verhältnis des Völkerrechts und der völkerrechtlichen Verträge, die die Gemeinschaft geschlossen hat, zum Gemeinschaftsrecht ist aufgrund widersprüchlicher Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs durchaus umstritten. Zwar geht die Literatur wie die zitierten Autoren überwiegend davon aus, dass Völkerrecht und Verträge mit Drittstaaten grundsätzlich oberhalb des Sekundärrechts und unterhalb des Primärrechts stehen (vgl. etwa jeweils m. w. N.: C. Tomuschat, Art. 281 u. 300 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 43, 83, 102; J. Zimmerling, Art. 281, in: C. O. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), EU- und EG-Vertrag, Kommentar, 3. Aufl. 2003, Rn. 15). Zwingende Völkerrechtssätze (ius cogens) gehen jedoch nach herrschender Meinung auch dem primären Gemeinschaftsrecht vor, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 189 Rn. 20; J. Zimmerling, Art. 281, in: Lenz/Borchardt, Rn. 15; C. Tomuschat, Art. 281 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 43. 313 Allerdings bezeichnete der Begriff Europarecht ursprünglich das Recht der west-, süd- und nordeuropäischen Organisationen, insbesondere das Recht der NATO, der OECD und der EFTA, vgl. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 4. Zum Begriff Europarecht vgl. auch: M. Herdegen, Europarecht, 2004, S. 1–5; T. Oppermann, Europarecht, S. 1 f. Rn. 2. 314 Durch Zeitablauf am 23.07.2002 außer Kraft getreten. 315 Vgl. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 5; R. Streinz, Europarecht, S. 1 Rn. 1; T. Oppermann, Europarecht, S. XLIX und S. 1 f. Rn. 2; M. Herdegen, Europarecht, S. 1 f. Rn. 2 f. 316 Diese Dogmatik beruht im Wesentlichen auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. In der Entscheidung „Costa/ENEL“ stellt der Gerichtshof erstmals fest, dass das vom EG-Vertrag geschaffene Recht aus einer „autonomen Rechtsquelle“ fließe und daher eine eigenständige, von dem Recht der Mitgliedstaaten unterschiedene Rechtsordnung darstelle, vgl. EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, 1251, 1269 f. Diese Rechtsprechung wurde durch spätere Entscheidungen gefestigt, vgl. EuGH v. 09.03.1978, Rs. 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal), Slg. 1978, 629, 643 ff. und Rn. 14, 16; EuGH v. 14.12.1991, Gutachten 1/91 (EWR), Slg. 1991 I, 6079, 6080 f. und 6105; EuGH v. 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich/Italien), Slg. 1991 I, Rn. 31; zuletzt: EuGH v. 20.09.2001, Rs. C-453/99 (Courage/Crehan), Slg. 2001 I, 6297, Rn. 19. In Anlehnung an die europäische Rechtsprechung geht auch

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Diese Rechtsordnung begründe eine von der öffentlichen Gewalt der Mitgliedstaaten unterschiedene und potentiell überlegene öffentliche Gemeinschaftsgewalt317. Sie unterscheide sich vom Völkerrecht ebenso wie von dem Recht der Mitgliedstaaten318: die Gemeinschaften sind zwar mit Mitteln und in Formen eines völkerrechtlichen Vertragsabschlusses errichtet worden, doch gleichwohl könne das Europäische Gemeinschaftsrecht in seiner Eigenart und Substanz nicht Völkerrecht genannt werden319. Aus dieser Charaktereigenschaft als sowohl vom innerstaatlichen Recht als auch vom zwischenstaatlichen Recht, dem Völkerrecht320, losgelösten Rechtsordnung entstammt der häufig verwendete Begriff des supranationalen Rechts321. das deutsche Bundesverfassungsgericht davon aus, dass es sich bei dem europäischen Recht um eine eigenständige, andere Rechtsordnung handle und das Recht insofern aus einer „autonomen Rechtsquelle“ fließe, vgl. BVerfGE 22, 293 (296). Wohl in Anlehnung an die Rechtsprechung ebenso H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 63; G. Nicolaysen, Europarecht I, 1991, S. 29 f.; R. Streinz, Europarecht, S. 47 Rn. 120 f.; M. Herdegen, Europarecht, S. 70 f. Kritisch zu der Dogmatik des Europäischen Gerichtshofs: K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), insb. S. 97 f.; siehe auch: Teil 1, IV. 1, S. 96 ff. 317 Hierzu R. Streinz, Art. 1 EGV, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, S. 223 Rn. 18; M. Herdegen, Europarecht, S. 70 Rn. 10; R. Scholz, Art. 23, in: T. Maunz/G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Loseblatts. Stand 2006, Rn. 14; M. Zuleeg, Art. 1 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 22 ff.; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 7, S. 60 ff., S. 237 ff. Das Bundesverfassungsgericht spricht von einer der „Staatsgewalt der Mitgliedstaaten deutlich geschiedenen, supranationalen, öffentlichen Gewalt“ (BVerfGE 22, 293 (295 f.), von einer „Gemeinschaftsgewalt“ bzw. von einer der „Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt“, vgl. BVerfGE 89, 155 (175, 187). Anders: Schachtschneider, der darlegt, dass die Verträge überhaupt keine Gewaltbefugnisse schaffen, sondern die Organe in die Staatlichkeit der Mitgliedstaaten integrieren, die Staatlichkeit der Union mithin die Staatlichkeit der Mitgliedstaaten ist, vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 93 f.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 70 f.; kritisch auch: P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII, S. 855–887, Rn. 66. Hierzu ausführlicher in Teil 1, IV. 1, S. 96 ff. 318 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 7 und 8; T. Oppermann, Europarecht, S. 139 Rn. 5; R. Scholz, Art. 23, in: T. Maunz/G. Dürig (Hrsg.), GG – Kommentar, Rn. 14. In Anlehnung an diese Argumentation so auch BVerfGE 22, 293 (296). In späteren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht allerdings die völkerrechtliche Grundlage des Europäischen Gemeinschaftsrechts entgegen der „Eigenständigkeit“ bekräftigt, vgl. BVerfGE 73, 339 (384); 75, 223 (242) und zuletzt: 2 BvR 2236/04 v. 24.11.2004, Rn. 81. Hierzu ausführlich R. Streinz, Europarecht, S. 80 ff. Rn. 225 ff. 319 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 6 und 7. Anders aber das deutsche Bundesverfassungsgericht, vgl. Hinweise in Fn. 318 (1. Teil). 320 Völkerrecht ist zwischenstaatliches Recht, vgl. C. Gloria/V. Epping, Der Staat im Völkerrecht, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 325 ff.; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 11 Rn. 1.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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Merkmal einer supranationalen Gemeinschaft ist die Übertragung von Souveränitätsrechten (Hoheitsrechten) der Vertragsstaaten auf Gemeinschaftsorgane322. Die Vertragsstaaten können durch die supranationalen Gemeinschaftsorgane in bestimmten, ursprünglich in der Hoheitsgewalt der Mitgliedstaaten stehenden Bereichen auch gegen deren ausdrückliche Zustimmung verpflichtet werden323. Fraglich ist, ob ein Derecho Comunitario Mercosureño, ein MercosurGemeinschaftsrecht, vergleichbar mit dem EU-Gemeinschaftsrecht, existiert. Während einerseits kein Zweifel an seinem Vorhandensein gelassen wird324, gehen die meisten Autoren davon aus, dass eine dem EU-Gemeinschaftsrecht vergleichbare Rechtsordnung im Mercosur gegenwärtig nicht besteht325. Aufgrund des Fehlens einer eigenständigen GemeinschaftsrechtsDogmatik im Mercosur kann diese Frage nicht abschließend geklärt werden326. In der Diskussion um die Existenz eines Mercosur-Gemeinschafts321 Der Begriff tauchte erstmals im EGKS-Vertrag auf, der die Tätigkeit der Kommission als supranational bezeichnete, und ist seither fester Bestandteil der politischen und wissenschaftlichen Terminologie geblieben, vgl. etwa M. Zuleeg, Art. 1 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 6 f.; BVerfGE 89, 155 (175). 322 Zuerst: H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 68. Begründend auf: EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251, 1269. 323 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 67–70; vgl. auch: M. Zuleeg, Art. 1 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 6, Rn. 22 ff.; C. Callies, Art. 1 EUV, in: ders./Ruffert, Rn. 2. Allerdings konnten auch andere, nicht als supranational charakterisierte Organisationen direkt für Individuen verbindliche Anordnungen erlassen und dadurch Hoheitsrechte der Vertragsstaaten einschränken, vgl. I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 0114. Kritisch: K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 52 ff. Zur Supranationalität des Mercosur ausführlich Teil 1, IV. 4. 324 So etwa: M. Midón, El mayor desafío del siglo, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 914 ff.; C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 14, 23; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 210; M. Á. Ekmekdjian, ¿Una constitución para el Mercosur?, ADCL 1999, S. 36, 84 u. 86; A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur – Análisis del Tratado de Asunción y de los Protocolos de Brasilia y de Ouro Preto, in: ders. (Hrsg.), Curso de Derecho Procesal Internacional y comunitario del Mercosur, 1997, S. 117; L. A. Estoup/J. Fernández Reyes, Prólogo, in: dies. (Hrsg.), Derecho vigente del Mercsour – Normativa Incorporada por los Estados Partes, Laudos Arbitrales, Normas Técnicas, Circulación de Capitales y Servicios, 2001, S. VII; R. Bloch, Aportes para la resolución de conflictos en el Mercosur, S. 50, 52; ders., Solución de controversias en el Mercosur, in: ders. (Hrsg.) La construcción del Mercosur – La evolución de un nuevo actor en las relaciones internacionales, 2003, 65. 325 Vgl. Fn. 631 (1. Teil). 326 So auch Comisión Nacional de Juristas de Uruguay, Documento de trabajo, zitiert nach: J. Pérez Otermin, Solución de controversias en el Mercosur, 1992, S. 151–170.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

rechts wird in der Literatur regelmäßig auf die Kriterien des EU-Gemeinschaftsrechts zurückgegriffen. Im Folgenden werden die Charakteristika des EU-Gemeinschaftsrechts daher kurz dargestellt. 1. Begriffe des EU-Gemeinschaftsrechts Das EU-Gemeinschaftsrecht zeichnet sich nach ganz herrschender Lehre durch ein besonderes Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aus327. Dies sind die – unmittelbare Geltung, – unmittelbare Anwendbarkeit, – und der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht. Diese Kriterien gelten sowohl für das Primärrecht als auch für das Sekundärrecht328. Sie sind nicht aus den Verträgen ableitbar, sondern wurden durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickelt und sind Ausfluss der Anerkennung eines eigenständigen, autonomen Rechtscharakters des Gemeinschaftsrechts, welches unabhängig von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aus sich selbst heraus nach seinen eigenen Grundregeln entsteht329.

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R. Streinz, Art. 1 EGV, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, S. 223 f. Rn. 17–22; ders., Europarecht; S. 72–81 Rn. 190–229; W. Schroeder, Art. 249, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 3651; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 55 f. Rn. 3; F. Emmert, Europarecht, S. 137–162; M. Ruffert, Art. 249 EGV, in: Calliess/ders., Rn. 16–24; B. Wegener, Art. 220 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 22–27; R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 162–173; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 67–73; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 94–101. Zum Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten vgl. auch: T. Oppermann, Europarecht, S. 181 ff. Rn. 1 ff.; M. Herdegen, Europarecht, S. 79 ff. Die Dogmatik des Europäischen Gerichtshofs wurde auch vom Bundesverfassungsgericht übernommen. Hierzu D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, S. 85 ff. Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht der europäischen Integration gezogen hat, vgl. ebenda S. 417–522. Eine kritische Bewertung der Dogmatik des Europäischen Gerichtshofs findet sich weiter unten in diesem Gliederungspunkt, S. 96. 328 Seit der Entscheidung „van Gend & Loos“ des Europäischen Gerichtshofs, hierzu nächster Absatz „unmittelbare Geltung“. 329 Vgl. EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251 ff.; EuGH v. 09.03.1978, Rs. 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal), Slg. 1978, 629, 643 ff. und Rn. 14/16; vgl. hierzu T. Oppermann, Europarecht, S. 183 Rn. 3 ff.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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Unmittelbare Geltung Unmittelbare Geltung bedeutet, dass das Gemeinschaftsrecht ohne Mitwirkung der nationalen Legislativorgane in Form von Transformation, Adoption oder Inkorporation in den Mitgliedstaaten gilt330. Das Recht gilt nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch in den Mitgliedstaaten331. Während der EG-Vertrag für die Verordnung festhält, dass sie in „allen Teilen verbindlich“ ist und „unmittelbar“ in jedem Mitgliedstaat gilt332, gibt es eine solche Feststellung für die anderen Rechtsakte und das Primärrecht nicht. In der grundlegenden, als „Van Gend & Loos“ bezeichneten Entscheidung, judiziert der Europäische Gerichtshof, dass alle Normen des Gemeinschaftsrechts, die der Sache nach abschließend und vollständig sind, also in funktionaler Betrachtung zu ihrer Anwendbarkeit keiner weiteren Ausführungsakte bedürfen, für sämtliche ihrer Adressaten unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten sind333. Das Gemeinschaftsrecht ist geeignet, subjektive Rechte und Pflichten für natürliche und juristische Personen zu begründen334. Diese abstrakte Eignung zur so genannten unmittelbaren Anwendbarkeit335 des Europäischen Gemeinschaftsrechts nennt man die unmittelbare Geltung336. Die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts sind nach dieser Rechtsprechung automatisch vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an, also ohne weiteres Tätigwerden der nationalen Regierungen oder 330 EuGH v. 09.03.1978, Rs. 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal), Slg. 1978, 629, Rn. 14/16; A. Bleckmann, Europarecht – Das Recht der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften, 6. Aufl. 1997, Rn. 409; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 55 f. Rn. 3; W. Schroeder, Art. 249, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 37 und S. 2170 Rn. 48; T. Oppermann, Europarecht, S. 184 ff. Rn. 8 ff.; G. Schmidt, Art. 249 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 8; I. Pernice/F. C. Mayer, Art. 220 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 28; R. Streinz, Europarecht, S. 148 Rn. 429; M. Nettesheim, Art. 249 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 121; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 70; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 57 f. 331 J. C. Wichard, Art. 1 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 2; G. Schmidt, Art. 249 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 8; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 108. 332 Art. 249 EGV. 333 EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1, 24 f.; EuGH v. 09.03.1978, Rs. 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal), Slg. 1978, 629, Rn. 14/16; EuGH v. 14.12.1991, Gutachten 1/91 (EWR), Slg. 1991 I, 6079, 6080 f. 334 EuGH v. 05.04.1979, Rs. 148/78 (Ratti), Slg. 1979, 1629, Rn. 19; EuGH v. 19.01.1982, Rs. 8/81 (Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt), Slg. 1982, 53, Rn. 25, Rn. 21; EuGH v. 17.05.1972, Rs. 93/71 (Leonesio/Ministerium für Landwirtschaft), Slg. 1972, 287, 294 Rn. 6/6; vgl. auch Hinweise in Fn. 340 (1. Teil). 335 Vgl. folgender Absatz. 336 F. Emmert, Europarecht, S. 152 Rn. 1 f.

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Parlamente in den Mitgliedstaaten, verbindliches Recht337. Zur Begründung führt der Gerichtshof teleologische Gesichtspunkte an. Die Gemeinschaftsverträge seien nach Zielsetzung und Eigenart darauf angelegt, dass Gemeinschaftsrecht unmittelbar gelte und gegebenenfalls auch unmittelbar anwendbar sei338. Unmittelbare Anwendbarkeit An den Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil „Van Gend & Loos“ wird deutlich, dass die unmittelbare Anwendbarkeit und Geltung gemeinschaftsrechtlicher Normen zusammenhängen. Beide Begriffe sind aber voneinander zu unterscheiden339. Eine völkerrechtliche Vorschrift ist unmittelbar anwendbar, wenn sie subjektive Rechte und Pflichten begründet, also wenn man sich auf sie vor staatlichen Organen, insbesondere vor einem Gericht, berufen kann, um deren Anwendung einzufordern340. Dabei setzt die 337 EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1, 26; EuGH v. 09.03.1978, Rs. 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal), Slg. 1978, 629, Rn. 14/16; bezogen auf EG-Verordnungen: EuGH v. 17.05.1972, Rs. 93/71 (Leonesio/Ministerium für Landwirtschaft), Slg. 1972, 287, 294 Rn. 6/6; EuGH v. 24.06.2004, Rs. C-278/02 (Handlbauer), Slg. 2004 I, 6171, Rn. 25. Vgl. auch: G. Schmidt, Art. 249 EG, in Groeben/Schwarze, Rn. 8; I. Pernice/F. C. Mayer, Art. 220 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 28. 338 EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1, 24 f.; EuGH v. 09.03.1978, Rs. 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal), Slg. 1978, 629, Rn. 14/16; D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, S. 85. 339 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 103; E. Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von europäischem Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 8; m. w. N.: W. Schroeder, Art. 249, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 37. 340 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 103; ders./dies., Das Verhältnis – Teil I, in: DSWR 1999, S. 17; C. Gloria, Völkerrecht und Landesrecht in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht (1990), S. 1090 f.; W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, S. 39 Rn. 86 f.; M. Herdegen, Europarecht, S. 146 f. Rn. 13; W. Schroeder, Art. 249, R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 37 und S. 2170 Rn. 48; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, S. 57 Rn. 37; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 70; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 58 f.; ebenso bereits H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 120 f. Grundlegend: EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1, 24–27; bestätigt durch: EuGH v. 16.06.1966, Rs. 57/65 (Lütticke/Hauptzollamt Saarlouis), Slg. 1966, 258, 267; EuGH v. 04.12.1974, Rs. 41/74 (Van Duyn/Home Office), Slg. 1974, 1337, 1347; EuGH v. 08.04.1976, Rs. 43/75 (Defrenne/Sabena), Slg. 1976, 455, Rn. 40; EuGH v. 09.03.1978, Rs. 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal), Slg. 1978, 629, Rn. 14/16; EuGH v. 05.03.1996, Rs. C-46/93 u. C-48/93 (Brasserie/BRD), Slg. 1996 I, 1029, Rn. 23; EuGH v.

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unmittelbare Anwendbarkeit die unmittelbare Geltung voraus341. Eine völkerrechtliche Vorschrift kann nur dann unmittelbar, das heißt von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an von nationalen Behörden und Gerichten angewendet werden, wenn ihre innerstaatliche Geltung keinen Transformationsakt voraussetzt, sie nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden muss. Zusätzlich muss die Norm so hinreichend klar, vollständig und unbedingt formuliert sein, dass sie ohne weitere Ausführungsvorschriften (unmittelbar) Rechte und/oder Pflichten für natürliche oder juristische Personen in den Mitgliedstaaten begründet342. Hierzu hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache „Costa/ENEL“343 ausgeführt: „Zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen hat der EWG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die bei seinem Inkrafttreten in die Rechtordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist“. Denn, so führt der Gerichtshof weiter aus, mit der Gründung der Gemeinschaft hätten die Mitgliedstaaten Hoheitsrechte auf die Gemeinschaft übertragen und dadurch ihre eigenen Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist344. Die unmittelbare Anwendbarkeit wird häufig auch unmittelbare Wirkung genannt345. 04.05.1999, Rs. C-262/96 (Sürül/BfA), Slg. 1999 I, 2685, Rn. 74; zuletzt: EuGH v. 12.04.2005, Rs. C-265/03 (Simutenkov/Ministerio de Educación), Slg. 2005 I, 2579, Rn. 29. 341 So deutlich wie kaum ein anderer F. Emmert, Europarecht, S. 153 Rn. 3; S. van Raepenbusch, Droit institutionnel de l’Union et des communautés européennes, 1996, S. 317, zitiert nach R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 58; so wohl auch: Oppermann, der zwar den Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit vermeidet, aber die unmittelbare Geltung als Voraussetzung für die Schaffung subjektiv-öffentlicher Rechte und Pflichten ansieht, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 185 f. Rn. 10 f.; nicht anders: R. Streinz, Europarecht, S. 148 Rn. 428; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 37 ff. Rn. 83 ff. In diesem Sinne bereits H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 121 f.; L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I, S. 533 f. 342 EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1, 24 ff.; EuGH v. 16.06.1966, Rs. 57/65 (Lütticke/Hauptzollamt Saarlouis), Slg. 1966, 258, 266; EuGH v. 04.12.1974, Rs. 41/74 (Van Duyn/Home Office), Slg. 1974, 1337, 1347; EuGH v. 19.01.1982, Rs. 8/81 (Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt), Slg. 1982, 53, Rn. 25, 27; EuGH v. 22.03.1977, Rs. 74/76 (Iannelli/Meroni), Slg. 1977, 557, 576 Rn. 13; EuGH v. 29.11.1978, Rs. 83/78 (Pigs Marketing Board/Redmond), Slg. 1978, 2347, 2374 Rn. 66/67. Vgl. auch R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 59. 343 EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251, 1269. 344 Diese Dogmatik des Europäischen Gerichtshofs wird kritisiert, hierzu weiter unten in diesem Gliederungsabschnitt, S. 96. 345 In der Literatur vgl. M. Ruffert, Art. 249 EGV, in: Calliess/ders., Rn. 17 ff.; G. Schmidt, Art. 249 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 8 ff.; C. O. Lenz, Art. 1, in:

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Der Gerichtshof leitet die unmittelbare Geltung wie auch Anwendbarkeit demnach aus der Eigenart der Rechtsgemeinschaft ab, die sich von gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen durch die Souveränitätsrechte beschränkende Übertragung von Hoheitsrechten unterscheide346. Diese Auffassung hat der Gerichtshof im Urteil „Simmenthal“ bestätigt. Hier führt er aus: „Unmittelbare Geltung bedeutet unter diesem Blickwinkel, dass die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit entfalten müssen. Diese Bestimmungen sind somit unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten für alle diejenigen, die sie betreffen, einerlei, ob es sich um die Mitgliedstaaten oder um solche Einzelpersonen handelt, die an Rechtsverhältnissen beteiligt sind, welche dem Gemeinschaftsrecht unterliegen“347. Eine Besonderheit stellen in der Europäischen Union Richtlinien dar348. Obwohl gemäß Art. 249 EGV Richtlinien im Unterschied zu Verordnungen nur für die Mitgliedstaaten verbindlich sind und nicht unmittelbar in den ders./Borchardt, Rn. 3; M. Nettesheim, Art. 249 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 27 ff. Zum Teil wird in Anlehnung an H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 121 auch von (unmittelbarem) „Durchgriff“ des Unionsrechts gesprochen, vgl. R. Streinz, Europarecht, S. 50 f. Rn. 128, 131; ders., Art. 1 EGV, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, S. 224 Rn. 22; M. Nettesheim, Art. 249 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 29. In der Rechtsprechung vgl. EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/ Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1, 24 ff.; EuGH v. 16.06.1966, Rs. 57/65 (Lütticke/Hauptzollamt Saarlouis), Slg. 1966, 258, 265 ff.; EuGH v. 17.05.1972, Rs. 93/71 (Leonesio/Ministerium für Landwirtschaft), Slg. 1972, 287, 294 Rn. 4/5 ff.; EuGH v. 04.12.1974, Rs. 41/74 (Van Duyn/Home Office), Slg. 1974, 1337, Rn. 12 ff.; EuGH v. 08.04.1976, Rs. 43/75 (Defrenne/Sabena), Slg. 1976, 455, Rn. 68; EuGH v. 22.03.1977, Rs. 74/76 (Iannelli/Meroni), Slg. 1977, 557, 576 Rn. 13; EuGH v. 19.01.1982, Rs. 8/81 (Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt), Slg. 1982, 53, Rn. 25, Rn. 21 ff.; EuGH v. 14.12.1991, Gutachten 1/91 (EWR), Slg. 1991 I, 6079, Rn. 21; EuGH v. 05.03.1996, Rs. C-46/93 u. C-48/93 (Brasserie/BRD), Slg. 1996 I, 1029, Rn. 23, 95; EuGH v. 04.05.1999, Rs. C-262/96 (Sürül/BfA), Slg. 1999 I, 2685, Rn. 48 ff.; EuGH v. 24.06.2004, Rs. C-278/02 (Handlbauer), Slg. 2004 I, 6171, Rn. 25.; EuGH v. 12.04.2005, Rs. C-265/03 (Simutenkov/Ministerio de Educación), Slg. 2005 I, 2579, Rn. 26, 29. 346 Zuerst: EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, S. 24 ff. 347 EuGH v. 09.03.1978, Rs. 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal), Slg. 1978, 629, 643 f. und Rn. 14/16; bestätigt durch: EuGH v. 27.03.1980, Rs. 61/79 (Amministrazione delle Finanze/Denkavit), Slg. 1980, 1205, Rn. 14; EuGH v. 10.06.1080, Rs. 811/79 (Amministrazione delle Finanze/Ariete), Slg. 1980, 2545, Rn. 5; EuGH v. 19.06.1990, Rs. C-213/89 (Queen/Factortame u. a.), Slg. 1990 I, 2433, Rn. 18. 348 Die Richtlinie wurde als „eigentümlicher Rechtsakt des Gemeinschaftsrechts“ bezeichnet, vgl. L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I, S. 615.

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Mitgliedstaaten gelten, hat der Gerichtshof Richtlinien unter bestimmten Voraussetzungen für unmittelbar anwendbar befunden, nämlich wenn sie hinreichend klar und ohne Umsetzungsspielraum formulieret sind, so dass sich aus ihnen Rechte Privater gegenüber dem Staat ableiten lassen und zudem die Frist für die innerstaatliche Umsetzung abgelaufen ist349. Wenn sich die Mitgliedstaaten auf ihr eigenes Verschulden berufen könnten, um daraus Vorteile zu erzielen, würde die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts abgeschwächt350. Da die unmittelbare Anwendbarkeit die unmittelbare Geltung voraussetzt, kommt Richtlinien, deren Umsetzungsfrist abgelaufen ist, im Ergebnis ebenso wie den Verordnungen eine unmittelbare Geltung zu351. Nur wenn die Richtlinie den Staat verpflichtet und Individuen berechtigt, nicht aber im umgekehrten Fall, sind nicht umgesetzte Richtlinien unmittelbar anwendbar352. Aus einer nicht umgesetzten Richtlinie können keine Pflichten der Bürger gegenüber dem Staat abgeleitet werden353. Eine solche Regelung treffe hinsichtlich der Sanktionierung den 349 Der Europäische Gerichtshof spricht von einer „unmittelbaren Wirkung“, die Richtlinien besitzen könnten, vgl. EuGH v. 06.10.1970, Rs. 9/70 (Grad/Finanzamt Traunstein), Slg. 1970, 825, Rn. 5 ff.; EuGH v. 04.12.1974, Rs. 41/74 (Van Duyn/ Home Office), Slg. 1974, 1337, 1348 ff.; EuGH v. 01.02.1977, Rs. 51/76 (Nederlandse Ondernemingen/Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen), Slg. 1977 I, 113, 126 ff.; EuGH v. 05.04.1979, Rs. 148/78 (Ratti), Slg. 1979, 1629, 1641 f. Rn. 18–24; EuGH v. 19.01.1982, Rs. 8/81 (Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt), Slg. 1982, 53, Rn. 25, 27; EuGH v. 29.04.2004, Rs. C-476/01 (Kapper), Slg. 2004 I, 5205, Rn. 62. Vgl. auch: M. Herdegen, Europarecht, S. 161 ff. Rn. 44 ff.; R. Streinz, Europarecht, S. 154–164 Rn. 443–460; T. Oppermann, Europarecht, S. 168 ff. Rn. 92 ff.; sehr ausführlich und auch zur Frage der Notwendigkeit der Existenz eines subjektiven Rechts: M. Ruffert, Art. 249 EGV, in: Calliess/ders., Rn. 69 ff.; M. Nettesheim, Art. 249 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 154–186; C. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien – Von der unmittelbaren Wirkung bis zum Schadensersatzanspruch, 1999, insb. S. 67 ff. 350 So der Tenor im Urteil: EuGH v. 05.04.1979, Rs. 148/78 (Ratti), Slg. 1979, 1629, Rn. 18–24; EuGH v. 19.01.1982, Rs. 8/81 (Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt), Slg. 1982, 53, Rn. 23–25; EuGH v. 12.07.1990, Rs. C-188/89 (Foster/British Gas), Slg. 1990 I, 3313, Rn. 16. Vgl. auch: R. Streinz, Europarecht, S. 154 f. Rn. 444; H. Hetmeier, Art. 249, in: Lenz/Borchardt, Rn. 12; C. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, S. 71. 351 So auch F. Emmert, Europarecht, S. 158 Rn. 14; C. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, S. 79; ähnlich: T. Oppermann, Europarecht, S. 166 Rn. 84, der aufgrund der Unmittelbarkeitswirkung von Richtlinien diese in die „Nähe der Verordnung gerückt“ sieht. Diese Rechtsprechung ist bedenkenswert. Richtlinien sollten angesichts der klaren Bestimmung in Art. 249 Abs. 3 EGV gerade keine unmittelbare Geltung in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zukommen. 352 EuGH v. 08.10.1987, Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen BV), Slg. 1987, 3969, 3985 f.; C. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, S. 71 f. 353 EuGH v. 26.02.1986, Rs. 152/84 (Marshall/Health Authority), Slg. 1986, 723, Rn. 48; EuGH v. 08.10.1987, Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen BV), Slg. 1987,

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Falschen. Zuvor hatte der Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit belastender Richtlinien bereits in Rechtsverhältnissen zwischen Bürgern abgelehnt354. Klarstellung der Begrifflichkeit Die unmittelbare Geltung und die unmittelbare Anwendbarkeit werden in der Literatur (sowohl zum EU-Recht als auch zum Mercosur-Recht) manchmal nicht unterschieden und in einem gleichen Zusammenhang verwendet. Zuweilen wird auch der Begriff der unmittelbaren Wirkung gebraucht, ohne dass klar ist, ob die Pflicht zur Inkorporation des Rechts in innerstaatliches Recht oder die Begründung subjektiver Rechte und Pflichten gemeint ist355. Da es sich hierbei nicht um Normbegriffe des Europäischen Gemeinschaftsrechts, sondern um Begriffe aus der juristischen Wissenschaft handelt, verwundert eine uneinheitliche Auffassung über die Bedeutung dieser Begriffe nicht356. Nach der oben angeführten Definition meint die unmittelbare Anwendbarkeit die Begründung subjektiver Rechte und Pflichten für Indivi3969, 3985 f.; EuGH v. 26.09.1996, Rs. C-168/95 (ARCARO), Slg. 1996 I, 4705, Rn. 36 f.; H. Hetmeier, Art. 249, in: Lenz/Borchardt, Rn. 12. 354 EuGH v. 26.02.1986, Rs. 152/84 (Marshall/Health Authority), Slg. 1986, 723, 749; EuGH v. 14.07.1994, Rs. C-91/92 (Faccini Dori/Recreb), Slg. 1994 I, 3325, Rn. 19 ff. Hierzu ausführlich M. Ruffert, Art. 249 EGV, in: Calliess/ders., Rn. 78 ff.; C. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, S. 86 ff.; M. Herdegen, Europarecht, S. 163 ff. Rn. 47 ff. 355 Diese Kritik üben auch: M. Ruffert, Art. 249 EGV, in: Calliess/ders., Rn. 18; M. Nettesheim, Art. 249 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 31; F. Emmert, Europarecht, S. 154; A. Haller, Mercosur, S. 119 ff.; ebenso bereits H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 120. Eine nicht klare Trennung der drei Begriffe findet sich bei: M. Herdegen, Europarecht, S. 147 Rn. 14; R. Streinz, Europarecht, Rn. 407, 444 und 705; C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, S. 1389; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 111–115; M. Haag/B. Beutler, in: B. Beutler u. a. (Hrsg.), Die Europäische Union, Rn. 416, setzen einerseits die unmittelbare Geltung sowohl mit der unmittelbaren Wirkung als auch mit der unmittelbaren Anwendbarkeit gleich, unterscheiden andererseits aber die unmittelbare Wirkung von der unmittelbaren Anwendbarkeit (Rn. 159). Für T. Oppermann, Europarecht, S. 185 Rn. 10 bedeutet die „unmittelbare Geltung“ die Möglichkeit eines unmittelbaren Durchgriffs auf die Unionsbürger. Auch der Europäische Gerichtshof selbst spricht von einer „unmittelbaren Wirkung“ des Gemeinschaftsrechts und meint damit die Begründung subjektiver Rechte und Pflichten, also die unmittelbare Anwendbarkeit im oben definierten Sinne, vgl. EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1, 25 f.; EuGH v. 5.04.1979, Rs. 148/78 (Ratti), Slg. 1979, 1629, Rn. 18; EuGH v. 14.12.1991, Gutachten 1/91 (EWR), Slg. 1991 I, 6079, 6080 f. 356 A. Haller, Mercosur, S. 120. Im EG-Vertrag findet sich in der deutschen Fassung lediglich der Begriff der „unmittelbaren Geltung“, vgl. Art. 249 EGV.

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duen, während die unmittelbare Geltung auf die Notwendigkeit der innerstaatlichen Umsetzung abstellt357. Eine Norm, die unmittelbar gilt, bedarf keiner Eingliederung in die nationale Rechtsordnung für ihre Gültigkeit358. Eine Norm, die keine unmittelbare Geltung besitzt, folglich also erst in innerstaatliches Recht transformiert werden muss, kann nicht unmittelbar, sondern erst nach der Umsetzung in nationales Recht von nationalen Behörden und Gerichten angewendet werden. Die unmittelbare Anwendbarkeit gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften setzt daher die unmittelbare Geltung voraus359. Etwas anderes gilt wie erwähnt lediglich im Fall von Richtlinien, deren Frist zur Umsetzung verstrichen ist und die den Bürgern gegenüber dem Staat eine Rechtsposition verleihen. Teilweise wird unter der unmittelbaren Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm lediglich ihre Eigenschaft verstanden, rechtlich eindeutig und klar formuliert zu sein, so dass sie ohne weiteren Ausführungsakt Rechtswirkungen zu verschaffen geeignet ist, ohne dass jedoch ihre unmittelbare Geltung vorausgesetzt wird. Beispielsweise hält Walter Rudolf überhaupt nur unmittelbar anwendbare Völkerrechtssätze für innerstaatlich transformierbar360, und Gustav Walz ist der Ansicht, dass es völkerrechtliche Normen gäbe, die als „self-executing“ zu betrachten wären, aber innerstaatliche Geltung erst durch ein Staatsrechtsakt erhielten361. Es handelt sich hier nicht um die unmittelbare Anwendbarkeit, wie sie der Europäische Gerichtshof versteht und welche die Eigenschaft beschreibt, das gemeinsame Recht vor einem nationalen Gericht einklagen zu können. Wenn für die innerstaatliche Geltung des Völkerrechts ein nationaler Rechtsakt notwendig ist, können Individuen gerade nicht unmittelbar berechtigt oder verpflichtet werden, sondern nur mittelbar, nämlich kraft des Zustimmungsgesetzes oder Transformationsaktes362. Da die Justiziabilität Voraussetzung für die 357

Zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten siehe auch: A. Haller, Mercosur, S. 120 f.; F. Emmert, Europarecht, S. 152–154. 358 Sie ist mithin direkt „anwendbar“, was aber nicht die „unmittelbare Anwendbarkeit“ im oben angeführten Sinne meint, weshalb eine begriffliche Unklarheit nicht verwundert. 359 F. Emmert, Europarecht, S. 153 Rn. 3; S. van Raepenbusch, Droit institutionnel de l’Union et des communautés européennes, 1996, S. 317, zitiert nach R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 58. 360 W. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 1967, S. 173. 361 Er bezeichnet sie als Völkerrecht im „formellen Sinn“, vgl. G. Walz, Völkerrecht und staatliches Recht – Untersuchungen über die Einwirkungen des Völkerrechts auf das innerstaatliche Recht, 1933, S. 236–250. 362 Zu den verschiedenen Lehren der Einbeziehung völkerrechtlicher Normen in die staatliche Rechtsordnung (Transformations-, Vollzugs-, Adoptionslehre) vgl. C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, 2003, S. 298 ff.; G. Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, S. 150 ff.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Begründung subjektiver Rechte und Pflichten und damit für die Annahme einer unmittelbaren Anwendbarkeit ist, kann Völkerrecht, das eine wie immer geartete Inkorporation des Rechts in die nationale Rechtsordnung erfordert, nicht unmittelbar anwendbar sein, auch dann nicht, wenn die zugrunde liegende völkerrechtliche Norm klar und bestimmt ist und keiner weiteren Materialisierung bedarf. Die unterschiedlichen Auffassungen über die Reichweite des Begriffs der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Völkerrechtsnorm finden sich, wie noch zu sehen sein wird, auch in verschiedenen Mercosur-Schiedsgerichtsurteilen wieder. Unklarheit über die genaue Bedeutung dieser Begriffe besteht auch in der spanischen Literatur363, wenngleich hier offensichtlich mehr Einigkeit über die Begrifflichkeit herrscht. Regelmäßig wird zwischen aplicación inmediata und aplicación directa (manchmal auch: efecto directo oder invocabilidad directa) unterschieden, wobei ersteres die unmittelbare Geltung und letzteres die unmittelbare Anwendbarkeit meint364. 363

Hierauf verweisen: S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 29; A. Haller, Mercosur, S. 121. 364 In dem Sinne, wie die Begriffe zuvor definiert wurden, vgl. N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 120; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 69 ff.; A. Perotti, El Derecho de Integración en el Mercosur, S. 79 ff.; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 57–61; L. A. Estoup/J. Fernández Reyes, Prólogo, in: dies. (Hrsg.), Derecho vigente del Mercsour, S. VII; E. I. Rimoldi de Ladmann, La toma de decisiones en el Mercosur, in: dies. (Hrsg.), Derecho y Política de Defensa de la Competencia – Análisis Comparado, 2000, S. 141; A. Dreyzin de Klor, Algunas reflexiones sobre la cooperación jurisdiccional internacional en torno a la calidad del derecho de la integración, Revista de Derecho Privado y Comunitario 2000, S. 581 ff. S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 29 f. und S. 69; J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 174; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 80. Übereinstimmend: A. Baars/P. Bischoff-Everding, Antidumping und Ursprungsregime, EuZW 2002, S. 331 in Fn. 21. Inkonsequenterweise wird im gleichen Artikel, S. 334 der in Rn. 6.3 der Erklärung zum fünften Mercosur-Schiedsspruch verwendete Begriff efecto directo mit unmittelbarer Geltung statt unmittelbarer Anwendbarkeit übersetzt. Manchmal wird auch in der Literatur zum Mercosur-Recht der Begriff efecto directo anstelle der aplicación inmediata verwendet oder es ist nicht ersichtlich, ob dieser Begriff sowohl die „unmittelbare Geltung“ als auch die „unmittelbare Anwendbarkeit“ meint, beispielhaft: J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano: Especial referencia al ámbito del Mercosur, in: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.), Avances del Derecho Internacional Privado – Liber Amicorum Jürgen Samtleben, 1. Aufl., 2002, S. 448; H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 51; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 200 ff.; das 7. Ad-hocSchiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte) spricht in Rn. 7.3 von unmittelbarer Anwendbarkeit (aplicación directa), aus der die Pflicht zur innerstaatlichen Umsetzung von Mercosur-Recht folge.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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Vorrang Der Vorrang von Gemeinschaftsrecht ist nicht mit dessen unmittelbarer Geltung identisch. So könnte das Gemeinschaftsrecht in den Mitgliedstaaten gelten, ohne aber im Falle der Kollision mit innerstaatlichem Recht Vorrang zu haben365. Vorrang von Gemeinschaftsrecht bedeutet, dass entgegenstehendes nationales Recht unanwendbar wird366, nicht nichtig367. Das Gemeinschaftsrecht beansprucht demnach einen Anwendungsvorrang, keinen Geltungsvorrang368. Grundlegend für die Begründung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts war auch hier die Entscheidung „Costa/ENEL“ des Europäischen Gerichtshofs. Für die Begründung des Vorrangs führt der Europäische Gerichtshof weiter teleologische Gesichtpunkte an: Wortlaut und Geist der Verträge hätten zur Folge, dass es den Staaten unmöglich sei, „gegen eine von ihnen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommenen Rechtsordnung nachträglich einseitige Maßnahmen ins Feld zu führen“. Schließlich wären die Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten eingegangen wären, keine „unbedingten mehr, sondern nur noch eventuelle, wenn sie durch spätere Gesetzgebungsakte der Signatarstaaten in Frage gestellt werden könnten“. Dem Gemeinschaftsrecht, das aus einer eigenständigen und „autonomen Rechtsquelle“ fließe, könnten „keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtvorschriften vorgehen“, „wenn ihm nicht der Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll“369. Die These vom Vorrang des Gemein365 M. w. N.: K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 119; ders./dies., Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, DSWR 1999 Nr. 1–2, S. 117; C. D. Classen, Art. 24, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Rn. 34. 366 EuGH v. 04.04.1968, Rs. 34/67 (Lück/Hauptzollamt Köln-Rheinau), Slg. 1968, 363, 373; EuGH v. 09.03.1978, Rs. 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/ S.p.A. Simmenthal), Slg. 1978, 629, 644 f. Rn. 17/18; EuGH v. 19.06.1990, Rs. C-213/89 (Queen/Factortame u. a.), Slg. 1990 I, 2433, 2473 Rn. 18; EuGH v. 07.02.1991, Rs. C-184/89 (Nimz/Stadt Hamburg), Slg. 1991 I, 297, Rn. 19; m. w. N.: M. Zuleeg, Art. 1 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 26; R. Streinz, Europarecht, Rn. 222; ders., Art. 1 EGV, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, S. 224 Rn. 20; T. Oppermann, Europarecht, S. 186 Rn. 12; I. Pernice/F. C. Mayer, Art. 220 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 29; M. Nettesheim, Art. 249 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 42. 367 So aber: E. Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, 1966, S. 98–112. 368 So ausdrücklich BVerfGE 73, 339, (375); 75, 223 (244); 85, 191 (204); zuletzt: 1 BvR 1054/01 v. 28.03.2006, Rn. 77. 369 EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251, 1269 f. Hierzu ausführlich G. Schmidt, Art. 249 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 2 ff.; M. Nettesheim, Art. 249 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 37 ff.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

schaftsrechts hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung wiederholt370. Später judiziert der Europäische Gerichtshof den Vorrang des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts ausdrücklich auch für Verfassungsbestimmungen der Mitgliedstaaten371. Exkurs: Kritik an der Dogmatik des Europäischen Gerichtshofs Das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht wurde seit Beginn der Gemeinschaften so intensiv wie keine andere Frage diskutiert372. Die vom Europäischen Gerichtshof entwickelte Lösung kann – zumindest was ihr Ergebnis anbelangt – als herrschende Lehre betrachtet werden373. Die dogmatischen Begründungen weichen jedoch von der des Europäischen Gerichtshofs ab374. Der Europäische Gerichtshof leitet die unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und den Vorrang des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts aus der Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung ab, die sich von ihrer völkerrechtlichen Grundlage gelöst habe375. Bei der Begründung führt 370 EuGH v. 13.02.1969, Rs. 14/68 (Wilhelm u. a./Bundeskartellamt), Slg. 1969, S. 1 ff., 14; EuGH v. 17.12.1970, Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft/Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide), Slg. 1970, 1125, 1135; EuGH v. 13.07.1972, Rs. 48/71 (Kommission/Italien), Slg. 1972, 529, 534 f.; EuGH v. 09.03.1978, Rs. 106/77 (Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal), Slg. 1978, 629, 644 f. Rn. 21/23; EuGH v. 19.06.1990, Rs. C-213/89 (Queen/Factortame u. a.), Slg. 1990 I, 2433, 2473 Rn. 18; EuGH v. 07.02.1991, Rs. C-184/89 (Nimz/Stadt Hamburg), Slg. 1991 I, 297, Rn. 19; EuGH v. 14.12.1991, Gutachten 1/91 (EWR), Slg. 1991 I, 6079, 6080 f.; Zum Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts vgl. auch: B. Wegener, Art. 220 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 22 ff.; R. Streinz, Europarecht, S. 78 Rn. 219; I. Pernice/F. C. Mayer, Art. 220 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 29; W. Schroeder, Art. 249, R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 40 ff. 371 Vgl. EuGH v. 17.12.1970, Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft/Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide), Slg. 1970, 1125, 1135; EuGH v. 13.07.1972, Rs. 48/71 (Kommission/Italien), Slg. 1972, 529, 534 – Kunstschätze II; EuGH v. 13.12.1979, Rs. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, 3727, 3744 f. Hierzu vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 186 Rn. 12 f.; M. Zuleeg, Art. 1 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 25 ff.; W. Schroeder, Art. 249, R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 44; C. D. Classen, Art. 23, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar, Rn. 53 ff.; vgl. auch bereits H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 70 f. 372 So R. Streinz, Europarecht, S. 73 Rn. 193. 373 R. Streinz, Europarecht, S. 75 Rn. 201; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 265 Rn. 851; B. Wegener, Art. 220 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 24. 374 R. Streinz, Europarecht, Rn. 201. Kritisch zu der Dogmatik des Europäischen Gerichtshofs: K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), insb. S. 97 f. 375 EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251; EuGH v. 14.12.1991, Gutachten 1/91 (EWR), Slg. 1991 I, 6079, 6080 f. und 6105;

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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er regelmäßig auch teleologische sowie auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit abstellende Kriterien an. Die Verwirklichung der Ziele der Verträge wäre in Frage gestellt, wenn dem Gemeinschaftsrecht durch nachträgliche nationale Gesetzgebung die einheitliche und gleichmäßige Geltung genommen werden könnte376. Die Existenz einer eigenständigen, autonomen, von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten losgelösten Gemeinschaftsrechtsordnung377 kann freiheitlich nicht begründet werden378. Rechtliche Verbindlichkeit kann nur aus dem Willen der Völker folgen379. Vom Volk als verfasste Bürgerschaft geht alle Staatsgewalt aus380, denn im Volk befindet sich die „ursprünglich oberste Gewalt“; das Volk ist der „Souverain selbst“381. Eine von den Verfassungen der Mitgliedstaaten unabhängige, autonome europäische Staatsgewalt setzt einen Unionsstaat im existentiellen Sinn, eine europäische Verfassung voraus382. Eine solche europäische Verfassung bedeutete eine eigenständige Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Rechtsprechungs- und GebietsEuGH v. 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich/Italien), Slg. 1991 I, Rn. 31; zuletzt: EuGH v. 20.09.2001, Rs. C-453/99 (Courage/Crehan), Slg. 2001 I, 6297, Rn. 19 (vgl. bereits oben, Fn. 316); R. Streinz, Europarecht, S. 76 Rn. 208 und S. 77 Rn. 210; ders., Art. 1 EGV, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, S. 223 Rn. 18; B. Wegener, Art. 220 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 22; M. Ruffert, Art. 249 EGV, in: Calliess/ ders., Rn. 19; W. Schroeder, Art. 249, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 36. 376 Vgl. K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 111. 377 Vgl. auch: H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 61 f. und S. 195. 378 Abgesehen davon begründet die Eigenständigkeit alleine keinen Vorrang, denn sie sagt nichts über das Rangverhältnis zu anderen Rechtsordnungen aus, hierauf verweist: R. Streinz, Europarecht, S. 77 Rn. 211. 379 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 59 f.; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 283; ders., Deutschland nach dem Vertrag, S. 68; ders., Res publica res populi, S. 325 ff., S. 520 ff., 560 ff., 637 ff., 707 ff.; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 107; gegen eine originäre Rechtsetzung auch: P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII, Rn. 38. 380 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 76; ders., Res publica res populi, S. 17 f., 64 f., 521; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 124 f.; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 283; ders., Deutschland nach dem Vertrag, S. 68; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 144, 507; so auch das deutsche Grundgesetz: Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. 381 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 159. 382 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 103 und 113; ähnlich: P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII, Rn. 63, der den Geltungsgrund für Europarecht in Deutschland im innerstaatlichen Recht liegen sieht. Vgl. auch bereits Hinweise in Fn. 253 (1. Teil).

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hoheit und würde die Verfassungshoheit der Mitgliedstaaten aufheben383 und damit deren existentielle Staatlichkeit einschränken. Die existentielle Staatlichkeit der Mitgliedstaaten kann – jedenfalls durch Staatsorgane – nicht aufgehoben werden384. In Deutschland verbieten dies die „Ewigkeitsklausel“ Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG und seit 1992 auch Art. 23 Abs. 1 GG n. F., der es nicht zulässt, die Bundesrepublik Deutschland im existentiellen Sinne zu entstaatlichen385. Eine neue Verfassung kann sich das Volk nur selbst geben. Das Recht zur obersten Gesetzgebung, also das Recht zur Verfassungsgebung, ist kein „veräußerliches, sondern das allerpersönlichste Recht“386. Unmittelbare Geltung und Vorrang vom Gemeinschaftsrecht lassen sich freiheitlich mit dem „umgekehrten Monismus“ Schachtschneiders begründeten. Staatlichkeit dient der Verwirklichung des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit durch allgemeine Gesetzlichkeit387. Die Gesetze sind der allgemeine Wille der Bürger388, die durch diese ihre Freiheit verwirklichen389; denn sie schützen einen jeden vor des anderen nötigender Willkür390. Wenn die Staatlichkeit des gemeinsamen Lebens republikanisch verfasst wird, der Staat als funktionale Einrichtung zur Verwirklichung des Rechts und damit der Freiheit dient, dann ist die Entgegensetzung von Staatsrecht und Völkerrecht für die Dogmatisierung von Verbindlichkeiten unter Völkern hinfällig391. In einer Republik beruht Recht unabhängig von seiner Materie und sei383

Dazu Hinweise in Fn. 249 (1. Teil). P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII, S. 884 f. Rn. 62, 67. Vgl. bereits Hinweise in Fn. 244 (1. Teil). 385 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 115, gegen eine Ermächtigung zur Entstaatlichung auch: P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII, S. 882–885, insb. Rn. 61, 62 und 67. 386 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 160. Zu dieser Dogmatik vgl. bereits oben: Teil 1, III. 1. a), S. 70 ff. 387 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 76.; ders., Res publica res populi, insb. S. 350 ff., 573 ff., 617 ff., 625 f. 388 Die volontée générale nach J.-J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, hrsg. von Hans Brockard, 2003, I, 6. Kap., II, 1, 3. Kap.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 79 und 88; ders., Res publica res populi, S. 275 ff.; 325 ff., S. 520 ff., 560 ff., 617 ff., 637 ff., 707 ff.; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 107. 389 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, insb. S. 294, S. 305, 534, 617; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 283; ders. Deutschland nach dem Vertrag, S. 68. Vorausgesetzt, dass die Gesetze durch ihre Sittlichkeit Recht schaffen, vgl. ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 77. 390 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 34. 384

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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nem Wirkungsbereich auf der Freiheit der Bürger, d.h. auf dem Willen des Volkes392. Völkerrecht ist ebenso der Wille des Volkes wie innerstaatliches Recht393. In einer Republik unterscheiden sich Völkerrecht und innerstaatliches Recht nicht wesentlich voneinander394. Geltungsgrund des Völkerrechts ist wie der des innerstaatlichen Rechts „ausschließlich der Wille der Bürger“, die durch das Recht ihre Freiheit verwirklichen395. Hierauf gründet die Einheit von Staats- und Völkerrecht. Die Lehre ist „umgekehrt monistisch“, weil das Völkerrecht jeweils als Teil der Rechtsordnungen der Staaten anzusehen ist und nicht wie im Monismus von Kelsen396 als Primat des Völkerrechts eine ursprüngliche Rechtsordnung darstellt, aus der sich das innerstaatliche Recht ableitet397. Der umgekehrte Monismus überwindet die Unterscheidung von Völkerrecht und Staatsrecht: Beides ist Öffentliches Recht und dient der Verwirklichung der Freiheit der Bürger398. 391 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 107; K. A. Schachtschneider, Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 283; ders., Deutschland nach dem Vertrag, S. 68. 392 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 79 und 88; ders., Res publica res populi, S. 325 ff., S. 520 ff., 560 ff., 617 ff., 637 ff., 707 ff.; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 107. 393 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 88; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 124 f. 394 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 88. 395 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 108. 396 Kelsen ist der wohl bekannteste Vertreter des Monismus mit dem Primat des Völkerrechts. Er ließ jedoch eine Wahlmöglichkeit zwischen diesem und dem älteren Monismus mit Primat der staatlichen Rechtsordnung. Letzterer beruht bei Kelsen jedoch im Gegensatz zum Monismus nach Hegel, der Völkerrecht als „äußeres Staatsrecht“ bezeichnet, nicht auf der innerstaatlichen Willensbildung, sondern auf einer staatlichen Grundnorm, vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 196 f., 221–223, 324 f., 328 f., 332 f. und insb. S. 336–345. Ein gemäßigter Monismus wird von Kelsens Schüler Verdross vertreten, vgl. A. Verdross, Völkerrecht, S. 111–122. Zum Verhältnis des Völkerrechts zum innerstaatlichen Recht vgl. auch: O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht. 214–218; C. Gloria, Völkerrecht und Landesrecht in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht (1990), S. 1071–1082; A. Bleckmann, Europarecht, S. 361–363; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht – Theorie und Praxis, 3. Aufl. 1984, S. 53 ff.; F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 92 ff.; sehr ausführlich C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 79–295. 397 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 110; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis – Teil I, in: DSWR 1999, S. 19. 398 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 60. Der umgekehrte Monismus kommt dem älteren, insbesondere von He-

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Ein Volk kann also Staatlichkeit auf das eigene Hoheitsgebiet beschränken oder aber Staatsgewalt gemeinschaftlich mit anderen Völkern ausüben399. Dadurch wird die Freiheit der Bürger nicht etwa eingeschränkt; denn alle Staatsgewalt geht weiterhin vom Volke aus, sie wird lediglich gemeinschaftlich mit anderen Völkern ausgeübt400. Mit der Gründung der Europäischen Union haben die Völker Europas Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen401. Die übertragenen Hoheitsrechte sind jedoch nicht die Gebietshoheit, die originäre Zwangsbefugnisse einschließt, mit der die Einhaltung des Rechts (rechtlich) erzwungen werden kann402. Die Europäische Union ist kein Staat im existentiellen Sinn, denn es gibt keine gemeinsame Verfassung, welche die Unionsbürger zu einem europäischen Staat verfasst403. Die Europäische Union ist lediglich gemeinschaftliche Ausübung der Staatsgewalt der Völker aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten. Die (funktionale) Staatlichkeit der Union ist Teil der nationalen Staatlichkeit der Mitgliedstaaten404. Die Europäische Union begründet daher keine von der Gewalt der Mitgliedstaaten unterschiedene und potentiell überlegende Gewalt405, sondern überhaupt keine Gewalt406. Die Verträge ingel (vgl. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg. von J. Hoffmeister, 5. Aufl. 1995) geprägten Monismus, welcher den Primat des innerstaatlichen Rechts herausstellt, nahe, vgl. C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 283. 399 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 66 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 87; in diesem Sinne auch: P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII, Rn. 46; das Bundesverfassungsgericht spricht im Maastricht-Urteil von gemeinsam auszuübender „Souveränität“, vgl. BVerfGE 89 155 (188 f.). 400 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 66 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 87. 401 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 71 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 92. 402 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 69 f. und 71. In diesem Sinne vertraut die Europäische Union darauf, dass die Mitgliedstaaten ihr die Treue halten und das Recht achten, vgl. ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 109; M. Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Gemeinschaft, S. 15. 403 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 109; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 69 ff.; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 281 f., 303, 317. 404 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 109; K. A. Schachtschneider, Das Europäische Parlament, in: ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 2005, S. 172; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 74 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas (2005), S. 48. 405 So aber: H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 7; BVerfGE 89, 155 (175).

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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tegrieren die Organe der Europäischen Union stattdessen in die Staatlichkeit der Mitgliedstaaten407. Die Organe sind (gemeinschaftlicher) Teil der staatlichen Organisation der Mitgliedstaaten408. Die gemeinschaftliche Staatlichkeit ist also Staatlichkeit der Mitgliedstaaten, die gemeinschaftlich ausgeübt wird409. Auch Zwangsgewalt kann gemeinschaftlich ausgeübt werden, wie in der militärischen Zusammenarbeit. Ein Verteidigungsbündnis schafft aber noch keinen Staat im existentiellen Sinne410. Daraus folgt, dass Gemeinschaftsrecht Teil der innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist411 und nicht etwa aus einer autonomen Rechtsquelle fließt412. 406 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 94, ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 70 f.; gegen eine übergeordnete Gemeinschaftsgewalt auch: P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII, Rn. 66. 407 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 94; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 94; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas (2005), S. 286; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 66 ff. insb. S. 70 f.; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 107 f. 408 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 94; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 48; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 108. 409 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 92 und 97; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 74; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 51; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 286. 410 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 94; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 71. 411 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 109. 412 So aber: EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251, 1269 ff.; und auch das Bundesverfassungsgericht in seinen älteren Entscheidungen, vgl. BVerfGE 22, 293 (296); BVerfGE 31, 145 (173 f.); BVerfGE 37, 271 (277 f.). Es kehrte sich aber von der Dogmatik des Europäischen Gerichtshofs ab und folgt inzwischen der Vollzugslehre, nach der das Zustimmungsgesetz im Sinne eines „Rechtsanwendungsbefehls“ die innerstaatliche Geltung anordnet, vgl. BVerfGE 45, 142 (169); BVerfGE 52, 187 (199); BVerfGE 73, 339 (367, 375). Da das Recht nicht aus einer autonomen Rechtsquelle fließt, sind die Zustimmungsgesetze zu den Verträgen kein „Rechtsanwendungsbefehl“, sondern lediglich Voraussetzung für die Ratifikation der Verträge. Eine eigenständige Rechtsordnung, deren Anwendung man befehlen könnte, setzt aber einen fremden, von den Mitgliedstaaten getrennten Gesetzgeber voraus. Ein solcher sind die Gemeinschaften gerade nicht. Vgl. K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 75–77; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 99; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 106. Im Maastricht-Urteil knüpft das Bundesverfassungsgericht an die Lehre Karl Albrecht Schachtschneiders an und stellt erstmals heraus, dass die Verbindlichkeit des Gemeinschaftsrechts in Deutschland auf dem Willen des deutschen Volkes beruht und die Gemeinschaftsgewalt des Staatenverbundes sich von den Mitgliedstaaten ableitet, vgl. BVerfGE

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Ein etwaiger Vorrang des Völkerrechts ergibt sich aus der Logik der gemeinschaftlichen Ausübung der Staatsgewalt413. Der Vorrang gewährleistet die einheitliche Geltung der Normen in allen Mitgliedstaaten. Die gemeinschaftlichen Rechtsakte müssen einheitlich in der Gemeinschaft gelten, wenn nicht die Gemeinschaft aufgehoben und damit das Integrationsprinzip verlassen werden soll414. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts folgt also aus dem Integrationswillen der Bürger, die sich entschlossen haben, mit anderen Völkern Europas in einer Rechtsgemeinschaft zu leben415. In Deutschland ermächtigen Art. 23 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 GG, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Der Umfang dieser Übertragung bestimmt sich aus den Gemeinschaftsverträgen. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts hat Grenzen, die sich aus der existentiellen Staatlichkeit ergeben416, und kann nicht weiter reichen als die Hoheitsrechte, also Kompetenzen, die übertragen wurden417. Insbesondere ein Vorrang vor den Verfassungen der Mitgliedstaaten, wie ihn der Europäische Gerichtshof judiziert418, kann nicht begründet werden. Zwar verpflichtet Art. 10 EG-Vertrag die Mitgliedstaaten, das Gemeinschaftsrecht anzuwenden und insbesondere Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele des Vertrags gefährden könnten419. Hoheitsrechte, die übertragen werden, gibt es jedoch nur nach Maßgabe der Verfassungen der Mitgliedstaaten und können keinen Vorrang vor dieser ihrer eigenen Grundlage haben420. Gemeinschaftsrecht hat nur Vorrang, soweit es der Wille der Bürger 89, 155 (190, 199). Damit kehrt es endgültig von der Auffassung ab, dass es sich bei der Rechtsordnung der Gemeinschaften um eine „autonome“ Rechtsordnung handle. Hierzu auch: I. Winkelmann, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, 1994, insb. S. 408–419. 413 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 121; ders./dies., Das Verhältnis – Teil III, in: DSWR 1999, S. 118. 414 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 121. 415 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 121; ders./dies., Das Verhältnis – Teil III, in: DSWR 1999, S. 118. 416 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 120 f.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 82 f.; K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 168, 172; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995, S. 103; Zu den Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht der Übertragung von Hoheitsrechten gezogen hat, vgl. D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, S. 417–522. 417 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 121. 418 Vgl. bereits Fn. 371 (1. Teil). 419 Hierzu M. Zuleeg, Art. 10 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 1 ff.; A. v. Bogdandy, Art. 10 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 1 ff. 420 In diesem Sinne K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 120.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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der Völker ist421. Das Volk definiert seinen Willen in der Verfassung422. Ein Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor den Verfassungen der Mitgliedstaaten widerspricht dem Willen des Volkes und damit dem demokratischen Prinzip einer Republik423. 2. Mercosur Ebenso wie in der Europäischen Union ist auch im Mercosur das Verhältnis des Mercosur-Rechts zu den nationalen Rechtordnungen die am meisten diskutierte Frage424. Zuweilen unhaltbar ist die Vorgehensweise bei der Durchdringung dieser Fragen im Schrifttum. Die Vorrangfrage wird häufig lediglich an den Bestimmungen der Verfassungen der Mitgliedstaaten geprüft. Diese müssten dahingehend untersucht werden, ob ein Staat eine eher monistische oder eher dualistische Auffassung vertrete425. Im Falle der Kollision von Mercosur-Recht mit innerstaatlichem Recht entscheide sich die Geltung danach, auf welcher Rangstufe des innerstaatlichen Rechts ersteres angesiedelt ist. Das Vorrangproblem muss aber sowohl aus der Sicht des gemeinsamen Rechts als auch aus der Sicht der nationalen Rechtsordnungen betrachtet werden; denn selbst wenn die Verfassungen einen Vorrang von Völkerrecht zuließen, wäre es möglich, dass die Verträge einen solchen gar nicht vorsehen. 421

K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 121. 422 Zum Verfassungsprinzip: K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 86 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, S. 10 ff. 423 Zum demokratischen Prinzip: K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 59 ff.; K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, S. 617 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 3. Kap. III. 424 Vgl. M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 209–260; J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el derecho interno, La Ley 18 (1995), S. 625–628; R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 162–168; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 94–107; H. Arbuet Vignali, El Protocolo de Ouro Preto – Una excusa para hablar de integración, S. 50 f. Vgl. auch 1. Teil, Fn. 447, 459, 505, 577. 425 A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 274 f.; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 119; U. Wehner, Der Mercosur, S. 117; J. Samtleben, Der Mercosur als Rechtssystem, S. 76; M. Hassemer, Gewerbliche Schutzrechte im Mercosur, S. 22; E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 44; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 67 f.; E. I. Rimoldi de Ladmann, La toma de decisiones en el Mercosur, S. 144. Zum Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren vgl. C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren; H. Wagner, Monismus und Dualismus: eine methodenkritische Betrachtung zum Theorienstreit, Archiv des Öffentlichen Rechts Bd. 89 (1964), S. 212–241.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Ohne dies ausdrücklich klarzustellen, beschränkt sich die Analyse regelmäßig auf das Sekundärrecht, während das Primärrecht außen vor gelassen wird. Stattdessen wird allgemein von „Mercosur-Recht“ gesprochen426. Dies verwundert von daher nicht, als der Vertrag von Asunción und seine Protokolle überwiegend programmatische Vorschriften enthalten, die aufgrund mangelnder Bestimmtheit keine Gesetzeskraft entfalten und erst durch das Sekundärrecht konkretisiert werden müssen427. Das Mercosur-Schiedsgericht, welchem gemäß Art. 1 des Protokolls von Olivos428 die Zuständigkeit zur Auslegung zukommt, hat sich in verschiedenen Entscheidungen zu Geltung, Anwendbarkeit und Vorrang des Mercosur-Rechts geäußert. Wohl als Reaktion auf die im Schrifttum geführte Kontroverse wurden Rechtsakte erlassen, allen voran die Ratsentscheidung 23/00, welche die Frage der innerstaatlichen Geltung regeln. Bis dahin waren die in diesem Zusammenhang vertretenen Auffassungen uneinheitlich. Während einige Autoren keinen Zweifel an dem Vorrang und der unmittelbaren Geltung des Mercosur-Rechts ließen429, erteilten die meisten diesen Prinzipien jedoch eine deutliche Absage430. Auch das Schiedsgericht folgt keiner strikt einheitlichen Linie, weshalb zum Verständnis der Urteile und der erlassenen Rechtsakte ein Überblick über die einschlägigen Vorschriften im Primärrecht und eine Zusammenfassung der in der Literatur geführten Kontroverse der Darlegung der Mercosur-Rechtsprechung und -setzung jeweils vorangestellt wird, zumal sich die Schiedsurteile oftmals auf bekannte Autoren beziehen. 426 Vgl. M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 209–260; J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el derecho interno, La Ley 18 (1995), S. 625–628; R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 162–168; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 94–107; A. Haller, Mercosur, S. 123 ff. 427 Eine Ausnahme stellen die im Vertrag von Asunción enthaltenen Vorschriften zum freien Warenverkehr dar. Art. 5 lit. a schreibt eine schrittweise, lineare und automatische Zollsenkung nach den Maßgaben vor, wie sie im Anhang I des im Vertrag von Asunción enthaltenen Programm zur Handelsliberalisierung vorgesehen ist. 428 Das Protokoll von Olivos löste mit seinem Inkrafttreten am 02.01.2004 das Protokoll von Brasilia ab. 429 So etwa J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el derecho interno, La Ley 18 (1995), S. 625 f.; C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 23; H. Arbuet Vignali, La solución de controversias en el Mercosur – Un aspecto esencial affln por resolver, in: El Derecho Internacional en un mundo de transformación, Liber Amicorum Eduardo Jiménez Aréchaga, 1994, S. 1244. 430 Statt vieler: B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 213; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 257; U. Wehner, Der Mercosur, S. 116 f. Vgl. auch 1. Teil, Autoren in Fn. 447, 505, 577.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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a) Unmittelbare Geltung Weder im Vertrag von Asunción noch in den Protokollen oder an anderer Stelle gibt es eine dem Art. 249 EGV vergleichbare Vorschrift. Eine unmittelbare Geltung des Mercosur-Rechts in den Vertragsstaaten ist zumindest nicht ausdrücklich vorgesehen431. Dies gilt sowohl für das konstitutive als auch für das abgeleitete Recht. In Art. 38 des Protokolls von Ouro Preto verpflichten sich die Mitgliedstaaten las medidas necesarias – die notwendigen Maßnahmen – zu ergreifen, um die Einhaltung der von den Organen erlassenen Vorschriften zu gewährleisten. Gleichzeitig schreibt Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto ein festgelegtes Verfahren vor, das die aplicación simultánea – die gleichzeitige Geltung – der im Rahmen des Mercosur hervorgebrachten Normen in den Vertragsstaaten sicherstellt. Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto sieht vor: (i)

Sobald eine Vorschrift von einem Organ verabschiedet wurde, treffen die Mitgliedstaaten die zu ihrer Eingliederung in die jeweilige nationale Rechtsordnung erforderlichen Maßnahmen und melden die innerstaatliche Umsetzung dem Verwaltungssekretariat.

(ii) Wenn alle Mitgliedstaaten die Umsetzung in die innerstaatliche Rechtsordnung gemeldet haben, teilt das Verwaltungssekretariat dies den Mitgliedstaaten mit. (iii) 30 Tage nach der Mitteilung des Verwaltungssekretariats treten die Vorschriften gleichzeitig in allen Mitgliedstaaten in Kraft. Zu diesem Datum veröffentlichen die Mitgliedstaaten den Beginn der Geltung in ihren jeweiligen Amtsblättern.

Art. 38 und 40 des Protokolls von Ouro Preto scheinen eine unmittelbare Geltung der von den Mercosur Organen hervorgebrachten Vorschriften auszuschließen. Dafür spricht auch der in Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto gewählte Terminus „aplicación simultánea“ (gleichzeitige Geltung) im Unterschied zur „aplicación inmediata“, mit der in der spanischen Terminologie die unmittelbare Geltung bezeichnet wird432. Offensichtlich wollten die Gründungsväter des Mercosur durch die Vorschriften zur gleichzeitigen Geltung die gleichzeitige Gültigkeit der Normen trotz einer nicht unmittelbaren Geltung der Normen gewährleisten, um so Investitionsvor- oder -nachteile eines Staates zu vermeiden, die durch eine uneinheitliche Umsetzung des Rechts in den Mitgliedstaaten entstehen könnten433. Das Verfahren 431

Wie zutreffend festgestellt wird, vgl. A. Haller, Mercosur, S. 123. Dies stellt auch das 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen) in Rn. 116 heraus; wiederholt im 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 7.6. 432

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

zur gleichzeitigen Geltung wäre überflüssig, wenn die Autoren der Verträge eine unmittelbare Geltung im Sinn gehabt hätten. Art. 42 des Protokolls von Ouro Preto, der sich im anschließenden Kapitel V des Protokolls von Ouro Preto „Rechtsquellen des Mercosur“ befindet, hält für die von den Organen erlassenen Rechtsakte allerdings fest, dass sie „wenn es notwendig ist“434, in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten mittels der von der Gesetzgebung des jeweiligen Landes vorgeschriebenen Verfahren eingegliedert werden. Was hiermit gemeint ist, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Ekmekdjian hält zwei Interpretationsmöglichkeiten für denkbar: Die Einschränkung „wenn es notwendig ist“ könnte bedeuten, dass nur solche Normen in nationales Recht inkorporiert werden müssen, die keinen imperativen Charakter haben, wenn es sich also um Empfehlungen handelt435. Es könnte aber auch gemeint sein, dass nur solche Normen in das innerstaatliche Recht inkorporiert werden müssen, die keine direkten Rechte oder Verpflichtungen begründen436. Der Autor glaubt aber, dass nur programmatische Normen in innerstaatliches Recht umgewandelt werden müssen, während Normen mit imperativem Gehalt als „self executive“ anzusehen seien437. Für Lavopa bedürfen nur solche Normen keiner innerstaatlichen Umsetzung, die eine rein innergemeinschaftliche Wirkung entfalten438. Solche internen Normen sind z. B. die Veränderung bestehender Institutionen439 oder 433 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 106; vgl. auch D. Ventura/A. Perotti, El Proceso Legislativo del MERCOSUR, 2004, S. 32. 434 Im spanischen Wortlaut des Art. 42 des Protokolls von Ouro Preto: „cuando sea necesario“. 435 M. Á. Ekmekdjian, ¿Una constitución para el Mercosur?, ADCL 1999, S. 82. 436 M. Á. Ekmekdjian, ¿Una constitución para el Mercosur?, ADCL 1999, S. 82; ebenso: A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 273; C. E. Delpiazzo, El Derecho de la Integración frente a la constitución uruguaya, in: H. Gros Espiell u. a. (Hrsg.), El Derecho de la Integración del MERCOSUR, 1999, S. 65; ders., Fuentes del Derecho de la Integración, S. 77; M. R. Brito, Solución de controversias en el Mercosur, S. 165 f. 437 M. Á. Ekmekdjian, ¿Una constitución para el Mercosur?, ADCL 1999, S. 82; ebenso m. w. N. H. Babace, Derecho de la Integración, S. 235; so wohl auch D. Ventura/A. Perotti, El Proceso Legislativo del MERCOSUR, 2004, S. 35, 60. 438 J. H. Lavopa, Organización institucional y Derecho Comunitario en el Mercosur, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 909; J. H. Lavopa, La dimensión jurídica de la integración, Contribuciones Nr. 4 (1996), S. 176; so wohl auch J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, 742; M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, S. 79 f.; A. Haller, Mercosur, S. 132. 439 Wie die Umbenennung des Verwaltungssekretariats in Mercosur-Sekretariat, vgl. Ratsentscheidung 30/02 oder die Festlegung eines festen Sitzes für das Sekretariat, vgl. Ratsentscheidung 22/98.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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die Annahme von internen Reglements der Organe durch den Rat440. Alle anderen Rechtsakte, also solche mit externer Wirkung, müssen nach dieser Auffassung in nationales Recht umgesetzt werden. Logar legt Art. 38, 40 und 42 des Protokolls von Ouro Preto weit aus und meint, dass Rechtsakte grundsätzlich keinen Umsetzungsakt benötigten, um innerstaatliche Geltung zu erlangen, also unmittelbar gelten. Nur in dem Fall, dass die Mercosur-Norm die Notwendigkeit einer nationalen Umsetzung selbst ausdrücklich vorsieht, sei eine solche durchzuführen und das in Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto vorgesehene Verfahren anzuwenden441. Zudem stellt auch Logar auf den Inhalt einer Norm ab. Wenn diese keine konkreten Rechte und Pflichten der angesprochenen Rechtssubjekte enthält, sei eine innerstaatliche Umsetzung in jedem Fall angezeigt, auch wenn die entsprechende Norm dies nicht ausdrücklich vorschreibt442. Nach dieser Sichtweise ist eine unmittelbare Geltung anzunehmen, wenn die Norm nichts Gegenteiliges vorsieht oder nicht hinreichend klar und bestimmt ist. „Wenn es notwendig ist“ könnte auch dahingehend interpretiert werden, dass hierdurch eine spätere vom Schiedsgericht zu entscheidende NichtNotwendigkeit offen gelassen wird443. Für eine weite Auslegung wird häufig auch das Argument des effet utile444 angeführt. Die Einheitlichkeit und 440 Vgl. etwa Ratsentscheidung 23/03 (Annahme des internen Reglements des Forums für politische Beratung und Abstimmung). 441 A. C. Logar, Tribunal de justicia para el Mercosur – Una decisión impostergable, in: Universidad de la Plata (Hrsg.), Relaciones Internacionales 7 (1997) Nr. 12, S. 91 f.; in diesem Sinne auch: J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, S. 742; A. Perotti, El Derecho de Integración en el Mercosur, S. 81 f.; D. Ventura/A. Perotti, El Proceso Legislativo del MERCOSUR, S. 35 f., 41, 60 f. 442 So wohl auch schon J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, S. 742. 443 R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 167. 444 Die Effet-utile-Doktrin stellt auf die praktische Wirksamkeit einer Norm ab und wurde erstmals vom Europäischen Gerichtshof im Fall EuGH v. 06.10.1970, Rs. 9/70 (Grad/Finanzamt Traunstein), Slg. 1970, 825, Rn. 5 eingeführt. Seither ständige Rechtsprechung, vgl. EuGH v. 04.12.1974, Rs. 41/74 (Van Duyn/Home Office), Slg. 1974, 1337, 1348 Rn. 12; EuGH v. 01.02.1977, Rs. 51/76 (Nederlandse Ondernemingen/Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen), Slg. 1977 I, 113, 126 f.; EuGH v. 05.04.1979, Rs. 148/78 (Ratti), Slg. 1979, 1629, 1641 f. Rn. 21; EuGH v. 19.01.1982, Rs. 8/81 (Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt), Slg. 1982, 53, Rn. 25, 27. Ähnlich, aber ohne den Begriff „effet utile“ zu verwenden, auch bereits EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, 1251, 1270. Vgl. auch: R. Streinz, Europarecht, S. 155 Rn. 154; I. Pernice/ F. C. Mayer, Art. 220 EGV, in: Das Recht der Europäischen Union, Bd. III, S. 16 Rn. 46.

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Effektivität der gemeinsamen Normen seien nur gewährleistet, wenn die Rechtsakte nicht von einer innerstaatlichen Umsetzung abhingen445. Midón und Cassagne gehen grundsätzlich von einer unmittelbaren Geltung und auch Vorrang von Integrationsrecht aus, da Integrationsrecht der monistischen Lehre folge. Vorrang und unmittelbare Geltung seien daher Wesensmerkmale von Integrationsrecht schlechthin und müssten daher auch im Mercosur gelten. Fraglich sei nur, ob die Verfassungen der Mitgliedstaaten eine monistische Sichtweise zulassen446. Die unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur offenbaren, dass anhand der Vorschriften im Vertrag von Asunción die Frage, ob von einer unmittelbaren Geltung des Mercosur-Rechts ausgegangen werden kann, nicht abschließend beurteilt werden kann. Ohne die Formulierung „wenn es notwendig ist“ in Art. 42 des Protokolls von Ouro Preto, aus der eine etwaige Nicht-Notwendigkeit der innerstaatlichen Umsetzung geschlossen werden könnte, wäre die Beurteilung eindeutig. Art. 38 und 40 des Protokolls von Ouro Preto alleine sehen keine unmittelbare Geltung der Normen vor. Die überwiegende Anzahl der Autoren kommt denn auch aufgrund der Formulierungen in Art. 38 und 40 des Protokolls von Ouro Preto und entgegen der Formulierung in Art. 42 des Protokolls von Ouro Preto zu dem Schluss, dass man nicht von einer unmittelbaren Geltung ausgehen könne447. Aus Art. 42 des Protokolls von Ouro Preto grundsätzlich eine unmittelbare Gel445

So J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el derecho interno, La Ley 18 (1995), S. 620. 446 M. Midón, El mayor desafío del siglo XX, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 915 f.; J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el derecho interno, La Ley 18 (1995), S. 625; ähnlich: H. Arbuet Vignali, Las claves jurídicas de la integración, S. 706 f.; H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 51. 447 Vgl. J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 101; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 255; H. Arbuet Vignali, El Protocolo de Ouro Preto – Una excusa para hablar de integración, S. 51; R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian./J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 166 f.; D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 459; R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea – Solución de controversias e interpretación uniforme, 1997, S. 40; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 74; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 80; M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 13; L. A. Estoup/J. Fernández Reyes, Prólogo, in: dies. (Hrsg.), Derecho vigente del Mercsour, S. VII; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 654; J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 449; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 12; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 169; m. w. N.: J. P. Schmidt, Neue Impulse durch institutionelle Reformen, EuZW 2005, S. 141; R. A. PorrataDoria, MERCOSUR, S. 78; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 233; B. Fe-

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tung herauszulesen, sofern die Norm einen Umsetzungsakt nicht ausdrücklich erfordert oder die Notwendigkeit zur Umsetzung aus dem Inhalt hervorgeht448, interpretiert den Art. 42 jedenfalls in unzulässiger Weise. Genauso gut könnte man auch umgekehrt zu dem Schluss kommen, dass eine Umsetzung in nationales Recht grundsätzlich notwendig ist und nur im Ausnahmefall, wenn die Norm dies ausdrücklich vorschreibt, nicht notwendig ist449. Eine so wichtige Wirkung einer Rechtsnorm muss zudem ausdrücklich geregelt sein und kann nicht bloß aufgrund der jeweiligen Inhalte angenommen werden450. Die vom Europäischen Gerichtshof entwickelte Effet-utile-Doktrin, nach der aus Gründen der Effektivität und zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit eine unmittelbare Geltung geboten sei, ist nicht ohne weiteres auf den Mercosur übertragbar. Die Organe des Mercosur sind rein zwischenstaatlich zusammengesetzt451: sie bestehen aus Vertretern der jeweiligen Regierungen. Die Beschlüsse werden im Konsens gefasst, und jede Entscheidung erfordert die Anwesenheit aller Vertragsstaaten452. Die Beschlussfassung sollte gerade vom politischen Willen abhängig gemacht werden, auch auf die Gefahr hin, dass dies die Effektivität und den Integrationsprozess insgesamt verlangsamt453. Die Sichtweise von Midón und Cassagne, nach der eine monistische Auffassung und damit unmittelbare Geltung (und auch Vorrang) jeder Art von Integrationsrecht grundsätzlich immanent sei, ist nicht nachvollziehbar. Ob die Vertragsväter von einer monistischen oder dualistischen Sichtweise ausgingen, soll gerade untersucht werden und muss aus dem Normgefüge ersichtlich sein454. Zwar sind Vorrang und unmittelbare Geltung auch in der Europäischen Union nicht direkt aus den Verträgen ablesbar455. Doch ist der, El Protocolo de Olivos, LA Opertti Badán, S. 850; E. Rivas, Adopción e internalización de la normativa comunitaria en el seno del MERCOSUR, S. 4. 448 Vgl. Anmerkungen in Fn. 441 (1. Teil). 449 A. Haller, Mercosur, S. 126. 450 A. Haller, Mercosur, S. 125 f.; ganz ähnlich B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 61. 451 Wie zutreffend festgestellt wird, vgl. R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 526; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 64; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 392. 452 Zur Beschlussfassung der Organe siehe: Teil 1, III. 1. b). 453 A. Haller, Mercosur, S. 127. 454 In diesem Sinne hat das deutsche Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass die unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit des Europäischen Gemeinschaftsrechts nicht schon aus dem allgemeinen Völkerrecht folge, vgl. BVerfGE 73, 339 (375). 455 Der EG-Vertrag schreibt lediglich für die Verordnung eine „unmittelbare Geltung“ vor, vgl. Art. 249 Abs. 2 EGV. Der Europäische Gerichtshof stellt erstmals in der Entscheidung „van Gend & Loos“ fest, dass alle Gemeinschaftsnormen, die der

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nicht ersichtlich, warum die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf andere Integrationsprojekte übertragbar sein soll. Die genannten Prinzipien gar als Wesensmerkmal von Integrationsrecht schlechthin zu definieren, ist nicht begründbar. Weder die Ausführungen für noch gegen eine unmittelbare Geltung des Mercosur-Rechts befriedigen. Der offenkundige Widerspruch der Art. 38 und 40 des Protokolls von Ouro Preto einerseits und Art. 42 andererseits456 ist verständlicher, wenn man sich die Rahmenbedingungen, die bei Verabschiedung des Protokolls von Ouro Preto herrschten, und den Pragmatismus der Integrationsmethode des Mercosur insgesamt vor Augen hält. Bei der Formulierung des Protokolls von Ouro Preto ist man offenbar entsprechend der Rechtslage in den damaligen Verfassungen der Mitgliedstaaten von einem Dualismus ausgegangen, also von einer Umsetzungspflicht des Mercosur-Rechts in das innerstaatliche Recht457. Um das gleichzeitige Inkrafttreten der Normen in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, wurde mit Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto das System zur gleichzeitigen Geltung etabliert. Gleichwohl wollte man, wohl mit Blick auf zukünftige Verfassungsänderungen in den Mitgliedstaaten, die Möglichkeit einer unmittelbaren Geltung des Mercosur-Rechts nicht durch eine gegenteilige Formulierung im Protokoll von Ouro Preto von vornherein ausschließen. Diese Sichtweise wird durch die Tatsache bekräftigt, dass die argentinische Verfassung nur vier Monate vor Verabschiedung des Protokolls von Ouro Preto in Hinblick auf das Verhältnis von Völkerrecht zu nationalem Recht geändert wurde458.

Sache nach abschließend und vollständig sind, unmittelbar gelten, vgl. EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1 (24 f.). In der Entscheidung „Costa/ENEL“ judiziert der Europäische Gerichtshof erstmals einen Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, vgl. EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, 1251, 1269 ff. Hierzu vgl. Gliederungspunkt V 1. a), S. 54 ff. 456 Einen Widerspruch erkennen auch: J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, S. 740; H. Arbuet Vignali, El Protocolo de Ouro Preto, S. 51; D. Ventura/A. Perotti, El Proceso Legislativo del MERCOSUR, S. 34. 457 Zu den Verfassungen der Vertragsstaaten vgl. Teil I, IV. d). Dass alle Vertragsstaaten der dualistischen Theorie folgen, hebt hervor: E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 49. 458 Zuvor hatte das oberste argentinische Gericht bereits in der grundlegenden Entscheidung „Ekmekdjian, M. Á. c./Sofovich, G“, abgedruckt in: La Ley, Bd. C, 1992, S. 540 ff., den Vorrang völkerrechtlicher Verträge, die vom Parlament angenommen wurden, vor Gesetzesrecht festgestellt, vgl. Teil 1, IV. 2. d), S. 133.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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Mercosur-Rechtsprechung und Rechtsetzung Das zweite Ad-hoc-Schiedsgericht vom 27. April 1999 geht, ohne dies jedoch weiter zu begründen, nicht von einer unmittelbaren Geltung des Mercosur-Rechts aus459. Die Tatsache, dass eine innerstaatliche Umsetzung notwendig sei, bedeute keinesfalls, dass die Normen wertlos sind. Vielmehr hätten die Vertragsstaaten die Pflicht, die Anwendung und Einhaltung sicherzustellen460. Die in Art. 42 des Protokolls von Ouro Preto festgeschriebene Verbindlichkeit von Mercosur-Recht erzeugt daher nach Ansicht des vierten, siebten und achten Schiedsgerichts einerseits die Pflicht der Mitgliedstaaten zu handeln, nämlich der Norm innerstaatliche Geltung zu verschaffen und andererseits keine ihr entgegenstehenden Maßnahmen zu treffen461. Kommen die Vertragsstaaten der Pflicht zur Umsetzung nicht nach, kann dieses Versäumnis Gegenstand eines Streitbeilegungsverfahrens sein462. Der siebte Schiedsspruch vom 19. April 2002, in dem es um die nicht erfolgte Umsetzung von Entschließungen der Gruppe in Brasilien ging, hob die Pflicht der Mitgliedstaaten, Mercosur-Recht in das nationale Recht einzugliedern, noch einmal hervor. Sie ergebe sich aus Art. 38 i. V. m. Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto463. Diese Sichtweise steht im Einklang mit der Mercosur-Ratsentscheidung 3/99, welche die Gemeinsame Parlamentarische Kommission beauftragt, durch Wahrnehmung einer Vermittlerrolle eine schnellere staatliche Umset459

Im Einklang mit der herrschenden Meinung, vgl. etwa H. Arbuet Vignali, El Protocolo de Ouro Preto – Una excusa para hablar de integración, S. 50; B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 62 f.; M. C. Vázquez, Análisis de algunos aspectos de la integración en el Mercosur, desde el punto de vista del derecho administrativo, S. 38; M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 13; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 80; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones – Los casos de la Comunidad Europea y el Mercosur, 1997, S. 204 f., 273. Vgl. bereits Hinweise in Fn. 447 (1. Teil). 460 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 55; bestätigt durch: 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 117; 5. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 2.07.2001 (Herkunftsangaben), Rn. 3.1. 461 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 117; bestätigt durch: 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 7.7; 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt „Considerando“ Abs. 6 (der achte Schiedsspruch enthält keine Rand- oder Gliederungsnummern). 462 So ausdrücklich: 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 117; 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 7.8. Gegenstand des siebten Schiedsspruches war unter anderem die nicht erfolgte Umsetzung von Mercosur-Recht in Brasilien. 463 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 7.1 und 7.5.

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zung der Rechtsakte zu fördern464. Zuvor hatte die Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt Nr. 22/98 die Vertragsstaaten aufgefordert, größtmögliche Anstrengungen zu unternehmen, die noch ausstehende Umsetzung von Mercosur-Rechtsakten bis zur nächsten ordentlichen Zusammenkunft der Gruppe nachzuholen465. Erst die Entscheidung des Rates 23/00 schafft jedoch endgültig Klarheit bezüglich der innerstaatlichen Umsetzung des Mercosur-Sekundärrechts, „wenn es notwendig ist“. Art. 1 der Entscheidung 23/00 wiederholt zunächst Art. 42 des Protokolls von Ouro Preto: Rechtsakte sind verbindlich für die Mitgliedstaaten und müssen – wenn es notwendig ist – in das mitgliedstaatliche Recht inkorporiert werden. Die Meldung der innerstaatlichen Umsetzung gemäß Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto muss die jeweilige Mercosur-Norm angeben und den Text der nationalen Vorschrift wiedergeben466. Art. 4 der Entscheidung 23/00 verpflichtet das Mercosur-Verwaltungssekretariat, eine monatlich zu aktualisierende Übersicht aller bereits in innerstaatliches Recht umgesetzten Rechtsakte zu veröffentlichen467. Nachdem die Entscheidung 23/00 also keinen Zweifel daran lässt, dass Rechtsakte von Mercosur-Organen in nationales Recht umgesetzt werden müssen, definiert Art. 5 der Entscheidung 23/00 erstmals, wann eine innerstaatlichen Umsetzung des Rechtsaktes im Sinne des Art. 42 des Protokolls von Ouro Preto nicht notwendig ist, nämlich dann, wenn er lediglich „innere Angelegenheiten“ (funcionamento interno) des Mercosur regelt468. In diesem Fall wird die jeweilige Vorschrift von nun an den ausdrücklichen Hinweis enthalten, dass die Inkorporation in nationales Recht nicht notwendig ist469. Eine solche Vorschrift tritt in Kraft mit ihrer Verabschiedung470 bzw. zum angegeben Zeitpunkt471. Was als innere Angelegenheiten zu verstehen ist, sagt die Vorschrift nicht. Aus nachfolgenden Entscheidungen, welche den Hinweis der Nicht-Notwendigkeit der innerstaatlichen Umsetzung enthalten, lässt sich schließen, dass solche 464

Art. 1 der Ratsentscheidung 3/99. Art. 1 der Entschließung 22/98. 466 Art. 2 der Ratsentscheidung 23/00. 467 Nach Art. 9 (i) der Entscheidung 23/00 i. V. m. der Entscheidung 55/00 mussten die Mitgliedstaaten die bereits umgesetzten Rechtsakte dem Verwaltungssekretariat bis zum 31.03.2001 mitteilen. Die seither veröffentlichte Übersicht ist abrufbar auf der Webseite des Mercosur-Verwaltungssekretariats: http://www.mercosur.int. 468 Art. 5 lit. a der Ratsentscheidung 23/00. 469 Die Entscheidung 23/00 selbst ist der erste Rechtsakt, der in Art. 10 diesen Hinweis enthält: „Esta Decisión no necesita ser incorporada al ordenamiento jurídico de los Estados Partes, en los términos del Articulo 42 del Protocolo de Ouro Preto, por reglamentar aspectos de la organización o funcionamento del MERCOSUR“.Vgl. auch Ratsentscheidungen Nr. 55/00, 60/00, 61/00, 65/00, 66/00, 7/01, 16/01. 470 Art. 5 lit. a der Ratsentscheidung 23/00. 471 Art. 3 der Ratsentscheidung 22/04. 465

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Vorschriften gemeint sind, welche für die Vertragsstaaten keine legislative Relevanz besitzen472. Dies sind beispielsweise mercosur-interne Arbeitsanweisungen473, Fristverlängerungen bereits erlassener Entscheidungen474 oder die Bildung neuer Ministertreffen475. Damit legt die Entscheidung 23/00 die Art. 38 ff. des Protokolls von Ouro Preto in dem Sinne aus, wie es Lavopa vorgeschlagenen hatte476. Da auch solche Mercosur-Vorschriften, die lediglich innere Angelegenheiten regeln, die Statistik der erlassenen, aber noch nicht in innerstaatliches Recht inkorporierten Rechtsakte erhöhen, tragen sie zu dem Missverständnis bei, die Mitgliedstaaten seien bei der Umsetzung außerordentlich säumig; denn etwa die Hälfte der Mercosur-Rechtsakte wurde bisher nicht in nationales Recht umgesetzt477. Tatsächlich ist aber ein Großteil des Mercosur-Sekundärrechts gar nicht zur innerstaatlichen Umsetzung bestimmt, weshalb die Einführung einer eigenständigen Bezeichnung für solche Rechtsakte vorgeschlagen wurde478. Nicht notwendig ist eine innerstaatliche Umsetzung des von MercosurOrganen erlassenen Rechts gemäß Art. 5 lit. b der Ratsentscheidung 23/00 i. V. m. Art. 10 der Ratsentscheidung 20/02, wenn der jeweilige Sachverhalt bereits in einer nationalen Vorschrift mit identischem Wortlaut (idénticos términos) geregelt ist479. Der Vertragsstaat muss dem Verwaltungssekretariat in Erfüllung des Art. 40 (ii) des Protokolls von Ouro Preto die entsprechende nationale Norm mitteilen. In nationales Recht umgesetzt werden müssen Vorschriften auch dann nicht, wenn aufgrund der jeweiligen nationalen Rechtsordnung die Anwendung einer bestimmten Norm keiner Umsetzung bedarf480. Die Norm gilt 472 So bestätigt vom 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 124. 473 Vgl. etwa Ratsentscheidung 66/00: Arbeitsanweisung für Gruppe Gemeinsamer Markt. 474 Vgl. etwa Ratsentscheidung 55/00: Verlängerung der in Art. 9 (i) der Ratsentscheidung 23/00 vorgesehenen Frist; Ratsentscheidung 65/00: Verlängerung, der in Ratsentscheidung 25/00 vorgesehenen Frist. 475 Vgl. Ratsentscheidung 60/00: Einführung des Ministertreffens „Minas y Energías“ (Bergbau und Energie); Ratsentscheidung 61/00: Einführung des Ministertreffens „Desarrollo Social“ (Soziale Entwicklung). 476 Siehe in diesem Abschnitt weiter oben, S. 106. 477 Kritisch etwa A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 159; vgl. auch D. Ventura/A. Perotti, El Proceso Legislativo del MERCOSUR, S. 23. 478 D. Ventura/A. Perotti, El Proceso Legislativo del MERCOSUR, S. 25, S. 73. 479 Art. 10 der Ratsentscheidung 20/02 modifiziert Art. 5 lit. b der Ratsentscheidung 23/00. 480 Art. 11 der Ratsentscheidung 20/02.

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als innerstaatlich umgesetzt im Sinne des Art. 40 (ii) und (iii) des Protokolls von Ouro Preto, sobald der Vertragsstaat die Nicht-Notwendigkeit der Umsetzung dem Verwaltungssekretariat mitgeteilt hat481. Der jeweilige Rechtsakt kann die Nicht-Notwendigkeit der innerstaatlichen Umsetzung in einigen Mitgliedstaaten aufgrund der spezifischen Rechtsordnung bereits ausdrücklich vorsehen482. Ob eine innerstaatliche Umsetzung notwendig ist, entscheidet sich letztlich also anhand der Verfassungen der Mitgliedstaaten, die alleine der jeweilige Staat auszulegen berechtigt ist483. Mit dieser Regelung hat man sich eine Hintertür offen gehalten für eine etwaige unmittelbare Geltung von Mercosur-Recht in der Zukunft484. Den Mitgliedstaaten ist es nicht verwehrt, mittels einer nationalen Verfassungsbestimmung die unmittelbare Geltung von Mercosur-Recht zu etablieren485. Etwas eigentlich Selbstverständliches486 hält die Ratsentscheidung 8/03 fest: Für Regelungen, die durch jüngere Vorschriften aufgehoben werden, entfällt die Pflicht zur innerstaatlichen Umsetzung, soweit sie noch nicht umgesetzt worden sind. Voraussetzung ist, dass die aufhebende Vorschrift bereits nach dem Prinzip der simultanen Geltung in Kraft getreten ist, also in allen Mitgliedstaaten geltendes Recht darstellt487. Alle anderen Mercosur-Normen bedürfen zum derzeitigen Stand der Integration488 der Inkorporation in nationales Recht. Einige jüngere Vorschriften bestimmen die Notwendigkeit zur Eingliederung in das nationale Recht auch ausdrücklich489; aber auch ohne eine solche Bestimmung besteht die Pflicht zur Inkorporation, wenn nicht eine der drei genannten Ausnahmen 481

Art. 11 der Ratsentscheidung 20/02. Art. 12 der Ratsentscheidung 20/02. 483 So explizit das 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 119. 484 In diesem Sinne: Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 84; B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 64. 485 An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass auch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Teil tiefgreifende Verfassungsänderungen vornehmen mussten, um ihre Verfassungen in Einklang mit den EG-Rechtsprinzipien zu bringen, vgl. L.-J. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I, S. 686–800. 486 So auch D. Ventura/A. Perotti, El Proceso Legislativo del MERCOSUR, S. 48 f. 487 Art. 1 und 2 der Ratsentscheidung 8/03. Sollte ein Rechtsakt ausschließlich die Aufhebung eines älteren Rechtsaktes zum Inhalt haben, so braucht dieser nach Art. 3 der Ratsentscheidung 8/03 nur von denjenigen Mitgliedstaaten in nationales Recht inkorporiert werden, welche den aufzuhebenden Rechtsakt bereits innerstaatlich umgesetzt hatten. 488 Stand Juli 2006. 489 Vgl. beispielsweise Art. 2 Entscheidung 29/00; Art. 3 Entscheidung 22/03. 482

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vorliegt. Sogar solche Ratsentscheidungen, mit denen lediglich Protokolle verabschiedet werden, welche selbst einen Mechanismus für ihr Inkrafttreten vorsehen, sind von der in Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto vorgesehenen Prozedur nicht ausgenommen, wie das vierte Schiedsgericht herausstellt490. Das Gericht hatte unter anderem darüber zu entscheiden, in wieweit das Protokoll zum Schutze des Wettbewerbs, welches mit der Entscheidung des Rates 18/96 verabschiedet wurde, innerstaatliche Gültigkeit besitzt. Das Protokoll war bereits von zwei Mitgliedstaaten ratifiziert worden und demnach gemäß Art. 33 des gleichen Protokolls in diesen beiden Staaten in Kraft getreten. Das Schiedsgericht entschied jedoch, dass das Protokoll und die Entscheidung 18/96, mit der es verabschiedet wurde, untrennbar zusammengehörten491. Da diese Ratsentscheidung noch nicht nach dem in Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto geregelten Verfahren der gleichzeitigen Geltung in Kraft getreten war, könne auch das Protokoll noch in keinem Mitgliedstaat Geltung besitzen492. Fraglich ist, ob diese Interpretation von den Delegierten so gemeint war, als sie für das Protokoll ausdrücklich ein vom System der simultanen Geltung verschiedenes Ratifizierungsverfahren festlegten. Es lässt sich die Ansicht vertreten, dass Entscheidungen, die lediglich Protokolle oder Abkommen verabschieden, welche ihrerseits ein Verfahren für das Inkrafttreten vorsehen, als mercosur-interne Angelegenheit anzusehen sind und eine gesonderte Umsetzung der Entscheidung neben dem mit dieser verabschiedeten Protokoll in nationales Recht nicht notwendig ist. In diesem Fall besitzt schließlich nicht die Entscheidung selbst legislativen Charakter, sondern ihr Anhang, welcher ein eigenes Ratifizierungsverfahren vorsieht493. Seit dem vierten Schiedsspruch enthalten Entscheidungen, die Protokolle oder Abkommen verabschieden, regelmäßig den Hinweis, dass die Entscheidung eine mercosur-interne Angelegenheit regelt und eine Inkorporation in nationales Recht nicht notwendig ist494 oder nach demselben Verfahren in Kraft tritt, welches das in der Entscheidung verabschiedete Protokoll vorsieht495. Damit wird das 490

4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 122. 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 122. 492 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 112, 120–124. 493 Es ist zudem nicht ersichtlich, warum einige Protokolle durch Ratsentscheidungen angenommen werden, so z. B. auch das Markenschutzprotokoll (vgl. Ratsentscheidung 8/95, Art.1), während andere Protokolle wie das Protokoll von Ouro Preto, das Protokoll von Brasilia oder das Protokoll von Olivos als zwischenstaatlicher Vertrag verabschiedet wurden, ohne dass es zu deren Gültigkeit einer Annahme dieser durch eine Entscheidung des Mercosur-Rates bedurfte. Eine Systematik ist nicht erkennbar. 494 Vgl. beispielsweise Art. 3 der Ratsentscheidung 09/02; Art. 2 der Ratsentscheidung 15/02. 491

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

in Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto vorgesehene Verfahren der simultanen Geltung von Mercosur-Rechtsakten ausdrücklich außer Kraft gesetzt und bewerkstelligt, dass die Entscheidung nicht auf eine andere Art und Weise und vor allem nicht später als ihr Anhang innerstaatliche Geltung erlangt. Inkonsequenterweise enthalten nicht alle Entscheidungen, die eindeutig innere Angelegenheiten des Mercosur regeln, wie z. B. solche, die Ad-hocArbeitsgruppen oder Fachausschüsse mit der Ausarbeitung eines Themas beauftragen, einen Hinweis bezüglich der Nicht-Pflichtigkeit der innerstaatlichen Umsetzung496. Umgekehrt ist es unverständlich, dass die Ratsentscheidung 18/02, mit der das Reglement zum Anhang des Protokolls von Ouro Preto verabschiedet wurde, in Art. 2 die Nicht-Notwendigkeit der innerstaatlichen Umsetzung festlegt und auch das Reglement selbst kein Verfahren zur Eingliederung in innerstaatliches Recht vorsieht. Es ist schwer nachvollziehbar, warum das Reglement zu einem umsetzungspflichtigen und zum Primärrecht zählenden Protokoll als Inner-Mercosur-Angelegenheit nicht der Inkorporation in innerstaatliches Recht bedarf. Es hätte konsequenterweise, so wie das Protokoll von Ouro Preto selbst auch, als zwischenstaatliches Abkommen mit Umsetzungspflicht verabschiedet werden müssen. Die Annahme des Reglements durch eine Ratsentscheidung hätte als reine mercosur-interne Angelegenheit nicht unbedingt der Umsetzung bedurft497. Art. 7 der Entscheidung 23/00 und Art. 8 Abs. 2 der Entscheidung 20/02 bekräftigten, dass im Falle der Angabe einer Frist, innerhalb welcher die Inkorporation vollzogen sein muss, diese einzuhalten ist. Aber auch ohne dass die Norm ausdrücklich ein Datum vorsieht, haben die Mitgliedstaaten 495 Vgl. beispielsweise Art. 2 der Ratsentscheidung 16/03; Art. 4 der Ratsentscheidung 22/04; Art. 3 der Ratsentscheidung 10/06; Art. 2 der Ratsentscheidung 21/06. 496 Vgl. beispielsweise Ratsentscheidung 25/00. Dies ist besonders inkonsequent, als die Ratsentscheidung 65/00, mit der die in der Ratsentscheidung 25/00 vorgesehene Frist verlängert wird, sehr wohl in Art. 4 den Zusatz über die Nichtpflichtigkeit der innerstaatlichen Umsetzung enthält. 497 So geschehen für die Annahme von WTO-Verträgen für den Mercosur, welche bereits von den Mitgliedstaaten ratifiziert worden waren, vgl. Art. 4 der Ratsentscheidung 13/02 und Art. 4 der Ratsentscheidung 14/02. Hierbei handelt es sich vermutlich um eine Reaktion auf das 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen). Dieses stellte heraus, dass WTO-Abkommen nicht zum Rechtssystem des Mercosur gehörten, selbst dann nicht, wenn sie von allen Mitgliedstaaten bereits ratifiziert worden sind. Solche Verträge seien vielmehr als Teil des nationalen Rechts der Vertragsstaaten zu betrachten. Nur wenn eine MercosurNorm ausdrücklich auf einen WTO-Vertrag verweist, könnten spezifische Pflichten im Rahmen des Mercosur aus diesen erwachsen. Vgl. 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 127–130.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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die Pflicht, Mercosur-Recht in einem angemessenen Zeitraum in nationales Recht umzusetzen498. Das siebte Schiedsgericht stellte klar, dass das Fehlen einer Frist nicht bedeute, dass die Umsetzung zur Disposition der Mitgliedstaaten stehe und als Freibrief für die Nichtumsetzung genutzt werden könne. Es sei jedem Recht innewohnend, dass Verpflichtungen auch ohne Frist bestünden499. Wohl nicht nur in Reaktion auf diesen Schiedsspruch, sondern auch in Reaktion auf Vorschläge aus der Literatur500 bestimmt Art. 2 der Entscheidung 22/04, dass von nun an alle Rechtsakte eine Frist vorsehen müssen, bis zu der die Inkorporation von Mercosur-Rechtsakten spätestens zu erfolgen hat. Hierdurch wird es Privaten erleichtert, die Umsetzung des Mercosur-Rechts durch den eigenen Staat einzuklagen, sollte dieser mit der Umsetzung in Verzug gekommen sein501. In Konsequenz des oben Ausgeführten502 sind die Mercosur-Normen, die nicht lediglich mercosur-interne Angelegenheiten regeln und einen entsprechenden Hinweis enthalten, solange in innerstaatliches Recht zu inkorporieren, bis die Verfassungen der Mitgliedstaaten oder zumindest deren Verfassungsgerichte eine unmittelbare Geltung des Mercosur-Rechts vorsehen. Ist eine Mercosur-Regelung bereits mit identischem Wortlaut in einer mitgliedstaatlichen Vorschrift enthalten, kann auf eine Eingliederung in nationales Recht verzichtet werden.

498 So das 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 8.16. 499 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 8.6, Rn. 8.15 ff. 500 S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 199; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 219; B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 68. 501 F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 4. Auf die Möglichkeit, die Umsetzung des gemeinsamen Rechts in nationales Recht einzuklagen, verweist R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 529. 502 Nicht erwähnt wurden die Entschließung der Gruppe 8/93 (Veröffentlichung des Inkrafttretens von Entscheidungen und Entschließungen im innerstaatlichen Recht) und die Entschließung 91/93 (Angabe von Normen bei innerstaatlicher Umsetzung), welche inzwischen durch das Protokoll von Ouro Preto und andere Vorschriften überholt sind. Die Entschließung 23/98, die viel versprechend Incorporación Legislativa de la Normativa MERCOSUR – Gesetzgeberische Eingliederung der MERCOSUR-Vorschriften – heißt, ist inhaltlich wertlos. Sie wiederholt lediglich die Bestimmungen des Protokolls von Ouro Preto. Nach Art. 4 können Rechtsakte eine Frist vorsehen, innerhalb welcher die innerstaatliche Umsetzung zu erfolgen hat. Auch ohne dass dies ausdrücklich zu erwähnen ist, können Rechtsakte Fristen vorsehen und haben dies auch schon zuvor getan.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

b) Unmittelbare Anwendbarkeit Eine Norm ist unmittelbar anwendbar, wenn sich aus ihr konkrete Rechte und Pflichten für private und juristische Personen der Mitgliedstaaten ableiten lassen, wenn sich aus ihr also ein subjektives und einklagbares Recht ergibt, auf das man sich vor staatlichen Organen berufen kann503. Die Entscheidungen der Mercosur-Organe sind gemäß Art. 9, 15, 20 und 42 des Protokolls von Ouro Preto verbindlich. Dies bedeutet im derzeitigen Stadium der Integration, wie oben gesehen, dass sie in innerstaatliches Recht umgesetzt werden müssen. Da nur unmittelbar geltende Normen auch unmittelbar anwendbar sein können504, ist bereits wegen der nicht vorhandenen unmittelbaren Geltung des Mercosur-Rechts auch eine unmittelbare Wirkung für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu verneinen505. Na503 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 102 f.; ders./dies., Das Verhältnis – Teil I, in: DSWR 1999, S. 17; C. Gloria, Völkerrecht und Landesrecht in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, (1990), S. 1090 f.; F. Emmert, Europarecht, S. 153 f.; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 2 Rn. 37; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 268 f.; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, 2005, S. 120 f. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit in der Europäischen Union, grundlegend: EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1, 25 (vgl. bereits Fn. 340, 1. Teil). 504 Siehe bereits Gliederungspunkt 1 dieses Kapitels IV. 505 So auch die überwiegende Meinung im Schrifttum, vgl. C. Pizzolo, Pensar el Mercosur, 1998, S. 289 f.; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 204, 208 ff., 210, 219 f.; Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 83; A. Haller, Mercosur, S. 129; R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 73 f.; R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario Derecho comunitario, S. 166; D. M. Ramos, Protección jurídica para los particulares en el Mercosur, Contribuciones 1999 Nr. 1, S. 86; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, 1998, S. 175; A. Loschky, Mercosur und EU, S. 8; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 71 ff., 194; B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 213; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 80; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 54, 62. Gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit auch: M. C. Vázquez, Análisis de algunos aspectos de la integración en el Mercosur, desde el punto de vista del derecho administrativo, S. 38; J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 11; J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 174; L. A. Estoup/J. Fernández Reyes, Prólogo, in: dies. (Hrsg.), Derecho vigente del Mercsour, S. VII; D. Fernández Arroyo, El Derecho Internacional Privado en el Mercosur, S. 94; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 573, 653; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 12; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 168 f.; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 393, 408; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 48 f.;

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türliche und juristische Personen können sich erst vor nationalen Gerichten auf das Mercosur-Recht berufen, wenn dieses in das innerstaatliche Rechtssystem inkorporiert wurde506. Eine unmittelbare Anwendbarkeit der Mercosur-Normen kann daher nicht angenommen werden. Selbst wenn in Zukunft Mercosur-Recht unmittelbar ohne Transformations- oder Inkorporationserfordernis in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gelten würde507, ist es fraglich, ob eine unmittelbare Anwendbarkeit der Mercosur-Normen angenommen werden könnte. Mercosur-Recht kann, wie im Kapitel über das Streitbeilegungsverfahren dargestellt werden wird, nur sehr begrenzt von Privaten eingeklagt werden508. Die Möglichkeit, sich auf das Recht vor Gerichten zu berufen, ist aber eine Voraussetzung, um eine unmittelbare Anwendbarkeit anzunehmen509. Der MercosurStreitschlichtungsmechanismus sieht zwar die Möglichkeit einer so genannten „Individualbeschwerde“ vor510. Es handelt sich jedoch nicht um eine mit den als Individualbeschwerde bekannten Klagearten aus dem Gemeinschaftsrecht (Art. 230 Abs. 4, Art. 232 Abs. 3 EGV) vergleichbaren Klageart. Vielmehr können Private ein Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten einleiten511. In der Literatur wird die unmittelbare Anwendbarkeit auch aufgrund des eingeschränkten Zugangs zum Schiedsgerichtsverfahren abgelehnt512. Allerdings stelle das Streitschlichtungssystem einen Schritt in N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 203; anderer Ansicht: M. Midón, El mayor desafío del siglo XX, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 920; L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 22; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 119, 149 (in Bezug auf Art. 1 und Art. 2 lit. b des Programms zur Handelsliberalisierung); A. Perotti, El Derecho de Integración en el Mercosur, S. 83 f.; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 78; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 212, 271, 275; B. Feder, El Protocolo de Olivos, LA Opertti Badán, S. 850; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 225, 233. 506 Im Zweifel müssen Private also zunächst die Umsetzung einer Vorschrift in nationales Recht einklagen (hierzu B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 70 f.), bevor sie sich auf den eigentlichen, sodann innerstaatlichen Rechtsakt berufen können. 507 Wie dargestellt, haben die Delegierten eine Hintertür für eine mögliche zukünftige unmittelbare Geltung von Mercosur-Recht offen gehalten, siehe S. Teil 1, IV. 2. a). 508 Vgl. Teil 1, V. 1. c). 509 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 102 f.; F. Emmert, Europarecht, S. 153 f.; M. E. Uzal, Los particulares y el acceso a la jurisdicción en el marco del Mercosur (Protocolos de Las Leñas, Ouro Preto y Buenos Aires), Revista de Derecho Comercial y de las obligaciones Bd. 22 (1995) Nr. 166, S. 348; vgl. auch bereits Teil 1, IV. 1., insb. Fn. 340. 510 Die Überschrift des Kapitel XI des Protokolls von Olivos lautet „Reclamos de Particulares“, übersetzt: Individualbeschwerde. 511 Zum Schiedsgerichtsverfahren siehe Teil 1, V.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

die Richtung einer unmittelbaren Anwendbarkeit dar, auch wenn die Möglichkeit einer „Individualbeschwerde“ im Schiedsgerichtsverfahren keinesfalls mit den Beschwerdemöglichkeiten Privater in der Europäischen Union vergleichbar sei, denn es handle sich in Wirklichkeit um ein Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten, das lediglich von Privaten initiiert wird513. Zudem spräche nichts dagegen, dass das Mercosur-Recht Gegenstand eines nationalen Rechtsstreits würde und es damit zwar keine ausdrückliche, aber eine dem Vertrag von Asunción inhärente unmittelbare Anwendbarkeit gäbe514. In Argentinien müsse der Staat sogar für Schäden, die aus einer nicht rechtzeitigen Inkorporation der Mercosur-Normen entstehen, haften515. Der Rechtsschutz vor nationalen Gerichten ist jedoch nur eingeschränkt gewährleistet. Die im Rahmen des neu eingeführten Vorlageverfahrens ergehenden Auslegungen sind ausdrücklich unverbindlich516, was im Einklang mit der Tatsache steht, dass sowohl in Brasilien als auch in Argentinien die obersten nationalen Gerichte dem Mercosur-Schiedsgericht widersprochen haben517. Da zudem die Möglichkeit Privater, sich auf die Rechtsakte zu berufen, im gegenwärtigen Stand der Integration nur unzureichend gewährleistet ist518, diese aber Voraussetzung für die Annahme einer unmittelbaren 512 A. Haller, Mercosur, S. 130 f.; ähnlich F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 219 f. Im Ergebnis so auch M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 256. 513 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 255 f. 514 So vor allem J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el Derecho Interno, La Ley 18 (1995), S. 626. 515 Dies ergäbe sich aus der Rechtsprechung des obersten argentinischen Gerichtes, das eine Haftung des Staates regelmäßig anerkennt, „por falta de servicio“, also wenn der Staat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, vgl. J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 449 f. und S. 452; ähnlich B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 69 ff.; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 665. Auch in der Europäischen Union müssen die Mitgliedstaaten für Schäden haften, die sich aus der säumigen Umsetzung von Richtlinien ergeben. Grundlegend: EuGH v. 19.11.1991, Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich/Italien), Slg. 1991 I, 5357. Vgl. hierzu F. Emmert, Europarecht, S. 277–281; R. Streinz, Europarecht, S. 141 Rn. 417 u. 164 f. Rn. 461; H. Hetmeier, Art. 249, in: Lenz/Borchardt, Rn. 14 f.; sehr ausführlich C. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien, S. 99 ff. Allgemein zur Haftung bei Verstößen gegen der EG-Vertrag vgl. etwa P. Karpenstein/U. Karpenstein, Art. 228 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 15. 516 Siehe unten: Teil 1, V. 1. b). 517 Für Argentinien vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung/Secretaría del Mercosur, Primer informe sobre la aplicación del derecho del MERCOSUR por los tribunales nacionales (2003), 2005, S. 65; für Brasilien: ebenda, S. 88 ff.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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Anwendbarkeit ist, kann auch unter der Annahme, dass eine unmittelbare Geltung des gemeinsamen Rechts gegeben wäre, kaum von einer unmittelbaren Anwendbarkeit des Mercosur-Rechts ausgegangen werden519. Materiellrechtlich werden konkrete Pflichten aufgrund der eingeschränkten Möglichkeit Privater, diese vor einer gerichtlichen Instanz einzufordern, nicht in subjektive Rechte transformiert520. Der Europäische Gerichtshof hat, wie dargestellt wurde, eine unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrichtlinien, die vergleichbar mit den Entscheidungen der Mercosur-Organe nicht unmittelbar gelten, unter bestimmten Voraussetzungen bejaht521. Die Entscheidungen, Entschließungen und Direktiven sind mit der Gemeinschaftsrichtlinie vergleichbar522. Der den Vertragsstaaten verbleibende Spielraum ist unterschiedlich groß. Teilweise handelt es sich um detaillierte fachliche Regelungen523, teilweise sind die Mercosur-Rechtsakte allgemeiner formuliert, so dass ein Umsetzungsspielraum bleibt524. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäi518

Hierzu ausführlich Teil 1, V. 1. c). Anders aber Salomão Filho und Samtleben, die meinen, dass zumindest der Wortlaut in Art. 5 lit. a des Vertrags von Asunción, der eine schrittweise, lineare und automatische Zollsenkung nach den Maßgaben vorschreibt, wie sie im Anhang I des Vertrags von Asunción enthaltenen Programm zur Handelsliberalisierung vorgesehen sind, für eine unmittelbare Anwendbarkeit spräche. Obwohl die Vorschriften zum Zollabbau nicht unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten, so sei doch anzunehmen, dass den einzelnen Marktteilnehmern ein Anspruch auf Einhaltung dieser Bestimmungen zustehe, vgl. C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1389. 520 So wie dies bei den Grundfreiheiten in der Europäischen Union der Fall ist, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 57 Rn. 37. In diesem Sinne auch F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 119 f. 521 Vgl. Teil 1, IV. 1. 522 So auch F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 206; A. Haller, Mercosur, S. 129 f.; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 193; hierzu weiter unten, Teil 1, IV. 3., S. 141. 523 Vgl. z. B. die Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt, die genaue technische Bestimmungen über die Definition, Herkunft und Qualität von Käsesorten (Nr. 79/94, 29/96–34/96, 134/96, 136/96 u. 1/97), Fisch (Nr. 40/94) oder Knoblauch (Nr. 41/94) beinhalten; des Weiteren: Hygienevorschriften bei industrieller Fertigung von Lebensmitteln (Entschließung Nr. 80/96); Produktionsstandards bei Lebensmittelverpackungen aus Zellulose (Entschließung Nr. 19/94); Verpflichtung zur Angabe der Blattzahl bei Heften (Entschließung Nr. 22/94); erlaubte Rückstände von Pestiziden in Agrarprodukten (Entschließung Nr. 23/94); Höchstgrenzen von Aflatoxinen (Entschließung Nr. 56/94). 524 So Art. 11 der Ratsentscheidung 10/94 über die Harmonisierung von Exportbeihilfen, die nach Ansicht des 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 75 nicht „unmittelbar anführbar“ (directamente invocable) sei, da der Artikel keine konkreten Rechte und Pflichten schaffe. Weitere Beispiele für Normen 519

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

schen Gerichtshofs könnte man eine unmittelbare Anwendbarkeit für solche Mercosur-Rechtsakte befürworten, die so eindeutig und unbedingt formuliert sind, dass sich eine klare Handlungs- oder Unterlassungsverpflichtung der Mitgliedstaaten aus ihnen ergibt und zudem die Frist zur Umsetzung abgelaufen ist525. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Europäische Gerichtshof nicht nur für Richtlinien, sondern grundsätzlich für alle Gemeinschaftsrechtsnormen die unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts anerkannt hat. Die Situation in der Europäischen Union ist trotz der Ähnlichkeit von Gemeinschaftsrichtlinien mit den Mercosur-Rechtsakten nur bedingt mit der Situation im Mercosur vergleichbar526. Die Rechtsprechungspraxis des Europäischen Gerichtshofs ist nicht ohne weiteres auf den Mercosur übertragbar. Tatsächlich versucht allerdings Ratsentscheidung 18/03, eine der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien im Europarecht ähnliche Situation bezüglich der von der Gruppe Gemeinsamer Markt festzulegenden Zollnomenklatur einzuführen. Die Entscheidung regelt das Erfordernis von Ursprungszertifikaten für Waren, die noch vom gemeinsamen Außenzoll ausgenommen sind. Art. 49 des Anhangs dieser Entscheidung bestimmt, dass Staaten, die Änderungen der Zollnomenklatur nicht fristgerecht umsetzen, sich nicht auf ihre Säumigkeit berufen können und dennoch für den innergemeinschaftlichen Handel etwaige Vorteile weitergeben müssen527. Mit anderen Worten sollen Änderungen an der Zollnomenklatur und dem mit dieser verbundenen gemeinsamen Außenzoll unmittelbar anwendbar sein, soweit sich daraus Vorteile für den Intra-Mercosur-Handel ergeben. Dass sich die mitgliedstaatlichen Gerichte hierauf einlassen und nicht in innerstaatliches Recht transformierte Änderungen an der Zollnomenklatur von Individuen einklagbar sind, ist jedoch bei der derzeitigen, von wenig Souveränitätsverzicht gekennzeichneten Praxis der Mitgliedstaaten nur schwer vorstellbar.

mit Umsetzungsspielraum: Ratsentscheidung 8/92 zur Vermeidung von Schwarzarbeit; Ratsentscheidung 30/00 über die Formulierung gemeinsamer makroökonomischer Ziele; die Verabschiedung von Aktionsplänen (der Ratsentscheidung 9/95 und 26/03) oder Zielen im Bildungssektor (Ratsentscheidung 13/98). 525 F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 211 f. Dies wäre z. B. bei der Entscheidung Nr. 8/93 der Fall; ebenso A. Haller, Mercosur, S. 130. 526 In diesem Sinne A. Haller, Mercosur, S. 130 f. 527 Wörtlich: „(. . .) el Estado Parte importador que no las haya incorporado a su ordenamiento jurídico en los plazos previstos, no podrá negarse a dar curso, en condiciones preferenciales, a las importaciones procedentes de los demás Estados Partes amparadas por certificados de orígen válidos, basadas en divergencias de Nomenclatura“. Ebenso Art. 6 der Ratsentscheidung 31/04.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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Mercosur-Rechtsprechung Das erste und das achte Schiedsgericht halten Teile des Vertrags von Asunción für autoejecutable528. Der Vertrag von Asunción enthalte sowohl programmatische, für einen Rahmenvertrag typische, als auch operative Normen, welche „selbst ausführend“ seien (por sí ejecutables)529. Zu letzteren gehörten die fünf Anhänge zum Vertrag von Asunción530. Der Begriff „autoejecutable“ wird mit unmittelbar anwendbar übersetzt531. Hiermit kann jedoch nicht die unmittelbare Anwendbarkeit im oben definierten Sinne gemeint sein. Diese scheitert bereits, wie dargestellt, an der nicht unmittelbaren Geltung des gemeinsamen Rechts in den Mitgliedstaaten. Vor staatlichen Gerichten können sich die Bürger erst nach der Eingliederung in nationales Recht und nicht unmittelbar berufen. Auch die Schiedsgerichte scheinen nicht von der unmittelbaren Anwendbarkeit auszugehen, weshalb sie den Begriff „autoejecutable“ wählten im Unterschied zu den Begriffen „aplicación directa“ oder „efecto directo“, welche in der spanischen Terminologie die unmittelbare Anwendbarkeit bezeichnen532. Vielmehr sollte offenbar zum Ausdruck gebracht werden, dass einige Teile des Vertrags von Asunción, vor allem das im Anhang I enthalte Programm zur Handelsliberalisierung mit seinem Automatismus zur Zollsenkung den Mitgliedstaaten konkrete Pflichten auferlegen und im Gegensatz zu den programmatischen Bestimmungen keine weiteren Ausführungsvorschriften benötigen, damit sich spezifische Handlungs- oder Unterlassungsverpflichtungen aus ihnen ergeben533. Sie sind daher „selbstausführend“. Nachdem der Vertrag von Asunción von allen Staaten ratifiziert und damit in die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen eingegliedert wurde, müssen die Vertragsstaaten das gemeinsam beschlossene Recht beachten. Die im Vertrag von Asunción enthaltene konkrete Verpflichtung zur Senkung der Binnenzölle muss eingehalten werden. Wohl auch im Hinblick auf die im Schrifttum ge528

1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 64, 66; 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt Considerando Unterpunkt B. 529 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 64. 530 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 66. Auch in der Literatur wird das im Anhang I des Vertrags von Asunción enthaltenen Programm zur Handelsliberalisierung als „autoejecutable“ bezeichnet, vgl. D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 154. 531 J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, 2004, S. 111. 532 Vgl. bereits oben, S. 92 ff. 533 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 64.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

führte Diskussion um eine etwaige unmittelbare Anwendbarkeit (und Geltung) von Mercosur-Normen haben das vierte und das siebte Schiedsgericht hierzu klargestellt, dass eine unmittelbare Anwendbarkeit wie auch Geltung („aplicación directa e inmediata“) von Mercosur-Recht ausscheide. Dies ginge klar aus Art. 2, 40 und 42 des Protokolls von Ouro Preto hervor534. Eine Norm, die entgegen dem zwischenstaatlichen Charakter des Mercosur ausdrücklich die unmittelbare Anwendbarkeit („aplicación directa“) bestimme, gäbe es nicht535. Der kategorische Ausschluss sowohl der unmittelbaren Anwendbarkeit wie auch Geltung durch die Mercosur-Rechtsprechung deutet darauf hin, dass beide Schiedsgerichte eine unmittelbare Anwendbarkeit in Abwesenheit einer unmittelbaren Geltung von MercosurRecht ablehnen. Diese Interpretation wird durch die Tatsache unterstützt, dass das vierte und siebte Schiedsgericht einen von dem Begriff „autoejecutable“ verschiedenen Begriff verwenden, was den Schluss nahe legt, dass nicht der erste Schiedsspruch revidiert werden soll, sondern dem Ausdruck „autoejecutable“ eine andere Bedeutung beizumessen ist als dem Begriff der „aplicación directa“, der unmittelbaren Anwendbarkeit. Dass es sich nicht etwa um verschiedene Termini für den selben Gegenstand handelt und sich die Schiedssprüche einfach widersprechen, zeigt sich auch darin, dass der achte Schiedsspruch den ersten bekräftigt und erneut einigen Teilen des Primärrechts die Eigenschaft „autoejecutable“ bescheinigt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im derzeitigen Stand der Integration eine unmittelbare Anwendbarkeit von Mercosur-Recht vor allem wegen der nicht unmittelbaren Geltung, aber auch wegen der beschränkten Möglichkeit Privater, sich auf Mercosur-Recht zu berufen, nicht angenommen werden kann. Einige Bestimmungen des Primärrechts sind jedoch so eindeutig, klar und bedingungslos formuliert, dass sie, nachdem der Vertrag von Asunción in die Rechtsordnungen aller Vertragstaaten übernommen wurde und geltendes Recht darstellt, ohne weitere Ausführungsvorschriften den Mitgliedstaaten konkrete Handlungs- oder Unterlassungsverpflichtungen auferlegen und daher als autoejecutable – selbstausführend, nicht jedoch als unmittelbar anwendbar betrachtet werden können. Für die Zukunft könnte sich dies jedoch ändern. Geplant ist eine unmittelbare Anwendbarkeit („aplicación directa“) solcher Normen, die bisher 534 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 114. Bestätigt durch das 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), welches auf die nicht unmittelbare Anwendbarkeit (no aplicación directa) von Mercosur-Recht verweist (Rn. 7.3 u. 7.8). 535 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 114. Vor dem vierten Schiedsspruch hatte dies bereits ebenso unmissverständlich ausgesprochen: M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 13.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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zur innerstaatlichen Geltung keinen Legislativakt benötigen, sondern innerstaatlich auf dem Verwaltungswege eingegliedert werden536. Verwirrung schafft die Erklärung zum fünften Schiedsspruch. Der Schiedsspruch hatte einen argentinischen Verwaltungsakt der Importbehörde aufgehoben, welcher den gemeinsamen Außenzoll auf in Uruguay gefertigte Fahrräder anwandte, weil diese nach Ansicht der argentinischen Behörde in Wirklichkeit in Uruguay lediglich zusammengesetzt und nicht hergestellt werden537. Sogar in der Europäischen Union, wo die unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Vorrang des Gemeinschaftsrechts allgemein akzeptiert sind538, hat ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs lediglich deklaratorische, nicht aber kassatorische Wirkung539. Der Gerichtshof kann die Unvereinbarkeit einer staatlichen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht feststellen, nicht aber die Maßnahme aufheben540. Wohl auch von der Wirkung des Schiedsspruchs überrascht, forderte Argentinien eine Erklärung zu dem Schiedsurteil541. In der Erklärung führte das Gericht aus, dass die Wirkung eines Schiedsspruchs rein deklaratorischer Natur sein oder aber kassatorische Wirkung haben könne. Zwar respektiere das Gericht die Souveränität der Mitgliedstaaten, dies hindere jedoch nicht, dass ein spezifischer Verwaltungsakt, der im Unterschied zu einem Gesetz einer einzelnen, fehlerhaft handelnden Behörde zuzuschreiben ist, vom Gericht aufgehoben werden könne. Eine solche Einzelfallentscheidung einer Behörde dürfe nicht das Rechtssystem des Mercosur in Frage stellen. Je nachdem, ob es sich bei dem Streitgegenstand um eine Maßnahme von Gesetzesrang oder um einen Verwaltungsakt handle, könne das Schiedsurteil deklaratorische oder kassa536

Art. 1 der Ratsentscheidung 7/03. Die Unterscheidung zwischen Normen, die auf dem Verwaltungswege in das innerstaatliche Rechtssystem eingegliedert werden, und solchen, die eine parlamentarische Zustimmung benötigen, erinnert an die in Art. 59 Abs. 2 des deutschen Grundgesetztes vorgenommene Gegenüberstellung von Staatsverträgen, welche für die innerstaatliche Geltung die Zustimmung eines Bundesgesetzes bedürfen, und Verwaltungsabkommen, die nicht durch Bundesgesetz, sondern je nach Regelungsgegenstand kraft Rechtsverordnung, Verwaltungsvorschrift, Verwaltungsakt oder Anweisung vollzogen werden. Ausführlich hierzu C. Gloria, Völkerrecht und Landesrecht in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, (1990), S. 1095–1100; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 219–223; T. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl. 1998, S. 431–435. 537 5. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 2.07.2001 (Herkunftsangaben), Rn. 3.3.3. 538 Vgl. bereits Teil 1, IV. 1. 539 Vgl. etwa T. Oppermann, Europarecht, S. 229 Rn. 31; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 58; P. Karpenstein/U. Karpenstein, Art. 228 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 4 ff.; EuGH v. 16.12.1960, Rs. 6/60 (Humblet/Belgien), Slg. 1960, 1166, 1184. Dieses Argument führt Argentinien in der Bitte um Stellungnahme an, vgl. Erklärung zum fünften Schiedsspruch, Rn. 3. 540 Art. 228 Abs. 1 EGV. 541 Das ist gemäß Art. 28 des Protokolls von Olivos möglich.

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torische Wirkung entfalten542. Auf diese Weise würde einerseits der Souveränität der Mitgliedstaaten und andererseits dem Vorrang und der unmittelbaren Anwendbarkeit („primacía y el efecto directo“) des Mercosur-Rechts Rechnung getragen543. Hierbei handelt es sich wohl nicht um eine Umkehr der bisherigen Mercosur-Rechtsprechung, sondern um eine Verirrung des fünften Schiedsgerichts544. Eine unmittelbare Anwendbarkeit von Mercosur-Recht ist, wie gesehen, gerade nicht anzunehmen. Das Gericht tut aber so, als ob es sich um einen anerkannten Grundsatz von Mercosur-Recht handle. Von einem allgemeinen Vorrang von Mercosur-Recht vor nationalem Recht ist ebenfalls nicht auszugehen, wie im folgenden Abschnitt dargestellt werden wird. Selbst dann, wenn unmittelbare Anwendbarkeit und Vorrang von MercosurRecht vor nationalem Recht anzunehmen wären, ist eine kassatorische Wirkung von Schiedsurteilen nur schwer zu begründen. Wie erwähnt ist nicht einmal der Europäische Gerichtshof als höchste gerichtliche Instanz der supranationalen Europäischen Union befugt, nationale Maßnahmen aufzuheben545. Die vom Schiedsgericht getroffene Unterscheidung zwischen von einer gerichtlichen Instanz unmittelbar aufhebbaren Verwaltungsentscheidung und nicht aufhebbarem Gesetzesrecht scheint auf der Vorstellung innerstaatlicher Gewaltenteilung zu beruhen546. Die nachfolgenden Urteile sind dem fünften Schiedsspruch nicht gefolgt. Der jeweils unterliegende Mitgliedstaat wird aufgefordert, die beklagte Maßnahme abzustellen547. Vorstellbar ist, dass das Revisionsgericht548 die Wirkung des fünften Schiedsspruchs revidieren wird. Die Argumentation überzeugt jedenfalls nicht. 542 Erklärung zum fünften Schiedsspruch, Rn. 6.3: „(. . .) los laudos deben adoptar la forma, bien declarativa, bien de plena jurisdicción, segffln requiera cada supuesto controvertido. (. . .)“. 543 Erklärung zum fünften Schiedsspruch, Rn. 6.3. 544 Kritisch auch: A. Baars/P. Bischoff-Everding, Antidumping und Ursprungregime EuZW 2002, S. 334; J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 119. 545 Hierauf verweist J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 119. Trotz der nicht kassatorischen Wirkung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs hat der Gerichtshof eine große Macht und nutzt diese, um die Lebensverhältnisse in der Europäischen Union umzuwälzen, was kritisiert wird, vgl. K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, S. 618 ff. Die Macht des Gerichtshofs leitet sich jedoch aus dem Willen der Mitgliedstaaten ab, die Urteile zu befolgen, also aus dem Integrationswillen der Völker Europas (vorausgesetzt, die Politik vertritt den Willen der Bürger). Eigenständige Macht und damit auch die Möglichkeit, Verwaltungsakte der Mitgliedstaaten selbständig aufzuheben, hat der Gerichtshof nicht, wie Art. 228 Abs. 1 EGV unmissverständlich bestimmt. 546 So auch A. Baars/P. Bischoff-Everding, Antidumping und Ursprungregime EuZW 2002, S. 334.

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c) Vorrang In Ermangelung einer eindeutigen Aussage in den Verträgen549 wird die Vorrangfrage von vielen Autoren als Problem der nationalen Verfassungen eingestuft. Diese müssten dahingehend untersucht werden, ob sie eine eher monistische oder dualistische Auffassung vertreten550. Im Falle der Kollision von Mercosur-Recht mit innerstaatlichem Recht entscheide sich die Geltung danach, auf welcher Rangstufe des innerstaatlichen Rechts ersteres angesiedelt ist. Die Vorrangfrage muss aber sehr wohl auch an den Verträgen untersucht werden. Selbst wenn die Verfassungslage in den Mitgliedstaaten den völkerrechtlichen Verträgen Vorrang vor nationalem Recht einräumt, so kann sich aus dem Vertrag von Asunción dennoch der Wille ergeben, dass das Mercosur-Recht keinen Vorrang besitzen soll. Auch der EG-Vertrag trifft keine Aussage hinsichtlich des Vorrangs des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Dieser ergibt sich erst aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs551. Zwar kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass der Vorrang grundsätzlich jeder Art von Integrationsrecht immanent sei, wie dies zum Teil getan wird552, doch kann die Argumentationsweise des Europäischen Gerichtshofs auch im Mercosur helfen, die Rechtslage zu verdeutlichen. Vor allem die Effet-utile-Doktrin, die auf die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft abstellt, greift auch zur Begründung eines Vorrangs des Mercosur-Rechts gegenüber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten553. Wenn jeder Staat durch nachträgliche Gesetzgebung die beschlossenen Gemeinschaftsregelungen abändern oder aufheben könnte, wäre das Funktionieren der Gemeinschaft in Frage gestellt554. In der Literatur wird daher ein Vor547

6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Kapitel IV; 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), D. 1; 9. Ad-hocSchiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Punkt Decisión. 548 Die Errichtung eines Revisionsgerichts ist in dem am 02.01.2004 in Kraft getretenen Protokoll von Olivos vorgesehen (Art. 17 ff.). 549 Diese bemängeln auch: M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 15; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 66; A. R. Vázquez, Soberanía, supranacionalidad e integración: la cuestión en los países del Mercosur, ADCL 2001, S. 240. 550 Vgl. bereits Anmerkungen in Fn. 425 (1. Teil). 551 Vgl. Gliederungspunkt IV. 1. Hierauf verweist auch J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 7. 552 J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el Derecho Interno, La Ley 18 (1995), S. 625. 553 A. Haller, Mercosur, S. 138 f. 554 So auch J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, S. 740.

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rang des Mercosur-Rechts von einigen befürwortet, da der Mercosur nur so langfristig erfolgreich sein könnte555. Das immer wieder vom Europäischen Gerichtshof angeführte Argument von der Eigenständigkeit der europäischen Rechtsordnung, die sich aus der Übertragung von Hoheitsrechten an die Gemeinschaftsorgane ergebe und dadurch die Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten beschränke556, kann jedoch nicht auf die Situation im Mercosur übertragen werden557. Die Organe des Mercosur bestehen ausschließlich aus Regierungsvertretern der Vertragsstaaten, die Beschlüsse werden im Konsens gefasst und bedürfen einer innerstaatlichen Umsetzung558. Die Organe können die Mitgliedstaaten nicht gegen deren Willen verpflichten. Es wurden gerade keine Souveränitätsrechte an die Mercosur-Organe übertragen. Das Mercosur-Recht stellt gerade keine autonome, von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten geschiedene Rechtsmasse dar. Dass grundlegende gemeinschaftsrechtliche Regelungsprinzipien des EU-Rechts im Mercosur übernommen werden, ließe sich allenfalls durch eine ausdrückliche Einbeziehung dieser erreichen559. Hierfür findet sich in den Verträgen des Mercosur aber kein Hinweis560. Zur Begründung des Vorrangs des EU-Gemeinschaftsrechts wird zudem Art. 10 Abs. 2 EGV angeführt561. Diese Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu unterlassen, die der Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts entgegenstehen. Eine dem Art. 10 Abs. 2 EGV vergleich555 J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, S. 740; M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 15; J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el Derecho Interno, La Ley 18 (1995), S. 626 f.; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 272, 285. 556 EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, 1251; vgl. bereits Teil 1, IV. 1. 557 A. Haller, Mercosur, S. 139 f.; U. Wehner, Der Mercosur, S. 116 f. 558 Vgl. bereits Kapitel III. 1. b) und IV. 2. a) dieses Teils. 559 B. Garré Copello, Solución de controversias (1993), S. 25; ebenso B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 61; U. Wehner, Der Mercosur, S. 117; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 696 f. Anderer Ansicht aber wohl: J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 54. 560 U. Wehner, Der Mercosur, S. 117; R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, S. 71 ff. 561 Der Europäische Gerichtshof führt in der Entscheidung „Costa/ENEL“ aus: „(. . .). Denn es würde eine Gefahr für die Verwirklichung der in Art. 5 Abs. 2 EGV (entspricht Art. 10 Abs. 2 EGV n. F.) aufgeführten Ziele des Vertrags bedeuten (. . .), wenn das Gemeinschaftsrecht je nach der nachträglichen innerstaatlichen Gesetzgebung von einem Staat zum anderen verschiedene Geltung haben könnte“, vgl. EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, 1251 (1269 ff.); vgl. auch: H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 286 f., der von einer „Loyalitätsklausel“ spricht.

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bare Vorschrift gibt es im Mercosur nicht. Auch Art. 10 des Vertrags von Asunción ist in keiner Weise geeignet, einen Vorrang zu begründen562. Nach dieser Vorschrift trifft der Mercosur-Rat alle zur Einhaltung der Ziele notwendigen Entscheidungen. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Aufgabenbeschreibung des Rates, nicht um eine Einschränkung der Souveränität der Mitgliedstaaten563. Samtleben ist der Ansicht, dass das Mercosur-Recht als lex specialis dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten vorgehe, denn nur so könne dessen Verbindlichkeit, die Art. 42 i. V. m. Art. 38 POP vorschreibe, gewährleistet werden564. Insoweit die Mercosur-Vorschriften jünger seien als das nationale Recht, könne im Übrigen ein Vorrang auch nach der Regel lex posterior derogat legi priori begründet werden565. Der Vorrang des Mercosur-Rechts lässt sich aber auch anhand der oben dargestellten Lehre des umgekehrten Monismus aus den Verträgen ableiten. Recht ist das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit566. Die Bürger der Vertragsstaaten verwirklichen ihre mit der Menschheit des Menschen angeborene Freiheit567, indem sie die Gesetze und damit das Recht568 achten569. Der Vertrag von Asunción und seine Protokolle wurden von den Parlamenten der Mitgliedstaaten 562

So aber: J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el Derecho Interno, La Ley 18 (1995), S. 627, der zumindest für die Zukunft die Möglichkeit sieht, aus Art. 10 des Vertrag von Asunción einen Vorrang abzuleiten. 563 A. Haller, Mercosur, S. 139. 564 J. Samtleben, Der Mercosur als Rechtssystem, S. 77. Der Autor verweist auf die Rechtslage in Deutschland, wo der Vorrang von Staatsverträgen nur für das Internationale Privatrecht ausdrücklich anerkannt ist, ansonsten aber von der lex-specialis-Regel abzuleiten ist. 565 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 210, nennt die Regel: „lex posterior derogat priori“. Kritisch zum Vorrang kraft Spezialität wie auch kraft Neuheit von völkerrechtlichen Verträgen: J. Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen – Konflikte des materiellen Rechts und Konkurrenzen der Streitbeilegung, 2002, S. 86–92. 566 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 20; ders., Res publica res populi, S. 567 ff., insb. S. 569 f., S. 638, S. 978 ff., insb. S. 980, S. 990 ff., insb. S. 996. 567 Hierzu A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, insb. S. 429 ff., 487 ff., 499 f., 451, 457. 568 Gesetze schaffen Recht und verwirklichen die Freiheit, wenn sie sittlich sind, vgl. K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 21 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 77; ders., Freiheit in der Republik, insb. 2. Kap. VII, 8. Kap. III. 569 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 34; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 78; ders., Res publica res populi, insb. S. 294, S. 305, S. 519 ff., S. 534, S. 617.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

angenommen. Sie entsprechen ebenso dem Willen der Völker wie deren innerstaatliches Recht. Art. 9, 15, 20 und 42 des Protokolls von Ouro Preto bestimmen, dass die von den Mercosur-Organen erlassenen Rechtsakte verbindlich sein sollen. Diese Verbindlichkeit, die sich aus dem Willen der Völker ergibt570, also rechtens ist, erfordert einen Vorrang der MercosurNormen. Denn die Verbindlichkeiten wären keine echten, sondern nur eventuelle, wenn jeder Mitgliedstaat nachträglich Maßnahmen ins Felde führen könnte, die dem Mercosur-Recht widersprechen571. Nur wenn die Normen Vorrang vor nationalem Recht haben, ist deren Verbindlichkeit in allen Mitgliedstaaten gewährleistet. Der Vorrang folgt aus dem Willen der Völker, dass das gemeinsam beschlossene Recht verbindlich sein soll. Aber auch ohne die ausdrückliche Feststellung der Verbindlichkeit der Mercosur-Normen im Protokoll von Ouro Preto ist ein Vorrang ableitbar. Mit der Gemeinschaftlichkeit ist die einheitliche Geltung des Rechts verbunden572. Die Gemeinschaft kann nur funktionieren, wenn die Rechtsakte einheitlich in den Mitgliedstaaten gelten573. Eine einheitliche Geltung des Rechts kann nur durch dessen Vorrang gewährleistet werden. Der Vorrang folgt auch nach dieser Argumentation aus dem Willen der Völker, eine funktionsfähige Gemeinschaft zu schaffen574. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts hat Grenzen, die sich aus der existentiellen Staatlichkeit ergeben575. Ein Vorrang von Integrationsrecht gegenüber den Verfassungen der Vertragsstaaten ist nicht begründbar576.

570

R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 654. Eben diese Argumentation führt das oberste argentinische Gericht (Corte Suprema de la Nación) im Urteil „Ekmekdjian/Sofovich“ (1992) an, um den Vorrang von zwischenstaatlichen Verträgen vor argentinischem Gesetzesrecht zu begründen. Aufgrund dieses Urteils wurde die argentinische Verfassung 1994 abgeändert. Hierzu weiter unten, Kapitel IV. 2. d) dieses Teils. 572 So für das EU-Recht: K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 121. 573 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 121. 574 Für die Europäische Union: K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 121 f. 575 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 82 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 103; ders., Die Republik der Völker Europas, S. 168 und 172; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 120 f. 576 Vgl. bereits Kapitel IV. 1 in diesem Teil. 571

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Mercosur-Rechtsprechung und Rechtsetzung Bis zum fünften Schiedsspruch kommt die Mehrheit der Autoren dennoch zu dem Schluss, dass ein Vorrang des Mercosur-Rechts nicht angenommen werden könne577. Erstmals in der Erklärung zum fünften Schiedsspruch wird die Rangfrage von dem Mercosur-Schiedsorgan aufgegriffen578. Die Richter begründen die kassatorische Wirkung des Urteils überraschenderweise mit dem Vorrang (und der unmittelbaren Anwendbarkeit) von MercosurRecht579. Auf welcher Grundlage das Gericht den generellen Vorrang von Mercosur-Recht gegenüber nationalem Recht annimmt, ist nicht ersichtlich. Das Gericht tut vielmehr so, als ob es sich um einen anerkannten Grundsatz des Mercosur-Rechts handle. Wie dargestellt, ist die Rangfrage im Schrifttum umstritten580. Eine klare Aussage hinsichtlich des Rangs von MercosurRecht im Verhältnis zum innerstaatlichen Recht gibt es in den Verträgen bis dahin nicht. Das fünfte Schiedsurteil wird denn auch von dem zeitlich nachfolgenden achten Schiedsspruch revidiert. Dieser stellt im Einklang mit den Verfassungen Argentiniens und Paraguays581 für Mercosur-Normen den 577 R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 73; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 66 ff., 74; M. C. Vázquez, Análisis de algunos aspectos de la integración en el Mercosur, desde el punto de vista del derecho administrativo, S. 39; B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 213; L. A. Estoup/J. Fernández Reyes, Prólogo, in: dies. (Hrsg.), Derecho vigente del Mercsour, S. VII; M. Á. Ekmekdjian, ¿Una constitución para el Mercosur?, ADCL 1999, S. 83; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 257; R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian./J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 164; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 106; M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 15; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 68; M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 15. Nach dem fünften Schiedsspruch auch noch R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 78; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 233. Anders: M. Midón, El mayor desafío del siglo XX, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 915; L. Bizzozero/M. Vaillant/T. Vera, La Construcción del Mercosur, S. 22 f.; 24, 30; J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el derecho interno, La Ley 18 (1995), S. 625; A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur, S. 122; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 493, 498, 501; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 211, 271, 275; J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, S. 740; C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 23; A. R. Vázquez, Soberanía, supranacionalidad e integración, ADCL 2001, S. 239–244. 578 Die Streitparteien können gemäß Art. 28 des Protokolls von Olivos eine nachträgliche Erklärung (Aclaración) zu einem Schiedsspruch beantragen. 579 „primacía y el efecto directo“, vgl. Erklärung zum fünften Schiedsspruch, Rn. 6.3. 580 Zur Diskussion vgl. auch: J. Samtleben, Der Mercosur als Rechtssystem, S. 76–81.

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Rang von „mindestens nationalem Gesetzesrecht“ fest (por lo menos el rago de la ley)582. Eine Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrecht nimmt das achte Ad-hoc-Schiedsgericht nicht vor. Damit kommt allem Mercosur-Recht Vorrang vor nationalen Verordnungen und Verwaltungsakten zu, die in der Hierarchie unterhalb des Gesetzesrechts stehen. Das Urteil wird durch die Entscheidung des Mercosur-Rates 22/04 bestätigt. Diese bestimmt, dass solche Mercosur-Rechtsakte, die für die innerstaatliche Geltung der jeweiligen nationalen Rechtsordnung zufolge keinen Legislativakt benötigen (que no requieran tratamiento legislativo), die also nicht vom Parlament ratifiziert werden müssen, sondern auf dem Verwaltungswege in die nationale Rechtsordnung eingegliedert werden, Vorrang gegenüber nationalen Vorschriften gleicher oder niedriger Hierarchie haben583. Vorschriften, die auf dem Verwaltungswege eingegliedert werden, sind beispielsweise die Einführung gesonderter und bevorzugter Passkontrollen für Mercosur-Bürger an Flughäfen584, Abkommen über die justizielle Zusammenarbeit585 oder über die Anerkennung von Universitätsabschlüssen586. Die entgegenstehenden nationalen Vorschriften sind nicht nichtig, sondern lediglich unanwendbar (sin efecto)587. Gegenüber dem achten Schiedsspruch hat die Entscheidung 22/04 lediglich klarstellenden Charakter. Der achte Schiedsspruch hatte bereits die Gleichrangigkeit von Mercosur-Recht mit nationalem Gesetzesrecht festgestellt, unabhängig von der Art und Weise der innerstaatlichen Umsetzung. Alle Mercosur-Vorschriften haben bereits dem achten Schiedsurteil zufolge Vorrang vor innerstaatlichen Vorschriften, die in der Hierarchie unterhalb des Gesetzesrechts stehen; auch solche, die ohne parlamentarische Ratifikation, sondern auf dem Verwaltungswege umgesetzt werden. Die Entscheidung 22/04 soll offenbar die Vorrangregel für Mercosur-Normen bekräftigen, die auf dem Verwaltungswege in das nationale Rechtssystem eingegliedert werden, wodurch solchen Überlegungen eine Absage erteilt wird, die 581

Hierzu siehe nächster Gliederungsabschnitt IV. 2. d). 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt „Considerando“ und Unterpunkt B, ii). 583 Art. 1 der Ratsentscheidung 22/04, i. V. m. Abs. 6 des Anhangs. 584 Ratsentscheidung 12/91. 585 Ratsentscheidung 7/02 und 11/02. 586 Ratsentscheidung 3/97, 4/95 und 4/99. Mit welchen mitgliedstaatlichen Rechts- oder Verwaltungsakten Mercosur-Recht in nationales Recht umgesetzt wird, ist letztlich Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung. Hierzu D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 176 f. 587 Abs. 6 des Anhangs der Ratsentscheidung 22/04. Ebenso genießt das Europäische Gemeinschaftsrecht einen Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, vgl. Hinweise in Fn. 366 (1. Teil). 582

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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dem Mercosur-Recht den innerstaatlichen Rang des jeweiligen nationalen Umsetzungsaktes zuerkennen588. Dem Gesagten zufolge kommt dem Mercosur-Recht aufgrund der Gleichstellung mit nationalem Gesetzesrecht Vorrang vor nationalen Ausführungsbestimmungen und Verwaltungsentscheidungen zu, unabhängig von der Art und Weise wie es in die nationale Rechtsordnung Eingang findet. Von einem allgemeinen Vorrang von Mercosur-Recht gegenüber innerstaatlichem Recht jedweden Rangs, insbesondere gegenüber Gesetzesrecht kann im derzeitigen Stand der Integration nicht ausgegangen werden. Inwieweit der Teilvorrang mit den Verfassungen der Mitgliedstaaten in Einklang steht, wird im Folgenden untersucht. d) Verfassungen der Mitgliedstaaten Selbst wenn die Verträge in Zukunft einen allgemeinen Vorrang sowie eine unmittelbare Geltung des Mercosur-Rechts ausdrücklich vorschrieben, bleibt zu untersuchen, inwieweit dies die Verfassungen der Mitgliedstaaten zulassen. Im Folgenden werden die entsprechenden Bestimmungen der Verfassungen der vier Mercosur-Länder kurz vorgestellt, um anschließend zu einer abschließenden Sicht zu gelangen, ob man bei der Mercosur-Rechtsordnung von Gemeinschaftsrecht im Sinne des EU-Gemeinschaftsrechts sprechen kann589. Argentinien Argentinien hat die jüngste Verfassung der vier Vertragsstaaten. Sie wurde zuletzt 1994 geändert, womit man auf die Rechtsprechung des obersten argentinischen Gerichts reagierte590. Dieses hatte im Urteil „Ek588 Zu dieser Überlegung: D. M. Ramos, Protección jurídica para los particulares en el Mercosur, Contribuciones 1999 Nr. 1, S. 87; ausführlicher: J. Samtleben, Der Mercosur als Rechtssystem, S. 76 f. Dagegen D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 180 f. 589 Ausführlicher zu den entsprechenden Verfassungsbestimmungen der vier Vertragsstaaten: C. Pizzolo, Pensar el Mercosur, S. 155–229; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 65 ff.; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 503 ff.; V. Bazán, Desafíos del Mercosur: Dimensión constitucional del proceso integrativo. La Protección de los Derechos Humanos en el Espacio Integrado, in: M. Á. Ciuro Caldani u. a. (Hrsg.), Integración Unión Europea y Mercosur, 2000, S. 220 ff.; E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 50–54; J. J. Villamarín, Las constituciones en el Mercosur, S. 72 ff.; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 185 ff.; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 242–286.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

mekdjian/Sofovich“591 vom 7. Juli 1992 erstmalig einen Vorrang internationaler Verträge vor dem Gesetzesrecht anerkannt und ausdrücklich klargestellt, dass völkerrechtliche Verträge nicht durch nationale Gesetze nachträglich aufgehoben werden können592. Dabei bezog es sich auf den in Art. 27 der Wiener Vertragsrechtskonvention festgehaltenen Grundsatz pacta sunt servanda, aus welchem sich die Verbindlichkeit und damit der Vorrang zwischenstaatlicher Verträge ergebe. Seit dieser, inzwischen gefestigten Rechtsprechung593, sei zudem eine unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen anzunehmen, wenn sich dies aus der Formulierung ergebe. Der neue Art. 75 Abs. 22 der argentinischen Verfassung garantiert den Vorrang internationaler Verträge vor dem argentinischen Gesetzesrecht nun auch verfassungsrechtlich594, während Art. 31 der alten Fassung ausdrücklich internationale Verträge mit den argentinischen Gesetzten gleichstellte595. Die Formulierung in Art. 75 Abs. 22, der von einem Vorrang internationaler Übereinkünfte gegenüber „Gesetzen“ spricht, deutet darauf hin, dass ein Vorrang nur vor den nationalen Gesetzen, nicht aber vor der Verfassung anzunehmen ist596. 590

M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, S. 130; ausführlich hierzu H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 70 ff. 591 „Ekmekdjian, Miguel Ángel/Sofovich, Gerardo y otros“, vom 7.7.1992, abgedruckt in: El Derecho, Nr. 148 (1992), S. 338 ff. 592 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinomaericano, S. 15 f.; ders., Integración regional y soberanía nacional, El Derecho Pfflblico Actual, 1995, S. 81 f. 593 Das Urteil wurde bestätigt durch die Urteile: „Fibraca Constructora S.C.A./ Comisión Técnica Mixta de Salto Grande“ v. 07.07.1993 und „Hagelin Ragnar/Poder Ejecutivo Nacional“ v. 22.12.1993, vgl. M. E. Uzal, Los particulares y el acceso a la jurisdicción en el marco del Mercosur, Revista de Derecho Comercial y de las obligaciones Bd. 22 (1995) Nr. 166, S. 350. 594 Art. 75 Abs. 24 S. 1 der argentinischen Verfassung lautet: „Der Nationalkongress kann Integrationsverträge ratifizieren, welche Kompetenzen und Rechtsprechung auf Basis von Gegenseitigkeit und Gleichheit an überstaatliche Organe übertragen und die die demokratische Grundordnung sowie die Menschenrechte achten. Die sich aus ihnen ergebenen Vorschriften haben Vorrang vor nationalem Gesetzesrecht.“, eigene Übersetzung. 595 Art. 31 der Verfassung von 1853 lautete: „Diese Verfassung, die in ihrem Rahmen vom Kongress beschlossenen Gesetze der Nation und die mit ausländischen Mächten geschlossenen Verträge sind das höchste Gesetz der Nation“, zitiert nach: B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 121, Fn. 569. 596 B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 121; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 80; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 259, 267, 285; Midón spricht den internationalen Verträgen sogar einen Verfassungsrang zu, vgl. M. R. Midón, Manual de Derecho Constitucional Argentino, in: Plus Ultra, 1997, S. 30, zitiert nach: R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 506.

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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Fraglich ist, inwieweit das Mercosur-Recht mit der argentinischen Verfassung vereinbar ist. Wie gesehen, ist ein Vorrang der Mercosur-Normen vor innerstaatlichem Recht von Gesetzesrang zum jetzigen Integrationsstand nicht annehmbar597. Die klare Formulierung des Art. 75 Abs. 22 der argentinischen Verfassung „gehen den Gesetzen vor“ schreibt einen Vorrang völkerrechtlicher Normen gegenüber nationalem Gesetzesrecht aber vor598. Paraguay Auch Paraguay hat eine moderne Verfassung. 1992 in Kraft getreten, lässt sie ausdrücklich den Beitritt Paraguays zu einer supranationalen Rechtsordnung zu. Art. 145 bestimmt, dass die Republik Paraguay unter den Bedingungen der Gleichheit eine supranationale Rechtsordnung zusammen mit anderen Staaten zulässt599. Diese soll die Einhaltung der Menschenrechte, des Friedens, der Gerechtigkeit sowie die politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit gewährleisteten600. Die ausdrückliche Möglichkeit des Beitritts zu einer supranationalen Organisation beinhalte die Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsrechten an eine solche601. Art. 137 in Verbindung mit Art. 141 der Verfassung stellt hinsichtlich der Vorrangfrage klar, dass internationale Verträge einen Rang oberhalb des Gesetzesrechts, aber unterhalb des Verfassungsrechts haben602. Folglich haben ebenso wie auch in Argentinien Mercosur-Normen in Paraguay grundsätzlich Vorrang vor Gesetzesrecht603, auch dann, wenn es sich nicht um eine supranationale Organisation handelt. 597

Vgl. Teil 1, IV. 2. c). N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 259, 285. 599 N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 280. 600 Art. 145 der Verfassung Paraguays lautet: „La Repfflblica del Paraguay, en condiciones de igualdad con otros estados, admite un orden jurídico supranacional que garantice la vigencia de los derechos humanos, de la paz, de la justicia, de la cooperación, y el desarrollo, en el político, económico, social y cultural.“, zitiert nach: J. R. Torres Krimser, Reflexiones ante la problemática jurídica del Mercosur – El derecho frente al desafío de la integración, Asunción 1998, S. 98. 601 So R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 504; anderer Ansicht N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 280, 282. 602 Art. 141 der Verfassung Paraguays lautet: „Die ordnungsgemäß vom Kongress verabschiedeten internationalen Verträge sind Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung mit dem Rang, den Art. 137 bestimmt“; Art. 137 lautet: „Das höchste Gesetz der Republik ist die Verfassung. Diese und die internationalen Verträge und Übereinkommen, die ratifiziert wurden, sowie die vom Kongress erlassenen Gesetze und die anderen Normen niedrigeren Rangs stellen das positive nationale Recht dar und zwar in der Rangordnung, wie sie aus der Aufzählung hervorgeht.“, eigene Übersetzung, zitiert nach: A. Haller, Mercosur, S. 142, Fn. 469 f. 598

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Uruguay Die aus dem Jahre 1968 stammende Verfassung Uruguays äußert sich hinsichtlich des Verhältnisses von nationalem Recht und internationalem Recht sehr allgemein, könne aber dennoch als pro-integratorisch betrachtet werden604. In Art. 6 Abs. 2 der Verfassung bekennt sich die Republik Uruguay dazu, die soziale und wirtschaftliche Integration der lateinamerikanischen Staaten fördern zu wollen605. Zum Teil wird aus dieser Vorschrift die Entwicklung eines supranationalen Gemeinschaftsrechts im Rahmen des Mercosur für möglich gehalten606. Arbuet Vignali interpretiert hieraus sogar einen generellen Vorrang und eine unmittelbare Geltung von internationalem Recht607. Insgesamt trifft die Verfassung keine eindeutige Aussage hinsichtlich des Verhältnisses von internationalem zu nationalem Recht608. Eine einheitliche Rechtsprechungspraxis gibt es in dieser Frage ebenso nicht. In einigen Fällen wurden internationalen Verträgen Vorrang vor nationalem Recht eingeräumt, in anderen Fällen wurde genau anders herum entschieden609. Brasilien Ebenso wie Uruguay strebt auch Brasilien in seiner Verfassung von 1988 nach einer wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Integration der Völker Lateinamerikas610, und ebenso wie im Fall Uruguay gibt sie kei603 So auch J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 446; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 259. 604 So B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 123; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 281 f. 605 Art. 6 Abs. 2 der Verfassung Uruguays lautet: „Die Republik fördert die soziale und wirtschaftliche Integration der Staaten Lateinamerikas (. . .)“, eigene Übersetzung. 606 Vgl. H. Gros Espiell, El Tratado de Asunción, El Derecho Nr. 144 (1991), S. 13; C. E. Delpiazzo, El Derecho de la Integración frente a la constitución uruguaya, S. 62, 66. 607 H. Arbuet Vignali, Condiciones para la aplicación de una norma internacional en el ámbito del derecho interno, in: Revista de la Facultad de Derecho, 1993, S. 173, zitiert nach: J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 447. 608 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 518; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 282. 609 J. A. Tonillo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, S. 448. 610 Vgl. Art. 4 § 1 der Verfassung Brasiliens, die lautet: „Die Bundesrepublik Brasilien sucht die wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Integration der

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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nen Aufschluss über die Intensität der möglichen Integration. Zu einer möglichen Übertragung von Hoheitsrechten oder zu der Rangfrage von internationalen Verträgen trifft die Verfassung keine Aussage. Das Ziel ist jedoch die Bildung einer „lateinamerikanischen Gemeinschaft der Nationen“611. Diese Formulierung könnte dahin gehend verstanden werden, dass eine Gemeinschaft souveräner Staaten angestrebt wird und damit als Ablehnung einer umfassenden Übertragung von Hoheitsrechten612. In solchen Bereichen, in denen nach Art. 22 der brasilianischen Verfassung der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz hat, wie z. B. für das Handelsrecht und den Außenhandel, stößt ein Vorrang des Mercosur-Rechts auf verfassungsrechtliche Schwierigkeiten613. In jedem Fall hat die Verfassung Vorrang vor internationalen Verträgen614. Diese Interpretation entspricht dem Verhalten der Delegationen Brasiliens, die bei den Verhandlungen zum Mercosur immer wieder Verfassungsbedenken anmeldeten und jegliche Einschränkung von Hoheitsrechten bisher verhindert haben615. Bei der Ratifizierung des Vertrags von Asunción hat der brasilianische Kongress ausdrücklich darauf hingewiesen, dass künftige Änderungen des Vertrags der erneuten Zustimmung des Kongresses bedürfen616. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in allen Vertragsstaaten die Ratifikation der Verträge eine völkerrechtliche Verbindlichkeit begründet, und die regionale Integration in einigen Verfassungen sogar ausdrücklich vorgesehen ist617. Die innerstaatliche Geltung hängt von der parlamentarischen Zustimmung ab. Während Paraguay und Argentinien einen Vorrang Völker Lateinamerikas durch die Bildung einer lateinamerikanischen Gemeinschaft der Nationen“, eigene Übersetzung. 611 Vgl. Anmerkungen in Fn. 610 (1. Teil). 612 Vgl. D. A. Sabsay, La experiencia del Mercosur, in: U. Battis/P. Kunig/I. Pernice/A. Randelzhofer, Das Grundgesetz im Prozess europäischer und globaler Verfassungsentwicklung, 2000, S. 157; m. w. N. N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 275, 277. 613 C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1389. 614 J. Samtleben, Internationales Privatrecht in Lateinamerika, S. 123, zitiert nach: B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 122, Fn. 576. 615 So hat die brasilianische Delegation bei den Verhandlungen zur Ausarbeitung des Protokolls von Ouro Preto eine ausdrückliche unmittelbare Geltung des Mercosur-Rechts verhindert, vgl. J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 101, und war Hauptgegner der Einrichtung eines permanenten, supranationalen Gerichtshofs, vgl. M. A. Elizeche, Mercosur, S. 41. 616 C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1388. 617 M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, S. 136, 144, 146, 150; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 65.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

von völkerrechtlichen Verträgen vor nationalem Gesetzesrecht anerkennen, lehnen Brasilien und Uruguay einen solchen bisher ab618. Herrera Vegas hält dies für eines der Hauptprobleme des Mercosur619, und es werden Verfassungsreformen angemahnt620. 3. Zusammenfassung Fraglich ist, ob man bei der Rechtsordnung des Mercosur von Gemeinschaftsrecht sprechen kann. Integrationsrecht kann nicht grundsätzlich mit Gemeinschaftsrecht gleichgesetzt werden621. Maßgeblich für die Klassifizierung von Integrationsrecht als Gemeinschaftsrecht ist das Vorhandensein charakteristischer Merkmale des Europäischen Gemeinschaftsrechts622. Dies beruht auf der Tatsache, dass ein eigenständiges südamerikanisches Gemeinschaftsrecht bisher nicht existiert623. Gemeinschaftsrecht im Sinne des 618 B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 63; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 285. 619 J. H. Herrera Vegas, En la ciudad brasileña de Fortaleza el Mercosur cumplirá dos años, in: Ministerio de Relaciones Exteriores, Comercio Internacional y Culto, Secretaría de Relaciones Económicas Internacionales (Hrsg.), La Argentina de cara al mundo: Hacia una nueva inserción en la economía internacional – Aportes para un debate necesario, 1996, S. 35, zitiert nach: A. Haller, Mercosur, S. 145, Fn. 486. 620 M. Midón, El mayor desafío del siglo XX, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 917; L. Bizzozero, La estrategia institucional del Mercosur, 32; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 503. M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 285; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 212 f. 621 Was aber getan wird, vgl. M. Midón, El mayor desafío del siglo XX, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 915; M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 77; J. Pérez Otermin, Solución de controversias en el Mercosur, 1992, S. 93; M. A. Elizeche, Mercosur, S. 22; M. C. Vázquez, Análisis de algunos aspectos de la integración en el Mercosur, desde el punto de vista del derecho administrativo, S. 30; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 86; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 59, 62; R. Bloch, Aportes para la resolución de conflictos en el Mercosur, S. 50; ders., Solución de controversias en el Mercosur, S. 59, 65; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 285. 622 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 68–80; U. Wehner, Der Mercosur, S. 118; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 254; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 115. 623 B. Garré Copello, Solución de controverias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 213, 217; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 123. Zur Geschichte und Definition

IV. Das Verhältnis des Mercosur-Rechts zum nationalen Recht

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Europäischen Gemeinschaftsrechts ist eine Rechtsordnung, die weder als nationales Recht noch als Völkerrecht einzuordnen ist624, sondern dazwischen liegt625. Obwohl durch internationale Vereinbarungen geschaffen, erschöpfen sich die Normen nicht in den Verträgen, sondern werden durch die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane626 weiterentwickelt. Die Normen regeln nicht bloß das Verhältnis zwischen den Staaten, sondern auch das Verhältnis zwischen Privaten in den Mitgliedstaaten und müssen sich in die Rechtsordnungen dieser integrieren627. Es ist daher nicht ausländisches oder internationales Recht, sondern innerstaatliches Recht der Mitgliedstaaten628. Als Wesensmerkmale des Gemeinschaftsrechts werden drei Effekte genannt: die unmittelbare Geltung, die unmittelbare Anwendbarkeit und der Vorrang des Gemeinschaftsrechts in den nationalen Rechtsordnungen629. Wie gesehen, sind alle drei Merkmale im jetzigen Stand der Integration nicht vollständig verwirklicht, weder aus Sicht der Verträge noch aus Sicht der Verfassungen der Mitgliedstaaten. Die Mercosur-Normen müssen in indes Gemeinschaftsrechts ausführlich: H. Arbuet Vignali, Las claves jurídicas de la integración, S. 270 ff.; 333 ff., 358 ff. 624 Vgl. Fn. 318 (1. Teil). 625 T. Oppermann, Europarecht, S. 139 Rn. 5; H. Arbuet Vignali, El Protocolo de Ouro Preto – Una excusa para hablar de integración, S. 38; B. Garré Copello, La creación de un tribunal de justicia en el Mercado Comffln del Sur, S. 176; B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 57; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 62; m. w. N. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 61–64. Zum Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten vgl. Teil 1, IV. 626 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 93. 627 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 93; in diesem Sinne auch: K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 107 ff.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 94. 628 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 109; J. C. Cassagne, El Mercosur y las relaciones con el Derecho Interno, La Ley 18 (1995), S. 625; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 65 f. 629 Vgl. bereits Gliederungspunkt IV. 1. Vgl. auch: R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/ J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 162–173; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 67–73; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 94–101; A. Perotti, El Derecho de Integración en el Mercosur, S. 79; J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 7; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 68 f.; H. Arbuet Vignali, Las claves jurídicas de la integración, S. 341, 362; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 57–61; C. E. Delpiazzo, El Derecho de la Integración frente a la constitución uruguaya, S. 64; M. R. Brito, Solución de controversias en el Mercosur, S. 162; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 115.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

nerstaatliches Recht umgesetzt werden und können durch spätere innerstaatliche Vorschriften von Gesetzesrang abgeändert oder aufgehoben werden. Die letzte Entscheidung über die Umsetzung liegt so in der Hand der Mitgliedstaaten. Beim Mercosur handelt es sich also um einen Staatenbund im klassischen völkerrechtlichen Sinn630. Im Einklang mit der Mehrheit in der Literatur631 wird die Existenz eines eigenständigen Derecho Comunitario 630 Ganz so J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 14; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 259; H. Arbuet Vignali, El Protocolo de Ouro Preto – Una excusa para hablar de integración, S. 50; U. Wehner, Der Mercosur, S. 116; J. Samtleben, Der Mercosur als Rechtssystem, S. 76; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 46; B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 59 f.; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 301. Zur Definition des Staatenbundes: I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen einschließlich der supranationalen Gemeinschaften, Rn. 0105 i. V. m. 0116; grundlegend zum Begriff des Staatenbundes: G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 743 ff. insb. S. 762 ff.; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 207 ff.; W. Wengler, Völkerrecht, Bd. II, 1964, S. 1221 ff. 631 S. Jardel/A. Barraza, Mercosur – Aspectos jurídicos y económicos, S. 84; E. O’Farrell, La amornización del derecho en los países del Mercosur, in: La Ley, 5. Aug. 1993, Kapitel X, zitiert nach: M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 361, Fn. 419; J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 6 f., 10; J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 153 und 174 f.; J. Pérez Otermin, El Mercodo Comffln del Sur, S. 21; E. J. Rey Caro, La solución de controversias en el Mercosur, in: Universidad Nacional de Córdoba (Hrsg.), Jornadas de Reflexión sobre Regionalización y Mercosur, 2000, S. 99; H. Arbuet Vignali, El Protocolo de Ouro Preto – Una excusa para hablar de integración, S. 50; A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 121 f.; U. Wehner, Der Mercosur, S. 118; B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 213; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 89; C. Pizzolo, Pensar el Mercosur, 1998, S. 290; R. Correa Freitas, Los órganos del Mercosur, ADCL 11 (2005) 2, S. 814; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 13; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 123, 169; L. M. del Carmen Calderón Vico de Della Savia u. a., El Arbitraje en el Mercosur, S. 25; J. J. Villamarín, Las constituciones en el Mercosur, S. 90; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 234; Anders: C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 14 und 23; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 210; A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur, S. 117; M. Á. Ekmekdjian, ¿Una constitución para el Mercosur?, ADCL 1999, S. 36; ders., Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 362; H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 50 f.; A. Perotti, El Derecho de Integración en el Mercosur, S. 79 ff.; C. E. Delpiazzo, El Derecho de la Integración frente a la constitución uruguaya, S. 64; M. R. Brito, Solución de controversias en el Mercosur, S. 169; R. Bloch, Aportes para la resolución de conflictos en el Mercosur, S. 50, 52; ders., Solución de controversias en el Mercosur, S. 65; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 42. Unklar:

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Mercosureño, einem Mercosur-Gemeinschaftsrecht auch vom neunten Schiedsspruch verneint632. Das Rechtssystem des Mercosur entspricht nicht dem der Europäischen Union633. Die Tatsache, dass Mercosur-Recht nicht unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt, birgt einen interessanten Unterschied zum Recht der Europäischen Union. Alle Rechtsakte im Mercosur, unabhängig davon ob sie der Rat, die Gruppe Gemeinsamer Markt oder die Handelskommission erlassen, entsprechen damit der Richtlinie im EU-Recht634, welche der Rechtsangleichung dient und nur verbindlich hinsichtlich der festgelegten Ziele ist635. Die Pflicht der Mitgliedstaaten, alle Vorschriften der Mercosur-Organe in die nationale Rechtsordnung einzugliedern, verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Rechtsangleichung, wie sie EU-Richtlinien gemäß Art. 249 EGV den Staaten der Europäischen Union auferlegen636. Es wird dem nationalen Rechtssystem überlassen, welche Organe welche Rechts- oder Verwaltungsakte erlassen, um die Verbindlichkeit der gemeinsamen Regelungen sicher zu stellen637. Eine Regelung, welche z. B. eine Höchstgrenze für Pestizidrückstände in Lebensmitteln festlegt638, kann auf verschiedene Art und Weise in B. Feder, El Protocolo de Olivos, LA Didier Opertti Badán, S. 849. Allerdings wird der Begriff derecho comunitario – Gemeinschaftsrecht – in der spanischen Literatur häufig verwendet, ohne aber Gemeinschaftsrecht im Sinne der oben genannten Kriterien zu meinen, sondern als Synonym für eine gemeinsame Rechtsordnung, vgl. beispielsweise M. A. Elizeche, Mercosur – Proyección y estructura jurídica, S. 23; H. Lavopa, La dimensión jurídica de la integración, Contribuciones Nr. 4 (1996), S. 180; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 199; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 172; R. Dromi, Competencia y Monopolio – Argentina, Mercosur y OMC, 1999, S. 169; A.R. Vázquez, Soberanía, supranacionalidad e integración, ADCL 2001, S. 238; M. Quiroga Obregón, Mercosur, S. 62. 632 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Rn. 65. 633 A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 17. Allerdings sei die Situation mit den Anfängen der EWG durchaus vergleichbar, vgl. R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 469; H. Lavopa, La dimensión jurídica de la integración, Contribuciones Nr. 4 (1996), S. 184. 634 Hierauf wurde bereits verwiesen, vgl. Fn. 522 (1. Teil). 635 R. Streinz, Europarecht, S. 149 Rn. 433; G. Schmidt, Art. 249 EG, in Groeben/Schwarze, S. 779 ff. Rn. 25 und 37 ff.; M. Nettesheim, Art. 249 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn.133. 636 Zu Recht behandelt R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 95 ff. wichtige weiter unten besprochene Mercosur-Protokolle, wie das Wettbewerbsschutzprotokoll, das Dienstleistungsprotokoll, das Protokoll von Colonia über den Schutz ausländischer Investitionen unter der Überschrift „Harmonization of Substantive Rules“. 637 C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 20 ff. 638 Vgl. etwa die Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt Nr. 62/92, 23/94, 56/94.

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innerstaatliches Recht umgesetzt werden. Die nationale Gesundheitsbehörde kann einen Verwaltungsakt erlassen oder das nationale Parlament eine Änderung eines eventuell existierenden Gesetzes zum Gesundheits- oder Verbraucherschutz bewirken oder ein solches überhaupt erst erlassen. Eine Unterscheidung, wie sie im Europarecht getroffen wird639, zwischen Rechtsangleichung „von oben“, also durch Richtlinien, oder „von unten“ durch gemeinsame unmittelbar geltende Vorschriften, gegen die eine mitgliedstaatliche Regelung nicht widersprechen darf, ist im Mercosur nicht sinnvoll. 4. Supranationalität Der Frage, inwieweit der Mercosur als eine supranationale Organisation angesehen werden kann, wird in der Literatur zum Mercosur Beachtung geschenkt640. Der Begriff der Supranationalität tauchte in seiner heutigen Bedeutung erstmals im EGKS-Vertrag auf, wo im Art. 9 Abs. 4 die Tätigkeit der Kommission als supranational bezeichnet wird641. Bei diesem Terminus handelt es sich nicht um einen juristischen Begriff, aus dem Rechtsfolgen gezogen werden können, sondern vielmehr um eine Charakterisierung von Staatenzusammenschlüssen, die so sehr vom Bild der herkömmlichen Kooperation souveräner Staaten abweicht, dass eine neue Bezeichnung ge639

M. Dreher, Kartellrechtsvielfalt oder Kartellrechtseinheit?, AG 1993, S. 446. Vgl. J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 14 f.; H. Babace, La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, in: Vázquez, M. Cristina u. a. (Hrsg.), Estudios multidisciplinarios sobre el Mercosur, Montevideo 1995, S. 114 f.; D. Fernández Arroyo, El Derecho Internacional Privado en el Mercosur, S. 93 f. R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 129 ff.; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 90 ff.; U. Wehner, Der Mercosur, S. 125 ff.; A. Perotti, La supranacionalidad en el Constitucionalismo Latinoamericano: El Caso del Mercosur, in: Secretaría General de la Comunidad Andina (Hrsg.), Integración y Supranacionalidad, 2001, S. 136 ff.; M. R. Brito, Solución de controversias en el Mercosur, S. 161 ff.; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 185 ff.; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 61. Auch in der Europäischen Union wurde die Dichotomie intergouvernementaler gegenüber supranationaler Charakteristika problematisiert. Hierauf verweist: W. Hummer, Paradigmenwechsel im Internationalen Organisationsrecht – Von der „Supranationalität“ zur „strukturellen Kongruenz und Homogenität“ der Verbandsgewalt, S. 147. Zuletzt noch: T. Schmitz, Integration in der Supranationalen Union. Das europäische Organisationsmodell einer prozeßhaften georegionalen Integration und seine rechtlichen und staatstheoretischen Implikationen, 2001. 641 Seither wird der Begriff verwendet, um die Europäische Union als Institution wie auch das EU-Recht zu charakterisieren. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die Europäische Union im Maastricht-Urteil als eine supranationale Organisation, vgl. BVerfGE 89, 155 (175). 640

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rechtfertigt ist642. Die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sind zwar weiterhin völkerrechtlicher Natur, der Unterschied liegt aber in der Übertragung von Souveränitätsrechten oder Hoheitsrechten an zwischenstaatliche Einrichtungen643. Eine supranationale Gemeinschaft unterscheidet sich von klassischen zwischenstaatlichen Zusammenschlüssen durch die Möglichkeit, verbindliche Beschlüsse zu fassen, die die Mitgliedstaaten auch gegen deren Willen verpflichten können, wodurch die Mitgliedstaaten Souveränitätsrechte einbüßen644. Dies kann auf zweierlei Weise geschehen: entweder durch die Schaffung von unabhängigen Organen, in denen nicht alle oder kein Mitgliedstaat vertreten ist, oder durch Organe, in denen zwar alle Staaten vertreten sind, die aber mit Stimmenmehrheit Beschlüsse fassen645. Neben der Unabhängigkeit der Beschlussfassung stellt ein weiterer Definitionsansatz schließlich auf die Qualität der erlassenen Normen ab. Von einer supranationalen Organisation kann demnach nur gesprochen werden, wenn das Gemeinschaftsrecht unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt und dem nationalen Recht vorgeht646. Die Frage nach der Supranationalität des Mercosur hängt offensichtlich eng mit der Frage nach der Existenz eines Mercosur-Gemeinschaftsrechts zusammen647. Beide Begriffe werden in der Literatur häufig in einem gleichen Zusammenhang oder sogar synonym verwendet. Bizzozero hält Supranationalität für ein Merkmal von Gemeinschaftsrecht, durch das sich dieses vom herkömmlichen Völkerrecht unterscheide648, und Dreyzin de Klor for642 R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht – Die Bezüge des Staatsrechts zum Völkerrecht und Europarecht, 2. Aufl. 1994, § 27, II, 1; T. Oppermann, Europarecht, S. 274 Rn. 4–6; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 141 f.; R. Streinz, Art. 1 EGV, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, S. 223 f. Rn. 18 ff. 643 V. Epping, Völkerrechtssubjekte, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 76 f. Zu den supranationalen Elementen: T. Oppermann, Europarecht, S. 275 ff. Rn. 7 ff.; vgl. auch H. Arbuet Vignali, Las claves jurídicas de la integración, S. 341 ff. 644 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 67–70; M. Zuleeg, Art. 1 EG, in: Groeben/Schwarze, S. 574 Rn. 6; S. 582 ff. Rn. 22 ff.; C. Callies, Art. 1 EUV, in: ders./Ruffert, Rn. 2. 645 R. Streinz, Europarecht, S. 50 Rn. 127. 646 R. Streinz, Europarecht, S. 51 Rn. 131; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 24; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 61. Kritisch zum Begriff der Supranationalität bereits F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 318 ff. 647 So auch J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 161; H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 50. 648 L. Bizzozero, El surgimiento del Mercosur y de la C.E.E. – Un análisis comparativo, Revista de la Facultad de Derecho de Montevideo 1 (1991), S. 144; ebenso: J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 162; N. Pérez,

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dert die Ausstattung des Mercosur mit supranationalen Organen, um ein ordenamiento jurídico comunitario – eine Gemeinschaftsrechtordnung – zu erreichen649. Tatsächlich verhält es sich eher anders herum. Eine Gemeinschaftsrechtsordnung mit den Merkmalen der unmittelbaren Geltung und des Vorrangs des Rechts in den Mitgliedstaaten ist die Voraussetzung für die Charakterisierung eines Staatenverbundes als supranational650. Der Begriff der Supranationalität ist nach dieser Definition weiter als der des Gemeinschaftsrechts. Zu den Merkmalen des Vorrangs und der unmittelbaren Geltung kommt die Unabhängigkeit der Beschlussorgane und damit die Möglichkeit, die Mitgliedstaaten gegen ihren Willen zu einem bestimmten Verhalten zu verpflichten, hinzu. Wie bereits gesehen, kann man beim Mercosur nicht von einer Gemeinschaftsrechtsordnung im Sinne des Europäischen Gemeinschaftsrechts ausgehen. Ein allgemeiner Vorrang und unmittelbare Geltung des MercosurRechts sind im derzeitigen Stand der Integration nicht gegeben651. Es bleibt zu untersuchen, inwieweit Hoheitsrechte von den Mitgliedstaaten an die Mercosur-Organe übertragen wurden. Wie in Kapitel II über das institutionelle Recht des Mercosur gesehen, sind die Organe rein zwischenstaatlich zusammengesetzt. Sie bestehen aus La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 115 f.; H. Arbuet Vignali, Las claves jurídicas de la integración, S. 241, 336, 341 f.; ders., Reflexiones políticas, jurídicas y epistemológicas sobre el Mercosur, S. 35; E. D. Gaggero, Armonización de las legislaciones sobre transportes en el Mercosur, in: M. C. Vázquez u. a. (Hrsg.), Estudios multidisciplinarios sobre el Mercosur, 1995, S. 64 f.; ähnlich J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 7, der eine Wirtschaftsintegration ohne Gemeinschaftsrecht jedoch mit starken supranationalen Elementen für möglich hält. 649 A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 174 f.; dies., Sistema de solución de Controversias en el Mercosur, S. 100; in diesem Sinne auch Arbuet Vignali, der die Supranationalität für eine Voraussetzung von Gemeinschaftsrecht hält, vgl. H. Arbuet Vignali, El Protocolo de Ouro Preto – Una excusa para hablar de integración, S. 38; so wohl auch: B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 194, 213; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 234 f. Eine synonyme Verwendung beider Begriffe findet sich bei M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur, Boletín Informativo Techint 1995 Nr. 283, S. 77. 650 C. Callies, Art. 1 EUV, in: ders./Ruffert, Rn. 8; J. C. Wichard, Art. 1 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 2; T. Oppermann, Europarecht, S. 140 Rn. 7, S. 275 Rn. 10; M. Herdegen, Europarecht, S. 70 Rn. 9; so wohl auch R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 69 f. 651 Anderer Meinung aber: Midón, der die Supranationalität des Mercosur bereits aus dem Vorrang des Mercosur-Rechts ableitet, vgl. M. Midón, El mayor desafío del siglo XX, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 915, 920; ähnlich auch J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, 740, 743.

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Repräsentanten der jeweiligen Regierungen. Beschlüsse werden im Konsens gefasst652. Zusammensetzung und Beschlussfassung der Organe reichen aus, um deren Supranationalität zu verneinen. Der Mercosur ist vielmehr ein Staatenbund im Sinne des herkömmlichen Völkerrechts653. Die Vertragsstaaten haben es vermieden, Souveränitätsrechte an die Mercosur-Organe zu übertragen654. Sie können nicht gegen ihren Willen verpflichtet werden, da die von ihnen hervorgebrachten Normen im Konsens und bei Anwesenheit aller Mitgliedstaaten gefasst werden655. Zusätzlich hängt auch die Geltung der Normen vom guten Willen der Mitgliedstaaten ab656, die diese erst umsetzen müssen und durch ein späteres Gesetz jederzeit wieder aufheben können. Den Organen kommt damit die Qualität bloßer Delegierter zu, die mit der Verwaltung der Handelsliberalisierung beauftragt wurden657. Um allen Missverständnissen zuvor zu kommen, stellt Art. 2 des Protokolls von Ouro Preto ausdrücklich klar, dass die Organe zwischenstaatlicher Natur sind (de naturaleza intergubernamental). Diese eigentlich überflüssige Klarstellung, denn sie geht bereits deutlich aus der Zusammensetzung der Organe hervor658, wird dahingehend interpretiert, dass die Vertragsstaaten auch den geringsten Ansatz an Supranationalität vermeiden wollten659. Dies hält jedoch einige Autoren nicht davon ab, den Mercosur dennoch als supranationale Organisation zu begreifen660. Diese Meinung kommt im Wesentlichen durch die unterschiedliche Auffassung der Verbindlichkeits652

Vgl. Teil 1, III. 1. b). Vgl. auch Fn. 630 (1. Teil). 654 H. Babace, Derecho de la Integración, S. 225; L. M. del Carmen Calderón Vico de Della Savia u. a., El Arbitraje en el Mercosur, S. 70 fragen, ob nicht der Beitritt zum Mercosur-Streitbeilegungsverfahren eine Übertragung von Hoheitsrechten bedeutet. 655 Vgl. Teil 1, IV 1. b). 656 M. Hassemer, Gewerbliche Schutzrechte im Mercosur, S. 21. 657 M. Haines-Ferrari, Mercosur: A new model of Latin American Economic Integration?, Case W. Res. J. Int’l L. 25 (1993) 3, S. 437. 658 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 79. 659 J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur, S. 24; U. Wehner, Der Mercosur, S. 128; ähnlich E. I. Rimoldi de Ladmann, La estructura institucional a patir del Protocolo de Ouro Preto, in: H. Arbuet Vignali, u. a. (Hrsg.), IV encuentro internacional de derecho para América del Sur – El desarollo de la integración hacia el siglo XXI: Mercosur, balance y perspectivas, 1996, S. 55; R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 73. 660 M. Midón, El mayor desafío del siglo XX, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 915, 920; C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 11 f., 64, und 129; J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, 743; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 93; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 162. 653

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wirkung der Mercosur-Normen zustande. Die Normen sind nach dem Protokoll von Ouro Preto ausdrücklich verbindlich661. Daraus wird geschlossen, dass sie die Mitgliedstaaten zu Handlungen verpflichten können662. Diese Ansicht impliziert einen Vorrang der Gemeinschaftsnormen vor dem innerstaatlichen Recht, der aus der Verbindlichkeit folgt663, was, wie bereits dargestellt, eigentlich richtig ist, denn sonst wären sie nicht verbindlich664, aber überwiegend abgelehnt wird665 und mit den Verfassungen Brasiliens und Uruguays nicht vereinbar ist666. Das vierte Schiedsgericht stellt klar, dass entgegen der in Art. 9 des Protokolls von Ouro Preto festgeschriebenen Verbindlichkeit Mercosur-Recht erst innerstaatliche Geltung erlangt, wenn der in Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto vorgeschriebene Prozess abgeschlossen ist. Dies sei kein Widerspruch, sondern eben das Prinzip der simultanen Geltung667. Aber selbst wenn man einen Vorrang der Gemeinschaftsnormen annimmt, treffen die Organe aufgrund Zusammensetzung und Entscheidungsmodus keine von den Mitgliedstaaten unabhängigen Entscheidungen. Die Mitgliedstaaten können auch dann nicht gegen ihren Willen verpflichtet werden. Ihre Souveränität ist nicht eingeschränkt. Teilweise wird in dem Ad-hoc-Schiedsgericht668 ein Stück Supranationalität gesehen669. Der Schiedsspruch selbst ist die dritte Stufe des gesamten Streitbeilegungsverfahrens670, welches nur Streitigkeiten zwischen Mitglied661 Vgl. Art. 9, 15, 20 und 42 des Protokolls von Ouro Preto; Gliederungspunkt IV 1. a), S. 41 f. 662 So auch B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 92 f. 663 So die Argumentation bei J. V. Sola, La jerarquía de las leyes y reglamentos nacionales con las normas del Mercosur, La Ley 1996-E, S. 740, 743. 664 Zu dieser Argumentation bereits oben, Teil 1, IV. 2. c), S. 129 f. 665 Vgl. Kapitel IV. 2. c). 666 Vgl. Kapitel IV. 2. d). 667 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 116. 668 Das Streitbeilegungsverfahren wird im folgenden Kapitel V, dargestellt. 669 J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 12, 15; W. Stevens, Mercosur – A Latin American regional integration of the second generation, Studia Diplomatica Nr. 4 (1995), S. 55; C. E. Delpiazzo, El Derecho de la Integración frente a la constitución uruguaya, S. 64; m. w. N. U. Wehner, Der Mercosur, S. 128; A. Perotti, Estructura institucional y Derecho en el Mercosur, Revista de Derecho Internacional y del Mercosur: La Ley 6 (2002) Nr. 1, S. 66; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 163, 185; in diesem Sinne bereits B. Garré Copello, Solución de controversias (1993), S. 25; H. N. Di Biase, Introducción al Derecho de la Integración con especial referencia al Mercosur, in: A. Durán Martínez (Hrsg.), El MERCOSUR después de Ouro Preto: aspectos jurídicos – semenario realizado en la Facultad de Derecho de la U. C. U. D. A. L los días 28 y 29 de agosto, 5 y 6 de septiembre de 1995, S. 24; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 62. 670 Vgl. Art. 9 ff. des Protokolls von Olivos.

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staaten regelt671. Das Schiedsgericht setzt sich aus drei Richtern zusammen, wobei zwei von den jeweiligen betroffenen Mitgliedstaaten ausgewählt werden, der dritte aber unabhängiger Nationalität sein muss672. Das Urteil wird nach dem Mehrheitsprinzip gefällt und soll uneingeschränkte Bindungswirkung in den Mitgliedstaaten entfalten673. Die Nicht-Erfüllung kann mit dem starken Mittel der Repressalie durchgesetzt werden674. Die Schiedssprüche können die Mitgliedstaaten demnach gegen ihren ausdrücklichen Willen verpflichten675. Die Regelung zum Streitbeilegungsverfahren stellt einen Souveränitätsverzicht der Mitgliedstaaten dar676. Dies darf aber nicht über die insgesamt zwischenstaatliche Ausrichtung des Streitbeilegungsverfahrens hinwegtäuschen677. Die ersten zwei Stufen des Verfahrens bestehen aus diplomatischen Verhandlungen der Mitgliedstaaten, bei denen auch die Gruppe und die Handelskommission eingebunden werden können678. Erst wenn sich die Mitgliedstaaten hier nicht einigen, kommt es zu dem Ad-hoc-Schiedsverfahren, das, ebenso wie das neu eingerichtete Revisionsgericht, trotz des Mehrheitsbeschlusses kaum als supranational einzustufen ist, weil sich die Zusammensetzung nicht von derjenigen anderer völkerrechtlicher Schiedsgerichte unterscheidet679. Zudem 671 Vgl. Art. 1 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. Das Schiedsverfahren für Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten kann nach Kapitel XI des Protokolls von Olivos auch von Privaten initiiert werden. 672 Art. 10 Abs. 2 lit. (i) des Protokolls von Olivos. 673 Art. 25 des Protokolls von Olivos. 674 Art. 31 des Protokolls von Olivos sieht „medidas compensatorias“ – ausgleichende Maßnahmen – vor. Dass hiermit die Möglichkeit der Anwendung einer Repressalie gemeint ist, stellt das 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Rn. 65 heraus. Hierzu auch: Teil 1, V. 1. b). 675 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 62. 676 So auch U. Wehner, Der Mercosur, S. 128; W. Stevens, Mercosur, Studia Diplomatica Nr. 4 (1995), S. 55. 677 A. Zelada Castedo, Competencias legales y toma de decisiones, Integración Latinoamericana Nr. 196 (1993), S. 62; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 266 ff.; U. Wehner, Der Mercosur, S. 129; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 202 f.; J. Vervaele, Mercosur and regional integration in South America, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 394. Die Zwischenstaatlichkeit ist eines der Hauptkritikpunkte des Schiedsverfahrens, vgl. Fn. 1010 (1. Teil). 678 Vgl. Art. 4–8 des Protokolls von Olivos und Art. 21 des Protokolls von Ouro Preto. 679 A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, in: Universidad Carlos III de Madrid – Instituto de Derecho Pfflblico Comparado (Hrsg.), Justicia Constitucional en Iberoamérica: Brasilianisch-Europäisches Forum, organisiert durch die Konrad Adenauer-Stiftung und die Universidad Federal de Santa Catarina, Florianápolis, 22–24 November 2002, abrufbar unter: http://www.uc3m.es/uc3m/inst/MGP/JCI/00-por tada.htm, Punkt III.

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entscheidet das Schiedsgericht über die Anwendung und Interpretation von Normen, die entweder wie beim Primärrecht aus diplomatischen Konferenzen oder wie beim Sekundärrecht aus zwischenstaatlich geprägten Organen hervorgegangen sind680. Abgesehen davon, dass eine Streitigkeit über selbst zugestimmte Regelungen unwahrscheinlich ist: eine Verpflichtung, die über das ohnehin bereits Vereinbarte hinausginge, ergibt sich durch eine schiedsgerichtliche Entscheidung nicht681. Hinzu kommt, dass die Staaten dem Urteil zwar nachkommen, also die vom Schiedsgericht auferlegte Verpflichtung erfüllen müssen, Individuen sich aber kaum vor staatlichen Organen unmittelbar auf die Entscheidung berufen können682. Demnach fehlt es an der für die Annahme der Supranationalität des Streitbeilegungssystems vorauszusetzenden unmittelbaren Anwendbarkeit des Schiedsspruchs. Ein gewisser Grad an Supranationalität wird dem Mercosur auch aufgrund des 1996 verabschiedeten Wettbewerbsschutzprotokolls zugestanden683. Das Wettbewerbskomitee kann in Zusammenarbeit mit der Handelskommission Sanktionen gegen Wirtschaftsteilnehmer verhängen, welche gegen das Protokoll verstoßen684. Dies stelle eine Übertragung von Hoheitsrechten an den Mercosur dar685. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass das Wettbewerbskomitee nicht anders als die Handelskommission aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzt ist, auch hier das Konsensprinzip für die Beschlussfassung gilt und zudem Sanktionen von dem jeweiligen Vertragsstaat durchgesetzt werden müssen, in dem das beschuldigte Unternehmen ansässig ist. Trotz einiger supranationaler Elemente ist der Mercosur eine überwiegend zwischenstaatliche, am allgemeinen Völkerrecht orientierte Organisation686. Eine effektive Fortentwicklung des Mercosur-Rechts hängt daher 680 Die Entscheidungsfindung in den Organen unterscheidet sich aufgrund ihrer Zusammensetzung nicht wesentlich von diplomatischen Konferenzen, vgl. M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 264; B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 60. 681 U. Wehner, Der Mercosur, S. 129. 682 Hierzu Teil 1, V. 1. c), insb. S. 171. 683 S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 206 f.; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 400, 409. 684 Hierzu vgl. Teil 3, III. 4. 685 S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 207. 686 B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 194, 213; vgl. auch: R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, Asunción, S. 65; M. C. Vázquez, Análisis de algunos aspectos de la integración en el Mercosur, desde el punto de vista del derecho administrativo, S. 39; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 172 f.; D. Fernández Arroyo, El Derecho

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ausschließlich von dem Willen der Mitgliedstaaten ab, was vielfach kritisiert wird687, aber durchaus auch Vorteile hat688. Das in den südamerikanischen Staaten generell stark ausgeprägte Souveränitätsdenken689 könnte in den in den meisten Ländern bis in die 1980er-Jahre herrschenden Diktaturen begründet sein. Die Völker haben offensichtlich eine Abneigung gegen oktroyierte Entscheidungen.

Internacional Privado en el Mercosur, S. 93; S. Czar de Zalduendo, La integración económica, El Derecho Nr. 168 (1996), 1049; B. Pallarés, La incorporación de las Normas Mercosur a los derechos internos y la seguridad jurídica, S. 59; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 63; J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 5, 15; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 158, 269; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 202, 221 ff.; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 36; C. E. Delpiazzo, Fuentes del Derecho de la Integración, S. 67, 77; F. Rotondo, Organisación del Mercosur, S. 83; M. R. Brito, Solución de controversias en el Mercosur, S. 162 f. m. w. N.; R. R. Díaz Labrano, Naturaleza Jurídica del Mercosur, S. 21; ders., Mercosur – Integración y derecho, S. 44, 490 f. 492 f.; H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 51; R. Vigil Toledo, La cooperación entre el Tribunal de Justicia de la Comunidad Andina y el Tribunal Permanente de Revisión del Mercosur, ADCL 11 (2005) 2, S. 796, 407; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 392; B. Feder, El Protocolo de Olivos, LA Opertti Badán, S. 850; L. M. del Carmen Calderón Vico de Della Savia u. a., El Arbitraje en el Mercosur, S. 25; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 225; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 61; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 203. Die Abwesenheit von Mercosur-Normen supranationalen Charakters stellt auch das 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse) in Rn. 85 lit. (iii) fest. 687 Unter vielen: M. Á. Ekmekdjian, ¿Una constitución para el Mercosur?, ADCL 1999, S. 86 u. 89; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 88; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 43; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 105; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 232 f.; vgl. auch Fn. 1025 (1. Teil). 688 Eine Bewertung der Integrationsmethode findet sich im letzten Kapitel VI des ersten Teils. 689 J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, S. 2003; E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 54, Fn. 143. Das Souveränitätsdenken wird auch als Ursache für die dem Mercosur vorangegangenen Integrationsbemühungen gesehen, vgl. N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 204; ähnlich B. Garré Copello, Solución de Controversias en el Mercosur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 202.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

V. Streitschlichtungssystem Die Schaffung eines effizienten Systems zur Streitbeilegung bedeutet die Schaffung von Rechtssicherheit690. Jedes System regionaler Integration, ob einfache Freihandelszone oder komplexe Wirtschaftsunion, benötigt daher neben den politischen Organen und solchen zur Verwaltung auch ein System der Konfliktlösung691. Das Scheitern der vielen dem Mercosur vorausgegangenen Integrationsbemühungen in Lateinamerika wird auch auf das Fehlen eines effizienten Konfliktlösungssystems zurückgeführt692. Das derzeit gültige Streitbeilegungssystem ist hauptsächlich im Protokoll von Olivos geregelt, welches, in Kraft getreten am 2. Januar 2004693, das bis dahin gültige Protokoll von Brasilia694 und das Reglement zum Pro690 A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 104; bezogen auf den innerstaatlichen Rechtschutz: K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 142 f. Sofern die Streitschlichtungsinstanz eine einheitliche Auslegung des Rechts fördert, zustimmend: J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 454; D. Opertti Badán, Revisión del sistema de soluciones de controversias del Mercosur, in: Ministerio de Relaciones Exteriores, Comercio Internacional y Culto de la Repfflblica Argentina (Hrsg.), Seminario solución de controversias y medios institucionales para la resolución de los conflictos de intereses, Buenos Aires 15 y 16 deciembre de 1995, 1996, S. 69. 691 A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 103; in diesem Sinne: J. A. Toniollo, Reflexiones acerca de la función jurisdiccional en el Mercosur, in: M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Del Mercosur – Aduana, Jurisdicción, Informática, Relaciones Intercomunitarias, 1996, S. 244; R. Bloch, Aportes para la resolución de conflictos en el Mercosur, S. 49; A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur, S. 113, 131; S. Feldstein de Cárdenas/L. B. Scotti/M. S. Rodríguez/F. A. Medina/ Y.C. Cárdenas, Del Protocolo de Brasilia al Protocolo de Olivos: Los desafíos pendientes, in: CAEI (Hrsg.), Ponencia presentada y aprobada ante el II Congreso Bonaerense De Derecho comercial, 2006, S. 2. 692 A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 103 f. Das gilt nicht für den Andenpakt, der mit dem Tribunal de Justicia Andino über eine dem Europäischen Gerichtshof sehr ähnliche Streitschlichtungsinstanz verfügt, vgl. M. Á. Elizeche, Mercosur, S. 49; R. Vigil Toledo, La cooperación entre el Tribunal de Justicia de la Comunidad Andina y el Tribunal Permanente de Revisión del Mercosur, ADCL 11 (2005) 2, S. 783 f. 693 Das Protokoll von Olivos zur Beilegung von Streitigkeiten wurde als zwischenstaatlicher Vertrag am 18.02.2002 verabschiedet und tritt gemäß Art. 52 Abs. 1 des selben Protokolls am 30. Tag nach der Hinterlegung der vierten Ratifikationsurkunde in Kraft. Als vierter und letzter Staat ratifizierte Brasilien das Protokoll am 02.12.2003; das Protokoll ist folglich am 02.01.2004 in Kraft getreten, vgl. A. Lucas Garín, Protocolo de Olivos para la solución de controversias en el Mercosur, in: Instituto de Estudios Internacionales (Hrsg.), Revista de Estudios Internacionales, 2004, S. 151. 694 Das Protokoll von Brasilia wurde mit der ersten Entscheidung des Rates 1/91 verabschiedet und hatte als Vorbild den Antidumping and Countervailing Duty Dispute Settlement, der zwischen der USA und Kanada im Rahmen des United States-

V. Streitschlichtungssystem

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tokoll von Brasilia695 ablöst696. Weiterhin Gültigkeit behalten die Regelungen zum Streitbeilegungsverfahren im Protokoll von Ouro Preto, im Anhang zum Protokoll von Ouro Preto sowie im Reglement zum Anhang des Protokolls von Ouro Preto697. Mit der Ratsentscheidung 37/03 wurde im Dezember 2003 noch vor dem Inkrafttreten des Protokolls von Olivos das Reglement zum Protokoll von Olivos verabschiedet. Da dieses gemäß Art. 2 der Entscheidung 37/03 lediglich Inner-Mercosur-Angelegenheiten regelt und für seine Geltung keine innerstaatliche Inkorporation benötigt, ist es zeitgleich mit dem Protokoll von Olivos in Kraft getreten. Des Weiteren finden sich Regelungen zur Streitbeilegung in den erst jüngst erlassenen Ratsentscheidungen 22/04 und 30/04. Obwohl der Vertrag von Asunción bis zum Ende der Übergangszeit am 31. Dezember 1994 die Schaffung einer ständigen Streitschlichtungsinstanz vorsah698, ist das im Protokoll von Olivos vorgesehene System keine permanente Einrichtung. Stattdessen wird die Schaffung der endgültigen und ständigen Streitbeilegungsinstanz abermals699 auf den Zeitpunkt der Einführung eines einheitlichen und ausnahmslos geltenden gemeinsamen Außenzolls verschoben700. An der Vorgehensweise wird der Übergangscharakter der Integrationsmethode noch einmal deutlich701. Das Protokoll von Olivos hält das Streitbeilegungsverfahren von Brasilia im Grundsatz bei. Wichtigste Neuerung ist die Einführung einer ständigen Revisionsinstanz702. Der derzeit gültige Streitschlichtungsmechanismus betrifft ausschließlich Streitigkeiten zwischen den Vertragsstaaten703. Es gibt zwar auch die Möglichkeit der „Individualbeschwerde“704. Hierbei Canada Free Trade Agreements geschlossen wurde, vgl. F. L. Sabsay/R. Bloch, Solución de controversias en el Mercosur, Archivos del Presente 1995 Nr. 2, S. 120; V. Bazán, Desafíos del Mercosur, S. 209. 695 Verabschiedet mit Ratsentscheidung 17/98, deutsche Fassung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 8a. 696 Art. 55 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 697 Verabschiedet mit Ratsentscheidung 18/02. 698 Nr. 3 Anhang III des Vertrags von Asunción. 699 Vgl. bereits Art. 34 des Protokolls von Brasilia und Art. 43 des Protokolls von Ouro Preto. 700 Art. 53 des Protokolls von Olivos. 701 Zum Übergangscharakter vgl. Teil 1, I. 2. 702 Die Einschätzung teilen A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt II. 2. g; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 223; E. J. Rey Caro, Introducción, in: ders. u. a. (Hrsg.), Cuaderno de Derecho Internacional Nfflmero I, Doctrina Jurisprudencial de los laudos arbitrales del Mercosur, 2004, S. 14; A. Pagani, Negociación y Legalidad en la Estructura Institucional del Mercosur. El sistema de solución de controversias comerciales“, in: CAEI (Hrsg.), Working Paper, 2006, S. 30; C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 33. 703 Vgl. Art. 1 des Protokolls von Olivos.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

handelt es sich aber, wie bereits angesprochen, im Grunde nach um das Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten, das lediglich von Privaten eingeleitet wird705. Das Streitbeilegungsverfahren wird im Folgenden dargestellt, um es anschließend bewerten zu können. 1. Das Streitschlichtungsverfahren Das Streitschlichtungsverfahren findet seine Anwendung bei Streitigkeiten, die sich aus der Interpretation, Anwendung oder Nicht-Anwendung der Vorschriften des Vertrags von Asunción, die in seinem Rahmen geschlossenen Übereinkünfte sowie den Beschlüssen von Rat, Gruppe und Handelskommission ergeben706. Es kann in zwei Abschnitte untergliedert werden: einem politisch – diplomatischen und einen juristischen Teil707, welche im Folgenden dargestellt werden. Anschließend wird die „Individualbeschwerde“ beschrieben. a) Politisch-diplomatischer Teil Zunächst versuchen die Vertragsstaaten, die Streitigkeiten auf dem Weg direkter Verhandlungen zu lösen708, welche nicht länger als 15 Tage in Anspruch nehmen dürfen709. Sie müssen die Gruppe Gemeinsamer Markt über den Fortschritt der Verhandlungen informieren710. Wenn es sich um Streitigkeiten handelt, die in die Kompetenz der Handelskommission fallen, muss auch diese informiert werden, da sie in diesem Falle an dem Streitbeilegungsverfahren zu beteiligen ist711. Wurde mittels der Verhandlungen keine Einigkeit erzielt, kann jeder der beteiligten Staaten das Schiedsverfahren nach Kapitel VI des Protokolls 704 Im spanischen Wortlaut: Reclamos de Particulares, vgl. Überschrift des Kapitel XI des Protokolls von Olivos. 705 R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 144. Vgl. hierzu Teil 1, V. 1. c) und V. 2. 706 Art. 1 des Protokolls von Olivos. Eine Übersicht über das Verfahren findet sich bei: R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 19 ff. 707 Die Einteilung findet sich für bei U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 89; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 395; S. Feldstein de Cárdenas/L. B. Scotti/M. S. Rodríguez/F. A. Medina/Y. C. Cárdenas, Del Protocolo de Brasilia al Protocolo de Olivos, S. 2 f. 708 Art. 4 des Protokolls von Olivos. 709 Art. 5 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 710 Art. 5 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 711 Art. 21 des Protokolls von Ouro Preto.

V. Streitschlichtungssystem

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von Olivos einleiten712. Besteht wechselseitig die Hoffnung, die Streitigkeit doch noch auf dem Verhandlungsweg beizulegen, können die Vertragsstaaten in beiderseitigem Einverständnis die Streitigkeit der Gruppe Gemeinsamer Markt unterbreiten713. In diesem Fall untersucht die Gruppe Gemeinsamer Markt die Situation, wobei sie jeder Partei Gelegenheit zur Darstellung der jeweiligen Position gibt. Dafür kann sie den Rat von Experten heran ziehen714. Innerhalb von 30 Tagen nimmt sie zu der Streitigkeit in Form einer Empfehlung Stellung715. Die Empfehlung ist nicht verbindlich. Führt sie zu keiner Lösung, kann jede Streitpartei das Schiedsgerichtsverfahren nach Kapitel VI des Protokolls von Olivos durch eine Mitteilung an das Verwaltungssekretariat einleiten716. Liegt die Streitigkeit im Kompetenzbereich der Handelskommission, also bei Streitigkeiten über die handelspolitischen Instrumente, wird sie nicht der Gruppe, sondern zunächst der Handelskommission vorgelegt717, welche in ihrer nächsten Sitzung über den Fall entscheidet718. Auch die Handelskommission kann zu ihrer Unterstützung einen Fachausschuss um eine Stellungnahme bitten719. Kommt sie nicht bis spätestens zu der nächsten regulären Sitzung zu einer Einigung, wird der Fall an die Gruppe weitergeleitet, welche wie oben innerhalb von 30 Tagen zu einer Entscheidung kommen muss720, ansonsten ist der beschwerdeführende Staat berechtigt, das Schiedsverfahren einzuleiten721. Hierzu ist er im Übrigen auch berechtigt, wenn der verpflichtete Vertragsstaat der Empfehlung der Gruppe bzw. der Handelskommission nicht in der angegebenen Frist nachkommt722. Dieser Fall dürfte allerdings recht unwahrscheinlich sein, da in der Gruppe und in der Handelskommission Entscheidungen nach dem Konsensprinzip gefällt werden. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Mitgliedstaat eine Verpflichtung, der er selbst zugestimmt hat, nicht nachkommen sollte. Während im Protokoll von Brasilia das Verfahren vor der Gruppe bzw. der Handelskommission Voraussetzung war, um das eigentliche Schiedsverfahren einleiten zu können723, kann das Schiedsgericht nun auch unmittel712

Art. 6 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 des Protokolls von Olivos. 714 Art. 6 Abs. 2 (i) des Protokolls von Olivos. 715 Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 8 des Protokolls von Olivos. 716 Art. 9 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 717 Art. 21 des Protokolls von Ouro Preto. 718 Art. 4 des Anhangs des Protokolls von Ouro Preto. 719 Art. 2 des Anhangs des Protokolls von Ouro Preto. 720 Art. 5 des Anhangs des Protokolls von Ouro Preto. 721 Art. 7 des Anhangs des Protokolls von Ouro Preto. 722 Art. 6 des Anhangs des Protokolls von Ouro Preto und Art. 9 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 713

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

bar nach dem Scheitern der bilateralen Verhandlungen unter Umgehung der Gruppe bzw. der Handelskommission auf Antrag einer der Beteiligten angerufen werden724. Den Streitparteien wird so die Möglichkeit eröffnet, das Streitschlichtungsverfahren zu beschleunigen, wenn sich nach der Stufe der direkten Verhandlungen abzeichnet, dass in der Gruppe ohnehin kein Konsens zustande kommen wird. Mit dieser Neuregelung ist man dem vierten Schiedsspruch gefolgt, der herausgestellt hatte, dass das Verfahren nicht durch einseitige Verweigerung der Verhandlungen behindert werden dürfte725. Positiv wird auch bewertet, dass das Verfahren hierdurch „entpolitisiert“ und die Vorhersagbarkeit der Ergebnisse vergrößert wird726. b) Der juristische Teil – das Schiedsgericht Verfahrensablauf und Zusammensetzung Das Verwaltungssekretariat teilt der anderen Streitpartei mit, dass das Schiedsverfahren beantragt wurde727. Das Schiedsgericht wird in jedem Einzelfall ad hoc neu gebildet728. Einen festen Sitz gibt es nicht729. Das Gericht besteht aus drei Richtern, die aus einer Liste von 48 möglichen Kandidaten ausgewählt werden, die beim Verwaltungssekretariat hinterlegt ist730. Jeder an der Streitigkeit beteiligte Staat benennt einen Richter aus der Liste. Der dritte Richter wird in Übereinkunft ausgewählt und darf nicht die Staatsangehörigkeit der an der Auseinander723

Vgl. Art. 7 Abs. 1 des Protokolls von Brasilia i. V. m. Art. 21 des Protokolls von Ouro Preto. 724 Art. 6 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 725 Dem Verfahren würde sonst jeglicher Sinn genommen, vgl. 4. Ad-hocSchiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 97. 726 A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt II, 2. c). 727 Art. 9 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 728 Art. 10 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 729 Art. 38 des Protokolls von Olivos, der die Ratsentscheidung 28/94 aufhebt, die Asunción als Sitz aller Schiedsgerichte vorgesehen hatte. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass in der Praxis, entgegen der Entscheidung 28/94, die Mehrzahl der bisherigen Schiedsgerichte nicht in Asunción tagte, vgl. 1. Ad-hocSchiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse) in Monetvideo; 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln) in Colonia (Uruguay); 4. Adhoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen) in Montevideo; 6. Adhoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen) in Montevideo; 8. Ad-hocSchiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung) in São Paulo; 9. Ad-hocSchiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen) in Montevideo. 730 Art. 10 Abs. 1 i. V. m. Art. 11 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. Die Liste ist abrufbar auf der Webseite des Mercosur-Verwaltungssekretariats: http://www.merco sur.int.

V. Streitschlichtungssystem

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setzung beteiligten Staaten besitzen731. Können sich die Staaten nicht auf den dritten Richter einigen, wird dieser nach 15 Tagen vom Verwaltungssekretariat durch Losentscheid ausgewählt732. Die Richter müssen Juristen mit anerkannter Kompetenz auf den Sachgebieten sein, die Gegenstand von Streitigkeiten sein können733. Das Schiedsverfahren muss nach 60 Tagen, verlängerbar um höchstens 30 Tage, ab der Berufung des vorsitzenden Richters zu einer Entscheidung kommen734. Das Gericht trifft eine Entscheidung auf der Grundlage der Bestimmungen des Vertrags von Asunción, der in seinem Rahmen geschlossen Abkommen, der Beschlüsse des Rates, der Gruppe und der Handelskommission sowie der Grundsätze und Bestimmungen des internationalen Rechts735. Wenn sich die streitenden Mitgliedstaaten einverstanden erklären, kann das Gericht auch ex aequo et bono, also nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden736. Im Einklang mit dem ersten und zweiten Schiedsspruch737 bestimmt Art. 14 des Protokolls von Olivos, dass sich das Urteil des Schiedsgerichts auf die in der ersten Verhandlungsstufe bezeichneten Gegenstände beschränkt und der Streitgegenstand nicht mehr nachträglich im Laufe des Verfahrens von den Beteiligten ausgeweitet werden kann. Damit reagierten die Delegierten auf die unklare Formulierung in Art. 28 des Reglements zum Protokoll von Brasilia und revidierten die Auslegung des dritten Schiedsspruchs, wonach der Streitgegenstand noch bis 731 Art. 10 Abs. 2 (i) und Art. 10 Abs. 3 (i) i. V. m. Art. 11 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 732 Art. 10 Abs. 3 (ii) des Protokolls von Olivos. 733 Art. 35 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 734 Art. 16 des Protokolls von Olivos. 735 Art. 34 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. Die Aufnahme der Grundsätze des internationalen Rechts in das Rechtssystem des Mercosur (das 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen) stellt in Rn. 63 heraus, dass man beim Mercosur durchaus von einem eigenständigen ordenamiento jurídico – Rechtssystem – sprechen kann), erinnert an Art. 4 der Weimarer Reichsverfassung, der erstmals die Inkorporation der „allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts“ in das nationale Recht eines Staates regelte und durch den Einfluss eines Fachartikels von Alfred Verdross zustande kam und später identisch in Art. 9 Abs. 1 der von Hans Kelsen ausgearbeiteten österreichischen Bundesverfassung übernommen wurde, vgl. W. Hummer, Lehre und Forschung im Völkerrecht in Österreich, in: ders. (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Völkerrecht zur Jahrtausendwende, 2002, S. 381; und Verdross selbst: A. Verdross, Völkerrecht, S. 118 f. Heute findet sich eine ähnliche Formulierung in Art. 25 des Grundgesetzes. 736 Art. 34 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 737 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 53; 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 44. Vgl. die Analogie zu den Entscheidungen: EuGH v. 17.11.1992, Rs. C-157/91 (Kommission/ Niederlande), Slg. 1992 I, 5899, Rn. 17; EuGH v. 12.01.1994, Rs. C-296/92 (Kommission/Italien), Slg. 1994 I, 1, Rn. 11; EuGH v. 20.03.1997, Rs. C-96/95 (Kommission/Deutschland), Slg. 1997 I, 1653, Rn. 23.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

zum Einreichen der Klageschrift vor dem Schiedsgericht, aber nicht mehr darüber hinaus ausgeweitet werden könne738. Der Schiedsspruch Der Schiedsspruch wird per Mehrheitsbeschluss gefasst739. Damit findet sich hier die einzige Abweichung des ansonsten strikt durchgehaltenen Konsensprinzips740. Die Schiedssprüche sind für die am Verfahren beteiligten Staaten bindend741. Sie sind, wenn es das Schiedsgericht nicht anders anordnet, innerhalb einer Frist von 30 Tagen zu erfüllen742. Ob die kurze Frist in der Praxis ausreichen wird, ist zumindest dann fraglich, wenn ein nationales Gesetz abgeändert werden muss, wofür eine parlamentarische Zustimmung notwendig ist743. Für die Erfüllung der Schiedssprüche haben sich die Vertragsstaaten generell verpflichtet, so dass es einer einzelfallbezogenen Anerkennung eines Urteils nicht bedarf744. Für den Fall, dass es Unklarheiten über die Auslegung oder Art und Weise der Erfüllung gibt, hat jeder Staat das Recht, innerhalb von weiteren 15 Tagen eine Erläuterung des Gerichts zu beantragen, das sich innerhalb der folgenden 15 Tage äußern muss745. Währenddessen ist der unterlegene Staat nicht von der Erfüllung des Urteils entbunden746. Kommt der durch das Urteil verpflichtete Staat diesem nicht innerhalb von 30 Tagen nach, können die übrigen Mitgliedstaaten vorläufig medidas 738

3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. C. Art. 25 des Protokolls von Olivos. 740 So auch U. Wehner, Der Mercosur, S. 103 für den gleich lautenden Art. 20 Abs. 2 des Protokolls von Brasilia; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 137. 741 Art. 26 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 742 Art. 29 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 743 Vgl. A. G. Trombetta, El régimen de solución de controversias en el Mercoado Comffln del Sur – Mercosur, Relaciones internacionales Jhg. 7 (1997), S. 65, zitiert nach: A. Haller, Mercosur, S. 156. In der Praxis wird daher für einen solchen Fall von der Möglichkeit, längere Fristen vorzusehen, Gebrauch gemacht. Das 7. Adhoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte) ordnet die Inkorporation von Entschließungen der Gruppe in das brasilianische Rechtssystem in einem Zeitraum von 120 Tagen an (Punkt Decisión II.). 744 Vgl. Art. 33 des Protokolls von Olivos. Dass sich die Mitgliedstaaten den Schiedsurteilen grundsätzlich und ohne einzelfallbezogene Anerkennung unterwerfen, wird für die bedeutendste Errungenschaft des Protokolls von Brasilia gehalten, vgl. B. Garré Copello, Solución de Controversias (1993), S. 24. 745 Art. 28 des Protokolls von Olivos. 746 Art. 21 Abs. 3 der Prozessregeln für die Ad-hoc-Schiedsgerichte (verabschiedet mit Ratsentscheidung 30/04). 739

V. Streitschlichtungssystem

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compensatorias – Kompensationsmaßnahmen – ergreifen, wie etwa die Aufhebung von Konzessionen oder gleichwertiger Verpflichtungen, um die Erfüllung des Urteils durchzusetzen747. Im Schrifttum wird hierin die Möglichkeit verstanden, die Einhaltung des Schiedsspruchs im Wege der Retorsion durchzusetzen748. Die Retorsion ist eine rechtmäßige, aber unfreundliche Maßnahme749. Das beispielhaft genannte Aussetzen von Verpflichtungen (obligaciones) ist aber ein unrechtmäßiges Verhalten als Antwort auf ein unrechtmäßiges Verhalten der Streitgegenseite: die Nicht-Einhaltung des Schiedsurteils. Das neunte Schiedsgericht interpretiert die Formulierung „Kompensationsmaßnahmen“ zu Recht als Repressalie750. Die Repressalie ist gegenüber der Retorsion, welche im Völkerrecht allgemein und im Besonderen im Recht der Wirtschaftsintegration selten angewandt wird751, ein stärkeres Druckmittel752. Das klassische Völkerrecht versteht hierunter den Eingriff in beliebige Rechtsgüter des Gegners zur Wiedergutmachung eines Unrechtstatbestands, z. B. die Nicht-Zahlung einer fälligen Schuld, die Verhängung eines Ausfuhrverbotes oder die Zurückbehaltung von Schiffen (Embargo)753. Die Repressalie ist nur gegenüber völkerrechtswidrigen 747

Art. 31 Abs. 1 i. V. m. Art. 29 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. M. A. Elizeche, Mercosur, S. 34; B. Garré Copello, Solución de Controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 218; A. U. Wehner, Der Mercosur, S. 103; J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 108; J. Samtleben, Las perspectivas para un tribunal del Mercosur y la experiencia europea, JA 1998-I, S. 797; Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt I. 2; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 18; J. Samtleben, La solución de controversias, LA Opertti Badán, S. 949. 749 Z. B. Abbruch diplomatischer Beziehungen, Zurückziehen vertraglich nicht zugesicherter Entwicklungshilfe, die Nicht-Verlängerung eines Handelsvertrags, die Entziehung des Exequaturs der gegnerischen Konsuln. Zum Begriff der Retorsion: A. Verdross, Völkerrecht, S. 425; ders./B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 902; F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 94 f.; I. Seidl-Hohenveldern/ T. Stein, Völkerrecht, 10. Aufl. 2000, Rn. 1775; H. Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 953; C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 71 f., A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 145 f.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 229 f. 750 Die Anwendung einer Repressalie im Mercosur sei auf die Nicht-Erfüllung eine Schiedsurteils beschränkt, vgl. 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Rn. 65; ebenso R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 144. 751 Vgl. U. Wehner, Der Mercosur, S. 103. 752 A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insb., S. 146; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 228. 753 A. Verdross, Völkerrecht, S. 425 f. Das Handelsembargo findet besonders in Streitfragen des internationalen Handels Anwendung, vgl. A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 146. 748

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Akten zulässig und muss das Verhältnismäßigkeitsgebot beachten754. Das neunte Schiedsgericht stellt heraus, dass die Existenz des Schiedsverfahrens die Anwendung von Repressalien außer zur Durchsetzung eines Urteils ausschließe755. Selbst der Rückgriff auf die Retorsion mache in einem Integrationsprozess auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Markt keinen Sinn756. Die Möglichkeit, Kompensationsmaßnahmen als Zwangsmittel anzuwenden, stelle die Effektivität des Schiedsgerichts von vornherein in Frage757. In der Europäischen Union kann der Europäische Gerichtshof im Falle der Nicht-Erfüllung eines Urteils und auf Antrag der Kommission lediglich ein Zwangsgeld verhängen758. Kommt der verpflichtete Mitgliedstaat der Zahlung nicht nach, sind jedoch keine weiteren Zwangsmaßnahmen vorgesehen759. Gegenüber dem Zwangsgeld in der Europäischen Union ist die Repressalie ein sehr viel stärkeres Mittel760. Unverständlich ist daher die Kri754 Zum Begriff der Repressalie: A. Verdross, Völkerrecht, S. 426 ff.; ders./B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 907 ff.; W. Wengler, Völkerrecht, Bd. 1, S. 515 ff.; F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 95–100; H. Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 953 f.; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 145–147; C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 71 f.; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 228–230. 755 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Rn. 65. 756 So bereits das 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt Considerando: „No tiene sentido, en un proceso de integración, que se recurra a la retorsión. (. . .)“; bestätigt durch das 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Rn. 62. In beiden Urteilen ging es um eine Maßnahme in Uruguay. Uruguay berief sich darauf, dass die jeweilige Streitgegenseite ähnliche Maßnahmen treffe und deshalb nicht von Uruguay verlangen könne, seinerseits die beanstandete Maßnahme abzustellen. Die Schiedsgerichte entschieden übereinstimmend, dass der völkerrechtliche Grundsatz exceptio non adimpleti contractus, auf den sich Uruguay berief, einer Repressalie gleichkomme, welche im Mercosur nach Ansicht des achten Mercosur-Schiedsgerichts nur bei „substanziellen“ bzw. „fundamentalen“ Verstößen im engen Rahmen der UN-Charta anwendbar sei (Punkt Considerando) und nach Ansicht des neunten Mercosur-Schiedsgerichts außerhalb des Streitbeilegungsmechanismus sogar gänzlich ausgeschlossen sei (Rn. 65). Damit haben die Richter einer Eigengerichtsbarkeit der Vertragsstaaten eine deutliche Absage erteilt. Gegen die Anwendung des genannten Grundsatzes auch R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 294. 757 So M. A. Elizeche, Mercosur, S. 34. 758 Vgl. Art. 228 Abs. 2 EGV. 759 Vgl. Anmerkungen in Fn. 227 (1. Teil). Nach gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Retorsion ausdrücklich verboten, vgl. EuGH v. 26.02.1976, Rs. 52/75 (Kommission/Italien), Slg. 1976, S. 277 ff.; EuGH v. 14.02.1984, Rs. 325/82 (Kommission/Deutschland), Slg. 1984, S. 777 ff. Dennoch wurden in der Europäischen Union bisher alle Urteile befolgt, vgl. M. A. Elizeche, Mercosur, S. 34.

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tik, dem Streitbeilegungsmechanismus im Mercosur mangelte es an Vollstreckbarkeit761. Im Unterschied zu Art. 23 des Protokolls von Brasilia begrenzt das Protokoll von Olivos die Möglichkeit der Anwendung von Kompensationsmaßnahmen auf ein Jahr und schreibt vor, dass diese vergleichbar mit der im Schiedsverfahren beanstandeten Maßnahme sein muss762. Letzteres ist insoweit bedeutsam, als im Völkerrecht die Gleichartigkeit der Repressalie mit der vorangegangenen Rechtsverletzung nicht als erforderlich gilt763. Die Maßnahmen müssen zudem nun 15 Tage zuvor angekündigt werden764. Hält der im Urteil unterlegende Staat die Kompensationsmaßnahmen für nicht gerechtfertigt oder unverhältnismäßig, kann er, je nachdem welche Instanz das Urteil verhängt hat, das Schiedsgericht bzw. das Revisionsgericht anrufen765. Im Protokoll von Brasilia waren Kompensationsmaßnahmen einer gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich766. Das Revisionsgericht Wichtigste Neuerung des Protokolls von Olivos ist Einführung einer permanenten Revisionsinstanz767, welche den Ad-hoc-Schiedsspruch jedoch lediglich auf Rechtsfehler untersucht768, weshalb ein Urteil ex aequo et bono nicht Gegenstand der Revision sein kann769. Die bewährten kurzen Fristen gelten auch für das Revisionsgericht. Es muss innerhalb von 15 Tagen nach 760 So wird die hohe Wertschätzung des WTO-Streitbeilegungsverfahren insbesondere der Möglichkeit zugeschrieben, Entscheidungen durch „Handelssanktionen“ (Art. 22 DSU) durchsetzen zu können, vgl. P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 168 f. Rn. 495. 761 Vgl. Anmerkungen in Fn. 922 (1. Teil). 762 Art. 31 Abs. 1 und 2 des Protokolls von Olivos. Ist aus praktischen Gründen eine vergleichbare Maßnahme undurchführbar, ist ausnahmsweise und unter Vorlage von Belegen über die Undurchführbarkeit eine Maßnahme in einem anderem Bereich möglich, vgl. Art. 31 Abs. 2 des Protokolls von Olivos i. V. m. Art. 43 Abs. 2 des Reglements zum Protokoll von Olivos. Diese Regelung erinnert an das WTOStreitschlichtungsverfahren, vgl. Art. 22 Abs. 3 DSU (Anhang 2 des WTO-Agreements). 763 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 228 f. 764 Art. 31 Abs. 3 des Protokolls von Olivos. Die Ankündigung erfolgt mit Belegen über die Nichterfüllung des Urteils gegenüber dem Schiedsgericht, welches umgehend die Streitgegenseite informiert, vgl. Art. 23 des Anhangs der Ratsentscheidung 30/04. 765 Art. 32 Abs. 1 und 2 des Protokolls von Olivos. Zum Revisionsgericht siehe folgender Absatz. 766 Bisher hat noch kein Mitgliedstaat Kompensationsmaßnahmen verhängt. 767 Kapitel VII des Protokolls von Olivos. 768 Art. 17 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 769 Art. 17 Abs. 3 des Protokolls von Olivos.

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dem Ad-hoc-Urteil von einer der Streitparteien angerufen werden770. Das Urteil ist in spätestens 45 Tagen zu fällen771. Das ständige Revisionsgericht hat seinen Sitz in Asunción772 und besteht aus fünf Richtern, wobei jeder der vier Vertragsstaaten einen Richter für zwei Jahre ernennt773. Der fünfte Richter wird einstimmig von den Vertragsstaaten für 3 Jahre gewählt und muss die Nationalität einer der Vertragsstaaten haben774. Im Falle, dass die Amtszeit eines Richters während eines laufenden Verfahrens endet, verlängert sich diese bis zum Ende des Verfahrens775. Das Urteil ergeht wie auch bei dem Ad-hoc- Schiedsgericht durch Mehrheitsbeschluss776. Es ist unanfechtbar und bindend für die Vertragsstaaten777 und muss, wie das Ad-hocSchiedsurteil, innerhalb von 30 Tagen erfüllt werden, soweit das Urteil keine andere Frist vorsieht778. Ebenso wie bei Nicht-Erfüllung des Ad-hoc-Schiedsspruchs wird dem im Urteil begünstigten Staat im Falle der Nicht-Erfüllung das Recht zugestanden, Kompensationsmaßnahmen zu erlassen. Zwar sieht der Wortlaut von Art. 31 des Protokolls von Olivos Kompensationsmaßnahmen lediglich im Falle der Nicht-Erfüllung des Ad-hoc-Schiedsspruchs vor779. Hierbei handelt es sich aber wohl um eine Ungenauigkeit bei der Redaktion. Die systematische Auslegung unter Heranziehung des folgenden Art. 32, der sich auf Art. 31 bezieht, ergibt, dass Kompensationsmaßnahmen sowohl bei NichtEinhaltung des Ad-hoc-Schiedsspruchs als auch des Urteils des Revisionsgerichts anwendbar sind. Art. 32 des Protokolls von Olivos gibt dem unterlegenen Staat die Möglichkeit, etwaige Repressalien von dem jeweiligen Gericht, welches das Urteil erlassen hat, sei es das Schieds- oder das Revisionsgericht, überprüfen zu lassen. Zur Beschleunigung des Verfahrens kann bei beiderseitigem Einverständnis das Ad-hoc-Schiedsgericht übersprungen und direkt als erste und letzte Instanz das Revisionsgericht angerufen werden780. Die Möglichkeit, die 770

Art. 17 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. Art. 21 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 772 Art. 38 des Protokolls von Olivos. 773 Art. 18 Abs. 1 und 2 des Protokolls von Olivos. 774 Der Richter wird aus einer Liste von acht Richtern ausgewählt. Können sich die Vertragsstaaten nicht einigen, wird der fünfte Richter vom Verwaltungssekretariat per Losentscheid bestimmt, vgl. Art. 18 Abs. 3 des Protokolls von Olivos. 775 Art. 18 Abs. 6 des Protokolls von Olivos. 776 Art. 25 des Protokolls von Olivos. 777 Art. 26 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 778 Art. 29 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 779 Art. 31 Abs. 1: „Si un Estado parte en la controversia no cumpliera total o parcialente el laudo del Tribunal Arbitral, (. . .).“. 780 Art. 23 des Protokolls von Olivos. 771

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letzte und nicht anfechtbare Revisionsinstanz unmittelbar unter Umgehung des Ad-hoc-Schiedsgerichts anzurufen, ist entgegen der Kosten- und Zeitersparnis nur schwer als positiv zu bewerten. Die Revisionsinstanz verliert ihren Hauptzweck, Entscheidungen des Ad-hoc-Schiedsgerichts zu überprüfen, wenn letzteres übergangen wird781. Vorlageverfahren Die Einrichtung einer permanenten Revisionsinstanz ist begrüßenswert. Sie fördert die immer wieder geforderte782 einheitliche Auslegung des Mercosur-Rechts783 und damit Rechtssicherheit784, dies umso mehr, als Kapi781

In diesem Sinne auch A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt II. 2. g. J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 12, 20; R. Alonso García, Derecho Comunitario – Sistema Constitucional y Administrativo de la Comunidad Europea, 1994, S. 325; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 136; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 176; A. Dreyzin de Klor, Sistema de solución de Controversias en el Mercosur, S. 97; B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 208 f., ders., Solución de controversias (1993), S. 21, 38; ders., La creación de un tribunal de justicia en el Mercado Comffln del Sur, S. 175; S. Czar de Zalduendo, La integración económica, El Derecho Nr. 168 (1996), S. 1049 ff.; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 610; R. Bloch, Aportes para la resolución de conflictos en el Mercosur, S. 50, 52; ders., Solución de controversias en el Mercosur, S. 63; V. Bazán, Desafíos del Mercosur, S. 208 f.; m. w. N. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 571; E. J. Rey Caro, La solución de controversias en el Mercosur, S. 98 f.; M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 14; J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 153 und 233; A. L. Vargas, El Tribunal de Justicia Permanente del Mercosur: Una necesidad actual para satisfacer los Conflictos, Intereses y Derecho Comunitario involucrados, 1997, S. 129; J. Samtleben, Der Mercosur als Rechtssystem, S. 85; J. J. Villamarín, Las constituciones en el Mercosur, S. 96. Für ein unabhängiges permanentes Gericht daher: A. C. Logar, Tribunal de justicia para el Mercosur – Una decisión impostergable, S. 91 f.; A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur, S. 117, 130 ff.; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 218; F. L. Sabsay/R. Bloch, Solución de controversias en el Mercosur, Archivos del Presente 1995 Nr. 2, 116 f., 124.; C. Pizzolo, Pensar el Mercosur, S. 365 f.; H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 47; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 61; M. R. Brito, Solución de controversias en el Mercosur, S. 170; S. Feldstein de Cárdenas/L. B. Scotti/ M. S. Rodríguez/F. A. Medina/Y. C. Cárdenas, Del Protocolo de Brasilia al Protocolo de Olivos, S. 9. 783 So auch A. Lucas Garín, Protocolo de Olivos para la solución de controversias en el Mercosur, S. 153; J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 128; J. J. Villamarín, Las constituciones en el Mercosur, S. 98, 101 f. A. Dreyzin de Klor, El Reglamento del Protocolo de Olivos, RLD 3 (2005) Nr. 3, S. 81; dies./A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt II.2.f) 782

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tel II des Reglements zum Protokoll von Olivos i. V. m. Art. 3 des Protokolls von Olivos eine dem Vorlageverfahren in der Europäischen Union ähnliche Regelung vorsieht785. Nach Art. 2 des Reglements zum Protokoll von Olivos „können“ (podrán) die Mitgliedstaaten, die Organe des Mercosur und die obersten Gerichte der Mitgliedstaaten das Revisionsgericht um eine Stellungnahme ersuchen. Gegenstand der Stellungnahme kann jedwede Frage sein, die sich im Zusammenhang mit dem Vertrag von Asunción, der in seinem Rahmen geschlossen Protokolle und Abkommen, der Entscheidungen des Rates, der Gruppe und der Handelkommission, also des gesamten Mercosur-Rechts ergibt786. Die Mitgliedstaaten sind nicht einzeln, sondern nur gemeinsam befugt, eine Stellungnahme zu erbeten787. Zu diesem Zweck einigen sich die Vertragsstaaten auf die vorzulegende Fragestellung788. Das Konsensprinzip findet sich einmal mehr im Vorlageverfahren wieder. Ein Mitgliedstaat kann die Vorlage verhindern, wenn die Klärung der Frage nicht in seinem Sinne ist789. Der Rechtsschutz ist dadurch nicht eingeschränkt. Den anderen Mitgliedstaaten steht weiterhin das Schiedsverfahren offen. Die nationalen obersten Gerichte sind nur zur Vorlage berechtigt, wenn sich eine Frage über die Interpretation von Mercosur-Recht in einem schwebenden Verfahren ergibt790. Die Formulierung erinnert insoweit an das Vorabentscheidungsverfahren des Art. 234 EGV. Es ist davon auszugehen, dass ebenso wie bei dem EG-Vorabentscheidungsverfahren die Frage für den Ausgangsstreit entscheidungserheblich sein muss791. Im Unu. Punkt II.2.1; m. w. N. A. Haller, Mercosur, S. 168; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 27 f.; R. Vigil Toledo, La cooperación entre el Tribunal de Justicia de la Comunidad Andina y el Tribunal Permanente de Revisión del Mercosur, ADCL 11 (2005) 2, S. 797; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 223 f.; J. Samtleben, La solución de controversias, LA Opertti Badán, S. 957. 784 Die Rechtssicherheit gebietet eine einheitliche Rechtsauslegung, vgl. J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 454; D. Opertti Badán, Revisión del sistema de soluciones de controversias del Mercosur, S. 69. 785 Sinn des Vorlageverfahrens in Kapitel II des Reglements zum Protokoll von Olivos ist die Förderung der einheitlichen Auslegung von Mercosur-Recht, vgl. N. Susani, El alcance del procedimiento de opiniones consultativas establecido por el Reglamento del Protocolo de Olivos, RDIM 8 (2004) Nr. 1, S. 66–79. 786 Art. 3 Abs. 1 des Reglements zum Protokoll von Olivos. 787 Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 des Reglements zum Protokoll von Olivos. 788 Art. 3 Abs. 2 des Reglements zum Protokoll von Olivos. 789 Hierauf verweist: A. Dreyzin de Klor, El Reglamento del Protocolo de Olivos, RLD 3 (2005) Nr. 3, S. 77 f.; kritisch B. Feder, El Protocolo de Olivos, LA Didier Opertti Badán, S. 860. 790 Art. 4 Abs. 1 des Reglements zum Protokoll von Olivos. 791 Der Europäische Gerichtshof prüft, ob zwischen der erbetenen Auslegung und dem Ausgangsverfahren ein tatsächlicher Zusammenhang besteht, die Frage also

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terschied zu dem Vorabentscheidungsverfahren in der Europäischen Union lässt Art. 2 des Reglements zum Protokoll von Olivos jedoch keinen Zweifel daran, dass eine Verpflichtung zur Vorlage nicht besteht792. Zur Vorlage berechtigt sind nur die obersten nationalen Gerichte (Tribunales Superiores). Der Wortlaut scheint nationale Gerichte niederer Instanzen auch dann von dem Vorlagerecht auszuschließen, wenn es sich um die im konkreten Rechtsstreit letzte Instanz handelt, das Urteil also nicht mehr angefochten werden kann793. Legt ein nationales oberstes Gericht eine Frage dem Revisionsgericht vor, ist dieses seinerseits nicht verpflichtet, sondern „kann“ (podrá) die Frage beantworten794. Eine Pflicht zur Stellungnahme ist jedoch anzunehmen für Fragen, die von einem Mercosur-Organ oder den Mitgliedstaaten vorgelegt werden, wofür sich im Text des Regelements zum Protokoll von Olivos keine Einschränkung findet. Unabhängig davon, wer die Stellungnahme erbittet, sind die Äußerungen des Revisionsgerichts beim Vorlageverfahren ausdrücklich unverbindlich795. Es wird die Meinung vertreten, dass der Stellungnahme im Vorlageverfahren jedoch eine faktische Verbindlichkeit zukomme. Das Revisionsgericht ist das höchste unabhängige Gericht im Mercosur, welches das letzte Wort im Schiedsverfahren hat. Sowohl die Ad-hoc-Schiedssprüche wie auch die Revisionsentscheidung sind verbindlich. Es sei kaum vorstellbar, dass die Mitgliedstaaten nicht der Auslegung des Revisionsgerichts im Vorlageverfahren nachkommen, wenn Entscheidungen im Schiedsverfahren verbindlich sind796. nicht lediglich zur Einholung eines Gutachtens konstruiert wurde, vgl. EuGH v. 16.12.1981, Rs. 244/80 (Foglia/Novello), Slg. 1981, 3045, 3062 f.; EuGH v. 16.07.1992, Rs. C-83/91 (Meilicke/ADV), Slg. 1992 I, 4871, 4932 ff.; EuGH v. 26.11.1998, Rs. C-7/97 (Bronner/Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag), Slg. 1998 I, 7791, 7798, Rn. 17; EuGH v. 12.03.1998, Rs. C-314/96 (Djabali/Caisse d’allocations familiales de l’Essonne), Slg. 1998 I, 1149, 1162, Rn. 18 f. 792 Zur Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte in der Europäischen Union, vgl. R. Streinz, Europarecht, S. 231 Rn. 639; T. Oppermann, Europarecht, S. 236 Rn. 57. 793 Unterdessen besteht nach h. M. die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV für letztinstanzliche Gerichte, also auch für Amtsgerichte, wenn das Urteil beispielsweise aufgrund des Nicht-Erreichens der Berufungssumme unanfechtbar ist (sog. konkrete Betrachtungsweise), vgl. etwa R. Streinz, Europarecht, S. 230 f. Rn. 637; M. Herdegen, Europarecht, S. 192 f.; T. Oppermann, Europarecht, S. 236 Rn. 57; C. Gaitanides, Art. 220 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 62 ff.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: ders./dies. (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 2005, S. 255 ff.; vgl. auch: EuGH v. 06.10.1982, Rs. 283/81 (CILFIT/Ministero della Sanità), Slg. 1982, 3415, Rn. 4 ff. insb. Rn. 21; EuGH v. 04.06.2002, Rs. C-99/00 (Lyckeskog), Slg. 2002 I, 4839, Rn. 14–19. Anderer Ansicht aber wohl: J. P. Schmidt, Neue Impulse durch institutionelle Reformen, EuZW 2005, S. 142. 794 Art. 4 Abs. 1 Reglements zum Protokoll von Olivos. 795 Vgl. Art. 11 Reglements zum Protokoll von Olivos: „(. . .) no serán vinculantes ni obligatorias.“.

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Eine Frage, die bereits Gegenstand eines laufenden Streitbeilegungsverfahrens ist, kann nicht dem Revisionsgericht vorgelegt werden, was teilweise als negativ beurteilt wird, denn auf diese Weise könnten die noch ausstehenden Etappen des Streitschlichtungsmechanismus eingespart werden797, aber richtig ist; denn das Überspringen von Etappen im Schiedsverfahren, vor allem des Ad-hoc-Schiedsgerichts ist nicht zwangläufig auch im Interesse der Streitparteien. Die Vorschrift kann als eine Aufforderung an die mitgliedstaatlichen Gerichte gewertet werden, Mercosur-Recht anzuwenden. Die Möglichkeit zur Vorlage soll die Transparenz und die Einheitlichkeit der Auslegung fördern798. Eine Pflicht, Mercosur-Recht anzuwenden und bei Unklarheiten bezüglich der Auslegung eine Vorabentscheidung zu erbeten, besteht auch bei den höchsten nationalen Gerichten nicht, während mitgliedstaatliche Gerichte niederer Instanzen von vornherein nicht zur Vorlage befugt sind. Wenn eine Auslegungsfrage vorgelegt wird, besteht keine Pflicht seitens des Revisionsgerichts, sich zu äußern. Wenn es sich äußert, ist diese Äußerung nicht verbindlich. Mitgliedstaatliche Gerichte sind demnach letztlich nicht verpflichtet, Mercosur-Vorschriften anzuwenden. Damit steht die Regelung im Einklang mit den Verfassungen Brasiliens und Uruguays, welche einen Vorrang von Mercosur-Recht vor nationalem Gesetzesrecht nicht anerkennen. Für Brasilien wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass späteres nationales Gesetzesrecht Mercosur-Normen aufheben kann799. Ein Art. 234 EGV vergleichbares Vorabentscheidungsverfahren, in dem die letztinstanzlichen nationalen Gerichte zur Vorlage verpflichtet sind und die Auslegungen des Europäischen Gerichtshofs verbindlich sind800, würde durch die „Hintertür“ einen Vorrang von Mercosur-Recht bedeuten, denn Entscheidungen eines obersten nationalen Gerichts sind nicht durch nachträgliche Gesetze abänderbar801. 796 A. Dreyzin de Klor, El Reglamento del Protocolo de Olivos, RLD 3 (2005) Nr. 3, S. 88 f. 797 A. Dreyzin de Klor, El Reglamento del Protocolo de Olivos, RLD 3 (2005) Nr. 3, S. 84 f. 798 N. Susani, El alcance del procedimiento de opiniones consultativas establecido por el Reglamento del Protocolo de Olivos, RDIM 8 (2004) Nr. 1, S. 66 ff.; B. Feder, El Protocolo de Olivos, LA Opertti Badán, S. 861. 799 A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt II. 2. f. 3). 800 Zwar ist die Verbindlichkeit nicht im EGV geregelt, doch wird von der Bindung des vorlegenden Gerichts an die Vorabentscheidung ausgegangen, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 238 Rn. 66; R. Streinz, Europarecht, S. 231 Rn. 641; F. Emmert, S. 104 Rn. 125, S. 264 Rn. 8; K.-D. Borchardt, Art. 234, in: Lenz/ders., Rn. 55 ff.; C. Gaitanides, Art. 234 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 89 ff.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, S. 263 ff.; S. Czar de Zalduendo, La integración económica y la interpretación uniforme del Derecho, El Derecho Nr. 168 (1996), S. 1042.

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Berücksichtigt man, dass es einen unmittelbareren Zugang Privater zum Streitbeilegungsverfahren nicht gibt, wie im folgenden Abschnitt dargestellt wird, wurde auch mit dieser Regelung kein subjektives Recht Einzelner zur Durchsetzung des Mercosur-Rechts geschaffen. Materiellrechtlich werden die Pflichten der Mitgliedstaaten, die das gemeinsame Recht normiert, aufgrund der eingeschränkten Möglichkeit, dieses einklagen zu können, nicht in subjektive Rechte transformiert. Mercosur-Recht ist mit dieser souveränitätsschonenden Regelung nach wie vor nicht unmittelbar anwendbar802. Fraglich ist, inwieweit der Hauptzweck des Vorlageverfahrens, die Förderung der Einheitlichkeit der Auslegung und damit von Rechtssicherheit803, erreicht wird, wenn die Ausführungen des Revisionsgerichts im Vorlageverfahren nicht verbindlich sind804. Die Verbindlichkeit ist Voraussetzung, um die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung zu fördern805. Der einheitlichen Auslegung abträglich ist auch die Regelung, dass lediglich die höchsten nationalen Gerichte, nicht aber Gerichte niederer Instanzen zur Vorlage einer Frage berechtigt sind806. Das gültige Vorlageverfahren ist nicht die dynamische und viel versprechende Verbindung von Mercosur- und nationaler Rechtsprechung, wie sie von einigen Autoren vor der Verabschiedung des Reglements zum Protokoll von Olivos erhofft worden war807. c) Beschwerden von Privatpersonen Gegenstand des Individualverfahrens kann von vornherein nur staatliches Handeln sein: Hält sich eine natürliche oder juristische Person durch eine 801 Allerdings sei es kaum vorstellbar, dass die nationalen Gerichte von der Auslegung des Mercosur-Revisionsgerichts abweichen würden, so B. Feder, El Protocolo de Olivos, LA Opertti Badán, S. 861. 802 Zu der Diskussion über die unmittelbare Anwendbarkeit vgl. bereits Kapitel IV. 2. b). 803 Vgl. Abs. 2 der Präambel der Ratsentscheidung 37/03, mit der das Reglement zum Protokoll von Olivos verabschiedet wurde. Dass eine uneinheitliche Auslegung des Mercosur-Rechts vom nationalen Richter einerseits und von Mercosur-Richtern andererseits die Rechtssicherheit gefährden, belegt ein Fall in Brasilien, wo ein nationales Gericht in einem gleich gelagerten Streitgegenstand eine vom sechsten Adhoc-Schiedsgericht beanstandeten Maßnahme erlaubte. Hierauf verweist: A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt II. 1. 2. f. 1). 804 Kritisch auch S. Feldstein de Cárdenas/L. B. Scotti/M. S. Rodríguez/F. A. Medina/Y. C. Cárdenas, Del Protocolo de Brasilia al Protocolo de Olivos, S. 7. 805 So für das Vorlageverfahren in der Europäischen Union: R. Streinz, Europarecht, S. 231 f. Rn. 641. 806 A. Dreyzin de Klor, El Reglamento del Protocolo de Olivos, RLD 3 (2005) Nr. 3, S. 79. 807 L. A. Estoup, Algunas reflexiones sobre la competencia del nuevo Tribunal Permanente de Revisión del Mercosur, La Ley v. 05.04.2002.

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legislative oder behördliche Maßnahme eines Staates in rechtswidriger Weise beschränkt oder diskriminiert, weil diese gegen den Vertrag von Asunción oder die in seinem Rahmen geschlossenen Übereinkünfte oder gegen die Beschlüsse von Rat, Gruppe oder Handelskommission verstößt, kann sie das Verfahren einleiten808. Beschwerdeberechtigt sind nur solche Personen, die die Existenz oder Gefahr eines persönlichen Nachteils glaubhaft machen können809. Ein konkreter Schaden muss hingegen nicht eingetreten sein810. Wie auch bei den Klagearten in der Europäischen Union muss hier also ein subjektives Beschwerdeinteresse nachgewiesen werden811. Möglichkeiten für Private, gegen das Handeln von Mercosur-Organen vorzugehen, sind auch mit dem Protokoll von Olivos nicht geschaffen worden812. Es kann also nicht von einer Aktivlegitimation des Individuums gesprochen werden813. Stattdessen besteht lediglich die Befugnis für Private, das Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten einzuleiten814. Streitigkeiten zwischen Privaten aus den verschiedenen Mitgliedstaaten können aber weiterhin vor den nationalen Gerichten ausgetragen werden815. 808

Art. 39 des Protokolls von Olivos und Art. 43 des Protokolls von Ouro Preto. Art. 40 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 810 H. Arbuet Vignali, La solución de controversias en el Mercosur, LA Eduardo Jiménez Aréchaga, S. 1256. 811 Vgl. Art. 230 Abs. 4 EGV. 812 Hierauf verweisen für das Verfahren nach dem Protokoll von Brasilia U. Wehner, Der Mercosur, S. 104 und F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 273. 813 S. Feldstein de Cárdenas/L. B. Scotti/M. S. Rodríguez/F. A. Medina/Y. C. Cárdenas, Del Protocolo de Brasilia al Protocolo de Olivos, S. 3; B. Garré Copello, Solución den controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 205; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 65. Anders aber: A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur, S. 123; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 193; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 59; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 212; B. Feder, El Protocolo de Olivos, LA Opertti Badán, S. 842. 814 So auch: J. C. Hitters, Solución de controversias en el ámbito del Mercosur – Hacia un Derecho Comunitario, La Ley 1997-C, S. 1416; U. Wehner, Der Mercosur, S. 104; R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 144. Die Zitate beziehen sich auf die Regelung nach dem Protokoll von Brasilia, welche aber in diesem Punkt nicht von der neuen Regelung nach dem Protokoll von Olivos abweicht. Vgl. auch J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 125; L. M. del Carmen Calderón Vico de Della Savia u. a., El Arbitraje en el Mercosur, S. 74. 815 So D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 461; B. Garré Copello, Solución de Controversias en el Mercosur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 205, 225 f. Dabei ist das Protokoll von Las Leñas über die Kooperation und Gerichtshilfe in Zivil-, Handels,Arbeits- und Verwaltungsangelegenheiten, verabschiedet mit Ratsentscheidung 809

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Um das Verfahren einzuleiten, wendet sich die Person an die nationale Sektion der Gruppe, in dem sie ihren Geschäfts- oder Wohnsitz hat816. Wird die Kompetenz der Handelskommission berührt, muss die Beschwerde stattdessen bei der entsprechenden nationalen Sektion der Handelskommission eingelegt werden817. Die nationalen Abteilungen der Gruppe und Handelskommission sind nicht als Passivlegitimierte oder Antragsgegner zu sehen, sondern als bloßer Empfänger der Beschwerde818. Wird der Streitgegenstand der nationalen Abteilung der Gruppe vorgelegt und hält diese die dargelegte Gefahr eines Schadens für glaubhaft, tritt sie in direkte Verhandlungen mit der nationalen Sektion der Gruppe desjenigen Vertragsstaates, dem die Verletzung zugeschrieben wird819. Führen die direkten Verhandlungen zu keiner Lösung des Problems binnen 15 Tagen, leitet die nationale Sektion, die die Beschwerde entgegengenommen hat, die Streitfrage an die Gruppe weiter820. Fällt der Streitgegenstand in die KomNr. 5/92 (deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 18), sowie das Protokoll von Buenos Aires über die internationale Gerichtsbarkeit in Vertragsangelegenheiten, verabschiedet mit Ratsentscheidung 1/94 (deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 19) zu berücksichtigen. Zum Protokoll von Las Leñas: D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 554 ff., 561 ff.; Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 261 ff.; E. Tellechea Bergman, Panorama de los Protocolos del Mercosur sobre Derecho Internacional Privado con especial referencia a aquellos relativos a la cooperación jurídica internacional, in: M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Del Mercosur – Aduana, Jurisdicción, Informática, Relaciones Intercomunitarias, 1996, S. 187–241. Zum Protokoll von Buenos Aires: M. B. Noodt Taquela, Los acuerdos de elección de foro en el protocolo de Buenos Aires de 1994, in: H. Arbuet Vignali, u. a. (Hrsg.), IV encuentro internacional de derecho para América del Sur – El desarollo de la integración hacia el siglo XXI: Mercosur, balance y perspectivas, 1996, S. 135–149; M. E. Uzal, Los particulares y el acceso a la jurisdicción en el marco del Mercosur, Revista de Derecho Comercial y de las obligaciones Bd. 22 (1995) Nr. 166, S. 357–362. Zu beiden Protokollen: R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 410 ff. U. 413 ff.; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 284 ff. Seit 1998 ist das Abkommen über die internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit im Mercosur hinzugekommen, dem auch Chile und Bolivien beigetreten sind und welches sich ausschließlich auf Streitigkeiten zwischen Privaten bezieht, verabschiedet mit Ratsentscheidung 3/98 und 4/98 (beide übersetzt in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokumente 21, 21a). Hierzu ausführlich M. B. Noodt Taquela, Arbitraje internacional en el MERCOSUR, S. 29 ff.; J. R. Albornoz, El arbitraje en el Derecho Internacional Privado y en el Mercosur (con especial referencia a los Acuerdos de Arbitraje del 23 de julio de 1998), Anuario Argentino de Derecho Internacional (AADI) 1999 Nr. 9, S. 63–91. Ausführlich zu allen genannten Protokollen vgl. R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 79–93. 816 Art. 40 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 817 Art. 21 des Protokolls von Ouro Preto. 818 U. Wehner, Der Mercosur, S. 105. 819 Art. 41 Abs. 1 des Protokolls von Olivos.

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petenz der Handelskommission und wurde dementsprechend der nationalen Sektion der Handelskommission vorgelegt, so entscheidet die Handelskommission in der nächsten ordentlichen Tagung über den Fall821. Kommt keine Entscheidung zustande, wird ein Fachausschuss gebildet, dessen Gutachten der Handelskommission auf der folgenden Tagung unterbreitet wird822. Wird auf dieser Tagung Einvernehmen erzielt, muss der beklagte Staat die gebilligten Maßnahmen durchführen. Andernfalls kann der klagende Staat das Schiedsgericht anrufen823. Wird vor der Handelskommission kein Einvernehmen erzielt, wird der Fall ebenfalls der Gruppe übergeben824. Sowohl vor der Handelskommission wie auch der Gruppe haben Private die Möglichkeit, gehört zu werden und ihre Argumente vorzutragen825. Die Gruppe beschäftigt sich in ihrer nächsten Sitzung mit der Streitfrage. Sie kann diese abweisen, wenn sie die nach Art. 40 Abs. 2 des Protokolls von Olivos erforderlichen Nachweise über die Rechtsverletzung und die Gefahr eines Schadens für nicht erfüllt sieht826. Weist die Gruppe die Beschwerde nicht zurück, wird eine Sachverständigengruppe mit dem Fall beschäftigt, die innerhalb einer nicht verlängerbaren Frist von 30 Tagen ein Gutachten anfertigen muss827. Die Sachverständigengruppe besteht aus drei Mitgliedern, die aus einer Liste mit 24 Experten ausgewählt werden828, welche zuvor zu gleichen Teilen von den Mitgliedstaaten zusammengestellt und beim Verwaltungssekretariat hinterlegt wurde829. Einer der drei Experten darf nicht die Staatsangehörigkeit der beiden betroffen Staaten haben830. Diese Konstellation erinnert an das Schiedsverfahren, weshalb das Expertengutachten auch als Diktamen bezeichnet wird831. Anders als das Diktamen des Ad-hoc-Schiedsgerichts hat es jedoch keine bindende Wirkung832, und es ergeht auch nicht als Mehr820

Art. 41 Abs. 1 und 2 des Protokolls von Olivos. Art. 2 des Anhangs zum Protokoll von Ouro Preto i. V. m. Art. 21 des Protokolls von Ouro Preto. 822 Art. 2–4 des Anhangs zum Protokoll von Ouro Preto. 823 Art. 6 und 7 des Anhangs zum Protokoll von Ouro Preto. 824 Art. 4 und 5 des Anhangs zum Protokoll von Ouro Preto. 825 Art. 42 Abs. 3 des Protokolls von Olivos i. V. m. Art. 7 Abs. 1 des Reglements zum Anhang des Protokolls von Ouro Preto (verabschiedet mit Ratsentscheidung 18/02 v. 06.07.2002). 826 Art. 42 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 827 Art. 42 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 828 Art. 43 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 829 Art. 43 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 830 Außer, wenn die Gruppe es anders entscheidet, vgl. Art. 43 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 831 Vgl. S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 144; A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 158; J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 137; 821

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heitsbeschluss, wie man anhand der Zusammensetzung vermuten könnte. Stattdessen muss das Gutachten sogar entgegen dem in den Mercosur-Organen durchweg gültigen Konsensprinzip in Einstimmigkeit gefällt werden833. Bestätigt das Gutachten die Vertragsverletzung des angeklagten Staates, kann jeder andere Mitgliedstaat die Aufhebung der in Frage stehenden Maßnahmen verlangen834. Kommt der verletzende Staat dieser Forderung nicht innerhalb von 15 Tagen nach, können der klagende oder jeder andere Staat zur Klärung der Streitfrage die Befolgung der im Gutachten genannten Maßnahmen durch den verletzenden Staat verlangen und im Fall, dass dieser die Maßnahmen nicht befolgt, können sie das Schiedsgericht anrufen835. In dem Fall, dass die Expertengruppe nicht innerhalb von 30 Tagen gemäß Art. 42 Abs. 2 des Protokolls von Olivos zu einem Gutachten findet, was gerade vor dem Hintergrund der Notwendigkeit von Einstimmigkeit nicht unwahrscheinlich sein dürfte, gilt der Fall im Rahmen des Kapitels XI – „Individualbeschwerde“ – des Protokolls von Olivos als abgeschlossen836. Ist der Staat, in dem der Kläger seinen Geschäfts- oder Wohnsitz hat, aber weiterhin an der Klärung des Falls interessiert, steht der Eröffnung des Verfahrens zwischen Mitgliedstaaten nichts im Wege837. Im Vergleich zu der Situation unter dem Protokoll von Brasilia ist der Rechtsschutz Privater verbessert worden. Während es nach Art. 28 des Protokolls von Brasilia der nationalen Sektion der Gruppe, die die Beschwerde entgegennimmt, offen stand, den Fall an die Gruppe weiterzuleiten838, ist sie nun dazu verpflichtet, wenn innerhalb von 15 Tagen keine Einigkeit mit der nationalen Sektion der Gruppe des beklagten Staates erreicht wird839. R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 85; A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur, S. 125. 832 J. C. Lipovetzky/D. A. Lipovetzky, Mercosur – Estrategias para la integración – ¿Mercado Comffln o zona de libre comercio? – Análisis y perspectivas del Tratado de Asunción, São Paulo, 1994, S. 268. 833 Art. 44 (i) des Protokolls von Olivos. Die Einstimmigkeit unterscheidet sich vom Konsens dadurch, dass sie keine Enthaltung zulässt. 834 Art. 44 (i) des Protokolls von Olivos. 835 Art. 44 (i) des Protokolls von Olivos. 836 Art. 44 Abs. 1 (ii) und (iii) des Protokolls von Olivos. 837 Art. 44 Abs. 2 des Protokolls von Olivos i. V. m. Art. 7 des Anhangs zum Protokoll von Ouro Preto. 838 Vgl. Art. 28 des Protokolls von Brasilia lautete: „(. . .), kann sie die Nationale Sektion, welche die Mitteilung getätigt hat, auf Antrag des betroffenen Privaten ohne weiteres Verfahren der Gruppe Gemeinsamer Markt vorlegen.“. Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 8. Die Formulierung bot die Möglichkeit, Klagen willkürlich abzuweisen, so die Kritik von: R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 82; auch so S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 153. 839 Art. 41 Abs. 1 und 2 des Protokolls von Olivos (vgl. bereits Fn. 820) (1. Teil).

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Das gilt freilich nur insoweit, als sie die Klage zuvor zugelassen und nicht mangels glaubhafter Darlegung der subjektiven Betroffenheit abgelehnt hat840. Die Gruppe kann ihrerseits eine Klage nun nur noch abweisen, wenn die die Klage einreichende Person einen zumindest drohenden Schaden nicht glaubhaft darlegt841, während nach der früheren Regelung die Möglichkeit bestand, die Klage abzuweisen, wenn die requisitos necesarios – die notwendigen Bedingungen – nicht erfüllt waren, ohne dass definiert wurde, welche Bedingungen gemeint waren842. Aber auch nach dem Protokoll von Olivos bleiben Privatpersonen in hohem Maße auf das Mitwirken ihres Heimatstaates angewiesen843. Wie auch nach dem Protokoll von Brasilia844 ist der Fall von der Behandlung durch die nationale Sektion der Gruppe oder später der Gruppe abhängig. Gerade dann, wenn sich die Beschwerde gegen den eigenen Mitgliedstaat richtet, dürfte es nicht unwahrscheinlich sein, dass diese von der Gruppe, die aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzt ist und Entscheidungen im Konsens fällt, unter dem Vorwand nicht erfüllter Klagelegitimation abgewiesen werden wird845. Wird die Klage angenommen, wirkt die Notwendigkeit der Einstimmigkeit des Expertengutachtens gegen den privaten Beschwerdeführer. Der von dem beklagten Staat entsandte Experte muss der Entscheidung zustimmen846. Insbesondere besteht kein subjektives Recht dahingehend, dass der Staat ver840

Was sie gemäß Art. 40 Abs. 2 des Protokolls von Olivos tun kann. Art. 42 Abs. 1 des Protokolls von Olivos (vgl. bereits Fn. 826, 1. Teil). 842 Art. 29 Abs. 1 des Protokolls von Brasilia. 843 So auch: A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt III; kritisch auch S. Feldstein de Cárdenas/L. B. Scotti/M. S. Rodríguez/F. A. Medina/Y. C. Cárdenas, Del Protocolo de Brasilia al Protocolo de Olivos, S. 3 f., 8. Für die Situation nach dem Protokoll von Brasilia siehe beispielsweise J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 154, 220 und 225; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 79, 87; R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 140 f.; U. Wehner, Der Mercosur, S. 109; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 272. B. Garré Copello, Solución de controversias (1993), S. 34; m. w. N. A. Haller, Mercosur, S. 165 ff.; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 153, 155; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 244. Mangelnden Rechtsschutz kritisieren auch: L. Bertoni, MERCOSUR – Clausulas de salvaguardia y fallos arbitrales, S. 229; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 545 f.; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 22; E. J. Rey Caro, Introducción, in: ders. u. a. (Hrsg.), Cuaderno de Derecho Internacional Nfflmero I, Doctrina Jurisprudencial de los laudos arbitrales del Mercosur, 2004, S. 14. 844 Vgl. E. J. Rey Caro, La solución de controversias en el Mercosur, S. 97. 845 So bereits für den Zustand nach dem Protokoll von Brasilia: C. Pizzolo, Pensar el Mercosur, S. 362; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 133. 846 Da das Protokoll von Olivos wie auch zuvor das Protokoll von Brasilia keinerlei Angaben macht hinsichtlich der Qualifikation der „Experten“, kann es sich um Diplomaten handeln, die weniger als unabhängige Richter, sondern als Anwalt 841

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pflichtet ist, das Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten einzuleiten, wenn die Experten keine einstimmige Lösung finden, und das Individualverfahren daraufhin eingestellt wird847. Das gleiche gilt für den Fall, dass die Experten trotz des Erfordernisses der Einstimmigkeit zu einem Gutachten finden, aber der beklagte Staat die im Gutachten beschlossenen Maßnahmen nicht befolgt. Private sind auch nach dem Protokoll von Olivos von der Mithilfe ihres Staates abhängig, weshalb ihnen eher die Rolle des „Denunzianten“ als des Beschwerdeführers zugeschrieben wird848. Diese Regelung steht insoweit im Einklang mit der Unverbindlichkeit von Vorlageentscheidungen und mit der vom vierten Schiedsgericht klar ausgesprochenen nicht unmittelbaren Anwendbarkeit des Mercosur-Rechts849. Denn diese gebietet die Möglichkeit, sich auf das geschaffene Recht berufen zu können; sei es durch Zugang zum Schiedsverfahren oder durch Klage vor einem nationalem Gericht, welches verpflichtet ist, Mercosur-Recht anzuwenden850. In diesem Zusammenhang wird in der Europäischen Union die Frage diskutiert, inwieweit ein Individuum seinen Heimatstaat zwingen kann, vor dem Europäischen Gerichtshof gegen einen anderen Mitgliedstaat oder die Untätigkeit des Rates oder der Kommission zu klagen, wenn das Individuum selbst nicht klagen kann851. Zumindest im Fall Argentiniens wird der verminderte Rechtsschutz aber dadurch abgemildert, dass die Rechtsprechung eine Haftung des Staates bei Nichterfüllung internationaler Verträge anerkennt852. des jeweiligen Staates fungieren. Hierauf verweist: R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 67 f. 847 Vgl. bereits Kapitel V. 1. c). Es wird auf die Gefahr verwiesen, dass kleinere Unternehmen durch ihren Staat weniger unterstützt werden als große, vgl. F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 272; J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 272. 848 So A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt II. 2. i.; F. L. Sabsay, Solución de controversias en el Mercosur, 1995, S. 72; R. Bloch, Solución de controversias en el Mercosur, S. 62; J. P. Schmidt, Neue Impulse durch institutionelle Reformen, EuZW 2005, S. 141. Der Erfolg einer Individualbeschwerde hängt damit vollständig vom glücklichen Zufall ab, so J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 225 und 226. Kritisch auch: R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 20; M. R. Brito, Solución de controversias en el Mercosur, S. 169; J. J. Villamarín, Las constituciones en el Mercosur, S. 100; L. M. del Carmen Calderón Vico de Della Savia u. a., El Arbitraje en el Mercosur, S. 74. 849 Vgl. 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 114; vgl. bereits Kapitel IV. 2. b). 850 Vgl. Teil 1, IV. 1. Dass der beschränkte Zugang Privater zum MercosurSchiedsgerichtsverfahren der unmittelbaren Anwendbarkeit von Mercosur-Recht abträglich ist, erkennt auch A. Haller, Mercosur, S. 130 f. 851 Hierzu vgl. A. Bleckmann, Europarecht, Rn. 961. 852 Dies hat das oberste argentinische Gericht im Fall „Cafés la Virginia“ festgestellt, hierzu vgl. J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Pri-

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d) Die Wahl des Streitschlichtungsforums Eine wichtige Änderung im Vergleich zum Verfahren nach dem Protokoll von Brasilia findet sich in Art. 1 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. Es wird ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen, anstelle des MercosurStreitbeilegungsverfahrens das WTO- oder ein anderes regionales Streitschlichtungsverfahren in Anspruch zu nehmen, vorausgesetzt der Streitgegenstand fällt auch in den Anwendungsbereich der jeweiligen Abkommen und beide Streitparteien sind diesen Abkommen beigetreten. Das jeweilige Streitschlichtungs-Forum wird von der klagenden Partei ausgewählt853. Auch nach dem Protokoll von Brasilia stand es den Parteien offen, ein von dem Mercosur-Schiedsverfahren verschiedenes Streitschlichtungsforum zu wählen854. Das eigentlich Neue ist, dass derselbe Streitgegenstand nun nicht mehr vor einem anderen regionalen oder internationalen Streitschlichtungsmechanismus ausgetragen werden kann855. Die Streitparteien sind gezwungen, sich für ein völkerrechtliches StreitschlichtungsForum zu entscheiden. Hierbei handelt es sich vermutlich um eine Reaktion auf das Verhalten Brasiliens856. Nachdem das vierte MercosurSchiedsgericht der Klage Brasiliens nicht stattgegeben hatte, beantragte Brasilien daraufhin die Eröffnung des WTO-Schiedsverfahrens857. Ein solches Vorgehen ist nun nicht mehr möglich. Diese Regelung wird für eine Verbesserung gehalten858. Sie hat jedoch auch Nachteile. Eine Maßnahme, die nach WTO-Abkommen nicht verboten war, konnte dennoch gegen Mercosur-Recht verstoßen. Umgekehrt konnte eine nach Mercosur-Recht erlaubte Maßnahme im Rahmen der WTO verboten sein. Die Möglichkeit, wie bisher neben demjenigen des Mercosur zusätzlich auch auf andere Streitschlichtungsmechanismen zurückgreifen zu können, wie das Brasilien vado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 452 f. Das Urteil ist abgedruckt in: M. E. Uzal, Los particulares y el acceso a la jurisdicción en el marco del Mercosur, Revista de Derecho Comercial y de las obligaciones Bd. 22 (1995) Nr. 166, S. 363–383. 853 Art. 2 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. Eine ähnliche Klausel findet sich in dem Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Chile, Art. 189. 854 B. Feder, El Protocolo de Olivos, LA Opertti Badán, S. 864. 855 Art. 1 Abs. 2 S. 2 des Protokolls von Olivos. 856 Dies vermuten auch: R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 28; A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt II. 2. a). 857 Das WTO-Panel wurde am 27.06.2002 eröffnet. Argentinien und Brasilien einigten sich darauf, das Verfahren (WT/DS241) auszusetzen. Argentinien erklärte sich bereit, die beanstandeten Maßnahmen abzustellen. 858 A. Dreyzin de Klor, El Reglamento del Protocolo de Olivos, RLD 3 (2005) Nr. 3, S. 71 f.; C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 30.

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tat, nachdem das vierte Schiedsgericht argentinische Antidumpingmaßnahmen für zulässig erachtet hatte, führt dazu, dass sich der strengere Mechanismus durchsetzt, was die Integration fördern dürfte. Dieser Vorteil entfällt nun. Zudem werden die Staaten, wenn sie sich nun auf ein Verfahren von vornherein festlegen müssen, bei Streitigkeiten, die auch in den Anwendungsbereich eines WTO-Abkommens fallen, möglicherweise das WTOStreitschlichtungsverfahren bevorzugen, da dieses nicht nur regional, sondern auch international anerkannt ist und die Durchsetzung eines Urteils durch den internationalen Druck eher gewährleistet ist859. Da die WTO nicht zum Ziel hat, einen Gemeinsamen Markt zu schaffen und tendenziell weniger strenge Regeln vorsieht, könnten dadurch in Zukunft vermehrt handelsbeschränkende Maßnahmen für zulässig erachtet werden, welche nach Mercosur-Recht verboten sind. Der Rückgriff auf das Mercosur-Verfahren ist dann aber nicht mehr möglich, was für die Erreichung des Ziels, der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes, abträglich ist. Abgeschwächt wird dieser Nachteil dadurch, dass die klagende Partei das Forum auswählt. Die Notwendigkeit, sich für ein Streitschlichtungsverfahren entscheiden zu müssen, wird die Staaten in Zukunft veranlassen, sich genauer zu überlegen, welches für ihre Interessen das vorteilhaftere ist, und das ist nicht zwangsläufig das Mercosur-Verfahren, weshalb diese Regelung eine institutionelle Schwächung des Systems bedeuten kann860. e) Schnellverfahren Art. 24 des Protokolls von Olivos ermächtigt den Rat des Mercosur, ein Verfahren für besonders dringliche Fälle vorzusehen. Von dieser Ermächtigung hat der Rat mit dem Erlass der Entscheidung 23/04 Gebrauch ge859 Zum WTO-Streitschlichtungsverfahren vgl. H.-J. Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) – Geschichte und völkerrechtliche Qualität, 1999; P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 145 ff.; Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 176–206; D. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft: Ein Beitrag zur globalen wirtschaftlichen Integration, 2003, S. 131–146; D. Lorenz, Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation WTO, 2000, S. 47–58; A. Kopke, Rechtsbeachtung und -durchsetzung in GATT und WTO: Der Erklärungsbeitrag der Ökonomik zu internationalen Rechts- und Politikprozessen – Eine neue Synthese mit der Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas, 1997, S. 261 ff.; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 151 ff. 860 Eine Schwächung des Systems und Unvereinbarkeit mit dem Geist des Vertrags von Asunción erkennen auch: A. Perotti, ¿Qué significó el Protocolo de Olivos? – Fue un paso adelante con reservas, La Nación, Comercio Exterior, v. 26.2.2002; L. M. del Carmen Calderón Vico de Della Savia u. a., El Arbitraje en el Mercosur, S. 73.

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macht. Besteht die Gefahr, dass ein erheblicher und nicht wieder gut zu machender Schaden aus der Verletzung von Mercosur-Vorschriften droht, kann das Revisionsgericht direkt und unter Umgehung sämtlicher vorheriger Stufen des Streitschlichtungsverfahrens angerufen werden861. Das Revisionsgericht kann den Fall abweisen, wenn es die Dringlichkeit für nicht gegeben hält862. Dem klagenden Staat steht aber weiterhin das konventionelle Schiedsverfahren offen863. Das Urteil fällt das Gericht innerhalb von neun Tagen864. Der Streitgegenseite wird die Möglichkeit gegeben, sich zu äußern865. Das Gericht ist gehalten, in besonderem Maße das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten866. Diese an sich überflüssige Erwähnung des von Gerichten stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes867 hebt die Bedeutung hervor, die einer rechtsstaatlichen Verfahrenssicherung beigemessen wird. Bei Nichterfüllung ist die Streitgegenseite befugt, die in Kapitel IX des Protokolls von Olivos vorgesehenen Kompensationsmaßnahmen anzuwenden868. Neben dem im Urteil unterlegenen Staat können auch alle anderen Mercosur-Vertragsstaaten, die sich von der Entscheidung beeinträchtigt fühlen, das Gericht innerhalb einer Frist von 15 Tagen bitten, seine Entscheidung zu überdenken869. Bis zur endgültigen und dann nicht revidierbaren Entscheidung ist der beklagte Mitgliedstaat nicht von der Pflicht zur Erfüllung des Urteils entbunden870. Normadressaten des Schnellverfahrens sind ausschließlich die Mitgliedstaaten (Estados Partes)871. Pri861

Art. 2 i. V. m. Art. 6 der Ratsentscheidung 23/04. Art. 11 der Ratsentscheidung 23/04. 863 Es sei denn, die Klage wurde abwiesen, weil sich der Schaden nicht aufgrund einer Verletzung von Mercosur-Recht ergibt, oder die beanstandeten Maßnahmen sind bereits Gegenstand eines laufenden Schiedsverfahrens, vgl. Art. 11 der Ratsentscheidung 23/04. 864 Art. 5 i. V. m. Art. 6 der Ratsentscheidung 23/04. 865 Art. 5 der Ratsentscheidung 23/04. 866 Art. 6 der Ratsentscheidung 23/04. 867 In Deutschland spricht das Bundesverfassungsgericht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Verfassungsrang zu, vgl. BVerfGE 19, 342 (348 f.); 43, 242 (288 f.); 61, 126 (134); 69, 1 (35); 76, 256 (359); 80, 109 (120); hierzu K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 342 ff.; nicht anders in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, mit weitern Nachweisen vgl. A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 96 f., 105–107. Das 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 1. b) hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip als gültiges Rechtsprinzip herausgestellt. 868 Art. 7 der Ratsentscheidung 23/04. 869 Art. 9 Abs. 1 der Ratsentscheidung 23/04. 870 Art. 9 Abs. 2 und 3 der Ratsentscheidung 23/04 i. V. m. Art. 23 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 871 Vgl. Art. 2, 3, 5 der Ratsentscheidung 23/04. 862

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vaten, denen ein irreparabler Schaden aufgrund der Verletzung von Mercosur-Recht droht, dürfte es aber nicht verwehrt sein, ihren Heimatstaat über die nationale Sektion der Gruppe oder Handelskommission zu bitten, tätig zu werden. Die Abhängigkeit Privater von der Unterstützung durch ihren Staat und damit die rein völkerrechtliche Ausrichtung des Streitbeilegungsverfahrens wird hier noch einmal deutlich.

2. Bewertung des Verfahrens Das Streitschlichtungssystem wird in der Literatur überwiegend kritisch bewertet872. Die negative Bewertung beruht im Wesentlichen auf dem nicht passenden Vergleich des Systems mit dem Rechtsschutz in der Europäischen Union873. Dass die Europäische Union immer wieder als Vergleichsmaßstab herangezogen wird, verwundert nicht. Schließlich ist die Europäische Union nach dem deutschen Zollverein das bisher wohl fortgeschrittenste Integrationsprojekt874, und der Europäische Gerichtshof hatte an dieser Entwicklung durch seine weite, an den Zielen des EG-Vertrags aus872 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 357; J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 9; A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 145; dies, Sistema de solución de Controversias en el Mercosur, in: H. Arbuet Vignali, u. a. (Hrsg.), IV encuentro internacional de derecho para América del Sur – El desarollo de la integración hacia el siglo XXI: Mercosur, balance y perspectivas, 1996, S. 97; S. Czar de Zalduendo, La integración económica, El Derecho Nr. 168 (1996), S. 1049; J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 451; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 533, 536, 555; B. Garré Copello, La creación de un tribunal de justicia en el Mercado Comffln del Sur, S. 173 f.; M. A. Elizeche, Mercosur, S. 41; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 136, 149; U. Wehner, Der Mercosur, S. 109; A. Ruche, La política de cooperación Unión Europea y Mercosur, S. 207; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 22 ff., 63 f.; ders. MERCOSUR, S. 39; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 217 f., 143, 147; E. J. Rey Caro, Introducción, in: ders. u. a. (Hrsg.), Cuaderno de Derecho Internacional, S. 15. 873 Statt vieler: J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 13 f.; B. Garré Copello, La creación de un tribunal de justicia en el Mercado Comffln del Sur, S. 174 ff.; A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 166; J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 154–162; E. J. Rey Caro, La solución de controversias en el Mercosur, S. 98, 99; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 87; A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur, S. 131; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 533, 542; R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 58; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 63. 874 D. Ventura/A. Perotti, El Proceso Legislativo del MERCOSUR, S. 21.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

gerichtete Auslegung des EU-Rechts einen maßgeblichen Anteil875. Vor allem die fehlende Supranationalität und damit Unabhängigkeit von den Mitgliedstaaten sowie der provisorische Charakter werden bemängelt876. Ein von den nationalen Regierungen unabhängiger Gerichtshof, dessen Entscheidungen das Recht der Mitgliedstaaten direkt und unmittelbar berührt, sei essentiell für jede wirtschaftliche Integration, die in einem Gemeinsamen Markt gipfeln will877. Das Fehlen eines solchen wird zum Teil als der größte strukturelle Fehler des Mercosur überhaupt gesehen878. Das Verfahren ist von vornherein auf Streitigkeiten que surjan entre los Estados Partes, also solche Streitigkeiten, die zwischen den Mitgliedstaaten auftauchen, beschränkt879, auch wenn das Verfahren von Privaten eingeleitet werden kann880. Dieser Anwendungsrahmen sei inkomplett, in sich inkonsistent und betrachte nicht die Probleme, die aus einer unterschiedlichen Interpretation und Nicht-Anwendung der Normen entstehen881. Im Vergleich 875 Kritisch: K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Gerichtsbarkeit, in: ders./dies. (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 2005, S. 231 ff.; K. A. Schachtschneider, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, S. 618 ff. Zu den Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs: M. Zuleeg, Art. 1 EG in: Groeben/Schwarze, Rn. 35 ff.; K.-D. Borchardt, Art. 220, in: Lenz/ders., Rn. 14 ff.; T. Oppermann, Europarecht, S. 206 ff. Rn. 18 ff.; I. Pernice/F. C. Mayer, Art. 220 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 42 ff. 876 Unter vielen: D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 465; J. R. Torres Krimser, Reflexiones ante la problemática jurídica del Mercosur, S. 102; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano S. 365; A. Dreyzin de Klor, Sistema de solución de Controversias en el Mercosur, S. 97; M. A. Elizeche, Mercosur, S. 41; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 610 f.; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 217 f.; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 61 f., 70 f.; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 407. 877 C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1391; B. Garré Copello, La creación de un tribunal de justicia en el Mercado Comffln del Sur, S. 174 f.; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 88. Ähnlich auch: D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 463 und 465; A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur, S. 117, 130 f.; F. L. Sabsay/R. Bloch, Solución de controversias en el Mercosur, Archivos del Presente 1995 Nr. 2, S. 117; H. Gros Espiell, Naturaleza Jurídica del Tratado de Asunción y de sus Protocolos, S. 47; V. Bazán, Desafíos del Mercosur, S. 208 f.; J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 174 f.; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 408; J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 174 f. 878 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano S. 365; A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur, S. 117; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 531. 879 Vgl. Art. 1 des Protokolls von Olivos. 880 Kapitel XI des Protokolls von Olivos.

V. Streitschlichtungssystem

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zu den Klagearten, die der EG-Vertrag vorsieht, bleiben hier drei Optionen unberücksichtigt. Weder ein Staat noch eine Privatperson können Klage gegen die von den Organen erlassenen Rechtsakte erheben. Auch können die Organe die Einhaltung des Mercosur-Rechts nicht kontrollieren. Insgesamt ist aber das Streitbeilegungssystem typisch für die gesamte Vorgehensweise im Mercosur882 und von daher sehr wohl konsequent und in sich kohärent: Es ist ebenfalls wie alle anderen Organe überwiegend zwischenstaatlich geprägt und wie das gesamte institutionelle Gefüge provisorisch angelegt883. Es herrschte offensichtlich ein Misstrauen gegenüber einem unabhängigen Gericht, außerhalb der Kontrolle der Mitgliedstaaten884. Man hält sich aber auch hier die Möglichkeit offen, in Zukunft ein supranationales und permanentes Gericht zu etablieren885. Die überwiegend negative Beurteilung ist nicht gerechtfertigt. Die meisten Klagearten, wie sie der EG-Vertrag vorsieht, sind in der jetzigen Konstellation des Mercosur nicht sinnvoll und zum Teil auch gar nicht realisierbar886: Nichtigkeitsklage/Untätigkeitsklage In der Europäischen Union können sowohl die Mitgliedstaaten als auch in begrenztem Umfang Privatpersonen gegen Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane oder gegen das rechtswidrige Versäumnis, einen Rechtsakt zu erlassen, klagen887. Im Mercosur werden die Mitgliedstaaten jedoch keinen 881

A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 145. So auch U. Wehner, Der Mercosur, S. 110. 883 In diesem Sinne: A. Loschky, Mercosur und EU, S. 36; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 60; einen supranationalen Gerichtshof für nicht notwendig hält auch E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 22. 884 Dies vermutet D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 463. 885 Art. 44 des Protokolls von Ouro Preto; Art. 53 des Protokolls von Olivos. 886 In diesem Sinne auch: J. L. Martinez López-Muñiz, Mercosur, balance actual y perspectivas a la luz de la experiencia de la Comunidad Europea, Revista de Derecho del Mercosur Nr. 4 1999, S. 64 ff., zitiert nach U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 87; J. Samtleben, La solución de controversias, LA Opertti Badán, S. 947–955. 887 Es handelt sich dabei um die Nichtigkeitsklage und die Untätigkeitsklage: für die Mitgliedstaaten gemäß Art. 230 Abs. 2 EGV und Art. 232 Abs. 1 EGV, für natürliche oder juristische Personen gemäß Art. 230 Abs. 4 EGV und Art. 232 Abs. 3 EGV. Hierzu ausführlich R. Streinz, Europarecht, S. 219–227 Rn. 585–624; W. Cremer, Art. 230 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1 ff.; ders., Art. 232, ebenda, Rn. 1 ff.; K.-D. Borchardt, Art. 230, in: Lenz/ders., Rn. 1 ff.; ders., Art. 232, in: C. O. Lenz/ders. (Hrsg.), EU- und EG-Vertrag, Kommentar, 3. Aufl. 2003, Rn. 1 ff.; 882

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Rechtsschutz vor Rechtsakten der Organe benötigen. Aufgrund der zwischenstaatlichen Zusammensetzung dieser und des Konsensprinzips bei der Beschlussfassung ist jeder Mitgliedstaat nicht nur an den Beschlüssen direkt beteiligt, sondern kann auch ein Veto einlegen888. Um eine Nichtigkeitsklage oder eine Untätigkeitsklage anzustrengen, müssen Private in der Europäischen Union eine subjektive Betroffenheit nachweisen. Die unmittelbare Anwendbarkeit des Mercosur-Rechts und damit die Möglichkeit, eine subjektive Betroffenheit abzuleiten, ist aber, wie gesehen889, nur schwer annehmbar. Individuelle Betroffenheit kann im Mercosur erst nach der Inkorporation des Rechts in die nationale Rechtsordnung auftreten890. Private können dann nach erfolgter innerstaatlicher Umsetzung ihre Interessen vor nationalen Gerichten durchsetzen. Die Auslegung von nationalem Recht durch ein internationales Gericht wäre zudem systemwidrig891 und mit einer freiheitlich-demokratischen Verfassung nicht vereinbar. Hiervon unberührt bleibt allerdings die Kritik, dass durch dieses System keine Überprüfung der Rechtsakte der Organe an den primärrechtlichen Bestimmungen möglich ist892. Vertragsverletzungsverfahren/Staatenklage Sowohl die EU-Kommission als auch ein Mitgliedstaat können den Gerichtshof anrufen, wenn sie oder er der Auffassung ist, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht verstoßen habe893. Die letztere Möglichkeit, nach der ein Mitgliedstaat die Einhaltung K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, S. 282 ff. 888 Weshalb der Ausschluss der Möglichkeit, dass Vertragsstaaten gegen Organentscheidungen klagen können, nicht verwundere, so R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 59. Vgl. auch: B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 204; J. Samtleben, Las perspectivas para un Tribunal del Mercosur y la experiencia europea, JA 1998-I, S. 801; ders., La solución de controversias, LA Opertti Badán, S. 954; A. Haller, Mercosur, S. 164; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 45; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 211 f. 889 Vgl. Teil 1, IV. 2. b). 890 In diesem Sinne U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 87. 891 Vgl. U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 88. 892 B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 226. 893 Vertragsverletzungsverfahren: Art. 226 EGV, Staatenklage: 227 EGV. Hierzu ausführlich R. Streinz, Europarecht, S. 217–219 Rn. 578–584; K.-D. Borchardt,

V. Streitschlichtungssystem

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des Rechts von einem anderen einklagt, ist auch im Mercosur gegeben894. Die Möglichkeit, ein Vertragsverletzungsverfahren durch ein Organ einzuleiten, gibt es hingegen nicht. Das mit dem Konsensprinzip verbundene Vetorecht eines jeden Staates in den Organen würde eine Selbstanklage aber ohnehin verhindern895. Im Gegensatz zur Europäischen Union kann im Mercosur das Vertragsverletzungsverfahren, wie dargestellt, sogar auch durch Privatpersonen initiiert werden896. Bei diesem Verfahren ist die Person allerdings weitgehend von der Behandlung der Beschwerde durch seinen Staat abhängig897. Der Beschwerdeführer ist darauf angewiesen, dass die Gruppe Gemeinsamer Markt den Fall nicht zurückweist898. Eine Beschwerde gegen den eigenen Staat dürfte aufgrund dieser Abhängigkeit selten vorkommen. Verstößt der eigene Staat gegen Mercosur-Recht oder ist er säumig mit der Umsetzung, können Privatpersonen allerdings Klage vor einem nationalen Gericht erheben899. Zumindest nach der argentinischen VerArt. 226, in: Lenz/ders., Rn. 1 ff.; ders., Art. 227, ebenda, Rn. 1 ff.; W. Cremer, Art. 226 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1 ff.; ders., Art. 227 EGV, ebenda, Rn. 1 ff.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, S. 265 ff., 273 f. 894 Art. 1 ff. des Protokolls von Olivos; vgl. bereits Teil 1, V. 1. 895 So auch J. Samtleben, Las experiencias para un tribunal del Mercosur y la experiencia europea, JA 1998-I, S. 800; ders., Der Mercosur als Rechtssystem, S. 84 f.; U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-MercosulBeziehungen, S. 89; ähnlich auch: R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 58. 896 Allerdings können auch in der Europäischen Union Beschwerden von Privatpersonen an die Kommission gerichtet werden, die dann ein Vertragsverletzungsverfahren (Art. 226 EGV) einleiten kann. Eine Pflicht zur Verfahrenseinleitung besteht jedoch nicht, vgl. EuGH v. 14.02.1989, Rs. 247/87 (Star Fruit/Kommission), Slg. 1989, 291, 301; EuGH v. 17.05.1990, Rs. C-87/89 (SONITO/Kommission), Slg. 1990 I, 1981, 2009; EuGH v. 23.05.1990, Rs. C-72/90 (Asia Motor/Kommission), Slg. 1990 I, 2181, 2185; EuGH v. 15.01.1998, Rs. C-196/97 P (Intertronic/Kommission), Slg. 1998 I, 199, 204; EuGH v. 20.02.1997, Rs. C-107/95 P (Bilanzbuchhalter/Kommission), Slg. 1997 I, 947, 963; dazu C. Gaitanides, Art. 226 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 71 ff.; H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann/M. C. Jakobs, Rechtsschutz in der Europäischen Union – Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts vor europäischen und deutschen Gerichten, 1994, S. 43 f. 897 Nach dem Protokoll von Brasilia waren sie sogar noch vollständig von der Unterstützung durch den Heimatstaat abhängig. Dies kritisierten: J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 450; D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 461; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 271; B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 222; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 79. 898 Das kann sie gemäß Art. 42 Abs. 1 i. V. m. Art. 40 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. Kritisch hierzu bereits oben, Kapitel V. 1. c).

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

fassung muss der Staat für Schäden an Privaten, die aus der Nicht-Erfüllung internationaler Verpflichtungen entstehen, haften900. Vorabentscheidungsverfahren Schließlich gibt es in der Europäischen Union das Vorabentscheidungsverfahren oder auch Vorlageverfahren901. Jedes nationale Gericht kann bei Fragen zur Anwendung von Gemeinschaftsrecht den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, der dann eine verbindliche Auslegung vornimmt902. Der besonders große Nutzen dieses Verfahrens liegt in der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten. Dieser Nutzen ist unumstritten. Die bedeutendsten Entscheidungen im Bereich der Warenverkehrsfreiheit in der Europäischen Union ergingen im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens903. Ein dem Vorabentscheidungsverfahren ähnlicher Mechanismus wurde auch für den Mercosur befürwortet904 und ist nun mit Kapitel II des Reglements zum Protokoll von Olivos geschaffen worden. Zwar ist dieses aufgrund der ausdrücklichen Unverbindlichkeit der Stellungnahmen des Revisionsgerichts und der Tatsache, dass für die obersten nationalen Gerichte keine Pflicht und für niedere gerichtliche Instanzen nicht einmal die Berechtigung zur Vorlage besteht905, nur eingeschränkt mit dem Verfahren nach Art. 234 EGV vergleichbar906. Den899

R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 84; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 142. 900 Vgl. J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 450 und 452. 901 Art. 234 EGV. Hierzu ausführlich R. Streinz, Europarecht, S. 228–233 Rn. 630–643; B. Wegener, Art. 234 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1 ff.; K.-D. Borchardt, Art. 234, in: Lenz/ders., Rn. 1 ff.; K. A. Schachtschneider/A. EmmerichFritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, S. 249 ff. 902 Die letzte innerstaatliche Gerichtsinstanz muss zur Klärung von Gemeinschaftsrechtsfragen den Fall zur Vorabentscheidung dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, vgl. Art. 234 Abs. 2 EGV. Zur Bindungswirkung der Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof vgl. bereits Hinweise in Fn. 800 (1. Teil). 903 Z. B. das Urteil „Cassis de Dijon“, vgl. EuGH, v. 20.02.1979, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Brandweine), Slg. 1979, 649 oder Dassonville, vgl. EuGH, v. 11.07.1974, Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Dassonville), Slg. 1974, 837. 904 Vgl. J. Samtleben, Las perspectivas para un Tribunal del Mercosur y la experiencia europea, JA 1998-I, S. 801; ders., La solución de controversias, LA Opertti Badán, S. 955; B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 208. 905 Art. 2 und 11 des Reglements zum Protokoll von Olivos. 906 Ganz so A. Dreyzin de Klor, El Reglamento del Protocolo de Olivos, RLD 3 (2005) Nr. 3, S. 73.

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noch wird es den Mitgliedstaaten eine Anleitung zur Umsetzung der Mercosur-Normen geben. Dadurch könnte auch hier, wie in der Europäischen Union, eine einheitlichere Anwendung des Rechts in den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, welche aus dem Blickpunkt der Gewährleistung von Rechtssicherheit geboten ist907. Die explizite Unverbindlichkeit der Vorabentscheidung muss sich nicht grundsätzlich nachteilig auswirken. Damit wurde lediglich in einer Vorschrift festgehalten, was ohnehin unstrittig ist. In allen Vertragsstaaten steht die Verfassung über dem Völkerrecht908. In jedem Fall haben die obersten nationalen Verfassungsrichter die letzte Entscheidung über die Anwendung der Stellungnahme des Revisionsgerichts909. Dies ist im Übrigen auch in der Europäischen Union so, wie das Bundesverfassungsgericht im Widerspruch zum Europäischen Gerichtshof910 im Maastricht-Urteil für Deutschland in Bezug auf die Grundrechtsgarantien festgestellt hat911. Allerdings gibt es auch Meinungen, die ein Vorlageverfahren im Mercosur dennoch für verfassungsrechtlich bedenklich halten912. Denn 907 J. A. Toniollo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, LA Samtleben, S. 454; in diesem Sinne für die Europäische Union: K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 108, der ausführt, dass die Rechtlichkeit der gemeinsamen Staatlichkeit eine einheitliche Rechtsprechung gebietet, die die Rechtseinheit gewährleistet. 908 J. Samtleben, Der Mercosur als Rechtssystem, S. 78; J. J. Villamarín, Las constituciones en el Mercosur, S. 96; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 258 ff., insb. S. 267, 277, 279, 282; zu den Verfassungen vgl. Teil 1, IV. 1. d). 909 J. Samtleben, La solución de controversias, LA Opertti Badán, S. 958. 910 EuGH v. 17.12.1970, Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft/Einfuhrund Vorratsstelle Getreide), Slg. 1970, 1125, 1135; EuGH v. 13.12.1979, Rs. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, 3727, 3744 f. 911 BVerfGE 89, 155 (171 ff., 188); bestätigt durch: BVerfGE 102, 147 (163 ff.); vgl. zuvor bereits BVerfGE 58, 1 (40); 75, 223 (235); vgl. auch: K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Die Gerichtsbarkeit, S. 240. In der spanischsprachigen Literatur wird das Maastricht-Urteil aufgrund seiner inhaltlichen Nähe bezüglich des Grundrechtsschutzes zu den beiden „Solange“-Entscheidungen auch „Mientras III“ (Solange III) genannt. Hierzu auch: O. Dörr, Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte: Artikel 19 Absatz 4 GG unter dem Einfluß des europäischen Unionsrechts, 2003, insb. S. 132 ff.; W. Schroeder, Art. 249, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 39 und S. 2170 Rn. 47. Damit bestimmt auch im Europäischen Gemeinschaftsrecht entgegen der Dogmatik von der Eigenständigkeit der Rechtsordnung, welche aus einer „autonomen Rechtsquelle“ fließe, das Verfassungsrecht und nicht das Gemeinschaftsrecht die Reichweite und Grenzen des Anwendungsvorrangs, vgl. A. Bleckmann, Zur Funktion des Art. 24 Grundgesetz, in: K. Hailbronner/G. Ress/T. Stein (Hrsg.), Staat und Völkerrechtsordnung – Festschrift für Karl Doehring, 1989; ebenso D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, S. 89. 912 U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 88.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

das, was in Europa Gemeinschaftsrecht ist, sei im Fall des Mercosur aufgrund des Transformationserfordernisses in Wirklichkeit nationales Recht, das lediglich auf Vorgabe der Entscheidungen der Organe erlassen wurde. Diese Sichtweise geht davon aus, dass das Gericht das jeweilige nationale Recht auszulegen hätte. Das Vorabentscheidungsverfahren soll aber gerade nicht das innerstaatliche Recht auslegen, sondern die Gemeinschaftsnormen, aufgrund derer dann – in Konsequenz der nicht unmittelbaren Geltung von Mercosur-Rechtsakten – nationales Recht erlassen wird. Rechtsschutz Es mag als eine erhebliche Einschränkung des Rechtsschutzes gesehen werden, dass die Gruppe Beschwerden von Privaten ohne weiteres ablehnen kann, nämlich wenn sie die notwendigen Voraussetzungen einer Klage für nicht erfüllt hält913. Eine Beschwerde kann jedoch nur im Konsens abgelehnt werden. Die Vertreter des Staates des Beschwerdeführers dürfen der Ablehnung zumindest nicht gegenstimmen. Das in allen Organen gültige Konsensprinzip wirkt hier für den Beschwerdeführer und mildert eine Verkürzung des Rechtsschutzes ab914. Fraglich ist allerdings, ob Staaten nicht aus praktischen Erwägungen geneigt sind, eine Beschwerde einstimmig abzulehnen, um sich mit anderen, vielleicht wirtschaftlich stärkeren Staaten nicht schlecht zu stellen915. Wird die Klage angenommen, muss die sodann beauftragte Expertengruppe ihr Gutachten in Einstimmigkeit entgegen dem 913 Art. 42 Abs. 1 i. V. m. Art. 40 Abs. 2 des Protokolls von Olivos; vgl. bereits Kapitel V 1. c). Fehlenden Rechtsschutz kritisieren auch: L. Bertoni, MERCOSUR – Clausulas de salvaguardia y fallos arbitrales, S. 229; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 545 f., 546–549, 555; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 155; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 22 ff.; ders. MERCOSUR, S. 39 f. 914 B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 222 f.; ders., Solución de controversias (1993), S. 33; U. Wehner, Der Mercosur, S. 107; A. Landoni Sosa, La solución de controversias in el Mercosur, S. 125 f.; D. M. Ramos, Protección jurídica para los particulares en el Mercosur, Contribuciones 1999 Nr. 1, S. 82. 915 E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, 1997, S. 191. So häufig geschehen im Andenpakt, der zuweilen auch „pacto de caballeros“ – GentlemenPakt genannt wurde, vgl. J. Samtleben/R. Marwege, Integración económica y derechos de propiedad industrial en la jurisprudencia del Tribunal de Justicia del Acuerdo de Cartagena, Revista del Derecho Industrial Jhg. 15 (1993), S. 439; ders., Las experiencias para un tribunal del Mercosur y la experiencia europea, JA 1998-I, S. 798; ders., La solución de controversias, LA Opertti Badán, S. 950. Dass sich Staaten nicht gerne anklagen, stellt auch B. Garré Copello, Solución den controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 205 heraus.

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ansonsten durchweg gültigen Konsensprinzip abgeben916. Die Einstimmigkeit unterscheidet sich vom Konsens dadurch, dass eine Enthaltung nicht möglich ist. Der vom beklagten Staat beauftrage Experte muss dem Gutachten zustimmen. Die Urteilsfindung wird im Vergleich zum Konsens erschwert, was den Rechtsschutz tatsächlich erheblich einschränkt, da in dem Fall, dass die Experten keine Einstimmigkeit erlangen, das Individualverfahren beendet ist917. Wird eine Klage abgewiesen, steht dem privaten Kläger der Rechtsweg vor nationalen Gerichten offen918. Die mitgliedstaatlichen Gerichte sind aufgrund des strikt zwischenstaatlichen Charakters und der damit einhergehenden nicht unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit des Mercosur-Rechts nur verpflichtet, dieses anzuwenden, soweit es in die nationale Rechtsordnung eingegliedert wurde. Eine Klage vor einem nationalen Gericht gegen die säumige Umsetzung von Mercosur-Rechtsakten dürfte daher nur wenig Aussicht auf Erfolg haben. Zu Recht wird kritisiert, dass der diplomatische Teil des Streitschlichtungsverfahrens möglicherweise bereits zu einer Einigung zwischen den im Streit befindlichen Vertragsstaaten führt, die nicht zwangsläufig dem Mercosur-Recht entspricht, wodurch die Interessen Privater verletzt werden können919. Ein Mangel des neu eingeführten Vorlageverfahrens des Mercosur ist darin zu sehen, dass für die obersten nationalen Gerichte keine Pflicht und für niedere Instanzen nicht einmal das Recht zur Vorlage einer Fragestellung betreffend die Auslegung des Mercosur-Rechts besteht920. Es bleibt zu hoffen, dass die höchsten mitgliedstaatlichen Gerichte nicht nur zaghaft davon Gebrauch machen werden. Nur dann kann das Vorabentscheidungsverfahren seinen Zweck, die einheitliche Interpretation der Mercosur-Normen, gewährleisten. Durch eine uneinheitliche Auslegung des gemeinsamen Rechts wird nicht nur die Rechtssicherheit, sondern auch der Gleichheitsgrundsatz gefährdet921. Fehlender Rechtsschutz wird im Übrigen aufgrund eingeschränkter Durchsetzungsmöglichkeiten des Rechts bemängelt922, da anstelle von Zwangs916

Art. 44 Abs. 1 (i) des Protokolls von Olivos. Art. 44 Abs. 1 (ii) und (iii) des Protokolls von Olivos. 918 Hierauf verweist F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 271. 919 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 536 f. 920 Für eine Vorlageberechtigung niederer gerichtlicher Instanzen daher: A. Dreyzin de Klor, El Reglamento del Protocolo de Olivos, RLD 3 (2005) Nr. 3, S. 79. 921 D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 463. 922 J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 221 f.; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 191; A. Haller, Mercosur, 917

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

maßnahmen lediglich „Kompensationsmaßnahmen“ vorgesehen sind923. Über diese an sich überflüssige Erwähnung der möglichen Anwendung einer Repressalie924 hinaus gibt es keine Zwangsmittel. Die Repressalie ist ein starkes Druckmittel für wirtschaftlich starke Staaten. Kleine Staaten wie Uruguay und Paraguay können wirtschaftlichen Druck nur sehr beschränkt ausüben925. Die Effizienz einer Repressalie hängt davon ab, wie sehr der von der Repressalie betroffene Staat auf die Rechtstreue eines anderen angewiesen ist926. Rechtsschutz ist mangels Zwangs im Völkerrecht aber grundsätzlich beschränkt927 und stellt keine Besonderheit des Mercosur dar. Als genossenschaftliches Recht hängt die Einhaltung des Völkerrechts vom guten Willen der Genossen ab928. Aus eben diesem Grund, stellte Georg Jellinek fest, war die Bundesexekution gegenüber den großen Staaten im Deutschen Bund ein „leeres Wort“929. Der Wille zur Einhaltung wird durch das Reziprozitätsprinzip gestärkt930. S. 164; J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 126; B. Garré Copello, Solución de controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 218; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 24; ders., MERCOSUR, S. 41; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 24 f., 41. 923 In gleicher Weiser wird auch für das WTO-Streitbeilegungsverfahren das Fehlen von Zwangsmitteln der WTO zur Durchsetzung eines vom Dispute Settlement Body angenommenen Panels kritisiert, vgl. A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 200. Nach Art. 22 DSU können zur Durchsetzung von Empfehlungen und Entscheidungen Handelssanktionen erlassen werden, vgl. P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 168 f. Rn. 495. 924 Im Rahmen der „Selbsthilfe“ kann die Repressalie als Mittel der Konfliktlösung zwischen Staaten grundsätzlich angewandt werden, ohne dass dies einer ausdrücklichen Erwähnung bedarf. Zur „Selbsthilfe“ im Völkerrecht: A. Verdross, Völkerrecht, S. 424 ff.; C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 69 ff. 925 Vgl. R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 24 f.; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 167, 235 f.; C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 32. In diesem Sinne, aber bezogen auf das Durchsetzungsverfahren im WTO-Streitbeilegungsmechanismus: T. Gabler, Das Streitbeilegungssystem der WTO und seine Auswirkungen auf das Antidumping-Recht der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt a. M. 1997, S. 64; vgl. auch: H. Hauser/K.-U. Schanz, Das neue GATT, 2. Aufl. 1995, S. 246. 926 W. Meng, WTO-Recht als Steuerungsmechanismus der Neuen Welthandelsordnung, in: M. Klein/W. Meng/R. Rode (Hrsg.), Die Neue Welthandelsordnung der WTO, Bd. I, Amsterdam 1998, S. 21. 927 O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 18 und 225–231; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insb. S. 128–138. 928 Vgl. Anmerkungen in Fn. 221 und 222 (1. Teil). 929 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 765.

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An dieser Stelle sei angemerkt, dass man die schwächere Position kleiner Staaten bei der Anwendung von Kompensationsmaßnahmen verringern und den Druck zur Umsetzung eines Schiedsspruches erhöhen könnte, indem sich die Staaten verpflichten, grundsätzlich gemeinsam Repressalien gegen einen in der Umsetzung des Schiedsspruchs säumigen Staat anzuwenden931. Viele der angeführten Kritikpunkte sind im Mercosur aufgrund der insgesamt nicht mit der Europäischen Union vergleichbaren Integrationsmethode unhaltbar. Gegenüber der europäischen Gerichtsbarkeit gibt es sogar Vorzüge: Aufgrund kurzer Fristen in den einzelnen Verfahrensstufen vergehen nur drei bis sechs Monate bis zur Verkündigung des Urteils932. Die Möglichkeit ex aequo et bono, also nach Recht und Billigkeit zu entscheiden, ist eines der großen Vorteile völkerrechtlicher Schiedsgerichte. Eine solche pragmatische Lösung liegt häufig im Sinne der Beschwerdefüh930 Die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Regelungen, die auf dem Willen der Völker beruht, unterliegt dem Prinzip der Gegenseitigkeit, so K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 127. Dass die Reziprozität das Wesensmerkmal der Wirtschaftsintegration ist, stellt M. Quiroga Obregón, Mercosur, S. 39 heraus. Bei Nichteinhaltung der gemeinsamen Vorschriften besteht die Gefahr von „Kettenreaktionen“ anderer Mitgliedstaaten. Hierauf verweist für das EU-Gemeinschaftsrecht T. Oppermann, Europarecht, S. 211 f. Rn. 29. Hieraus kann nicht gefolgert werden, dass es keinen Zwang im Völkerrecht gibt. Es gibt die Möglichkeit der Selbsthilfe, dessen mildeste Form die diplomatischen Verhandlungen und stärkste Form der Krieg ist. Die Selbsthilfe ist jedoch kein freiheitlich begründeter Zwang. Sie wurde nicht durch ein (verfasstes) Volk zur Durchsetzung des Rechts legitimiert und unterscheidet sich dadurch wesentlich von der originären Zwangsgewalt eines republikanischen Staates über sein Hoheitsgebiet. Ausführlich hierzu A. EmmerichFritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insb. S. 134–138. Zur Reziprozität als Prinzip des Vertrags von Asunción vgl. L. Bizzozero/T. Vera, De Asunción a Ouro Preto, S. 6 f. 931 In diesem Sinne wohl auch C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 38. 932 Vgl. U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 91. Im Gegensatz hierzu dauert das Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (nach Art. 226 EGV) von der ersten Anfrage bis zum Urteil etwa drei Jahre, vgl. U. Ehricke, Art. 226 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 36; K.-D. Borchardt, Art. 226, in: Lenz/ders., Rn. 22. Die engen zeitlichen Vorgaben ähneln dem Streitbeilegungsverfahren der WTO, wo die kurzen Fristen jedoch nicht grundsätzlich als vorteilig bewertet werden, vgl. H.-J. Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation, S. 285 f.; hierzu auch: D. Siebold, Die Welthandelsorganisation, S. 131 ff.; P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 245 ff. Dagegen gibt es auch Stimmen, die das Mercosur-Streitbeilegungsverfahren für ausgedehnt und langsam halten, vgl. H. Moavro/P. W. Orieta/R. G. Parera, Las instituciones del Mercosur in: KonradAdenauer-Stiftung/CIEDLA (Hrsg.), documento de trabajo 3, S. 23, 51.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

rer, denen es eher auf die Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen als auf eine juristisch einwandfreie Lösung ankommt933. Der Rechtsschutz ist hierdurch nicht eingeschränkt, weil einem solchen Schiedsspruch alle beteiligten Parteien zuvor zustimmen müssen934. Der einheitlichen Anwendung des Rechts durch das Schiedsgericht und damit auch die Bildung von Präzedenzfällen sind Entscheidungen ex aequo et bono allerdings abträglich. Bisher gab es aber noch keine solche Entscheidung. Die bisherigen Urteile weisen durch die regelmäßigen Bezugnahmen935 vielmehr eine bemerkenswert einheitliche Auslegung auf936, weshalb ihnen eine faktisch große Autorität und Präzedenzwirkung bescheinigt wird937. 3. Die ersten Schiedssprüche Der erste Schiedsspruch erging am 29. April 1999. Seither folgten neun weitere938. Die Arbeit der Ad-hoc-Schiedsgerichte ist bisher durchaus positiv zu bewerten. Das Streitbeilegungssystem im Mercosur hat eine erfolgrei933 A. Haller, Mercosur, S. 163. Auf die Vorteile von Schiedsgerichtsentscheidung verweist auch: F. L. Sabsay/R. Bloch, Solución de controversias en el Mercosur, Archivos del Presente 1995 Nr. 2, S. 124; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 60. Anderer Ansicht J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 12, der gerade den Rechtsschutz Privater gefährdet sieht. 934 Art. 34 Abs. 2 des Protokolls von Olivos. 935 Das zweite Ad-hoc-Schiedsgericht nimmt Bezug auf das erste Schiedsgericht (Rn. 55); das dritte Schiedsgericht nimmt Bezug auf das erste Schiedsgericht (Punkt III, c); das vierte Schiedsgericht nimmt Bezug auf das erste (Rn. 107, 135, 137, 138, 141, 147), zweite (Rn. 130, 137, 147) und dritte Schiedsgericht (Rn. 103, 106, 107, 136, 147); das fünfte Schiedsgericht nimmt Bezug auf das erste, zweite, dritte und vierte Schiedsgericht (alle in Rn. 3.1); das sechste Schiedsgericht nimmt Bezug auf das zweite, dritte und vierte Schiedsgericht (Punkt II. A); das siebte Schiedsgericht nimmt Bezug auf das erste (Rn. 8.12), das vierte (Rn. 7.8, 7.9), fünfte (Rn. 8.9) und sechste Schiedsgericht (Rn. 8.14); das neunte Schiedsgericht nimmt Bezug auf das achte Schiedsgericht (Rn. 62). 936 So auch J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 125, 128; J. P. Schmidt, Neue Impulse durch institutionelle Reformen, EuZW 2005, S. 140; Anderer Ansicht aber wohl A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, II. 2. e). 1. 937 Vgl. U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-MercosulBeziehungen, S. 91; J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 126; A. Baars/P. Bischoff-Everding, Antidumping und Ursprungregime EuZW 2002, S. 330; J. J. Villamarín, Las constituciones en el Mercosur, S. 99 (vgl. bereits Fn. 209, 1. Teil). Ähnlich sind auch bei der Entscheidungsfindung im Panel und Appellate Body des WTO-Streitbeilegungsmechanismus frühere Entscheidungen zu berücksichtigen, obwohl ihnen keine strikte Bindewirkung zukommt (stare decisis), vgl. P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 118 f. Rn. 341. 938 Das zehnte Urteil ist noch nicht verfügbar.

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che Premiere hinter sich und die Funktionsfähigkeit des Mechanismus gezeigt939. Entscheidungen werden gründlich und nachvollziehbar begründet. Die Argumentation wird teilweise mit den Ausführungen von bekannten Autoren zum Mercosur-Recht unterstützt940. Fast alle nachfolgenden Urteile haben auf die Ergebnisse des ersten Verfahrens Bezug genommen941, weshalb das erste Urteil aufgrund seiner besonderen Präzedenzwirkung942 hier dargestellt wird943. Das Schiedsgericht hatte auf Antrag Argentiniens darüber zu entscheiden, ob eine Neuregelung der Importkontrollen Brasiliens gegen das MercosurRecht verstoße944. Für Produkte, die nicht nach dem neuen System abgefertigt werden, ist die Lizenzvergabe aufwendiger geworden. Für die Genehmigung wird zudem eine Pauschalgebühr von 60 US-Dollar erhoben. Die Mehrzahl der argentinischen Exporte wird nach der in Frage stehenden Bekanntmachung der zuständigen brasilianischen Behörde manuell abgefertigt; 939 U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 90. 940 Z. B. S. Abreu Bonilla, Mercosur e integración, S. 47, vgl. 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 64; G. Magariños, Comercio e Integración, 1994, S. 169, vgl. 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 69; J. Pérez Otermin, El Mercado Comffln del Sur. Desde Asunción a Ouro Preto, S. 105, vgl. 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Fn. 13; H. Gros Espiell, La exceptio non adimpleti contractus en el Derecho Internacional Pfflblico y su eventual aplicación en el Tratado de Asunción, in: Revista de la Facultad de Derecho de la Universidad de la Repfflblica Oriental del Uruguay, Bd. 19 (2001), S. 80, vgl. 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Fn. 19. 941 Bezug auf das erste Ad-hoc-Schiedsgericht nehmen das zweite (Rn. 55), das dritte (Punkt III C.), das vierte (Rn. 107, 135, 137, 138, 141, 147), das fünfte (Rn. 3.1) und das siebte (Rn. 8.12) Ad-hoc-Schiedsgericht. 942 Die Präzedenzwirkung erkennt auch: J. Lehmann, Neues von der Schiedsgerichtsbarkeit des Mercosur, EuZW 2001, S. 627 f. 943 Eine zusammenfassende Darstellung des Schiedsspruchs findet sich bei J. Samtleben, Erster Schiedsspruch im Mercosur, EuZW 2000, S. 79–80 und J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 110–112. Vgl. auch: M. Halperin, Una fotografía del Mercosur: el laudo arbitral del Primer Tribunal Ad-Hoc, La Ley v. 6. Juli 1999, Suplem., S. 2; M. Á. Ekmekdjian, Comentario al primer laudo dictado por el Tribunal Arbitral del Mercosur, El Derecho Nr. 183 (1999), S. 390–405; E. J. Cárdenas, Mercosur’s Fragile Dispute Resolution System at Work: First Decision Ever Made by an „Arbitration Panel“ in a Dispute Arising among Sovereign Parties, in: M. Bronckers (Hrsg.), New directions in international economic law, Den Haag 2000, S. 285–288; L. Bertoni, MERCOSUR – Clausulas de salvaguardia y fallos arbitrales, S. 207–213; M. S. Sartori, Laudo I, in: E. J. Rey Caro, Cuaderno de Derecho Internacional Nfflmero I, Doctrina Jurisprudencial de los laudos arbitrales del Mercosur, 2004, S. 19 ff. 944 Wie auch in allen nachfolgenden Urteilen werden die gegensätzlichen Positionen der Streitparteien zu Beginn der Urteilsbegründung dargestellt.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

der Erhalt einer Importlizenz für diese Produkte ist im Vergleich zu vorher aufwendiger geworden. Nach argentinischer Auffassung verstößt diese Regelung gegen das Gebot der Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse. Art. 5 lit. a des Vertrags von Asunción sieht vor, dass sämtliche nichttarifären Handelshemmnisse bis zum Ende der Übergangszeit am 31. Dezember 1994 beseitigt sein sollten. Die Art und Weise, wie dieser Abbau vonstatten gehen sollte, wird im Vertrag von Asunción nicht genannt. Die Ratsentscheidung 3/94 beziffert kurz vor Ablauf der Übergangszeit die noch bestehenden nichttarifären Handelshemmnisse und bekräftigt, dass diese bis zum 31. Dezember 1994 beseitigt sein sollen. Da nach diesem Zeitpunkt weiterhin einige der bezifferten nichttarifären Beschränkungen bestanden, verlängerte die Ratsentscheidung 17/97 die Frist bis zur endgültigen Beseitigung aller nichttarifären Handelsbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung bis zum 30. Dezember 1998945. Nach der Darstellung Brasiliens sei der Handel durch sein neues Importsystem gerade nicht eingeschränkt, sondern würde diesen erleichtern, da das jetzt eingeführte elektronische Informationssystem alle Daten schneller erfasse und leichter zugänglich mache. Es handle sich nicht um neue Importkontrollen, sondern vielmehr um eine übersichtliche Information der bereits zuvor bestehenden Einfuhrvoraussetzungen. Die argentinischen Einfuhren hätten durch die Neureglung sogar zugenommen, weshalb nicht von einer Beeinträchtigung des Handels gesprochen werden könne. Zudem sei die Vorschrift des Vertrags von Asunción, alle nichttarifären Handelshemmnisse bis zum 31. Dezember 1994 zu beseitigen, mehr als programmatisches Ziel im Hinblick auf den künftigen Gemeinsamen Markt zu verstehen. Das Gericht unternimmt keinen Versuch, die unterschiedlichen Darstellungen Argentiniens und Brasiliens miteinander zu vergleichen. Es beginnt stattdessen mit grundsätzlichen Überlegungen zur Auslegung des MercosurRechts. Dieses sei als ein verbundenes Normsystem zu verstehen946 und so auszulegen, dass das Ziel der Integration gefördert werde947. Der Vertrag 945

Art. 3 der Ratsentscheidung 17/97. 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 49: „(. . .) que la tarea del Tribunal no consiste en decidir acerca de la aplicación de alguna o algunas disposiciones específicas y aisladas, sino en situar y resolver la controversia planteada bajo la perspectiva del conjunto normativo del MERCOSUR (. . .).“, und Rn. 50 des 1. Schiedsspruchs: „(. . .) identificar los derechos y obligaciones emergentes de un conjunto normativo (. . .).“. 947 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 51: „(. . .) en el ámbito de los fines y principios del sistema del TA (. . .).“; Rn. 79 des Schiedsspruchs: „Una interpretación armónica del sistema, congruente y no contradictoria con los fines y objetivos declarados y acordados por las Partes, (. . .).“; Rn. 85 des Schiedsspruchs: „(. . .) interpretados en forma teleológica, teniendo en cuenta los fines, objetivos y principios del sistema de integración (. . .).“. 946

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von Asunción habe sowohl für die tarifären als auch für die nichttarifären Handelshemmnisse die vollständige Beseitigung bis zum Ende der Übergangszeit vorgesehen948. Das im Vertrag von Asunción vorgesehene Ziel, einen Gemeinsamen Markt bis zum 31. Dezember 1994 zu schaffen, sei zwar bekanntlich nicht erreicht worden. Dies bedeute aber keinesfalls, dass die Verpflichtungen aus dem Vertrag erloschen seien, sondern lediglich, dass der vorgesehene Zeitplan nicht eingehalten wurde949. Die Verpflichtung zur Beseitigung dieser Handelsbeschränkungen bestehe, wie die Entscheidungen des Rates 3/94 und 17/97 bestätigen, fort950. Der Anpassungsordnung (Régimen de adecuación)951, welcher als Abkommen im Rahmen des Vertrags von Asunción das Programm zur Handelsliberalisierung ersetzt, sieht die endgültige Beseitigung aller Zölle und die Vollendung der Zollunion für den 31. Dezember 1999 vor952. Dieser Zeitpunkt gelte als neuer konkreter Referenzpunkt. Da zwischen tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen eine unlösbare Verbindung bestehe, müssten spätestens bis zum 31. Dezember 1999 auch alle nichttarifären Handelshemmnisse beseitigt sein953. Ihr Fortbestehen über diesen Zeitpunkt hinaus würde den Sinn des Programms zur Handelsliberalisierung und damit das Fundament des Mercosur in Frage stellen954. Allerdings können gemäß Art. 2 lit. b des Anhangs I zum Vertrag von Asunción i. V. m. Art. 50 des Vertrags von Montevideo solche Maßnahmen ausnahmsweise zulässig sein, die aus Gründen der öffentlichen Moral und Sicherheit oder zum Schutze wichtiger Allgemeingüter erlassen werden955. 948

1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 64–71. 949 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 72–76. 950 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 76. 951 Erlassen mit Ratsentscheidung Nr. 5/94, deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur II, Dokument 37. 952 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 77. 953 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 77 und 79. 954 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 78: „(. . .). En tal hipótesis perdería todo sentido el programa de liberación y el fundamento mismo del MERCOSUR estaría en crisis. (. . .).“. 955 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 81; bestätigt durch Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt Considerando. Der Anhang I des Vertrags von Asunción ist das Programm zur Handelsliberalisierung, deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur II, Dokument 1a. Eine deutsche Übersetzung des Vertrags von Montevideo findet sich in Teilband I, Dokument 10.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Die bloße Einführung elektronischer Informationssysteme stelle demnach dann keine unzulässige Handelsbeschränkung dar, wenn sie durch die oben genannten Gründe rechtfertigbar ist956. An dieser Stelle verweist das Gericht auf die Praxis des Europäischen Gerichtshofs, der den Ordre-publicVorbehalt grundsätzlich eng auslegt. In diesem Sinne müssten die Maßnahmen geeignet und angemessen sein, um die genannten Rechtsgüter zu schützen957. Das Gericht gibt der Klage Argentiniens teilweise statt. Die automatische, computergesteuerte Importlizenzvergabe ist erlaubt, wenn sie die Abfertigungszeit an der Grenze nicht verlängert. Eine manuelle, nicht automatische Lizenzvergabe, wie sie Brasilien für die Mehrheit der argentinischen Produkte vorsah, darf über den 1. Januar 2000 hinaus nur insoweit angewendet werden, als sie zum Schutz der in Art. 50 des Vertrags von Montevideo genannten Schutzgüter (ordre public) angemessen und erforderlich ist958. Brasilien hatte daraufhin bereits einen Monat später die Zahl der Produkte, für die eine Einfuhrlizenz erforderlich ist, von 700 auf 350 reduziert959. Die Warenverkehrsfreiheit als Fundament des Integrationsprozesses960 Der Schiedsspruch hat unmissverständlich klargestellt, dass ab dem 1. Januar 2000 alle tarifären und nichttarifären Handelshemmnisse verboten sind und die noch existierenden Beschränkungen damit auf dem Prüfstand stehen961. Er hebt zudem die zentrale Bedeutung der Warenverkehrsfreiheit als Fundament des Integrationsprozesses heraus962. Auch die folgenden Schiedsurteile, die unmittelbar oder mittelbar den freien Handel zum Gegenstand haben963, bestätigen die „zentrale Rolle“964 der Warenverkehrs956

1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 82. 957 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 81. 958 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 85 (X). 959 J. Samtleben, Erster Schiedsspruch im Mercosur, EuZW 2000, S. 80. 960 Zur Warenverkehrsfreiheit ausführlich Teil 2, I. 961 Vgl. 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 77, 79 und 85 (vii); J. Samtleben, Erster Schiedsspruch im Mercosur, EuZW 2000, S. 80. 962 Vgl. 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 65, 76, 83 und 85; U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 93. 963 Das zweite und neunte Mercosur-Schiedsgericht prüften, inwieweit inländische Produktions- und Exportförderungsprogramme mit dem Mercosur-Recht vereinbar sind; beim dritten und vierten Schiedsgericht standen Schutz- bzw. Antidum-

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freiheit als „Säule“ des Vertrags von Asunción965, als „Kritische Masse“ für die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes966 sowie als „Dreh- und Angelpunkt“, ohne den das Unternehmen Mercosur inhaltslos sei967. Das 6. Schiedsgericht hält fest, dass die Abschaffung nichttarifärer Handelshemmnisse einen „absoluten Charakter“ (carácter absoluto) habe. Es handle sich um eine „essentielle Norm“ (norma esencial) in einem jeden Integrationsprozess968. Solange nicht eine Mercosur-Vorschrift ausdrücklich etwas anderes bestimmt, gilt die Freiheit des Warenverkehrs969. Dies sei die gemeinsame Überzeugung, die die Vertragsstaaten im bisherigen Integrationsprozess manifestiert haben970. Bestätigt wird auch der vom ersten Schiedsgericht ausgesprochene Zeitpunkt 1. Januar 2000 als Termin, bis zu dem sämtliche Handelshemmnisse abzuschaffen seien971. Keinesfalls dürfe der pingmaßnahmen auf dem Prüfstand; Gegenstand des fünften, sechsten und achten Schiedsgerichts waren von Behörden auferlegte Handelshemmnisse; das siebte Schiedsgericht rügte die säumige Inkorporation von Mercosur-Recht in nationales Recht, welche den Handel mit bestimmten Produkten ausdrücklich zulassen. Zum zweiten und dritten Schiedsurteil siehe auch: L. Bertoni, MERCOSUR – Clausulas de salvaguardia y fallos arbitrales, S. 214–228; J. Lehmann, Neues von der Schiedsgerichtsbarkeit des Mercosur, EuZW 2001, 625–628. Zum vierten und fünften Schiedsspruch: A. Baars/P. Bischoff-Everding, Antidumping und Ursprungregime, EuZW 2002, S. 329–335. Zum sechsen, siebten und achten Schiedsspruch: J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 119–126. Die ersten neun Schiedsurteile werden behandelt bei: E. J. Rey Caro, u. a. (Hrsg.), Cuaderno de Derecho Internacional Nfflmero I, Doctrina Jurisprudencial de los laudos arbitrales del Mercosur, 2004; L. M. del Carmen Calderón Vico de Della Savia u. a., El Arbitraje en el Mercosur, S. 27 ff. 964 „papel central“, vgl. erstes Schiedsgericht, Rn. 83; 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 139. 965 „pilar“, vgl. 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 66; 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 138. 966 „masa crítica“, vgl. 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 65; 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 55; 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 137. 967 „piedra angular“, vgl. 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 76; 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 140. 968 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 1. b). 969 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt II. H. 3. 970 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 55. 971 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. D. 2; 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 134, 138, und 139; 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen) Punkt II. B. 2. a).

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

freie Handel hinter das bereits erreichte Maß zurückfallen972. Das siebte Schiedsgericht stellt heraus, das auch die nicht zügige Inkorporation von Mercosur-Normen in innerstaatliches Recht ein nichttarifäres Handelshemmnis darstelle, wenn diese den Handel mit bestimmten Produkten, im konkreten Fall Pflanzenschutzprodukte, bewirkt973. Aufgrund des in den Organen geltenden Konsensprinzips könne jeder Staat einer unerwünschten oder nach seinem nationalen Recht verfassungswidrigen Norm ein Veto einlegen. Die Richter gingen davon aus, dass Brasilien den als Rechtfertigung für die säumige Umsetzung der Vorschriften vorgebrachten Ordre-publicVorbehalt als heimliche Einfuhrschranke gegen die in Argentinien hergestellten Pflanzenschutzprodukte missbrauche. Der Ordre-public-Vorbehalt sei nur in den engen Grenzen des Art. 50 des Vertrags von Montevideo einschlägig974. Das achte Schiedsgericht rügte eine unterschiedslos auf in- und ausländische Zigaretten erhobene Steuer Uruguays, deren Anwendung jedoch durch die Annahme eines fiktiven Basispreises als Berechnungsgrundlage für ausländische Zigaretten diskriminierend wirke und damit gegen Art. 7 des Vertrags von Asunción verstoße. Dadurch, dass importierte Zigaretten faktisch höher besteuert werden als inländische, handle es sich zudem um ein gemäß Art. 5 des Vertrags von Asunción verbotenes, nichttarifäres Handelshemmnis975. Immer wieder wird auf die Notwendigkeit einer an den Zielen des Vertrags zu orientierenden Auslegung nach Treu und Glauben (buena fe) verwiesen976. Dies sei klar in der Wiener Übereinkunft über das Recht der Verträge von 1969 niedergelegt, welche gemäß Art. 19 des Protokolls von Brasilia977 zu den bei der Auslegung zu berücksichtigenden Grundsätzen des Internationalen Rechts gehöre978. Zu diesen Grundsätzen sind auch interna972

6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 2.

a). 973 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 9.4. 974 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 9.5 und 9.6. 975 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt Considerando. 976 Neben dem ersten Schiedsspruch alle anderen: 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 55; 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. C.; 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 147; 5. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 2.07.2001 (Herkunftsangaben), Rn. 3.1; 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. A; 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 8.12; 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt Considerando Abs. 2; 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Rn. 45. 977 Jetzt Art. 34 Abs. 1 des Protokolls von Olivos.

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tionale Abkommen im Rahmen der WTO zu zählen979. Das internationale Recht kann jedoch nur Schutzlücken (lagunas) füllen, ist also nur anwendbar, wenn es keine einschlägige Vorschrift im Mercosur-Recht gibt980. Bereits das dritte Schiedsgericht hatte es abgelehnt, eine WTO-Norm heranzuziehen, weil es eine spezifische Mercosur-Regelung gäbe981. Auch nach Ansicht des vierten Schiedsgerichts gehörten WTO-Abkommen zwar zu den Grundsätzen des internationalen Rechts, denen die Aufgabe zukomme, den Inhalt von Mercosur-Normen zu verdeutlichen982, sie seien aber nicht als Bestandteil des Rechtssystems Mercosur zu verstehen983. Damit geht das Schiedsgericht implizit davon aus, dass Mercosur-Recht spezieller ist als andere völkerrechtliche Regelungen, was auf die Annahme eines verdichteten Integrationsprozesses schließen lässt984. Die konstante Rechtsprechung zugunsten des freien Warenverkehrs als Kern einer jeden Wirtschaftsintegration unterstreicht den Integrationswillen der Vertragsstaaten985. Den kleinen Mercosur-Ländern bietet der Streitbeilegungsmechanismus die Möglichkeit, auf gleicher Augenhöhe mit den großen Vertragsstaaten ihre Interessen durchzusetzen, was ihnen auf dem Wege von Verhandlungen aufgrund des geringeren ökonomischen Druckpotentials nur bedingt möglich ist. Insgesamt scheint sich eine Verrechtlichung des Integrationsprozesses anzubahnen986. Das Schiedsverfahren entwickelt sich 978 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. C; 4. Adhoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 147; 5. Ad-hocSchiedsgericht v. 2.07.2001 (Herkunftsangaben), Rn. 3.1; 7. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 19.04.2002 (Handelshemmnisse für Pflanzenschutzprodukte), Rn. 8.9–8.12. 979 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 57; 4. Ad-hocSchiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 159; 5. Ad-hocSchiedsgericht v. 2.07.2001 (Herkunftsangaben), Rn. 3.1. 980 So ausdrücklich: 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt Considerando Abs. 8 („La referencia que se haga a las demás normas de derecho internacional, como los Tratados de Montevideo y la OMC solo serviría para integrar lagunas.“). 981 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. E und III. H. 3. I., insb. Fn. 57. 982 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 159. 983 Selbst dann nicht, wenn sie von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurden und damit als Bestandteil des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten aufzufassen seien, vgl. 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 127–130. 984 J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 115; dies. Neues von der Schiedsgerichtsbarkeit des Mercosur, S. 627. 985 J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 126 spricht von einer„fast aggressiv“ integrationsfreundlichen Auslegung. 986 So bereits die Einschätzung nach dem ersten Urteil, von: J. Samtleben, Erster Schiedsspruch im Mercosur, EuZW 2000, S. 80; H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz S. 13.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

zunehmend zu einer ernst zu nehmenden und akzeptierten Streitbeilegungsmethode987. Anwendung der Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs Auch ohne die ausdrückliche Erwähnung der Vorgehensweise des Europäischen Gerichtshofs988 sind die Parallelen in der Interpretation des Rechts offensichtlich989. Die Gerichte verweisen immer wieder auf die Notwendigkeit einer systematischen und teleologischen, an den Zielen des Vertrags auszurichtenden Interpretation des Rechts990. Das Mercosur-Recht sei als „conjunto normativo“, als verbundenes Normsystem zu verstehen991, das nur im Geiste des Mercosur und im Lichte der Integrationsziele interpretiert werden dürfe992. In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich das vom Europäischen Gerichtshof entwickelte Konzept des effet utile herangezogen993, 987

In diesem Sinne auch bereits nach dem fünften Schiedsurteil: A. Baars/P. Bischoff-Everding, Antidumping und Ursprungregime, EuZW 2002, S. 334; auch so J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 123. 988 Neben dem 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 81, beziehen sich auch das 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. F. 1. und das 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 154 ausdrücklich auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs. 989 Eine deutliche Nähe zu den teleologischen Begründungen des Europäischen Gerichtshofs erkennt auch U. Wehner, Der Mercosur, S. 114. Zu Interpretationsmethode und Stil des Europäischen Gerichtshofs, vgl. R. Streinz, Europarecht, S. 214 f. Rn. 570 ff.; H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann/M. C. Jakobs, Rechtsschutz, S. 20 ff.; M. Zuleeg, Art. 1 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 35 ff.; K.-D. Borchardt, Art. 220, in: Lenz/ders., Rn. 14 ff.; T. Oppermann, Europarecht, S. 206 ff. Rn. 18 ff.; I. Pernice/F. C. Mayer, Art. 220 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 42 ff. 990 Am deutlichsten in Rn. 85 des 1. Ad-hoc-Schiedsgerichts v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), der lautet: „(. . .) interpretados en forma teleológica, teniendo en cuenta los fines, objetivos y principios del sistema de integración (. . .).“. Vgl. bereits Anmerkungen in Fn. 976 (1. Teil). 991 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 49, 50, 58, 59 und 85; bestätigt durch: 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 111. 992 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 50, 51, 57, 58, 59, 61, 79 und 85; 5. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 2.07.2001 (Herkunftsangaben), Rn. 3.2.4 S. 2. Das 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 56 spricht von einem „integrationsfreundlichem Blickwinkel“ (óptica integradora), aus dem die Anwendung der gemeinsamen Normen vollzogen werden solle. Vgl. auch U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 92. 993 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 61: „la jurisprudencia comunitaria, (. . .), aplica el concepto de efecto ffltil (. . .).“.

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das auf die praktische Wirksamkeit einer Norm abstellt. Das Konzept des effet utile sei eng mit der teleologischen Interpretation des Rechts verbunden; denn Wortlaut und Kontext der Normen müssten im Sinne des bestmöglichen Erreichens der Ziele interpretiert werden994. Zur Unterstützung der Argumentation über die Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts werden auch europäische Autoren zitiert995. Nach der Klarstellung der Auslegungsprinzipien kommt das erste Schiedsgericht zu dem Ergebnis, dass die Verpflichtung zur Reduzierung sämtlicher tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse so ausgestaltet ist, dass sie irreversibel und dem jeweiligen Willen der Mitgliedstaaten entzogen sei996. Die unilaterale Aufrechterhaltung solcher Maßnahmen würde das Programm zur Handelsliberalisierung und damit das Fundament des Mercosur in Frage stellen997. Diese Rechtsprechung erinnert an die Entscheidung „Costa/ENEL“ des Europäischen Gerichtshofs998. Statt eine eigenständige Dogmatik zu entwickeln, orientiert sich vor allem das erste Schiedsgericht an den Interpretationsmethoden des Europäischen Gerichtshofs. Unklar ist, inwieweit eine solche Vorgehensweise legitim ist. Wie im Kapitel IV dargestellt, handelt es sich beim Mercosur genau nicht um Gemeinschaftsrecht im europäischen Sinne. Der Mercosur ist keine supranationale Organisation sondern ein Staatenbund im völkerrechtlich herkömmlichen Sinn999. Bereits aufgrund des strukturellen Unterschieds können keine allgemeingültigen Prinzipien von Gemeinschaftsrecht gebildet werden1000. Dass die Integrationsprinzipien des europäischen InteDazu K. A. Schachtschneider, Ermächtigungen der Union und der Gemeinschaften, S. 129 ff. 994 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 61. 995 Es werden zitiert: Pnayotis Soldatos, Le Système Institutionnelle et Politique des Communautés Européennes Dans un Monde en Mutation, Brüssel, 1989, S. 115–117, vgl. Rn. 50 des 1. Ad-hoc-Schiedsgerichts v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse); Antonio Remiro Brotons, Derecho Internacional Pfflblico, Madrid, S. 310–315, vgl. Rn. 50 des ersten Schiedsspruchs; Fausto Quadros, Direito das Comunidades Europeas e Direito Internacional Pfflblico, Lissabon, 1984, S. 426–427, vgl. Rn. 57 des Schiedsspruchs; Robert Lecourt, L´Europe des Juges, Brüssel, 1976, S. 235, vgl. Rn. 56 des ersten Schiedsspruchs. 996 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 65. 997 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 78. 998 EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251; vgl. bereits Teil 1, IV. 1. 999 Wie das 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse) sogar selbst in Rn. 85 (iii) hervorhebt. Vgl. bereits Teil 1, IV. 3. 1000 Wie zutreffend herausgestellt wird, vgl. U. Wehner, Der Mercosur, S. 116 f.

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grationsmodells im Mercosur übernommen werden, ließe sich allenfalls durch deren individuelle Einbeziehung erreichen1001. Weder im Primärnoch im Sekundärrecht des Mercosur gibt es einen ausdrücklichen Hinweis auf die Anwendung der europäischen Gemeinschaftsrechtsdogmatik. Allerdings könnte dieses Urteil als eine solche ausdrückliche Einbeziehung gewertet werden. Die Schiedsurteile selbst sind Teil der geschaffenen Rechtsordnung1002. Gemäß Art. 1 des Protokolls von Olivos kommt dem Gericht die Aufgabe zur Auslegung des Mercosur-Rechts zu und damit das Recht, eine eigene Dogmatik zu entwickeln oder aber die Dogmatik des Europäischen Gerichtshofs zu übernehmen. Prinzipiell spricht zumindest nichts gegen die Vorgehensweise, sich an den Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs zu orientieren. Die Unterschiede zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union sind dem Gericht bewusst. In Randnummer 58 des ersten Schiedsspruchs führt es aus, dass eine systematische und teleologische Auslegung nicht nur für „weit entwickelte und supranationale Organisationen“ gelte, sondern auch „für alle anderen“1003. Schlussbemerkung Das Verfahren erinnert an den Streitbeilegungsmechanismus der WTO1004, dem ein gerichtsähnlicher Charakter zugeschrieben wird1005. Im Vergleich mit diesem ist das Streitbeilegungsverfahren des Mercosur sogar effektiver, da es noch kürzere Fristen vorsieht und noch stärker automatisiert ist. Die Vertragsstaaten haben sich von vornherein dem Schiedsurteil bzw. dem Ur1001 R. Alonso García, Tratado de Libre Comercio, Mercosur y Comunidad Europea, S. 73; vgl. bereits Hinweise in Fn. 559 (1. Teil). 1002 Wie das 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse) in Rn. 51 bekräftigt. 1003 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 58 lautet: „Apreciación que vale no sólo para las formas institucionales más avanzadas y profundas con elementos de supranacionalidad sino también para las demás, incluso cuando los parámetros son todavía tenues. (. . .).“. 1004 J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 12; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 544; so wohl auch B. Feder, El Protocolo de Olivos, LA Opertti Badán, S. 868. Zum WTO-Streitbeilegungsmechanismus: H.-J. Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation, S. 221 ff.; D. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 131–146; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 176–206; P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 145 ff. 1005 Jeweils m. w. N.: N. Lavranos, Rechtswirkung von WTO panel reports, EuR 34 (1999), S. 302; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 193.; H.-J. Letzel, Streitbeilegung im Rahmen der Welthandelsorganisation, S. 343 f. Gegen einen gerichtsähnlichen Charakter spricht allerdings, dass dem WTO-Streitbeilegungsverfahren keine Rechtsfortbildungsfunktion zukommt, vgl. P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 149 f. Rn. 429.

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teil der Revisionsinstanz unterworfen, während eine Panel-Entscheidung erst von dem Dispute Settlement Body angenommen werden muss1006. Die meisten Kritikpunkte basieren auf einem Vergleich des MercosurSchiedsgerichts mit dem Europäischen Gerichtshof1007. Wie dargestellt wurde, sind beide Systeme aber nur eingeschränkt vergleichbar1008. Das eingerichtete Streitschlichtungssystem entspricht dem gesamten institutionellen Aufbau des Mercosur1009. Die ständig geforderte Einrichtung eines supranationalen Gerichts mit unabhängigen Richtern1010 ist nur dann sinnvoll, wenn auch alle anderen Organe unabhängige Entscheidungen treffen, die im Zweifel auch gegen den Willen einzelner Mitgliedstaaten durchgesetzt werden müssten1011. Die Nicht-Einhaltung selbst getroffener Ent1006 Art. 16 des Dispute Settlement Understanding. Allerdings kann eine PanelEntscheidung nur durch Einstimmigkeit abgelehnt werden, was praktisch kaum vorkommen dürfte, da auch der Verfahrenssieger der Ablehnung zustimmen müsste. Hierauf verweist: A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 191. 1007 Vgl. etwa B. Garré Copello, La creación de un tribunal de justicia en el Mercado Comffln del Sur, S. 173 ff.; ders., Solución den controversias en el Mercado Comffln del Sur, S. 205; E. J. Rey Caro, Introducción, in: ders. u. a. (Hrsg.), Cuaderno de Derecho Internacional, S. 15. 1008 So auch ausdrücklich die Erklärung (Aclaración) zum fünften MercosurSchiedsgericht, Rn. 6.3; vgl. bereits Anmerkungen in Fn. 633 (1. Teil). 1009 M. w. N. B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 136 f.; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 181; U. Wehner, Der Mercosur, S. 110; C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 1. 1010 Unter vielen: D. Opertti Badán, Sistema de solución de controversias en el Mercosur, LA Samtleben, S. 463 und 465; C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1391; J. H. Lavopa, Organización institucional y Derecho Comunitario en el Mercosur, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 911; B. Garré Copello, La creación de un tribunal de justicia en el Mercado Comffln del Sur, 174 f.; ders., Solución de Controversias en el Mercado Comffln del Sur, S. 201, 208; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 135 f.; m. w. N. A. Haller, Mercosur, S. 172 ff.; A. L. Vargas, El Tribunal de Justicia Permanente del Mercosur, insb. S. 165; A. Dreyzin de Klor, Sistema de solución de Controversias en el Mercosur, S. 101; A. C. Logar, Tribunal de justicia para el Mercosur – Una decisión impostergable, S. 91 f.; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 88; A. Boggiano, Introducción al derecho internacional – Relaciones exteriores de los ordenamientos jurídicos, S. 108 f., zitiert nach M. E. Uzal, Los particulares y el acceso a la jurisdicción en el marco del Mercosur, Revista de Derecho Comercial y de las obligaciones Bd. 22 (1995) Nr. 166, S. 350, Fn. 3; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 88; A. R. Vázquez, Soberanía, supranacionalidad e integración, ADCL 2001, S. 240; R. Bloch, Solución de controversias en el Mercosur, S. 65; S. Feldstein de Cárdenas/L. B. Scotti/M. S. Rodríguez/F. A. Medina/Y. C. Cárdenas, Del Protocolo de Brasilia al Protocolo de Olivos, S. 9. 1011 In diesem Sinne auch J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 174 f.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

scheidungen kommt hingegen selten vor. Das ist möglicherweise auch der Grund, warum das Schiedsgericht erst zehnmal in Anspruch genommen wurde, und nicht etwa ein Indiz für ein schlechtes System1012. Der Andenpakt verfügt über ein Gericht, das dem Europäischen Gerichtshof in seiner Funktionsweise sehr ähnlich ist1013. Die Erfolglosigkeit des Andengerichtshofs wird in der Literatur denn auch eher auf eine mangelnde Akzeptanz der Rechtsprechung als auf inhaltliche Mängel zurückführt1014. Ein permanentes, von den Regierungen der Mitgliedstaaten unabhängiges Gericht kann fehlenden Integrationswillen nicht ersetzen1015. Eine pragmatische Lösung ist jedenfalls einer vorschnellen Installierung eines abschließenden Systems, dem es aber an Akzeptanz fehlt, vorzuziehen1016. Das Stufenverfahren, welches sich auch bei anderen regionalen Wirtschaftsgemeinschaften findet, scheint dem Ziel der Wirtschaftsintegration angemessen1017. 1012 So aber: A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 164 f.; L. M. Palma, Solución de controversias en el Mercosur: ¿Actualidad y Futuro? La necesidad de crear un tribunal de justícia, in: Insteco/Fundación Andina (Hrsg.), Temas del Mercosur, Nr. 3, 1997, S. 106; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 275; E. J. Cárdenas, Mercosur’s Fragile Dispute Resolution System at Work, S. 285; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 79; E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, 191; N. Lavranos, An introduction into the Regional Economic Integration Process of the Americas, ZEuS 2001 Nr. 1, S. 149; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 171. 1013 Hierauf verweisen J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 208; B. Garré Copello, Solución den controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 220; M. A. Elizeche, Mercosur, S. 49; S. Czar de Zalduendo, La integración económica y la interpretación uniforme del Derecho, El Derecho Nr. 168 (1996), S. 1047; A. O. Iza, Solución de controversias en los acuerdos de integración, 1997, S. 87; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 223; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 17; R. Vigil Toledo, La cooperación entre el Tribunal de Justicia de la Comunidad Andina y el Tribunal Permanente de Revisión del Mercosur, ADCL 11 (2005) 2, S. 783 f. 1014 B. Garré Copello, Solución den controversias en el Mercado Comffln del Sur (El Protocolo de Brasilia al Tratado de Asunción), S. 220; ders., Solución de controversias (1993), S. 30; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 390; J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 173 spricht von fehlendem politischen Willen („voluntad política“). 1015 C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 5 f. 1016 In diesem Sinne U. Wehner, Der Mercosur, S. 142 f.; J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 234; auf die gesamte institutionelle Struktur bezogen auch R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 565 f.; L. Bizzozero, La estrategia institucional del Mercosur, S. 39; C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 35, 38. 1017 So auch J. Lehmann, Wirtschaftsintegration und Streitbeilegung außerhalb Europas, S. 124.

VI. Bewertung der Vorgehensweise im Mercosur insgesamt

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VI. Bewertung der Vorgehensweise im Mercosur insgesamt Der Mercosur kann aufgrund seiner methodischen Besonderheiten durchaus als neuartiges Integrationsprojekt bezeichnet werden1018, dessen Recht ein neues Rechtsgebiet geschaffen hat1019. Der Mercosur verfolgt das Ziel der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes. Unter einem Gemeinsamen Markt wird ebenso wie in der Europäischen Union der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren verstanden1020. Der Weg, auf dem dieses Ziel erreicht werden soll, ist ein anderer. Sämtliche Organe sind rein zwischenstaatlich zusammengesetzt. Einer supranationalen, unabhängigen Ausgestaltung der Organe wurde sogar eine ausdrückliche Absage erteilt1021. Die Rechtsetzung und damit jedweder Fortschritt hängt direkt von dem Willen der Mitgliedstaaten ab1022 und damit von dem Willen der Präsidenten; denn es handelt sich in allen vier Staaten um Präsidialdemokratien1023. In engem Zusammenhang mit dem beschriebenen Übergangscharakter steht das Merkmal der Flexibilität und des Pragmatismus1024. Die fehlende Supranationalität und die damit verbundene Abhängigkeit der Entwicklung des Mercosur vom Willen der Präsidenten wird von der 1018

Vgl. Hinweise in Fn. 97 (Einführung). U. Wehner, Der Mercosur, S. 24. Ganz so das 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Rn. 63, das von einer Rechtsordnung des Mercosur („ordenamiento jurídico del Mercosur“) spricht. 1020 Vgl. Art. 1 Abs. 2 des Vertrags von Asunción; für die Europäische Union vgl. Art. 3 lit. c EGV. 1021 Art. 2 des Protokolls von Ouro Preto stellt fest, dass die Organe intergouvernementaler Natur sind. 1022 Hierauf verweisen S. Jardel/A. Barraza, Mercosur – Aspectos jurídicos y económicos, S. 75; E. I. Rimoldi de Ladmann, La toma de decisiones en el Mercosur, S. 142; nicht anders: A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt I.1; dies., La necesidad de un Parlamento para el Mercosur, in: Konrad-Adenauer-Stiftung/Comisión Parlamentaria para el Mercosur (Hrsg.), Hacia un Parlamento del Mercosur: Una recopilación de documentos, 2005, S. 26; J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 5; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 157; U. Wehner, Der Mercosur, S. 143; Der Mercosur wurde daher als „power-oriented“ beschrieben im Gegensatz zu „rule-oriented“ Integrationsräumen, vgl. S. Feldstein de Cárdenas/L. B. Scotti/M. S. Rodríguez/F. A. Medina/Y. C. Cárdenas, Del Protocolo de Brasilia al Protocolo de Olivos, S. 3. 1023 Dass alle vier Staaten Präsidialdemokratien sind, stellt heraus: A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 172; ähnlich N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 202. 1024 Vgl. bereits Teil 1, I. 2.; M. A. Elizeche, Mercosur, S. 16; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 151, 153; U. Wehner, Spezifische Rechtsfragen des Mercosul und der EU-Mercosul-Beziehungen, S. 85. 1019

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Mehrzahl der Autoren kritisiert1025. Gerade wenn die Anfangsdynamik zum erliegen käme, würde sich die Abhängigkeit von dem Willen der Präsidenten als Nachteil herausstellen1026. Damit der Mercosur eine Zukunft hat, müssten die Mitgliedstaaten Souveränitätsrechte an die Mercosur-Organe übertragen und dafür im Zweifel die eigene Verfassung reformieren1027. Für die Bewertung wird häufig die Europäische Union als Vergleichsmaßstab herangezogen und ein Abweichen von den Erfolgsfaktoren der Europäischen Union als Mangel bewertet1028. Eine solche Betrachtungsweise lässt die herausragenden Erfolge im Mercosur unberücksichtigt1029. Bis zum Ende der Übergangszeit waren für die Mehrheit der Waren die Binnenzölle entfallen und ein gemeinsamer Außenzoll eingerichtet1030. In weniger als 1025 Vgl. etwa J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 5, 20; S. Rippe, El Derecho de la Competencia en el Mercosur, in: H. Arbuet Vignali, u. a. (Hrsg.), IV encuentro internacional de derecho para América del Sur – El desarollo de la integración hacia el siglo XXI: Mercosur, balance y perspectivas, 1996, S. 266 f. u. 270; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, 87; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 105, 175; R. R. Díaz Labrano, Naturaleza Jurídica del Mercosur, S. 21, 610 f.; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 89; M. Á. Ekmekdjian, ¿Una constitución para el Mercosur?, ADCL 1999, S. 86 u. 89; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 66; N. Lavranos, An introduction into the Regional Economic Integration Process of the Americas, ZEuS 2001 Nr. 1, S. 150; J. H. Lavopa, Organización institucional y Derecho Comunitario en el Mercosur, El Derecho Nr. 148 (1992), S. 911; ders., La dimensión jurídica de la integración, Contribuciones Nr. 4 (1996), S. 177; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 61 f.; J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 174 ff.; E. Rivas, El futuro del Mercosur, Comunicação & política, Vol. XI (2004) 1, S. 195 f., 199; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 202–206. 1026 M. Haines-Ferrari, Mercosur, Case W. Res. J. Int’l L. 25 (1993) 3, S. 414; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 385; in diesem Sinne und m. w. N. U. Wehner, Der Mercosur, S. 59, 137; R. A. PorrataDoria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 62. 1027 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 355; für unabhängige Organe auch: R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 87; ähnlich auch N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 272, 285 f., 301. 1028 So ganz besonders bei J. L. Sanguinetti, MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 201 (1994), S. 15–20; S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 209–221; U. Wehner, Der Mercosur, S. 139. 1029 R. Bouzas, El Mercosur: Una evaluación sobre su desarrollo y desafíos actuales, in: ders. (Hrsg.), Regionalización e Integración Económica – Instituciones y procesos comparados, 1997, S. 225; auf die Erfolge im Mercosur verweisen auch Ratsentscheidung 13/98, Introducción; H. Arbuet Vignali, Reflexiones políticas, jurídicas y epistemológicas sobre el Mercosur, S. 27; P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 9; E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 164; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 172.

VI. Bewertung der Vorgehensweise im Mercosur insgesamt

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5 Jahren entwickelte sich der Mercosur zum wichtigsten Integrationsraum Lateinamerikas1031 und verzeichnete eine Vervierfachung des Intra-Mercosur-Handels1032. Und: Entgegen der Erwartungen vieler hat sich die zwischenstaatliche Entscheidungsstruktur als tragfähig für ein ergebnisorientiertes Krisenmanagement erwiesen1033. Offensichtlich kann eine andere Integrationsmethode sehr wohl auch erfolgreich sein1034. Zumindest was die Integrationstechnik angeht, ist die Abhängigkeit der Fortentwicklung der Integration vom Willen der Regierungen kein Nachteil. Eine zügige innerstaatliche Umsetzung des Rechts ist so sichergestellt. Ein Staat, der zunächst einem Rechtsakt zustimmt oder zumindest nicht dagegen stimmt, verhält sich widersprüchlich, wenn er ihn später nicht umsetzt1035. Die Verlangsamung des Integrationsprozesses durch eine schwerfällige Entscheidungsfindung aufgrund des Konsensprinzips dürfte durch eine zügigere spätere Umsetzung kompensiert werden1036. Der Nachteil einer nicht unmittelbaren Geltung von Integrationsrecht, nämlich die Abhängigkeit der Geltung von einem zusätzlichen Legislativakt in den Mitgliedstaaten und damit von dem Willen dieser wird abgemildert; denn der Wille ist auf jeden Fall vorhanden, andernfalls wäre der Rechtsakt nicht beschlossen worden. Umgekehrt reduziert das Konsensprinzip Verfassungsprobleme, da jeder Staat mit seinem Veto eine Mercosur-Norm verhindern kann1037. Das Verfahren zur simultanen Geltung, wonach ein Rechtsakt erst in Kraft tritt, wenn er in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurde1038, wurde als „seltsam und unbefriedigend“ bezeichnet1039. Dieser negativen Einschät1030

J. Samtleben, Das Recht des Mercosur, EuZW 1998, S. 65. A. Loschky, Mercosur und EU, S. 1; vgl. bereits Fn. 8 (Einführung). 1032 A. Lucas Garín, Protocolo de Olivos para la solución de controversias en el Mercosur, Revista de Estudios Internacionales, S. 150; teilweise wird sogar von einer Verfünffachung ausgegangen, vgl. J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 397. 1033 H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 13. 1034 Die Andersartigkeit wird zum Teil sogar gerade als Grundlage für den Erfolg gesehen, vgl. U. Wehner, Der Mercosur, S. 137 ff. 1035 Ähnlich der Tenor bei U. Wehner, Der Mercosur, S. 143. E. I. Rimoldi de Ladmann, La toma de decisiones en el Mercosur, S. 142. 1036 Hierauf verweist: M. Á. Ekmekdjian, ¿Una constitución para el Mercosur?, ADCL 1999, S. 86.; anderer Ansicht E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 62. 1037 In diesem Sinne A. Haller, Mercosur, S. 146. 1038 Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto. 1039 „curioso e insatisfactorio“, vgl. S. Deluca, Unión Europea y Mercosur, S. 71; kritisch auch: D. Fernández Arroyo, El Derecho Internacional Privado en el Mercosur, S. 94; C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR, S. 21; A. Freeland López Lecube, Manual de derecho comunitario, S. 272 f., der das Verfahren für ein „Attentat auf die zukünftige Funktionsfähigkeit“ 1031

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

zung kann nicht gefolgt werden. Es handelt sich um eine geschickte Regelung, mit der verhindert wird, dass trotz der nicht unmittelbaren Geltung von Mercosur-Recht ein Rechtsakt in einigen Mitgliedstaaten bereits umgesetzt ist, während die Inkorporation in die nationale Rechtsordnung in anderen Mitgliedstaaten noch aussteht. Uneinheitliche Geltung von MercosurSekundärrecht ist so ausgeschlossen. Es wird allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass als Datum des Inkrafttretens des jeweiligen nationalen Rechtsaktes in den Amtsblättern der Vertragsstaaten die Bekanntgabe der Inkorporation des Mercosur-Rechts in allen Mitgliedstaaten durch das Mercosur-Sekretariat angegeben werden muss1040. Ein Vorteil der Abhängigkeit der Entscheidungsfindung vom Willen der Mitgliedstaaten ist eine im Vergleich zur Europäischen Union größere demokratische Legitimation des Mercosur-Rechts; vorausgesetzt die Regierungsvertreter, die in den Organen über das Recht abstimmen, sind demokratisch legitimiert1041. Zumindest in Deutschland ist fraglich, inwieweit die EURechtsetzung und hier vor allem die „innovatorische Rechtsfortbildung“1042 des Europäischen Gerichtshofs durch die Zustimmungsgesetze zum EG-Vertrag, die das Bundesverfassungsgericht befremdend Rechtsanwendungsbefehl1043 nennt, legitimiert ist1044. Die zitierte südamerikanische Abneigung des Mercosur hält; vgl. auch D. Ventura/A. Perotti, El Proceso Legislativo del MERCOSUR, S. 32 f. 1040 Vgl. M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídico-institucional del Mercosur después del Protocolo de Ouro Preto, S. 80. 1041 Allerdings wird auch dem Mercosur ein Demokratiedefizit bescheinigt, vgl. P. da Motta Veiga, MERCOSUR: in search of a new agenda – MERCOSUR’s Institutionalization Agenda: The Challenges of a Project in Crisis, in: INTAL-IDB (Hrsg.), Working Paper Nr. SITI 06E, 2004, S. 1; A. Dreyzin de Klor, La necesidad de un Parlamento para el Mercosur, S. 31, 38. E. I. Rimoldi de Ladmann, La toma de decisiones en el Mercosur, S. 137 1042 Begriff findet sich bei: R. Streinz, Europarecht, S. 215 Rn. 573, sowie bei M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 137 Rn. 455; ähnlich: H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann/M. C. Jakobs, Rechtsschutz, S. 21 („dynamische Weiterentwicklung“). 1043 BVerfGE 45, 142 (169); 73, 339 (367 f., 375); 75, 223 (244); 89, 155 (190); zuletzt: 2 BvR 1481/04, v. 14.10.2003, Rn. 31, 36 („Normanwendungsbefehl“). Auch so P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII, S. 877 Rn. 45; R. Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 1992, S. 589, Rn. 28; C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, S. 314 ff., 319 ff. „Anwendungsbefehl“ ist eine befremdende Bezeichnung für ein Zustimmungsgesetz in einer Republik, findet K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 76. 1044 Zum Demokratiedefizit in der Europäischen Union: K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, in: W. Nölling/ders./J. Starbatty (Hrsg.), Währungsunion und Weltwirtschaft, Festschrift für Wilhelm Hankel, 1999,

VI. Bewertung der Vorgehensweise im Mercosur insgesamt

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gegenüber supranationalen Organen1045 hängt möglicherweise mit der Angst vor einer oktroyierten, undemokratischen Rechtsetzung zusammen, die nicht dem Willen des Volkes entspricht. Eine solche Rechtsetzung mussten diese Völker während der Militärdiktaturen ertragen, die erst einige Jahre vor Unterzeichnung des Vertrags von Asunción beendet wurden1046. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es noch kein Mercosur-Parlament gibt, in dem direkt von den Völkern gewählte Vertreter sitzen und welches die Rechtsetzung der Organe kontrolliert1047, ist eine andere Form der Beschlussfassung kaum denkbar1048. Bezüglich der demokratischen Legitimation des Mercosur-Rechts hat das Konsensprinzip, welches jedem Staat die Möglichkeit eines Vetos und damit die gleiche Verhandlungsmacht gibt, allerdings auch einen Nachteil. Angesichts der gewaltigen Unterschiede in der Bevölkerungszahl der beiden großen Staaten Brasilien und Argentinien gegenüber den Zwergstaaten Paraguay und Uruguay sind die Bürger der kleinen Staaten bei der Entscheidungsfindung verhältnismäßig überrepräsentiert. Schließlich ist auch die Europäische Union von der Durchsetzung und Einhaltung der gemeinsamen Rechtssetzung in den Mitgliedstaaten und damit von deren Willen abhängig1049. Die Abhängigkeit von dem Willen der insb. S. 132 ff.; ders., Regieren für statt durch das Volk?, S. 203–233; K. Bretz, Föderalismus und Regionalismus, S. 233 ff. T. Oppermann, Europarecht, S. 89 Rn. 39; A. Tiedtke, Demokratie in der Europäischen Union, 2005, insb. S. 29 ff.; R. Streinz, Europarecht, S. 111 ff. Rn. 323 ff.; vgl. auch Hinweise in Fn. 152 (1. Teil) und Fn. 54 (Ausblick). 1045 Vgl. z. B. J. Samtleben, Der Südamerikanische Gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, S. 2003. 1046 A. Lucas Garín, Protocolo de Olivos para la solución de controversias en el Mercosur, S. 151 f., weist darauf hin, dass die Regionalisierung kein Selbstzweck ist, sondern Mittel zum Erreichen des höheren Ziels, den Schutz der Menschenwürde (dignidad de la persona). Deshalb dürfe die Integration nicht aus einem puren ökonomischen Blickwinkel heraus betrieben werden, die zu neuen (supranationalen) Übermächten führt, die den Menschen vergisst. 1047 Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission ist kein Parlament, in dem direkt gewählte Volksvertreter der Mitgliedstaaten sitzen, vgl. Teil 1, II. 2. a). Auf den fehlenden „legislativen Willen“ im Mercosur verweist: C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 129. Die Ratsentscheidung 49/04, Art. 1 und 2 beauftragt die Gemeinsame Parlamentarische Kommission, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um noch vor dem 31.12.2006 ein Mercosur-Parlament einzurichten, in dem die Völker des Mercosur vertreten sein sollen. Ein solches wurde bisher nicht eingerichtet. 1048 Selbst für die Rechtsetzung in der Europäischen Union wird das Prinzip der Einstimmigkeit für Beschlüsse des Rates zur Stärkung der demokratischen Legitimation von Gemeinschaftsrechtsakten in Erwägung gezogen, vgl. K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, in: FS Hankel, S. 126. 1049 M. Möstl, Verfassung für Europa – Einführung und Kommentierung mit vollständigem Verfassungstext, 2005, S. 21; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanis-

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

Mitgliedstaaten beruht auf der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft1050, denn die Mitgliedstaaten bleiben die „Herren der Verträge“1051. Solange die Europäische Union kein existentieller Staat mit einer eigenen europäischen Verfassung ist, solange gebietet das Selbstbestimmungsrecht, die Souveränität der Mitgliedstaaten, die Freiheit zum Austritt1052. Kommt ein Staat seinen Gemeinschaftsverpflichtungen nicht nach, kann die Kommission von dem Gerichtshof zwar ein Zwangsgeld verhängen lassen. Es wurde jedoch mos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 39; ähnlich auch A. Bleckmann, Europarecht, Rn. 150, der der Auffassung zuneigt, dass die Staaten nur insoweit Souveränitätsverzicht leisten, als der Wille auf die Durchführung der europäischen Verträge gerichtet ist. 1050 Die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union und das damit verbundene Recht eines jederzeitigen Austritts hat das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil anerkannt, vgl. BVerfGE 89 155 (190), entgegen der früher häufig vertretenen Meinung, vgl. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 232; C.-D. Ehlermann, Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft – Rechtsprobleme der Erweiterung, der Mitgliedschaft und der Verkleinerung, EuR 19 (1984), S. 124. Hierzu K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 101 f.; ders./A. Emmerich-Fritsche/T. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, JZ 48 (1993), S. 758 f. Zur Möglichkeit des Austritts eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union vgl. auch: K. Schmalenbach, Art. 312 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 2 f.; M. Pechstein, Art. 49 EUV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 16 f.; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 83 f. Rn. 68 f. Der Verfassungsvertrag erlaubt in Art. I-60 Abs. 1 f. entgegen dem EG-Vertrag (vgl. Art. 312 EGV) und möglicherweise im Hinblick auf die Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich den Austritt eines Mitgliedstaats aus der Union. 1051 Wie das Bundesverfassungsgericht der Lehre Schachtschneiders folgend (vgl. K. A. Schachtschneider, Beschwerdeschrift, in: I. Winkelmann (Hrsg.), Das Maastricht-Urteil, S. 104 ff., insb. S. 131 ff.) festgestellt hat, vgl. BVerfGE 89, 155 (187 f., 190). Dass die Mitgliedstaaten die „Herren der Gemeinschaftsverträge“ sind, hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in der Entscheidung 75, 223 (242) herausgestellt. 1052 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 79 ff.; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 309 ders., Deutschland nach dem Vertrag, S. 87 f.; ders., Verweigerung des Rechtsschutzes in der Euro-Politik, S. 320 ff.; C. D. Classen, Art. 23, 24 in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar, S. 372 Rn. 11, S. 398 Rn. 56 u. S. 452 f. Rn. 37; T. Oppermann, Europarecht, S. 189 Rn. 20; D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten, S. 264; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, 5. Aufl. 2006, S. 55 Rn. 129. Anderer Ansicht aber wohl B. Beutler, in: B. Beutler u. a. (Hrsg.), Die Europäische Union, Rn. 66; J. Zimmerling, Art. 312, in: Lenz/Borchardt, Rn. 6.; B. Simma/C. Vedder, Art, 281 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 37. Kritisch auch: M. Zuleeg, Art. 1 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 15; M. Herdegen, Europarecht, S. 83 Rn. 9; M. Pechstein, Art. 49 EUV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 16 f. Zum Sezessionsrecht: D. Doering: Braucht die Europäische Union ein Sezessionsrecht?, 2002. Das Recht zum Austritt aus dem Mercosur wird in Art. 21 des Vertrags von Asunción ausdrücklich festgehalten.

VI. Bewertung der Vorgehensweise im Mercosur insgesamt

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bereits erwähnt, dass sie machtlos gegenüber einem zahlungsunwilligen Staat ist1053. Eine Verpflichtung zur Einhaltung des selbst geschaffenen Rechts gibt es lediglich moralisch1054. Jedwede Form von Staatenzusammenschlüssen ist letztlich vom Willen der Völker abhängig, auch wenn supranationale und damit vermeintlich unabhängige Organe geschaffen wurden. Die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge kann nur auf dem Willen der Völker beruhen1055. Die letzte Entscheidung darüber, ob das Gemeinschaftsrecht gelten soll, obliegt den Mitgliedstaaten. Integrationsrecht gilt, weil die Vertragsstaaten wollen, dass es gilt, und nicht etwa weil eine autonome Rechtsmasse geschaffen wurde, die über dem Recht der Mitgliedstaaten steht und diesem vorgeht, wie der Europäische Gerichtshof judiziert1056. Dass im Übrigen eine supranationale institutionelle Ausgestaltung nicht zwingend erfolgreich ist, zeigt sich an dem Mercosur vorausgegangenen lateinamerikanischen Integrationsbemühungen, insbesondere der Andengemeinschaft, welche über eine ausdifferenzierte Organstruktur verfügt, die sich an der Europäischen Union orientiert1057. Der Misserfolg1058 wird auf eine fehlende Akzeptanz der Entscheidungen, also auf einen fehlenden poli1053

Teil 1, III. 1. a). Moralische Gesetze sind auch verbindlich (vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 58 f.; ders., Sittlichkeit und Moralität – Fundamente von Ethik und Politik in der Republik, in: D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche (Hrsg.), Karl Albrecht Schachtschneider: Freiheit – Recht – Staat. Eine Aufsatzsammlung zum 65. Geburtstag, 2005, S. 27 f.; ders., Freiheit in der Republik, 2. Kap. II.). Da die Moralität die Einhaltung von Recht nicht gewährleistet, ist Recht mit der Befugnis zu zwingen verbunden (I. Kant, Metaphysik der Sitten, 28 ff.). Eine solche Zwangsgewalt ist im Völkerrecht aber gerade nicht vorhanden. Allerdings kann man dem Völkerrecht deshalb nicht jedweden Rechtscharakter absprechen. Hierzu ausführlich A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, insb. S. 128–138; in dem Sinne auch: O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 225–231. 1055 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 59 f. 1056 Vgl. hierzu Teil 1, IV. 1. Den nach wie vor völkerrechtlichen Charakter der Europäischen Union stellt M. Möstl, Verfassung für Europa, S. 21 heraus. 1057 A. O. Iza, Solución de controversias en los acuerdos de integración, 1997, S. 87; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 221; S. Czar de Zalduendo, La integración económica y la interpretación uniforme del Derecho, El Derecho Nr. 168 (1996), S. 1046 f.; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 217 ff.; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 61 f. U. Wehner, Der Mercosur, S. 141; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 16; R. Vigil Toledo, La cooperación, ADCL 11 (2005) 2, S. 784, 799. 1058 Vgl. etwa C. Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 646 f. Rn. 33. 1054

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

tischen Willen zur Umsetzung zurückgeführt1059. Eine differenzierte institutionelle Ausgestaltung und die Art der Beschlussfassung können eine fehlende Entschlossenheit zur Kooperation nicht ersetzten1060. Der Wille zur Kooperation ist das entscheidende Kriterium für den Erfolg eines jeden Staatenzusammenschlusses, für die Einhaltung eines jeden völkerrechtlichen Vertrages. Der Wille zur Kooperation ist im Mercosur vorhanden1061, was den Mercosur von vorherigen Integrationsbemühungen unterscheidet, die regelmäßig auch durch militärische Konfrontationen überschattet wurden1062. Innerhalb von nur acht Monaten war der Vertrag von Asunción von den Parlamenten der Mitgliedstaaten ratifiziert1063. Noch vor Inkrafttreten des Vertrags hatten die Organe ihre Tätigkeit aufgenommen1064 und Argentinien und Brasilien begonnen, die Zölle zu senken1065. Der Integrationswille offenbart sich auch an der kurzen Frist von weniger als fünf Jahren, in der ein Gemeinsamer Markt erreicht werden sollte1066. In früheren Integrationsbemühungen wurde die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes lediglich als Fernziel festgehalten. 1059 A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 104, Fn. 2; U. Wehner, Der Mercosur, S. 141 f.; für die Andengemeinschaft auch so J. C. Grimaux, Solución de Controversias en el Mercosur, S. 173; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 20. In diesem Sinne weist G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 767 darauf hin, dass auch der für ewig erklärte Deutsche Bund zerriss, als seine Fortexistenz mit den Interessen seines mächtigsten Gliedes in Kampf geriet. 1060 U. Wehner, Der Mercosur, S. 141, 143; R. Bouzas/H. Soltz, Instituciones y mecanismos de decisión en procesos de integración asimétricos, S. 39. 1061 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 348 f. und 352. J. Samtleben, Das Recht des Mercosur, EuZW 1998, S. 65; C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 129; H. Arbuet Vignali, Reflexiones políticas, jurídicas y epistemológicas sobre el Mercosur, S. 27; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 154; O. Stahringer de Caramuti, El Mercosur en el marco del regionalismo abierto, in: M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Del Mercosur – Aduana, Jurisdicción, Informática, Relaciones Intercomunitarias, 1996, S. 38; P. da Motta Veiga, MERCOSUR: in search of a new agenda, S. 1. 1062 M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 352. 1063 H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 5. 1064 C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1348. 1065 C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1350. 1066 E. Diaz Porta/M. Hebler/W. Kösters, Mercosur: Probleme auf dem Weg zu einer Zollunion, in: Ruhr-Universität Bochum, Institut für Europäische Wirtschaft (Hrsg.), Arbeitshefte des Lateinamerika-Zentrums, Nr. 69, 2001, S. 27.

VI. Bewertung der Vorgehensweise im Mercosur insgesamt

207

Der Mercosur hat in wenigen Jahren mehr erreicht, als viele bei seiner Gründung erwartet hatten1067. Ob der Mercosur auch in Zukunft erfolgreich sein wird, hängt weniger von der technischen Vorgehensweise ab, als davon, ob der Integrationswille der beteiligten Staaten auch in Zukunft besteht. Die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern spielt hier eine wichtige Rolle. Es darf nicht vergessen werden, dass die 1990er-Jahre den Mercosur-Staaten ein starkes Wirtschaftswachstum bescherten. Vor allem Argentinien und Brasilien zählten Mitte der 1990er-Jahre zu den so genannten „emerging markets“. Vielleicht ist die damals euphorische Samba-Stimmung1068 auch im Zusammenhang mit der positiven wirtschaftlichen Entwicklung in dieser Zeit zu sehen. Während eines Wirtschaftsaufschwungs ist es leichter, auf Zölle zu verzichten. In wirtschaftlich schweren Zeiten sind Staaten indes geneigt, die heimische Wirtschaft durch protektionistische Maßnahmen zu schützen. Daher verwundert es nicht, dass der erste Schiedsspruch, mithin also der erste größere Konflikt 1999, in dem Jahr der brasilianischen Währungskrise auftrat1069. In den acht Jahren zuvor, seit Bestehen des Mercosur, konnten sämtliche Konflikte auf dem Verhandlungsweg gelöst werden1070. Tatsächlich hat sich die Anfangsdynamik 1998/99 deutlich abgeschwächt1071. Die grundsätzliche Bereitschaft zu wirtschaftlicher Kooperation ist jedoch nicht in Frage gestellt worden1072. Dies verdeutlichten die vier Staatspräsidenten auf einem Gipfeltreffen im Dezember 1999. Sie einigten sich darauf, die Süd-Süd-Integration weiter zu vertiefen, und verpflichteten sich zu einer stabilitätsorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik nach dem Vorbild der „Maastricht-Konvergenzkriterien“1073. Die Präsidenten Argentiniens und Brasiliens, Néstor Kirchner und Lula da Silva haben den Mercosur auf die Spitze der politischen Agenda gestellt1074. Die Währungskrise in Argentinien hat der Mercosur überstanden1075. Seit den Krisen in Argentinien und Brasilien, die einige an der Zukunft des Mercosur haben zweifeln lassen1076, scheint der Mercosur seine 1067 J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, S. 2005. 1068 S. Gratius/H. Coronado, Zehn Jahre MERCOSUR, S. 43 f. 1069 Dass die erstmalige Inanspruchnahme des Mercosur-Schiedsgerichts im Jahr 1999 mit der Finanzkrise in Brasilien zusammenhängt, vermutet auch: J. Lehmann, Neues von der Schiedsgerichtsbarkeit des Mercosur, EuZW 2001, S. 627. 1070 J. Samtleben, Erster Schiedsspruch im Mercosur, EuZW 2000, S. 78. 1071 A. O’Connell, Los desafíos del MERCOSUR ante la devaluación de la moneda brasilera, S. 5; H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 13. 1072 H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 13. 1073 H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 13. 1074 So die Webseite der Europäischen Union: http://europa.eu.int/comm/exter nalrelations/mercosur/intro; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 388.

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1. Teil: Die Verfassung des Mercosur

alte Vitalität wieder gefunden zu haben. Die Normschaffungsaktivität ist so groß wie noch nie. Es wurden mit vier weiteren Ländern neben Chile und Bolivien Assoziierungsabkommen geschlossen, und mit fünf anderen Regionen wird eine verstärkte Kooperation angestrebt, die in einer Freihandelszone gipfeln soll. Der 26. März, der Tag an dem der Vertrag von Asunción unterzeichnet wurde, wurde als „Tag des Mercosur“ auserkoren, an dem es mercosurweit Schulferien gibt1077. Er soll die Identität der Menschen mit dem Mercosur stärken und die Einheit und Irreversibilität des Integrationsprozesses verdeutlichen. Die teilweise Anerkennung vom Vorrang des Mercosur-Rechts, welches noch zur Jahrtausendwende nicht gegeben war1078, sowie die Bekräftigung, in der Zukunft eine unmittelbare Anwendbarkeit für solche Normen vorzusehen, die zur innerstaatlichen Geltung lediglich einen Verwaltungsakt und keinen Legislativakt benötigen, ist Ausdrucks diesen Willens. Die vier Staaten am Rio de la Plata lassen kein Zweifel daran, dass der Integrationswille nach wie vor vorhanden ist und sie ihre Zukunft im Mercosur sehen.

1075 S. Salgueiro, Brasil – Alemanha ANO 10 Nº1, in: http://www.brasilien.de/ wirtschaft/allgemein/mercozu.asp. 1076 E. J. Rey Caro, La solución de controversias en el Mercosur, S. 99 f.; S. Gratius/H. Coronado, Zehn Jahre MERCOSUR, S. 41; m. w. N.: A. Dreyzin de Klor, El Protocolo de Olivos, Punkt I.1; J. P. Schmidt, Neue Impulse durch institutionelle Reformen – der Mercosur ist wieder auf Kurs, EuZW 2005, S. 139; J. Vervaele, Mercosur and regional integration in South America, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 388. 1077 Ratsentscheidung 2/00. 1078 Vgl. etwa U. Wehner, Der Mercosur, S. 117.

Teil 2

Die Grundfreiheiten im Mercosur Mit der Darstellung der Verfassung des Mercosur im engeren Sinne im ersten Teil der Arbeit ist die Grundlage geschaffen worden, um die wirtschaftsrechtlichen Vorschriften des Mercosur verstehen zu können. Im folgenden zweiten Teil wird die Verwirklichung der Grundfreiheiten im Mercosur untersucht. Der Begriff der Grundfreiheiten ist dem EU-Recht entnommen und meint den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen, die Niederlassungsfreiheit, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Kapitalverkehrsfreiheit. Gegenstand des dritten Teils ist das Wettbewerbsrecht. Gerade vor dem Hintergrund der Schaffung eines gemeinsamen Marktes kommt dem Wettbewerbsrecht eine besondere Bedeutung zu. Die Gewährleistung eines effizienten Wettbewerbs ist Voraussetzung dafür, dass nicht die Zollgrenzen durch Kartellgrenzen ersetzt werden1 Nach Art. 1 Abs. 1 des Vertrags von Asunción streben die Vertragsstaaten einen Gemeinsamen Markt an. Auch hierbei handelt es sich um einen aus dem Europarecht stammenden Begriff2, der weder im Vertrag von Asunción noch im EG-Vertrag näher definiert ist3. Unstreitig ist, dass der zu bildende Gemeinsame Markt eine gegenüber der Freihandelszone und der Zollunion noch tiefer greifende Integrationsform ist4. Während als Freihandelszone eine Gruppe von zwei oder mehr Zollgebieten bezeichnet wird, zwischen denen Zölle und andere beschränkende Handelsvorschriften für aus diesen 1

I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 3106; vgl. auch Anmerkungen in Fn. 2 (3. Teil). 2 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 551. 3 Für den EG-Vertrag: M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 328 Rn. 1069. 4 W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 64; U. Wehner, Der Mercosur S. 66. Zu den verschiedenen Stadien der Wirtschaftsintegration: M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 158; C. Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 643 Rn. 28, 646 Rn. 31; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 295 ff.; M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, S. 31 ff.; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 29 ff.; m. w. N. U. Wehner, Der Mercosur, S. 64 f.; I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 3101 f., 3104 ff.; C. Waldhoff, Art. 23 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 4, 5 u. 7; W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, S. 244 Rn. 602; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 17 ff.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Staaten stammende Waren beseitigt werden5, wenden die Mitgliedstaaten einer Zollunion überdies im Handel mit Drittstaaten dieselben Zölle und eventuell auch Handelsvorschriften an6, weshalb im Unterschied zur Freihandelszone der Warenursprung für den Handel innerhalb der Zollunion unerheblich ist; denn eine einmal in die Zollunion eingeführte Ware kann sodann frei zirkulieren7. Ziel eines Gemeinsamen Marktes ist nicht nur ein freier Warenverkehr, sondern überdies auch der freie Verkehr von Arbeitnehmern, Dienstleistungen und Kapital, welchen der Vertrag von Asunción in Art. 1 Abs. 2 vorsieht8. Durch die Gewährleistung dieser so genannten Grund- oder Marktfreiheiten9 soll ein Zustand hergestellt werden, als handle es sich bei dem gesamten Wirtschaftsraum aller Mitgliedstaaten lediglich um einen einzigen Markt10. Die Grundfreiheiten ermöglichen auf diese Weise die grenzüberschreitende Wahrnehmung der Privatautonomie und fördern die Integration im Sinne des Zusammenwachsens und des Zusammenhalts der Wirtschaftsgemeinschaft11, weshalb sie als Herz des Binnenmarktes bezeichnet werden12. Im Folgenden wird untersucht, inwieweit die Freizügigkeit von Waren, Personen und Kapital im Mercosur verwirklicht sind.

5

Vgl. Art. XXIV Abs. 8 lit. b GATT; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 158; C. Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 643 Rn. 28. 6 Art. XXIV Abs. 8 lit. a Nr. II GATT; I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 3102; C. Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 646 Rn. 31. 7 Was im Europarecht Art. 24 EGV zu entnehmen ist. Vgl. auch C. Waldhoff, Art. 23 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 18; ders., ebenda, Art. 24, Rn. 2; A. Epiney, ebenda, Art. 28 EGV, Rn. 16; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 190; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 184; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 74. 8 Vgl. etwa R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario, S. 127; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 178; N. Pérez, La soberanía de los Estados integrantes del Mercosur, S. 155 f.; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 18, 38, 74; T. Oppermann, Europarecht, S. 406 f. Rn. 1 f.; R. Streinz, Europarecht, S. 296 Rn. 779; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 282 Rn. 689. 9 Beide Begriffe sind Synonyme, vgl. M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 330 Rn. 1074. 10 EuGH v. 05.05.1982, Rs. 15/81 (Gaston Schul/Inspecteur), Slg. 1982, 1409, Rn. 33; I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 3101; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 328 Rn. 1059. 11 P. C. Müller-Graff, Vorbem. Art. 28–31 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 3. 12 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 906 Rn. 2414.

I. Die Warenverkehrsfreiheit

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I. Die Warenverkehrsfreiheit Wörtlich bestimmt Art. 1 des Vertrags von Asunción den freien Verkehr von Gütern (bienes), Dienstleistungen und Produktionsfaktoren. Der Gebrauch des Begriffs des „Gutes“ wird für eine Ungenauigkeit in der Redaktion des Artikels gehalten. Unter Heranziehung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sowie des internationalen Wirtschaftsrechts sei vielmehr der freie Verkehr von Waren (mercaderías) gemeint13. Unter einer Ware sind neben sämtlichen import- oder exportfähigen Gegenständen, wie sie in verschiedenen Zollnomenklaturen festgelegt sind, auch solche Gegenstände zu verstehen, denen kein Geldwert beizumessen ist14, wie beispielsweise nicht verwertbare Abfälle15. Der Begriff der Ware ist demnach weiter als der des Gutes und kann wie im Recht der Europäischen Union16 auch Abfälle umfassen. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass der Vertrag von Asunción den freien Verkehr von Waren und nicht lediglich von Gütern im Zusammenhang mit der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes vorschreibt. In der Europäischen Union sind Falschgeld, Suchtstoffe oder Psychopharmaka, die vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt werden, vom Warenbegriff ausdrücklich ausgeschlossen17. Das Gleiche gilt für Leichen, Leichenteile, Feten und embryonale Stammzellen18. Auch Münzen fallen, sofern es sich nicht um Sammlerstücke, sondern gesetzliches Zahlungsmittel handelt, nicht unter die Vorschriften des freien Warenverkehrs19.

13 R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 116 f. Für das EURecht vgl. auch EuGH v. 10.12.1968, Rs. 7/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 633, Leitsatz 2; EuGH v. 08.07.1992, Rs. C-2/90 (Kommission/Belgien), Slg. 1992 I, 4431, Rn. 23. 14 Anders aber wohl C. Waldhoff, Art. 23 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 15; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 269, 281. 15 Ausführlich und m. w. N. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 116 ff. Nicht anders die Definition der Ware im EU-Recht, vgl. EuGH v. 08.07.1992, Rs. C-2/90 (Kommission/Belgien), Slg. 1992 I, 4431, Rn. 27; EuGH v. 28.03.1995, Rs. C-324/93 (Queen/Secretary of State), Slg. 1995 I, 563, Rn. 20. 16 Vgl. vorige Fn. 15. 17 Vgl. Art. 212 des EU-Zollkodexes (Verordnung 2913/92, ABl. 1992, Nr. L 302/1). 18 P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 279; C. Waldhoff, Art. 23 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 15. 19 Vielmehr ist hier die Kapitalverkehrsfreiheit einschlägig, vgl. EuGH v. 23.02.1995, Rs. C-358/93 u. C-416/93 (Bordessa) Slg. 1995 I, 361, Rn. 15. Zur Abgrenzung der Warenverkehrsfreiheit zur Kapitalverkehrsfreiheit siehe unten, S. 307 f. Zur Abgrenzung der Warenverkehrsfreiheit zur Dienstleistungsfreiheit siehe S. 283.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

1. Grundsätzliches zur Warenverkehrsfreiheit Die Warenverkehrsfreiheit ist der Kern einer jeden Wirtschaftsintegration20 und wesentliches Element der auf eine wettbewerbsverfasste Marktwirtschaft ausgerichteten Wirtschaftsverfassung21. Sie wird nicht nur durch die Abschaffung von Zöllen, sondern jedweder anderer direkter oder indirekter Handelshemmnisse, so genannter nichttarifärer Handelshemmnisse erreicht22. Zölle besteuern eine Ware beim Grenzübertritt und werden in Prozent vom Warenwert oder als Mengensteuer auf aus dem Ausland eingeführte Produkte erhoben23. Zölle gelten als Instrumente der internationalen Wirtschaftspolitik24, wobei Industrieländer zumindest auf Industrieprodukte geringere Zölle erheben, während die Entwicklungsländer eher als protektionistisch eingestuft werden können25. Nichttarifäre Handelshemmnisse sind keine direkten Steuern auf eingeführte Produkte, haben aber dieselbe Auswirkung auf den zwischenstaatlichen Handel und sind schwieriger zu identifizieren und abzustellen26. Unter nichttarifären Handelshemmnissen sind Abgaben gleicher Wirkung wie Zölle zu verstehen27 sowie Kontingentierungen, also mengenmäßige Ein- oder Durchfuhrbeschränkungen28 20 M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 158; I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 3102; D.-J. Vicente Blanco, Los métodos normativos del Derecho Internacional Privado en la libre circulación de trabajadores, in: L. A. Velasco San Pedro (Hrsg.), Mercosur y Unión Europea: dos modelos de integración económica, 1998, S. 262. Für das EU-Recht vgl. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 1; P. C. Müller-Graff, Vorbem. Art. 28–31 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 2 u. 4; R. Streinz, Europarecht, S. 298 Rn. 782; T. Oppermann, Europarecht, S. 408 Rn. 5; T. v. Rijn, Art. 32 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 15. 21 P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 1 f. 22 C. Waldhoff, Art. 25 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1; A. Epiney, Art. 28 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 114; P. C. Müller-Graff, Vorbem. Art. 28–31 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 1. 23 M. w. N. C. Waldhoff, Art. 23 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1; R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 43; N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 3. 24 C. Waldhoff, Art. 23 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1, 2. 25 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 43. 26 T. Oppermann, Europarecht, S. 415 Rn. 24; D. Langner, C. VI: Technische Vorschriften in: M. A. Dauses, (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatts., Stand 2006, Rn. 1 f.; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 276; P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 10. 27 Welche im EU-Recht gem. Art. 25 ausdrücklich verboten sind. Hierzu C. Waldhoff, Art. 25 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 6 ff.; N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 5 ff.

I. Die Warenverkehrsfreiheit

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oder Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen29 wie etwa eine schikanöse Ausgestaltung von Grenzkontrollen30. Nichttarifäre Handelshemmnisse sind auch ausländische Waren diskriminierende inländische Steuern31, überflüssige oder doppelte gesundheits- oder veterinärmedizinische Untersuchungen32 oder statistische Erhebungen33, also Maßnahmen, die dem verdeckten oder getarnten Protektionismus dienen34. Ein besonders klares Beispiel einer nichttarifären Handelsbeschränkung stellte die Bestimmung dar, wonach H-Milch nur aufgrund einer Ein28 Hierunter fallen im Recht der Europäischen Union alle Maßnahmen, „die sich, je nach Falllage, als gänzliche oder teilweise Untersagung der Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr darstellen“, vgl. EuGH v. 12.07.1973, Rs. 2/73 (Geddo/Ente Nazionale Risi), Slg. 1973, 865, Rn. 7; EuGH v. 30.10.1974, Rs. 190/73 (Haaster), Slg. 1974, 1123, Rn. 13/17; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 19, 23. 29 Welche im EU-Recht gem. Art. 28 und 29 ausdrücklich verboten sind; vgl. W. Schroeder, Art. 28 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, 4. Der Europäische Gerichtshof verzichtet auf eine genaue Abgrenzung zwischen mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung, vgl. EuGH v. 12.07.1979, Rs. 153/78 (Kommission/BRD), Slg. 1979, 2555, Rn. 3 ff.; EuGH v. 16.12.1986, Rs. 124/85 (Kommission/Griechenland), Slg. 1986, 3935, Rn. 5; EuGH v. 25.09.1979, Rs. 232/78 (Kommission/Frankreich), Slg. 1979, 2729, Rn. 10. 30 EuGH v. 17.06.1987, Rs. 154/85 (Kommission/Italien), Slg. 1987, 2717, Leitsatz 2; EuGH v. 09.07.1975, Rs. 42/82 (Kommission/Frankreich), Slg. 1983, 1013, Rn. 50; EuGH v. 12.07.1990, Rs. C-128/89 (Kommission/Italien), Slg. 1990 I, 3239, Rn. 4 ff.; ähnlich: EuGH v. 20.09.1988, Rs. 302/86 (Kommission/Dänemark), Slg. 1988, 4607, Rn. 17; EuGH v. 10.11.1982, Rs. 261/81 (Rau/Smedt), Slg. 1982, 3961, Rn. 13. Weitere Beispiele finden sich bei A. Epiney, Art. 28 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 14 Fn. 20–24. 31 Wenn der Vorteil, der den ebenfalls belasteten inländischen Erzeugnissen zugute kommt, diese Belastung vollständig oder teilweise ausgleicht, vgl. EuGH v. 11.03.1992, Rs. C-78/90, C-79/90, C-80/90, C-81/90, C-82/90 und C-83/90 (Compagnie commerciale/Receveur), Slg. 1992 I, 1847, Rn. 27; EuGH v. 16.12.1992, Rs. C-17/91 (Lornoy/Belgien), Slg. 1992 I, 6523, Rn. 21; EuGH v. 17.09.1997, Rs. C-347/95 (Fazenda Pfflblica/União das Cooperativas), Slg. 1997 I, 4911, Rn. 29; EuGH v. 17.09.1997, Rs. C-28/96. (Fazenda Pfflblica/Fricarnes), Slg. 1997 I, 4939, Rn. 21. 32 EuGH v. 07.04.1981, Rs. 132/80 (United Foods/Belgien), Slg. 1981995, Rn. 31; EuGH v. 15.09.1994, Rs. C-293/93 (Ludomira), Slg. 1994 I, 4249; EuGH v. 08.11.1979, Rs. 251/78, (Denkavit/Minister für Ernährung), Slg. 1979, 3369, Rn. 11; EuGH v. 28.11.1989, Rs. 186/88 (Kommission/BRD), Slg. 1989, 3997, Rn. 9 ff. 33 J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 396; EuGH v. 01.07.1969, Rs. 24/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 193, Rn. 18/19; EuGH v. 31.01.1984, Rs. 1/83 (IFG/Bayern – „Gesundheitsbehördliche Kontrolle“), Slg. 1984, 349, Rn. 10. 34 P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 32 f.; Das Recht der Europäischen Union: Kommentar, Loseblatts., Stand 2006, Rn. 4.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

fuhrlizenz ins englische Königreich eingeführt werden durfte und anschließend von einer inländischen Molkerei verpackt werden musste35. Das Verbot der nichttarifären Handelshemmnisse ist folglich als Ergänzung oder Auffangtatbestand gegenüber dem Verbot der Erhebung von Binnenzöllen zu verstehen36. In der Europäischen Union sind sogar auch solche Regelungen verboten, welche zwar unterschiedslos, also nicht diskriminierend angewendet werden und damit nicht dem verdeckten Protektionismus dienen, welche aber dennoch geeignet sind, den „innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“ (Dassonville-Formel)37. Der tatsächliche Eintritt einer Einfuhr beschränkenden Wirkung ist nicht erforderlich38. D.h. auch Vorschriften, die für heimische und ausländische Produkte gleichermaßen gelten, können im Recht der Europäischen Union den Import einer Ware behindern, wenn im Heimatland des Exporteurs andere Regelungen gelten. Die faktische oder tatsächliche Behinderung des zwischenstaatlichen Handels beruht auf dem Umstand, dass ausländische Unternehmen mit den Vorschriften im Inland weniger vertraut sind und ihnen zusätzliche Kosten entstehen39, was die Notwendigkeit der Rechtshar35

EuGH v. 08.02.1983, Rs. 124/81 (Kommission/England), Slg. 1983, 203, Rn. 11. 36 Für das Verbot der mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung im EU-Recht vgl. P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 31 f. 37 EuGH, v. 11.07.1974, Rs. 8/74 (Staatsanwaltschaft/Dassonville), Slg. 1974, 837, 852; EuGH v. 26.11.1996, Rs. C-313/94 (SNC/Ditta Fransa), Slg. 1996 I, 6039, Rn. 15. Hierzu ausführlich P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 39 ff. 38 EuGH v. 13.03.1984, Rs. 16/83 (Karl Prantl), Slg. 1984, 1299, Rn. 20; EuGH v. 16.12.1986, Rs. 124/85 (Kommission/Griechenland), Slg. 1986, 3935, Rn. 7; EuGH v. 25.07.1991, Rs. C-1/90 und C-176/90 (Aragonesa/Publivia), Slg. 1991 I, 4151, Rn. 9; EuGH v. 20.02.1975, Rs. 12/74 (Kommission/BRD), Slg. 1975, 181, Rn. 14. Vgl. auch A. Epiney, Art. 28 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 16; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 63. 39 EuGH v. 20.02.1975, Rs. 12/74 (Kommission/BRD), Slg. 1975, 181, Rn. 14; EuGH, v. 20.02.1979, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Brandweine), Slg. 1979, 649, Rn. 6 ff.; EuGH v. 10.11.1982, Rs. 261/81 (Rau/Smedt), Slg. 1982, 3961, Rn. 13; EuGH v. 12.03.1987, Rs. 178/84 (Kommission/BRD – „Reinheitsgebot“), Slg. 1987, 1227, Rn. 27 ff.; EuGH v. 20.09.1988, Rs. 302/86 (Kommission/Dänemark), Slg. 1988, 4607, Rn. 17; EuGH v. 14.07.1988, Rs. 407/85 (Glocken/Centro-Sud), Slg. 1988, 4233, Rn. 28; EuGH v. 07.03.1990, Rs. C-362/88 (GB-INNO-BM), Slg. 1990 I, 667, Rn. 7; EuGH v. 12.12.1990, Rs. C-241/89 (Sarpp/Chambre), Slg. 1990 I, 4695, Rn. 28 ff.; EuGH v. 21.03.1991, Rs. 369/88 (Delattre), Slg. 1991 I, 1487, Rn. 50; EuGH v. 30.04.1991, Rs. C-239/90 (Boscher/British Motors), Slg. 1991 I, 2023, Rn. 21; EuGH v. 04.06.1992, Rs. C-13/91 u. C-113/91 (Michel Debus), Slg. 1992 I, 3617, Rn. 30; EuGH v. 18.05.1993, Rs. C-126/91 (Schutzverband/Ives Rocher), Slg. 1993 I, 2361, Rn. 11.

I. Die Warenverkehrsfreiheit

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monisierung in den Vertragsstaaten offenbart40. So vermögen unterschiedliche Mehrwertsteuerregelungen und eine dadurch bedingte Doppelbesteuerung41 oder unterschiedliche strenge Vorschriften des Umwelt42-, Gesundheits- oder Verbraucherschutzes43 in den verschiedenen Mitgliedstaaten wie beispielsweise Vorschriften über den Inhalt oder die Verpackung von Lebensmitteln44 den freien Warenverkehr zu beeinträchtigen, obwohl sie un40 Im Urteil „Cassis de Dijon“ stellt der Europäische Gerichtshof die fehlende Rechtsharmonisierung als eine der Ursachen für die Existenz von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen heraus, vgl. EuGH, v. 20.02.1979, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Brandweine), Slg. 1979, 649, Rn. 8; ähnlich EuGH v. 07.04.1981, Rs. 132/80 (United Foods/Belgien), Slg. 1981995, Rn. 31; EuGH v. 10.11.1982, Rs. 261/81 (Rau/Smedt), Slg. 1982, 3961, Rn. 12; vgl. auch I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 3110; D. Langner, C. VI, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 1. 41 R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 121, 155; J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 13, 57; R. A. Gionco, Mercosur: Armonización de políticas fiscales y aduaneras, in: M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Del Mercosur – Aduana, Jurisdicción, Informática, Relaciones Intercomunitarias, 1996, S. 102. Darauf, dass ein Gefälle von Verbrauchsteuern der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes abträglich ist, verweisen J. A. Benítez Gómez, La supresión de las fronteras fiscales, in: M. C. Vázquez u. a. (Hrsg.), Estudios Multidisciplinarios sobre el Mercosur, Motevideo 1995, S. 72; C. C. Ameriso, Coordinación de políticas tributarias para la constitución del mercado ampliado, in: M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Del Mercosur – Aduana, Jurisdicción, Informática, Relaciones Intercomunitarias, 1996, S. 89 f.; A. Haller, Mercosur, S. 83. Für das Recht der Europäischen Union hierzu ausführlich: F. Emmert, Europarecht, S. 318 ff. 42 EuGH v. 14.10.1976, Rs. 3, 4 u. 6/76 (Kramer), Slg. 1976, 1279. Rn. 56/59 (Erhaltung der Meeresschätze); EuGH v. 20.09.1988, Rs. 302/86 (Kommission/Dänemark), Slg. 1988, 4607, Rn. 22 (Pfandflaschen); EuGH v. 09.07.1992, Rs. C-2/90 (Kommission/Belgien), Slg. 1992 I, 4431, Rn. 23 ff. (Abfalllagerung); EuGH v. 13.03.2001, Rs. C-379/98 (PreussenElektra/Schleswag), Slg. 2001 I, 2099, Rn. 70 (Treibhausgase). 43 EuGH v. 07.03.1990, Rs. C-362/88 (GB-INNO-BM/Confederation du Commerce), Slg. 1990 I, 667, Rn. 8; EuGH v. 09.02.1999, Rs. C-383/97 (Van der Laan), Slg. 1999 I, 731, Rn. 21 ff.; EuGH v. 09.08.1994, Rs. C-51/93 (Meyhui/Schott), Slg. 1994 I, 3879, Rn. 18; EuGH v. 16.05.1979, Rs. 2/78 (Kommission/Belgien), Slg. 1979, 1761, Rn. 37 ff.; EuGH v. 22.06.1982, Rs. 220/81 (Robertson u. a.), Slg. 1982, 2349, Rn. 9; EuGH v. 05.04.2001, Rs. C-123/00 (Bellamy u. English Shop), Slg. 2001 I, 2795, Rn. 22; EuGH v. 02.03.1982, Rs. 6/81 (BV Industrie/Beele), Slg. 1982, 707, Rn. 15; EuGH v. 15.12.1982, Rs. 286/81 (Oosthoek’s), Slg. 1982, 4575, Rn. 14; EuGH v. 18.05.1993, Rs. C-126/91 (Schutzverband/Ives Rocher), Slg. 1993 I, 2361, Rn. 14 ff.; EuGH v. 16.05.1989, Rs. 382/87 (Buet/Ministere Public), Slg. 1989, 1235, Rn. 11 ff.; vgl. bereits Hinweise in Fn. 32 (2. Teil). 44 Hierzu P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 94 ff. EuGH, v. 20.02.1979, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Brandweine), Slg. 1979, 649, Rn. 8 ff.; EuGH v. 26.06.1980, Rs. 788/79 (Gilli), Slg. 1980, 2071, Rn. 6 ff.; EuGH v. 19.02.1981, Rs. 130/80 (Fabriek voor Hoogwaar-

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

terschiedslos für in- und ausländische Waren gelten45. Faktische Diskriminierungen finden sich vor allem bei Vorschriften zu Herstellung, Import, Transport, Lagerung und Verkauf, welche, obwohl sie gleichermaßen für inländische wie für importierte Produkte gelten und keinen protektionistischen Hintergrund haben46, ein Hindernis für den grenzüberschreitenden Handel darzustellen geeignet sind47. Dabei muss es sich nach herrschender Ansicht um staatliche Maßnahmen handeln48. Staatliche Maßnahmen sind nicht nur Gesetze oder Verwaltungsdige), Slg. 1981, 527, Rn. 6 ff.; EuGH v. 10.11.1982, Rs. 261/81 (Rau/Smedt), Slg. 1982, 3961, Rn. 12 ff.; EuGH v. 12.03.1987, Rs. 178/84 (Kommission/BRD – „Reinheitsgebot“), Slg. 1987, 1227, Rn. 44. 45 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 44; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 39. Zahlreiche weitere Beispiele für Absatzbehinderungen, Verwendungsbeschränkungen, Kennzeichnungspflichten, Werbebeschränkungen und sogar Strafrechtsbestimmungen, welche nichttarifäre Handelshemmnisse darstellen, finden sich bei P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 90–175; K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, in: ders./A. Emmerich-Fritsche (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 2005, § 14, II. 2. a); S. 580 f. 46 Der Europäische Gerichtshof stellt heute nicht mehr auf eine protektionistische Wirkung einer Abgabe ab, vgl. EuGH v. 01.07.1969, Rs. 2 und 3/69 (Sociaal Fonds/Brachfeld), Slg. 1969, 211, Rn. 15/18; EuGH v. 01.07.1969, Rs. 24/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 193, Rn. 8/9; EuGH v. 18.06.1975, Rs. 94/74 (IGAV/Ente Nazionale), Slg. 1975, 699, Rn. 10/13. 47 Ein Spürbarkeitserfordernis wird zumindest im EU-Recht abgelehnt, vgl. m. w. N. P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 59; T. Oppermann, Europarecht, S. 416 Rn. 25; vgl. EuGH v. 18.05.1993, Rs. C-126/91 (Schutzverband/Ives Rocher), Slg. 1993 I, 2361, Rn. 21; EuGH v. 20.02.1975, Rs. 12/74 (Kommission/BRD), Slg. 1975, 181, Rn. 14; EuGH v. 18.05.1993, Rs. C-126/91 (Schutzverband/Ives Rocher), Slg. 1993 I, 2361, Rn. 21. Allerdings muss die Behinderungseignung ausreichend nachvollziehbar sein, vgl. EuGH v. 07.03.1990, Rs. C-69/88 (Krantz/Ontvanger), Slg. 1990 I, 583, Rn. 11; EuGH v. 14.07.1994, Rs. C-379/92 (Peralta), Slg. 1994 I, 3453, Rn. 24; EuGH v. 13.10.1993, Rs. C-93/92 (CMC/Baskiciogullari), Slg. 1993 I, 5009, Rn. 12; EuGH v. 05.10.1995, Rs. C-96/94 (Spediporto/Spedizioni Marittima), Slg. 1995 I, 2883, Rn. 41; EuGH v. 30.11.1995, C-134/94 (Esso/Comunidad Autónoma), Slg. 1995 I, 4223, Rn. 24; EuGH v. 18.06.1998, Rs. C-266/96 (Corsica Ferries/Gruppo Antichi Ormeggiatori), Slg. 1998 I, 3949, Rn. 31. 48 J. A. Echebarría Séanez, Unión Europea y medidas de efecto equivalente, in: L. A. Velasco San Pedro (Hrsg.), Mercosur y Unión Europea: dos modelos de integración económica, 1998, S. 320 f.; C. Waldhoff, Art. 25 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 2; A. Epiney, Art. 28 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 44; N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 6 u. 28; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 267, 288; EuGH v. 01.07.1969, Rs. 24/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 193, Rn. 8/9; EuGH v. 24.11.1982, Rs. 249/81 (Kommission/Irland), Slg. 1982, 4005, Rn. 29; EuGH v. 01.10.1987, Rs. 311/85 (Van Vlaamse/Sociale Dienst), Slg. 1987, 3801, Rn. 30.

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akte der Zentralregierungen oder Kommunalverwaltungen der Mitgliedstaaten49, sondern auch die Rechtsprechung nationaler Gerichte50, nicht verbindliche Empfehlungen staatlicher Organe an die Verbraucher, einheimische Produkte zu kaufen51 und sogar Verhaltensweisen von Privatunternehmen oder Standesorganisationen, die öffentliche Aufgaben erfüllen oder die als Ausfluss des mitgliedstaatlich bereitgestellten Rechtsschutzes anzusehen sind52. Zu den die Warenverkehrsfreiheit beschränkenden staatlichen Regelungen gehören auch solche, die wettbewerbsrechtlich relevant sind53, beispielsweise die Vorschrift, dass Medikamente nur von Apotheken verkauft werden dürfen54. Die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickelt zudem eine Schutzpflicht-Dogmatik ähnlich der staatlichen Schutzpflicht, die aus den Grundrechten erwächst55. Demnach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu erlassen, um die Warenverkehrsfreiheit zu gewährleisten. Die offensichtliche Verletzung dieser Schutzpflicht, also eine Handlungsunterlassung seitens des Staates, kann damit Gegenstand einer Vertragsverletzung sein56. Auch staatlich fest49

C. Waldhoff, Art. 25 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 2; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 289. 50 EuGH v. 22.01.1981, Rs. 58/80 (Dansk Supermarked/Imerco), Slg. 1981, 181, Rn. 12; EuGH v. 24.01.1991, Rs. C-339/89 (Alsthom/Compagnie), Slg. 1991 I, 107, Rn. 15; EuGH v. 26.11.1996, Rs. C-313/94 (SNC/Ditta Fransa), Slg. 1996 I, 6039, Rn. 4 ff. Auch in der Literatur zum Mercosur-Recht wird die Meinung vertreten, dass Urteile nationaler Gerichte nichttarifäre Handelshemmnisse darstellen können, vgl. B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, 124 f. 51 EuGH v. 24.11.1982, Rs. 249/81 (Kommission/Irland – „buy Irish“), Slg. 1982, 4005, Rn. 29. 52 EuGH v. 01.07.1969, Rs. 24/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 193, Rn. 8/9; EuGH v. 09.11.1983, Rs. 158/82 (Kommission/Dänemark), Slg. 1983, 3573, Rn. 18; EuGH v. 18.05.1989, Rs. 266 und 267/87 (Queen/Royal), Slg. 1989, 1295, Rn. 15 f.; EuGH v. 15.12.1993, Rs. C-292/92 (Hühnermund/Landesapothekerkammer), Slg. 1993 I, 6787, Rn. 15; EuGH v. 11.08.1995, Rs. C-16/94 (Dubois/General Cargo – „Durchfahrtsgebühr“), Slg. 1995 I, 2421, Rn. 10 ff.; EuGH v. 26.02.1975, Rs. 63/74 (Cadsky/Instituto Nazionale), Slg. 1975, 281, Rn. 3/5. Das gleiche gilt, wenn Privatunternehmen staatlichem Einfluss unterliegen, vgl. EuGH v. 24.11.1982, Rs. 249/81 (Kommission/Irland), Slg. 1982, 4005, Rn. 6 ff.; EuGH v. 12.12.1990, Rs. 302/88 (Hennen Olie/Stichting Interim), Slg. 1990 I, 4625, Rn. 15. 53 Im EU-Recht vgl. etwa EuGH v. 24.11.1993, Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck), Slg. 1993 I, 6097. Zum Mercosur-Wettbewerbsrecht siehe Teil 3. 54 EuGH v. 18.05.1989, Rs. 266 und 267/87 (Queen/Royal), Slg. 1989, 1295, Rn. 16; EuGH v. 21.03.1991, Rs. C-60/89 (Monteil und Samanni), Slg. 1991 I, 1547, Rn. 38. 55 Zur so genannten objektiven Dimension der Grundrechte vgl. BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164 f.);49, 24 (53 f.); 56, 54 (73); 77, 170 (214 f.); 88, 203 (251 ff.). Dazu K. A. Schachtschneider, Fallstudien zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2003, S. 304 ff.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

gelegte Wechselkurse oder Aus- bzw. Einfuhrbeschränkungen ausländischer Währungen, also Beschränkungen des internationalen Kapitalverkehrs können den Handel beeinträchtigen57. Insbesondere ermöglichen sie eine großflächige Begünstigung nationaler Waren. Es ist allerdings dennoch fraglich, ob eine einheimische Waren begünstigende Wechselkurspolitik im Mercosur nach den Vorschriften der Warenverkehrsfreiheit verboten ist. Zumindest in der Europäischen Union galt die nationale Wechselkurspolitik bis zur Einführung des Euros als Spezialregelung gegenüber dem Verbot von mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung58. Staatliche Vorschriften, die sich nur auf das eigene Hoheitsgebiet auswirken, sind nicht geeignet, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, und daher sowohl im EU-Recht als auch, wie noch zu sehen sein wird59, im Mercosur-Recht erlaubt60. Nichttarifäre Handelshemmnisse sind also staatliche Maßnahmen, die geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beschränken, und die wenigstens faktisch diskriminierend sind, d.h. eine zwar formelle Gleichbehandlung in- und ausländischer Produkte ist dennoch verboten, wenn sie indirekt oder faktisch einheimische Produzenten besser stellt. Auch wenn die Grundfreiheiten als Kerngehalt das Diskriminierungsverbot beinhalten, so werden sie heute ausgehend von der EU-Rechtsprechung als Beschränkungsverbote verstanden61. 56 EuGH v. 09.12.1997, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997 I, 6959, Rn. 17 ff. Hintergrund waren Einschüchterungskampagnen französischer Landwirte, welche die Ein- und Durchfuhr von Obst und Gemüse aus anderen Mitgliedstaaten beeinträchtigt hatten, der Staat aber keine geeigneten Maßnahmen dagegen unternommen hatte. Hierzu A. Epiney, Art. 28 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 48 ff.; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 324 f. 57 Unstreitig, vgl. R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 44; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 354. Zur Abgrenzung der Warenverkehrsfreiheit zur Kapitalverkehrsfreiheit im Mercosur vgl. Teil 2, IV. 2. 58 P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 354. 59 Vgl. weiter unten, Teil 2, I. 2., S. 223. 60 EuGH v. 14.07.1989, Rs. 155/80 (Oebel – „Nachtbackverbot“), Slg. 1981, 1993, Rn. 20 (Das Gemeinschaftsrecht steht staatlichen Regelungen nicht entgegen, die verbieten, Backwaren vor einer bestimmten Morgenstunde auszuliefern; ähnlich: EuGH v. 31.03.1982, Rs. 75/81 (Blesgen/Belgien – „Nachtausschankverbot“), Slg. 1982, 1211, Rn. 9; EuGH v. 07.03.1990, Rs. 69/88 (Krantz/Ontvanger), Slg. 1990 I, 583. 61 A. Epiney, Art. 28 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 28; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 330 Rn. 1075; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 167 Rn. 439 f.; sehr ausführlich A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten: Vom Diskriminierungsverbot zum spezifischen Beschränkungsverbot, 2002; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. a), bb), S. 579 ff.; § 14, II. 2. b), bb), S. 584 ff.; § 14, II. 2. c), bb), S. 593 ff.; § 14, II. 2. d), cc), S. 604 ff.; § 14, II. 2. e), bb), S. 615 ff.

I. Die Warenverkehrsfreiheit

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Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs „Keck“ sind unterschiedslos angewendete Maßnahmen, die lediglich Verkaufsmodalitäten regeln und nicht Produkteigenschaften betreffen, trotz ihrer grundsätzlichen Eignung zur Handelsbeschränkung erlaubt62. Andernfalls würde jedwede staatliche Regelung in irgendeiner Weise den Handel beeinträchtigen63. Allerdings ist nicht jede Verkaufsmodalität gerechtfertigt. Etikettierungsvorschriften, die den Importeuren zusätzliche Kosten auferlegen, ohne einen erkennbaren Nutzen etwa für den Verbraucherschutz zu haben, wurden vom Europäischen Gerichtshof als unverhältnismäßig zurückgewiesen64. Grundsätzlich gilt die Regel, dass der grenzüberschreitende Handel mit Produkten, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, nicht beschränkt werden darf65. Maßnahmen zum Schutze der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums können gemäß Art. 30 EGV eine diskriminierende Behandlung ausländischer Waren, nicht aber die Erhebung von Zöllen oder zollgleichen Abgaben rechtfertigen66. Diese Ausnahmen sind eng auszulegen67 und dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten 62 EuGH v. 24.11.1993, Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck), Slg. 1993 I, 6097, Rn. 16; EuGH v. 09.02.1995, Rs. C-412/93 (Leclerc-Siplec/TF1 Publicite), Slg. 1995 I, 179, Rn. 21; EuGH v. 28.10.1999, Rs. C-6/98 (ARD/Pro Sieben), Slg. 1999 I, 7599, Rn. 46 f.; EuGH v. 15.12.1993, Rs. C-292/92 (Hünermund/Landesapothekerkammer), Slg. 1993 I, 6787, Rn. 21; EuGH v. 02.06.1994, Rs. C-69/93 und C-258/93 (Punto Casa/PVV), Slg. 1994 I, 2355, Rn. 12 ff. In Abgrenzung zu Verkaufsmodalitäten beziehen sich Bestimmungen zu Produkteigenschaften auf die „Merkmale von Erzeugnissen“, vgl. EuGH v. 14.12.1995, Rs. C-387/93 (Banchero), Slg. 1995 I, 4663, Rn. 36; EuGH v. 20.06.1996, Rs. C-418/93 u. a. (Semeraro/Sindaco del Comune), Slg. 1996 I, 2975, Rn. 37 f.; EuGH v. 05.06.2002, Rs. C-159/00 (Sapod Audic/Eco-Emballages), Slg. 2002 I, 5031, Rn. 73. Zur Abgrenzung der Verkaufsmodalitäten von Produkteigenschaften vgl. P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 246 ff.; S. Leible, Art. 28, in: Grabitz/Hilf, Rn. 28; A. Epiney, Art. 28 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 41. 63 In diesem Sinne A. Epiney, Art. 28 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 18 f., 27. 64 EuGH v. 02.02.1994, Rs. C-315/92 (Sozialer Wettbewerb/Estée Lauder), Slg. 1994 I, 317, Rn. 22. Abgesehen davon ist eine Etikettierungsvorschrift eine Regelung, die das Produkt und nicht lediglich eine Verkaufsmodalität betrifft. Kritisch zum Keck-Urteil J. A. Echebarría Séanez, Unión Europea y medidas de efecto equivalente, 340 ff. Zur schwierigen Abgrenzung zwischen Produkteigenschaften und Verkaufsmodalitäten vgl. auch: A. Epiney, Art. 28 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 29 f., 34 f., 39–42; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 247 ff., 252 f. 65 P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 253.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

darstellen68, weshalb das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren ist69 und es sich nicht um Maßnahmen zur Wirtschaftslenkung handeln darf70. Ansonsten könnten die Mitgliedstaaten die Handelsliberalisierung unter Berufung auf die Schutzgüter umgehen71. Zudem hat der Europäische Gerichtshof im Urteil „Cassis de Dijon“ eine zusätzliche, immanente Schranke für formell nicht diskriminierende Regelungen entwickelt, welche faktisch nach der Dassonville-Formel geeignet sind, den Handel zu beschränken72. Solche 66 Zur Abgrenzung der einzelnen Schutzgüter: A. Epiney, Art. 30 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 30 ff.; P. C. Müller-Graff, Art. 30 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 47–89. 67 EuGH v. 14.12.1972, Rs. 29/72 (Marinex/Italienische Finanzverwaltung), Slg. 1972 1309, Rn. 4; EuGH v. 09.06.1982, Rs. 95/81 (Kommission/Italien), Slg. 1982, 2187, Rn. 27; EuGH v. 19.03.1991, Rs. C-205/89 (Kommission/Griechenland), Slg. 1991 I, 1361, Rn. 9. Vgl. auch P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 184. 68 Art. 30 S. 2 EGV. Zu den Rechtfertigungsgründen für Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit vgl. W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 353 ff. Rn. 927 ff. und S. 397 ff. Rn. 1043 ff. 69 EuGH v. 12.07.1979, Rs. 153/78 (Kommission/BRD), Slg. 1979, 2555, Rn. 15; EuGH v. 14.07.1983, Rs. 174/82 (Van Justitie/Sandoz), Slg. 1983, 2445, Rn. 18; EuGH v. 10.12.1985, Rs. 247/84 (Leon Motte), Slg. 1985, 3887, Rn. 23; EuGH v. 12.03.1987, Rs. 178/84 (Kommission/BRD – „Reinheitsgebot“), Slg. 1987, 1227, Rn. 44; EuGH v. 14.07.1988, Rs. 407/85 (Glocken/Centro-Sud), Slg. 1988, 4233, Rn. 10; EuGH v. 16.05.1989, Rs. 382/87 (Buet/Ministere Public), Slg. 1989, 1235, Rn. 11; EuGH v. 04.06.1992, Rs. C-13/91 u. C-113/91 (Michel Debus), Slg. 1992 I, 3617, Rn. 25; EuGH v. 02.02.1994, Rs. C-315/92 (Sozialer Wettbewerb/Estée Lauder), Slg. 1994 I, 317, Rn. 16. Hierzu A. Epiney, Art. 30 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 47 ff.; P. C. Müller-Graff, Art. 30 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 93 ff. 70 EuGH v. 11.12.1979, Rs. 34/79 (Henn und Darby), Slg. 1979, 3795, Rn. 21; EuGH v. 09.06.1982, Rs. 95/81 (Kommission/Italien), Slg. 1982, 2187, Rn. 27; vgl. auch EuGH v. 07.02.1984, Rs. 238/82 (Duphar/Niederlande), Slg. 1984, 523, Rn. 23; EuGH v. 10.07.1984, Rs. 72/83 (Campus Oil/Minister for Industry and Energy), Slg. 1984, 2727, Rn. 35; EuGH v. 28.03.1995, Rs. C-324/93 (Queen/Secretary of State), Slg. 1995 I, 563, Rn. 36. Vgl. auch: A. Epiney, Art. 30 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 14 ff.; P. C. Müller-Graff, Art. 30 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 165 ff. 71 A. Epiney, Art. 30 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 14 f. 72 EuGH, v. 20.02.1979, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Brandweine), Slg. 1979, 649, Rn. 8 ff.; EuGH v. 14.10.1976, Rs. 3, 4 u. 6/76 (Kramer), Slg. 1976, 1279. Rn. 56/59; EuGH v. 20.09.1988, Rs. 302/86 (Kommission/ Dänemark), Slg. 1988, 4607, Rn. 6 ff.; EuGH v. 09.07.1992, Rs. C-2/90 (Kommission/Belgien), Slg. 1992 I, 4431, Rn. 29 ff.; EuGH v. 14.07.1998, Rs. C-341/95 (Bettati/Safety Hi-Tech), Slg. 1998 I, 4355, Rn. 62; EuGH v. 14.07.1998, Rs. C-284/95 (Safety Hi-Tech), Slg. 1998 I, 4301, Rn. 58 ff.; EuGH v. 13.03.2001, Rs. C-379/98 (PreussenElektra/Schleswag), Slg. 2001 I, 2099, Rn. 70 ff. Dass die Bestimmung nicht schon formell diskriminierend sein darf, damit die Cassis-Formel anwendbar ist, geht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hervor, vgl. EuGH v. 17.06.1981, Rs. 113/80 (Kommission/Irland), Slg. 1981, 1625, Rn. 11;

I. Die Warenverkehrsfreiheit

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Beschränkungen können aus Erwägungen des Allgemeininteresses unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt werden73. 2. Mercosur-Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit Gemäß Art. 1 des Vertrags von Asunción und Art. 2 lit. a S. 1 des Programms zur Handelsliberalisierung74 soll der freie Verkehr Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren unter anderem durch eine Abschaffung von Zöllen (derechos aduaneros), nichttarifären Handelshemmnissen (restricciones no arancelarias) und Maßnahmen gleicher Wirkung (medidas equivalentes) erreicht werden. Eine Unterscheidung zwischen Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung wie Zölle einerseits und mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen andererseits, wie sie der EG-Vertrag trifft75, findet sich im Vertrag von Asunción nicht. Eine Abgabe gleicher Wirkung wie ein Zoll ist im EU-Recht jede noch so geringe hoheitlich auferlegte finanzielle Belastung, die wegen des Grenzübertritts unabhängig von der Art der Erhebung und Verwendung der Einnahmen erhoben wird76. So liegt eine zollgleiche Abgabe auch bei einer späteren ErEuGH v. 20.04.1983, Rs. 59/82 (Schutzverband/Weinvertriebs GmbH), Slg. 1983, 1217, Rn. 11; EuGH v. 03.03.1888, Rs. 434/85 (Allen und Hanburys/Generics) Slg. 1988, 1245, Rn. 35; EuGH v. 25.07.1991, Rs. C-1/90 und C-176/90 (Aragonesa de Publicidad Exterior u. Publivia/Departamento de Sanidad), Slg. 1991 I, 4151, Rn. 13. Hierzu vgl. P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 183–236; S. Leible, Art. 28, in: Grabitz/Hilf, Rn. 18 ff. 73 EuGH, v. 20.02.1979, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Brandweine), Slg. 1979, 649, Rn. 13 f.; EuGH v. 02.02.1994, Rs. C-315/92 (Sozialer Wettbewerb/Estée Lauder), Slg. 1994 I, 317, Rn. 20; EuGH v. 09.02.1999, Rs. C-383/97 (Van der Laan), Slg. 1999 I, 731, Rn. 19; EuGH v. 05.04.2001, Rs. C-123/00 (Bellamy u. English Shop), Slg. 2001 I, 2795, Rn. 18; EuGH v. 19.02.1981, Rs. 130/80 (Fabriek voor Hoogwaardige), Slg. 1981, 527, Rn. 6; EuGH v. 14.07.1998, Rs. C-341/95 (Bettati/Safety Hi-Tech), Slg. 1998 I, 4355, Rn. 62; EuGH v. 12.02.1991, Rs. C-312/89 (Union Departementale des Syndicats/SIDEFConforama), Slg. 1991 I, 997, Rn. 12; EuGH v. 18.02.1991, Rs. C-332/89 (Marchandise u. a.), Slg. 1991 I, 1027, Rn. 13; EuGH v. 13.01.2000, Rs. C-254/98 (Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb/TK-Heimdienst Sass), Slg. 2000 I, 151, Rn. 34; EuGH v. 13.12.1991, Rs. 18/88 (RTT/GB-Inno-BM), Slg. 1991 I, 5941, 5980 Rn. 32 f.; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 203–225, 231 f.; S. Leible, Art. 28, in: Grabitz/Hilf, Rn. 20 ff. 74 Das Programm zur Handelsliberalisierung ist in Anhang I des Vertrags von Asunción niedergelegt. 75 Vgl. Art. 25 und 28 EGV. 76 EuGH v. 14.12.1962, Rs. 2 und 3/62 (Kommission/Belgien und Lux), Slg. 1962, 869, 882; EuGH v. 01.07.1969, Rs. 24/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 193, Rn. 8/9; EuGH v. 18.11.1970, Rs. 8/70 (Kommission/Italien), Slg. 1970, 961,

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

hebung im Landesinneren vor77. In der Literatur zum Mercosur werden unter dem Begriff Maßnahmen gleicher Wirkung im Vertrag von Asunción aber nicht nur zollgleiche Maßnahmen verstanden, sondern alle nichttarifären Handelshemmnisse78. Dass nicht lediglich zollgleiche Maßnahmen gemeint sind79, geht aus Art. 1 des Programms zur Handelsliberalisierung hervor, der neben den finanziellen Belastungen, zu denen neben Zöllen auch alle Abgaben gleicher Wirkung gehören80, auch „alle anderen Beschränkungen des gegenseitigen Handels“ verbietet. Art. 2 lit. b des Programms zur Handelsliberalisierung definiert nichttarifäre Handelshemmnisse (Restricciones) als: „jedwede verwaltungstechnische, fiskalische, oder sonstige Maßnahme, durch die ein Mitgliedstaat einseitig den Handel verhindert oder erschwert“81. Art. 5 des Vertrags von Asunción wiederholt die in Art. 1 des Programms zur Handelsliberalisierung genannten Mittel zum Erreichen des Gemeinsamen Marktes, die Abschaffung von Zöllen, nichttarifären Handelshemmnissen und Maßnahmen gleicher Wirkung und fügt noch eine vierte Rn. 3; EuGH v. 17.09.1997, Rs. C-28/96. (Fazenda Pfflblica/Fricarnes), Slg. 1997 I, 4939, Rn. 20; EuGH v. 10.12.1968, Rs. 7/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 633, 643; EuGH v. 14.12.1972, Rs. 29/72 (Marinex/Italienische Finanzverwaltung), Slg. 1972 1309, Rn. 8; EuGH v. 26.02.1975, Rs. 63/74 (Cadsky/Instituto Nazionale), Slg. 1975, 281, Rn. 3/5; EuGH v. 09.07.1975, Rs. 21/75 (Schroeder/Oberstadtdirektor), Slg. 1975, 905, Rn. 4; m. w. N. auch N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 5 ff. 77 EuGH v. 14.12.1972, Rs. 29/72 (Marinex/Italienische Finanzverwaltung), Slg. 1972 1309, Rn. 5; EuGH v. 22.03.1977, Rs. 78/76 (Steinike und Weinlig/BRD), Slg. 1977, 595, Rn. 30. Solche Abgaben sind zum Teil schwierig von nach Art. 90 EGV verbotenen diskriminierenden inländischen Steuern zu unterscheiden, hierzu ausführlich. N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 18 ff.; vgl. Hinweise in Fn. 88 (2. Teil). 78 Vgl. etwa R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 358, der besondere Importerlaubnisse als Maßnahme gleicher Wirkung wie Zölle einstuft; auf die Orientierung der Formulierung am EG-Vertrag weist J. M. Sánchez Felipe, La eliminación de barreras arancelarias y el arancel aduanero comffln, S. 362 hin; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 158 ff. 79 Unter zollgleichen Maßnahmen werden wie im EU-Recht alle finanziellen Belastungen verstanden, die einseitig lediglich importierte Waren betreffen und nicht als Zölle zu qualifizieren sind, vgl. R. Voß, Art. 25, in: Grabitz/Hilf, Rn. 12 ff.; N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 5 ff. Vgl. auch: EuGH v. 16.06.1966, Rs. 52 u. 55/65 (BRD/Kommission), Slg. 1966, 219, 235; EuGH v. 10.12.1968, Rs. 7/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 634; EuGH v. 01.07.1969, Rs. 24/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 193, Rn. 8/9; EuGH v. 14.12.1972, Rs. 29/72 (Marinex/Italienische Finanzverwaltung), Slg. 1972 1309, Rn. 6; EuGH v. 19.06.1973, Rs. 77/72 (Capolongo/Maya), Slg. 1973, 611, Rn. 12. 80 Art. 2 lit. a des Programms zur Handelsliberalisierung. 81 Im Originalwortlaut: „Cualquier medida de carácter administrativo, financiero, cambiario o de cualquier naturaleza, mediante la cual un Estado Parte impida o dificulte, por decisión unilateral el comerio recíproco (. . .)“.

I. Die Warenverkehrsfreiheit

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Verpflichtung hinzu: die Abschaffung „aller sonstigen Beschränkungen zwischen den Vertragsstaaten“82. Die Redundanz in der Formulierung lässt vermuten, dass eine ebenso strenge Abschaffung jedweder Beschränkung des zwischenstaatlichen Handels angestrebt wird, wie sie seit dem DassonvilleUrteil des Europäischen Gerichtshofs in der Europäischen Union gehandhabt wird83. Verschiedene Schiedsurteile, insbesondere das im ersten Teil ausführlich behandelte erste Schiedsurteil, bestätigen diese Vermutung84. Nach Ansicht des sechsten Mercosur-Schiedsgerichts verbietet der Vertrag von Asunción auch Maßnahmen, die nicht direkt diskriminierend wirken, aber die gleiche Wirkung entfalten, also faktisch diskriminierend sind. Es stellt den absoluten Charakter dieses Verbots als essentielle Norm in einem jeden Integrationssystem heraus85. Das achte Mercosur-Schiedsurteil bestätigte eine faktisch diskriminierende Vorschrift in Uruguay. Zigaretten aus Paraguay wurden in Uruguay zwar der gleichen inländischen Besteuerung wie einheimische Zigarettenmarken unterworfen. Das Gericht rügte jedoch die Berechnungsmethode des Nettogewichts eingeführter Zigaretten, wodurch diese tatsächlich höher besteuert wurden86. Art. 7 des Vertrags von Asunción verpflichtet die Mitgliedstaaten ausdrücklich zu einer abgabenrechtlichen Gleichbehandlung in- und auslän82 „(. . .) así como de otras restricciones al comercio entre los Estados Partes (. . .)“. Auch die Ratsentscheidung 22/00 hebt die Bedeutung des Zugangs zu Märkten hervor und bekräftigt das Verbot jedweder handelsbeschränkender Maßnahmen (Präambel und Art. 1 Abs. 1). 83 Im Ergebnis so auch B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 99 f., 106, 10 7 f.; A. Loschky, Mercosur und EU, S. 66. 84 Teil 1, V. 3. 85 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 1. b). Vgl. bereits Teil 1, V. 3. 86 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt „Considerando“ Unterpunkt A. Vgl. bereits Teil 1, V. 3. Da es sich hier um eine finanzielle Schlechterstellung der ausländischen Zigarettenhersteller handelt, ist diese Maßnahme nicht exakt von zollgleichen Maßnahmen abzugrenzen. Zollgleiche Maßnahmen sind solche, die eine importierte Ware beim Grenzübertritt benachteiligen. Dabei kann es sich um diskriminierende oder auch um nicht diskriminierende Maßnahmen handeln, welche die eingeführte Ware faktisch schlechter stellen, vgl. J. M. Sánchez Felipe, La eliminación de barreras arancelarias y el arancel aduanero comffln, in: L. A. Velasco San Pedro (Hrsg.), Mercosur y Unión Europea: dos modelos de integración económica, 1998, S. 361. Zur Abgrenzung von Maßnahmen gleicher Wirkung wie Zölle und Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen im EU-Recht vgl. EuGH v. 17.09.1997, Rs. C-347/95 (Fazenda Pfflblica/União das Cooperativas), Slg. 1997 I, 4911, Rn. 17 ff.; EuGH v. 17.09.1997, Rs. C-28/96. (Fazenda Pfflblica/Fricarnes), Slg. 1997 I, 4939, Rn. 20 ff. Das gerügte uruguayische Steuersystem wird dargestellt bei J. A. Benítez Gómez, La supresión de las fronteras fiscales, S. 95 ff.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

discher Waren87. Im Recht der Europäischen Union wird die Diskriminierung importierter Waren durch höhere inländische Abgaben entweder als Abgabe zollgleicher Wirkung oder als eine diskriminierende inländische Abgabe gemäß Art. 90 EGV qualifiziert88. Obwohl sich beide Vorschriften ergänzen89, schließen sie sich gegenseitig aus90. Interessant ist, dass Art. 7 des Vertrags von Asunción eine Gleichbandlung (mismo tratamiento) vorschreibt, während in der Europäischen Union ebenso wie in der ALADI eine Schlechterstellung von einheimischen gegenüber importierten Produkten möglich ist91. Die Vorschrift schreibt die Gleichbehandlung bei der Besteuerung von Waren vor, weshalb sie wie auch Art. 90 EGV eine diskriminierende Besteuerung etwa von Sparguthaben nicht verbietet92. Dies steht 87 Teilweise wird hierin die Verpflichtung gesehen, das steuerliche Bestimmungslandprinzip anzuwenden, welches Im- und Exporte nicht diskriminiert, vgl. J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 76; ähnlich J. A. Benítez Gómez, La supresión de las fronteras fiscales, S. 72 f.; das Bestimmungslandprinzip bevorzugt auch C. C. Ameriso, Coordinación de políticas tributarias para la constitución del mercado ampliado, S. 90. Zum steuerlichen Bestimmungslandprinzip vgl. auch Teil 2, I. 2. f). 88 Je nachdem, ob den belasteten inländischen Erzeugnissen ein Vorteil zugute kommt, der diese Belastung vollständig oder nur teilweise ausgleicht, vgl. EuGH v. 11.03.1992, Rs. C-78/90, C-79/90, C-80/90, C-81/90, C-82/90 und C-83/90 (Compagnie commerciale/Receveur), Slg. 1992 I, 1847, Rn. 27; EuGH v. 16.12.1992, Rs. C-17/91 (Lornoy/Belgien), Slg. 1992 I, 6523, Rn. 21; EuGH v. 17.09.1997, Rs. C-347/95 (Fazenda Pfflblica/União das Cooperativas), Slg. 1997 I, 4911, Rn. 29; EuGH v. 17.09.1997, Rs. C-28/96. (Fazenda Pfflblica/Fricarnes), Slg. 1997 I, 4939, Rn. 21. Hierzu auch: C. Waldhoff, Art. 25 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 11; N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 23. 89 So jedenfalls für Art. 90 EGV EuGH v. 14.12.1962, Rs. 2 und 3/62 (Kommission/Belgien und Lux), Slg. 1962, 869, 881; EuGH v. 01.07.1969, Rs. 24/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 193, 200. 90 So jedenfalls für Art. 90 EGV: EuGH v. 16.06.1966, Rs. 57/65 (Lütticke/Hauptzollamt), Slg. 1966, 258, 267; EuGH v. 03.02.1981, Rs. 90/79 (Kommission/Frankreich), Slg. 1981, 283, Rn. 13; N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 18. 91 Dies stellt auch A. Loschky, Mercosur und EU, S. 81 heraus. Für das EU-Recht vgl. Art. 90 EGV; hierzu C. Waldhoff, Art. 90 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1 ff.; zur so genannten „umgekehrten Diskriminierung“ in der Europäischen Union vgl. A. Epiney, Art. 12 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 24 ff.; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 319 f. Vgl. auch: EuGH v. 28.03.1979, Rs. 175/78 (Saunders), Slg. 1979, 1129, Rn. 9; EuGH v. 23.10.1986, Rs. 355/85 (Driancourt/ Cognet), Slg. 1986, 3231, Rn. 10; R. Streinz, Europarecht, S. 310 f. Rn. 810 ff. Art. 46 des Vertrags von Montevideo (ALADI-Gründungsvertrag) verpflichtet die Vertragsstaaten, importierte Produkte „nicht schlechter zu stellen“ (no menos favorable) als heimische Produkte. Die Formulierung im Vertrag von Asunción wird für besser gehalten, vgl. J. C. Lipovetzky/D. A. Lipovetzky, Mercosur – Estrategias para la integración, S. 138. 92 Für Art. 90 EGV vgl. EuGH v. 21.09.1988, Rs. 267/86 (van Eycke/NV Aspa), Slg. 1988, 4769, Rn. 25.

I. Die Warenverkehrsfreiheit

225

im Einklang mit dem Zweck des steuerlichen Diskriminierungsverbots, einen lückenlosen Schutz des freien Warenverkehrs vor ungerechtfertigten finanziellen Belastungen hoheitlicher Art zu gewährleisten93. Im Mercosur wird anders als in der Europäischen Union zwischen nichttarifären Handelshemmnissen und nichttarifären Handelsmaßnahmen unterschieden, wobei erstere abzuschaffen und letztere zu harmonisieren sind94. Die Unterscheidung scheint aber eher begrifflicher Natur zu sein. Beide Termini dürften sich unter dem umfassenderen Begriff der nichttarifären Handelshemmnisse subsumieren lassen. Nichttarifäre Handelsmaßnahmen sind nichttarifäre Handelshemmnisse, welche sich durch Rechtsangleichung beseitigen lassen95. Zum schützenswerten Intra-Mercosur-Handel gehört auch die Warenlieferung von einem Mitgliedstaat zu einem anderen durch einen Drittstaat, wenn dies aus geografischen oder transporttechnischen Gründen gerechtfertigt ist96. a) Das Programm zur Handelsliberalisierung Das wichtigste Instrument zum Abbau der Handelshemmnisse im Mercosur ist wie erwähnt das mit dem Vertrag von Asunción verabschiedete Programm zur Handelsliberalisierung97. Dieses schreibt einen gleichmäßigen und automatischen Abbau der Zölle und Maßnahmen gleicher Wirkung sowie die Abschaffung der nichttarifären Handelshemmnisse vor98. Bis zum 31. Dezember 1994 sollten für den Handel zwischen Argentinien und Brasilien sämtliche Beschränkungen des Intra-Mercosur-Handels beseitigt sein99. Die wirtschaftlich schwachen Länder Paraguay und Uruguay durften noch bis Dezember 1995 einige Produkte von der Zollbefreiung ausnehmen100. 93 N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 18; nicht anders H.-G. Kamann, Art. 90 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 2, 4. 94 Art. 2 lit. a der Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 123/94; Art. 2 der Ratsentscheidung 3/94. 95 In diesem Sinne R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 401 f. Zu nichttarifären Handelshemmnissen ausführlich weiter unten S. 245. Die durch Rechtsangleichung zu beseitigenden nichttarifären Handelsbeschränkungen bilden im Mercosur übrigens die weitaus größten Gruppe, vgl. P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 13. 96 Art. 10 lit. b des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. 97 B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 94 f. 98 Art. 1 i. V. m. Art. 3 des Programms zur Handelsliberalisierung. 99 Art. 1 des Programms zur Handelsliberalisierung.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Art. 3 des Programms zur Handelsliberalisierung definiert den Zollabbau ausgehend von den seinerzeit gültigen, niedrigsten Zöllen, die NichtALADI-Mitgliedern gewährt wurden, wie folgt101: Datum/Prozentsatz des Zollabbaus 30/6/91 31/12/91 30/6/92 31/12/92 30/6/93 31/12/93 30/6/94 31/12/94 47

54

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82

89

100

Die Vorgehensweise des automatischen und linearen Zollabbaus erinnert an die in der Dillon-Runde des GATT (1960–1961) festgelegte Verhandlungsweise und hat im Unterschied zu Verhandlungen, in denen für jedes Produkt einzeln die Zollreduzierung angestrebt wird, den Vorteil, dass Interessenvertreter weniger Einfluss auf die Politik des Zollabbaus nehmen können102. Von diesem Automatismus durfte Argentinien zunächst 394, Brasilien 324, Paraguay 439 und Uruguay 960 Produkte ausnehmen103. Für Argentinien und Brasilien sollte sich die Liste der vom Zollabbau ausgenommen Produkte jährlich um 20% verringern, angefangen am 31. Dezember 1990, so dass am 31. Dezember 1994 keine Produkte mehr vom Zollabbau ausgenommen sein sollten. Für Paraguay und Uruguay galten erst zum 31. Dezember 1995 die Vorschriften zum Zollabbau für sämtliche Produkte104. b) Die Anpassungsordnung Wie bereits im ersten Teil erwähnt wurde, ist das Programm zur Handelsliberalisierung eine der wenigen Bestimmungen im sonst eher programmatisch angelegten Vertrag von Asunción, die keiner weiteren Konkretisierung bedarf und daher, nachdem alle Mitgliedstaaten den Vertrag von Asunción in nationales Recht überführt haben, unmittelbar anwendbar ist105. Trotz 100

Art. 6 und 7 des Programms zur Handelsliberalisierung. Für den Fall, dass ein Mercosur-Vertragsstaat die Zölle gegenüber ALADIDrittstaaten erhöhen sollte, gilt als Referenzzoll derjenige, der am 01.01.1991 galt, vgl. Art. 3 Abs. 3 Programms zur Handelsliberalisierung. 102 Hierauf verweisen R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 395; A. Haller, Mercosur, S. 49. 103 Art. 6 des Programms zur Handelsliberalisierung. 104 Art. 7 des Programms zur Handelsliberalisierung. Weitere Ausnahmen galten für Produkte, für die auch zuvor Handelspräferenzen bestanden, vgl. Art. 12 des Programms zur Handelsliberalisierung. 105 Vgl. bereits Teil 1, I. 3. 101

I. Die Warenverkehrsfreiheit

227

des klaren Wortlauts wurden bis Ende 1995, Zeitpunkt, bis zu dem nach den Vorgaben des Programms zur Handelsliberalisierung keine Binnenzölle mehr existieren sollten, nicht alle Binnenzölle abgebaut. In der so genannten Anpassungsordnung (régimen de adecuación) gemäß Ratsentscheidungen 5/94 und 24/94 durften einige Produkte aus sensiblen Wirtschaftsbereichen, für die bisher bereits Ausnahmeregelungen galten, auch nach dem 31. Dezember 1994 weiterhin vom der Binnenzollfreiheit ausgenommen werden106. Die Ausnahmen wurden gewährt, um den Staaten die Möglichkeit zu geben, sich besser an die neuen Wettbewerbsbedingungen in den an Protektionismus gewöhnten Ländern anzupassen107. Bei den ausgenommenen Produkten handelte es sich überwiegend um solche aus dem Agrar-, Bekleidungs-, Holz- und metallverarbeitenden Sektor108. Diese verlängerte Übergangsfrist galt bis Ende 1998 für Argentinien und Brasilien und bis Ende 1999 für Paraguay und Uruguay109 und wurde von verschiedenen Ad-hoc-Schiedsgerichten als verbindliches Datum, von dem an keine weiteren Beschränkungen des Intra-Mercosur-Handels rechtfertigbar seien, genannt110. Die Anpassungsordnung sah vor, die Zölle der noch von der Zollfreiheit ausgenommenen Produkte progressiv, linear und automatisch zu reduzieren, jährlich um 25%, ausgehend von den im August 1994 gültigen Zollsätzen111. Der Automatismus der Zollsenkung erinnert an die Vorgehensweise des Programms zur Handelsliberalisierung, weshalb man von einer zweiten Übergangszeit sprechen kann. Anfang 1995 waren noch 1631 106 Weshalb die Bezeichnung „régimen de adecuación final a la unión aduanera“ (Anpassungsordnung an die Zollunion) irreführend ist. Es handelt sich um eine Konvergenz an die Zollunion, denn es werden Intra-Mercosur-Zölle festgelegt. So bereits Jorge Lucángeli, Reflexiones sobre la necesidad de profundizar el proceso de integración del Mercosur, S. 1, zitiert nach R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 157, 396. Die Liste darf gem. Art. 2 der Ratsentscheidung 5/94 nur Produkte beinhalten, welche bereits in der Ausnahmeliste des A. C. E. Nr. 18 enthalten waren oder gegen die eine Importschutzmaßnahme verhängt wurde. Die Anpassungsordnung wurde gem. Art. 4 der Ratsentscheidung 5/94 im Protokoll Nr. VII zum A. C. E. Nr. 18 der ALADI mitgeteilt. 107 INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), S. 17; 5. Erwägungsgrund der Ratsentscheidung 5/94; 4. Erwägungsgrund der Präambel der Ratsentscheidung 24/94. 108 INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), S. 18. Für Argentinien galten 212, für Brasilien 29, für Paraguay 432 und für Uruguay 958 Ausnahmen. 109 Art. 3 der Ratsentscheidung 24/94. 110 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 77–79; 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt III. D. 2.; 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 134, 138 f. 111 Art. 3 der Ratsentscheidung 5/94 i. V. m. Art. 4 der Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 48/94.

228

2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Produkte von der Freihandelszone ausgenommen, die sich wie folgt auf die Mitgliedstaaten aufteilten:

Mitgliedstaat

Argentinien

Brasilien

Paraguay

Uruguay

Anzahl der Produkte in Anpassungsordnung

212

29

432

958

Produkte

Stahlerzeugnisse, Textilien, Schuhe, Papier, Holz, Autoreifen, Zucker, Elektrogeräte, Orangensaft, löslicher Kaffee, Möbel

Textilien, Erzeugnisse aus Kautschuk, Wein, Obstkonserven

Textilien, Schuhe, Lebensmittel, Holz, Papier, Leder, pharmazeutische Produkte, Möbel, Maschinen, Seife, Glasprodukte, Kunststoff, Zement

Textilien, Schuhe, Maschinen, Stahlerzeugnisse, Lebensmittel, pharmazeutische Produkte, Chemie, Kunststoff, Papier, Glasprodukte, Steine und Keramik, Möbel, Spielzeug, Holz

Freihandel bis

01.01.1999

01.01.1999

01.01.2000

01.01.2000

Quelle: INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), S. 18.

In ähnlicher Weise, wie in der Europäischen Union der Agrarsektor eigenständig geregelt ist112, gelten im Mercosur Ausnahmeregelungen für die Automobilindustrie und den Zuckersektor. Beide Wirtschaftsbereiche waren nicht in der Anpassungsordnung enthalten, und es gelten Ausnahmen sowohl vom Intra-Mercosur-Handel als auch vom gemeinsamen Außenzoll113. Hintergrund ist die Tatsache, dass der überwiegende Teil der in Südamerika produzierten Automobile sowie des Zuckers aus Brasilien und Argentinien stammen, beide Länder sich bisher jedoch nicht auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik einigen konnten114. Für die Automobilindustrie war eine vollständige Liberalisierung bis zum 31. Dezember 2006 vorgesehen115, wobei 112

Art. 32–38 EGV; vgl. auch I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 3109. Im EU-Recht dürfen auf landwirtschaftliche Erzeugnisse allerdings keine Zölle oder zollgleiche Abgaben erhoben werden, vgl. N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 1. Zum Sonderfall der landwirtschaftlichen Erzeugnisse in der Europäischen Union vgl. P. C. Müller-Graff, Vorbem. Art. 28–31 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 18 ff.; T. v. Rijn, Vorbem. Art. 32–38 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 1 ff. 113 Art. 10 der Ratsentscheidung 7/94.

I. Die Warenverkehrsfreiheit

229

schon seit dem 1. Februar 2001 keine Binnenzölle für Autos und Autoteile existieren116, aber noch bis Ende 2006 bilaterale Importquoten gelten sollten117. Die Vorschriften wurden jedoch bisher nicht in nationales Recht umgesetzt, und Zölle richten sich nach bilateralen Abkommen118. Für den Zuckersektor sollte eine Arbeitsgruppe, die der Gruppe Gemeinsamer Markt unterstellt ist, bis 2001 einen Konvergenzplan ausarbeiten119. Dies ist aber bis heute nicht geschehen120, d.h. die Mitgliedstaaten können nach wie vor Zölle auf Zucker aus anderen Mitgliedstaaten erheben121. Der Aktionsplan 2004–2006 sah vor, den Zuckersektor vollständig zu liberalisieren122. Auch dies ist bisher nicht geschehen. Obwohl der Zeitraum, bis zu dem alle Ausnahmen von der Freihandelszone vollständig verschwinden sollten, verlängert wurde und heute noch einige Produkte aus dem Automobil- und Zuckersektor vom Freihandel ausgenommen sind, wird der energische zwischenstaatliche Zollabbau, wie er in der Übergangszeit betrieben wurde, in der Region für einmalig gehalten123. c) Gemeinsamer Außenzoll Ein gemeinsamer Außenzoll ist nicht nur wichtig, um dem Mercosur als Wirtschaftblock Verhandlungsgewicht in internationalen Abkommen zu geben124, sondern auch für die Verwirklichung der Warenverkehrsfreiheit in114 P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 4. Zur Besonderheit des Automobilsektors im Mercosur vgl. E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 199–210. 115 Ratsentscheidungen 70/00 und 4/01. 116 Art. 1 der Ratsentscheidung 70/00 i. V. m. Art. 14 des Anhangs der Ratsentscheidung 70/00. 117 Art. 20 ff. des Anhangs der Ratsentscheidung 70/00. Die Entscheidungen sollten bis zum 30.11.2003 gem. Art. 6 der Ratsentscheidung 10/03 überarbeitet werden, was aber noch nicht geschehen ist. 118 Vgl. Mercosur-Webseite: http://www.mercosur.int/msweb/principal/contenido. asp. Hierzu zählen die Abkommen PEC (Brasilien-Uruguay) und CAUCE (Argentinien-Uruguay), vgl. INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 4 (1998), S. 25. 119 Art. 1 der Ratsentscheidung 19/94 und Art. 1 der Ratsentscheidung 19/96. 120 Hiervon ist auszugehen, da nach den Ratsentscheidungen 19/94 und 16/96 keine weiteren Rechtsakte erlassen wurden, die Regelungen des Zuckersektors enthalten. 121 So wie es in Art. 3 der Ratsentscheidung 19/94 vorgesehen ist. 122 Punkt 1.2 der Ratsentscheidung 26/03. 123 S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 35; positiv auch: A. Haller, Mercosur, S. 50; U. Wehner, Der Mercosur, S. 169; vgl. bereits Fn. 8 (Einführung) und Fn. 1029 (1. Teil). 124 Vgl. Art. 5 lit. c des Vertrags von Asunción, der die Einrichtung des gemeinsamen Außenzolls zur Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

nerhalb des Mercosur. Eine Ware, die außerhalb des Mercosur hergestellt wurde und in den Mercosur eingeführt wird, sollte sodann frei innerhalb des Mercosur lieferbar sein125. Hierzu ist ein gemeinsamer Außenzoll unentbehrlich; denn andernfalls wären weiterhin Intra-Mercosur-Grenzkontrollen notwenig, um zu verhindern, dass die innere Öffnung des Marktes ausgenutzt wird, Waren in ein Land mit höheren Außenzöllen über den Umweg eines Mitgliedstaates mit niedrigeren Außenzöllen einzuführen126. Da jede systematische Grenzkontrolle geeignet ist, den Warenfluss zu erschweren127, ist eine gemeinsame Zollpolitik Voraussetzung für die Verwirklichung der Warenverkehrsfreiheit128. Anders als es bei der Abschaffung der Binnenzölle der Fall ist, sieht der Vertrag von Asunción keinen Automatismus zur Angleichung der von den Mitgliedstaaten erhobenen Außenzölle vor. Es wird lediglich das Ziel festgehalten, bis zum Ende der Überganszeit einen gemeinsamen Außenzoll einzurichten129. Noch vor Ende der Übergangszeit wurde mit der Ratsentscheidung 22/94 ein gemeinsamer Außenzoll für die Mehrheit der Güter beschlossen. Anhang I dieser Entscheidung enthält die an das so genannte harmonisierte System der Weltzollorganisation (World Customs Organization) angelehnte Zollnomenklatur mit den jeweiligen Zollsätzen, welche auch der ALADI-Nomenklatur sowie der so genannten Kombinierten Nomenklatur der Europäischen Union sehr ähnlich ist130. Von dem gemeinsamen Außenzoll vorsieht; vgl. auch R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 350; E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 171. 125 Unstreitig, vgl. bereits oben S. 210. 126 W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, S. 244 Rn. 602; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 158. 127 Unstreitig vgl. etwa P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 74; vgl. auch: EuGH v. 15.12.1976, Rs. 35/76 (Simmenthal/Italienisches Finanzministerium), Slg. 1976, 1871, Rn. 15/16; EuGH v. 20.09.1988, Rs. 190/87 (Oberkreisdirektor Borken/Moormann), Slg. 1988, 4689, Rn. 8; EuGH v. 09.07.1975, Rs. 42/82 (Kommission/Frankreich), Slg. 1983, 1013, Rn. 50. 128 W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, S. 244 Rn. 602; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 334 ff. behandeln die Vorschriften zur Aufstellung des gemeinsamen Zolltarifs im Kapitel über die Warenverkehrsfreiheit. Nach Müller-Graf stellt die Zollunion nur eine Säule der Warenverkehrsfreiheit in der Europäischen Union dar, vgl. P. C. Müller-Graff, Vorbem. Art. 28–31 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 1. 129 Art. 1 Abs. 2 und Art. 5 lit. c des Vertrags von Asunción. 130 Die Ähnlichkeit zur ALADI-Nomenklatur stellt R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 51 heraus. Für die EU-Nomenklatur vgl. Art. 1 und 3 der Verordnung Nr. 2658/87 des Rates v. 23.07.1997 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABl. 1987, Nr. L 256/1 (zuletzt geändert durch Verordnung Nr. 1969/93, ABl. 1993, Nr. L 180/9), Auszug bei F. Emmert, Europarecht, S. 325.

I. Die Warenverkehrsfreiheit

231

wurden neben den grundsätzlich gesondert geregelten Wirtschaftsbereichen Automobil und Zucker131 auch Kapitalgüter sowie Güter der Informatik- und Telekommunikationsbranche ausgenommen132. Zudem hatten Brasilien, Argentinien und Uruguay das Recht, bis 2001 für 300 Güter und Paraguay für 399 Güter einen eigenen Außenzoll zu bestimmen133, zusätzlich zu den in der im Jahr 2000 ausgelaufenen Anpassungsordnung enthaltenen Gütern, die auch vom gemeinsamen Außenzoll ausgenommen waren134, weshalb der gemeinsame Außenzoll im Anschluss an die Übergangszeit am 1. Januar 1995 für ca. 85% der Güter in Kraft trat135. Die genauen Zollsätze wurden in zahlreichen Entscheidungen des Rates, Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt und Richtlinien der Handelskommission verändert136 und reichen heute von 0% bis 20%, wobei die Höhe des Außenzolls tendenziell mit dem Wert des importierten Produktes zunimmt137. Bis heute gibt es Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll. Nach wie vor ist keine gemeinsame Regelung für den Automobil- und Zuckersektor 131

Vgl. voriger Gliederungspunkt, S. 228. Art. 3 lit. a und b und Art. 10 der Ratsentscheidung 7/94 i. V. m. Art. und der Ratsentscheidung 22/94. 133 Art. 3 der Ratsentscheidung 22/94. 134 Art. 4 und 5 der Ratsentscheidung 22/94 i. V. m. Art. 6 der Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 48/94. 135 C. C. Ameriso, Coordinación de políticas tributarias para la constitución del mercado ampliado, S. 87; A. Haller, Mercosur, S. 85; U. Wehner, Der Mercosur, S. 160. Teilweise werden auch 89% angegeben, vgl. R. Lavagna, La liberación comercial, in: E. I. Rimoldi de Ladmann (Hrsg.), Mercosur y Comunidad Europea, 1995, S. 37 oder 88%, vgl. INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), 29. 136 Der Rat führt generelle Erhöhungen durch (vgl. etwa Entscheidungen 15/97; 6/01; 21/02), während die Gruppe Gemeinsamer Markt Änderungen an der Zollnomenklatur oder den Zollsätzen für bestimmte Güter vornimmt, vgl. Entschließungen Nr.: 1/95; 17/02; 36/02; 39/02; 40/02; 51/02; 57/02; 4/03; 5/03; 19/03; 20/03; 21/03; 23/03; 1/04; 5/04; 14/04; 1/05; 2/05; 3/05; 12/05; 27/05; 41/05; 42/05; 59/05; 28/06; 29/06. Die Handelkommission wurde ermächtigt, vorübergehende Verringerungen am gemeinsamen Einfuhrzoll für einzelne Güter vorzunehmen, um die Versorgung sicher zu stellen, vgl. Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 69/00. In der Europäischen Union legt gem. Art. 26 EGV der Rat die Zollsätze auf Vorschlag der Kommission fest. 137 Vgl. Mercosur-Webseite: http://www.mercosur.int/msweb/principal/contenido. asp. Die niedrigsten Außenzölle werden auf Rohstoffe, mittlere Außenzölle auf halbfertige Zwischenprodukte und die höchsten Außenzölle auf Konsumgüter erhoben, vgl. P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 4 f. Der Höchstsatz lag zwischenzeitlich bei 23%, vgl. Ratsentscheidung 15/97. Man einigte sich darauf, dass auf keinen Fall ein höherer Zoll als 35% des Warenwertes erhoben werden darf, und teilte diesen Höchstsatz der WTO mit, vgl. R. Lavagna, La liberación comercial, in: E. I. Rimoldi de Ladmann (Hrsg.), Mercosur y Comunidad Europea, S. 36; P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 9. 132

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

in Kraft getreten138, und es gelten Sonderbestimmungen für Kapitalgüter und Güter des Informatik- und Telekommunikationssektors. Anfang 2006 waren noch 1624 Produkte von diesen Sonderregelungen betroffen139. Die Mitgliedstaaten haben beschlossen, bis Juli 2007 eine gemeinsame Regelung für Produkte der Informations- und Telekommunikationstechnologie zu finden, ohne ein Datum für dessen Inkrafttreten zu bestimmen140. Es ist vorgesehen, die Außenzölle für Informatik- und Telekommunikationsgüter ab Juli 2007 bis Januar 2009 aneinander anzugleichen141, was dem ursprünglichen Plan zufolge schon bis Januar 2006 hätte geschehen sollen142. Bis zum Beginn dieses Konvergenzplanes sind die Mitgliedstaaten berechtigt, eigene Zollsätze für IT- und Telekommunikationsgüter festzusetzen143. Die bereits verabschiedete gemeinsame Regelung für Kapitalgüter144 soll ebenfalls im Januar 2009 in Kraft treten145. Bis dahin gelten die nationalen Zollsätze für Finanzprodukte146. Für die wirtschaftlich schwachen Länder Paraguay und Uruguay besteht aber die Möglichkeit, bis zum Jahr 2011 für Kapitalgüter147 und bis zum Jahr 2013 für Güter aus den Wirtschaftsbereichen Informatik und Telekommunikation148 einen Außenzoll von lediglich 2% zu erheben. Auch Argentinien und Brasilien sind berechtigt, noch bis Januar 2011 in bestimmten Fällen und nur vorübergehend nicht aus dem Mercosur stammende Kapitalgüter mit lediglich 2% zu verzollen149. Zusätzlich zu diesen branchenspezifischen oder sektoralen Ausnahmen wird den Mitgliedstaaten zugestanden, in Abstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten für eine bestimmte Zahl von Gütern ihrer Wahl eigene Zölle festzusetzen. Die Zahl ist zwar verringert worden150. Nach wie vor 138 Streitpunkte sind vor allem die staatlichen Beihilfen in dem Bereich und Ursprungsregelung neben der Höhe des Schutzniveaus, vgl. INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 4 (1998), S. 24 und 26 f. 139 Vgl. Mercosur-Webseite: http://www.mercosur.int/msweb/principal/contenido. asp. 140 Art. 1 der Ratsentscheidung 13/06 i. V. m. Art. 1 der Rasentscheidung 39/05 und Art. 2 der Ratsentscheidung 33/04. 141 Art. 2 Abs. 2 der Ratsentscheidung 13/06 i. V. m. Art. 2 Abs. 2 der Ratsentscheidung 39/05. 142 Art. 3 lit. b der Ratsentscheidung 7/94. 143 Art. 3 der Ratsentscheidung 39/05. 144 Vgl. Anhang der Ratsentscheidung 34/03. 145 Art. 1 der Ratsentscheidung 40/05 i. V. m. Art. 1 der Ratsentscheidung 34/03. 146 Art. 2 der Ratsentscheidung 40/05. 147 Art. 3 und 4 der Ratsentscheidung 34/03. 148 Art. 3 der Ratsentscheidung 13/06 i. V. m. Art. 4 der Ratsentscheidung 39/05 und Art. 4 der Ratsentscheidung 33/04. 149 Art. 11 des Anhangs der Ratsentscheidung 34/03 i. V. m. Art. 3 der Ratsentscheidung 13/06.

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dürfen aber bis Januar 2009 Argentinien und Brasilien für 100 Güter151, Uruguay für 225 Güter152 und Paraguay für 649 Güter153 eigene Zollsätze bestimmen. Über dieses Datum hinaus soll noch bis 2010 die Möglichkeit bestehen, dass Uruguay 125 und Paraguay 549 Güter vom gemeinsamen Außenzoll ausnehmen154. Daneben gibt es die auch in der Europäischen Union üblichen Sonderregeln für die Einfuhr bestimmter Güter (regímenes especiales de importación)155. Anders als in der Europäischen Union werden diese besonderen Einfuhrregeln aber bisher noch weitgehend einseitig von den Mitgliedstaaten festgelegt156, weshalb sie sich nicht wesentlich von anderen Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll unterscheiden. Es ist jedoch geplant, in Zukunft nur noch gemeinsame Sonderregelungen (regímenes especiales comunes) zu verabschieden157. Einseitige Sonderreglungen dürfen daher längstens bis Januar 2008 beibehalten werden, insoweit sie schon vor dem Jahr 2000 bestanden158. Darüber hinaus können Einfuhrsonderregelungen angewendet werden, welche nur eine geringe Auswirkung auf die Wirtschaft ha150 Durch das Auslaufen der Anpassungsordnung Ende 2000 (vgl. Art. 3 lit. a der Ratsentscheidung 5/94 i. V. m. Art. 4 und 5 der Ratsentscheidung 22/94 und Art. 6 der Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 48/94) sowie durch das Auslaufen der Ermächtigung in Art. 4 der Ratsentscheidung 68/00 i. V. m. Art. 1 der Ratsentscheidung 31/03 und der Ermächtigung in Art. 5 der Ratsentscheidung 33/03 Ende 2005. 151 Art. 1 der Ratsentscheidung 38/05. 152 Art. 2 der Ratsentscheidung 31/03 i. V. m. Art. 1 der Ratsentscheidung 38/05. 153 Art. 2 und 3 der Ratsentscheidung 31/03 i. V. m. Art. 4 Abs. 2 der Ratsentscheidung 7/94 und Art. 1 der Ratsentscheidung 38/05. 154 Art. 2 und 3 der Ratsentscheidung 31/03 i. V. m. Art. 4 Abs. 2 der Ratsentscheidung 7/94. 155 Vgl. Ratsentscheidungen 69/00, 32/03, 33/05, 2/06, 3/06. Für die Europäische Union vgl. etwa: Verordnung 2007/97 des Rates v. 9.10.1997 mit Durchführungsbestimmungen zur Sonderregelung für die Einfuhr von Olivenöl mit Ursprung in Libanon, ABl. 1997, Nr. L 284/15; Verordnung Nr. 2457/2001 der Kommission v. 14.12.2001 zur Festsetzung des Betrags der im Rahmen der Sonderregelung für die Einfuhr von Sorghum nach Spanien anwendbaren Kürzung, ABl. 2001, Nr. L 331/8. In der spanischen Fassung des Amtsblattes der Europäischen Union heißen die Sonderreglungen ebenfalls „régimen especial de importación“. 156 Eine Ausnahme ist Ratsentscheidung 18/94, welche die Zollfreiheit für persönliche Gegenstände von Reisenden regelt (Art. 9). 157 Art. 2 i. V. m. Art. 12 der Ratsentscheidung 69/00. Sektoren, für die gemeinsame Einfuhrregelungen geschaffen werden sollen, sind gem. Anhang der Ratsentscheidung 2/06: Güter, die Bestandteil vom Direktinvestitionen sind; Wissenschaft und Technik; Warenaustausch in grenznahen Gebieten, Bildung, Flugzeugbau, Schiffsbau und Gesundheit. 158 Art. 2 i. V. m. Art. 9 der Ratsentscheidung 69/00 i. V. m. Art. 2 der Ratsentscheidung 33/05.

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ben, dem öffentlichen nicht kommerziellen Interesse dienen159 und im Anhang der Ratsentscheidung 3/06 aufgelistet sind. Hierzu zählen beispielsweise Gegenstände, die von Diplomaten vorübergehend eingeführt werden, oder international gehandelte Kunstgegenstände160. Die Handelkommission wird ermächtigt, diese Liste in bestimmten Fällen zu ändern161, d.h. die Staaten können nicht mehr unilateral Sonderregelungen beschließen. Zur Sicherstellung der Versorgung wurden für Paraguay und Uruguay auch hier Ausnahmen zugelassen: Bis zum Jahr 2011 darf Paraguay für eine geringe Zahl von Rohstoffen und Uruguay für eine geringe Zahl von Waren aus der Viehwirtschaft in Abstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten einen Zoll von lediglich 2% erheben162. In ähnlicher Weise konnten bis zur Amsterdamer Fassung des EG-Vertrags auch in der Europäischen Union für einzelne Mitgliedstaaten und Produkte Zollkontingente mit niedrigeren Zollsätzen gewährt werden, um Versorgungsschwierigkeiten zu verhindern163. Das Problem der Doppelverzollung Um zu verhindern, dass aufgrund der Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll Waren über den Umweg durch ein Land mit niedrigerem Außenzoll in ein Land mit höherem Außenzoll eingeführt werden, legt man noch sämtlichen Produkten aus Drittstaaten, die lediglich durch ein Mercosur-Land hindurch transportiert wurden, bei jedem Grenzübertritt auch innerhalb des Mercosur den Außenzoll erneut auf, anstatt lediglich die etwaige Differenz wischen dem bereits erhobenen und dem eigenen Außenzoll zu erheben oder zurückzuerstatten164. Diese Praxis wird damit gerechtfertigt, dass es noch keine endgültige Liste gäbe, auf der alle vom gemein159

Gem. dem 3. Erwägungsgrund der Präambel der Ratsentscheidung 3/06. Kapitel 1 des Anhangs von Ratsentscheidung 3/06. Ähnliche Befreiungen gibt es auch in der Europäischen Union gem. Art. 137–144 des EU-Zollkodexes (Verordnung 2913/92, ABl. 1992, Nr. L 302/1) für Waren, die aus Nichtmitgliedstaaten vorübergehend in die Gemeinschaft eingeführt werden wie beispielsweise Berufsausrüstungen. Die Verordnung 918/83 des Rates v. 28.03.1983 über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen, ABl. 1983 Nr. L 105/1 (zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1671/2000 des Rates v. 20.07.2000, ABl. 2000, Nr. L 193/11) sieht ebenfalls ausnahmsweise Zollbefreiungen wie etwa für Reisegepäck vor, vgl. Art. 45 ff. 161 Art. 2–4 der Ratsentscheidung 3/06. 162 Art. 1, 3 und 4 der Ratsentscheidung 32/03. Beide Länder müssen bis Ende 2007 eine im Umfang nicht definierte Liste mit Waren vorlegen, vgl. Art. 6, 7 der Ratsentscheidung 33/05. 163 Ex-Art. 25 EGV (Maastrichter Fassung). 164 S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 48; INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), 29; hierzu auch E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 179. 160

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samen Außenzoll ausgenommenen Produkte vermerkt sind165. Es wird vermutet, dass dieses Vorgehen in Wirklichkeit aber mit der im Mercosur bis heute ungeklärten Frage in Zusammenhang steht, ob die an den MercosurAußengrenzen erhobenen Zolleinnahmen eher demjenigen Staat zustehen sollen, in dem das Produkt eingeführt wurde oder demjenigen, in dem das Produkt vermarktet wird166. Eine Lösung wäre, die Einnahmen wie in der Europäischen Union den gemeinsamen Institutionen zu übertragen167. Im Mercosur hat man sich stattdessen entschieden, bis Ende 2008 ein Verfahren zur gerechten Verteilung der Zolleinnahmen zu finden168. Erst im Anschluss hieran sollen aus Drittstaaten stammende Waren wie im Mercosur hergestellte Waren frei innerhalb des gemeinsamen Zollgebietes zirkulieren können. Für Waren, für die der gemeinsame Außenzoll 0% beträgt und das Verteilungsproblem folglich nicht existiert, ist die mehrfache Verzollung für aus Drittstaaten eingeführte Waren seit Januar 2006 verboten169. Für Waren, die in einer der Ausnahmelisten vom gemeinsamen Außenzoll enthalten sind, ist keine Abschaffung der Mehrfachverzollung vorgesehen170. Der Großteil der in den Mercosur eingeführten Produkte wird demnach noch heute mehrfach verzollt, was den innergemeinschaftlichen Handel beschränkt. Die vom gemeinsamen Außenzoll ausgenommen Güter sind im Wesentlichen dieselben, die auch von der Binnenzollfreiheit zunächst ausgenommen waren171, was insofern konsequent ist, als es nicht sinnvoll ist, einen gemeinsamen Außenzoll für Güter zu erheben, für die auch im Binnenhandel Zölle erhoben werden. Für einen Großteil der ursprünglich ausgenommen Produkte gilt heute der gemeinsame Außenzoll. Für die anderen, insbesondere des Informatik- und Telekommunikationssektors, gibt es einen konkreten Zeitplan. Dies ist ein beachtlicher Fortschritt, berücksichtigt man die enormen Unterschiede im nationalen Außenzoll zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten vor der Einführung des gemeinsamen Außenzolls. Brasilien als das am stärksten industrialisierte Land erhob die höchsten Zölle, um die heimische Produktion zu schützen. Argentinien, Paraguay und Uruguay verfolgten eine weniger protektionistische Politik, da sie auf Importe angewiesen sind172. Die so genannten Importsonderregelungen (regímenes especia165

INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), 29. E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 179 f.; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 48; A. Haller, Mercosur, S. 91 ff. 167 E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 180 f. Hierzu vgl. C. Waldhoff, Art. 269 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1 ff. 168 Art. 4 der Ratsentscheidung 54/04. 169 Art. 2 der Ratsentscheidung 54/04 i. V. m. Art. 2 der Ratsentscheidung 37/05. 170 Art. 3 der Ratsentscheidung 37/05. 171 U. Wehner, Der Mercosur, S. 161. 166

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les de importación) werden auch in der Europäischen Union angewendet, vorübergehend verringerte Einfuhrzölle zur Sicherstellung der Versorgung waren nach dem EG-Vertrag in der Maastrichter Fassung möglich. Die kategorische Ausnahme der Automobil- und Zuckerindustrie ist vergleichbar mit dem eigenständig geregelten Agrarsektor in der Europäischen Union. Dennoch gilt die Europäische Union als Zollunion173. Problematisch erweist sich die Doppelverzollung von Drittstaatswaren. Diese werden dadurch trotz ordnungsgemäßer Einführung in den Mercosur im Binnenhandel nicht als Mercosur-Waren betrachtet, weshalb sich der Mercosur für diese Güter nicht als einheitlicher Wirtschaftsraum darstellt174. d) Ursprungsregeln Um einen gemeinsamen Außenzoll zu etablieren, ist die Definition von einheitlich in allen Mitgliedstaaten geltenden Ursprungsregeln notwendig. Andernfalls wäre es möglich, dass einem bestimmten Produkt ein unterschiedlicher Zoll auferlegt würde, je nach dem, in welchem Vertragsstaat es in den Mercosur eingeführt wird. Aber insbesondere für den Intra-Mercosur-Handel ist die einheitliche Identifizierung von Waren, die aus dem Mercosur stammen, unerlässlich, solange Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll bestehen175. Damit eine zu importierende Ware in den Genuss des Freihandels kommen kann, muss ein Ursprungszeugnis beweisen, dass es sich um eine im Mercosur hergestellte Ware handelt176. Die ohnehin traditionell konfliktbeladene Bestimmung des Ursprungslandes wird durch die Tatsache erschwert, dass Produkte heutzutage aufgrund niedriger Transportpreise aus Bauteilen zusammengesetzt sind, die aus verschiedenen Ländern 172

M. w. N.: A. Haller, Mercosur, S. 53; U. Wehner, Der Mercosur, S. 159. Dass die Europäische Union eine Zollunion darstellt, ist unbestritten, vgl. etwa T. Oppermann, Europarecht, S. 408 Rn. 5, S. 409 Rn. 8; C. Waldhoff, Art. 23 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 5; N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 1; F. Emmert, Europarecht, S. 318; R. Streinz, Europarecht, S. 327 Rn. 856. 174 Wie zutreffend festgestellt wird, vgl. A. Haller, Mercosur, S. 92; F. GonzálezOldekop, La integración y sus instituciones, S. 214 f. 175 E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 176 f.; M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 158; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 74; L. Dromi San Martino, El Mercosur y el Derecho Internacional de Comercio, in: A. Lattuca/M. Á. Ciuro Caldani, (Hrsg.), Economía globalizada y Mercosur, 1998, S. 154; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 184; A. Haller, Mercosur, S. 64; vgl. bereits Hinweise in Fn. 7 (2. Teil). Aus diesem Grund beschränkt sich der Anwendungsbereich der derzeit gültigen Mercosur-Ursprungsregeln auf Waren, die noch vom gemeinsamen Außenzoll ausgenommen sind, vgl. Art. 2 des Anhangs der Ratsentscheidung 41/04. 176 Art. 14 des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. 173

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der Welt stammen, was die Bestimmung des Ursprungslandes zu einer komplizierten Angelegenheit macht177. Andererseits können die Ursprungsregeln als nichttarifäre Handelshemmnisse eingestuft werden, wenn sie dazu missbraucht werden, einer Ware gezielt ein bestimmtes Ursprungsland zuzuweisen, um ihr einen höheren Zoll aufzuerlegen178. Die Ursprungsregeln waren bereits im Anhang II des Vertrags von Asunción niedergelegt und wurden in zahlreichen Ratsentscheidungen abgeändert179. Heute gilt Ratsentscheidung 1/04, welche die meisten bisher geltenden Regelungen in einer Vorschrift zusammenfasst180. Neben der Definition die Mercosur-Ursprungsregeln (Régimen de Origen Mercosur) regelt sie die Ausstellung der Ursprungzeugnisse und legt Sanktionen für Fälschung oder fehlerhafte Kontrolle der Ursprungszeugnisse fest181. Régimen de Origen Mercosur gemäß Ratsentscheidung 1/04 Wie erwähnt sind Ursprungsregeln notwendig, solange noch Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll bestehen. In den Anwendungsbereich der Ratsentscheidung fallen folgerichtig Waren, die bisher vom gemeinsamen Außenzoll ausgenommen sind oder die Bauteile enthalten, die vom gemeinsamen Außenzoll ausgenommen sind, solange diese mindestens 40% des Preises des Endproduktes ausmachen182. Soweit noch Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll bestehen, kann eine Überprüfung der Ursprungszeugnisse Sicherheit geben, dass eine Ware, die aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt wird, tatsächlich Zollfreiheit genießt, weshalb die Staaten berechtigt sind, noch bis Ende 2010 auch für Waren aus dem Mercosur Ur177 Hierauf verweisen: E. Navarro Varona, zitiert nach R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 306; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, 1998, S. 32; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 71. 178 In diesem Sinne E. Navarro Varona, zitiert nach R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 306 f. 179 Vgl. Ratsentscheidung 6/94 (geändert durch Ratsentscheidungen 23/94, 16/97 und 5/96, letztere wiederum geändert durch die Richtlinie der Handelskommission 8/97); Ratsentscheidungen: 16/97, 21/98, 3/00, 41/00, 4/02, 24/02, 18/03; Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 27/01; Richtlinien der Handelskommission: 12/96, 12/97, 15/99, 4/00; alle aufgehoben durch Ratsentscheidung 1/04. 180 Zudem sind folgende Ratsentscheidungen zu beachten: 23/94, 17/03, 29/03, 41/04, 2/04, 3/05, 20/05. 181 Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. 182 Art. 2 des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. Des Weiteren sind die Ursprungsregeln anzuwenden, wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten unterschiedliche Handelspolitik gegenüber Drittstaaten anwenden oder in von der Handelskommission bestimmten Fällen, vgl. Art. 2 S. 3 und 4 des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04.

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sprungszeugnisse zu verlangen183. Es wird konstatiert, dass Kontrollen von Ursprungszertifikaten innerhalb des gemeinsamen Zollgebiets mit einer Zollunion nicht vereinbar sind und ein Hindernis des freien Handels darstellen184. Tatsächlich kann aber auch in der Europäischen Union ein so genannter Positivbeweis für die Eigenschaft einer Ware als Gemeinschaftsware verlangt werden185. Dass bis zum 1. Januar 2011 auch im MercosurBinnenhandel für sämtliche Produkte Ursprungszertifikate verlangt werden können, steht insoweit im Einklang mit dem Vorhaben, bis zu diesem Datum den Großteil der Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll beseitigt und die Zollunion vollendet zu haben. Vereinfacht dargestellt haben folgende Waren ihren Ursprung im Mercosur: a) Mineralien oder Produkte der Tier- und Pflanzenwelt, der Jagd und der Fischerei, welche aus einem Mitgliedstaat oder dessen Hoheitsgewässer entstammen186. b) Produkte der Fischerei, die außerhalb der eigenen Hoheitsgewässer, aber von einem unter der Flagge eines Mitgliedstaates fahrenden Schiffes oder durch ein Schiff, das von einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen gemietet wird, gewonnen werden187. c) Produkte, die von einem Mitgliedstaat rechtmäßig aus dem Meeresboden gewonnen werden188. d) Von den Mitgliedstaaten oder Bürgern der Mitgliedstaaten im Weltall gewonnene Produkte189. 183 Art. 3 der Ratsentscheidung 69/00 und Art. 2 Abs. 2 des Anhangs der Ratsentscheidung 18/03 i. V. m. Art. 1 der Ratsentscheidung 20/05. 184 INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 3 (1997), S. 20 f.; E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 178 f. 185 Art. 313 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission v. 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. 1993 Nr. L 253/1. 186 Art. 1 lit. b Nr. I des Anhangs II des Vertrags von Asunción i. V. m. Art. 3 lit. a Nr. I–V, VII des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. Entspricht I. C. Rules of Origin Nr. 2 des Anhangs D1 der Konvention von Kyoto (International Convention on the Simplification and Harmonization of Customs Procedures von 1973 v. 18.05.1973, hierzu J. Witker, Las reglas de origen en los Tratados de Libre Comercio, 2002, S. 33 ff.). Vgl. auch die Analogie zu Art. 23 Abs. 2 lit. a–e der EG-Verordnung 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. 1992 Nr. L 302/1, zuletzt geändert durch Verordnung Nr. 648/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.04.2005, ABl. 2005 Nr. L 117/13 (im Folgenden Verordnung 2913/92). 187 Art. 1 lit. b Nr. II des Anhangs II des Vertrags von Asunción i. V. m. Art. 3 lit. a Nr. VI, VIII des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. Vgl. auch die Analogie zu Art. 23 Abs. 2 lit. e und f der Verordnung 2913/92. 188 Art. 3 lit. a Nr. IX des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. Vgl. auch die Analogie zu Art. 23 Abs. 2 lit. h der Verordnung 2913/92.

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e) Verwertbare Produktionsabfälle. Sie werden dem Mitgliedstaat zugerechnet, in dem sie zusammengetragen werden190. f) Produkte, die vollständig im Territorium eines der Mitgliedstaaten hergestellt wurden, unter Verwendung von Einsatzmaterialien, die ebenfalls ausschließlich aus einem der Mitgliedstaaten stammen191. g) Produkte, deren Einsatzmaterialien nicht aus den Mitgliedstaaten stammen, aber innerhalb des Mercosur derart verändert werden, dass sie ein neues Produkt im Sinne der Mercosur-Zollnomenklatur darstellen192. Dabei darf es sich nicht lediglich um das Zusammensetzen von Bausätzen, Umetikettieren, Verpacken oder Ähnliches handeln193. h) Auch wenn keine Veränderung stattfindet, die ein Wechsel der Zollposition bewirkt, so gilt eine Ware als im Mercosur hergestellt, wenn mindestens 60% der Einsatzmaterialien oder Bauteile, gemessen am Exportpreis des Endprodukts aus dem Mercosur stammen194; selbst dann, wenn die Produkte im Mercosur lediglich zusammengesetzt oder montiert werden195. Einsatzmaterialien, die aus einem Mitgliedstaat der Andengemeinschaft kommen, gelten als aus dem Mercosur stammend. 189

Art. 3 lit. a Nr. X des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. Art. 3 lit. a Nr. XI des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. Vgl. auch die Analogie zu Art. 23 Abs. 2 lit. i der Verordnung 2913/92. 191 Art. 1 lit. a des Anhangs II des Vertrags von Asunción i. V. m. Art. 3 lit. b des Anhangs der Ratsentscheidung 18/03. Entspricht I. C. Rules of Origin Nr. 2 des Anhangs D1 der Konvention von Kyoto (wholly produced-/wholly obtained-Kriterium). Vgl. auch die Analogie zu Art. 23 Abs. 1 der Verordnung 2913/92. 192 Art. 1 lit. c des Anhangs II des Vertrags von Asunción i. V. m. Art. 3 lit. c des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04 (der Vertrag von Asunción kannte noch keine Mercosur-Zollnomenklatur, weshalb sich der Wechsel der Zollposition im Vertrag von Asunción nach der ALADI-Nomenklatur bezieht). Vgl. die Analogie zu Art. 24 der Verordnung 2913/92. 193 Art. 1 lit. c des Anhangs II des Vertrags von Asunción i. V. m. Art. 4 des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. Entspricht I. C. Rules of Origin Nr. 6, 8 und 9 der Konvention von Kyoto. Vgl. auch die Analogie zu Art. 25 der Verordnung 2913/92. 194 Art. 1 lit. d und Art. 2 des Anhangs II des Vertrags von Asunción i. V. m. Art. 3 lit. d des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. Das gilt auch für Kapitalgüter, obwohl die Ratsentscheidung 6/94 für Kapitalgüter noch einen Mindestanteil von 80% vorsah (Art. 3). Die später erlassene Ratsentscheidung 23/94 reduziert den Wert auf 60%, welcher von Ratsentscheidung 1/04, Art. 3 lit. f beibehalten wird. Eine Ausnahme gilt für Paraguay: Güter, die Paraguay exportiert, gelten bis zum Jahr 2008 bzw. 2014 als Mercosur-Waren und profitieren von der Zollfreiheit, wenn nur ein Anteil von 40% bzw. 50% der Einsatzmaterialien aus dem Mercosur stammt, vgl. Art. 1 der Ratsentscheidung 29/03. Einsatzmaterialien, die aus einem Mitgliedstaat der Andengemeinschaft stammen, gelten als aus dem Mercosur stammend, vgl. Art. 2 der Ratsentscheidung 41/03. 195 Art. 3 lit. e des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. 190

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Die Analogie zu den Ursprungsregeln, wie sie in Art. 23 ff. des EUZollkodex (Verordnung 2913/92)196 niedergelegt sind, ist kein Zufall197. Anders als in den EU-Ursprungsregeln werden im Mercosur jedoch zwei im internationalen Handelsrecht bekannte Ansätze zur Bestimmung des Warenursprungs kombiniert: Eine Ware, deren Einsatzmaterialien nicht ausschließlich aus dem Mercosur stammen, hat ihren Ursprung dennoch im Mercosur, wenn entweder die letzte wesentliche Be- oder Verarbeitung im Mercosur stattgefunden hat, so dass eine neue Ware nach der Kodifizierung der Zollnomenklatur entstanden ist, oder der Anteil heimischer Einsatzmaterialien mindestens 60% beträgt198. Letztes Kriterium findet sich im EU-Zollkodex nicht199. Sonderregelungen (requisitos específicos) gelten für Produkte der Montanindustrie sowie des Telekommunikations- und Informatiksektors, für die regelmäßig beide Tatbestände gegeben sein müssen200. Die Handelskommission wurde ermächtigt, in gerechtfertigten Fällen und nur ausnahmsweise für weitere Güter gesonderte Ursprungserfordernisse festzulegen, welche vorrangig gegenüber den allgemeinen Ursprungsregeln gelten201. Weil der Mercosur eine Präferenzzone innerhalb der ALADI ist, gelten die in der ALADI-Resolution Nr. 78202 niedergelegten Ursprungsregeln nur insoweit, als der Mercosur keine eigenen Regeln aufstellt. Diese dürfen strenger, aber nicht weniger streng als die ALADIRegeln203 sein. 196

Vgl. bereits Fn. 186 (2. Teil). Zum EU-Zollkodex vgl. C. Waldhoff, Art. 23 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 19 f. 197 J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 399; die Ähnlichkeit zum EUZollkodex erkennen auch A. Loschky, Mercosur und EU, S. 62; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 86. 198 INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), 19; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 298; J. Witker, Las reglas de origen en los Tratados de Libre Comercio, S. 35 ff. 199 Was vermutlich im Zusammenhang steht mit der schwierigen Festlegung der genauen in Preisen gemessenen Anteile der Einsatzmaterialien, die von schwankenden Weltmarktpreisen und Wechselkursen abhängen, hierzu J. Witker, Las reglas de origen en los Tratados de Libre Comercio, S. 40 f. 200 Art. 4 und 5 der Ratsentscheidung 6/94 und Anhang I der Ratsentscheidung 23/94 i. V. m. Anhang I der Ratsentscheidung 1/04. 201 Art. 3 des Anhangs II des Vertrags von Asunción i. V. m. Art. 3 lit. g und Art. 5 des Anhangs der Ratsentscheidung 18/03. 202 Régimen General de Origen de la ALADI, Texto Consolidado y Ordenado de la Resolución 78 del Comité de Representantes que establece el Régimen General de Origen de la Asociación, que contiene las disposiciones de las Res. 227, 232 y de los Acuerdos 25, 91 y 215 del Comité de Representantes, abrufbar unter: http://www.aladi.org. 203 Art. 6 der ALADI-Resolution Nr. 78.

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Ursprungszertifikate werden von einer von den Mitgliedstaaten benannten offiziellen Stelle oder von einer von dieser ermächtigten und kontrollierten Berufsvereinigung auf nationaler, bundesstaatlicher oder kommunaler Ebene ausgestellt204. Die Zertifizierungsstellen werden in Listen bei der ALADI und der Mercosur-Handelskommission geführt205. Die Zeugnisse werden aufgrund der vom Exporteur gemachten Angaben, deren Richtigkeit dieser an Eides statt versichern muss, ausgestellt206 und haben eine Gültigkeit von 180 Tagen207. Die Ratsentscheidung 1/04 sieht einen ausgefeilten Mechanismus zur Überprüfung der Richtigkeit von Ursprungszertifikaten vor, wenn die zuständige Stelle des importierenden Staates die Echtheit oder Richtigkeit eines solchen Zertifikates in Frage stellt208. Im Gegensatz zum EU-Zollkodex209 sind zudem Strafen für die Fälschung oder unrichtige Ausstellung von Ursprungszertifikaten vorgesehen210. Danach können Produzenten und Exporteure bis zu 18 Monaten und im Wiederholungsfalle unbeschränkt vom Handel im Mercosur ausgeschlossen werden. Der Ausstellungsstelle für Ursprungszertifikate kann die Lizenz entzogen werden211. e) Schutzklauseln Abgesehen von der Bestimmung des zu zahlenden Zolls ist die Definition des Ursprungs einer Ware unter anderem auch Voraussetzung, um den Wert der Ware zu ermitteln, die Ware zu klassifizieren oder um Antidumpingoder Schutzmaßnahmen aufzuerlegen212, welche besonders gerne von den entwickelten Industrieländern angewendet werden213.

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Art. 11 Abs. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. Art. 11 Abs. 2 und 3 und Art. 12 des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. 206 Art. 15 des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. Art. 15 enthält detaillierte Bestimmungen über die Informationen, die der Exporteur beibringen muss. Unter anderem: Position des Endproduktes in der Mercosur-Zollnomenklatur, Exportwert FOB, Beschreibung des Produktionsprozesses, Angabe der verarbeiteten Materialien/Bauteile, die aus dem Exportland stammen, und solcher, die aus dem Mercosur stammen, sowie die aus dritten Ländern stammen, Angabe des jeweiligen Zollkodes der Mercosur-Zollnomenklatur und des CIF-Werts in US-Dollar. 207 Art. 15 Abs. 3 des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. 208 Art. 18–44 des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. 209 Hierauf verweist J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 398. 210 Vgl. Art. 45 ff. der Ratsentscheidung 1/04. 211 Art. 46 f. des Anhangs der Ratsentscheidung 1/04. 212 R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 300 f. 213 P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 32. 205

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Letztere werden im internationalen Wirtschaftsrecht auch als escape clauses oder saveguard measures bezeichnet214. Es handelt sich hierbei um ein übliches Mittel in internationalen Handelsverträgen, welches ausnahmsweise das vorübergehende Aussetzen der eingegangenen Verpflichtungen erlaubt, wenn eine unerwartete und für die nationale Wirtschaft gefährdende Situation eintritt oder einzutreten droht215. Eine mögliche Schutzmaßnahme ist gemäß Art. 5 Abs. 1 des WTO-Abkommens über Schutzmaßnahmen die mengenmäßige Importbeschränkung, wobei die Importquote durch die Anwendung der Maßnahmen nicht unter den Durchschnitt der letzten drei Jahren sinken darf. Schutzklauseln unterscheiden sich von so genannten Antidumping- oder Ausgleichsmaßnahmen (medidas compensatorias) darin, dass sie nicht zur Abwehr von bestimmten, als unrechtmäßig betrachteten Handlungen wie etwa dem Dumping oder staatlichen Beihilfen dienen216. In der Literatur werden entsprechend ihrem Schutzgegenstand vier Typen von Schutzklauseln unterscheiden: a) solche zur Abwendung eines gravierenden Schadens eines heimischen Industriesektors, also zum Schutz der heimischen Produktion eines bestimmtes Gutes, b) solche, die bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten angewendet werden können, c) Zugeständnisse für Entwicklungsländer und d) solche, die generell bei einer schweren wirtschaftlichen Schieflage in Betracht kommen217. Gemäß Art. 3 Abs. 1 des WTO-Abkommens über Schutzmaßnahmen muss ein Staat, der sich auf das Abkommen beruft, die Gründe für das Anwenden von Maßnahmen offen legen und gemäß Art. X GATT veröffentlichen. Die Dauer der Anwendung soll vier Jahre nicht überschreiten218. 214 Sie werden auch den nichttarifären Handelshemmnissen zugeordnet, vgl. P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 18 ff.; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 31. Zu den nichttarifären Handelshemmnissen vgl. nächster Gliederungspunkt, Teil 2, I. 2. f). 215 Vgl. Art. XIX GATT und das WTO-Abkommens über Schutzmaßnahmen (Safeguards Agreement), ABl. 1994, Nr. L 336/184. Hierzu W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, S. 266 ff. Rn. 640 ff., 644 ff., S. 298 ff. Rn. 706 ff. Dabei handelt es sich im Grunde nach um die Anwendung der Völkerrechtsregel „clausula rebus sic stantibus“ (Art. 62 WVRK), vgl. Ariosto Gonzáles, Tratado de Derecho Aduanero Uruguayo, 1964, S. 492, zitiert nach R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 344. 216 R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 350; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 34 ff. Zu Antidumpingmaßnahmen unten, Teil 3, III. 3. 217 L. Bizzozero/T. Vera, De Asunción a Ouro Preto, S. 9; M. Halperin, Las medidas de salvaguardia en el GATT y en esquemas de integración económica entre países industrializados, Integración Latinoamericana Nr. 128 (1987), S. 42 ff. Länger Fristen für die Anwendung von Schutzmaßnahmen durch Entwicklungsländer sieht Art. 9 Abs. 2 WTO-Abkommens über Schutzmaßnahmen vor. 218 Art. 7 Abs. 1 des WTO-Abkommens über Schutzmaßnahmen. Auf keinen Fall darf eine Schutzmaßnahme länger als acht Jahre angewendet werden (Art. 7 Abs. 3).

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Auch der Vertrag von Asunción sieht in Art. 3 vor, bis zum Ende der Übergangszeit und nach Maßgabe der Bestimmungen in Anhang IV des Vertrags Schutzklauseln zuzulassen. Gegenüber den WTO-Regeln enthält der Vertrag von Asunción strengere Vorschriften. Zwar war es den Mitgliedstaaten ausnahmsweise erlaubt, Schutzmaßnahmen zu erlassen, wenn der Import eines bestimmten Produktes einen schweren Schaden in der Volkswirtschaft des importierenden Staates verursachte oder zu verursachen drohte oder wenn sich ein Land in einer schweren wirtschaftlichen Schieflage befand219. Doch konnte der jeweilige Staat die Anwendung von Maßnahmen nicht selbst bestimmen, sondern lediglich die Gruppe Gemeinsamer Markt benachrichtigen220, welche die Maßnahmen unter Berücksichtigung vorgegebener Kriterien genehmigen musste221. Eine lediglich die Wirtschaft bedrohende Situation reichte nicht aus, um Schutzklauseln im Mercosur zu rechtfertigen. Vielmehr musste ein erheblicher Schaden (daño grave)222 drohen oder eingetreten sein oder sich die Wirtschaft eines Landes in schwerwiegenden Schwierigkeiten (graves dificultades)223 befinden. Die Formulierung im Vertrag von Asunción ließ im Übrigen keine Schutzklauseln als Zugeständnisse an wirtschaftlich schwächere Länder zu, wie dies im internationalen Wirtschaftsrecht möglich ist224. Vielmehr sollten durch die ehrgeizige und schnelle Liberalisierung entstehende kurzfristige „Schockreaktionen“ in bestimmten Wirtschaftssektoren abgemildert werden225. Zudem durften Schutzmaßnahmen längstens bis zum 31. Dezember 1994 jeweils nur für ein Jahr genehmigt werden226. Bis zum Ende der Übergangszeit war Argentinien das einzige Mercosur-Land, welches Gebrauch von dieser Regelung machte227. Teilweise wird in der Literatur die Mög219 Art. 1, 2 und 7 des Anhangs IV des Vertrags von Asunción. Vgl. die Ähnlichkeit zu Art. XIX GATT. 220 Art. 2 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 des Anhangs IV des Vertrags von Asunción. 221 Art. 3 und Art. 7 Abs. 2 des Anhangs IV des Vertrags von Asunción. Im Fall, dass innerhalb von 20 Tagen keine Einigung zustande kam, war das Importland einseitig berechtigt, eine Importquote für längstens ein Jahr festzulegen, die aber in Anlehnung an Art. 5 Abs. 1 des WTO-Abkommens über Schutzmaßnahmen keinesfalls unter den Durchschnitt der letzten drei Jahren liegen durfte (Art. 4 Abs. 2 des Anhangs IV des Vertrags von Asunción). Eine ausführlichere Darstellung des Verfahrens findet sich bei W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 81 ff. 222 Art. 2 des Anhangs IV des Vertrags von Asunción. 223 Art. 7 des Anhangs IV des Vertrags von Asunción. 224 Vgl. bereits Fn. 217 (2. Teil). 225 W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 81. 226 Art. 5 des Anhangs IV zum Vertrag von Asunción. Ausnahmen gelten gemäß Art. 4 Abs. 2 der Ratsentscheidung 7/94 und Art. 3 der Ratsentscheidung 8/94. 227 R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 353 f.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

lichkeit gesehen, Schutzmaßnahmen weiterhin gemäß WTO-Recht anzuwenden228. Das Mercosur-Recht ist jedoch sowohl als lex posterior als auch als lex specialis gegenüber den WTO-Verträgen als vorrangig anzuwenden, weshalb diese Sichtweise nicht unterstützt werden kann229. Das dritte Mercosur-Schiedsurteil stellte diesbezüglich klar, dass nur dann Regeln des internationalen Rechts anwendbar seien, wenn es im MercosurRecht ein vacío legal – ein Rechtsvakuum – gäbe, wenn also eine Materie nicht abschließend geregelt wäre, was aber hinsichtlich der Schutzklauseln nicht der Fall sei230. Das Schiedsgericht führte allerdings aus, dass die Vertragsstaaten grundsätzlich befugt seien, gemeinsam spezielle Regelungen zu treffen, die die Anwendung von Schutzmaßnahmen auch nach dem Ende der Übergangszeit entgegen dem klaren Verbot in Art. 5 Abs. 2 des Anhangs IV des Vertrags von Asunción ausnahmsweise erlauben231. Damit ist das Mercosur-Recht an dieser Stelle strenger als die Bestimmungen des EG-Vertrags, der die Möglichkeit der Anwendung von Schutzklauseln insbesondere vorsieht, wenn gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren auftreten232. Allerdings dürfen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur im Falle einer plötzlichen Zahlungsbilanzkrise einseitig, also ohne Ermächtigung des Rates oder der Kommission Schutzmaßnahmen erlassen233. 228 R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 354; INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), S. 19 Fn. 22. 229 Gegen die Möglichkeit, nach dem 31.12.1994 Schutzmaßnahmen anzuwenden, auch: R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 66; M. Á. Ekmekdjian, Introducción al Derecho Comunitario Latinoamericano, S. 206; M. C. Boldorini/S. Czar de Zalduendo, La estructura jurídica-internacional del Mercosur, S. 75; P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 18, 31. Die Ratsentscheidung 17/96 ermächtigt die eigens gegründete Wirtschaftsschutzkommission (Comité de Defensa Comercial y Salvaguardias) allerdings, Schutzmaßnahmen gegenüber dritten Staaten zu erlassen, welche denjenigen des Art. XIX GATT entsprechen (Art. 1 und 4). Solche werden in Abstimmung mit dem Saveguard Committee der WTO und der Regierung des betroffenen Landes beschlossen. Hierzu R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 66 ff. 230 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. I. 231 3. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 10.03.2000 (Schutzklauseln), Punkt III. D 2; III. E; III. F 3; III. H 3; IV D; IV F. Da es aber in dem Fall keine einschlägigen speziellen Regelungen gäbe, sei das im Vertrag von Asunción genannte Datum als verbindlich anzusehen, weshalb die nach dem 31.12.1994 hinaus von Argentinien angewandten Schutzmaßnahmen gegen Mercosur-Recht verstießen (Punkt III. H 3; III. I; IV. F.). 232 Art. 100, Abs. 1, Art. 119 Abs. 3, Art. 120 Abs. 1, Art. 134 EGV. Grundsätzlich sind Schutzklauseln seit dem Ende der Übergangszeit in der Europäischen Union allerdings verboten, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 410. 233 Art. 120 Abs. 1EGV. Vgl. auch P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 353.

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Gegenüber Importen aus Drittstaaten einigte man sich auf ein gemeinsames Vorgehen. Die Ratsentscheidung 17/97 ermöglicht die mercosurweite und WTO-konforme Festlegung von Schutzmaßnahmen, wenn die Importquote eines bestimmten Produktes so stark steigt, dass die heimische Produktion in der Region stark geschädigt wird oder zumindest die konkrete Gefahr einer Schädigung besteht. f) Nichttarifäre Handelshemmnisse Da der Vertrag von Asunción den Vertragsstaaten vorschreibt, neben den Zöllen unmittelbar den Warenverkehr betreffende nichttarifäre Handelshemmnisse abzuschaffen, wird der Abschaffung der nichttarifären Handelshemmnisse eine ebenso große Bedeutung wie der Abschaffung der Zölle beigemessen234. Obwohl bis zum Ende der Überganszeit auch alle nichttarifären Handelshemmnisse beseitigt sein sollten235, wurde im Unterschied zur Abschaffung der innergemeinschaftlichen Zölle bezüglich der Abschaffung der nichttarifären Handelshemmnisse kein Automatismus vorgegeben, was naturgemäß mit der Tatsache zusammenhängt, dass die abzuschaffenden nichttarifären Handelshemmnisse zunächst einmal identifiziert werden müssen236, ein schwieriger und zeitaufwendiger Vorgang237. Zeitaufwendig ist zudem die 234 S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 37 f. Die besondere Bedeutung der nichttarifären Handelshemmnisse hebt auch der erste Erwägungsgrund der Präambel der Ratsentscheidung 17/97 hervor; P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 2, 17; R. Bouzas, El Mercosur: Una evaluación sobre su desarrollo y desafíos actuales, S. 203 erkennt in der Abschaffung nichttarifärer Handelshemmnisse eine „Schlüsselrolle“. Die nichttarifären Handelshemmnisse werden als insgesamt den Handel stärker beeinträchtigend angesehen als Zölle, vgl. R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 276. Auch im Europarecht wird der Beseitigung der Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßigen Beschränkungen für die Herstellung eines freien Binnenmarktes eine besondere Bedeutung beigemessen, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 415 Rn. 24; W. Schroeder, Art. 28, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 1, 4; A. Epiney, Art. 30 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1; D. Langner, C. VI, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 1. 235 Art. 5 lit. a des Vertrags von Asunción; Art. 10 Abs. 2 des Programms zur Handelsliberalisierung. 236 U. Wehner, Der Mercosur, S. 155; P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 10. 237 A. Haller, Mercosur, S. 61; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 69; P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 10, 34; nicht anders für das Europarecht T. Oppermann, Europarecht, S. 415 Rn. 24; D. Langner, C. VI, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 1.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

anschließende Beseitigung der gefundenen nichttarifären Handelsbeschränkungen, die Änderungen nationaler Vorschriften notwendig macht238. Art. 10 Abs. 1 des Programms zur Handelsliberalisierung bestimmt allerdings, dass die im Anhang des mit der ALADI geschlossenen A. C. E. Nr. 18 aufgelisteten nichttarifären Handelshemmnisse nur noch bis zum 31. Dezember 1994 angewendet werden dürfen239. Da ohnehin alle nichttarifären Handelshemmnisse bis zu diesem Datum abgeschafft sein sollten, erschließt sich der Sinn dieser Vorschrift auf dem zweiten Blick: Es gab von Anfang an eine Liste mit bereits definierten und ausdrücklich bis zum Ende der Übergangszeit abzuschaffenden nichttarifären Handelshemmnissen. Alle anderen nichttarifären Handelshemmnisse mussten tatsächlich erst identifiziert werden, weshalb die Beseitigung sämtlicher nichttarifärer Handelshemmnisse nur langsam vorangeht und bis heute nicht abgeschlossen ist240. In der Ratsentscheidung 3/94 einigte man sich darauf, dem Intra-Mercosur-Handel keine weiteren Restriktionen aufzuerlegen241, und verabschiedete eine weitere Liste mit 277 ursprünglich bis zum Ende der Übergangszeit zu beseitigenden nichttarifären Handelshemmnissen242. Die Liste identifiziert für jeden Mitgliedstaat abzuschaffende oder durch Harmonisierung zu beseitigende staatliche Maßnahmen oder Vorschriften. Es wurden der Gruppe Gemeinsamer Markt und der Handelskommission unterstehende Fachausschüsse und Arbeitsgruppen gegründet, welchen die Aufgabe zukommt, die Liste regelmäßig zu aktualisieren und über deren Einhaltung zu wachen243. Die ursprünglich gesetzte Frist, bis Ende 1994 alle nichttarifären 238 Hierauf verweisen P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 32. 239 Art. 10 Abs. 1 des Programms zur Handelsliberalisierung. 240 Übereinstimmend zuletzt noch W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 69. Allerdings wurde die Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse bereits 1995 als „weitgehend verwirklicht“ eingestuft, vgl. B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 95. 241 Art. 4 Ratsentscheidung 3/94; Art. 6 der Ratsentscheidung 17/97. 242 Hierzu B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 144 f. 243 Art. 1 und 2 der Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 123/94 i. V. m. Art. 1 und 2 der Entschließung 32/95. Das so genannte technische Komitee Nr. 8 ist dabei die Anlaufstelle für alle gesammelten Daten, vgl. Art. 1 u. 4 der Entschließung 31/95. Wichtige von dem technischen Komitee Nr. 8 identifizierte nichttarifäre Importbeschränkungen sind für Argentinien: Kontingente für bestimmte Fahrzeugtypen und Genehmigungserfordernisse für den Import von Düngemitteln; für Brasilien: Gesundheitsschutzvorschriften für Lebensmittel, Etikettier- und Verpackungsvorschriften für Früchte und Gemüse, Genehmigungserfordernisse für den Import von Waffen; für Paraguay: Importverbot für Industrieabfälle oder Giftmüll, Registrierungserfordernisse für pharmazeutische Produkte; für Uruguay: Registrie-

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Handelshemmnisse abzuschaffen, wurde für die als besonders wichtig empfundenen nichttarifären Handelshemmnisse bis 1999 verlängert und weitere Verhandlungen in den jeweiligen Fachausschüssen für die übrigen vorgesehen244. Das erste Mercosur-Schiedsgericht bekräftigte, dass bis zum 31. Dezember 1999, also bis zum Ende der Anpassungsordnung, alle nichttarifären Handelshemmnisse beseitigt sein sollten, da ihr Fortbestehen das Fundament des Mercosur in Frage stellen würde245. Während in der Europäischen Union, wie dargestellt wurde, erst die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erkennen lies, was unter dem Verbot der mengenmäßigen Beschränkung und Maßnahmen gleicher Wirkung zu verstehen ist246, wird im Mercosur das Konzept der nichttarifären Handelshemmnisse primärrechtlich definiert247 und noch zu beseitigende nichttarifäre Handelshemmnisse in Listen identifiziert. Diese Listen enthalten jedoch keine abschließende Aufzählung sämtlicher im Mercosur findbarer versteckter Handelsbeschränkungen, sondern lediglich die bereits bekannten; denn der Prozess der Identifizierung nichttarifärer Handelshemmnisse ist nicht zu irgendeinem Zeitpunkt abgeschlossen. Bis zu einer umfassenden Rechtsharmonisierung können vielmehr jederzeit neue nichttarifäre Handelshemmnisse entdeckt werden oder durch veränderte innerstaatliche Vorschriften neu entstehen248. Wenngleich der Fortschritt bei der Beseitigung verdeckter Handelsbeschränkungen nicht so zügig wie bei der Abschaffung der Binnenzölle249 rungserfordernisse für pharmazeutische Produkte, Importregelungen insbesondere für Agrarprodukte, Genehmigungserfordernisse für den Import von Flugzeugen und Waffen. Die Beispiele finden sich bei P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 15. 244 Art. 3 und 5 der Ratsentscheidung 17/97. 245 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 77. 246 Teil 2, I. 1., S. 212 ff. 247 Vgl. oben, S. 222. 248 In diesem Sinne für das EU-Recht T. Oppermann, Europarecht, S. 418 Rn. 35. Die Harmonisierung von Sicherheitsstandards und Vorschriften des Umwelt-, Verbraucher- und Pflanzenschutzes muss allerdings in gesonderten Abkommen vereinbart werden, R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 358. In der Literatur wurde unter anderem vorgeschlagen: die Vereinheitlichung von Rechnungen, Ursprungszeugnissen etc., Abschaffung jeglicher Zollformalitäten im Intra-Mercosur-Handel, Vereinheitlichung der Grenzkontrollen, insbesondere Vermeidung doppelter Kontrollen auf beiden Grenzseiten, Erstellung abgestimmter Listen verbotener Produkte, Reduzierung statistischer Maßnahmen auf ein Minimum; Abstimmung der Gesundheits-, Tier- und Pflanzenschutzkontrollen, Abstimmung der Vorschriften über Wechselkurse, vgl. M. Quiroga Obregón, Mercosur, S. 47 f. Viele der genannten Maßnahmen wurden breites verwirklicht, vgl. folgende Absätze. 249 So auch U. Wehner, Der Mercosur, S. 155.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

voranging, so sind doch inzwischen erhebliche Fortschritte zu verzeichnen250. Bis 1997 waren schon über die Hälfte der bis dahin identifizierten nichttarifären Handelshemmnisse beseitigt251. Das Abkommen von Recife252 regelt die Art und Weise der Intra-Mercosur-Grenzkontrollen, mit dem Ziel, den grenzüberschreitenden Verkehr von Waren und Personen zu erleichtern253. Die Ratsentscheidung 1/97 verabschiedet ein Abkommen zur Kooperation zwischen den Zollbehörden im Kampf gegen Zollvergehen254. Es wurden wie im EU-Recht gemeinsame Zollformulare zur Deklaration von zu verzollenden Gütern255 sowie für die vorübergehende Einführung von Waren256 entwickelt. In Ratsentscheidung 20/98 verpflichten sich die Mitgliedstaaten, eine schnellstmögliche Abfertigung von Im- und Exporten sicherzustellen257. Zudem wurden vereinheitlichte Vorschriften über die Zollabfertigung258 und Bestimmung der Zollwerte259 erlassen. Die Zusammenarbeit in Zollangelegenheiten wird neben der Einführung eines gemeinsamen Außenzolls als wesentliches Element einer Zollunion gesehen260. Ein umfassender Zollkodex (código aduanero), in dem ebenso wie im EU-Zollkodex 250 M. w. N. so auch J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 404; R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 71, 88. Anderer Ansicht noch: R. Bouzas, El Mercosur: Una evaluación sobre su desarrollo y desafíos actuales, S. 199 ff.; INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 10 (2005), S. 41 ff. (eher auf Rechtsangleichung bezogen); negativ auch J. C. Lascano, Las restricciones no arancelarias en el Mercosur, Revista de Estudios Aduaneros, Jhg. 6 (1996) Nr. 9, S. 37 ff., der als eine mögliche Ursache den Missbrauch der nichttarifären Handelshemmnisse zum Schutz der heimischen Wirtschaft vermutet. 251 INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 3 (1997), S. 21; P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 13. 252 Verabschiedet durch Ratsentscheidung 5/93, erweitert durch Ratsentscheidung 12/93; eine geänderte und konsolidierte Fassung wurde mit Ratsentscheidung 4/00 verabschiedet, welche nochmals durch Ratsentscheidung 5/00 geändert wurde. 253 In diesem Zusammenhang sind auch die Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt 3/94 und 8/94 zu beachten, die die Grenzpunkte im Mercosur festlegen, in denen solche integrierten Kontrollen stattfinden sollen. 254 Vgl. auch Ratsentscheidung 5/03, welche unter anderem ein gemeinsames Vorgehen gegen den Tabak- und Viehschmuggel vorsieht. 255 Das MIC/DTA (Manifiesto Internacional de Carga/Declaración de Tránsito Aduanero), vgl. Anhang der Ratsentscheidung 2/99, Punkt 2.2; Zollformular in Richtlinie der Handelkommission 4/95. Für das EU-Recht vgl. Verordnung Nr. 678/85 des Rates v. 18.02.1985 zur Vereinfachung der Förmlichkeiten im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, ABl. 1985, Nr. L 79/1. 256 Richtlinie der Handelskommission 3/95. 257 Art. 4 der Ratsentscheidung 20/98. 258 Ratsentscheidung 16/94, ersetzt durch Ratsentscheidung 50/04. 259 Vgl. Ratsentscheidung 17/94. Für das EU-Recht vgl. Art. 28–36 der Verordnung 2913/92. 260 A. Haller, Mercosur, S. 84.

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Zollformalitäten wie die Festlegung gleicher Methoden für die Bemessung des Zollwertes, die Installation integrierter Zollpunkte, die Vernetzung der Datenverarbeitungssysteme, Ursprungsregeln sowie Tatbestände und Strafen bei Verstößen geregelt sind, soll spätestens 2008 in Kraft treten261. Technische Regelungen, Verbraucher- und Umweltschutz Auch bei der Angleichung technischer Normen262 können spürbare Fortschritte verzeichnet werden263. Insgesamt sind ca. 43% aller Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt den technischen Regelungen zuzuordnen264. Die Vertragsstaaten haben bereits 1992 einen Fachausschuss für die technische Normierung265 und 1995 in San Pablo, Brasilien, einen Verein zur Normierung gegründet, der sich aus den Normierungs-Institutionen der vier Mitgliedstaaten zusammensetzt266. Die Normen haben ebenso wie die Normen der europäischen Normungsgremien267 privaten Charakter268. Es wurden zahlreiche Regelungen im Gesundheits- und Verbraucherschutz erlassen, beispielsweise für die Verpackung von Lebensmitteln269, für die Herstellung und Qualitätskontrolle von Medikamenten270 oder über Höchstgrenzen von Pestizidrückständen in Lebensmitteln271. Die Ratsentscheidung 261 Art. 4 lit. a der Ratsentscheidung 54/04. Eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe soll bis zum ersten Zusammentreffen des Rates im Jahr 2007 den Zollkodex ausarbeiten, vgl. Art. 3 der Ratsentscheidung 25/06. Ein solcher Zollkodex war bereits durch Ratsentscheidung 25/04 verabschiedet worden. Er ist jedoch nie in Kraft getreten. 262 Auf die wichtige Rolle, die der Angleichung technischer Standards für die Verwirklichung des freien Warenverkehrs zukommt, verweist E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 70. 263 R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 71, 88; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 40. 264 S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 40. 265 Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt Nr. 2/92. 266 Das sind: Instituto Argentino de Normalización, Associação Brasileira de Normas Técnicas, Instituto Nacional de Tecnología y Normalización (Paraguay) und Instituto Uruguayo de Normalización Técnica. Es handelt sich hierbei um eine so genannte Nichtregierungsorganisation, vgl. Ratsentscheidung 6/04, welche das durch Ratsentscheidung 12/99 verabschiedete Abkommen zwischen dem Mercosur und dem Verein für die technische Normierung in seiner Gültigkeit verlängert. 267 Vgl. CEN (Comité Européen de Normalisation); CENELEC (Comité Européen de Normalisation Electrotechnique); ETSI (European Telecommunications Standards Institute). 268 Für die europäischen Normungsinstitutionen so M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 347; D. Langner, C. VI, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 12 f. 269 Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt Nr. 3/92. 270 Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt Nr.: 4/92; 4/95. 271 Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt Nr.: 62/92, 23/94, 56/94.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

6/96 verabschiedet die Annahme des Abkommens über die Anwendung von Gesundheits- und Pflanzenschutzmaßnahmen im Rahmen der WTO, das den Umfang vorgibt, in welchem die Mitgliedstaaten Maßnahmen zum Gesundheits- und Pflanzenschutz anwenden dürfen. Zuvor hatte man bereits untereinander einen Vertrag über die Anwendung von Gesundheits- und Pflanzenschutzmaßnahmen geschlossen272, welcher den Mitgliedstaaten zwar nicht verbietet, notwendige Maßnahmen zum Schutz von Tieren und Pflanzen zu treffen. Es sollen aber versteckte Handelsbeschränkungen durch überflüssige oder doppelte Gesundheits- oder veterinärmedizinische Untersuchungen unterbunden werden273. Hierzu verpflichten sich die Staaten, Gesundheits- und Pflanzenschutzmaßnahmen weitestgehend anzugleichen274 und in anderen Staaten durchgeführte Untersuchungen als gleichwertig anzuerkennen275. Der später gegründete Fachausschuss für die Gesundheit von Tieren und Pflanzen sowie ein Komitee der Zollbehörden sollen die Arbeitsweise der jeweiligen nationalen Behörden überwachen und Vorschläge für gemeinsame Vorschriften an die Gruppe Gemeinsamer Markt richten276. Im Umweltbereich beschloss man ein gemeinsames Vorgehen bei Umweltvergehen277, ein Rahmenabkommen über den Umweltschutz278 sowie die Förderung sauberer Produktion nach deutschem Vorbild279. Damit geht man wie im Recht der Europäischen Union280 offenbar auch im Mercosur davon aus, dass der Umweltschutz als allgemeines Interesse eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen kann, weshalb Umweltschutzstandards möglichst angeglichen werden sollten. In dem Bewusstsein, dass unterschiedliche nationale Regelungen bezüglich des Transports gefährlicher Substanzen geeignet sind, den Warenaustausch zu behindern, wurde das Abkommen für den grenzüberschreitenden Verkehr gefährlicher Substanzen verabschiedet, welches sich den Empfehlungen der Weltschifffahrtsorganisation und der Internationalen Organisation für die zivile Luftfahrt anlehnt281. Man einigte sich auch auf eine Harmoni272

Verabschiedet durch Ratsentscheidung 6/93. Art. 2 Abs. 1 und 4 des Anhangs von Ratsentscheidung 6/93. 274 Art. 3 Abs. 1 des Anhangs von Ratsentscheidung 6/93. 275 Art. 4 des Anhangs von Ratsentscheidung 6/93; Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 60/99. 276 Art. 1–4 der Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 87/00. 277 Ratsentscheidungen 10/00 und 14/04. 278 Ratsentscheidung 2/01. 279 Ratsentscheidungen 3/02 und 9/02. 280 Vgl. EuGH v. 07.02.1985, Rs. 240/83 (ADBHU), Slg. 1985, 531, Rn. 15; EuGH v. 20.09.1988, Rs. 302/86 (Kommission/Dänemark – „Pfandflaschen“), Slg. 1988, 4607, Rn. 8; EuGH v. 09.07.1992, Rs. C-2/90, (Kommission/Belgien – Abfalltransport“), Slg. 1992 I, 4431, Rn. 32. 281 3. Erwägungsgrund des Anhangs der Ratsentscheidung 2/94. 273

I. Die Warenverkehrsfreiheit

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sierung der Sanktionen bei Verstößen gegen das Abkommen282. Auch wenn die Durchführung der Strafe den nationalen Organen vorbehalten bleibt283, vermindert die Regelung Willkür und national unterschiedliche Strafen für die gleiche Art der Verletzung284 und verringert damit auf unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Vorschriften beruhende Handelsverzerrungen. Statistiksteuer Kein nichttarifäres Handelshemmnis sind jedoch beim Grenzübertritt erhobene Abgaben, die lediglich eine angemessene Entgeltung von Zolldiensten darstellen, wie Art. 2 lit. a S. 2 des Programms zur Handelsliberalisierung ausdrücklich festhält285. An die Voraussetzung der Angemessenheit sind dabei strenge Anforderungen zu stellen286, so dass es sich bei den erlaubten Zolldiensten nur um Einzelfälle handeln kann287. Eine Statistiksteuer oder -gebühr in Höhe von bis zu 10% des Warenwertes, wie sie Argentinien seit 1961 auf alle eingeführten Waren erhob, wurde jedenfalls für eine nicht angemessene Entgeltung gehalten288 und von einem WTO-Panel 282

Art. 6 des Anhangs von Ratsentscheidung 8/97. Art. 3 Abs. 2 des Anhangs von Ratsentscheidung 8/97. 284 In diesem Sinne J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 400. 285 D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 153. Zur Statistiksteuer ausführlich R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 161. Nicht anders die Handhabe in der Europäischen Union, vgl. EuGH v. 01.07.1969, Rs. 24/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 193, Rn. 11; EuGH v. 01.07.1969, Rs. 2 und 3/69 (Sociaal Fonds/Brachfeld), Slg. 1969, 211, Rn. 20/21; EuGH v. 26.02.1975, Rs. 63/74 (Cadsky/Instituto Nazionale), Slg. 1975, 281, Rn. 6/8; EuGH v. 25.01.1977, Rs. 46/76 (Bauhuis/Niederlande), Slg. 1977, 5, Rn. 7/11; EuGH v. 08.11.1979, Rs. 251/78, (Denkavit/Minister für Ernährung), Slg. 1979, 3369, Rn. 30; EuGH v. 09.11.1983, Rs. 158/82 (Kommission/Dänemark), Slg. 1983, 3573, Rn. 19; EuGH v. 31.01.1984, Rs. 1/83 (IFG/Bayern), Slg. 1984, 349, Rn. 9; EuGH v. 02.05.1990, Rs. C-111/89 (Niederlande/Bakker), Slg. 1990 I, 1735, Rn. 16; EuGH v. 11.08.1995, Rs. C-16/94 (Dubois/General Cargo – „Durchfahrtsgebühr“), Slg. 1995 I, 2421, Rn. 15. Vgl. auch N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 14 ff. 286 So, für das EU-Recht m. w. N. N. Vaulont, Art. 25 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 15 ff. 287 Wie der Europäische Gerichtshof herausstellt, vgl. EuGH v. 01.07.1969, Rs. 2 und 3/69 (Sociaal Fonds/Brachfeld), Slg. 1969, 211, Rn. 20/21; EuGH v. 26.02.1975, Rs. 63/74 (Cadsky/Instituto Nazionale), Slg. 1975, 281, Rn. 6/8. 288 M. Halperin, Discriminación y no discriminación en los esquemas de integración económica. El caso del MERCOSUR, Integración Latinoamericana Nr. 195 (1993), S. 26 f.; J. C. Lipovetzky/D. A. Lipovetzky, Mercosur – Estrategias para la integración, S. 128; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 287; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 161 ff.; A. Haller, Mercosur, S. 63; Anhang der Entschließung der Gruppe Gmeinsamer Markt 123/94, Nr. 1. 283

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1997 als unvereinbar mit Art. VIII Abs. 1 lit. a GATT befunden289. Sie widerspricht auch dem in Art. 7 des Vertrags von Asunción festgelegten Gebot einer unterschiedslosen Besteuerung in- und ausländischer Waren, welcher Art. 90 EGV entspricht und in welchem das achte Mercosur-Schiedsgericht ein dem Art. 12 EGV vergleichbares allgemeines Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit erkennt290. Im Mercosur wird aufgrund dieser Statistiksteuer seit der Ratsentscheidung 5/94 nicht mehr von Zöllen gesprochen, sondern von „nominalen Gesamtzöllen“ (aranceles nominales totales) und die Entscheidung mit dem Hinweis versehen, dass im Fall von Argentinien der nominale Gesamtzoll als die Summe aus dem gewöhnlichen Zoll und der Statistiksteuer definiert ist. Koordinierung makroökonomischer Politiken Im Zusammenhang mit der Vermeidung nichttarifärer Handelshemmnisse (und der Beseitigung versteckter Beschränkungen der anderen Grundfreiheiten) stehen die Koordinierung makroökonomischer Politiken und die Rechtsangleichung, wie sie Art. 1 Abs. 2 des Vertrags von Asunción vorschreibt291. Ziel der Wirtschaftsintegration ist es, durch eine gemeinsame Handelspolitik die genannten Handelsbeschränkungen zu unterbinden292. Anders als der EG289 WT/DS56/R v. 25.11.1997. Ähnlich auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, vgl. EuGH v. 01.07.1969, Rs. 24/68 (Kommission/Italien), Slg. 1969, 193, Rn.18/19. 290 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt Considerando A. i). 291 3. Erwägungsgrund der Präambel der Ratsentscheidung 3/94; Zur funktionalen Verknüpfung zwischen Rechtsangleichung und der Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse vgl. E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 69 ff.; vgl. auch R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 44, 288 f.; M. Quiroga Obregón, Mercosur, S. 47 f.; T. Oppermann, Europarecht, S. 378 Rn. 5, S. 384 Rn. 22; S. 418 Rn. 35; D. Langner, C. VI, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 1. Zur Rechtsangleichung im Mercosur ausführlich R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 206 ff.; S. Feldstein de Cárdenas, „El Mercosur“: Bases para un instrumento de harmonización legislativa, Revista de la Facultad de Ciencias Jurídicas y Políticas, Jhg. XLVII (2001) Nr. 122, S. 169 ff.; insbesondere der Verbrauchssteuern: J. P. Montero Traibel, MERCOSUR – La armonización de los impuestos al consumo en los procesos de integración, 2000; C. M. Royg Arriola, Mehrwertsteuerharmonisierung in internationalen Integrationsräumen – Ein Entwurf für die Mehrwertsteuerharmonisierung im Mercosur im Vergleich mit der Europäischen Gemeinschaft, 2001; insbesondere der Verbraucherschutzvorschriften: R. A. Guidry, The need for MERCOSUL harmonization, Loyola of Los Angeles International and Comparative Law 24 (2002) Nr. 3, S. 361–389; D. Szafir, El Consumidor en el Derecho Comunitario – Proyecto de Protocolo de Defensa del Consumidor del Mercosur, 1998; Y. M. de Alencar Xavier, Die EG-Produkthaftungsrichtlinie – ein mögliches Modell für den MERCOSUL?, 1997, insb. S. 40 ff.

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Vertrag293 sieht der Vertrag von Asunción keine spezifischen Ermächtigungen der Rechtsangleichung vor. Die inhaltlich unbeschränkte294 Verpflichtung in Art. 1 Abs. 2 des Vertrags von Asunción zur für den Fortgang der Integration notwenigen Harmonisierung „einschlägiger Rechtsgebiete“ dient aber eher der Beschreibung der Aufgaben und weniger als Rechtsgrundlage, so wie Art. 3 EGV die Tätigkeitsfelder der Gemeinschaft definiert295. Neben den Vorschriften, die unmittelbar den grenzüberschreitenden Handel regeln, wie solche über die Abfertigung von Waren an Grenzen, muss insbesondere das Steuerrecht harmonisiert werden, um eine unterschiedslose Besteuerung inländischer und ausländischer Produkte sicherzustellen296, was der bereits erwähnte Art. 7 des Vertrags von Asunción ausdrücklich vorschreibt. Die Angleichung des Steuerrechts wird im Mercosur für eine der größten Herausforderungen gehalten297. Die Steuersysteme sind kompliziert und ineffizient und wurden durch zahlreiche Reformen von ihrer ursprünglichen Struktur abgebracht298, was eine Harmonisierung erschwert299. In Argentinien und Brasilien können aufgrund der föderalen Verfassungsstruktur und der damit verbunden Kompetenzverteilung zwischen Bund, Provinzregierungen und Städten Steuern auf allen Regierungsebenen erhoben werden, was eine Vergleichbarkeit und damit Harmonisierung erschwert300. Während in Argentinien, Paraguay und Uruguay bei der Mehr292 Art. 11 PLC; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 44; ähnlich auch E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 75. 293 Art. 94 f. EGV. 294 E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 77. 295 E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 72. Dies steht im Einklang mit der Tatsache, dass es aufgrund der nicht unmittelbaren Geltung von Mercosur-Recht im Mercosur kein Einheitsrecht gibt. Alle Organrechtsakte müssen von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden und wirken daher, wie dargestellt wurde, wie Richtlinien in der Europäischen Union (vgl. Teil 1, IV. 3., S. 141). Die Befugnisse der Organe sind aber sehr wohl eingegrenzt (vgl. Teil 1, II.). 296 J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 33, 57, 59; R. A. Gionco, Mercosur: Armonización de políticas fiscales y aduaneras, S. 101; C. C. Ameriso, Coordinación de políticas tributarias para la constitución del mercado ampliado, 89; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 286; J. A. Benítez Gómez, La supresión de las fronteras fiscales, S. 73; A. Barreix/L. Villela, Tributación en el MERCOSUR: Evolución, comparación y posibilidades de coordinación, 2003, S. 1, 7. 297 R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 211 f. 298 A. Barreix/L. Villela, Tributación en el MERCOSUR, S. 14. 299 Zu den Steuersystemen in den Mercosur-Mitgliedstaaten ausführlich J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 43–57; Barreix/L. Villela, Tributación en el MERCOSUR, S. 15 ff. 300 Ausführlich hierzu J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 43 ff., insb. S. 45 ff. und S. 50 ff.; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 211 ff.

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wertsteuer das Bestimmungslandprinzip angewendet wird, das Im- und Exporte nicht diskriminiert und das sich deshalb für junge Integrationssysteme besser eignet301, gilt in Brasilien das Ursprungslandprinzip302. Zudem erheben brasilianische Bundesstaaten eigene Mehrwertsteuern auf bestimmte Produkte nur, wenn sie aus dem Ausland importiert werden, was einer zollgleichen Abgabe entspricht303. In diesem Zusammenhang ist auch die Vereinheitlichung von Beihilferegelungen zu nennen, welchen ein eigenes Kapitel im Rahmen der Darstellung des Mercosur-Wettbewerbsrechts gewidmet wird304. Eine Form der Beihilfen, die nicht nur den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten verzerrt, sondern auch ein nichttarifäres Handelshemmnis darstellen kann, ist die Exportförderung305. Als Exportförderung gelten die volle oder teilweise Rückerstattung von Zöllen, die beim Export in ein anderes Land gezahlt werden306, oder aber vergünstigte staat301 J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 35, 59, 67; J. A. Benítez Gómez, La supresión de las fronteras fiscales, S. 72; C. C. Ameriso, Coordinación de políticas tributarias para la constitución del mercado ampliado, S. 90 f. Auf die unterschiedslose steuerliche Behandlung ganz oder nur teilweise im Inland hergestellter Waren nach dem Bestimmungslandprinzip verweist auch F. Emmert, Europarecht, S. 319. 302 J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 43 ff., 82; C. C. Ameriso, Coordinación de políticas tributarias para la constitución del mercado ampliado, S. 91 ff.; J. A. Benítez Gómez, La supresión de las fronteras fiscales, S. 80; H. Gonzáles Cano, Situación arancelaria y tributiaria del Mercosur, Boletín de la Dirección General Impositiva Nr. 522 1997, S. 957, zitiert nach R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 215. Es wird auf die bürokratischen Exporthürden in Brasilien hingewiesen vgl. I. G. Da Silva Martins Burocracias, Tributos e juros, Jornal Valor, 8., 9. u. 10.04.2004, abrufbar unter: http://www.academus.pro.br/profes sor/ivesgranda; ähnlich M. Brodsky, Armonización tributaria en el Mercosur, Revista Derecho del Mercosur Jhg. 2 (1998) Nr. 6, S. 75. 303 E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 174. Auf die unterschiedliche Besteuerung in- und ausländischer Produkte in Brasilien verweisen auch J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 50; C. C. Ameriso, Coordinación de políticas tributarias para la constitución del mercado ampliado, S. 95. 304 R. A. Gionco, Mercosur: Armonización de políticas fiscales y aduaneras, S. 102. Zum Mercosur-Beihilferecht vgl. Teil 3, III. 3. 305 P. Sanguinetti/M. Sallustro, Mercosur y el sesgo regional de la política comercial, S. 10; J. A. Benítez Gómez, La supresión de las fronteras fiscales, S. 74; Barreix/L. Villela, Tributación en el MERCOSUR, S. 85. Zum Verhältnis des Beihilfeverbots zur Warenverkehrsfreiheit, vgl. W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 344 f. Rn. 901 f.; vgl. auch Fn. 1276 (3. Teil). In der Mercosur-Literatur wird die Harmonisierung der Beihilferegelungen angemahnt, um die Zollunion nicht zu gefährden, vgl. M. Brodsky, Armonización tributaria en el Mercosur, Revista Derecho del Mercosur Jhg. 2 (1998) Nr. 6, S. 71, 73; E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 174 ff.; A. Barreix/L. Villela, Tributación en el MERCOSUR, S. 7. 306 Sogenanntes „drawback“, welchem sich die Konvention von Kyoto im Anhang E4 widmet, vgl. J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 69. Die Mitgliedstaaten sind der Konvention von Kyoto nicht beigetreten, vgl. W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 72.

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liche Kredite, der Nachlass von Steuern307 oder jedwede Form von staatlichen Produktionsbeihilfen308. Zwar sind Exportförderungsmaßnahmen im Mercosur nicht grundsätzlich verboten. Sie sind gemäß Art. 2 der Ratsentscheidung 10/94 jedoch seit dem 1. Januar 1995 nur noch in Abstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten anwendbar309 und unterliegen zudem den Bestimmungen des GATT310. Für den Intra-Mercosur-Handel ausdrücklich zulässig sind nach Ratsentscheidung 10/94 die staatliche Gewährung langfristiger Kredite zu international üblichen Zinssätzen, die Rückerstattung indirekter Steuern, solange bis das Steuerecht harmonisiert ist, sowie spezielle, als Beihilfen zu wertende Zollbestimmungen311. Fraglich ist, ob auch die Anwendung der ausdrücklich erlaubten Beihilfen der Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten bedarf. Dies geht eigentlich aus der klaren Formulierung des Art. 2 der Ratsentscheidung 10/94 hervor, wonach die Anwendung „jedweder“ neuer Maßnahmen der Exportförderung nach dem 1. Januar 1995 zwischen den Mitgliedstaaten abgestimmt werden muss. Nach Ansicht des zweiten Ad-hoc-Schiedsgerichts unterliegen jedoch nur solche Export- oder Produktionsbeihilfen der Konsultationspflicht, deren Anwendung nicht ausdrücklich erlaubt ist312. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, die gegenseitige Kontrolle solcher Maßnahmen zuzulassen und dafür Sorge zu tragen, dass keine weiteren, in dieser Vorschrift nicht vorgesehenen Export- oder Produktionsbeihilfen den intraregionalen Handel beeinträchtigen313. In Anlehnung an die Ratsentscheidung 10/94 befand das zweite Mercosur-Schiedsgericht ein Programm der Vorfinanzierung von Exporten in Brasilien als unzulässige Exportbeihilfe314. Die Kredite wurden von privaten Banken zu deutlich unter dem 307

J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 40, 59, 68. E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 185 ff.; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 524 f. 309 Art. 2 der Ratsentscheidung 10/94. 310 Art. 1 der Ratsentscheidung 10/94. Hier ist insbesondere das WTO-Abkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen zu berücksichtigen, wie auch das 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 85 feststellt. 311 Art. 12 i. V. m. Art. 4, 5, 6, 9, 10 und 11 der Ratsentscheidung 10/94. Bezüglich der Exporte nach Staaten, die nicht zum Mercosur gehören, enthält die Entscheidung weniger restriktive Vorgaben. Sie erlaubt die Gewährung von staatlichen Krediten zu marktüblichen Konditionen, den Nachlass indirekter Steuern für zum Export bestimmte Güter sowie den Nachlass, das maximal fünfjährige Aussetzen oder die nachträgliche Rückerstattung bei der Produktion tatsächlich angefallener direkter oder indirekter Steuern sowie die Rückerstattung von Zöllen, wie sie die Vorschriften des GATT vorsehen, vgl. Art. 4–7, 10 und 12 der Ratsentscheidung 10/94. Die Gültigkeit der einschlägigen Vorschriften des GATT, legt Art. 1 der Ratsentscheidung 10/94 fest. 312 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 91. 313 Art. 11 Abs. 1 und 2 der Ratsentscheidung 10/94. 308

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Marktniveau liegenden Zinssätzen gewährt. Dies war möglich, weil der Staat diese Kredite durch Steuernachlässe gefördert hatte315. Die Angleichung insbesondere der für die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes bedeutsamen316 fiskalischen Regelungen ist jedoch kein Vorgang, der in absehbarer Zeit abgeschlossen sein wird. Vielmehr wird in der Europarechtsliteratur herausgestellt, dass nach über 50 Jahren seit der Verabschiedung der Römischen Verträge die Rechtsangleichung weder abgeschlossen noch absehbar ist, ob sie es überhaupt irgendwann sein wird317. Immaterialgüterrechte Eine Rechtangleihung ist auch auf dem Gebiet des geistigen Eigentums notwenig. Es ist leicht ersichtlich, dass unterschiedliche Regelungen bezüglich der Immatrialgüterrechte in den Mitgliedstaaten eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstellen können318, weshalb der Europäische Gerichtshof schon früh herausgestellt hat, dass die Vorschriften zum freien Warenverkehr nicht die Existenz von solchen Rechten in Frage stellt, wohl aber deren uneingeschränkte Ausübung319. Immatrialgüterrechte dürfen nicht zu einer Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit missbraucht werden320. Das 1995 zwischen den Mercosur-Staaten geschlossene Protokoll über die Harmonisierung der Vorschriften des geistigen Eigentums, des 314

2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 84–91. 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 22 ff., 80 ff. 316 Dass ein Raum ohne Binnengrenzen den Abbau der Steuergrenzen voraussetzt, stellen J. A. Benítez Gómez, La supresión de las fronteras fiscales, S. 72 ff. und T. Oppermann, Europarecht, S. 366 f. Rn. 22 heraus. 317 A. Menéndez Moreno, Aspectos jurídicos de la armonización fiscal de la Unión Europea, in: L. A. Velasco San Pedro (Hrsg.), Mercosur y Unión Europea: dos modelos de integración económica, 1998, S. 293; nicht anders T. Oppermann, Europarecht, S. 367 Rn. 23, S. 405 Rn. 87. 318 Hierzu O. Pérez Urueña, La experiencia europea en materia de propiedad industrial, in: L. A. Velasco San Pedro (Hrsg.), Mercosur y Unión Europea: dos modelos de integración económica, 1998, S. 309, 314; M. Hassemer, Gewerbliche Schutzrechte im Mercosur, S. 23; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 145; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union S. 349 f. Rn. 74 f. 319 EuGH v. 08.06.1971, Rs. 78/70 (Deutsche Grammophon/Metro), Slg. 1971, 487, Rn. 10; EuGH v. 22.06.1976, Rs. 119/75 (Terrapin/Terranova), Slg. 1976, 1039, Rn. 5; EuGH v. 22.01.1981, Rs. 58/80 (Dansk Supermarked/Imerco), Slg. 1981, 181, Rn. 11; EuGH v. 06.10.1982, Rs. 262/81 (Compagnie/Cine Vog), Slg. 1982, 3381, Rn. 13. Vgl. auch R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union S. 349 f. Rn. 75. 320 EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, 394; EuGH v. 08.06.1971, Rs. 78/70 (Deutsche Grammophon/Metro), 315

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Markenschutzes und der Herkunftsangaben321 ebenso wie das 1998 geschlossene Protokoll über den industriellen Designschutz322 möchten nicht nur einen Mindestschutzstandard festlegen323, sondern auch Verzerrungen und Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels reduzieren324. Dabei wurde offensichtlich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs325 übernommen, nach der sich der Schutzrechtsinhaber nicht der Einfuhr von Waren widersetzen kann, die von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr gebracht worden sind326. Die Rechtsangleichung im Bereich des geistigen Eigentums im Mercosur wird als fortgeschritten eingestuft327. g) Ordre-public-Vorbehalt Viele Vorschriften des Umwelt- und Verbraucherschutzes, des Wettbewerbsrechts etc., welche, insbesondere wenn sie in den Mitgliedstaaten unterschiedlich gehandhabt werden, eine mittelbare (faktische, potentielle) Beschränkung des zwischenstaatlichen Handels im Sinne der DassonvilleFormel im Recht der Europäischen Union darstellen328, haben jedoch eine berechtigte Grundlage329. Wie bereits angesprochen wurde330, sind daher Slg. 1971, 487, Rn. 12 ff.; EuGH v. 06.10.1982, Rs. 262/81 (Compagnie/Cine Vog), Slg. 1982, 3381, Rn. 15 ff. 321 Verabschiedet mit Ratsentscheidung 8/95. 322 Verabschiedet mit Ratsentscheidung 16/98. 323 Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/95 und Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 16/98. 324 1. Erwägungsgrund der Präambeln der Ratsentscheidungen 8/95 und 16/98. 325 EuGH v. 20.01.1981, Rs. 55 u. 57/80 (Musik-Vertrieb/GEMA), Slg. 1981, 147, Rn. 18; EuGH v. 14.07.1981, Rs. 187/80 (Merck/Stephar), Slg. 1981, 2063, Rn. 12; EuGH v. 11.09.1982, Rs. 144/81 (Keurkoop/Kean Gifts), Slg. 1982, 2853Rn. 25; EuGH v. 09.07.1985, Rs. 19/84 (Pharmon/Hoechst), Slg. 1985, 2281, Rn. 23. 326 Vgl. Art. 13 des Protokolls über die Harmonisierung der Vorschriften des geistigen Eigentums, des Markenschutzes und der Herkunftsangaben: „Die Eintragung einer Marke kann nicht den freien Verkehr von Produkten verhindern, die von dem Hersteller selbst oder mit seiner Zustimmung rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden. (. . .)“; Art. 13 des Protokolls über den industriellen Designschutz: „Der industrielle Designschutz kann nicht den freien Verkehr von Artikeln verhindern (. . .), nachdem sie vom Hersteller selbst oder mit seiner Zustimmung rechtmäßig in einem der Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht wurden“. 327 E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 87. 328 P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 64. 329 Weshalb Art. 1 Abs. 2 der Ratsentscheidung 3/94 die Beibehaltung ökonomisch nicht relevanter, aber aus anderen Gründen dringend notwendiger nichttarifärer Handelshemmnisse vorsieht. 330 Vgl. S. 219.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Importe diskriminierende Vorschriften zulässig, wenn sie für die Gewährleistung der in Art. 30 EGV genannten Ordre-public-Tatbestände notwendig sind. Das Urteil „Cassis de Dijon“ erweitert die in Art. 30 EGV genannten Ausnahmetatbestände um ungeschriebene Schranken des Allgemeininteresses für unterschiedslos auf in- und ausländische Waren geltende nationale Vorschriften331. Dabei muss es sich allerdings um Ausnahmetatbestände handeln, welche in Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsziel stehen332. In ähnlicher Weise333 stellen Art. 2 lit. b S. 2 des Programms zur Handelsliberalisierung sowie Art. 3 lit. b S. 2 des Abkommens, mit dem der Mercosur als Präferenzzone innerhalb der ALADI dem ALADI-Sekretariat gemeldet wurde334, klar, dass die in Art. 50 des Vertrags von Montevideo (ALDI-Gründungsvertrag) aufgelisteten Ordre-public-Tatbestände keine Handelsbeschränkungen darstellen. Art. 50 des Vertrags von Montevideo besagt, dass keine Vorschrift des Vertrags Maßnahmen verbieten darf, die folgende Materien regeln: a) den Schutz der öffentlichen Moral, b) die Anwendung von Vorschriften der nationalen Sicherheit, c) Vorschriften im Zusammenhang mit dem Im- oder Export von Waffen, d) Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen, 331 EuGH, v. 20.02.1979, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Brandweine), Slg. 1979, 649, Rn. 14; EuGH v. 11.05.1989, Rs. 25/88 (Ministere Public/Wurmser), Slg. 1989, 1105, Rn. 10; EuGH v. 25.07.1991, Rs. C-1/90 und C-176/90 (Aragonesa/Publivia), Slg. 1991 I, 4151, Rn. 13; dazu T. Oppermann, Europarecht, S. 416 ff. Rn. 27 ff.; K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. a), bb), S. 579 f. 332 EuGH, v. 20.02.1979, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Brandweine), Slg. 1979, 649, Rn. 14. In der Literatur wird teilweise zwischen Ausnahmetatbeständen unterscheiden, welche ein nichttarifäres Handelshemmnis nachträglich (a posteriori) rechtfertigen können, und Ausnahmetatbeständen, welche a priori die Annahme eines nichttarifäres Handelshemmnis abstreiten (vgl. J. A. Echebarría Séanez, Unión Europea y medidas de efecto equivalente, S. 332 ff.), ähnlich der Frage, ob ein Verhalten gem. Art. 81 EGV wettbewerbswidrig ist aber gerechtfertigt werden kann oder ob das Verhalten von vorn herein gar nicht als Verstoß des Art. 81 EGV einzustufen ist (vgl. hierzu Teil 3, III. 2. a), dd), (2), S. 489 ff.). Der Autor stellt aber selbst fest, dass eine solche Unterscheidung in der Praxis des Europäischen Gerichtshofs nicht klar erkennbar und im Übrigen irrelevant ist, da die Folgen anders als im Wettbewerbsrecht die gleichen sind (S. 333 f.). 333 Die Ähnlichkeit erkennen auch B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 109; A. Loschky, Mercosur und EU, S. 64. 334 „Acuerdo de Complementación Económica“ (A.C.E.) Nr. 18, vgl. bereits Fn. 10 (1. Teil).

I. Die Warenverkehrsfreiheit

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e) Im- oder Export von Gold und Silber, f) Schutz des künstlerischen, geschichtlichen und archäologischen Erbes, g) Export oder Gebrauch von nuklearem oder radioaktiven Material oder jedwedem anderem Material, welches zur Gewinnung von Atomenergie verwendet werden kann. Da der Mercosur eine Präferenzzone innerhalb der ALADI ist, gelten diese dem Art. 30 EGV ähnlichen Ausnahmetatbestände auch als mögliche Rechtfertigung für Handelshemmnisse im Mercosur, was das erste, sechste und das achte Mercosur-Schiedsgericht bekräftigen335. Ebenso wie der Europäische Gerichtshof336 stellen auch die Schiedsurteile klar, dass diese Ausnahmen eng auszulegen sind und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unter Berücksichtigung des zu erreichenden Ziels, die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes, genügen müssen337. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass bestimmte Sachgebiete der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten vorbehalten werden sollen338. Weil die unter die Ausnahmetatbestände fallenden staatlichen Regelungen im Mercosur nicht als Handelsbeschränkungen gelten, gibt es in der Definition verbotener Handelsbeschränkungen demnach einen materiellrechtlichen Unterscheid zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union. Während Art. 30 EGV Ausnahmen von den nach Art. 28 und 29 EGV verbotenen Handelsbeschränkungen zulässt339, gelten im Mercosur staatliche Rege335

1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 85 Nr. viii; 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 1. b); 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt „Considerando“. 336 W. Schroeder, Art. 30, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 3; vgl. auch bereits Anmerkungen in Fn. 67 und 69 (2. Teil). 337 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 81; 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 1. b). Für eine enge Auslegung hatte sich zuvor bereits B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 110 f. ausgesprochen. Aufgrund der Interessenabwägung, die der Europäische Gerichtshof vornimmt, wird von der Anwendung einer „rule of reason“ gesprochen, vgl. J. A. Echebarría Séanez, Unión Europea y medidas de efecto equivalente, S. 330. Hierbei handelt es sich um einen Begriff, der dem Wettbewerbsrecht entstammt, vgl. Teil 3. III. 2. a), dd), (1). 338 So jedenfalls der Europäische Gerichtshof für die Ausnahmen in Art. 30 EGV, vgl. EuGH v. 05.10.1977, Rs. 5/77 (Tedeschi/Denkavit), Slg. 1977, 1555, Rn. 33/35; EuGH v. 10.07.1984, Rs. 72/83 (Campus Oil/Minister for Industry and Energy), Slg. 1984, 2727, Rn. 32; EuGH v. 04.10.1991, Rs. C-367/89 (Richardt), Slg. 1991 I, 4621, Rn. 19. 339 P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 312; ders., Art. 30 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 14 ff.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

lungen, die dem Schutze eines der in Art. 50 des Vertrags von Montevideo aufgelisteten Schutzgüter dienen, von vornherein nicht als Handelsbeschränkungen. Ebenso wie im Europarecht dürfte auch im Mercosur ein Rückgriff auf die Ordre-public-Vorbehalte dann nicht möglich sein, wenn dem Schutzanliegen bereits durch gemeinschaftliche Regelungen, welche in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten inkorporiert wurden und Gültigkeit besitzen, abschließend Rechnung getragen wurde340. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Gemeinschaftsregelung durch einseitige mitgliedstaatliche Vorschriften ausgehöhlt würde341. Ob wie auch in der Europäischen Union im Mercosur eine tatsächliche Gefährdung der zu schützenden Rechtsgüter glaubhaft darlegbar sein muss, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Die Existenz einer Gefährdung wird aufgrund verschiedener kultureller und geschichtlicher Hintergründe in den einzelnen Mitgliedstaaten möglicherweise unterschiedlich beurteilt. So befand der Europäische Gerichtshof, dass eine Jahrhunderte alte deutsche Regelung über die Inhaltsstoffe von Bier keine Einfuhrbeschränkung zu rechtfertigen vermöge, da nicht glaubhaft dargelegt werden konnte, dass die in eingeführten Bieren verwendeten Zusatzstoffe gesundheitsgefährdend seien342. Die Rechtsprechung beruht auf dem kritisierbaren Prinzip der gegenseitigen Anerkennung343, wonach in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und vermarktete Erzeugnisse auch in allen anderen Mitgliedstaaten zuzulassen sind. Es wird davon ausgegangen, dass die Warenpolitik eines jeden Mitgliedstaates den Allgemeininteressen der anderen Mitglied340 Für das Europarecht vgl. EuGH v. 28.11.1989, Rs. 186/88 (Kommission/ BRD), Slg. 1989, 3997, Rn. 9; EuGH v. 05.04.1979, Rs. 148/78 (Ratti), Slg. 1979, 1629, Rn. 36; EuGH v. 11.05.1989, Rs. 25/88 (Ministere Public/Wurmser), Slg. 1989, 1105, Rn. 12; EuGH v. 10.11.1982, Rs. 261/81 (Rau/Smedt), Slg. 1982, 3961, Rn. 12; EuGH v. 23.05.1996, Rs. C-5/94 (Queen/Ministry of Agriculture), Slg. 1996 I, 2553, Rn. 18; EuGH v. 28.04.1998, Rs. C-120/95 (Decker/Caisse de maladie des employés privés), Slg. 1998 I, 1831, Rn. 45. Hierzu auch A. Epiney, Art. 30 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 10 ff.; P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 198; W. Schroeder, Art. 30, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/ EGV, Rn. 5. 341 P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 198. 342 EuGH v. 12.03.1987, Rs. 178/84 (Kommission/BRD – „Reinheitsgebot“), Slg. 1987, Rn. 49; ähnlich EuGH v. 14.07.1988, Rs. 407/85 (Drei Glocken/CentroSud – „Pasta“), Slg. 1988, 4233, Rn. 28. 343 S. Leible, Art. 14 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 18 f.; W. Schroeder, Art. 28, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 74. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wird auch Vertrauens- oder Ursprungslandprinzip genannt, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 417 Rn. 28; P. C. MüllerGraff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 190 f.

I. Die Warenverkehrsfreiheit

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staaten genügt, wenn sie nur gewissen gemeinschaftlichen Standards gerecht werde344. Fraglich ist auch, ob die Aufzählung der in Art. 50 des Vertrags von Montevideo genannten Schutzgüter abschließend ist oder auch sonstige Erwägungen des Gemeinwohls zur Rechtfertigung von Handelsbeschränkungen herangezogen werden können. Der Europäische Gerichtshof hat dies für die in Art. 30 EGV genannten Schutzgegenstände verneint. Allerdings hat die europäische Rechtsprechung wie erwähnt im Urteil „Cassis de Dijon“ die Rechtfertigung von zwischenstaatlichen Handelsbeschränkungen, die sich aus nicht diskriminierenden Maßnahmen ergeben, zugunsten zwingender Erfordernisse des Allgemeinwohls zugelassen345. Während nach Art. 30 EGV unterschiedslos und unterschiedlich anwendbare Maßnahmen erlaubt sein können346, ermöglicht die Cassis-Formel, ausschließlich nicht diskriminierende staatliche Handelsbeschränkungen zu rechtfertigen347. Im Mercosur gibt es bisher keine der Cassis-Formel vergleichbare Rechtsprechung. Wortlaut und Systematik des Vertrags von Montevideo sprechen dafür, dass die Auflistung von Schutzgütern in Art. 50 als abschließend zu betrachten ist348. 3. Zusammenfassung Im innergemeinschaftlichen Handel sind Zölle bis auf die Produkte der Automobil- und Zuckerindustrie vollständig beseitigt. Es ist derzeit nicht absehbar, wann sich die Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Regelung ähnlich der landwirtschaftlichen Marktordnung in der Europäischen Union einigen werden, weil die ursprünglich vorgesehenen Fristen verstrichen sind. Die Freiheit des Warenverkehrs baut aber nicht alleine auf der Abschaffung der Binnenzölle, sondern auch auf der Schaffung eines gemein344 Kritisch K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/ Union, § 14, II. 2. a), cc), S. 581 f. 345 Vgl. bereits Urteile in Fn. 331 (2. Teil). 346 P. C. Müller-Graff, Art. 30 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 1, 91. 347 In der Literatur wird die Unterscheidung zwischen den in Art. 30 EGV genannten Rechtfertigungsgründen und den zwingenden Gründen des Algemeininteresses, welche nur versteckt diskriminierende Maßnahmen rechtfertigen können, für dogmatisch nicht nachvollziehbar gehalten, vgl. W. Schroeder, Art. 30, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 33 f. 348 So ist wohl auch das 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse), Rn. 81 zu verstehen, das nach der Vervollständigung des Freihandels lediglich die in Art. 50 des Vertrags von Montevideo genannten Maßnahmen („medidas“) für rechtfertigbar hält. Allerdings ist die Formulierung in dem Urteil von daher etwas unklar, als Art. 50 des Vertrags von Montevideo nicht „Maßnahmen“, sondern zu schützende Rechtsgüter aufzählt.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

samen Zolltarifs auf349. Für die Mehrheit der Waren existiert ein gemeinsamer Zolltarif, und viele der Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll gibt es auch in der Europäischen Union, ohne dass dieser deshalb die Eigenschaft als Zollunion abgesprochen würde350. Die übrigen Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll, insbesondere für Finanzprodukte und Produkte des Telekommunikationssektors sind zeitlich begrenzt. Die Freiheit des Warenverkehrs ist aber für Waren aus Drittstaaten aufgrund der noch bis mindestens 2008 möglichen Doppelverzollung beschränkt. Die Pflicht, auch für Mercosur-Waren Ursprungszeugnisse mitzuführen, stellt ein Hindernis des grenzüberschreitenden Handels im Mercosur dar351.

II. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit Obwohl die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht ausdrücklich im Vertrag von Asunción erwähnt wurde, gehört sie unzweifelhaft zu dem zu verwirklichenden Gemeinsamen Markt352. Sie lässt sich unter den in Art. 1 des Vertrags von Asunción geforderten freien Verkehr von Produktionsfaktoren 349 Für das EU-Recht vgl. W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, S. 161 Rn. 8. Das geht im Übrigen auch aus der Unterordnung der Zollunion (Art. 23 EGV) unter den Titel „Der freie Warenverkehr“ hervor. 350 Unstreitig vgl. etwa C. Waldhoff, Art. 23 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 5. 351 Für das EU-Recht wird herausgestellt, dass das Verlangen von Ursprungszeugnissen bei der Einfuhr von Waren grundsätzlich als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung anzusehen ist, vgl. P. C. MüllerGraff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 85. 352 H. Babace, La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, in: M. C. Vázquez u. a. (Hrsg.), Estudios multidisciplinarios sobre el Mercosur, 1995, S. 105; E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 95; S. Treviño Ghioldi, Libre circulación y migraciones de trabajadores, in: M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Del Mercosur – Aduana, Jurisdicción, Informática, Relaciones Intercomunitarias, 1996, S. 358; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 309; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 132; M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, S. 49. In der EU-Rechtsliteratur wird hervorgehoben, dass die Möglichkeit für Arbeitnehmer anderer Mitgliedstaaten, sich wie Inländer um eine Beschäftigung zu bemühen, ein Kernstück des Binnenmarktes und zusammen mit den anderen Grundfreiheiten Grundlage der Gemeinschaft ist, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 517 f. Rn. 1 f.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Vorbem. Art. 39–55 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 2. Der Europäische Gerichtshof bezeichnet die Arbeitnehmerfreizügigkeit als „fundamentalen Grundsatz“ der Gemeinschaft, vgl. EuGH v. 07.07.1976, Rs. 118/75 (Watson/Belmann), Slg 1976, 1185, Rs. 16; EuGH v. 15.10.1987, Rs. 222/86 (UNECTEF/Heylens), Slg. 1987, 4097, Rn. 8; EuGH v. 07.07.1992, Rs. C-370/90 (Queen/Immigration Appeal Tribunal), Slg. 1992 I, 4265, Rn. 15; EuGH v. 15.12.1995, Rs. C-415/93 (ASBL/Bosman), Slg. 1995 I, 4921, Rn. Rn. 93. Es wird darauf hingewiesen, dass Art. 3 der deutschen Reichsverfassung von 1871 in sehr ähnlicher Weise die Inländergleichbehandlung vorschrieb, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 517 f. Rn. 4.

II. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit

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einordnen, zu denen neben Kapital auch Arbeitskraft zählt353. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit wird für die am wenigsten entwickelte Grundfreiheit im Mercosur gehalten354, was nicht verwundert. Auch in der Europäischen Union wurde die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Vergleich zur Warenverkehrsfreiheit erst spät verwirklicht355. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist keine allgemeine Freizügigkeit356, sondern das Recht eines Arbeitnehmers, in jedem Mitgliedstaat eine abhängige Beschäftigung anzunehmen. Eine allgemeine Freizügigkeit unabhängig von der Aufnahme einer Beschäftigung in einem anderen Vertragsstaat ist offenbar nicht gemeint. Dies geht im Mercosur aus der Formulierung in Art. 1 des Vertrags von Asunción hervor, der anders als Art. 3 Abs. 1 lit. c EGV einen freien Verkehr von Personen nur vorsieht, insoweit es sich um Produktionsfaktoren handelt357. Der klassische Wanderarbeitnehmer ist keine Person, die die Absicht hat, aus seinem Heimatstaat zu emigrieren358. Der erste Erwägungsgrund der Präambel der Ratsentscheidung 12/91 lässt allerdings vermuten, dass langfristig eine allgemeine Freizügigkeit geschaffen werden soll. In der Europäischen Union zielt die Freizügigkeitspolitik zunehmend auf eine allgemeine Freizügigkeit ab359. 353

Vgl. bereits Fn. 68 (Einführung). W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 102; A. Haller, Mercosur, S. 72 und 95. 355 H. Babace, Empleo, migraciones y libre circulación de trabajadores, S. 405; ders., La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, S. 117; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 399. Nach wie vor ist sie Beschränkungen unterworfen, vgl. Fn. 793 (2. Teil). 356 Für das EU-Recht stellt dies W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 4 heraus. 357 Hierauf verweist R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 134; ganz ähnlich C. E. Echegaray de Maussion, Libre circulación de trabajadores y profesionales, S. 370. In der EU-Rechtsliteratur wird hervorgehoben, dass die mit dem Vertrag von Maastricht eingeführte Unionsbürgerschaft (Art. 17 EGV) nicht über die bestehenden Freiheitsrechte hinausgehen kann, vgl. W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 426 Rn. 1120. 358 H. Babace, Empleo, migraciones y libre circulación de trabajadores, S. 401 f.; ders., La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, S. 133. 359 T. Oppermann, Europarecht, S. 518 f. Rn. 5; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 428 f. Rn. 1125 ff., S. 1117 Rn. 2959 f.; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 315 f. Rn. 760. Dies ist insbesondere erkennbar an der jüngst verabschiedeten Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. 2004, Nr. L 158/77. Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie gesteht jedem Unionsbürger das Recht zu, sich in jedem anderem Mitgliedstaat aufzuhalten, wenn er über ausreichende Existenzmittel für sich und seine Familienangehörigen verfügt. Nach Art. 16 der Richtlinie haben alle Unionsbürger und deren Familienangehörige, die 354

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Grundlage der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist nicht anders als im Recht der Europäischen Union360 die Abschaffung jedweder Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit bezüglich der Möglichkeit der Aufnahme einer Beschäftigung und der Arbeitsbedingungen361. D.h. die Einführung des Mercosur-Reisepasses362 und der Möglichkeit für Mercosur-Bürger, innerhalb der Mitgliedstaaten ohne Reisepass, nur mit dem Personalausweis zu reisen363 sowie bevorzugte Passkontrollen für Bürger der Mercosur-Staaten an Häfen und Flughäfen364, schaffen alleine noch keine Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit beinhaltet neben dem Recht der Arbeitnehmers, in den Mitgliedstaat einzureisen und sich dort in Begleitung seiner Familie niederzulassen, auch das Recht auf Anerkennung seiner Berufsabschlüsse und Fähigkeiten sowie die Vermeidung jedweder unterschiedlichen Behandlung im Vergleich zu nationalen Arbeitnehmern, sei es beim Zugang zu Arbeit, bei der Entlohnung, Fortbildung, Kündigung oder der sozialen Sicherheit365. Unterschiedliche Rechts- und Sozialsysteme ersich rechtmäßig fünf Jahre in einem Mitgliedstaat aufgehalten haben, das Recht, sich dauerhaft dort aufzuhalten, auch dann, wenn der ursprüngliche Aufenthaltsgrund nicht mehr besteht. Vgl. auch Verfassungsvertrags-Entwurf Art. I-10 Abs. 2 lit. a. 360 Vgl. Art. 39 Abs. 2 EGV; Teil 1 und 2 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates v. 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl. 1968 Nr. L 257/2. Vgl. auch: EuGH v. 12.02.1974, Rs. 152/73 (Sotgiu/Bundespost), Slg. 1974, 153, Rn. 7 ff.; EuGH v. 14.02.1995, Rs. C-279/93 (Köln/ Schumacker), Slg. 1995 I, 225, Rn. 23 ff.; EuGH v. 26.06.1996, Rs. C-107/94 (Asscher/Staatssecretaris van Financiën), Slg. 1996 I, 3089, Rn. 35 ff.; T. Oppermann, Europarecht, S. 518, 523 ff. Rn. 4, 20 ff., 24 ff., 27 ff.; M. Fanzen, Art. 39 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 83 ff.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 529 ff. Rn. 1378 ff.; W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 45. 361 H. Babace, Empleo, migraciones y libre circulación de trabajadores, S. 402 f.; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 95, 132 f.; M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, S. 49; S. Treviño Ghioldi, Libre circulación y migraciones de trabajadores, S. 358 f., 366. 362 Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 114/94. Dieser ist wie auch der Europa-Pass (vgl. Entschließung v. 23.06.1981 der im Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten, ABl. 1981, Nr. C 241/1) ein nur äußerlich vereinheitlichtes nationales Dokument. Zu Passunion und Grenzkontrollen in der Europäischen Union vgl. U. Wölker/G. Grill, Vorbem. Art. 39 bis 41 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 13 ff. 363 Anhang der Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 75/96; Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 10/06; M. Quiroga Obregón, Mercosur, S. 50. 364 Art. 1 der Ratsentscheidung 12/91; Ratsentscheidung 46/00. 365 C. E. Echegaray de Maussion, Libre circulación de trabajadores y profesionales, S. 370; H. Babace, Empleo, migraciones y libre circulación de trabajadores, S. 402 f., 411; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 95, 132; H.-H. Barbagelata, El Derecho Laboral del Mercosur Ampliado, S. 24; N. Pérez

II. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit

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schweren eine freie und grenzüberschreitende Wahl des Arbeitsplatzes, der durch einen Wechsel in ein anderes Sozialversicherungssystem möglicherweise Ansprüche verliert und „dadurch in eine ungünstigere Lage gerät“366, weshalb auch hier eine Rechtsangleichung oder -vereinheitlichung angestrebt werden sollte367. Unterschiedliche Sozialstandards bergen zudem die Gefahr eines Abwanderns von Arbeitnehmern aus einem Land mit niedrigen in ein Land mit höheren Sozialstandards, mit der Folge massiver sozialer Verwerfungen, sowohl in dem Land, in dem Arbeitskräfte möglicherweise fehlen als auch in dem Land, in dem nationale Arbeitsnehmer von ausländischen Arbeitsnehmern verdrängt werden368. Es sollten daher die Vichich, Nosotros y los otros – Las fronteras del trabajo en el Mercosur, 1995, 13 ff. Insoweit nicht anders als im EU-Recht, vgl. Verordnung Nr. 1612/68 (Fn. 360, 2. Teil); Verordnung Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. 2004 Nr. L 166/1; Verordnung Nr. 1408/71 des Rates v. 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl. 1971 Nr. L 149/2 (zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1992/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.12.2006, ABl. 2006, Nr. L 392/1; Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. 2004, Nr. L 158/77. Vgl. auch: EuGH v. 15.03.1989, Rs. 389/87 u. 390/87 (Echternach und Moritz/Minister van Onderwijs en Wetenschappen), Slg. 1989, 723, Rn. 25 ff.; EuGH v. 03.07.1974, Rs. 9/74 (Casagrande/München), Slg. 1974, 773, Rn. 4; EuGH v. 26.02.1992, Rs. C-3/90 (Bernini/Minister van Onderwijs en Wetenschappen), Slg. 1992 I, 1071, Rn. 22 ff. Vgl. auch: T. Oppermann, Europarecht, S. 529 ff. Rn. 33 ff.; M. Franzen, Art. 39 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 100 ff.; W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 55 ff., 57 ff. 366 EuGH v. 10.03.1983, Rs. 232/82 (Baccini/Office National de L’Emploi), Slg. 1983, 583, Rn. 17; T. Oppermann, Europarecht, S. 531 Rn. 36; H.-H. Barbagelata, El Derecho Laboral del Mercosur Ampliado, S. 25 f. 367 H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 95; E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 95; H. Babace, Derecho de la Integración y Relaciones Laborales, S. 245; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 309, 312, 314. Im Recht der Europäischen Union wird keine Harmonisierung, sondern lediglich eine Koordinierung der Sozialversicherungssysteme angestrebt, vgl. EuGH v. 15.01.1986, Rs. 41/84 (Pinna/Caisse D’Allocations Familiales), Slg. 1985, 1, Rn. 16. 368 Hierauf verweisen: H. Babace, Empleo, migraciones y libre circulación de trabajadores, S. 403 f.; ders., La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, S. 108, 119; ders., Derecho de la Integración y Relaciones Laborales, S. 246; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 312; ähnlich auch H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 96, 115 ff. Der Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass Unternehmen möglicherweise von Ländern mit teuren Sozialstandards in die Länder mit niedrigeren Sozialstandards abwandern, vgl. H. Babace, Empleo, migraciones y libre circulación de trabajadores, S. 417. Auf die Sorge der

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Systeme der sozialen Sicherheit, insbesondere Arbeitszeiten, Sicherheitsbestimmungen am Arbeitsplatz, Arbeitslosenabsicherung, Beihilfen, Familienrenten, Kranken- und Unfallversicherung, Mutterschutz etc. angeglichen werden369. Das am 14. Dezember 1997 geschlossene multilaterale Abkommen über die soziale Sicherheit im Mercosur370 (im Folgenden Sozialrechtsabkommen) ist das bisher bedeutendste Regelwerk diesbezüglich. 1. Multilaterales Sozialrechtsabkommen Anders als andere wesentliche Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten hat man nicht die Bezeichnung Protokoll, sondern multilaterales Abkommen gewählt. Die Namensgebung soll vermutlich die Tatsache widerspiegeln, dass das Abkommen nicht wie alle als Protokoll bezeichneten Vereinbarungen im Mercosur Bestandteil des acquis communautaire ist371 und dem Mercosur in Zukunft beitretende Staaten daher nicht ipso iure dem Abkommen beitreten372. Dass zukünftige Mitglieder nicht verpflichtet sind, diesem Abkommen beizutreten, ist Ausdruck der erhöhten Sensibilität, die der sozialen Sicherheit beigemessen wird373. Das Sozialrechtsabkommen verpflichtet die Mitgliedstaaten ebenso wie die ähnliche und erst jüngst verabschiedete EG-Verordnung zur KoordinieMitgliedstaaten, dass die Liberalisierung des Personenverkehrs eine Wanderbewegung in die wirtschaftlich besser gestellten Länder zur Folge haben könnte, verweist auch: A. Haller, Mercosur, S. 95. Auf die „soziale und politische Dimension“ verweist auch T. Oppermann, Europarecht, S. 518 Rn. 5. Im EU-Recht wird kritisiert, dass der eigentliche Zweck der Markt- und Grundfreiheiten, insbesondere der Arbeitnehmerfreizügigkeit die größtmögliche Ausbeutbarkeit der Menschen als Arbeiter und Verbraucher sei, vgl. K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. a), S. 584. 369 T. Oppermann, Europarecht, S. 531 Rn. 36; H. Babace, La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, S. 113, 134; ders., Derecho de la Integración y Relaciones Laborales, S. 145 f.; M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, S. 50 f. 370 Acuerdo Multilateral de Seguridad Social del Mercado Comffln del Sur, verabschiedet mit Ratsentscheidung 19/97. 371 Mercosur-Protokolle enthalten regelmäßig einen Artikel, der das jeweilige Protokoll als Bestandteil des Vertrags von Asunción bezeichnet, vgl. etwa Art. 48 des Protokolls von Ouro Preto; Art. 33 des Wettbewerbsschutzprotokolls; Art. 12 Abs. 1 des Protokolls von Colonia, verabschiedet mit Ratsentscheidung 11/93; Art. 4 des Protokolls zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten, verabschiedet mit Ratsentscheidung 11/94; Art. 7 des Protokolls über die gemeinsame Bildungspolitik, verabschiedet mit Ratsentscheidung 4/94. 372 Was Art. 19 des Sozialrechtsabkommens ausdrücklich festhält. Bereits beigetretene Staaten können sich von den Verpflichtungen des Abkommens jederzeit wieder entbinden, ohne den Mercosur verlassen zu müssen, vgl. Art. 18 Ziff. 2 des Sozialrechtsabkommens.

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rung der Systeme der sozialen Sicherheit 883/04374, jedem Arbeitnehmer und dessen Angehörigen die gleichen Rechte und Pflichten bezüglich der Sozialversicherung zu gewähren, wie sie nationalen Arbeitnehmern zustehen375. Das gilt nicht nur für Arbeitnehmer mit der Nationalität eines anderen Mercosur-Mitgliedstaates, sondern ausdrücklich auch für solche mit der Nationalität eines Drittstaates376. Das Sozialrechtsabkommen möchte die gleichen Rechte, wie sie nationalen Arbeitnehmern zustehen, anders als im Europarecht377 also nicht nur für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten gewährleisten. Da alle Mercosur-Mitgliedstaaten dem Abkommen beigetreten sind378, bedeutet dies, dass keine Person, die im Mercosur arbeitet, hinsichtlich der Sozialleistungen gegenüber nationalen Arbeitnehmern diskriminiert werden darf379. Die gleiche Bezahlung für gleiche Arbeitsleistungen gewährleistet das Abkommen allerdings nicht. Eine Firma ist demnach anders als im EU-Recht380 nicht verpflichtet, einem ausländischen Arbeitnehmer den gleichen Lohn für eine vergleichbare Tätigkeit wie einem einheimischen Arbeitnehmer zu zahlen. Ein Arbeitnehmer ist jede Person, die aufgrund der Tatsache, dass sie eine „Tätigkeit“ (actividad) ausübt, dem Rechtssystem eines oder mehrerer Staa373 So die Einschätzung von W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 102; ähnlich auch A. Haller, Mercosur, S. 95. 374 Art. 4 der Verordnung 883/04 (Fn. 365, 2 Teil). Gem. Art. 90 Abs. 1 ersetzt die Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl. 1971, Nr. L 149/2, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. 2001, Nr. L 187/1. Die neue EG-Verordnung wird für eine entscheidende Stärkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gehalten, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 532 Rn. 37. 375 Art. 2 Ziff. 1 des Sozialrechtsabkommens. 376 Art. 2 Ziff. 2 des Sozialrechtsabkommens. 377 Für das Europarecht vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 521 Rn. 13. Der Anwendungsbereich der Verordnung 883/04 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit erstreckt sich gemäß seines Art. 2 Abs. 1 neben den Unionsbürgern und ihren Angehörigen allerdings auch auf Flüchtlinge und Staatenlose mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, nicht aber grundsätzlich auf Bürger dritter Staaten, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnen. 378 Vgl. Art. 19 des Sozialrechtsabkommens. 379 INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 3 (1997), S. 37. 380 Art. 39 Abs. 2 EGV; Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates v. 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl. 1969, Nr. L 257/2; Art. 3 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. 1997, Nr. L 18/1; W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 55.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

ten unterliegt381. Die Formulierung beschränkt den Anwendungsbereich des Abkommens anders als derjenige des Art. 39 EGV382, aber ebenso wie derjenige der erwähnten EG-Verordnung 883/04383 nicht auf eine abhängige Beschäftigung. Eine Aktivität kann auch eine nicht abhängige Beschäftigung sein. Damit umfasst das Abkommen auch die soziale Sicherheit von freiberuflich Beschäftigten und ist daher auch für die Dienstleistungs- und die Niederlassungsfreiheit im Mercosur relevant384. Letzteres scheint auch aus Art. 3 Ziff. 1 des Reglements zum Sozialrechtsabkommen hervorzugehen385, welcher von Arbeitnehmern spricht, die „Dienstleistungen erbringen“386. Ähnlich der Vorgehensweise in der Europäischen Union wird keine Vereinheitlichung der Sozialsysteme angestrebt. Vielmehr sollen alle Arbeitnehmer im Mercosur den gleichen Zugang zu den vorhanden Sozialsystemen haben387. Dazu zählen alle im jeweiligen nationalen Recht vorgesehenen Einrichtungen, die in irgendeiner Form Sozialleistungen erbringen, wobei geldliche Sozialleistungen von Leistungen des Gesundheitswesens unterschieden werden388. Die Sozialleistungen müssen in der nationalen Rechtsordnung vorgesehen sein und werden gemäß den dort etablierten Bestimmungen gewährt389. Der Wortlaut erfasst sowohl staatliche als auch privatrechtliche organisierte Versicherungen. Dies geht auch aus Art. 9 Ziff. 1 des Sozialrechtsabkommens hervor, der bezüglich der Rentenversicherung 381

Art. 1 Ziff. 1 lit. f des Sozialrechtsabkommens. Vgl. Art. 1 Abs. 1 der der Verordnung Nr. 1612/68; EuGH v. 03.07.1986, Rs. 66/85 (Lawrie-Blum/Baden-Württemberg), Slg. 1986, 2121, Rn. 17; EuGH v. 21.06.1988, Rs. 197/86 (Brown/Secretary of State), Slg. 1986, 3205, Rn. 21; EuGH v. 31.05.1989, Rs. 344/87 (Bettray/Staatssecretaris van Justitie), Slg. 1989, 1621, Rn. 12; EuGH v. 26.02.1992, Rs. C-357/89 (Raulin/Minister van Onderwijs en Wetenschappen), Slg. 1992 I, 1027, Rn. 10; M. Franzen, Art. 39 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 18 ff., 22 ff., 27 ff. Vgl. auch: W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 431 Rn. 1134, S. 458 ff. Rn. 1207 ff.; T. Oppermann, Europarecht, S. 522 Rn. 15; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 39 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 8 ff.; W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 8 ff. 383 Art. 1 lit. a und b der Verordnung 883/04. 384 Hierzu weiter unten Teil 2, II. 5. 385 Verabschiedet mit Ratsentscheidung 19/97. 386 „(. . .) trabajador que sea trasladado temporalmente para prestar servicios (. . .)“. 387 Nach Art. 3 des Sozialrechtsabkommens finden die Bestimmungen des Abkommens auf die vorhandenen Sozialsysteme Anwendung. Für das EU-Recht vgl. EuGH v. 15.01.1986, Rs. 41/84 (Pinna/Caisse D’Allocations Familiales), Slg. 1985, 1, Rn. 16; T. Oppermann, Europarecht, S. 531 f. Rn. 36 f. 388 Art. 3 Ziff. 1 und 2 i. V. m. Art. 1 Ziff. 1 lit. h und i des Sozialrechtsabkommens. Auch die Verordnung 883/04 unterscheidet Sachleistungen von Geldleistungen, vgl. etwa Art. 20 f. der Verordnung. 389 Art. 3 Ziff. 1 und Art. 1 Ziff. 1 lit. h und i i. V. m. Art. 1 Ziff. 1 lit. b des Sozialrechtsabkommens. 382

II. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit

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klarstellt, dass die Bestimmungen des Abkommens auch auf kapitalgedeckte Altersvorsorgesysteme anzuwenden sind. Ein Arbeitnehmer unterliegt wie im EU-Recht grundsätzlich der Rechtsordnung desjenigen Mitgliedstaates, in dem er beschäftigt ist390, es sei denn, es handelt sich um Personen, die in Wissenschaft und Forschung oder im Management eines Unternehmen beschäftigt sind oder vergleichbare Tätigkeiten ausüben und deren Arbeitverhältnis auf ein Jahr befrist ist. Diese unterliegen der Rechtsordnung ihres Heimatstaates391. Flugbegleiter, Begleiter im Personenfernverkehr und die Besatzung von Schiffen unterliegen der Sozialrechtsordnung desjenigen Staates, in dem das jeweilige Unternehmen ansässig ist oder im Falle von Schiffen, unter dessen Flagge das Schiff fährt392. Die soziale Absicherung von Mitgliedern der Botschaften und internationalen Organisationen bestimmt sich nach den einschlägigen internationalen Übereinkommen393. Die sich nur vorübergehend in einem dem Abkommen beigetretenen Staat aufhaltenden und dem Sozialsystem des Heimatstaates unterliegenden Arbeitnehmer erhalten dennoch Krankenversicherungsschutz im Gastland. Voraussetzung ist, dass die zuständige und Kosten tragende Stelle im Heimatland dies genehmigt394. Alters- und Invalidenrenten werden ähnlich wie im Recht der Europäischen Union395 gemäß den Vorschriften desjenigen Staates gewährt, in dem 390 Art. 4 des Sozialrechtsabkommens. Die Beiträge werden daher in der in diesem Staat gültigen Währung bezahlt, was Art. 11 Ziff. 1 des Sozialrechtsabkommens ausdrücklich bestimmt. Für das EU-Recht, vgl. Art. 11. Abs. 3 lit. a der Verordnung 883/04. 391 Art. 5 Ziff. 1 lit. a des Sozialrechtsabkommens. In diesem Fall muss das Unternehmen, für die der Arbeitnehmer arbeitet, mindestens 30 Tage vor Arbeitsantritt im ausländischen Mitgliedstaat der zuständigen Stelle im Heimatstaat den Wunsch mitteilen, weiterhin dem Sozialsystem des Heimatstaates zu unterliegen. Die zuständige Stelle im Heimatstaat stellt eine Erlaubnis mit Zustimmung der zuständigen Stelle im Gastland aus. Vgl. Art. 3 Ziff. 1, 3 und 4 des Reglements zum Sozialrechtsabkommen. Eine ähnliche Regelung sieht Art. 12 Abs. 1 der Verordnung 883/04 vor. 392 Art. 5 Ziff. lit. b und c des Sozialrechtsabkommens. Nicht anders im EURecht, vgl. Art. 11 Abs. 4 der Verordnung 883/04. 393 Art. 5 Ziff. 2 des Sozialrechtsabkommens. Nicht anders im EU-Recht, vgl. W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 44. 394 Art. 6 des Sozialrechtsabkommens i. V. m. Art. 4 des Reglements zum Sozialrechtsabkommen. Welches die zuständigen Stellen in den Vertragsstaaten sind, wird in Art. 2 des Reglements zum Sozialrechtsabkommen definiert. In der Europäischen Union haben nach Art. 19 Abs. 1 der Verordnung 883/04 ein Versicherter und seine Familienangehörigen im Gastland Anspruch auf die Sachleistungen, die sich während ihres Aufenthalts als medizinisch notwendig erweisen. Einige Sachleistungen erfordern allerdings eine vorherige Vereinbarung zwischen der betreffenden Person und dem die medizinische Leistung erbringenden Träger (Art. 19 Abs. 2).

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

der Arbeitnehmer zuletzt beitragspflichtig beschäftigt war396. Die Höhe richtet sich nach den Beitragszeiten der Arbeitnehmer in den einzelnen Vertragsstaaten397, wobei auch Ansprüche berücksichtigt werden, die vor Inkrafttreten des Abkommens entstanden sind398. Wie in der Europäischen Union richten die Träger der Sozialversicherungen einen Mechanismus zum Ausgleich der Forderungen ein399. Das Abkommen hält zwei für die praktische Anwendung bedeutende Bestimmungen bereit. Gemäß Art. 13 des Sozialrechtsabkommens erkennen die zuständigen staatlichen Stellen Dokumente aus anderen Mitgliedstaaten an, ohne dass sie einer Übersetzung oder Legalisation durch die Botschaft oder das Einwohneramt benötigen400. Die Dokumente werden sowohl von den Behörden desjenigen Staates anerkannt, in dem die Ansprüche erworben wurden, als auch von demjenigen Staat, in dem der Wanderarbeitnehmer seinen Wohnsitz hat401. Zur Sicherstellung der Einhaltung des Sozialrechtsabkommens wird ein Komitee gegründet, welches sich aus jeweils drei Mitgliedern eines jeden dem Abkommen beigetretenen Staates zusammensetzt und einmal pro Jahr zusammentrifft402. Wie alle Mercosur-Organe trifft das Komitee Entschei395

Vgl. insb. Art. 23, 24 der Verordnung 883/04. Art. 7 Ziff. 3 des Reglements zum Sozialrechtsabkommen. Im EU-Recht werden die zusammengerechneten Leistungen allerdings nicht gemäß den Vorschriften desjenigen Staates gewährt, in dem der Arbeitnehmer zuletzt beitragspflichtig beschäftigt war, sondern gemäß den Vorschriften des Wohnortes auf Rechnung des zuständigen Trägers desjenigen Staates, in dem der Arbeitnehmer am längsten oder zuletzt beitragspflichtig beschäftigt war, vgl. Art. 24 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Art. 24 Abs. 2 lit. b der Verordnung 883/04. Wenn im Wohnmitgliedstaat Ansprüche erworben wurden, gehen die Kosten zu Lasten des Sozialversicherungsträgers am Wohnort, vgl. Art. 23 Verordnung 883/04. 397 Art. 7 Ziff. 1 und 3 des Sozialrechtsabkommens i. V. m. Art. 7 Ziff. 1 und 2 sowie Art. 8 Ziff. 2 des Reglements zum Sozialrechtsabkommen. 398 Art. 8 des Sozialrechtsabkommens. Nicht anders gem. Art. 87 Abs. 2 der Verordnung 883/04. Den Leistungsantrag kann der Arbeitnehmer in jedem Mitgliedstaat stellen, in dem er gearbeitet hat oder in welchem er seinen Wohnsitz hat. gem. Art. 14 des Sozialrechtsabkommens und Art. 7 Ziff. 3 des Reglements zum Sozialrechtsabkommen. Nicht anders im Recht der Europäischen Union, vgl. Art. 81 der Verordnung 883/04. 399 Art. 11 Abs. 2 des Sozialrechtsabkommens. Für das EU-Recht, vgl. Art. 35 und 41 der Verordnung 883/04. 400 Nicht anders im Recht der Europäischen Union, vgl. Art. 80 Abs. 2 der Verordnung 883/04. 401 Art. 14 des Sozialrechtsabkommens. 402 Art. 16 Ziff. 2 und 3 des Sozialrechtsabkommens. Ganz ähnlich wurde in der Europäischen Union eine der EU-Kommission untergeordnete „Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“ gegründet, vgl. Art. 71 der Verordnung 883/04. 396

II. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit

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dungen im Konsens403. Ob es sich dabei um Mitglieder der Regierungsebene oder Beamte handeln soll, wird offen gelassen404. Das Abkommen ersetzt alle bisher auf bilateraler Ebene geschlossenen Verträge über die soziale Sicherheit405. Etwaige durch diese erworbenen Ansprüche der Arbeitnehmer bleiben aber bestehen406. Auch die EG-Verordnung 883/04 bestimmt, dass die Verordnung an die Stelle bilateraler Abkommen tritt, einzelne Bestimmungen, die für die Berechtigten günstiger sind, aber fortgelten407. In der Europäischen Union ist es im Gegensatz zum zwischenstaatlich geprägten Mercosur durchaus fraglich, inwieweit eine supranationale Verordnung rechtswirksam zwischen den Mitgliedstaaten geschlossene Verträge unwirksam machen kann. Während im Mercosur das Abkommen und damit die Aufhebung zuvor geschlossener bilateraler Abkommen von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss und das Abkommen erst in Kraft tritt, nachdem dies in allen Unterzeichnerstaaten geschehen ist, gilt die EG-Verordnung unmittelbar in den Mitgliedstaaten408. Das demokratische Defizit wird nur durch die Tatsache abgemildert, dass die Verordnung vom Europäischen Parlament in Zusammenarbeit mit dem Rat beschlossen wurde409. 2. Anerkennung von Bildungsabschlüssen Die Anerkennung im Ausland erworbener beruflicher Qualifikationen dient als Begleitrecht der Herstellung der Freizügigkeit410. Von Anfang an hat man im Mercosur eine gemeinsame Bildungspolitik als die Integration fördernd begriffen411; denn eine gemeinsame Bildungspolitik wird als Möglichkeit gesehen, das Bewusstsein der Bürger für das Integrationsprojekt zu 403

Art. 16 Ziff. 2 des Sozialrechtsabkommens. Art. 16 Ziff. 2 des Sozialrechtsabkommens. 405 Es wird herausgestellt, dass bilaterale Abkommen bereits viele der sozialrechtlichen Fragestellungen regelten, vgl. H. Babace, La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, S. 113. 406 Art. 17 Ziff. 4 des Sozialrechtsabkommens. 407 Art. 8 Abs. 1 der Verordnung 883/04. 408 Art. 249 EGV; Art. 91 S. 3 der Verordnung 883/04. 409 Zum Demokratiedefizit durch supranationale Gesetzgebung in der Europäischen Union vgl. Hinweise in Fn. 152 (1. Teil), 1044 (1. Teil), 54 (Ausblick). 410 W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 2, 54. 411 Was Art. 1 des Anhangs von Ratsentscheidung 13/98 herausstellt. Bereits mit Ratsentscheidung 7/92 wurde der „Plan Trienal de Educación“ aufgestellt, der drei Ziele als Grundlage für die gemeinsame Bildungspolitik vorsieht: Vermittlung eines Bewusstseins für die Integration, Verbesserung der Bildung und Abgleichung der Bildungssysteme. Zur gemeinsamen Bildungspolitik sind auch folgende Ratsentscheidungen relevant: 25/97, 13/98, 15/01. 404

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

stärken412 und demokratische Grundwerte zu vermitteln413. Gemeinsame und verbesserte Bildungsstandards sollen zu einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit der Region und letztlich zu einer Verminderung von Armut und zu mehr sozialer Gerechtigkeit beitragen414. Die Harmonisierung der Bildungssysteme, welche schon sehr früh als eines der Ziele der gemeinsamen Bildungspolitik genannt wurde415, trägt auch zur Verwirklichung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bei. Insbesondere bei dem Zugang zu Universitäten wie auch bei der gegenseitigen Anerkennung von Bildungsabschlüssen wurden einige Vorschriften verabschiedet, welche als beachtliche Fortschritte gewertet werden416. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, untere und mittlere, sowohl technische als auch nicht technische Bildungsabschlüsse ebenso wie Universitätsabschlüsse aus anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen417. Damit dies problemlos möglich ist, müssen die Lehrpläne in den Schulen sicherstellen, dass in allen Vertragsstaaten Geschichte und Geographie aller anderen Staaten unterrichtet wird418. Ein regionaler Bildungsausschuss soll die Umsetzung der Ziele überwachen419. Die Anerkennung der nicht technischen mittleren Bildungsabschlüsse soll unkompliziert, ohne Legalisierung durch Ministerien und ohne Notwenigkeit einer Übersetzung in den jeweiligen zuständigen staatlichen Stellen erfolgen420. Allerdings werden die Schulund Universitätsabschlüsse anders als im EU-Recht421 nur zum Zwecke der Fortführung der Ausbildung oder des Studiums, nicht aber zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit als gleichwertig eingestuft422. Ein Unternehmen 412 1. Erwägungsgrund der Präambel des Anhangs der Ratsentscheidung 4/99 sowie Art. 7 des 1. Teils und Art. 4. 2. des 2. Teils des Anhangs von Ratsentscheidung 13/98; Einleitung des Anhangs II der Ratsentscheidung 15/01 (Plan für den Bildungssektor 2001–2005). 413 Art. 8 Nr. II des 1. Teils des Anhangs von Ratsentscheidung 13/98. 414 Art. 10 lit. a des 1. Teils des Anhangs von Ratsentscheidung 13/98; Einleitung und Art. I.1 des Anhangs II der Ratsentscheidung 15/01 (Plan für den Bildungssektor 2001–2005). 415 Vgl. Anhang I der Ratsentscheidung 7/92. 416 So bereits 1998: Art. 6 des 1. Teils des Anhangs von Ratsentscheidung 13/98. 417 Art. 1 Abs. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 4/94; Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 7/95; Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/96. 418 Art. 1 Abs. 2 des Anhangs der Ratsentscheidung 4/94. 419 Art. 3 des Anhangs der Ratsentscheidung 4/94. 420 Lit. c und d des Anhangs der Ratsentscheidung 6/06. 421 EuGH v. 28.04.1977, Rs. 71/76 (Thieffry/Conseil de l’ordre des avocats), Slg. 1977, 765, Rn. 19 ff.; EuGH v. 7.05.1991, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou/Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-Württemberg), Slg. 1991 I, 2357, Rn. 15; EuGH v. 30.11.1995, Rs. C-55/94 (Gebhard/Consiglio dell’Ordine degli Avvocati e Procuratori di Milano), Slg. 1995 I, 4165, Rn. 38.

II. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit

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ist demnach anders als in der Europäischen Union423 nicht verpflichtet, die Gleichwertigkeit eines Bildungsabschlusses aus einem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen, weshalb diesen Regelungen für die Verwirklichung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nur begrenzte Bedeutung zukommt. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass Unternehmen an der Gleichwertigkeit eines von einer staatlichen Bildungseinrichtung als gleichwertig anerkannten Bildungsabschlusses zweifeln. Die Möglichkeit, Bildungsabschlüsse als gleichwertig anerkennen zu lassen, dürfte die Freizügigkeit der Arbeitnehmer also dennoch erleichtern. Die Mitgliedstaaten haben des Weiteren eine verstärkte Zusammenarbeit bei Forschung und Ausbildung von Universitätsprofessoren beschlossen. Ziel ist es, das postgraduierte Bildungsangebot qualitativ zu verbessern und auszuweiten424. Um den Austausch von Forschern und Universitätsprofessoren zu verstärken, erkennen die Mitgliedstaaten gegenseitig höhere universitäre Bildungsabschlüsse an425. Die Anerkennung gilt auch hier lediglich für die Forschung und Lehre an Universitäten. Für die Ausübung jedweder anderer Tätigkeiten richtet sich eine Anerkennung nach den einschlägigen Gesetzen der jeweiligen Staaten426. 3. Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen Im Rahmen der Frage, inwieweit die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Mercosur verwirklicht ist, sind besonders die Einreisebestimmungen bedeutsam, denn ohne ungehinderte Einreise und Aufenthalt wäre die Freizügigkeit nicht gewährleistet427. Für Anwohner grenznaher Gebiete wurde ein dem deutschen Personalausweis optisch ähnlicher Ausweis entwickelt, der beschleunigte Grenzkontrollen ermöglicht428. Das bereits oben erwähnte Abkommen von Recife regelt 422 Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 4/94; Art. 1 und 4 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/96; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 164. 423 EuGH v. 06.06.2000, Rs. C-281/98 (Angonese/Cassa di Risparmio), Slg. 2000 I, 4193, Rn. 42 ff. 424 Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 9/96. 425 Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 4/99; für die akademischen Grade Master und Doktor besteht sogar die Pflicht zur Anerkennung, vgl. Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 27/97. 426 So ausdrücklich Art. 5 Anhangs der Ratsentscheidung 4/99. 427 T. Oppermann, Europarecht, S. 529, Rn. 32; ganz ähnlich H. Babace, La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, S. 116 f., 133. 428 Ratsentscheidung 18/99 i. V. m. Ratsentscheidung 14/00.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

die Art und Weise der Intra-Mercosur-Grenzkontrollen mit dem Ziel, den grenzüberschreitenden Verkehr von Waren und Personen zu erleichtern429. Während zunächst nur Künstlern, Professoren, Wissenschaftlern, Sportlern, Journalisten und besonders spezialisierten Arbeitskräften erlaubt wurde, zur Ausübung ihres Berufes für 90 Tage ohne Visum einzureisen430, können nun alle Bürger der Mercosur-Staaten für 90 Tage ohne die Notwendigkeit eines Visums als Touristen in jeden anderen Mitgliedstaat einreisen431. Voraussetzung ist allerdings auch bei den erstgenannten Berufsgruppen, dass sie ihr Einkommen nicht in dem Einreiseland beziehen, unabhängig davon, ob sie abhängig beschäftigt oder freiberuflich tätig sind432. Auch in der Europäischen Union werden für die Einreise in andere Unionsstaaten für bis zu drei Monaten keine Formalitäten verlangt433. Anders als im Mercosur gilt diese Freizügigkeit auch für Familienangehörige mit der Nationalität eines Drittstaates, und anders als im Mercosur darf die Frist überschritten werden, wenn der Arbeitssuchende nachweisen kann, dass er eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden434. Obwohl das Abkommen über das Mercosur-Visum435 laut dem vierten Erwägungsgrund seiner Präambel die Erbringung von Dienstleistungen im Mercosur vereinfachen möchte, ist es auch für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer relevant. Es ermöglicht die vereinfachte Ausstellung eines Visums für Geschäftführer, leitende Angestellte, Prokuristen, Wissenschaftler, Forscher, Professoren, Künstler, Sportler, Journalisten und hochspezialisierte Arbeitkräfte für bis zu vier Jahre436. Das Visum wird insbesondere unabhängig davon ausgestellt, ob das Einkommen im Ursprungsland oder im Einreiseland bezogen wird, sowie unabhängig davon, ob die jeweiligen Arbeitskräfte im Einreiseland gebraucht werden437. Für einige der bei der Beantragung eines Visums vorzulegenden Dokumente ist eine Übersetzung nicht notwenig438. Für Gaststudenten und Dozenten sowie für deren Famili429

Art. 4 lit. a des Anhangs der Ratsentscheidung 4/00. Verlängerbar auf 180 Tage, vgl. Art. 2 Abs. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 48/00. 431 Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 10/06. 432 So ausdrücklich Art. 2 Abs. 2 des Anhangs der Ratsentscheidung 48/00. 433 Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG. 434 Art. 6 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 4 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG. Hier wurde offenbar die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs umgesetzt, vgl. EuGH v. 26.02.1991, Rs. C-292/89 (Queen/Immigration Appeal Tribunal), Slg. 1991 I, 745, Rn. 21; EuGH v. 26.05.1993, Rs. C-171/93 (Tsiotras/Stuttgart), Slg. 1993 I, 2925, Rn. 13. 435 Verabschiedet mit Ratsentscheidung 16/03. 436 Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 des Abkommens über das Mercosur-Visum. 437 Art. 2 Abs. 1 und 3 des Abkommens über das Mercosur-Visum. 430

II. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit

275

enangehörige ist die Ausstellung eines Visums neuerdings kostenlos439. Berücksichtigt man, dass Bildungsabschlüsse zum Fortsetzen der Ausbildung anerkannt werden müssen, besteht für Studenten im Mercosur eine ähnlich ausgeprägte Freizügigkeit wie in der Europäischen Union440. Für Aufenthaltsgenehmigungen über einen Zeitraum von vier Jahren hinaus sowie für andere als die genannten Berufsgruppen gelten die nationalen Bestimmungen des Einreiselandes. Familienangehörige derjenigen, die in den Genuss der erleichterten Visumsausstellung kommen, erhalten anders als in der Europäischen Union441 keine erleichterte Aufenthaltsgenehmigung. Eine durch Mercosur-Recht auferlegte Pflicht, Aufenthaltsgenehmigungen für die Dauer der Tätigkeit in einem anderem Mitgliedstaat auszustellen, wie sie das Europarecht kennt442, gibt es im Mercosur also noch nicht. Im Vergleich zu der Freizügigkeit, die Arbeitnehmer in der Europäischen Union genießen, sind die Fortschritte bezüglich der Einreisebestimmungen als wesentliche Voraussetzung für die Arbeitnehmerfreizügigkeit443 im Mercosur eher gering. In der Europäischen Union dürfen die Mitgliedstaaten für die Einreise von Unionsbürgern keine Visa oder gleichartige Formalitäten verlangen444, und während bis vor kurzem noch eine Aufenthaltsgenehmigung bei Nachweis einer Beschäftigung für mindestens fünf Jahre gewährt werden musste445, ist heute keine Genehmigung mehr erforderlich446. 438 Das gilt für folgende Dokumente: Reisepass, Personalausweis, Geburtsurkunde, Familienstammbuch und polizeiliches Führungszeugnis, vgl. Art. 2 Abs. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 44/00. 439 Art. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 21/06. 440 Der Europäische Gerichtshof spricht allen Studenten ein Recht zu, in jedem Mitgliedstaat zu studieren, vgl. EuGH v. 13.02.1985, Rs. 293/83 (Gravier/Lüttich), Slg. 1985, 593, Rn. 19 ff.; EuGH v. 02.02.1988, Rs. 24/86 (Blaizot/Universität Lüttich), Slg. 1988, 379, Rn. 15 ff.; EuGH v. 26.02.1992, Rs. C-357/89 (Raulin/Minister van Onderwijs en Wetenschappen), Slg. 1992 I, 1027, Rn. 28 ff.; vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 578 f. Rn. 7; M. Franzen, Art. 39 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 26; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 582 f. Rn. 1522; W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 15; vgl. auch Richtlinie 93/96/EWG des Rates über das Aufenthaltsrecht der Studenten v. 29.10.1993, ABl. 1993, Nr. L 317/59. 441 Art. 7 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2004/38/EG. 442 Art. 7 der Richtlinie 2004/38/EG. 443 Vgl. bereits Fn. 427 (2. Teil). 444 Art. 5 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie 2004/38/EG. 445 Art. 6 Abs. 1 lit. b der inzwischen aufgehobenen Richtlinie Nr. 68/360/EWG; T. Oppermann, Europarecht, S. 519 Rn. 6. 446 Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG. Der Staat darf aber eine Anmeldung und den Nachweis der Beschäftigung verlangen (Art. 8 Abs. 1 und 3). Hiermit wurde die Rechtsprechung umgesetzt, vgl. EuGH v. 08.04.1975, Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, 497, Rn. 37; EuGH v. 20.02.1997, Rs. C-344/95 (Kommission/Belgien), Slg. 1997 I, 1035, Rn. 22.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder vorübergehender Arbeitsunfähigkeit geht das Aufenthaltsrecht nicht verloren447. Nach fünf Jahren rechtmäßigem Aufenthalt muss ein Daueraufenthaltsrecht selbst dann gewährt werden, wenn die Arbeitnehmereigenschaft nicht mehr besteht448. Familienangehörigen aus Drittstaaten werden in der Europäischen Union die gleichen Rechte gewährt449, um eine unter „objektiven Bedingungen in Freiheit und Würde“ auszuübende Freizügigkeit zu ermöglichen450. D.h. Familienangehörige von Wanderarbeitnehmern mit der Nationalität eines Nicht-Mitgliedstaates haben in der Europäischen Union nicht nur das Recht, sich in dem jeweiligen Mitgliedstaat aufzuhalten, sondern auch das Recht selbst eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben451, und ihnen darf sogar der Zugang zu solchen Berufen nicht verwehrt werden, die nach nationalen Bestimmungen nur Inländer auszuüben berechtigt sind452. Gemeinsame Vorschriften scheinen im Mercosur allerdings aufgrund der einheitlichen Handhabe in den Mitgliedstaaten nur begrenzt notwendig zu sein453. Alle vier Staaten unterscheiden drei Typen von Einreisenden: Touristen, den zeitlich beschränkten Aufenthalt und die permanente Aufenthaltsgenehmigung. In allen Ländern ist es Touristen verboten, Arbeit aufzunehmen. Das Kurzzeitvisum gilt in allen vier Staaten maximal sechs Monate und berechtigt nur zur Ausübung der Tätigkeit, für die das Visum erteilt wurde. Alle Länder sehen des Weiteren eine unbeschränkte Aufenthalterlaubnis im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses vor, die auch die Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit zulässt454. Zudem wird darauf hingewiesen, dass das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit in allen Mitgliedstaaten ein Verfassungsprinzip darstellt455. 447

Art. 7 Abs. 3 lit. a und b der Richtlinie 2004/38/EG. Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG. 449 Art. 6 Abs. 2, Art. 7 Abs. 2 und 4, Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG. Zur Freizügigkeit der Familienangehörigen vgl. auch W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 21 ff. 450 Vgl. 5. Erwägungsgrund der Präambel der Richtlinie 2004/38/EG; EuGH v. 11.04.2000, Rs. C-356/98 (Kaba/Secretary of State for the Home Department), Slg. 2000 I, 2613, Rn. 20. 451 Art. 11 der Verordnung 1612/68. 452 EuGH v. 07.05.1986, Rs. 131/85 (Gül/Regierungspräsident Düsseldorf), Slg. 1986, 1573, Rn. 11 ff. 453 Anderer Ansicht E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 59. 454 Darstellung bei H. Babace, La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, S. 112; Die Gemeinsamkeiten des Arbeitsrechts in den Mitgliedstaaten werden auch dargestellt bei H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 173 f., 222 f., 389 ff., 445 ff.; sehr ausführlich M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, S. 68 ff. 448

II. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit

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4. Ausnahmen Gemäß Art. 39 Abs. 3 EGV gelten die Rechte für Arbeitnehmer in der Europäischen Union nur vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen, deren Tragweite als Ausnahmen von einem „wesentlichen Grundsatz der Freizügigkeit“ eng auszulegen und durch die Gemeinschaftsorgane überprüfbar sein muss456. In Analogie zu der Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung457 im Warenverkehr hat der Europäische Gerichtshof zudem eine zweite Schranke für verdeckt oder faktisch diskriminierende staatliche Maßnahmen entwickelt. Diese können aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein458. Auch die in Art. 50 des Vertrags von Montevideo aufgezählten Schutzgegenstände dürften eine Einschränkung der Vorschriften zur Arbeitnehmerfreizügigkeit ebenso wie die aller anderen Grundfreiheiten im Mercosur ermöglichen459. Art. 50 des Vertrags von Montevideo besagt, dass keine Bestimmung des Vertrags Maßnahmen entgegensteht, die dem Schutz der dort genannten Ordre-public-Rechtsgüter dienen460. Eine ebenso 455

C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 192; E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 96; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 59. (Es wird allerdings an gleicher Stelle darauf hingewiesen, dass entgegen der verfassungsrechtlichen Verankerung des Nichtdiskriminierungsprinzips Vorschriften nationale und ausländische Arbeitnehmer unterschiedlich behandeln. Beispielhaft wird die häufig anzutreffende Regelung erwähnt, wonach nur eine bestimmte Anzahl an ausländischen Arbeitskräften in einer Brache arbeiten darf). 456 EuGH v. 04.12.1974, Rs. 41/74 (Van Duyn/Home Office), Slg. 1974, 1337, Rn. 18/19; EuGH v. 28.10.1975, Rs. 36/75 (Rutili/Minister des Inneren), Slg. 1975, 1219, Rn. 51/53; EuGH v. 17.06.1997, Rs. C-65/95 und C-111/95 (Queen/Secretary of State for the Home Department), Slg. 1997 I, 3343, Rn. 30. Es muss ein „Grundinteresse der Gesellschaft“ berührt werden, vgl. EuGH v. 27.10.1977, Rs. 30/77 (Boucherau), Slg. 1977, 1999, Rn. 33/35; EuGH v. 03.07.1986, Rs. 66/85 (LawrieBlum/Baden-Württemberg), Slg. 1986, 2121, Rn. 28; EuGH v. 02.07.1996, Rs. C-473/93 (Kommission/Luxemburg), Slg. 1996 I, 3207, Rn. 33. Hierzu W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 89 ff. 457 Hierzu vgl. A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten, S. 86 ff. 458 EuGH v. 20.05.1992, Rs. C-106/91 (Ramrath/Ministre de la Justice), Slg. 1992 I, 3351, Rn. 29; EuGH v. 10.03.1993, Rs. C-111/91 (Kommission/Luxemburg), Slg. 1993 I, 817, Rn. 9 ff.; EuGH v. 31.03.1993, Rs. C-19/92 (Kraus/BadenWürttemberg), Slg. 1993 I, 1663, Rn. 32; EuGH v. 02.08.1993, Rs. C-259/91, C-331/91 und C-332/91 (Allué u. a./Universita degli studi di Venezia u. a.), Slg. 1993 I, 4309, Rn. 15; EuGH v. 23.05.1996, Rs. C-237/94 (O’Flynn/Adjudication Officer), Slg. 1996 I, 2617, Rn. 19; vgl. auch M. Franzen, Art. 39 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 85 ff. 459 Dass die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit möglich sein muss, stellt heraus H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 132.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

enge Definition der Öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wie sie der Europäische Gerichtshof praktiziert, ist aber im Mercosur kaum denkbar. In der Europäischen Union gilt selbst ein Verstoß gegen ausländerrechtliche Meldevorschriften nicht als Grund, einen Unionsbürger auszuweisen, da er die Anmeldung nach nationalen Vorschriften als lediglich deklaratorisch ansieht, das Aufenthaltsrecht jedoch bereits durch die Freizügigkeitsregeln gewährleistet sei461. Eine Ausweitung der in Art. 50 des Vertrags von Montevideo aufgezählten Schutzgüter um zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses widerspräche dem abschließenden Charakter des Wortlauts der Ausnahmevorschrift. 5. Abgrenzung zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit Im Recht der Europäischen Union wird der persönliche Anwendungsbereich der Vorschriften zur Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf unselbständige Arbeitsverhältnisse begrenzt. Zu den Arbeitnehmern im Sinne des Art. 39 EGV gehören Personen, die eine tatsächliche und echte Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis ausüben462. Die Definition dient der Abgrenzung zur eigenständig in Art. 43 ff. und 49 ff. EGV geregelten Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, welche das Freizügigkeitsrecht selbständig tätiger Personen, den Freiberuflern, Handwerkern, Ärzten, Architekten etc. gewährleisten463. Eine Abgrenzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit insbesondere zur Niederlassungsfreiheit ist im Mercosur nur schwer möglich. Das liegt zum einen daran, dass es eine eigenständig geregelte Niederlassungsfreiheit nicht gibt464. Zum anderen ist die wichtigste zur Realisierung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Mercosur erlassene Vorschrift das Sozialrechtsabkommen, das auf sämtliche „Aktivitäten“ im Mercosur Anwendung findet und damit auch für die Dienstleistungs- und die Niederlassungsfreiheit relevant ist. 460

Vgl. bereits Teil 2, I. 2. g), S. 257. EuGH v. 08.04.1975, Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, 497, Rn. 45 ff.; EuGH v. 14.07.1977, Rs. 8/77 (Sagulo), Slg. 1977, 1495, Rn. 8; EuGH v. 03.07.1980, Rs. 157/79 (Pieck), Slg. 1980, 2171, Rn. 13, 17 ff.; EuGH v. 15.03.1989, Rs. 389/87 u. 390/87 (Echternach u. a./Minister van Onderwijs en Wetenschappen), Slg. 1989, 723, Rn. 25; EuGH v. 05.02.1991, Rs. C-363/89 (Roux/Belgien), Slg. 1991 I, 273, Rn. 12; T. Oppermann, Europarecht, S. 527 Rn. 29, S. 529 Rn. 33; W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 94. 462 Vgl. bereits Hinweise in Fn. 382 (2. Teil). 463 J. Bröhmer, Art. 43 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 10. Zur Abgrenzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit von der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit vgl. auch unten, Teil 2, III. 1. a). 464 Zur Niederlassungsfreiheit im Mercosur weiter unten, Teil 2, III. 1. i), S. 297. 461

II. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit

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Der Begriff des Arbeitnehmers ist im Mercosur demnach noch weiter gefasst als im Europarecht, wo er teilweise bereits für zu ausgedehnt gehalten wird465. 6. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Möglichkeit des Erwerbs des Lebensunterhalts in einem anderen Mitgliedstaat für bestimmte Berufsgruppen, insbesondere für Universitätsprofessoren und Wissenschaftler, durch die vereinfachte Visumsausstellung, die Pflicht zur Anerkennung der akademischen Grade und die im Sozialrechtsabkommen gewährten Rechte deutlich verbessert wurde. Für alle anderen Berufsgruppen gelten bezüglich der Einreiserlaubnis zu erwerbstätigen Zwecken nach wie vor die mitgliedstaatlichen Regelungen und damit möglicherweise Beschränkungen. In jedem Fall erleichtern aber die Bestimmungen des Sozialrechtsabkommens die Entscheidung, eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat anzustreben, und es wird herausgestellt, dass die Ansammlung von Sozialversicherungszeiten in verschiedenen Sozialversicherungssystemen der Mitgliedstaaten inzwischen problemlos möglich ist466. Damit trägt das Sozialrechtsabkommen wesentlich zu der als besonders schwierig eingestuften467 Harmonisierung soziarechtlicher Bestimmungen in den Mitgliedstaaten bei. Dem Sozialrechtsabkommen ist demnach große Bedeutung beizumessen. Schließlich stellt die Unsicherheit über die soziale Absicherung eine der Hauptbeschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar468. Eine umfassende Freizügigkeit, wie sie die Arbeitnehmer und deren Familienangehörige in der Europäischen Union genießen und deren Rechte sich einem allgemeinen, aus der Staatsangehörigkeit fließenden Bürgerrecht annähern469, ist im Mercosur noch nicht verwirklicht470. Während der Europäische Gerichtshof zunächst noch die Auffassung vertreten hatte, dass eine sich aus der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung ergebende unterschiedliche Behand465 Vgl. K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. b), S. 586. 466 H.-H. Barbagelata, El Derecho Laboral del Mercosur Ampliado, S. 25. 467 H. Babace, Derecho de la Integración y Relaciones Laborales, 245, 265. 468 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 427 Rn. 1124. Weshalb die soziale Gleichstellung mit inländischen Arbeitnehmern Voraussetzung für eine ungehinderte Ausübung des Freizügigkeitsrechts ist, so T. Oppermann, Europarecht, S. 531 Rn. 36. 469 T. Oppermann, Europarecht, S. 530 Rn. 34. 470 J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 389; F. Malgrino, Argentinos en Brasil: para ellos no hay MERCOSUR, in: CAEI (Hrsg.), Working Paper, 2006, S. 2 ff.; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 102; A. Haller, Mercosur, S. 94 f.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

lung nicht verboten sei, sofern diese sich ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit nach objektiven Merkmalen auf alle der Ordnung unterworfenen Arbeitnehmer auswirke471, hat er später auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit ebenso wie alle anderen Grundfreiheiten472 vom Diskriminierungszu einem Beschränkungsverbot ausgedehnt473, das auch gegenüber Privaten anzuwenden ist (Drittwirkung)474. D.h. auch unterschiedslos anwendbare innerstaatliche Rechtsvorschriften können die Freizügigkeit faktisch beschränken, „wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt“475. Sogar auf den privaten Bereich der Miete, des Erwerbs oder der Suche nach einer Wohnung wurde das Diskriminierungsverbot ausgedehnt476. Kinder von Wanderarbeitnehmern wird der gleiche Zugang zu Schulen und zur Berufsausbildung wie Staatsangehörigen des jeweiligen Mitgliedstaates gewährt477. Eine solch 471 EuGH v. 28.06.1978, Rs. 1/78 (Kenny/Insurance Officer), Slg. 1978, 1489, Rn. 16 ff.; vgl. EuGH v. 23.01.86, Rs. 298/84 (Iorio/Azienda autonoma delle ferrovie dello Stato), Slg. 1986, 247, Rn. 14. 472 Zur Analogie der Rechtsprechung W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/ Ruffert, Rn. 49. 473 EuGH v. 15.12.1995, Rs. C-415/93 (ASBL/Bosman), Slg. 1995 I, 4921, Rn. 94 ff.; EuGH v. 26.01.1999, Rs. C-18/95 (Terhoeve/Inspecteur van de Belastingdienst Particulieren), Slg. 1999 I, 345, Rn. 39; EuGH v. 27.01.2000, Rs. C-190/98 (Graf/Filzmoser), Slg. 2000 I, 493, Rn. 15, 23; EuGH v. 13.04.2000, Rs. C-176/96 (Lehtonen/Fédération royale belge des sociétés de basket-ball), Slg. 2000 I, 2681 47 ff.; ähnlich auch bereits EuGH v. 7.03.1991, Rs. C-10/90 (Masgio/Bundesknappschaft), Slg. 1991 I, 1119, Rn. 19; EuGH v. 10.03.1993, Rs. C-111/91 (Kommission/Luxemburg), Slg. 1993 I, 817, Rn. 9 ff.; EuGH v. 12.02.1974, Rs. 152/73 (Sotgiu/Bundespost), Slg. 1974, 153, Rn. 11. Ausführlich hierzu A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten, S. 45 ff., insb. 77 ff.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 553 ff. Rn. 1445 ff.; M. Franzen, Art. 39 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 88 ff.; W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 48. 474 EuGH v. 15.12.1995, Rs. C-415/93 (ASBL/Bosman), Slg. 1995 I, 4921, Rn. 94 ff.; EuGH v. 06.06.2000, Rs. C-281/98 (Angonese/Cassa di Risparmio), Slg. 2000 I, 4193, Rn. 30, 42 ff.; M. Franzen, Art. 39 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/ EGV, Rn. 94 ff.; T. Oppermann, Europarecht, S. 524 Rn. 23; W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 51; kritisch W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 553 ff. Rn. 1451. 475 EuGH v. 27.05.1993, Rs. C-310/91 (Schmid/Belgien), Slg. 1993 I, 3011, Rn. 25; EuGH v. 23.05.1996, Rs. C-237/94 (O’Flynn/Adjudication Officer), Slg. 1996 I, 2617, Rn. 20; EuGH. v. 12.09.1996, Rs. C-278/94 (Kommission/Belgien), Slg. 1996 I, 4307, Rn. 28; EuGH v. 27.11.1997, Rs. C-57/96 (Meints/Minister van Landbouw), Slg. 1997 I, 6689, Rn. 45; EuGH v. 07.05.1998, Rs. C-350/96 (Clean Car/Wien), Slg. 1998 I, 2521, Rn. 27; EuGH v. 24.09.1998, Rs. C-35/97 (Kommission/Frankreich), Slg. 1998 I, 5325, Rn. 38. Vgl. auch W. Brechmann, Art. 39 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 46. 476 Art. 9 der Verordnung 1612/68.

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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weitgehende Freizügigkeit wird im Mercosur bisher nicht angestrebt. Ziel ist es offenbar, ein objektives Diskriminierungsverbot ohne Drittwirkung zu verwirklichen. Dass eine Drittwirkung der Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit im Mercosur nicht angenommen werden kann, geht auch aus der Tatsache hervor, dass bisher nur staatliche Bildungseinrichtungen Zeugnisse anderer Mitgliedstaaten anerkennen müssen478.

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit Der Dienstleistungssektor ist der am stärksten wachsende Wirtschaftsbereich im Welthandel, weshalb ihm in der Uruguay-Runde des GATT besondere Aufmerksamkeit zukam479 und weshalb die Gruppe Gemeinsamer Markt die Liberalisierung des Dienstleistungssektors als eine Priorität zur Konsolidierung des Integrationsprozesses ansieht480. Nach Art. 1 des Vertrags von Asunción ist die Dienstleistungsfreiheit Bestandteil des angestrebten Gemeinsamen Marktes, ohne dass die Dienstleistungsfreiheit weiter konkretisiert wird. Dies geschah nach anfänglichem Stillstand481 mit der Verabschiedung des Dienstleistungsprotokolls durch den Mercosur-Rat482, 477 EuGH v. 11.04.1973, Rs. 76/72 (Michel/Fonds National), Slg. 1973, 457, Rn. 12/15; EuGH v. 03.07.1974, Rs. 9/74 (Casagrande/München), Slg. 1974, 773, Rn. 4; EuGH v. 29.01.1975, Rs. 68/74 (Alaimo/Prefet du Rhone), Slg. 1975, 109, Rn. 5/7; EuGH v. 15.03.1989, Rs. 389/87 u. 390/87 (Echternach u. a./Minister van Onderwijs en Wetenschappen), Slg. 1989, 723, Rn. 29; EuGH v. 04.05.1995, Rs. C-7/94 (Landesamt für Ausbildungsförderung NRW/Gaal), Slg. 1995 I, 1031, Rn. 24. Selbst bei Aufgabe der Beschäftigung und Rückkehr des EG-Wanderarbeitnehmers in das Herkunftsland geht das Recht des Kindes auf Weiterführung der Ausbildung nicht verloren, vgl. EuGH v. 15.03.1989, Rs. 389/87 u. 390/87 (Echternach u. a./Minister van Onderwijs en Wetenschappen), Slg. 1989, 723, Rn. 22 f. 478 Dagegen hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass ein Arbeitgeber, der die Bewerber verpflichtet, ihre Sprachkenntnisse ausschließlich durch ein bestimmtes staatliches Diplom nachzuweisen, gegen die Vorschriften der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Art. 39 EGV verstößt, vgl. EuGH v. 06.06.2000, Rs. C-281/98 (Angonese/Cassa di Risparmio), Slg. 2000 I, 4193, Rn. 46. 479 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 331. Die Bedeutung hebt auch der zweite Erwägungsgrund der Präambel des Dienstleistungsprotokolls (siehe Fn. 482, 2. Teil) hervor. Auf die zunehmende Bedeutung des Dienstleistungsverkehrs in der im Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft befindlichen Gesellschaft verweisen auch: W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 904 f. Rn. 2411; T. Oppermann, Europarecht, S. 535 Rn. 2; J. Witker, Las reglas de origen en los Tratados de Libre Comercio, S. 191. 480 INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 3 (1997), S. 35. 481 Vgl. m. w. N. A. Haller, Mercosur, S. 58, 72; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 90. 482 Protocolo de Montevideo sobre el Comercio de Servicios del Mercado Comffln del Sur, verabschiedet durch Ratsentscheidung 13/97 (deutsche Übersetzung in:

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

welches zum Ziel hat, den Verkehr von Dienstleistungen im Mercosur zu fördern483 und welches durch das im Rahmen der WTO verabschiedete GATS inspiriert wurde484. Es ist aber zugleich strikter als das GATS, weil Ausnahmen vom Meistbegünstigungsprinzip nicht vorgesehen sind485. 1. Das Dienstleistungsprotokoll Das Dienstleistungsprotokoll wurde am 15. Dezember 1997 vom Mercosur-Rat verabschiedet und bezeichnet sich selbst als Bestandteil des Vertrags von Asunción486, weshalb die darin enthaltenen Bestimmungen als Primärrecht zu qualifizieren sind. Der Beitritt eines neuen Mitgliedstaates zum Mercosur bedeutet ipso iure den Beitritt zum Dienstleistungsprotokoll487.

MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, S. 541 ff.) Das Dienstleistungsprotokoll ist noch nicht in Kraft getreten, vgl. http://www.sice.oas.org/agreemts/Mercin_e.asp# MERCOSUR. Das entbindet die Mitgliedstaaten allerdings nicht von der Verpflichtung, die dort enthaltenen Regelungen in nationales Recht umzusetzen. Wie im ersten Teil dargestellt wurde (vgl. Teil 1, IV. 2. a), insb. S. 111 ff. und Teil 1, IV. 3.), ist Mercosur-Recht mit Richtlinien im EU-Recht vergleichbar. Es verpflichtet die Mitgliedstaaten, tätig zu werden und die gemeinsamen Vorschriften in die nationalen Rechtsordnungen zu inkorporieren. Wenn dies in allen Mitgliedstaaten geschehen ist, tritt ein Rechtsakt, hier also das Dienstleistungsprotokoll, in allen Mitgliedstaaten gemäß dem Prinzip der simultanen Geltung gleichzeitig in Kraft und ist fortan in allen Mitgliedstaaten geltendes Recht. Das Prinzip der simultanen Geltung verhindert eine uneinheitliche Geltung von Mercosur-Recht. Gegenüber den Vertragsstaaten ist das beschlossene Recht jedoch mit seiner Verabschiedung verbindlich. Letzteres stellt F. Peña, Concertación de intereses, efectividad de las reglas en juego y calidad institucional en el Mercosur, 2003, S. 6 heraus. Mit Ratsentscheidung 9/89 wurden Anhänge zum Dienstleistungsprotokoll verabschiedet. 483 Art. 1 des Dienstleistungsprotokolls. 484 INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 3 (1997), S. 35; S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 60, 82; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 78, 157; ähnlich G. Vaneiro, Comercio internacional de servicios comerciales – Regulación jurídica, 1999, S. 50 f.; A. Haller, Mercosur, S. 72 f. Parallelitäten zum GATS stellt auch W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 95 fest. Die Ratsentscheidung 9/98, welche Anhänge zum Dienstleistungsprotokoll verabschiedet, bestimmt in Ziff. 5 lit. a S. 2 des Anhangs über Finanzdienstleistungen die Harmonisierung von Definitionen gem. § 5 des Anhangs über Finanzdienstleistungen des GATS. 485 S. Abreu Bonilla, Mercosur – una década de integración, S. 60; E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 80, 157. 486 Art. 27 des Dienstleistungsprotokolls. 487 Art. 29 des Dienstleistungsprotokolls.

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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a) Begriff der Dienstleistung und Abgrenzung zu anderen Grundfreiheiten Der Begriff der Dienstleistung wird im Dienstleistungsprotokoll nicht definiert. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass eine abschließende Definition schwierig ist488, weshalb auch der EG-Vertrag den Begriff der Dienstleistung lediglich negativ als entgeltliche Leistung umschreibt, die nicht den Vorschriften der anderen Grundfreiheiten unterliegt, wobei hierunter insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten fallen489. Im Europarecht wird die Dienstleistungsfreiheit daher als Auffangtatbestand verstanden, der sicherstellen soll, dass jede gewöhnlich gegen Entgelt geleistete Tätigkeit liberalisiert wird490. Obwohl das Ergebnis einer Dienstleistung durchaus ein Produkt sein kann, wie z. B. ein fertig gestelltes Haus oder das Gutachten eines Sachverständigen, handelt es sich bei Dienstleistungen überwiegend um nicht greifbare Dienste wie etwa die Vermittlung von Telefongesprächen oder die Arbeit eines Dolmetschers. Auch in den erst genannten Fällen, in denen das Ergebnis der Dienstleistung ein Produkt ist, unterscheidet sich dieses von anderen Produkten dadurch, dass der Herstellungs- oder Weiterverarbeitungsprozess im Vordergrund steht491. Das Abgrenzungsproblem zwischen dem Warenbegriff und dem Dienstleistungsbegriff lässt sich häufig anhand der Fragestellung klären, wer die Geldleistung erbringt: Zahlt der Abnehmer z. B. für Abfälle, Altpapier etc., so handelt es sich um ein geldwertes Gut, also eine Ware. Muss hingegen der Besitzer dem Abnehmer eine Gebühr entrichten z. B. für die Entsorgung von Abfällen, so steht die Dienstleistung im Vordergrund492. Das Erstellen eines Hauses im Auftrag des Bauherren ist daher eine Dienstleistung493, der Kauf eines fertigen Hauses ist der Kauf einer Ware. 488

Auf die begrifflich schwer zu fassende Eingrenzung der Dienstleistung verweist W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 916 Rn. 2446. 489 Art. 50 EGV. 490 T. Oppermann, Europarecht, S. 539 Rn. 1592; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 908 Rn. 2420, S. 944 Rn. 2512; anderer Ansicht J. Tiedje/P. Troberg, Art. 49 EG, Groeben/Schwarze, Rn. 4. Kritisch zu dieser sehr weiten Definition, die alle wirtschaftlichen Handlungen der Menschen dem Liberalisierungs- und Deregulierungsprinzip der Europäischen Union unterwirft, vgl. K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. c, aa), S. 591. 491 M. w. N. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 123 f.; J. Witker, Las reglas de origen en los Tratados de Libre Comercio, S. 193 ff.; zur Abgrenzung zwischen Waren und Dienstleistungen im EU-Recht ausführlich P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 272 ff.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 49/50 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 25 ff. 492 P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 281. 493 EuGH v. 22.07.1988, Rs. 45/87 (Kommission/Irland), Slg. 1988, 4929, Rn. 17.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Während der freie Dienstleistungsverkehr den Vertrieb oder die vorübergehende Erbringung von Dienstleistungen durch natürliche wie auch juristische Personen in einem anderen Mitgliedstaat umfasst494, garantiert die Arbeitnehmerfreizügigkeit die Freiheit, eine abhängige Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat aufzunehmen495. Die Dienstleistungsfreiheit ist eng verbunden mit der Niederlassungsfreiheit, also dem Recht, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, um eine Dienstleistung dauerhaft zu erbringen496. Erkennbar ist dieser Umstand aus der Tatsache, dass häufig nicht der Import von Dienstleistungen durch staatliche Reglementierungen beschränkt wird, sondern die Niederlassung ausländischer Dienstleistungsanbieter497. Die Niederlassungsfreiheit wird daher als inhärenter Bestandteil des angestrebten Gemeinsamen Marktes betrachtet, auch wenn diese nicht ausdrücklich im Vertrag von Asunción genannt ist498. Dieser Auffassung kann auch deshalb gefolgt werden, weil das Dienstleistungsprotokoll nicht zwischen der dauerhaften und lediglich vorübergehenden Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat unterscheidet und damit ebenfalls für die Niederlassungsfreiheit relevant ist499. Einige Maßnahmen können sowohl nach Bestimmungen des Dienstleistungsprotokolls als auch nach Bestimmungen des Wettbewerbsschutzprotokolls500 oder den Beihilferegelungen501 verboten sein502. 494

Vgl. weiter unten Teil 2, III. 1. d). Weshalb das Dienstleistungsprotokoll ausdrücklich nicht anwendbar ist auf Maßnahmen, die den Zugang natürlicher Personen zum Arbeitsmarkt betreffen, vgl. Ratsentscheidung 9/98, Anhang über die Einreise natürlicher Personen, Ziff. 2. Zur Abgrenzung zwischen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit vgl. auch bereits oben Teil 2, II. 5., S. 278. Für die Abgrenzung beider Grundfreiheiten im EU-Recht vgl. W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 430 ff. Rn. 1131 ff.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 49/50 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 30. 496 M. w. N. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 131; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 907 Rn. 2417 f., S. 945 Rn. 2514 f.; P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 11, 16 f.; vgl. auch Hinweise in Fn. 520 (2. Teil). 497 E. Navarro Varona, zitiert nach R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 131. 498 C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 194; A. Loschky, Mercosur und EU, S. 71; E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 104. In diesem Sinne auch A. Haller, Mercosur, S. 73. Zur Niederlassungsfreiheit weiter unten Teil 2, III. 1. i), S. 297. 499 Hierzu weiter unten Teil 2, III. 1. d), S. 287. 500 Hierzu Teil 3. 501 Hierzu Teil 3, III. 3. 502 Vgl. Art. 12, 16 und 23 Abs. 1 lit. c des Dienstleistungsprotokolls. 495

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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b) Persönlicher Anwendungsbereich Begünstigte des Dienstleistungsprotokolls sind alle natürlichen Personen mit der Nationalität eines Mitgliedstaates oder solche, die eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in einem Mitgliedstaat haben, sowie alle juristischen Personen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die eine nachhaltige wirtschaftliche Aktivität in diesem oder einem anderen Mitgliedstaat ausüben und die grenzüberschreitend Dienstleistungen erbringen503. Begünstigte der Dienstleistungsfreiheit im Mercosur können demnach auch Drittstaatsangehörige sein, die im Mercosur ansässig504 sind, und zwar selbst dann, wenn sowohl Erbringer als auch Empfänger der Leistung die Nationalität eines Drittstaates besitzen. Dies geht auch aus der Tatsache hervor, dass uneingeschränkt der gesamte Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des Protokolls fällt505. Damit ist der persönliche Anwendungsbereich des Mercosur-Dienstleistungsprotokolls weiter als derjenige der Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union, der grundsätzlich nur Unionsbürger begünstigt506. Die Vorgabe für Unternehmen, eine nachhaltige wirtschaftliche Aktivität im Mercosur ausüben zu müssen, schließt Briefkastenfirmen, die in Wirklichkeit in einem Drittstaat ihren Sitz haben, vom Anwendungsbereich des Protokolls aus507. In Abgrenzung zu den Vorschriften der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist das Dienstleistungsprotokoll ausdrücklich nicht anwendbar auf Maßnahmen, die den Zugang natürlicher Personen zum Arbeitsmarkt betreffen508.

503

Dies geht aus Art. 2 Ziff. 2 i. V. m. Art. 18 Ziff. 1 lit. f und h – k des Dienstleistungsprotokolls hervor; vgl. auch INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 3 (1997), S. 35. 504 Der bloße Aufenthalt im Mercosur dürfte dem Gesagten zufolge dagegen nicht ausreichen. 505 Vgl. weiter unten Teil 2, III. 1. d). 506 Art. 49 Abs. 1 EGV. Allerdings kann der Rat gem. Art. 49 Abs. 2 EGV beschließen, den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit auch auf Angehörige dritter Staaten auszuweiten. Hierzu W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 969 f. Rn. 2579 ff.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 49/50 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 14 f.; T. Oppermann, Europarecht, S. 536 Rn. 7; J. Tiedje/P. Troberg, Art. 49 EG, Groeben/Schwarze, Rn. 132 ff. Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union ist aber auch dann eröffnet, wenn nur eine der an dem Dienstleistungsaustausch beteiligten Personen Unionsbürger ist, vgl. A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 49/50 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 16 f. 507 In diesem Sinne INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 3 (1997), S. 35. 508 Ratsentscheidung 9/98, Anhang über die Einreise natürlicher Personen, Ziff. 2; vgl. bereits oben, S. 284.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

c) Sachlicher Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich des Dienstleistungsprotokolls erstreckt sich auf alle staatlichen Maßnahmen, die geeignet sind, die Dienstleistungsfreiheit im Mercosur einzuschränken509. Dazu zählen Maßnahmen der Regierungen, Verwaltungseinheiten und Kommunen ebenso wie Maßnahmen von Nichtregierungsorganisationen, welche im Auftrag oder mittels Konzession des Staates handeln510. Maßnahmen definiert das Dienstleistungsprotokoll als Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsakte oder jedwede andere Form staatlicher Vorschriften511. Nicht anzuwenden ist das Dienstleistungsprotokoll jedoch auf vom Staat selbst erbrachte Leistungen in Ausübung hoheitlicher Befugnisse512. Diese unterscheiden sich von privaten Dienstleistungen insbesondere dadurch, dass sie in keinem Wettbewerb zu anderen Dienstleistungen stehen513. Solche Leistungen sind typischerweise die Tätigkeit von Behörden, aber auch Dienstleistungen, die im Auftrag von Behörden erbracht werden514. Darunter fallen des Weiteren die Tätigkeiten der Zentralbanken sowie staatlicher Sozial- oder Rentenversicherungsträger515. Auch in der Europäischen Union sind hoheitliche Tätigkeiten vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ausgenommen516. 509

Art. 2 Ziff. 1 des Dienstleistungsprotokolls. Art. 2 Ziff. 3 lit. a und Art. 2 Ziff. 1 Nr. III des Dienstleistungsprotokolls. 511 Art. 18 Ziff. 1 lit. a des Dienstleistungsprotokolls. 512 Art. 2 Ziff. 3 lit. b des Dienstleistungsprotokolls. Vgl. Ähnlichkeit zu Art. I Ziff. 3 lit. b des GATS. 513 Art. 2 Ziff. 3 lit. c. des Dienstleistungsprotokolls; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 339. Kritisch zur Trennung von hoheitlichem Handeln und Teilnahme am Wirtschaftsverkehr, Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. b), dd), S. 589, vgl. auch bereits Fn. 236 (3. Teil) und 1274 (3. Teil). 514 Letztere werden ausdrücklich in Art. 15 des Dienstleistungsprotokolls von der Anwendung des Dienstleistungsprotokolls ausgenommen. Im Finanzdienstleistungssektor sind dies etwa die Tätigkeit von Zentralbanken und Bankenaufsichtbehörden sowie Tätigkeiten im Zusammenhang mit staatlichen Sozialversicherungssystemen, vgl. Ratsentscheidung 9/98, Anhang über Finanzdienstleistungen, Ziff. 1 lit. b und Ziff. 5 lit. b und c. 515 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 78. 516 Vgl. Art. 45 i. V. m. Art. 55 EGV; EuGH v. 03.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor de Metaalnijverheid), Slg. 1974, 1299, Rn. 13; EuGH v. 10.05.1995, Rs. C-384/93 (Alpine Investments/Minister van Financien), Slg. 1995 I, 1141, Rn. 48. Vgl. auch: K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. c, aa), S. 591; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, Rdn. 2660 ff., S. 1000 ff. Vgl. auch Art. 45 Abs. 1 EGV; W. Kluth, Art. 55 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 2; ders., Art. 45 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1 ff. 510

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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d) Schutzgegenstand Das Dienstleistungsprotokoll schützt die Erbringung einer Dienstleistung im eigenen Mitgliedstaat und den Vertrieb dieser in einem anderen Mitgliedstaat517 ebenso wie die Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat, auch mittels Handelsvertretungen, Niederlassungen oder Handelsvertreter in diesem Mitgliedstaat518. Im EU-Recht wird diese Konstellation als so genannte positive oder aktive Dienstleistungsfreiheit bezeichnet519. Im Unterschied zur Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union520 wird die Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat des Mercosur grundsätzlich und nicht nur vorübergehend gewährleistet. Aufgrund dieses bedeutenden Unterschiedes ist im Mercosur eine scharfe Abgrenzung von der Niederlassungsfreiheit nicht möglich. Dies steht insoweit mit der Tatsache im Einklang, als letztere nicht eigenständig geregelt ist521. Vermutlich möchte man im Mercosur die zum Teil schwierige Unterscheidung522 einer auf Dauer angelegten selbständigen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat und einer nur vorübergehenden Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat vermeiden523. Das Protokoll schützt aber auch die so genannte negative oder passive Dienstleistungsfreiheit, wobei sich der Leistungsempfänger grenzüberschreitend zum Leistungserbringer begibt, etwa zum Arztbesuch, Kuraufenthalt, für Studien- oder Geschäfts- oder Kulturreisen, wie es in der Europäischen Union der Fall ist524. Das geht aus Art. 2 Ziff. 2 lit. b des Dienstleistungs517

Art. 2 Ziff. 2 lit. a des Dienstleistungsprotokolls. Art. 2 Ziff. 2 lit. c, d und Art. 2 Ziff. 1Nr. IV i. V. m. Art. 18 Ziff. 1 lit. c des Dienstleistungsprotokolls. 519 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 932 ff. Rn. 2485 ff.; T. Oppermann, Europarecht, S. 539 Rn. 18. 520 Zur Abgrenzung der Dienstleitungs- von der Niederlassungsfreiheit im EURecht vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 539 Rn. 18 f.; R. Streinz, Europarecht, S. 297 Rn. 781, S. 344 Rn. 887; P.-C. Müller-Graff, Art. 43 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 11, 16 f.; ders., Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 3, 27; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 727 f. Rn. 1938 ff., S. 945 ff., 2514 ff.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 49/50 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 31 ff. EuGH v. 13.02.2003, Rs. C-131/01 (Kommission/ Italien), Slg. 2003 I, 1659, Rn. 22 ff. 521 Vgl. bereits in diesem Kapitel, S. 284. Zur Niederlassungsfreiheit weiter unten Teil 2, III. 1. i). 522 Hierzu A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 49/50 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 32; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 727 Rn. 1940. 523 Auch in der Europäischen Union wurde anfangs die Aufspaltung der selbständigen Dienstleistungen in zwei verschiedene Kapitel des EG-Vertrags als nicht notwendig angesehen, vgl. W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 945 Rn. 2515. 518

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

protokolls hervor, der als schutzwürdigen Dienstleistungsverkehr im Sinne des Protokolls die Erbringung einer Dienstleistung in einem Mitgliedstaat für Verbraucher aus jedem anderen Mitgliedstaat definiert525. Dies beinhaltet die Erbringung einer Dienstleistung im Heimatstaat für Verbraucher aus anderen Mitgliedstaaten wie im Übrigen auch die Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Heimatstaat für Leistungsempfänger aus wieder einem anderen Mitgliedstaat, z. B. dem Heimatstaat des Leistungserbringers. Diese Konstellation ist seit der „Fremdenführerentscheidung“ des Europäischen Gerichtshofs auch von der EU-Dienstleistungsfreiheit erfasst526. In den Anwendungsbereich des Protokolls fallen folglich alle grenzüberschreitenden Sachverhalte527. Zu den verbotenen staatlichen Maßnahmen fallen neben solchen, die unmittelbar die Erbringung von Dienstleistungen betreffen, auch Vorschriften, die den Vertragsabschluss, die Bezahlung oder den Gebrauch einer Dienstleistung beeinträchtigen528. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, den notwendigen Kapitaltransfer zur Bezahlung der Dienstleistungen zu ermöglichen529 und Maßnahmen zu unterlassen, die in irgendeiner Weise eine Höchstgrenze an ausländischem Kapitaleinsatz vorschreiben530. An dieser 524 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 78. Für das EU-Recht vgl. EuGH v. 31.01.1984, Rs. 286/82 u. 26/83 (Luisi/Ministero del Tesoro), Slg. 1984, 377 Rn. 10; EuGH v. 02.02.1989, Rs. 186/87 (Cowan/Tresor Public), Slg. 1989, 195, Rn. 15; EuGH. v. 07.12.1993, Rs. C-109/92 (Wirth/Hannover), Slg. 1993 I, 6447, Rn. 17 ff.; EuGH v. 15.03.1994 – Rs. C-45/93 (Kommission/Spanien), Slg. 1994 I, 911, Rn. 5; EuGH v. 28.04.1998, Rs. C-158/96 (Kohll/Union des caisses de maladie), Slg. 1998 I, 1931, Rn. 29; EuGH v. 12.07.2001, Rs. C-157/99 (Smits/Stichting Ziekenfonds), Slg. 2001 I, 5473, Rn. 54; dazu: P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV Rn. 53 ff.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 934 ff. Rn. 2488 ff.; T. Oppermann, Europarecht, S. 540, Rn. 20. 525 Der Wortlaut lässt nicht erkennen, ob unter Verbrauchern aus anderen Mitgliedstaaten Ansässige in anderen Mitgliedstaaten oder Angehörige anderer Mitgliedstaaten gemeint sind. 526 EuGH v. 26.02.91, Rs. C-154/89 (Kommission/Frankreich), Slg. 1991 I, 659, Rn. 10; EuGH v. 26.02.1991, Rs. C-180/89 (Kommission/Italien), Slg. 1991 I, 709, Rn. 9; EuGH v. 26.02.1991, Rs. C-198/89 (Kommission/Griechenland), Slg. 1991 I, 727, Rn. 10. EuGH v. 01.07.1993, Rs. C-20/92 (Hubbard/Hamburger), Slg. 1993 I, 3777, Rn 12. EuGH v. 05.06.1997, Rs. C-398/95 (Grafeion/Ergasias), Slg. 1997 I, 3091, Rn. 8. Vgl. auch: W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 941 f. Rn. 2504 f.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 49/50 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 45. 527 Nicht anders im EU-Recht, vgl. A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 49/50 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 39 ff.; EuGH v. 16.02.1995, Rs. C-29/94 (Aubertin u. a.), Slg. 1995 I, 301, Rn. 9; EuGH v. 28.01.1992, Rs. C-330/90 u. C-331/90 (López Brea u.a), Slg. 1992 I, 323, Rn. 7. 528 Art. 2 Ziff. 1 Nr. II des Dienstleistungsprotokolls. 529 Art. 4 Ziff. 1. des Dienstleistungsprotokolls.

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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Stelle wird die Verflechtung der vier Grundfreiheiten insbesondere zwischen der Dienstleistungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit deutlich531. Neben dieser allgemeinen Verpflichtung, die Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten, enthält das Dienstleistungsprotokoll konkret verbotene Maßnahmen, die im Recht der Europäischen Union erst durch die Rechtsprechung aus dem EG-Vertrag abgeleitet wurden und den Zugang zu Dienstleistungsmärkten betreffen532: Das Dienstleistungsprotokoll verbietet Vorschriften, welche eine bestimmte Rechtsform eines Dienstleistungsbetriebes vorschreiben oder welche die Anzahl der Erbringer von Dienstleistungen oder die Anzahl der Personen, die in einem Dienstleistungssektor arbeiten oder die Anzahl der Dienstleistungen selbst oder deren ökonomischen Wert reglementieren, sei es durch Festlegung von Kontingenten, durch staatliche Monopole, durch die Vergabe von ausschließlichen Konzessionen oder die Vorgabe, die wirtschaftliche Notwendigkeit der ausländischen Dienstleistung nachzuweisen533. Ob demnach wie im EU-Recht die Dienstleistungserbringer Arbeitnehmer im Empfängerstaat der Dienstleistung ohne gesonderte Arbeitserlaubnis und nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem der Unternehmer seinen Sitz hat, beschäftigen dürfen (Herkunftslandprinzip), um die Dienstleistungsanbieter nicht verdeckten Diskriminierungen aus ob530

Art. 4 Ziff. 2 lit. f. des Dienstleistungsprotokolls. Hierzu auch: R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 131; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 955 Rn. 2543 ff., S. 699 f. Rn. 1858 ff., S. 737 f. Rn. 1964 ff., S. 1038 ff. Rn. 2754 ff., S. 1046 f. Rn. 2777, S. 1051 f. Rn. 2790; P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 28; W. Kluth, Art. 50 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1; J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, 2000, S. 190 ff.; vgl. auch EuGH v. 14.11.1995, Rs. C-484/93 (Svensson/Ministre du Logement), Slg. 1995 I, 3955, Rn. 11; T. Oppermann, Europarecht, S. 487 Rn. 3. Kritisch K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. d, aa), S. 601. 532 Diese ausdrücklichen Bestimmungen wurden offenbar aufgrund der erheblichen Asymmetrien hinsichtlich des Zugangs zu den Märkten für Finanzdienstleistungen in den Mitgliedstaaten in das Dienstleistungsprotokoll aufgenommen, vgl. INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), S. 39. Für die Rechtsprechung in der Europäischen Union vgl. folgende Fn. 533 und 534. 533 Art. 4 Ziff. 2 des Dienstleistungsprotokolls. Für das EU-Recht vgl. EuGH v. 25.07.1991, Rs. C-353/89 (Kommission/Niederlande), Slg. 1991 I, 4069, Rn. 48; EuGH v. 05.10.1994, Rs. C-381/93 (Kommission/Frankreich), Slg. 1994 I, 5145, Rn. 17 f.; EuGH v. 28.04.1998, Rs. C-158/96 (Kohll/Union des caisses de maladie), Slg. 1998 I, 1931, Rn. 33 ff.; EuGH v. 21.10.1999, Rs. C-67/98 (Questore di Verona/Diego Zenatti), Slg. 1999 I, 7289, Rn. 27; EuGH v. 12.07.2001, Rs. C-157/99 (Smits/Stichting Ziekenfonds), Slg. 2001 I, 5473, Rn. 61; EuGH v. 29.11.2001, Rs. C-17/00 (De Coster/Collège des bourgmestre), Slg. 2001 I, 9445, Rn. 30 ff. Vgl. auch P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 86 ff., 91 ff., 95 ff.; bezüglich Dienstleistungsmonopole vgl. W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 990 f. Rn. 2634. 531

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

jektiv, aber unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen auszusetzen534, bleibt unklar. Eine solche weite Auslegung ist nicht unproblematisch und führt gerade zwischen Ländern mit erheblichen Einkommensunterschieden zur Lohnkonkurrenz und zur Aushöhlung von Arbeitsrechts- und Sozialstandards535. Gegen ein ebenso weit gefasstes Verständnis der Dienstleistungsfreiheit im Mercosur spricht, dass es anders als in der Europäischen Union536 im Mercosur bisher keine Vorschriften gibt, die ein solches arbeitsrechtliches Herkunftslandsprinzip einzuschränken vermögen und Min534 EuGH v. 17.12.1981, Rs. 279/80 (Webb), Slg. 1981, 3305, Rn. 11 ff.; EuGH v. 27.03.1990, Rs. C-113/89 (Rush Portuguesa/Office National D’Immigartion), Slg. 1990 I, 1417, Rn. 17; EuGH v. 03.02.1982, Rs. 62 und 63/82 (Seco u. a./Etablissement D’Assurance), Slg. 1982, 223, Rn. 14 f.; EuGH v. 9.08.1994, Rs. C-43/93 (Vander Elst/Office des Migartions), Slg. 1994 I, 3803, Rn. 15, 22; EuGH v. 23.11.1999, Rs. C-369/96 und C-376/96 (Arblade und Leloup), Slg. 1999 I, 8453, Rn. 32 ff., 56 ff.; EuGH v. 15.03.2001, Rs. C-165/98 (Mazzoleni und Inter Surveillance Assistance), Slg. 2001 I, 2189, Rn. 40 f.; EuGH v. 24.01.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Slg. 2002 I, 787, Rn. 21 ff.; EuGH v. 07.02.2002, Rs. C-279/00 (Kommission/Italien), Slg. 2002 I, 1425, Rn. 34. Vgl. auch: P.-C. MüllerGraff, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 49 EGV, Rn. 95 f., 113; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 951 Rn. 2530, S. 982 f. Rn. 2613; S. 987 f. Rn. 2624. 535 Kritisch daher K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. c, aa), S. 592 und 14, II. 2. lit. c, ee), S. 595 ff.; vgl. auch Hinweise in Fn. 603 f. (2. Teil). Allerdings ist es den Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich nicht verwehrt, einem Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, das Dienstleistungen im erstgenannten Mitgliedstaat erbringt, die durch die nationalen Vorschriften dieses Staates festgelegten Verpflichtungen (z. B. die Einhaltung von Mindestlöhnen, Sozialstandards etc.) aufzuerlegen, wenn dies unter Berücksichtigung der Umstände verhältnismäßig erscheint, vgl. EuGH v. 03.02.1982, Rs. 62 und 63/81 (Seco u. a./Etablissement D’Assurance), Slg. 1982, 223, Rn. 14; EuGH v. 9.08.1994, Rs. C-43/93 (Vander Elst/Office des Migartions), Slg. 1994 I, 3803, Rn. 23; EuGH v. 23.11.1999, Rs. C-369/96 und C-376/96 (Arblade und Leloup), Slg. 1999 I, 8453, Rn. 34 ff.; EuGH v. 24.01.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Slg. 2002 I, 787, Rn. 26 ff.; EuGH v. 15.03.2001, Rs. C-165/98 (Mazzoleni und Inter Surveillance Assistance), Slg. 2001 I, 2189, Rn. 40 f.; EuGH v. 13.02.2003, Rs. C-131/01 (Kommission/Italien), Slg. 2003 I, 1659, Rn. 29. Die Verhältnismäßigkeit ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn den Erfordernissen des Bestimmungslandes der Dienstleistung bereits durch die Vorschriften des Herkunftslandes Rechnung getragen wurde. D.h. es sollen Doppelbelastungen verhindert werden, die sich für Dienstleistungserbringer durch die Kumulierung von Vorschriften des Herkunftslandes und des Ziellandes ergeben, vgl. EuGH v. 23.11.1999, Rs. C-369/96 und C-376/96 (Arblade und Leloup), Slg. 1999 I, 8453, Rn. 56 ff.; EuGH v. 07.02.2002, Rs. C-279/00 (Kommission/Italien), Slg. 2002 I, 1425, Rn. 34. 536 Vgl. Richtlinie 96/71/EG (vgl. bereits Fn. 380, 2. Teil); vgl. auch: T. Oppermann, Europarecht, S. 538 Rn. 16; P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 125 f.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1018 Rn. 2707; W. Kluth, Art. 52 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 22.

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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destlöhne ermöglichen. Dagegen spricht aber insbesondere, dass keine Bestimmung des Dienstleistungsprotokolls Berufszulassungsvoraussetzungen wie beispielsweise die Erforderlichkeit bestimmter Befähigungsnachweise verbietet, welche zwar auch für inländische Dienstleistungsanbieter gelten denen aber bereits durch Vorschriften im Heimatstaat Rechnung getragen wurde. Unterschiedslos anwendbare Vorschriften zur Reglementierung der Berufszulassung und -ausübung, welchen schon durch die Erfüllung gleichwertiger Voraussetzungen im Herkunftsland Rechnung getragen ist, werden im Mercosur anders als im Europarecht537 demnach nicht als Beschränkung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs gesehen. e) Meistbegünstigung und Nichtdiskriminierung Art. 3 und 4 des Dienstleistungsprotokolls übertragen das aus dem Warenverkehr bekannte Meistbegünstigungsprinzip ausdrücklich auf den Dienstleistungssektor. Dienstleistungen und deren Erbringer aus anderen Mitgliedstaaten dürfen nicht schlechter gestellt werden als vergleichbare inländische Dienstleistungen oder deren Erbringer538 oder Dienstleistungen und deren Erbringer aus dritten Staaten539. Eine Diskriminierung ausländischer Dienstleistungen oder deren Erbringer wird insbesondere dann angenommen, wenn die in Frage stehende staatliche Maßnahme die Wettbewerbsbedingungen zum Vorteil inländischer Konkurrenten abändert540. Die Meistbegünstigung gilt nur gegenüber den anderen Mercosur-Staaten, nicht jedoch gegenüber anderen Mitgliedern der WTO, da der Mercosur von der Ausnahmeklausel des Art. V des GATS profitiert541. Ausgenommen von dem Meistbegünstigungsprinzip sind zudem Doppelbesteuerungs537 EuGH v. 21.09.1999, Rs. C-124/97 (Läärä/Finnland), Slg. 1999 I, 6067, Rn. 29; EuGH v. 26.02.91, Rs. C-154/89 (Kommission/Frankreich), Slg. 1991 I, 659, Rn. 13; EuGH v. 26.02.1991, Rs. C-180/89 (Kommission/Italien), Slg. 1991 I, 709, Rn. 16; EuGH v. 26.02.1991, Rs. C-198/89 (Kommission/Griechenland), Slg. 1991 I, 727, Rn. 17; EuGH v. 25.07.1991, Rs. C-76/90 (Säger/Dennemeyer), Slg. 1991 I, 4221, Rn. 14; EuGH v. 9.08.1994, Rs. C-43/93 (Vander Elst/Office des Migartions), Slg. 1994 I, 3803, Rn. 15; EuGH v. 22.03.1994, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994 I, 923, Rn. 21; EuGH v. 12.12.1996, Rs. C-3/95 (Reisebüro Broede/Sandker), Slg. 1996 I, 6511, Rn. 27; EuGH v. 21.07.2005, Rs. C-231/03 (Coname/Comune di Cingia de’ Botti), Slg. 2005 I, 7287, Rn. 28; vgl. auch P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 93. 538 Art. 5 Ziff. 1 des Dienstleistungsprotokolls. 539 Art. 3 Ziff. 1 und Art. 4 Ziff. 1 des Dienstleistungsprotokolls. 540 Art. 5 Ziff. 4 des Dienstleistungsprotokolls. 541 5. Erwägungsgrund der Präambel des Dienstleistungsprotokolls; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 132; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 94.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

abkommen mit anderen Mitgliedstaaten oder Drittstaaten542. Das Protokoll begründet zudem keine Verpflichtung, den Ausgleich von Nachteilen zu gewährleisten, die sich aus der Natur der Tatsache ergeben, dass es sich um eine ausländische Dienstleistung handelt543. Hier haben die Mitgliedstaaten eine in der Europäischen Union zunächst umstrittene Frage ausgeräumt544. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, durch entsprechende Vorschriften die Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten545. f) Wirksamkeit Das Dienstleistungsprotokoll verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Beachtung des im Öffentlichen Recht grundsätzlich gültigen Willkürverbots546. Alle staatlichen Maßnahmen, die die Dienstleistungsfreiheit betreffen, müssen objektiv und unparteiisch ausgeführt werden547. Hierzu schaffen die Mitgliedstaaten im Einklang mit der nationalen Rechtsordnung einen gerichtlichen, schiedsgerichtlichen oder in sonstiger Weise unabhängigen Rechtsweg, der es Erbringern von Dienstleistungen ermöglicht, nationale Vorschriften auf die Vereinbarkeit mit den Bestimmungen des Protokolls überprüfen zu lassen548. Ist die Vergabe von Lizenzen oder Tauglichkeitsprüfungen notwendig, beispielsweise im Lebensmittelgewerbe, so verpflichten sich die Vertragsstaaten, dass sich diese an objektiven und transparenten Kriterien orientiert, etwaige aufzuerlegende Vorschriften das notwenige Maß nicht überschreiten und die Vergabe an sich nicht bereits ein Hindernis für den freien Dienstleitungsverkehr darstellt549. Die Vorschrift verbietet demnach die schikanöse Ausgestaltung von Verwaltungsregelungen550. Es 542 Art. 13 lit. e. des Dienstleistungsprotokolls. Ausgenommen sind auch Zugeständnisse an angrenzende Staaten, die im Zusammenhang mit Dienstleistungen gewährt werden, welche den Warenaustausch in Grenzzonen erleichtern und lediglich lokal begrenzt sind, vgl. Art. 3 Ziff. 2 des Dienstleistungsprotokolls. 543 Art. 5 Ziff. 2 des Dienstleistungsprotokolls. 544 Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs sind „solche an den Leistungserbringer gestellten besonderen Anforderungen nicht als mit dem Vertrag unvereinbar anzusehen, die sich aus der Anwendung von Regelungen für diese Art von Tätigkeiten ergeben“, vgl. EuGH v. 17.12.1981, Rs. 279/80 (Webb), Slg. 1981, 3305, Rn. 17. 545 Art. 2 Ziff. 3 Abs. 2; Art. 19 Abs. 4 des Dienstleistungsprotokolls. 546 Vgl. etwa K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 178 ff.; H.-W. Arndt/W. Rudolf, Öffentliches Recht – Grundriß für das Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, 11. Aufl. 1996, S. 149; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 100, 234, insb. S. 329 f. 547 Art. 10 Ziff. 1 des Dienstleistungsprotokolls. 548 Art. 10 Ziff. 2 des Dienstleistungsprotokolls. 549 Art. 10 Ziff. 3 und 4 des Dienstleistungsprotokolls.

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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wird darauf hingewiesen, dass jedoch jeder Staat das Recht hat, die Vorschriften für die Berufsausübung in seinem Territorium selbst festzulegen551. Erkennt ein Staat Bildungsabschlüsse eines anderen Staates an, so zwingt ihn das Dienstleistungsprotokoll anders als im EU-Recht552 nicht, Gleiches für Bildungsabschlüsse eines anderen Mitgliedstaates zu tun553. Allerdings muss jeder Vertragsstaat allen anderen Staaten zumindest eine Möglichkeit geben, objektiv gleichwertige Abkommen auch mit diesen Staaten zu treffen554. Die Verpflichtung, auch jedem anderen Staat die Möglichkeit zu geben, Verhandlungen über die Anerkennung von Bildungsabschlüssen zu führen, entspricht dem Meistbegünstigungsprinzip, welches so ausgelegt werden kann, dass eine Anerkennung auch für Bildungsabschlüsse aller anderen Staaten möglich sein muss, da andernfalls die Dienstleistungsfreiheit jedenfalls faktisch beschränkt wäre. Natürlich kann kein Staat verpflichtet werden, einen Bildungsabschluss als gleichwertig anzuerkennen, der nicht gleichwertig ist555. Die für die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zuständigen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen sollen sich mit den entsprechenden Körperschaften anderer Mitgliedstaaten austauschen, um gemeinsame Regelungen hinsichtlich der Vergabe von Lizenzen etc. zu finden, die einen freien Dienstleistungsverkehr ermöglichen556. Es obliegt sodann der Gruppe Gemeinsamer Markt, die von den Mitgliedstaaten vorgebrachten Vorschläge anzunehmen und die Mitgliedstaaten zu verpflichten, diese in ihr nationales Recht zu inkorporieren. Um die Wirksamkeit der in dem Dienstleistungsprotokoll getroffenen Regelungen zu erhöhen, hat man einen weiteren wirkungsvollen Mechanismus eingeführt: Die Mitgliedstaaten müssen der Handelskommission mindestens 550 Wie sie im Recht der Europäischen Union von Europäischen Gerichtshof ausdrücklich verboten wurde, vgl. EuGH v. 17.06.1987, Rs. 154/85 (Kommission/Italien), Slg. 1987, 2717, Rn. 14 f. 551 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 344. Dies hat auch der Europäische Gerichtshof anerkannt, vgl. EuGH v. 03.02.1982, Rs. 62 und 63/82 (Seco u. a./Etablissement D’Assurance), Slg. 1982, 223, Rn. 14; EuGH v. 23.11.1999, Rs. C-369/96 und C-376/96 (Arblade und Leloup), Slg. 1999 I, 8453, Rn. 34 ff.; EuGH v. 15.03.2001, Rs. C-165/98 (Mazzoleni und Inter Surveillance Assistance), Slg. 2001 I, 2189, Rn. 40 ff. EuGH v. 24.01.2002, Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Slg. 2002 I, 787, Rn. 26 ff. 552 Hierzu weiter unten Teil 2, III. 2., S. 299. 553 Art. 11 Ziff. 1 lit. a. Das geht auch klar aus Art. 6 des Dienstleistungsprotokolls hervor, wonach die Mitgliedstaaten bezüglich der Vergabe von Lizenzen und Tauglichkeitsprüfungen bilaterale Verträge abschließen „können“ (podrán). 554 Art. 11 Ziff. 1 lit. b des Dienstleistungsprotokolls. 555 Für das EU-Recht verweist hierauf P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 113. 556 Art. 11 Ziff. 2 u. 4 des Dienstleistungsprotokolls.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

einmal jährlich sämtliche staatliche Vorschriften mitteilen, die in irgendeiner Weise die Freizügigkeit des Dienstleistungsverkehrs berühren557. Zudem können die Mitgliedstaaten gegenseitig die Offenlegung von Regelungen durch die von Art. III Abs. 4 GATS implementierten Auskunftsstellen verlangen, und jeder Mitgliedstaat kann der Handelskommission Maßnahmen anderer Mitgliedstaaten melden, die seiner Ansicht nach die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs beeinträchtigen558. g) Zusätzliche Verpflichtungen Die Mitgliedstaaten sind übereingekommen, zusätzlich559 zu den Vorgaben des Dienstleistungsprotokolls spezielle, von den Staaten selbst auszuwählende Verpflichtungen (compromisos especícficos) einzugehen560. In den einmal jährlich von der Gruppe Gemeinsamer Markt organisierten Verhandlungen561 sollen ausgewählte Wirtschaftsbereiche auf die Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Protokolls untersucht und gegebenenfalls Vereinbarungen geschlossen werden, die sodann vom Mercosur-Rat verabschiedet 557 Art. 8 Ziff. 1–3. des Dienstleistungsprotokolls. Das Vorgehen erinnert an das Informationsverfahren der EG-Richtlinie 83/189/EWG, ABl. 1983, Nr. L 109/8. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, den geplanten Erlass neuer Vorschriften auf dem Gebiet technischer Normen der EU-Kommission mitzuteilen, welche sodann die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht prüft. 558 Art. 8 Ziff. 4 u. 5. des Dienstleistungsprotokolls. Das gilt nicht für die Offenlegung von Informationen, die aus Gründen des Allgemeininteresses vertraulich bleiben müssen, vgl. Art. 9 des Dienstleistungsprotokolls. Ziff. 2 des Anhangs über Finanzdienstleistungen der Ratsentscheidung 9/98 stellt klar, dass keine Vorschrift des Dienstleistungsprotokolls dahingehend zu verstehen ist, dass vertrauliche Informationen, insbesondere über die Rechnungslegung von Privatpersonen offen zu legen sind. 559 Zum Teil wird die Formulierung so verstanden, dass die Ziele des Protokolls überhaupt nur durch diese in Listen geführten Verpflichtungen der Staaten verwirklicht werden sollen, vgl. E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 135; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 88; so wohl auch U. Wehner, Der Mercosur, S. 157. Dass es sich aber um zusätzliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten handelt, geht aus Art. 19 insbesondere Abs. 4 des Dienstleistungsprotokolls hervor, der es den Mitgliedstaaten verbietet, Maßnahmen zu treffen, die gegen die Bestimmungen des Protokolls und die spezifischen Verpflichtungen verstoßen. 560 Art. 4 Ziff. 1, Art. 5 Ziff. 1, Art. 7 und Art. 19 des Dienstleistungsprotokolls. 561 Unbeschadet der Tatsache, dass die Handelskommission ansonsten für die Anwendung des Dienstleistungsprotokolls zuständig ist, wie Art. 23 des Dienstleistungsprotokolls bestimmt. Die Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 31/98 hat die Arbeitsgruppe Dienstleistungen als Hilfsorgan geschaffen. Die Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe ist in der Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 73/98 geregelt.

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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werden562. Die bisher eingegangenen Verpflichtungen entsprechen im Wesentlichen denjenigen, welche die Mitgliedstaaten auch im Rahmen des GATS eingegangen sind563. Es wurde kritisiert, man versuche die Dienstleistungsfreiheit vorschnell mit nur einem einzigen Dokument durchzusetzen. Stattdessen hätte man besser den von der Europäischen Union gewählten Weg gehen sollen, zunächst in ausgewählten Bereichen sektorale Abkommen zu schließen564. Diese Kritik lässt sich angesichts der vom Dienstleistungsprotokoll ausdrücklich vorgesehenen Verhandlungen sektoraler Abkommen nicht nachvollziehen. h) Ordre-public-Ausnahmen Das Dienstleistungsprotokoll lässt Ausnahmen zugunsten des Schutzes der Moral, der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zugunsten des Schutzes des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen, zugunsten des Datenschutzes sowie zur Sicherstellung der Erhebung direkter Steuern auf Dienstleistungen aus anderen Mitgliedstaaten, wie sie auch Art. XIV Abs. 1 lit. a–e GATS kennt, zu565. Dabei sieht das Protokoll allerdings zwei Schranken vor: Ausnahmen von den Bestimmungen des Protokolls zugunsten der Moral und der öffentlichen Ordnung dürfen nur angewendet werden, wenn eine Bedrohung unmittelbar bevorsteht und andernfalls fundamentale Interessen des Allgemeinwohls hinreichend schwer beeinträchtigt werden566. 562 Art. 19 i. V. m. Art. 21 und Art. 22 Ziff. 1 lit. a des Dienstleistungsprotokolls. Art. 20 des Dienstleistungsprotokolls sieht die Möglichkeit vor, einige von den eingegangenen Verpflichtungen ausnahmsweise wieder auszusetzen. Derjenige Mitgliedstaat, der eine Regelung aussetzen möchte, muss die Gruppe Gemeinsamer Markt davon in Kenntnis setzen und die Gründe für das gewünschte Aussetzen darlegen. Zusammen mit den Vertretern von denjenigen Mitgliedstaaten, die davon betroffen sind, werden innerhalb der Gruppe Gemeinsamer Markt das genaue Vorgehen und die Dauer des Aussetzens festgelegt. D.h. ein Staat kann nicht unilateral eine Regelung des Protokolls aussetzen. Das Vertrauensschutzprinzip ist zu beachten. Bisher wurden mit folgenden Ratsentscheidungen Compromisos Específicos verabschiedet: 9/98; 1/00; 56/00; 10/01; 22/03; 29/04; 1/06. 563 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 129, 154. Im Vergleich zu Argentinien und Brasilien sind die Märkte für Versicherungen in Paraguay und Uruguay stärker geöffnet worden. Argentinien und Uruguay haben sich verpflichtet, den Markt für Finanzdienstleistungen zu öffnen, wo insbesondere in Brasilien noch Beschränkungen bestehen. Vgl. Übersicht bei E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 130 ff. 564 R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 114. 565 Art. 13 lit. a–d des Dienstleistungsprotokolls. 566 „(. . .) pudiendo solamente invocarse la excepción de orden pfflblico cuando se plantee una amenaza inminente y suficientemente grave para uno de los intereses fundamentales de la sociedad“, vgl. Art. 13 lit. a des Dienstleistungsprotokolls.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Keinesfalls darf eine Ausnahmeregelung willkürlich oder ungerechtfertigt ausländische Dienstleistungen oder deren Anbieter diskriminieren oder eine versteckte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen567. Wie im Recht der Europäischen Union568 darf der Ordre-public-Vorbehalt also auf ausländische Dienstleistungen und deren Anbieter diskriminierende Regelungen nur unter Achtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips angewendet werden569. Dass nur eine hinreichend schwere Gefährdung fundamentaler Interessen des Allgemeinwohls eine Ausnahme von den Bestimmungen des Protokolls rechtfertigen kann, lässt keine weite Auslegung des Schutzgutes öffentliche Ordnung und Sicherheit zu und ist damit geeignet, den Missbrauch der Ausnahmevorschrift zu verhindern570. Art. 14 des Dienstleistungsprotokolls stellt klar, dass Maßnahmen, die der nationalen Sicherheit dienen, nicht den Vorschriften des Protokolls entgegenstehen571. Schließlich nimmt Art. 15 des Dienstleistungsprotokolls das öffentliche Beschaffungswesen von den Bestimmungen des Protokolls aus, also alle Dienstleistungen, die von staatlichen Organen gekauft werden, soweit sie zur Verwirklichung hoheitlicher Aufgaben und nicht zum Weiter567

Art. 13 Abs. 1 des Dienstleistungsprotokolls. Vgl. Ähnlichkeit mit Art. IV Abs. 1 GATS. 568 Wo es wie für alle anderen Grundfreiheiten auch für die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit einen Ordre-public-Vorbehalt gibt, vgl. Art. 46 EGV und Art. 55 EGV. 569 Zum EU-Recht: EuGH v. 03.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor de Metaalnijverheid), Slg. 1974, 1299, Rn. 14/16; EuGH v. 25.07.1991, Rs. C-76/90 (Säger/Dennemeyer), Slg. 1991 I, 4221, Rn. 15; EuGH v. 30.11.1995, Rs. C-55/94 (Gebhard/Consiglio dell’Ordine degli Avvocati e Procuratori di Milano), Slg. 1995 I, 4165, Rn. 37; EuGH v. 15.03.2001, Rs. C-165/98 (Mazzoleni und Inter Surveillance Assistance), Slg. 2001 I, 2189, Rn. 26; EuGH v. 13.02.2003, Rs. C-131/01 (Kommission/Italien), Slg. 2003 I, 1659, Rn. 29; vgl. auch P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 97 ff., 109 ff.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 993 ff. Rn. 2640 ff., 2675 ff. und S. 840 ff. Rn. 2229 ff., 2291 ff.; J. Bröhmer, Art. 43 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 1 ff. 570 Auch der Europäische Gerichtshof betont, dass der Ordre-public-Vorbehalt des Art. 46 Abs. 1 EGV eng auszulegen ist, vgl. EuGH v. 26.02.1975, Rs. 67/74 (Bonsignore/Oberstadtdirektor Köln), Slg. 1975, 297, Rn. 6; EuGH v. 19.01.1999, Rs. C-348/96 (Calfa), Slg. 1999 I, 11, Rn. 23. 571 Dazu zählen Maßnahmen, die direkt oder indirekt die Funktionsfähigkeit des Militärs oder die Einhaltung von Verpflichtungen sicherstellen, die die Mitgliedstaaten im Rahmen der UN-Charta eingegangen sind, oder die im Zusammenhang mit spalt- oder fusionierbaren Materialien erlassen werden, vgl. Art. 14 Ziff. 1 des Dienstleistungsprotokolls. Vgl. Ähnlichkeit mit Art. IV Ziff. 1 GATS. Auch in der Europäischen Union kann gem. Art. 296 Abs. 1 lit. b. EGV jeder Mitgliedstaat Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen.

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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verkauf dienen. Die Ratsentscheidung 9/98 hält in ihrem Anhang über Finanzdienstleistungen fest, dass keine Vorschrift des Dienstleistungsprotokolls dahingehend zu verstehen ist, dass der Staat nicht Maßnahmen ergreifen kann, die dem Schutz von Anlegern sowie der Solvenz des Finanzsystems dienen. Es wird aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass solche Regelungen keinesfalls dazu missbraucht werden dürfen, die im Dienstleistungsprotokoll eingegangenen Verpflichtungen zu umgehen. i) Niederlassungsfreiheit Es wurde bereits erwähnt, dass anders als im EG-Vertrag die Niederlassungsfreiheit nicht ausdrücklich im Vertrag von Asunción erwähnt wird, aber dennoch mit dem Ziel der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes inhärent verbunden ist572. Schließlich ist gemäß Art. 1 des Vertrags von Asunción der freie Verkehr von Produktionsfaktoren zu gewährleisten. Zu den Produktionsfaktoren gehört auch die menschliche Arbeitskraft, unabhängig von der Art der Beschäftigung573. Darunter fallen eine selbständige Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat und damit auch die hierfür notwendige Niederlassung in diesem574. Dass die Niederlassungsfreiheit ein Bestandteil des Gemeinsamen Marktes sein soll, geht aber insbesondere aus Art. 2 des Dienstleistungsprotokolls hervor, wonach sich der Anwendungsbereich des Dienstleistungsprotokolls auf die Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat mittels Handelsvertretungen (presencia comercial) oder mittels persönlicher Präsenz natürlicher Personen erstreckt575. Der Wortlaut erinnert an Art. 43 EGV, der die Niederlassungsfreiheit in der Europäischen Union regelt. Aus der Formulierung wird der Schluss gezogen, dass im Mercosur anders als nach den Bestimmungen des Art. 43 EGV576 lediglich die Gründung von Zweigniederlassungen, nicht aber von Hauptniederlassungen in einem anderen Mitgliedstaat Bestandteil der zu verwirklichenden Dienstleistungsfreiheit bzw. der Niederlassungsfreiheit ist577. Ob unter dem Begriff „presencia comercial“ tatsächlich nur 572

Vgl. bereits oben S. 284. Vgl. Hinweise in Fn. 68 (Einführung). 574 In diesem Sinne auch C. E. Echegaray de Maussion, Libre circulación de trabajadores y profesionales, S. 370, 372. 575 Art. 2 Ziff. 1 Nr. IV und Art. 2 Ziff. 2 lit. c und d des Dienstleistungsprotokolls. 576 T. Oppermann, Europarecht, S. 537 Rn. 9; P.-C. Müller-Graff, Art. 43 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 21 ff.; J. Bröhmer, Art. 43 EGV, in: Calliess/ Ruffert, 17 f.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 725 Rn. 1932. 577 W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 101. 573

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Zweigniederlassungen und nicht auch Hauptniederlassungen fallen, ist durchaus fraglich. Dafür, dass die Erbringung einer Dienstleistung auch durch Hauptniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten möglich sein soll, spricht, dass Art. 2 Ziff. 1 Nr. IV des Dienstleistungsprotokolls die Erbringung von Dienstleistungen durch „die Anwesenheit von Personen aus anderen Mitgliedstaaten einschließlich derjenigen, die in Handelsvertretungen arbeiten“, umfasst. Eine Person kann demnach auch ohne Eröffnung einer Handelsvertretung, nämlich durch seine Anwesenheit Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbringen. Die Formulierung ist eher so zu verstehen, dass die Erbringung einer Dienstleistung auch durch Zweigniederlassungen möglich sein soll. Eine exakte Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit, welche nicht nur den grenzüberschreitenden Verkauf einer Dienstleistung, sondern auch das vorübergehende Erbringen einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat umfasst, wurde im Mercosur wie erwähnt bisher nicht getroffen578. Im Europarecht unterscheidet sich die Niederlassung von der Dienstleistung dadurch, dass sie auf Dauer, d.h. nicht unter drei Monaten angelegt ist und über eine feste Einrichtung im Aufnahmestaat verfügt579. Ebenso wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist auch die Niederlassungsfreiheit keine allgemeine, sondern eine unternehmerische Freizügigkeit; denn Art. 1 des Vertrags von Asunción möchte den freien Verkehr von Personen nur insoweit gewährleisten, als es sich um Produktionsfaktoren handelt. Nicht anders verhält es sich im Recht der Europäischen Union580, wo nach Art. 43 Abs. 2 EGV die Niederlassungsfreiheit „die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften“ umfasst. Nach Art. 48 Abs. 2 EGV gelten als Gesellschaften „Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen“581. Im Unterschied hierzu gelten als Gesellschaften im Sinne der gewerblichen Freizügigkeit im Mercosur auch gemeinnützige Gesellschaften582. 578

Vgl. bereits Teil 2, III. 1. d), S. 287. Vgl. bereits Hinweise in Fn. 520 (2. Teil). 580 Hierauf verweist K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. d, aa), S. 600. 581 Zur Einordnung einer Tätigkeit als Erwerbstätigkeit ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Erlös erwirtschaftet wird, der zur Deckung des Lebensunterhalts ausreicht. Es reicht, wenn die Tätigkeit dem wirtschaftlichem Fortkommen dient, vgl. A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 43 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 17 f. 582 Art. 2 Ziff. 2 lit. c und d i. V. m. Art. 18 Ziff. 1 lit. f, h und j des Dienstleistungsprotokolls. 579

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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2. Weitere Bestimmungen Im Abkommen über die Erleichterung unternehmerischer Tätigkeiten583 verpflichten sich die Mitgliedstaaten, nicht nur Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten keine Restriktionen aufzuerlegen, die nicht auch für einheimische Unternehmer gelten584, sondern den Unternehmern die Ausübung ihrer wirtschaftlichen Aktivität weitestgehend zu erleichtern und die notwendigen Dokumente zügig auszustellen585. Das Abkommen sieht die Ausstellung von Visa innerhalb von 30 Tagen auch für Familienangehörige vor586. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, die für die Verwirklichung der unternehmerischen Freizügigkeit unabdingbare Harmonisierung arbeitsund sozialrechtlicher Vorschriften voranzutreiben587. An dieser Stelle offenbart sich ein bedeutender Unterschied zur weitaus stärker liberalisierten Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union, wo nach dem Konzept des so genannten Herkunftslandprinzips Diplome, Prüfungszeugnisse und Befähigungsnachweise aus anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden müssen588. Das Herkunftslandprinzip soll sicherstellen, dass Mitgliedstaaten grenzüberschreitende Dienstleistungen von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Leistungserbringern nicht dadurch beschränken, dass sie an 583 Acuerdo para la facilitación de actividades empresariales en el Mercosur v. 16.12.2004, verabschiedet durch Ratsentscheidung 32/04. 584 Art. 1 und 4 des Abkommen über die Erleichterung unternehmerischer Tätigkeiten. 585 Art. 3 des Abkommen über die Erleichterung unternehmerischer Tätigkeiten. 586 Art. 4 lit. b und c des Abkommen über die Erleichterung unternehmerischer Tätigkeiten. Auch in der Europäischen Union gehört zur Dienstleistungs- und zur Niederlassungsfreiheit das Aufenthaltsrecht, vgl. Richtlinie 2004/38/EG (vgl. bereits Fn. 359, 2. Teil); EuGH v. 08.04.1976, Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, 497, Rn. 31/33; vgl. auch P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/ EGV, Rn. 125 f. und ders., Art. 50, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 4. 587 Art. 5 des Abkommen über die Erleichterung unternehmerischer Tätigkeiten. 588 EuGH v. 17.12.1981, Rs. 279/80 (Webb), Slg. 1981, 3305, Rn. 20; EuGH v. 07.05.1991, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou/Justizminister), Slg. 1991 I, 2357, Rn. 16; EuGH v. 07.05.1992, Rs. C-104/91 (Colegio Oficial de Agentes de la Propriedad Immobiliaria/Borell u. a.), Slg. 1992 I, 3003, Rn. 11; EuGH v. 30.11.1995, Rs. C-55/94 (Gebhard/Consiglio dell’Ordine degli Avvocati e Procuratori di Milano), Slg. 1995 I, 4165, Rn. 38; EuGH v. 31.03.1993, Rs. C-19/92 (Kraus/Baden Württemberg), Slg. 1993 I, 1663, Rn. 32; EuGH v. 22.03.1994, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994 I, 923, Rn. 12; EuGH v. 15.03.2001, Rs. C-165/98 (Mazzoleni und Inter Surveillance Assistance), Slg. 2001 I, 2189, Rn. 23 ff.; EuGH v. 13.02.2003, Rs. C-131/01 (Kommission/Italien), Slg. 2003 I, 1659, Rn. 32; vgl. auch: P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 113; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 991 Rn. 2635 f.; T. Oppermann, Europarecht, S. 546 ff. Rn. 37 ff. Zum Herkunftslandsprinzip vgl. bereits Hinweise in Fn. 534 (2. Teil).

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

diese Anforderungen stellen, die von denen ihres Herkunftslandes abweichen589. Aus freiheitsdogmatischen Erwägungen ist eine Harmonisierung des Rechts einer supranational auferlegten Anerkennungspflicht vorzuziehen. Zwar erspart das Herkunftslandsprinzip aufwendige Verhandlungen über die Rechtsangleichung590. Es führt aber zur innerstaatlichen Geltung ausländischen Rechts und ermöglicht unter anderem eine Spaltung des Arbeitsmarktes, nämlich einen nach den Flächentarifen des Bestimmungslandes und den des Herkunftslandes591. Der Wortlaut der Art. 47 Abs. 2 S. 1 EGV i. V. m. Art. 55 EGV erlaubt übrigens wie im Mercosur lediglich, „Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten“ zu erlassen, wobei eine Koordinierung zumindest eine gewisse Rechtsangleichung verlangt592. Interessanterweise wird das Meistbegünstigungsprinzip in diesem Abkommen ausdrücklich ausgeschlossen. Vielmehr ist das Abkommen anwendbar unbeschadet anderer innerstaatlicher Regelungen oder bilateraler Abkommen, die für die Begünstigten vorteilhafter sind593. Die Ratsentscheidung 9/99 hatte bereits staatliche Maßnahmen verboten, die den Zugang der Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat zu Märkten anderer Mitgliedstaaten willkürlich beschränken594. 589 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. c, ee), S. 595. Zum Herkunftslandsprinzip vgl. bereits Teil 2, III. 1. d), S. 289. 590 Auf die schwerfällige Entscheidungsfindung bei der Rechtsangleichung in der Europäischen Union verweist D. Langner, C. VI, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 2 f. 591 Zwar sieht die Entsenderichtlinie (vgl. Fn. 536, 2. Teil) vor, dass für die in Art. 3 der Richtlinie genannten arbeitsrechtlichen Standards die gesetzlichen und allgemein verbindlich erklärten tariflichen Bestimmungen des Bestimmungslandes gelten sollen, jedoch betreffen die tarifrechtlichen Regelungen (gemäß Art. 3 Abs. 1 2. Spstr. in Verbindung mit dem Anhang der Richtlinie) bisher nur den Bereich des Bauhaupt- und Nebengewerbes und erstrecken sich nicht wie die Dienstleistungsrichtlinie auf grundsätzlich alle Dienstleistungen. Die Kritik übt K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. c, ee), S. 595 ff. Auch in der Literatur zum Mercosur-Recht wird hervorgehoben, dass für Wanderarbeitnehmer und heimische Arbeitnehmer die gleichen sozialen Schutzstandards gelten müssen, vgl. H. Babace, La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, S. 133 f. 592 Vgl. J. Tiedje/P. Troberg, Art. 47 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 43 ff.; K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. c, ee), S. 595 ff. 593 Art. 10 des Abkommen über die Erleichterung unternehmerischer Tätigkeiten. 594 Art. Ziff. 1 und Art. 2 des Anhangs der Ratsentscheidung 9/99. Um sicher zu stellen, dass die Notwendigkeit einer behördlichen Erlaubnis nicht als heimliche Beschränkung des Marktzugangs missbraucht wird, enthält die Entscheidung detail-

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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3. Zusammenfassung Das am EU-Recht und GATS angelehnte Dienstleistungsprotokoll verdeutlicht, dass die Mercosur-Vertragsstaaten einen Gleichklang zwischen Freihandelsregeln auf regionaler und globaler Ebene suchen und sich von der protektionistischen Grundhaltung früherer lateinamerikanischer Integrationsprojekte entfernt zu haben scheinen595. Es wird allerdings hervorgehoben, dass trotz der Verabschiedung des Dienstleistungsprotokolls der Dienstleistungssektor im Mercosur noch weitgehend geschlossen sei596. Dieser Einschätzung kann insoweit zugestimmt werden, als jedenfalls eine weite Auslegung des Dienstleitungsbegriffs, wie ihn der Europäische Gerichtshof handhabt, im Mercosur bisher nicht angestrebt wird597. Sogar die lierte Bestimmungen über die Vergabe der Betriebserlaubnis, vgl. Art. 3 des Anhangs der Ratsentscheidung 9/99. Schon ganz zu Beginn wurde die Kommission für Steuer- und Geldpolitik im Rahmen der Unterarbeitsgruppe Nr. 4 gegründet, welche sich Fragen des Versicherungswesens annehmen soll, vgl. Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 7/92. Auch in der Europäischen Union wurden Richtlinien zur Liberalisierung der Versicherungsmärkte erlassen, vgl. Rückversicherung (Richtlinie 64/225/EWG v. 25.02.1964, ABl. 1964, Nr. L 56/878), Schadensversicherung (Richtlinie 88/357/EWG v. 22.06.1988, ABl. 1988, Nr. L 172/1, zuletzt geändert durch Richtlinie 2005/14/EG v. 11.05.2005, ABl. 2005, Nr. L149/14); Lebensversicherung (Richtlinie 79/267/EWG v. 5.03.1979, ABl. 1979, Nr. L 63/1, zuletzt geändert durch Richtlinie 2002/87EG v. 16.12.2002, ABl. 2002, Nr. L 35/1); Mitversicherung (Richtlinie 78/473/EWG v. 30.05.1978, ABl. 1978, Nr. L 151/25); Kredit- und Kautionsversicherung (Richtlinie 87/343/EWG v. 22.06.1987, ABl. 1987, Nr. L 185/72) und Rechtsschutzversicherung (Richtlinie 87/344/EWG v. 22.06.1987, ABl. 1987, Nr. L 185/77). Der Europäische Gerichtshof hat nationale Bestimmungen, die Versicherungsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten zwingen, sich niederzulassen und sich einem Zulassungsverfahren zu unterziehen, als Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit erkannt, vgl. EuGH v. 10.02.1982, Rs. 76/81 (Transporoute/Ministere des Travaux), Slg. 1982, 417, Rn. 14; EuGH v. 04.12.1986, Rs. 220/83 (Kommission/Frankreich), Slg. 1986, 3663, Rn. 20; EuGH v. 4.12.1986, Rs. 205/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1986, 3755, Rn. 52; EuGH v. 06.06.1996, Rs. C-101/94 (Kommission/Italien), Slg. 1996 I, 2691, Rn. 31; EuGH v. 9.07.1997, Rs. C-222/95 (Parodi/Albert de Bary), Slg. 1997 I, 3899, Rn. 31; dazu W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1008, Rn. 2680 ff.; T. Oppermann, Europarecht, S. 492 Rn. 18. (Hier auch neue Richtlinie 2000/12, ABl. L 126/1, Richtlinie 2001/17, ABl. L 110/28 und L 125/15). 595 W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 95. 596 J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 397; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 179; bezüglich der Finanzdienstleistungen vgl. E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 83 ff., 86 ff., 124, 136 f., 155. 597 In der Literatur zum Mercosur-Recht wird darauf hingewiesen, dass die Dienstleistungsfreiheit nicht schrankenlos sein kann, vgl. E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 59.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Leistungserbringung in einem Drittstaat eröffnet den Schutzbereich der EUDienstleistungsfreiheit, wenn beide Vertragspartner in der Gemeinschaft ansässig sind598. Fraglich ist allerdings, ob eine so weitgehende Auslegung der Marktfreiheiten, wie sie derzeit in der Europäischen Union gehandhabt wird, nicht auch eine Einschränkung der Freiheit bedeuten und insoweit als Maßstab dienen kann. Die jüngst erlassene Dienstleistungsrichtlinie599 beinhaltet der Sache nach einen grundsätzlichen Übergang zum politisch gewollten600 Herkunftslandsprinzip unabhängig davon, ob eine Bestimmung des Ziellandes den Dienstleister tatsächlich beschränkt oder nicht601. Es wird kritisiert, dass, wenn in allen wesentlichen Anknüpfungspunkten auf das Recht des Herkunftslandes verwiesen wird, das Recht des Volkes des Bestimmungslandes, in seinem Staat das Recht zu geben, der Kern der Freiheit also hinter die Gesetzgebungsmacht oder eben die Staatsgewalt des Volkes des Herkunftslandes zurücktritt602. Eine demokratische Legitimation hat nur das Recht des Bestimmungslandes, nicht auch das Recht des Herkunftslandes im Bestimmungsland603. Daneben wird befürchtet, dass die Dienstleistungsrichtlinie einen Anreiz schafft, den Sitz eines Dienstleistungsunternehmens in den Mitgliedstaat mit den niedrigsten Sozialstandards zu verlegen, wodurch ein „Systemwettbewerb nach unten“ forciert würde604. Auch die Niederlassungsfreiheit wurde in der Europäischen Union durch Sekundärgesetzgebung und Rechtsprechung derart ausgedehnt, dass das demokratische Prinzip der begrenzten Ermächtigung verletzt scheint605. Bei598 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 942 f. Rn. 2506 ff.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 49/50 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 12. 599 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. 2006, Nr. L 376/36. 600 J. Basedow, Dienstleistungsrichtlinie, Herkunftslandsprinzip und Internationales Privatrecht, EuZW 2004, S. 424 verweist darauf, dass sich das Herkunftslandprinzip nicht ohne weiteres aus dem Primärrecht ableiten lässt. 601 L. Albath/M. Giesler, Das Herkunftslandprinzip in der Dienstleistungsrichtlinie – eine Kodifizierung der Rechtsprechung, EuZW 2006, S. 38, 41; R. Streinz, Europarecht, S. 371 Rn. 950. 602 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. c, ee), S. 598 f.; ders., Quo vadis Europa?, insb. Kap. 5. 603 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. c, ee), S. 598 f. Kritisch auch J. Basedow, Dienstleistungsrichtlinie, Herkunftslandsprinzip und Internationales Privatrecht, EuZW 2004, S. 423 ff.; L. Albath/M. Giesler, Das Herkunftslandprinzip in der Dienstleistungsrichtlinie – eine Kodifizierung der Rechtsprechung, EuZW 2006, S. 41 f. Positiv aber A. Graf Lambsdorff, Die Dienstleistungsrichtlinie in den Beratungen des Europaparlaments, EuZW 2005, S. 577. 604 M. w. N. J. M. Schlichting/W. Spelten, Die Dienstleistungsrichtlinie, EuZW 2005, S. 239.

III. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

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spielsweise dürfen Banken, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind, in jedem anderen Land der Gemeinschaft ohne weitere Zulassung tätig werden, wobei die Aufsichtsanforderungen des Herkunftslandes im Bestimmungsland anerkannt werden müssen606. Die Ausdehnung des ursprünglichen sowohl für die Dienstleistungs- als auch für die Niederlassungsfreiheit gültigen Diskriminierungsverbots zu einem Beschränkungsverbot607 führt dazu, dass in einem Mitgliedstaat wirksam gegründete Gesellschaften in jedem anderen Staat uneingeschränkt anerkannt werden müssen608, was 605

K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. c, ee), S. 599 f. und § 14, 2. lit. d, dd), S. 605, 608. 606 Vgl. Richtlinie des Rates vom 28.06.1973 zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für selbständige Tätigkeiten der Kreditinstitute und anderer finanzieller Einrichtungen Nr. 73/183/EWG, ABl. 1973, Nr. L 194/1 sowie die erste Richtlinie des Rates vom 12.12.1977 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute Nr. 77/780/EWG, ABl. 1977, Nr. L 322/30 und die zweite Bankrechtskoordinierungsrichtlinie des Rates vom 15.12.1989 Nr. 89/640/EWG, ABl. 1989, Nr. L 386/1. 607 Niederlassungsfreiheit: EuGH v. 21.06.1974, Rs. 2/74 (Reyners/Belgien), Slg. 1974, 631, Rn. 48/50; EuGH v. 07.02.1979, Rs. 136/78 (Auer), Slg. 1979, 437, Rn. 21 ff.; EuGH v. 31.03.1993, Rs. C-19/92 (Kraus/Baden Württemberg), Slg. 1993 I, 1663, Rn. 32; EuGH v. 30.11.1995, Rs. C-55/94 (Gebhard/Consiglio dell’Ordine degli Avvocati e Procuratori di Milano), Slg. 1995 I, 4165, Rn. 37; EuGH v. 15.01.2002, Rs. C-439/99 (Kommission/Italien), Slg. 2002 I, 305, Rn. 22; 17.10.2002, Rs. C-79/01 (Payroll Data Services), Slg. 2002 I, 8923, Rn. 26; vgl. auch: P.-C. Müller-Graff, Art. 49 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV Rn. 39 ff.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 43 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 71 ff.; J. Tiedje/P. Troberg, Art. 43 EG, in: Groeben/Schwarze, 72 ff.; J. Bröhmer, Art. 43 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 19 ff. Dienstleistungsfreiheit: EuGH v. 03.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor de Metaalnijverheid), Slg. 1974, 1299, Rn. 10/12; EuGH v. 04.12.1986, Rs. 205/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1986, 3755, 3802, Rn. 25; EuGH v. 25.07.1991, Rs. C-76/90 (Säger/ Dennemeyer), Slg. 1991 I, 4221, Rn. 12; EuGH v. 9.08.1994, Rs. C-43/93 (Vander Elst/Office des Migartions), Slg. 1994 I, 3803, Rn. 14; EuGH v. 28.03.1996, Rs. C-272/94 (Guiot und Climatec), Slg. 1996 I, 1905, Rn. 10; EuGH v. 12.12.1996, Rs. C-3/95 (Reisebüro Broede/Sandker), Slg. 1996 I, 6511, Rn. 25; EuGH v. 9.07.1997, Rs. C-222/95 (Parodi/Albert de Bary), Slg. 1997 I, 3899, Rn. 18; EuGH v. 18.06.1998, Rs. C-266/96 (Corsica Ferries/Gruppo Antichi Ormeggiatori), Slg. 1998 I, 3949, Rn. 56; EuGH v. 23.11.1999, Rs. C-369/96 und C-376/96 (Arbalde und Leloup), Slg. 1999 I, 8453, Rn. 33; EuGH v. 20.02.2001, Rs. C-205/99 (Analir/ Administración General del Estado), Slg. 2001 I, 1271, Rn. 21. Vgl. auch W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 986 ff. Rn. 2621 ff.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, Art. 49/50 EGV, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Rn. 90. Ausführlich zur Wandlung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit vom Diskriminierungs- zum Beschränkungsverbot vgl. A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten, S. 108 ff., S. 143 ff. 608 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. d, dd), S. 608; R. Freitag, Der Wettbewerb der Rechtsordnungen im Inter-

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

im Grunde einer vertragswidrigen609 Gesellschaftsrechtswahlfreiheit gleichkommt610. Diese Rechtsprechung bedeutet nämlich, dass neben den bekannten inländischen Gesellschaftsformen auch die in anderen Mitgliedstaaten bekannten Gesellschaftsrechtsformen am inländischen Rechtsverkehr teilnehmen dürfen. Das so ermöglichte „company law shopping“ nötigt die nationalen Gesetzgeber, das Gesellschaftsrecht anzupassen, um auch hier Standortnachteile im Wettbewerb der Systeme zu vermeiden611. Eine so weitreichende Auslegung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit kann kaum von den nationalen Gesetzgebern bei Unterzeichnung der Verträge vorhergesehen worden sein, weshalb ihre demokratische Legitimation kritisiert wird612.

IV. Die Kapitalverkehrsfreiheit Der gemäß Art. 1 des Vertrags von Asunción zu gewährleistende freie Verkehr von Produktionsfaktoren umfasst auch den Produktionsfaktor Kapital, weshalb die Freiheit des Kapitalverkehrs zum angestrebten Gemeinnationalen Gesellschaftsrecht, EuZW 1999, S. 268; P. Behrens, EuGH klärt Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften, EuZW 2002, S. 737; anderer Ansicht W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 896 f. Rn. 2398, 2400; dazu auch: P.-C. MüllerGraff, Art. 48 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 20 ff., 23 ff.; P. Troberg/J. Tiedje, in: Groeben/Schwarze, Rn. 15, 22 ff.; vgl. auch EuGH v. 09.03.1999, Rs. C-212/97 (Centros/Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999 I, 1459, Rn. 21 ff., 27; EuGH v. 05.11.2002, Rs. C-208/00 (Überseering BV/NCC), Slg. 2002 I, 9919, Rn. 22 ff.; EuGH v. 30.09.2003, Rs. 167/01 (Kamer van Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam/Inspire Art), Slg. 2003 I, 10155, Rn. 95 ff. 609 Nach Art. 293 Spst. 3 EGV sollen die Mitgliedstaaten über die gegenseitige Anerkennung der Gesellschaften völkerrechtlich verhandeln, hierzu K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. d, dd), S. 608 f.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, Rn. 2097 ff., S. 787 f., S. 777, Rn. 2071, S. 778 Rn. 2075; P.-C. Müller-Graff, Art. 48 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 8, 14 ff., sieht die unmittelbare Anwendbarkeit der Art. 48, 43 EGV auf Gesellschaften, die eine grenzüberschreitende Sitzverlegung vornehmen wollen, nicht durch Art. 293 EGV geschmälert. 610 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. d, dd), S. 605 f., 608. 611 In Frankreich hat der Gesetzgeber mit der „Ein-Euro-SARL“ eine der britischen Limited (Ltd.) vergleichbare Rechtsform ermöglicht. Kritisch K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. d, dd), S. 610 f. Dass, solange eine Harmonisierung fehlt, letztlich der Wettbewerb zwischen den normativen Systemen unbehindert zum Zug kommen soll, stellt Generalanwalt La Pergola heraus, vgl. Schlussanträge v. 09.03.1999, Rs. C-212/97 (Centros/Erhvervs- og Selskabsstyrelsen), Slg. 1999 I, 1459, Rn. 20. 612 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. lit. c, ff), S. 599 und, § 14, 2. lit. d, dd), S. 608, 612.

IV. Die Kapitalverkehrsfreiheit

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samen Markt gehört613. Der EG-Vertrag verbietet neben den Beschränkungen des Kapitalverkehrs auch Beschränkungen des Zahlungsverkehrs, und beide Spielarten werden in der Literatur voneinander abgegrenzt. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist die fehlende Selbständigkeit des Zahlungsverkehrs gegenüber dem Kapitalverkehr und den anderen Grundfreiheiten614. Während unter Kapitalverkehr die einseitige Anlage oder Investition von Sach- oder Geldkapital verstanden wird, ist der Zahlungsverkehr die Gegenleistung für das Hingeben des Sach- oder Geldkapitals, also die Zahlung von Miete, Zinsen und Dividenden für die Kapitalanlagen615. Die Zahlungsverkehrsfreiheit schützt aber auch ein- und ausgehende Zahlungen im Zusammenhang mit anderen Grundfreiheiten, z. B. die Zahlung des Lohns für eine Arbeits- oder Dienstleistung oder des Kaufpreises für eine Ware616 und hat demnach eine Hilfs- oder Grundlagenfunktion für andere Geschäfte, deren Entgelte auch grenzüberschreitend bezahlt werden können müssen617. Wie noch weiter unten zu sehen sein wird, wird im Mercosur auch der freie Zahlungsverkehr geschützt618. Eine Unterscheidung wird im Europarecht für zunehmend unwichtiger gehalten619. Im Folgenden be613 Der Integration der Finanzmärkte wird sogar eine besondere Bedeutung bei der Schaffung des Gemeinsamen Marktes beigemessen, vgl. C. Salomão Filho/J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt, WM 1992, S. 1351. Auch in der Europarechtsliteratur wird die Kapitalverkehrsfreiheit als unabdingbar für die Verwirklichung des Marktes ohne Binnengrenze gehalten, vgl. G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 63; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 387 Rn. 895; T. Oppermann, Europarecht, S. 487 Rn. 1–3. 614 EuGH v. 31.01.1984, Rs. 286/82 u. 26/83 (Luisi/Ministero del Tesoro), Slg. 1984, 377, Rn. 21; EuGH v. 308/86, Rs. 308/86 (Lambert), Slg. 1988, 4369, Rn. 14; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1050 ff. Rn. 2786 ff.; J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union: Bedeutung, Inhalt und Umfang, Weiterentwicklung, Auswirkung auf Völkerrecht und nationales Recht, 2000, S. 158 ff.; T. Oppermann, Europarecht, S. 486 Rn. 2 f. 615 M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 7 ff.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1033 Rn. 2739 f., S. 1050 ff. Rn. 2786 ff.; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 387 f. Rn. 897, S. 390 Rn. 901; EuGH v. 31.01.1984, Rs. 286/82 u. 26/83 (Luisi/Ministero del Tesoro), Slg. 1984, 377 Rn. 21. 616 J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 158 f. M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 7 f. So auch schon H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 650; EuGH v. 23.11.1978, Rs. 7/78 (Thompson u. a.), Slg. 1978, 2247, Rn. 23/25. 617 M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 7 ff.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1043 Rn. 2769, S. 1046 f. Rn. 2777, insb. S. 1051 f. Rn. 2790 ff.; J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 95 ff.; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 387 Rn. 895, S. 390 Rn. 901; T. Oppermann, Europarecht, S. 487 Rn. 1. 618 Insbesondere durch das Protokoll von Colonia, hierzu Teil 2, IV. 3. a), S. 312.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

inhaltet die Verwendung des Begriffs Kapitalverkehrsfreiheit auch die Freiheit des Zahlungsverkehrs. 1. Funktion der Kapitalverkehrsfreiheit Die Kapitalverkehrsfreiheit hat indirekt die Funktion, den freien Warenverkehr wie auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit nicht durch die Beschränkung des Kapitaltransfers zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern620. Neben dieser Grundlagenfunktion werden einem freien Kapitalverkehr zahlreiche weitere Funktionen zugeschrieben621. So diene die Integration der Kapitalmärkte der Verringerung des Risikos von Turbolenzen, wie sie vor allem an kleinen Kapitalmärkten auftreten, sowie der besseren Zurverfügungstellung von Kapital, auch deshalb, weil grenzüberschreitende Investitionen erleichtert werden622. Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs ermöglicht der Allokationstheorie entsprechend623, den Produktionsfaktor Kapital dort einzusetzen, wo er den höchsten Ertrag verspricht624. Von dem Ausnutzen der Standort- und Spezialisierungsvorteile erhofft man sich wiederum eine Erhöhung der volkswirtschaftlichen Produktivität und Wirtschaftswachstum625. Ein freier Zugang zu Kapital soll so den Aufbau moderner Industrien fördern626. Es wird herausgestellt, 619

M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 7; W. Kiemel, Art. 56 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 6. 620 M. Quiroga Obregón, Mercosur, S. 48 hält Beschränkungen freier Wechselkurse für ein nichttarifäres Handelshemmnis; in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit vgl. E. Navarro Varona, zitiert nach R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 131; R. Olivera García, Los mercados de capitales en el proceso de integración regional, S. 299. Zur Grundlagenfunktion der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, vgl. bereits Fn. 617 (2. Teil). 621 Vgl. auch G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 1; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1027 f. Rn. 2728. 622 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 328. 623 Zur Allokationstheorie vgl. etwa S. Wied-Nebbeling/H. Schott, Grundlagen der Mikroökonomik, 1998, S. 261 ff. 624 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1027 Rn. 2728; J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 26 ff., 79 ff. 625 Vgl. etwa J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, 79; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1027 Rn. 2728. Es wird darauf hingewiesen, dass die Ausnutzung von Standortvorteilen nicht für jedes Land Vorteile bringt, vgl. K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. e), bb), S. 616 f.; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 305 ff.; A. Barreix/L. Villela, Tributación en el MERCOSUR, S. 8 ff. weisen auf die Nachteile eines Steuerwettbewerbs nach unten hin, der unter anderem auch zu einer nicht optimalen Allokation von Ressourcen führen kann. 626 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 25.

IV. Die Kapitalverkehrsfreiheit

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dass ein freier Kapitalverkehr zudem devisenspekulationsbedingte Wettbewerbsverzerrungen verringere627. Investitionen aus dem Ausland sowie die Möglichkeit der Kapitalaufnahme im Ausland könnten dazu beitragen, Liquiditätsengpässe auszugleichen628. Die Solvenz seines Finanzsystems wird seinerseits als Voraussetzung für die makroökonomische Stabilität eines Landes gehalten629. Die Bedeutung der Kapitalverkehrsfreiheit folge aber nicht nur aus den genannten unterstützenden Funktionen, sondern auch aus dem wachsenden Einfluss der Finanzdienstleistungen am Bruttoinlandsprodukt630. 2. Begriff und Abgrenzung zu anderen Grundfreiheiten Die Begriffe Kapitalverkehr und Zahlungsverkehr werden weder im Vertrag von Asunción noch im EG-Vertrag definiert. Da es sich beim Kapitalverkehr um einen wirtschaftswissenschaftlichen Begriff handelt, war auch in der Europäischen Union seine Reichweite lange ungeklärt631. Nach inzwischen gefestigter Auffassung beinhaltet die Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union jede über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinausgehende Übertragung, also Erwerb, Veräußerung und Transfer von Geld-, Wert- oder Sachmitteln632. Dabei kann es sich auch um die Entgeltung von Dienstleitungen und Produkten oder die Investition im Rahmen einer Niederlassung handeln, obwohl die hierfür notwendigen Transaktionen bereits durch die Warenverkehrs-, die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit 627 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 328. Zur Problematik großer Wechselkursunterschiede in einem Gemeinsamen Markt vgl. E. Baldinelli, La Argentina en el Comercio Mundial, S. 182 ff. 628 M. w. N. J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 79. 629 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 26. Es wird allerdings auch auf die Gefahr hingewiesen, dass ein schrankenloser Kapitalverkehr zu unerwünschten Investitionsverlagerungen führen könne, insbesondere dann, wenn allgemeinpolitische Rahmenbedingungen zwischen den Ländern sehr unterschiedlich sind, vgl. J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 65 ff. 630 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 26; G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 1. Sehr kritisch betrachtet einen grenzenlosen Kapitalverkehr aber K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, insb. S. 289 ff. 631 Hierzu J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 152 ff. 632 J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, 2000, insb. S. 156 ff., 158 ff., 198 ff.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1031 ff. Rn. 2734 ff., S. 1033 f. Rn. 2739 ff.; M. Sedlaczek, Art. 56 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 5; vgl. die Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG des Rates v. 24.06.1988 zur Durchführung der Art. 67 von Vertrags, ABl. 1988, L 178/5.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

abgedeckt sind. Aufgrund der Grundlagenfunktion der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit sind Überschneidungen der Anwendbarkeit mit anderen Marktfreiheiten unvermeidbar633. Ausschließlich die Kapitalverkehrsfreiheit betreffen beispielsweise Maßnahmen, die Zahlungsmodalitäten wie etwa Bankgebühren für Auslandsüberweisungen festlegen634. Wird auch der Kapitaltransfer an sich behindert, ist regelmäßig die Ausübung anderer Grundfreiheiten betroffen635. Ursprünglich sollte die Kapitalverkehrsfreiheit jedoch nur in dem Maße gewährleistet sein, als dies für die Verwirklichung der anderen Marktfreiheiten, also für „das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes“636 notwendig ist637. Exkurs: Abgrenzung im Recht der Europäischen Union Abgrenzungsschwierigkeiten zur Warenverkehrsfreiheit ergeben sich nur dann, wenn Waren, die auch ein Vermögensrecht verkörpern (z. B. Wertpapiere), die Grenze überschreiten. Die Zuordnung ergibt sich danach, ob das Handelsgeschäft oder der Vermögenstransfer im Vordergrund steht638. Der Handel mit Sammlermünzen fällt nur dann nicht in den Schutzbereich 633 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1051 f. Rn. 2789 f.; G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 33; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 388 Rn. 898. Vgl. auch: EuGH v. 23.11.1978, Rs. 7/78 (Thompson u. a.), Slg. 1978, 2247, Rn. 23/25; EuGH v. 14.11.1995, Rs. C-484/93 (Svensson u. Gustavsson/Ministere du Logement), Slg. 1995 I, 3955, Rn. 16; EuGH v. 9.07.1997, Rs. C-222/95 (Parodi/Albert de Bary), Slg. 1997 I, 3899, Rn. 8; EuGH v. 01.06.1999, Rs. C-302/97 (Konle/Österreich), Slg. 1999 I, 3099, 22; EuGH v. 04.06.2002, Rs. C-367/98 (Kommission/Portugal – „Goldene Aktien I“), Slg. 2002 I, 4731, Rn. 56; EuGH v. 04.06.2002 Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich – „Goldene Aktien II“), Slg. 2002 I, 4781, Rn. 56. 634 Das Beispiel findet sich bei W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1052 Rn. 2791. 635 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1052 Rn. 2791 f.; EuGH v. 11.11.1981, Rs. 203/80 (Casati), Slg. 1981, 2595, Rn. 20 ff. 636 So noch die Formulierung des alten Art. 67 Abs. 1 EWGV vom 1957, der Vorgängervorschrift des heutigen Art. 56 EGV; EuGH v. 11.11.1981, Rs. 203/80 (Casati), Slg. 1981, 2595, Rn. 10 ff. 637 R. Tamames, La Unión Europea, 2. Aufl. 1994, S. 121 ff.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1024 f. Rn. 2720 ff., 2724, S. 1035 Rn. 2746; J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 146 f.; K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. e), aa), S. 614. 638 J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, 2000, S. 192; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 388 Rn. 898; M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 10; W. Frenz, Europäische

IV. Die Kapitalverkehrsfreiheit

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der Kapitalverkehrsfreiheit, wenn sie als reine Sammlerstücke kein gesetzliches Zahlungsmittel mehr darstellen639. Der grenzüberschreitende Transfer von Sachkapital in Form von Maschinen wird durch die Warenverkehrsfreiheit geschützt640. Die meisten Berührungspunkte ergeben sich mit der Niederlassungsfreiheit, weil die Einrichtung einer Niederlassung regelmäßig Investitionen erfordert641. Der Europäische Gerichtshof geht davon aus, dass die Schutzbereiche beider Grundfreiheiten nebeneinander eröffnet sein können642, beschränkt sich aber bisher auf die Prüfung am Maßstab nur einer Grundfreiheit643, weshalb es nicht verwundert, dass in der Literatur sowohl ein Exklusivverhältnis als auch ein Parallelverhältnis zwischen beiden Grundfreiheiten für möglich gehalten wird644. Direktinvestitionen, die zu unternehmerischem Einfluss führen, sind der Niederlassungsfreiheit zuzuordnen645, während Portfolioinvestitionen, die ausschließlich der Geldanlage dienen, den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit betreffen646. Freilich ist eine strikte Trennung zwischen dem Ziel der Geldanlage und einer unternehmerischen Tätigkeit in der Praxis schwer zu treffen647. Grundfreiheiten, S. 1039 f. Rn. 2756 f.; W. Kiemel, Art. 56 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 17. 639 EuGH v. 23.11.1978, Rs. 7/78 (Thompson u. a.), Slg. 1978, 2247, Rn. 23/25; EuGH v. 23.02.1995, Rs. C-358/93 u. C-416/93 (Bordessa) Slg. 1995 I, 361, Rn. 13. 640 A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 387 Rn. 895; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1039 f. Rn. 2756 f. 641 A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 389 Rn. 899; ausführlich W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1040 ff. Rn. 2758 ff.; vgl. auch bereits Hinweise in Fn. 531 (2. Teil). 642 EuGH v. 01.06.1999, Rs. C-302/97 (Konle/Österreich), Slg. 1999 I, 3099, Rn. 22; vgl. auch: A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 389 Rn. 899; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1040 Rn. 2759 m. w. N. in Fn. 81; J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 193; M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 12 f. 643 EuGH v. 08.03.2001, Rs. C-397 u. 410/98 (Metallgesellschaft/Commissioners of Inland Revenue), Slg. 2001 I, 1727, Rn. 75; EuGH v. 04.06.2002, Rs. C-367/98 (Kommission/Portugal – „Goldene Aktien I“), Slg. 2002 I, 4731, Rn. 56; EuGH v. 04.06.2002 Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich – „Goldene Aktien II“), Slg. 2002 I, 4781, Rn. 56. 644 Hierzu W. Kiemel, Art. 56 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 21. 645 EuGH v. 13.04.2000, Rs. C-251/98 (Baars), Slg. 2000 I, 2787, Rn. 21; EuGH v. 05.11.2002, Rs. C-208/00 (Überseering BV/NCC), Slg. 2002 I, 9919, Rn. 77. 646 A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 389 Rn. 899; EuGH v. 06.06.2000, Rs. C-35/98 (Staatssecretaris van Financiën/Verkooijen), Slg. 2000 I, 4071, Rn. 29 ff. (Dividendenzahlungen fallen in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit). 647 Hierauf verweisen A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 390 Rn. 899; M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 12.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

Zu Überschneidungen mit der Dienstleistungsfreiheit kommt es vor allem bei Finanzdienstleistungen, weil hier Dienstleistung und Kapitalbewegung in einem Vorgang miteinander verbunden sind648. Es ist daher diejenige Grundfreiheit einschlägig, in deren Schutzbereich der wirtschaftliche Schwerpunkt fällt. Ist kein Schwerpunkt erkennbar, so ist nach der Kollisionsregel in Art. 50 Abs. 1 EGV die Dienstleistungsfreiheit subsidiär649. Schließlich ergeben sich auch Berührungspunkte der Kapitalverkehrsfreiheit mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit, wenn beispielsweise devisenrechtliche Bestimmungen die Mitnahme der in einem Mitgliedstaat erworbenen Arbeitsentgelte in den Heimatstaat beschränken650. Der Immobilienerwerb durch Wanderarbeitnehmer unterfällt dagegen der Arbeitnehmerfreizügigkeit651. 3. Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit im Mercosur Da der Mercosur eine Präferenzzone innerhalb der ALADI ist, gilt das in Art. 48 des Vertrags von Montevideo652 festgelegte Meistbegünstigungsprinzip für den Kapitalverkehr innerhalb der ALADI auch für den Mercosur: Kapital aus einem anderen ALADI-Mitgliedstaat genießt die gleichen Rechte wie Kapital aus jedem anderen Mercosur-Mitgliedstaat. 648 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1046 f. Rn. 2777; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 390 Rn. 900; M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 15; J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 194. 649 A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 390 Rn. 900; J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 193 f. Art. 50 Abs. 1 EGV besagt, dass die Dienstleistungsfreiheit nur insoweit einschlägig ist, als die Vorschriften zur Kapitalverkehrsfreiheit nicht anwendbar sind. Der Europäische Gerichtshof hält entgegen dieser Kollisionsregel allerdings beide Grundfreiheiten für kumulativ anwendbar, vgl. EuGH v. 14.11.1995, Rs. C-484/93 (Svensson u. Gustavsson/Ministere du Logement), Slg. 1995 I, 3955, Rn. 11; EuGH v. 11.04.1998, Rs. C-118/96 (Safir/Skattemyndigheten i Dalarnas län), Slg. 1998 I, 1897, Rn. 22, 35. Hierzu ausführlich W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1047 ff. Rn. 2778 ff. 650 Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, dass Geldtransfers nicht in den Schutzbereich der Freiheiten fallen, die Rechtsgrund der Zahlung sind, sondern dem Schutzbereich der Zahlungsverkehrsfreiheit zuzuordnen sind, vgl. EuGH v. 23.02.1995, Rs. C-358/93 u. C-416/93 (Bordessa) Slg. 1995 I, 361, Rn. 14. Hierzu W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1045 f. Rn. 2772 ff.; G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 183. 651 Art. 9 Abs. 1 der der Verordnung 1612/68 („Freizügigkeitsverordnung“), ABl. 1968 Nr. L 257/2; W. Kiemel, Art. 56 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 18; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1045 f. Rn. 2774 ff. 652 ALADI-Gründungsvertrag.

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Art. 1 Abs. 1 S. 3 des Vertrags von Asunción sieht die Koordinierung der Geld-, Wechselkurs- und Kapitalmarktpolitiken zwischen den Mitgliedstaaten vor. Die Bestimmung trägt der Tatsache Rechnung, dass die Verwirklichung der Kapitalverkehrsfreiheit eine Koordination der makroökonomischen Politiken und eine Harmonisierung der Kapitalmarktregelungen sowie der Wechselkurspolitik erfordert653, weshalb im Mercosur schon früh der Informationsaustausch über die Regelungen und Strukturen an den nationalen Kapitalmärkten vereinbart wurde654. Im Zusammenhang mit der Kapitalverkehrsfreiheit stehen der Schutz inund ausländischer Investitionen und der Schutz privaten Eigentums. Hierzu wurden das Protokoll von Colonia zur Förderung und zum Schutz von Investitionen im Mercosur655 sowie das Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Ländern, die nicht dem Mercosur angehören, erlassen656. Ebenso wie das Protokoll von Colonia dient auch das Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten vor allem dazu, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen657. Dieses Ziel wird mit der Modernisierung der Volkswirtschaften und der Verbesserung der Lebensverhältnisse in Verbindung gebracht658. Beide Protokolle scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen, was der neue Boom ausländischer Direktinvestitionen im Mercosur nahe legt659. Da die Liberalisierung von Direktinvestitionen als ein Element der Kapitalverkehrsfreiheit zu betrachten ist660, ist beiden Protokollen erhebliche Be653

R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 317. Acta de la V. Reunión, 4. und 5.06.1992, zitiert nach R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 328. 655 Protocolo de Colonia para la promoción y protección recíproca de inversiones en el Mercosur (Intrazona), verabschiedet mit Ratentscheidung 11/93. 656 Protocolo sobre promoción y protección de inversiones provenientes de estados no partes del Mercosur, verabschiedet durch Ratsentscheidung 11/94. 657 D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 198; D. Zavala, Servicios financieros en el Mercosur, in: H. Arbuet Vignali, u. a. (Hrsg.), IV encuentro internacional de derecho para América del Sur – El desarollo de la integración hacia el siglo XXI: Mercosur, balance y perspectivas, Montevideo 1996, S. 309 f.; A. Haller, Mercosur, S. 77; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 114. 658 Vgl. 1. Erwägungsgrund der Ratsentscheidung 11/93; 1. Erwägungsgrund der Ratsentscheidung 11/94. 659 Vgl. UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development), World Investment Report 2005: Transnational Corporations and the Internationalization of R&D, 2005, S. 62, 66, 68. Die Erholung setzte bereits 2002 ein, vgl. UNCTAD, World Investment Report 2002: Transnational Corporations and Export Competitiveness, 2002, S. 25, 31; EU-Kommission, La Unión Europea, América Latina y el Caribe: una asociación estratégica, Luxemburg 2004, S. 38. Selbst im Krisenjahr 1999 akquirierte der Mercosur 51 Mrd. US$ an Investitionen aus dem Ausland, vgl. BfAI-Info Lateinamerika 1/2001, zitiert nach A. Haller, Mercosur, S. 78 Fn. 178. 654

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deutung beizumessen661. Es soll die wirtschaftliche Zusammenarbeit gestärkt und dadurch der Integrationsprozess und die wirtschaftliche Aktivität im Mercosur stimuliert und der Wohlstand gefördert werden662. a) Das Protokoll von Colonia Das Protokoll von Colonia wurde am 17. Januar 1994 vom Mercosur-Rat verabschiedet663. Gemäß Art. 12 des Protokolls von Colonia ist es Bestandteil des Vertrags von Asunción, weshalb die darin enthaltenen Bestimmungen als Primärrecht zu qualifizieren sind. Der Beitritt eines neuen Mitgliedstaates zum Mercosur bedeutet ipso iure den Beitritt zum Protokoll von Colonia664. aa) Definitionen Das Protokoll widmet sich zunächst der Definition von Begriffen und dient damit auch der Klärung seines räumlichen und persönlichen Anwendungsbereichs. Es definiert den Begriff Investition sehr allgemein als jedwedes Aktivvermögen, das durch einen Investor mit Sitz in einem MercosurMitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat investiert wird665. Im Unterschied zu Art. 56 EGV möchte das Protokoll die Freiheit des Kapitalverkehrs im Mercosur also nicht auch im Verhältnis der Mitgliedstaaten zu Drittstaaten gewährleisten666. Allerdings sieht das Protokoll zum Schutz von 660 Vgl. Nr. I der Nomenklatur der EG-Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG, ABl. 1988, L 178/5; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 388 Rn. 897; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union S. 404 Rn. 34; EuGH v. 04.06.2002, Rs. C-503/99 (Kommission/Belgien – „Goldene Aktien III“), Slg. Slg. 2002 I, 4809, Rn. 38. 661 So auch die Einschätzung von W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 96. 662 4. und 5. Erwägungsgrund der Präambel des Protokolls von Colonia; 5. Erwägungsgrund des Protokolls zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten. 663 Vorausgegangen war die Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 7/93, welche dem Rat die Annahme dieser Reglungen vorschlug. 664 Art. 12 des Protokolls von Colonia. 665 Art. 1 Ziff. 1 des Protokolls von Colonia. Beispielhaft werden aufgezählt (lit. a–e): Eigentum an beweglichen Sachen und Immobilien, Hypotheken, Kautionen, verpfändete Gegenstände, Aktien und andere Beteiligungen an Gesellschaften, Pfandbriefe und Schuldverschreibungen, Immaterialgüterrechte einschließlich Urheberrecht und gewerblichen Schutzrechte, öffentliche Konzessionen. Eine gewisse Ähnlichkeit zur Definition von Direktinvestitionen im Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG ist erkennbar. 666 Für das EU-Recht vgl. W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1033 Rn. 2741, S. 1036 Rn. 2749; G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf,

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Investitionen aus Drittstaaten die Möglichkeit vor, mit Drittstaaten Abkommen über die Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu schließen667. Investoren im Sinne des Protokolls von Colonia sind natürliche Personen mit der Staatsangehörigkeit oder einem Aufenthaltsrecht eines Mitgliedstaates, die Investitionen in einem anderen Mitgliedstaat tätigen, ebenso wie juristische Personen mit Sitz oder Niederlassung in einem Mitgliedstaat668. Begünstigte sind demnach im Mercosur, anders als im EU-Recht, nur Personen mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats oder solche, die einen Wohnsitz im Mercosur haben. Dagegen verbieten Art. 56 Abs. 1 und 2 EGV jedwede Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs, ohne zu spezifizieren, wen die Vorschriften begünstigen. Demnach können sich alle Teilnehmer am Kapitalverkehr in der Europäischen Union unabhängig von Staatsangehörigkeit und Ansässigkeit auf die Vorschrift berufen669. Einkünfte aus Kapitalvermögen sind dem Protokoll zufolge sämtliche Gewinne, Ausschüttungen, Zinsen, Renten, Dividenden oder sonstige laufende Einkünfte670. Unter Territorium versteht das Protokoll das Hoheitsgebiet sowie die Hoheitsgewässer der jeweiligen Mitgliedstaaten671. bb) Meistbegünstigung und Nichtdiskriminierung Das Protokoll von Colonia folgt in Aufbau und Inhalt dem Muster moderner Kapitalschutzabkommen672. Es verpflichtet die Mitgliedstaaten, Investitionen von Anlegern aus anderen Mitgliedstaaten nicht schlechter zu behandeln, ihnen insbesondere den gleichen Rechtsschutz zu gewähren, wie inländischen Anlegern oder Anlegern aus Drittstaaten673. Anleger aus andeRn. 34 ff., 179 ff.; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 387 Rn. 895, S. 391 Rn. 902; W. Kiemel, Art. 56 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 26; T. Oppermann, Europarecht, S. 491 Rn. 16; K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. e), aa), S. 613. 667 Hierzu unten Teil 2, IV. 3. b). 668 Art. 1 Ziff. 2 des Protokolls von Colonia. 669 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1034 Rn. 2743, S. 1037 Rn. 2751; G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 179; J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 149, 198; W. Kiemel, Art. 56 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 24; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 391 Rn. 902; vgl. auch EuGH v. 13.07.2000, Rs. C-423/98 (Albore), Slg. 2000 I, 5965, Rn. 14 (Immobilienerwerb durch Gebietsfremde). 670 Art. 1 Ziff. 3 des Protokolls von Colonia. 671 Art. 1 Ziff. 4 des Protokolls von Colonia. 672 J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, 1998. 673 Art. 2 Ziff. 1 und Art. 3 Ziff. 1 und 2 i. V. m. Art. 7 des Protokolls von Colonia. Art. 7 des Protokolls von Colonia räumt nationalen Regelungen oder Abkom-

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ren Mitgliedstaaten können, wie oben bereits dargestellt wurde, sowohl Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten oder Drittstaatsangehörige mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, nicht aber Gebietsfremde sein674. Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben und in diesem eine Investition tätigen, fallen jedoch ausdrücklich nicht unter den Schutz des Protokolls, es sei denn, das Kapital stammt nachweislich aus dem Ausland675. Ein Brasilianer, der in Argentinien lebt und arbeitet, kann sich folglich bei dem Bau seines Hauses in Argentinien nicht auf die Vorschriften des Protokolls berufen, es sei denn, er finanziert das Haus von dem auf einer brasilianischen Bank angesparten Geld. Dies entspricht der Rechtslage in der Europäischen Union, wo nur grenzüberschreitende Kapitalbewegungen von der Kapitalverkehrsfreiheit erfasst werden676. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich des Weiteren, zu einer gerechten und unterschiedslosen Behandlung in- und ausländischer Investitionen677. Die Verwertung von Investitionen aus anderen Mitgliedstaaten soll durch keine ungerechtfertigten oder diskriminierenden Maßnahmen behindert werden678. Das Protokoll von Colonia materialisiert folglich das Meistbegünstigungsprinzip und des Nichtdiskriminierungsprinzip für den Kapitalverkehr. Die Formulierung lässt allerdings „gerechtfertigte“ Beschränkungen der Verwertung von ausländischen Investitionen zu. Was gerechtfertigte Beschränkungen sind, geht aus dem Protokoll von Colonia nicht hervor. Gemeint sind möglicherweise die Ordre-public-Vorbehalte des Art. 50 des Vertrags von Montevideo679. Auch in der Europäischen Union können insbesondere die in Art. 57–60 EGV festgelegten Gründe, aber auch zwinmen eines Mitgliedstaates mit anderen Mitgliedstaaten, in denen Investitionen im Vergleich zu den Bestimmungen des Protokolls von Colonia günstigere Bedingungen eingeräumt werden, ausdrücklich Vorrang vor den entsprechenden Bestimmungen des Protokolls von Colonia ein. Dieser Bestimmung ist kein eigenständiger Wert beizumessen, da sie letztlich nur das Meistbegünstigungsprinzip materialisiert. 674 Vgl. oben S. 313. 675 Art. 1 Ziff. 2 lit. a S. 2 des Protokolls von Colonia. 676 J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 161; G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 51; R. Streinz, Europarecht, S. 310 Rn. 811. Allerdings fällt der Immobilienerwerb durch Arbeitnehmer, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates besitzen, in der Europäischen Union in den Schutzbereich Arbeitnehmerfreizügigkeit. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung 1612/68 („Freizügigkeitsverordnung“, ABl. 1968 Nr. L 257/2) gewährleistet den Wanderarbeitnehmern die gleichen Rechte hinsichtlich der Wohnung, einschließlich der Erlangung des Eigentums, wie sie nationalen Arbeitnehmern zustehen. 677 Art. 3 Ziff. 1 des Protokolls von Colonia. 678 Art. 3 Ziff. 1 des Protokolls von Colonia. 679 Vgl. bereits Teil 2, I. 2. g), S. 258.

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gende Gründe des Allgemeininteresses eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigen680. Die Möglichkeit zu investieren, darf keinesfalls von der Auflage abhängig gemacht werden, Produkte zu exportieren oder im Gegenteil Waren für den lokalen Markt bereitzustellen681. Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 des Protokolls von Colonia präzisieren, dass das Meistbegünstigungsprinzip nicht dahingehend zu verstehen ist, dass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, Investoren aus anderen Mitgliedstaaten jedweden Vorteil aus etwaigen internationalen Abkommen zu gewähren. Die Mitgliedstaaten behalten sich das Recht vor, eine reduzierte Zahl von Ausnahmen von den Bestimmungen des Protokolls vorübergehend zuzulassen. Die Möglichkeit, Ausnahmen vom Meistbegünstigungsprinzip zuzulassen, hat man aber von vornherein auf die im Anhang des Protokolls von Colonia aufgelisteten Sektoren beschränkt682. Es wird kritisiert, dass hier überwiegend die für ausländische Investoren attraktivsten Wirtschaftsbereiche ausgenommen wurden, wodurch die Kapitalverkehrsfreiheit längst nicht so umfangreich gewährleistet wird, wie die Sprache des Protokolls zunächst vermuten lässt683. Das Protokoll von Colonia soll nicht nur eine unterschiedlose Behandlung in- und ausländischer Investitionen sicherstellen. Einmal getätigten Investitionen wird eine bestmögliche Förderung ihrer Entwicklung versprochen684. Es werden beispielsweise die Möglichkeit der Ausübung von Li680 Dazu W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1064 ff., Rn. 2822 ff., S. 1080 ff. Rn. 3873 ff.; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 393 ff. Rn. 907 ff., S. 397 Rn. 916 ff.; EuGH v. 03.02.1993, Rs. C-148/91 (Omroep/Commissariaat voor de Media), Slg. 1993 I, 487, Rn 9 f.; EuGH v. 01.06.1999, Rs. C-302/97 (Konle/Österreich), Slg. 1999 I, 3099, Rn. 40; EuGH v. 05.03.2002, Rs. C-515/99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 (Reisch/Bürgermeister der Landeshauptstadt Salzburg), Slg. 2002 I, 2157, Rn. 33; EuGH v. 04.06.2002, Rs. C-367/98 (Kommission/Portugal – „Goldene Aktien I“), Slg. 2002 I, 4731, Rn. 49; EuGH v. 04.06.2002 Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich – „Goldene Aktien II“), Slg. 2002 I, 4781, Rn. 45; EuGH v. 04.06.2002, Rs. C-503/99 (Kommission/Belgien – „Goldene Aktien III“), Slg. Slg. 2002 I, 4809, Rn. 45; EuGH v. 13.05.2003, Rs. C-463/00 (Kommission/Spanien – Goldene Aktien IV“), Slg. 2003 I, 4581, Rn. 68; EuGH v. 13.05.2003, Rs. C-98/01 (Kommission/England – „Goldene Aktien V“), Slg. 2003 I, 4641, Rn. 49. 681 Art. 3 Ziff. 4 des Protokolls von Colonia. 682 Art. 2 Abs. 1 des Protokolls von Colonia. Das sind für Argentinien: ausländische Investitionen in Immobilien in Freihandelszonen, Lufttransport, Schiffsbau, Kernkraftwerke, Uranabbau, Versicherungen, Fischerei; für Brasilien: Abbau von Mineralien, Energiegewinnung durch Wasserkraft, medizinische Versorgung, Rundfunk, Telekommunikation, ländliche Immobilien, Banken, Versicherungen, Berufsausbildung, Bau, Binnen- und Küstenschiffart, vgl. Art. 1 des Anhangs des Protokolls von Colonia. 683 R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 121. 684 Art. 2 Ziff. 2 des Protokolls von Colonia.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

zenzverträgen ebenso wie die Möglichkeit der Einreise von Fachpersonal im Rahmen von Investitionen zugesichert685, obwohl Letztere bereits durch die Vorschriften zur Arbeitnehmerfreizügigkeit gewährleistet sein dürfte; denn spezialisierte Arbeitskräfte erhalten wie gesehen problemlos ein Arbeitsvisum686. Fraglich ist, ob die Vertragsstaaten mit der Formulierung, die ausländischen Investitionen bestmöglich zu fördern, über das bei allen anderen Grundfreiheiten im Mercosur gültige Nichtdiskriminierungs- und Meistbegünstigungsprinzip hinaus ein Beschränkungsverbot etablieren wollen, welches in der Europäischen Union auch für die Kapitalverkehrsfreiheit seit dem 1. Januar 1994 im Gleichklang mit allen anderen Grundfreiheiten gilt687. In Analogie zur Dassonville-Formel im Warenverkehr sind damit alle unmittelbaren und mittelbaren, aktuellen oder potentiellen Behinderungen, Begrenzungen oder Untersagungen für den Zufluss, Abfluss oder Durchfluss von Kapital verboten688. D.h., als Beschränkungen des Kapitalverkehrs gelten auch unterschiedslos auf alle Personen anwendbare Rechtsund Verwaltungsvorschriften und sonstigen mitgliedstaatlichen Maßnahmen, die geeignet sind, nachteilige Folgen für den Inhaber oder Empfänger des Kapitals nach sich zu ziehen oder auch nur die freie Entscheidung über die Anlage von Finanz- oder Sachkapital zu beeinflussen689. Damit sind in der 685

Art. 2 Ziff. 2 des Protokolls von Colonia. Vgl. bereits Teil 2, II. 3., S. 274. 687 G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 34 f.; M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 3; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1052 ff., Rn. 2794 ff.; W. Kiemel, Art. 56 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 15. Nach der alten Regelung, die bis 1994 galt (Art. 67 EWGV), wurde die Liberalisierung des Kapitalverkehrs nur verlangt, soweit es das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderte, vgl. J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 160; M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/ EGV, Rn. 1 f.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1024 Rn. 2720 (vgl. auch bereits Fn. 636, 2. Teil). 688 G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 34 f.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1053 ff. Rn. 2796 ff.; J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 161 ff.; W. Kiemel, Art. 56 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 11; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 392 Rn. 904; M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 27; K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. e), aa), S. 615. 689 M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 27; EuGH v. 24.06.1986, Rs. 157/85 (Brugnoni/Casa di Risparmio), Slg. 1986, 213, Rn. 22 ff.; EuGH v. 06.06.2000, Rs. C-35/98 (Staatssecretaris van Financiën/Verkooijen), Slg. 2000 I, 4071, Rn. 34 ff.; EuGH v. 26.09.2000, Rs. C-478/98 (Kommission/Belgien), Slg. 2000 I, 7587, Rn. 18; EuGH v. 14.11.1995, Rs. C-484/93 (Svensson u. Gustavsson/Ministere du Logement), Slg. 1995 I, 3955, Rn. 10, EuGH v. 16.03.1999, Rs. C-222/97 (Trummer und Mayer), Slg. 1999 I, 1661, Rn. 26; EuGH v. 14.10.1999, Rs. C-439/97 (Sandoz/Finanzlandesdirektion für Wien), Slg. 1999 I, 7041, Rn. 19; EuGH v. 14.12.1995, Rs. C-163/94, C-165/94 und C-250/94 (Sanz 686

IV. Die Kapitalverkehrsfreiheit

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Europäischen Union alle Vorschriften verboten, die für den grenzüberschreitenden Kapital- und Zahlungsverkehr eine gegenüber den Inlandsgeschäften abweichende Regelung vorsehen690. Im Mercosur spricht die beispielhafte Nennung, die Möglichkeit der Ausübung von Lizenzverträgen und der Einreise von Fachpersonal zu gewährleisten, allerdings eher für eine restriktivere Auslegung. Schließlich stellt die Erlaubnis, im Rahmen einer Investition einreisen zu dürfen, eine Notwendigkeit dar, die lediglich eine Gleichstellung mit den ohnehin in diesem Mitgliedstaat befindlichen einheimischen Investoren bewirkt. Auch die beispielhaft genannte Ausübung von Lizenzen steht Staatsbürgern automatisch zu. Dass alle anderen Grundfreiheiten im Mercosur lediglich ein Nichtdiskriminierungs- und Meistbegünstigungsprinzip vorsehen, deutet darauf hin, dass die in Frage stehende Formulierung ebenfalls nicht als Beschränkungsverbot verstanden werden soll. Hiefür spricht im Übrigen auch, dass das Protokoll von Colonia Investitionen aus anderen Mitgliedstaten eine lediglich „gerechte und unterschiedslose“ Behandlung zusichert691. Vielmehr wollte man offenbar im Bewusstsein der Tatsache, dass die Kapitalverkehrsfreiheit die am schwierigsten zu verwirklichende Marktfreiheit ist692, den Willen bekräftigen, größtmögliche Anstrengungen zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu unternehmen, ohne spezifischere Vorschriften zu erlassen, wie etwa ein Verbot, Kapitaltransfers einem Genehmigungsverfahren zu unterwerfen693.

de Lera u. a.), Slg. 1995 I, 4821, Rn. 24 f.; EuGH v. 14.03.2000, Rs. C-54/99 (Église de scientologie/Premier ministre), Slg. 2000 I, 1335, Rn. 14 f.). 690 W. Kiemel, Art. 56 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 7; K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. e), aa), S. 614 f. 691 Art. 3 Ziff. 1 Protokolls von Colonia. Vgl. bereits oben S. 314. 692 Vgl. unten S. 327. 693 Im Gegensatz zu der früheren europäischen Rechtsprechung, in der Genehmigungsverfahren zu Kontrollzwecken als gerechtfertigt erachtet wurden (vgl. EuGH v. 11.11.1981, Rs. 203/80 (Casati), Slg. 1981, 2595, Rn. 10 ff.), akzeptiert der Europäische Gerichtshof inzwischen vorherige Genehmigungsverfahren der Mitgliedstaaten nicht mehr, vgl. EuGH v. 23.02.1995, Rs. C-358/93 u. C-416/93 (Bordessa) Slg. 1995 I, 361, Rn. 15; EuGH v. 14.12.1995, Rs. C-163/94, C-165/94 und C-250/94 (Sanz de Lera u. a.), Slg. 1995 I, 4821, Rn. 24 f.; EuGH v. 14.03.2000, Rs. C-54/99 (Église de scientologie/Premier ministre), Slg. 2000 I, 1335, Rn. 14 f.; EuGH v. 01.06.1999, Rs. C-302/97 (Konle/Österreich), Slg. 1999 I, 3099, Rn. 44; EuGH v. 26.09.00, Rs. C-478/98 (Kommission/Belgien), Slg. 2000 I, 7587, Rn. 17 ff.; vgl. auch: J. C. W. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, S. 163 f.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, Rn. 2805, S. 1057; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 395 Rn. 911.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

cc) Adressaten Adressaten der Vorschriften des Protokolls sind die Mitgliedstaaten selbst694. Eine genaue Definition, was als mitgliedstaatliches Handeln zu verstehen ist, findet sich in dem Protokoll nicht. In Anlehnung an das Europarecht695 sowie an die Definition staatlicher Maßnahmen im Dienstleistungsprotokoll696 lässt sich befürworten, dass darunter jedwede Form der Ausübung öffentlicher Gewalt fällt, d.h. Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Verwaltungspraktiken sowie alle Akte, die von einer Behörde ausgehen. In der Literatur zum Europarecht wird in Analogie zur Rechtsprechung im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit697 auch eine Handlungsunterlassung der Mitgliedstaaten als Verstoß gegen die Vorschriften zur Kapitalverkehrsfreiheit gewertet, wenn ein Mitgliedstaat es beispielsweise versäumt, Maßnahmen gegen Handlungen von Privatpersonen zu treffen, die sich gegen die Kapitaleinfuhr, -ausfuhr oder -durchfuhr richten698. Die oben erwähnte Formulierung des Protokolls, die Entwicklung ausländischer Investitionen bestmöglich zu fördern, könnte im Sinne eines weiten Adressatenkreises verstanden werden, so dass im Mercosur die offensichtliche Verletzung der staatlichen Schutzpflicht699, also eine Handlungsunterlassung seitens des Staates ein Verstoß gegen das Protokoll darstellen würde. dd) Enteignungen Enteignungen von Investitionen, die aus anderen Mitgliedstaaten stammen, werden ausdrücklich verboten700. Für Verluste, die aufgrund von bewaffneten Konflikten, eines nationalen Notstandes, aufgrund von Revolte 694 Vgl. folgende Artikel des Protokolls von Colonia: Art. 2 Ziff. 1 und 2, Art. 3 Ziff. 1, 2 und 4; Art. 4 Ziff. 1 und 2; Art. 5 Ziff. 1 und 2; Art. 6 Ziff. 1; Art. 7; Art. 8; Art. 9 S. 1. 695 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1055 Rn. 2800 ff.; G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 62 ff. 696 Art. 18 Ziff. 1 lit. a des Dienstleistungsprotokolls; vgl. bereits oben Teil 2, III. 1. c), S. 286. 697 EuGH v. 09.12.1997, Rs. C-265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997 I, 6959, Rn. 31. 698 G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 63; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 391 f. Rn. 903. 699 Zur Schutzpflicht-Dogmatik vgl. bereits Hinweise in Fn. 55 und 56 (2. Teil). 700 Mit Ausnahme solcher, die für die Errichtung öffentlicher Gebäude notwendig sind. Es muss dann aber ein nichtdiskriminierender Rechtsweg und eine angemessene und zuvor zu zahlende Entschädigung sichergestellt werden (Art. 4 Ziff. 1 des Protokolls von Colonia). Enteignungen von Investitionen aus Drittstaaten sind nach dem Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten verboten, hierzu unten Teil 2, IV. 3. b).

IV. Die Kapitalverkehrsfreiheit

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oder Umsturzversuchen entstehen, haftet der Staat in gleicher Weise wie für heimische Investitionen701. ee) Freier Kapitaltransfer im Rahmen von Investitionen Für die Verwirklichung der Kapitalverkehrsfreiheit besonders entscheidend ist Art. 5 des Protokolls von Colonia, der Anlegern aus anderen Mitgliedstaaten zusichert, ihre Investitionen und erwirtschafteten Gewinne frei transferieren und damit zurückführen zu können. Beispielhaft werden aufgezählt702: a) Sämtliches für eine Anfangsinvestition und deren Beibehaltung oder Entwicklung notwendiges Kapital; b) Sämtliche Gewinne, Ausschüttungen, Zinsen, Renten, Dividenden oder sonstige laufende Einkünfte; c) Kapital, das zur Absicherung von Krediten dient; d) Einkünfte aus der Verwertung von Lizenzen; e) Kapital aus dem Verkauf oder der Auflösung von Anlagen; f) Entschädigungen von Enteignungen; g) Lohn für Arbeitsleistungen, die von Angehörigen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit einer Investition erbracht wurden. Letzter Punkt ist besonders interessant. Nur Beschäftigten aus anderen Mercosur-Mitgliedstaaten, nicht aber aus Drittstaaten, die im Zusammenhang mit einer Investition im Mercosur tätig sind, wird demnach der freie Transfer des Lohns für Arbeitsleistungen gewährleistet. Da die Aufzählung nicht abschließend ist, kann davon ausgegangen werden, dass abgesehen von der Existenz erheblicher Zahlungsbilanzschwierigkeiten Beschäftigte mit der Nationalität eines Drittstaates, die im Rahmen einer Investition tätig sind, die gleichen Rechte genießen wie Angehörige eines Mercosur-Mitgliedstaates. Hierfür spricht, dass das mit Ratsentscheidung 11/94 verabschiedete Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten703 vorsieht, dass die Vertragsstaaten mit Drittstaaten Abkommen schließen können, die die gleichen Rechte den Angehörigen von Drittstaaten einräumen704. Die Gewährleistung der Überweisung des Arbeitslohns von Wan701

Art. 4 Ziff. 2 des Protokolls von Colonia. Dass es sich um eine beispielhafte Aufzahlung handelt, geht aus Art. 5 Ziff. 1 des Protokolls von Colonia hervor, der wörtlich die Formulierung „no exclusivamente“ verwendet. 703 Hierzu weiter unten, S. 321. 702

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

derarbeitnehmern, deren Beschäftigung nicht im Zusammenhang mit einer Investition steht, wird ebenfalls nicht genannt. Sie dürfte aber ebenso wie im Europarecht705 im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit abgedeckt sein. Art. 5 des Protokolls von Colonia gewährleistet im Übrigen nur den freien Transfer von Kapital im Rahmen von Investitionen aus anderen Mitgliedstaaten. Kapitaltransfers an Anleger aus Nichtmitgliedstaaten sind ebenso wenig durch das Protokoll von Colonia geschützt wie Kapitaltransfers, die nicht im Rahmen einer Investition getätigt werden. Für Kapital, das nicht angelegt wird, sondern dem Konsum dient, wird die Freizügigkeit demnach nicht garantiert. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kapitaltransfers ohne zeitliche Verzögerung und zu freiem, am Tag der Überweisung am Markt gültigen Wechselkurs möglich sind706. ff) Streitbeilegung Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedstaaten bezüglich der Auslegung dieses Protokolls werden nach dem gültigen Mercosur-Streitbeilegungsmechanismus entschieden707. Streitigkeiten zwischen einem Investor und einem Mitgliedstaat können auf Bitte des Investors, sollten sie nach sechs Monaten nicht friedlich beigelegt sein, entweder vor einem Gericht des Mitgliedstaates, in dessen Territorium die Investition getätigt wurde, oder vor einem internationalen Schiedsgericht ausgetragen werden708. Hierbei ist zu beachten, dass das Protokoll noch nicht von allen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt wurde und daher noch nicht in Kraft getreten ist709. Es stellt folglich kein in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht dar, sondern ist bisher nur für die Mitgliedstaaten verbindlich, indem es diese verpflichtet, die Bestimmungen in nationales Recht zu inkorporieren710. Investoren können sich folglich nicht vor nationalen Gerichten auf 704

Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 lit. E. Ziff. 1 lit. g des Protokolls zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten. Soweit ersichtlich ist bisher noch kein solches Abkommen geschlossen worden, vgl. http://www.mercosur.int/msweb/. 705 W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1052 Rn. 2792 f. 706 Art. 5 Ziff. 2 des Protokolls von Colonia. 707 Art. 8 des Protokolls von Colonia. 708 Art. 9 Ziff. 1 und 2 des Protokolls von Colonia. Art. 9 Ziff. 2 Nr. III des Protokolls von Colonia sieht zudem die Möglichkeit vor, den Streit vor dem MercosurStreitbeilegungsmechanismus auszutragen, sofern dieser in Zukunft die Klageerhebung von Privatpersonen zulässt. Zum Streitbeilegungsmechanismus oben, Teil 1. V. 709 Gemäß Art. 11 Ziff. 1 des Protokolls von Colonia tritt das Protokoll 30 Tage nach der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde in Kraft. Dies ist bisher nicht geschehen, vgl. http://www.sice.oas.org/agreemts/Mercin_e.asp#MERCOSUR.

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das Protokoll berufen711. Gemessen an dem Ziel, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen, ist dies ein nicht zu unterschätzendes Manko, vergegenwärtigt man sich die herausragende Bedeutung, die der Rechtssicherheit für die Attraktivität eines Investitionsstandortes beizumessen ist712. b) Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten Das Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten vom 5. August 1994713 regelt den Schutz von Investitionen, die aus Nichtmitgliedstaaten stammen714. Es übernimmt fast wörtlich die Bestimmungen des Protokolls von Colonia. Einmal zugelassenen Investitionen aus Drittstaaten wird weitgehender Schutz gewährleistet715. Gegenüber dem Protokoll von Colonia enthält das Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten dennoch erwähnenswerte Unterschiede. Der zu gewährleistende Schutz „kann“ (podrá) so weit gehen, dass Drittstaatsinvestitionen nicht schlechter gestellt werden als Investitionen von Anlegern aus einem Mercosur-Mitgliedstaat716. Mit anderen Worten darf Investitionen aus Drittstaaten ein Schutzstandard gewährleistet werden, der demjenigen von Investitionen aus einem Mitgliedstaat entspricht. Der Schutz von Investitionen aus Drittstaaten kann demnach aber auch hinter demjenigen aus den Vertragsstaaten zurückstehen. In ähnlicher Weise wird der Abschluss bilateraler Investitionsschutzabkommen mit dritten Staaten ausdrücklich gestattet717. Diese dürfen allerdings keinen Investitionsschutz vorsehen, der über den in diesem Pro710 Dass die Umsetzung des Protokolls noch nicht von allen Mitgliedstaaten gemeldet werden konnte, verwundert nicht. Schließlich erfordert die Umsetzung der Bestimmungen in nationales Recht eine Revision einer großen Zahl von Gesetzen und behördlichen Regelungen, um Beschränkungen des Kapitalverkehrs zu identifizieren und gemäß den Vorgaben des Protokolls zu unterbinden, was naturgemäß ein langer Prozess ist. Hierauf verweist R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 122. 711 Allerdings können sie nach nationalem Recht die Inkorporation von internationalen Verträgen einklagen. Hierzu vgl. Teil 1, IV. 2. a) und b), insb. Fn. 515 (1. Teil). 712 Auf die Bedeutung der Rechtsicherheit verweist W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 97. 713 Das Protokoll ist gem. seines Art. 4 Bestandteil des Vertrags von Asunción. Das Protokoll ist bisher noch nicht in Kraft getreten, vgl. http://www.sice.oas.org/ agreemts/Mercin_e.asp#MERCOSUR. 714 Hierzu auch R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 118 ff. 715 Art. 2 lit. C Ziff. 2; J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, S. 1998. 716 Art. 2 lit. C Ziff. 1 und 2 des Protokolls zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten. 717 Art. 2 S. 1 sowie der 5. Erwägungsgrund der Präambel des Protokolls zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

tokoll vereinbarten Schutz hinausgeht718. Investitionsschutzabkommen mit Drittstaaten können also höchstens einen Investitionsschutz vorsehen, der demjenigen von Investitionen aus den Mitgliedstaaten gleichwertig ist. Die Formulierung entspricht dem im Protokoll von Colonia festgelegten Meistbegünstigungsprinzip: Investitionen aus den Mitgliedstaaten dürfen nicht schlechter gestellt werden als Investitionen aus Drittstaaten. Während Enteignungen im Protokoll von Colonia nur zum Bau öffentlicher Einrichtungen möglich sind, können Investitionen aus Drittstaaten auch aus Gründen des sehr viel interpretierfähigeren Allgemeininteresses (interés social) enteignet werden719. Die Entschädigung muss nicht wie im Protokoll von Colonia vor der Enteignung, sondern lediglich zügig oder, sobald sich die Gelegenheit ergibt (pronto o oportuno), gezahlt werden720. Zudem wird eine lediglich dem „Wert der enteigneten Investition entsprechende Entschädigung“ gezahlt, während Investitionen aus Mercosur-Mitgliedstaaten entsprechend ihrem „realen Wert“ (valor real) entschädigt werden, also einschließlich einer üblichen Verzinsung des Kapitals721. Überweisungen müssen auch nach dem Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten ohne zeitliche Verzögerung und zu freiem Wechselkurs möglich sein. Im Gegensatz zum Protokoll von Colonia bestimmt das Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten jedoch nicht, dass es sich hierbei um den am Tag der Überweisung gültigen Wechselkurs handeln muss722. Hintergrund dieser differenzierten Vorgehensweise ist möglicherweise, dass den Drittstaaten die Vorteile hinsichtlich der Sicherheit von Investitionen nicht, wie teilweise in der Europäischen Union der Fall723, ohne Gegenleistung zugute kommen sollen, sondern nur im Gegenzug ähnlicher Garantien bezüglich Investitionen aus den Mercosur-Ländern. Die Absichtserklärung, Investitionen aus dritten Staaten anders als in früheren lateinamerikanischen Integrationsbemühungen zu fördern, anstatt sie zu blo718

Art. 1 und Art. 2 S. 1 des Protokolls zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten. 719 Vgl. Art. 4 Ziff. 1 und Art. 2 lit. D Ziff. 1 des Protokolls zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten. 720 Vgl. Art. 4 Ziff. 1 und Art. 2 lit. D Ziff. 1 des Protokolls zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten. 721 Vgl. Art. 4 des Protokolls von Colonia und Art. 2 lit. D Ziff. 1 und 2 des Protokolls zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten. 722 Vgl. Art. 5 Ziff. 2 des Protokolls von Colonia und Art. 2 lit. E Ziff. 2 des Protokolls zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten. 723 Dass Art. 56 EGV eine einseitig begünstigende Norm darstellt, heben hervor: W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, S. 1033 Rn. 2741; G. Ress/J. Ukrow, Art. 56 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 52; K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. e), aa), S. 613.

IV. Die Kapitalverkehrsfreiheit

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ckieren, verdeutlicht den Willen der Vertragsstaaten, ihre Volkswirtschaften in die Weltwirtschaft einzugliedern724. Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten können sich auch durch Investitionsförderungen ergeben725. Das Recht der Mitgliedstaaten zur Investitionsförderung wird nicht durch das Protokoll berührt, solange Investitionen von ausländischen Anlegern gegenüber denjenigen nationaler Anleger nicht benachteiligt werden726. Auf die Notwendigkeit der Harmonisierung von Investitionsanreizen neben der Harmonisierung des Steuerrechts, der Wechselkurspolitik etc. wird hingewiesen727. Aber auch in der Europäischen Union gibt es noch kein einheitliches Konzept mit dem Umgang von Investitionsförderungen. Es bleibt lediglich der Rückgriff auf das Wettbewerbsrecht, wenn regional gewährte Beihilfen den Wettbewerb verzerren728. c) Die Ratsentscheidung 8/93 Der Ratsentscheidung 8/93 kommt, obwohl sie nur einen Vorschlag für eine Minimalregelung der Kapitalmärkte verabschiedet, von daher eine besondere Bedeutung zu, als in der Europäischen Union ähnliche Richtlinien zu einer weitgehenden Verschmelzung der Finanzmärkte („europäischer Finanzraum“) geführt und damit der gemeinsamen Währung den Weg geebnet haben729. Die Entscheidung widmet sich fünf Themenbereichen: 724 W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 100. Hierfür spricht auch die im Protokoll von Colonia vorgesehene Möglichkeit der Anrufung Internationaler Schiedsgerichte im Streitfall zwischen privaten Investoren und einem Mercosur-Mitgliedstaat. 725 Vgl. unten Teil 3, III. 3. 726 J. Samtleben, Der südamerikanische gemeinsame Markt und seine neue Verfassung, WM 1996, 1998. 727 S. Jardel/A. Barraza, Mercosur, S. 138; ebenso W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 97. 728 INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), S. 41; ähnlich R. Olivera García, Los mercados de capitales en el proceso de integración regional, S. 305 f. Hierzu auch Teil 3, III. 3. 729 Vgl. Richtlinie 89/646/EWG des Rates v. 15.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, ABl. 1989 Nr. L 386/1 (geändert durch Richtlinie 95/26/EG des Parlaments und des Rates v. 29.06.1995, ABl. 1995, Nr. L 168/7); Richtlinie 89/299/EWG des Rates v. 17.04.1989 über die Eigenmittel von Kreditinstituten, ABl. 1989, Nr. L 124/16 (geändert durch Richtlinie 92/16/EWG des Rates v. 16.03.1992, ABl. 1992, Nr. L 75/48); Richtlinie 89/67/EWG des Rates v. 18.12.1989 über einen Solvabilitätskoeffizienten für Kreditinstitute, ABl. 1989, Nr. L 386/14; Richtlinie 2001/34/EG des Parlaments und des Rates v. 28.05.2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABl. 2001 Nr. L

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

– Die Emission von Wertpapieren darf nur von autorisierten Emissionshäusern erfolgen730. Die Genehmigung zur Emission von Wertpapieren muss von der zuständigen staatlichen Behörde jederzeit zurückgezogen werden können731. Die Emissionshäuser müssen Informationen über die Organisation, Gesellschaftszweck, über ihre finanzielle Situation und über zu emittierende Wertpapiere herausgeben732. – Bezüglich Kapitalfonds, die in anderen Mitgliedstaaten tätig werden wollen, sieht die Entscheidung Vorschriften zur Registrierung, über die Organisation, Informationspflicht sowie eine Angleichung der Vorschriften zur Besteuerung vor733. – Wertpapierbörsen müssen von der zuständigen staatlichen Behörde genehmigt werden. Die Behörde regelt die Funktionsweise und die Besteuerung von Börsenplätzen, die Abrechnung von Transaktionen, die Offenlegung der finanziellen Situation und der getätigten Transaktionen sowie die Arbeitsweise von Finanzintermediären, die grenzüberschreitend im Mercosur tätig werden wollen734. – Die zuständige staatliche Stelle erlässt Vorschriften zur Rechnungsprüfung von Kapitalgesellschaften, Finanzintermediären und institutionellen Anlegern735. – Die zuständige staatliche Stelle erlässt Vorschriften zur Aufbewahrung und Auszahlung von Wertpapieren736. Hauptanliegen des Vorschlags ist der vereinheitlichte Zugang zu anlagerelevanten Informationen. Emissionshäuser von Wertpapieren sollen verpflichtet werden, regelmäßig und in einer vereinheitlichten Art und Weise737 Informationen über Geschäftsablauf, Management und die finanzielle Situation offenzulegen738. Gründe für unterschiedliche Rechnungs184/1 (zuletzt geändert durch Richtlinie 2005/1/EG des Rates v. 09.03.2005, ABl. 2005, Nr. L 79/9). Vgl. auch: T. Oppermann, Europarecht, S. 489 Rn. 10, S. 492 Rn. 17, S. 492 Rn. 17, S. 493 Rn. 20; M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. Rn. 28–48; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 404 f. Rn. 34 ff. 730 Punkt 1.1.2 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. 731 Punkt 1.1.4 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. 732 Punkt 1.3 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. 733 Punkt 2 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. 734 Punkt 3 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. 735 Punkt 4 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. 736 Punkt 5 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. 737 Punkt 2 des Anhangs der Ratsentscheidung 13/94, welcher Ratsentscheidung 8/93 ergänzt. 738 Punkt 1.3 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93.

IV. Die Kapitalverkehrsfreiheit

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legungsstandards im Mercosur müssen dem Anleger dargelegt werden739. Der Vorschlag beinhaltet zudem zu vereinheitlichende Minimalstandards unter anderem bezüglich des Handels, Bezahlweise, Ausführung bei Fälligkeit und Aufbewahrung von Wertpapieren740. Kapitalgesellschaften, können ihre Anteile an jeder Börse eines jeden Mitgliedstaates handeln lassen741. Die Durchsetzung der Regeln wird befürwortet. Investitionen werden vergleichbarer und Risiken besser einschätzbar, was das Vertrauen potentieller Anleger stärken dürfte742. Auch diese so genannte Minimalregelung verfolgt das Ziel, Investitionen anzuziehen743. Es wird hervorgehoben, dass der einheitlich geregelte Zugang zu Kapital ein notweniges Mittel für die Gewährleistung der Chancengleichheit im Mercosur ist. Unterschiedliche Strukturen der Finanzsysteme bedeuten einen unterschiedlichen Zugang zu Finanzierungen und damit unterschiedliche Kosten für die Unternehmen744. Der gemeinsam geregelte Zugang zu Kapital dient daher nicht nur der Verwirklichung der Kapitalverkehrsfreiheit, sondern soll im Übrigen mit einem Gemeinsamen Markt unvereinbare Wettbewerbsverzerrungen verringern745. Neben der Tatsache, dass der Mercosur-Rat hier lediglich einen Vorschlag unterbreitet, bezieht sich dessen Inhalt nur auf grenzüberschreitende Aktivitäten von Emissionshäusern, Finanzintermediären und Fondsgesellschaften746. Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand werden nicht erfasst747. Hält man sich die Asymmetrien in der Ausgestaltung des Kapital- und Zahlungsverkehrs, insbesondere bezüglich des Zugangs zu Finanzdienstleistungsmärkten748 in den Mercosur-Mitgliedstaaten vor Augen, ist selbst eine solche „Minimalregelung“ als Verbesserung zu werten.

739

Punkt 1.3.2 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. Punkt 5 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. 741 Punkt 1.2.3 Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. 742 R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 99. 743 R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 99. 744 R. Olivera García, Los mercados de capitales en el proceso de integración regional, S. 305 f. 745 R. Olivera García, Los mercados de capitales en el proceso de integración regional, S. 305 f. 746 Punkt 1.3.2 S. 1, Punkt 2.1 S. 2, Punkt 3.2 S. 1, Punkt 4 S. 1 des Anhangs von Ratsentscheidung 8/93. 747 Abs. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 8/93. 748 Vgl. INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), S. 39 und 40; U. Wehner, Der Mercosur, S. 156; ausführlich E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 116 ff. 740

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

d) Weitere Entscheidungen des Mercosur-Rates Die Ratsentscheidung 10/93 bestimmt die Anwendung der vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht festgelegten Kriterien über die Mindestrücklagen für Risikokapital (so genannte Basel-I-Kriterien) für den Mercosur749. Die Basel-Kriterien sind in den letzten Jahrzehnten zu einem Standard für die Banken- und Finanzbranche insbesondere in den Industrie-, aber auch in vielen Schwellenländern geworden750 und werden nun auch in allen Mercosur-Mitgliedstaaten eingehalten751. Die Ratsentscheidung 12/94 legt die Gültigkeit international anerkannter Leitlinien zur Bankenaufsicht für den Mercosur fest. Die Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 1/96 führt eine an internationalen Standards orientierte einheitliche Klassifizierung von Schuldnern und Kreditrisiken ein, deren Anwendung in allen Mitgliedstaaten im Jahr 2000 festgestellt werden konnte752. Die Ratsentscheidung 8/99 verpflichtet die Aufsichtsbehörden zusammenzuarbeiten und lässt eine deutliche Nähe zu der Arbeit der Baselkommission in Europa erkennen753. Die Ratsentscheidung 9/99 verbietet, den Zugang zum Versicherungsmarkt für Versicherungsunternehmen anderer Mitgliedstaaten willkürlich zu beschränken754. Versicherungsgesellschaften aus Drittstaaten dürfen ausdrücklich nicht schlechter gestellt werden als solche im Mercosur ansässige755. Im Kampf gegen Geldwäsche hat man zwar vereinbart, dass die Zentralbanken zusammenarbeiten756. Konkrete Vorschriften über die Art und Weise der Zusammenarbeit wurden bisher aber nicht erlassen757.

749 Vorausgegangen war die Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 51/93, welche dem Rat die Annahme dieser Reglungen vorschlägt. Fraglich ist, ob damit auch die seit Juni 1999 vorgenommenen Änderungen an den ursprünglichen Vorschlägen (Basel II) automatisch für den Mercosur gelten oder ob dafür eine neue Ratsentscheidung erlassen werden muss, die dies ausdrücklich bestimmt. 750 Zu den baseler Kriterien vgl. auch E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 30 ff. 751 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 73. 752 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 74, 123. 753 D. Zavala, Servicios financieros en el Mercosur, S. 318. 754 Art. 2 Abs. 1 des Anhangs der Ratsentscheidung 9/99. 755 Art. 1 Abs. 3 des Anhangs der Ratsentscheidung 9/99. 756 Vgl. Abkommen über die Zusammenarbeit der Zentralbanken gegen Geldwäsche, verabschiedet mit Ratsentscheidung 40/00. Vorausgegangen war die Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 53/00. 757 Kaum Fortschritte bei der Bekämpfung von Geldwäsche erkennt auch J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 404 m. w. N.

IV. Die Kapitalverkehrsfreiheit

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4. Zusammenfassung In der Europäischen Union ist die Kapitalverkehrsfreiheit die am spätesten entwickelte Marktfreiheit, und bis heute bestehen noch Hindernisse für den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr758. Dies verwundert nicht; denn die Regulierung des Kapitalmarktes ist ein wichtiges Instrument zur Vorbeugung von Inflation und essentieller Bestandteil der Souveränität der Mitgliedstaaten759. Auch in der Literatur zum Mercosur-Recht wird darauf hingewiesen, dass die Überwindung nationaler Widerstände bei der Verwirklichung der Kapitalverkehrsfreiheit offenbar schwieriger als bei der Verwirklichung anderer Marktfreiheiten ist760. Insofern überrascht es nicht, dass die Kapitalverkehrsfreiheit im Mercosur, insbesondere im Vergleich zum gemeinsamen Finanzmarkt, den die Währungsunion in der Europäischen Union erzwingt761, noch Beschränkungen unterliegt762. Dennoch sind im Mercosur bedeutsame Fortschritte bei der Harmonisierung der Kapitalmarktregulationen zu erkennen763, und der Einschätzung, dass die Freiheit des Kapitalverkehrs noch weitgehend unverwirklicht sei764, kann nicht mehr gefolgt werden. In Argentinien und Paraguay wurden Barrieren für ausländische Inves758 I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 3112; auf die schrittweise Verwirklichung der Kapitalverkehrsfreiheit verweisen auch: R. Olivera García, Los mercados de capitales en el proceso de integración regional, S. 300; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 404 Rn. 34; T. Oppermann, Europarecht, S. 489 Rn. 7 ff., S. 490 Rn. 12, S. 492 Rn. 18, S. 494 f. Rn. 24. 759 R. Tamames, La Unión Europea, S. 121 ff. Darauf, dass man bei dem „besonders empfindlichen Gebiet“ der Währungsvorschriften vorsichtiger umging, verweisen: I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 3110; ganz ähnlich E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 70 f. Darauf, dass die Regulierung des Kapitalmarktes wesentliche Aspekte des staatlichen Grundrechtsschutzes (insbesondere die Eigentumsgewährleistung, die Berufs- und Vertragsfreiheit, das Sozialprinzip und das demokratische Prinzip) berührt, verweist K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 263 ff., 289 ff. 760 R. Olivera García, Los mercados de capitales en el proceso de integración regional, S. 306; m. w. N. A. Haller, Mercosur, S. 51. 761 K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 258. 762 Übersicht bei E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 89–123, 154. 763 So bereits INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), S. 40; vgl. auch E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 69 ff., 123 ff. 764 So noch: U. Wehner, Der Mercosur, S. 156; A. Haller, Mercosur, S. 95; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 95; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 408.

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

titionen fast vollständig beseitigt. Brasilien hat Verfassungsreformen auf den Weg gebracht, durch die bedeutende Sektoren des Kapitalmarktes für ausländische Investitionen geöffnet werden. In Uruguay ist eine Investitionserlaubnis zu beziehen, welche sodann eine freizügige Verfügung und Rückführung des eingesetzten Kapitals garantiert765. Die Zusammenarbeit der Finanzaufsichtsbehörden wurde verstärkt766, Sicherheitsstandards harmonisiert767, Banken wurden privatisiert und Monopole aufgehoben768, so dass heute bereits ein nahezu grenzenloser, wenn auch nicht vollkommen schrankenloser, regionaler, aber auch globaler Kapitalverkehr möglich erscheint769. Die Verabschiedung der so genannten Minimalregelung der Kapitalmärkte zeigt, dass man wie in der Europäischen Union770 über die Liberalisierungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs hinaus rechtliche und verwaltungsmäßige Hindernisse im Rahmen der Rechtsangleichung zu beseitigen sucht, um einen einheitlichen Finanzraum zu schaffen771. Dass man sich im Mercosur auch bei der Kapitalverkehrsfreiheit lediglich für ein Diskriminierungs- und nicht für ein Beschränkungsverbot, wie es die Europäische Union praktiziert, entschieden hat, ist nicht zwangsläufig nachteilig. Eine global zugeschnittene Kapitalverkehrsfreiheit, die Kapitaleigner ermächtigt, ihr Kapital irgendwo in der Welt verwerten zu dürfen, wird aufgrund der damit verbundenen Missachtung des Sozialprinzips772 als unvereinbar mit der existentiellen Staatlichkeit des Gemeinwesens gehalten773. Das vom Europäischen Gerichtshof beschlossene Verbot der so genannten Goldenen Aktien774 nimmt den Mitgliedstaaten die letzten Mög765 Zu diesen Fortschritten vgl. INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 1 (1996), S. 40 f. Fortschritte bei der Erleichterung von Direktinvestitionen stellt auch E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 162 heraus. 766 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 125. 767 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 162. 768 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 163. 769 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 24. Die Kapitalverkehrsfreiheit für weitgehend verwirklicht hält auch (bereits 1997) F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 179. 770 Vgl. etwa T. Oppermann, Europarecht, S. 492 ff. Rn. 17–22. 771 Auf die Notwendigkeit einer solchen Harmonisierung im Mercosur wurde verwiesen, vgl. E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 58. 772 Zum Sozialprinzip vgl. Fn. 52 (Ausblick). 773 K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 263 ff.; ders., Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. e), bb), S. 616 f. 774 Vgl. Hinweise in Fn. 680 (2. Teil).

V. Zusammenfassung

329

lichkeiten, ihren Einfluss auf ihre wichtigen Unternehmen, insbesondere Unternehmen der Daseinsvorsorge zu verteidigen, d.h. es wird dem Gemeinwesen die Hoheit über die Unternehmen des Landes genommen775. Die fast schrankenlos praktizierte Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, die europäische Kapitalunion776, wird sogar als ein wesentlicher Grund für die derzeitige Beschäftigungsnot in Deutschland gesehen777. Auch für den Mercosur werden der Endregelungswettbewerb und der damit einhergehende abnehmende Einfluss der Politik auf nationale Kapitalmarktstrukturen als eine mögliche Gefahr für die nationalen Finanzsysteme herausgestellt778. Insbesondere die Gefahr der Ansteckung von Finanzmarktkrisen lasse eine tief greifende Integration der Kapitalmärkte im Mercosur nur bei gegebener volkswirtschaftlicher Stabilität aller Mitgliedstaaten als sinnvoll erscheinen779. Es wird empfohlen, einer maßvollen Rechtsharmonisierung und einer gemeinsamen Strategie der schrankenlosen Liberalisierung des Finanzsektors im Mercosur den Vorzug zu geben780

V. Zusammenfassung Der Warenverkehr wurde weitgehend liberalisiert, aber auch bei den anderen Grundfreiheiten sind erhebliche Fortschritte erkennbar781. Bis auf die Produkte der Automobil- und Zuckerindustrie sind die Freihandelszone und seit mit dem Wegfall zahlreicher Ausnahmen seit Januar 2006 auch die Zollunion weitgehend verwirklicht782. Viele der noch bestehenden Ausnahmen 775

K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. e), bb), S. 617. 776 K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 257 f. 777 K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 305 ff.; ders., Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. e), bb), S. 617. 778 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 25. 779 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 25, 152, 155 f. 780 E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 156. 781 Anders aber J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 398, 408 und A. Haller, Mercosur, S. 94 f., die lediglich die Liberalisierung des Warenverkehrs für fortgeschritten erachten. Einen relativ hohen Liberalisierungsgrad sämtlicher Grundfreiheiten außer der Arbeitnehmerfreizügigkeit erkennt auch W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 102. 782 Teilweise wurde die Zollunion auch schon zuvor als „weitgehend verwirklicht“ angesehen, vgl. B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 96; R. R. Díaz Labrano, Naturaleza Jurídica del Mercosur, in: H. Arbuet Vignali, u. a. (Hrsg.), IV encuentro internacio-

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2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

vom gemeinsamen Außenzoll wie etwa die Sonderregeln für die Einfuhr bestimmter Güter (regímenes especiales) gibt es auch in der Europäischen Union, ohne dass dieser deshalb die Eigenschaft als Zollunion783 oder Gemeinsamer Markt784 abgesprochen würde. Die übrigen Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll, insbesondere für Finanzprodukte und Produkte des Telekommunikationssektors sind zeitlich begrenzt. In der Literatur wird der Stand der Rechtsangleichung im Mercosur als fortgeschritten eingestuft785. Dass nach wie vor nichttarifäre Handelshemmnisse vorhanden sind, ist noch kein Grund, dem Mercosur die Eigenschaft Gemeinsamer Markt abzusprechen. Die Erfahrungen der Europäischen Union zeigen, dass die Abschaffung sämtlicher nichttarifärer Handelshemmnisse ein langwieriger Prozess ist786, der noch für unbestimmte Zeit vorrangige Aufgabe bleibt787 und möglicherweise niemals wirklich abgeschlossen sein wird; denn auch neue staatliche Maßnahmen können neue Handelsbeschränkungen bewirken. Im Mercosur beschränken allerdings die bis voraussichtlich 2008 mögliche Doppelverzollung für Waren aus Drittstaaten ebenso wie die Pflicht, auch für Mercosur-Waren Ursprungszeugnisse mitzuführen, den Warenverkehr. Beschränkungen bestehen im Mercosur zudem im grenzüberschreitenden Kapitalverkehr und bei der Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Letztere entwickelten sich aber auch in der Europäischen Union langsamer788. Die Kapitalverkehrsfreiheit wird in der Europäischen Union erst seit dem Vertrag von Maastricht als eine vollwertige Grundfreiheit betrachtet. Bis dahin galt lediglich eine eingeschränkte Zahlungsverkehrsfreiheit789. Einen vollständig intenal de derecho para América del Sur – El desarollo de la integración hacia el siglo XXI: Mercosur, balance y perspectivas, Montevideo 1996, S. 14; J. Samtleben, Das Recht des Mercosur, EuZW 1998, S. 65; H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur – Eine Zwischenbilanz, S. 10; D. Fernández Arroyo, El Derecho Internacional Privado en el Mercosur, S. 94; A. Dreyzin de Klor, El Mercosur, S. 80, Fn. 48; F. González-Oldekop, La integración y sus instituciones, S. 214; J. Monteagudo/M. Watanuki, Regional Trade Agreements for MERCOSUR: the FTAA and the FTA with the European Union, in: Inter-American Development Bank (Hrsg.), Draft for Comments, 2001, S. 2; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 87. 783 Vgl. bereits Hinweise in Fn. 173 (2. Teil). 784 T. Oppermann, Europarecht, S. 408 Rn. 7, S. 410 Rn. 11; so auch bereits 1972, lange vor dem Inkrafttreten des EG-Vertrags in der maastrichter Fassung H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 545 ff. 785 Vgl. bereits J. Samtleben, Das internationale Prozess- und Privatrecht des Mercosur, RabelsZ 63 (1999), S. 8 ff. 786 Nach wie vor bestehen mitgliedstaatliche Behinderungen des freien Warenverkehrs, vgl. R. Streinz, Europarecht, S. 369 Rn. 948. 787 T. Oppermann, Europarecht, S. 418 Rn. 35. 788 J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 399; vgl. bereits Hinweise in Fn. 355 und 758 (2. Teil).

V. Zusammenfassung

331

grierten Kapitalmarkt gibt es in Europa bis heute nicht790. Insbesondere der Markt für Finanzdienstleistungen wird als unvollendet bezeichnet, beim europäischen Versicherungsmarkt besteht noch eine weitgehende Marktabschottung791, und gewisse Beschränkungsmöglichkeiten des freien Zahlungsverkehrs werden auch in Zukunft für unvermeidlich gehalten792. Auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungs- sowie die Niederlassungsfreiheit sind in der Europäischen Union noch praktischen wie bürokratischen Hürden ausgesetzt793. Der Landwirtschaft ist im EG-Vertrag ein eigenständiges Kapitel gewidmet794, welches letztlich dazu dient, diesen Bereich von der Liberalisierung auszunehmen795. Dennoch wird der europäische Binnenmarkt regelmäßig seit dem Vertrag von Maastricht als vollendet betrachtet796, der dessen Verwirklichung auf den 31. Dezember 1992 terminiert797. Daran ändert auch die noch lange nicht vollendete Rechtsangleichung in der Gemeinschaft nichts798. Nach wie vor bestehen unterschiedliche nationale Regelungen der Haushalts-, Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialpoli789 M. Sedlaczek, Art. 56, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 1; T. Oppermann, Europarecht, S. 492 ff. Rn. 18 ff., S. 494 f. Rn. 23 hält den europäischen Finanzraum noch nicht für vollendet. Zur schrittweisen Entwicklung der Kapitalverkehrsfreiheit vgl. bereits Hinweise in Fn. 758 (2. Teil). 790 Vgl. bereits S. 327. 791 T. Oppermann, Europarecht, S. 377 Rn. 2, S. 492 f. Rn. 18. 792 Etwa zum Schutz des nationalen Steuerrechts, der Öffentlichen Ordnung und Sicherheit, aus außenpolitischen Gründen im Verhältnis zu Drittstaaten oder zur Bekämpfung von Geldwäsche, vgl. T. Oppermann, Europarecht, S. 490 Rn. 12, 14. 793 T. Oppermann, Europarecht, S. 556 Rn. 68; R. Streinz, Europarecht, S. 370 Rn. 949; EU-Kommission, Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, Dok. Com (85) 310; Die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit in der Europäischen Union wird als „halbe Wahrheit“ bezeichnet, vgl. E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 105. Auf Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union verweist H. Babace, La libre circualción de los trabajadores en el Mercosur, S. 117 f. Die Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts wird als „rudimentär“ bezeichnet, vgl. R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union S. 501, Rn. 56. 794 Titel II (Art. 32 ff.) des EG-Vertrags. Hierzu F. Kopp, Art. 32 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 1 ff. 795 Zwar gehört die Landwirtschaft gem. Art. 32 Abs. 1 EGV zum Gemeinsamen Markt, doch sehen die Art. 33–38 EGV zahlreiche Spezialregelungen vor, die gem. Art. 32 Abs. 2 EGV in ihrem Anwendungsbereich den Vorschriften des Gemeinsamen Marktes vorgehen. Art. 36 EGV lässt die Anwendung des EG-Wettbewerbsrechts nur insoweit zu, als dies der Rat sekundärrechtlich bestimmt. Vgl. auch R. Streinz, Europarecht, S. 322 Rn. 842, S. 419 Rn. 1071; T. Oppermann, Europarecht, S. 442 Rn. 10. 796 F. Emmert, Europarecht, S. 320. 797 Art. 14 Abs. 1 EGV. 798 T. Oppermann, Europarecht, S. 405 Rn. 86 f.

332

2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

tik799. Der Weg zu einer umfassenden Rechtsharmonisierung wird als noch „lang und steinig“ charakterisiert800. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass es schließlich auch in homogenen Bundesstaaten wie etwa in den USA seit 1787 oder im Deutschen Reich seit 1871 jahrzehntelanger Anstrengungen bedurfte, um die föderal gewünschte Angleichung der Lebensverhältnisse herzustellen, weshalb man auch in der Europäischen Union entsprechend Geduld üben müsse801. Es wird daher zu Recht klargestellt, dass auch der Binnenmarkt in der Europäischen Union nach wie vor nicht vollendet ist802, weshalb die in Art. 14 EGV auf den 31. Dezember 1992 terminierte „Verwirklichung“ des Binnenmarktes eher als programmatisch und nicht als Abschluss des Liberalisierungsprozesses zu verstehen ist803. Vor dem Hintergrund dieser Unvollkommenheiten des Gemeinsamen Marktes in der Europäischen Union lässt sich die Meinung vertreten, dass auch der Mercosur dem Integrationsstadium eines Gemeinsamen Marktes nahe kommt, wenn auch ein Gleichlauf der Grundfreiheiten wie in der Europäischen Union804 noch nicht erkennbar ist805. Die Bereichsausnahmen Zucker und Automobil von der Freihandelszone wie auch vom gemeinsamen Außenzoll sind mit der eigenständig geregelten Landwirtschaftspolitik der Europäischen Union vergleichbar. Die noch bestehenden Ausnahmen von der Zollunion sind entweder zeitlich begrenzt, oder es gibt sie auch in der Europäischen Union, wo der Gemeinsame Markt dennoch seit dem EG-Vertrag in der Maastrichter Fassung als vollendet gilt. Die Exis799

T. Oppermann, Europarecht, S. 367 Rn. 23. T. Oppermann, Europarecht, S. 405 Rn. 86. Auf Probleme bei der Mehrwertsteuerharmonisierung verweisen auch J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 37, 41; F. Emmert, Europarecht, S. 320; A. Barreix/L. Villela, Tributación en el MERCOSUR, S. 1, 7. 801 T. Oppermann, Europarecht, S. 405 Rn. 87. 802 Übereinstimmend T. Oppermann, Europarecht, S. 409 Rn. 7, S. 442 Rn. 45; R. Streinz, Europarecht, S. 367 Rn. 946; N. Ferguson, Erfolgreich, aber nicht geliebt, Welt am Sonntag Nr. 12 2007, S. 17. 803 T. Oppermann, Europarecht, S. 422 Rn. 45. 804 P. C. Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 273; A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 282 f. Rn. 691; A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten, S. 45 ff. 805 Anderer Ansicht zuletzt noch W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 117, der die Realisierung eines Gemeinsamen Marktes noch in weiter Ferne sieht; ebenso G. Grimoldi, La Teoría de la Integración Económica y su aplicación a la experiencia del Mercosur, in: CAEI (Hrsg.), Working Paper Nr. 7, 2005, S. 13. Weniger negativ J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 408, der bezüglich der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes beachtliche Fortschritte erkennt. Ähnlich Haller, der bereits 2001 befand, dass ein Gemeinsamer Markt noch nicht vollständig erreicht sei, vgl. m. w. N. A. Haller, Mercosur, S. 59. 800

V. Zusammenfassung

333

tenz nach wie vor zahlreicher nichttarifärer Handelshemmnisse im Mercosur ist dieser Einschätzung wie erwähnt nicht abträglich. Schließlich bleibt auch in der Europäischen Union die Durchsetzung des Verbots der Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen auf unbestimmte Zeit eine vorrangige Aufgabe806. Würde man als Kriterium eines Gemeinsamen Marktes die Beseitigung sämtlicher Beschränkungen der Grundfreiheiten definieren, dann wäre dieses Integrationsstadium wohl nie erreichbar807. So gibt es selbst in der Bundesrepublik Deutschland bundesstaatliche Regelungen, welche der Europäische Gerichtshof möglicherweise als verbotene Beschränkung auslegen würde, fielen sie in seine Zuständigkeit808. Aus diesem Grunde wird es im Übrigen auch in der Europäischen Union eine objektive Freizügigkeit in allen Bereichen selbst mit der geplanten Schaffung der Vereinigten Staaten Europas durch die EU-Verfassung809 nicht geben. Um den Mercosur als Gemeinsamen Markt qualifizieren zu können, muss allerdings die Doppelverzollung von Waren aus Drittstaaten beseitigt werden, was für 2008 vorgesehen ist, so dass sich der Mercosur voraussichtlich ab diesem Zeitpunkt als Gemeinsamer Markt darstellen wird, ohne dass der Liberalisierungsprozess damit als beendet zu betrachten wäre. Die Beschränkung der Liberalisierung der Grundfreiheiten im Mercosur auf das Gebot der Inländergleichbandlung und das Meistbegünstigungsprinzip im Gegensatz zu dem vom Europäischen Gerichtshof praktizierten Beschränkungsverbot ist nicht zwangsläufig nachteilig; denn die Entwicklung der Grundfreiheiten in der Europäischen Union ist nicht nur positiv, wie bereits an verschiedenen Stellen herausgestellt wurde810. Insbesondere die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit und das aus Art. 47 Abs. 2 S. 1 und Art. 55 EGV abgeleitete Herkunftslandsprinzip und die damit verbundene Pflicht zur Anerkennung der Gesetzgebung des Herkunftslandes im Bestimmungsland führen zur Fremdbestimmung anderer Völker, also zum Gegenteil der Freiheit als Selbstbestimmung811. Es wird nachvollzieh806

Vgl. bereits Fn. 787 (2. Teil). So bereits H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 551. 808 Z. B. die Pflicht für Handwerker, in der lokalen Handwerksrolle eingetragen zu sein. Die Annahme eines Auftrags in einem anderen (Bundes)Land außerhalb des jeweiligen Kammerbezirks wird auch in grenznahen Gebieten auf diese Weise erschwert. Der Europäische Gerichtshof sieht die Pflicht zur Eintragung in die Handwerksrolle für unvereinbar mit dem EU-Recht an, wenn festgestellt worden ist, dass die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Tätigkeiten erfüllt sind, vgl. EuGH v. 03.10.2000, Rs. C.58/98 (Corsten), Slg. 2000 I, 7919, Rn. 49. 809 Hierzu K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/ Union, § 4 III. 1, S. 137. 810 Teil 2, III. 3; Teil 2, IV. 4. 807

334

2. Teil: Die Grundfreiheiten im Mercosur

bar herausgestellt, dass das Herkunftslandsprinzip dem demokratischen Prinzip und damit dem Kern der existentiellen Staatlichkeit widerspricht812. Die weite Auslegung der Grundfreiheiten kehrt das demokratisch gebotene Prinzip begrenzter Ermächtigung813 ins Gegenteil um und verschiebt die Befugnisse des Primärrechts zu Lasten der existentiellen Staatlichkeit der Mitgliedstaaten und damit zu Lasten der Freiheit der Bürger814. Auch wenn das Herkunftslandsprinzip aufwendige Verhandlungen über die Rechtsangleichung vermeidbar macht, ist letztere vorzugswürdig, weil sie ein hohes Schutzniveau im Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz ermöglicht815, ohne dabei gegen das demokratische Prinzip zu verstoßen. Das rechtsstaatlich gebotene und in Art. 5 Abs. 2 EGV niedergelegte Subsidiaritätsprinzip816 irritiert den Europäischen Gerichtshof offenbar nicht817. Das Subsidiaritätsprinzip soll den Vorrang der kleinen Einheit sicherstellen und dadurch nicht nur eine größere Sachnähe gewährleisten, sondern auch der Freiheit des Menschen eine größere Chance verschaffen818. Eine generelle Argumentationsregel „in dubio pro communitate“819 widerspricht dem Subsidiaritätsprinzip und ist daher unvereinbar mit dem Integrationsprinzip des Grundgesetzes820. Eine Präferenz zugunsten der in den Grundfreiheiten enthaltenen Prinzipien gegenüber ihren Ausnahmen821 ist jedenfalls dann nicht tragfähig, wenn die Ausnahmen Prinzipien mit Verfassungsrang, insbesondere Grundrechte oder essentielle Belange der Mitgliedstaaten schützen sollen822. 811 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. c), ee), S. 599. 812 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2. c), ee), S. 599. Zum Herkunftslandprinzip bereits oben S. 289, 299 und 302. 813 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 6 I., S. 193 ff.; hierzu vgl. bereits Hinweise in Fn. 264 (1. Teil). 814 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 3, S. 623, 626 f. 815 Was das Europarecht gezeigt hat, vgl. D. Langner, C. VI, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 4. 816 Art. 2 Abs. 2 EUV, Art. 5 Abs. 2 EGV; Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. Hierzu auch K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaats, S. 45, 63, 84, 230, 237, 270, 295, 356; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 44, 47, 90. 817 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 3, S. 818 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaats, S. 45, 63. 819 A. Bleckmann, Zu den Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs, NJW 1998 Nr. 22, S. 1179; A. Weber, Art. 314 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 11. 820 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 3, S. 626. 821 Generalanwalt Warner, Schlussanträge v. 27.11.1980, Rs. 53/80 (Kaasfabriek Eyssen), Slg. 1981, 409.

V. Zusammenfassung

335

Zu einem marktwirtschaftlich orientierten Gemeinsamen Markt gehört auch die Unterbindung wettbewerbsverzerrender oder -behindernder Praktiken823, weshalb der EG-Vertrag824 die Schaffung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt, als eine der Tätigkeiten der Gemeinschaft beschreibt825. Aus diesem Grunde einigten sich auch die Mercosur-Vertragsstaaten darauf, neben der Beseitigung der Handelshindernisse gemeinsame Wettbewerbsregeln zu etablieren, die, wie im Folgenden zu sehen sein wird, an diejenigen des EG-Vertrags angelehnt sind.

822 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 3, S. 626. In der Judikatur zu den Grundfreiheiten erweist sich die Europäische Union als Bundesstaat (Dazu K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 4, S. 117 ff., § 14, II. 3, S. 627), der Befugnisse existentieller Staatlichkeit beansprucht, dafür allerdings keine Vertragsgrundlage hat, schon gar nicht eine, die demokratisch tragfähig wäre (K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 3, S. 623). 823 Vgl. etwa A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, S. 408 Rn. 938. 824 M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 385 f. Rn. 1258. 825 Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV.

Teil 3

Das Wettbewerbsrecht des Mercosur Es wurde bereits angesprochen, dass dem Wettbewerbsrecht gerade vor dem Hintergrund der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes eine besondere Bedeutung zukommt. Die Gewährleistung eines effizienten Wettbewerbs ist Voraussetzung dafür, dass das mit dem vermehrten Warenaustausch verfolgte Ziel, die bessere Versorgung der Bürger mit Gütern und Dienstleistungen zu niedrigeren Preisen, tatsächlich erreicht wird und nicht die Unternehmen ihrerseits den Handel durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen beschränken.

I. Grundlagen Am 17. Dezember 1996 wurde das Protokoll zum Schutze des Wettbewerbs vom Rat verabschiedet1. Die Verabschiedung folgt der erwähnten Erkenntnis, dass die angestrebte Freizügigkeit nur erreicht werden kann, wenn dafür Sorge getragen wird, dass nicht private Unternehmen den grenzüberschreitenden Handel beschränken und die Vorteile der Liberalisierung konterkarieren2. In der Europäischen Gemeinschaft bilden die Wett1 Protocolo de Defensa de la Competencia, verabschiedet durch Ratsentscheidung 18/96 am 17.12.96, deutsche Übersetzung im Anhang. 2 J. Basedow, Weltkartellrecht – Ausgangslage und Ziele, Methoden und Grenzen der internationalen Vereinheitlichung des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen, 1998, S. 2, 42; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, 2. Aufl. 2005, Bd. I, S. 217; I. Seidl-Hohenveldern/G. Loible, Das Recht der internationalen Organisationen, Rn. 3106; B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 138; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 236 f.; E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Jurídico, S. 169; B. Saravia Frías, Concentración empresarial y defensa de la competencia en el Mercosur, Anuario de Derecho (Buenos Aires) 1999 Nr. 5, S. 150; ähnlich: R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 217. Für die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags: EuGH v. 21.02.1973, Rs. 6/72 (Europemballage und Continental Can/Kommission), Slg. 1973, 215, 244 ff.; EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 552 f. Dem Schutz vor Beschränkungen, die von Privaten ausgehen und an die Stelle staatlicher Handelsbeschränkungen treten, kommt eine zentrale Bedeutung als Integrationsprinzip zu, vgl. J. Basedow, Der Mercosur als Integrationsmodell, in: ders./ J. Samtleben (Hrsg.), Wirtschaftsrecht des Mercosur – Horizont 2000, S. 22. Dass

I. Grundlagen

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bewerbsregeln daher zusammen mit den Grundfreiheiten den Rahmen für die marktwirtschaftliche Verfassung3. Im deutschen Sprachgebrauch umfasst das „Wettbewerbsrecht im weiteren Sinne“ das Lauterkeitsrecht, das gelegentlich auch als „Wettbewerbsrecht im engeren Sinne“ bezeichnet wird, und das Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder Kartellrecht4. Während das Ziel des Lauterkeitsrechts die Verhinderung unlauterer Verhaltensweisen im Wettbewerb ist, es also auf die Fairness im Wettbewerb abstellt5, hat das Wettbewerbsbeschränkungsrecht die Freiheit des Wettbewerbs zum Gegenstand6. Das Recht des lauteren, also redlichen Wettbewerbs ist auf der Ebene des Mercosur ebenso wie in der Europäischen Union7 nicht zusammenhängend geregelt und findet sich verstreut in gemeinsamen Vorschriften des Verbraucherschutzes oder des Markenrechts8. Das Wettbewerbsschutzprotokoll entsich Freihandel und Wettbewerbsrecht einander ergänzen, wird auch deutlich in der Formulierung des Art. 2 Abs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls. Die Vorschriften des Wettbewerbsschutzprotokolls sind anzuwenden bei Verhaltensweisen, die den „Handel zwischen den Vertragsstaaten beeinträchtigen“. 3 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 55 f. Rn. 34; nicht anders: P.-C. Müller-Graf, A. I: Die Verfassungsziele der Gemeinschaften, in: M. A. Dauses, (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatts., Stand 2006, Rn. 128 f. 4 W. Gloy, § 1, in: W. Gloy/M. Loschelder, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 3. Aufl. 2005, Rn. 2; F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, Eine systematische Darstellung des deutschen und europäischen Rechts für Studium und Praxis, 6. Aufl. 1999, S. 1 Rn. 1 und S. 16 Rn. 2; H. Marshall, Unlauterer Wettbewerb – Materielles Recht und Verfahren, 2. Aufl. 1993, S. 1. Der Begriff „Kartellrecht“ ist insofern irreführend, als er sich nicht nur mit Kartellen, also Absprachen zwischen Wirtschaftsteilnehmern befasst, sondern alle Arten der Wettbewerbsbeschränkungen bekämpft und regelmäßig auch das Verbot des Missbrauchs von Marktmacht einzelner Unternehmen verbietet. Der Begriff stammt aus den Anfängen des deutschen Wettbewerbsbeschränkungsrechts, welches sich ursprünglich nur mit Kartellen befasste. 5 F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 116 Rn. 2. 6 H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht – Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Preisangabenverordnung, 23. Aufl. 2004, Rn. 1.7. 7 Vgl. hierzu J. Glöckner, Einleitung B: Internationales und Europäisches Lauterkeitsrecht, in: H. Harte-Bavendamm/F. Henning-Bodewig (Hrsg.), UWG – Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: Kommentar, 2004, Rn. 6 ff. 8 J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 102 und m. w. N. in Fn. 706, S. 128. Vgl. beispielsweise folgende Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt: 3/92 (Verpackungen von Lebensmitteln); 4/92 (Herstellung und Qualität von Medikamenten); 17/92 u. 36/93 (Etikettierung von Lebensmitteln); 18/92 (Angabe Nettogewicht auf Verpackungen); 25/92 (Bildung Ausschuss Urheberrecht); 30/92 (Plastikverpackungen für Lebensmittel); 32/92 (Qualität von Lebensmitteln); 54/92 (Sicherheit von Spielzeugen); 55/92 (Glas- und Keramikverpackungen für Lebensmittel); 59/92 (Inspek-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

hält keine Bestimmungen, die dem Lauterkeitsrecht zugeordnet werden können9, sondern befasst sich mit dem Schutz des Wettbewerbs vor Beschräntion der Produktionsanlagen von Pharmaherstellern); 62/92 (Rückstände von Pestiziden); 10/93 (Sicherheit von Telekommunikationseinrichtungen); 14/93 u. 45/93 (Erlaubte Farbstoffe); 15/93 (Eichzertifikate); 16/93 (Plastikpfandflaschen für Getränke); 17/93 u. 83/93 (Lebensmittelzusätze); 26/93 (Sicherheitsglas); 82/93 (Milchpulver); 46/93 (Erlaubte Geschmacksstoffe); 48/93 (Verpackungsvorschriften); 49/93 (Inhaltsstoffe in Mayonnaise); 74/93 (Qualität von Zwiebeln); 80/93 (Inhaltsstoffe von Sprays); 87/93 (Erlaubte Polymere); 6/94 (Angabe Inhaltsstoffe bei Lebensmitteln); 15/94 (Qualität von Honig); 19/94 (Lebensmittelverpackungen aus Zellulose); 22/94 (Angabe der Blattzahl bei Heften); 23/94 (Rückstände von Pestiziden in Agrarprodukten); 40/94 (Qualität von Fisch); 41/94 (Qualität von Knoblauch); 56/94 (Höchstgrenzen Aflatoxine); 57/94 (Rückstände von Medikamenten in Tierprodukten); 60/94 (Inspektion von Plantagen); 63/94 (Fettanteil in Milch); 78/94 (H-Milch); 79/94 u. 134/96 (Qualität von Käse); 108/94 (Abwehr von unlauteren Praktiken in Drittstaaten); 120/94 (Haftpflichtversicherungen), deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur II, Dokument 74; 126/94 (Verbraucherschutz), deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 29; 4/95 (Herstellung von Medikamenten); 10/95 (Höchstmengen an Plastikbestandteilen als Fettersatz in Olivenöl); 13/95 (Nettogewicht von Fleisch); 25/95 (Erlaubte UV-Filter in Kosmetikprodukten); 26/95 u. 27/95 (Inhaltsstoffe Kosmetikprodukte); 29/95 (Qualität von Kondomen); 28/96 (Lebensmittelzusätze); 29/96–34/96, 136/96 u. 1/97 (Benennung und Qualitätsanforderungen bestimmter Käsesorten); 77/96 (Impfstoffe); 80/96 (Hygienevorschriften bei industrieller Fertigung von Lebensmitteln); 89/96–113/96, 60/98–68/98 u. 67/99–70/99 (Landwirtschaftliche Produktionsstandards); 123/96–127/96 (Verbraucherschutz), deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokumente 30 ff.; 20/97 (Schweinepest); 42/98 (Verbraucherschutz), deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 34; 72/98 (Sicherheit medizinischer Produkte). Dass Verbraucherschutz und Wettbewerbsschutz zusammenhängen, stellt heraus: R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 18. Zum Verbraucherschutz auch: D. Szafir, El Consumidor en el Derecho Comunitario. Zum Lauterkeitsrecht und Verbraucherschutz auf der Ebene der Mitgliedstaaten vgl. J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 53–102.; A. M. Pacón, Markenrecht und Verbraucherschutz in Lateinamerika – Eine Untersuchung am Beispiel von Argentinien, Brasilien, Mexiko und Peru, 1999; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 518 ff.; und speziell für Brasilien R. A. Guidry, The need for MERCOSUL harmonization: Brazil’s consumer protection law as the focal point, Loyola of Los Angeles International and Comparative Law 24 (2002) Nr. 3, S. 361–389. Zum Immaterialgüterrecht: M. Hassemer, Gewerbliche Schutzrechte im Mercosur; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 453 ff. 9 So auch J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 103. An dieser Stelle sei angemerkt, dass im südamerikanischen Wettbewerbsrecht mit der Bezeichnung „competencia desleal“, (wörtlich übersetzt: unlauterer Wettbewerb) all jene Verhaltensweisen verstanden werden, die in irgendeiner Weise Preise beeinflussen (hierzu weiter unten, Teil 3, II., S. 356 f.). Dies geht im Übrigen bereits aus Art. 4 des Vertrags von Asunción hervor, wo Dumping und Subventionen als „unlautere Praktiken“ bezeichnet werden, die im deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht im Rahmen des Miss-

I. Grundlagen

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kungen und ist, soviel sei hier vorweggenommen, im Großen und Ganzen an das EG-Wettbewerbsrecht angelehnt. Im Folgenden wird der Begriff Wettbewerbsrecht als Übersetzung der spanischen Bezeichnung Derecho de Defensa de al Competencia im Sinne des Wettbewerbsbeschränkungsrechts verstanden10. Das Wettbewerbsrecht kann im Vergleich mit anderen Rechtsgebieten weder auf eine lange Tradition noch auf einen internationalen Konsens zurückgreifen11. Bis heute verfügen nur etwa 90 von 200 Ländern über eine Wettbewerbslegislation12, Anfang der 1990er-Jahre waren es erst 5013. Außerhalb der USA wurden Kartelle bis nach dem zweiten Weltkrieg als Ergebnis der unentrinnbaren Eigengesetzlichkeit des Spätkapitalismus angesehen14 und galten in Krisenzeiten als Form der legitimen Selbsthilfe15. In einigen Ländern wurden sie sogar durch den Staat zur Lenkung der Wirtschaft instrumentalisiert16. In Brasilien und Argentinien wurden die ersten Wettbewerbsgesetze in den 1920er- und 1930er-Jahren erlassen17. Sie hatten brauchs von Marktmacht bzw. der Kontrolle staatlicher Beihilfen eher dem Wettbewerbsbeschränkungsrecht zugeordnet werden. Eine überschneidungsfreie Trennung beider Rechtsgebiete ist nicht möglich, vgl. etwa K. M. Meesen, Einführung, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I: Europäisches Recht, Kommentar, 2005, S. 33 Rn. 115; H.-P. Götting, Wettbewerbsrecht, 2005, S. 21 Rn. 32. 10 Auch im Recht der Europäischen Union wird mit „Wettbewerbsrecht“ das Rechtsgebiet bezeichnet, das im deutschen Recht „Kartellrecht“ genannt wird, vgl. A. Beater, Unlauterer Wettbewerb, 2002, S. 3 Rn. 1. 11 J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 5. 12 W. v. Meibom/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio?, EuZW 2002, S. 261. 13 J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 7. 14 So wurden auch in Deutschland Kartelle bis in die 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts als Bestandteil der Gewerbefreiheit begriffen, vgl. F. Rittner, Wettbewerbsund Kartellrecht, S. 118 ff. Rn. 7 ff. Das Reichsgericht stellte 1890 erstmals klar, dass es nicht gegen die Gewerbefreiheit verstoße, „(. . .) im Wege genossenschaftlicher Selbsthilfe die Betätigung dieser [wirtschaftlichen] Kräfte zu regeln (. . .)“, vgl. RGZ (1890) 28, 238. Erst 1923 wurde die erste Kartellnotverordnung (RGBl. I, 1067, 1090) erlassen, welche allerdings Kartelle nicht per se verbot, sondern nur deren Missbrauch, vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, 2001, mit weitern Nachweisen S. 11. 15 J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 6; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 205 Rn. 21. 16 So in Deutschland, vgl. Zwangskartellgesetz v. 15.07.1933 (RGBl. I 488). V. Emmerich, Kartellrecht, S. 11 bezeichnet Deutschland daher als das „klassische Land der Kartelle“. 17 Argentinien: Ley 11.210 v. 24.08.1923; Brasilien: Decreto-Lei 839 v. 18.11.1938. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass ein Hauptgrund für die Unabhängigkeitsbestrebungen in den Amerikas die Kolonialpolitik war, welche ein Hin-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

einen strafrechtlichen Charakter und waren an den US-amerikanischen Sherman Act (1890) angelehnt18, welcher als Ursprung aller Kartellgesetzgebung betrachtet wird19. Bis Mitte der 1980er-Jahre wurden sie jedoch nur zaghaft angewendet20. Eine Durchsetzung der Normen war aufgrund staatlicher Preiskontrollen und der Unterstützung der heimischen Wirtschaft im Rahmen der so genannten Politik der Industrialisierung durch Importsubstituierung auch gar nicht denkbar21. Erst seit den 1990er-Jahren werden die nunmehr eher dem europäischen Wettbewerbsrecht angepassten Wettbewerbsschutzgesetze Brasiliens und Argentiniens konsequenter angewendet. Wie zu sehen sein wird, hatten sie einen großen Einfluss auf das Wettbewerbsschutzprotokoll des Mercosur22. Uruguay verfügt seit dem Jahr 2000 über ein Wettbewerbsschutzgesetz, während Paraguay bis heute kein zusammenhängendes Wettbewerbsschutzgesetz hat23.

dernis für die freie Marktwirtschaft darstellte, vgl. R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 12 f. 18 Zu den Anfängen des brasilianischen und argentinischen Wettbewerbsrechts vgl. P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 54–57 und 119–121. Für Argentinien siehe auch: T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156 zum Schutz des Wettbewerbs, Frankfurt a. M. 2003, S. 21 ff.; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 88–111. Für Brasilien siehe auch: J. I. G. Franceschini, Introdução ao Direito da Concorrência, São Paulo, 1996, S. 7 ff.; J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 134 ff. 19 G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 5, 73 ff. 20 J. E. Fernández, Antitrust regulation in Latin America, The International Lawyer 1996 Nr. 30, S. 522, 528; Für Brasilien: M. Rowat/M. Lubrano/R. Porrata, Competition policy and MERCOSUR, in: World Bank (Hrsg.), Technical Paper, Nr. 385, 1997, S. 50; Für Argentinien: P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 118; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 9 f., 95, 100, 104, 111. 21 Für Brasilien: M. Rowat/M. Lubrano/R. Porrata, Competition policy and MERCOSUR, S. 47; J. C. de Magalhães, Defensa da concorrência no Mercosul, Revista de Direito Econômico 1997 Nr. 25, S. 54 f. 22 Worauf auch in der Literatur verwiesen wird, vgl. F. Peña, Una política de competencia económica en el Mercosur, BLC 2001 Nr. 12, S. 4. 23 Das Bekenntnis zu freiem Wettbewerb ist in der paraguayischen Verfassung festgeschrieben, aber es fehlen ausfüllende Gesetze. Zum Wettbewerbsrecht in Paraguay siehe: P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 194–199. Eine Übersicht des Wettbewerbsrecht der vier Mercosur-Mitgliedstaaten findet sich auch bei: S. Rippe, El Derecho de la Competencia en el Mercosur, S. 260–165; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 218–221.

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1. Wettbewerbsfunktionen und -theorien Wie eingangs erwähnt, schützt das Wettbewerbsrecht den Wettbewerb. Es soll daher der Frage nachgegangen werden, warum dieser schutzwürdig ist. Weitgehend anerkannt sind die positiven Wirkungen des Wettbewerbs für die Wirtschaft und die Gesellschaft, wenn er sachgerecht veranstaltet wird24. Je mehr Wettbewerb herrscht, desto niedriger sind im Allgemeinen die Preise, was für die Haushalte vorteilhaft ist, nicht aber für die Produzenten, die im Vergleich zum Zustand mit weniger Wettbewerb Monopolrente einbüßen. Wettbewerb führt so zu einer gleichmäßigeren Verteilung des Einkommens zwischen Haushalten und Unternehmen (Verteilungsfunktion)25. Nach Emmerich kommt dem Wettbewerb damit die fundamentale Bedeutung zu, den Aufbau endgültiger Machtpositionen zu verhindern, durch welche die Freiheit aller bedroht wird26. Die Verteilungsfunktion bezieht sich nicht nur auf das Verhältnis der Haushalte zu Unternehmen, sondern auch auf das Verhältnis der Wettbewerber untereinander, denn der freie Wettbewerb gewährleistet eine leistungsgerechte Entlohnung der Wettbewerber27. Die Unternehmen versuchen, die aufgrund der gesunkenen Preise entstandenen Gewinneinbußen durch eine effizientere Produktion auszugleichen, wodurch die Produktivität und damit die nationale Wohlfahrt steigt (Antriebsoder Fortschrittsfunktion)28. Wer im Wettbewerb nicht besser als sein Kon24 Auf die Voraussetzung, dass der Wettbewerb sachgerecht, vor allem sittlich veranstaltet werden muss, damit sich die positiven Wirkungen einstellen, verweist: K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 303; ders., Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche (Hrsg.), Karl Albrecht Schachtschneider: Freiheit – Recht – Staat. Eine Aufsatzsammlung zum 65. Geburtstag, 2005, S. 685; ders., Freiheit in der Republik, insb. 3. Kap. IX. 4. b), 5. Kap. III. 1., 8. Kap. VI. 3. a), 10. Kap. III. 2 u. V. 1. 25 Zur Machtverteilungsfunktion zwischen Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend: F. Böhm, Demokratie und ökonomische Macht, in: Institut für ausländisches und internationales Wirtschaftsrecht, der J.-W.-Goethe-Universität, Frankfurt (Hrsg.), Kartelle und Monopole im modernen Recht, Karlsruhe 1961, S. 3 ff. Er bezeichnet Wettbewerb als das „großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“ (S. 22). Vgl. auch: K. Herdzina, Wettbewerbspolitik, 5. Aufl. 1999, S. 28–31. 26 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 2. Ähnlich bereits E. Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl. 1967, S. 16 f. 27 K. Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 28–31; M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, 1994, S. 29 ff. Es wird auf den weltweiten Konsens hingewiesen, wonach eine freie Marktwirtschaft als das effizienteste Mittel für eine angemessene Verteilung von Ressourcen gesehen wird, vgl. B. Saravia Frías, Concentración empresarial, Anuario de Derecho 1999 Nr. 5, S. 135. 28 K. Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 24–28; M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, S. 22 ff. spricht von „Innovationsfunktion“. Die Produktivitätssteigerung ist der fünfte Erwägungsgrund der Ratsentscheidung 23/00.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

kurrent ist oder zumindest mit ihm mithält, wird vom Markt verdrängt. Wettbewerb ist dadurch die Triebfeder wirtschaftlicher Evolution (Steuerungsfunktion)29. Das theoretische Gegenteil von vollständigem Wettbewerb oder vollkommener Konkurrenz ist das Monopol. Ein Monopolist braucht sich nur in geringem Maße um die Wünsche der Kunden zu kümmern, da es keine weiteren Anbieter gibt, er keine Konkurrenz fürchten muss. In Folge kann er nahezu beliebig hohe Preise für veraltete oder nicht dem Kundenwunsch entsprechende Produkte festsetzen. Die Effizienz und die Produktivität sind gering, denn der Monopolist maximiert seinen Nutzen, indem er einerseits relativ wenig produziert, ihm auf diese Weise geringe Produktionskosten entstehen und andererseits seine Produkte teuer verkauft30. Bereits die klassische Nationalökonomie nach Adam Smith erkannte, dass vollständige Konkurrenz, wie durch eine „unsichtbare Hand“ gelenkt, die höchste Leistung des Unternehmers und die beste Versorgung des Verbrauchers mit sich bringt und so zur sozialen Harmonie beiträgt31. Die Idee von der vollständigen Konkurrenz wurde von der Freiburger Schule, deren vornehmste Vertreter Franz Böhm, Walter Eucken und Ludwig Erhard32 sind, noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts gelehrt33. Der so genannte Ordoliberalismus der Freiburger Schule unterschied sich vom klassischen Liberalismus34 der Nationalökonomie darin, dass Wettbewerb als Aufgabe des Staates betrachtet wird. Wirkungsvoller Wettbewerb sollte notfalls erzwungen 29 H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 25 Rn. 1.25; P. C. Müller-Graf, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 4. Ähnlich bereits E. Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 17. 30 Nach der Preistheorie dehnt der Monopolist seine Produktion nur so lange aus, wie die Kosten jeder zusätzlichen Einheit (Grenzkosten) unter den Erlösen für jede zusätzliche Einheit (Grenzerlösen) liegen; also bis zum so genannten Cournot’schen Punkt, vgl. S. Wied-Nebbeling, Preistheorie und Industrieökonomik, 4. Aufl. 2004, S. 26 ff.; M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, S. 31 f. 31 A. Smith, Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Book IV, deutsche Übersetzung in: Erich. W. Streissler (Hrsg.), Adam Smith: Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, Bd. II, 1999, S. 443 ff. insb. S. 467 ff. Zum sog. klassischen Wettbewerbsparadigma auch: M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, S. 35 ff. 32 Wenngleich letzter in Nürnberg lehrte. Er gehörte jedoch ebenfalls der ordoliberalen Schule an, deren Erkenntnisse die „soziale Marktwirtschaft“ prägten, vgl. W. Fikentscher, Recht und wirtschaftliche Freiheit, 1992, S. 285. 33 F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf: eine Untersuchung zur Frage des wirtschaftlichen Kampfrechts und zur Frage der rechtlichen Struktur der geltenden Wirtschaftsordnung, 1933 (Nachdruck 1964); W. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 9. Aufl. 1989 (Erstauflage 1940). Sie haben entscheidend das GWB von 1957 beeinflusst, vgl. F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 122 ff., Fn. 20 ff. Zum sog. neoklassischen Wettbewerbsparadigma auch: M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, S. 40 ff. 34 Zur geschichtlichen Entwicklung: F. A. v. Hayek, Liberalismus, 1979, S. 8 ff.

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werden35. In Anbetracht der Erkenntnis, dass es keine vollkommene Konkurrenz gibt, setzte die bis heute andauernde Diskussion darüber ein, wie viel Wettbewerb schutzwürdig ist36. Eingeleitet wurde diese Debatte mit der „Gegengiftthese“ (remedial imperfection) von John M. Clark37, nach der bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen durchaus auch als vorteilhaft für die Gesellschaft anzusehen seien, wenn sie zu technischem oder wirtschaftlichem Fortschritt führen38. Unvollkommenheiten sollten durch Unvollkommenheiten ausgeglichen werden. Dieses so genannte Konzept der „workable competition“ wurde aufgrund der Nichtvorhersagbarkeit von Marktergebnissen besonders von Friedrich A. v. Hayek39 und Erich Hoppmann40 kritisiert, und seit den Ausführungen der Chicagoer Schule Ende der 1970er-Jahre ist eine Gegenbewegung in Gang gekommen, die ganz auf die Selbstheilungskräfte des Wettbewerbs vertraut, solange nur künstliche Beschränkungen des Marktzutritts vermieden werden41. Nach diesem auch als Neuklassik be35

Zum Ordoliberalismus: W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz – Die Stellung des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen in der Rechtsordnung, 1958, S. 14 ff. 36 Einen Überblick über die Wettbewerbstheorien findet sich bei: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 3–10; ausführlicher: M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, 33–69. 37 J. M. Clark, Toward a Concept of Workable Competition, AER, 1940 Nr. 30, S. 241 ff., deutsche Fassung in: K. Herdzina (Hrsg.), Wettbewerbstheorie, 1975, S. 143–160. Zur „Gegengiftthese“ auch E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 190 ff. 38 Zum Konzept des „workable competition“, das in die deutsche Literatur überwiegend mit dem Begriff des „funktionsfähigen Wettbewerbs“ Eingang gefunden hat, siehe: K. Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 33 ff.; M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, S. 45 ff.; und insb. E. Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Aufl. 1967. Einen Überblick über die Entwicklung des workability-Konzepts gibt: E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 188 ff. 39 F. A. v. Hayek, Die Theorie komplexer Phänomene, 1972, insb. S. 25 ff.; ders. Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. III: Die Verfassung einer Gesellschaft freier Menschen, 1981, S. 97 ff.; ders., Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: E. Schneider (Hrsg.), Kieler Vorträge – gehalten am Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Folge 56, 1968, insb. S. 7 ff.; ders., Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, in: Walter Eucken Institut (Hrsg.), Freiburger Studien: Gesammelte Aufsätze von F. A. von Hayek, 1969 (Nachdruck 1994), S. 10 ff. 40 E. Hoppmann, Das Konzept des wirksamen Preiswettbewerbs, 1978, S. 7 ff.; E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 199 ff. insb. S. 231 ff. 41 H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 21 Rn. 1.15; M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, S. 67 ff. Zur Chicago School of Antitrust vgl. etwa R. H. Bork, The antitrust paradox – A policy at war with itself, 1978; R. A. Posner, Antitrust Law – An economic perspective, 1976; zusammenfassend: I. Schmidt/J. B. Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis – Wettbewerbstheoretische und -politische Analyse des Credos, 1986; J. B. Rittaler, Industrial Concentration and the Chicago School of Antitrust Analysis, 1989, S. 1 ff.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

zeichneten Konzept42 werden sogar Unternehmenszusammenschlüsse und vertikale Absprachen als positiv beurteilt, solange sie zu Effizienzgewinnen führen43. Hierbei handelt es sich jedoch zweifelsohne um Handlungen, die den Wettbewerb und damit die Freiheit der Marktteilnehmer beschränken können44. Andererseits entspricht es der Handlungs- und Vertragsfreiheit, dass sich Unternehmen zusammenschließen oder Weiterverkaufspreise zwischen Händlern und Lieferanten abgesprochen werden. Dieses Dilemma beschreibt zutreffend Rittner: Die Handlungs- und Vertragsfreiheit, die Privatautonomie45, ist also die Voraussetzung für Wettbewerb. Gleichzeitig ist sie aber auch Grundlage der wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen wie Preis- oder Quotenabsprachen46. Die Aufgabe des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen ist es daher, die Privatautonomie so zu begrenzen, dass sie sich nicht selbst aufhebt47. Während man nach Einführung der Gewerbefreiheit davon ausging, dass jede lautere Handlung erlaubt sei, auch Absprachen, die die Gewerbefreiheit einschränken, und Kartelle als Bestandteil des freien Wettbewerbs erachtet wurden48, ist man sich heute einig, dass bestimmte Handlungen verboten sein müssen, die Privatautonomie mithin eingeschränkt werden muss, um den Wettbewerb zu erhalten. Es geht darum, den Wettbewerb gegen sich selbst, gegen die ihm innewohnenden selbstzerstörerischen Kräfte, die schon Karl Marx beschrieben hat49, zu schützen. Aus dieser Gegensätzlichkeit folgt nicht nur die Schwierigkeit, die Reichweite des Beschränkungsverbots festzulegen50, sondern im Übri42

M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, S. 63 spricht von der „Renaissance des klassischen Paradigmas“, bzw. „Neuklassik“ (S. 66). Das „neuklassische“ Wettbewerbsparadigma ist nicht zu verwechseln mit dem sog. „neoklassischen“ Wettbewerbsparadigma (etwa H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 21 Rn. 1.15). Letzteres bezeichnet die Lehren der Freiburger oder auch ordoliberalen Schule, vgl. etwa M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, S. 40; I. Schmidt/J. B. Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, S. 15. 43 I. Schmidt/J. B. Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, S. 59 ff., 81 ff. 44 Hierzu M. Tolksdorf, Dynamischer Wettbewerb, S. 69. 45 Zur Vertragsfreiheit als Privatautonomie: K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, Kap. 8, III; ders., Res publica res populi, S. 399 ff. insb. 404 ff. 46 F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 116 Rn. 1. Übereinstimmend: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 206 Rn. 24; K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht. Kritik der Fiskustheorie, exemplifiziert an § 1 UWG, 1986, S. 322 ff. 47 F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 116 Rn. 2. Fikentscher spricht nicht weniger treffend von der Zerstörung der Freiheit durch Ausübung der Freiheit, vgl. W. Fikentscher, Recht und wirtschaftliche Freiheit, 1992, S. 285. 48 Vgl. Anmerkungen in Fn. 16 (3. Teil). 49 K. Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. III, 3. Aufl. 1911, S. 191 ff.

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gen auch die Schwierigkeit, eine Definition des Begriffs Wettbewerb zu finden51. Wie alle Gesetze52 dienen auch Wettbewerbsschutzgesetze der Verwirklichung der Freiheit53, auch wenn sie zunächst eine Einschränkung der Privatautonomie darstellen54. Wettbewerb wurde daher auch als staatliche Veranstaltung bezeichnet55, die den Zweck verfolgt, die Wohlfahrt und die Freiheit der Marktteilnehmer, die wirtschaftliche Freiheit also, zu maximieren56. Es ist daher nicht die Freiheit des Wettbewerbs57, die Wettbewerbsgesetze verwirklichen sollen. Vielmehr ist Wettbewerb der Zustand, in dem die wirtschaftliche Freiheit der Marktteilnehmer verwirklicht ist. Das Wett50 Hierauf verweisen: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 206 Rn. 25. 51 Zum Begriff weiter unten, Teil 3, III. 2. a), bb), (1). In der Literatur wird vielfach herausgestellt, dass eine exakte Definition nicht möglich sei, vgl. Anmerkungen in Fn. 416 (3. Teil). In das deutsche GWB wurde bewusst keine Definition des Wettbewerbsbegriffs eingebracht, hierauf verweist: E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 197. 52 Gesetze sind der allgemeine Wille der Bürger, die durch diese ihre mit der Menschheit des Menschen geborene Freiheit verwirklichen (K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, insb. S. 294, S. 305, S. 534, S. 617); denn sie schützen einen jeden vor des anderen nötigender Willkür (I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 34). Voraussetzung ist, dass die Gesetze durch ihre Sittlichkeit Recht schaffen, vgl. K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 77; ders., Freiheit in der Republik, insb. 2. Kap. IV., 3. Kap. I., VIII. 1. u. IX. 2. u. 4., 5. Kap. II. 3., 6. Kap. I. 2. b), 8. Kap. IV. 5. 53 Zur Freiheitsfunktion des Wettbewerbs vgl. K. Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 14–16; E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 186 f.; R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 10. 54 Zum Verhältnis wettbewerblicher Verhaltensregeln und Freiheit, vgl. E. Hoppmann, Freiheitliche Wirtschaftspolitik und Verfassung, in: R. H. Hasse/J. Molsberger/C. Watrin, Ordnung in Freiheit – Festgabe für Hans Willgerodt zum 70. Geburtstag, 1994, S. 3 ff. Wettbewerb und Privatautonomie sind folglich komplementäre Größen, die sich gegenseitig bedingen und ergänzen, m. w. N.: F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 129 Rn. 41. 55 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 3. Kap. IX. 6., 8. Kap. VI. 3 a), 10. Kap. V.; Mestmäcker spricht von verwaltetem Wettbewerb, vgl. E.-J. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb – Eine vergleichende Untersuchung über den Schutz von Freiheit und Lauterkeit im Wettbewerbsrecht, 1984. 56 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 3. Kap. IX. 5. b), 5. Kap. III. 1., 8. Kap. VI. 3. a), 10. Kap. V.; nicht anders E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 186 f.; so auch der Tenor bei H. Herrmann, Das wertphilosophische Leitbild persönlicher Verantwortung und Toleranz, in: ders./K. I. Voigt (Hrsg.), Globalisierung und Ethik. Ludwig-Erhard-Ringvorlesung an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg,, 2005, S. 63 ff. insb. S. 64, 72. 57 Etwa H. Schröter, Vorbemerkung zu Art. 81–85 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 13; H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, Rn. 1.7; E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 241; E.-J. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, Vorwort.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

bewerbsrecht ist ökonomisch wie auch freiheitsrechtlich rechtfertigbar und fordert das Tätigwerden des Staates58. 2. Notwendigkeit gemeinsamer Wettbewerbsregeln Wettbewerb und Integration59 verfolgen das gleiche Ziel: die optimale Allokation von Ressourcen60. Der angestrebte Gemeinsame Markt ist kein Selbstzweck, sondern auch Mittel der Integration61. Integration fördert den Wettbewerb, weil durch den größeren Markt mehr Produkte und Wirtschaftsteilnehmer miteinander konkurrieren62. Mehr Wettbewerb trägt umgekehrt zur verstärkten Integration bei, weil sich die Unternehmen auf der Suche nach komparativen Vorteilen vermehrt auch grenzüberschreitend orientieren können63, weshalb Wettbewerb auch als Mittel zur Verwirklichung der Ziele des Mercosur gesehen64 und freier Wettbewerb als Charakteristikum des angestrebten Integrationsstadiums Gemeinsamer Markt genannt wird65. Der Europäische Gerichtshof nannte bereits 1966 die „gegenseitige 58 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 201 Rn. 13. In diesem Sinne E. Hoppmann, Freiheitliche Wirtschaftspolitik und Verfassung, in: FG Willgerodt, S. 3 ff.; ders., Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 186 f. 59 Integration ist das Gegenteil vom Kampf rivalisierender Souveräne um den jeweils größten Staatsschatz, vgl. P. Behrens, Integrationstheorie – Internationale wirtschaftliche Integration als Gegenstand politologischer, ökonomischer und juristischer Forschung, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Bd. 45, 1981, S. 9 233; zum Begriff der Wirtschaftsintegration: R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 23 ff. 60 P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 234. 61 R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 46; P. Behrens, Integrationstheorie, S. 42. 62 P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 234; ähnlich O. Cadot/J.-M. Grether/J. de Melo, Trade and Competition Policy – Where do we stand?, Journal of World Trade 34 (2000), S. 3 ff.; N. A. Pascar, El Derecho de la Competencia en la Comunidad Europea, in: E. I. Rimoldi de Ladmann (Hrsg.), El Derecho y Política de Defensa de la Competencia – Análisis Comparado, 2000, S. 89. 63 P. C. Müller-Graf, Art. 28 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 5; Rittner schrieb noch 1989, dass der europäische Gemeinsame Markt sich nur mit Hilfe einer konsequenten Wettbewerbspolitik verwirklichen ließe, vgl. F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht – Eine systematische Darstellung für Studium und Praxis, 3. Aufl. 1989, S. 129. Zur „integrationspolitischen Zusatzfunktion“ von Wettbewerb: K. M. Meesen, Einführung, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 18 f. Die Ausnutzung komparativer Kostenvorteile wird als erster Erwägungsgrund in Ratsentscheidung 23/00 genannt. 64 Vgl. Präambel des Wettbewerbsschutzprotokolls, wonach adäquate Wettbewerbsbedingungen zur Konsolidierung der Zollunion beitragen, die Konkurrenzfähigkeit steigern sowie eine gleichmäßigere Verteilung der Nutzen des Integrationsprozesses sichern sollen.

I. Grundlagen

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wirtschaftliche Durchdringung“ als Ziel der gemeinsamen Wettbewerbsregeln66. Mehr Marktfreiheit heißt aber nicht automatisch auch mehr Wettbewerb67. Eine positive Wechselwirkung ist nicht selbstverständlich, sondern erfordert eine entsprechende politische Grundentscheidung, gemeinsame Wettbewerbsregeln einzuführen. Integration könnte ebenso gut auch mit verstärktem Protektionismus und Wettbewerbsbeschränkungen einhergehen68. Schließlich nimmt die Neigung zu Protektionismus auf der Seite der Staaten mit fortschreitender Senkung der Zölle und dem damit einhergehenden verstärkten Wettbewerbsdruck tendenziell zu69. Die Beschränkung der Wettbewerbsfreiheit durch wettbewerbswidriges unternehmerisches Handeln ist im Übrigen umso leichter, je freier und grenzüberschreitender der Handel ist70. In einem vergrößerten Binnenmarkt besteht vermehrt die Gefahr, dass durch grenzüberschreitende Firmenzusammenschlüsse oligopolistische Strukturen entstehen und damit auch die Gefahr des Missbrauchs der marktbeherrschenden Position71. Daher ist eine gemeinsame Wettbewerbspolitik notwendig, die effektive Instrumente bereithält, frühzeitig solchen Entwicklungen entgegenzuwirken72. Die nationalen Wettbewerbsregeln rei65

R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 44–46. EuGH v. 30.06.1966, Rs. 56–65 (Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm), Slg. 1966, 282, 303. Heute wird aufgrund der Globalisierung und der damit einhergehenden größeren und weiter verzweigten Transaktionen der Unternehmen ein Weltkartellrecht für geboten gehalten, vgl. W. v. Meibom/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio?, EuZW 2002, S. 261 ff. 67 R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 43; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 20. 68 P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 235. So hatten die Verhandlungen des Völkerbundes für eine europäische Zollunion nach dem ersten Weltkrieg eine Zollunion in Verbindung mit einem System nationaler Kartelle vorgesehen. Ein hoher Außenzoll sollte die europäische Industrie vor ausländischer Konkurrenz schützen. Hierauf verweisen: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 46 Rn. 10 u. S. 205 Rn. 22. Für die Notwendigkeit gemeinsamer Wettbewerbsregeln daher: R. S. Khemani/M. A. Dutz, The instruments of competition policy and their relevance for economic development, in: C. R. Frischtak (Hrsg.), Regulatory Policies and Reform: A Comparative Perspective, (World Bank), 1995, S. 28 f.; W. v. Meibom/A. Geiger, Ein Weltkartellrecht als ultima ratio?, EuZW 2002, S. 262 ff.; J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 84 ff. Dagegen: A. E. Rodriguez/M. D. Williams, The Effectiveness of proposed Antitrust Programs for Developing Countries, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation, 1994 Nr. 19, S. 212 ff. besonders Fn. 11. 69 P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 118 f. Rn. 341. 70 J. Tavares de Araujo, Harmonization of competition policies among Mercosur countries, The Antitrust Bulletin, 1998, S. 57 f. 71 S. Bilal/M. Olarreaga, Regionalism, competition policy and abuse of dominant position, Journal of World Trade 1998 Nr. 3, S. 162 f. 72 S. Bilal/M. Olarreaga, Regionalism, Competition Policy, Journal of World Trade 1998 Nr. 3, S. 164. 66

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

chen nicht aus, Wettbewerbsbeschränkungen in einem zusammenwachsenden Markt zu verhindern, denn sie beschränken sich auf die Abwehr von Inlandswirkungen73. Gemeinsame Wettbewerbsregeln sind aber auch deshalb notwendig, damit die Mitgliedstaaten die nationalen Wettbewerbsvorschriften nicht zum Schutz der heimischen Wirtschaft in diskriminierender Weise gegen ausländische Unternehmen anwenden74. In der Europäischen Union hat sich das Wettbewerbssystem daher fortschreitend als verfassungsrechtlicher Kern und wesentlicher Bestandteil der europäischen Wirtschaftsund Währungsunion erwiesen75. Auch der Staat verzerrt den Wettbewerb durch die Errichtung öffentlicher Unternehmen, durch Beihilfen oder die Vergabe von Konzessionen76. Dies geschieht aus Gründen des öffentlichen Interesses wie die Gewährleistung einer gesicherten Versorgung mit essentiellen Diensten im Bereich der Daseinsvorsorge77, in denen wegen beispielsweise hoher Kosten die entsprechende Dienstleistung ökonomisch nicht von einem privaten Unternehmen ohne staatliche Unterstützung erbracht werden kann. Staatliche Unterstützung einheimischer Unternehmen verfälscht den Wettbewerb auf eine ähnliche Art und Weise wie die an den Grenzen abgebauten Handelsschranken gegenüber ausländischen Unternehmen78. Während staatliche Unternehmen regelmäßig auch den nationalen Wettbewerbsvorschriften unterliegen79, kann nicht-unternehmerisches staatliches Handeln nur durch überstaatliche Vorschriften unterbunden werden. In der Europäischen Union ist neben dem

73 Ein gutes Beispiel hierfür sind Exportkartelle, die in keinem Land verfolgt werden, vgl. J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 27 f. Basedow bezeichnet die Untersagung von Exportkartellen als „Nagelprobe“ jeder Kartellrechtsvereinheitlichung (ebenda S. 48 u. 111). 74 R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 217 f.; vgl. auch E.M. Fox/J. A. Ordover, The Harmonization of Competition and Trade Law – The Case for Modest Linkages of Law and Limits to Parochial State Actions, World Competition Vol. 19 (1995) Nr. 2, S. 23. 75 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, Vorwort, S. V; in diesem Sinne H. Schröter, Vorbemerkung zu Art. 81–85, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 27; T. Oppermann, Europarecht, S. 310 f. Rn. 1 ff.; G. Grill, Vorbem. zu Art. 81–86, in: Lenz/Borchardt, Rn. 2. 76 Unstreitig, vgl. etwa S. Rippe, El Derecho de la Competencia en el Mercosur, S. 266; m. w. N. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 225 ff., 367 ff., 524 ff.; R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 119 ff.; E. I. Rimoldi de Ladmann, Derecho y Política de Defensa de la Competencia, S. 14. Vgl. auch Anmerkungen in Fn. 1275 (3. Teil). 77 Hierzu zählen im Allgemeinen: Wasser, Energie, Telekommunikation, Post, Transport, vgl. etwa T. Oppermann, Europarecht, S. 323 Rn. 36. 78 Zu Beihilfen siehe unten, Teil 3, III. 3. 79 Wie weiter unten noch zu sehen sein wird, Teil 3, III. 1. a) bb) und dd).

I. Grundlagen

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Wettbewerbsrecht der Unternehmen das Wettbewerbsrecht der Staaten im Vergaberecht und im Beihilferecht getreten80. Gemeinsame Wettbewerbsregeln sind auch deshalb wichtig, weil viele Länder unilateral auf Verhaltensweisen im Ausland antworten, wenn sie sich im Inland auswirken. Dieses so genannte Auswirkungsprinzip findet seit dem Alcoa-Fall81 (1945) in den USA zunehmend Anerkennung82. Die Ausweitung des territorialen Anwendungsbereichs führt immer häufiger zu kumulativer Rechtsanwendung, was erhebliche Rechtsunsicherheit für die betroffenen Unternehmen mit sich bringt und den internationalen Wirtschaftsverkehr beeinträchtigt83. Abhilfe kann ein gemeinsames Wettbewerbsrecht schaffen, wobei grundsätzlich Einheitsrecht oder die Harmonisierung durch aneinander rückende Rechtsordnungen möglich ist84. Das Wettbewerbsschutzprotokoll hat in Art. 2 das Auswirkungsprinzip für den Mercosur normiert85.

80 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, Vorwort, S. V. Die Vorschriften über staatliche Beihilfen waren von Anfang an integraler Bestandteil des gemeinschaftlichen Systems unverfälschten Wettbewerbs, vgl. Art. 87–89 EGV. 81 Court of Appeals, (U.S. vs. Aluminium Co. of America), 148 F.2d 416 (2nd Cir. 1945). In dem Fall wendete das Gericht die mit dem Sherman Act begründete effects doctrine (Auswirkungsprinzip) auf wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen einer englischen, französischen, schweizerischen und kanadischen Firma an. Letztere war eine 100-prozentige Tochter der Alcoa, aber rechtlich selbständig. Das Verbot preisregelnder Absprachen sei auch auf nur im Ausland ansässige Firmen anwendbar. Denn amerikanisches Recht sei auf solche Absprachen anwendbar, die die Absicht verfolgen, Einfuhren in die Vereinigten Staaten zu beeinflussen. Zu der Entscheidung: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 160 f. Rn. 13 f. Der Fall wurde 1993 durch den Supreme Court bestätigt, vgl. Hartford Fire Insurance Co. v. California, 509 US 764, 113 S. Ct. 2891, 125 L. Ed. 2d 612, 638, (1993). 82 J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 11 und 20 f. So auch in Deutschland, Argentinien und Brasilien, vgl. § 130 Abs. 2 GWB (hierzu E. Rehbinder, § 130 Abs. 2, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker, GWB – Kommentar zum Kartellgesetz, 3. Aufl. München 2001, Rn. 39 ff.); Art. 3 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes von 1999 Nr. 25.156; Art. 2 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884/94. 83 P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 244. 84 B. Saravia Frías, Concentración empresarial, Anuario de Derecho 1999 Nr. 5, S. 186. Immenga bezeichnet dies als „vertikale Harmonisierung“, vgl. U. Immenga, Harmonisierung des Wettbewerbsrechts als Aufgabe?, EuZW 1997, S. 449. In diesem Zusammenhang wird die Frage gestellt, ob das Wettbewerbsschutzprotokoll des Mercosur das Recht harmonisieren soll, oder ob ledig bestimmte Verhaltensweisen verboten werden, vgl. R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 51. 85 J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 21; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 272; D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 60; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

3. Wettbewerbsbeschränkungen Die Literatur unterscheidet horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen86. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen sind Absprachen, Vereinbarungen oder auf sonstige Weise aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen, die eigentlich in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen sollten. Es handelt sich um die klassischen Kartelle; die OECD bezeichnet sie als „hard-core“-Kartelle87. Hierunter fallen insbesondere Preisabsprachen, Quotenkartelle oder Marktaufteilungen, welche die Entstehung örtlicher Monopole bewirken können88. Vertikale Absprachen sind Übereinkünfte zwischen Unternehmen verschiedener Produktionsstufen, d.h. zwischen Lieferanten und Abnehmern89. Hierunter fallen Preisbindungen, Ausschließlichkeits- oder andere Vertriebsbedingungen. Ausschließlichkeitsbedingungen verbieten gleichgelagerte Geschäfte des gebundenen Unternehmens mit Dritten. Vertriebsbedingungen schreiben unterdessen bestimmte Absatzwege vor90. Die Schädlichkeit solcher Verhaltensweisen ist anerkannt und besteht im Wesentlichen darin, dass sie die Absatz- und Versorgungsmöglichkeiten kleinerer Unternehmen sowie die Wahlfreiheit der Verbraucher beeinträchtigen91. Anbieter müssen Union und dem Mercosur, S. 104. Zum Auswirkungsprinzip weiter unten: Teil 3, III. 1. b). 86 M. w. N. vgl. etwa G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 354. 87 OECD, Hard Core Cartels, Paris 2000; OECD, Report on the Nature and Impact of Hard Core Cartels and Sanctions against Cartels under National Competition Laws, v. 09.04.2002, abrufbar unter: http://www.oecd.org/dataoecd/16/20/ 2081831.pdf. Der Begriff findet sich auch bei: C. Bellamy/G. Child, European Community Law of Competition, 5. Aufl. 2001, Rn. 2. 88 OECD, Report on the Nature and Impact of Hard Core Cartels and Sanctions against Cartels under National Competition Laws, S. 6; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 25. 89 Eine umfassende Definition der vertikalen Wettbewerbsbeschränkung enthält Art. 2 Abs. 1 der Gruppenfreistellungsverordnung Vertikalvereinbarungen Nr. 2790/ 99 der Europäischen Union v. 22.12.1999, ABl. 1999, Nr. L 336/21, geändert durch Beitrittsakte Osterweiterung EU, ABl. 2003, Nr. L 236/344. Vertikale Vereinbarungen sind danach „Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig ist und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können“. 90 Emmerich bezeichnet Vertriebsbedingungen als besondere Erscheinungsform der Ausschließlichkeitsbedingungen, vgl. V. Emmerich, § 16, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), GWB – Kommentar zum Kartellgesetz, 3. Aufl. 2001, Rn. 42. 91 H. Cox, Kartelle – Strukturanalyse, Wettbewerbswirkungen und wettbewerbspolitische Behandlung, in: H. Cox/U. Jens/K. Markert (Hrsg.), Handbuch des Wett-

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sich weniger an den Präferenzen des Marktes orientieren und können nicht marktgerechte Preise festsetzten. Dies führt einerseits zu Kapitalfehlleitungen, andererseits sind die Unternehmen nicht gezwungen, sich um Effizienz und Kostensenkungen zu bemühen92. Neben den Kartellen, also den Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die in Wettbewerb zueinander stehen, kann auch die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung eines einzelnen Unternehmens den Wettbewerb beschränken. Es werden Behinderungsmissbrauch und Ausbeutungsmissbrauch unterschieden93. Zum Behinderungsmissbrauch gehören Koppelungsgeschäfte, Diskriminierung, die Beschränkung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen und vor allem eine missbräuchliche Niedrigpreispolitik. Letztere Fallgruppe ist nicht unproblematisch. In Deutschland entspricht sie dem Tatbestand des Verkaufs unter Einstandspreisen94. Die Preisunterbietung ist durchaus erwünscht, denn sie ist im Sinne des Verbrauchers und gehört zum Wesen des Wettbewerbs. Erst dann, wenn der Billiganbieter einen Verdrängungswettbewerb verfolgt, gilt sie als nicht akzeptabel95. Wann ein verbotener Verdrängungswettbewerb im Gegensatz zum erlaubten und erwünschten Preiswettbewerb gegeben ist, ist nicht leicht zu unterscheiden. Schwer feststellbar ist, ob ein Unternehmen unter dem Einstandspreis verkauft, da die Selbstkosten betriebswirtschaftlich nicht ohne Willkür ermittelbar sind96. Ausbeutungsmissbrauch ist die Vorgabe unangemessen hoher Preise für vor- und nachgelagerte Unternehmen. Auch hier ist die Frage, wann ein Preis unangemessen ist, nicht ohne weiteres zu beantworten97. bewerbs – Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, 1981, S. 251–254, 42; H.-J. Bunte, Art. 81 EG – Generelle Prinzipien, in: E. Langen/ders. (Hrsg.), Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, Rn. 51; W. Weiß, Art. 81 EG-Vertrag, in: Calliess/Ruffert, Rn. 191 f. 92 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 2; H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 17 f. 93 Etwa G. Grill, Art. 82, in: Lenz/Borchardt, Rn. 24; H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 22, 274 ff.; W. Weiß, Art. 82 EG-Vertrag, in: Calliess/ Ruffert, Rn. 33 ff.; C. Jung, Art. 82 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 140 ff. u. 186 ff. 94 Vgl. § 20, Abs. 4 GWB v. 26.08.1998 (BGBl. I 1998, 2521), neugefasst durch Bekanntmachung v. 15.7.2005, I 2114, geändert durch Art. 1 Gesetz v. 01.09.2005, I 2676. 95 BGHZ 85, 84, 94 ff. 96 Vor allem die Aufteilung fixer Gemeinkosten auf ein Produkt ist nicht ohne Willkür zu bewerkstelligen, vgl. V. Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 7. Aufl. 2004, S. 105; vgl. auch: H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 275 ff. Zur Kampfpreisunterbietung ausführlich Teil 3, III. 2. b), cc), (8). 97 W. Möschel, Der Oligopolmissbrauch im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1974, S. 156–158; W. Weiß, Art. 82, in: Calliess/Ruffert, Rn. 44. Zum Ausbeutungsmissbrauch ausführlich Teil 3, III. 2. b), cc), (1).

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

4. Das Wettbewerbsrecht in den Mitgliedstaaten Trotz einer verhältnismäßig langen Tradition ist die Kultur des Wettbewerbsschutzes in Lateinamerika unterentwickelt98; es fehlte bisher vor allem am politischen Willen zu einer effektiven Durchsetzung99. Sowohl in Brasilien als auch in Argentinien gab es mehrere Reformen des Wettbewerbsrechts100. Diese stehen im Zusammenhang mit der Öffnung der Märkte, die seit den 1980er-Jahren vorangetrieben wird. Es wurden Wettbewerbsbehörden eingerichtet, in Argentinien die Comisión Nacional de Defensa de la Competencia (im Folgenden CNDC) und in Brasilien der Conselho Administrativo de Defensa Econômica (im Folgenden CADE)101. 98

M. Butera, Defensa de la Competencia: Ejercicio de la Abogacía de competencia en Argentina, in: Conferencia de las Naciones Unidas sobre el Comercio y el Desarrollo – Grupo intergubernamental de Expertos en Derecho y Política de la Competencia, Sexto período de sesiones, 8.–10. Nov. 2004 in Genf, Comunicación presentada por la Comisión Nacional de Defensa de la Competencia – Argentina, S. 2; B. Saravia Frías, Concentración empresarial, Anuario de Derecho, 1999 Nr. 5, S. 184. 99 P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 21 f.; in diesem Sinne G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 95, 100. 100 Für Argentinien vgl. Übersicht bei: M. V. G. De Quevedo, Reformas a la legislación de Defensa de la Competencia Argentina Ley 25.156, BLC 2000 Nr. 9 – Teil 1, S. 8; E. I. Rimoldi de Ladmann, El Derecho de la Competencia en Argentina, in: dies. (Hrsg.), Derecho y Política de Defensa de la Competencia – Análisis Comparado, 2000, S. 195 ff.; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 88–111. Für Brasilien vgl. J. I. G. Franceschini, Introdução ao Direito da Concorrência, São Paulo, 1996, S. 7 ff.; J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 134 ff. 101 Die CNDC war zunächst eine weisungsgebundene Abteilung des Wirtschaftsministeriums. Im neuen Wettbewerbsgesetz von 1999 Nr. 25.156 ist vorgesehen, die CNDC durch das Tribunal Nacional de Defensa de la Competencia (TNDC), einem Wettbewerbsschutzgericht mit Selbstverwaltungsstatus zu ersetzen. Hierzu CNDC, Memoria Trianual 1999–2001, 2. Bis heute wurde das TNDC jedoch noch nicht gegründet, weshalb die CNDC gemäß Art. 58 des Gesetzes 25.256 nach wie vor die argentinische Wettbewerbsbehörde ist, was kritisiert wird, vgl. E. Civit Evans, Respuesta a una publicación, El Diario (San Luis) v. 15.01.2005. Die wichtigsten jüngeren Gutachten der CNDC (ab 1997) sind abrufbar auf der Webseite der CNDC: http://www.mecon.gov.ar/cndc/home.htm., ältere Gutachten sind zum Teil auch in der Bibliothek des deutschen Bundesverfassungsgerichts vorhanden. Eine vollständige Sammlung der Gutachten ist nur bei der CNDC in Buenos Aires einsehbar. Sie liegen dem Verfasser vor. Der CADE ist seit 1994 ein aus der Zentralverwaltung ausgegliedertes und mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattetes Organ, das als orgão judicante nicht weisungsgebunden ist (Art. 3 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884). Der CADE bezeichnet sich selbst als gerichtsähnliche Instanz („verdadeiro tribunal parajurisdicional“), vgl. J. I. G. Franceschini, Introdu-

I. Grundlagen

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Bei der Reform der Legislaturen orientierte man sich neben dem US-Antitrustrecht vor allem am EU-Recht102, weshalb in beiden Gesetzen der vom Europarecht bekannte Beschränkungstatbestand und Missbrauchstatbestand wieder zu finden sind. Beide Legislaturen haben wiederum wesentlichen Einfluss auf das Wettbewerbsschutzprotokoll genommen103. Da die Mercosur-Wettbewerbsbehörde, das Comité de Defensa de la Competencia – Wettbewerbskomitee104 – noch nicht in Kraft ist105, gibt es auch noch keine mercosurspezifische Auslegung der Normen, sodass von einem spezifischen Wettbewerbsrecht im Mercosur keine Rede sein kann106. In der südamerikanischen Praxis und Lehre werden sowohl auf Ebene des Mercosur als auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten Normen immer wieder im Lichte von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs interpretiert107. Wegen ção ao Direito da Concorrência, S. 25. Die Gutachten des CADE sind veröffentlichet in den Fallsammlungen von Franceshini: J. I. G. Franceschini/J. L. V. Franceschini, Poder econômico: Exercicio e abuso – Direito Antitruste Brasileiro, São Paulo 1985; J. I. G. Franceschini, Introdução ao Direito da Concorrência; ders., Lei da concorrência conforme interpretada pelo CADE, São Paulo 1998; ders., Direito da concorrência: case law, São Paulo 2000. Die Gutachten ab dem Jahr 2000 sind zudem im Internet abrufbar unter: www.cade.gov.com.br. 102 Darauf, dass die Beispieltatbestände sowohl im argentinischen als auch brasilianischen Wettbewerbsgesetz das EU-Recht zum Vorbild hatten, verweist: D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, Frankfurt a. M. 2000, S. 107 in Fn. 262. Auf den Einfluss der Praxis und Lehre des EU-Rechts auf das Missbrauchsverbot im argentinischen Wettbewerbsschutzgesetz verweisen: E. J. Cárdenas, Características de un abuso de posición dominante, La Ley 1984-A, 27 f.; J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 184; S. Rippe, El Derecho de la Competencia en el Mercosur, S. 261. Den Einfluss des EU- und des US-Rechts auf das argentinische Wettbewerbsgesetz von 1980, welches aber im aktuellen Gesetz fast wortgenau übernommen wurde, stellen heraus: B. Saravia Frías, Concentración empresarial y defensa de la competencia en el Mercosur, Anuario de Derecho (Buenos Aires) 1999 Nr. 5, S. 185; CNDC, Memoria Anual 1997, 2.1; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 9 f., 12 ff., 87, insb. S. 112 ff., 122 ff. 103 D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 14. 104 Es besteht gemäß Art. 8 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls aus den nationalen Durchführungsorganen. Zu Organisation und Verfahren vgl. Teil 3, III. 4. 105 In Konsequenz der Tatsache, dass das Wettbewerbsschutzprotokoll noch nicht in Kraft getreten ist, vgl. unten, Teil 3, III., S. 359. 106 Übereinstimmend: P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 30. 107 Vgl. R. Dromi, Competencia y Monopolio – Argentina, Mercosur y OMC, S. 93, E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Jurídico: El Derecho de la Competencia en el Mercosur, in: dies. (Hrsg.), Derecho y Política de Defensa de la Competencia – Análisis Comparado, 2000, S. 173. In Brasilien verweist der CADE ausdrücklich auf EU-Recht, vgl. CADE v. 11.12.1996, P. A. 22/92 (Sindicato dos Trabalhadores no Comércio de Minérios e Derivados de Petróleo do Estado de Pernambuco et al.).

354

3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

der Ähnlichkeit der nationalen Wettbewerbslegislaturen Argentiniens und Brasiliens mit dem Wortlaut des Wettbewerbsschutzprotokolls sowie wegen der Orientierung dieser und des Wettbewerbsschutzprotokolls108 an der Wettbewerbsordnung der Europäischen Union werden bei der Interpretation der Mercosur-Wettbewerbsnormen die Auslegungen der nationalen Wettbewerbsbehörden Argentiniens und Brasilien ebenso wie die des Europäischen Gerichtshofs berücksichtigt109.

II. Die Wettbewerbsordnung des Mercosur Der Vertrag von Asunción enthält kein dem Art. 98 i. V. m. Art. 4 EGV vergleichbares ausdrückliches Bekenntnis zum Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, doch kann davon ausgegangen werden, dass die Vertragsväter die Grundsätze eines marktwirtschaftlichen Systems stillschweigend angenommen haben110, denn die Wettbewerbsfreiheit kann als ein wesentliches Prinzip des angestrebten Gemeinsamen Marktes erachtet werden111. Einzelne Bestimmungen des Vertrags von Asunción lassen den Willen erkennen, dass die regionale Integration auf marktwirtschaftlicher Basis mit einer gemeinsamen Wettbewerbsordnung verwirklicht werden soll112.

Nicht anders die CNDC, vgl. CNDC v. 10.05.1982, Expte. 104.084/81 (Cooperativa Popular de Electricidad Santa Rosa), VII. Die Orientierung der CNDC am EG-Kartellrecht hebt auch hervor: J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 184. Auch die Mercosur-Schiedsgerichte verweisen immer wieder ausdrücklich auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, der Kommission und auch auf das Schrifttum zum EG-Recht, vgl. 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 154, 156; 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Fn. 18; für das 1. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 28.04.1999 (nichttarifäre Handelshemmnisse); vgl. bereits Teil 1, V. 3. 108 Die Orientierung des Wettbewerbsschutzprotokolls am Wettbewerbsrecht der Europäischen Union stellt R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, S. 106 heraus. 109 Auch V. Emmerich, Kartellrecht, S. 35, 39 berücksichtigt zur Auslegung des deutschen GWB von 1998, welches an den Wortlaut des EG-Wettbewerbsrechts angepasst wurde (Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht, Bundestagsdrucksache 13(1998)/9720), die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs. 110 So D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 53. 111 R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 46. 112 P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 260 f.

II. Die Wettbewerbsordnung des Mercosur

355

Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción verpflichtet die Mitgliedstaaten, die makroökonomischen Politiken in der Weise zu koordinieren, dass „angemessene Wettbewerbsbedingungen“113 geschaffen werden. Unklar ist, ob hiermit der Abbau lediglich staatlicher Wettbewerbsbeschränkungen gemeint ist114 oder ob ein generell unverfälschter Wettbewerb eingefordert wird, also ein Wettbewerb, der auch frei von privaten Wettbewerbsverzerrungen ist115. Art. 4 Abs. 1 des Vertrags von Asunción Eindeutiger ist Art. 4 Abs. 1 des Vertrags von Asunción, der die Mitgliedstaaten auffordert, „gleiche Handelsbedingungen“116 zu gewährleisten, indem sie ihre nationalen Gesetzgebungen anwenden, um Importe aus Drittstaaten zu verhindern, deren Preise durch Subventionen, Dumping oder andere unlautere Praktiken117 beeinflusst sind. Die Norm bezieht sich auf die fairen Handelsbedingungen, die nicht durch den Handel mit Drittländern beeinflusst werden sollen118. Der Wettbewerb im angestrebten Gemeinsamen Markt soll weder durch staatliche noch durch private Verhaltensweisen in Drittstaaten verzerrt werden. In Art. 4 Abs. 1 des Vertrags von Asunción ist bereits das in vielen Staaten anerkannte Auswirkungsprinzip erkennbar119. 113 Wörtlich: „(. . .) condiciones adecuadas de competencia (. . .)“, vgl. Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción. 114 Dafür spricht, dass in Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción ausdrücklich die Außenhandels-, Industrie-, Geld-, Wechsel- und Kapital-, Dienstleistungs-, Transport und Kommunikationspolitik genannt werden, vgl. P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 261. 115 Diese Meinung vertritt: D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 54; so wohl auch R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 47 f. 116 Wörtlich im Art. 4 Abs. 1 des Vertrags von Asunción: „(. . .) condiciones equitativas de comercio (. . .)“. Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht übersetzt den Ausdruck mit „(. . .) faire Handelsbedingungen (. . .)“, vgl. MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 1. Diese Interpretation legt den Schluss nahe, dass auch die Autoren dieser Übersetzung davon ausgehen, dass es sich um eine Vorschrift handelt, die dem Wettbewerbsrecht zugeordnet werden kann. 117 Im Originalwortlaut des Art. 4 Abs. 1 des Vertrags von Asunción wird der Begriff „prácticas desleales“ verwendet. Auch das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht übersetzt den Terminus „prácticas desleales“ als „unlautere Praktiken“ (vorige Fn.). Dieser Begriff ist aber nicht ohne weiteres mit dem im Deutschen verwendeten Begriff des unlauteren Wettbewerbs gleichzusetzen. Hierzu siehe nächste Seite. 118 Dies stellt heraus: R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 364.

356

3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Art. 4 Abs. 2 Vertrag von Asunción Art. 4 Abs. 2 des Vertrags von Asunción soll Wettbewerbsverzerrungen verhindern, die unmittelbar aus dem Mercosur selbst stammen. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre nationalen Politiken zu koordinieren und gemeinsame Normen des Handelswettbewerbs (competencia comercial) auszuarbeiten. Der Ausdruck Handelswettbewerb legt den Schluss nahe, dass damit auch Missbrauchspraktiken gemeint sind, die von Privaten ausgehen. Damit ist der Wettbewerb die einzige Materie neben dem gemeinsamen Außenzoll, für die der Vertrag von Asunción ausdrücklich die Schaffung gemeinsamer Vorschriften vorsieht120. Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit Abs. 1 zu verstehen. Die Mitgliedstaaten sollen gemeinsame Vorschriften für den Handelswettbewerb erlassen, um faire Handelsbedingungen zu schaffen, die frei von Subventionen, Dumping und anderen unlauteren Praktiken sind. Welche Verhaltensweisen unter dem Begriff „unlautere Praktiken“ (prácticas desleales) zu verstehen sind, ist nicht klar. Diese werden mit Subventionen und Dumping im selben Zusammenhang erwähnt. Nach Basaldffla sind unlautere Praktiken solche Verhaltensweisen, die den Wettbewerb durch die Beeinflussung der Preise verfälschen121. Dabei könne es sich um staatliche Maßnahmen oder auch um Verhaltensweisen von Privaten handeln. Halperin subsumiert hierunter die beispielhaft genannten Subventionen und das Dumping122. Davon abzugrenzen seien die „beschränkenden Praktiken“ (prácticas restrictivas). Hierzu zählen Absprachen zwischen Unternehmen und die missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht123. Dagegen bezeichnet Rimoldi de Ladmann sogar abgestimmte Verhaltensweisen und den Missbrauch von Marktmacht als unlautere Verhaltensweisen124. Offenbar wird im südamerikanischen Sprachgebrauch unter dem Begriff des unlauteren Wettbewerbs bzw. der „unlauteren Praktiken“ nicht dasselbe verstanden wie im 119

Zusätzlich normiert Art. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls das Auswirkungsprinzip auch ausdrücklich für den Mercosur. Hierzu ausführlich im folgenden Kapitel III. 1. b) in diesem Teil. 120 So auch P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 162 in Fn. 156. 121 R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 366. 122 M. Halperin, Lealtad competetiva y dilemas de la integración: el caso del Mercosur, Integración Latinoamericana Nr. 184 (1992), S. 36 f.; nicht anders R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 55, 113; S. Jardel/A. Barraza, Mercosur – Aspectos jurídicos y económicos, S. 172 f. 123 M. Halperin, Lealtad competitiva, Integración Latinoamericana Nr. 184 (1992), S. 36 f. 124 E. I. Rimoldi de Ladmann, Introducción, in: dies. (Hrsg.), Derecho y Política de Defensa de la Competencia, S. 1.

II. Die Wettbewerbsordnung des Mercosur

357

deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht. Das Verbot der Beeinflussung der Preise durch Abreden ist hierzulande Gegenstand des Wettbewerbs(beschränkungs)rechts. Im europäischen Wettbewerbsrecht gehören Subventionen zu den verbotenen staatlichen Beihilfen125, Dumping fällt unter die im Wettbewerbsbeschränkungsrecht verbotene Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung126. Zwar bestehen zwischen dem Wettbewerbsbeschränkungsrecht und dem Lauterkeitsrecht komplexe Wechselwirkungen127. Der Schutz des lautereren Wettbewerbs ist nach der deutschen Lehre jedoch nur innerhalb des funktionierenden Wettbewerbs sinnvoll, wenn also Wettbewerb überhaupt besteht. Während das Wettbewerbsbeschränkungsrecht auf den Erhalt wettbewerblicher Marktstrukturen abstellt, bekämpft das Lauterkeitsrecht Verhaltensweisen, die auch im freien Wettbewerb nicht automatisch unterbleiben128. Im südamerikanischen Schrifttum ist der Begriff „unlautere Praktiken“ eher als Synonym für wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen zu betrachten. Es bleibt festzuhalten, dass der Handelswettbewerb nach Art. 4 Abs. 1 des Vertrags von Asunción faire Rahmenbedingungen vorfinden soll. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, gemeinsame Normen zu erlassen, die sich gegen wettbewerbsbeschränkende Handelspraktiken richten, wobei Beschränkungen und Missbrauchspraktiken von staatlichen und privaten Wirtschaftsteilnehmern gemeint sind. Die Vorschrift kann als Grundlage des Wettbewerbsschutzprotokolls gesehen werden129. 125

Grundlegend: EuGH v. 23.02.1961, (Steenkolenmijnen Limburg/Hohe Behörde), Slg. 1961, 3, 43. Zu staatlichen Beihilfen ausführlich Teil 3, III. 3. a). 126 Die Preisunterbietung mit der Absicht, einen Konkurrenten aus dem Markt zu verdrängen, kann jedoch auch als eine unlautere Geschäftspraktik gewertet werden, G. Plaß, I § 4 UWG, in: F. L. Ekey/D. Klippel/J. Kotthoff/A. Meckel/G. Plaß (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 278 ff. Rn. 463 ff. 127 Etwa H.-P. Götting, Wettbewerbsrecht, S. 3 f. Rn. 3, S. 244 Rn. 8; K. V. Boesche, Wettbewerbsrecht, 2005, S. 16 Rn. 26; W. Veelken, Lauterkeitsrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in: W. Blomeyer/K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 156 ff. Dass das Lauterkeitsrecht mit dem Wettbewerbsrecht in einem engen Zusammenhang steht, zeigt sich auch im neuen UWG, das am 08.07.2004 in Kraft getreten ist (vgl. BGBl. I, 1414). In der Schutzzweckbestimmung in § 1 wird das „Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb“ herausgestellt. 128 H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 93 Rn. 6.12; V. Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, S. 82.; K. V. Boesche, Wettbewerbsrecht, 2005, S. 16 Rn. 26; H.-P. Götting, Wettbewerbsrecht, S. 244 Rn. 8. 129 Vgl. J. C. de Magalhães, Defensa da concorrência no Mercosul, Revista de Direito Econômico 1997 Nr. 25, S. 59; S. Rippe, El Derecho de la Competencia en el Mercosur, S. 268; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 262. Der Mercosur-Rat hat folgende für den Schutz des Wettbewerbs relevante Entscheidungen erlassen: 3/92, 7/93, 10/94, 20/94, 21/94, 17/96, 18/96, 11/97, 28/00,

358

3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll 1994 hat der Mercosur-Rat zwei Entscheidungen zum Wettbewerbsrecht getroffen130: 20/94 (wettbewerbsverzerrende öffentliche Maßnahmen) und 21/94 (Schutz des Wettbewerbs). Erstere beauftragt die Handelskommission mit der Gründung eines Fachausschusses, welcher die Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten beobachten sollte, um eventuell wettbewerbsbeschränkende Praktiken in den Mitgliedstaaten festzustellen und davon ausgehend Vorschläge auszuarbeiten, diese zu bekämpfen. Die zweite Entscheidung enthält einen Anhang mit Leitlinien zur Harmonisierung des nationalen Wettbewerbsrechts, die sich stark an den Art. 81 und 82 EGV zu orientieren scheinen131. Diese Entscheidung verpflichtet die Mitgliedstaaten, das nationale Recht an den Leitlinien zu messen und die Handelskommission bis zum 31. März 1995 darüber zu informieren132. Die Ratsentscheidung 21/94 wird als ein Schritt sowohl in Richtung einer Harmonisierung der nationalen Kartellrechte als auch hin zu einer gemeinsamen Wettbewerbsordnung gewertet133. Der in der Ratsentscheidung 21/94 i. V. m. Art. 4 Abs. 2 des Vertrags von Asunción gestellte Auftrag an die Mitgliedstaaten, gemeinsame Wettbewerbsvorschriften zu erlassen, findet mit dem Erlass des Wettbewerbsschutzprotokolls seinen vorläufigen Höhepunkt134. Es vereint die zuvor vereinzelt erlassenen Entscheidungen zu einem umfassenden Wettbewerbsstatut, wie es die Entscheidung 21/94 vorgesehen hatte. Es wird durch die im Anhang der Ratsentscheidung 2/97 vorgesehenen Sanktionen ergänzt.

29/00, 31/00, 64/00, 13/02, 14/02, 22/02, und 4/04, welche im jeweiligen Kontext Beachtung finden. 130 Zur Vorgeschichte des Wettbewerbsschutzprotokolls vgl. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 221 ff.; E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Juridico, S. 166 ff.; A. Haller, Mercosur, S. 69 f. 131 So J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 197 in Fn. 1171. 132 Art. 3 Satz 1 der Ratsentscheidung 21/94. 133 R. Dromi/M. Á. Ekmekdjian/J. C. Rivera, Derecho comunitario Derecho comunitario, S. 347. Die unmittelbare praktische Bedeutung dieser Vorschrift ist hingegen gering, da bis zur endgültigen Entscheidung über die Materie allein die nationalen Vorschriften Anwendung finden, vgl. Art. 4 lit. b der Ratsentscheidung 21/94. Hierauf verweist: J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 198. 134 R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 56.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

359

Rechtsnatur Das Wettbewerbsschutzprotokoll ist ein dem klassischen Völkerrecht zuzurechnender Staatsvertrag135. Ebenso wie auch das Protokoll von Ouro Preto ist es Bestandteil des Vertrags von Asunción selbst136 und damit als Primärrecht zu klassifizieren, auch wenn es durch eine Entscheidung des Rates erlassen wurde137. Entsprechend lateinamerikanischer Tradition bei zwischenstaatlichen Verträgen138 tritt das Wettbewerbsschutzprotokoll in den Ländern in Kraft, von denen es ratifiziert wurde139, vorausgesetzt, es wurde von wenigstens zwei Staaten ratifiziert140. Obwohl die Gruppe Gemeinsamer Markt bereits 1992 den Schutz des Wettbewerbs und Regelungen über staatliche Monopole als vorrangig zu behandelndes Thema eingestuft hatte, haben bisher nur Brasilien und Paraguay die Ratifikationsurkunden beim Mercosur-Verwaltungssekretariat hinterlegt. Das Wettbewerbsschutzprotokoll müsste daher gemäß Art. 33 des Wettbewerbsschutzprotokolls in diesen Ländern gültig sein. Fraglich ist aber, wie das Wettbewerbsschutzprotokoll in einigen Mitgliedstaaten bereits Gültigkeit besitzen kann, wenn die Ratsentscheidung 18/96, mit der das Wettbewerbsschutzprotokoll erlassen wurde, noch nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurde141 und damit noch nicht geltendes Recht ist; denn gemäß dem in Teil 1 beschriebenen Grundsatz der aplicación simultánea tritt eine Entscheidung erst in Kraft, wenn sie in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurde142. Diesen Widerspruch erkannte auch das vierte Schiedsgericht. Es entschied, dass die Ratsentscheidung selbst und das in ihrem Anhang befindliche Protokoll untrennbar zusammengehören. Die teilweise Gültigkeit einer Norm würde eine unakzeptable Unsicherheit erzeugen143. Das Wettbewerbsschutzprotokoll ist aufgrund der fehlenden Umsetzung der Entscheidung 18/96 noch in keinem Mitgliedstaat in Kraft getreten144. Die Vertragsstaaten haben jedoch jüngst den Willen bekräftigt, 135

Nach Samtleben ein Gesetzgebungsvertrag im Unterschied zu Integrationsverträgen und Verwaltungsabkommen, vgl. J. Samtleben, Der Mercosur als Rechtssystem, S. 62–67. 136 Art. 33 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 137 Die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrecht ist im Mercosur aufgrund des zwischenstaatlichen Charakters der Organe eigentlich wenig sinnvoll, vgl. Teil 1, III. 1. 138 P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 269 f. 139 Dies entspricht dem Art. 14 Abs. 1 lit. a WVRK. 140 Art. 33 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 141 Vgl. Webseite des Mercosur-Verwaltungssekretariats: http://www.mercosur. int. 142 Vgl. 40 Protokoll von Ouro Preto; hierzu Teil 1, IV. 2. a). 143 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 122.

360

3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

dass das Wettbewerbsschutzprotokoll spätestens ab Juni 2006 Gültigkeit besitzen solle145. Ziele und Schutzzweck Das Wettbewerbsschutzprotokoll soll als wesentliches Instrument zur Erreichung der Ziele des Vertrags von Asunción dienen146. Die Präambel des Wettbewerbsschutzprotokolls nennt sowohl ökonomische als auch gesellschaftspolitische Ziele. Das Wettbewerbsschutzprotokoll wird als effektives Instrument gesehen, um ein ausgeglichenes und harmonisches Wachstum und erhöhte Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Mercosur147 sowie eine gleichmäßige Verteilung des Nutzens des Integrationsprozesses zu erreichen148. Vor allem für die Gewährleistung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, aber auch zur Konsolidierung der Zollunion werden angemessene Wettbewerbsverhältnisse als notwendig erachtet149. Das Wettbewerbsschutzprotokoll erstreckt sich damit neben Waren ausdrücklich auch auf Dienstleistungen150, was vom Dienstleistungsprotokoll bekräftigt wird151. Ebenso wie in Argentinien152 ist als Schutzzweck neben dem Wett144 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 124. Das Protokoll ist damit jedoch nicht wertlos. Wie mehrere Schiedsurteile bekräftigt haben (vgl. Fn. 460, 1. Teil), verpflichtet das Mercosur-Recht die Mitgliedstaaten, tätig zu werden und die gemeinsamen Vorschriften in nationales Recht umzusetzen. Wenn dies in allen Mitgliedstaaten geschehen ist, tritt das Wettbewerbsschutzprotokoll in allen Mitgliedstaaten gemäß dem Prinzip der simultanen Geltung gleichzeitig in Kraft und ist fortan in allen Mitgliedstaaten (unmittelbar) geltendes Recht. Das Prinzip der simultanen Geltung verhindert eine uneinheitliche Geltung von Mercosur-Recht. Es entbindet die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung, die dort enthaltenen Regelungen in nationales Recht umzusetzen. Hierzu vgl. Teil 1, IV. 2. a), insbesondere S. 111 ff. und Teil 1, IV. 3. 145 Anhang der Ratsentscheidung 26/03 (Aktionsplan 2004–2006), Punkt. 1. 4 Unterpunkt 2 i. V. m. Ratsentscheidung 51/04 (Fristverlängerung) Art. 1, S. 3 und Ratsentscheidung 11/05 (Fristverlängerung), Art. 1, S. 3. 146 Abs. 3 Präambel der Ratsentscheidung 18/96. Anderer Ansicht M. C. Andrade, The Fortaleza Protocol and Mercosur Competition Law, Global Competition 2001, S. 41. 147 Abs. 3 Präambel des Wettbewerbsschutzprotokolls. 148 Abs. 4 Präambel des Wettbewerbsschutzprotokolls. 149 Abs. 2 Präambel der Ratsentscheidung 18/96 und Abs. 1, Präambel des Wettbewerbsschutzprotokolls. 150 Vgl. neben der Präambel auch Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 151 Vgl. Art. 12 des Dienstleistungsprotokolls. Zum Dienstleistungprotokoll auch R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 336 ff.; R. A. PorrataDoria, MERCOSUR, S. 108 ff., Teil 2, III. 1. 152 Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 von 1999.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

361

bewerb auch der freie Marktzugang, also der potentielle Wettbewerb genannt153. Damit unterscheiden sich die Ziele nicht von denen, die in der Literatur als Zweck des Wettbewerbsrechts anerkannt sind und oben beschrieben wurden. Gegenstand und Systematik Die 37 Artikel des Wettbewerbsschutzprotokolls sind auf 10 Kapitel aufgeteilt: – Gegenstand und Anwendungsbereich (Art. 1–3), – Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen (Art. 4–6), – Kontrolle von Handlungen und Verträgen (Art. 7), – Durchführungsorgane (Art. 8–9), – Verfahren (Art. 10–21), – Beendigungsverpflichtung (Art. 22–26), – Sanktionen (Art. 27–29), – Zusammenarbeit (Art. 30), – Streitbeilegung (Art. 31), – Schluss- und Übergangsbestimmungen (Art. 32–37). In Art. 1 und 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls sind der persönliche und örtliche Anwendungsbereich geregelt, für den die Vorschriften des Wettbewerbsschutzprotokolls gelten. Art. 4 enthält einen Einheitstatbestand, der sowohl wettbewerbsbeschränkende Handlungen als auch das missbräuchliche Ausnutzen einer beherrschenden Marktstellung umfasst154. Im Gegensatz zum EU-Recht erstreckt sich das Beschränkungsverbot nicht nur auf abgestimmte Verhaltensweisen, sondern gilt auch für individuelle Handlungen. Art. 6 enthält einen Beispielkatalog für verbotene Verhaltensweisen. Dieser entspricht weitgehend dem Art. 2 des argentinischen und Art. 21 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes und ist den Beispielen in Art. 81 und 82 EGV ähnlich. Bisher gibt es keine wie im europäischen Wettbewerbsrecht bekannte präventive Fusionskontrolle155, und auch eine umfassende Regelung zum Umgang mit staatlichen Beihilfen steht noch aus156. Art. 7 153

Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls. Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls entspricht insoweit dem Art. 20 des aktuellen brasilianischen Wettbewerbsgesetzes und Art. 1 des aktuellen argentinischen Wettbewerbsgesetzes. 155 Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1989, Nr. L 395/1, mit Wirkung zum 1. Mai 2004 aufgehoben und 154

362

3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

und 32 des Wettbewerbsschutzprotokolls sehen den Erlass entsprechender Vorschriften für die Zukunft vor157. Dass gerade diese Bereiche zunächst nicht geregelt wurden, ist nicht verwunderlich. Die Wettbewerbsgesetze der großen Mitgliedstaaten Argentiniens und Brasiliens handhaben diese Materie unterschiedlich158. Ergänzt wird das Wettbewerbsschutzprotokoll durch die Ratsentscheidung 2/97, in deren Anhang eventuelle Sanktionen spezifiziert werden. 1. Anwendungsbereich Die Bestimmungen des Wettbewerbsschutzprotokolls sind gemäß seines Art. 2 auf Akte anwendbar, die von natürlichen und juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts oder anderen Stellen ausgehen und sich auf den Wettbewerb innerhalb des Mercosur auswirken oder dies bezwecken und den Handel zwischen den Vertragsstaaten beeinträchtigen159. a) Normadressaten Der persönliche Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls erstreckt sich also auf Handlungen natürlicher und juristischer Personen des öffentlichen und privaten Rechts und alle anderen Stellen (entidades), soweit sie sich auf den Wettbewerb im Mercosur auswirken160.

ersetzt durch Verordnung des Rates Nr. 139/2004 v. 20. Januar 2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1. 156 Es wurden vereinzelte Vorschriften über Beihilfen erlassen. Ausführlich hierzu Teil 3, III. 3. 157 Das Wettbewerbsschutzprotokoll nennt hierzu eine Frist von zwei Jahren (Art. 7 und 32). Unklar ist, wann die Zweijahresfrist Frist beginnt. Während Art. 7 hierzu keine Angaben macht, nennt Art. 32 als Referenzzeitpunkt das Inkrafttreten des Protokolls. 158 Hierauf verweist J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 199 in Fn. 1185. Mit der Entscheidung des Rates 31/00 (Entscheidungsvorschlag für eine gemeinsame Regelung von Export- und Produktionsförderung) hat der Rat seine Absicht bekräftigt, eine gemeinsame Beihilferegelung auszuarbeiten. Die effiziente Allokation von Ressourcen soll nicht durch staatliche Subventionen beeinträchtigt werden, vgl. Ratsentscheidung 31/00, Art. 1 Abs. 2. Die ursprünglich bis zum 31.03.2001 vorgesehene Frist wurde durch Ratsentscheidung 16/01 zunächst bis zum 31.03.03 und durch Ratsentscheidung 26/03 bis zum Jahr 2006 verlängert. 159 Art. 2 Abs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 160 Vgl. Art. 2 Abs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Anders als noch in den Leitlinien der Entscheidung 21/94 vorgesehen und anders als im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union161 wurde auf den Begriff des Unternehmens verzichtet. Entscheidend ist, dass sich die Handlungen auf den „Wettbewerb innerhalb des Mercosur auswirken“, sich die Person also am Wirtschaftsverkehr beteiligt. Dass in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls nur wirtschaftliche Betätigungen fallen, ergibt sich zudem aus Art. 5 des Wettbewerbsschutzprotokolls, der den Begriff des Wirtschaftsteilnehmers (agente económico) verwendet, sowie aus dem Tatbestand des Beschränkungsverbots in Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls, wonach die Auswirkungen marktbezogen sein müssen162. Die Wettbewerbsregeln gelten demnach nicht nur für Unternehmen, sondern können auf sämtliche Akteure des wirtschaftlichen Lebens, unabhängig von der Rechtsform, angewendet werden163. Durch die Gleichbehandlung öffentlicher und privater Personen wird insbesondere auch unternehmerisches Handeln des Staates erfasst164. Keine Beteiligung am Wirtschaftsverkehr und demnach von der Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls ausgenommen stellt der private Verbrauch, die Tätigkeit des Arbeitnehmers und hoheitliches Handeln dar165. Für die Nichtanwendung der Vorschrift auf rein hoheitliches Handeln spricht auch die ausdrückliche Anwendung der Vorschriften auf staatliche Monopole unter dem Vorbehalt, dass die Erfüllung gesetzlicher Vorgaben gewährleistet ist166. Diese Interpretation wird von der nationalen Praxis in Argentinien und Brasilien bestätigt. In ähnlich gelagerten Fällen entschieden die jeweiligen 161

Vgl. Art. 81 EGV. Vgl. Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls: „(. . .) auf dem jeweiligen Markt (. . .)“. 163 W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 103. 164 Einer State-Action-Doktrin, wonach staatliches Handeln grundsätzlich von der Anwendung des Wettbewerbsrechts ausgeschlossen ist, wurde damit eine Absage erteilt, so auch J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 200. Hierfür spricht auch, dass es eine Ausnahme zugunsten anderer Vorschriften, wie sie in Art. 5 des zur Zeit der Verabschiedung des Wettbewerbsschutzprotokolls gültigen argentinischen Wettbewerbsschutzgesetzes Nr. 22.262 zu finden war, nicht gibt. 165 Hoheitliches Handeln ist die Ausübung staatlicher Gewalt durch Rechtsetzung, Rechtsprechung und Verwaltungsakte. Auch in der Europäischen Union ist hoheitliches Handeln von den Wettbewerbsvorschriften ausgenommen, vgl. P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Das Recht der Europäischen Union: Kommentar, Bd. II, Loseblatts., Stand 2006, S. 10 f. Rn. 60. 166 Vgl. Art. 2 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls. So auch J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 201 in Fn. 1194. 162

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

nationalen Wettbewerbsbehörden CNDC und CADE, dass die nationalen Wettbewerbslegislaturen auf natürliche und juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts anzuwenden seien, wenn sie als wirtschaftliche Akteure am Markt operieren167, wobei es nicht auf die Absicht ankomme, Gewinn zu erzielen168. Wirtschaftlich tätig ist jeder, der an der Herstellung, dem Austausch oder der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen beteiligt ist169. Die Ausübung verfassungsrechtlicher oder gesetzlicher Befugnisse fällt nicht in den Anwendungsbereich der nationalen Wettbewerbsgesetze170. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass jedes „rein hoheitliche“ Handeln von der Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls ausgeschlossen ist. Das Erteilen von Konzessionen durch den Staat, welches die Bildung gesetzlicher Monopole in Privatrechtsform bewirkt, stellt mittelbar eine Beteiligung am Wirtschaftsverkehr dar171. Des Weiteren können auch hoheitliche Maßnahmen wie beispielsweise die Vergabe von Beihilfen den Wettbewerb verzerren172, zumal hoheitliches Handeln auch unternehmerisch sein kann173. 167 Die CNDC hatte klargestellt, dass die Vorschriften des argentinischen Wettbewerbsgesetzes nur auf Aktivitäten wirtschaftlicher Natur anwendbar seien, vgl. CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV.; CNDC v. 02.04.1998, Expte. 064-003052/97 (Asociación Empresas de Remis de Aeroparque/Aeropuerto Jorge Newbery), 3.14; CADE v. 11.12.1996, P. A. 22/92 (Sindicato dos Trabalhadores no Comércio de Minérios e Derivados de Petróleo do Estado de Pernambuco et al.). 168 CNDC v. 07.10.1997, Expte. 034-002270/96 (Sanatorio Pasteur/Colegio Médico de Catamarca), V.3.3; CNDC v. 02.04.1998, Expte. 064-003052/97 (Asociación Empresas de Remis de Aeroparque/Aeropuerto Jorge Newbery), 3.14. So auch ausdrücklich Art. 3 des neuen argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 von 1999. 169 Erstmals CNDC v. 22.09.1982 (Staff Médico/Federación Médica de la Provincia de Buenos Aires), S. 12; ähnlich: CADE v. 11.12.1996, P. A. 22/92 (Sindicato dos Trabalhadores no Comércio de Minérios e Derivados de Petróleo do Estado de Pernambuco et al.). 170 CNDC v. 02.04.1998, Expte. 064-003052/97 (Asociación Empresas de Remis de Aeroparque/Aeropuerto Jorge Newbery), 3.14; CNDC v. 04.03.1998, Expte. 064-000025/98 (Aeropuerto Ministro Pistarini). Der CADE führt aus, er könne nicht über Akte staatlicher Einrichtungen oder Ausübung verfassungsrechtlicher oder gesetzlicher Befugnisse entscheiden. Er behält sich aber vor, Empfehlung über Hoheitsakte abzugeben, vgl. CADE v. 11.12.1996, P. A. 22/92 (Sindicato dos Trabalhadores no Comércio de Minérios e Derivados de Petróleo do Estado de Pernambuco et al.). 171 F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 116 f. Rn. 3, ordnet staatliche Monopole den Wettbewerbsbeschränkungen durch hoheitliche Anordnung zu. Ausführlich zu staatlichen Monopolen weiter unten, Teil 3, III. a), dd). 172 Zu staatlichen Beihilfen weiter unten, Teil 3, III. 3.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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aa) Natürliche Personen Art. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls enthält hinsichtlich der natürlichen Personen keinerlei Einschränkungen, so dass der Begriff weit auszulegen ist174. In den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls dürften demnach alle auf den Märkten tätigen Einzelakteure fallen: Einzelhändler, Handelsvertreter, Handwerker, Kommissionäre, Landwirte, aber auch Freiberufler. Voraussetzung für die Anwendung der Vorschriften auf Freiberufler ist, dass diese eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, insbesondere am Angebot oder der Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen beteiligt sind175. bb) Juristische Personen Neben den natürlichen Personen ist das Wettbewerbsschutzprotokoll gemäß seines Art. 2 auch auf juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts anwendbar. Hinsichtlich der Rechtsform werden keinerlei Einschränkungen gemacht. In Abgrenzung zu den natürlichen Personen fallen darunter alle Formen rechtsfähiger Gesellschaften des privaten Rechts 173

V. Emmerich, H. 1 § 1, in: M. A. Dauses, (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatts., Stand 2006, Rn. 9. Kritisch zum unternehmerischen Handeln des Staates auch: K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 5 ff., 71 ff., 253 ff., 261 ff., 281 ff., 322 ff., 438 ff.; ders. Eigentümer globaler Unternehmen, in: B. N. Kumar/M. Osterloh/G. Schreyögg (Hrsg.), Unternehmensethik und die Transformation des Wettbewerbs – Festschrift für Horst Steinmann, 1999, S. 420 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung – Exemplifiziert am Beispiel des staatlichen und kommunalen Vermessungswesens in Bayern, 2005, S. 34 ff., 200 ff. insb. S. 206, 209, 212 f., 224 f., 231 f., 233 f., 237, S. 300 ff., 309 ff. (vgl. Fn. 236, 3. Teil). Die Schwierigkeit, zwischen wirtschaftlicher und hoheitlicher Tätigkeit zu unterscheiden, stellt Generalanwalt Lenz heraus, vgl. EuGH v. 15.10.1996, Rs. C-298/94 (Henke/Gemeinde Schierke), Slg. 1996 I, Schlussanträge Rn. 29. 174 So T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 59, im Hinblick auf den ähnlich lautenden Art. 3 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes von 1999. 175 So die Praxis der nationalen Wettbewerbsbehörden Argentiniens und Brasiliens, vgl. CNDC v. 04.04.1992, Expte. 100.203/90 (CNDC/Círculo Médico Alto Paraná), VII. Im Fall Staff Médico stellt die CNDC fest, dass das argentinische Wettbewerbsgesetz auch auf Vereinbarungen zwischen Ärzten Anwendung findet, weil jede Art des Austauschs von Waren oder Dienstleistungen unter diese Vorschrift fällt, vgl. CNDC vom 22.09.1982 (Staff Médico S.A./Federación Médica de la Provincia de Buenos Aires), VII. Ähnlich hat auch die brasilianische Wettbewerbsbehörde CADE entschieden, dass die in Frage kommende Person als Hersteller oder Händler von Gütern oder Dienstleistungen handeln muss, vgl. CADE v. 11.12.1996, P. A. 22/92 (Sindicato dos Trabalhadores no Comércio de Minérios e Derivados de Petróleo do Estado de Pernambuco et al.).

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

sowie sämtliche Formen öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten. Auf die Absicht, Gewinn zu erzielen, kommt es nicht an176, sodass auch gemeinnützige oder der sozialen Sicherheit dienende Unternehmen erfasst werden. Entsprechend umfasst der Anwendungsbereich neben Kapitalgesellschaften und Genossenschaften auch staatliche Unternehmen der Daseinsvorsorge, öffentlich-rechtliche Banken, Rundfunkanstalten, Krankenkassen und andere Unternehmen, die der sozialen Sicherung dienen, aber auch Schulen, Universitäten und sogar den Staat selbst mit seinen Gebietskörperschaften. Voraussetzung ist, dass sie wirtschaftlich am Markt tätig werden177. In den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls dürften insbesondere auch die mit öffentlichen Sonderrechten ausgestatteten Berufsorganisationen fallen, wenn diese sich über die gesetzlichen Aufgaben hinaus wirtschaftlich betätigen178. Die CNDC wendet das argentinische Wettbewerbsgesetz daher auf Apothekenkammern179, Ärztekammern180, Notarskammern181, Standesvertretungen von Akademikern182 sowie Rechtsanwaltskammern183 an. Zu den juristischen Personen zählen aber in der argentinischen und brasilianischen Praxis auch Unternehmens176

Vgl. Anmerkungen in Fn. 168 (3. Teil). Vgl. bereits Teil 3, III. 1. a). 178 So die Praxis des CNDC, die nicht auf die von der Standesorganisation verfolgten Ziele abstellt, sondern auf deren konkrete Tätigkeit. Wenn diese mit dem Angebot oder der Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen zusammenhängt, unterliegt sie den Vorschriften des Wettbewerbsgesetzes, vgl. CNDC v. 04.04.1992, Expte. 100.203/90 (CNDC/Círculo Médico Alto Paraná), VII; CNDC v. 07.10.1997, Expte. 034-002270/96 (Sanatorio Pasteur/Colegio Médico de Catamarca), V.3.2. Diese Praxis wurde auch durch die Rechtsprechung in Argentinien bestätigt. Das Berufungsgericht in Wirtschaftsachen in Buenos Aires stellte klar: Berufsvereinigungen fallen in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsgesetzes, wenn sie über ihre gesetzlichen Aufgaben hinaus am Markt tätig werden. Das Berufungsgericht von San Fernando del Valle de Catamarca führte aus, dass die verfassungsmäßige Garantie der Berufsorganisationen der Anwendung des Wettbewerbsgesetzes nicht entgegensteht. Vgl. T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 62, Fn. 146–149. 179 CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal); CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires). 180 CNDC v. 04.04.1992, Expte. 100.203/90 (CNDC/Círculo Médico Alto Paraná). Bestätigt durch Rechtsprechung: Urteil des Berufungsgerichts von Posadas und Urteil des Berufungsgerichts San Fernando del Valle de Catamarca, beide zitiert in: T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 62 in Fn. 146. 181 CNDC v. 05.01.1996, Expte. 604.385/94 (Directorio Nacional de Desregulación Económica/Colegio de Escribanos de la Capital Federal). 182 CNDC v. 14.10.1982 (Consejo Profesional de Ciencias Económicas de la Capital Federal). 183 CNDC v. 03.09.1998, Expte. 034-001681/95 (Cámara Argentina de Empresas de Servicios Jurídicos Prepagos/Colegio de Abogados de San Nicolas). 177

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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verbände und Innungen184, Gewerkschaften185, Genossenschaften186 und staatliche Unternehmen187. cc) Andere Stellen Neben den natürlichen und den juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts findet das Wettbewerbsschutzprotokoll auch Anwendung auf „andere Stellen“. Diese Formulierung hat weder im argentinischen noch im brasilianischen oder europäischen Wettbewerbsrecht ein Vorbild. Sie soll offenbar den weiten Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls bekräftigen. Unter die Formulierung „andere Stellen“ könnten daher Scheingesellschaften und faktische Gesellschaften fallen. Hierfür spricht, dass das brasilianische Wettbewerbsgesetz ausdrücklich auch auf de facto und de jure konstituierte Gesellschaften Anwendung findet188. Möglicherweise wollten die Verfasser aber auch sicher stellen, dass Rechtsformen, die nicht eindeutig einer natürlichen oder juristischen Person zugeordnet werden können, wie teilrechtsfähige Gebilde (z. B. Personenhandelsgesellschaften) oder Mischformen zwischen privaten und öffentlichen Unternehmen wie etwa private Unternehmen mit öffentlichem Auftrag in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls fallen189. Mit dem Begriff „andere Stellen“ könnten aber vor allem auch solche Kör184 Vgl. etwa CNDC v. 30.06.1983, Expte. 18.253/82 (Cámara de Industriales Panaderos Catamarca); CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos); I. und III.; CADE v. 14.02.1996, P. A. 61/92 (Associação Médica Brasileira – AMB), DOU 28.02.1996, Seção I, S. 2850 ff.; CNDC v. 07.10.1997, Expte. 034-002270/96 (Sanatorio Pasteur/Colegio Médico de Catamarca), V.3.2; CADE v. 07.05.1987 (Associação Brasileira dos Distribuidores Ford e Ford Brasil S.A.), DOU 11.05.1987, Seção I, S. 6953 ff. 185 CADE v. 06.06.1994, P. A. 121/92 (SIEEESP-FIEP), DOU 08.06.1994, Seção I, S. 8200 ff. 186 CNDC v. 10.05.1982, Expte. 104.084/81 (Cooperativa Popular de Electricidad Santa Rosa); CADE v. 07.05.1987 P. A. 65 (Central de Cooperativas de Productos Rurais do Rio Grande do Sul et. al.), DOU 11.05.1987, Seção I, S. 6951 ff. 187 CADE v. 08.10.1987 (Petrobrás Química et. al.), DOU 14.08.1989, Seção I, S. 13.764 ff.; CNDC v. 20.05.1986, Expte. 107.435/84 (Indfflstria Argentina de Aceros/Fabricaciones Militares). 188 Vgl. Art. 15 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884/94, der fast wörtlich identisch ist mit Art. 2 Abs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls, worauf auch D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 57 und T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 60 verweisen. 189 Hierfür spricht, dass im Fall „Executive Class“ die CNDC klargestellt hat, dass das argentinische Wettbewerbsgesetz auch auf gemischte Rechtsformen anzuwenden sei, ohne jedoch zu spezifizieren, welche Formen damit gemeint sind, vgl. CNDC v. 16.02.1998 (Executive Class/Fuerza Aérea Argentina), S. 16 und 21.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

perschaften gemeint sein, die weder eine natürliche noch juristische Rechtspersönlichkeit besitzen, sich aber dennoch am Wirtschaftsverkehr beteiligen, wie rechtlich nicht verselbstständigte Stellen der öffentlichen Verwaltung190. Der persönliche Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls scheint weiter gefasst zu sein als im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union, das lediglich Unternehmen und Unternehmensvereinigungen als Normadressaten bestimmt191. Zudem wurden auf Bereichsausnahmen, wie sie das EG-Wettbewerbsrecht kennt192, verzichtet193. Um eine effektive Anwendung der Wettbewerbsvorschriften zu ermöglichen, wird der Begriff des Unternehmers in der Europäischen Union weit ausgelegt. Der Europäische Gerichtshof und die herrschende Meinung verstehen unter Unternehmen jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform, der Art der Finanzierung und von der Absicht, Gewinn zu erzielen194. Unerheblich ist, ob eine eigene Rechtspersönlichkeit be190

Sogenannte Sondervermögen oder Regiebetriebe. Diese können nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs dennoch als öffentliche Unternehmen qualifiziert werden, vgl. EuGH v. 27.10.1993, Rs. C-92/91 (Taillandier), Slg. 1993 I, 5383, Rn. 14. 191 Art. 81 EGV; Art. 82 EGV. 192 Nach Art. 36 EGV finden die Wettbewerbsregeln auf landwirtschaftliche Erzeugnisse nur Anwendung, soweit der Rat dies bestimmt. 193 Allerdings gibt es nach wie vor Bereiche, die grundsätzlich vom Vertrag von Asunción ausgenommen sind: Zucker und Kraftfahrzeuge (vgl. oben, Fn. 80 (Einführung) und Teil 2, I. 2. b). Das Wettbewerbsschutzprotokoll ist gemäß seinem Art. 33 Teil des Vertrags von Asunción. Somit gelten diese Ausnahmen auch für das Wettbewerbsschutzprotokoll, so auch W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 104. 194 EuGH v. 12.07.1984, Rs. 170/83 (Hydrotherm Gerätebau GmbH/Compact), Slg. 1984, 2999, 3016; EuGH v. 23.04.1991, Rs. C-41/90 (Höfner u. Elser/Macrotron GmbH), Slg. 1991 I, 1979, Rn. 21; EuGH v. 17.02.1993, Rs. C-159/91 u. C-160/91 (Poucet u. Pistre/französische Versicherer), Slg. 1993 I, 637, 669 Rn. 17; EuGH v. 14.07.1994, Rs. T-66/92 (Herlitz/Kommission), Slg. 1994 II, 531, 543 Rn. 32; EuGH v. 22.01.2002, Rs. C-218/00 (Cisal di Battistello/INAIL), Slg. 2002 I, 691, Rn. 22. Für die Unerheblichkeit der Absicht, Gewinne zu erzielen, besonders klar: EuGH v. 29.10.1980, Rs. 209 bis 215 und 218-78 (van Landewyk u. a./Kommission), Slg. 1980, 3125, 3250, Rn. 88. In der Literatur ist die Rede vom so genannten tätigkeitsbezogenen oder funktionalen Unternehmensbegriff, mit weiteren Nachweisen vgl. H. Schröter, Vorbemerkung zu Art. 81–85, in: Groeben/Schwarze, Rn. 22 f.; H.-J. Bunte, Art. 81 EG – Generelle Prinzipien, in: Langen/ders., Rn. 5; C. Koenig/J. Kühling, Art. 86 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 6; R. Geiger, EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2004, S. 402 Rn. 6. Der Europäische Gerichtshof hat den Begriff übernommen, vgl. EuGH v. 19.01.1994, Rs. C-364/92 (SAT/Eurocontrol), Slg. 1994 I, 43, 60 ff.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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steht195. Unternehmen im Sinne der europäischen Wettbewerbsregeln sind neben den gewerblichen Betrieben auch die Angehörigen der freien Berufe, Landwirte, Künstler, selbständige Erfinder, Sportler, Handelsvertreter, Genossenschaften, Marktforschungs- und Buchprüfungsgesellschaften, urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften oder Zollspediteure196. Die Deckung des eigenen Bedarfs begründet ebenso wie die Tätigkeit des Arbeitnehmers keine Unternehmenseigenschaft197. Auch öffentliche Unternehmen198 und sogar der Staat selbst199 werden nach der Rechtsprechung in der Europäischen Union unter dem Unternehmerbegriff subsumiert. Lediglich rein hoheitliches Handeln wird nicht erfasst200. Hoheitliches Handeln ist auch die Erhebung von Abgaben oder Pflichtbeiträgen zur Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit201 oder die Übernahme öffentlicher 195 P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 53; G. Grill, Vorbemerkung zu Art. 81–86, in: Lenz/Borchardt, Rn. 35. Anders aber: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 385 f., der für den Regelfall davon ausgeht, dass Rechtssubjektivität vorliegen muss. Zur Diskussion: E.-J. Mestmäcker, Art. 37, 90, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht: Kommentar, 1997, Rn. 2. 196 H. Schröter, Vorbemerkung zu Art. 81–85 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 26. Für die freien Berufe siehe beispielsweise EuGH v. 18.06.1998, Rs. (Kommission/ Italien), Slg. 1998 I, 3851, 3876 Rn. 38. Für Künstler siehe: KomE v. 26.05.1978, ABl. 1978, Nr. L 157/39, 40 (RAI/Unitel). Für Sportler maßgeblich: EuGH v. 12.12.1974, Rs. 36-74 (Walrave u. Koch/Association Union Cycliste Internationale u. a.), Slg. 1974, 1405, 1418. Für urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften: EuGH v. 27.03.1974, Rs. 127/73 (Belgisches Radio/SV Sabam u. a.), Slg. 1974, 313. Für Landwirte: EuGH v. 12.12.1995, Rs. C-319/93, C-40/94 u. C-224/94 (Dijkstra/Frisco Domo u. a.), Slg. 1995 I, 4471. Für Erfinder, die ihre Erfindung geschäftlich verwerten: KomE v. 26.07.1976 (Reuter/BASF), ABl. 1976, Nr. L 254/40, 45. 197 H-.J. Bunte, Art. 81 – Generelle Prinzipien, in: Langen/ders., Rn. 7; P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 60 f. 198 EuGH v. 23.04.1991, Rs. C-41/90 (Höfner u. Elser/Macrotron GmbH), 1979, Rn. 21; EuGH v. 27.04.1994, Rs. C-393/92 (Almelo u. a./NV Energiebedrijf), Slg. 1994 I, 1477, 1518. 199 EuGH v. 12.07.1973, Rs. 2/73 (Geddo/Ente Nazionale Risi), Slg. 1973, 865, Rn. 21; EuGH v. 27.10.1993, Rs. C-92/91 (Taillandier), Slg. 1993 I, 5383: Das Unternehmen war ohne eigene Rechtspersönlichkeit zu besitzen, in die staatliche Verwaltung eingebunden; EuGH v. 18.03.1997, Rs. C-343/95 (Cali u. Figli/SEPG), Slg. 1997 I, 1547, 1587 Rn. 16 f.: Nachfrage nach Gütern; EuGH v. 11.12.1997 (Job Centre), Slg. 1997 I, 7119: Arbeitsvermittlung durch staatliche Stelle. Vgl. auch: P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 68. 200 H. Schröter, Vorbemerkung zu Art. 81–85 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 34–36. An dieser Stelle sei angemerkt, dass staatliches Handeln hoheitliches Handeln ist. Zur Kritik an der Unterscheidung zwischen hoheitlichem und unternehmerischem Handeln vgl. Hinweise in Fn. 173 und 236 (3. Teil). 201 EuGH v. 17.02.1993, Rs. C-159/91 u. C-160/91 (Poucet u. Pistre/französische Versicherer), Slg. 1993 I, 637, Rn. 18, 19; ähnlich: EuGH v. 22.01.2002, Rs. C-218/00 (Cisal di Battistello/INAIL), Slg. 2002 I, 691, 692 f. Rn. 43–46.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Aufgaben durch private Unternehmen202. Ebenfalls keine Unternehmen im Sinne des EG-Wettbewerbsrechts sind öffentlich-rechtliche Krankenversicherungsträger und deren Verbände, wenn sie erstattungsfähige Höchstbeträge für Medikamente festsetzen, wie ihnen dies in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben ist203. Durch die weite Auslegung des Unternehmerbegriffs im EG-Kartellrecht stimmt der persönliche Anwendungsbereich mit dem des Art. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls weitgehend überein. Die ausdrückliche Nennung auch juristischer Personen des öffentlichen Rechts im Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls anstelle der Verwendung des auslegbaren Begriffs des Unternehmers stellt klar, dass auch staatliches Handeln erfasst werden soll, soweit es nicht als rein hoheitliches Handeln einzustufen ist. Insbesondere sollen die Vorschriften auch auf öffentliche Unternehmen Anwendung finden204. Man wollte offenbar sicherstellen, dass der Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls ebenso umfassend ist wie 202 EuGH v. 04.05.1988, Rs. 30/87 (Bodson/Pompes funèbres des régions libérées), Slg. 1988, 2507, 2479, Rn. 18. Gesetzliche Regelungen, die Unternehmen in Ausübung staatlicher besonderer Rechte Verhaltensweisen vorschreiben oder erleichtern, die gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen, fallen allerdings nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sehr wohl in den Anwendungsbereich des EG-Wettbewerbsrechts, vgl. EuGH v. 21.09.1988, Rs. 267/86 (van Eycke/Aspa), Slg. 1988, 4769, 4791 f.; EuGH v. 09.06.1994, Rs. C-153/93 (Deutschland/Delta), Slg. 1994 I, 2517, 2530. 203 Der Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit müsse von demjenigen der Erfüllung einer „rein sozialen Aufgabe“ abgegrenzt werden, vgl. EuGH v. 16.03.2004, Rs. C-264/01, C-306/01, C-354 u. 355/01 (AOK-Bundesverband u. a./Ichthyol u. a.), Slg. 2004 I, 2493, Rn. 46–51. Die gesetzlichen Krankenkassen kämen bei der Festsetzung der Festbeträge lediglich einer Pflicht im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit nach, die ihnen das Gesetz auferlegt, ohne dass sie ein eigenes Interesse daran verfolgten. Zwar wurden in das System der gesetzlichen Krankenkassen wirtschaftliche Elemente eingebracht, um im Interesse des ordnungsgemäßen Funktionierens des deutschen Systems der sozialen Sicherheit die Krankenkassen zu veranlassen, wirtschaftlich und damit kostengünstig zu arbeiten. Dies zwinge jedoch nicht zu einer anderen Betrachtung. Die Natur der Tätigkeit bleibe nicht wirtschaftlicher Art. Damit bewegt sich der Europäische Gerichtshof auf der Argumentationsbasis, die er erstmals im Fall „Poucet und Pistre“ (vgl. Fn. 201, 3. Teil) herausgearbeitet hat. Hierzu D. Riedel, Krankenkassen keine Unternehmen i. S. des Wettbewerbsrechts – Arzneimittelfestbeträge zulässig, EuZW 2004, S. 245. 204 In Argentinien war nach dem alten Wettbewerbsgesetz von 1980 (Nr. 22.262) umstritten, ob auch Verhaltensweisen juristischer Personen des öffentlichen Rechts in den Anwendungsbereich des Gesetzes fielen, da dieses keine Normadressaten nannte, sondern lediglich wettbewerbsbeschränkende oder missbräuchliche „Handlungen“ und „Verhaltensweisen“ verbot. Zu dieser Diskussion: G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia (1983), S. 151 ff. Art. 3 des neuen argentinischen Wettbewerbsgesetzes lässt indes keinen Zweifel,

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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derjenige des EG-Wettbewerbsrechts durch die weite Auslegung des Unternehmerbegriffs205. Hierfür spricht, dass sich die Auslegung der nationalen Wettbewerbsvorschriften durch die Wettbewerbsbehörden in Argentinien und Brasilien an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs orientieren. Es wurde vorsichtshalber auf den interpretierfähigen Begriff des Unternehmers verzichtet. Die Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls auf private und öffentliche Personen kommt im Gegensatz zu der Formulierung des Art. 81 EGV deutlich zum Ausdruck. Dass die Wettbewerbsvorschriften auch auf öffentliche Unternehmen anzuwenden sind, ist von entscheidender praktischer Relevanz. Andernfalls könnten sich die Mitgliedstaaten über den Umweg staatlicher Firmen den Wettbewerbsregeln entziehen und auf diese Weise Wirtschaftspolitik betreiben206. dd) Staatliche Monopole Gemäß Art. 2 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls gelten die Vorschriften des Protokolls grundsätzlich auch für Unternehmen, die ein staatliches Monopol ausüben, soweit nicht die Erfüllung gesetzlicher Aufgaben beeinträchtigt wird. Warum hier im Unterschied zum Abs. 1 der Vorschrift der Begriff des Unternehmens verwendet wird, lässt sich nur erahnen. Seitens der Mercosur-Organe und auch des Schiedsgerichts gibt es bisher keine Definition des Unternehmensbegriffs. Offenbar sollte der Anwendungsbereich dieser Ausnahmevorschrift im Gegensatz zu dem umfangreichen allgemeinen Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls eingeschränkt werden. Der Begriff des Unternehmens ist daher im Unterschied zur Unternehmensdefinition im EG-Wettbewerbsrecht eng auszulegen. Gemeint sind möglicher Weise Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit. In jedem Fall muss es sich um Unternehmen mit dominierender Position auf dem jeweiligen Markt handeln, da nur Unternehmen in Monopolstellung ausgenommen werden207. Ob es sich dabei um Unternehmen des öffentdass öffentliche Unternehmen in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, vgl. ders., Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 204 ff. 205 Die Orientierung an der Europäischen Union ist kein Geheimnis. Die Mercosur-Schiedsgerichte verweisen regelmäßig auf EG-Recht, vgl. Fn. 995 (1. Teil). 206 Vgl. E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Jurídico, S. 169; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 273. 207 Im Gegensatz zu dem ähnlich formulierten Art. 86 Abs. 2 EGV, der neben den Finanzmonopolen auch Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut werden, zugunsten der Erfüllung einer übertragenen besonderen Aufgabe von den Vorschriften des EG-Wettbewerbsrechts ausnimmt. Bei letzteren muss es sich nicht zwangsläufig um ein Monopol handeln.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

lichen oder des privaten Rechts handelt, ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen. Ein staatliches Monopol können grundsätzlich neben den staatlichen Unternehmen auch solche in Zivilrechtform ausüben, denen mittels Übertragung öffentlicher Ausschließlichkeitsrechte eine Monopolstellung zugestanden wird208. Diese Unternehmen fallen dann nicht unter die Vorschriften des Wettbewerbsschutzprotokolls, wenn dadurch die ordnungsgemäße Erfüllung gesetzlicher Aufgaben beeinträchtigt wird. Mit der Einbringung einer Ausnahmeregelung zugunsten der ordnungsgemäßen Erfüllung gesetzlicher Aufgaben ist man dem Modell des europäischen Wettbewerbsrechts gefolgt209. Gemäß Art. 86 Abs. 1 EGV gelten die Wettbewerbsvorschriften grundsätzlich auch für öffentliche Unternehmen und solche, denen besondere ausschließliche Rechte gewährt wurden. Auf Unternehmen, die mit einer Dienstleistung von „allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“210 betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols 208 So zumindest nach der Definition des gesetzlichen Monopols im EG-Wettbewerbsrecht, vgl. I. F. Hochbaum/R. Klotz, Art. 86 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 21. Die europäische Parallelvorschrift Art. 86 EGV geht vom Grundsatz der Gleichbehandlung der privaten und öffentlichen Unternehmen aus, vgl. I. Pernice/S. Wernicke, Art. 86 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 5. Auch der Begriff des staatlichen Handelsmonopols gemäß Art. 31 Abs. 1 EGV erfasst nach herrschender Meinung neben den öffentlichen Unternehmen auch staatlich privilegierte Unternehmen in Zivilrechtsform, vgl. etwa S. Leible, Art. 31 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 8 f. Hierbei handelt es sich häufig um ehemals öffentlich-rechtliche Unternehmen der Daseinsvorsorge, die nach der Privatisierung weiterhin bestimmte ausschließliche Rechte genießen, wie beispielsweise das Briefmonopol (bis 50 g) der Deutschen Post AG oder das Ortsnetzmonopol der Deutschen Telekom AG. 209 Im nationalen Recht Argentiniens und Brasiliens ist eine solche Ausnahmeregelung inexistent. Im Art. 15 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes wird sogar ausdrücklich bestimmt, dass das Gesetz auch auf Personen anwendbar ist, die ein gesetzliches Monopol ausüben. Eine Ausnahme sieht das Wettbewerbsgesetz nicht vor. 210 Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind insbesondere solche, die für die Daseinsvorsorge unverzichtbar sind, vgl. I. F. Hochbaum, Art. 86, in: H. Schröter/T. Jakob/W. Merderer (Hrsg.), Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2003, Rn. 49; T. Oppermann, Europarecht, S. 322 f. Rn. 35 f. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind dies z. B. Energieversorgungsunternehmen, vgl. EuGH v. 23.10.1997, Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997 I, 5815, 5834; EuGH v. 27.04.1994, Rs. C-393/92 (Almelo u. a./NV Energiebedrijf), Slg. 1994 I, 1477, 1520 oder öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, vgl. EuGH v. 30.04.1974, Rs. 155-73 (Sacchi), Slg. 1974, 409, 430. Die Liste der Dienstleistungen im allgemeinem wirtschaftlichem Interesse wurde vom Europäischen Gerichtshof in den letzten Jahren ausgeweitet, so dass auch Betriebsrentenfonds oder Forschung und Entwicklung landwirtschaftlicher Erzeugnisse im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegen können. Vgl. hierzu C. Koenig/J. Kühling, Art. 86 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 48. Kritisch zu dieser Entwicklung: I. Pernice/S. Wernicke, Art. 86 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 32, die davon ausgehen, dass unter Dienstleistungen von all-

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haben211, sind die Wettbewerbsvorschriften jedoch nur anwendbar, solange nicht die Erfüllung der übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert wird212. Dabei kann es sich sowohl um öffentliche als auch private Unternehmen handeln213, was die oben angestellte Interpretation stützt, dass der Begriff des staatlichen Monopols im Sinne des Art. 2 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls ebenfalls sowohl staatliche als auch private Unternehmen umfassen soll214. Der Ausdruck „verhindert“ wird eng ausgelegt215. Es genügt nicht, wenn durch die Beachtung der Vorschriften die gesetzliche Aufgabe lediglich erschwert wird. Die Wettbewerbsvorschriften sind nicht anwendbar, wenn es keinen rechtlichen oder tatsächlichen Weg gibt, die übertragene Aufgabe ohne Verletzung der Wettbewerbsvorschriften zu erfüllen216. Art. 2 Abs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls stellt im Gegensatz zum Art. 86 Abs. 2 S. 1 EGV nicht auf die Erforderlichkeit eines im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Zwecks des gesetzlichen Monopols ab, sondern erlaubt die Einschränkung des Anwendungsbereichs des Wettgemeinem wirtschaftlichem Interesse nur marktbezogene Tätigkeiten fallen, während unter den Begriff der Daseinsvorsorge auch nichtmarktbezogene Tätigkeiten subsumierbar sind. 211 Ein Finanzmonopol ist ein Unternehmen, dem zur Erzielung von Einnahmen für den Staatshaushalt ein ausschließliches Recht zugewiesen wird, vgl. I. F. Hochbaum, Art. 86, in: Schröter/Jakob/Merderer, Rn. 55–58; C. Jung, Art. 86 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 2. 212 Art. 86 Abs. 2 S. 1 EGV. 213 Vgl. EuGH v. 27.03.1974, Rs. 127/73 (Belgisches Radio/SV Sabam u. a.), Slg. 1974, 313, 318; EuGH v. 18.06.1991, Rs. C-260/89 (ERT/Pliroforisis und Kouvelas – „Griechisches Fernsehen“), Slg. 1991 I, 2925, 2961 Rn. 38. Siehe auch: I. Pernice/S. Wernicke, Art. 86 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 31, S. 26 Rn. 54; I. F. Hochbaum/R. Klotz, Art. 86 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 52. 214 Diese Meinung vertritt auch D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 170. 215 EuGH v. 27.03.1974, Rs. 127/73 (Belgisches Radio/SV Sabam u. a.), Slg. 1974, 313, Rn. 19 ff. Vgl. auch: I. F. Hochbaum/R. Klotz, Art. 86 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 53, 70; I. F. Hochbaum, Art. 86, in: Schröter/Jakob/Merderer, Rn. 59. 216 KomE v. 17.12.1982 (Navewa-Anseau), ABl. 1982, Nr. L 167, 39, 48; KomE v. 10.12.1982 (British Telecommunications), ABl. 1982, L 360/36, 41; bestätigt durch EuGH v. 20.03.1985, Rs. 41/83 (Italien/Kommission), Slg. 1985, 873, Rn. 33. Der Europäische Gerichtshof stellt auf die Erforderlichkeit der Wettbewerbsbeschränkung ab, um die Erfüllung der übertragenen besonderen Aufgabe zu gewährleisten, vgl. EuGH v. 19.05.1993, Rs. C-320/91 (Corbeau), Slg. 1993 I, 2533, 2569, Rn. 16–18; EuG, v. 19.06.1997, Rs. T-260/94 (Air Inter/Kommission), Slg. 1997 II, 997, Rn. 138. Vgl. auch: I. F. Hochbaum/R. Klotz, Art. 86 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn 71 f.; V. Emmerich, H. II, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. II, Loseblatts., Stand 2006, Rn. 159.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

bewerbsschutzprotokolls grundsätzlich zugunsten der ordnungsgemäßen Erfüllung gesetzlicher Aufgaben. Fraglich ist, ob tatsächlich jede mitgliedstaatliche gesetzliche Regelung eine Ausnahme vom Missbrauchsverbot rechtfertigen kann217. Die Ausnahmeregelung hat zur Konsequenz, dass die Mitgliedstaaten bestimmte Wirtschaftszweige durch Übertragung einer besonderen Aufgabe der Anwendung des Wettbewerbsrechts entziehen können, ohne hierfür eine Rechtfertigung zu brauchen, etwa im Namen des wirtschaftlichen Allgemeininteresses des Mercosur. Bedenklich ist auch, dass Monopole bereits von der Anwendung der gemeinsamen Wettbewerbsvorschriften freigestellt werden, wenn die Erfüllung der übertragene Aufgabe durch die Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls nur „beeinträchtigt“ wird, während im Pendant der Europäischen Union die Erfüllung „verhindert“ werden muss218. Die Formulierung in Art. 86 Abs. 2 EGV ist gerade im Hinblick auf das Ziel der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes mit unverfälschtem Wettbewerb (Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV) bzw. angemessenen Wettbewerbsbedingungen, wie es Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción vorsieht, gegenüber Art. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls vorzugswürdig. Letzterer ermöglicht es den Mercosur-Vertragsstaaten, unter Berufung auf die ordnungsgemäße Erfüllung gesetzlicher Aufgaben jedes staatliche Monopol zu rechtfertigen219. 217

Für bedenklich halten diese Vorschrift auch: D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 181. Kritisch auch: N. E. Spolansky, Derecho Penal, mercado competitivo y Mercosur, La Ley 1997-E, S. 1313. 218 Allerdings wird in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Verhinderungsmaßstab zunehmend gelockert, vgl. EuGH v. 23.10.1997, Rs. C-157/94 (Kommission/Niederlande), Slg. 1997 I, 5699, Rn. 43; EuGH v. 17.05.2001, Rs. C-340/99 (TNT Traco/Poste Italiane), Slg. 2001 I, 4109, Rn. 54. Vgl. auch: I. Pernice/S. Wernicke, Art. 86 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 54 f. Kritisch hierzu C. Koenig/J. Kühling, Art. 86 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 62–64. 219 Die Mitgliedstaaten haben sich damit eine Hintertür offen gehalten, mit der die trotz umfangreicher Privatisierung in den 1990er-Jahren nach wie vor zahlreichen staatlichen oder staatlich privilegierten Unternehmen im Mercosur von der Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls ausgenommen werden können. Die Formulierung entspricht insoweit der gesamten Vorgehensweise im Mercosur, die durch eine Scheu gekennzeichnet ist, einzelstaatliche Macht abzugeben. Dass die Privilegierung von einer sachlichen Rechtfertigung abhängig gemacht werden sollte, meint auch P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 273 f., der darauf hinweist, dass die restriktive Auslegung der Ausnahmebereiche für die Daseinsvorsorge nach Art. 86 Abs. 2 EGV und im Gegenzug die extensive Auslegung der Normgesetzgebungskompetenz der EU-Kommission nach Art. 86 Abs. 3 EGV zur Deregulierung des Energiesektors in der Europäischen Union geführt haben. Dass die Anwendung der Wettbewerbsregeln gerade auf staatliche Monopole zu einer erheblichen Deregulierung der Märkte geführt hat, auf denen Unternehmen die gesetzlich zugestandenen ausschließlichen Rechte missbrauchten, verweist auch: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 448.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Eher unbedenklich ist, dass Art. 2 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls keine dem Art. 86 Abs. 2 S. 2 EGV vergleichbare Schranke enthält. Der Handelsverkehr in der Europäischen Union darf durch die Ausnahmeregelung nicht in einem Maße beeinträchtigt werden, dass er dem Interesse der Gemeinschaft zuwider läuft. Diese Vorschrift muss im Zusammenhang mit Art. 86 Abs. 1 EGV gelesen werden, der den Mitgliedstaaten verbietet, dem Vertrag widersprechende Maßnahmen zu treffen. Der Europäische Gerichtshof hat diese Schranke weitgehend entkräftigt. Das Gemeinschaftsinteresse sei nicht schon deshalb verletzt, weil die eine oder andere Vorschrift nicht beachtet wird, selbst dann, wenn es sich hierbei um ein grundlegendes Vertragsprinzip handelt. Andernfalls würde der Ausnahmevorschrift des Art. 86 Abs. 2 EGV jede praktische Relevanz genommen220. Zudem hat der mit dem Vertrag von Amsterdam eingeführte Art. 16 EGV, der den Stellenwert der öffentlichen Dienste „innerhalb der gemeinsamen Werte der Union“ hervorhebt, das Regel-Ausnahmeverhältnis in Art. 86 Abs. 2 EGV zugunsten der dort genannten Dienste verschoben221. Inwieweit Art. 2 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls eine Kontrolle der Handlungen staatlicher Unternehmen ermöglichen wird, bleibt abzuwarten. Es gibt aber Gründe zur Annahme, dass diese Vorschrift eng ausgelegt werden wird222. Dafür spricht zunächst der Wortlaut des Art. 2 einziger Unterabsatz Halbs. 1, der klarstellt, dass in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls grundsätzlich auch Unternehmen fallen, die ein staatliches Monopol ausüben. Erst im zweiten Halbsatz findet sich der Vorbehalt der Ausnahme zugunsten der Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe. Für eine enge Auslegung spricht auch die bereits angesprochene Tatsache, dass der Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift des Art. 2 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls mit dem Begriff des Unternehmens, das sich zudem in einer Monopolstellung befinden muss, ausdrücklich enger gefasst ist als der weit formulierte allgemeine Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls in Art. 2 Abs. 1 desselben223. Ein Unternehmen kann eine Monopolstellung nur auf einem bestimmten sachlich und geographisch relevanten Markt innehaben224. Die etwaige Ausnahme eines staatlichen Monopols von der Anwen220 EuGH v. 10.07.1984, Rs. 72/83 (Campus Oil u. a./Minister of Industry u. a.), Slg. 1984, 2727, 2747. 221 Mit weitern Nachweisen: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 31 Rn. 50. 222 Dagegen: D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 171. 223 Zum Anwendungsbereich gemäß Art. 2 Abs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls vgl. Teil 3, III. 1 a).

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dung der Vorschriften des Wettbewerbsschutzprotokolls ist daher auf den relevanten Markt beschränkt, auf dem das Unternehmen eine dominante Stellung besitzt, und gilt nicht etwa für weitere Märkte, auf denen das Unternehmen tätig ist oder werden will. Die Ausnahme ist damit wie Art. 86 Abs. 2 EGV marktbezogen, nicht unternehmensbezogen225. Von einer engen Auslegung kann aber vor allem deshalb ausgegangen werden, weil eine Legalausnahme zugunsten staatlicher Unternehmen weder im brasilianischen noch im argentinischen Wettbewerbsrecht existiert226. Die bis 1995 gültige Ausnahmeregelung für öffentliche Unternehmen in Argentinien wurde von der CNDC in ständiger Praxis eng ausgelegt227. In den nicht ausgenommenen Bereichen hatte die CNDC das Wettbewerbsgesetz konsequent auf staatlich kontrollierte oder mit öffentlichen Sonderrechten ausgestattete Unternehmen angewandt228. Vor allem in den 1990er-Jahren ist in Argentinien 224

Zur Abgrenzung des relevanten Markts vgl. Teil 3, III. 2. a), bb), (8) und Teil 3, III. 2. b) aa). 225 Für Art. 86 Abs. 2 EGV vgl. E.-J. Mestmäcker, Art. 37, 90, in: U. Immenga/ E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht, Rn. 52. 226 Bis 1995 gab es in Argentinien eine Ausnahmevorschrift für öffentliche Unternehmen. Nach Art. 5 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes von 1980 waren solche Handlungen und Verhaltensweisen ausgenommen, die sich aus besonderen Gesetzen oder Verwaltungsnormen ergeben, wie z. B. gewerbliche Schutzrechte und staatliche Konzessionen (Hierzu: J. Otamedi, El interés económico general y el articulo Nº 5 en la ley 22.262, La Ley 1983-D, S. 961; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 188 ff., 204 ff.). Der Art. 5 wurde 1995 aufgehoben, vgl. Art. 103 des Gesetztes 24.481 v. 20.09.1995. Das brasilianische Wettbewerbsgesetz schreibt die Anwendung auf natürliche und juristische Personen, die eine Tätigkeit im Rahmen eines gesetzlichen Monopols ausüben, ausdrücklich vor, vgl. Art. 15 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes von 1994. Im Jahresbericht 1997 erklärt der CADE, dass Wettbewerb selbst das beste Mittel ist, um Märkte zu regulieren. Dies gelte insbesondere für die öffentlichen Dienstleistungen, wo der technische Fortschritt heute Wettbewerb ermöglicht, der früher nicht möglich war. Als Beispiel nennt er den Telekommunikationssektor, in dem die neuen Technologien den Zugang vieler Wettbewerber zulassen, vgl. CADE, Relatório Anual 1997, Brasilia 1998, S. 38 ff. 227 Die CNDC stellte heraus, dass eine konkrete Handlung nur dann gemäß Art. 5 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 22.262 von den Wettbewerbsregeln ausgenommen werden konnte, wenn die wettbewerbswidrige Handlung in der in Betracht kommenden Ausnahmevorschrift ausdrücklich genehmigt wurde. Bereichsausnahmen gab es in Argentinien nicht, vgl. CNDC v. 10.05.1982, Expte. 104.084/81 (Cooperativa Popular de Electricidad Santa Rosa), V. und VI.; CNDC v. 13.07. 1983, Expte. 20.548/82 (Colegio de Graduados de Ciencias Económicas u. a.), V; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos); III.; CNDC v. 14.01.1992, Expte. 500.679/86 (Colegio Médico de la Ciudad de Córdoba u. a.), VII.; ähnlich: CNDC v. 14.10.1982 (Consejo Profesional de Ciencias Económicas de la Capital Federal), Punkt VI; CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV.

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wie in Brasilien im Zuge der Deregulierung der Wirtschaft ein umfangreiches Privatisierungsprogramm durchgeführt worden. Bei den bereits erfolgten Privatisierungen wurde darauf geachtet, dass Konzessionen nur in dem Maße vergeben wurden, wie dies technisch oder wirtschaftlich notwendig war229. In Argentinien wie in Brasilien werden Privatisierungen zudem von der Wettbewerbsbehörde überwacht230. Stellungnahme In den nationalen Wettbewerbslegislaturen Argentiniens und Brasiliens hat man auf eine Ausnahmevorschrift zugunsten öffentlicher Monopole verzichtet. In das Wettbewerbsschutzprotokoll wurde sie dennoch, möglicherweise in Anlehnung an das EG-Wettbewerbsrecht, eingeführt. Tatsächlich ist es fraglich, ob einer Ausnahmeregelung zugunsten staatlicher Monopole eine eigenständige Bedeutung beizumessen ist231. Nach gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind Einrichtungen, die mit der Verwaltung gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherungssysteme betraut sind und lediglich Pflichten erfüllen, die ihnen das Gesetz auferlegt, keine Unternehmen im Sinne der EG-Wettbewerbsregeln. So ist das Erheben von Pflichtbeiträgen zur Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit232 ebenso wie die Übernahme öffentlich-rechtlicher Aufgaben durch private Unternehmen233 als nicht wirtschaftliches 228 CNDC v. 13.07.1983, Expte. 20.548/82 (Colegio de Graduados de Ciencias Económicas u. a.), IV., V.; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos), III., IV.; CNDC v. 29.06.1983, Expte. 1212-D-82 (Cámara de Ópticos y Afines), II.; CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), III., IV. Urteil des Berufungsgerichts in Wirtschaftsstrafsachen: Cámara Nacional de Apelaciones en lo Penal Económico v. 18.10.1982, in: La Ley, 1983, Bd. B, S. 338 ff. 229 Das Gesetz 8.978/95 über Kenzessionen für öffentliche Dienstleistungen in Brasilien bestimmt, dass Konzessionen keinen Exklusivcharakter haben dürfen, wenn dies nicht aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen notwendig ist, vgl. Art. 16 Gesetz 8.978/95 v. 13.02.1995 (Col. Leis Repfflblica Federal Brasil, Brasília 187/2, S. 553). 230 In Argentinien hebt Art. 59 des aktuellen argentinischen Wettbewerbsgesetzes solche im Zuge der Privatisierungspolitik auf andere Regulierungsbehörden übertragenen Zuständigkeiten auf, womit nunmehr die Wettbewerbsbehörde ausschließlich zuständig ist. Hierzu vgl. auch: CNDC, Privatizaciones: El rol de los entes reguladores y defensa de la competencia en Argentina, 1997; CNDC, Memoria Anual 1997, 2.3. Für Brasilien: CADE v. 27.08.1997, A. C. 2/94 (Ultrafértil S. A. et al.), DOU 17.09.1997 I, S. 20610 ff. 231 Die Abschaffung von Art. 86 EGV wurde von der französischen Regierung auf dem Gipfel von Nizza vorgeschlagen, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 799 f. Rn. 41.

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Handeln einzustufen. Jüngst entschied der Europäische Gerichtshof, dass gesetzliche Krankenkassen in Deutschland nicht als Unternehmen im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV einzustufen sind und damit nicht in den Anwendungsbereich des Art. 81 EGV fallen, wenn sie Festpreise für Medikamente festsetzen234. Die Wettbewerbsvorschriften sind somit nicht auf diese Tätigkeiten anzuwenden. Ob eine Tätigkeit in den Anwendungsbereich des EG-Wettbewerbsrechts fällt, hängt also von einer entsprechend weiten oder engen Auslegung des Begriffs des hoheitlichen Handelns bzw. des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit ab. In den genannten Fällen hat der Europäische Gerichtshof Tätigkeiten der öffentlichen Daseinsvorsorge aus dem Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln genommen, für die gerade die Ausnahmevorschrift des Art. 86 Abs. 2 EGV geschaffen wurde235. Eine eigenständige Ausnahmevorschrift zugunsten öffentlicher, also staatlicher monopolartiger Unternehmen ist nicht notwendig. Jedes staatliche Unternehmen handelt vielmehr immer hoheitlich, denn nicht hoheitliches staatliches Handeln gibt es nicht236. Auch die Übertragung von Ausschließlichkeitsrechten an private Unternehmen, welche sodann öffentliche Monopole in Zivilrechtsform begründen, geschieht durch hoheitlichen Übertragungsakt. Gesetzliche Monopole sind unabhängig von ihrer Rechtsform immer auf hoheitliches Handeln zurück232

EuGH v. 17.02.1993, Rs. C-159/91 u. C-160/91 (Poucet u. Pistre/französische Versicherer), Slg. 1993 I, 637, Rn. 18 f. (vgl. obige Fn. 201 3. Teil). 233 EuGH v. 04.05.1988, Rs. 30/87 (Bodson/Pompes funèbres des régions libérées), Slg. 1988, 2507 (vgl. bereits Fn. 202, 3. Teil). 234 EuGH v. 16.03.2004, Rs. C-264/01, C-306/01, C-354 u. 355/01 (AOK Bundesverband u. a./Ichthyol u.a), Slg. 2004 I, 2493, Rn. 46–51 (vgl. obige Fn. 203, 3. Teil). 235 Vgl. A. Bleckmann, Europarecht, Rn. 1981. 236 Die Trennung zwischen hoheitlichem und unternehmerischem Handeln des Staates wird kritisiert. Alles staatliche Handeln ist, wenn nicht Gesetz oder Rechtsprechung, Verwaltung, also hoheitliche Ausübung der Staatsgewalt des Volkes. Der Staat kann nicht Unternehmer sein, denn ihm fehlt die Privatheit. Die aber ist das eigentliche Definiens des Unternehmens. Die Wahl einer privaten Rechtsform steht dem Staat indes nicht zu, denn der Staat ist kein rechtmäßiger Wettbewerber, weil er den Privaten durch seine Befugnisse immer ungleich ist. Staatliche Unternehmungen in Privatrechtsform sind daher Missbrauch der privatrechtlichen Institutionen, die für Private geschaffen sind. Vgl. K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 5 ff., 71 ff., 253 ff., 261 ff., 281 ff., 322 ff., 438 ff.; ders., Eigentümer globaler Unternehmen, in: FS Steinmann, S. 420 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 34 ff., 200 ff. insb. S. 206, 209, 212 f., 224 f., 231 f., 233 f., 237, S. 300 ff., 309 ff.; ders., Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft/Union, § 14, II. 2., b), dd). Darauf, dass eine Abgrenzung zwischen hoheitlichem und unternehmerischem staatlichen Handeln nur schwer möglich ist, verweisen auch: V. Emmerich, H. I § 1, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 9, 36; F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 33 Rn. 5.

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zuführen und unterliegen daher ohnehin nicht dem Anwendungsbereich weder des Art. 81 EGV noch dem des Wettbewerbsschutzprotokolls. b) Örtlicher Anwendungsbereich Das Wettbewerbsschutzprotokoll enthält ebenso wie Art. 81 und 82 EGV keine dem § 130 Abs. 2 GWB entsprechende Kollisionsnorm. Der räumliche Anwendungsbereich muss anhand des Wortlauts ermittelt werden237. Nach Art. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls sind die Regeln zum Schutze des Wettbewerbs auf alle Handlungen anzuwenden, die Auswirkungen auf den Wettbewerb innerhalb des Mercosur bezwecken oder bewirken. Die Wirkung des wettbewerbsschädigenden Verhaltens muss also innerhalb des Mercosur eintreten oder dieses zumindest bezwecken. In dem Wortlaut wird die Anerkennung des bereits erwähnten238 (Aus-)Wirkungsprinzips gesehen239. Es kommt darauf an, dass sich Handlungen innerhalb des Territoriums des Mercosur widerspiegeln. Wo die Handlungen vorgenommen wurden, ist nicht relevant. Damit kann auch ein Verhalten, das außerhalb des Mercosur vereinbart wurde, erfasst werden. Der örtliche Anwendungsbereich erstreckt sich auch auf zukünftige Mitglieder des Mercosur, denn gemäß Art. 36 des Wettbewerbsschutzprotokolls bedeutet der Beitritt zum Vertrag von Asunción ipso iure den Beitritt zum Wettbewerbsschutzprotokoll. Auch in der Europäischen Union finden die Wettbewerbsvorschriften Anwendung auf Verhaltensweisen, die eine Wettbewerbsbeschränkung innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken240. Die herrschende Meinung geht in Übereinstimmung mit der EU-Kommission davon aus, dass in der Europäischen Union das Auswirkungsprinzip gilt241. Das Wirkungsprinzip ist umstritten, weil es mit dem völkerrechtlichen Prinzip 237 Für Art. 81 und 82 EGV vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 167. 238 Teil 3, I. 2, S. 349. 239 Anmerkungen in Fn. 85 (3. Teil). 240 Art. 81 Abs. 1 EGV. Auch Art. 82 EGV ist nur anwendbar, wenn es sich um den Missbrauch einer beherrschenden Marktsstellung „innerhalb des Gemeinsamen Marktes oder auf einem wesentlichen Teil desselben“ handelt. 241 H. Schröter, Vorbemerkung zu Art. 81–85 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 79–103; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 167; T. Eilmansberger, Vorbem. Art. 81 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 15 ff.; G. Wiedemann, Einleitung – Extraterritoriale Anwendung der Wettbewerbsregeln, in: G. Wiedemann (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 1999, S. 66 ff. Rn 9–12; W. Weiß, Art. 81 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 10.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

kollidiert, fremde Gesetzgebung und sonstige Hoheitstätigkeit für das eigene Gebiet zu untersagen242. Das so genannte Territorialitätsprinzip verlangt, dass wenigstens Teilhandlungen des kartellrechtlichen Verhaltens im Inland verwirklicht worden sind243. Der Gerichtshof vermied daher die ausdrückliche Anerkennung des Auswirkungsprinzips aufgrund der völkerrechtlichen Problematik. Er ist durch eine weite Auslegung des Territorialprinzips erstmals im Zellstoff-Fall dem Wirkungsprinzip aber sehr nahe gekommen244. Der Gerichtshof stellte klar, dass es auf den Ort des Wettbewerbs ankommt, an dem eine Absprache ausgeführt wird, nicht auf den Ort der Absprache. Andernfalls könne das Kartellverbot umgangen werden, indem Absprachen außerhalb der Gemeinschaft getroffen würden. Im genannten Fall hatten die Unternehmen die Preise von Zellstoff, der in die Europäische Gemeinschaft importiert werden sollte, abgesprochen. In der Sache wendet der Europäische Gerichtshof das Auswirkungsprinzip an, beruft sich jedoch auf das Territorialprinzip245. Das Gericht erster Instanz stellte sogar ohne Umschweife auf das Auswirkungsprinzip ab, um die extraterritoriale Anwendung der Fusionskontrollverordnung zu begründen246. Ein Verstoß gegen das Völkerrecht wird im Wirkungsprinzip solange nicht gesehen, als die Gemeinschaft nicht Hoheitsmaßnahmen im Gebiet von Drittstaaten trifft247.

242

R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 413 Rn. 7. Zum Territorialitätsprinzip: A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 634 ff. §§ 1019 ff., insb. §§ 1038 ff. 244 EuGH v. 27.09.1988, Rs. 89, 104, 114, 116, 117 und 125–129/85 („Zellstoff“/Kommission), Slg. 1988, 5193, 5243 Rn. 13–18. 245 H.-J. Bunte, Einführung zum EG-Kartellrecht, in: Langen/ders., Rn. 65; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 169 Rn. 40–43; J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 19 spricht von „pseudoterritorialer Anknüpfung“ an den Durchführungsort. 246 EuG v. 25.03.1999, Rs. T-102/96 (Gencor), Slg. 1999 II, 753 Rn. 90. Auch die Kommission wendet das Auswirkungsprinzip in ständiger Praxis an. Im Farbstoff-Fall befasste sich die Kommission erstmals ausdrücklich mit dem Problem der extraterritorialen Anwendung des EG-Wettbewerbsrechts. Sie verhängte Bußgelder gegen ein Unternehmen in Großbritannien (damals noch nicht der EG angehörig), vgl. KomE v. 24.07.1969, (Farbstoffe) ABl. 1969, Nr. L 195/11, Fn. 177. Später wendete sie die herausgearbeiteten Kriterien in weiteren Fällen an, vgl. KomE v. 09.06.1972 (Davinson Rubber), ABl. 1972, Nr. L 143/31; KomE v. 08.01.1975 (Pilzkonserven), ABl. 1975, Nr. L 29/26 sowie KomE v. 19.12.1984 (Aluminiumeinfuhren), ABl. 1985, Nr. L 92/1. 247 R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 413 Rn. 7. 243

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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c) Zwischenstaatlichkeit der Handelsbeeinträchtigung Nach Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls fallen nur solche Verhaltensweisen in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Wie bereits erwähnt gibt es noch keine Auslegung des Wettbewerbsschutzprotokolls seitens der Mercosur-Organe. Ausführungen der nationalen Wettbewerbsbehörden zur Zwischenstaatlichkeitsklausel gibt es nicht, da diese naturgemäß in den nationalen Wettbewerbsordnungen nicht vorkommt. Hinsichtlich der Bedeutung der Zwischenstaatlichkeitsklausel kann aber der Rückgriff auf die Interpretation im EG-Wettbewerbsrecht hilfreich sein, welches sich vom Wettbewerbsrecht der Mitgliedstaaten ebenfalls durch eine Zwischenstaatlichkeitsklausel abgrenzt248. Im EG-Kartellrecht wird der Begriff Handel weit ausgelegt. Handel im Sinne des EG-Wettbewerbsrechts umfasst den gesamten Wirtschaftsverkehr im Gemeinsamen Markt249. Es gibt keine Bereichsausnahmen. Hierunter fallen auch juristische Beratungsleistungen250, die Wahrnehmung von Urheberrechten251 und der Geldverkehr252. Von einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ist auszugehen, wenn die natürlichen Handelsströme in eine andere Richtung gelenkt werden, sich der Handelsverkehr also ohne die Beeinflussung durch die wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise anders hätte entwickeln können253. Maßstab ist der hypothetische Wettbewerb, der ohne die in Frage kommende Handlung vorgelegen hätte254. Maßgeblich ist die gemeinschaftsrechtliche Relevanz der Wettbewerbsbeschränkung255. Das Volumen des Wirtschaftsverkehrs ist dabei nicht grundsätzlich entscheidend. Eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels wird sogar auch dann gese248

Art. 81 Abs. 1 und Art. 82 S. 1 EGV. EuGH v. 14.07.1981, Rs. 172/80 (Züchner/Bayerische Vereinsbank), Slg. 1981, 2021, 2032, Rn. 18; EuGH v. 27.01.1987, Rs. 45/85 (Verband der Sachversicherer/Kommission), Slg. 1987, 405. 250 EuGH v. 19.02.2002, Rs. C-309/99 (Wouters u. a./Nederlandse Orde van Advocaten), Slg. 2002 I, 1577, 1687 Rn. 95. 251 EuGH v. 25.10.1979 (Greenwich Film Production/Sacem), Slg. 1979, 3275, 3288 Rn. 11. 252 EuGH v. 14.07.1981, Rs. 172/80 (Züchner/Bayerische Vereinsbank), Slg. 1981, 2021, 2032, Rn. 18. 253 EuGH v. 15.05.1975, Rs. 71/74 (Frubo/Kommission), Slg. 1975, 563, Rn. 37 u. 38. 254 EuGH v. 29.10.1980, Rs. 209 bis 215 und 218-78 (van Landewyk u. a./Kommission), Slg. 1980, 3125, 3274. 255 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 129. 249

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

hen, wenn der grenzüberschreitende Umsatz steigt, die Erhöhung aber mit wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen zusammenfällt256. Nach der Definition des Gerichtshofs kommt es darauf an, dass die Maßnahme „unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach geeignet ist, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann“257. Für die Annahme einer zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung ist nicht Voraussetzung, dass an den Vereinbarungen oder Verhaltensweisen Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten beteiligt sind. Dies folgt aus der Auslegung, dass auch mittelbare Auswirkungen genügen. Den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen beispielsweise Kartelle, die auf einem einfuhrsensiblen Markt zur Erhaltung ihres Marktanteils gemeinsame Schutzmaßnahmen gegen ausländische Wettbewerber organisieren258. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen, die das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaates erfassen, beeinträchtigen zwangsläufig den zwischenstaatlichen Handel, denn „ein sich auf das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaats erstreckendes Kartell hat schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen; es verhindert somit die vom Vertrag gewollte gegenseitige wirtschaftliche Durchdringung und schützt die inländische Produktion“259. Aber auch Verhaltensweisen, die sich nur auf nationale Teilmärkte beziehen, können zu einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels führen, wenn der Zugang zum Markt für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten spürbar beeinträchtigt wird260. Selbst Exportverbote für Abnehmer außerhalb der Europäischen 256 EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58–64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, 389. 257 EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, 389 f. Bestätigt in: EuGH v. 30.06.1966, Rs. 56-65 (Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm), Slg. 1966, 282, 303; EuGH v. 25.03.1981, Rs. 61-80 (Cooeperatieve Stremsel/Kommission), Slg. 1981, 851, Rn. 14; EuGH v. 09.07.1969, Rs. 5-69 (Voelk/Vervaecke), Slg. 1969, 295, 302 Rn. 5; EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31-80 (L’Oréal/De Nieuwe Amck), Slg. 1980, 3775, Rn. 18; EuGH v. 21.01.1999, Rs. C-215 u. 216/96 (Bagnasco u. a./Banca Populare), Slg. 1999 I, 135, 178 Rn. 47. 258 EuGH v. 11.07.1989, Rs. 246/86 (Belasco u. a./Kommission), Slg. 1989, 2117, Leitsatz 2. 259 Grundlegend: EuGH v. 17.10.1972, Rs. 8-72 (Cementhandelaren/Kommission), Slg. 1972, 977 Rn. 28–30; EuGH v. 16.11.1975, Rs. 73/74 (Papier Peints/ Kommission), Slg. 1975, 1491, 1514 f. Rn. 25 f.; EuGH v. 19.02.2002, Rs. C-309/99 (Wouters u. a./Nederlandse Orde van Advocaten), Slg. 2002 I, 1577, Rn. 95. 260 Das kann dann der Fall sein, wenn der Warenverkehr im Grenzgebiet von mehreren Mitgliedstaaten stattfindet und die betroffenen Unternehmen rechtlich

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Union können den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen, soweit mittelbare Rückwirkungen auf den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt zu erwarten sind261. Verhaltensweisen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken, sind grundsätzlich geeignet, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen262. Im Vergleich zu Art. 81 und 82 EGV ist der Wortlaut des Art. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls enger gefasst. Während das EG-Kartellrecht auf Verhaltensweisen anwendbar ist, die „geeignet“ sind263, bzw. „dazu führen können“264, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, kommt es im Mercosur dem Wortlaut nach auf die tatsächliche Beeinträchtigung an265. Gerade die Eignung zur Handelsbeeinträchtigung ermöglicht eine umfassende Anwendung des EG-Wettbewerbsrechts, denn die Zwischenstaatlichkeit der Handelsbeeinträchtigung kann häufig bereits bejaht werden, obwohl eine konkrete Beeinträchtigung noch nicht eingetreten ist, diese aber anhand der Gesamtheit objektiver, rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehbar ist266. Die Frage nach der Eignung zur Handelsbeeinträchtigung enthält folglich ein Wahrscheinlichkeitsurteil über die zukünftige Entwicklung des zwischenstaatlichen Handels. Sie zwingt zur vorausschauenden Beurteilung, ob eine Verhaltensweise geeignet ist, der Errichtung des einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten hinderlich zu sein267, und ist aus integrationspolitischer Sicht zu befürworten. Die Berücksichtung der „Gesamtheit rechtlicher oder tatsächlicher Umstände“ verpflichtet zur Anwendung der so genannten Bündeltheorie, nach der bei gleichartigen vertikalen Ausschließoder tatsächlich gehindert werden, an einem wirtschaftlich möglichen grenzüberschreitenden Warenverkehr teilzunehmen, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 133 Rn. 23. Für das Wettbewerbsschutzprotokoll des Mercosur ähnlich: E. I. Rimoldi de Ladmann, El Derecho de la Competencia en Argentina, S. 170. 261 EuGH v. 28.04.1998, Rs. 306/96 (Javico/Yves Saint Laurent), Slg. 1998 I, 1983, 2005 f. Rn. 25 f. 262 EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, Leitsatz Nr. 7 und S. 390; EuGH v. 11.01.1990, Rs. 277/87 (Sandoz Prodotti Farmaceutici/Kommission), Slg. 1990 I, 45, Leitsatz Nr. 3. 263 Art. 81 Abs. 1 EGV. 264 Art. 82 S. 1 EGV. 265 So auch D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 64; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 104. 266 EuGH v. 09.07.1969, Rs. 5-69 (Voelk/Vervaecke), Slg. 1969, 295, Rn. 5; EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31-80 (L’Oréal/De Nieuwe Amck), Slg. 1980, 3775, Rn. 18. 267 EuGH v. 30.06.1966, Rs. 56-65 (Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm), Slg. 1966, 282, 303.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

lichkeitsbedingungen zu prüfen ist, welche Auswirkungen das Vertragssystem auf die Zugangsbedingungen in dem sachlich und räumlich relevanten Markt hat268. De-minimis-Regel Aufgrund der Tatsache, dass bereits die Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ausreicht, ist die Zwischenstaatlichkeitsklausel im EG-Wettbewerbsrecht auch dann erfüllt, wenn eine tatsächliche Handelsbeeinträchtigung nicht festgestellt werden kann. Um den Anwendungsbereich einzugrenzen, hat die Rechtsprechung das Erfordernis der Spürbarkeit auch für die Prüfung der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung eingeführt269. Die Handelsbeeinträchtigung ist spürbar, wenn 268 Grundlegend: EuGH v. 12.12.1967, Rs. 23/67 (Brasserie de Haecht), Slg. 1967, 543, 556; EuGH v. 10.07.1980, Rs. 99/79 (Lancôme u. a./Etos u. a.), Slg. 1980, 2511, 2536 Rn. 24; EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31-80 (L’Oréal/De Nieuwe Amck), Slg. 1980, 3775, 3792 Rn. 19; EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, 938 ff. Vgl. auch: P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, Grabitz/Hilf, Rn. 222. Die Bündeltheorie findet auch im Rahmen der Prüfung, ob eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, Anwendung, siehe unten, Teil 3, III. 2. a), bb), (2). 269 EuGH v. 25.11.1971, Rs. 22–71 (Béguelin Import u. a./S.A.G.L. Import Export), Slg. 1971, 949, 960 Rn. 16,18. Neben dem Tatbestand der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung unterliegt auch der Tatbestand der Wettbewerbsbeschränkung einem Spürbarkeitskriterium. Zur Spürbarkeitsprüfung im Rahmen der Feststellung, ob eine Wettbewerbsbeschränkung eingetreten ist, siehe unten, Teil 3, III. 2. a), bb), (7). In der Entscheidungspraxis der EG-Gemeinschaftsorgane wurde das Spürbarkeitserfordernis regelmäßig für beide Tatbestandselemente gemeinsam geprüft, vgl. T. Eilmansberger, Art. 81 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 71. Es ist jedoch unklar, ob dies auch in Zukunft der Fall sein wird. In den so genannten Bagatellbekanntmachungen (auch: De-minimisBekanntmachungen) stellt die EU-Kommission Spürbarkeitskriterien auf. Diese galten bisher sowohl für das Erfordernis der Spürbarkeit der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung als auch für die Spürbarkeit von Wettbewerbsbeschränkungen. In der jüngsten De-minimis-Bekanntmachung von 2001 (ABl. 2001, Nr. C 368/13) wird die Eignung zur zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung jedoch erstmals nicht mehr behandelt (Rn. 3). Sie kann daher auch gegeben sein, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung nicht spürbar ist (Rn. 7 ff.). In den Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art. 81, 82 EGVertrag (ABl. 2004, Nr. C 101/81) schlägt die EU-Kommission eine getrennte De-minimis-Regel für die Spürbarkeit der Wirkungen wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen und der Spürbarkeit der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung vor (Rn. 4). Die Trennung zwischen jurisdiktioneller und materiellrechtlicher Spürbarkeit hängt offenbar mit der neuen Funktion zusammen, die der Zwischenstaatlichkeitsklausel nach der am 01.05.2004 in Kraft getretenen Kartellverfahrensverordnung 1/03 zukommt (hierzu ausführlicher: Teil 3, III. 2. a), dd) (2)). Auf-

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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sich der Handel ohne die fragliche Maßnahme anders entwickelt hätte. An der Spürbarkeit fehlt es, wenn die in Frage kommenden Erzeugnisse nur einen „unbedeutenden Prozentsatz des Gesamtmarktes dieser Erzeugnisse im Gebiet des Gemeinsamen Marktes“ ausmachen, die Auswirkungen der an sich wettbewerbsbeschränkenden Maßnahme daher vernachlässigt werden können270. Das Erfordernis der Spürbarkeit hat die Funktion einer Bagatellklausel. Die europäische Gemeinschaftsrechtspraxis stellt dabei auf den Umsatz, den Marktanteil und auf die Behinderung des Marktzugangs ab271. Dass im Wettbewerbsschutzprotokoll auf die Eignung zur Handelsbeeinträchtigung verzichtet wurde, verwundert insoweit, als die Leitlinien zu einem gemeinsamen Wettbewerbsprotokoll in der Ratsentscheidung 21/94 eine weitere Formulierung vorgesehen hatten. Nach dieser war auch die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung ausreichend272. Offenbar fehlte den Vertragsstaaten der Mut, durch eine solche Formulierung einer weiten Anwendung der gemeinsamen Wettbewerbsregeln Vorschub zu leisten. Hierfür spricht, dass argentinische und brasilianische Vorschläge einer Ausführungsregelung zum Wettbewerbsschutzprotokoll vorsehen, den Anwendungsbereich des Protokolls sogar erst dann zu eröffnen, wenn der Handel zwischen den Mitgliedstaaten de forma significativa – in erheblicher Weise – beeinträchtigt wird273. Eine solche nachträgliche Einschränkung des Anwendungsbereichs des Wettbewerbsschutzprotokolls ist mit dem Wortlaut des Protokolls nur schwer zu vereinbaren274. Eine an die Europäische Union angelehnte De-minimis-Regel wäre das jedenfalls nicht. Diese wurde von der Rechtsprechung entwickelt, um den durch die weite Auslegung sehr ausgedehnten Anwendungsbereich275 des EG-Kartellrechts wieder etgrund der Doppelfunktion, die das Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit erfüllen muss – im Rahmen der materiellrechtlichen Feststellung, ob eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, wie auch zur Prüfung, ob der zwischenstaatliche Handel beeinträchtigt ist –, wird eine unterschiedliche Auslegung in beiden Beziehungen für kaum rechtfertigbar gehalten, vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 394. 270 EuGH v. 28.04.1998, Rs. 306/96 (Javico/Yves Saint Laurent), Slg. 1998 I, 1983, Rn. 26. 271 Marktanteil: EuGH v. 09.07.1969, Rs. 5-69 (Voelk/Vervaecke), Slg. 1969, 295, Rn. 7; Umsatz : EuGH v. 07.06.1983, Rs. 100-103/80 (Musique Diffusion Française/Kommission), Slg. 1983, 1825, Rn. 86; Behinderung des Marktzutritts: EU-Kommission, Leitlinien zwischenstaatliche Handelsbeeinträchtigung, Rn. 95. 272 „(. . .) que puedan afectar el comercio entre los Estados Partes“, vgl. Art. 3 des Anhangs der Ratsentscheidung 21/94. Übersetzt: „(. . .), die den Handel zwischen den Vertragstaaten zu beeinflussen geeignet sind“, eigene Übersetzung. 273 Brasilianischer Vorentwurf in Anhang III, Acta 3/99, Comité Técnico Nº 5 v. 15.–16.07.1999; argentinischer Vorentwurf in Anhang III, Acta 2/00, Comité Técnico Nº 5 v. 19.–20.09.2000. 274 So auch P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 276.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

was einzuschränken und De-minimis-Wettbewerbsbeschränkungen nicht mit der Keule des EG-Kartellrechts zu erschlagen276. Eine solche Einschränkung ist im Wettbewerbsschutzprotokoll nicht notwendig, da der Anwendungsbereich ohnehin erst eröffnet wird, wenn tatsächlich eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten stattgefunden hat, und nicht schon, wenn eine Maßnahme dazu geeignet ist. Warum die Delegierten bei der Verabschiedung des Wettbewerbsschutzprotokolls eine engere Formulierung verwendeten, als noch in den Leitlinien vorgesehen war, lässt sich nur vermuten. Möglicherweise hängt dies mit verschiedenen Handelsstreitigkeiten zwischen Brasilien und Argentinien zusammen, die auch zu mehreren Schiedssprüchen führten277. Offenbar soll sichergestellt werden, dass die Souveränität der Mitgliedstaaten nicht durch einen weiten Anwendungsbereich des gemeinsamen Wettbewerbsrechts eingeschränkt wird. Dies entspricht insoweit der bisherigen Vorgehensweise im Mercosur278. Für die Europäische Union wird, was die integrationspoliti275 Die Zwischenstaatlichkeitsklausel hat im EG-Wettbewerbsrecht durch die weite Auslegung an praktischer Relevanz verloren. Die weite Auslegung bewirkt, dass sie in der Mehrzahl der Fälle erfüllt ist, vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 374. Dies könnte sich jedoch in Zukunft ändern. Nach Art. 3 Abs. 1 der neuen Verordnung 1/03 sind die staatlichen Stellen verpflichtet, auch Art. 81, 82 EGV auf nationale Sachverhalte anzuwenden, wenn sie geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts bewirkt, dass das nationale Recht zurücktritt, wenn das EG-Kartellrecht anwendbar ist. Angesichts dieser neuen Bedeutung, die der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung zukommt, ist nicht auszuschließen, dass die Rechtsprechung diese in Zukunft wieder enger auslegen wird, um dem nationalen Recht Nischen vorzubehalten. So die Vermutung von E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 138 Rn 37. Die jüngste Praxis der EU-Kommission gibt dieser Vermutung keinen Rückhalt. Um den Anwendungsbereich der Art. 81, 82 EGV möglichst umfangreich zu halten, hebt die EU-Kommission in den Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels (2004) in Rn. 16 hervor, dass auch Vereinbarungen, die den Wettbewerb nicht beschränken, den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen können, wodurch das Europarecht auch auf solche Sachverhalte anwendbar ist. 276 N. Reich, Die Bedeutung der Binnenmarktkonzeption für die Anwendung der EWG-Wettbewerbsregeln, in: J. F. Baur/K. Hopt/K. P. Mailänder (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff zum 70. Geburtstag, 1990, S. 1073. 277 Vgl. erstes, zweites, drittes, viertes und siebtes Mercosur-Schiedsgericht. 278 Es entspricht allerdings weniger dem Gründergeist, der die Vertragsväter 1991 zum Abschluss des Vertrags von Asunción bewegte. Der damalige argentinische Staatspräsident Carlos Menem, unter dessen Regierung die bisher umfangreichsten und konsequentesten Reformen des argentinischen Wirtschaftssystem stattfanden, hält in seinem Buch über den Mercosur diesen ohne weitere Begründung für ein supranationales Gebilde, in dem das Gemeinschaftsrecht verwirklicht werde (C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 11 f.). Dies ist, wie im ersten Teil dargestellt, nicht der Fall. Es ist jedoch Ausdruck des Geistes, der vorherrschte. Man

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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sche Funktion des gemeinsamen Binnenmarktes angeht, eine eingeschränkte Interpretation der so genannten Zwischenstaatlichkeitsklausel anhand des Kriteriums der Spürbarkeit sogar für überholt angesehen279. Das Erfordernis einer tatsächlichen zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung im Wettbewerbsschutzprotokoll könnte für die Praxis die Folge haben, dass die Feststellung, ob eine zwischenstaatliche Handelsbeeinträchtigung vorliegt, sehr aufwendig ist. Kollisionsnorm Ob der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt ist, muss nicht nur als Tatbestandsmerkmal geprüft werden. Ebenso wie in der Europäischen Union280 kommt im Wettbewerbsschutzprotokoll der Zwischenstaatlichkeitsklausel auch die Funktion einer Zuständigkeitsnorm zu281. Sie dient der Abgrenzung der Anwendungsbereiche der gemeinsamen von den nationalen Wettbewerbsvorschriften282. Wirkt sich ein den Handel beeinträchtigendes Verhalten nur in dem Land aus, in dem es begangen wird, so sind nur die nationalen Wettbewerbsvorschriften dieses Vertragsstaates anzuwenden283. Mit der Feststellung, ob eine Verhaltensweise den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt, sind allerdings nicht alle Normenkonflikte gelöst. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel kommt nur dann als ausschließliches Abgrenzungsmerkmal in Betracht, wenn ein Sachverhalt allein dem staatlichen oder allein dem Gemeinschaftsrecht unterliegt284. Ein Sachverhalt unterliegt allein dem mitgliedstaatlichen Recht, wenn eine zwischenstaatliche Beeinträchtigung des Handels nicht festgestellt werden kann. Der umgekehrte Fall, die ausschließliche Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts, kommt jedoch selten vor285. Vor dem Hintergrund der Tatsaträumte offenbar von einer Staatenintegration, in der, ähnlich wie in der Europäischen Union, weitreichende Kompetenzen an Gemeinschaftsorgane abgegeben werden. 279 N. Reich, Die Bedeutung der Binnenmarktkonzeption für die Anwendung der EWG-Wettbewerbsregeln, in: FS Steindorff, S. 1072 f. 280 Vgl. P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 205. 281 Dies ist wohl auch der Grund dafür, dass sie sowohl in Art. 2, in dem der Anwendungsbereich geregelt wird, als auch in Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls enthalten ist, der das Beschränkungs- und Missbrauchsverbot enthält. 282 Für die Zwischenstaatlichkeitsklausel im EG-Wettbewerbsrecht: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 374. 283 Dies stellt Art. 3 des Wettbewerbsschutzprotokolls ausdrücklich fest. 284 Hierauf verweist für die Europäische Union: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 126. 285 Die ausschließliche Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts ergibt sich nur dann, wenn das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten keine konkurrierende Re-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

che, dass sowohl Argentinien als auch Brasilien das Auswirkungsprinzip in ihren nationalen Wettbewerbsgesetzen normiert haben286, stellt sich die Frage nach einer Kollisionsklausel für den Fall, dass eine Handlung sich in mehreren Ländern auswirkt. In diesem Fall bestimmt die Zwischenstaatlichkeitsklausel zwar die Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls, schließt die Anwendung nationaler Vorschriften aber nicht aus287. Verhältnis zu mitgliedstaatlichem Recht Eine Vereinbarung oder Verhaltensweise kann somit gleichzeitig dem innerstaatlichen Wettbewerbsrecht der Mitgliedstaaten und dem Wettbewerbsschutzprotokoll unterworfen werden, wobei die Gefahr besteht, dass die beteiligten Behörden zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Die dargestellte Situation wirft die Frage nach dem Verhältnis der gemeinsamen Wettbewerbsnormen zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten auf. In dem Fall, in dem sowohl das nationale als auch das Mercosur-Recht anwendbar ist, muss das Recht Regeln bereitstellen, die bestimmen, welche der Normen im Kollisionsfall anwendbar sein sollen. In der Europäischen Union führt die weite Auslegung der Zwischenstaatlichkeitsklausel zu einer vermehrten gleichzeitigen Anwendbarkeit des nationalen und des europäischen Wettbewerbsrechts288. Bis zum TeerfarbenFall289 im Jahr 1969 galt die so genannte Zweischrankentheorie290, die von der gleichberechtigten Anwendbarkeit der europäischen und der nationalen Rechtsordnungen ausging. Das Kollisionsproblem glaubte man durch die begriffliche Unterscheidung der Schutzbereiche vermeiden zu können: Das europäische Kartellrecht schütze allein den zwischenstaatlichen Handel, das nationale Recht allein den innerstaatlichen Handel, so dass ein Konflikt nicht entstehen könne. Ein wettbewerbsbeschränkender Tatbestand war nur gelung enthält (z. B. Exportkartell). Andernfalls trifft das Gemeinschaftsrecht stets mit dem mitgliedstaatlichen Recht zusammen. Vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 126 insb. Rn. 2. 286 P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 276; zum Auswirkungsprinzip siehe auch Abschnitt „Örtlicher Anwendungsbereich“, Teil 3, III. 1. b). 287 So auch P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 276. 288 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 376. 289 EuGH v. 13.02.1969, Rs. 14-68 (Wilhelm/Bundeskartellamt), Slg. 1969, 1. 290 Begründet von Norbert Koch, vgl. N. Koch, Das Verhältnis der Kartellvorschriften des EWG-Vertrags zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BB 1959, S. 241 ff. Zum Verhältnis der nationalen Wettbewerbsregeln zum EG-Kartellrecht siehe auch: E. Rehbinder, Der Vorrang des EG-Kartellrechts vor nationalem Kartellrecht bei Freistellungen: Dogmatische Konstruktion, Sachargumente und politische Interessen, in: U. Immenga/W. Möschel/D. Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker zum 70. Geburtstag, 1996, S. 711 ff.

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dann erlaubt, wenn er sowohl nach nationalem als auch nach gemeinschaftlichem Wettbewerbsrecht erlaubt war. Die gleichberechtigte Geltung von nationalem und Gemeinschaftsrecht bewirkte einen faktischen Vorrang des strengern Rechts, weil sich jeweils die strengere Rechtsordnung durchsetzte291, was letztlich eine uneinheitliche Anwendung der gemeinsamen Wettbewerbsvorschriften zur Folge hatte292. Seit 1969 vertritt der Europäische Gerichtshof eher eine „Einschrankentheorie“, die den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch im Bereich der Wettbewerbsregeln sichert. Im Teerfarben-Urteil entschied der Europäische Gerichtshof, dass das nationale Recht grundsätzlich gelte, die „uneingeschränkte und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und die Wirksamkeit der zu seinem Vollzug ergangenen oder zu treffenden Maßnahmen“ jedoch nicht beeinträchtigt werden dürften293. Der Anwendungsvorrang des EG-Kartellrechts lässt die Anwendung staatlicher Normen also unberührt, solange dadurch nicht die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt wird. Damit wendete der Gerichtshof die im Urteil „Costa/ENEL“294 begründete Dogmatik des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts auch auf das Wettbewerbsrecht an295. Der Vorrang der gemeinsamen Wettbewerbsvorschriften bedeutet, dass sich ein Kartellverbot nach Art. 81 EGV gegen jede natio291

E. Rehbinder, Der Vorrang des EG-Kartellrechts vor nationalem Kartellrecht bei Freistellungen, in: FS Mestmäcker, S. 712; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 143 Rn. 4. 292 So der Europäische Gerichtshof, vgl. EuGH v. 13.02.1969, Rs. 14-68 (Wilhelm/Bundeskartellamt), Slg. 1969, 1, 13 ff.; EuGH v. 10.07.1980, Rs. 253-78 und 1 bis 3-79 (Procureur de la République u. a./Giry und Guerlain u. a.), Slg. 1980, 2327, 2374 f.; EuGH v. 21.05.1987, Rs. 249/85 (Albako/BLM), Slg. 1987, 2345, 2359 f. 293 EuGH v. 13.02.1969, Rs. 14-68 (Wilhelm/Bundeskartellamt), Slg. 1969, 1, 14 Rn. 9; bestätigt durch EuGH v. 10.07.1980, Rs. 253-78 und 1 bis 3-79 (Procureur de la République u. a./Giry und Guerlain u. a.), Slg. 1980, 2327, 2374 Rn. 15 f. 294 EuGH v. 15.07.1964, Rs. 6/64 (Flaminio Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1253, 1269 f. 295 Der Gerichtshof hat der Zweischrankentheorie hiermit eine Absage erteilt. Übereinstimmend: A. Gleiss/M. Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, Bd. I, 4. Aufl. 1993, Einleitung, S. 30 Rn. 59; H.-J. Bunte, Einführung zum GWB, in: Langen/ders., Rn. 83 ff. In der deutschen Literatur waren damit nicht alle Zweifel über die Reichweite des Anwendungsvorrangs des Europäischen Gemeinschaftsrechts nicht nur im Verhältnis zum GWB, sondern auch zu den Grundrechtsgarantien beseitigt. Es entwickelte sich eine „modifizierte“ Zweischrankentheorie, vgl. E. Rehbinder, Der Vorrang des EG-Kartellrechts vor nationalem Kartellrecht bei Freistellungen, in: FS Mestmäcker, S. 712 ff., insb. S. 724; vgl. auch: N. Koch, Vorbem. Art. 85, in: Grabitz/Hilf, Kommentar – Maastrichter Fassung, Rn. 31–55, der wegen der territorialen Trennung der Geltungsbereiche des nationalen und des Gemeinschaftsrechts deren Tatbestände für nebeneinander anwendbar hält.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

nale Kartellerlaubnis durchsetzt296. Umgekehrt hinderte – bis zum Erlass der neuen Kartellverfahrensverordnung 1/03 – die festgestellte Unanwendbarkeit einer Verbotsnorm nach europäischem Recht aber nicht die Anwendung einer mitgliedstaatlichen Verbotsnorm297. Das nationale Recht durfte also auch nach dem Teerfarben-Urteil strenger sein als das Europarecht298. Eine ausdrücklich nach Art. 81 Abs. 3 EGV erlaubte Maßnahme konnte allerdings nicht vom nationalen Wettbewerbsrecht verboten werden299. Gleichzeitig bei der Kommission und bei nationalen Behörden anhängige Verfahren über den gleichen Sachverhalt durften nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, weshalb nationale Verfahren gegebenenfalls bis zur Entscheidung der Kommission auszusetzen waren300. Seit Mai 2004 gilt die Kartellverfahrensverordnung 1/03301, mit der der Rat erstmals Gebrauch von der Ermächtigung in Art. 83 Abs. 2 lit. e EGV zur Regelung des Verhältnisses des innerstaatlichen zum EG-Kartellrecht macht. Um für Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen gleiche Bedingungen im Binnenmarkt zu schaffen302, verpflichtet Art. 3 Abs. 1 der Verordnung die mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte, neben den nationalen Vorschriften auch Art. 81 und 82 EGV auf Verhaltensweisen anzuwenden, wenn diese in den Anwendungsbereich der Art. 81 und 82 EGV fallen und geeignet 296 Vgl. EuGH v. 27.01.1987, Rs. 45/85 (Verband der Sachversicherer/Kommission), Slg. 1987, 405, 447; EuGH v. 30.01.1985, Rs. 123/83 (BNIC/Clair), Slg. 1985, 391, 423; KomE v. 05.12.1984, ABl. 1985, Nr. L 35/20 (25); KomE v. 19.12.1984, ABl. 1985, Nr. L 91/1 (38). Das Gleiche gilt für ein nach Gemeinschaftsrecht als missbräuchlich eingestuftes Verhalten nach Art. 82 EGV. Ein solches kann nicht durch nationales Recht erlaubt werden, vgl. EuGH v. 16.11.1977, Rs. 13-77 (G.B.-INNO-BM/ATAB), Slg. 1977, 2115, 2145 ff.; EuGH v. 21.05.1987, Rs. 249/85 (Albako/BLM), Slg. 1987, 2345, 2359 f. 297 EuGH v. 10.07.1980, Rs. 253-78 und 1 bis 3-79 (Procureur de la République u. a./Giry und Guerlain u. a.), Slg. 1980, 2327, 2375 Rn. 18. 298 EuGH v. 10.07.1980, Rs. 253-78 und 1 bis 3-79 (Procureur de la République u. a./Giry und Guerlain u. a.), Slg. 1980, 2327, 2375 Rn. 18. 299 Vgl. EuGH v. 13.02.1969, Rs. 14-68 (Wilhelm/Bundeskartellamt), Slg. 1969, 1, 13 f.; EuGH v. 10.07.1980, Rs. 253-78 und 1 bis 3-79 (Procureur de la République u. a./Giry und Guerlain u. a.), Slg. 1980, 2327, 2375 Rn. 17. Vgl. auch: A. Gleiss/M. Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, Bd. I, Einleitung, S. 31 f. Rn. 67–70. 300 Um Doppelbestrafungen einer Verhaltensweise zu vermeiden, muss jede Behörde eine Bußgeldentscheidung der jeweils anderen Behörde auf die eigene Bußgeldentscheidung anrechnen, vgl. EuGH v. 13.02.1969, Rs. 14-68 (Wilhelm/Bundeskartellamt), Slg. 1969, 1, 15. 301 Verordnung Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003, Nr. L 1/01. 302 8. Erwägungsgrund S. 2 der Verordnung 1/03.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Art. 81 Abs. 1 und 2 und Art. 82 EGV waren auch zuvor unmittelbar anwendbar303. Stand es den nationalen Behörden und Gerichten bisher frei, das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht anzuwenden, sind sie nun dazu verpflichtet, wenn ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich des EG-Wettbewerbsrecht fällt304. Damit kommt der Zwischenstaatlichkeitsklausel eine neue Bedeutung zu. Sie behält zwar grundsätzlich ihre Funktion als Zuständigkeitsnorm und Sachnorm. Die neue Bedeutung folgt aber daraus, dass das mitgliedstaatliche Recht für Tatbestände, die die Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllen, Kraft des Vorrangs des dann auch anzuwendenden Gemeinschaftsrechts zurücktritt, wenn es von diesem abweichende Regelungen vorsieht305. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 1/03 bestimmt zusätzlich, dass das mitgliedstaatliche Recht nicht verbieten darf, was gemeinschaftsrechtlich nicht nach Art. 81 Abs. 1 EGV verboten oder nach Art. 81 Abs. 3 EGV freigestellt ist306. Vereinbarungen, die nach Art. 81 Abs. 1 EGV zulässig sind, können nun nicht mehr nach nationalem Recht verboten werden. Das nationale Recht darf nicht wie bisher strenger sein als das Gemeinschaftsrecht. Dies hat zur Konsequenz, dass im Anwendungsbereich des Art. 81 EGV das nationale Kartellrecht faktisch nur anwendbar bleibt, als der in Frage kommende Sachverhalt nicht geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen307. Die faktische Subsidiarität des nationalen Kartellrechts für Vereinbarungen, die in den Anwendungsbereich des Art. 81 EGV fallen, ergibt sich aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht i. V. m. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 1/03, der keine anderen Ergebnisse des nationalen Kartellrechts erlaubt, zu denen man nicht auch bei Anwendung des Art. 81 EGV gekommen wäre308. Sinn dieser Vorschrift sei es, die Kom303

EuGH v. 30.01.1974, Rs. 127/73 (Belgisches Radio/SV Sabam u. a.), Slg. 1974, 51, 62 Rn. 16. 304 Vgl. auch: 8. Erwägungsgrund S. 1 der Verordnung 1/03. Insofern ist es nicht richtig, wie zum Teil behauptet wird, dass der Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 1/03 lediglich die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 3 EGV konstituiere, sich bezüglich der unmittelbaren Anwendbarkeit der Art. 81 Abs. 1, 2 und Art. 82 EGV jedoch nichts verändert habe. 305 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 126 Rn. 4. 306 Vgl. auch 8. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03. Für eine wirksame Durchsetzung der Wettbewerbsregeln in der Gemeinschaft müsse gewährleistet sein, dass die Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts nicht zum Verbot von Vereinbarungen führe, die nicht auch nach Gemeinschaftsrecht verboten sind. 307 L. F. Pace, Die Dezentralisierungspolitik im EG-Kartellrecht – Sind Art. 3 II, 6 der Verordnung 1/2003 rechtmäßig?, EuZW 2004, S. 303; E.-J. Mestmäcker/ H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 126 Rn. 4; A. Weitbrecht, Das neue EG-Kartellverfahrensrecht, EuZW 2003, S. 70. 308 In diesem Sinne Pace, der festhält, dass Art. 3 Abs. 2 Verordnung 1/03 die faktische ausschließliche Anwendbarkeit des EG-Kartellrechts auf Absprachen vor-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

mission zu entlasten, indem die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf die mitgliedstaatliche Ebene verlagert wird und sich die Kommission auf die schwerwiegenden Fälle konzentrieren kann309. Im Mercosur ist grundsätzlich von einer parallelen Geltung des Wettbewerbsschutzprotokolls und des nationalen Wettbewerbsrechts der Mitgliedstaaten auszugehen310. Schutzzweck des Wettbewerbsschutzprotokolls ist der zwischenstaatliche Handel, während die nationalen Vorschriften den innerstaatlichen Wettbewerb schützen. Wie oben dargestellt, kann ein wettbewerbsbeschränkender Sachverhalt gleichzeitig in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls und in den der nationalen Vorschriften fallen. Nur dann, wenn die nationale Rechtsordnung eine vom Wettbewerbsschutzprotokoll unterschiedliche Regelung vorsieht, stellt sich die Frage nach dem Vorrang. Dies könnte dann der Fall sein, wenn das gemeinsame Wettbewerbsrecht im Mercosur eine Vereinbarung oder Verhaltensweise verbietet, die nach nationalem Recht ausdrücklich erlaubt oder freigestellt ist. Eine vom Mercosur-Kartellrecht nicht verbotenen Maßnahme kann dennoch vom mitgliedstaatlichen Recht verboten werden, ohne dass es zu einem Konflikt der Rechtsordnungen kommt. Wie in Teil 1 dargestellt, ist die Rangfrage des Mercosur-Rechts im Verhältnis zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten nicht abschließend geklärt311. Das achte Schiedsgericht hat sieht, die in den Anwendungsbereich des Art. 81 EGV fallen, vgl. L. F. Pace, Die Dezentralisierungspolitik im EG-Kartellrecht, EuZW 2004, S. 303; in diesem Sinne auch: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 126 Rn. 4; S. 148 Rn. 17. 309 EU-Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Art. 85 und 86 EG-Vertrag v. 28.04 1999, ABl. 1999, Nr. C 132/1 (Im Weißbuch Modernisierung hat die Kommission ihre bisherige Praxis zur Durchsetzung von Art. 81 EGV zusammenfassend gewürdigt). Vgl. auch: 3. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03. Die Gesetz gewordene Fassung ist jedoch nicht die „kopernikanische Wende“ (vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 377), die die Kommission ursprünglich geplant hatte. Die ersten Vorschläge der Kommission zur Kartellverfahrensverordnung 1/03 sahen vor, die Geltung des nationalen Rechts im Anwendungsbereich des EG-Kartellrechts auszuschließen, vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag niedergelegten Wettbewerbsregeln und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1017/68, (EWG) Nr. 2988/74, (EWG) Nr. 4056/86, (EWG) Nr. 3975/87, ABl. 2000, Nr. C365 E/284, Art. 3: „(. . .) ist allein das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft unter Ausschluss des Wettbewerbsrechts der Mitgliedstaaten anwendbar“. Die Folge wäre ein noch weiter gehender Bedeutungsverlust für das nationale Kartellrecht gewesen, das dann lediglich auf rein nationale Tatbestände anwendbar gewesen wäre. 310 Vgl. A. I. Piaggi, Relaciones Interempresariales en el Mercosur, Contribuciones 1999 Nr. 1, S. 75 f.; E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Jurídico: El Derecho de la Competencia en el Mercosur, S. 173; so wohl auch: R. Dromi, Competencia y Monopolio – Argentina, Mercosur y OMC, S. 50. 311 Teil 1, IV. 2. c).

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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klargestellt, dass dem Mercosur-Recht „mindestens der Rang von nationalem Gesetzesrecht“ zukommt312. Ein genereller Vorrang gegenüber den nationalen Kartellgesetzen ist demnach derzeit den Verträgen nicht zu entnehmen. Das achte Schiedsurteil steht Verfassungsbestimmungen aber nicht entgegen, die einen Vorrang vorsehen. Wie dargestellt garantieren sowohl die argentinische als auch die paraguayische Verfassung einen Vorrang von internationalen Verträgen gegenüber nationalem Gesetzesrecht, während sich in Brasilien und Uruguay keine klaren Aussagen hinsichtlich des Ranges zwischenstaatlicher Übereinkünfte in den Verfassungen finden. Der Anwendungsbereich des nationalen Wettbewerbsgesetzes Brasiliens enthält jedoch eine Vorrangklausel zugunsten „Konventionen und Verträgen, die Brasilien unterzeichnet hat“313. Das nationale Kartellgesetz ist demnach nicht anwendbar, wenn andere staatsvertragliche Regelungen entgegenstehen314. Das Wettbewerbsschutzprotokoll ist ein solcher Vertrag. Bezüglich des Kartellrechts hat Brasilien also ebenfalls einen Vorrang des Mercosur-Rechts etabliert. Lediglich in Uruguay bleibt die Lage unklar. Bis heute gibt es kein eigenständiges Wettbewerbsgesetz315. Die Verfassung trifft keine Aussage hinsichtlich des Verhältnisses von internationalem zu nationalem Recht316, und eine einheitliche Rechtsprechungspraxis gibt es in dieser Frage ebenso nicht317. Das Verhältnis des Wettbewerbsschutzprotokolls zum mitgliedstaatlichen Kartellrecht ist demnach zumindest für Argentinien, Brasilien und Paraguay vergleichbar mit dem in der Europäischen Union nach dem Teerfarben-Urteil des Europäischen Gerichtshofs und vor Verabschiedung der Kartellverfahrensverordnung 1/03. Nationale und gemeinsame Wettbewerbsvorschriften werden grundsätzlich nebeneinander angewendet. Fällt ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls und in den eines (oder mehrerer) nationaler Wettbewerbsgesetzte und kommt das nationale Recht zu einem den gemeinsamen Vorschriften widersprechenden Ergebnis, hat das gemeinsame Recht Vorrang. Verhaltensweisen, die den 312 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt „Considerando“ und Unterpunkt B, ii). 313 Art. 2 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884: „(. . .) sem prejuízo de convenções e tratados de que seja signatário o Brasil, (. . .)“. 314 A. Marques da Silva Martins, O Direito da Concorrência no MERCOSUL após o Protocolo de Fortaleza, in: P. B. Casella (Hrsg.), Mercosul: Integração Regional e Globalição, 2000, S. 579. 315 Die wenigen Vorschriften, die sich dem Wettbewerbsrecht zuordnen lassen, sind über zwei allgemeine Gesetzte und eine Ausführungsordnung verteilt, vgl. P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 185. 316 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 518. 317 J. A. Tonillo, Reflexiones acerca del Derecho Internacional Privado Latinoamericano, S. 448; siehe bereits Teil 1, IV. 2. d).

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

gemeinsamen Wettbewerbsregeln nicht widersprechen, können dennoch nach nationalem Recht verboten sein. In Uruguay besteht aufgrund des nicht geregelten Rangs des Mercosur-Rechts eher eine Situation vergleichbar mit derjenigen in der Europäischen Union vor dem Erlass des Teerfarben-Urteils. Das Wettbewerbsschutzprotokoll und nationale Vorschriften zum Wettbewerbsrecht sind gleichrangig anzuwenden, weshalb sich die jeweils strengere Rechtsordnung durchsetzt. Im Mercosur wird die Vorrangfrage der gemeinsamen Wettbewerbsregeln im Übrigen weniger relevant sein als in der Europäischen Union. Die Wettbewerbsgesetze der beiden großen Mitgliedstaaten Argentinien und Brasilien sind den Vorschriften im Wettbewerbsschutzprotokoll sehr ähnlich318. Der Tatbestand des Art. 1 des neuen, 1999 erlassenen argentinischen Wettbewerbsgesetzes ist sogar beinahe wörtlich von dem Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls übernommen. Fällt eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme auch in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls, weil der zwischenstaatliche Handel beeinträchtigt wird, ist ein Konflikt unwahrscheinlich, da gleiche Vorschriften angewendet werden. Lediglich durch eine unterschiedliche Auslegung des Rechts kann es zu einem Konflikt kommen. Da sich aber die Mercosur-Wettbewerbsbehörde aus denen der Mitgliedstaaten zusammensetzt319 und zudem in allen Mercosur-Organen das Konsensprinzip gilt320, ist eine unterschiedliche Auslegung nur für den Fall denkbar, dass das Verfahren eben aufgrund des Konsensprinzips nicht zu einem Ergebnis gelangt und schließlich mit einer schiedsgerichtlichen Entscheidung beendet werden muss. 2. Tatbestand nach Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls Nach Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls stellen unabhängig vom Vorliegen eines Verschuldens individuelle oder abgestimmte Handlungen jedweder Art und Weise einen Verstoß gegen das Protokoll dar, die bezwecken oder bewirken, dass der Wettbewerb oder der Marktzugang begrenzt, 318 Aufgrund der Ähnlichkeit des argentinischen und brasilianischen Wettbewerbsgesetzes mit dem Wettbewerbsschutzprotokoll wird dem Wettbewerbsschutzprotokoll bereits ein Harmonisierungseffekt zugeschrieben. T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 69. Ein Harmonisierungseffekt geht auch vom EG-Wettbewerbsrecht aus. Das Wettbewerbsrecht Großbritanniens hat die neue Verordnung 1/03 wörtlich übernommen. Auch die siebte GWB-Novelle diente der Angleichung des deutschen Kartellrechts an das EG-Wettbewerbsrecht, vgl. BGBl. I 1998, 2521, neugefasst durch Bekanntmachung v. 15.7.2005, I 2114. 319 Art. 8 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls. Hierzu weiter unten, Teil 3, III. 4. 320 Art. 37 Protokoll von Ouro Preto; zum Beschlussverfahren: Teil 1, III. 1. b), S. 76.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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beschränkt, verfälscht oder verzerrt wird, oder die einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem jeweiligen Markt für Waren oder Dienstleistungen innerhalb des Mercosur darstellen und den Handel zwischen den Vertragsstaaten beeinträchtigen. Mit der Formulierung folgt das Wettbewerbsschutzprotokoll der Systematik des argentinischen321 und brasilianischen Wettbewerbsschutzgesetzes322. Die Generalklausel enthält einen schuldunabhängigen Grundtatbestand, der in ein Beschränkungs- und Missbrauchsverbot unterteilt werden kann. Der bereits in Art. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls enthaltende örtliche und sachliche Anwendungsbereich wird wiederholt. a) Verbot wettbewerbsbeschränkender Handlungen aa) Maßnahmen/Relevantes Verhalten Gegen die Bestimmungen des Protokolls verstoßen individuelle oder abgestimmte Handlungen, die den Wettbewerb oder den Marktzugang beschränken oder einen Missbrauch einer beherrschenden Marktstellung darstellen.

321 Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 lautet: „Handlungen und Verhaltensweisen, unabhängig von ihrer Form, die in Zusammenhang mit der Produktion oder dem Austausch von Waren oder Dienstleistungen stehen und die eine Begrenzung, Einschränkung, Verfälschung oder Verzerrung des Wettbewerbs oder des Marktzutritts bezwecken oder bewirken oder die den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen, so dass daraus ein Schaden für das wirtschaftliche Allgemeininteresse entstehen kann, sind verboten und werden im Einklang mit den Vorschriften dieses Gesetzes bestraft. Dieser Artikel umfasst auch die Erzielung von bedeutsamen Wettbewerbsvorteilen mittels eines durch Verwaltungsakt oder Gerichtsurteil anerkannten Verstoßes gegen andere Vorschriften, insoweit die Voraussetzungen des vorangegangenen Absatzes erfüllt sind“. Vgl. Boletín Oficial v. 5. April 2001, Nr. 29623, S. 2, eigene Übersetzung. 322 Art. 20 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884/94 lautet: „Einen Verstoß gegen die Wirtschaftsordnung stellen unabhängig von Schuld die Handlungen gleich welcher Art dar, die die folgenden Auswirkungen bezwecken oder bewirken, auch wenn sie nicht eintreten: I – den freien Wettbewerb oder die Handlungsfreiheit zu begrenzen, zu verfälschen oder in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen; II – den relevanten Waren- oder Dienstleistungsmarkt zu beherrschen; III – willkürlich die Gewinne zu erhöhen; IV – in missbräuchlicher Weise eine beherrschende Stellung auszuüben“. Vgl. DOU v. 13.6.1994, zuletzt geändert durch Lei 10.149 (DOU v. 22.12.2000), eigene Übersetzung.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Individuelle Handlungen Mit der Nennung sowohl individueller als auch abgestimmter Handlungen wurde bei der Formulierung des Wettbewerbsschutzprotokolls die Praxis der Wettbewerbsbehörden in Argentinien und Brasilien berücksichtigt. Die Wettbewerbsgesetze beider Länder sind zwar allgemein auf „Handlungen“323 bzw. „Handlungen und Verhaltensweisen“324 anzuwenden, ohne dass konkretisiert wird, ob es sich dabei um abgestimmte oder um individuelle Handlungen handelt. Die argentinische Wettbewerbsbehörde CNDC hat jedoch wiederholt klargestellt, dass der Wortlaut des argentinischen Wettbewerbsgesetzes keine Einschränkung vornimmt und daher alle Handlungen und Verhaltensweise erfasst werden, das argentinische Wettbewerbsgesetzes somit auf individuelle und abgestimmte Verhalten anwendbar sei325. Auch der brasilianische CADE wendet in ständiger Praxis das brasilianische Wettbewerbsgesetz sowohl auf individuelle als auch abgestimmte Verhalten an326. Die ausdrückliche Erfassung auch individueller neben den abgestimmten Verhaltensweisen und dem Missbrauch einer beherrschenden Stellung spricht dafür, dass auch Wettbewerbsverstöße einzelner Unternehmen erfasst werden sollen, ohne dass diese zwingend eine marktbeherrschende Stellung innehaben. Im Falle einer beherrschenden Marktstellung kann zudem ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls vorliegen327. Diese Regelung steht im Einklang mit der Praxis in Argentinien und Brasilien328. 323

Art. 20 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes. Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes, aktuelle und auch alte Fassung von 1980 (Gesetz Nr. 22.262). 325 CNDC v. 17.11.1998, Expte. 064-002931/97 (C.434) (Miguel Ángel Olmo/ Buena Vista Columbia Tristar Films of Argentina S.A.), 5.4; CNDC v. 03.09.1998, Expte. 034-001681/95 (Cámara Argentina de Empresas de Servicios Jurídicos Prepagos/Colegio de Abogados de San Nicolas), 6.11; CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5. Diese Auslegung entspricht auch der herrschenden Meinung in Argentinien, vgl. G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 234 ff.; J. Otamedi, Presupuestos básicos, La Ley 1981-B, S. 907. 326 Für individuelle Verhaltensweisen vgl. etwa CADE v. 25.08.1993, Consulta 003/93 (ABRAFARMA), DOU 31.08.1993, Seção I, S. 12953 ff. Für abgestimmte Verhaltensweisen vgl. CADE v. 19.06.1996, P. A. 155/94, 164/94 (Sindicato dos Loboratórios de Pesquisa et al.), DOU 18.07.1996, S. 13195 ff.; CADE v. 03.09.1997 Representação 147/93 (Escola de Formação de Vigilantes Tiradentes), DOU 19.09.1997, Seção I, S. 20.744 ff. 327 So auch J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 20 in Fn. 1196; D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 73 f., 105 f.; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 282. 324

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Mit dem Verbot auch wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen von Wirtschaftsteilnehmern, die keine dominante Marktposition innehaben, haben sich die Delegierten für einen weiten Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls entschieden. Art. 81 EGV verbietet lediglich Absprachen zwischen Unternehmen. Individuelle Handlungen sind nur im Fall des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung verboten329. Dass auch einseitige Handlungen ohne das Vorliegen einer beherrschenden Marktstellung in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls fallen, könnte seine Begründung in dem unterentwickelten Lauterkeitsrecht in Lateinamerika haben330. So musste sich die argentinische CNDC mit einer Vielzahl von Fällen auseinandersetzen, die privatrechtliche Sachverhalte zum Gegenstand hatten und nach deutschem Recht unter das UWG fallen würden331. Um nicht durch Fälle gebunden zu werden, die zwar unlautere 328

Für Argentinien beispielsweise CNDC v. 12.11.1998, Expte. 064-000961/97 (Axoft Argentina S.A./Sistemas Bejerman), 5.2; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 50 (obwohl das Unternehmen keine marktbeherrschende Stellung innehatte, wurde die Untersuchung, ob der Wettbewerb durch die Verhaltensweise beeinträchtigt war, fortgeführt). Die argentinische Wettbewerbsbehörde hat wiederholt auf die endgültige Feststellung, ob eine beherrschende Marktstellung vorliegt, verzichtet, vgl. Hinweise in Fn. 1037 (3. Teil); vgl. auch: J. Otamedi, Presupuestos básicos, La Ley 1981-B, S. 907. Für Brasilien vgl. CADE v. 25.08.1993, Consulta 003/93 (ABRAFARMA), DOU 31.08.1993, Seção I, S. 12953 ff.; CADE v. 20.08.1997, Representação 209/93 (Diário do Grande ABC), DOU 02.09.1997, Seção I, S. 19147. 329 Gemäß Art. 82 EGV. Allerdings interpretieren die Gemeinschaftsorgane zunehmend auch einseitige Maßnahmen als Vereinbarungen zwischen Unternehmen im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV, weshalb auch in der Europäischen Union einseitige Maßnahmen unter das Beschränkungsverbot fallen können, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 82 EGV gegeben sein müssen. Hierzu weiter unten in diesem Gliederungsabschnitt, S. 399 f. 330 Dies vermutet T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 157 für Argentinien. Zum Lauterkeitsrecht in Brasilien und Argentinien: J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 53–91, insb. S. 71, 90 f.; N. E. Spolansky, El delito de competencia desleal y el mercado competetivo, 1997. Zur Unterentwicklung des Lauterkeitsrechts in Argentinien auch: I. Míguez, La empresa y las responsabilidades emergentes de la competencia desleal, Prudentia Iuris 2000 Nr. 52, S. 38. 331 Z. B. Vertragsbrüche, anstößige Werbekampagnen etc., vgl. CNDC v. 12.11.1998, Expte. 064-000961/97 (Axoft Argentina S.A./Sistemas Bejerman), 3.1. ff.; CNDC v. 12.08.1992, Expte. 610.983/92 (Salomón Tarrab/Benjamín Pariesky), S. 1; CNDC v. 29.12.1998, Expte. 064-002600/97 (Asociación Mutual Mercantil Argentina), 3. Die knappen Kapazitäten der argentinischen Wettbewerbsbehörde wurden dadurch unnötig gebunden. Es wurde daher vorgeschlagen, die Möglichkeit von Privatanzeigen zu verringern und durch von Amts wegen einzuleitende Verfahren zu ersetzen, vgl. C. A. Galván, Delineando la „función a cumplir“ por la nueva ley de defensa de la competencia, La Ley v. 25.04.2000, Suplem. S. 1–3.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Praktiken zum Gegenstand, aber keine wesentlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, hat die CNDC klargestellt, dass das argentinische Wettbewerbsgesetz nur auf individuelle Handlungen von Personen in einer marktbeherrschenden Stellung oder solchen, die zumindest im Besitz von Marktmacht sind, anwendbar sei. Denn ohne Marktmacht könne kein Einfluss auf das Marktgeschehen ausgeübt werden332. Ähnlich ist die Handhabe in Brasilien. Der CADE argumentiert, es könne nicht von wettbewerbsbeschränkenden Praktiken die Rede sein, wenn ein Unternehmen keinen bedeutenden Marktanteil oder wirtschaftliche Macht besitze333. Dass nur individuelle Wettbewerbsbeschränkungen von Marktteilnehmern mit Marktmacht gemeint sein können, zeigt sich im Übrigen auch an dem ersten Regelbeispiel in Art. 6 Nr. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls334. Danach stellt die abgestimmte oder individuelle Festsetzung, Auferlegung oder Anwendung jeglicher Art von Preisen und Bedingungen für Waren oder Dienstleistungen eine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise dar. Die individuelle und freie Festlegung von Preisen und Verkaufsbedingungen ist aber gerade Wesen des Leistungswettbewerbs, den das Protokoll schützen soll335. Entsprechend ist in der Literatur zum EG-Wettbewerbsrecht 332 Grundlegend: CNDC v. 17.11.1998, Expte. 064-002931/97 (C.434) (Miguel Ángel Olmo/Buena Vista Columbia Tristar Films of Argentina S.A.), 5.4 f.; CNDC v. 03.09.1998, Expte. 034-001681/95 (Cámara Argentina de Empresas de Servicios Jurídicos Prepagos/Colegio de Abogados de San Nicolas), 6.11; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 75. 333 CADE v. 08.10.1997, P. A. 41/92 (IBM do Brasil), DOU 21.10.1997, Seção I, S. 23710; CADE v. 03.09.1997 Representação 147/93 (Escola de Formação de Vigilantes Tiradentes), DOU 19.09.1997, Seção I, S. 20.744 ff.; CADE v. 01.10.1997, A. P. 08000.016012/94-76 (Livraria Laselva e INFRAERO), DOU 27.10.1997, Seção I, S. 24157; CADE v. 05.11.1997, P. A. 08000.011634/94-07 (Sindicato das Indfflstrias de Panificação Kibon e Indfflstria de Alimentícias Gerais), DOU 21.11.1997, Seção I, S. 27243; CADE v. 25.08.1993, Consulta 003/93 (ABRAFARMA), DOU 31.08.1993, Seção I, S. 12953. 334 Das Regelbeispiel wird ausführlich dargestellt in Teil 3, III. 2. a), cc), (1) und Teil 3, III. 2. b), cc), (1). 335 So für Art. 2 lit. a des argentinischen Wettbewerbsgesetzes G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 408, 415. Die CNDC erkennt an, dass die Möglichkeit, Preise frei festzusetzen, wesentlicher Bestandteil der Handlungs- und Vertragsfreiheit ist und dem Preis in einem funktionierendem Markt die Funktion zukommt, Angebot und Nachfrage auszugleichen, vgl. CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), IV.; CNDC v. 28.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), IV. a) und VI. So im Übrigen auch in der Begründung zum argentinischen Wettbewerbsgesetz von 1980 Nr. 22.262. Auch der brasilianische CADE betont in ständiger Praxis, dass die Marktakteure die Preise für Güter und Dienstleistungen frei festsetzen können sol-

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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anerkannt, dass das autonome Festsetzen von Preisen nur wettbewerbswidrig ist, wenn das Unternehmen eine marktbeherrschende Position inne hat und Preismissbrauch betreibt336. Nur in diesem Fall ist es aus wettbewerbspolitischer Sicht sinnvoll und freiheitsdogmatisch rechtfertigbar, die Preispolitik eines Unternehmens zu kontrollieren. Die Ausdehnung von Preiskontrollen darüber hinaus würde eine willkürliche Beeinflussung des Marktes durch die Politik ermöglichen337. Es ist davon auszugehen, dass man bei der Formulierung des Wettbewerbsschutzprotokolls die nationale Auslegungspraxis im Hinterkopf hatte und demnach nicht jede einseitige Bestimmung von Preisen als wettbewerbswidrig einzustufen ist, sondern lediglich das Verlangen überhöhter Preise durch marktstarke Unternehmen. Nur Unternehmen in dominierender Position ist es überhaupt möglich, ohne sich mit Wettbewerbern abzusprechen, überhöhte Preise zu verlangen338. Aufgrund der Praxis in beiden großen Vertragsstaaten Argentinien und Brasilien ist also anzunehmen, dass für den Tatbestand der einseitigen Wettbewerbsbeschränkung zwar keine marktbeherrschende Stellung, aber dennoch Marktmacht des in Betracht kommenden Wirtschaftsteilnehmers gegeben sein muss339. Der Tatbestand des Missbrauchs einer beherrschenden Marktposition in Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls erscheint nur dann nicht als redundant340, wenn man diesen als eine besonders schwerwiegende Form der einseitigen Wettbewerbsbeschränkung betrachtet. Der offenkundige Unterschied zum EG-Kartellrecht, in dem einseitige Verhaltensweisen nur im Fall von Marktmacht verboten sein können, relativiert sich vor dem Hintergrund der neueren Entwicklung der Praxis in der len, vgl. statt vieler: CADE v. 14.02.1996, P. A. 61/92 (Associação Médica Brasileira – AMB), DOU 28.02.1996, Seção I, S. 2850. So auch immer wieder der Europäische Gerichtshof, seit: EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/ Kommission), Slg. 1979, 461, 539 ff.; vgl. auch: KomE v. 22.12.1972 (Cimbel), ABl. 1972, Nr. L 303/24, 32. 336 Vgl. C. Jung, Art. 82 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 144; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 464; H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 162; ders., Art. 82, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 171. 337 Hierzu ausführlicher in Teil 3, IV. 338 Zutreffend: H. Schröter, Art. 82, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 182. In Erkenntnis dieser Tatsache definiert die CNDC Marktmacht als Möglichkeit, die Preise einseitig zu beeinflussen, vgl. CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, Serie de Documentos Nr. 1, 1997, 4. 339 Somit stellt sich die Frage, was unter Marktmacht zu verstehen ist. Hierzu Teil 3, III. 2. b), bb). 340 So D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 106; für die argentinische Parallelvorschrift vgl. auch: J. Otamedi, Presupuestos básicos, La Ley 1981-B, S. 914; sowie für die brasilianische Parallelvorschrift: J. I. G. Franceschini, Introdução ao Direito da Concorrência, S. 45.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Europäischen Union. Die Gemeinschaftsorgane interpretieren zunehmend auch einseitige Maßnahmen im Rahmen bestehender vertraglicher Beziehungen als Vereinbarung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV, wenn eine stillschweigende oder konkludente Zustimmung der Vertragsgegenseite angenommen werden kann341, weshalb auch in der Europäischen Union einseitige Maßnahmen unter das Beschränkungsverbot fallen können, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 82 EGV (Missbrauch von Marktmacht) gegeben sein müssen. Dabei handelt es sich vor allem um einseitige Maßnahmen, mittels derer Hersteller versuchen, den Großhändlern Ausfuhrverbote aufzuerlegen, um so unerwünschte Reimporte oder Weiterexporte zu verhindern. Im Fall „Sandoz“ befand der Europäische Gerichtshof die stillschweigende Zustimmung zu einem auf der Rechnung aufgedruckten Hinweis „Ausfuhr verboten“ als Vereinbarung im Sinne des Art. 81 EGV342. In den Rechtssachen „AEG“, „Ford“ und „BMW Belgium“ ging es um vom Hersteller auferlegte Bedingungen im Rahmen bestehender selektiver Vertriebssysteme343. Der Gerichtshof sah es als erwiesen an, dass die Händler diesen zugestimmt hätten, so dass eine Vereinbarung im Sinne des Art. 81 EGV vorliege344. Diese Praxis ist von daher bedenklich, als sie mit dem Wortlaut des Art. 81 Abs. 1 EGV nur zu vereinbaren ist, solange in irgend einer Form eine Vereinbarung angenommen werden kann345. Im Urteil „Adalat/ Bayer“ schränkte das Gericht erster Instanz diese Rechtsprechung denn auch dahingehend ein, dass es eine stillschweigende Zustimmung zu Ausfuhrverboten im Rahmen selektiver Vertriebssysteme nicht grundsätzlich annimmt. In den genannten Entscheidungen hätte die stillschweigende oder konkludente Zustimmung bejaht werden können. Das Ausfuhrverbot, das Bayer den Großhändlern in Spanien und Frankreich auferlegt hatte, um sie am Export des Medikamentes „Adalat“ nach Großbritannien zu hindern, sei aber nicht auf deren stillschweigende Zustimmung gestoßen346 und kein in341 Hierzu auch: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 390; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 242–244. 342 EuG v. 11.01.1990, Rs. 277/87 (Sandoz Prodotti Farmaceutici/Kommission), Slg. 1990 I, 45, Rn. 11, 23. 343 Ein selektives Vertriebssystem ist eine Absatzorganisation, bei der sich der Hersteller in einem bestimmten Gebiet auf eine ausgewählte Anzahl von Groß- und Einzelhändler unter Ausschluss der übrigen Händler beschränkt. Es werden der qualitativ und der quantitativ selektive Vertrieb unterschieden. G. Grill, Art. 81, in: Lenz/Borchardt, Rn. 83 u. 101–106; R. Klotz, Art. 81 – Fallgruppen: Liefer- und Bezugsvereinbarungen, in: Schröter/Jakob/Merderer, Rn. 172 ff. 344 Vgl. EuGH v. 12.07.1979, Rs. 32-78 und 36 bis 82-78 (BMW Belgium u. a./ Kommission), Slg. 1979, 2435, 2477 Rn. 30 f.; EuGH v. 25.10.1983, Rs. 107/82 (AEG u. a./Kommission), Slg. 1983, 3151, 3195 Rn. 35; EuGH v. 17.09.1985, Rs. 25 u. 26/84 (Ford/Kommission), Slg. 1985, 2725, Rn. 12. EuGH v. 24.10.1995, Rs. C-70/93 (BMW/ALD), Slg. 1995 I, 3439, 3467 f. Rn. 14, 16 ff. 345 Hierauf verweist V. Emmerich, Kartellrecht, S. 390.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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tegraler Bestandteil der geschäftlichen Beziehungen zwischen den Parteien geworden347. Damit liegen die Vorschriften des Wettbewerbsschutzprotokolls auf einer Linie mit der Praxis im EG-Kartellrecht trotz des Unterschieds im Wortlaut. Das Kriterium der Marktmacht dient der Abgrenzung von nicht marktrelevanten Wettbewerbsbeschränkungen, die in Europa unter das Lauterkeitsrecht fallen. Das Zustandekommen des Wortlauts des Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls und auch der entsprechenden Vorschriften in den argentinischen und brasilianischen Wettbewerbsgesetzen erklärt sich anhand der Geschichte des Wettbewerbsrechts in diesen Ländern. Vorbild für den Tatbestand der einseitigen Wettbewerbsbeschränkung war das US-Antitrustrecht348. Der Sherman Act von 1890 verbietet bereits den Versuch, eine Monopolstellung zu erlangen349. Der Tatbestand des Missbrauchs einer bereits bestehenden marktbeherrschenden Stellung wurde aus dem EG-Wettbewerbsrecht übernommen350. Wie die Abgrenzung einseitiger wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen zur Figur des Missbrauchs einer beherrschenden Marktstellung in der Praxis des Mercosur vonstattengehen wird, bleibt abzuwarten.

346 EuG v. 26.10.2000, Rs. T-41/96 (Bayer/Kommission), Slg. 2000 II, 3383, Rn. 52 f., 119–124, 141; bestätigt durch EuGH v. 06.01.2004, Rs. C-2/01 P u. C-3/01 P (BAI u. Kommission/Bayer), Slg. 2004 I, 23, Rn. 88 f., 101–103. 347 So aber die Kommission in der durch das Europäische Gericht erster Instanz gerügten Entscheidung, vgl. KomE v. 10.01.1996, (Adalat/Bayer), ABl. 1996, Nr. L 201/1, Rn. 186. Im Umkehrschluss bestätigt diese Rechsprechung, dass Lieferverweigerungen und Diskriminierungen gegenüber Abnehmern solange mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar sind, als diese Praktiken nicht von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen. Ausführlich hierzu in Teil 3, III. 2. a) cc), (4) sowie Teil 3, III. 2. b), cc), (2) und (6). 348 Vgl. C. Salomão Filho, Direito concorrêncial, S. 65. 349 Art. 2 des Sherman Act. Für Argentinien wird darauf hingewiesen, dass auch individuelle Verhaltensweisen, die das Erreichen einer Monopolstellung bezwecken, erfasst werden sollen, vgl. G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia (1983), S. 272. 350 W. Faria, Defensa de la Competencia en el MERCOSUR, Revista del Derecho Industrial 1993 Nr. 43, S. 23 ff. Für das argentinische Wettbewerbsgesetz, welches einen starken Einfluss auf das Wettbewerbsschutzprotokoll hatte, auch: E. J. Cárdenas, Características de un abuso de posición dominante, La Ley 1984-A, S. 28 f.; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. II, S. 177. Für das brasilianische Wettbewerbsgesetz vgl. P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 71.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Abgestimmte Handlungen Das Verbot abgestimmter Handlungen in Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls ist der Formulierung des Art. 81 Abs. 1 EGV ähnlich, wo neben Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten sind. Im EU-Recht gilt das Verbot aufeinander abgestimmter Handlungen als Auffangtatbestand351. Es soll mögliche Schutzlücken schließen, die eine Beschränkung des Kartellverbots auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen mit sich bringen könnte. Die Formulierung des Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls spricht lediglich von abgestimmtem Verhalten, das gegen das Protokoll verstößt. Die Delegierten haben sich vermutlich der Verständlichkeit des Artikels wegen entschieden, nur den umfassenderen Auffangtatbestand des abgestimmten Verhaltens aufzunehmen. Es kann angenommen werden, dass hierunter auch vertragliche Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen fallen, welche zu abgestimmten Verhalten führen352. Die Darstellung, inwieweit diese Tatbestände im EGWettbewerbsrecht inhaltlich ausgefüllt werden, kann daher auch für das Verständnis, was unter abgestimmtem Verhalten im Wettbewerbsschutzprotokoll des Mercosur zu verstehen ist, hilfreich sein. Vereinbarungen im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV sind alle Formen der Verständigung zwischen Unternehmen353 über wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen354. Die beteiligten Unternehmen müssen ihren Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich in einer bestimmten Weise am Markt zu verhalten355. Besondere Formen der Vereinbarungen sind für deren Zustande351 G. Grill, Art. 81, in: Lenz/Borchardt, Rn. 5; H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 50, 68; V. Emmerich, H. I § 1, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 80; H.-J. Bunte, Art. 81 EG – Generelle Prinzipien, in: Langen/ ders., Rn. 28; T. Eilmansberger, Art. 81 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 16; I. Brinker, Art. 81 EGV, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, S. 945 Rn. 33. 352 Die Wettbewerbsbeschränkung, gegen die sich das Verbot von Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschlüssen von Unternehmensverbänden richtet, wird häufig durch abgestimmtes Verhalten herbeigeführt, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 247 Rn. 15. Für eine weite Auslegung auch D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 75. 353 Der Begriff des Unternehmers steht den Normadressaten des Wettbewerbsschutzprotokolls, nämlich „natürlichen und juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts und anderen Stellen“, in etwa gleich, hierzu bereits oben in Teil 3, III. 1. a), cc). 354 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 33. 355 Zuletzt: EuGH v. 06.01.2004, Rs. C-2/01 P u. C-3/01 P (BAI u. Kommission/ Bayer), Slg. 2004 I, 23, Rn. 89, 146, bestätigt EuG v. 26.10.2000, Rs. T-41/96

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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kommen nicht notwendig. Es kann sich um rechtsverbindliche Verträge oder aber auch nur um gesellschaftlich-moralisch bindende Absprachen, so genannte gentlemen’s agreements handeln356. Ebenso gleichgültig sind Gegenstand, Zweck oder Motive der Vereinbarung. Die Verständigung kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen357. Einzig ausschlaggebend ist, dass sie durch gegenseitige Willensübereinstimmung zustande kommt358. Ob eine Willensübereinstimmung vorliegt, ergibt sich aus dem Marktverhalten. Wenn ein Unternehmen eine Kartellvereinbarung missbilligt, sein Verhalten aber dennoch mit dem Kartell übereinstimmt, wird eine stillschweigende Zustimmung angenommen359. Das gleiche gilt für die nicht abgesprochene Fortführung verbotener Kartelle360. Die Beispiele verdeutlichen, dass Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen eng beieinander liegen. Ist eine Vereinbarung nicht nachweisbar, kann die Absprache dennoch als abgestimmte Verhaltensweise unter das Kartellverbot fallen361. Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen362 können, wenn sie von einer hinreichend großen Zahl der Mitgliedsunternehmen befolgt werden, (Bayer/Kommission), Slg. 2000 II, 3383 Rn. 67; EuGH v. 15.07.1970, Rs. 41-69 (ACF Chemiefarma/Kommission), Slg. 1970, 661, 696 Rn. 110; EuG v. 14.05.1998, Rs. T-347/94 (Mayr-Melnhof/Kommission), Slg. 1998 II, 1751, 1777 Rn. 65. 356 EuG v. 06.04.1995, Rs. T-141/89 (Tréfileurope/Kommission), Slg. 1995 II, 791, 830 f. Rn. 96. Dass die Vereinbarung kein nach innerstaatlichem Recht wirksamer Vertrags sein muss, stellte der Europäische Gerichtshof auch in den Entscheidungen „Sandoz“ klar, vgl. EuGH v. 11.01.1990, Rs. 277/87 (Sandoz Prodotti Farmaceutici/Kommission), Slg. 1990 I, 45, Rn. 23. Auch so EuG v. 26.10.2000, Rs. T-41/96 (Bayer/Kommission), Slg. 2000 II, 3383, 3409, Rn. 67–69; EuGH v. 06.01.2004, Rs. C-2/01 P u. C-3/01 P (BAI u. Kommission/Bayer), Slg. 2004 I, 23, Rn. 97–105. Zum Teil wird in der Literatur dennoch Rechtsverbindlichkeit für erforderlich gehalten. Zur Diskussion: P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 99. 357 EuG v. 26.10.2000, Rs. T-41/96 (Bayer/Kommission), Slg. 2000 II, 3383, 3409, Rn. 67–69. 358 P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 101; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 34. 359 EuG v. 14.05.1998, Rs. T-311/94 (BPB de Eendracht/Kommission), Slg. 1998 II, 1129, 1189 Rn. 193 u. 198; EuG v. 06.04.1995, Rs. T-141/89 (Tréfileurope/Kommission), Slg. 1995 II, 791, 830 Rn. 96 u. 85. 360 Mit weitern Nachweisen: E. Gippini-Fournier, Art. 81 Abs. 1, in: Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I: Europäisches Recht, Kommentar, 2005, Rn. 79. 361 Die EU-Kommission stellt zuweilen auch eine Doppelqualifikation fest, vgl. KomE v. 27.07.1994, (PVC), ABl. 1994, Nr. L 239/14; KomE v. 20.03.2002 (HFB), Slg. 2002 II, 1487, 1537 Rn. 186–192. 362 Unter Unternehmensvereinigungen versteht der Europäische Gerichtshof jeden privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Zusammenschluss von Unternehmen einschließlich der Zusammenschlüsse von Verbänden zum Zweck der Wahrnehmung der Interessen der Mitglieder. Darunter fallen auch die Standes- und Berufsvereini-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

dieselbe Wirkung haben wie Vereinbarungen zwischen Unternehmen363. Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen sind alle Akte der Willensbildung, unabhängig vom Verfahren, Organ oder dem der Willensbildung zugrunde liegenden Rechtsakt364. Unerheblich ist, ob die Beschlüsse rechtlich oder nur wirtschaftlich bindend sind365. Art. 81 Abs. 1 EGV erfasst grundsätzlich alle Handlungen von Unternehmensvereinigungen, die auf solche Folgen abzielen, die Art. 81 EGV gerade verhindern will366. Beschlüsse, die satzungsgemäß ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten der Mitglieder bezwecken367 oder die das Wettbewerbsverhalten der Mitglieder steuern sollen, fallen ohne weitere Überprüfung des tatsächlichen Verhaltens der Mitglieder in den Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EGV368. Art. 81 Abs. 1 EGV ist nicht anwendbar auf Beschlüsse, die staatlichen Entscheidungen zuzurechnen sind. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Berufsverband öffentliche, dem Allgemeininteresse dienende Aufgaben wahrnimmt369. Beschlüsse von Unternehmensverbänden und Vereinbarungen zwischen Unternehmen lassen sich nicht immer eindeutig abgrenzen370. Richten Wirtgungen, vgl. EuGH v. 30.01.1985, Rs. 123/83 (BNIC/Clair), Slg. 1985, 391, 423 f.; EuGH v. 18.05.1989, Rs. 266 u. 267/87 (Queen/Royal Pharmaceutical Society u. a.), Slg. 1989, 1295, 1326 ff.; vgl. auch: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 244 Rn. 10. 363 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 37. 364 H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 80 ff.; T. Eilmansberger, Art. 81 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 14 f.; P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 102 ff. 365 EuGH v. 29.10.1980, Rs. 209 bis 215 und 218-78 (van Landewyk u. a./Kommission), Slg. 1980, 3125, 3250 Rn. 85 ff.; EuGH v. 27.01.1987, Rs. 45/85 (Verband der Sachversicherer/Kommission), Slg. 1987, 405, 454 f. Rn. 29 ff. Vgl. auch: V. Emmerich, H. I § 1, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 65; H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 82. 366 EuGH v. 19.03.1964, Rs. 67-63 (Sorema/hohe Behörde EGKS), Slg. 1964, 323, 347; EuGH v. 15.05.1975, Rs. 71/74 (Frubo/Kommission), Slg. 1975, 563, 583 f.; EuGH v. 29.10.1980, Rs. 209 bis 215 und 218-78 (van Landewyck u. a./ Kommission), Slg. 1980, 3125, 3250 Rn. 88. 367 Vgl. beispielsweise KomE v. 26.10.1999 (FEG u. TU), ABl. 2000, Nr. L 39/1, Rn. 94–99. 368 H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 65. 369 Lassen die gesetzlichen Vorschriften hingegen einen Spielraum, den Wettbewerb durch eigene Maßnahmen zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen, findet Art. 81 Abs. 1 EGV Anwendung. vgl. EuG v. 30.03.2000, Rs. T-513/93 (Consiglio Nazionale Degli Spedizianieri Doganali/Kommission), Slg. 2000 II, 1807, 1829 Rn. 54–58. Unternehmen in Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben fallen nicht in den Anwendungsbereich des EG-Kartellrechts, da sie in Ausübung einer gesetzlichen Tätigkeit nicht als Unternehmen im Sinne des Art. 81 Abs. 1 zu qualifizieren sind, vgl. EuGH v. 16.03.2004, Rs. C-264/01, C-306/01, C-354 u. 355/01 (AOK Bundesverband u. a./Ichthyol u. a.), Slg. 2004 I, 2493, Rn. 65.

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schaftsverbände (nicht bindende) Empfehlungen an ihre Mitglieder, führen diese aber dennoch zu einer gemeinsamen wettbewerbsbeschränkenden Praxis, so fallen solche Empfehlungen auch unter den Tatbestand des aufeinander abgestimmten Verhaltens371. Aufeinander abgestimmtes Verhalten definiert der Europäische Gerichtshof als eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, „die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinne gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Die aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen erfüllen daher schon ihrem Wesen nach nicht alle Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung, sondern können sich insbesondere auch aus einer im Verhalten der Beteiligten zu Tage tretenden Koordinierung ergeben“372. Unter abgestimmten Verhalten ist im EU-Wettbewerbsrecht also jede sonstige noch so lockere Form der Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens von Unternehmen zu verstehen, die aufgrund fehlender rechtlicher oder faktischer Verbindlichkeit nicht als Vertrag oder Beschluss eingeordnet werden kann373. Ebenso wie Vereinbarungen und Beschlüsse sollen aufeinander abgestimmte Verhaltesweisen die Ungewissheit über das Wettbewerbsverhalten der beteiligten Unternehmen ausschließen und eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lassen374. Maßgeblich für das Vorliegen eines abgestimmten Verhaltens ist der Verstoß gegen das Selbständigkeitspostulat375, 370 Vielmehr beruhen Beschlüsse immer auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen in Form der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags, vgl. KomE v. 26.10.1999 (FEG u. TU), ABl. 2000, Nr. L 39/1 16 Rn. 95, weshalb die Kommission zuweilen auf eine klare Zuordnung verzichtet, vgl. KomE v. 04.12.1992 (Lloyd’s Underwriters Association), ABl. 1993, Nr. L 4/26, 28 f. Nr. 28. 371 H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 66 f.; H.-J. Bunte, Art. 81 – Generelle Prinzipien, in: Langen/ders., Rn. 27. 372 Vgl. EuGH, v. 14.07.1972, Rs. 48/69 (Imperial Chemical Industries/Kommission), Slg. 1972, 619, 658 Rn. 64–67; EuGH v. 14.07.1972, Rs. 57-69 (ACNA/ Kommission), Slg. 1972, 933, 951 ff. Rn. 55–58; EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 1942; EuGH v. 14.07.1981, Rs. 172/80 (Züchner/Bayerische Vereinsbank), Slg. 1981, 2021, Rn. 12; EuGH v. 31.03.1993, Rs. C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, 117/85, 125/85 bis 129/85 (Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission), Slg. 1993 I, 1307, 1599 Rn. 63, 176; EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-199/92 P. (Hüls/Kommission), Slg. 1999, I, 4287, 4385 Rn. 158. 373 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 34. 374 EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-49/92 P. (Anic Participazioni/Kommission), Slg. 1999 I, 4125, 4202 f. Rn. 115–118. 375 EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 1965 Rn. 173 f.; EuGH v. 14.07.1981, Rs. 172/80 (Züchner/Bayerische Vereinsbank), Slg. 1981, 2021, 2031 Rn. 13 f.; EuGH

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welches „streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen“ entgegensteht376. In der Regel gibt es keinen Beweis für eine Verhaltensabstimmung wie Zeugen, Sitzungsprotokolle oder schriftliche Vereinbarungen, die zur Kenntnis der Kartellbehörde gelangen377. Koordiniertes Wettbewerbsverhalten ist daran erkennbar, dass sich im Wettbewerb zueinander stehende Wirtschaftsteilnehmer nicht so verhalten, wie es die Marktlage eigentlich erfordert, sondern ihr Marktverhalten nach Informationen über das künftige Verhalten der Konkurrenten ausrichten378. Der Europäische Gerichtshof vermutet eine Fühlungnahme vor allem dann, wenn die Wettbewerbsbedingungen nicht den normalen Bedingungen des Marktes entsprechen379. Dies ist unter anderem dann gegeben, wenn sich ein Preisgleichgewicht auf einem Niveau einstellt, das bei unverfälschtem Wettbewerb nicht erreichbar gewesen wäre380. Auch dann, wenn Wirtschaftsteilnehmer offensichtlich ihren Wirtschaftsinteressen zuwider handeln, nimmt die Kommission Verhaltensabstimmung an381. Einseitige Informationsmitteilung, z. B. die Veröffentlichung von v. 28.05.1998, Rs. C-7/95 P (J. Deere/Kommission), Slg. 1998 I, 3111, 3163 Rn. 87; EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-199/92 P. (Hüls/Kommission), Slg. 1999, I, 4287, 4385 Rn. 160. 376 EuGH v. 14.07.1981, Rs. 172/80 (Züchner/Bayerische Vereinsbank), Slg. 1981, 2021, 2031 Rn. 14; EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-199/92 P (Hüls/Kommission), Slg. 1999, I, 4287, 4386 Rn. 160; EuGH v. 28.05.1998, Rs. C-7/95 P (J. Deere/Kommission), Slg. 1998 I, 3111, 3163 Rn. 87. 377 Wie etwa jüngst im Bleichmittelkartell, welches die Europäische Kommission auch aufgrund eines Sitzungsprotokolls aufdeckte, vgl. ohne Nennung des Autors, Degussa kommt als Kronzeuge ungestraft davon: EU-Kommission verhängt Geldbußen über insgesamt mehr als 388,1 Millionen Euro als Kartellstrafe gegen sieben Chemiefirmen, SZ v. 04.05.2006, S. 23. 378 EuG v. 10.03.1992, Rs. T-1/89 (Polypropylen), Slg. 1992 II, 499. In Betracht kommt insbesondere das Austauschen von Preislisten oder sonstigen Daten, vgl. EuGH v. 28.03.1984, Rs. 29/83 u. 30/89 (CRAM u. Rheinzink/Kommission), Slg. 1984, 1679, 1702, Informationen von Gebühren bei Banken, vgl. EuGH v. 14.07. 1981, Rs. 172/80 (Züchner/Bayerische Vereinsbank), Slg. 1981, 2021, 2031 ff., oder das Verteilen von Preislisten durch Industrie- oder Unternehmensverbände, vgl. KomE v. 15.07.1975 (IFTRA-Aluminium), ABl. 1975, Nr. L 228/3; KomE v. 08.02.1980 (Walzstahl), ABl. 1980, Nr. L 62/28. 379 EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-199/92 P (Hüls/Kommission), Slg. 1999, I, 4287, 4386 Rn. 160; EuGH v. 14.07.1972, Rs. 48/69 (Imperial Chemical Industries/Kommission), Slg. 1972, 619, 658. 380 Besonders, wenn dieses Preisniveau sogar auf verschiedenen nationalen Märkten Anwendung findet, die unterschiedliche Strukturen und Wettbewerbsbedingungen aufweisen und daher zu einer differenzierten Marktstrategie Anlass geben müssten, vgl. EuGH v. 14.07.1972, Rs. 48/69 (Imperial Chemical Industries/Kommission), Slg. 1972, 619. 381 Dies ist anzunehmen, wenn Hersteller außerhalb ihres Heimatmarktes nur andere Hersteller anstelle von Endverbraucher oder Händler beliefern oder wenn sie

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Preislisten durch ein führendes Unternehmen, kann unter Umständen als Abstimmung gewertet werden. Zwar bleiben die Unternehmen in ihren Entscheidungen unabhängig, doch ist durch die Vergemeinschaftung wettbewerbserheblicher Informationen eine Verringerung der Unsicherheit über zukünftige Marktreaktionen der Rivalen möglich382. Der Europäische Gerichtshof stellte jedoch klar, dass eine Abstimmung nur angenommen werden kann, wenn das ankündigende Unternehmen zum Zeitpunkt der Preisankündigung Gewissheit über das künftige Verhalten der Wettbewerber hatte, also wenn es davon ausgehen konnte, dass die Wettbewerber den Preisankündigungen folgen werden383. Gegen das Selbständigkeitspostulat verstößt nicht, wenn sich Wettbewerber am Markt lediglich gleichförmig verhalten oder „mit wachem Sinn“ der Marktlage anpassen384. Insbesondere steht es jedem Marktteilnehmer frei, in die Preise von Konkurrenten „einzusteigen“385. Das so genannte bloße Parallelverhalten ist gerade Bestandteil des Wettbewerbs, der die Wettbewerber zwingt, die Konkurrenten zu beobachten und sich auf deren Verhalten einzustellen. Die Abgrenzung zwischen erlaubtem Parallelverhalten und verbotenem abgestimmten Verhalten ist besonders im Oligopol schwierig und zuweilen nur durch Indizien unter Berücksichtigung der Besonderheiten der betreffenden Märkte möglich386. Denn gerade dann, wenn oligopolistische Strukturen vorherrschen, sind parallele Preiserhöhungen als Folge der gleichen Marktbedingungen anzunehmen387. Der Europäische Gedort übliche Herstellerabgabepreise akzeptieren, wenn sie von Ausfuhren in andere Mitgliedstaaten ganz absehen oder wenn sie ihre Preise so hoch setzen, dass potentielle Abnehmer von vorn herein abgeschreckt werden, vgl. KomE, v. 02.01.1973 (Europäische Zuckerindustrie), ABI. 1973, L 140, 17, 30 ff. 382 Ausführlich zu Marktinformationssystemen vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 255–260. 383 EuGH v. 31.03.1993, Rs. C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, 117/85, 125/85 bis 129/85 (Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission), Slg. 1993 I, 1307, 1599 Rn. 64. 384 EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 1965; EuGH v. 14.07.1981, Rs. 172/80 (Züchner/Bayerische Vereinsbank), Slg. 1981, 2021, 2035; EuGH v. 28.05.1998, Rs. C-7/95 P (J. Deere/Kommission), Slg. 1998 I, 3111, 3162 ff. Rn. 86–92; EuG v. 10.03.1992, Rs. T-9/89 (Hüls/Kommission), Slg. 1992 II, 499, Leitsatz Nr. 8. 385 EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663 Rn. 87; EuGH v. 14.07.1981, Rs. 172/80 (Züchner/Bayerische Vereinsbank), Slg. 1981, 2021, 2031. 386 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 36. 387 Es besteht zwischen den wenigen Wettbewerbern eine so hohe Interdependenz, dass keiner von ihnen eine Maßnahme treffen kann, ohne dass die anderen betroffen sind und entsprechen reagieren müssen, vgl. R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, S. 417 Rn. 16; H.-J. Bunte, Art. 81 – Generelle Prin-

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richtshof sieht im Parallelverhalten selbst ein Indiz für eine Verhaltensabstimmung, wenn die Wettbewerbsbedingungen „im Hinblick auf die Art der Waren, die Bedeutung und Anzahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht den normalen Marktbedingungen entsprechen“388. Neben der Verhaltensabstimmung setzt der Europäische Gerichtshof ein entsprechendes Verhalten am Markt sowie eine Kausalitätsbeziehung zwischen beiden voraus389. Dabei komme es nicht darauf an, dass das Marktverhalten tatsächlich eine Wettbewerbsbeschränkung bewirke390. Eine Verhaltenskoordination, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, sei in jedem Fall unabhängig von ihrer Wirkung verboten391. Der Übergang zwischen abgestimmten Verhaltensweisen und Vereinbarungen oder Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen ist, wie dargestellt, fließend392. Das Verbot aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen verhindert die Umgehung des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen durch Ausweichen auf Formen der Verhaltenskoordination, die nicht unter den Begriff der Vereinbarung fallen, ökonomisch aber das gleiche bewirken393. zipien, in: Langen/ders., Rn. 32. Mestmäcker weist darauf hin, dass der oligopolistische Marktzwang allerdings auch dazu missbraucht wird, einheitliche Preise zu rechtfertigen. Kollektive Gewinnmaximierung ist ohne Maßnahmen der Koordinierung nur selten zu erwarten, denn dauerhafter Oligopolfrieden hängt wesentlich von der Gewissheit oder Ungewissheit über die Reaktion der Rivalen ab, vgl. E.-J. Mestmäcker, Entgeltregulierung, Marktbeherrschung und Wettbewerb im Mobilfunk, in: Multimedia und Recht, Beilage Heft 8, 1998, S. 13 f. 388 EuGH v. 14.07.1972, Rs. 48/69 (Imperial Chemical Industries), Slg. 1972, 619, 658 Rn. 64–67, EuGH v. 14.07.1981, Rs. 172/80 (Züchner/Bayerische Vereinsbank), Slg. 1981, 2021, 2035 Rn. 14; EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-199/92 P. (Hüls/ Kommission), Slg. 1999, I, 4287, 4386 Rn. 160; EuGH v. 28.05.1998, Rs. C-7/95 P (J. Deere/Kommission), Slg. 1998 I, 3111, 3163 Rn. 87; EuGH v. 13.07.1989, Rs. 395/87 (Ministere Public/Tournier), Slg. 1989, 2521, 2574 Rn. 24; EuGH v. 13.07.1989, Rs. 110/88, 241/88, 242/88 (Lucazeau u.a/SACEM), Slg. 1989, 2811, 2828 Rn. 18; ähnlich: EuGH v. 31.03.1993, Rs. C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, 117/85, 125/85 bis 129/85 (Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission), Slg. 1993 I, 1307, 1601, 1613 Rn. 71. 389 EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-199/92 P. (Hüls/Kommission), Slg. 1999, I, 4287, 4386 Rn. 161; EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-49/92 P. (Anic Participazioni/Kommission), Slg. 1999 I, 4125, 4203 Rn. 118. 390 EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-199/92 P. (Hüls/Kommission), Slg. 1999, I, 4287, 4387 Rn. 165; EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-235/92 P. (Montecatini/Kommission), Slg. 1999 I, 4539, 4616 Rn. 125. 391 Vgl. Anmerkungen in Fn. 494 (3. Teil). 392 So auch E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 248 Rn. 19.

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Im Wettbewerbsschutzprotokoll wurde, wie in den Wettbewerbsgesetzen Argentiniens und Brasiliens, auf eine Nennung möglicher Formen der Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens – durch Vereinbarungen oder Beschlüsse – verzichtet und nur der umfassende Tatbestand der Verhaltensabstimmung erfasst. Die angestellte Vermutung, dass darunter aber sämtliche Formen der Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens zu subsumieren sind, bestätigt die Praxis in den Mitgliedstaaten. Als abgestimmtes Verhalten wird in Argentinien und Brasilien das bewusste oder gewollte Zusammenwirken mehrerer Wirtschaftsteilnehmer zum Zweck oder mit der Folge der Koordinierung ihres Wettbewerbsverhaltens eingestuft394. Auf die Natur des Zusammenwirkens kommt es nicht an. Es kann sich um Verträge oder mündliche Vereinbarungen handeln395, weshalb auch für den Mercosur die so genannten gentlemen’s agreements als verbotene Vereinbarung gelten dürften396. Maßgeblich ist eine hinreichende Ähnlichkeit und Gleichzeitigkeit der in Frage kommenden Verhaltensweisen397. Was im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls als verbotenes abgestimmtes Verhalten anzusehen ist, wird ausführlich anhand der Regeltatbestände des Art. 6 des Wettbewerbsschutzprotokolls und entsprechender Reglungen im nationalen Wettbewerbsrecht Argentiniens und Brasiliens dargestellt398. An dieser Stelle seien der Übersicht halber die wichtigsten verbotenen Verhaltenabstimmungen genannt. Als abgestimmtes Verhalten ist entsprechend dem oben Ausgeführten die Absprache von Preisen oder 393 Vgl. KomE v. 21.10.1998 (Fernwärmetechnik), ABl. 1999, Nr. L 24/1, 48 Rn. 129–134. 394 Für Brasilien: F. C. Barbieri, Disciplina Jurídica da Concorrência, Abuso do Poder Econômico, São Paulo, 1984, S. 128 ff.; für Argentinien: G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 236 f., insb. S. 360 ff., 417. 395 Ebenda; vgl. auch CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 388 ff., 420 f. (als Beweis dienten Emails und Gesprächsnotizen). 396 R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 100 f. 397 G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, 417; CNDC v. 27.02.1996, Expte. 602.494/94 (C. 336) (Administración General de Puertos/Centro Coordinador de Actividades Portuarias), S. 13 f. Auf die Schwierigkeit der Feststellung einer Verhaltensabstimmung verweist CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 5.3; CADE v. 16.12.1992 P. A. 109/88 (Sindicato das Empresas de Segurança et al.), DOU 21.12.1992, Seção I, S. 17.672. Beispielsweise wird die gleichzeitige und gleichmäßige Erhöhung von Preisen substituierbarer Produkte genannt, vgl. CADE v. 27.10.1999, P. A. 08000.015337/97-48 (Companhia Siderfflrgica Nacional), DOU 10.11.1999, Seção I, S. 2. 398 Teil 3, III. 2. a), cc).

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Preisentwicklungen399 wie auch die Abstimmung von Höchst- oder Niedrigpreisen oder gemeinsamer Zielpreise zwischen Wirtschaftsteilnehmern zu verstehen400. Wie im EG-Kartellrecht ist anzunehmen, dass auch Beschlüsse von Interessenvertretungen und Unternehmensvereinigungen gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll verstoßen, wenn dabei Preise festgesetzt werden401. Hierfür spricht auch das Regelbeispiel des Art. 6 Nr. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls, wonach jedwede Festsetzung von Preisen und Geschäftsbedingungen als wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise genannt wird. In der argentinischen Literatur werden auch die Koordinierung der Preispolitik sowie der Verzicht auf Preisunterbietungen und den Verkauf unter dem Selbstkostenpreis402 als wettbewerbswidrige Abstimmung genannt403. Wie auch in der Europäischen Union erfasst der Tatbestand des abgestimmten Verhaltens die indirekte Abstimmung von Preisen oder Geschäftsbedingungen durch Austausch von Marktinformationen. Nach ständiger Praxis der CNDC und des CADE kann die Veröffentlichung preisrelevanter Informationen wie Berechnungstabellen, Rabatte, Indizes oder sonstiger gemeinsamer Anknüpfungspunkte für die Preisberechnung als abgestimmtes Verhalten gewertet werden404. Insbesondere Preisempfehlungen 399 CNDC v. 22.05.1991, Expte. 84.543/83 (Gas del Estado/Agip Gas Argentina S. A. u. a.), VII.; CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 5.3; CNDC v. 05.08.1997, Expte. 621.417/92 (Sánchez Gas u. a./Vaspia SAIC u. a.), VIII. (in beiden Fällen ging es um Preisabsprachen zwischen Herstellern von Flüssiggas). In Brasilien grundlegend: CADE v. 20.10.1988 P. A. 85 (Empel et al.), DOU 24.10.1988, Seção I, S. 20.596 ff.; CADE v. 27.10.1999, P. A. 08000.015337/97-48 (Companhia Siderfflrgica Nacional), DOU 10.11.1999, Seção I, S. 2. 400 Vgl. CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), VI.; CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante), IX. und X.; CNDC v. 13.07.1983, Expte. 20.548/82 (Colegio de Graduados de Ciencias Económicas u. a.), VI; CADE v. 26.06.1996, P. A. 08000.0099797/96-26 (UNIMED do Brasil), DOU 18.07.1996, S. 13195. 401 CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 109.696/81 (Centro de Indfflstria Panaderos de la Provincia de la Rioja), IV.; CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), VI.; CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante), I. und IX.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), V. und VI.; CNDC v. 25.08.1998, Expte. 064-003179/97 (Cámara Argentina de Empresas de Seguridad e Investigación), 5.14.; CADE v. 26.06.1996 Representação 83/91 (ABIGRAF), DOU 03.07.1996 I, S. 12169; CADE v. 14.02.1996, P. A. 61/92 (Associação Médica Brasileira – AMB), DOU 28.02.1996 I, S. 2850. 402 Der „Selbstkostenpreis“ in der spanischsprachigen Literatur entspricht dem Einstandspreis im deutschen Kartellrecht. 403 G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 428. Hierzu vgl. Teil 3, III. 2. b), cc), (8).

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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der Berufs- und Standesorganisationen wurden von der argentinischen wie auch brasilianischen Wettbewerbsbehörde immer wieder als wettbewerbswidriges abgestimmtes Verhalten gerügt405. Wie im EG-Wettbewerbsrecht ist vom verbotenen abgestimmten Verhalten das zum Wettbewerb gehörende bloße Parallelverhalten abzugrenzen406. Parallelverhalten gilt andererseits 404 Vgl. CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), I. und IV.; CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), I. u. IV.; CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante), IX. und X.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 109.696/81 (Centro de Indfflstria Panaderos de la Provincia de la Rioja), IV.; CNDC v. 29.06.1983, Expte. 1212-D-82 (Cámara de Ópticos y Afines), II.; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 31.914/82 (Colegio de Martilleros y Corredores Pfflblicos), III.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), V. und VI.; CADE v. 14.02.1996, P. A. 61/92 (Associação Médica Brasileira – AMB), DOU 28.02.1996 I, S. 2850. Eine Preisankündigung eines marktstarken Unternehmens ist nach Ansicht des CADE jedoch nicht als wettbewerbswidrige Verhaltensabstimmung zu werten, wenn ein Großteil der Unternehmen den Preisankündigungen nicht folgt, vgl. CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I. 405 Vgl. CNDC v. 24.08.1982, Expte. 109.696/81 (Centro de Indfflstria Panaderos de la Provincia de la Rioja), IV.; CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), I. und IV.; CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), V. und VI.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), V.; CNDC v. 25.08.1998, Expte. 064-003179/97 (Cámara Argentina de Empresas de Seguridad e Investigación), 5.14.; CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante), X.; CNDC v. 29.06.1983, Expte. 1212-D-82 (Cámara de Ópticos y Afines), II. und III.; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 31.914/82 (Colegio de Martilleros y Corredores Pfflblicos), III.; CNDC v. 04.08.1989, Expte. 12.397/85 (C. 160) (Asociación Urológica de Rosario), S. 6 ff.; CNDC v. 13.07.1983, Expte. 20.548/82 (Colegio de Graduados de Ciencias Económicas u. a.), VI.; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos), IV; CNDC v. 06.06.1985, Expte. 101.2300/83 (Centro de Industriales Panaderos Rio Negro), I. und IV.; CNDC v. 21.06.1995, Expte. 610.500/94 (C. 340) (Centro de Industriales Panaderos de Lanffls), VII.; CADE v. 10.09.1997, P. A. 145/93 (Sindicato Brasiliense de Hospitais), DOU 08.10.1997, Seção I, S. 22547; CADE v. 26.06.1996 Representação 83/91 (ABIGRAF), DOU 03.07.1996 I, S. 12169; CADE v. 14.02.1996, P. A. 61/92 (Associação Médica Brasileira – AMB), DOU 28.02.1996, Seção I, S. 2850. 406 In diesem Sinne hat die argentinische Wettbewerbsbehörde wiederholt entschieden, dass die gleichzeitige und uniforme Preiserhöhung sich nicht mit gleichen Marktbedingungen wie beispielsweise gleichen Kosten rechtfertigen ließe und daher abgestimmtes Verhalten indiziere. Zuletzt: CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 41; CNDC v. 27.02.1996, Expte. 602.494/94 (C. 336) (Administración General de Puertos/Centro Coordinador de Actividades Portuarias), S. 13 f. Gleichmäßige Preiserhöhungen bei unterschiedlichen Kostenstrukturen sind schon gar nicht rechtfertigbar, vgl. CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), V.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

wie in der Europäischen Union als Indiz einer Verhaltensabstimmung407. Auch im Mercosur ist insbesondere auf oligopolistischen Märkten, auf denen es z. T. früher sogar staatliche Preiskontrollen gab408, aufgrund der Preistransparenz gleichförmiges Verhalten jedoch nicht als Beweis für eine Verhaltensabstimmung anzusehen409, obwohl gerade der eingeschränkte Wettbewerb im Oligopol eine Verhaltenskoordinierung fördert410. Eine Preisabsprache ist nicht anzunehmen, wenn die parallele Preiserhöhung anders erklärbar ist beispielsweise durch eine starke Währungsabwertung, welche für alle Lieferanten höhere Einkaufspreise der im Ausland gefertigten Produkte bewirkt411, oder wenn keine Marktzutrittsbarrieren bestehen, welche davor schützen, dass die künstlich hohen Preise neue Anbieter anziehen412. Der CADE sah in der gleichzeitigen und gleichmäßigen Erhöhung der Preise für Walzstahl dreier Hersteller eine Absprache als erwiesen an, vgl. CADE v. 27.10.1999, P. A. 08000.015337/97-48 (Companhia Siderfflrgica Nacional), DOU 10.11.1999, Seção I, S. 2; CADE v. 22.10.1997 P. A. 08000.020787/96-62 (Associação Brasileira de Supermercados), DOU 05.11.1997, Seção I, S. 25083. 407 CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante), IX.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), V.; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos); I.; CNDC v. 27.02.1996, Expte. 602.494/94 (C. 336) (Administración General de Puertos/Centro Coordinador de Actividades Portuarias), S. 13 f.; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 65; CADE v. 27.10.1999, P. A. 08000.015337/97-48 (Companhia Siderfflrgica Nacional), DOU 10.11.1999, Seção I, S. 2. 408 CNDC, Memoria Anual 2002, 2. 409 Vgl. CNDC v. 05.08.1997, Expte. 621.417/92 (Sánchez Gas u. a./Vaspia SAIC u. a.), VIII.; CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 5.3 ff.; CADE v. 18.06.1997, P. A. 3/91 (Good Year do Brasil et al.), DOU 03.07.1997, Seção I, S. 14013; CADE v. 09.09.1992, P. A. Nr. 2 (West do Brasil et al.), DOU 22.09.1992, Seção I, S. 13.259; CADE v. 16.12.1992 P. A. 7/91 (Ticket Serviços Comércio et al.), DOU 21.12.1992, Seção I, S. 17.672: Gleiche Angebote bei Ausschreibungen wurden mit oligopolistischer Marktstruktur gerechtfertigt. Der CADE konnte eine Verhaltensabstimmung nicht beweisen. 410 Wie auch CNDC und CADE hervorheben, vgl. CNDC v. 05.08.1997, Expte. 621.417/92 (Sánchez Gas u. a./Vaspia SAIC u. a.), VIII.; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 311. In diesem Sinne stellte auch der CADE klar, dass ähnliche Preise in oligopolistischen Märkten nicht zwangsläufig eine abgestimmte Preispolitik beweisen, vgl. CADE v. 18.06.1997, P. A. 3/91 (Good Year do Brasil et al.), DOU 03.07.1997, Seção I, S. 14013; CADE v. 22.10.1997 P. A. 08000.020787/96-62 (Associação Brasileira de Supermercados), DOU 05.11.1997 Seção I, S. 25083. 411 CNDC v. 04.04.2005, Expte. S01:0235697/2002 (Garrahan/CEOS Médica u. a.), IV. Auf den Anstieg der Produktionskosten oder der Nachfrage als natürliche Ursache einer Preiserhöhung verweist CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 5.3.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Das Wettbewerbsschutzprotokoll unterscheidet nicht horizontale von vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen413. Im ersten Regelbeispiel in Art. 6 Abs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls ist ausdrücklich die individuelle oder abgestimmte Festsetzung von Bedingungen des An- und Verkaufs verboten. Der Wortlaut spricht dafür, dass neben den horizontalen auch vertikale wettbewerbsbeschränkende Absprachen erfasst werden sollen414. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen sind solche zwischen Unternehmen der gleichen Produktionsstufe, mithin zwischen Konkurrenten. Als vertikale Wettbewerbsbeschränkungen werden Vereinbarungen zwischen Unternehmen verschiedener Produktionsstufen bezeichnet, also Absprachen zwischen Lieferanten und Abnehmern415. bb) Wettbewerbsbeschränkung Die genannten Verhaltensweisen sind nicht grundsätzlich verboten, sondern nur, wenn sie eine Begrenzung, Beschränkung, Verfälschung oder Verzerrung des Wettbewerbs oder des Marktzutritts bezwecken oder bewirken. Bevor geklärt werden kann, was eine Wettbewerbsbeschränkung ist, muss zunächst der Frage nachgegangen werden, welcher Wettbewerb vor einer Beschränkung geschützt werden soll. (1) Definition von Wettbewerb Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción spricht von angemessenen Wettbewerbsbedingungen, die sichergestellt werden sollen. In Art. 4 Abs. 2 EGV ist die Rede von „freiem Wettbewerb“. Eine Definition des Wettbewerbs gibt es weder im Mercosur-Recht noch im EU-Recht. Es wird auf die mannigfachen Erscheinungsformen von Wettbewerb verwiesen, weshalb dieser sich einer exakten Definition entziehe416. Wettbewerb ist ein natürliches 412 CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 5.4. f.; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 315. 413 D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 74, 76; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 106. 414 Obwohl vertikale Wettbewerbsbeschränkungen in Argentinien und Brasilien bisher wenig beachtet wurden, so P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 81 u. 145. 415 So auch CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5. 5). 416 E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 235; H.-J. Bunte, Kartellrecht, S. 3; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 10. In diesem Sinne auch: K. M. Mee-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Phänomen, das sich nur allgemein umschreiben lässt417. Wie das deutsche Wort Wettbewerb andeutet, geht es um eine Wette418, die mehrere Mitbewerber zu gewinnen versuchen419. Es ist ein rivalisierendes Verhalten mehrer Personen, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der eine zu gewinnen strebt, was auch ein anderer zu gleicher Zeit zu gewinnen erhofft, der gegenseitige Kampf also um das gleiche Ziel420. Jeder will den anderen überholen oder wenigstens mit ihm Schritt halten, denn Stillstand bedeutet Zurückbleiben, wenn alle anderen vorwärts eilen421. Dies geht auch aus dem Wort Konkurrenz hervor, welches als Synonym für Wettbewerb genannt wird422. Konkurrenz stammt von dem lateinischen Wort concurrere ab und bedeutet „zusammenlaufen“, sich auf einen Wettlauf oder Kampf einlassen423. Dieser Kampf stellt sich als „Prozeß von Handlungsabläufen“ dar424. Wegen der Unvorhersagbarkeit der Marktergebnisse erleben die Wettbewerber „Enttäuschungen oder Überraschungen“, die sie zwingen, die ursprünglichen Pläne zu revidieren und den Markterfahrungen anzupassen425, weshalb „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ bezeichnet wurde426. Wettbewerb gibt es auf den sen, Einführung, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 6; H.-P. Götting, Wettbewerbsrecht, 2005; A. Beater, Unlauterer Wettbewerb, 2002, S. 5 Rn. 4.; H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 84; N. Koch, Art. 85 EGV, in: Grabitz/Hilf, Kommentar – Maastrichter Fassung, Rn. 3 f. 417 H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 14 f. Rn. 1.1. 418 Gemeingermanischer Wortstamm: „Wette“ bedeutete Pfand. Im Sprachgebrauch entwickelte sich daraus der Pfand- oder Wetteinsatz beim Spiel, vgl. A. Auberle (Hrsg.), Duden, Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache, 3. Aufl. 2001, Stichwort Wette. 419 H.-P. Götting, Wettbewerbsrecht, S. 2. 420 Websters Dictionary (1949) erklärt competition als: „act of seeking or endeavouring to gain that for which another also is striving; rivalry; mutual strive for the same thing“, zitiert in: H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 15 Rn. 1.1; nicht anders schon: A. Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. I: Der unlautere Wettbewerb als Rechtsverletzung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch und den Nebengesetzen, 1907, S. 1 f. 421 H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 14 Rn. 1.1. 422 F. A. Brockhaus (Hrsg.), Brockhaus-Enzyklopädie, Bd. 24, 19. Aufl. 1994, Stichwort Wettbewerb, S. 115. 423 H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 14 Rn. 1.1. 424 E. Hoppmann, Das Konzept des wirksamen Preiswettbewerbs, S. 15. 425 E. Hoppmann, Das Konzept des wirksamen Preiswettbewerbs, S. 15; ders., Freiheit, Marktwirtschaft und ökonomische Effizienz, in: H. H. Francke (Hrsg.), Ökonomischer Individualismus und freiheitliche Verfassung – Gedenkakademie für Friedrich August von Hayek, 1995, S. 135 ff.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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verschiedensten Gebieten: Sport, Beruf, Kunst, Politik und eben in der Wirtschaft. Kern des wirtschaftlichen Wettbewerbs ist das Wetteifern selbständiger Unternehmen mit ihren Konkurrenten, die zu einem Geschäftsabschluss mit Dritten und dann zu Gewinn und Vorteil zu gelangen versuchen427. Wirtschaftlicher Wettbewerb äußert sich auf der Absatz- und auf der Beschaffungsseite durch den Versuch, den Marktpartnern im Vergleich zu den Mitbewerbern günstigere Bedingungen anzubieten. Mittel des Wettbewerbs sind: Preise, Rabatte, Konditionen, Produktvarianten, Qualität, Service und Werbung428. (2) Beschränkung des Wettbewerbs Das Wesen des wirtschaftlichen Wettbewerbs ist die Ungewissheit über die Marktverhältnisse429. Gerade die Unsicherheit über die Entwicklung des Marktes ist Teil des Unternehmerrisikos und soll nicht durch Verhaltenskoordination ausgeschlossen werden430. Das Wesen der Wettbewerbsbeschränkung besteht in dem Ausschluss dieser Ungewissheit über die Reaktion der Rivalen431. Die EG-Rechtsprechung nimmt eine Wettbewerbsbeschränkung an, wenn die Handlungsfreiheit der Unternehmen entgegen dem Selbstständigkeitspostulat eingeschränkt ist, wobei auf den Wettbewerb abzustellen ist, der ohne die fragliche Verhaltenskoordinierung gegeben wäre432. Dabei sind Art und Menge der den Gegenstand der Verhaltens426 F. A. v. Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren; ders., Rechtsordnung und Handelnsordnung, in: Walter Eucken Institut (Hrsg.), Freiburger Studien: Gesammelte Aufsätze von F. A. von Hayek, 1969 (Nachdruck 1994), S. 167. Zur Definition des Wettbewerbs auch: E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 235 ff.; vgl. auch M. Neumann, Kapitalbildung, Wettbewerb und ökonomisches Wachstum, 1968, S. 2 ff.; ders., Wettbewerbspolitik, 2000, S. 1 ff. 427 H.-P. Götting, Wettbewerbsrecht, S. 2 f. Rn. 1. Zum Wettbewerbsbegriff bereits W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, S. 31 ff. 428 H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 16 Rn. 1.5. Auch der CADE definiert als übliche Wettbewerbsmittel sowohl im Bereich des Absatzes als auch der Beschaffung: Preise Rabatte, Produktvarianten, Konditionen, Qualität, Service und Werbung, vgl. CADE v. 19.12.1995, A. C. 26/95 (Rockwell do Brasil e Albarus), DOU 27.12.1995 I, S. 22.350. 429 Diese Ungewissheit spiegelt sich im Begriff des Wettbewerbs wider. Die Ungewissheit ist Element der Wette, um die sich die Rivalen bewerben, vgl. F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, S. 214–228. 430 EuGH v. 17.10.1972, Rs. 8-72 (Cementhandelaren/Kommission), Slg. 1972, 977, 99 Rn. 18, 22. 431 EuGH v. 31.03.1993, Rs. C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, 117/85, 125/85 bis 129/85 (Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission), Slg. 1993 I, 1307, 1598 Rn. 59 ff.; EuGH v. 13.07.1989, Rs. 395/87 (Ministere Public/Tournier), Slg. 1989, 2521, 2573 f.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

abstimmung bildenden Erzeugnisse und die Stellung der betroffenen Unternehmen auf dem relevanten Markt zu berücksichtigen. Ebenso wie bei der Frage nach der zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung433 ist an dieser Stelle zu überprüfen, ob die Vereinbarung zu einer Gesamtheit gleichartiger Verträge gehört (Bündeltheorie)434. Vor allem Ausschließlichkeitsbedingungen, die einzeln zwar harmlos sein mögen, können in einem System eine erhebliche Markzutrittssperre bedeuten. Für die Analyse, ob eine Marktabschottungswirkung vorliegt, hat der Europäische Gerichtshof im Fall „Delimitis“ Beurteilungskriterien entwickelt. Faktoren, die den Marktzugang beeinflussen, sind unter anderen: die Möglichkeit neuer Mitbewerber, sich auf dem Markt zu etablieren, sei es durch Kauf eines bereits auf dem Markt ansässigen Unternehmens oder Eröffnung eigener Verkaufsstellen, die Präsenz nicht gebundener Wiederverkäufer, die allgemeinen Wettbewerbsbedingungen, die Zahl und Größe der auf dem Markt tätigen Hersteller, der Marktsättigungsgrad sowie die Markentreue der Verbraucher435. Die kumu432 EuGH v. 30.06.1966, Rs. 56-65 (Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm), Slg. 1966, 282, 304; EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 1965, Rn. 173 f.; EuGH v. 29.10.1980, Rs. 209 bis 215 und 218-78 (van Landewyk u. a./Kommission), Slg. 1980, 3125, 3264 ff.; EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31-80 (L’Oréal/De Nieuwe Amck), Slg. 1980, 3775, 3793; EuGH v. 14.07.1981, Rs. 172/80 (Züchner/Bayerische Vereinsbank), Slg. 1981, 2021, 2031 Rn. 14; EuGH. v. 06.10.1982, Rs. 262/81 (Coditel u. a./Cine-Vog u. a.), Slg. 1982, 3381, 3499 ff.; EuGH v. 28.05.1998, Rs. C-7/95 P (J. Deere/Kommission), Slg. 1998 I, 3111, 3160 Rn. 76; EuGH v. 21.01.1999, Rs. C-215 u. 216/96 (Bagnasco u. a./Banca Populare), Slg. 1999 I, 135, 175 Rn. 33. Vgl. auch H.-J. Bunte, Art. 81 – Generelle Prinzipien, in: Langen/ders., Rn. 60 ff.; ders., Kartellrecht, S. 367; H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 99; T. Eilmansberger, Art. 81 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 44 ff.; I. Brinker, Art. 81 EGV, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, S. 946 Rn. 37; W. Weiß, Art. 81 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 88. 433 Vgl. bereits Teil 3, III. 1. c). 434 Zur Bündeltheorie grundlegend: EuGH v. 12.12.1967, Rs. 23-67 (Brasserie de Haecht/Wilkin u. a.), Slg. 1967, 544, 555. Die belgischen Brauereiverbände hatten mit den Verbänden der Gast- und Schankwirte vereinbart, dass die Gaststätten ausschließliche Bezugspflichten eingehen müssen. Dem Wortlaut von Art. 81 EGV sei zu entnehmen, dass Wirkungen in dem „wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang“ zu beurteilen seien, „in dem die Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen stehen und zusammen mit anderen zu einer kumulativen Auswirkung auf den Wettbewerb führen können“. Vgl. auch: EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 2025 ff.; EuGH v. 10.07.1980, Rs. 99/79 (Lancôme u. a./Etos u. a.), Slg. 1980, 2511, 2536 f.; EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31-80 (L’Oréal/De Nieuwe Amck), Slg. 1980, 3775, 3792, Rn. 19. Im Fall „Delimitis“ ging es erstmals um gleichartige Verträge mit nicht in Verbänden zusammengeschlossenen, unabhängigen Unternehmen, vgl. EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, 983 f. Zur Bündeltheorie: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 286–290.

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lative Marktabschottungswirkung eines Vertragsnetzes hängt wesentlich von der Marktstellung des Lieferanten sowie der Zahl der an diesen gebundenen Verkaufsstellen im Verhältnis zu der Gesamtanzahl der auf dem relevanten Markt tätigen Verkaufsstellen sowie der jeweiligen Vertragsdauer ab436. Teilweise wird das Wesen der Wettbewerbsbeschränkung auch in der Einschränkung der Handlungsalternativen Dritter, insbesondere der Marktgegenseite gesehen437. Die so genannte Dritt- oder Außenwirkung ist jedoch in der Europäischen Union umstritten, da kaum Maßnahmen im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV denkbar sind, die nicht zugleich Innen- und Außenwirkungen aufweisen438. Die Beschränkung des Wettbewerbs muss mit dem in Frage kommenden abgestimmten Verhalten in Zusammenhang stehen, damit 435

EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, 983 f. Rn. 21 f. 436 EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, 938 f. Rn. 26. Die EU-Kommission hat sich um quantitative Konkretisierungen bemüht. Sie geht nicht von einer kumulativen Marktabschottung aus, wenn ein Vertragsnetz weniger als 30% des relevanten Marktes umfasse, vgl. EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung 2001, Rn. 8. Im Vertrieb von Zwischenprodukten nimmt sie einen Marktschließungseffekt erst ab einem Marktanteil von 50% an. Auf der Ebene des Einzelhandels sei kein Kumulativeffekt anzunehmen, solange kein Lieferant einen Marktanteil von über 30% habe. Dies gilt nur bei einem Gesamtbindungsgrad unter 40%. Haben einzelne Lieferanten einen Marktanteil von über 30%, aber keine beherrschende Stellung, sei ein Kumulativeffekt bei einem Gesamtbindungsgrad unter 30% unwahrscheinlich. Verfügt ein Lieferant über eine marktbeherrschende Stellung, sieht die Kommission keinen Schwellenwert vor. Vgl. Leitlinien zu vertikalen Beschränkungen (ABl. 2000, Nr. C 291/1), Rn. 146 ff. Ist die Vertragsdauer im Verhältnis zu der durchschnittlichen Dauer der auf dem Markt geschlossenen Verträge unverhältnismäßig lang, so können diese trotz relativ geringen Marktanteils des Lieferanten unter Art. 81 Abs. 1 EGV fallen, vgl. EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, 986 f. Rn. 24–26. Jüngst entschied der Europäische Gerichtshof, dass ein einzelner, zu einem kumulativ als abschottend wirkenden Vertragsnetz gehörender Vertrag nicht zwangsläufig unzulässig sei: Im Fall „Neste/Yötuuli“ rechtfertigte der Europäische Gerichtshof die getrennte Würdigung eines Vertrags von nur einjähriger Kündigungsfrist von denjenigen mit mehrjähriger Laufzeit, obwohl beide zu einem Vertragsnetz desselben Lieferanten gehörten, welches in seiner Gesamtwirkung marktabschottend wirkte. Vgl. EuGH v. 07.12.2000, Rs. C-214/99 (Neste Markkinointi/Yötuuli Ky u. a.), Slg. 2000 I, 11121, Rn. 32–35. 437 Vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 392 f.; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 264 Rn. 6; EuGH v. 28.04.1998, Rs. 306/96 (Javico/Yves Saint Laurent), Slg. 1998 I, 1983, 2005 f. Rn. 22 f.; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 50; CADE v. 20.10.1988 P. A. 85 (Empel et al.), DOU 24.10.1988, Seção I, S. 20.596 ff. 438 P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 122; kritisch auch: V. Emmerich, H. I § 1, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 102; G. Grill, Art. 81, in: Lenz/Borchardt, Rn. 11.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

dieses unter Art. 81 Abs. 1 EGV fällt439. Auch in Argentinien wird ein kausaler Zusammenhang zwischen Verhaltensweise und der Wettbewerbsbeschränkung für notwendig erachtet440, weshalb das Kausalitätserfordernis zwischen Wettbewerbsbeschränkung und der in Frage stehender Handlung auch für den Mercosur anzunehmen ist. (3) Schutzwürdiger Wettbewerb Im EG-Kartellrecht wird der auf dem Markt mögliche441 aktuelle und potentielle442 Wettbewerb auf all seinen Wirtschaftsstufen und in allen Erscheinungsformen443 geschützt, solange er lauter und erlaubt ist444. Wettbewerbswidrige Handlungen, die auf staatlichen Vorschriften oder sonstigen hoheitlichen Regulierungen beruhen, sind von der Anwendung der EG- Wettbewerbsvorschriften ausgenommen445. Bleiben allerdings Spielräume für Wettbewerb, ist neben der staatlichen Marktorganisation also Wettbewerb möglich, so fällt dieser in den Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EGV446. Trotz einer behördlichen Genehmigung bleiben die 439 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 266 Rn. 11. 440 G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 229 ff. 441 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 272 Rn. 28. 442 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 279 Rn. 47. 443 EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, 390. 444 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 41 f. 445 EuGH v. 11.11.1997, Rs. C-359/95 P und C-379/95 P (Kommission u. Frankreich/Ladbroke Racing), Slg. 1997 I, 6265, 6312 Rn. 33. Das europäische Wettbewerbsrecht richtet sich nicht wie die Grundfreiheiten an den Staat, sondern verbietet Verhaltensweisen Privater. Diese sind aber ebenso an innerstaatliche Vorschriften gebunden, welche den gemeinsamen Wettbewerbsvorschriften entgegenstehen können. Inwieweit solche staatlichen Vorschriften mit dem übrigen Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit den Grundfreiheiten und dem Binnenmarkt zu vereinbaren sind, ist eine gesondert zu untersuchende Frage. Gegen die Grundfreiheiten verstoßende Vorschriften sind nur zugunsten der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder des Allgemeininteresses zu rechtfertigen, welches der Europäische Gerichtshof eng auslegt. Hierauf verweisen: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 274 f. Rn. 34. 446 So schließt die staatliche Festlegung von Preisen für Tabakwaren den Preiswettbewerb im Verhältnis zum Endverbraucher zwar aus, nicht jedoch die Möglichkeit des Preiswettbewerbs zwischen Hersteller und Großhandel, vgl. EuGH v. 29.10.1980, Rs. 209 bis 215 und 218-78 (van Landewyk u. a./Kommission), Slg. 1980, 3125, 3263; ähnlich: EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113,

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Vorschriften des EG-Wettbewerbsrechts auf verbleibende unternehmerische Handlungsspielräume also grundsätzlich anwendbar447. Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Maßnahme den Wettbewerb beschränkt, muss auch der potentielle Wettbewerb berücksichtigt werden. Potentieller Wettbewerb ist prinzipiell möglicher, aber nicht ausgeübter Wettbewerb448. Ein Unternehmen soll sich nicht darauf berufen können, aufgrund der unvollkommenen Marktstruktur sei ohnehin kein Wettbewerb möglich. Selbst im Grenzfall des Monopols ist Wettbewerb durch die Entwicklung von Substitutsprodukten potentiell möglich449. Dieser potentielle Wettbewerb wird durch das in beschränkten Märkten häufig hohe Preisniveau sogar besonders angeregt450. Der potentielle Wettbewerb unterscheidet sich vom aktuellen oder tatsächlichen Wettbewerb451 dadurch, dass noch keine Wettbewerbsmittel eingesetzt werden. Im Gegensatz zum nicht möglichen Wettbewerb kann der potentielle Wettbewerb in aktuellen Wettbewerb umschlagen452. Hieraus ergibt sich die besondere Tragweite potentiellen Wettbewerbs. Bereits das latent drohende Auftreten von Mitstreitern beeinflusst das Verhalten der Marktteilnehmer453. Potentielle Wettbewerber gehören zum relevanten Markt454. 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 1942 Rn. 24; EuGH v. 17.07.1997, Rs. C-219/95 P (Ferriere Nord/Kommission), Slg. 1997 I, 4411, 4438 Rn. 25. 447 EuGH v. 17.01.1984, Rs. 43/82, 63/82 (VBVB u. a./Kommission), Slg. 1984, 19, 64 Rn. 40; EuGH v. 30.01.1985, Rs. 123/83 (BNIC/Clair), Slg. 1985, 391, 423 Rn. 19 u. 20. 448 H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 23 Rn. 1.20; W. Gloy, § 9, in: W. Gloy/M. Loschelder, Handbuch des Wettbewerbsrechts, Rn. 18. 449 W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, S. 59 Rn. 85. 450 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 279 Rn. 48. 451 Die Kommission definiert anstelle des aktuellen den „tatsächlichen“ Wettbewerb, vgl. EU- Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 81 EGV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (ABl. 2001, Nr. C 3/2), Rn. 9 Fn. 8: „Ein Unternehmen wird als tatsächlicher Wettbewerber angesehen, wenn es entweder auf demselben relevanten Markt tätig ist oder wenn es auch ohne Vereinbarung in der Lage wäre, seine Produktion auf die relevanten Produkte umzustellen und sie kurzfristig auf den Markt zu bringen, ohne spürbare zusätzliche Kosten oder Risiken in Erwiderung auf eine geringe, aber dauerhafte Erhöhung der relativen Preise zu gewärtigen. (. . .)“. 452 H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 23 Rn. 1.20. 453 J. A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2. Aufl., Bern 1950, S. 140. 454 E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 495.

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Die EU-Kommission definiert einen potentiellen Wettbewerber als ein Unternehmen, das ohne die in Frage stehende Verhaltenskoordination in der Lage wäre und es wahrscheinlich auch tun würde, die zusätzlichen Investitionen auf sich zu nehmen, um als Reaktion auf eine auch nur geringfügige, aber dauerhafte Preiserhöhung in den Markt einzutreten455. Schließen sich beispielsweise Unternehmen in einer Bietergemeinschaft für eine öffentliche Ausschreibung zusammen, ist dies nur dann kein Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften, wenn dabei ausschließlich Unternehmen beteiligt sind, die sich aufgrund ihrer Kapazitäten alleine nicht an der Ausschreibung hätten beteiligen können, also keine potentiellen Wettbewerber für diese Ausschreibung sind456. Eine ähnliche Definition kennt auch das brasilianische und argentinische Wettbewerbsrecht. Nach der Definition des CADE sind potentielle Wettbewerber alle Unternehmen, die ein Interesse am Marktzutritt haben könnten, wenn entsprechende Anreize vorhanden sind, und die zudem über die entsprechenden Ressourcen verfügen, um relativ zügig in die Produktion einzusteigen457. Potentieller Wettbewerb sei deshalb vor allem von den Marktzutrittsschranken abhängig458. Die CNDC definiert einen potentiellen Wettbewerber als ein Unternehmen, das kurzfristig ohne erhebliche finanzielle Investitionen in den relevanten Markt einzusteigen vermag459. Nur der lautere Wettbewerb ist frei460; unlauterer und somit rechtswidriger Wettbewerb ist nicht schutzwürdig. Wie bereits angesprochen wurde, stehen Lauterkeitsrecht und Kartellrecht in einer Interdependenzbeziehung zueinander, indem sie beide auf den Wettbewerb bezogen sind. Das Kartellrecht möchte willkürliche Beschränkungen des Wettbewerbs verhindern, also sicherstellen, dass Wettbewerb überhaupt zustande kommt, in dessen Rahmen das Lauterkeitsrecht unredliche Auswüchse des Wettbewerbs zu verhindern sucht461. Das Wettbewerbs(beschränkungs)recht ist daher kein 455

EU-Kommission, Leitlinien horizontale Zusammenarbeit, Rn. 9 Fn. 9. EU-Kommission, Leitlinien horizontale Zusammenarbeit, Rn. 143. 457 CADE v. 30.10.1996, A. C. 3/94 (Iochpe-Maxion), DOU 21.11.1996, Seção I. 458 CADE v. 18.06.1997 und 23.07.1997, A. C. 83/96 (Antártica Paulista/Anheuser-Bush), DOU 25.07.1997 I, S. 16023; CNDC v. 03.02.2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 28; CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 35. 459 Vgl. CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 4. a), b). 460 W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtschutz, S. 300. Ganz herrschende Meinung, vgl. etwa A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht (Vorauflage), 2001, S. 103 Rn. 87, die darauf hinweisen, dass die Wettbewerbsfreiheit im Rahmen der Lauterkeit instituiert ist; m. w. N.: W. Veelken, Lauterkeitsrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 155. 461 Vgl. Teil 3, II., S. 357 f. 456

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Sonderrecht gegenüber dem Lauterkeitsrecht, das dessen Anwendung ausschließt462. Dennoch offenbart sich ein Spannungsverhältnis zwischen Lauterkeitsrecht und Beschränkungsverbot: Das Lauterkeitsrecht eignet sich zur missbräuchlichen Abwehr unerwünschten Wettbewerbs463. Zwar ist das europäische Lauterkeitsrecht noch unterentwickelt464, doch wird in der Europäischen Union auch ein Spannungsverhältnis zwischen dem EG-Wettbewerbsrecht gegenüber dem mitgliedstaatlichem Lauterkeitsrecht festgestellt465. Die Erfüllung gesetzlicher Pflichten ist als nicht wirtschaftliche Tätigkeit vom Anwendungsbereich der gemeinsamen Wettbewerbsregeln ausgenommen. Nur wenn die innerstaatlichen Vorschriften den Grundfreiheiten, welche die Mitgliedstaaten als Normadressaten vorsehen, entgegenstehen, sind sie aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts unanwendbar466. Den Grundfreiheiten entgegenstehende Regelungen können im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt sein467. Zu den überwiegenden Gründen des öffentlichen Interesses gehört auch die Lauterkeit des Handelsverkehrs468, woraus sich zusammen mit der Rechtsangleichung Elemente eines europäischen Lauterkeitsrechts ergeben469. In der Eu462 Zum Funktionszusammenhang beider Rechtsgebiete auch: H. Köhler, Einleitung UWG, in: A. Baumbach/W. Hefermehl, Wettbewerbsrecht, S. 93 Rn. 6.12. 463 E.-J. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 11; ders./H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 274 Rn. 33 f.; W. Veelken, Lauterkeitsrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 156; vgl. auch bereits W. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, S. 11 ff., 17 u. insb. S. 207 ff. 464 J. Glöckner, Einleitung B, in: H. Harte-Bavendamm/F. Henning-Bodewig (Hrsg.), UWG, Rn 6 ff.; F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 12 f. Rn. 27; W. Veelken, Lauterkeitsrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 163. 465 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 274 f. Rn. 34. 466 Vgl. EuGH v. 17.06.1981, Rs. 113/80 (Kommission/Irland), Slg. 1981, 1625, 1641; EuGH v. 13.03.1984, Rs. 16/83 (Prantl), Slg. 1984, 1299 Rn. 25 ff.; EuGH v. 06.11.1984, Rs. 177/83 (Kohl/Ringelhan), Slg. 1984, 3651, Rn. 19, EuGH v. 07.03.1990, Rs. C-362/88 (GB-INNO-BM), Slg. 1990 I, 667, Rn. 19. Hierzu W. Veelken, Lauterkeitsrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 178 ff. 467 Grundlegend: EuGH, v. 20.02.1979, Rs. 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Brandweine), Slg. 1979, 649, Rn. 8, 14. Hierzu A. Epiney, Art. 28 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 20 ff. 468 Vgl. EuGH v. 02.03.1982, Rs. 6/81 (Industrie Diensten Groep/Beele), Slg. 1982, 707 Rn. 9; EuGH v. 15.12.1982, Rs. 286/81 (Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij), Slg. 1982, 4575 Rn. 18; H.-J. Ahrens, Einleitung F: Stellung des Wettbewerbsrechts im Gesamtsystem, in: H. Harte-Bavendamm/F. Henning-Bodewig (Hrsg.), UWG – Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: Kommentar, 2004, Rn. 4. 469 Vgl. P. C. Müller-Graf, Ordnungspolitische Divergenzen und wettbewerbsrechtliche Lauterkeit in der Verfassung des Gemeinsamen Marktes, in: B. Börner/H. Jahrreiß (Hrsg.), Einigkeit und Recht und Freiheit, Festschrift für Karl Carstens zum 70. Geburtstag, 1984, S. 184, 209; W. Veelken, Gemeinschaftsrechtliche Einwirkungen im Recht des unlauteren Wettbewerbs, EWS 1993, S. 377; ähnlich auch: F. Ritt-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

ropäischen Union hat sich jedoch der Grundsatz herausgebildet, dass eine Ware nicht als unlauter eingestuft werden darf, wenn sie im Herkunftsland rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurde470. (4) Arten von Wettbewerbsbeschränkungen Dem Wortlaut nach stehen die vier Tatbestandsalternativen Begrenzung, Beschränkung, Verfälschung und Verzerrung in einem Gleichrangigkeitsverhältnis. Eine Unterscheidung zwischen Begrenzung und Beschränkung scheint nicht notwendig zu sein. Vielmehr soll klargestellt werden, dass alle denkbaren Formen von Wettbewerbsbeschränkung vom Protokoll erfasst werden471. Hierfür spricht die Handhabe auf Ebene der Mitgliedstaaten. Die argentinische Wettbewerbsbehörde ordnet die Tatbestandsalternativen Begrenzung, Einschränkung und Verzerrung des Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes dem Oberbegriff wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen zu. Sie überprüft, ob eine Maßnahme wettbewerbswidrig ist, regelmäßig ohne unter die einzelnen Tatbestandsalternativen zu subsumieren472. Auch in Brasilien werden die drei Alternativen Einschränkung, Verfälschung und Beeinträchtigung des Art. 20 Nr. 1 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes für nicht klar unterscheidbar gehalten473. Im EG-Wettbewerbsrecht, welches die „Verhinderung“, „Einschränkung“ oder „Verfälschung“ des Wettbewerbs verbietet474, ist die Reichweite des Begriffs der Wettbewerbsverfälschung indes nicht geklärt. Unstreitig ist, dass die Aneinanderreihung der Begriffe Verhinderung, Einschränkung und ner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 12 f. Rn. 27 ff.; W. Veelken, Lauterkeitsrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 182 ff. 470 EuGH v. 22.06.1982, Rs. 220/81 (Robertson), Slg. 1982, 2349, 2360 f. Rn. 7–12. Dies ermöglicht das Ausnutzen des Rechtsgefälles unterschiedlich strikter Lauterkeitsrechte in den Mitgliedstaaten. Hierzu W. H. Willms, Das Spannungsverhältnis von internationalem Wettbewerbs- und Vertragsrecht bei Ausnutzung eines Verbraucherschutzgefälles, 1997. 471 So auch D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 69; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 282. 472 Vgl. etwa CNDC v. 12.11.1998, Expte. 064-000961/97 (Axoft Argentina S.A./Sistemas Bejerman), 5.1; CNDC v. 29.12.1998, Expte. 064-002600/97 (Asociación Mutual Mercantil Argentina), 7.1 ff.; CNDC v. 02.08.1999, Expte. 064-007873/99 (Mercado de Abasto de Villa Maria/Supermercados Americanos Disco), Rn. 15 ff. Auch in der Literatur wird die Nennung der einzelnen Alternativen neben der der Beschränkung für überflüssig erachtet, da der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung am weitesten sei und alle anderen Begriffe umfasse, vgl. J. Otamedi, Presupuestos básicos, La Ley 1981-B, S. 906; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 329, 351. 473 F. Ulhoa Coelho, Direito Antitruste Brasileiro, São Paulo 1995, S. 56. 474 Art. 81 Abs. 1 EGV.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Verfälschung in Art. 81 Abs. 1 EGV alle Arten von Beschränkungen des Wettbewerbs zu erfassen sucht475. Während die „Verhinderung“ lediglich eine besondere Erscheinungsform der „Einschränkung“ des Wettbewerbs, nämlich dessen vollständiger Ausschluss ist476, wird dem Begriff der Wettbewerbsverfälschung aufgrund der Praxis der EU-Kommission zunehmend eine eigenständige Bedeutung bei solchen Maßnahmen beigemessen, die die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der beteiligten Unternehmen zwar nicht einschränken, aber dennoch eine künstliche Veränderung der Wettbewerbsbedingung zum Nachteil Dritter in der Europäischen Union bewirken477. Dies sei z. B. der Fall, wenn Unternehmen Fonds zur Zahlung von Ausfuhrbeihilfen errichten478, oder bei besonders langfristigen Liefer- oder Bezugsverträgen, die Dritte faktisch von Bezugs- und Absatzwegen ausschließen, selbst dann, wenn die Verträge keine Ausschließlichkeitsklauseln beinhalten479. Diese Auslegung ist für die Interpretation des Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls insoweit von Bedeutung, als die Tatbestandsalternative „Verfälschung“ offenbar aufgrund des Einflusses des EG-Wettbewerbsrechts eingeführt wurde. In dem zum Zeitpunkt der Formulierung des Wettbe475 H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 115; ders., Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 99; P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 120. Nach der Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs umfasst der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung als Oberbegriff alle Alternativen des Art. 81 Abs. 1 EGV, vgl. EuGH v. 25.10.1977, Rs. 26/76 (Metro/Kommission), Slg. 1977, 1875, Rn. 27 und 37; EuGH v. 28.01.1986, Rs. 161/84 (Pronuptia/Pronuptia), Slg. 1986, 353, Rn. 16 f. 476 V. Emmerich, H. I § 1, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 89; H.-J. Bunte, Art. 81 – Generelle Prinzipien, in: Langen/ders., Rn. 59; H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 115. 477 H.-J. Bunte, Kartellrecht, S. 365 f.; ders., Art. 81 – Generelle Prinzipien, in: Langen/ders., Rn. 59; V. Emmerich, H. I § 1, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 103–105; H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 115; ders., Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, S. 161 Rn. 99; C. W. Bellamy/G. D. Child/P. M. Roth, European Community Law of Competition, 5. Aufl. 2001, Rn. 2–108. Gegen eine eigenständige Bedeutung der Wettbewerbsverfälschung: P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 123. 478 Vgl. KomE v. 07.12.1984 (Milchförderungsfonds), ABl. 1985, Nr. L 35/35, 40 Rn. 29. Ähnliche Wirkungen entfalten Ausgleichslieferungen- und Zahlungen im Rahmen von Gebietsschutzabkommen, vgl. KomE v. 22.12.1972 (Cimbel), ABl. 1972, Nr. L 303/24, 33; KomE v. 27.06.1967 (Transocean I), ABl. 1967, Nr. L 163/10; KomE v. 21.12.1973 (Transocean II), ABl. 1974, Nr. L 19/18; KomE v. 05.09.1979 (BP/Kemi-DDSF), ABl. 1979, Nr. L 186/32. 479 Hierauf verweist: V. Emmerich, in: H. I § 1, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 104. Vgl. auch die Praxis der EU-Kommission: KomE v. 12.071984 (Carlsberg), ABl. 1984, Nr. L 207/26, 33, Rn. 13; KomE v. 24.11.1986 (Medoc), ABl. 1986, Nr. L 348/50, 61 Rn. 64; KomE v. 22.12.1992 („Jahrhundertvertrag“), ABl. 1993, Nr. L 50/14, 20 f. Rn. 24 ff.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

werbsschutzprotokolls gültigen argentinischen Wettbewerbsgesetz war die Verfälschung des Wettbewerbs nicht ausdrücklich verboten. Der Wortlaut kannte neben der Begrenzung und Einschränkung lediglich die Verzerrung des Wettbewerbs480. In die neue Fassung des argentinischen Wettbewerbsgesetzes von 1999 wurde der Begriff der Verfälschung unterdessen, ebenfalls wie im Wettbewerbsschutzprotokoll, als vierte Tatbestandsalternative aufgenommen481. Auch im brasilianischen Wettbewerbsgesetz wurde die Wettbewerbsverfälschung neben der Begrenzung oder Beeinträchtigung des Wettbewerbs in der Gesetzesnovelle von 1994 in Anlehnung an die Formulierung des Art. 81 Abs. 1 EGV eingeführt. Die bewusste Anpassung des Wortlauts des Wettbewerbsschutzprotokolls an die Formulierung im EGKartellrecht legt den Schluss nahe, dass auch im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls diesem Begriff eine besondere Bedeutung zukommen soll. Aufgrund des Fehlens einer dem Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV entsprechenden Vorschrift im Mercosur-Recht ist die Übertragbarkeit dieses Konzeptes auf das Wettbewerbsschutzprotokoll zwar nicht ohne weiteres möglich. Da jedoch eine bewusste Anlehnung an den Wortlaut des Art. 81 Abs. 1 EGV vorgenommen wurde, worauf auch in der Literatur hingewiesen wird482, lässt sich die Auffassung vertreten, dass auch im Mercosur unter dem Begriff der Wettbewerbsverfälschung solche Verhaltensweisen erfasst werden, die eine künstliche Veränderung der Wettbewerbsbedingungen zum Nachteil Dritter bezwecken oder bewirken483. (5) Marktzugang Gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll verstoßen auch solche Verhaltensweisen, die den Marktzutritt beschränken (Art. 4). Die Einführung dieser 480

Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes von 1980 Nr. 22.262 richtete sich gegen Handlungen und Verhaltensweisen, die den Wettbewerb begrenzen, einschränken oder verzerren („limitar, restringir o distorsionar“). 481 Es wird vermutet, dass man sich hierbei am EG-Vertrag orientierte, vgl. G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 223, 327. 482 W. Faria, Defensa de la Competencia en el MERCOSUR, Revista del Derecho Industrial 1993 Nr. 43, S. 23 ff.; N. A. Pascar, Protocolo de Defensa de la Competencia en el Mercosur. La experiencia europea, in: A. Lattuca/M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Economía globalizada y Mercosur, 1998, S. 109 f.; P. A. Forgioni, Os Fundamentos do Antitruste, S. 193; J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 184; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 121; E. J. Cárdenas, Características de un abuso de posición dominante, La Ley 1984-A, S. 28; CNDC, Memoria Anual 1997, 2.1. 483 Eben diese Auslegung findet sich für das deutsche GWB, das in der 6. Novelle von 1998 dem Wortlaut des Art. 81 EGV angepasst wurde, bei V. Emmerich, Kartellrecht, S. 41.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Alternative ist auf das argentinische und brasilianische Wettbewerbsgesetz zurückzuführen, welche die Beschränkung des Marktzutritts im Beispielkatalog aufführen484. In den Grundtatbeständen beider Gesetze war zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Wettbewerbsschutzprotokolls der freie Marktzutritt nicht ausdrücklich geschützt. In der Neufassung des argentinischen Wettbewerbsgesetzes von 1999 wurde diese Alternative, wohl in Anpassung an das Wettbewerbsschutzprotokoll des Mercosur, ebenfalls aufgenommen485. Der Beschränkung des Marktzutritts kommt neben der Beschränkung des Wettbewerbs jedoch kaum eine eigenständige Bedeutung zu486. Vielmehr handelt es sich um eine besonders schwerwiegende Form der Wettbewerbsbeschränkung487. Der ausdrückliche Schutz des Marktzutritts neben dem des Wettbewerbs soll vermutlich die Bedeutung der Offenhaltung der Märkte gerade für ein Wirtschaftsintegrationsprojekt verdeutlichen488. Im EG-Wettbewerbsrecht ist die Behinderung des Marktzutritts nicht ausdrücklich geregelt. Sie fällt unter den Oberbegriff der Wettbewerbsbeschränkung489. (6) Bezwecken oder Bewirken Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls setzt voraus, dass die in Frage kommende Verhaltensweise eine Wettbewerbsbeschränkung (im Folgenden als Oberbegriff für die Begrenzung, Beschränkung, Verfälschung oder Verzerrung verstanden) bezweckt oder bewirkt. Diese Formulierung findet sich 484 Vgl. Art. 41 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 22.262 von 1980; Art. 21 Abs. 4 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884 von 1994. 485 Vgl. Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156. 486 So auch D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 72. 487 Emmerich hält künstliche Marktzutrittsschranken für die gefährlichsten Wettbewerbsbeschränkungen, vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 10. Der Europäische Gerichtshof hat angesichts der Bedeutung, die dem Ziel der Schaffung eines Binnenmarktes zukommt, besonderes Augenmerk auf Vereinbarungen gelegt, die den Zugang Dritter zum Markt erschweren, vgl. EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, Rn. 20 ff. 488 Hauptaufgabe jeder Wettbewerbspolitik ist die Offenhaltung der Märkte, damit die Machtposition von Unternehmen bedroht bleiben, vgl. H. Bartling, Leitbilder der Wettbewerbspolitik, 1980, S. 130 ff.; E.-J. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, Vorwort. Die Bedeutung des Marktzugangs durch Dritte hebt der Europäische Gerichtshof im Fall Delimitis hervor, vgl. EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, 938 f. Rn. 20 ff. Auf die besondere Bedeutung für das Integrationsrecht weist D. M. Ramos, Das WettbewerbsschutzProtokoll des Mercosur, S. 72 hin; ebenso W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 105. 489 Zuletzt: EuGH v. 07.06.2005, Rs. C-17/03 (Vereniging voor Energie), Slg. 2005, 1, Rn. 62.

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ebenfalls im Art. 81 EGV sowie im neuen argentinischen Wettbewerbsgesetz von 1999490. Nach Art. 20 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes müssen die in Frage kommenden Maßnahmen eine Beschränkung des Wettbewerbs „zum Gegenstand haben“ oder „verursachen können“. Dem Wortlaut zufolge stehen Zweck und Wirkung einer Wettbewerbsbeschränkung gleichberechtigt nebeneinander491. Ein Verhalten, das zu einer nicht beabsichtigten Beschränkung des Wettbewerbs führt, wird ebenso erfasst, wie der umgekehrte Fall, dass eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt werden sollte, diese aber nicht eingetreten ist. Ein Verschulden ist demnach nicht notwendig492. Insofern dient die Formulierung in Art. 4 Halbs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls „unabhängig vom Vorliegen eines Verschuldens“ lediglich der Klarstellung. Nach der Rechtsprechung und Praxis in der Europäischen Union sind beide Begriffe alternative Tatbestandsmerkmale493. Die Auswirkung einer Maßnahme braucht nicht festgestellt zu werden, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt ist494. Eine tatsächliche Beeinträchtigung muss nicht eingetreten sein495. Bereits die Existenz einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltenskoordinierung kann das Verhalten der Marktteilnehmer beeinflussen, da es ein optisches und psychologisches Klima schafft, das für die Erreichung des angestrebten, rechtswidrigen Ziels günstig ist496. Eine Wettbewerbsbeschränkung gilt als bezweckt, wenn sie 490 R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 93; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 383. 491 Für die Europäische Union so auch E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 282 Rn. 59; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 46, 395; EuGH v. 17.07.1997, Rs. C-219/95 P (Ferriere Nord/Kommission), Slg. 1997 I, 4411, 4434. 492 So auch für Art. 81 Abs. 1 EGV: H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 129. 493 EuGH v. 30.06.1966, Rs. 56-65 (Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm), Slg. 1966, 282, 303; EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 2025; EuG v. 06.04.1995, Rs. T-141/89 (Tréfileurope/Kommission), Slg. 1995 II, 791, 820 Rn. 60; EuG v. 10.03.1992, Rs. T-12/89 (Solvay/Kommission), Slg. 1992 II, 907, 1001. Vgl. auch: H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 122. 494 Zuletzt: EuG v. 12.07.2001, Rs. T-202/98, T-204/98 und T-207/98 (Tate u. Lyle/Kommission), Slg. 2001 II, 2035, 2062 f. Rn. 72; EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-49/92 P (Anic Participazioni/Kommission), Slg. 1999 I, 4125, 4197 Rn. 99; EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-199/92 P (Hüls/Kommission), Slg. 1999, I, 4287, 4387 Rn. 164; EuGH v. 27.01.1987, Rs. 45/85 (Verband der Sachversicherer/Kommission), Slg. 1987, 405, 457 Rn. 39; EuGH v. 30.01.1985, Rs. 123/83 (BNIC/Clair), Slg. 1985, 391, 423 Rn. 22. Der EuGH lässt allerdings den Gegenbeweis durch die betroffenen Unternehmen zu, dass sich die Verhaltensabstimmung tatsächlich in keiner Weise auf das Verhalten am Markt ausgewirkt hat, vgl. EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-199/92 P (Hüls/Kommission), Slg. 1999, I, 4287, 4387 Rn. 167. 495 KomE v. 23.04.1986 (Polypropylen), ABl. 1986, Nr. L. 230/1, 29.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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unmittelbar oder mittelbar, direkt oder nur in Randbereichen einer Absprache zuzuordnen ist497, selbst dann, wenn die Absprache nicht ausgeführt wird498. Sie muss das Ziel der konkreten Verhaltensweise sein499. Ob der Zweck einer Handlung die Wettbewerbsbeeinträchtigung war, beurteilen die Gemeinschaftsorgane anhand objektiver Kriterien im Sinne der wettbewerbsbeschränkenden Zielsetzung oder Tendenz der Maßnahme, nicht anhand der subjektiven Absicht der Beteiligten500. Handelt es sich um „Hardcore“-Kartelle wie die Festsetzung von Verkaufspreisen501, die Aufteilung des Marktes502, Absprachen, die Parallelimporte verhindern sollen503, oder um das Festsetzen von Wiederverkaufspreisen504, so geht der Europäische Gerichtshof ohne weitere Prüfung von einem wettbewerbsbeschränkenden Zweck aus. 496

EuGH v. 01.02.1978, Rs. 19/77 (Miller International Schallplatten/Kommission), Slg. 1978, 131, 148 Rn. 6–7; EuG v. 14.07.1994, Rs. T-77/92 (Parker/Kommission), Slg. 1994 II, 549, 568 Rn. 55. 497 KomE v. 13.12.1989 (Bayo-n-ox), ABl. 1990, Nr. L 21/71, 76. 498 KomE v. 24.07.1969 (BMW Belgium), ABl. 1978, Nr. L 46/33. 499 H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 124. 500 EuGH v. 12.07.1979, Rs. 32-78 und 36 bis 82-78 (BMW Belgium u. a./Kommission), Slg. 1979, 2435, 2475; KomE v. 13.12.1989 (Bayo-n-ox), ABl. 1990, Nr. L 21/71, 76; J. Faull/A. Nikpay, The EC Law of Competition, Oxford 1999, Rn. 2.61. Allerdings ist in jüngerer Zeit die Tendenz zu erkennen, zwischen den vernünftigen und deshalb positiv zu bewertenden subjektiven Zwecken und etwaigen wettbewerbsbeschränkenden Nebenwirkungen einer Maßnahme zu unterscheiden. In den Urteilen „DLG“, „Delimitis“ und „Javico“ hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Alleinbezugsverpflichtungen und Exportkartelle keine Wettbewerbsbeschränkung darstellten, weil die Beteiligten positiv zu bewertende Zwecke verfolgten. Erst wenn es durch das Vorliegen mehrere gleichartiger Verträge (Bündeltheorie) zu einer Marktschließung kommt, sei eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt. Hierzu vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 46, 395 f., der anmerkt, dass der Europäische Gerichtshof damit den herkömmlichen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung als Beeinträchtigung der Handlungsalternativen der Beteiligten aufgibt und zudem dem Art. 81 Abs. 1 EGV eine Abwägung von wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen der Absprachen aninterpretiert, welche der Systematik des Vertrags zufolge nur im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 möglich ist. Zu der etwaigen Anwendung einer rule of reason im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EGV sowie im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls ausführlich unten, Teil 3, III. 2. a), dd), (2), S. 489 ff. 501 EuGH v. 16.11.1975, Rs. 73/74 (Papier Peints/Kommission), Slg. 1975, 1491, 1513 Rn. 10; EuGH v. 27.01.1987, Rs. 45/85 (Verband der Sachversicherer/Kommission), Slg. 1987, 405, 457 Rn. 39–43. 502 EuGH v. 15.07.1970, Rs. 41-69 (ACF Chemiefarma/Kommission), Slg. 1970, 661, 698 Rn. 128. 503 EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, 391. 504 EuGH v. 03.07.1985, Rs. 243/83 (Binon/AMP), Slg. 1985, 2015, 1046 Rn. 44 f.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Eine Wettbewerbsbeschränkung gilt im EU-Wettbewerbsrecht als bewirkt, wenn zwischen der Beeinträchtigung und der in Frage kommenden Absprache ein adäquater kausaler Zusammenhang hergestellt werden kann505. Erforderlich ist eine Marktanalyse, in der die Marktsituation mit und ohne die potentiell wettbewerbsbeschränkende Handlung dargestellt wird506. Die Auswirkung auf den Wettbewerb muss nicht ausschließlich durch die in Frage kommende Maßnahme herbeigeführt werden. Es reicht, wenn sie zu der Wirkung beiträgt507. Im alten, zur Zeit der Verabschiedung des Wettbewerbsschutzprotokolls gültigen argentinischen Wettbewerbsgesetz von 1980 war nur die tatsächliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs und nicht schon der Versuch einer Beeinträchtigung verboten508. Die Delegierten haben sich bei der Formulierung des Wettbewerbsschutzprotokolls damit ausdrücklich für den umfangreicheren Tatbestand entschieden, wie er im europäischen Wettbewerbsrecht, in Brasilien und seit 1999 auch in Argentinien praktiziert wird. Es ist denkbar, dass auch im Mercosur eine ebenso weite Auslegung der Begriffe wie in der Europäischen Union stattfinden wird509. (7) Spürbarkeit Im EG-Wettbewerbsrecht hat der Europäische Gerichtshof das Erfordernis der Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal entwickelt510. Die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschrän505

H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 129. EuGH v. 28.05.1998, Rs. C-7/95 P (J. Deere/Kommission), Slg. 1998 I, 3111, 3160; EuGH v. 21.01.1999, Rs. C-215 u. 216/96 (Bagnasco u. a./Banca Populare), Slg. 1999 I, 135, 175 Rn. 33. Vgl. auch: H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 128. 507 Hierzu ausführlich E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 286 Rn. 68. 508 Vgl. Gesetzesmotive zum argentinischen Wettbewerbsgesetz Nr. 22.262: „a un peligro concreto, razonablemente determinable en cada caso particular y no a la mera posibilidad lógica y abstracta de lesión“, übersetzt: „auf eine konkrete, in jedem Einzelfall genau feststellbare Gefahr und nicht auf die bloße logisch-abstrakte Möglichkeit des Eintritts eines Schadens“, eigene Übersetzung; vgl. auch CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 2.; dies., Memoria Anual 1997, 2.1; J. Otamedi, Presupuestos básicos, La Ley 1981-B, S. 906. 509 Ähnlich auch die Interpretation von W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 106. 510 EuGH v. 30.06.1966, Rs. 56-65 (Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm), Slg. 1966, 282, 303 f.; EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 1984 ff.; EuGH v. 25.10.1983, Rs. 107/82 (AEG u. a./Kommission), Slg. 1983, 3151, 3201; EuGH v. 506

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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kung ist nicht zu verwechseln mit der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, welche Voraussetzung ist, damit eine Maßnahme in den Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln fällt511. Nach ständiger Rechtsprechung ist Art. 81 Abs. 1 EGV nur anwendbar, wenn von der Wettbewerbsbeschränkung spürbare Auswirkungen auf Dritte, insbesondere die Marktgegenseite, im Sinne einer quantitativen oder qualitativen Einschränkung der ihnen offen stehenden Wahlmöglichkeiten ausgehen512. Eine nur geringfügige Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Markt fällt damit nicht unter Art. 81 Abs. 1 EGV. Die Einschränkung der Handlungsfreiheit muss konkret feststellbare Veränderungen der relevanten Produktions- oder Marktfaktoren mit sich bringen513. Ausschlaggebend ist, dass die Maßnahme geeignet ist, den Zugang zum Markt zu verschließen514. Vergleichsmaßstab ist auch hier der hypothetische Wettbewerb, wie er ohne die fragliche Verhaltensweise bestehen würde515. Nach der Rechtsprechung gilt das Erfordernis der Spürbarkeit sowohl für bezweckte als auch bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen, weshalb die Spürbarkeit auch nur möglicher, potentieller Drittwirkungen ausreicht, um eine Wettbewerbsbeschränkung festzustellen516. Kriterien, anhand derer der Europäische Gerichtshof die Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung prüft, sind unter anderen die Marktanteile der beteiligten Unternehmen517, deren Marktstellung518 sowie die sonstigen Marktwirkungen, wie sie sich aus dem wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang ergeben519. 10.12.1985 – Rs. 260/82 (Nederlandse Sigarenwinkeliers Organisatie), Slg. 1985, 3801, 3824 f.; EuGH v. 21.01.1999, Rs. C-215 u. 216/96 (Bagnasco u. a./Banca Populare), Slg. 1999 I, 135, 178 f. Rn. 46 ff. 511 Hierzu bereits oben: Teil 3, III. 1. c). In beiden Zusammenhängen wurde die Spürbarkeit bisher allerdings gleich ausgelegt und auch zusammen geprüft, vgl. T. Eilmanberger, Art. 81 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 71; H.-J. Bunte, Art. 81 EG – Generelle Prinzipien, in: Langen/ders., Rn. 101, 124; P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 215. 512 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 291 Rn. 80; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 394. 513 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 42 f. 514 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 291Rn. 80. 515 Grundlegend: EuGH v. 30.06.1966, Rs. 56-65 (Société Technique Minière/ Maschinenbau Ulm), Slg. 1966, 282; EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31-80 (L’Oréal/De Nieuwe Amck), Slg. 1980, 3775, 3792, Rn. 19; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 394. 516 EuGH v. 09.07.1969, Rs. 5-69 (Voelk/Vervaecke), Slg. 1969, 295, Rn. 5 u. 7; EuGH v. 17.11.1987, Rs. 142 u. 156/84 (British American Tobacco u. a./Kommission), Slg. 1987, 4487, 4581 Rn. 54. Vgl. auch: J. Faull/A. Nikpay, The EC Law of Competition, Rn. 2.66. 517 EuGH v. 01.02.1978, Rs. 19/77 (Miller International Schallplatten/Kommission), Slg. 1978, 131, 149. 518 Vgl. EuG v. 15.09.1998, Rs. T-374/94, T-375/94, T-384/94 und T-388/94 (European Night Services u. a./Kommission), Slg. 1998 II, 3141, 3184 Rn. 103;

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Die Kommission hat in den Bekanntmachungen über Vereinbarungen geringer Bedeutung (De-minimis-Bekanntmachungen) diese Rechtsprechung konkretisiert. Danach entfalten horizontale Absprachen keine spürbaren wettbewerbsbeschränkende Wirkungen, wenn die beteiligten Unternehmen einen Marktanteil von insgesamt weniger als 10% besitzen520. Bei vertikalen Absprachen wird ein Marktanteil der beteiligten Unternehmen von jeweils weniger als 15% als nicht spürbar auf dem Markt angesehen521. Um auch kumulative Wirkungen gleichartiger Verträge (Bündeltheorie) zu erfassen, verringert die De-minimis-Bekanntmachung die genannten Marktanteilsschwellen auf insgesamt 5% aller beteiligten Unternehmen bei horizontalen bzw. jeweils 5% bei vertikalen Absprachen522. Gleichartige nebeneinander bestehende Vertragsnetze entfalten keinen spürbaren kumulativen Abschottungseffekt, wenn der Marktanteil dieser Vertragssysteme zusammen weniger als 30% des Marktes umfasst523. Besonders schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen, die so genannten „Kernbeschränkungen“, können auch unterhalb der genannten Marktanteile spürbare Auswirkungen auf den Wettbewerb entfalten524. Umgekehrt kann es im Einzelfall auch bei höheren Marktanteilen an Spürbarkeit fehlen525. Fehlt es auf einem Markt ohnehin an Wettbewerb, weil etwa nationale Regelungen die Beteiligten nachhaltig beschränken, einen Preis als Ergebnis des freien Spiels von Angebot und Nachfrage auszuhandeln oder Lieferanten frei auszuwählen, so kann dies dazu führen, dass wettbewerbswidrige Verhaltensweisen der betreffenden Unternehmen den Wettbewerb nicht spürbar beeinträchtigen526. EuGH v. 07.06.1983, Rs. 100-103/80 (Musique Diffusion Française/Kommission), Slg. 1983, 1825, 1925. 519 EuGH v. 25.11.1971, Rs. 22-71 (Béguelin Import u. a./S.A.G.L. Import Export), Slg. 1971, 949, Rn. 13; EuGH v. 10.07.1980, Rs. 99/79 (Lancôme u. a./Etos u. a.), Slg. 1980, 2511, 2536; EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31-80 (L’Oréal/De Nieuwe Amck), Slg. 1980, 3775, 3792. Dass der Marktanteil nicht alleine ausschlaggebend ist, stellte der Europäische Gerichtshof bereits 1980 klar, vgl. EuGH v. 10.07.1980, Rs. 30-78 (Distillers Co./Kommission), Slg. 1980, 2229, 2265 Rn. 28. 520 EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung 2001, Rn. 7a. 521 EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung 2001, Rn. 7b. 522 EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung 2001, Rn. 8. 523 EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung 2001, Rn. 8. 524 EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung 2001, Rn. 11. Als Kernbeschränkungen werden genannt: Preisabsprachen, Vereinbarungen über die Aufteilung der Märkte oder Kunden oder Gebietsabsprachen. Um Widersprüche mit bestehenden Gruppenfreistellungsverordnungen im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EGV zu vermeiden, werden Ausnahmen von den Kernbeschränkungen aufgeführt (Rn. 11 Ziff. 2). Beispielsweise sind unter bestimmten Umständen die Festsetzung von Höchstverkaufspreisen und Preisempfehlungen zulässig (Ziff. 2a) und auch Beschränkungen im Rahmen selektiver Vertriebsysteme, wenn es sich um Niederlassungen handelt (Ziff. 2c). 525 EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung 2001, Rn. 2.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

431

Auch im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls ist eine ähnliche Handhabe denkbar, denn die argentinische und brasilianische Wettbewerbsbehörden verfolgen auf nationaler Ebene ein vergleichbares Konzept. Wie bereits dargestellt, haben sowohl die CNDC als auch der CADE klargestellt, dass eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs grundsätzlich nur von Wirtschaftsteilnehmern mit einer gewissen Marktmacht ausgehen kann527. Denn ohne ein Mindestmaß an Marktmacht könne kein Einfluss auf das Marktgeschehen ausgeübt und somit keine Wettbewerbsbeschränkung verursacht werden528. Beide Behörden haben wiederholt ausgeführt, dass der Schutzbereich des Wettbewerbsgesetzes nicht der Schutz Einzelner, sondern der des Wettbewerbs ist529. Das Marktmachtkonzept, wie es in Argentinien und Brasilien angewandt wird, ist durchaus im Sinne des Spürbarkeitskriteriums des Europäischen Gerichtshofs zu interpretieren. Es grenzt ebenso wie das Erfordernis der Spürbarkeit marktrelevante Wettbewerbsbeschrän526 EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 1949. 527 Vgl. bereits Teil 3, III. 2. a), aa). 528 CNDC v. 17.11.1998, Expte. 064-002931/97 (C.434) (Miguel Ángel Olmo/ Buena Vista Columbia Tristar Films of Argentina S.A.), 5.4; CNDC v. 03.09.1998, Expte. 034-001681/95 (Cámara Argentina de Empresas de Servicios Jurídicos Prepagos/Colegio de Abogados de San Nicolas), 6.11; CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5. In diesem Sinne auch der brasilianische CADE v. 08.10.1997, P. A. 41/92 (IBM do Brasil), DOU 21.10.1997, Seção I, S. 23710; CADE v. 03.09.1997 Representação 147/93 (Escola de Formação de Vigilantes Tiradentes), DOU 19.09.1997, Seção I, S. 20744 ff. Vgl. bereits Hinweise in Fn. 332 f. (3. Teil). 529 Zuletzt: CNDC v. 10.02.2005, Expte. S01:0096145/2003 (DKA/Telefónica de Argentina), Rn. 34: „(. . .) no entiende a la protección particular de los intereses de quienes operan dentro del mercado sino a tutelar al mercado mismo de prácticas anticompetitivas que afecten al interés económico general.“, übersetzt: „(. . .) nicht auf den Schutz einzelner Marktteilnehmer abzielt, sondern auf den Schutz des Marktes selbst vor wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen, die das wirtschaftliche Allgemeininteresse beeinträchtigen.“, eigene Übersetzung; vgl. auch: CNDC v. 19.12.1995, Expte. 607.452/92 (C. 290) (Albemar/Cámara Argentina del Tabaco u. a.), S. 9; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 81. Auch der CADE hat entschieden, dass Handelspraktiken nur dann unter den Schutz des Wettbewerbsgesetzes fallen, wenn sie auch eine Wettbewerbsbeschränkung allgemeiner Tragweite darstellen, vgl. CADE v. 03.09.1997 Representação 147/93 (Escola de Formação de Vigilantes Tiradentes), DOU 19.09.1997, Seção I, S. 20744 ff.; CADE v. 27.10.1993, P. A. 10/91 (Lumix Química), DOU 05.11.1993, Seção I, S. 16609. Zwar ist der Schutz des Verbrauchers in Art. 1 ausdrücklich genannt, doch ist hier der Schutz des „kollektiven Verbrauchers“ gemeint, vgl. CADE, Relatório Anual 1998/99, Brasilia 1999, S. 17. Auch in der Literatur wird die Berücksichtigung individueller Interessen abgelehnt, vgl. R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 80; J. R. de Lima Lopes, Direito da Concorrência e Direito do Consumidor, Revista de Direito do Consumidor, 2000 Nr. 34, 79–81.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

kungen von solchen für den Wettbewerb weniger bedeutsamen unlauteren Handelspraktiken ab. Die Vergleichbarkeit des Marktmachtkonzepts in Südamerika mit dem Spürbarkeitserfordernis in der Europäischen Union ist besonders vor dem Hintergrund der jüngsten Praxis der EU-Kommission gegeben. Diese verwendet das Erfordernis der Spürbarkeit nun nicht mehr wie ursprünglich und im Einklang mit der Rechtsprechung als Bagatellklausel, um solche Abreden von der Anwendung der EG-Wettbewerbsvorschriften auszunehmen, die nur theoretisch, dem Inhalt der Vereinbarung nach geeignet sind, den Wettbewerb zu beschränken. Vielmehr scheint auch die EU-Kommission wegen der (angeblichen) Überlastung530 und im Zusammenhang mit der neuen Kartellverfahrensverordnung 1/03, Wettbewerbsbeschränkungen bis zur Grenze der Marktmacht der beteiligten Unternehmen von der Anwendung des Art. 81 Abs. 1 EGV ausnehmen zu wollen531. Wie dargestellt hält die Kommission kumulative Abschottungseffekte von gleichartigen, nebeneinander bestehenden Vertragsnetzen verschiedener Produzenten für nicht spürbar, solange diese zusammen weniger als 30% des relevanten Marktes umfassen532. Und in den Leitlinien für vertikale Vereinbarungen verpflichtet sich die Kommission, erst ab einem Marktanteil von über 30% eine vollständige wettbewerbsrechtliche Untersuchung vorzunehmen533. Inwieweit sich diese, die Anwendung des EG-Kartellrechts einschränkende Interpretation der Spürbarkeit durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Die Bekanntmachungen der Kommission sind weder für die europäischen noch für nationale Gerichte bindend534. Sie dienen als Leitfaden für nationale Gerichte und Behörden535 sowie zur Selbstbindung der Kommission, unabhängig davon, ob es sich um ein Verfahren von Amts wegen oder ein Antragsverfahren handelt536. Im Gegensatz zur EU-Kommission werden in Argentinien und Brasilien keine quantitativen Angaben gemacht, ab welchem Marktanteil Marktmacht und damit die Möglichkeit einer Wettbewerbsbeschränkung anzunehmen ist. Aufgrund der Praxis in der Europäischen Union wie auch auf nationaler Ebene Argentiniens und Brasiliens ist es denkbar, dass auch im Mercosur 530

Kritisch hierzu V. Emmerich, Die Mär von der Arbeitsüberlastung der Kommission, WuW 51 (2001), S. 3. 531 Zu diesem Schluss kommen: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 293 Rn. 86. 532 EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung 2001, Rn. 8; EU-Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, 2000, Rn. 149. 533 EU-Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, 2000, Rn. 121. 534 H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 215; H.-J. Bunte, Art. 81 – Generelle Prinzipien, in: Langen/ders., Rn. 105. 535 So ausdrücklich, EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung, 2001, Rn. 4. 536 EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung 2001, Rn. 11.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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in Zukunft ein Spürbarkeits- bzw. Marktmachterfordernis von dem Mercosur-Wettbewerbsorgan vorausgesetzt werden wird, zumal sich dieses aus den mitgliedstaatlichen Behörden zusammensetzt. (8) Relevanter Markt Der Markt ist ein zentraler Begriff im Wettbewerbsschutzprotokoll. Gegen Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls verstoßen Praktiken, die den Marktzugang beschränken oder einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem Markt darstellen. Eine Definition des Marktbegriffs gibt es im Wettbewerbsschutzprotokoll ebenso wenig wie in den nationalen Wettbewerbsgesetzen Argentiniens und Brasiliens oder im EG-Vertrag537. Eine Marktabgrenzung ist notwendig sowohl im Rahmen der Feststellung eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung538 als auch zur Feststellung, ob eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung bewirkt wird539. Eine Verhaltensweise kann nur den Wettbewerb auf dem Markt für das jeweilige Produkt bzw. die jeweilige Dienstleistung beschränken. Eine Wettbewerbsbeschränkung etwa im Automobilsektor ist nicht auf dem Markt für Camcorder relevant. Neben der sachlichen oder gegenständlichen ist auch eine räumliche Marktabgrenzung notwenig. Obwohl es sich um das gleiche Produkt handelt, ist der Markt für Frischmilch in Argentinien ein anderer als der in Paraguay aufgrund der geografischen Entfernung und der raschen Verderblichkeit von Frischmilch. Um zu ermitteln, ob ein beanstandetes Verhalten spürbar den Wettbewerb beschränkt, ist der so genannte relevante Markt festzustellen. Die internationale Praxis unterscheidet den sachlich relevanten vom räumlich relevanten Markt. In Ausnahmefällen wird auch der zeitlich relevante Markt definiert540. Diese Vorgehensweise entspricht auch derjenigen in Argentinien und Brasilien541. Im Unterschied zum Europäischen Gerichtshof542 definiert 537 In der aktuellen De-minimis-Bekanntmachung geht die EU-Kommission erstmals von Marktanteilen und nicht mehr wie bisher Umsätzen aus, wodurch die Abgrenzung des relevanten Marktes auch im Rahmen von Art. 81 EGV durchgängig an Bedeutung gewinnt, so E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 296 Rn. 100. 538 Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls. Hierzu weiter unten, Teil 3, III. 2. b), aa). 539 C. Martínez Blanco, Grandes cadenas, poder dominante y defensa de la competencia, 2001, S. 36. 540 Bei zeitlich begrenzten Märkten wie Messen oder dem Markt für Eintrittskarten einer Fußballweltmeisterschaft, vgl. KomE v. 27.10.1992 (Fußballweltmeisterschaft 1990), ABl. 1992, Nr. L 326/31. 541 In ihrer Anwendungspraxis unterscheidet die CNDC klar zwischen dem sachlich und räumlich relevanten Markt. Vgl. CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

die argentinische CNDC sogar regelmäßig zuerst den relevanten Markt, bevor sie prüft, ob in diesem eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt543. Sachlich relevanter Markt (Produktmarkt) Bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes geht es um die Frage, welche Produkte oder Dienstleistungen zu einem Markt gehören, weil zwischen ihnen Wettbewerbsbeziehungen bestehen. Sowohl im EU- als 96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 5.4, 5.7; CNDC v. 29.11. 1999, Expte. 064-002907/97 (Procter & Gamble/Unilever), Rn. 70 ff.; CNDC v. 10.05.1982, Expte. 104.084/81 (Cooperativa Popular de Electricidad Santa Rosa), VI.; CNDC v. 06.05.1997, Expte. 064-002849/96 (American Express/Visa, Mastercard y Argencard), 5.1 ff., 5.19 ff.; CNDC v. 02.08.1999, Expte. 064-007873/99 (Mercado de Abasto de Villa Maria/Supermercados Americanos Disco), Rn. 17 f.; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 28 ff., 39 ff.; CNDC v. 03.02.2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 32 ff.; CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 16 ff.; CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 57 ff.; CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 14 ff.; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 219 ff.; CADE v. 15.06.2005, A. C. 08012.001725/2005-19 (Eastman Kodak e CREO); CADE v. 23.03.2005, A. C. 08012.000336/2005-68 (Sadia et al.); CADE v. 09.03.2005, A. C. 08012.000102/2005-11 (Weinschenck de Faria et al.); CADE v. 19.12.1995, A. C. 56/95 (Jovita), DOU 27.12.1995 I, S. 22350. 542 Ist eine Wettbewerbsbeschränkung gemäß Art. 81 Abs. 1 EGV bezweckt, braucht die Auswirkung der Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise auf den Markt nicht festgestellt zu werden (vgl. Anmerkungen in Fn. 494, 3. Teil). Die Notwendigkeit, den Markt abzugrenzen, entfällt. Hierauf verweist E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 297 Rn. 100. 543 Vgl. etwa CNDC v. 08.02.1982, Expte. 30.782-S-81 (Humberto Savant/Matadero Vera), III.; CNDC v. 10.05.1982, Expte. 104.084/81 (Cooperativa Popular de Electricidad Santa Rosa), VI. u. VII.; CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/ 79 (Acfor/Igarreta), VII.; CNDC v. 19.04.1985, Expte. 1304-0259-11401/82 (Cooperativa de Provisión de Canillitas/Lerchundi u. a.), IV.; CNDC v. 31.07.1997, Expte. 064-000962/97 (Cámara Argentina de Papelerías Librerías y Afines/Supermercados Mayoristas Makro), Rn. 8 ff. (Fall kommentiert in R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 282 ff.); CNDC v. 06.05.1997, Expte. 064-002849/96 (American Express/Visa, Mastercard y Argencard), 5.1 ff.; CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 3.1. ff.; CNDC v. 29.11.1999, Expte. 064-002907/97 (Procter & Gamble/Unilever), Rn. 70; CNDC v. 03.02.2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 32 ff.; CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 16 ff.; CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 57 ff.; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), 219 ff.; vgl. auch T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 79 f. sowie Hinweise in Fn. 967 (3. Teil).

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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auch US-Wettbewerbsrecht und im Übrigen auch in Deutschland wird das Bedarfsmarktkonzept angewandt544. Nach dem Bedarfsmarktkonzept gehören zu einem Markt diejenigen Produkte oder Dienstleistungen, die aus der Sicht der Marktgegenseite zur Befriedigung eines gleich bleibenden Bedarfs besonders geeignet sind, während die Austauschbarkeit mit anderen Gütern oder Leistungen gering ist545. Die Austauschbarkeit ist dabei sowohl aus der Sicht der Nachfrager (Angebotsmärkte), als auch aus der Sicht der Anbieter (Nachfragemärkte) zu beurteilen546, wobei die EU-Kommission der Substituierbarkeit aus der Sicht der Nachfrager die entscheidende Bedeutung beimisst547. Zu demselben sachlich relevanten Markt gehören folglich solche Produkte und Dienstleistungen, die aufgrund ihrer Eigenschaften, Preise und des vorgesehenen Verwendungszwecks aus der Sicht der Verbraucher substituierbar sind548. Ganz ähnlich wird der Produktmarkt in Argentinien und Brasilien abgegrenzt. Die CNDC und der CADE beurteilen die Zurechenbarkeit von Produkten zu einem sachlich gleichen Markt anhand der Austauschbarkeit und Vergleichbarkeit der in Frage kommenden Produkte aus Sicht der Verbraucher549. Der CADE stellt die Vergleichbarkeit unter anderem auf Basis des 544 Für die Europäische Union vgl. EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 516; EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, Rn. 23–33. Grundlegende Entscheidung in den USA: Supreme Court, United States vs. American Tobaco, 328 U.S. 781 (1946). Für Deutschland vgl. BGHZ, 131, 107, 110 (Krupp/Daub). 545 Dies ist ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, vgl. EuGH v. 21.02.1973, Rs. 6/72 (Europemballage und Continental Can/Kommission), Slg. 1973, 215, 348; EuGH v. 03.07.1991, Rs. C-62/86 (Akzo/Kommission), Slg. 1991 I, 3359, 3439 ff.; EuGH v. 02.03.1994, Rs. C-53/92 P (Hilti/Kommission), Slg. 1994 I, 667, 693, 701 f. Rn. 11–15; EuGH v. 14.11.1996, Rs. C-333/94 P (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1996 I, 5951, 6004 ff. Rn. 11 ff. 546 EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 516; EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, Rn. 23–33; vgl. auch C. S. Menem, ¿Qué es el Mercosur?, S. 206. Dies ist auch die Praxis in den USA seit: Supreme Court, United States vs. American Tobaco, 328 U.S. 781, 66 (1946). Dazu T. D. Morgan, Cases and materials on modern Antitrust Law and its origins, 1994, S. 888 f. 547 H. Bergmann, Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I: Europäisches Recht, Kommentar, 2005, Rn. 28. 548 EU-Kommission, Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997, Nr. C 372/5, Rn. 7. Die Definition der Kommission entspricht damit der des Europäischen Gerichtshofs und im Übrigen auch der des Bundeskartellamts, vgl. V. Emmerich, Fusionskontrolle 1999/2000, AG 45 (2000), S. 530 ff.; ders., Kartellrecht, S. 169. 549 Dabei definiert die CNDC die Austauschbarkeit als die tatsächliche Möglichkeit der Verbraucher, eine Ware sinnvoll durch eine andere Ware mit demselben

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Verwendungszwecks, der Qualität und des Preises der in Frage kommenden Produkte fest550. Beide Behörden berücksichtigen neben dem aktuellen auch den potentiellen Wettbewerb551. In der jüngeren Praxis wird zudem auf die Austauschbarkeit auf der Angebotsseite abgestellt552. Die Angebotssubstitution ist ein Maßstab dafür, wie schnell ein Produzent seine Produktion auf andere, aus Sicht der Verbraucher nicht austauschbare Güter umNutzen zu ersetzen, vgl. CNDC v. 10.07.1984, Expte. 107.337/81 (BIEZA/Sierra del Mar), V.; CNDC v. 06.05.1997, Expte. 064-002849/96 (American Express/Visa, Mastercard y Argencard), 5.3; CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 3.2; CNDC v. 12.11.1998, Expte. 064-000961/97 (Axoft Argentina S.A./Sistemas Bejerman), 5.4; CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 5.4; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 30; CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 4.1; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 45, 48; CNDC v. 03.02. 2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 32 ff.; CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 19; CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 58; CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 16. Zu Beginn ihrer Praxis untersuchte die CNDC nicht die Wettbewerbsbeziehung zwischen Produkten anhand ihrer Austauschbarkeit, sondern beurteilte „die Gesamtheit der Beziehungen zwischen den Anbietern und Nachfragern eines Produktes oder Dienstleistung“, vgl. CNDC v. 22.09.1982 (Staff Médico/ Federación Médica de la Provincia de Buenos Aires), VII. Auch der CADE hob hervor, dass es auf die Sicht der Verbraucher ankommt, vgl. CADE, Resolução 5/96 v. 28.08.1996, Manual de preenchimento dos quadros do requerimiento simplificado, Brasilia 1996, abrufbar unter: http://www.cade.gov.br./legislacao/resolucoes/ resolucoes.asp, Nr. 3.2; CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I; CADE v. 22.03.1995, A. C. 16/94 (Siderfflrgica Laisa e Grupo Korf), DOU 31.03.1995, Seção I, S. 4.595. 550 CADE v. 22.03.1995, A. C. 16/94 (Siderfflrgica Laisa e Grupo Korf), DOU 31.03.1995, Seção I, S. 4595. 551 CNDC v. 06.05.1997, Expte. 064-002849/96 (American Express/Visa, Mastercard y Argencard), 5.28; CNDC v. 12.11.1998, Expte. 064-000961/97 (Axoft Argentina S.A./Sistemas Bejerman), 5.4; CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 4.1; CNDC v. 03.02.2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 28; CADE v. 19.12.1995, A. C. 56/95 (Jovita), DOU 27.12.1995 I, S. 22350. 552 Grundlegend: CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 4.1; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 31; CNDC v. 29.11.1999, Expte. 064-002907/97 (Procter & Gamble/Unilever), Rn. 73; CNDC v. 03.02.2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 49; CADE v. 06.03.1996, A. C. 15/94 (Indfflstrias Verolme-Ishibras), DOU 11.03.1996 I, S. 3959.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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stellen kann und daher sachlich dem relevanten Markt dieser Güter zuzurechnen ist553. In Brasilien bilden kleine Containerschiffe gegenüber größeren jeweils eigene Märkte, denn die Hersteller können nicht ohne erhebliche Investitionen die Produktion auf die jeweils andere Kategorie umstellen554. Neben den objektiven Produkteigenschaften können auch die Gebrauchsgewohnheiten für deren Austauschbarkeit maßgeblich sein. So entschied die EU-Kommission, dass trotz der objektiv gleichen Funktion von Tampons und Binden beide verschieden Märkten zuzuordnen seien, denn sie unterscheiden sich grundlegend im Gebrauch, weshalb sie nicht austauschbar seien555. Auch die Wettbewerbsbedingungen sowie die Struktur von Angebot und Nachfrage können zur Abgrenzung des Produktmarktes den Ausschlag geben. Identische Kraftfahrzeugteile, die vom Hersteller in der Erstausstattung sowie als Ersatzteile vertrieben werden, sind verschiedenen Märkten zuzuordnen556. In Argentinien sah die CNDC die Marke Ford als einen eigenständigen Markt an, da aufgrund der Gebrauchsgewohnheit und des Images (Zuverlässigkeit) eine Austauschbarkeit mit einer anderen Marke für die Verbraucher nicht in Betracht käme557. Zur Beurteilung der Austauschbarkeit von Gütern und Leistungen werden nur realistische Wahlmöglichkeiten berücksichtigt, d.h. eine hundertprozentige Gleichwertigkeit ist nicht erforderlich, während es umgekehrt am Marktrand auch zu Überschneidungen mit anderen Erzeugnissen oder Leistungen kommen kann, welche nicht berücksichtigt werden558. Eine gleich bleibende Nachfrage ist ein wichtiges Indiz für eine geringe Austauschbarkeit der Güter559. 553

CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 31; CNDC v. 03.02.2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 41; CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 4.1; CNDC v. 29.11.1999, Expte. 064-002907/97 (Procter & Gamble/Unilever), Rn. 104. 554 CADE v. 06.03.1996, A. C. 15/94 (Indfflstrias Verolme-Ishibras), DOU 11.03.1996 I, S. 3959. 555 KomE v. 21.06.1994 (Procter & Gamble/Schickedanz), ABl. 1994, Nr. L 354/32, Rn. 42 ff. 556 EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461 Rn. 38 u. 46; EuGH v. 05.10.1988, Rs. 238/87 (Volvo/Veng), Slg. 1988, 6211, 6235; KomE v. 23.09.1991 (Mannesmann/Boge), ABl. 1991, Nr. C 265/00 Rn. 10 u. 11; KomE v. 31.07.1991 (Varta/Bosch), ABl. 1991, Nr. L 320/26, Rn. 12. 557 CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), VII. ähnlich CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 45 (Raucher wählen ungern eine andere als die gewohnte Zigarettenmarke). 558 EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3508.

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Um die Marktverhältnisse überschaubar zu halten, wird der Markt eng abgegrenzt. Als getrennte Märkte gelten in der Europäischen Union beispielsweise Kristallzucker jeweils für Haushalt und Gewerbe560, die Verkehrsmittel Flugzeug, Bahn oder Schiff561, wobei innerhalb des Verkehrsmittels Flugzeug unter Umständen sogar jede Fluglinie einen eigenen Markt bildet562. Einen eigenen sachlichen Markt bilden zudem Maschinen für aseptische und nichtaseptische Verpackungen563, frei empfangbares Fernsehen gegenüber Pay-TV564, wobei die Kommission innerhalb des Marktes für Pay-TV weiter den Markt für interaktives Pay-TV von dem für traditionelles Pay-TV unterscheidet565. Eine vergleichbar enge Abgrenzung findet sich in der Praxis der CNDC, die urteilte, dass frei empfangbares Fernsehen, Kabelfernsehen und Satellitenfernsehen verschiedenen sachlich relevanten Märkten angehörten566. Ebenso stellen die Flugstrecken von Buenos Aires nach London, Madrid, Miami, Montevideo und anderen Städten einen eigenständigen sachlich relevanten Markt dar567. Der CADE teilte den Markt für Autoachsen in Brasilien auf und befand, dass verschiede, jedoch funktionell vergleichbare Achstypen verschieden sachlich relevanten Märkten zuzuordnen seien, denn die Autohersteller könnten die Produktion nicht ohne weiteres auf einen anderen Achsentyp umstellen568. Nach Ansicht des CADE sind des Weiteren der Fabrikverkauf von Neuwagen, der Einzelhandel von Neuwagen, der Fabrikverkauf von Autoersatzteilen und der Einzelhandel von Autoersatzteilen verschiedene Märkte, wobei die Märkte für Fabrikverkauf bzw. Einzelhandel von Neuwagen jeweils in drei weitere Märkte unterteilt werden könnten: in einen Markt für Kleinwagen, einen 559 EuGH v. 14.11.1996, Rs. C-333/94 P (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1996 I, 5951, 6004, Rn. 13. 560 KomE v. 14.05.1997 (Irish Sugar), ABl. 1997, Nr. L 258/1, 15 Rn. 87 ff. 561 KomE v. 21.09.1994 (Night Service) ABl. 1994, Nr. L 259/20, 22. 562 EuG v. 19.05.1994, Rs. T-2/93 (Air France/Kommission), Slg. 1994 II, 323, Rn. 80–84. 563 EuGH v. 14.11.1996, Rs. C-333/94 P (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1996 I, 5951, 6004 Rn. 11 f. 564 KomE v. 21.03.2000 (Bsky/Kirch Pay TV), ABl. 2000, Nr. C 110/45, Rn. 23. 565 KomE v. 15.09.1999 (British Interactive Broadcasting/Open), ABl. 1999, Nr. L 312/1 Rn. 23. 566 CNDC v. 03.02.2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 43–46. 567 CNDC v. 27.08.2001 Expte. 064-002388/97 (Asociación Argentina de Agencias de Viajes y Turismo/JURCA), Rn. 3. Eine ähnlich enge Marktabgrenzung findet sich in den Fällen CNDC v. 06.05.1997, Expte. 064-002849/96 (American Express/Visa, Mastercard y Argencard), 5.8 und CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 64. 568 CADE v. 19.12.1995, A. C. 26/95 (Rockwell do Brasil e Albarus), DOU 27.12.1995 I, S. 22350.

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Markt für Mittelklassewagen und einen Markt für Luxuswagen. Bei den Märkten für Ersatzteile, die ab Werk verkauft werden, und solchen, die über Einzelhändler verkauft werden, bildet jedes Ersatzteil für sich einen eigenständigen Untermarkt569. Um eine wirtschaftlich möglichst exakte Abgrenzung des sachlich und räumlich570 relevanten Marktes zu ermöglichen, bedient sich die EU-Kommission ebenso wie die CNDC und der CADE des ökonomischen Modells der Kreuzpreiselastizität571. Diese ist ein Maßstab für die Substituierbarkeit zweier Produkte572. Zu überlegen ist, inwieweit die Kunden auf eine kleine, aber dauerhafte Erhöhung des Preises eines Produktes in einem Gebiet bei konstanten Preisen aller anderen Produkte auf leicht verfügbare Substitute ausweichen würden. Ist die Austauschbarkeit so groß, dass die Preiserhöhung aufgrund des Absatzrückgangs keine Gewinnsteigerung für den Lieferanten bringt, gehören die Produkte zu einem gemeinsamen sachlich und räumlich relevanten Markt. In die Überlegung werden so lange weiter Produkte und Gebiete einbezogen, bis kleine dauerhafte Preiserhöhungen einen Gewinn einbringen würden573. 569

CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I. 570 Vgl. nächster Absatz, S. 440. 571 EU-Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997, Nr. C 372/5, Rn. 15. Erstmals bestätigt durch: EuG v. 12.12.1991, Rs. T-30/89 (Hilti/Kommission), Slg. 1991 II, 1439, Rn. 40 ff.; CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/ YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 4.1; CNDC v. 06.05.1997, Expte. 064-002849/96 (American Express/Visa, Mastercard y Argencard), 5.5; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn 28; CNDC v. 29.11.1999, Expte. 064-002907/97 (Procter & Gamble/Unilever), Rn. 90; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 48; CNDC v. 27.08.2001 Expte. 064-002388/97 (Asociación Argentina de Agencias de Viajes y Turismo/JURCA), Rn. 3; CNDC v. 03.02.2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 51; CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 67; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 236; CADE v. 09.10.1996 A. C. 62/95 (Electrolux e Oberdorfer), DOU 18.10.1996, Seção I, S. 21263. 572 Die Kreuzpreiselastizität zweier vergleichbarer Produkte ist ein Maßstab dafür, wie die Nachfrage nach dem einen Gut auf Änderungen des Preises des anderen Guts reagiert, vgl. C. Martínez Blanco, Grandes cadenas, poder dominante y defensa de la competencia, S. 36 f. 573 EU-Kommission, Bekanntmachung zum relevanten Markt, Rn. 15, 17; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 394; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 399 ff. Das Modell hat Schwachstellen: Es wird angenommen, dass alle anderen Preise gleich bleiben. Ausgangspunkt sind zudem die vorgefundenen Marktpreise,

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Räumlich relevanter Markt Im EG-Wettbewerbsrecht stellt ein Gebiet einen eigenen räumlichen Markt dar, in welchem die relevanten Produkte oder Dienstleistungen unter hinreichend homogenen Wettbewerbsbedingungen angeboten werden und sich das Gebiet von benachbarten Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet574. Eine besondere Bedeutung kommt vor allem den Marktzutrittsschranken zu, die auch im Binnenmarkt nach wie vor zu einer Trennung der nationalen Märkte führen können. Neben fortbestehenden staatlichen Handelshemmnissen575 gehören dazu landesspezifische Verbrauchsgewohnheiten und die Transportkostenempfindlichkeit der Güter576. Transportkostenempfindliche Güter zeichnen sich wobei unterstellt wird, dass es sich dabei um einen Wettbewerbspreis handelt. Handelt es sich jedoch um einen Monopolpreis, so deutet eine hohe Kreuzpreiselastizität nicht auf eine hohe Substituierbarkeit hin, sondern auf ausgenutzte Marktmacht. Auf diesen als Cellophane Fallacy (nach der Entscheidung des US- Supreme Court Du Pont de Nemours vs. US, 351, US 377 (1956)) bekannten Fallstrick verweist: EU-Kommission, Bekanntmachung zum relevanten Markt, Rn. 19; Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze- und dienste, ABl. 2002, Nr. C 165/6, Rn. 42, Fn. 31. 574 Fusionskontrollverordnung, Art. 9 Abs. 7; EU-Kommission, Bekanntmachung zum relevanten Markt, Rn. 8, 28 f., 44 ff.; EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, Rn. 11, 44; EuGH v. 31.03.1998, Rs. C-68/94, C-30/95 (Frankreich u. a./Kommission), Slg. 1998 I, 1375, Rn. 143; EuG v. 12.06.1997, Rs. T-504/93 (Tiercé Ladbroke/Kommission), Slg. 1997 II, 923, 960 Rn. 102; EuG v. 21.10.1997, Rs. T-229/94 (DB/Kommission), Slg. 1997 II, 1689, 1725, Rn. 92. 575 Ein räumlich begrenzter Markt liegt immer vor, wenn er durch nationale Rechtsvorschriften festgelegt ist, vgl. EuGH v. 13.11.1975, Rs. 26/75 (General Motors/Kommission), Slg. 1975, 1367, 1379 Rn. 7 u. 9. Dies gilt besonders für regionale Rechts- und Verwaltungsvorschriften und für öffentliche Dienste, vgl. EuGH v. 25.10.2001, Rs. C-475/99 (Ambulanz Glöckner/Landkreis Südwestpfalz), Slg. 2001 I, 8089, 8149 Rn. 35. Beispiele sind Preisvorschriften, Kontingente, Zölle, technische Normen, staatliche Monopole und Genehmigungserfordernisse, vgl. EU-Kommission, Bekanntmachung zum relevanten Markt, Rn. 30. Ähnlich die Vorgehensweise der CNDC, die zur Feststellung, inwieweit sich der relevante Markt über das Territorium Argentiniens hinausstreckt, Handelsschranken wie Zölle und technische Hindernisse berücksichtigt, vgl. CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 3.2, zuletzt: CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 46, 76 und 78. 576 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 429; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 399 Rn. 19. Bezüglich der Verbrauchsgewohnheiten verweist die argentinische CNDC auf die Reputation einer Marke, welche eine Marktzutrittsschranke für Wettbewerber darstellen kann, vgl. CNDC v. 06.05.1997, Expte. 064-002849/96 (American Express/Visa, Mastercard y Argencard), 5.28 ff.; ebenso

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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durch im Verhältnis zum Wert des Gutes hohe Transportkosten aus. Die hohe Transportkostenempfindlichkeit von Flachglas und Gipsplatten bewirkt beispielsweise, dass jeder Mitgliedstaat einen eigenen räumlich relevanten Markt darstellt577. Wichtige Kriterien sind auch die Haltbarkeit und die Transportfähigkeit von Gütern578. Zur Feststellung, inwieweit die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind, so dass verschiedene Gebiete als einheitlicher relevanter Markt angenommen werden können, stellt die Kommission auf die Identität und Marktanteile der Anbieter, die Art der Kundenbeziehungen und der Distributionskanäle sowie auf Verbraucherpräferenzen ab579. In der Praxis der Kommission können relevante Märkte Weltmärkte580, europaweite Märkte581, nationale Märkte582 oder lokale Märkte sein. Eine ähnlich weite sowie enge Abgrenzung des geographisch relevanten Marktes ist auch im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls denkbar. Dafür spricht, dass in den nationalen Wettbewerbsordnungen Argentiniens und Brasiliens eine weltweite Abgrenzung in Betracht gezogen wird. Der CADE stellt im Einklang mit der Praxis der EU-Kommission klar, dass der relevante Markt regional, national oder auch weltweit abgegrenzt werden kann583. Eine weltweite Abgrenzung sei dann zu rechtfertigen, wenn gleichwertige ausländische Güter oder Leistungen tatsächlich im Inland angeboten werden, ein Import also nicht durch Zölle oder andere Hindernisse verhindert wird584. Die CNDC prüft zur Feststellung, ob sich der relevante Markt auf das Territorium Argentiniens beschränkt, inwieweit Zölle oder technische Hindernisse den Import gleichartiger Produkte erschweren585. CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 45, 83. 577 KomE v. 7.12.1988, (Flachglas), ABl. 1989, Nr. L 33/44, 65; v. 5.12.1988, ABl. 1989, Nr. L 10/50. 578 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 429. 579 EU-Kommission, Bekanntmachung zum relevanten Markt, Rn. 28-31. 580 International bedeutsame Patente, vgl. KomE v. 08.06.1994 (Shell/Montecatini), ABl. 1994, Nr. L 332/48 Rn. 49–51; Markt für Motoren von Verkehrsflugzeugen, vgl. KomE v. 27.06.1997 (Boeing/Mc Donnell Douglas), ABl. 1997, Nr. L 336/16 Rn. 20. Markt für Regionalflugzeuge, vgl. KomE v. 02.10.1991 (Aérospatiale-Alenia/de Havilland), ABl. Nr. L 334/42. 581 Beispielsweise Zeitungspapier oder Verpackungskartons, weil diese gemeinschaftsweit ohne nennenswerte Handelshemmnisse gehandelt werden, vgl. KomE v. 25.11.1998 (Enso/Stora) ABl. 1999, Nr. L 254/9, 14 ff. 582 Markt für Pauschalreisen, KomE v. 22.09.1999 (Airtours/First Choise), ABl. 2000, Nr. L 93/1, 8 f. 583 CADE, Resolução 5/96, Nr. 3.3. 584 CADE v. 09.10.1996 A. C. 62/95 (Electrolux e Oberdorfer), DOU 18.10.1996, Seção I, S. 21263.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Vor allem das Kriterium der Transportkostenempfindlichkeit kann zur Annahme sehr kleiner lokaler Märkte führen. Beispiele sind der Markt für Transportbeton, dessen Absatzgebiet sich aufgrund der hohen Transportkosten im Regelfall auf den Umkreis von 50 Km um den Sitz des Werkes beschränkt586. In Argentinien entschied die CNDC, dass aufgrund der geringen Haltbarkeit von Frischmilch und dem schlechten Straßenzustand in der argentinischen Provinz der räumlich relevante Markt im Umkreis von 80–100 Km der Molkerei liege587. Aber auch andere Faktoren begünstigen eine enge Marktabgrenzung. So befand die CNDC, dass der geografisch relevante Markt einer Tankstelle in einem Radius von 15 Straßenkreuzungen um die Tankstelle herum liege588. In einer anderen Entscheidung grenzte sie einen Flughafen als eigenständig räumlich relevanten Markt ab589. Wie bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes ist demnach auch bei der örtlichen Marktabgrenzung primär auf die Wahlmöglichkeiten der Nachfrager abzustellen590. Naturgemäß kommt es in Grenzgebieten zu Überlappungen der relevanten Märkte. Maßgeblich ist daher, wo sich nach der Gesamtwürdigung der Marktverhältnisse der Schwerpunkt des Wettbewerbsgeschehens konzentriert591.

585 CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 3.2; ähnlich CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 46, 78. 586 Mit Nachweisen aus der deutschen Rechtsprechung: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 173. 587 CNDC v. 10.05.1982, Expte. 104.084/81 (Cooperativa Popular de Electricidad Santa Rosa), VI. Ähnlich auch CNDC v. 08.02.1982, Expte. 30.782-S-81 (Humberto Savant/Matadero Vera), III.: Der Markt für Schlachtfleich ist auf die Stadt begrenzt. 588 CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 22. 589 CNDC v. 02.04.1998, Expte. 064-003052/97 (Asociación Empresas de Remis de Aeroparque/Aeropuerto Jorge Newbery), 3.11. Die Transportkostenempfindlichkeit prüfte sie zuletzt in CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 258. 590 Für die Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes in der Europäischen Union: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 605 Rn. 31. So auch die Praxis der CNDC, vgl. zuletzt: CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 68; CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 20; CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 18; CNDC v. 03.02.2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 48. 591 Hierauf verweist für die Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes in der Europäischen Union: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 173.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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cc) Regelbeispiele Art. 6 des Wettbewerbsschutzprotokolls zählt beispielhaft wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen auf. Sie entsprechen weitgehend den Regelbeispielen des Art. 2 des argentinischen592 und Art. 21 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes, welche sich wiederum an Art. 81 Abs. 1 und Art. 82 EGV zu orientieren scheinen. Die Regelbeispiele beziehen sich auf den Einheitstatbestand des Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls und unterscheiden nicht zwischen Verhaltenskoordinierung und einseitigen Maßnahmen marktbeherrschender Unternehmen. Nur einige Beispieltatbestände lassen sich eindeutig entweder abgestimmten oder einseitigen Verhaltensweisen zuordnen. Die meisten Beispieltatbestände sind sowohl als abgestimmte Handlungen im Sinne von Art. 4 Halbs. 1 als auch im Fall des Bestehens einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls unzulässig und werden daher sowohl in diesem als auch im Kapitel über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung behandelt. Wie auch bei den Beispieltatbeständen in Art. 81 Abs. 1 und Art. 82 EGV handelt es sich um eine beispielhafte Nennung verbotener Verhaltensweisen593. Aus der Formulierung entre otras – unter anderen – in Art. 6 des Wettbewerbsschutzprotokolls geht hervor, dass die Aufzählung nicht abschließend ist594. Gelingt die Einordnung eines Sachverhalts unter ein Regelbeispiel nicht, so ist er dennoch verboten, wenn die Tatbestandsmerkmale des Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls erfüllt sind. Die in den Beispielen genannten Verhaltensweisen sind nicht per se verboten595. Viel592 G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 219. 593 Für die Beispieltatbestände in Art. 81 Abs. 1 u. Art. 82 EGV vgl. EuGH v. 21.02.1973, Rs. 6-72 (Europemballage und Continental Can/Kommission), Slg. 1973, 215, 246 Rn. 26; H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 171; R. Geiger, EUV/EGV, S. 414 Rn. 10. 594 Übereinstimmend: R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 100; E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Jurídico: El Derecho de la Competencia en el Mercosur, S. 170; D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 102 f. Auch die Regelbeispiele in Art. 2 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes und Art. 21 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes sind „unter anderem“ verboten. 595 So auch für den Beispielkatalog im brasilianischen Wettbewerbsgesetz, vgl. J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 158; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 73. Für das argentinische Wettbewerbsgesetz: M. V. G. De Quevedo, Boletín Latinoamericana de Competencia 2000 Nr. 9 – Teil 1, S. 9; B. Saravia Frías, Concentración empresarial, Anuario de Derecho 1999 Nr. 5, S. 186; J. Otamedi, Presupuestos básicos, La Ley 1981-B, S. 912 f.; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 262, 270. Dass es im argenti-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

mehr müssen in jedem Einzelfall die Voraussetzungen des Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls erfüllt sein596. Im Folgenden wird anhand der Beispiele erörtert, welche Verhaltensweisen als wettbewerbsbeschränkende Verhaltenskoordination nach Art. 4 Halbs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls zu qualifizieren sind597. (1) Festsetzen von Preisen und Geschäftsbedingungen Nach Art. 6 Nr. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls stellt die unmittelbare oder mittelbare, mit Mitbewerbern abgestimmte oder individuelle Festsetzung, Auferlegung oder Anwendung jeglicher Art von Preisen und Bedingungen des An- und Verkaufs von Waren, der Erbringung von Dienstleistungen oder der Produktion eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs dar. Während das individuelle Festsetzen von Preisen gerade Bestandteil des zu schützenden Leistungswettbewerbs ist und nicht verboten sein kann598, gilt die abgestimmte Festsetzung von Preisen oder Geschäftsbedingungen in so genannten Preis- oder Konditionenkartellen als die klassischste und gefährlichste Form von Wettbewerbsbeschränkungen599. Das abgestimmte Festsetzen von Preisen oder Geschäftsbedingungen ist im europäischen Wettbewerbsrecht im Art. 81 Abs. 1 lt. a EGV als erstes Beispiel für eine verbotene Verhaltensabstimmung genannt. Die Auferlegung oder Anwendung von Preisen wie auch Geschäftsbedingungen entspricht der Erzwingung von Preisen oder Geschäftsbedingungen als Beispiel für das (individuelle) missbräuchliche Ausnutzen von Marktführerschaft in Art. 82 S. 2 lit. a EGV600. Weil der Preis der wichtigste Wettbewerbsparameter ist601, führt das kollektive Festsetzen von Preisen stets zu spürbaren Wettbewerbsbeschränkunnischen Wettbewerbsrecht keine Per-se-Verbote gibt, stellt auch die CNDC heraus, vgl. CNDC v. 17.01.1996, Expte. 034-006634/95 (Segal/Cámara Argentina de Distribuidores de Tabaco), II.; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 394. Auch im EG-Wettbewerbsrecht gibt es keine Per-seVerbote, wie die Rechtsprechung herausstellte, vgl. EuG v. 15.07.1994, Rs. T-17/93 (Matra Hachette/Kommission), Slg. 1994 II, 595, Rn. 85. 596 Vgl. Art. 6 des Wettbewerbsschutzprotokolls: „(. . .) soweit sie die in Artikel 4 genannten Merkmale ausweisen (. . .)“. 597 Zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls siehe unten: Teil 3, III. 2. b). 598 Vgl. Anmerkungen in Fn. 335 f. (3. Teil). 599 OECD, Hard Core Cartels, S. 5; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 400. 600 Zur einseitigen Auferlegung von Preisen oder Geschäftsbedingungen: Teil 3, III. 2. b), cc), (1). 601 G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 407. Für das EG-Wettbewerbsrecht auch: KomE v. 22.12.1972 (Cimbel), ABl. 1972, Nr. L 303/24, 32 Rn. 13 b. Nach Ansicht der argentinischen

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gen602. Neben der „unmittelbaren“ Festlegung von Preisen des An- und Verkaufs603 bzw. von Mindest-, Höchst- oder Zielpreisen604 ist auch die Wettbewerbsbehörde gelte dies jedoch nicht für den Preis von Benzin. Aufgrund des hohen Steueranteils am Preis bewirke eine geringe Preissenkung eine relativ hohe Gewinneinbuße. Der Wettbewerb der Tankstellen fände daher auf Basis anderer Wettbewerbsparamter wie beispielsweise eines guten Services statt, vgl. CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 55. 602 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 300 Rn. 3. Der Europäische Gerichtshof stellte klar, dass jede kollektive Einflussnahme auf die Preisbildungsfreiheit verboten ist, vgl. EuGH v. 11.07.1989, Rs. 246/86 (Belasco u. a./Kommission), Slg. 1989, 2117, 2185. Ganz ähnlich auch die CNDC, die im Leitfaden „wirtschaftliche Analyse des argentinischen Wettbewerbsgesetzes“ festhält, dass jede Preisfestsetzung den Wettbewerb beeinträchtige, vgl. CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, S. 5 1)–6). Im Fall abgestimmter Preisfestsetzung nimmt sie mit dieser Begründung grundsätzlich eine Schädigung des wirtschaftlichen Allgemeininteresses und damit einen Verstoß gegen das Wettbewerbsgesetz an, vgl. CNDC v. 22.05.1991, Expte. 84.543/83 (Gas del Estado/Agip Gas Argentina S. A. u. a.), VII.; CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante), X.; CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 109.696/81 (Centro de Indfflstria Panaderos de la Provincia de la Rioja), IV.; CNDC v. 13.07.1983, Expte. 20.548/82 (Colegio de Graduados de Ciencias Económicas u. a.), VI.; CNDC v. 27.02.1996, Expte. 602.494/94 (C. 336) (Administración General de Puertos/Centro Coordinador de Actividades Portuarias), VI.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), VI.; CNDC v. 08.07. 2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 397. Ganz so der CADE, der unabhängig von der Marktmacht der Unternehmen in der Absprache über Preise oder Produktionsmengen selbst eine Wettbewerbsbeschränkung sieht, vgl. CADE v. 20.10.1988 P. A. 85 (Empel et al.), DOU 24.10.1988, Seção I, S. 20596 ff. 603 Vgl. CNDC v. 22.05.1991, Expte. 84.543/83 (Gas del Estado/Agip Gas Argentina S. A. u. a.), VII., CNDC v. 05.08.1997, Expte. 621.417/92 (Sánchez Gas u. a./Vaspia SAIC u. a.), VIII.; CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante), IX. und X; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), IV. und V. In Brasilien grundlegend: CADE v. 20.10.1988 P. A. 85 (Empel et al.), DOU 24.10.1988, Seção I, S. 20596 ff.; CADE v. 27.10.1999, P. A. 08000.015337/97-48 (Companhia Siderfflrgica Nacional et al.), DOU 10.11.1999, Seção I, S. 2. Für das EG-Wettbewerbsrecht vgl. KomE v. 05.02.1992 (Niederländische Bauwirtschaft), ABl. 1992, Nr. L 92/1, 19. 604 Vgl. CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), I. und VI.; CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV.; CNDC v. 13.07.1983, Expte. 20.548/82 (Colegio de Graduados de Ciencias Económicas u. a.), VI; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos), IV.; CADE v. 26.06.1996, P. A. 08000.0099797/96-26 (UNIMED do Brasil), DOU 18.07.1996, S. 13195; CADE v. 10.09.1997, P. A. 145/93 (Sindicato Brasiliense de Hospitais),

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„mittelbare“ Festlegung von Preisen beispielsweise durch Vereinbarung von Preisnachlässen, Skonti oder Preisbestandteilen605, der Orientierung an Preisindizes606 oder durch Absprachen über Zahlungs- und Lieferbedingungen607 verboten608. Unter das Verbot dürften demnach neben den Preiskartellen auch Kalkulationskartelle609, Rabattkartelle610 und insbesondere Gesamtumsatzrabattkartelle fallen611. In der Europäischen Union werden auch Submissionskartelle unter Art. 81 Abs. 1 lit. a EGV eingeordnet. Hierbei handelt es sich um die Abstimmung von Angeboten bei öffentlichen Ausschreibungen612. Im Wettbewerbsschutzprotokoll ist die VerhaltenskoordiDOU 08.10.1997, Seção I, S. 22547. Für das EG-Wettbewerbsrecht vgl. KomE v. 15.05.1974 (IFTRA-Verpackungsglas), ABl. 1974, Nr. L 160/1. 605 Für das EG-Wettbewerbsrecht vgl. KomE v. 15.05.1974 (IFTRA-Verpackungsglas), ABl. 1974, Nr. L 160/1, 12; KomE v. 22.12.1972 (Cimbel), ABl. 1972, Nr. L 303/24, 32. 606 Vgl. CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), I. und VI.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), V.; CNDC v. 25.08.1998, Expte. 064-003179/97 (Cámara Argentina de Empresas de Seguridad e Investigación), 2.1. 607 Vgl. CNDC v. 22.05.1991, Expte. 84.543/83 (Gas del Estado/Agip Gas Argentina S. A. u. a.), VII. Auch die Vereinheitlichung von Garantiebedingungen hat die CNDC als wettbewerbswidrig eingestuft, weil den Teilnehmern des Kartells die Möglichkeit genommen werde, besondere vertragliche Anreize anzubieten, vgl. CNDC v. 18.12.1987, Expte. 25.202/85 (C. 154) (Cámara de Farmacias/Colegio Oficial de Farmacéuticos), VI. 608 Zur mittelbaren Festlegung von Preisen im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 lit. a EGV vgl. P. Stockenhuber, zu Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 179 f. 609 CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), I.: Vorgabe eines Berechnungsschemas (Preissteigerung um 10%) der Immobilienkammer Buenos Aires. 610 In der Europäischen Union grundlegend: KomE v. 23.07.1974 (Belgische Tapetenhersteller), ABl. 1974, Nr. L 237/2, 8. 611 Rabatte werden auf der Grundlage der Umsätze gewährt, die ein Abnehmer mit allen Kartellmitgliedern in einem festgelegten Zeitraum getätigt hat. Im Unterschied zu zulässigen Mengenrabatten, die ein einzelner Hersteller gewährt, entfällt für den Hersteller der Anreiz, sich um zusätzlichen Umsatz bei seinen Abnehmern zu bemühen. Die Preisersparnis ist nicht an eine Kostenersparnis gekoppelt und entspricht nicht der Weitergabe von Effizienzvorteilen an die Abnehmer. Ein solches vom Umsatz des einzelnen Herstellers losgelöstes Rabattsystem entfaltet eine ähnliche Wirkung wie von marktbeherrschenden Unternehmen gewährte Treuerabatte. Sie schotten den Markt zugunsten des Kartells ab. Zur Wirkung von Rabatten marktbeherrschender Unternehmen weiter unten, Teil 3, III. 2. b), cc) (5), S. 544 f. Gesamtumsatzrabattkartelle wurden vom Europäischen Gerichtshof als Festsetzung von Preisen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. a EGV interpretiert, vgl. EuGH v. 10.12.1985, Rs. 260/82 (NSO/Kommission), Slg. 1985, 3801, 3822 Rn. 35. Vgl. auch: P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 180. 612 Beispielhaft: EuG v. 21.02.1995, Rs. T-29/92 (SPO u. a./Kommission), Slg. 1995 II, 289, 392 Rn. 123 187, 204.

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nierung bei öffentlichen Ausschreibungen ausdrücklich nach Art. 6 Nr. VI verboten613. Zu „mittelbar“ abgestimmten Preisen können auch Marktinformationssysteme wie beispielsweise die Veröffentlichung von Preislisten614 oder Berechnungsschemata615 oder die Offenlegung von Geschäftsbedingungen616 führen617. Beauftragen Wettbewerber zur Vermarktung ihrer Produkte eine ge613 Ebenso Art. 2 lit. d des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 (hierzu vgl. CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 10 lit. b) und Art. 21 Nr. VIII des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884/94. 614 Sowohl die CNDC als auch der CADE erkannten die Veröffentlichung von Preisen oder Honoraren als wettbewerbswidrig an, vgl. CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 109.696/81 (Centro de Indfflstria Panaderos de la Provincia de la Rioja), IV; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos); I. und IV.; CNDC v. 29.06.1983, Expte. 1212-D-82 (Cámara de Ópticos y Afines), II.; CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./ Cámara de Flete al Instante), IX.; CADE v. 14.02.1996, P. A. 61/92 (Associação Médica Brasileira – AMB), DOU 28.02.1996, Seção I, S. 2850; CADE v. 20.01.1999, P. A. 018.302/96-99 (Associação Brasileira da Indfflstria de Armazenagem Frigorificada), DOU 29.01.1999, Seção I, S. 59; CADE v. 26.06.1996 Representação 83/91 (ABIGRAF), DOU 03.07.1996 I, S. 12169. 615 Vgl. CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), I. 616 Im Recht der Europäischen Union grundlegend: KomE v. 15.05.1974 (IFTRAVerpackungsglas), ABl. 1974, Nr. L 160/1. 617 In der Literatur zum argentinischen Wettbewerbsrecht wird der Austausch preisrelevanter Information als wettbewerbsbeschränkend eingestuft, vgl. G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 425 f. Im EG-Kartellrecht ist umstritten, ob Marktinformationssysteme den Wettbewerb beeinträchtigen können. Marktinformationen erhöhen die Markttransparenz und sind die Voraussetzung für funktionsfähigen Wettbewerb. Nach der Preistheorie sind einheitliche Marktpreise das notwendige Ergebnis dieser Markttransparenz. Dies gilt jedoch nur im Modell der vollständigen Konkurrenz. Gerade auf oligopolistischen Märkten kann Markttransparenz zu abgestimmten Verhalten anstelle zu wirksamem Wettbewerb beitragen, denn sie verringert die für Wettbewerb notwendige Ungewissheit der Rivalen über den zentralen Wettbewerbsparameter Preis, vgl. EuG v. 27.10.1994, Rs. T-34/92 (Fiatagri u. a./Kommission), Slg. 1994 II, 905, 949. Nur im funktionsfähigen Wettbewerb ist Markttransparenz geeignet, den Wettbewerb noch zu verstärken, denn aufgrund des vielfältigen Angebots sind Marktinformationen ungeeignet, die Vorhersehbarkeit des Verhaltens der Konkurrenten zu verringern, vgl. EuG v. 27.10.1994, Rs. T-35/92 (J. Deere/Kommission), Slg. 1994 II, 957, 986, Rn. 51. Allerdings hatte der Europäische Gerichtshof noch im ZellstoffFall entschieden, dass aufgrund der ohnehin oligopolistischen Marktstruktur und hoher Markttransparenz das System einer regelmäßigen Preisankündigung nicht gegen das EG-Wettbewerbsrecht verstoße, vgl. EuGH v. 31.03.1993, Rs. C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, 117/85, 125/85 bis 129/85 (Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission), Slg. 1993 I, 1307, 1601, Rn. 71 f. Ausführlich zu Marktinforma-

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meinsame Vermarktungsfirma, so führt dies, auch ohne dass sich die Beteiligten unmittelbar über Preise einigen, zu einer Beschränkung des Wettbewerbs618. Wie Preisabsprachen wirken Preisvorgaben und Preisempfehlungen durch Berufs- oder Interessensverbände619. CNDC und CADE gingen daher in zahlreichen Fällen gegen Preisvorgaben bzw. -empfehlungen vor620. tionssystemen vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 255–260. 618 CNDC v. 15.07.1997, Expte. 621.417/92 (C.305) (Axle u. a.), V. Zu Vermarktungsvereinbarungen in der Europäischen Union siehe E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 310–313. 619 CNDC und CADE stellen klar, dass Empfehlungen ebenso wettbewerbsbeschränkend sind wie Preisvorgaben, vgl. CNDC v. 30.06.1983, Expte. Nº 18.253/82 (Cámara de Industriales Panaderos Catamarca), S. 14: „La sugerencia de precios uniformes provenientes de la entidad que representa a los integrantes de la oferta supone una verdadera concertación de precios que elimina uno de los elementos esenciales de la competencia.“ übersetzt: „die Empfehlung von Einheitspreisen von dem Interessensverband, der die Unternehmen vertritt, die das Angebot gemacht haben, stellt eine wahre Preisabstimmung dar, welche eines der essentiellsten Elemente des Wettbewerbs eliminiert.“, eigene Übersetzung; vgl. auch: CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), I. und IV.; CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), VI.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), V. und VI.; CNDC v. 25.08.1998, Expte. 064-003179/97 (Cámara Argentina de Empresas de Seguridad e Investigación), 5.14.; CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante), I. und IX.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 109.696/81 (Centro de Indfflstria Panaderos de la Provincia de la Rioja), IV.; CNDC v. 29.06.1983, Expte. 1212-D-82 (Cámara de Ópticos y Afines), II.; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 31.914/82 (Colegio de Martilleros y Corredores Pfflblicos), III.; CNDC v. 04.08.1989, Expte. 12.397/85 (C. 160) (Asociación Urológica de Rosario), S. 6 ff.; CNDC v. 13.07.1983, Expte. 20.548/82 (Colegio de Graduados de Ciencias Económicas u. a.), VI.; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos), IV.; CNDC v. 06.06.1985, Expte. 101.2300/83 (Centro de Industriales Panaderos Rio Negro), IV.; CNDC v. 21.06.1995, Expte. 610.500/94 (C. 340) (Centro de Industriales Panaderos de Lanffls), VII.; CADE v. 10.09.1997, P. A. 145/93 (Sindicato Brasiliense de Hospitais), DOU 08.10.1997, Seção I, S. 22547: „A divulgação de tabela de preços, sejam estes máximos ou mínimos, por entidade associativa, ainda que sob color de meramente informativa, configura práctica restrictiva (. . .)“: „Die Veröffentlichung von Preislisten durch Unternehmensverbände stellt unabhängig davon, ob es sich um Niedrigst- oder Höchstpreise handelt, eine beschränkende Verhaltensweise dar, selbst dann, wenn die Preislisten dem Anschein nach lediglich Informationszwecken dienen (. . .)“, eigene Übersetzung; vgl. auch: CADE v. 26.06.1996 Representação 83/91 (ABIGRAF), DOU 03.07.1996 I, S. 12169; CADE v. 14.02.1996, P. A. 61/92 (Associação Médica Brasileira – AMB), DOU 28.02.1996, Seção I, S. 2850. 620 CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina); CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante); CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal); CNDC v. 24.08.1982, Expte. 109.696/81

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Neben dem Festsetzen von Preisen ist auch das Festsetzen von Bedingungen des An- und Verkaufs eine wettbewerbswidrige Verhaltensweise nach Art. 6 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls. Zu den Geschäftsbedingungen gehören Rabatte, Skonti, Zahlungsziele oder Zinssätze für verspätete Zahlungen, welche den Preis beeinflussen und daher bereits unter das Verbot des Festsetzens von Preisen eingeordnet werden können. Ausschließlich Geschäftsbedingungen betreffen Absprachen über Ladenöffnungszeiten621 oder darüber, im Geschäftsverkehr nur von Berufsverbänden standardisierte Verträge zu verwenden622. Dem Wortlaut nach untersagt das Beispiel nur horizontale, unter „Mitbewerbern“ geschlossene Kartelle623, während Art. 81 Abs. 1 lit. a EGV auf Preiskartelle jeder Handelsstufe und ohne Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Absprachen anwendbar ist624. Vertikale, d.h. (Centro de Indfflstria Panaderos de la Provincia de la Rioja); CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe); CNDC v. 29.06.1983, Expte. 1212-D-82 (Cámara de Ópticos y Afines); CNDC v. 13.07.1983, Expte. 20.548/82 (Colegio de Graduados de Ciencias Económicas u. a.); CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos); CNDC v. 06.06.1985, Expte. 101.2300/83 (Centro de Industriales Panaderos Rio Negro); CNDC v. 04.08.1989, Expte. 12.397/85 (C. 160) (Asociación Urológica de Rosario); CADE v. 06.06.1994, P. A. 121/92 (SIEEESP-FIEP); CADE v. 26.06.1996 Representação 83/91 (ABIGRAF); CADE v. 14.02.1996, P. A. 61/92 (Associação Médica Brasileira – AMB); CADE v. 10.09.1997, P. A. 145/93 (Sindicato Brasiliense de Hospitais); CADE v. 15.05.1999, P. A. 08000.027395/95-80 (Sociedade de Anestesiología do Rio Grande do Sul); CADE v. 17.05.2000, P. A. 08000.022630/97-52 (Sociedade Médica de Sorocaba et al.); CADE v. 09.02.2000, P. A. 08000.002322/96-57 (Sindicato Nacional das Empresas de Medicina de Grupo); CADE v. 10.05.2000 P. A. 08000.011517/94-35 (Conselho Regional de Medicina do Estado de São Paulo). Zur mittelbaren Festlegung von Preisen im Recht der Europäischen Union, vgl. P. Stockenhuber, zu Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 177–182. 621 Vgl. CNDC v. 18.12.1987, Expte. 25.202/85 (C. 154) (Cámara de Farmacias/ Colegio Oficial de Farmacéuticos), S. 4 ff. 622 Vgl. KomE v. 23.07.1974 (Belgische Tapetenhersteller), ABl. 1974, Nr. L 237/3, 7. EU-Kommission, 5. Bericht über die Wettbewerbspolitik, Rn. 37; C. Martínez Blanco, Grandes cadenas, poder dominante y defensa de la competencia, S. 73. 623 Ebenso Art. 2 lit. g des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 und Art. 21 Nr. I des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884. 624 Vgl. etwa EuGH v. 03.07.1985, Rs. 243/83 (Binon/AMP), Slg. 1985, 2015, 1046 Rn. 44. An dieser Stelle ist anzumerken, dass vertikale Preisabsprachen, also solche zwischen Lieferanten und Abnehmern, ohne dass einer der Beteiligten eine marktbeherrschende Position innehat, nicht verboten sind. Vielmehr handelt es sich hierbei um das normale Geschäftsverhalten; jeder Kaufvertrag beinhaltet die Einigung des Käufers und Verkäufers über den Preis des Vertragsgegenstandes. Verboten sind vielmehr vertikale Preisbindungen, in denen der Preis über einen Zeitraum festgesetzt wird, der mehrere Geschäftsabschlüsse umfasst, oder aber die Festlegung des Weiterverkaufspreises. In beiden Fällen wird die Preisgestaltungsfreiheit der be-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

zwischen Unternehmen verschiedener Handelsstufen geschlossene Abreden über Preise oder Geschäftsbedingungen werden aber ohne weiteres von der Generalklausel des Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls erfasst, die nicht zwischen horizontalen und vertikalen Absprachen unterscheidet. Dafür spricht, dass vertikale Preisfestsetzungen sowohl in Argentinien als auch Brasilien gegen das Wettbewerbsgesetz verstoßen625. Neben autonomen vertikalen Preisbindungen, in denen sich einzelne Unternehmen verschiedener Handelsstufen absprechen, beschränken besonders kollektive vertikale Preisbindungen zwischen Organisationen von Lieferanten und Abnehmern den Wettbewerb. In der Praxis der Europäischen Union ist hier vor allem die kollektive Buchpreisbindung relevant, die zwischen Vereinigungen von Verlegern und Buchhändlern verabredet wird626. Fraglich ist, wie man im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls vertikale Preisempfehlungen handhaben wird. Entgegen der internationalen Praxis werden Preisempfehlungen des Herstellers gegenüber den Händlern in Brasilien für nicht wettbewerbsschädlich gehalten627. Voraussetzung ist, dass es sich tatsächlich um eine Empfehlung handelt, die auch als solche gekennzeichnet sein muss628. teiligten Marktakteure beschränkt. Hält man sich vor Augen, dass in vielen Ländern Lateinamerikas Preise vormals staatlich reguliert wurden, verwundert die Einschränkung des Beispieltatbestandes in Art. 6 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls (ebenso Art. 2 lit. g des neuen argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 und Art. 21 Nr. I des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884) auf unter „Mitbewerbern“ abgestimmte Preisfestsetzungen nicht. Mit der Beschränkung auf horizontale Preisabsprachen sollte vermutlich einer Fehlinterpretation des Regelbeispieles vorgebeugt werden, die die Intervention der Mercosur-Wettbewerbsbehörde in die Preisgestaltungsfreiheit der Marktteilnehmer ermöglichen könnte. 625 Vgl. CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5. 5). CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), VII.; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 63; CADE, Resolução 20/99 v. 09.06.1999, Dispõe, de forma complementar, sobre o Processo Administrativo, nos termos do art. 51 da Lei 8.8884/94, Brasilia 1999, abrufbar unter: http://www.cade.gov.br./legislacao/resolu coes/resolucoes.asp, Anhang I, B, S. 1; CNDC v. 15.04.1997, Expte. 064-000909/97 (C. 402) (Puigamarti/Autolatina Argentina u. a.), S. 4 f.; CADE v. 24.03.1999 A. C. 122/97 (Skol-Caracu e Carlsberg), DOU 02.06.1999, Seção I, S. 5. Wird eine Preisbindung individuell von einem marktbeherrschenden Unternehmen auferlegt, handelt es sich im Übrigen um Missbrauch von Marktmacht im Sinne von Art. 6 Nr. I, 2. Alternative des Wettbewerbsschutzprotokolls i. V. m. Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls. Hierzu Teil 3, III. 2. b), cc), (1). 626 Vgl. EuGH v. 17.01.1984, Rs. 43/82, 63/82 (VBVB u. a./Kommission), Slg. 1984, 19, 66 Rn. 45.; EuG v. 09.07.1992, Rs. T-66/89 (Publishers Association/ Kommission), Slg. 1992 II, 1995, 2012. 627 Grundlegend: CADE v. 05.01.1998 P. A. 148/92 (Kraft Suchard do Brasil), DOU 08.01.1998, Seção I: In dem Fall ging es um in den Verkaufsstellen auszuhängende Preistafeln von Speiseeis. Bestätigt durch: CADE v. 22.10.1997 Consulta 20/97 (Ferrero do Brasil), DOU 08.01.1998, Seção I, S. 5.

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Eine besondere Form vertikaler (Vertriebs)absprachen nennt unterdessen Art. 6 Nr. XI des Wettbewerbsschutzprotokolls. Danach sind Vertragsbedingungen verboten, durch die der An- oder Verkauf von Waren oder Dienstleitungen von der Bedingung abhängig gemacht wird, keine Waren oder Dienstleistungen von Dritten zu erwerben, zu benutzen oder an Dritte zu verkaufen oder zu liefern629. Solche so genannten Ausschließlichkeitsbindungen, die zwischen Lieferanten und Abnehmern vereinbart werden, werden im EG-Kartellrecht als unzulässige Koordinierung von Geschäftsbedingungen ebenfalls Art. 81 Abs. 1 lit. a EGV zugeordnet630. Wird eine Ausschließlichkeitsbindung von einem marktbeherrschenden Unternehmen auferlegt, ist auch Art. 82 EGV anwendbar631. Der Wortlaut verbietet sowohl ausschließliche Bezugs- als auch Lieferverpflichtungen632. Ausschließliche Bezugsverpflichtungen wirken wettbewerbsbeschränkend, weil sie dem gebundenen Unternehmen eine Wahl zwischen verschiedenen Bezugsquellen unmöglich machen und so zur Verfestigung der Marktanteile des Lieferanten führen. Wird ein Produkt als Vorstufe eines anderen Produktes benötigt und gibt es nur einen einzigen Hersteller dieses Vorproduktes, so bewirkt eine ausschließliche Lieferverpflichtung des Herstellers des Vorproduktes den Ausschluss von Konkurrenten des belieferten Unternehmens vom Markt des nachgelagerten Produktes. Der Marktausschluss von Wettbewerbern bzw. die Behinderung des Marktzutritts durch Dritte wird auch von den Wettbewerbsbehörden Argentiniens und Brasiliens als Grund für die Wettbewerbswidrigkeit von Ausschließlichkeitsklauseln genannt633. 628 Der CADE hält unverbindliche Preisempfehlungen sogar für förderlich für den Wettbewerb, da sie zur Aufklärung des Verbrauchers über den gerechten Preis beitrügen, vgl. CADE v. 05.01.1998 P. A. 148/92 (Kraft Suchard do Brasil), DOU 08.01.1998, Seção I; CADE v. 12.11.1997, P. A. 14/96 (Warner Lambert), DOU 03.03.1998, Seção I, S. 6; D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 111. 629 Ebenso Art. 2 lit. j des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156. 630 Emmerich nennt als Beispiel wettbewerbsbeschränkender Geschäftsbedingungen Ausschließlichkeitsklauseln in Vertragswerken von Messen. Sie können aber auch Art. 81 Abs. 1 lit. b EGV (Einschränkung des Absatzes) zugeordnet werden. Vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 401 f. 631 Ausschließlichkeitsbindungen, die von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen, fallen ebenfalls unter Art. 6 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls und werden ausführlich im Kapitel Missbrauchsverbot behandelt, Teil 3, III. 2. b), cc), (5). 632 Art. 6 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls: „(. . .) des An- und Verkaufs (. . .)“. 633 Vgl. CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 87, 93, 100; CNDC v. 10.07.1984, Expte. 107.337/81 (BIEZA/Sierra del Mar), VI.; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 86; CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5. 11); CADE v. 12.10.1989, P. A. 37/89

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Wettbewerbsbeschränkender als autonome vertikale Ausschließlichkeitsbindungen, in denen sich Lieferant und Abnehmer zur Exklusivität beim Bezug bzw. bei der Belieferung verpflichten, sind kollektive vertikale Ausschließlichkeitsbindungen zwischen Vereinigungen von Lieferanten und Abnehmern. Solche finden sich im südamerikanischen Gesundheitswesen. In zahlreichen Fällen gingen CNDC und CADE gegen Exklusivitätsklauseln in Verträgen von Ärzte- und Apothekerkammern mit Vereinigungen von Leistungsbeziehern wie Krankenhäusern oder Krankenversicherungsträgern vor634. Wie bei der kollektiven Buchpreisbindung handelt es sich hierbei sowohl um vertikale als auch horizontale Absprachen. Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung ist umso größer, je stärker die Marktstellung der Berufs- oder Interessensvereinigungen ist. Ist der Berufsverband marktbeherrschend, kann auch der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls vorliegen635. Da der Wortlaut des Art. 6 Nr. XI des Wettbewerbsschutzprotokolls keine Einschränkung vorsieht, scheint grundsätzlich jede ausschließliche Liefer- oder Bezugsvereinbarung verboten zu sein. Anders verhält es sich im Recht der Europäischen Union, wo die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/99 (Vertikalvereinbarungen) Ausschließlichkeitsbindungen von der Anwendung der Wettbewerbsregeln freistellt, wenn das jeweils begünstigte Unternehmen weniger als 30% Marktanteil besitzt636. Die Freistellung folgt der Erkenntnis, dass sich nicht jede Ausschließlichkeitsbindung negativ auswirkt637. Sogenannte Alleinvertriebsverträge, in denen sich der Abnehmer verpflichtet, ausschließlich Waren von einem Lieferanten zu beziehen, und (Febernati e Esso Brasileira), DOU 16.10.1989, Seção I, S. 18556; CADE v. 19.04.2000, P. A. 08000.003303/98-25 (Souza Cruz), DOU 24.04.2000, Seção I, S. 3 f. 634 CNDC v. 06.11.1987, Expte. 25.159/85 (Asociación de Clínicas, Sanatorios y Hospitales Privados de Córdoba/Federación Médica Gremial de Córdoba u.a), S. 5 f.; CNDC v. 02.08.1988, Expte. 25.188/85 (Farmia Okane/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Santa Fe u. a.), S. 7 ff.; CNDC v. 07.10.1997, Expte. 034-002270/96 (Sanatorio Pasteur/Colegio Médico de Catamarca), V.3.5. ff.; CNDC v. 29.10.1997, Expte. 614-897/92 (Bienestar de la Armada/Agremiación Odontológica de Berisso), S. 20 f.; CNDC v. 28.10.1997, Expte. 064-005443/96 (Inst. Tomografía de Entre Ríos/Inst. de Prestaciones de Salud u. a.), S. 5; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 51 ff.; CNDC v. 14.01.1992, Expte. 500.679/86 (Colegio Médico de la Ciudad de Córdoba u. a.), VII.; CADE v. 14.02.1996, P. A. 61/92 (Associação Médica Brasileira – AMB), DOU 28.02.1996, Seção I, S. 2850. 635 Siehe unten: Teil 3, III. 2. b), cc), (5). 636 Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2790/99. Das begünstigte Unternehmen ist bei Alleinbezugsverpflichtung der Lieferant, bei Alleinbelieferungsverpflichtung der Abnehmer.

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dieser sich im Gegenzug verpflichtet, in einem Absatzgebiet ausschließlich diesen Händler zu beliefern, wurden im EG-Wettbewerbsrecht schon früh als ein geeignetes Mittel zur gegenseitigen Durchdringung der Märkte im Binnenmarkt anerkannt638. Von der zukünftig zu verabschiedenden Freistellungsregelung639 ist daher zu erwarten, dass es ähnliche Ausnahmen zugunsten integrationsfördernder Absprachen geben wird. Hiefür spricht, dass auch die argentinische sowie die brasilianische Wettbewerbsbehörde Ausschließlichkeitsbindungen nicht grundsätzlich als negativ für den Wettbewerb einstufen, insbesondere dann, wenn die Beteiligten zuvor ihre Vertragspartner frei wählen konnten640. Auch die CNDC erkennt Ausschließlichkeitsbindungen als Mittel der Markterschließung an641.

637 Zu den positiven Wirkungen: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 422 Rn. 35. Positive Wirkungen werden auch vom Europäischen Gerichtshof und der argentinischen sowie brasilianischen Wettbewerbsbehörde anerkannt, vgl. EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 540; CNDC v. 19.12.1995, Expte. 607.452/92 (C. 290) (Albemar/ Cámara Argentina del Tabaco u. a.), S. 3 ff.; CNDC v. 17.01.1996, Expte. 034-006634/95 (Segal/Cámara Argentina de Distribuidores de Tabaco), II.; CNDC v. 22.11.1985, Expte. 84.596/83 (Casa Amado/Massalin Particulares), IV.; CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), VII.; CNDC v. 19.01.1996, Expte. 034-001005/95 (C.355) (Bober/Rigoleau), 6.2; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 38, 50, 85; CADE v. 12.10.1989, P. A. 37/89 (Febernati e Esso Brasileira), DOU 16.10.1989, Seção I, S. 18556; CADE v. 22.04.1993, P. A. 32/92 (Valer Alimentação e Serviços et al.), DOU 27.04.1993, Seção I, S. 5405. 638 Sie ermöglichen dem Lieferanten, seinen Absatz langfristig zu planen. Dem Abnehmer sichern sie die Deckung seines Bedarfs, vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 407. Ein absoluter Gebietsschutz (Kernbeschränkung) ist gemäß Art. 4 der Verordnung 2790/99 allerdings nicht freistellbar. 639 Hierzu unten: Teil 3, III. 2. a), dd). 640 CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 54 ff., insb. Rn. 55 (Fall kommentiert in R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 286 ff.); CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5. 11). In der Literatur zum argentinischen Wettbewerbsrecht werden in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Ausschließlichkeitsklauseln in Messe- und Ausstellungsverträgen unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig angesehen, da Messen die Markttransparenz erhöhen und dem Wettbewerb förderlich sind, vgl. G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 469; dass durch Vertikalvereinbarungen der Warenaustausch auch gefördert werden kann, stellt heraus: E. I. Rimoldi de Ladmann, El Derecho de la Competencia en Argentina, S. 171. Für Brasilien: CADE v. 26.02.1993 P. A. 30/92 (ICI Brasil), DOU 03.03.1993, Seção, I, S. 2526; CADE v. 22.04.1993, P. A. 32/92 (Valer Alimentação e Serviços et al.), DOU 27.04.1993, Seção I, S. 5405. 641 Vgl. CNDC v. 22.11.1985, Expte. 84.596/83 (Casa Amado/Massalin Particulares), IV.; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y

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(2) Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen Art. 6 Nr. III des Wettbewerbsschutzprotokolls verbietet Übereinkünfte über die Einschränkung oder Kontrolle von Forschung und Entwicklung oder der Erzeugung von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen sowie Übereinkünfte darüber, Investitionen in die Herstellung von Waren oder Dienstleistungen zu erschweren. Die Formulierung erinnert an Art. 81 Abs. 1 lit. b EGV, der die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen als unzulässige Verhaltensabstimmung nennt642. Das Beispiel im Wettbewerbsschutzprotokoll bezieht sich ausdrücklich auf „Übereinkünfte“, so dass die individuelle Einschränkung von Absatz und Investitionen durch marktbeherrschende Unternehmen mit diesem Regelbeispiel nicht erfasst wird643. Da die Vorschrift keine Einschränkung vorsieht, sind Übereinkünfte sowohl zwischen Wettbewerbern als auch zwischen Unternehmen verschiedener Handelsstufen verboten. Unter die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung und des Absatzes fallen im europäischen Wettbewerbsrecht Quotenkartelle644, Spezialisierungskartelle645, Normungs- und Typisierungsübereinkünfte, langfristige Lohnfertigungsverträge zwischen Konkurrenten, die gemeinsame Produktion konkurrierender Unternehmen in Gemeinschaftsunternehmen oder Arbeitsgemeinschaften646. In Quotenkartellen wird eine Beschränkung der Produktion verabredet. Zweck ist in der Regel die Ergänzung bzw. Absicherung von Preisabsprachen oder Marktaufteilungen647. Die Lasten, die infolge der Massalin Particulares), Rn. 38, 50, 54 f.; ähnlich CNDC v. 17.01.1996, Expte. 034-006634/95 (Segal/Cámara Argentina de Distribuidores de Tabaco), II. 642 Ganz ähnlich auch Art. 2 lit. e des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 und Art. 21 Nr. X des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884/94. 643 Vgl. aber Art. 6 Nr. XIV-XVI des Wettbewerbsschutzprotokolls. Hierzu ausführlich im Abschnitt über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, Teil 3, III. 2. b), cc), (4). 644 EuG v. 06.04.1995, Rs. T-141/89 (Tréfileurope/Kommission), Slg. 1995 II, 791, 818 ff. 645 EuGH v. 11.07.1989, Rs. 246/86 (Belasco u. a./Kommission), Slg. 1989, 2117, 2189. 646 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 402. Zu Arbeitsgemeinschaften vgl. EU-Kommission, Leitlinien horizontale Zusammenarbeit, Rn. 24; KomE v. 12.04.1999 (Versicherungspools), ABl. 1999, Nr. L 125/12, 21 f. 647 EuG v. 06.04.1995, Rs. T-141/89 (Tréfileurope/Kommission), Slg. 1995 II, 791, 818 ff., 824 Rn. 77; KomE v. 02.08.1989 (Betonstahlmatten), ABl. 1989, Nr. L 260/1, 18, 37 Rn. 78; KomE v. 05.12.2001 (Zitronensäure), ABl. 2002, Nr. L 239/18, 29 Rn. 81–83.

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Preisfestsetzung als Absatzrückgang entstehen, sollen gleichmäßig verteilt werden648. Spezialisierungskartelle dienen der Koordination von Produktionsprogrammen. Die Spezialisierung der beteiligten Unternehmen auf Produktionsabschnitte ermöglicht eine kostengünstigere und effizientere Produktion durch Einsparung von Produktionsumstellungen und Ausnutzung von Skaleneffekten. Sie fördern gerade die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer Unternehmen, indem sie den Abstand zu den Los- und Seriengrößen im Vergleich zu Großunternehmen verringern649. Die Vorteile werden von der EU-Kommission anerkannt. Spezialisierungsabsprachen gehören in der Europäischen Union zu den wichtigsten erlaubnisfähigen Kartellen650. Allerdings ist eine Unterscheidung zu Strukturkrisenkartellen, die dem Kapazitätsabbau dienen, und auch zu Preis- und Marktaufteilungsabsprachen häufig nur schwer möglich651. Im europäischen Kartellrecht werden Spezialisierungskartelle nur freigestellt, wenn die Summe der Marktanteile der beteiligten Unternehmen 20% nicht übersteigt652. Vertriebsabsprachen können ebenfalls als Einschränkung oder Kontrolle des Absatzes diesem Beispieltatbestand zugeordnet werden653. Neben den bereits erwähnten Ausschließlichkeitsbindungen und Alleinvertriebsverträgen gehören dazu selektive Vertriebssysteme und Franchiseverträge. Im so genannten selektiven Vertrieb beliefert ein Hersteller in einem bestimmten Gebiet ausschließlich ausgewählte Fachhändler, um die Qualität und den richtigen Gebrauch der Ware zu gewährleisten654. Nicht die einseitige Auswahl der Abnehmer durch den Hersteller ist wettbewerbswidrig, sondern die häufig mit dem Verkauf der Ware verbundenen Auflagen (Vereinbarungen) hinsichtlich des Weiterverkaufs. Solche Auflagen sind beispielsweise die Verpflichtung des Händlers, nur an Endverbraucher weiter 648 KomE v. 24.04.1994 (PVC), ABl. 1994, Nr. L 239/14, 17 f. Zu Quotenkartellen im EG-Wettbewerbsrecht ausführlich H.-P. v. Stoephasius, Art. 81 – Fallgruppen, in: Langen/Bunte, Rn. 151 ff. 649 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 302 Rn. 10. 650 Verordnung (EG) Nr. 2658/2000 der Kommission v. 29.11.2000 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrags auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABl. 2000, Nr. L 304/3. Vgl. auch: M. Haag, Art. 81 – Fallgruppen: Kooperationsabsprachen, in: Schröter/Jakob/Merderer, Rn. 24 ff. 651 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 302 Rn. 9. 652 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 2658/2000 (Spezialvereinbarungen) Art. 1 i. V. m. Art. 4; vgl. auch: EU-Kommission, Leitlinien horizontale Zusammenarbeit, Rn. 110. 653 Diese Einordnung findet sich bei V. Emmerich, Kartellrecht, S. 401. 654 Beispielsweise der Vertrieb von Kraftfahrzeugen, Computern, Kameras, hochwertigen Uhren, Schmuck. Zum selektiven Vertrieb: R. Klotz, Art. 81 – Fallgruppen, in: Schröter/Jakob/Merderer, Rn. 172 ff.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

zu verkaufen655, Querlieferungsverbote656 sowie vor allem der absolute Gebietsschutz und die damit verbundene Behinderung von Parallelimporten (Reimporten)657. Ein Interesse an der Unterbindung von Parallelimporten haben Hersteller, die die gleichen Produkte in verschieden Märkten zu unterschiedlichen Preisen vertreiben. Unterschiedliche Preisniveaus sind häufig im zusammenwachsenden Binnenmarkt anzutreffen, weshalb sie integrationsrechtlich als besonders heikel einzustufen sind658. Die Rechtsprechung in der Europäischen Union wertet das Behindern von Reimporten daher als stets unvereinbar mit Art. 81 EGV659. Verboten im Rahmen von selektiven Vertriebsvereinbarungen sind ferner Mindestabnahmeverpflichtungen, die Pflicht zum Vertrieb des vollständigen Programms des Herstellers und Wettbewerbsverbote660. Die genannten Vereinbarungen werden als zulässig angesehen, wenn sie unbedingt erforderlich sind, um die Qualität und den ordnungsgemäßen Gebrauch des Produktes oder der Leistung sicherzustellen, das System zur Stärkung des Wettbewerbs beiträgt und daher im Interesse der Verbraucher liegt661. Die Auswahl der Abnehmer muss diskri655

Im EG-Kartellrecht so ausdrücklich Art. 4 lit. c Verordnung (EG) Nr. 2790/99. Im EG-Kartellrecht so ausdrücklich Art. 4 lit. d Verordnung (EG) Nr. 2790/99. Querlieferungsverbote werden auch als Verbot des Intra-Brand-Wettbewerbs bezeichnet, hierzu auch: H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 109. 657 In Argentinien grundlegend.: CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 5.1: Der Hersteller von Flüssiggas verbot den Importeuren in Brasilien, das Gas wieder nach Argentinien zu verkaufen, wo ein höheres Preisniveau vorherrschte. Für das EG-Kartellrecht vgl. EuGH v. 25.10.1983, Rs. 107/82 (AEG u. a./Kommission), Slg. 1983, 3151, 3195 Rn. 35; KomE v. 28.01.1998 (VW), ABl. 1998, Nr. L 124/60, bestätigt durch EuG v. 06.07.2000, Rs. T-62/98 (VW/Kommission), Slg. 2000 II, 2707; EuGH v. 17.09.1985, Rs. 25 u. 26/84 (Ford/Kommission), Slg. 1985, 2725, 2740 ff. 658 In der Europäischen Union kommen Preisunterschiede im Kraftfahrzeugsektor bis zu 40% vor, vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 410. 659 EuG v. 06.07.2000, Rs. T-62/98 (VW/Kommission), Slg. 2000 II, 2707, 2806 Rn. 241 f. 660 Ganz so die brasilianische Wettbewerbsbehörde: CADE, Resolução 20/99, Anhang I, B u. Anhang II, B, 3.1.2., 3.2.2. Im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union werden abhängig von den Auflagen hinsichtlich des Weiterverkaufs bis zu vier Typen selektiver Vertriebssysteme unterschieden: die offene Selektion (keine Beschränkung des Weiterverkaufs), einfache Fachhandelsbindung, qualifizierte Fachhandelsbindung und der quantitative Selektion, vgl. H.-P. v. Stoephasius, Art. 81 – Fallgruppen, in: Langen/Bunte, Rn. 402. Ausführlich zum selektiven Vertrieb im EG-Kartellrecht: R. Klotz, Art. 81 – Fallgruppen, in: Schröter/Jakob/Merderer, Rn. 172 ff. 661 EuGH v. 25.10.1983, Rs. 107/82 (AEG u. a./Kommission), Slg. 1983, 3151, Rn. 33 f.; EuG v. 27.02.1992, Rs. T-19/91 (Société d’Hygiène Dermatologique/ Kommission), Slg. 1992 II, 415, Rn. 65; EuG v. 12.12.1996, Rs. T-19/92 (Leclerc/ Kommission), Slg. 1996 II, 1851, 1897 ff.; EuG v. 12.12.1996, Rs. T-88/92 (Leclerc/Kommission), Slg. 1996 II, 1961, 2007 ff. Ganz so die brasilianische Wett656

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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minierungsfrei anhand objektiv nachvollziehbarer Kriterien erfolgen662. Während vertikale Preisbindungen im EG-Wettbewerbsrecht auch dann als wettbewerbswidrig gelten, wenn sie Bestandteil eines selektiven Vertriebssystems sind663, akzeptiert die argentinische CNDC Preisbindungen, die PKW-Händlern vom Hersteller auferlegt werden, solange weitere Wettbewerbsmittel wie Rabatte, Bonifikationen oder zusätzliche Leistungen offen stehen664. Franchisevereinbarungen sind eine Vertriebsform, in der sich der Franchisegeber zur Überlassung von Lizenzrechten oder Know-how verpflichtet. Der Franchisenehmer verpflichtet sich im Gegenzug zum ausschließlichen Bezug der Vertragsware vom Franchisegeber zu festgelegten Preisen und Konditionen665. Franchiseverträge enthalten häufig zusätzlich Wettbewerbsverbote und Geheimhaltungspflichten zum Schutz des überlassenen Knowhows. Solche Vertragsklauseln gelten als mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar, wenn sie eine zügige Markterschließung fördern und eine gleich bleibende Qualität zum Vorteil des Verbrauchers gewährleisten666. Die Einschränkung oder Kontrolle der technischen Entwicklung oder der Investitionen verlangsamt die Entwicklung innovativer Produkte und Produktionsverfahren zu Lasten der Verbraucher und der wirtschaftlichen Effizienz. Forschung und Entwicklung sowie Investitionen sind bedeutende Wettbewerbsinstrumente. Sie entscheiden über die zukünftige Wettbewerbsbewerbsbehörde: CADE, Resolução 20/99, Anhang I, B u. Anhang II, B, 3.1.2., 3.2.2. 662 So jedenfalls für das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union: EuGH v. 25.10.1977, Rs. 26/76 (Metro/Kommission), Slg. 1977, 1875, Rn. 20; EuG v. 12.12.1996, Rs. T-88/92 (Leclerc/Kommission), Slg. 1996 II, 1961, Rn. 11; EuG v. 27.02.1992, Rs. T-19/91 (Société d’Hygiène Dermatologique/Kommission), Slg. 1992 II, 415, Rn. 65. 663 EuGH v. 03.07.1985, Rs. 243/83 (Binon/AMP), Slg. 1985, 2015, 1046. 664 CNDC v. 15.04.1997, Expte. 064-000909/97 (C. 402) (Puigamarti/Autolatina Argentina u. a.), S. 4 f. 665 Vgl. EU-Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, Rn. 199. 666 Die an sich wettbewerbswidrigen Vertragsklauseln müssen erforderlich sein, um die Vorteile für den Wettbewerb zu erreichen. Für die Europäische Union vgl. Verordnung Nr. 2790/1999, 10. Erwägungsgrund; EU-Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, Rn. 200. Ganz so der CADE, der auf die Erhaltung des guten Rufs und die Einheitlichkeit des Marktauftritts abstellt, vgl. CADE v. 26.02.1993 P. A. 30/92 (ICI Brasil), DOU 03.03.1993, Seção, I, S. 2526; CADE v. 09.08.2000, Consulta 0048/99 (Vera Cruz), DOU 18.08.2000, Seção I, S. 19. Die CNDC hält Franchiseverträge und vor allem die darin enthaltenen ausschließlichen Bezugs- und Lieferverpflichtungen dann mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar, wenn die Franchisenehmer die Möglichkeit hatten, zwischen mehreren Vertragspartnern zu wählen, vgl. CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5.11.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

fähigkeit von Unternehmen. Ohne dass eine Einschränkung vereinbart wird, verringert die gemeinsame Kontrolle über diese Wettbewerbsinstrumente die Unsicherheit über das Verhalten der Konkurrenten und steht der Innovation entgegen667. Abreden über die Einschränkung oder Kontrolle der technischen Entwicklung oder von Investitionen beinhalten neben Forschungsund Entwicklungsabkommen vor allem Strukturkrisenkartelle668. Letztere dienen zum Abbau von Produktionskapazitäten durch Einschränkung der Investitionen. Mit der mittelbar verbundenen Verringerung des Angebots669 sollen Preise künstlich aufrecht erhalten werden670. Auch das gegenseitige Mitbenutzen von Mobilfunknetzen (Roaming) durch die Netzbetreiber anstelle des flächendeckenden Ausbaus eigener Netze ist diesem Regelbeispiel zuzuordnen671. In der Europäischen Union wurde der Abbau „struktureller Überkapazitäten“ daher nur in ganz wenigen Fällen von der EU-Kommission freigestellt672. (3) Aufteilung der Märkte und Versorgungsquellen Den Zielen einer Wirtschaftsintegration zuwider läuft der Versuch von Unternehmen, den Gemeinsamen Markt aufzuspalten oder die nationalen Märkte trotz gemeinsamen Binnenmarktes weiterhin künstlich aufrechtzuerhalten673. Art. 6 Nr. IV des Wettbewerbsschutzprotokolls verbietet daher die Aufteilung von Märkten für Dienstleistungen und Produkte jeder Produktionsstufe sowie die Aufteilung von Rohstoffversorgungsquellen. 667 G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 452 ff., 456 ff. 668 Beispiele sind Vereinbarungen, sich nicht an Investitionen Dritter zu beteiligen, oder Vereinbarungen, Produktionskapazitäten nicht auszubauen oder sogar abzubauen, vgl. H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 167. Ein Beispiel für ein Strukturkrisenkartell in der Europäischen Union ist das BetonstahlmattenKartell, vgl. EuG v. 06.04.1995, Rs. T-145/89 (BStG/Kommission), Slg. 1995 II, 987. 669 Investitionen dienen der Schaffung oder Erhaltung von Erzeugerkapazitäten, vgl. P. C. Müller-Graf, Unternehmensinvestitionen und Investitionssteuerung im Marktrecht, 1984, S. 65. 670 Dies vermutet die CNDC im Fall v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 10 lit. e. 671 So die EU-Kommission im Fall „UK Network Sharing Agreement“, vgl. KomE v. 30.04.2003 (U2 UK/T-Mobile), ABL. 2003, Nr. L 200/57 Rn. 116. Die Vereinbarung wurde allerdings auf Zeit freigestellt, da sie die Erschließung des Mobilfunkmarktes in der Aufbauphase fördere (Rn. 137–142). 672 KomE v. 05.05.1988 (Bayer/B.P. Chemicals), ABl. 1988, Nr. L 150/35; KomE v. 22.12.1987 (ICI), ABl. 1988, Nr. L 50/18. 673 So der Europäische Gerichtshof bereits 1966, vgl. EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, 388 ff.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Die Formulierung entspricht der des Art. 81 Abs. 1 lit. c EGV674. Eine Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Absprachen wird nicht getroffen. Auch spezifiziert die Vorschrift nicht die Mittel, mit denen eine Marktaufteilung erreicht wird. Erfasst wird vielmehr jede Abrede zwischen Unternehmen, die auf einen Heimatschutz der jeweiligen Unternehmen hinausläuft675. Die wichtigsten Anwendungsfälle sind neben der horizontalen Marktaufteilung676 Export- und Importkartelle677, die Aufteilung von Kunden zwischen Konkurrenten678, aber auch Exportverbote im Rahmen der bereits dargestellten vertikalen Alleinvertriebsvereinbarungen679. Die Behinderung von Parallelimporten ist nicht nur wettbewerbsbeschränkend, sondern behindert auch den freien Warenverkehr. Der Aufteilung von Absatzmärkten steht die Aufteilung der Einkaufsmärkte, also der Versorgungsquellen gleich, wenn die zu beziehenden Güter, Leistungen oder Rohstoffe Vorprodukte nachgelagerter Produkte oder Leistungen sind. Die Aufteilung der Einkaufsmärkte führt so zum Ausschluss nicht an der Aufteilung beteiligter Unternehmen vom Markt der nachgelagerten Erzeugnisse oder Leistungen680. Art. 6 Nr. IV des Wettbewerbsschutzprotokolls verbietet nur die Aufteilung von Rohstoffversorgungsquellen im Unterschied zu Art. 81 Abs. 1 lit. c EGV, der allgemein von Versorgungsquellen spricht, die nicht aufgeteilt werden sollen. Dass im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls jedoch auch die Aufteilung anderer Einkaufsmärkte neben denen für Roh674 Zu Art. 81 Abs. 1 lit. c EGV: P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 189–192. 675 So für Art. 81 Abs. 1 lit. c: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 402. 676 Vgl. CNDC v. 22.05.1991, Expte. 84.543/83 (Gas del Estado/Agip Gas Argentina S. A. u. a.), VII. 677 Welche aufgrund ihrer dem Gemeinsamen Markt entgegenstehenden Ausrichtungen im Recht der Europäischen Union grundsätzlich verboten sind, vgl. EuGH v. 12.07.1979, Rs. 32-78 und 36 bis 82-78 (BMW Belgium u. a./Kommission), Slg. 1979, 2435, 2477; zuletzt: EuG v. 06.04.1995, Rs. T-141/89 (Tréfileurope/Kommission), Slg. 1995 II, 791, 838, 845 f. 678 Vgl. CNDC v. 22.05.1991, Expte. 84.543/83 (Gas del Estado/Agip Gas Argentina S. A. u. a.), VII.; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 10 lit. d. Für die Europäische Union vgl. KomE v. 08.10.1973 (Prym-Beka), ABl. 1973, Nr. L 296/24, 25. 679 Im Recht der Europäischen Union grundlegend: EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, 392. Vgl. das Verfahren der EU-Kommission gegen Bayer. Der Pharmahersteller versuchte, Reimporte durch an die nationalen Händler gerichtete Exportverbote zu unterbinden: KomE v. 10.01.1996 (F3-Adalat), ABl. 1996, Nr. L 96/478; ähnlich bereits EuG v. 06.07.2000, Rs. T-62/98 (VW/Kommission), Slg. 2000 II, 2707; KomE 10.10.2001 (Mercedes-Benz), ABl. 2002, Nr. L. 257/1. 680 Hierzu ausführlich B. Wägenbaur, Art. 81 Abs. 1, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I: Europäisches Recht, Kommentar, 2005, Rn. 308 ff.

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stoffe unzulässig ist, ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 6 Nr. IV des Wettbewerbsschutzprotokolls, wonach neben der Aufteilung von Rohstoffversorgungsquellen und Dienstleistungen auch die Aufteilung von Märkten für fertige, halbfertige und für Zwischenprodukte wettbewerbswidrig ist. (4) Diskriminierungen Einen Verstoß gegen Art. 6 Nr. VII des Wettbewerbsschutzprotokolls stellt die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern dar, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden681. Eine diskriminierende Behandlung kann sowohl kollektiv von mehreren Unternehmen als auch einseitig von einem Unternehmen in marktbeherrschender Position ausgehen, weshalb sich der Beispieltatbestand im Recht der Europäischen Union wortgleich in Art. 81 Abs. 1 lit. d EGV und in Art. 82 S. 2 lit. c EGV findet682. Es handelt sich jedoch nicht um ein allgemeines Diskriminierungsverbot683. Die sachlich nicht gerechtfertigte (bei gleichwertigen Leistungen) unterschiedliche Behandlung von Handelspartnern muss entweder auf einer Vereinbarung mehrerer Unternehmen der gleichen Handelsstufe beruhen oder von einem Unternehmen in marktbeherrschender Position ausgehen. Einseitige Diskriminierungen seitens eines nicht marktbeherrschenden Wirtschaftsteilnehmers sind nicht verboten684. Es entspricht der Handlungs- und Vertragsfreiheit, also dem Privatheitsprinzip685, Verträge frei zu gestalten und Handelspartner trotz gleichwertiger 681 Vgl. auch: Art. 2 lit. k des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 und Art. 21 Nr. XII des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884. 682 Zur Diskriminierung durch marktbeherrschende Unternehmen: Teil 3, III. 2. b), cc), (2). 683 Im Recht der Europäischen Union unstreitig, vgl. H.-J. Bunte, Art. 81 EG, in: Langen/ders., Rn. 91, 137; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 242 Rn. 6, S. 306 Rn. 21, V. Emmerich, Kartellrecht, S. 403; P. Stockenhuber, Art. 81 EGV, in Grabitz/Hilf, Rn. 193; vgl. auch: EuGH v. 24.10.1996, Rs. C-73/95 P (Viho Europe/Kommission), Slg. 1996 I, 5457, Rn. 63. Für das Wettbewerbsschutzprotokoll so auch D. M. Ramos, Das WettbewerbsschutzProtokoll des Mercosur, S. 121. 684 EuGH v. 24.10.1996, Rs. C-73/95 P (Viho Europe/Kommission), Slg. 1996 I, 5457, 5491; So auch die CNDC, vgl. CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 28. 685 Zum Privatheitsprinzip: K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 189 f., 272 f.; ders., Das Recht am und das Recht auf Eigentum. Aspekte freiheitlicher Eigentumsgewährleistung, in: J. Isensee/H. Lecheler (Hrsg.), Freiheit und Eigentum, Festschrift für Walter Leisner, 1999, S. 780 ff.; ders., Res publica res populi, S. 386 ff., 399 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 67 ff.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Leistungen unterschiedlich zu behandeln686. Ein Verbot der unterschiedlichen Behandlung von Marktpartnern und die damit einhergehende Einschränkung der Vertragsfreiheit sind gerechtfertigt, wenn die Wettbewerbsordnung gefährdet ist. Hiervon ist nur im Fall der kollektiven Diskriminierung oder bei erheblicher Marktmacht des diskriminierenden Unternehmens auszugehen. Dass eine Diskriminierung nicht von einem einzelnen nicht marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen kann, ergibt sich im Übrigen auch aus dem Wortlaut von Art. 6 Nr. VII des Wettbewerbsschutzprotokolls, der im Einklang mit Art. 81 Abs. 1 lit. d EGV die „Anwendung“ unterschiedlicher Bedingungen verbietet. Diese Formulierung beinhaltet die Ausübung von Zwang. Der Vertragspartner akzeptiert die Bedingungen lediglich in Ermangelung von Handlungsalternativen687. Ein solcher Zwang kann nur von einem marktführenden Unternehmen oder einem Kartell ausgehen688. Eine Diskriminierung liegt nur im Fall „gleichwertiger Leistungen“ der Vertragsgegenseite vor. Die unterschiedliche Behandlung soll des Weiteren nicht gegenüber „Handelspartnern“ erfolgen. Was unter diesen Tatbestandsmerkmalen zu verstehen ist, wird im Abschnitt über das Verbot des Marktmachtmissbrauchs dargestellt, wo das Regelbeispiel ausführlich behandelt wird689.

686 Verträge sind allerdings nur frei, wenn sie sittlich sind, hierzu vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 404 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 8. Kap. VIII. 1. 687 So wie im Fall des Sauerstoff-Kartells in Argentinien: Krankenhäuser wurden mit medizinischem Sauerstoff zu unterschiedlichen Preisen beliefert. Sauerstoff kann durch kein anderes Produkt ersetzt werden, vgl. CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 10 lit. a und Rn. 326. 688 In einem Markt bezahlt niemand freiwillig mehr für das gleiche Produkt oder die gleiche Leistung oder geht schlechtere Geschäftsbedingungen als sein Konkurrent. In der Preistheorie sind Diskriminierungen daher ein Kennzeichen von Monopolen. Bei vollständiger Konkurrenz werden Preisdifferenzen für das gleiche Produkt oder die gleiche Leistung (Arbitrage) sofort ausgeglichen, denn sie ermöglichen risikolosen Gewinn (zur Preistheorie: S. Wied-Nebbeling, Preistheorie und Industrieökonomik). Geringe Preisunterschiede können durch Transportkostenunterschiede bedingt sein, ohne dass Arbitrage möglich ist. Große Preisunterschiede sind nicht mit unterschiedlichen Transportkosten zu rechtfertigen, weil eine hohe Transportkostenempfindlichkeit der Ware zur Abgrenzung eigenständiger (engerer) geographischer Märkte mit eigenen marktspezifischen Preisen führt. Zur Marktabgrenzung siehe oben: Teil 3, III. 2. a), bb), (8). 689 Hierzu Teil 3, III. 2. b), cc), (2).

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

(5) Koppelungen Art. 6 Nr. VIII des Wettbewerbsschutzprotokolls nennt als wettbewerbswidriges Verhalten die Verknüpfung des Verkaufs einer Ware oder Dienstleistung mit dem Erwerb einer anderen Ware oder Dienstleistung690. Wie auch das Diskriminierungsverbot wendet sich der Beispieltatbestand sowohl gegen Koppelungspraktiken, die von einzelnen marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen, als auch gegen von mehreren Unternehmen gemeinsam ausgeübte Koppelungsstrategien. Im Europäischen Gemeinschaftsrecht findet sich das Koppelungsverbot in Art. 81 Abs. 1 lit. e EGV und wortgleich in Art. 82 S. 2 lit. d EGV. Der gekoppelte Verkauf von Waren oder Dienstleistungen durch einzelne Unternehmen, die nicht marktbeherrschend sind, ist nicht verboten691. Eine kollusive Koppelungspraktik liegt vor, wenn Kar690 Art. 6 Nr. VIII des Wettbewerbsschutzprotokolls stimmt wortgleich mit Art. 2 lit. i des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 überein. 691 So auch für das EU-Recht: A. Gleiss/M. Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, Art. 85 Abs. 1 Rn. 400; N. Koch, Art. 85, in: Grabitz/Hilf, Kommentar – Maastrichter Fassung, Rn. 135; G. Grill, Art. 81, in: Lenz/Borchardt, Rn. 34. Anders: Mestmäcker/Schweitzer, die anführen, dass ein Bündel von individuellen Koppelungsverträgen eines Unternehmens in nicht marktbeherrschender Position gegen Art. 81 Abs. 1 EGV verstoßen könne, ohne aber gegen Art. 82 EGV zu verstoßen, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 307 f. Rn. 24. In diesem Sinne auch: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 404; H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 191. Art. 82 lit. d EGV käme jedoch keine eigenständige Bedeutung zu, wenn auch einseitige Koppelungspraktiken von Art. 81 Abs. 1 EGV erfasst würden. Die Tatsache, dass Art. 82 S. 2 lit. d EGV wortgleich das Koppelungsverbot des Art. 81 Abs. 1 lit. e EGV auch für einzelne, aber marktbeherrschende Unternehmen aufführt, lässt darauf schließen, dass Koppelungsverträge von einzelnen Unternehmen, die keine marktbeherrschende Position innehaben, nicht gegen das Kartellrecht verstoßen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um einen einzelnen Vertrag oder ein Bündel von Verträgen handelt. Es entspricht der Handlungs- und Vertragsfreiheit, Produkte oder Leistungen im Verkauf zu verknüpfen. Eine Einschränkung der Handlungs- und Vertragsfreiheit ist nur angemessen, wenn diese erforderlich ist, einer Gefährdung der Wettbewerbsfreiheit als höherrangiges legitimes Ziel vorzubeugen. Die Wettbewerbsfreiheit ist jedoch nur im Falle von Marktmacht des koppelnden Unternehmens oder Kartells gefährdet, weil Konkurrenten des marktbeherrschenden koppelnden Unternehmens oder Kartells vom Markt des gekoppelten Produktes ausgeschlossen werden. Auch die Auswahlfreiheit des Abnehmers ist nur bei Marktmacht des koppelnden Unternehmens oder im Fall von Koppelungen durch ein Kartell eingeschränkt. Für den Tatbestand der missbräuchlichen Koppelung gemäß Art. 82 S. 2 lit. d EGV wird zu Recht die Ausübung von Zwang vorausgesetzt, (vgl. T. Eilmansberger, Vorbem. Art. 81 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 65), welcher nicht von einem einzelnen Unternehmen ohne Marktmacht auszugehen vermag. Überträgt man zudem die von Mestmäcker/Schweitzer angeführte Argumentation auf das Diskriminierungsverbot, so müsste sinngemäß auch die autonome Diskriminierung durch Unternehmen in nicht marktbeherrschender Position verboten sein, wenn mehrere Marktpartner (Bündel)

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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telle die Lieferung von der Abnahme weiterer Waren oder Dienstleistungen abhängig machen692. Dabei gilt im EG-Kartellrecht bereits der verknüpfte Verkauf zweier Produkte oder Leistungen durch positiven Anreiz als wettbewerbswidrige Koppelung693, während in Argentinien eine Zwangswirkung auf den Abnehmer ausgeübt werden muss694, damit eine wettbewerbswidrige Koppelung vorliegt. Der an den ursprünglichen Vertragsgegenstand gekoppelte Verkauf eines weiteren Produktes beschränkt den Zugang zum Markt für eben dieses Produkt für dritte Unternehmen695. Koppelungsverträge entfalten dadurch eine ähnliche Wirkung wie ausschließliche Bezugsbindungen696. Die Abschottungswirkung auf dem Markt für das an das Hauptprodukt gekoppelte Nebenprodukt ist umso größer, je größer der Marktanteil des Kartells oder des marktbeherrschenden Unternehmens auf dem Markt des Hauptproduktes ist697. Für das Wettbewerbsrecht sind weniger kollektive Koppelungspraktiken als vielmehr solche, die von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen, relevant698. Im Kapitel über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung werden Koppelungen ausführlich behandelt699. auf die gleiche Weise diskriminiert werden. Dass Art. 81 Abs. 1 lit. d und Art. 82 S. 2 lit. c EGV kein allgemeines Diskriminierungsverbot enthalten, ist jedoch unumstritten, vgl. Fn. 683 (3. Teil). In diesem Sinne hat auch die brasilianische Wettbewerbsbehörde ausgeführt, dass Koppelungen nur bei Marktmacht nachteilig für die Gesellschaft und insbesondere für den Verbraucher seien, vgl. CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I. 692 Beispielsweise vom Transport oder Versicherung der Ware, vgl. KomE v. 18.07.1988 (Napier Brown), ABl. 1988, Nr. L 284/41, 55; KomE v. 15.04.1974 (Verpackungsglas), ABl. 1974, Nr. L 160/1, 14, Rn. 48. 693 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 418 Rn. 25. Hierzu auch: Teil 3, III. 2. b), cc), (3). 694 CNDC v. 24.08.1982, Expte. 106.213/81 (Asociación de Empresas Ffflnebres y Afines de Villa Maria), VI.; CNDC v. 14.06.1982, Expte. 10.073/81 (Asociación Sureña de Empresas de Pompas Ffflnebres de la Provinca de Buenos Aires), VI. 695 So für das EG-Wettbewerbsrecht: H. Schröter, Art. 82, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 238. So auch die brasilianische Wettbewerbsbehörde: CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I. 696 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 308 Rn. 25. 697 Sogenannte Hebelwirkung, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 308 Rn. 25, S. 416 Rn. 22. So auch die CNDC, vgl. CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5. 10), CNDC v. 14.06.1982, Expte. 10.073/81 (Asociación Sureña de Empresas de Pompas Ffflnebres de la Provinca de Buenos Aires), VI. 698 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 308 Rn. 26.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

(6) Geschäfts- oder Lieferverweigerung Art. 6 Nr. XIII des Wettbewerbsschutzprotokolls verbietet die ungerechtfertigte Verweigerung des Verkaufs von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen700. Dem uneingeschränkten Wortlaut zufolge erfasst die Vorschrift die Geschäfts- oder Lieferverweigerung sowohl als zwischen Wettbewerbern abgestimmte Maßnahme (Boykott701 und Marktaufteilung702) als auch als einseitigen Missbrauch von Marktmacht. Letzterer kommt weitaus häufiger vor und wird daher im Kapitel über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung behandelt703. Die einseitige Lieferverweigerung seitens nicht marktstarker Unternehmen führt zu keiner Beschränkung des Wettbewerbs, sondern ist Ausdruck der Handlungs- und Vertragsfreiheit704. (7) Weitere Regelbeispiele Nach Art. 6 Nr. V des Wettbewerbsschutzprotokolls ist die Begrenzung oder Verhinderung des Zugangs neuer Unternehmen zum Markt eine wettbewerbswidrige Verhaltensweise. Dieser Beispieltatbestand wurde offenbar aus dem brasilianischen und argentinischen Wettbewerbsschutzgesetz übernommen705. Anders als im brasilianischen Wettbewerbsgesetz und dem zum 699

Teil 3, III. 2. b), cc), (3). Die Vorschrift entspricht Art. 2 lit. l des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 und Art. 21 Nr. XIII des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884/94. 701 Soweit ersichtlich wurde im Mercosur nur ein Fall kollektiver Lieferverweigerung von den Wettbewerbsbehörden aufgegriffen: In Brasilien erging eine einstweilige Verfügung gegen Pharmahersteller, die diejenigen Händler boykottierten, die neben ihren Produkten auch preisgünstigere Generika vertrieben, vgl. SDE v. 04.11.1999, P. A. 08012.009088/99-48 (Abbott Lab., Schering do Brasil S. A. u. a.). Die SDE (Secretaria de Direito Econômico) ist die Vorermittlungsbehörde, welche Verfahren einleitet und die gefundenen Ergebnisse dem CADE weiterleitet. Sie kann einstweilige Anordnungen erlassen. In der Europäischen Union ist die Lieferverweigerung nicht ausdrücklich geregelt. Die Kommission ging gegen die kollektive Lieferverweigerung als wettbewerbswidriges Verhalten nach Art. 81 Abs. 1 EGV vor, vgl. KomE v. 30.06.1970 (ASPA), ABl. 1970, Nr. L 148/9, 10; KomE v. 23.07.1974 (Belgische Tapetenhersteller), ABl. 1974, Nr. L 237/3. Im deutschen Kartellrecht ist der Boykott gemäß § 21 GWB verboten. 702 Die im Zusammenhang mit der Aufteilung der Kunden verbundene Lieferverweigerung fällt auch unter das Verbot der Marktaufteilung, vgl. bereits Teil 3, II., a), cc), (3). 703 Siehe unten, Teil 3, III. 2. b), cc), (6). 704 Ausführlicher in Teil 3, III. 2. b), cc), (6). 705 Vgl. Art. 21 Nr. IV des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 8.884 und Art. 2 lit. f des alten argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 22.262 von 1980. 700

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Zeitpunkt der Verabschiedung des Wettbewerbsschutzprotokolls gültigen argentinischen Wettbewerbsgesetz Nr. 22.262 ist im Wettbewerbsschutzprotokoll das Verbot der Begrenzung des Marktzugangs jedoch bereits in der Generalnorm des Art. 4 enthalten706. Dem Beispieltatbestand ist daher keine eigenständige Bedeutung beizumessen. Auch das Regelbeispiel in Art. 6 Nr. II des Wettbewerbsschutzprotokolls enthält keine nicht bereits unter anderen Regelbeispielen erfasste Verhaltensweise und hat lediglich klarstellenden Charakter. Danach ist die Durchsetzung oder die Einflussnahme auf die Einführung von einheitlichen oder unter Mitbewerbern abgestimmten wirtschaftlichen Handlungen verboten. Hierunter fallen insbesondere Preisvorgaben oder -empfehlungen von Berufs- und Interessensverbänden, welche zu abgestimmten Verhalten im Sinne von Art. 6 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls führen707. Art. 6 Nr. XVII des Wettbewerbsschutzprotokolls untersagt schließlich die Manipulation des Marktes, um Preise durchzusetzen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Verhaltensweisen, die den Markt zwecks Durchsetzung höherer Preise manipulieren, dürften in der Regel bereits unter die spezielleren Vorschriften des Art. 6 Nr. I (Festsetzen von Preisen) und Art. 6 Nr. III (Einschränkung der technischen Entwicklung, der Produktion und Investitionen) fallen. Alle weiteren, an dieser Stelle nicht behandelten Regelbeispiele, beziehen sich auf das Missbrauchsverbot in Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls und werden im Kapitel über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dargestellt708. dd) Freistellung oder rule of reason Ein dem Art. 81 Abs. 3 EGV vergleichbares Freistellungsverfahren gibt es im Wettbewerbsschutzprotokoll bisher nicht. Art. 7 des Wettbewerbsschutzprotokolls stellt in Aussicht, innerhalb von zwei Jahren709 gemeinsame Vorschriften zu erlassen, mit denen potentielle Wettbewerbsbeschrän706 So auch D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 129. Zum Marktzugang bereits oben Teil 3, III. 2. a), bb), (5). 707 Vgl. bereits Fn. 619 f. (3. Teil). 708 Teil 3, III. 2. b). 709 Art. 7 des Wettbewerbsschutzprotokolls macht keine Aussage dazu, wann die Frist beginnt. Für das Inkrafttreten des Protokolls als maßgeblicher Zeitpunkt spricht die systematische Auslegung unter Heranziehung von Art. 32 des Wettbewerbsschutzprotokolls. Gemeint sein kann aber auch der Zeitpunkt der Verabschiedung des Protokolls. Hiergegen spricht, dass die Frist dann bereits 7 Jahre überschritten worden wäre.

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kungen und Akte wirtschaftlicher Konzentration einem Kontrollmechanismus unterzogen werden können. Die Überschrift von Art. 7 des Wettbewerbsschutzprotokolls „Über die Kontrolle von Handlungen und Verträgen“ entspricht wortgleich dem des Kapitels I im XII. Titel des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes: „Do Controle de Atos e Contratos“. Dieses Kapitel im brasilianischen Wettbewerbsgesetz enthält neben Bestimmungen zur Fusionskontrolle auch ein an Art. 81 Abs. 3 EGV angelehntes Freistellungsverfahren. Hieraus wird geschlussfolgert, dass Art. 7 des Wettbewerbsschutzprotokolls die Mitgliedstaaten auffordert, neben gemeinsamen Regelungen zur Kontrolle von Unternehmenskonzentrationen auch ein Freistellungssystem zu verabschieden710. Bisher ist ein solches nicht verabschiedet worden. Dass dieser Themenbereich zunächst offen gelassen wurde, verwundert nicht. In den Mitgliedstaaten ist zwar grundsätzlich anerkannt, dass bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen auch förderlich für das Gemeinwohl sein können711. Es standen jedoch zwei Systeme zur Auswahl: Ein Freistellungssystem, wie es in der Europäischen Union vor Erlass der Kartellverfahrensverordnung 1/03 galt und ähnlich in Brasilien angewendet wird, oder die Regelung in Argentinien, die Ausnahmen zugunsten des wirtschaftlichen Allgemeininteresses (interés económico general)712 ermöglicht, was nur auf den ersten Blick der aus dem US-Antitrustrecht bekannten rule of reason nahe kommt713. Zudem war zur Zeit der Verabschiedung des Wett710 D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 135; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 296; J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 204; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 108 f. 711 So in Argentinien die Begründung zum Gesetz Nr. 22.262 von 1980, Kapitel III, Nr. 1: „Handlungen, die zwar wettbewerbswidrig erscheinen, tatsächlich aber vorteilhaft für die Gesellschaft sind, sollen nicht verboten sein“, eigene Übersetzung; vgl. auch G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 251. 712 Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156: Die Verhaltensweisen sind verboten, „(. . .) wenn sich ein Schaden für das wirtschaftliche Allgemeininteresse ergeben kann.“, eigene Übersetzung. 713 Das argentinische Wettbewerbsgesetz enthält sowohl Elemente einer rule of reason als auch eines Freistellungssystems, ist aber letztlich mit keinem vergleichbar, so auch G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 121, 271, 272 ff. In der argentinischen Literatur wird allerdings das Konzept des wirtschaftlichen Allgemeininteresses vielfach als rule of reason bezeichnet. Vgl. J. Otamedi, El interés general y la eficiencia económica en la ley de defensa de la competencia, La Ley 1999-F, S. 1087; ders., Presupuestos básicos para la aplicación de la ley de Defensa de la Competencia, S. 912; M. V. G. De Quevedo, Boletín Latinoamericana de Competencia 2000 Nr. 9 – Teil 1, S. 9; D. M.

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bewerbsschutzprotokolls bereits das „Massenproblem“ der EU-Kommission bekannt, welches diese zu einer Neuausrichtung der Wettbewerbspolitik bewegte714. Die Kapazität der zu schaffenden gemeinsamen Wettbewerbsbehörde ist aber eher kleiner als die in der Europäischen Union715. Man wollte möglicherweise abwarten, wie die Neuregelung des Wettbewerbsrechts in der Europäischen Union ausgehen würde. Um eine Empfehlung für eine mögliche Regelung im Mercosur geben zu können, werden zunächst neben den Ausnahmeregelungen in Brasilien und Argentinien auch die aus dem US-amerikanischen Antitrustrecht bekannte rule of reason und die seit 2004 in der Europäischen Union gültige Legalsausnahme vorgestellt. Zum Verständnis letzterer wird auch auf die zuvor praktizierte Freistellung wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen durch die EU-Kommission eingegangen. (1) Rule of reason im US-Antitrustrecht Das Kartellrecht hat seinen Ursprung in den USA. Außerhalb der USA wurden Kartelle bis nach dem zweiten Weltkrieg teilweise, vor allem in Krisenzeiten sogar als positiv für die Volkswirtschaft angesehen716. Der Sherman Act von 1890 verbietet sämtliche wettbewerbsbeschränkenden Verträge oder anderweitig abgestimmte Verhalten jedweder Form, unabhängig von der Marktstellung der Beteiligten und unabhängig von den damit verfolgten Zwecken717. Eine Freistellungsmöglichkeit sieht das US-Antitrustrecht nicht vor. Von Beginn an war es daher notwendig, die auf der Privatheit beruhende legitime Ausübung der Handlungs- und Vertragfreiheit der Unternehmen, die geschützt werden soll, von den wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen abzugrenzen718. Nach der so genannten AncillaryRamos, La nueva ley de defensa de la competencia, La Ley v. 30.09.1999, Suplem. S. 1. Vgl. auch Hinweise in Fn. 934 (3. Teil). 714 Der Begriff findet sich bei: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 421 f., S. 380 f.; vgl. auch: EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 40. 715 Sie setzt sich aus den nationalen Wettbewerbsbehörden zusammen (Art. 8 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls). Auf die begrenzten Kapazitäten der brasilianischen und argentinischen Wettbewerbsbehörde weist P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 61 f. u. S. 128 f., hin. Für Argentinien siehe auch: T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 157. 716 Sie galten als „Kinder der Not“, vgl. F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 118 Rn. 6. 717 Section 1 Sherman Act lautet: „Every contract, combination in the form of trust or otherwise, or conspiracy, in restraint of trade or commerce among the several states, or within foreign nations, is hereby declared to be illegal“. 718 So der US-Supreme Court, U.S. vs. American Tobacco Co. 221 U.S. 106, 179 (1911).

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restraints-Doktrin719 wurden daher an sich wettbewerbsbeschränkende Nebenabreden (ancillary restraints) von zweifelsfrei legitimen Hauptverträgen als nicht gegen den Sherman Act verstoßende Verhaltensweisen beurteilt. Die Nebenabrede musste dem Hauptzweck untergeordnet und notwendig sein, um den Hauptzweck zu verwirklichen. Als Beispiele können genannt werden: Wettbewerbsverbote für ausscheidende Gesellschafter oder für den Veräußerer eines Unternehmens720. Später weitete der Supreme Court im Standard-Oil-Fall aus dem Jahre 1911 den Beurteilungsmaßstab aus721. Das Gericht unterschied „vernünftige“ and „unvernünftige“ Wettbewerbsbeschränkungen. Es wurde aber klargestellt, dass nicht dem Wettbewerb dienende allgemeine Ziele im Rahmen dieser Abwägung nicht berücksichtigt werden dürfen. Der Ermessensspielraum ist also auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs begrenzt. Insbesondere unterliegen die so genannten Per-se-Verbote nicht diesem Ermessenspielraum. Per-se-Verbote sind vor allem horizontale Vereinbarungen, insbesondere Preisabsprachen, Beschränkungen der Produktion, Marktaufteilungen und Boykotte von Wettbewerbern722. Diese rule of reason wurde im Urteil „Chicago Board of Trade“ präzisiert723. Das Gericht stellte klar, dass die Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit und das Auferlegen von Pflichten das Wesen einer jeden Vereinbarung im Handelsverkehr ist. Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt vor, wenn die etwaigen Nachteile auf den Wettbewerb nicht durch „redeeming virtues“, also einen legitimen, den Wettbewerb fördernden Zweck ausgeglichen werden. Dabei muss die beanstandete Vereinbarung zugleich das mildeste Mittel zum Erreichen des den Wettbewerb fördernden Zwecks sein724; sie muss also verhältnismäßig sein. Die Rule-of-reason-Doktrin wurde von den US-Gerichten im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Es lässt sich festhalten, dass die rule of reason in den USA allein auf eine Würdigung im Rahmen der Förderung des Wettbewerbs gerichtet ist und keine Abwägung von Vor- und Nachteilen einer Maßnahme unter Einbeziehung allgemeiner politischer Erwägungen zulässt725. Dabei hat sich die Effizienz als Ziel der Wettbewerbsordnung 719 Grundlegend: Court of Appeals, U.S. vs. Addyton Pipe & Steel Co., 85 F.271 (6th Cir. 1898). 720 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 206 Rn. 24. 721 Supreme Court, Standard Oil Company of New Jersey vs. U.S. 221, U.S. 1 (1911). 722 Mit weitern Nachweisen: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 209 Rn. 33. 723 Supreme Court, Board of Trade of the City of Chicago vs. U.S., 246 U.S. 231 (1918), 283. 724 Hierzu Ph. Areeda/H. Hovenkamp, Antitrust Law – An Analysis of Antitrust Principles and Their Application, Bd. VII, 2. Aufl. 2003, § 1505, S. 370–375.

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herausgebildet726, wobei Marktmacht die Vermutung der Ineffizienz gegen sich hat727. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen gelten per se als verboten728. (2) Freistellung/Legalausnahme nach Art. 81 Abs. 3 EGV Im EG-Wettbewerbsrecht sieht Art. 81 Abs. 3 EGV vor, wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EGV von dem Verbot auszunehmen, wenn diese zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen und den Verbraucher am entstehenden Gewinn angemessen beteiligen. Dabei dürfen den beteiligten Unternehmen keine Beschränkungen auferlegt werden, die nicht unerlässlich sind, um diese Ziele zu erreichen, und es darf ihnen nicht die Möglichkeit eröffnet werden, den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren auszuschalten729. Der Europäische Gerichtshof hat wiederholt klargestellt, dass alle diese Voraussetzungen im Einzelfall gleichzeitig erfüllt sein müssen730. Unter 725 T. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die Rule of Reason – Zur Konzeption der Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs, in: FIWSchriftenreihe, Heft 172, 1997, S. 50; L. Sullivan, Handbook of the Law of Antitrust, 1977, S. 186. Häufig wird in der Literatur der Begriff der rule of reason dennoch im Sinne einer Abwägung wirtschaftlicher Vor- und Nachteile verstanden, ohne zu spezifizieren, dass es sich um positive oder negative Wirkungen auf den Wettbewerb handeln muss, vgl. J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 96; R. Streinz, Europarecht, S. 390 Rn. 992. 726 H. Hovenkamp, Federal Antitrust Policy: The Law of Competition and its Practice, 2. Aufl. 1999, S. 47 ff., S. 74 ff. 727 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 210, 211 Rn. 38. Kritisch aber: H. Hovenkamp, Federal Antitrust Policy, S. 274 f. 728 Dennoch hat die US-Rechtsprechung durch widersprechende Entscheidungen dazu beigetragen, dass diese Regel an Trennschärfe verloren hat. Zu nennen ist hier der BMI-Fall, in dem der Supreme Court Ausnahmen vom Per-se-Verbot der Preisabsprachen zugelassen hat. Das Gericht rechtfertigte die Vergabe von Blankettlizenzen durch eine urheberrechtliche Verwertungsgesellschaft, vgl. Supreme Court, Broadcast Music Inc. vs. Columbia Broadcasting System, 441 U.S. 1 (1979). Im College-Football-Fall befand das Gericht die Gründung einer Verwertungsgesellschaft für die Vergabe von Übertragungsrechten nur deshalb als wettbewerbsbeschränkend, weil es sich um College-Football handelte. Hätte es sich jedoch um Liga-Football gehandelt, wäre sie zulässig gewesen, vgl. National Collegiate Athletic Corporation vs. Board of Regions, 468, U.S. 86 (1984). 729 Der Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 3 EGV ist derselbe, wie der von Art. 81 Abs. 1 EGV, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 329. 730 Grundlegend: EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/ Kommission), Slg. 1966, 322, 399; EuGH v. 17.01.1984, Rs. 43/82, 63/82 (VBVB

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Verbesserung der Warenerzeugung und Verteilung fallen neben der Verbreiterung des Waren- bzw. Leistungsangebots731 beispielsweise die Einsparung von Kosten732, die Erhöhung der Rentabilität733, die Verbesserung der Qualität734, Senkung der Preise735, die Erschließung neuer oder eine bessere Durchdringung der Märkte736, der Erhalt von Arbeitsplätzen737, Verbesserung der Infrastruktur738, aber auch die Volksgesundheit739 und der Schutz der Umwelt740. Unter der Förderung des technischen oder wirtu. a./Kommission), Slg. 1984, 19, 70, Rn. 61; EuG v. 23.02.1994, Rs. T-39/92 und T-40/92 (CB u. Europay/Kommission), Slg. 1994 II, 49, Rn. 110; EuG v. 08.06.1995, Rs. T-9/93 (Schöller/Kommission), Slg. 1995 II, 1611, Rn. 139; EuG v. 09.07.1992, Rs. T-66/89 (Publishers Association/Kommission), Slg. 1992 II, 1995, Rn. 69. Siehe auch: K. M. Meesen, Art. 81 Abs. 3, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I: Europäisches Recht, Kommentar, 2005, Rn. 7. 731 Vgl. KomE v. 13.12.1994 (Eurotunnel), ABl. 1994, Nr. L 354/66. 732 Vgl. EU-Kommission, Leitlinien horizontale Zusammenarbeit, Rn. 68 (Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen); KomE v. 22.12.1994 (Phillips), ABl. 1994, Nr. L 378/37. Kosten können nicht nur bei der Produktion, sondern auch bei der Verteilung eingespart werden, vgl. Verordnung Nr. 2790/1999 (Vertikalvereinbarungen), 6. Erwägungsgrund. 733 Vgl. EuG v. 15.07.1994, Rs. T-17/93 (Matra Hachette/Kommission), Slg. 1994 II, 595, 633, Rn. 109: Optimierung des Herstellungsverfahrens; EU-Kommission, Leitlinien horizontale Zusammenarbeit, Rn. 102: Erzielung von Skaleneffekten. Vgl. auch: KomE v. 04.07.1984 (Kunstfasern), ABl. 1984, Nr. L 207/17, 22 f.; KomE v. 22.07.1969 (Buderus), ABl. 1969, Nr. L 195/1, 3; KomE v. 20.12.1989 (TEKO), ABl. 1990, Nr. L 13/34, 37. 734 Vgl. KomE v. 19.07.1989 (Niederländische Banken), ABl. 1989, Nr. L 253/1, 10. 735 Durch Spezialisierungen, vgl. Verordnung Nr. 2658/2000 (Spezialisierungsvereinbarungen), 8. Erwägungsgrund. 736 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 350 Rn. 54 f.; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 423. Ein vom Hersteller auferlegtes Absatzverbot außerhalb des Vertragsgebietes kann unter Umständen zu einer Verbesserung der Warenverteilung im Vertragsgebiet beitragen, weil sich der Händler dann auf dieses Gebiet konzentriert, vgl. KomE v. 23.12.1977 (Campari), ABl. 1978, Nr. L 70/69. 737 Vgl. EuGH v. 11.07.1985, Rs. 42/84 (Remia u. a./Kommission), Slg. 1985, 2545, 2577, Rn. 42; EuGH v. 25.10.1977, Rs. 26/76 (Metro/Kommission), Slg. 1977, 1875, 1915; EuGH v. 11.07.1985, Rs. 42/84 (Remia u. a./Kommission), Slg. 1985, 2545, 2577, Rn. 42. 738 Verkehr: KomE v. 13.12.1994 (Eurotunnel), ABl. 1994, Nr. L 354/66, 72; KomE v. 16.01.1996 (Lufthansa), ABl. 1996, Nr. L 54/28, 36, Rn. 74. Energie: KomE v. 30.04.1991 (Scottish Nuclear), ABl. 1991, Nr. L 178/31, 34 Rn. 33; KomE v. 21.02.1994 (Energieagentur), ABl. 1994, Nr. L 68/35 37. 739 Vgl. KomE v. 06.10.1994 (Pasteur), ABl. 1994, Nr. L 309/1 Rn. Rn. 89. 740 Vgl. KomE v. 06.10.1994 (Pasteur), ABl. 1994, Nr. L 309/1; KomE v. 22.12.1994 (Phillips), ABl. 1994, Nr. L 378/37, 42 Rn. 68; EU-Kommission, Leitlinien horizontale Zusammenarbeit, Rn. 192 f.

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schaftlichen Fortschritts ist eine schnellere Entwicklung und Vermarktung neuer Technologien zu verstehen741. Die genannten Vorteile müssen innerhalb der Europäischen Union wirksam werden, jedoch nicht unbedingt in denselben Mitgliedstaaten, in denen die Unternehmen ihren Sitz haben742. Art. 81 Abs. 3 EGV setzt eine angemessene Beteiligung der Verbraucher am Gewinn voraus. Verbraucher sind die Abnehmer eines an dem Kartell beteiligten Unternehmens743, während unter Gewinn alle mit der wettbewerbsbeschränkenden Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit verbundenen Vorteile zu verstehen sind744. Die Bestimmung, dass die Beteiligung der Verbraucher an den Vorteilen des Kartells angemessen sein muss, verpflichtet zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips745. Vor- und Nachteile des Kartells müssen gegeneinander abgewogen werden, um festzustellen, ob die Vereinbarung spürbare objektive Vorteile für die Verbraucher mit sich bringt, die die mit dem Kartell verbundenen Nachteile deutlich überwiegen746. Die Vorteile müssen umso größer sein, je schwerwiegender die Wettbewerbsbeschränkung ist747. Die Weitergabe der ange741

Vgl. EU-Kommission, Leitlinien horizontale Zusammenarbeit, Rn. 68: „(. . .) wodurch verbesserte oder neue Produkte oder Technologien schneller entwickelt werden, als dies ohne Vereinbarung der Fall wäre.“. Hierzu auch: H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 304–316. 742 EuGH v. 17.01.1995, Rs. C-360/92 P (Publishers Association/Kommission), Slg. 1995 I, 23, 68 f. Rn. 29. 743 Unabhängig davon, ob es sich um Endverbraucher, Einzelhändler oder Wiederverkäufer handelt, vgl. H.-J. Bunte, Art. 81 – Generelle Prinzipien, in: Langen/ ders., Rn. 59; H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 353. 744 Vgl. beispielsweise EuG v. 15.07.1994, Rs. T-17/93 (Matra Hachette/Kommission), Slg. 1994 II, 595, Rn. 115–125. Vgl. auch: H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 317. 745 Die Prüfung der Angemessenheit ist der Wesenskern des auf der Idee der Gerechtigkeit beruhenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, welcher ein Gebot der praktischen Vernunft im kantianischen Sinn ist, vgl. A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insb. S. 51, 57; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 342 ff. Zur Definition der Angemessenheit siehe auch: KomE v. 12.12.1990 (KSB), ABl. 1991, Nr. L 19/25. 746 Grundlegend: EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/ Kommission), Slg. 1966, 322, 396. Der Gerichtshof stellt klar, dass nicht der subjektive Nutzen der beteiligten Unternehmen ausschlaggebend sein kann. Denn Vorteile für die Beteiligten Unternehmen „werden in der Regel nicht zu bestreiten sein“. Weitere: EuGH v. 29.10.1980, Rs. 209 bis 215 und 218-78 (van Landewyk u. a./Kommission), Slg. 1980, 3125, 3276 ff., Rn. 176, 185; EuGH v. 17.01.1984, Rs. 43/82, 63/82 (VBVB u. a./Kommission), Slg. 1984, 19, 88; EuG v. 27.02.1992, Rs. T-19/91 (Société d’Hygiène Dermatologique/Kommission), Slg. 1992 II, 415, 424 f.; EuG v. 08.06.1995, Rs. T-9/93 (Schöller/Kommission), Slg. 1995 II, 1611, 1662 ff. Vgl. auch: H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 353. 747 EuG v. 15.07.1994, Rs. T-17/93 (Matra Hachette/Kommission), Slg. 1994 II, 595, 625.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

messenen Vorteile muss mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein748. Den Unternehmen dürfen des Weiteren keine Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung der Ziele nicht unerlässlich sind749. Die Wettbewerbsbeschränkung muss also nicht nur mitursächlich, sondern notwendig sein, um die vorteilhaften Ziele zu erreichen. Aus dem Erfordernis der Unerlässlichkeit ergibt sich, dass die Wettbewerbsbeschränkung kausal für die geltend gemachten Vorteile sein muss750. Eine mildere, sprich wettbewerbskonformere Lösung darf es nicht gegeben751, weshalb die positive Wirkung nicht auch ohne die zu beurteilende Abrede erzielbar sein darf. Hierin zeigt sich erneut das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der Nachteile einer Wettbewerbsbeschränkung gegenüber möglicher positiver Wirkungen752. Die Rechtsprechung legt bei der Überprüfung des Unerlässlichkeitserfordernisses daher einen strengen Maßstab an753. Bei der Einschätzung der positiven Wirkungen einer Wettbewerbsbeschränkung ist der hypothetische Wettbewerb ohne Beschränkung heranzuziehen754. Auch wenn einer Wettbewerbsbeschränkung positive Wirkungen beigemes748

KomE v. 17.07.1968 (ACEC), ABl. 1968, Nr. L 201/7. Art. 81 Abs. 3 lit. a EGV. 750 K. M. Meesen, Art. 81 Abs. 3, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 17; J. Aicher/F. Schuhmacher, Art. 81, in: Grabitz/Hilf, S. 79 Rn. 272. 751 EuG v. 09.07.1992, Rs. T-66/89 (Publishers Association/Kommission), Slg. 1992 II, 1995, 2021 ff.; EuG v. 27.02.1992, Rs. T-19/91 (Société d’Hygiène Dermatologique/Kommission), Slg. 1992 II, 415, 425 f.; EuG v. 15.07.1994, Rs. T-17/93 (Matra Hachette/Kommission), Slg. 1994 II, 595, 641 ff.; EuGH v. 25.03.1981, Rs. 61-80 (Coöperatieve Stremsel u. a./Kommission), Slg. 1981, 851, 868 Rn. 18; EuG v. 23.02.1994, Rs. T-39/92 und T-40/92 (CB u. Europay/Kommission), Slg. 1994 II, 49, 91, Rn. 113–115; EU-Kommission, Leitlinien horizontale Zusammenarbeit, Rn. 35. 752 H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 319. Diese Auslegung entspricht den Kriterien, die der Europäische Gerichtshof im Urteil „Rau/Kommission“ zum Verhältnismäßigkeitsprinzip entwickelt hat. Die Mittel müssen zum Erreichen des Zwecks geeignet sein und dürfen das erforderliche Maß nicht überschreiten, vgl. EuGH v. 11.03.1987, Rs. 279/84, 280/84, 285/84, 286/84 (Rau u. a./Kommission), Slg. 1987, 1069, 1069 insb. Rn. 34. So auch die Definition im deutschen Verfassungsrecht, vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 142 Rn. 318. 753 M. w. N.: K. M. Meesen, Art. 81 Abs. 3, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 24. 754 KomE v. 19.02.1991 (Screensport), ABl. 1991, Nr. L 63/32. Dies ist besonders dann schwierig, wenn Beschränkungen bereits über einen langen Zeitraum bestehen und dadurch die Marktverhältnisse beeinflusst haben. Die Beurteilung des unbeschränkten Zustands ist mit vielen Unbekannten verbunden und kaum noch möglich. Die Schwierigkeit der Abwägung von Wahrscheinlichkeitsurteilen (hypothetischer Wettbewerb gegenüber voraussichtlich positiven Wirkungen), erkennt der Europäische Gerichtshof an, vgl. EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56, 58/64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, 397. 749

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sen werden, die angemessen und unerlässlich sind, um die gewünschten Vorteile zu erreichen, so kann sie nach Art. 81 Abs. 3 lit. b EGV dennoch nicht erlaubt sein, wenn durch die in Frage stehende Vereinbarung der Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren ausgeschaltet wird. Daraus folgt, dass in jedem Fall ein funktionsfähiger Wettbewerb erhalten bleiben muss, der weiterhin elementare Steuerungs- und Koordinierungsfunktion erfüllen kann755. Zur Überprüfung, ob der Wettbewerb für einen „wesentlichen Teil der betreffenden Waren“ ausgeschaltet ist, muss der relevante Markt bestimmt werden, auf dem der Wettbewerb erhalten bleiben soll756. Kennzeichen des bisherigen Freistellungssystems waren die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 1 EGV757 sowie die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 3 EGV758 und damit zusammenhängend die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Kommission über Freistellungsentscheidungen759. Die Freistellung wurde nur für einen bestimmten Zeitraum erteilt, der von der Art der Wettbewerbsbeschränkung und der Marktstellung der beteiligten Unternehmen abhing760. Voraussetzung für eine Freistellung war die formgerechte Anmeldung eines Kartells bei der Kommission761. Fehlte eine Anmeldung oder war sie unvollständig, kam 755

M. w. N.: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 424 f. Zum Marktanteil im Rahmen der Überprüfung des Tatbestandsmerkmals „wesentlicher Teil der betreffenden Waren“ siehe auch: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 356–358, Rn. 70–73. 757 EuGH v. 30.01.1974, Rs. 127/73 (Belgisches Radio/SV Sabam u. a.), Slg. 1974, 51, Rn. 16; EuGH v. 18.03.1997, Rs. C-282/95 P (Guérin Automobiles/Kommission), Slg. 1997 I, 1503, 1543 Rn. 39. 758 Grundlegend: EuGH v. 06.04.1962, Rs. 13-61 (Kledingverkoopbedrijf de Geus/Bosch), Slg. 1962, 99, 113; EuGH v. 13.02.1969, Rs. 14-68 (Wilhelm/Bundeskartellamt), Slg. 1969, 1, Rn. 5; EuGH v. 11.04.1989, Rs. 66/86 (Ahmed Saeed Flugreisen u. a./Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs), Slg. 1989, 803, Rn. 63. 759 Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 (ABl. 1962, Nr. 13/204, seit 1. Mai 2004 aufgehoben durch Verordnung 1/03, ABl. 2003, Nr. L 1/1). Die Freistellung wurde durch förmliche Entscheidung ausgesprochen und galt gegenüber jedermann, vgl. EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31-80 (L’Oréal/De Nieuwe Amck), Slg. 1980, 3775, 3793. 760 Art. 8 Abs. 1 der EG-Verordnung Nr. 17. Zum Verfahren: H. Schröter, Art. 85 – Wettbewerbsregeln, in: H. v. d. Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 5. Aufl. 1999, Rn. 264–279. 761 Art. 4 Abs. 1 Verordnung Nr. 17. Bestätigt durch: EuGH v. 10.07.1980, Rs. 30-78 (Distillers Co./Kommission), Slg. 1980, 2229, Rn. 19 ff.; EuGH v. 29.10.1980, Rs. 209 bis 215 und 218-78 (van Landewyk u. a./Kommission), Slg. 1980, 3125, Rn. 61; EuGH v. 07.06.1983, Rs. 100-103/80 (Musique Diffusion Française/Kommission), Slg. 1983, 1825, Rn. 93. Vgl. auch: H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 273. 756

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

eine Freistellung nicht in Frage, selbst wenn die Voraussetzungen erfüllt gewesen wären762. Die Folge war, dass die Kommission mit einer „Flut“ von Freistellungsanträgen konfrontiert wurde763. Abhilfe dieses Problems sah die Kommission im Erlass von Gruppenfreistellungsverordnungen und später auch so genannter comfort letters764. Gruppenfreistellungsverordnungen, die aber auch nach der Neuregelung ihre Gültigkeit nicht verloren haben765, erlässt die Kommission auf Ermächtigung vom Rat766. Sie bestehen aus einer Beschreibung der freizustellenden Vereinbarungen und enthalten ausführliche Listen verbotener Vertragsklauseln767. Es werden also Vereinbarungen kategorisiert, welche aufgrund weitgehender Gleichförmigkeit der 762 EuGH v. 07.06.1983, Rs. 100-103/80 (Musique Diffusion Française/Kommission), Slg. 1983, 1825, 1902. 763 EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 40. 764 Comfort letters waren einfache, rechtlich nicht bindende Verwaltungsschreiben (EuGH v. 10.07.1980, Rs. 253-78 und 1 bis 3-79 (Procureur de la République u. a./ Giry und Guerlain u. a.), Slg. 1980, 2327, Rn. 12; EuG v. 08.06.1995, Rs. T-9/93 (Schöller/Kommission), Slg. 1995 II, 1611, Rn. 110), in denen die Kommission mitteilte, dass sie im Augenblick keine Bedenken gegen bestimmte Vereinbarungen hatte. Zu Comfort Letters: H.-J. Bunte, Kartellrecht, 2003, S. 383 f. 765 Präambel der Verordnung 1/03, 10. Erwägungsgrund. 766 Vgl. Verordnung 19/65 für Alleinvertriebs-, Alleinbezugs- und Lizenzverträge, ABl. 1965, Nr. 36/533. Art. 83 EGV ermächtigt nur den Rat, Rechtsakte zur Verwirklichung der in Art. 81 und 82 EGV niedergelegten Grundsätze zu erlassen. Der Rat beschränkt die Ermächtigung der Kommission auf Vereinbarungen über Normen und Typen, Forschung und Entwicklung und Spezialisierungen. Sie muss durch Einzelfreistellungsentscheidungen zudem über ausreichend praktische Erfahrung in dem betreffenden Sachgebiet verfügen. 767 Ursprünglich enthielten die Gruppenfreistellungsverordnungen neben den verbotenen Vertragsklauseln auch Listen ausdrücklich erlaubter Vertragsklauseln (weiße Liste) und auch „graue“ Klauseln, die nach Anmeldung freigestellt waren, solange die Kommission keinen Widerspruch erhob. Durch die Ratsverordnung 1215/1999, ABl. 1999, Nr. L 148/1 wurde das Erfordernis, erlaubte Bestimmungen zu nennen, gestrichen. Im Zuge der Modernisierung des EG-Wettbewerbsrecht soll durch die neue Regelungstechnik eine größere Gruppe von Vereinbarungen von einer Gruppenfreistellungsverordnung erfasst werden, um so die Rechtssicherheit der Unternehmen auch im neuen Legalausnahmesystem zu erhöhen, vgl. EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 71. Die erste Gruppenfreistellungsverordnung erließ die Kommission 1967, nach welcher Alleinvertriebsvereinbarungen ohne absoluten Gebietsschutz freigestellt wurden, vgl. Verordnung Nr. 67/67 v. 22.03.1967, ABl. 1967, Nr. 57/849. Weitere Gruppenfreistellungsverordnungen: Patentlizenzvereinbarungen, Nr. 2349/84 v. 23.07.1984, ABl. 1984, Nr. L 219/15; Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen bei Kraftfahrzeugen, Nr. 1475/95 v. 28.06.1995, ABl. 1995, Nr. L 145/25; Spezialisierungsvereinbarungen, Nr. 417/85 v. 19.12.1984, ABl. 1985, Nr. L 53/1; Forschungs- und Entwicklungsgemeinschaften, ABl. 1985, Nr. L53/55; Franchiseverträge, Nr. 4087/88 v. 30.11.1988, ABl. 1988, Nr. L 359/46; Know-how-Lizenzverträge, Nr. 556/89 v. 30.11.1988, ABl. 1989, Nr. L 61/1; Technologietransfervereinbarungen, Nr. 240/96 v. 31.01.1996, ABl 1996 Nr. L 31/2.

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wettbewerbsrelevanten Wertungsgesichtspunkte einer typisierten Betrachtung zugänglich sind768. Voraussetzung war, dass die Vereinbarungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegen Art. 81 Abs. 1 EGV verstießen und gleichzeitig die Voraussetzungen des Abs. 3 erfüllten769. Freigestellt wurden also solche Vereinbarungen, für die auch eine Einzelfreistellung erteilt worden wäre770. Gruppenfreistellungsverordnungen waren wie alle Verordnungen für Behörden und Gerichte in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar und bindend771. Allerdings stand es einem Unternehmen frei, sich auf eine Gruppenfreistellungsverordnung zu berufen. Alternativ konnte es auch eine individuelle Freistellung anstreben772. Im Zuge der Reform wurden Vertikalvereinbarungen durch Änderung des Art. 4 Abs. 2 lit. a der Verordnung Nr. 17 generell von der Anmeldepflicht befreit und zudem die meisten773 Gruppenfreistellungsverordnungen über Vertikalvereinbarungen in der „Schirm-Gruppenfreistellungsverordnung“ Nr. 2790/99 zusammengefasst, durch die alle Vertikalvereinbarungen von der Anwendung des Art. 81 EGV ausgenommen werden, sofern der Marktanteil des Lieferanten 30% nicht überschreitet774. Mit den erwähnten comfort letters, ein in der jüngeren Praxis der Kommission entwickeltes Rechtsinstitut, erledigte die Kommission zuletzt weit über 90% der Verfahren775. Förmliche Freistellungsentscheidungen erließ die Kommission nur in rechtlich, wirtschaftlich oder politisch bedeutsamen Fällen776. Die Kartellverfahrensverordnung 1/03 hat das Freistellungssystem grundlegend verändert. Nach Art. 1 der Verordnung 1/03 wird das bisherige Verbot mit Erlaubnisvorbehalt durch ein Verbot mit Legalausnahme ersetzt777. 768

H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 287. M. Köppen, Gruppenfreistellungsverordnungen – Wirksamkeit und Rechtschutz, Frankfurt a. M. 2000, S. 64–83. 770 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 338. 771 EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, 992 Rn. 45 f.; EuG v. 09.07.1992, Rs. T-66/89 (Publishers Association/Kommission), Slg. 1992 II, 1995, 2011 f. 772 EuGH v. 18.12.1986, Rs. 10/86 (VAG France/Magne), Slg. 1986, 4071, 4088 f.; EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, 991; EuGH v. 15.02.1996, Rs. C-309/94 (Nissan France u. a./Dupasquier du Garage Sport), Slg. 1996 I, 677, 698 Rn. 15. 773 Verordnung Nr. 1983/83 und 1984/83 über Alleinvertriebsvereinbarungen (ABl. 1983, Nr. L 173/1 u. 7) und die Verordnung Nr. 4087/88 über Franchiseverträge (bereits in Fn. 767, 3. Teil). 774 Das gilt nicht für die so genannten Kernbeschränkungen, die nach wie vor verboten sind, vgl. Art. 4 der Verordnung Nr. 2790/99; Art. 5 der Gruppenfreistellungsverordnung Spezialisierungsvereinbarungen Nr. 2658/99. 775 EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 34. 776 EU-Kommission, Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der Mitgliedstaaten, ABl. 1993, Nr. C39/6, Rn. 14. 769

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Kartelle im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EGV, die nicht die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EGV erfüllen, sind verboten, ohne dass dies einer vorherigen Entscheidung bedarf778. Sind die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EGV erfüllt, sind sie nicht verboten, ebenfalls ohne dass es einer vorherigen Entscheidung bedarf779. Vereinbarungen, die im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV als wettbewerbsbeschränkend einzustufen sind, aber zugleich die Voraussetzungen des Abs. 3 erfüllen, sind also ex lege erlaubt. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 1/03 begründet die Zuständigkeit der nationalen Behörden und Gerichte nun auch für die Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EGV780. Ein Verstoß gegen das Kartellverbot erfordert neben dem Vorliegen der Voraussetzung des Art. 81 Abs. 1 EGV, dass die zur Entscheidung berufene Stelle feststellt, dass die Voraussetzungen der Ausnahme nach Art. 81 Abs. 3 EGV nicht vorliegen. Die Verordnung bewirkt die Umkehr des bisher gültigen Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Es entfällt das Freistellungsverfahren und damit die für die Unternehmen aufwendige Anmeldung. Die Kriterien, die nach altem Recht für die Freistellung erheblich waren, haben auch für die Auslegung durch die nationalen Behörden Gültigkeit781. Beibehalten wird die klare Trennung des Verbotstatbestandes nach Art. 81 Abs. 1 EGV von den Voraussetzungen, unter denen eine Freistellung nach Abs. 3 möglich ist782. Dies bestätigt die Beweislastregel in Art. 2 der Verordnung 1/03: Die Behörde, die eine Verhaltensweise nach Art. 81 Abs. 1 beanstandet, muss die für die Zuwiderhandlung erheblichen Tatsachen beweisen783. Das angeklagte Unternehmen muss seinerseits die besondere Voraussetzung nach Art. 81 Abs. 3 EGV nachweisen784. Gruppenfreistel777

Vgl. auch: 4. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung 1/03. 779 Art. 1 Abs. 2 der Verordnung 1/03. 780 Vgl. auch: 4. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03. Art. 81 Abs. 1 und Art. 82 EGV entfalteten nach ständiger Rechtsprechung aufgrund des eindeutigen und klaren Verbots auch zuvor unmittelbare Wirkung, vgl. EuGH v. 30.01.1974, Rs. 127/73 (Belgische Radio/SV Sabam u. a.), Slg. 1974, 51, Rn. 16. 781 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 344 Rn. 36. 782 Das Gericht erster Instanz hebt die Trennung des Verbotstatbestandes in Art. 81 Abs. 1 von den Voraussetzungen, nach denen das Verbot gemäß Abs. 3 unanwendbar ist, hervor, vgl. EuG, v. 18.09.2001 (M6 u. a./Kommission), Slg. 2001 II, 2459, 2488, Rn. 74. 783 Zur Beweislast siehe auch: W. Fikentscher, Das Unrecht einer Wettbewerbsbeschränkung: Kritik an Weißbuch und VO-Entwurf zu Art. 81, 82 EG-Vertrag, WuW 2001, S. 447 ff.; A. Weitbrecht, Das neue EG-Kartellverfahrensrecht, EuZW 2003, S. 72. 784 Art. 2 der Verordnung 1/03. Die Vorschrift übernimmt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat wiederholt klargestellt, dass das die Freistellung ersuchende Unternehmen die Beweislast trifft, vgl. EuGH v. 17.01.1984, 778

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lungsverordnungen sind durch die Neuregelung nicht gegenstandlos geworden785. Auch im System mit Legalausnahme steht es dem Gemeinschaftsgesetzgeber offen, Primärrecht durch Verordnungen zu konkretisieren786. Unternehmen können sich auf diese berufen. Hat die beanstandende nationale Behörde Zweifel daran, dass eine Vereinbarung unter eine Gruppenfreistellungsverordnung fällt, steht ihr die Auslegung durch ein nationales Gericht offen787. Dieses kann im Rahmen des Vorlageverfahrens nach Art. 234 lit. b EGV eine Auslegungsfrage an den Europäischen Gerichtshof richten. In einem System des Verbots mit Legalausnahme sind konstitutive Freistellungen und damit auch Gruppenfreistellungsvereinbarungen logisch jedoch nicht möglich788. Schließlich lässt sich Art. 81 Abs. 3 EGV nach der Neuregelung selbst als die weiteste Form einer Gruppenfreistellung ansehen789. Der Verzicht auf Freistellung und damit auf Anmeldung wird als einer der Erwägungsgründe für die Neuregelung angeführt790. Daher sind auch die Gruppenfreistellungsverordnungen im neuen System ohne Anmeldung gültig791. Dem Gedanken der Legalausnahme entspräche eher die Formulierung „Gruppen-Negativattest“792 oder im Wortlaut der Verordnung 1/03: „Gruppenfeststellungen der Nichtanwendbarkeit“793. Rs. 43/82, 63/82 (VBVB u. a./Kommission), Slg. 1984, 19, Rn. 52; EuGH v. 11.07.1985, Rs. 42/84 (Remia u. a./Kommission), Slg. 1985, 2545, Rn. 45; EuG v. 09.07.1992, Rs. T-66/89 (Publishers Association/Kommission), Slg. 1992 II, 1995, Rn. 69; EuG v. 15.07.1994, Rs. T-17/93 (Matra Hachette/Kommission), Slg. 1994 II, 595, 631; EuGH v. 25.03.1996, Rs. 137/95 P (SPO u. a./Kommission), Slg. 1996 I, 1611, Rn. 262; EuGH v. 18.09.2003, Rs. C-338/00 P (VW/Kommission), Slg. 2003 I, 9189, Rn. 73. 785 Vgl. Kapitel IX „Freistellungsverordnungen“ der Verordnung 1/03. 786 10. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03; K. M. Meesen, Art. 81 Abs. 3, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 3. 787 Gruppenfreistellungsverordnungen sind Verordnung im Sinne des Art. 249 EGV und damit unmittelbar geltendes und anwendbares Recht. Die Auslegung obliegt neben dem Europäischen Gerichtshof auch mitgliedstaatlichen Gerichten. 788 So auch A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch der Europäischen Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Art. 85 u. 86 EG-Vertrag (Art. 81 und 82 EGV), EuZW 2000, S. 7; R. Bechtold, Modernisierung des EG-Wettbewerbsrechts: Der Verordnungs-Entwurf der Kommission zur Umsetzung des Weißbuchs, BB 55 (2000), S. 2426 f. Anderer Ansicht K. Schmidt, Umdenken im Kartellverfahrensrecht! Gedanken zur Europäischen VO Nr. 1/2003, BB 58 (2003), S. 1241. 789 So A. Weitbrecht, Das neue EG-Kartellverfahrensrecht, EuZW 2003, S. 70. 790 3. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03; EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung Rn. 50, 53. 791 Art. 34 Abs. 1 der Verordnung 1/03 bestimmt, dass Anmeldungen gemäß Art. 4 und 5 der Verordnung Nr. 17, die die Anmeldepflicht von Gruppenfreistellungsverordnungen regelten, unwirksam sind. 792 A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 7.

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Die besondere Tragweite der Reform folgt daraus, dass es zunächst dem Urteil der beteiligten Unternehmen überlassen ist, ob sie die Ausnahmevoraussetzungen nach Art. 81 Abs. 3 EGV erfüllen oder unter eine Gruppenfreistellungsvereinbarungen fallen. Unternehmen, die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen treffen, werden überzeugt davon sein, ökonomisch richtig und im öffentlichen Interesse zu handeln794. Das Verbot wirkt daher juristisch zwar ex tunc, faktisch aber ex nunc, nämlich zu dem Zeitpunkt, in dem eine nationale Behörde, ein Gericht oder die Kommission einen Verstoß geltend macht795. Das Verbotsgesetz mutiert zu einem Missbrauchsgesetz, da die Unzulässigkeit einer Vereinbarung erst nachträglich festgestellt wird796. Im grundlegenden Bosch-Urteil hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Art. 81 Abs. 1 EGV als Verbotsgesetz und nicht als Missbrauchsgesetz auszulegen sei797. Bis zur Feststellung der Unzulässigkeit kann geraume Zeit vergehen. Wettbewerbsverstöße werden erst spät oder möglicherweise gar nicht aufgedeckt werden, wodurch der Wettbewerb erheblich beschränkt werden kann798. Im Nachhinein ist der Vergleich mit den hypothetischen Wettbewerbsverhältnissen, wie sie ohne die beanstandete Vereinbarung geherrscht hätten, und damit die Beurteilung, inwieweit diese die genannten positiven Wirkungen gefördert hat, nur schwer möglich799. Eine Überwachung der Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EGV 793 Art. 10 Verordnung 1/03 ermächtigt die Kommission, „Feststellungen der Nichtanwendbarkeit“ zu erlassen. 794 In diesem Sinne W. Fikentscher, Das Unrecht einer Wettbewerbsbeschränkung, WuW 2001, S. 450. 795 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 207 Rn. 29. 796 So auch E.-J. Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende in der EU – Zum Weißbuch der Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Art. 85 und 86 EGV a. F. (Art. 81 und 82 EGV n. F.), EuZW 1999, S. 524; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 381; W. Fikentscher, Das Unrecht einer Wettbewerbsbeschränkung, WuW 2001, S. 451 f. Anderer Ansicht aber: A. Schaub/R. Dohms, Das Weißbuch der Europäischen Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, WuW 49 (1999), S. 1066. 797 EuGH v. 06.04.1962, Rs. 13-61 (Kledingverkoopbedrijf de Geus/Bosch), Slg. 1962, 99, 113; EuGH v. 11.04.1989, Rs. 66/86 (Ahmed Saeed Flugreisen u. a./Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs), Slg. 1989, 803, Rn. 20. 798 Hierauf verweist: W. Fikentscher, Das Unrecht einer Wettbewerbsbeschränkung, WuW 2001, S. 450. 799 So E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 207 Rn. 29, S. 337 Rn. 18. Allerdings ist dieses Problem auch nach altem Recht aufgetreten. Viele Kartelle bestanden zu dem Zeitpunkt, an dem sich die Kommission mit einem Sachverhalt befasste, bereits lange Zeit. Das Abwägen von hypothetischen Wirkungen mit hypothetischen Marktverhältnissen ist die besondere Schwierigkeit beim Beurteilen von Sachverhalten im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EGV,

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durch eine möglichst einfache Verwaltungskontrolle, wie es Art. 83 lit. b EGV vorschreibt, ist mit dem System der Legalausnahme kaum zu vereinbaren. Das System der Legalausnahme beeinträchtigt dadurch die praktische Wirksamkeit des Kartellverbots in Art. 81 Abs. 1 EGV800. Eine Freistellung nach früherem Recht war ein konstitutiver Rechtsakt der Kommission. Die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen hatten einen Anspruch auf Freistellung, wenn die Voraussetzungen erfüllt waren801. Die Befreiung von der Freistellung und der damit verbundenen Anmeldepflicht wird von den Unternehmen offenbar nicht nur als Vorteil eingestuft802. Die aus dieser Selbstveranlagung resultierende Rechtsunsicherheit wird als der zentrale Nachteil des Systems der Legalausnahme angesehen803. Auch die „Feststellung der Nichtanwendbarkeit“ nach Art. 10 der Verordnung 1/03 schafft kaum Rechtssicherheit, zumal sie ohnehin nur in „Ausnahmefällen, wenn es das öffentliche Interesse der Gemeinschaft gebietet“ erteilt wird804. Diese hat eine ähnliche Rechtswirkung wie ein Negativattest nach altem Recht805. Sie ist lediglich deklaratorisch, nicht konstitutiv806. Die Kommission kann feststellen, dass im Moment der Entscheidung vgl. EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, 397. 800 Hierauf verweisen E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 337 Rn. 11 und 18. Das Gebot der praktischen Wirksamkeit (effet utile) hat der Europäische Gerichtshof auch für die Wettbewerbsregeln anerkannt, vgl. EuGH v. 20.09.2001, Rs. C-453/99 (Courage/Crehan), Slg. 2001 I, 6297, 6323 Rn. 26 f. 801 EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/Kommission), Slg. 1966, 322, 396 u. 399; EuG v. 12.07.1991, Rs. T-23/90 (Peugot/Kommission), Slg. 1991 II, 653, 668; EuGH v. 27.01.1987, Rs. 45/85 (Verband der Sachversicherer/ Kommission), Slg. 1987, 405, 462 Rn. 62. 802 Von der Verordnung 1/03 aber als ein solcher hervorgehoben, vgl. 3. Erwägungsgrund; ebenso EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 50. 803 Vgl. Pressemeldung des Bundeskartellamts v. 17.12.2003; P. Klocker, Fit machen für den „Kulturwechsel“, WuW 52 (2002), S. 1151. Auf die Rechtsunsicherheit weisen auch hin: A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 8; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 331, Rn. 7; K. Schmidt, Umdenken im Kartellverfahrensrecht, BB 58 (2003), S. 1239. Zum Teil wird die Meinung vertreten, dass sich die Rechtsunsicherheit durch die Neuregelung nicht verstärkt, vgl. R. Bechtold, Modernisierung des EG-Wettbewerbsrechts, BB 55 (2000), S. 2427 f., oder sogar verringere, vgl. A. Schaub/R. Dohms, Das Weißbuch der Europäischen Kommission, WuW 49 (1999), S. 1069 f. 804 14. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03. 805 EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 89 (Das Weißbuch spricht von „Genehmigung“); A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 7. Ein Negativattest war eine Bestätigung der Kommission, dass der in der Anmeldung beschriebene Vorgang keinen Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EGV darstellt, vgl. Art. 2 der Verordnung Nr. 17.

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kein Grund besteht, gegen eine Vereinbarung vorzugehen, weil entweder der Tatbestand nach Art. 81 Abs. 1 EGV nicht erfüllt ist oder die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EGV vorliegen. Eine Wirkung in die Zukunft hat sie nicht. Wenn sich die zu Grunde liegenden Tatsachen ändern, besteht die Legalausnahme nicht mehr. Die Feststellung kann jederzeit von der Kommission widerrufen werden807. Trotz ihres deklaratorischen Charakters und im Gegensatz zu den früheren Negativattesten haben die Feststellungen der Nichtanwendbarkeit eine faktisch bindende Wirkung gegenüber den nationalen Behörden und Gerichten808. Nimmt nämlich die Kommission ein Verfahren auf, so entfällt die Zuständigkeit der einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden für diesen Fall809. Die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten dürfen ein Verfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, nicht mehr einleiten bzw. müssen bereits eingeleitete Verfahren einstellen810. Über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen, die bereits Gegenstand einer früheren Entscheidung der Kommission sind, dürfen die mitgliedstaatlichen Behörden keine Entscheidungen erlassen, die der Entscheidung der Kommission widersprechen811. Auch die nationalen Gerichte dürfen keine einer Kommissionsentscheidung gegenläufige Entscheidungen treffen, selbst dann, wenn ein bei der Kommission anhängiges Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Das Gericht ist gehalten, das Verfahren gegebenenfalls bis zur Entscheidung der Kommission aussetzen812. Auf diese Weise behält die Kommission auch im System der Legalausnahme ihr Entscheidungsmonopol813. Auf welcher Grundlage die Verordnung ein zwar mit Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten ausgestattetes, letztlich aber zwischenstaatliches Verwaltungsorgan, wie es die Kommission ist, ermächtigt, nationalen Gerichten Entscheidungen vorzugeben, ist nicht ersichtlich814. 806

14. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03. Vgl. auch: H. Sauter, H. I § 3, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatts., Stand 2006, Rn. 7. 807 A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 7, 9. 808 Im Schluss so auch K. Schmidt, Umdenken im Kartellverfahrensrecht, BB 58 (2003), S. 1242. 809 Art. 11 Abs. 6 der Verordnung 1/03. 810 Das gilt selbst dann, wenn ein Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Anwendung der Verordnung gemäß Art. 35 Abs. 1 Verordnung 1/03 nicht einer Behörde, sondern einem Gericht zuweist, vgl. Art. 35 Abs. 3, 4 Verordnung 1/03. 811 Art. 16 Abs. 2 der Verordnung 1/03. 812 Art. 16 Abs. 1 der Verordnung 1/03. 813 Dieses sollte aber gerade aufgehoben werden, vgl. EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 72, 94. 814 Eine demokratische Legitimation, gerichtliche Entscheidungen durch ein zwischenstaatliches Organ vorwegzunehmen, gibt es nicht. Gerichte gewährleisten die

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Wie das auch nach altem Recht bei der Beantragung eines Negativattests der Fall war815, sind Unternehmen in der Zeit zwischen der Beantragung und der Feststellung der Nichtanwendbarkeit vor Buße geschützt816, da die nationalen Wettbewerbsbehörden ihre Zuständigkeit verlieren, sobald die Kommission tätig wird, und auch die Gerichte keine der Kommission gegenläufigen Entscheidungen treffen dürfen. Aufgrund dieser Regelung gilt eine von der Kommission ausgesprochene Feststellung der Nichtanwendbarkeit solange, bis die Kommission feststellt, dass die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Die Feststellung der Nichtanwendbarkeit ist von daher Einhaltung subjektiver Rechte, die den Bürgern in allgemeinen Gesetzen zuerkannt werden und durch welche die Bürger ihre Freiheit verwirklichen, indem sie diese achten; denn Gesetze schützen einen jeden vor des anderen nötigender Willkür (I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 34; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, insb. S. 294, S. 305, S. 534, S. 617 ff.). Die mit der Menschheit des Menschen geborene Freiheit (I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 34) ist Grundlage jeden Rechts, welches letztlich nur die Freiheit materialisiert. Das Recht, seinerseits materialisiert in Gesetzen, ist Geltungsgrund eines jeden Staates, wenn man den Staat republikanisch, also kantianisch als Civitas, als Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen (I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 129) versteht (K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 519 ff.). Die Organe der Europäischen Union sind mit Hoheitsrechten, also Staatlichkeit ausgestattet, die die Völker Europas diesen übertragen haben (in Deutschland aufgrund der Art. 23, 24 GG). Das Gemeinschaftsrecht ist keine von der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten deutlich geschiedene, autonome Rechtsordnung, wie es das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs judiziert. Es ist vielmehr Teil der innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, welche den Geltungsgrund des Gemeinschaftsrechts darstellen (P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: HStR, Bd. VII, S. 884 Rn. 63). Die gemeinsam ausgeübte Staatlichkeit durch Übertragung von Hoheitsrechten ist die Staatlichkeit der Mitgliedstaaten, die auf Organe der Europäischen Union übertragen wurde; es ist die gemeinschaftliche Ausübung der Staatlichkeit der Völker Europas (K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Gemeinschaftsrecht in Deutschland, S. 108 f.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 92 und 97; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 74). Die Übertragung von Staatlichkeit auf Gemeinschaftsorgane entspricht dem Willen der Bürger und ist insoweit rechtens, denn Recht ist der allgemeine Wille der Bürger für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit (K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (1995), S. 76.; ders., Res publica res populi, insb. S. 519 ff., 350 ff., 617 ff.; zu dieser Dogmatik bereits oben, Teil 1, IV. 1, S. 96 ff.). Die Vorwegnahme von Gerichtsurteilen bedeutet eine Einschränkung des Rechts und damit der Freiheit, die transzendentaler Geltungsgrund des Rechts ist. Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Organe rechtfertigt nicht, die Freiheit der Bürger einzuschränken, auf deren Grundlage die Übertragung der Hoheitsrechte stattfindet. Kritisch auch: A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 9. 815 Vgl. Art. 15 Abs. 5 der Verordnung Nr. 17. 816 Anderer Ansicht A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 8.

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mit einer Genehmigung nach altem Recht zu vergleichen, als diese ihre Rechtswirkung ebenfalls erst verlor, wenn sie von der Kommission widerrufen wurde. Positiv zu beurteilen ist, dass Feststellungen der Nichtanwendbarkeit nur von der Kommission und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, von Organen der Mitgliedstaaten erlassen werden können. Die Versuchung wäre sonst groß, die Unternehmen im eigenen Mitgliedstaat durch eine großzügige Erteilung solcher Negativatteste zu schützen. Neben einer Feststellung der Nichtanwendbarkeit kann die Kommission im Rahmen von Verpflichtungszusagen der Unternehmen in einer befristeten Entscheidung erklären, dass für ein Tätigwerden der Kommission kein Anlass mehr besteht817. Exkurs: Kritik an der Reform des EG-Kartellrechts Ursprünglich war umstritten, ob es sich bei Art. 81 EGV um ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt wie in Deutschland oder um eine Legalausnahme mit nachheriger Kontrolle wie in Frankreich handelt818. Nach Auffassung der Kommission wurde die negative Formulierung in Art. 81 EGV gewählt, um dem Gemeinschaftsgesetzgeber die Freiheit zu lassen, zwischen beiden Systemen zu wählen819. Der Wortlaut spricht hingegen deutlich für ein Verbot mit Freistellungsvorbehalt anstelle einer Legalausnahme820. Hätte man ein anderes System zulassen wollen, hätte man dies eindeutig anders formulieren müssen821. Jedenfalls ist allein der Europäische Gerichtshof zuständig, den Wortlaut des EG-Vertrags auszulegen822. Dieser entschied, wie erwähnt, dass Art. 81 Abs. 3 EGV ein Verbots- und kein Missbrauchsgesetz 817

Art. 9 Abs. 1 der Verordnung 1/03. A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 5 f.; EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 11, 12; L. F. Pace, Die Dezentralisierungspolitik im EG-Kartellrecht, EuZW 2004, S. 302 f. in Fn. 8 u. 26; E.-J. Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende in der EU, EuZW 1999, S. 524 f. 819 EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 12, 13 und 69. Dies bezweifelt der damalige Beisitzer des EU-Parlaments A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 5. 820 Das Verbot nach Art. 81 Abs. 1 EGV kann gemäß Abs. 3 „für nicht anwendbar erklärt werden“. So auch E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 334 Rn. 11; A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 5; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 381. Anders aber wohl R. Bechtold, Modernisierung des EG-Wettbewerbsrechts, BB 55 (2000), S. 2425 f.; A. Geiger, Das Weißbuch der EG-Kommission zu Art. 81, 82 EG – Eine Reform, besser als ihr Ruf, EuZW 2000, S. 165; A. Schaub/R. Dohms, Das Weißbuch der Europäischen Kommission, WuW 49 (1999), S. 1065 f. 821 A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 6; E.-J. Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende in der EU, EuZW 1999, S. 525. 822 Art. 234 EGV. 818

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sei823. Das Verbotsgesetz mit gesetzlicher Ausnahme ermöglicht aber, wie dargestellt, lediglich eine nachträgliche Missbrauchskontrolle. Auch die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 3 EGV widerspricht dem Wortsinn des Art. 81 EGV. Wie bereits im ersten Teil dieser Arbeit dargestellt wurde824, sind nur solche Normen unmittelbar anwendbar, die abschließend, inhaltlich klar und rechtlich eindeutig sind, zu ihrer Anwendbarkeit keiner weiteren Ausführungsakte bedürfen und den Mitgliedstaaten keinen Ermessensspielraum lassen825. Nach Ansicht der Kommission sind diese Voraussetzungen gegeben. Durch die Rechtsprechung und die Praxis der Kommission sei Art. 81 Abs. 3 EGV hinreichend materialisiert worden826. Der Europäische Gerichtshof hat der EU-Kommission bei der Beurteilung der allgemein formulierten Freistellungsvoraussetzungen jedoch stets einen erheblichen Beurteilungsspielraum zugestanden, denn die Würdigung komplexer wirtschaftlicher Bewertungen, die zudem noch prognostische Züge tragen, seien nur einer eingeschränkten richterlichen Überprüfung zugänglich827. Dieser Ermessensspielraum, anhand dessen auch die „Erfordernisse der Aufrechterhaltung eines wirksamem Wettbewerbs mit der Wahrung andersartiger Ziele in Einklang gebracht werden können“828, steht einer unmittelbaren Anwendbarkeit entgegen. Die gerichtliche Kontrolle von Freistellungsentscheidungen war denn auch stets darauf beschränkt zu überprüfen, ob die Europäische Kommission die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten hat und der Tatbestand richtig und 823 Grundlegend: EuGH v. 06.04.1962, Rs. 13-61 (Kledingverkoopbedrijf de Geus/Bosch), Slg. 1962, 99. 824 Teil 1, IV. 1. 825 EuGH v. 05.02.1963, Rs. 26/62 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung), Slg. 1963, 1, 25. 826 EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 70 f. 827 Grundlegend: EuGH v. 13.07.1966, Rs. 56 u. 58-64 (Grundig u. Consten/ Kommission), Slg. 1966, 322, R. 12.; EuGH v. 11.07.1985, Rs. 42/84 (Remia u. a./ Kommission), Slg. 1985, 2545, Rn. 34; EuGH v. 17.01.1984, Rs. 43/82, 63/82 (VBVB u. a./Kommission), Slg. 1984, 19, Rn. 58; EuGH v. 17.11.1987, Rs. 142 u. 156/84 (British American Tobacco u. a./Kommission), Slg. 1987, 4487, 4583; EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, Rn. 44; EuG v. 15.07.1994, Rs. T-17/93 (Matra Hachette/Kommission), Slg. 1994 II, 595, 631 f. Rn. 104; EuG v. 08.06.1995, Rs. T-9/93 (Schöller/Kommission), Slg. 1995 II, 1611, 1663; EuGH v. 20.09.2001, Rs. C-453/99 (Courage/Crehan), Slg. 2001 I, 6297, 6323, Rn. 26 f.; E.-J. Mestmäcker, Stellungnahme zum Weißbuch der EU-Kommission, S. 526; U. Everling, Zur richterlichen Kontrolle der Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung durch die Kommission in Wettbewerbssachen, WuW 39 (1989), S. 888 ff.; H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 269. 828 EuGH v. 25.10.1977, Rs. 26/76 (Metro/Kommission), Slg. 1977, 1875, 1905, Rn. 21.

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vollständig in einer alle relevanten Tatsachen umfassenden Untersuchung festgestellt wurde829. Art. 81 Abs. 3 EGV ist aufgrund seiner Unbestimmtheit nach ständiger Praxis des Gerichtshofs gerade nicht unmittelbar anwendbar830. Art. 83 EGV ermächtigt den Rat nur, die in den Art. 81, 82 EGV niedergelegten Grundsätze zu materialisieren. Eine Ermächtigung zu einer materiellen Vertragsänderung gibt weder Art. 83 EGV831 noch die Generalbefugnis nach Art. 308 EGV832. Es ist somit fraglich, ob die Gemeinschaft mit dem Erlass der Verordnung 1/03 nicht ultra-vires gehandelt hat833. Eine gemäß Art. 83 EGV erlassene Verordnung kann den nationalen Behörden und Gerichten aber auch schon deshalb nicht die Anwendung des Art. 81 Abs. 3 EGV vorschreiben, weil die mitgliedstaatlichen Organe nicht Adressaten dieser nicht unmittelbar anwendbaren Norm sind. Wie eine Bilanzierung der Vor- und Nachteile, zumal gemessen an den konkurrierenden Politikzielen der Gemeinschaft, von den nationalen Gerichten gehandhabt werden soll, wenn nicht einmal der Europäische Gerichtshof sich hierzu in der Lage sieht, ist nicht ersichtlich834. Diese haben seit jeher 829 EuGH v. 27.01.1987, Rs. 45/85 (Verband der Sachversicherer/Kommission), Slg. 1987, 405, 462 Rn. 61; EuGH v. 17.11.1987, Rs. 142 u. 156/84 (British American Tobacco u. a./Kommission), Slg. 1987, 4487, Rn. 62; EuG v. 21.02.1995, Rs. T-29/92 (SPO u. a./Kommission), Slg. 1995 II, 289, 382; EuG v. 11.07.1996, Rs. T-528/93, T-542/93, T-543/93 und T-546/93 (Métropole télévision u. a./Kommission), Slg. 1996 II, 649, 683; Vgl. auch: K. M. Meesen, Art. 81 Abs. 3, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 5. 830 Grundlegend: EuGH v. 06.04.1962, Rs. 13-61 (Kledingverkoopbedrijf de Geus/Bosch), Slg. 1962, 99, 113; EuGH v. 13.02.1969, Rs. 14-68 (Wilhelm/Bundeskartellamt), Slg. 1969, 1, Rn. 5; EuGH v. 11.04.1989, Rs. 66/86 (Ahmed Saeed Flugreisen u. a./Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs), Slg. 1989, 803, Rn. 63. Diese Argumentation findet sich bei: E.-J. Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende in der EU, EuZW 1999, S. 526. 831 So auch die herrschende Meinung, vgl. H. Schröter, Art. 83 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 7; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 334 Rn. 11; A. Reidlinger, Art. 83, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 5; I. Pernice, Art. 87, in: Grabitz/Hilf, Kommentar – Maastrichter Fassung, Rn. 2. 832 Dass die Auslegung des EG-Vertrags im Ergebnis nicht einer Vertragsänderung gleichkommen darf, hat das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil ausgesprochen, vgl. BVerfGE 89, 155, (210). 833 So A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 5–8.; E.-J. Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende in der EU, EuZW 1999, S. 525–527; kritisch auch: A. Weitbrecht, Das neue EG-Kartellverfahrensrecht, EuZW 2003, S. 69 ff.; W. Fikentscher, Das Unrecht einer Wettbewerbsbeschränkung, WuW 2001, S. 446 ff. Weniger kritisch aber: K. Schmidt, Umdenken im Kartellverfahrensrecht, BB 58 (2003), S. 1237 ff.

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Schwierigkeiten mit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts835. Die neuen EU-Mitgliedstaaten, in denen das Wettbewerbsrecht noch jung ist, werden aufgrund mangelnder Erfahrung noch größere Probleme bekommen836. Neben der Rechtsunsicherheit für die beteiligten Unternehmen ist der Rechtsschutz Dritter ein weiteres Problem. Im Genehmigungssystem hatte die Kommission die Pflicht, die negativen mit etwaigen positiven Wirkungen einer Vereinbarung abzuwägen. Im System der gesetzlichen Ausnahme werden die beteiligten Parteien im Streitfall allein die aus ihrer Sicht relevanten Standpunkte darlegen. Einem Dritten wird der Negativbeweis, dass die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EGV nicht vorliegen, kaum gelingen837. Fraglich ist, ob die Einheitlichkeit der Auslegung in einem System gewährleistet werden kann, das von Organen in 25 verschiedenen Mitgliedstaaten angewendet wird838. Wirken sich Kartelle in mehreren Mitgliedstaaten aus, was nicht unwahrscheinlich sein dürfte, wenn ein Sachverhalt geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, werden dieselben Fälle von verschiedenen Behörden bearbeitet839. Art. 13 der Verordnung 1/03 bestimmt daher, dass eine Behörde oder die Kommission einen Fall zurückweisen kann, wenn er bereits von einer Behörde eines ande834 J. P. Terhechte, Die Reform des Europäischen Kartellrechts – am Ende eines langen Weges?, EuZW 2004, S. 353; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 359 Rn. 77. 835 Untersuchungen über die bisherige Anwendung der Wettbewerbsregeln durch mitgliedstaatliche Organe zeigen weitgehende Schwierigkeiten, die von Kommission und Gerichtshof entwickelten Grundsätze anzuwenden, vgl. hierzu P. Behrens (Hrsg.), EEC competition rules in national courts, Bd. I–IV, 1992–2000. Es wird darauf hingewiesen, dass die Missachtung des Gemeinschaftskartellrechts eher die Regel als die Ausnahme ist, vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 405. 836 A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 11, hält das System der Legalausnahme in den Beitrittsländern daher für eine Katastrophe; ähnlich: E.-J. Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende in der EU, EuZW 1999, S. 525. Eine komplikationslose Anwendung des EG-Kartellrechts durch nationale Gerichte bezweifelt auch: J. P. Terhechte, Die Reform des Europäischen Kartellrechts, EuZW 2004, S. 353. 837 A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 8; E.-J. Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende in der EU, EuZW 1999, S. 528 f.; Anders aber K. Schmidt, Umdenken im Kartellverfahrensrecht, BB 58 (2003), S. 1239, der eher bei der herkömmlichen konstitutiven Kommissionsentscheidung den Drittschutz gefährdet sieht. 838 Die Einheitliche Anwendung der Art. 81 und 82 EGV ist aber gerade eines der Erwägungsgründe für die Neureglung, vgl. 1. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03. 839 In Anerkennung dieses Problems sieht der 18. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03 vor, dass dies möglichst vermieden werden sollte.

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ren Mitgliedstaates behandelt wird (Abs. 1) oder wurde (Abs. 2). Die Verordnung 1/03 sieht keine Bestimmung für den Fall vor, dass sie dies nicht tut. Verschiedene Auslegungen sind dann möglich, so dass der gleiche Sachverhalt in einem Mitgliedstaat verboten und in einem anderen erlaubt sein kann840. Auch Doppelbestrafungen sind dadurch nicht mehr ausgeschlossen. Zudem sind die einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden befugt, den Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellungsverordnung im Einzelfall in ihrem Mitgliedstaat zu entziehen, wenn dadurch Wirkungen verhindert werden, die mit Art. 81 Abs. 3 EGV unvereinbar sind und das Gebiet oder Teilgebiet dieses Mitgliedstaates einen gesonderten geographisch relevanten Markt bildet841. Es ist demnach möglich, dass eine Vereinbarung in einem Mitgliedstaat den Tatbestand einer Gruppenfreistellungsverordnung erfüllt und zulässig ist, in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund gegenteiliger Entscheidung der Wettbewerbsbehörde dieses Staates jedoch nicht praktiziert werden darf. Gegen diese Kritik ist allerdings einzuwenden, dass eine möglicherweise unterschiedliche Auslegung der gleichen Vorschriften einer einheitlicheren Rechtsanwendung weniger abträglich ist als die Anwendung gänzlich unterschiedlicher nationaler Vorschriften. Wenn den Mitgliedstaaten wie bisher ein Ermessensspielraum hinsichtlich eines Verbotes solcher Tatbestände belassen wird, die in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, aber nicht gegen Art. 81 Abs. 1 EGV verstoßen, so führt dies insoweit zu einer uneinheitlichen Anwendung des Kartellverbots in der Gemeinschaft, als Vereinbarungen dann in einigen Mitgliedstaaten verboten sein können, während die gleichen Abreden in anderen Mitgliedstaaten aufgrund milderer nationaler Bestimmungen erlaubt sind. Einem Unternehmen ist es zudem schwer vermittelbar, warum eine Verhaltensweise bisher nach nationalem Recht verboten sein konnte, die nicht gegen Art. 81 EGV verstößt, während Verhaltensweisen, die sogar den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EGV erfüllen, unter den Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EGV freigestellt und damit innerstaatlich nicht verboten werden konnten. Die faktische ausschließliche Anwendbarkeit des EG-Kartellrechts auf Absprachen, die in den Anwendungsbereich des Art. 81 EGV fallen, ist geeignet und erforderlich, um gleiche Bedingungen im Binnenmarkt842 zu schaffen und eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft843 zu fördern. Der Kritik, Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 1/03 gehe 840 Dass verschiedene Wettbewerbsbehörden zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Beurteilung des gleichen Sachverhalts kommen, ist aufgrund der komplexen ökonomischen Bewertungen, bei denen hypothetische Wettbewerbsverhältnisse mit hypothetischen positiven Wirkungen abgewogen werden, leicht vorstellbar. 841 Art. 29 Abs. 2 Verordnung 1/03. 842 8. Erwägungsgrund der Verordnung 1/03.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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über das erforderliche Maß zur Erreichung des Zwecks, der Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt, auf den sich die Ermächtigung des Art. 83 Abs. 2 lit. e EGV stützt844, hinaus und sei daher wegen Verletzung des in Art. 5 Abs. 3 EGV normierten Verhältnismäßigkeitsprinzips rechtswidrig845, kann nicht gefolgt werden846. Ob allerdings die Kommission durch die Neuerungen tatsächlich wie geplant entlastet wird, bleibt abzuwarten. Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Behörden und Gerichten der Mitgliedstaaten und der Kommission können diese Anfragen an die Kommission richten847. Die nationalen Wettbewerbsbehörden müssen der Kommission mitteilen, wenn sie ein Verfahren einleiten848. 30 Tage vor Erlass der Entscheidung muss die mitgliedstaatliche Behörde eine zusammenfassende Darstellung des Falls zusammen mit allen relevanten Informationen und Unterlagen an die Kommission übermitteln, damit diese entscheidet, ob sie den Fall an sich zieht849. Im Rahmen des gegenseitigen Informationsaustauschs sind Kommission und Behörden berechtigt, sich gegenseitig Informationen zukommen zu lassen850. Auch Gerichte können die Kommission um in ihrem Besitz befindliche Informationen oder um Abgabe von Stellungnahmen bitten851 und 843 Die Förderung einer harmonischen Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft ist nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs der Zweck des Art. 81 EGV, vgl. EuGH v. 13.02.1969, Rs. 14-68 (Wilhelm/Bundeskartellamt), Slg. 1969, 1, Rn. 5; EuGH v. 11.04.1989, Rs. 66/86 (Ahmed Saeed Flugreisen u. a./ Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs), Slg. 1989, 803, Rn. 63. 844 Nach ständiger Rechtsprechung sollen aufgrund des Art. 83 EGV erlassene Verordnungen den in Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV verfolgten Zweck, die Gewährleistung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs, verwirklichen. Vgl. statt vieler: EuGH v. 26.06.1980, Rs. 136-79 (National Panasonic UK/Kommission), Slg. 1980, 2033, Rn. 20. 845 L. F. Pace, Die Dezentralisierungspolitik im EG-Kartellrecht, EuZW 2004, S. 303–305; A. Deringer, Stellungnahme zum Weißbuch, EuZW 2000, S. 5 ff.; E.-J. Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende in der EU, EuZW 1999, S. 525 ff.; Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft, Gutachten zur Reform der europäischen Kartellpolitik v. 01.07.2000, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), BMWi-Dokumentation Nr. 480, 2000, insb. S. 9 ff. 846 Die Verordnung 1/03 hält im 34. Erwägungsgrund vorsorglich fest, dass diese „im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip (. . .) nicht über das zur Erreichung ihres Ziels einer wirksamen Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Erforderliche“ hinausgeht. 847 Art. 11 Abs. 5 der Verordnung 1/03. 848 Art. 11 Abs. 3 der Verordnung 1/03. 849 Art. 11 Abs. 4 der Verordnung 1/03. 850 Art. 12 Abs. 1 der Verordnung 1/03. 851 Art. 15 Abs. 1 der Verordnung 1/03.

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sind ihrerseits verpflichtet, der Kommission eine Ausfertigung jedes Urteils über die Anwendung der Art. 81 und 82 EGV zuzusenden. Die Kommission kann den Gerichten Stellungnahmen übermitteln, wenn sie es für eine kohärente Auslegung der Art. 81 und 82 EGV für notwendig erachtet852. Aufgrund der vorgesehenen Kommunikation zwischen der Kommission und den Organen der Mitgliedstaaten ist es vorstellbar, dass die Neuregelung des EG-Wettbewerbsrechts die Kommission nicht wesentlich entlastet. Sie behält weiterhin sämtliche in der Europäischen Union auftretenden Fälle im Auge. Rule of reason im EG-Wettbewerbsrecht? Im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EGV wird geprüft, inwieweit Wettbewerbsbeschränkungen positive wirtschaftliche Wirkungen beigemessen werden können, aufgrund derer, Verhältnismäßigkeit vorausgesetzt, die Einschränkung des Wettbewerbs gerechtfertigt sein kann. Der Tatbestand des Art. 81 Abs. 3 EGV enthält also Öffnungen gegenüber außerwettbewerblichen Zielen der Unionspolitik853. Eine solche Abwägung findet im Rahmen der rule of reason im US-Antitrustrecht nicht statt854. Im Standard-OilFall stellt der US Supreme Court klar, dass allgemeine Ziele eine Wettbewerbsbeschränkung nicht rechtfertigen können, sondern nur solche, die Voraussetzung für einen funktionsfähigen Wettbewerb sind855. Eine Analogie zur rule of reason ist im Fall von Art. 81 Abs. 3 EGV daher nicht gegeben856 und wurde von der Rechtsprechung abgelehnt857. Andererseits findet im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EGV keine globale Bilanzierung wirtschaftlicher Vor- und Nachteile vergleichbar mit der bilán economique im französischen Wettbewerbsrecht statt858. Nur die genannten Ziele können eine Wettbewerbsbeschränkung ausnahmsweise rechtfertigen. Das geht eindeutig aus Art. 81 Abs. 3 lit. a EGV hervor: Die Wettbewerbsbeschränkung muss für die Verwirklichung „dieser Ziele“ unerlässlich sein859. Neben den in Art. 81 Abs. 3 EGV genannten Zielen ist die Abwä852

Art. 15 Abs. 3 der Verordnung 1/03. K. M. Meesen, Art. 81 Abs. 3, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 9 u. 11. 854 Siehe bereits oben Teil 3, III. 2. a), dd), (1). 855 Supreme Court, Standard Oil Company of New Jersey vs. US, 221 U.S. 1 (1911). 856 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 215 Rn. 51, S. 342 f. Rn. 34 u. S. 353 Rn. 62. 857 EuG v. 18.09.2001, Rs. T-112/99 (Métropole/Kommission), Slg. 2001 II, 2459, 2488 Rn. 72. 858 Anders aber wohl H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 307. 853

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gung objektiver Vor- und Nachteile einer Verhaltenskoordination allerdings auch im Lichte der Grundsätze und Vertragsziele nach Art. 2 und 3 EGV durchzuführen860. Die dort genannten Ziele sind so allgemein und weit formuliert861, dass schließlich doch Gemeinwohlinteressen862, das allgemeine Interesse863, gesamtwirtschaftliche Wirkungen864 oder der gesamtwirtschaftliche Nutzen865 negative Wirkungen einer Wettbewerbsbeschränkung rechtfertigen können866. Die Feststellung, ob eine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 81 Abs. 1 EGV vorliegt, ist insoweit mit der rule of reason vergleichbar, als die Reichweite des Verbotstatbestandes in Übereinstimmung mit seinem Zweck auch im EG-Wettbewerbsrecht überprüft und gegebenenfalls eingeschränkt wird. Der Europäische Gerichtshof wie auch die Kommission haben in einer Reihe von Fällen eine Wettbewerbsbeschränkung verneint, weil die beanstandete Vereinbarung den Wettbewerb in Wirklichkeit fördere und nicht beschränke867 oder zumindest nicht in jedem Fall unter die Vorschrift des Art. 81 Abs. 1 EGV falle868. Ebenso wie die Per-se-Verbote im US-Antitrustrecht sind die so genannten Kernbeschränkungen wie die Festsetzung von Mindest- oder Festpreisen, Produktionsbeschränkungen, die Aufteilung 859 Gegen eine globale Bilanzierung von Vor- und Nachteilen im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EGV auch: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 342 f. Rn. 34, S. 353 Rn. 62. 860 Der Europäische Gerichtshof stellt klar, dass im Rahmen des Art. 81 Abs. 3 EGV das Erfordernis der Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs mit der Wahrnehmung andersartiger Ziele in Einklang gebracht werden muss, vgl. EuGH v. 25.10.1977, Rs. 26/76 (Metro/Kommission), Slg. 1977, 1875, 1905, Rn. 21. Vgl. auch: H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 304. 861 Unter anderen: Förderung einer harmonischen, ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung des Wirtschaftslebens, eines hohen Beschäftigungsniveaus, der Gleichstellung von Männern und Frauen, Umweltschutz und Verbesserung der Lebensqualität, vgl. Art. 2 EGV. 862 Vgl. H. Schröter, Art. 81 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 317. 863 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 348 Rn. 50. 864 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 348 Rn. 49. 865 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 344 Rn. 39. 866 Zur Anwendung der rule of reason im Rahmen von Art. 81 EGV auch: I. Brinker, Art. 81 EGV, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar S. 948 f. 867 EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, Rn. 11 ff. EuGH v. 15.12.1994, Rs. C-250/92 (Goettrup-Klim/DLG), Slg. 1994 I, 5641, 5668 ff.; EuGH v. 28.04.1998, Rs. 306/96 (Javico/Yves Saint Laurent), Slg. 1998 I, 1983, 2004 f. 868 EuGH v. 28.01.1986, Rs. 161/84 (Pronuptia/Pronuptia), Slg. 1986, 353, Rn. 27.

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der Märkte oder von Kunden sowie Gebietsabsprachen als offenkundig wettbewerbsbeschränkend verboten869. In Anlehnung an die Ancillary-restraints-Doktrin sind auch Nebenabreden, die zur Durchführung eines zweifellos nicht wettbewerbsbeschränkenden Hauptvertrages notwendig sind, nicht verboten870. Die Nebenabreden müssen so mit der Hauptvereinbarung verbunden sein, dass sie nicht von ihr getrennt werden können (Akzessorietät)871, d.h. sie müssen unmittelbar notwendig und angemessen sein, um den Hauptzweck zu erreichen872. Wie bei der rule of reason ist im Rahmen der Prüfung, ob eine Maßnahme nach Art. 81 Abs. 1 EGV verboten ist, auf die Wirksamkeit des Wettbewerbs abzustellen. Eine Abwägung zwischen allgemein förderungswürdigen und wettbewerbswidrigen Wirkungen kommt nicht in Betracht873. In den Leitlinien zur horizontalen Zusammenarbeit hält die Europäische Kommission solche Vereinbarungen für nicht wettbewerbsbeschränkend im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EGV, die zu Effizienzgewinnen führen und bei denen nachteilige Wirkungen auf den Wettbewerb unwahrscheinlich sind874. Den Leitlinien zufolge fördern unter anderem Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, Produktion und Umweltschutz die wirtschaftliche Effizienz. Die augenscheinlichen Überschneidungen mit den in Art. 81 Abs. 3 EGV erheblichen Ausnahmekriterien stehen im Einklang mit der neuen einstufigen Anwendung von Art. 81 EGV als Legalausnahme875, führen aber zu einer Verwischung des Verbotstatbestandes 869 EuGH v. 08.07.1999, Rs. C-235/92 P (Montecatini/Kommission), Slg. 1999 I, 4539, Rn. 133; EuG v. 15.09.1998, Rs. T-374/94, T-375/94, T-384/94 und T-388/94 (European Night Services u. a./Kommission), Slg. 1998 II, 3141, Rn. 136; EuG v. 10.03.1992, Rs. T-14/89 (Montedipe/Kommission), Slg. 1992 II, 1155, 1246 ff. Vgl. auch: EU-Kommission, De-minimis-Bekanntmachung, Rn. 11; Art. 4 Verordnung Nr. 2790/99; Art. 5 Verordnung Nr. 2658/2000 und Art. 5 Verordnung Nr. 2659/2000. 870 Die Ancillary-restraints-Doktrin ist international anerkannt. Zur so genannten Immanenztheorie im deutschen Kartellrecht, vgl. beispielsweise F. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 194 ff. Rn. 14 ff. 871 Generalanwalt Lenz, Schlussanträge in: EuGH v. 15.12.1995, Rs. C-415/93 (UEFA u. a./Bosman), Slg. 1995 I, 4921, Rn. 268. Der Europäische Gerichtshof hält beispielsweise Wettbewerbsverbote zu Lasten des Veräußerers eines Unternehmens für einen notwendigen Vertragsbestandteil der Unternehmensveräußerung, wenn sich die Klausel räumlich, zeitlich und gegenständlich auf das zur Durchführung des Vertrages erforderliche Ausmaß beschränkt, vgl. EuGH v. 11.07.1985, Rs. 42/84 (Remia u. a./Kommission), Slg. 1985, 2545, Rn. 20, 34; vgl. auch: EuG, v. 18.09.2001 (M6 u. a./Kommission), Slg. 2001 II, 2459, 2497 f. 872 EuG, v. 18.09.2001 (M6 u. a./Kommission), Slg. 2001 II, 2459, Rn. 104. Wird die Beschränkung nicht als Nebenabrede beurteilt, ist gegebenenfalls eine Rechtfertigung nach Art. 81 Abs. 3 EGV möglich (Rn. 112 ff.). 873 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 219 Rn. 62. 874 EU-Kommission, Leitlinien horizontale Zusammenarbeit, Rn. 10.

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nach Art. 81 Abs. 1 EGV mit dem Ausnahmetatbestand des Abs. 3876 und sind mit der Systematik des Art. 81 EGV kaum zu vereinbaren877. Die im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EGV vorgenommenen Abwägungen bei der Prüfung, ob eine wettbewerbswidrige Handlung anzunehmen ist, sind nur begrenzt mit der rule of reason vergleichbar878. Die in der USamerikanischen Praxis entwickelten Ausnahmekriterien fördern zum Teil andere als die zum Erreichen eines Systems unverfälschten Wettbewerbs notwendigen Zwecke. Die Rechtsprechung hat eine ausdrückliche Anlehnung an die rule of reason abgelehnt879, und auch die Kommission hält eine Auslegung der Wettbewerbsregeln im Sinne einer rule of reason nur durch eine Änderung des Vertragstextes für möglich880. (3) Freistellung im brasilianischen Wettbewerbsrecht Das brasilianische Wettbewerbsrecht sieht eine Freistellungsmöglichkeit vor, die derjenigen im Europäischen Gemeinschaftsrecht bis zum Erlass der Verordnung 1/03 sehr ähnlich ist881. Nach Art. 54 Abs. 1 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes müssen Verhaltensweisen gleich welcher Art, die den freien Wettbewerb in irgendeiner Form einschränken oder schädigen oder zur Beherrschung von relevanten Märkten für Güter oder Dienstleistungen führen können, dem CADE vorgelegt werden. Der CADE kann sie 875 Die Trennung des Verbotstatbestandes nach Art. 81 Abs. 1 und des Ausnahmetatbestandes nach Art. 81 Abs. 3 EGV wird durch die Neuregelung des EG-Wettbewerbsrechts im Grundsatz aufgehoben. Aus dem verfahrensrechtlich zweistufigen System mit getrennter Beurteilung des Verbots und des Erlaubnisvorbehalts wird ein einstufiges System, in welchem eine Maßnahme erlaubt ist, wenn sie zwar den Wettbewerb beschränkt, aber die Ausnahmegründe vorliegen (Legalausnahme), vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 200 Rn. 8, S. 207 Rn. 27. 876 Dies umso mehr, als die EU-Kommission in den Leitlinien zur Anwendung des Art. 81 Abs. 3 ebenfalls auf Effizienzgewinne abstellt, vgl. ABl. 2004, Nr. C 101/97, Rn. 59. 877 Es widerspricht einer systematischen Auslegung, wenn Gründe, die eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EGV rechtfertigen, zugleich den Verbotstatbestand nach Abs. 1 einzuschränken vermögen, vgl. EuG v. 18.09.2001, Rs. T-112/99 (M6 u. a./Kommission), Slg. 2001 II, 2459, Rn. 72–76. Kritisch zu einer rule of reason im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EGV auch: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 398. 878 Vgl. I. Brinker, Art. 81 EGV, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, S. 949 Rn. 45. 879 Insbesondere wurde eine Abwägung von Vor- und Nachteilen bereits im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EGV abgelehnt, vgl. EuG, v. 18.09.2001 (M6 u. a./Kommission), Slg. 2001 II, 2459, 2487 Rn. 72–77. 880 EU-Kommission, Weißbuch Modernisierung, Rn. 57. 881 P. A. Forgioni, Os Fundamentos do Antitruste, São Paulo 1998, S. 193.

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genehmigen, wenn I. – sie kumulativ oder alternativ zum Ziel haben, a) die Produktivität zu steigern, b) die Qualität der Güter oder Dienstleistungen zu verbessern, c) die Effizienz oder die technologische oder wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, II. – die entstehenden Gewinne angemessen zwischen den Beteiligten und den Verbrauchern oder Endverbrauchern verteilt werden, III. – der Wettbewerb nicht auf einem wesentlichen Teil des relevanten Marktes für die Güter und Dienstleistungen ausgeschlossen wird und IV. – die genannten Beschränkungen zur Verwirklichung der Ziele unbedingt notwendig sind882. Die genannte Beherrschung relevanter Märkte als mögliche freizustellende Verhaltensweise neben den wettbewerbsbeschränkenden Praktiken darf nicht mit dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verwechselt werden. Der Missbrauch einer beherrschenden Stellung kann in Brasilien, ebenso wie in der Europäischen Union883, nicht freigestellt werden. Die in Art. 54 Abs. 1 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes gesonderte Aufzählung der Beherrschung des Marktes ist in Verbindung mit dem Verbotstatbestand des Art. 20 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes zu sehen, wo die Beherrschung des Marktes (Nr. II) neben der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung (Nr. IV) verboten ist884. Letztere wurde hier nicht genannt und kann daher nicht freigestellt werden885. 882

Art. 54 § 1 Nr. I–IV des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes. Art. 81 Abs. 3 EGV bezieht sich auf Art. 81 Abs. 1 EGV, nicht aber auf Art. 82 EGV, der den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verbietet, vgl. auch: EuGH v. 11.04.1989, Rs. 66/86 (Ahmed Saeed Flugreisen u. a./Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs), Slg. 1989, 803, 848; EuG v. 10.07.1990, Rs. T-51/89 (Tetra Pak/Kommission – „Tetra Pak I“), Slg. 1990 II, 309, 353. 884 Die gesonderte Nennung des Beherrschungstatbestandes wurde aus dem alten brasilianischen Wettbewerbsgesetz von 1962 übernommen, in welchem es aber nicht das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gab. Zu diesem führte der CADE aus, dass nicht die Beherrschung des Marktes an sich verboten sei, sondern nur deren Missbrauch, vgl. CADE v. 12.03.1997, P. A. 31/92 (Transauto/Fiat Automóveis); CADE v. 30.09.1994 A. C. 12/94 (Rhodia/Sinasa), DOU 17.10.1994, Seção I, S. 15648; Art. 20 § 1 des aktuellen brasilianischen Wettbewerbsgesetzes von 1994 bestimmt, dass eine beherrschende Stellung, die aufgrund von höherer wirtschaftlicher Effizienz gegenüber der Konkurrenz entsteht, nicht verboten ist. Damit wird klargestellt, dass natürliche Monopole nicht verboten sind, sondern nur die missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht, die nicht Ausdruck des Leistungswettbewerbs ist. In der Literatur wird daher die Meinung vertreten, dass der Beherrschungstatbestand in Art. 20 Nr. II des aktuellen brasilianischen Wettbewerbsgesetzes überflüssig ist, vgl. J. I. G. Franceschini, Introdução ao Direito da Concorrência, S. 32; S. V. Bruna, O poder econômico e a conceituação do abuso em seu exercicio, São Paulo 1997, S. 113. Für eine eigenständige Bedeutung des Art. 20 Nr. II des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes aber: L. F. Schuartz, Monopolization, Attempt to Monopolize e a interpretação do inciso II do art. 20 da Lei 8.884 de 1994, Rivista de Direito Mercantil 2000 Nr. 119, S. 128 ff. 883

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Die Wirksamkeit einer wettbewerbsbeschränkenden Handlung steht unter dem Vorbehalt der Genehmigung des CADE, der eine Entscheidung 60 Tage nach Erhalt der Stellungnahmen zweier vorgeschalteter Verwaltungsorgane886 erlässt887. Hält der CADE die Voraussetzungen für erfüllt, „kann“ er (poderá) die Genehmigung erteilen888. Der Wortlaut spricht für einen Ermessensspielraum. Im europäischen Wettbewerbsrecht musste hingegen im bisher gültigen Freistellungssystem die Freistellung gewährt werden, wenn die Voraussetzungen erfüllt waren889. Die Genehmigung gilt rückwirkend auf den Zeitpunkt der Vornahme der Handlung890. Wird eine Verhaltensweise genehmigt, so ist sie von vornherein gültig891. Wird eine Verhaltensweise untersagt, so ist sie von vornherein ungültig. Verhaltensweisen entfalten folglich keine volle Wirksamkeit bis zur Versagung892, sondern sind rückwirkend nichtig. Etwaige wettbewerbswidrige Handlungen sind demnach so lange schwebend unwirksam, bis sie genehmigt werden. Die Freistellungsgenehmigung ist wie im EG-Wettbewerbsrecht vor der Verordnung 1/03 ein konstitutiver Verwaltungsakt. Eine Verhaltensweise gilt auch als genehmigt, wenn der CADE die Frist verstreichen lässt, ohne eine ausdrückliche Entscheidung auszusprechen893. Ähnlich der Verpflichtungszusage nach Art. 9 der Verordnung 1/03 im europäischen Wettbewerbsrecht kann der CADE eine Genehmigung im Einzelfall an bestimmte Voraussetzungen knüpfen894. 885 So auch P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 66; J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 160. Nicht richtig D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 136, der alle in Art. 20 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes als wettbewerbsbeschränkend aufgezählte Handlungen für freistellbar hält. 886 Secretaria de Acompanhamento Econômica (SEAE) und Secretaria de Direito Econômico (SDE), die jeweils innerhalb einer Frist von 30 Tagen die Stellungnahme abgeben müssen, vgl. Art. 54 § 6 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes. 887 Art. 54 § 6 i. V. m. Art. 54 § 7 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes. 888 Art. 54 § 1 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes. 889 Siehe voriger Gliederungsabschnitt, Teil 3, III. 2. a), dd), (2). 890 Art. 54 § 7 Halbs. 1 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes. 891 Anders die Wirkung einer Freistellungsentscheidung im EU-Wettbewerbsrecht vor dem Erlass der Verordnung 1/03: Maßnahmen, die den Verbotstatbestand erfüllten, waren gemäß Art. 81 Abs. 2 EGV nichtig, solange sie nicht ausdrücklich nach Art. 81 Abs. 3 EGV erlaubt wurden. Sie erlangten die Gültigkeit erst mit der (konstitutiven) Erlaubnis und nicht rückwirkend zum Zeitpunkt der Vornahme. Allerdings durften nach der Verordnung Nr. 17 angemeldete Kartelle weiterhin fortgeführt werden, bis sie untersagt wurden, so dass sich die Regelung praktisch nicht von der in Brasilien unterscheidet. Siehe bereits Teil 3, III. 2. a), dd), (2). 892 So aber: J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 161. 893 Art. 54 § 7 Halbs. 2 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes.

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Es reicht aus, wenn „alternativ“ eine der positiven Wirkungen in lit. a bis c im Art. 54 § 1 Nr. I des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes vorliegen. Die positiven Wirkungen entsprechen weitgehend denjenigen, die die Rechtsprechung in der Europäischen Union der Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung und der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts im Art. 81 Abs. 3 EGV beimisst. Die weiteren im Art. 54 § 1 Nr. II–IV des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes genannten Voraussetzungen, die angemessene Verteilung des Gewinns auf die Verbraucher, kein Ausschluss des Wettbewerbs auf einem wesentlichen Teil des Marktes und die unbedingte Notwendigkeit der Wettbewerbsbeschränkung zur Erreichung des Zieles müssen dem Wortlaut nach grundsätzlich zusammen erfüllt sein895. Allerdings kann eine wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise ausnahmsweise und im Unterschied zum EG-Kartellrecht auch dann freigestellt werden, wenn nur drei der vier genannten Voraussetzungen gegeben sind, wenn dies aus Gründen des nationalen Interesses oder des Allgemeinwohls notwendig ist und kein Schaden für den Verbraucher oder Endbenutzer zu erwarten ist896. Unter den Begriff des Gewinns wird nicht, wie im Europäischen Gemeinschaftsrecht, jedwede positive Wirkung subsumiert. Die angemessene Verteilung des Gewinns erfordert vielmehr, dass der Verbraucher durch niedrigere Preise an den Produktionssteigerungen oder Effizienzverbesserungen beteiligt wird897. Das Erfordernis der unbedingten Notwenigkeit der Wettbewerbbeschränkung zum Erreichen des Vorteils entspricht dem Art. 81 Abs. 3 lit. a EGV und verpflichtet den CADE zur Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Es ist zudem Ausdruck des Kausalitätserfordernisses zwischen der fraglichen Verhaltensweise und der etwaigen positiven Wirkung. Die positiven Wirkungen dürfen nicht auch ohne die in Frage kommende Wettbewerbsbeschränkung erzielbar sein, sondern müssen durch die Maßnahme geradezu herbeigeführt werden. Ein milderes Mittel als die Wettbewerbsbeschränkung darf es nicht geben. 894 Vgl. Art. 7 Nr. XII i. V. m. Art. 58 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes. Der CADE kann eine Genehmigung an quantitative und qualitative Bedingungen knüpfen, vgl. CADE v. 06.03.1996 A. C. 12/94 (Rhodia e Sinasa), DOU 11.03.1996, Seção I, S. 3959. Eine Genehmigung ist ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des Art. 54 § 1 Nr. I–IV nicht vorliegen, vgl. Art. 54 § 1; so auch J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 163. 895 So auch J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 162. 896 Art. 54 § 2 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes. 897 CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I.

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Wie es auch im EG-Wettbewerbsrecht bei den so genannten Kernbeschränkungen der Fall ist, sind besonders wettbewerbswidrige Verhaltensweisen in der Praxis des CADE nicht durch positive Wirkungen rechtfertigbar. In mehreren Fällen von Preisabsprachen lehnte es der CADE ab, weitere Untersuchungen anzustellen, wenn eine Preisabsprache bewiesen war, denn die Beschränkung sei in der „Vertragsklausel selbst“ zu sehen898. Nebenabreden (ancillary restraints) von wettbewerbskonformen Hauptverträgen werden vom CADE als nicht wettbewerbsbeschränkend eingestuft, wenn sie in räumlicher und zeitlicher Hinsicht erforderlich sind899. Ebenso wie in der Europäischen Union wird in Brasilien diskutiert, ob neben dem Erlaubnisvorbehalt in Art. 54 bereits im Rahmen des Verbotstatbestandes des Art. 20 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes eine rule of reason gilt900. Die Praxis des CADE scheint dies zu bejahen. In einer Bekanntmachung von 1999 führt die brasilianische Wettbewerbsbehörde aus, dass die Feststellung, inwieweit der Verbotstatbestand des Art. 20 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes erfüllt ist, im Kontext der „wirtschaftlichen Vernunft“ zu beurteilen sei. Neben den negativen Auswirkungen einer Wettbewerbsbeschränkung seien auch eventuelle positive Wirkungen auf den 898 CADE v. 20.10.1988 P. A. 85 (Empel et al.), DOU 24.10.1988, Seção I, S. 20.596: „(. . .) O elemento subjetivo, na espécie, encontra-se ínsito nas próprias cláusulas limitativas da concorrência“, übersetzt: „(. . .) Das subjektive Element ist im vorliegenden Fall in den wettbewerbsbeschränkenden Klauseln selbst zu finden“, eigene Übersetzung; CADE v. 27.10.1999, P. A. 08000.015337/97-48 (Companhia Siderfflrgica Nacional et al.), DOU 10.11.1999, Seção I, S. 2.: „Demonstrado o conluio torna-se desnecessário até mesmo verificar se o aumento de preços foi efectivamente superior ao que teria ocorrido na sua assência“, übersetzt: „Ist eine Absprache bewiesen, ist es nicht mehr notwendig zu überprüfen, ob die Anhebung der Preise tatsächlich höher war, als sie in Abwesenheit der Absprache gewesen wäre“, eigene Übersetzung. In der Bekanntmachung Nr. 20 hält der CADE Preisabsprachen für „regelmäßig“ wettbewerbswidrig, vgl. CADE, Resolução 20/99, Anhang I, A. Das Gesetz kennt nach herrschender Meinung jedoch keine Per-se-Verbote. Vielmehr müsse in jedem Einzelfall die Verhaltensweisen im wirtschaftlichen Zusammenhang geprüft werden, vgl. CADE v. 05.11.1997, P. A. 08000.011634/94-07 (Sindicato das Indfflstrias de Panificação Kibon e Indfflstria de Alimentícias Gerais), DOU 21.11.1997, Seção I, S. 27243; CADE v. 05.01.1998 P. A. 148/92 (Kraft Suchard do Brasil), DOU 08.01.1998, Seção I; CADE, Relatório Anual 1997, S. 71. Vgl. auch: F. Ulhoa Coelho, Direito Antitruste Brasileiro, S. 64 ff. 899 CADE v. 02.12.1998, A. C. 163/97 (Praxair Comércio e Rolmaster), DOU 10.12.1998, Seção I, S. 1; CADE v. 19.07.2000, A. C. 08012.012312/99-98 (BASF e Chemdal)DOU 14.08.2000, Seção I, S. 5; CADE v. 12.04.2000 A. C. 08012.008814/99-32 (Concreton Serv. de Concretagem et al.), DOU 24.04.2000, Seção I, S. 2. 900 F. Ulhoa Coelho, Direito Antitruste Brasileiro, S. 52 f.; C. Salomão Filho, Direito concorrêncial – as estructuras, São Paulo 1998, S. 223 f.; J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 160; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 73.

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Markt oder für die Verbraucher zu berücksichtigen. Maßgeblich sei der Saldo positiver und negativer Wirkungen901. In einer früheren Entscheidung hatte der CADE bereits klargestellt, dass Ausschließlichkeitsbedingungen trotz des zweifellos beschränkenden Charakters nicht per se verboten seien, sondern nur dann, wenn die Ausschließlichkeit eine „unvernünftige“ Beschränkung des Wettbewerbs darstelle. Unvernünftig sei eine Verhaltensweise, wenn sie bezweckt oder bewirkt, den Markt zu beherrschen, den Wettbewerb zu schädigen oder willkürlich die Gewinne zu erhöhen902. Neben den „wirtschaftlichen Effizienzgewinnen“ können auch „andere“ zu erzielende Vorteile die nachteiligen Effekte einer Wettbewerbsbeschränkung ausgleichen903. Beispielhaft genannt werden: die Entwicklung neuer Technologien, Kostensenkung und Qualitätsverbesserung. Es können demnach auch wirtschaftspolitische Interessen und das Gemeinwohl in der Abwägung Berücksichtigung finden904. Auch wenn die in der US-amerikanischen Praxis entwickelte rule of reason, wie gesehen, bei der Abwägung von Vorund Nachteilen einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise vornehmlich auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs abstellt, so lassen die Ausführungen des CADE insgesamt dennoch den Ansatz einer rule of reason im Rahmen der Überprüfung, ob eine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 20 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes vorliegt, erkennen. Nach der Systematik des Gesetzes ist für eine rule of reason im Rahmen der Prüfung des Verbotstatbestandes jedoch kein Platz. Der Berücksichtigung positiver Wirkungen wird durch das Freistellungsverfahren nach 901 CADE, Resolução 20/99, Anhang I, A: „(. . .) algumas [práticas] podem também gerar benefícios em termos de bem-estar ao mercado („eficiências econômicas“), recomendando a aplicação do „princípio da razoabilidade.“, übersetzt: „(. . .) einige [Praktiken] können auch Vorteile für das Funktionieren des Marktes mit sich bringen („wirtschaftliche Effizienzgewinne“) und auf diese Weise die Anwendung des „Prinzips der Vernünftigkeit“ sinnvoll erscheinen lassen.“, eigene Übersetzung. Weniger ausführlich auch schon im Fall: CADE v. 05.01.1998 P. A. 148/92 (Kraft Suchard do Brasil), DOU 08.01.1998, Seção I; CADE, Relatório Anual 1997, S. 71. 902 CADE v. 22.04.1993, P. A. 32/92 (Valer Alimentação e Serviços et al.), DOU 27.04.1993, Seção I, S. 5405; CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I. Franchiseverträge und Konzessionsverträge seien zulässig, weil die Wahrung der „Integrität und Uniformität“ des Produktes die ausschließliche Vertriebsvereinbarung erfordere, vgl. CADE v. 26.02.1993 P. A. 30/92 (ICI Brasil), DOU 03.03.1993, Seção, I, S. 2526. Eine Ausschließlichkeitsvereinbarung sei hingegen nicht möglich, wenn das an den Verbraucher weiterzugebende Produkt oder die Dienstleistung nicht irgendeine technologische Spezialisierung, spezifische berufliche Vorbereitung oder kein genaueres detailliertes Wissen des Vertreters verlangt, vgl. CADE v. 09.08.2000, Consulta 0048/99 (Vera Cruz), DOU 18.08.2000, Seção I, S. 19. 903 CADE, Resolução 20/99, Anhang II, A; vgl. auch: J. I. G. Franceschini, Introdução ao Direito da Concorrência, S. 16 ff. 904 So auch P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 73.

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Art. 54 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes Rechnung getragen905. Innerhalb des Freistellungsverfahrens ist eine Gegenüberstellung positiver und negativer Wirkungen möglich906. Allerdings handelt es sich auch hier nicht um eine klassische wettbewerbsimmanente rule of reason nach US-amerikanischem Vorbild, da auch andere als auf das einwandfreie Funktionieren des Wettbewerbs gerichtete Wirkungen eine Wettbewerbsbeschränkung rechtfertigen können907. Es sind solche Vorteile zu berücksichtigen, die in irgendeiner Weise unter die Förderung der Produktivität, der Qualität, der Effizienz oder des technologischen Fortschritts908 zu subsumieren sind. (4) Das wirtschaftliche Allgemeininteresse im argentinischen Wettbewerbsrecht Nach Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 sind Verhaltensweisen, die eine Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken oder den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen, nur dann verboten, wenn dies zu einem Schaden des „wirtschaftlichen Allgemeininteresses“ (interés económico general) führen kann. Hintergrund dieser genuinen909 argentinischen Regelung ist die international anerkannte Tatsache, dass Wettbewerbsbeschränkungen nicht automatisch nachteilig für die Volkswirtschaft sind910. Während im europäischen Wettbewerbsrecht Maßnahmen, die den Verbotstatbestand des Art. 81 Abs. 1 EGV erfüllen, verboten sind, wenn sie nicht unter den Ausnahmetatbestand des Art. 81 Abs. 3 EGV fallen, sind sie in Argentinien erlaubt, solange kein Schaden für das wirtschaftliche Allgemeininteresse zu erwarten ist. Wettbewerbsbeschränkende Handlungen sind nicht verboten, wenn kein 905 So auch J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 160. S. V. Bruna, O poder econômico e a conceituação do abuso em seu exercício, S. 156 f. und 157 f. Insofern deckt sich die Kritik mit der für die Anwendung einer rule of reason im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EGV, hierzu bereits Teil 3, III. 2. a), dd), (2). 906 C. Salomão Filho, Direito concorrêncial, S. 223 f. 907 In diesem Sinne C. Salomão Filho, Direito concorrêncial, S. 223 f. 908 Art. 54 § 1 Nr. I des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes. 909 So T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 103, der darauf hinweist, dass der Begriff des wirtschaftlichen Allgemeininteresses sich in keiner anderen Rechtsordnung findet. 910 In der Gesetzesbegründung des Vorgängergesetzes Nr. 22.262, mit welchem das Konzept des wirtschaftlichen Allgemeininteresses in die argentinische Wettbewerbsordnung eingeführt wurde, heißt es, dass mit dieser Formulierung sicher gestellt werden sollte, dass Handlungen und Verhaltensweisen, die eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, aber in Wirklichkeit vorteilhaft für die Gesellschaft sind, von dem Gesetz ausgenommen werden (Introducción, 1.).

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Schaden droht. Das wirtschaftliche Allgemeininteresse ist damit der Schlüssel zur Anwendung des Gesetzes911, weshalb es umso bemerkenswerter ist, dass das Gesetz keine Definition dieses weiten und unbestimmten Begriffs912 vorsieht. In ihrer Praxis hat die argentinische Wettbewerbsbehörde den Begriff jedoch inhaltlich präzisiert. Dabei wandelte sich die zunächst enge und rein am Funktionieren des Angebots- und Nachfragemechanismus orientierte Auslegung zu einer weiteren, auch wirtschafts- und gesellschaftspolitische Ziele beinhaltenden Definition913. Die CNDC führte aus, dass jede wettbewerbsbeschränkende Handlung potentiell das wirtschaftliche Allgemeinwohl zu schädigen vermöge, denn dieses sei nur so lange geschützt, als der Markt einwandfrei funktioniere914. Preisfestsetzungen beeinträchtigten die Funktionsfähigkeit des Marktmechanismusses grundsätzlich und stellten daher eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Allgemeinwohls dar915. Die CNDC stellte sogar ausdrücklich klar, dass das wirtschaftliche Allgemeininteresse mit dem besseren Funktionieren der Märkte gleichzusetzen sei, denn das wirtschaftliche Allgemeininteresse würde am besten gewahrt, wenn der Markt funktioniere916. Auf diese Weise könnten die aus dem freien 911 J. Otamedi, El interés general y la eficiencia económica, La Ley 1999-F, S. 1087. Ähnlich T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 86, der dem Konzept des wirtschaftlichen Gemeinwohls die zentrale Rolle zuweist. 912 Auch so T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 87. 913 Hierzu auch T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 88 ff. 914 CNDC v. 18.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), VI.; CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante), X.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), VI.; CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV. 915 CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV.; CNDC v. 13.07.1983, Expte. 20.548/82 (Colegio de Graduados de Ciencias Económicas u. a.), VI; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 31.914/82 (Colegio de Martilleros y Corredores Pfflblicos), III.; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos); IV.; CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), VII.; CNDC v. 06.06.1985, Expte. 101.2300/83 (Centro de Industriales Panaderos Rio Negro); IV.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 109.696/81 (Centro de Indfflstria Panaderos de la Provincia de la Rioja), IV; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), IV. Vgl. auch G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 415. 916 CNDC v. 08.02.1982, Expte. 30.782-S-81 (Humberto Savant/Matadero Vera), IV.; CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 106.213/81 (Asociación de Empresas Ffflnebres y Afines de Villa Maria), VI.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), VI.; CNDC v. 13.07.1983, Expte. 20.548/82 (Colegio de Graduados de Ciencias

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Wettbewerb resultierenden Vorteile für die Verbraucher erlangt werden. Die CNDC tendierte dazu, grundsätzlich bestimmte Verhaltensweisen als Einschränkung des wirtschaftlichen Gemeinwohls zu deuten und damit letztlich Kernbeschränkungen zu definieren917. Zu diesen stets dem wirtschaftlichen Gemeinwohl widerstrebenden Handlungen gehörten vor allem Preisabsprachen918 und die Behinderung des Marktzutritts, denn die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Allgemeininteresses sei in diesen selbst zu sehen919. Die Gleichsetzung des wirtschaftlichen Allgemeinwohls mit dem einwandfreien Funktionieren des Wettbewerbs führt dazu, dass jede wettbewerbsbeschränkende Maßnahme als potentiell das wirtschaftliche Allgemeinwohl schädigend angesehen wird und verboten ist, es sei denn, sie ist dem freien Wettbewerb und damit dem wirtschaftlichen Allgemeininteresse ausnahmsweise förderlich. Diese wettbewerbsimmanente Auslegung kommt der US-amerikanischen rule of reason nahe920, dreht aber das Kausalitätserfordernis um. Während im US-Antitrustrecht – wie auch im EGWettbewerbsrecht – die wettbewerbsbeschränkende Maßnahme kausal für die rechtfertigende positive Wirkung sein muss921, damit sie ausnahmsweise erlaubt sein kann, so muss im argentinischen Recht die Kausalität zwischen der wettbewerbsbeschränkenden Handlung und der Schädigung des wirtschaftlichen Allgemeininteresses gegeben sein, damit sie verboten ist922. Económicas u. a.), VI.; CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), VII.; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 31.914/82 (Colegio de Martilleros y Corredores Pfflblicos), III.; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 43. 917 T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 89. 918 CNDC v. 17.11.1981, Expte. 10.031/81 (Fletes de Salta S.A./Cámara de Flete al Instante), X.; CNDC v. 28.08.1981, Expte. 100.676/81 (Cámara Inmobiliaria Argentina), VI.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 109.696/81 (Centro de Indfflstria Panaderos de la Provincia de la Rioja), IV.; CNDC v. 27.04.1982, Expte. 109.419/81 (Colegio Oficial de Farmacéuticos y Bioqímicos de la Capital Federal), IV.; CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), VI.; CNDC v. 16.08.1983, Expte. 22.963/82 (Colegio de Traductores Pfflblicos); IV.; CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 6.1. 919 CNDC v. 08.02.1982, Expte. 30.782-S-81 (Humberto Savant/Matadero Vera), IV.; CNDC v. 22.09.1982 (Staff Médico/Federación Médica de la Provincia de Buenos Aires), VI.; CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), VII. 920 So auch M. V. G. De Quevedo, Boletín Latinoamericana de Competencia 2000 Nr. 9 – Teil 1, S. 9; vgl. auch Hinweise in Fn. 934 (3. Teil). 921 Vgl. bereits Teil 3, III. 2. a), dd), (1) und (2). 922 CNDC v. 10.04.1992, Expte. 2901/85 (Fiscalía Nacional de Investigaciones administrativas/YPF S.A.), VII. Dass die Wettbewerbsbeschränkung kausal sein muss für die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Allgemeininteresses, stellt heraus: T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 89; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 229 ff.

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Anfang der 1990er-Jahre reformierte die CNDC das Konzept des wirtschaftlichen Allgemeininteresses grundlegend. Sie begann, Vor- und Nachteile einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise abzuwägen und nur im Fall, dass die negativen Auswirkungen überwiegen, eine Schädigung des Allgemeininteresses anzunehmen und die in Frage stehende Verhaltensweise zu verbieten923. Das wirtschaftliche Allgemeininteresse wurde als Saldo positiver und negativer Wirkungen einer an sich wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise verstanden924. So rechtfertigte die Behörde eine Marktaufteilung zwischen einem US-Investor und einem argentinischen Unternehmen durch die Annahme allgemeiner, der argentinischen Wirtschaft zuträglicher Wirkungen wie die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Förderung des Exports und die Einnahme von Devisen925. Im Fall „Circulo Médico“ prüfte die CNDC, ob die wettbewerbsbeschränkenden Vertragsgestaltungen einer Ärztekammer sinnvolle Ziele zum Vorteil der Allgemeinheit verfolgten oder ob sie lediglich dem Interesse der in der Ärztekammer vertretenen Mitglieder dienten926. Seit Ende der 1990er-Jahre setzt die CNDC das wirtschaftliche Allgemeininteresse zunehmend mit dem Begriff der wirtschaftlichen Effizienz gleich927. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen sind dann nicht erlaubt, wenn sie insgesamt zu einer Verringerung der wirtschaftlichen Effizienz führen928. Dabei versucht die argentinische Wettbewerbsbehörde, Effi923 J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 177. 924 Vgl. etwa CNDC v. 10.04.1992, Expte. 2901/85 (Fiscalía Nacional de Investigaciones administrativas/YPF S.A.), VII.: „(. . .) el interés económico general es equivalente a la utilidad que la comunidad recibe de la conducta a ser evaludada“, übersetzt: „Das wirtschaftliche Allgemeininteresse ist gleichzusetzen mit dem Nutzen, den die Gesellschaft aus der fraglichen Verhaltensweise erfährt“, eigene Übersetzung. 925 CNDC v. 10.04.1992, Expte. 2901/85 (Fiscalía Nacional de Investigaciones administrativas/YPF S.A.), VII. 926 CNDC v. 04.04.1992, Expte. 100.203/90 (CNDC/Círculo Médico Alto Paraná), VII. und VIII. 927 Diese Anlehnung an den im US-Antitrustrecht entwickelten Begriff der Effizienzgewinne ist möglicherweise auf den 1997 veröffentlichen Leitfaden über die „wirtschaftliche Analyse des argentinischen Wettbewerbsgesetzes“ zurückzuführen, vgl. CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 1997. In dem Bericht erklärt die Behörde, dass sie in Zukunft die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Allgemeininteresses einer wettbewerbsbeschränkenden Handlung an einem negativen Gesamtüberschuss messen will. Sie verwendet die wirtschaftswissenschaftlich geprägten Begriffe des Produzenten- und Nachfrageüberschusses (excedente del productor bzw. excedente del consumidor) als numerisch messbaren Vorteil des Produzenten bzw. Nachfragers. Der Gesamtüberschuss sei die Summe beider und erreiche sein Maximum im Zustand vollständiger Konkurrenz (Punkt 3. u. 6.). Hierzu auch T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 90 f.

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zienzgewinne oder -verluste im Vergleich zum hypothetischen Wettbewerb ohne die beanstandete Maßnahme zu ermitteln929. Im Fall eines positiven Saldos ist das wirtschaftliche Allgemeininteresse nicht beeinträchtigt und die Maßnahme nicht verboten. So prüfte die Behörde, ob durch ein marktbeherrschendes Unternehmen auferlegte Ausschließlichkeitsklauseln, die zwar grundsätzlich als wettbewerbsbeschränkend einzustufen seien und die die wirtschaftliche Effizienz im Vergleich zur vollständigen Konkurrenz einschränkten, durch eventuelle Effizienzgewinne gerechtfertigt werden könnten930. Im Fall „YPF“ rügte die CNDC die Preispolitik einer führenden Mineralölgesellschaft in Argentinien, welche eine Abweichung vom Zustand der vollständigen Konkurrenz und damit eine Einschränkung der wirtschaftlichen Effizienz bedeute, der aber keine Effizienzgewinne gegenüberstünden931. Umgekehrt befand sie eine Rabattaktion der Marke „Esso“, die nur bestimmten Kunden zugute kam, unter anderem deshalb nicht als schädlich für das wirtschaftliche Allgemeininteresse, weil durch die Preissenkung insgesamt der wirtschaftliche Gesamtüberschuss für den Verbraucher gestiegen sei932. Mit der Anwendung des Konzepts der wirtschaftlichen Effizienz nähert sich die Behörde wieder einer auf das Funktionieren des Marktmechanismus gerichteten Interpretation des wirtschaftlichen Gemeinwohls933. Die 928 Dies ist die mittlerweile gefestigte Spruchpraxis der CNDC, vgl. CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 6.1; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 95. Vgl. auch: M. V. G. De Quevedo, Boletín Latinoamericana de Competencia 2000 Nr. 9 – Teil 1, S. 9. 929 Vgl. CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 5.2: „(. . .) y habría implicado una reducción del excedente total de los agentes económicos respecto del que potencialmente hubiera tenido lugar en una situación competetiva“, übersetzt: „(. . .) und hätte die Verringerung des durch die Marktteilnehmer erwirtschafteten Gesamtüberschusses im Vergleich zu dem theoretisch möglichen [Gesamtüberschuss] im Zustand von Wettbewerb bedeutet“, eigene Übersetzung; ähnlich CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 96. 930 CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 84, 95 ff.; ganz ähnlich CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/ Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 50 ff. 931 CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 6.1. 932 CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 58. 933 Vgl. jüngst: CNDC v. 19.07.2004, Expte. S01:0028786/2004 (Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires/MEDIFE), Rn. 14. Allerdings gab es

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Abwägung von Effizienzgewinnen und -verlusten als Rechtfertigungstatbestand erinnert an die US-amerikanische rule of reason934, entspricht allerdings inhaltlich nicht dem Begriff des wirtschaftlichen Allgemeinwohls, der auch allgemeinwirtschaftlich vorteilhafte Wirkungen erfasst935. Diese Meinung vertritt auch Cabanellas de las Cuevas, der an der Ausarbeitung des Wettbewerbsgesetzes Nr. 22.262 von 1980, mit dem das Konzept des wirtschaftlichen Allgemeininteresses in das argentinische Wettbewerbsrecht eingebracht wurde, beteiligt war936. Schutzzweck des Gesetzes sei zwar zuvorderst der Wettbewerb, weshalb diesem im Rahmen der Prüfung, ob das wirtschaftliche Allgemeininteresse beeinträchtigt ist, größte Bedeutung zukomme. Der Begriff des wirtschaftlichen Allgemeininteresses sei jedoch bewusst weit gewählt worden, um das Gesetz flexibel an wirtschaftliche und auch soziale Erfordernisse anzupassen937. Im wirtschaftlichen Allgemeininteresse liegen nach Sicht das Autors: die Verbesserung der Produktivität und Effizienz, ein hohes technisches Niveau der beteiligten Wirtschaftszweige, gute berufliche Ausbildung, eine möglichst breitflächige Verteilung der Produktion im Staatsgebiet, die Förderung des Exports, ein hoher Beschäftigungsgrad sowie sämtliche Vorteile für die Verbraucher, insbesondere niedrige Preise, hohe Qualität und Sicherheit der Produkte938. Im Rahmen auch in der jüngeren Praxis hin und wieder Entscheidungen, die neben den Effizienzgewinnen auch allgemeine, für die Verbraucher vorteilhafte Wirkungen als Rechtfertigung an sich wettbewerbsbeschränkender Handlungen zuließen. So sah die CNDC ein von der Schlosserinnung vereinbartes Garantiesystem als insgesamt vorteilig für das Gemeinwohl an, vgl. CNDC v. 08.09.1998, Expte. 064-5444/96 (C. 397) (Asociación de cajas metálicas, ataffldes y afines), 5.4. 934 Den starken Einfluss der rule of reason heben hervor: J. Otamedi, Presupuestos básicos, La Ley 1981-B, S. 912; ders., El interés general y la eficiencia económica en la ley de defensa de la competencia, S. 1087; G. Cabanellas de las Cuevas,/W. Etzrodt, The Argentine Antitrust Law, Journal of World Trade 1993 Nr. 17, S. 37; M. V. G. De Quevedo, Boletín Latinoamericana de Competencia 2000 Nr. 9 – Teil 1, S. 9. Der Einfluss der rule of reason wurde auch von der CNDC und dem Wirtschaftsstrafgericht ausdrücklich anerkannt, vgl. CNDC, Memoria Anual 1997, 2.1; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 74; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 394; Cámara Nacional en lo Penal Económico v. 12.03.1992, in: La Ley, Bd. A, 1993, S. 54. 935 Anders T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 90, der die Abwägung nicht rein wettbewerbsimmanenter positiver und negativer Wirkungen nicht für Aufgabe der Wettbewerbsbehörde hält. 936 G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia (1983), S. 177 f.; ders., Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 271. 937 G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 251 f.

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einer Gesamtprüfung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls seien die genannten positiven Wirkungen gegenüber den negativen Wirkungen der in Frage stehenden wettbewerbsbeschränkenden Handlung abzuwägen939. Obwohl die CNDC bisher eine überwiegend enge, am Funktionieren des Wettbewerbs orientierte Auslegung des wirtschaftlichen Allgemeininteresses praktizierte940, lässt der Wortlaut aber auch eine weitere Interpretation zugunsten wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Erwägungen zu, wie dies in der Europäischen Union und auch Brasilien der Fall ist941. Damit eine Maßnahme verboten ist, reicht es aus, wenn sie einen Schaden für das wirtschaftliche Allgemeininteresse verursachen kann942. Das Gesetz verlangt also nicht, dass ein Schaden bereits eingetreten ist. Vielmehr genügt es, wenn die in Frage kommende Verhaltensweise geeignet ist, einen Schaden herbeizuführen943. Es muss sich allerdings um eine im Einzelfall konkret bestimmbare und nicht bloß abstrakt-logische Gefahr eines Schadens handeln944. Die Rechtswirkung des Verbots ist vergleichbar mit der des Verbots wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen mit Legalausnahme in der Europäischen Union. Eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme ist in Argentinien juristisch vom Zeitpunkt ihrer Vornahme an verboten, wenn sie geeignet ist, das wirtschaftliche Allgemeininteresse zu schädigen945. Faktisch ist 938

G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 285 ff. 939 G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 262, 292; so auch J. Otamedi, Presupuestos básicos, La Ley 1981-B, S. 912 ff. 940 Dies bestätigte die CNDC jüngst, vgl. CNDC v. 17.03.2004, Expte. 064-004619/2001 (Servicio Pfflblico/Telecom), Rn. 46. 941 So auch P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 138. Die Vergleichbarkeit des Konzeptes mit Art. 81 Abs. 3 EGV stellt G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 272 heraus. Die Unbestimmtheit des Begriffs wird häufig kritisiert, vgl. J. Otamedi, El interés general y la eficiencia económica, La Ley 1999-F, S. 1087 ff.; A. Soldano/W.M. Lanosa, El interés económico general en la ley de Defensa de la Competencia, La Ley 1993-E Nr. 248, S. 1246. 942 „(. . .) de modo que pueda resultar percjucio para el interés económico general“, vgl. Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 (Hervorhebung durch den Verfasser). 943 Dies bestätigt auch die argentinische Rechtsprechung: Corte Suprema v. 23.11.1993 in: La Ley 1993, Bd. C, S. 278 ff. 944 So die Formulierung in den Erwägungsgründen zum Gesetz 22.262, Kapitel III, Nr. 1. 945 Vgl. die Formulierung in Art. 1 des Gesetzes Nr. 25.156: „Handlungen und Verhaltensweisen (. . .) sind verboten (. . .)“.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

sie aber so lange möglich, bis die Wettbewerbsbehörde von Amts wegen oder auf Anzeige einer interessierten Partei hin die Unvereinbarkeit mit dem wirtschaftlichen Allgemeininteresse feststellt. Im EU-Wettbewerbsrecht ist eine wettbewerbsbeschränkende Handlung ebenfalls vom Zeitpunkt ihrer Vornahme verboten946, wenn sie nicht den gesetzlichen Ausnahmetatbestand nach Art. 81 Abs. 3 EGV erfüllt. Wie dargestellt wurde, mutiert das Verbotsgesetz durch die Neuregelung im EG-Kartellrecht jedoch zur erfahrungsgemäß ineffektiven947 Missbrauchsaufsicht. Verhaltensweisen sind faktisch solange möglich, bis nicht eine nationale Behörde bzw. ein nationales Gericht oder die europäische Kommission die Unvereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EGV und das Fehlen der Rechtfertigungsgründe des Art. 81 Abs. 3 EGV feststellt948. (5) Ausblick im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls Dass man sich bei der Verabschiedung des Wettbewerbsschutzprotokolls nicht auf eine Ausnahmevorschrift einigen konnte, ist im Hinblick auf die unterschiedlichen Ansätze in den Wettbewerbsordnungen Brasiliens und Argentiniens nicht verwunderlich949. Während in Brasilien ein Verbot wettbewerbswidriger Verhaltensweisen mit Freistellungsvorbehalt gilt, wie es vor der Neuregelung durch die Verordnung 1/03 in der Europäischen Union praktiziert wurde, sind wettbewerbsbeschränkende Handlungen in Argentinien überhaupt nur verboten, wenn sie geeignet sind, das wirtschaftliche Allgemeininteresse zu schädigen. Letzteres entfaltet eine ähnliche Rechtswirkung wie das durch die EG-Verordnung 1/03 eingeführte Verbot mit Legalausnahme im europäischen Wettbewerbsrecht. Zudem ermöglicht das argentinische System, nur die für den Wettbewerb relevanten Fälle, eben solche, die das Allgemeininteresse beeinträchtigen, zu behandeln und unbedeutende Fälle von der Anwendung des Gesetzes auszunehmen. So verstoßen beispielsweise nach Ansicht der argentinischen Wettbewerbsbehörde Einkaufsgemeinschaften kleinerer Marktteilnehmer nicht gegen das Wettbewerbsgesetz950. Die Überlastung der EU-Kommission war bei Verabschie946

Art. 81 Abs. 1 i. V. m. Art. 81 Abs. 2 EGV. Dies hat sich auch durch die Verordnung (EG) 1/03 nicht verändert, vgl. A. Schaub/R. Dohms, Das Weißbuch der Europäischen Kommission, WuW 49 (1999), S. 1066. 947 J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 8. 948 In diesem Sinne E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 207 f. Rn. 29. 949 In diesem Sinne J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 205, der die zukünftige Handhabe im Mercosur wegen des Festhaltens Argentiniens an dem Konzept des wirtschaftlichen Allgemeininteresses in der Wettbewerbsrechtsnovelle von 1999 für kaum vorhersagbar hält.

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dung des Protokolls bereits bekannt, und auch in der Literatur zum argentinischen und brasilianischen Wettbewerbsrecht finden sich Hinweise zu diesem Problem951. Es ist kein Geheimnis, dass das EG-Kartellrecht einen großen Einfluss auf das Wettbewerbsrecht im Mercosur genommen hat952. In Argentinien war es die wichtigste Grundlage für die Formulierung des Gesetzes von 1980953, welches in der Novelle von 1999 fast wortgetreu übernommen wurde. Die Neuregelung des EG-Wettbewerbsrechts war möglicherweise auch ein Grund dafür, dass in der Novellierung des Wettbewerbsrechts in Argentinien das Konzept des wirtschaftlichen Allgemeininteresses entgegen den Gesetzesentwürfen schließlich beibehalten wurde. Die Vorentwürfe hatten vorgesehen, im Einklang mit dem brasilianischen Wettbewerbsrecht eine an dem bisher gültigen EG-Wettbewerbsrecht angelehnte Freistellungsregelung einzuführen954. Vermutlich wurde erkannt, dass das argentinische Konzept in der bisherigen Praxis eher mit einem Verbot mit Legalausnahme als mit einem Freistellungsvorbehalt vergleichbar ist. Aufgrund der Tatsache, dass an sich wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen häufig auch positive Effekte für die Volkswirtschaft haben, sollte auch im Mercosur die Möglichkeit bestehen, vorteilige Wirkungen den zweifellos nachtteiligen gegenüberzustellen und in einer Gesamtbeurteilung zu entscheiden, ob die positiven Wirkungen überwiegen. Aber selbst wenn keine umfassende Rechtfertigung zugunsten allgemeinwirtschaftlicher oder sogar gesellschaftspolitischer Ziele zugelassen werden soll, um den Ermessensspielraum der Entscheidungsträger und damit Willkür zu begrenzen, so haben die Erfahrungen aus dem US-Antitrustrecht gezeigt, dass eine Wettbewerbsordnung, die per se jedwede Wettbewerbsbeschränkung verbietet, nicht praktikabel ist. Zumindest müssen nach der allgemein anerkannten 950

CNDC v. 07.06.2000 Expte. 064-001173/00 (Fresenius Medical Care/RTC),

S. 51. 951 Argentinien: C. A. Galván, Delineando la „función a cumplir“, La Ley v. 25.04.2000, Suplem. S. 1–3; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 131, 138–140; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 221. Brasilien: J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 161 in Fn. 931. 952 Insbesondere auch auf die Formulierung des Wettbewerbsschutzprotokolls, vgl. N. A. Pascar, Protocolo de Defensa de la Competencia en el Mercosur, S. 109 f.; W. Faria, Defensa de la Competencia en el MERCOSUR, Revista del Derecho Industrial 1993 Nr. 43, S. 23 ff.; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 219. 953 G. Cabanellas de las Cuevas/W. Etzrodt, Das neue argentinische Kartellrecht vom 01.08.1980, Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (RIW) 1981, S. 156; CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 4. 954 Vgl. Antecedentes Parlamentarios 2000 A, 59-75, zitiert nach P. BischoffEverding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 123 f.

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Ancillary-restraints-Doktrin Nebenabreden zweifellos wettbewerbskonformer Hauptverträge zugelassen werden, wenn Letztere nicht ohne die Nebenabrede durchführbar sind955. Die zukünftig im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls zu verabschiedende Ausnahmevorschrift wird aufgrund der geringen Kapazitäten der nationalen Wettbewerbsbehörden, aus welchen sich der Ausschuss zum Schutze des Wettbewerbs im Mercosur zusammensetzt956, kaum ein Freistellungssystem mit Anmeldepflicht sein, wenn schon die EU-Kommission entsprechende Probleme mit der Bewältigung eingehender Anmeldungen hatte. Die ausdrückliche Einführung einer rule of reason ist ebenfalls nur schwer vorstellbar, da die über 100 Jahre Rechtsfortbildung und Präzisierung in den USA nicht einfach nachgeholt werden können; der Verweis auf die US-Rechtsprechung aber wird kaum Anhänger finden. Die enge, rein wettbewerbsimmanente Auslegung der rule of reason, wie sie in den USA praktiziert wird, lässt zudem nicht zu, Verhaltensweisen von der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften auszunehmen, die dem technischen und wirtschaftlichen Fortschritt oder auch integrationspolitischen Zielen zugute kommen. Die Tatsache, dass im brasilianischen Wettbewerbsrecht ein dem EU-Recht angelehntes Freistellungssystem gilt und das argentinische Wettbewerbsgesetz mit seinem genuinen Konzept des wirtschaftlichen Allgemeininteresses grundsätzlich auch Wettbewerbsbeschränkungen zulassen kann, die Art. 81 Abs. 3 EGV vergleichbaren Zwecken zugute kommen957, legt die Vermutung nahe, dass auch im Mercosur-Wettbewerbsschutzprotokoll eine etwaige zukünftige Ausnahmevorschrift Rechtfertigungen von Wettbewerbsbeschränkungen zugunsten des technischen und allgemeinen wirtschaftlichen Fortschritts zulassen werden wird. Unbeschadet der dargestellten Kritik an der Modernisierung des Wettbewerbsrechts in der Europäischen Union ist ein Verbot mit Legalausnahme, welches Ausnahmen des Verbotstatbestandes zugunsten der genannten Zwecke zulässt, auch für die Wettbewerbsschutzordnung des Mercosur eine denkbare Alternative. Voraussetzung ist, dass das Recht in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten inkorporiert wird und damit von Gerichten und Behörden anwendbar ist. Eine Formulierung wie im argentinischen Wettbewerbsgesetz ist jedoch abzulehnen. Es würde zwar ebenfalls das MercosurWettbewerbskomitee entlastet, da wie beim System der Legalausnahme im EG-Wettbewerbsrecht eine Anmeldung potentiell wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen entfällt und lediglich eine nachträgliche Missbrauchskon955 Darauf, dass jedes Kartellverbot eine Ausnahmeregelung vorsehen sollte, verweist: V. Emmerich, H. 1 § 1, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch, Rn. 183. 956 Art. 8 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls. 957 Unbeschadet der Tatsache, dass von der argentinischen Wettbewerbsbehörde derzeit überwiegend eine enge Auslegung zugunsten des einwandfreien Funktionierens des Marktes praktiziert wird.

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trolle stattfindet. Der Begriff des wirtschaftlichen Allgemeininteresses ist aber zu unbestimmt. Auch wenn er von der CNDC bisher überwiegend eng ausgelegt wurde, würde er den Ermessensspielraum der Entscheidungsträger zugunsten aller nur denkbaren Vorteile beliebig ausdehnen958, was Willkür und Rechtsunsicherheit mit sich brächte959. Für Paraguay ist allerdings eine Regelung, nach der das nationale Recht nicht ein vom Gemeinschaftsrecht abweichendes Ergebnis hervorbringen darf, wie sie Art. 3 Abs. 2 der EG-Verordnung 1/03 etabliert, mangels Vorrangs des Mercosur-Wettbewerbsrechts gegenüber nationalem Recht von Gesetzesrang960 nicht möglich, was einem Legalausnahmesystem aber nicht grundsätzlich entgegensteht. Es stellte sich in diesem Fall eine System ein, das die Charakteristika des derzeit in der Europäischen Union gültigen mit dem vor der Teerfarben-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs geltenden Systems vereint: Ist der zwischenstaatliche Handel beeinträchtigt, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, das gemeinsame Recht parallel zum nationalen Recht anzuwenden, wobei sich die jeweils strengere Rechtsordnung durchsetzt. Wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die dem Ausnahmetatbestand entsprechen, sind ex lege erlaubt, können aber von strengerem nationalem Recht verboten werden. Verhaltensweisen, die das nationale Recht nicht verbietet oder freistellt, können dennoch gegen das gemeinsame Kartellrecht verstoßen. Dennoch bleibt bis zur Verabschiedung weiterer Regelungen die Abwägung von Vor- und Nachteilen im „Namen der Vernunft“ durch das Mercosur-Wettbewerbskomitee die einzige Möglichkeit, eine Verhaltenskoordination von der Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls auszunehmen961. Ohne eine entsprechende Ausnahmevorschrift, die wettbewerbsbeschränkende Praktiken zugunsten bestimmter allgemeinwirtschaftlicher oder sonstiger förderungswürdiger Zwecke ausdrücklich zulässt, sind Ausnahmen vom Verbot der Wettbewerbsbeschränkungen allerdings ausschließlich zugunsten des Wettbewerbs selbst, der ja geschützt werden soll, rechtfertigbar. 958 Was auch an zwei Urteilen argentinischer Gerichte nachvollzogen werden kann, welche Entscheidungen der CNDC zugunsten klarer gesellschaftspolitischer Ziele revidierten, dabei aber keine einheitliche Linie verfolgten. Schreiber vermutet bei beiden Entscheidungen politische Einflussnahme, worauf auch der ungewöhnlich kurze Zeitraum zwischen Beschwerdeerhebung und Erlass des Urteils hinweise, vgl. T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 95 f. 959 Die Unbestimmtheit des Begriffs wird kritisiert, vgl. Anmerkungen in Fn. 941 (3. Teil). 960 Vgl. Teil 3, III. 1. c), S. 388 ff. 961 J. Tavares de Araujo, Harmonization of competition policies among Mercosur countries, The Antitrust Bulletin, 1998, S. 60; P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 281.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Eine darüber hinausgehende Auslegung ist mit dem derzeitigen Protokolltext unvereinbar. b) Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung Neben dem Verbot des wettbewerbsbeschränkenden individuellen und abgestimmten Verhaltens verbietet Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls auch solche individuelle oder abgestimmte Verhaltensweisen, die den Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem jeweiligen Markt für Waren oder Dienstleistungen innerhalb des Mercosur darstellen, wenn dadurch der zwischenstaatliche Handel beeinträchtigt wird. Dem Wortlaut zufolge erfordert das Missbrauchsverbot das Vorliegen von drei Tatbestandsmerkmalen: Eine marktbeherrschende Stellung, deren missbräuchliche Ausnutzung und die Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten962. Der Einfluss des Art. 82 EGV ist nicht zu übersehen963. Hinsichtlich der inhaltlichen Bedeutung der Merkmale lassen sich aus der Rechtsprechung zu Art. 82 EGV sowie auch aus der Praxis Argentiniens und Brasiliens einige Grundsätze ableiten964. aa) Relevanter Markt Die Formulierung des Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls spricht dafür, dass das aus dem Wettbewerbsrecht der Europäischen Union bekannte Marktmachtkonzept auch dem Wettbewerbsschutzprotokoll zu Grunde liegt. Dieses basiert auf der Vorstellung, dass sich wirtschaftliche Macht nur auf bestimmten, genau abzugrenzenden Märkten bilden kann965. Die relative Größe eines Unternehmens ist nur bezogen auf einen spezifischen Aktionsradius bestimmbar. Um zu überprüfen, ob eine beherrschende Marktstellung vorliegt, muss festgestellt werden, wie viele andere Unternehmen mit dem Unternehmen, dessen Markposition geprüft werden soll, in dessen Haupt962

Zur zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung vgl. bereits Teil 3, III. 1 c). Der Europäische Gerichtshof stellt fest, dass Art. 82 EGV das Vorliegen dreier Tatbestandsmerkmale erfordert: das Vorliegen einer beherrschenden Stellung, deren missbräuchliche Ausnutzung und die Möglichkeit zur zwischenstaatlichen Handelsbeeinträchtigung, vgl. EuGH v. 29.02.1968, Rs. 24-67 (Parke u. Davis/Probel u. a.), Slg. 1968, 86, 112. 964 Auf weitere Unterschiede, wie z. B. die Tatsache, dass im EG-Wettbewerbsrecht nur der Missbrauch von Marktmacht bei zumindest einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes verboten ist, wird im jeweiligen Kontext eingegangen. 965 Grundlegend: EuGH v. 21.02.1973, Rs. 6-72 (Europemballage und Continental Can/Kommission), Slg. 1973, 215, 248 ff. Vgl. auch: H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 120 ff. 963

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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absatzgebiet tatsächlich konkurrieren, das heißt gleiche oder austauschbare Produkte anbieten966. Die Feststellung einer Marktbeherrschung muss daher mit der Definition des relevanten Marktes beginnen, auf dem die dominante Position vermutet wird967, was Art. 11 lit. a des 2003 verabschiedeten Reglements zum Wettbewerbsschutzprotokoll968 bestätigt. Die Marktabgrenzung erfolgt ebenso wie beim Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen in sachlicher und räumlicher Hinsicht969. Insoweit kann hier auf die Ausführungen zum Verbot wettbewerbsbeschränkender Handlungen verwiesen werden970.

966 Die Wichtigkeit einer richtigen Marktabgrenzung hat der Europäische Gerichtshof im Hoffmann-La-Roche-Urteil hervorgehoben. Die Tatsache, dass ein Unternehmen auch außerhalb des relevanten Marktes tätig ist, trüge nicht zu einer beherrschenden Stellung auf diesem bei. Denn der Umfang der Gesamtproduktikon unterschiedlicher Erzeugnisse biete Roche keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen weltweit agierenden Wettbewerbern, vgl. EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 523 Rn. 47. 967 Für die Europäische Union vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 427. Auch in Argentinien beginnt die CNDC zunächst mit der Definition des relevanten Marktes, bevor sie in einem zweiten Schritt untersucht, ob eine beherrschende Stellung vorliegt, vgl. CNDC v. 22.05.1991, Expte. 84.543/83 (Gas del Estado/Agip Gas Argentina S. A. u. a.), VII.; CNDC v. 10.07.1984, Expte. 107.337/81 (BIEZA/Sierra del Mar), IV.; CNDC v. 20.05.1986, Expte. 107.435/84 (Indfflstria Argentina de Aceros/ Fabricaciones Militares), V.; CNDC v. 19.04.1985, Expte. 1304-0259-11401/82 (Cooperativa de Provisión de Canillitas/Lerchundi u. a.), IV.; CNDC v. 06.05.1997, Expte. 064-002849/96 (American Express/Visa, Mastercard y Argencard), 5.1 ff.; CNDC v. 27.042.1997, Expte. 609.960/93 (C. 320) (Cooperativa de Energía Eléctrica San Bartolomé/Cable Visión San Bartlolomé u. a.), V.; CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 5.; CNDC v. 02.08.1999, Expte. 064-007873/99 (Mercado de Abasto de Villa Maria/ Supermercados Americanos Disco), Rn. 17 ff.; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 28 ff.; CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 4.1; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 25 ff. Vgl. auch: A. Soldano/W.M. Lanosa, El abuso de posición dominante en la ley 22.262, El Derecho Nr. 155 (1993), S. 520 f. Für Brasilien: CADE v. 05.11.1997, P. A. 08000.011634/94-07 (Sindicato das Indfflstrias de Panificação Kibon e Indfflstria de Alimentícias Gerais), DOU 21.11.1997, Seção I, S. 27243; CADE v. 27.08.1997, A. C. 2/94 (Ultrafértil S. A. et al.), DOU 17.09.1997 I, S. 20610. Vgl. auch C. Martínez Blanco, Grandes cadenas, poder dominante y defensa de la competencia, S. 39. 968 Verabschiedet mit der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 969 Vgl. auch Art. 11 lit. b des Reglements zum Wettbewerbsschutzprotokoll. 970 Teil 3, III. 2. a), bb), (7).

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

bb) Beherrschende Stellung Eine Definition einer beherrschenden Marktstellung findet sich weder im Wettbewerbsschutzprotokoll noch im EG-Vertrag. Eine Legaldefinition gibt es aber im argentinischen Wettbewerbsgesetz, welche aufgrund der großen Ähnlichkeit des argentinischen Wettbewerbsgesetzes mit dem MercosurWettbewerbsschutzprotokoll Hinweise für eine Definition bieten kann. Art. 4 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes zählt drei Formen von Marktbeherrschung durch eine oder mehrere Personen auf. Der Reihenfolge nach sind dies das Angebots- oder Nachfragemonopol, das Fehlen wesentlichen Wettbewerbs und schließlich eine so starke horizontale oder vertikale Integration, dass über das wirtschaftliche Überleben anderer Marktteilnehmer entschieden werden kann971. Eine ähnliche positivrechtliche Definition findet sich auch in § 19 Abs. 2 des deutschen GWB und im spanischen Wettbewerbsgesetz von 1963, deren Einflüsse von der CNDC ausdrücklich anerkannt werden972. Art. 5 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes nennt bei der Prüfung zu berücksichtigende Umstände. Danach sind die Austauschbarkeit der Ware oder Dienstleistung, rechtliche Marktzutrittsschranken sowie der Umfang, in dem der mutmaßlich Marktbeherrschende einseitig die Preisbildung, die Versorgung oder Nachfrage auf dem Markt beeinflussen kann, maßgeblich973. Dieses Konzept wurde nun wortgleich im Reglement zum Wettbewerbsschutzprotokoll für den Mercosur übernommen974. Die 971 Art. 4 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 lautet: „Im Sinne des Gesetzes haben eine oder mehrere Personen eine marktbeherrschende Stellung, wenn sie für eine bestimmte Ware oder Dienstleistung im nationalen Markt oder einem oder mehreren Teilen der Welt der einzige Anbieter oder Nachfrager sind, wenn sie, ohne die einzigen zu sein, keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt sind oder wenn sie aufgrund des Umfanges vertikaler und horizontaler Integration in der Lage sind, über das wirtschaftliche Überleben von Wettbewerbern oder Marktteilnehmern zu deren Nachteil zu entscheiden.“, eigene Übersetzung. 972 Vgl. CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 4. Den Einfluss des spanischen und deutschen Wettbewerbsgesetzes auf Art. 2 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes von 1980, der in Art. 4 des neuen Gesetzes von 1999 Eingang gefunden hat, erkennt auch G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. II, S. 181. 973 Art. 5 lit. a des argentinischen Wettbewerbsgesetzes lautet: „Der Umfang der Austauschbarkeit der fraglichen Ware oder Dienstleistung durch andere in- oder ausländische Waren oder Dienstleistungen, die Voraussetzungen für einen Austausch sowie die dafür notwendige Zeit“; Art. 5 lit. b des argentinischen Wettbewerbsgesetzes lautet: „Der Umfang, in dem der Marktzutritt für Produkte, Anbieter und Nachfrager durch rechtliche Schranken behindert wird“; Art. 5 lit. c des argentinischen Wettbewerbsgesetzes lautet: „Der Umfang, in dem der mutmaßlich Verantwortliche die Preisbildung oder die Versorgung oder Nachfrage im Markt einseitig beeinflussen kann, sowie der Umfang, in dem die Wettbewerber Gegenmaßnahmen ergreifen können.“, eigene Übersetzung.

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Aufzählung ist dem Wortlaut nach nicht abschließend975, so dass grundsätzlich auch andere Marktstrukturkriterien Anwendung finden können. Eine an quantitativen Marktanteilen anknüpfende Definition von Marktmacht, wie es sie in Brasilien976 oder in Deutschland977 gibt, wird in Argentinien vermieden, um auch potentielle und noch nicht in den Markt eingetretene Wettbewerber berücksichtigen zu können978. Der Marktanteil gilt jedoch auch in Argentinien als bedeutendes Kriterium zur Feststellung von Marktmacht, wie noch weiter unten zu sehen sein wird979. In der Europäischen Union wird eine beherrschende Stellung als die Möglichkeit des Unternehmens gesehen, die Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, und sich so dem Wettbewerbsdruck zu entziehen, welcher dem Verhaltensspielraum der am Markt ansässigen Unternehmen im Interesse der Marktpartner die erforderlichen Schranken zieht980. Die Fähigkeit, sich dem Wettbewerbsdruck zu entziehen, hängt ganz wesentlich von der Marktmacht des in Frage stehenden Unternehmens ab. Die Marktmacht verschafft dem Unternehmen die Möglichkeit, den noch bestehenden Wettbewerb merklich zu beeinflussen und unabhängige Marktstrategien im Verhältnis zu den Konkurrenten und letztlich auch im Verhältnis zu den Verbrauchern zu entwickeln981. Eine do974

Vgl. Art. 11 des Reglements zum Wettbewerbsschutzprotokoll. So auch T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 185. 976 Eine beherrschende Position wird gemäß Art. 20 § 3 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes ab einem Marktenteil von 20% vermutet. 977 Gemäß § 19 Abs. 3 GWB (v. 26.08.1998, BGBl. I 1998, 2521, neugefasst durch Bekanntmachung v. 15.7.2005, I 2114, geändert durch Art. 1 Gesetz v. 01.09.2005, I 2676) ist ab einem Marktanteil von einem Drittel von einer beherrschenden Stellung auszugehen. 978 CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 4.; vgl. etwa CNDC v. 12.11.1998, Expte. 064-000961/97 (Axoft Argentina S.A./Sistemas Bejerman), 5.3 ff.; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 314. Von dieser Regel ist die argentinische Wettbewerbsbehörde im Urteil „Colegio Médico de Corrientes“ abgewichen. In diesem hält sie Interessenverbände für marktbeherrschend, wenn sie über mehr als 50% der Berufstätigen auf dem jeweiligen Markt vertreten, vgl. CNDC v. 24.11.1998, Expte. 0064-002343/97 (Colegio Médico de Corrientes), 5.10. 979 In diesem Gliederungspunkt, S. 513 ff. 980 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 430. 981 Grundlegend: EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, Rn. 38 f.; EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3503 Rn. 30; EuGH v. 04.05.1988, Rs. 30/87 (Bodson/ Pompes funèbres des régions libérées), Slg. 1988, 2507, 2514 Rn. 26. Vgl. auch: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 40 Rn. 24; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 430 f.; C. Martínez Blanco, Grandes cadenas, poder dominante y defensa de la competencia, S. 40. 975

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

minante Position äußere sich daher in der Fähigkeit, Preise zu bestimmen und die Produktion oder die Verteilung zu kontrollieren982. Ein weiteres Kennzeichen von Marktmacht ist die Fähigkeit, Wettbewerber zu behindern oder Wettbewerb zu verhindern983. Dies entspricht der Definition der argentinischen Wettbewerbsbehörde, die das Fehlen wesentlichen Wettbewerbs und damit das Vorliegen von Marktmacht als die Möglichkeit eines Marktteilnehmers versteht, seinen Willen einseitig und ohne die Rücksicht auf seine Wettbewerber durchzusetzen984, insbesondere Preise einseitig verändern zu können985. Dass Marktführerschaft auch in Argentinien an einem vom Wettbewerb nicht mehr eingegrenzten Verhaltensspielraum erkennbar ist, geht besonders klar aus Art. 4, 3. Alternative des argentinischen Wettbewerbsgesetzes hervor, der, wie bereits erwähnt, als Indiz einer beherrschenden Marktstellung die Möglichkeit eines Marktakteurs nennt, über das wirtschaftliche Überleben anderer Marktteilnehmer entscheiden zu können. Auch die brasilianische Wettbewerbsbehörde stellt unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten Umstände986 im Ergebnis darauf ab, ob der Wirtschaftsteilnehmer über eine so große Marktmacht verfügt, dass er sich 982

EuGH v. 13.11.1975, Rs. 26/75 (General Motors/Kommission), Slg. 1975, 1367, 1378 f.; EuG v. 10.07.1991, Rs. T-70/89 (BBC/Kommission), Slg. 1991 II, 535, 561. 983 EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, Rn. 456; EuGH v. 04.05.1988, Rs. 30/87 (Bodson/Pompes funèbres des régions libérées), Slg. 1988, 2507, 2514 Rn. 26; EuG v. 10.07.1991, Rs. T-70/89 (BBC/ Kommission), Slg. 1991 II, 535, 561 Rn. 51; EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3503 Rn. 30. 984 CNDC v. 18.02.1997, Expte. 106.179/89 (Abbott Laboratorios Argentina, Boehringer Ingelheim u. a.), S. 10; CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), I. und VII.; CNDC v. 24.11.1998, Expte. 0064-002343/97 (Colegio Médico de Corrientes), 5.7; CNDC v. 18.08.1999, Expte. 064-007874/99 (Mariano Ernesto Morgan/José María Ubici), Rn. 33; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 44; zuletzt: CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 30.; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 164 f. Die augenscheinliche Anlehnung an die Praxis im Europäischen Gemeinschaftsrecht erkennt auch die Literatur, vgl. J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 184 in Fn. 1084. 985 CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 4.; Vgl. auch: J. Otamedi, Presupuestos básicos, La Ley 1981-B, S. 915; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. II, S. 182. Die Möglichkeit zur unabhängigen Preismanipulation wird im Übrigen ausdrücklich in Art. 5 lit. c des argentinischen Wettbewerbsgesetzes als Indiz für eine beherrschende Stellung genannt, vgl. bereits Fn. 973 (3. Teil). 986 Genannt werden: Technologievorsprung, Wachstum des Marktes, Verbraucherverhalten, Struktur des Unternehmens, Marktzutrittshindernisse, vgl. P. A. Forgioni, Os Fundamentos do Antitruste, S. 282 ff.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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von den Marktpartnern und Verbrauchern in nennenswertem Umfang unabhängig verhalten kann987. (1) Marktanteil und Marktzutrittsschranken Kriterien, anhand derer Marktmacht feststellbar ist, sind aber vor allem ein hoher Marktanteil, dem herausragende Bedeutung zukommt988, und die Marktzutrittsschranken989. Auch die argentinische CNDC berücksichtigt regelmäßig den Marktanteil und die Marktzutrittsschranken für die Feststellung einer dominanten Marktstellung990, wobei auch sie dem Marktanteil besondere Bedeutung beimisst991. Das brasilianische Wettbewerbsgesetz legt sogar den Markt987

CADE v. 12.03.1997, P. A. 31/92 (Transauto/Fiat Automóveis), DOU 31.03.1997, Seção I, S. 23895. 988 So die EG-Rechtsprechung, vgl. EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, Rn. 39; EuG v. 12.12.1991, Rs. T-30/89 (Hilti/Kommission), Slg. 1991 II, 1439, Rn. 90. Vgl. auch: V. Emmerich, H. I § 1, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 338. 989 Für das EG-Wettbewerbsrecht vgl. EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, Rn. 63–66; EuGH v. 03.07.1991, Rs. C-62/86 (Akzo/Kommission), Slg. 1991 I, 3359, Rn. 69 ff.; EuG v. 06.10.1994, Rs. T-83/91 (Tetra Pak/Kommission – „Tetra Pak II“), Slg. 1994 II, 755, 813 Rn. 114. 990 Vgl. CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 4. u. 6. c); CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 5.9 ff.; CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), I. und VII.; CNDC v. 20.05.1986, Expte. 107.435/84 (Indfflstria Argentina de Aceros/Fabricaciones Militares), V.; CNDC v. 27.042.1997, Expte. 609.960/93 (C. 320) (Cooperativa de Energía Eléctrica San Bartolomé/Cable Visión San Bartlolomé u. a.), V. (Aufgrund der Tatsache, dass der Marktzugang offensichtlich nicht beschränkt war, wurde eine marktbeherrschende Stellung verneint); ebenso CNDC v. 12.11.1998, Expte. 064-000961/97 (Axoft Argentina S.A./Sistemas Bejerman),5.3 und 5.6; CNDC v. 27.02.1998, Expte. 034-003749/95 (Federación de Clínicas, Sanatorios, Hospitales u. a./Roux-Ocefa u. a.), 3.2; CNDC v. 11.07.1999, Expte. 064-008480/98 (Cámara de Indfflstria de Calzado de Córdoba/Carrefour), Rn. 21 f.; CNDC v. 02.08.1999, Expte. 064-007873/99 (Mercado de Abasto de Villa Maria/Supermercados Americanos Disco), Rn. 24 f.; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 53, 56, 64 f., 68, 92; CNDC v. 18.08.1999, Expte. 064-007874/99 (Mariano Ernesto Morgan/José María Ubici), Rn. 28 ff.; CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 4.1; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 25, 44 f. CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/ Repsol YPF), Rn. 35; zuletzt: CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 46, 76 und 78; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 265 ff., 277 ff.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

anteil, ab dem eine beherrschende Position vermutet werden kann, gesetzlich fest992. Wie aus dem Begriff „vermutet“ (presumida) hervorgeht, handelt es sich jedoch nur um einen Richtwert, der vom CADE angepasst werden kann993. Neben dem Marktanteil zieht die brasilianische Wettbewerbsbehörde auch andere Marktstrukturkriterien heran, wobei der Marktzutrittsmöglichkeit eine herausragende Rolle zukommt994. Marktanteile unter 25% begründen nach Meinung des Europäischen Gerichtshofs in der Regel keine beherrschende Position995. Marktanteile unter 50% rechtfertigen nur im Zusammenhang mit anderen Faktoren die Annahme einer dominanten Marktstellung, welche für sich genommen nicht ausschlaggebend sein müssen996. Solche Faktoren sind beispielsweise die Zersplitterung des restlichen Angebots, großer Abstand des Marktführers zum nächst kleineren Konkurrenten oder die wirtschaftliche und technische Überlegenheit gegenüber allen anderen auf dem relevanten Markt tätigenden Unternehmen997. In einem engen Oligopol indiziert nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs ein Marktanteil von etwa 45% eine beherrschende Position, wenn dies ein Mehrfaches des an zweiter Stelle liegenden Unternehmens ist998. Bei besonders hohen Marktanteilen ist ohne weitere Prüfung von einer marktbeherrschenden Stellung auszugehen, wenn nicht 991 CNDC, Ley de Defensa de la Competencia y los mercados de prestaciones de salud, 1997, 6. 992 Vgl. bereits Anmerkungen in Fn. 976 (3. Teil). 993 Dies stellt Art. 20 § 3 Halbs. 2 des brasilianischen Wettbewerbsgesetz ausdrücklich klar. Hierzu P. A. Forgioni, Os Fundamentos do Antitruste, S. 285 ff.; F. Ulhoa Coelho, Direito Antitruste Brasileiro, S. 59 f. 994 CADE v. 15.12.1999 A. C. 08012.007405/98-47 (Terminal de Vila Velha et al.), DOU 21.01.2000, Seção, I, S. 1; CADE v. 12.04.2000 A. C. 08012.008814/99-32 (Concreton Serv. de Concretagem et al.), DOU 24.04.2000, Seção I, S. 2; vgl. auch: P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 92. Es wird hervorgehoben, dass mangels abstrakter Kriterien in jedem Einzelfall die besonderen Umstände des Marktes in einer Gesamtschau betrachtet werden müssen, vgl. P. A. Forgioni, Os Fundamentos do Antitruste, S. 282 f.; so auch CADE v. 12.03.1997, P. A. 31/92 (Transauto/Fiat Automóveis). 995 EuGH v. 25.10.1977, Rs. 26/76 (Metro/Kommission), Slg. 1977, 1875, 1903 f.; H. Bergman, Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 102. 996 Vgl. EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, 290 ff. Rn. 108 ff.; EuGH v. 15.12.1994, Rs. C-250/92 (Goettrup-Klim/DLG), Slg. 1994 I, 5641 5690 Rn. 46 ff.; KomE v. 14.07.1999 (Virgin Air/BA), ABl. 2000, Nr. L 233/1, 7. 997 H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 98. Vgl. auch: EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, 290 ff. Rn. 108–129; EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 525 ff. Rn. 50 f. u. 66 f.; KomE v. 04.11.1988 (London European/ Sabena), ABl. 1988, Nr. L 317/47, 52.

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außergewöhnliche Umstände etwas anderes vermuten lassen999. Als besonders hoch sind Marktanteile über 65% gewertet worden1000. Insgesamt sind die Marktanteile im Lichte der Marktstrukturen zu betrachten1001. Ein hoher Marktanteil weist zwar umso mehr auf eine dominante Position hin, je größer der Abstand zu kleineren Wettbewerbern ist1002, eine marktbeherrschende Stellung ist jedoch auch bei umfangreichem Restwettbewerb nicht ausgeschlossen1003. Die Bedeutung des Marktanteils wird durch potentiellen Wettbewerb relativiert; so z. B. durch Unternehmen, die zwar noch nicht in den Markt eingetreten sind, dies aber durch kurzfristige Produktionsumstellung tun könnten1004. Potentieller Wettbewerb besteht auch in nicht ausgenutzten Kapazitäten von Wettbewerbern1005 und in der potentiellen Substituierbarkeit durch Produkte in geographisch entfernten Märkten. So hebt Art. 5 lit. a des argentinischen Wettbewerbsgesetzes die Austauschbarkeit der in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen auch mit ausländischen Waren oder Dienstleitungen als bei der Feststellung der beherrschenden Stellung zu berücksichtigende Umstände hervor1006. Ohne dass ein hoher Marktanteil gegeben ist, kann unter Umständen auch einseitige Abhängig998 EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, 290 ff. Rn. 111 ff.; EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 525 ff. Rn. 50 f. u. 66. 999 EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 521 Rn. 41. 1000 EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3509 Rn. 52; EuG v. 12.12.1991, Rs. T-30/89 (Hilti/Kommission), Slg. 1991 II, 1439, 1480 f. Rn. 91; EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 1996 Rn. 376 ff.; EuGH v. 03.07.1991, Rs. C-62/86 (Akzo/Kommission), Slg. 1991 I, 3359, 3452 f.; EuG v. 07.10.1999, Rs. T-228/97 (Irish Sugar/Kommission), Slg. 1999 II, 2969, 3007 f. Rn. 70. 1001 Insbesondere Angebots-, Nachfrage- und Produktionsstruktur, vgl. EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 520 Rn. 40. 1002 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 403 Rn. 31. 1003 EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, Rn. 70. 1004 EuGH v. 21.02.1973, Rs. 6/72 (Europemballage und Continental Can/Kommission), Slg. 1973, 215, Rn. 33. 1005 EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, Rn. 48. 1006 Die Substituierbarkeit muss aber schnell und ohne umfangreiche Investitionen möglich sein, denn es sind nach Art. 5 lit. a des argentinischen Wettbewerbsgesetzes auch die für die Substituierbarkeit erforderlichen übrigen Bedingungen und die erforderliche Zeit zu berücksichtigen, vgl. T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 186.

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keit von dem fraglichen Unternehmen eine beherrschende Stellung begründen1007. In Brasilien hat der CADE es in einem genau andersherum gelagerten Fall abgelehnt, bei einem Unternehmen, das den größten Marktanteil besaß, eine beherrschende Stellung anzunehmen, weil die Marktpartner ebenfalls eine Größe besaßen, die es ihnen erlaubte, auf Gleichheitsbasis mit dem beherrschenden Unternehmen Verträge zu schließen1008. Obwohl das argentinische Wettbewerbsgesetz entgegen dem brasilianischen Wettbewerbsgesetz keine Marktanteilsschwellen kennt, verwendet auch die CNDC hohe Marktanteile als wichtigstes Indiz einer marktbeherrschenden Stellung. So gelten Interessenverbände als marktbeherrschend, wenn sie über mehr als 50% der Berufstätigen auf dem jeweiligen Markt vertreten1009. Ebenso wie im Europäischen Gemeinschaftsrecht üblich berücksichtigt die CNDC Marktstrukturkriterien. Insbesondere stellt die CNDC auf die Unabhängigkeit vom Marktverhalten der Konkurrenz ab. Ein Marktanteil von 60% sei dann nicht als marktbeherrschend einzustufen, wenn es nur einen einzigen weiteren Anbieter gibt1010. Im YPF-Fall (Mineralöl, Flüssiggas) hielt die CNDC den Marktanteil von 53% alleine noch nicht für ausreichend, um YPF als Marktführer anzusehen. Erst unter Berücksichtigung der vertikalen Integration und der Struktur der Marktgegenseite kam die Behörde zu dem Schluss, dass das Unternehmen keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt sei1011. Ein Unternehmen kann andererseits trotz eines geringeren Marktanteils als marktbeherrschend beurteilt werden, wenn es aufgrund von technischem Wissen, der Verfügbarkeit von Rohstoffen oder Kapital unabhängig von Abnehmern und Lieferanten agieren kann1012. Auch das Marktverhalten kann nach Ansicht der argentinischen Behörde Hinweise für Marktmacht geben. So weisen einseitige Preisfestsetzungen, 1007 EuGH v. 11.11.1986, Rs. 226/84 (British Leyland/Kommission), Slg. 1986 I, 3263, Rn. 9. 1008 CADE v. 06.03.1996, A. C. 15/94 (Indfflstrias Verolme-Ishibras), DOU 11.03.1996 I, S. 3959; ganz ähnlich CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 44, 83. 1009 Berufverbände, die über 50% Marktanteil besitzen, gelten als marktbeherrschend und dürfen daher nicht die Aufnahme neuer Mitglieder verhindern, wenn diese die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, vgl. CNDC v. 24.11.1998, Expte. 0064-002343/97 (Colegio Médico de Corrientes), 5.10. Einen Verlag, der 50% des Marktes einer überregionalen Zeitung innehat, hielt die CNDC für marktbeherrschend, vgl. CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./ Arte Gráfico Ed. Argentina), 5.9 ff.; vgl. auch: CNDC, Ley de Defensa de la Competencia y los mercados de prestaciones de salud, 6. Pauta 6. 1010 CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 4.; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 44. 1011 CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 4.1.

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Preisdiskriminierung, Lieferverweigerung, einseitige Durchsetzung von Koppelungsverträgen oder Kampfpreisunterbietung auf Marktmacht hin1013. Neben dem Marktanteil gelten als ein weiterer wesentlicher Anhaltspunkt für eine starke Marktstellung die Marktzutrittsschranken. Besonders große Marktzutrittsschranken bilden gewerbliche Schutzrechte wie Patente und Urheberrechte1014, ausschließliche staatliche Rechte und besondere gesetzliche Privilegien1015. Daneben kann auch die vertikale Integration, beispielsweise in Form gefestigter Vertriebsstrukturen oder des Zugangs zu Rohstoffen, den Markzutritt für potentielle Mitbewerber erschweren1016. In der EGRechtsprechung werden die so genannten Größenvorteile (economies of scale) als Marktzutrittsschranken hervorgehoben, die dem Neuankömmling nicht sofort zukommen1017. Marktzutrittsschranken sind ferner erhebliche Investitionen in Produktionsanlagen oder in Vertriebssysteme1018. Marken stellen Marktbarrieren dar, denn sie erfordern Investitionen in das Produktmarketing, um gegenüber einer bereits akzeptierten Marke in den Markt einsteigen zu können1019. Auch ein erheblicher technischer Vorsprung oder herausragende wirtschaftliche Ressourcen können die Annahme einer beherrschenden Position begründen1020. In der Literatur zum brasilianischen 1012 CNDC v. 10.05.1983, Expte. 106.403/81 (ex – MCEIM) (CNDC/Indfflstrias Welbers), S. 36; bestätigt durch Cámara Nacional de Apelaciones en lo Penal Económico, in: La Ley, Bd. A, 1984, S. 27 ff. 1013 CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5. 1), 2), 4), 6), 8), 9); vgl. auch Fn. 984 f. (3. Teil). 1014 Für das EG-Wettbewerbsrecht vgl. EuGH v. 31.05.1979, Rs. 22-78 (Hugin/ Kommission), Slg. 1979, 1869, 1895; EuG v. 12.12.1991, Rs. T-30/89 (Hilti/Kommission), Slg. 1991 II, 1439, Rn. 93; EuG v. 06.10.1994, Rs. T-83/91 (Tetra Pak/ Kommission – „Tetra Pak II“), Slg. 1994 II, 755, 811. 1015 Für das EG-Wettbewerbsrecht vgl. KomE v. 21.10.1997 (Hafen von Genua), ABl. 1997, Nr. L 301/27, Rn. 8; bestätigt durch EuG v. 12.12.2000, Rs. T-128/98 (Aéroports Paris/Kommission), Slg. 2000 II, 3929, Rn. 149 f.; KomE v. 10.02.1999 (Portugiesische Flughäfen), ABl. 1999, Nr. L 69/31, Rn. 23. 1016 Für das EG-Wettbewerbsrecht vgl. EuGH v. 03.07.1991, Rs. C-62/86 (Akzo/ Kommission), Slg. 1991 I, 3359, Rn. 61; EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, Rn. 121; KomE v. 19.12.1990 (Solvy u. CFK), ABl. 1991, Nr. L 152/16. 1017 EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, 286 ff. insb. Rn. 221–124. 1018 KomE v. 09.12.1971 (Continental Can), ABl. 1972, Nr. L 7/25, 37; KomE v. 17.12.1975 (Chiquita), ABl. 1976, Nr. L 95/1, 13. 1019 EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, Rn. 88 ff. 1020 EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 519 ff.; EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3510 f.; EuGH v. 04.05.1988, Rs. 30/87 (Bodson/Pompes funèbres des régions libérées), Slg. 1988, 2507, 2514 f. Die EU-Kommission spricht vom tech-

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Wettbewerbsrecht werden geringe Marktzutrittshemmnisse als mögliches Korrektiv eines hohen Marktanteils gewertet1021. Auch die CNDC hält die Annahme von Marktbeherrschung bei geringen Marktzutrittsschranken trotz eines hohen Marktanteils nur in Ausnahmefällen für gerechtfertigt1022. (2) Konkurrenz zwischen Kartellverbot und Missbrauchsverbot Dem Wortlaut von Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls zufolge können sowohl individuelle als auch abgestimmte Handlungen, also auch nichteinseitige Handlungen, einen Missbrauch einer beherrschenden Marktstellung darstellen. Dies entspricht der Formulierung in Art. 82 EGV, nach der ein Unternehmen alleine oder aber „mehrere Unternehmen“ kollektiv wirtschaftliche Macht missbräuchlich ausnutzen können1023. Fraglich ist, ob es bei der Marktbeherrschung durch mehrere Wirtschaftsteilnehmer darauf ankommt, dass Wettbewerb zwischen diesen besteht, ob sie also unabhängig voneinander agieren oder ob darunter auch rechtlich zwar selbständige, in Ermangelung wirtschaftlicher Unabhängigkeit aber faktisch wie ein Unternehmen zu betrachtende Zusammenschlüsse fallen. Anhaltspunkte können die Kartellrechte und die Praxis in Argentinien und Brasilien liefern. Auch im argentinischen und brasilianischen Wettbewerbsrecht kann der Missbrauchstatbestand von einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern erfüllt sein. Art. 4 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes bestimmt, dass das Genologischen oder kommerziellen Vorsprung des Marktführers, vgl. KomE v. 17.12.1975 (Chiquita), ABl. 1976, Nr. L 95/1, 13. Auch ein besonders hoher Marktanteil auf einem anderen, aber eng verbundenen Markt kann gleichfalls zur Verfolgung unabhängiger Strategien führen und eine marktbeherrschende Stellung verleihen, vgl. EuG v. 06.10.1994, Rs. T-83/91 (Tetra Pak/Kommission – „Tetra Pak II“), Slg. 1994 II, 755, 815 ff. 1021 P. A. Forgioni, Breves notas sobre a Posição Dominante e seu abuso, BLC 1998 Nr. 3, S. 35. 1022 CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 4. a), b). So auch der Tenor in: CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), insb. Rn. 46, 76, 78; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 315. Bestehen allerdings rechtliche oder faktische Marktzutrittsschranken, genügt ein hoher Marktanteil regelmäßig, um auf eine beherrschende Marktposition zu schließen, vgl. CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 68 f.; CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 8.9; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 277 ff. 1023 Zum gemeinsamen Ausnutzen von Marktmacht im EG-Wettbewerbsrecht: H. Bergmann, Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 120 ff.; V. Emmerich, H. 1 § 1, in: M. A. Dauses (Hrsg.) Handbuch, Rn. 346 ff.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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setz auf marktbeherrschende Positionen „einer oder mehrerer Personen“ (una o más personas) Anwendung findet. Nach Art. 20 § 2 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes kann Marktbeherrschung von einem oder einer „Gruppe von Unternehmen“ (grupo de empresas) ausgeübt werden. In Argentinien wurde in dem neuen Wettbewerbsgesetz Nr. 25.156 von 1999 die ausdrückliche Formulierung des alten Gesetzes Nr. 22.262 von 1980, wonach zwischen den Mitgliedern des beherrschenden Oligopols kein effektiver Wettbewerb mehr bestehen darf, nicht übernommen1024. Dies deutet darauf hin, dass in Argentinien auch Unternehmen, die effektiv miteinander konkurrieren, also wirtschaftlich unabhängig sind, eine beherrschende Marktstellung gemeinsam innehaben können1025. Ebenso wird in der Literatur zum brasilianischen Wettbewerbsrecht die Reichweite des Begriffs „grupos de empresas“ diskutiert, welcher nicht mit „grupo de sociedades“ gleichzusetzen ist, dem Begriff für den gesellschaftsrechtlichen Konzern1026. Unter „grupo de empresas“ fallen auch wirtschaftlich unabhängige Unternehmen, die eine gemeinsame Strategie verfolgen1027. Hierfür spricht auch, dass der CADE im Xerox-Fall neben dem Marktführer Xerox auch dem Konkurrenten Sharp missbräuchliche Koppelungspraktiken untersagte, weil er diese als gemeinsame Strategie betrachtete, um dritte Wettbewerber vom Markt für Kopiergeräte auszuschließen1028. Diese Sichtweise entspricht der Handhabe im EG-Wettbewerbsrecht1029. Mehrere Unternehmen können gemeinsam eine marktbeherrschende Stellung innehaben, wenn es sich um rechtlich und wirtschaftlich selbständige Unternehmen handelt, die auto1024 Vgl. Art. 2 lit. b des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 22.262 gegenüber Art. 4 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156. 1025 Anders aber: G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. II, S. 184 f., 198 und T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 179, der darauf hinweist, dass in der bisherigen Praxis der CNDC wettbewerbswidrige Verhaltensweisen mehrerer Unternehmen unter dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Handlungen und nicht dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung behandelt wurden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Entscheidungspraxis der CNDC der geänderten Formulierung im Gesetz anpassen wird. 1026 Hierauf verweist: P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 90. 1027 S. V. Bruna, O poder econômico e a conceituação do abuso em seu exercicio, S. 113. Fn. 185; P. A. Forgioni, Breves notas sobre a Posição Dominante e seu abuso; BLC 1998 Nr. 3, S. 33; R. M. Manóvil, Grupos de sociedades en el derecho comparado, 1998, S. 203. 1028 CADE v. 28.05.1993, P. A. 1/91 (Sharp do Brasil S.A.), DOU 01.06.1993, Seção I, 7292; CADE v. 31.03.1993 P. A. 23/91 (Xerox do Brasil S.A.), DOU 16.04.1993, Seção I, 4855. 1029 Bei der Diskussion um den Begriff „grupos de empresas“ des Art. 20 § 2 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes wird auf die Auslegung der Formulierung des Art. 82 EGV hingewiesen, vgl. P. A. Forgioni, Os Fundamentos do Antitruste, S. 280 ff.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

nome Entscheidungen treffen, welche aber als gemeinsames Verhalten in Erscheinung treten1030. Unternehmen, die in der Weise miteinander verbunden sind, dass sie keine eigenständige Marktstrategie verfolgen können, wie dies in einem Konzern der Fall ist, werden wie ein Unternehmen im Sinne von Art. 82 EGV betrachtet1031. Im europäischen Wettbewerbsrecht ist das Missbrauchsverbot nach Art. 82 EGV die einzige Möglichkeit, einseitige Maßnahmen zu sanktionieren, denn Art. 81 EGV verbietet nur abgestimmtes Verhalten1032, während, wie gesehen, Art. 4 Halbs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls auch einseitige Wettbewerbsbeschränkungen nicht marktbeherrschender Unternehmen verbietet1033. Im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union ist von einer durch Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV normierten systematischen Einheit von Kartellverbot nach Art. 81 EGV und Missbrauchsverbot nach 82 EGV auszugehen1034. Diese systematische Einheit ist im Wettbewerbsschutzprotokoll durch die Zusammenfassung von Beschränkungs- und Missbrauchsverbot in einem Einheitstatbestand ohnehin gegeben. Es ist aber nicht davon auszuge1030

Vgl. EuG v. 08.10.1996, Rs. T-24/93, T-25/93, T-26/93 und T-28/93 (Compagnie Maritime Belge Transports u. a./Kommission), Slg. 1996 II, 1201, Rn. 64. Vgl. auch: T. Eilmansberger, Art. 82 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2003, Rn. 8; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 382 Rn. 16, S. 406 Rn. 37; anders aber wohl H. Schröter, Art. 82, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 81, der eine wirtschaftliche Selbständigkeit der beteiligten Unternehmen nicht als Voraussetzung für kollektive Marktbeherrschung hält. 1031 EuG v. 08.10.1996, Rs. T-24/93, T-25/93, T-26/93 und T-28/93 (Compagnie Maritime Belge Transports u. a./Kommission), Slg. 1996 II, 1201, Rn. 60 ; bestätigt durch EuGH v. 16.03.2000, Rs. C-395/96 P und C-396/96 P (Compagnie Maritime Belge Transports u. a./Kommission), Slg. 2000 I, 1365, Rn. 40 f. 1032 Auf Praktiken von in einem Konzern zusammengeschlossener Unternehmen ist Art. 81 EGV nicht anwendbar, vgl. EuGH v. 31.10.1974, Rs. 15-74 (Centrafarm u. a./Sterling Drug), Slg. 1974, 1147, Rn. 41; EuGH v. 24.10.1996, Rs. C-73/95 P (Viho Europe/Kommission), Slg. 1996 I, 5457, Rn. 51. 1033 Wobei allerdings auch hier Marktmacht vorliegen muss, vgl. Teil 3, III. 2. a), aa). 1034 EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, Rn. 132: „Soweit Art. 86 [82] EGV das Vorliegen einer beherrschenden Stellung erfasst und deren missbräuchliche Ausnutzung verbietet, fügt er sich in das System von Bestimmungen ein – (. . .) –, die sämtlich das Ziel verfolgen, dass auf einem Markt, der die Merkmale eines einzigen Marktes aufweist, ein wirksamer, unverfälschter Wettbewerb hergestellt wird.“. Es ist deshalb von einer harmonischen Rechtsanwendung beider Vorschriften auszugehen, vgl. C. Jung, Art. 82 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 20; H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 32. Vgl. auch: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 377–384, insb. S. 377 Rn. 1, S. 380 Rn. 9.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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hen, dass das Verbot wettbewerbsbeschränkender Praktiken und das Verbot des Missbrauchs einer dominanten Marktposition nebeneinander angewendet werden können sollen, wie das im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union der Fall ist, soweit die besonderen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind1035. Im Mercosur-Wettbewerbsschutzprotokoll ist das Verbot wettbewerbwidrigen Verhaltens „oder“ das Verbot des Missbrauchs von Marktführerschaft einschlägig. Der Wortlaut ist als Auftrag an den Anwender des Gesetzes zu verstehen, sich für eine Alternative zu entscheiden, wenn die besonderen Voraussetzungen für beide Tatbestandsalternativen gegeben sind. Dies hat zur Folge, dass im Zweifel auf die schwierige Prüfung, ob eine beherrschende Marktstellung anzunehmen ist1036, verzichtet werden kann, wenn eine Begrenzung, Beschränkung, Verfälschung oder Verzerrung des Wettbewerbs bewirkt oder bezweckt wird, wenn also der Beschränkungstatbestand erfüllt ist1037. Aufgrund der Zusammenfassung des Beschränkungsverbots und des Missbrauchsverbots in einen einheitlichen Tatbestand „Verstoß gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll“ kommt es für Verhaltensweisen, die bereits unter das Verbot der wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen fallen, nicht darauf an, ob sie auch das Ausnutzen einer beherrschenden Stellung darstellen. Es ist unerheblich, welche der beiden Tatbestandsalternativen erfüllt sind1038. Das Konkurrenzproblem zwischen 1035 Vgl. EuG v. 08.10.1996, Rs. T-24/93, T-25/93, T-26/93 und T-28/93 (Compagnie Maritime Belge Transports u. a./Kommission), Slg. 1996 II, 1201, 1231 f.; EuGH v. 27.04.1994, Rs. C-393/92 (Almelo u. a./NV Energiebedrijf), Slg. 1994 I, 1477, Rn. 42; EuGH v. 17.10.1995, Rs. C-140/94, C-141/94 und C-142/94 (DIP/ Comune di Bassano), Slg. 1995 I, 3257, Rn. 25 f. Zur so genannten „Idealkonkurrenz“ beider Vorschriften: H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 33 ff.; T. Lübbig, Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I: Europäisches Recht, Kommentar, 2005, Rn. 9; D. Dirksen, Art. 82 EG, in: Langen/Bunte, Rn. 200–203. 1036 Zur Schwierigkeit der Feststellung einer beherrschenden Marktposition vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 401–406. 1037 Diese Schlussfolgerung zieht G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. II, S. 215 für das argentinische im Vergleich zum europäischen Wettbewerbsrecht. So hat die argentinische Wettbewerbsbehörde wiederholt auf die endgültige Feststellung, ob eine beherrschende Marktstellung vorliegt, verzichtet, vgl. CNDC v. 11.07.1999, Expte. 064-008480/98 (Cámara de Indfflstria de Calzado de Córdoba/Carrefour), Rn. 11, 17; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 76; CNDC v. 02.08.1999, Expte. 064-007873/99 (Mercado de Abasto de Villa Maria/Supermercados Americanos Disco), Rn. 10; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 50 zuletzt: CNDC v. 03.04. 2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 39. Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes lässt ebenfalls die Wahl zwischen einer der beiden Tatbestandsalternativen zu.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Beschränkungs- und Missbrauchstatbestand, wie es zwischen Art. 81 und 82 EGV gegeben ist1039, entsteht nicht1040. Eine Abgrenzung zwischen Kartell- und Missbrauchsverbot könnte im Rahmen einer zukünftigen Freistellung wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen zwingend relevant werden. Letztere wird den Missbrauch vermutlich nicht freistellen1041. (3) Beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes Im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union muss die beherrschende Stellung gemäß Art. 82 EGV zumindest auf einem „wesentlichen Teil“ des Gemeinsamen Marktes bestehen. Diese Vorschrift dient dazu, den Anwendungsbereich des Verbots von Marktmachtmissbrauch auf bedeutende Missbrauchssachverhalte mit gemeinschaftsweiter Dimension einzuschränken. Art. 82 EGV soll nicht den kleinen, auf lokalen Märkten tätigen Unternehmen Schutz vor Machtmissbrauch beherrschender Unternehmen bieten. Dies ist vielmehr Aufgabe der nationalen Wettbewerbsgesetze1042. Das Wettbewerbsschutzprotokoll sieht diese einschränkende Formulierung nicht vor. Stattdessen verbietet es den Missbrauch auf dem „jeweiligen Markt“. Relativierend wirkt allerdings die Tatsache, dass nur Verhaltensweisen in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls fallen, die den zwischenstaatlichen Handel tatsächlich beeinträchtigen, während im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union bereits die Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ausreicht1043. Die Eignung wurde vom Europäischen Gerichtshof zudem weit ausgelegt, weshalb die Zwischenstaatlichkeitsklausel in der Praxis der Europäischen Union in der Vergangenheit eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Dadurch, dass der zwischenstaatliche Handel im Mercosur tatsächlich beeinträchtigt sein muss und nicht schon die abstrakt-logische Eig1038

So J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 142 für die brasilianische und S. 182 für die argentinische Parallelvorschrift. 1039 Vgl. Anmerkungen in Fn. 1035 (Teil 3). 1040 So J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 142 für das ähnlich formulierte brasilianische Wettbewerbsgesetz. 1041 In Brasilien ist eine Unterscheidung zwischen Beschränkungsverbot und Missbrauchsverbot im Hinblick auf eine mögliche Genehmigung durch den CADE von Bedeutung. Diese ist nur für wettbewerbsbeschränkende Handlungen möglich, nicht jedoch für den Missbrauch einer beherrschenden Marktstellung, vgl. P. A. Forgioni, Os Fundamentos do Antitruste, S. 140 ff. Für das argentinische Wettbewerbsgesetz siehe: J. M. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kartellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, S. 190 in Fn. 1121. 1042 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 429. 1043 Hierzu auch schon oben, Teil 3, III. 1. c).

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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nung hierzu ausreicht, werden solche Missbrauchssachverhalte aus der Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls herausgenommen, die für den gemeinsamen Binnenmarkt von untergeordneter Bedeutung sind. Die Möglichkeit einer engeren Auslegung der Zwischenstaatlichkeitsklausel im Mercosur ersetzt das Erfordernis der Marktführerschaft auf mindestens einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes in der Europäischen Union. cc) Missbrauch Das Erreichen einer beherrschenden Marktstellung ist trotz der mit dieser stets einhergehenden Wettbewerbsbeschränkung grundsätzlich erlaubt1044. Lediglich der Missbrauch von Marktmacht ist verboten. Art. 5 des Wettbewerbsschutzprotokolls stellt ausdrücklich klar, dass die Markteroberung, die auf dem natürlichen Prozess größerer wirtschaftlicher Effizienz eines Wirtschaftsteilnehmers gegenüber seinen Wettbewerbern beruht, keinen Verstoß gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll darstellt. Art. 20 § 1 des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes enthält die wortgleiche Klarstellung für die brasilianische Wettbewerbsordnung1045. Auch das argentinische Wettbewerbsgesetz verbietet nicht die marktbeherrschende Stellung, sondern lediglich deren Missbrach1046. Ein allgemeines Verbot von Monopolstellungen, wie es der Sherman Act vorsieht, ist in Südamerika nicht praktikabel. Monopole sind 1044

R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 52, 105, 108; E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Jurídico, S. 171; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 379 Rn. 7. 1045 Vgl. hierzu F. Ulhoa Coelho, Direito Antitruste Brasileiro, S. 57 ff.; P. A. Forgioni, Os Fundamentos do Antitruste, S. 232 ff.; M. Reale, Abuso do poder econômico e garantías individuais, in: J. I. G. Franceschini/J. L. V. Franceschini (Hrsg.), Poder econômico: Exercicio e abuso – Direito Antitruste Brasileiro, São Paulo 1985, S. 521. Bevor die Formulierung aus dem EG-Wettbewerbsrecht übernommen wurde, hatte der CADE bereits klargestellt, dass in Brasilien nicht die beherrschende Marktstellung als solche verboten ist, sondern nur der Missbrauch von Marktmacht, vgl. CADE v. 30.09.1994 A. C. 12/94 (Rhodia/Sinasa), DOU 17.10.1994, Seção I, 15648 ff. Art. 20 Nr. IV des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes verbietet Verhaltensweisen, durch die eine wirtschaftliche Machtstellung missbräuchlich ausgenutzt wird; wirtschaftliche Macht an sich ist nicht verboten. 1046 Die Motive des Gesetzes Nr. 22.262 heben dies in Kapitel III, Nr. 1 hervor. So auch die argentinische Wettbewerbsbehörde, vgl. CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 4.; CNDC v. 19.04.1985, Expte. 1304-0259-11401/82 (Cooperativa de Provisión de Canillitas/Lerchundi u. a.), IV.; CNDC v. 27.042.1997, Expte. 609.960/93 (C. 320) (Cooperativa de Energía Eléctrica San Bartolomé/Cable Visión San Bartlolomé u. a.), V.; CNDC v. 18.02.1997, Expte. 106.179/89 (Abbott Laboratorios Argentina, Boehringer Ingelheim u. a.), S. 11. Vgl. auch: M. V. G. De Quevedo, Boletín Latinoamericana de Competencia 2000 Nr. 9 – Teil 1, S. 10; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 165, 226.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte in weiten Teilen Südamerikas abseits von den Metropolen nicht selten1047. Im Übrigen ist auch in den USA, wo der Sherman Act bereits den Versuch, eine Monopolstellung zu erreichen, verbietet, seit dem Alcoa-Fall anerkannt, dass Wirtschaftsmacht an sich nicht die Wirtschaftsordnung gefährdet1048. Auch im europäischen Wettbewerbsrecht löst die mit einer beherrschenden Stellung stets verbundene Beschränkung des Wettbewerbs für sich alleine noch keine Rechtsfolgen aus1049. Das Wettbewerbsschutzprotokoll enthält keine Definition des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, ebenso wenig wie der EG-Vertrag oder die Wettbewerbsgesetze Argentiniens und Brasiliens. Gemäß den Gesetzesmotiven des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 22.262 orientiert sich das Gesetz an zeitgenössischen Wettbewerbsordnungen1050, weshalb ein Blick auf die Rechtsprechung in der Europäischen Union helfen kann, was unter Missbrauch zu verstehen ist1051. So wie im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union als übergeordneter Zweck der Wettbewerbsregeln die Herstellung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV genannt wird1052, so ist der Zweck der Vorschriften im Wettbewerbsschutzprotokoll die Herstellung angemessener Wettbewerbsbedingungen im Mercosur gemäß Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción. Missbrauch ist folglich jedwedes Marktverhalten, das angemessenen Wettbewerbsbedingungen in einem Gemeinsamen Markt mit freiem Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren zwischen den Ländern entgegensteht1053. Der Europäische Gerichtshof bezeichnet solche Verhaltensweisen als missbräuchlich, die die Struktur des 1047 Hierauf verweist T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 174 für Argentinien. Auf den hohen Konzentrationsgrad der brasilianischen Wirtschaft weist P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 89 hin. 1048 „The successful competitor, having been urged to compete, must not be turned upon, when he wins“ Court of Appeals, U.S. vs. Aluminium Co. of America, 148 F.2d 416, 430 (2nd Cir. 1945). 1049 So ausdrücklich der Europäische Gerichtshof, vgl. EuGH v. 15.12.1994, Rs. C-250/92 (Goettrup-Klim/DLG), Slg. 1994 I, 5641, 5691 Rn. 49. Vgl. auch: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 379 Rn. 7. 1050 Gesetzesmotive zum argentinischen Wettbewerbsgesetz Nr. 22.262, Kapitel III, Nr. 1. 1051 Zum Einfluss des EG-Wettbewerbsrechts auf das argentinische Wettbewerbsgesetz Nr. 22.262 vgl. auch: E. J. Cárdenas, Características de un abuso de posición dominante, La Ley 1984-A, S. 28, der herausstellt, dass das Missbrauchsverbot vom damaligen Art. 86 EGV übernommen wurde; G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 87. 1052 EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3503; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 436. 1053 Art. 1 Abs. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción. Hierzu vgl. Teil 3, II.

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Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die die Aufrechterhaltung oder Entwicklung des noch bestehenden Wettbewerbs durch Verwendung von Mitteln behindern, welche von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen1054. So können Verhaltensweisen, die unter Wettbewerbsbedingungen erlaubt sind, im Fall des Vorliegens einer beherrschenden Stellung einen Missbrauch darstellen1055. Es ist folglich schwierig zu bestimmen, ob sich ein marktbeherrschendes Unternehmen legal oder seine Marktmacht missbrauchend verhält1056. Anhaltspunkte dafür, welche Verhaltensweisen unter dem Missbrauchstatbestand subsumiert werden können, liefern die Regelbeispiele in Art. 6 des Wettbewerbsschutzprotokolls. Da die Beispiele sich auf den Einheitstatbestand in Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls beziehen, unterscheiden sie nicht zwischen der verbotenen Verhaltenskoordinierung und dem Missbrauch einer beherrschenden Marktsstellung. Im Folgenden wird versucht, anhand derjenigen Regelbeispiele aus Art. 6 des Wettbewerbsschutzprotokolls, die unter den Missbrauchstatbestand eingeordnet werden können, herauszufinden, welche Praktiken im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen. (1) Ausbeutungsmissbrauch Art. 6 Nr. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls verbietet die unmittelbare oder mittelbare, mit Mitbewerbern abgestimmte oder individuelle Festsetzung, Auferlegung oder Anwendung jeglicher Art von Preisen und Bedingungen des An- und Verkaufs von Waren, der Erbringung von Dienstleistungen oder der Produktion. Die Festsetzung von Preisen ist nur als abgestimmte Maßnahme verboten1057 und wurde im Kapitel über das Verbot wettbewerbsbeschränken1054 EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, Rn. 91; EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31-80 (L’Oréal/De Nieuwe Amck), Slg. 1980, 3775, 3794; EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3512 ff.; EuG v. 07.10.1999, Rs. T-228/97 (Irish Sugar/Kommission), Slg. 1999 II, 2969, 3021 ff.; EuG v. 06.10.1994, Rs. T-83/91 (Tetra Pak/ Kommission – „Tetra Pak II“), Slg. 1994 II, 755, 821 f. 1055 Beispielsweise ist der Erwerb einer Lizenz grundsätzlich kein wettbewerbswidriges Verhalten. Wenn aber der Erwerb der Lizenz die bereits vorhandene Marktführerschaft verstärkt und den ohnehin geringen Restwettbewerb noch verringert, wird darin Missbrauch von Marktführerschaft gesehen, vgl. EuG v. 10.07.1990, Rs. T-51/89 (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1990 II, 309, Rn. 23. 1056 R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 105.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

der Verhaltensweisen betrachtet1058. Hier wurde bereits angemerkt, dass die individuelle Preisfestsetzung gerade Bestandteil des Wettbewerbs auf Grundlage der Leistungen der Marktbürger ist und daher nicht verboten sein kann1059. Eine missbräuchliche Ausnutzung von Marktführerschaft ist aber die Auferlegung oder Anwendung, also das Erzwingen von Preisen und Geschäftsbedingungen. Diese Verhaltensweisen sind im europäischen Wettbewerbsrecht als Ausbeutungsmissbrauch bekannt und im Art. 82 S. 2 lit. a EGV als Beispiel für den Missbrauch von Marktführerschaft aufgeführt. Ausbeutungsmissbrauch ist im EG-Kartellrecht das missbräuchliche Ausnutzen von Marktmacht durch das Erzwingen von Preisen und Konditionen, um den Gewinn zu maximieren1060. Im Gegensatz zur europäischen Parallelvorschrift setzt das Beispiel nicht ausdrücklich das Vorliegen einer beherrschenden Stellung voraus1061. Wie gesehen, ist davon auszugehen, dass unter das Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen nach Art. 4 Halbs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls neben den abgestimmten auch individuelle Handlungen fallen können, wenn zumindest eine gewisse Marktmacht anzunehmen ist1062. Einseitige Handlungen können auf diese Weise, auch ohne dass eine marktbeherrschende Stellung anzunehmen ist, einen Verstoß gegen Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls darstellen. In diesem Fall ist dann das Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen nach Art. 4 Halbs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls anstelle des Verbots des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Position nach Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls einschlägig. Da der Beispielkatalog nicht zwischen beiden Teiltatbeständen unterscheidet, sondern Beispiele für unter den Einheitstatbestand von Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls fallende verbotene Verhaltensweisen nennt, ist nicht zwingend eine beherrschende Marktposition erforderlich, um eine Maßnahme Art. 6 Nr. I des Wett1057 Hierfür spricht, dass im Europarecht die Festsetzung von Preisen gemäß Art. 81 Abs. 1 lit. a EGV als Beispiel für eine kollektive wettbewerbswidrige Maßnahme aufgeführt wird, während das Erzwingen unangemessener Preise oder Geschäftsbedingungen als missbräuchliches Ausnutzen einer beherrschenden Marktstellung in Art. 82 S. 2 lit. a EGV genannt wird. Der Zusammenfassung von Missbrauchsverbot und kollektiven Beschränkungsverbot in einer Generalklausel entspricht die gemeinsame Nennung des Festsetzens und des Erzwingens bzw. Auferlegens von Preisen und Geschäftsbedingungen in einem gemeinsamen Beispieltatbestand. 1058 Vgl. oben, Teil 3, III. 2. a), cc), (1). 1059 Vgl. auch Anmerkungen in Fn. 335 f. (3. Teil). 1060 Zum Begriff: T. Eilmansberger, Art. 82 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/ EGV, Rn. 23 ff. 1061 Die in Art. 82 S. 2 EGV genannten Beispiele für Marktmachtmissbrauch beziehen sich auf Art. 82 S. 1 EGV, der den Missbrauch einer beherrschenden Marktposition verbietet. 1062 Vgl. Teil 3, III. 2. a), aa) und Teil 3, III. 2. b), bb).

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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bewerbsschutzprotokolls zuzuordnen1063. Es reicht aus, wenn genügend Marktmacht vorhanden ist, dass Preise und Geschäftsbedingungen des Anund Verkaufs auferlegt werden können1064. Im Gegensatz zu Art. 82 S. 2 lit. a EGV fehlt die Einschränkung der Unangemessenheit der erzwungenen Preise oder Bedingungen. Art. 6 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls spricht vielmehr von der Auferlegung „jeglicher Art“ von Preisen und Bedingungen. Dies ist insoweit von Bedeutung, als in der Europäischen Union gerade das Merkmal der Unangemessenheit der erzwungenen Preise oder Konditionen als entscheidendes Kriterium gilt, während der Begriff der Erzwingung weit ausgelegt wird1065. Es sind solche Preise nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs unangemessen, die in keinem vernünftigen Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert des Produktes oder der Leistung stehen1066. Das Problem bei der Feststellung der Unangemessenheit von Preisen ist demnach die Definition des wirtschaftlichen Wertes eines Produktes oder einer Leistung als Maßstab für die Angemessenheit des Preises. Grundsätzlich ist es möglich, sich an den Preisen in vergleichbaren Märkten zu orientieren (Vergleichsmarktkonzept)1067 oder 1063

Die argentinische CNDC hat für die fast gleich lautende Vorschrift des Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes klargestellt, dass eine endgültige Entscheidung, ob eine beherrschende Stellung vorliegt, dann nicht getroffen werden muss, wenn auf jeden Fall Marktmacht gegeben ist und von einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 1 Halbs. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes ausgegangen werden kann, vgl. Anmerkungen in Fn. 1037 (3. Teil). 1064 Kritisch hierzu weiter unten, Teil 3, IV. 1065 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 438. 1066 EuGH v. 05.10.1988, Rs. 53/87 (Cicra u. a./Renault), Slg. 1988, 6039, 6073; EuGH v. 05.10.1994, Rs. C-323/93 (Besamungsstation la Crespelle/Genossenschaft Mayenne), Slg. 1994 I, 5077, Rn. 25; EuGH v. 17.07.1997, Rs. C-242/95 (GT-Link/ DSB), Slg. 1997 I, 4449, Rn. 39. In mehreren Fällen hat der Europäische Gerichtshof unangemessen hohe Preise anerkannt, vgl. EuGH v. 11.02.1971, Rs. 40-70 (Sirena/EDA u. a.), Slg. 1971, 69, 84; EuGH v. 13.11.1975, Rs. 26/75 (General Motors/Kommission), Slg. 1975, 1367, 1379 f.; EuGH v. 05.10.1988, Rs. 238/87 (Volvo/Veng), Slg. 1988, 6211, 6235. 1067 Vgl. EuGH v. 04.05.1988, Rs. 30/87 (Bodson/Pompes funèbres des régions libérées), Slg. 1988, 2479, 2516; EuGH v. 13.07.1989, Rs. 110/88, 241/88, 242/88 (Lucazeau u.a/SACEM), Slg. 1989, 2811, 2826 u. 2831 ff.; KomE v. 17.12.1975 (Chiquita), ABl. 1976, Nr. L 95/1, 15; EuGH v. 13.07.1989, Rs. 395/87 (Ministere Public/Tournier), Slg. 1989, 2521, 2569; EuGH v. 08.06.1971, Rs. 78/70 (Deutsche Grammophon/Metro), Slg. 1971, 487, 501. Nicht jeder Preisunterschied zwischen Mitgliedstaaten begründet den Verdacht unangemessener Preise. Preisunterschiede zwischen Mitgliedstaaten gelten jedoch als Indiz für Missbrauch von Marktmacht, wenn sie groß sind und der Unterschied nicht sachlich erklärt werden kann, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 411 Rn. 5. Das Vergleichsmarktkonzept ist problematisch. Es ist schwer, zwei wirklich gleiche und damit vergleichbare Märkte zu finden. Kritisch zum Vergleichmarktkonzept: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 196 f. Zum Vergleichsmarktkonzept auch: T. Lübbig,

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

aber die Angemessenheit anhand der Gewinnspanne, also der Differenz zwischen Verkaufspreis und Herstellungsvollkosten zu ermitteln1068. Die Ermittlung eines angemessenen Preises ist indes auch im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls notwendig um festzustellen, ob Preise auferlegt oder erzwungen wurden. Nur unangemessene Preise müssen erzwungen oder auferlegt werden; angemessene Preise werden von den Abnehmern freiwillig gezahlt. Die Unangemessenheit ist als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal auch im Art. 6 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls zu prüfen1069. Preismissbrauch ist neben der Anwendung überhöhter Preise1070 auch das Ausnutzen von Marktmacht zum Erzwingen ausbeuterisch niedriger Einkaufspreise1071.

Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 152 f.; H. Schröter, Art. 81, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 188–194. 1068 Sog. Konzept der Gewinnspannenabgrenzung. Preise sind danach unangemessen, wenn ein Missverhältnis zwischen Kosten und erzielten Preisen besteht; grundlegend in der Europäischen Union: EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/ Kommission), Slg. 1978, 207, 305; EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/ Kommission), Slg. 1978, 207, Rn. 248, 257 u. 267 f.; KomE v. 17.12.1975 (Chiquita), ABl. 1976, Nr. L 95/1, 15 f.; KomE v. 19.12.1974 (General Motors), ABl. 1975, Nr. L 29/14, 16. Kritisch V. Emmerich, Kartellrecht, S. 198, der darauf hinweist, dass es kein praktikables Verfahren gibt, die Vollkosten eines Produktes exakt zu bestimmen. 1069 Hierfür spricht, dass auch die argentinische Wettbewerbsbehörde das Vergleichsmarktkonzept anwendet. Anhand eines Vergleichs der Preise für Flüssiggas auf dem argentinischen und dem brasilianischen Markt kam sie zu dem Ergebnis, dass der marktbeherrschende Gaslieferant missbräuchlich überhöhte Preise anwendete, vgl. CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 6.2.; CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 28 ff.; ganz ähnlich CNDC v. 07.04.1983, Expte. 14.356/81 (Sociedad Propietarios de Panaderías de Santa Fe), I.; CNDC v. 06.05.1997, Expte. 064-002849/96 (American Express/Visa, Mastercard y Argencard), 5.19; zuletzt: CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 111 ff., 122. Im Kabelfernseh-Urteil hielt die CNDC fest, dass Preiserhöhungen kein Missbrauch von Marktmacht darstellen, wenn sie durch eine Verbesserung der Leistungen begründet werden können, vgl. CNDC v. 03.02.2003, Expte. 064-014322/99 (Cablevisión/Canal 2 Visión del Litoral), Rn. 30. Dass Preismissbrauch nur schwer feststellbar ist, erkennt auch der CADE an, vgl. CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I. 1070 Vgl. beispielsweise CNDC v. 19.03.1999, Expte. 064-002687/97 (CNDC/ YPF S.A.), Serie de dictámenes Nr. 5, 6.2. 1071 Die CNDC prüfte nach einem Zusammenschluss zweier marktstarker Supermarktketten, ob das neu entstandene Konglomerat seine Nachfragemacht ausnutzte, um ausbeuterisch niedrige Einkaufspreise zu erzwingen, vgl. CNDC v. 28.04.2000 Expte. 064-015759/99 u. 064-019282/99 (CNDC/Carefour S. A. – Promodes S.A.), S. 42 ff.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Art. 6 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls nennt auch das Auferlegen von Geschäftsbedingungen als beispielhaften Verstoß gegen das Protokoll. Ebenso wie Preise müssen auch Geschäftsbedingungen nur dann auferlegt oder erzwungen werden, wenn sie unangemessen sind. Wann eine Geschäftsbedingung unangemessen ist, ist aufwendiger zu ermitteln als die Angemessenheit von Preisen. Der im EG-Wettbewerbsrecht als Konditionenmissbrauch bekannte Tatbestand wurde vom Europäischen Gerichtshof in einer Reihe von Fällen festgestellt1072. Als Maßstab für die Angemessenheit von Geschäftsbedingungen werden das Verhältnismäßigkeitsprinzip1073, das Diskriminierungsverbot1074 sowie die Auswirkungen der fraglichen Vertragsklauseln auf das System unverfälschten Wettbewerbs gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV genannt1075. Überträgt man diese Interpretation auf den Mercosur, dann sind solche Vertragsklauseln als Konditionenmissbrauch im Sinne von Art. 6 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls einzuordnen, die „angemessenen Wettbewerbsbedingungen“ im Mercosur gemäß Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción entgegenstehen; dies umso mehr, je schädlicher die Klausel für die angemessenen Wettbewerbsbedingungen ist. Besondere Bedeutung für die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes mit angemessenen Wettbewerbsbedingungen kommt dem Nichtdiskriminierungsprinzip zu. Dieses ist nach Ansicht des achten Schiedsgerichts in Art. 7 des Vertrags von Asunción normiert1076. Der Vertrag von Asunción enthält keine dem Art. 5 Abs. 3 EGV vergleichbare Vorschrift. Dass dennoch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein gültiges Rechtsprinzip im Mercosur ist, hat das sechste Schiedsgericht herausgestellt1077. Die Verpflichtung zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ergibt sich aber auch daraus, dass auch nach dem Wettbewerbsschutzprotokoll Geschäftsbedingungen „angemessen“ sein müssen. Angemessene Bedingungen sind solche, die im richtigen Verhältnis zu ihrem Nutzen bemessen sind, also zum Erreichen des 1072 EuGH v. 05.10.1988, Rs. 247/86 (Alsatel/Novasam), Slg. 1988, 5987, 6008 Rn. 10; EuG v. 06.10.1994, Rs. T-83/91 (Tetra Pak/Kommission – „Tetra Pak II“), Slg. 1994 II, 755, 821 ff. Zum Konditionenmissbrauch vgl. C. Jung, Art. 82 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 143 ff. 1073 EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, 298. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist normiert in Art. 5 Abs. 3 EGV. 1074 EuGH v. 30.04.1974, Rs. 155-73 (Sacchi), Slg. 1974, 409, 431. Das Diskriminierungsverbot ist normiert in Art. 12 EGV. 1075 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 439 f. Zum Konditionenmissbrauch im EGWettbewerbsrecht ausführlich H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 194 ff. 1076 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt Considerando A. i). 1077 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen), Punkt II. B. 1. b).

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

legitimen Zwecks unerlässlich sind1078. Von der Unangemessenheit von Vertragsklauseln ist auch dann auszugehen, wenn diese offenbar nur aufgrund der Marktmacht des fraglichen Unternehmens durchgesetzt werden konnten, während entsprechende Bedingungen bei wirksamem Wettbewerb nicht möglich wären1079. Dem Gesagten nach dürften auch im Mercosur Ausschließlichkeitsbedingungen1080, übermäßig lange Vertragdauern1081 und überhöhte Vertragsstrafen1082 als unangemessene Konditionen gelten1083. In Argentinien erklärte die CNDC Vertragsklauseln, in denen Zeitungsgroßhändler den Einzelhändlern vorschrieben, welche Waren ins Sortiment aufzunehmen seien, für wettbewerbswidrig1084. (2) Diskriminierungen Art. 6 Nr. VII des Wettbewerbsschutzprotokolls entspricht wörtlich Art. 82 S. 2 lit. c EGV: Gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll verstößt die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden. Wie für Art. 82 S. 2 lit. c EGV ist auch für Art. 6 Nr. VII des Wettbewerbsschutzprotokolls davon auszugehen, dass das Verbot der unterschiedlichen Behandlung gegenüber „Handelspartnern“ nicht die Diskrimi1078 So der Europäische Gerichtshof für die Dauer von Vertragsbindungen, vgl. EuGH v. 27.03.1974, Rs. 127/73 (Belgische Radio/Sabam u. Fonior – „Sabam-II“), Slg. 1974, 313, 316 Rn. 6, 8. 1079 Vgl. CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 75 f. 1080 Die CNDC erkannte Ausschließlichkeitsvereinbarungen einer Apothekerkammer für missbräuchlich an, vgl. CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 98. Im Fall „Profertil“ prüfte die Behörde, ob Ausschließlichkeitsbindungen es dem Unternehmen erlauben, überhöhte Preise zu verlangen, vgl. CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 122. Ausschließlichkeitsbindungen fallen auch unter die Einschränkung der Erzeugung und des Absatzes (hierzu siehe unten: Teil 3, III. 2. b), cc), (4)) und können zudem auch als (vertikale) abgestimmte Handlung in Erscheinung treten (vgl. bereits Teil 3, III. 2. a), cc), (2)). 1081 Beispielsweise Mietverträge von Telefonanlagen über 15 Jahre, vgl. EuGH v. 05.10.1988, Rs. 247/86 (Alsatel/Novasam), Slg. 1988, 5987, 6008. 1082 Beispielsweise für die vorzeitige Beendigung eines Mobilfunkvertrages, vgl. CNDC v. 29.12.1998 (CRM-Movivom), 7.1. 1083 Diese Beispiele für unangemessene Geschäftsbedingungen im Rahmen des Art. 82 S. 2 lit. a EGV nennt V. Emmerich, Kartellrecht, S. 440. 1084 CNDC v. 19.04.1985, Expte. 1304-0259-11401/82 (Cooperativa de Provisión de Canillitas/Lerchundi u. a.), IV. und V.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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nierung von Wettbewerbern des fraglichen marktbeherrschenden Unternehmens meint1085. Handelspartner im Sinne der genannten Vorschriften sind die Lieferanten und Abnehmer des betreffenden marktbeherrschenden Unternehmens, die untereinander im Wettbewerb stehen, nicht jedoch Endverbraucher1086. Ein beherrschendes Unternehmen soll nicht durch ungleiche Behandlung von Handelspartnern den Wettbewerb auf den Märkten für voroder nachgelagerte Erzeugnisse verzerren1087. Entsteht einem Marktakteur also ein Wettbewerbsnachteil dadurch, dass das in Frage stehende marktbeherrschende Unternehmen ihm schlechtere Konditionen als seinen Konkurrenten bietet, obwohl er gleichwertige Leistungen erbringt1088, liegt ein Missbrauch einer beherrschenden Marktstellung im Sinne von Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls vor. Ebenso wie im EG-Wettbewerbsrecht ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um einen besonderen Unterfall des Diskriminierungsverbots aufgrund der Staatsangehörigkeit handelt1089, weshalb der wichtigste Anwendungsfall die diskriminierende Behandlung von Vertragspartnern verschiedener Mitgliedstaaten ist1090. 1085 Für Art. 82 S. 2 lit. c: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 414 Rn. 16. 1086 Im EG-Wettbewerbsrecht geht die herrschende Meinung jedoch davon aus, dass Diskriminierungen von privaten Verbrauchern zwar nicht unter den Beispieltatbestand, aber doch unter die Generalklausel fallen, vgl. D. Dirksen, Art. 82 EG, in: Langen/Bunte, Rn. 142; H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 224; C. Jung, Art. 82, in: Grabitz/Hilf, Rn. 167; T. Eilmansberger, Art. 82 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 37. In diesem Sinne prüfte die argentinische Wettbewerbsbehörde, ob Rabattaktionen, an denen nur einige Händler teilnehmen durften, als wettbewerbswidrige Diskriminierung einzustufen seien. Die Tatsache, dass die Rabatte an sich ebenfalls nur für bestimmte Kunden galten, war nicht Gegenstand der Untersuchung, vgl. CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 23 ff. 1087 So für das EG-Wettbewerbsrecht mit weitern Nachweisen: C. Jung, Art. 82, in: Grabitz/Hilf, Rn. 162; D. Dirksen, Art. 82 EG, in: Langen/Bunte, Rn. 138. 1088 Dem Wortlaut lässt sich nicht entnehmen, wessen Leistungen gemeint sind, die gleichwertig sein sollen. Aus dem Zweck der Vorschrift ergibt sich, dass die Leistungen der Handelspartner zu vergleichen sind, die vom beherrschenden Unternehmen unterschiedlich behandelt werden. So jedenfalls für Art. 82 S. 2 lit. c EGV: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 414 Rn. 17. 1089 Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ist im Europäischen Gemeinschaftsrecht in Art. 12 EGV normiert und wendet sich vor allem an die Mitgliedstaaten, die in ihren Rechtsordnungen Inländer und Ausländer nicht unterschiedlich behandeln dürfen. Aber auch eine unterschiedliche Behandlung Angehöriger verschiedener Mitgliedstaaten durch marktbeherrschende Unternehmen wirkt der Entstehung eines einheitlichen und von den nationalen Märkten unabhängigen Binnenmarktes entgegen, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 415; V. Emmerich, Kartellrecht, S. 443 Rn. 20. Das Diskriminierungsverbot ist im Mercosur in Art. 7 des Vertrags von Asunción verankert (so das 8. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2002 (faktische Diskriminierung), Punkt Con-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Eine Diskriminierung ist nicht anzunehmen, wenn ausnahmsweise eine unterschiedliche Behandlung sachlich gerechtfertigt ist. Dies geht aus dem Wortlaut hervor, der nur die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen im Fall „gleichwertiger Leistungen“ der Vertragsgegenseite als wettbewerbswidrig verbietet1091. Nicht gleichwertige Leistungen sind beispielsweise Unterschiede in der Bestellmenge oder der Häufigkeit der Bestellung bei Abnehmern verschiedener Handelsstufen. Unterschiedliche Konditionen gegenüber Großhändlern und Einzelhändlern1092 oder die ausschließliche Besiderando A. i). Es richtet sich ebenso wie Art. 12 EGV in erster Linie an die Vertragsstaaten, denen er untersagt, ausländische Produkte mit Steuern, Abgaben und anderen Belastungen zu diskriminieren. 1090 So für das EG-Wettbewerbsrecht grundlegend: EuGH v. 30.04.1974, Rs. 155-73 (Sacchi), Slg. 1974, 409, 431 Rn. 17, wo es um die Benachteiligung ausländischer Unternehmen beim Zugang zum Werbefernsehen ging. Ebenso als diskriminierend anerkannt wurde in der Europäischen Union: das Erheben unterschiedlicher Gebühren für Inlands- und Auslandsflüge durch die Flughafenbetreiber, vgl. KomE v. 10.02.1999 (Portugal), ABl. 1999, Nr. L 69/24, 27 f.; KomE v. 26.07.2000 (Spanien), ABl. 2000, Nr. L 208/36, 40 ff.; unterschiedliche Preise für Containertransport in deutsche, holländische und belgische Häfen, die nicht durch unterschiedliche Entfernungen rechtfertigbar waren, vgl. KomE v. 29.03.1994 (HOV-SVZ/MCN), ABl. 1994, Nr. L 104/34, 51 ff. u. 248; bestätigt durch: EuG v. 21.10.1997, Rs. T-229/94 (DB/Kommission), Slg. 1997 II, 1689, 1720 f. Rn. 78 f.; die Bevorzugung einzelner Kunden, um sie von Konkurrenten abzuwerben, vgl. EuG v. 07.10.1999, Rs. T-228/97 (Irish Sugar/Kommission), Slg. 1999 II, 2969, 3030 ff.; unterschiedliche Preise, je nach Bestimmungsland, vgl. KomE v. 30.06.1970 (Kodak), ABl. 1970, Nr. L 147/24, 26. 1091 Für das argentinische Wettbewerbsrecht vgl. CNDC v. 07.10.1997, Expte. 064-002742/97 (Franski/Ski World), 4.3.3; CNDC v. 30.06.1999, Expte. 064-006301/99 (Decoteve/Pramer), 2.5; CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 43; CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 115. Für Art. 82 S. 2 lit. c EGV so auch V. Emmerich, Kartellrecht, S. 443. 1092 So die CNDC für den ähnlich lautenden Art. 41 Abs. 8 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 22.262, vgl. CNDC v. 09.05.1997, Expte. 632.054/94 (MAKRO S.A./SAVA), IV.; CNDC v. 08.07.2005, Expte. 064-011323/2001 (C. 697) (Oxígeno Líquido), Rn. 10 lit. a (Die Behörde untersuchte, ob Preisunterschiede durch Mengenrabatte rechtfertigbar seien). Der umgekehrte Fall, in dem Einzelhändler sogar günstiger beliefert werden als Großhändler mit dem Ziel, letztere aus dem Markt zu verdrängen, wurde daher von der CNDC als wettbewerbswidrig eingestuft, vgl. CNDC v. 29.11.1983, Expte. 25.523/82 (Alianza Gas/Atlanta Gas), S. 6. Vergleichbar ist der Fall, in dem ein marktbeherrschendes Unternehmen den Endverbraucher über ein mit dem Unternehmen verbundenen Händler zu günstigeren Preisen beliefert, als das Unternehmen für das gleiche Produkt von freien Händlern verlangt, vgl. CADE v. 26.07.2000, P. A. 08000.020849/96-1 (White Martins Gases Industriais), DOU 07.08.2000, Seção I, S. 3. In der ausschließlichen Belieferung von Großhändlern sah die CNDC keine Diskriminierung, vgl. CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 82 ff.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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lieferung von Großhändlern1093 sind daher keine Diskriminierung im Sinne des Regelbeispiels. Eine sachliche Rechtfertigung können auch unterschiedliche Handelsbräuche und die sich über einen längeren Zeitraum zwischen den Parteien herausgebildeten Vertragsstrukturen sein1094. Im EG-Wettbewerbsrecht wird eine Diskriminierung insbesondere angenommen, wenn das gleiche Produkt zu unterschiedlichen Preisen angeboten wird oder ein etwaiger Preisunterschied nicht den unterschiedlichen Kosten entspricht1095. Dementsprechend ist die Anwendung gleicher Preise bei unterschiedlichen Kosten für ein Gut ebenfalls diskriminierend1096. In Argentinien befand die CNDC die Preispolitik eines führenden Gaslieferanten für diskriminierend. Das Unternehmen verkaufte Gas an bestimmte Kunden günstiger, um deren Konkurrenten aus dem Markt zu drängen1097. Neben verschiedenen Preisen verstößt in Argentinien auch die Anwendung unterschiedlicher Geschäftsbedingungen gegen das Diskriminierungsverbot1098. Eine sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche und daher diskriminierende Behandlung ist das Einräumen von Rabatten für Anzeigen in einer marktführenden Tageszeitung für solche Kunden, die sich verpflichten, nicht auch bei der Konkurrenz Anzeigen zu veröffentlichen1099. Ob die vom Handelspartner er1093

CADE v. 18.06.1997, P. A. 3/91 (Good Year do Brasil et al.), DOU 03.07.1997, Seção I, S. 14013; CADE v. 02.12.1997, P. A. 134/93 (Indfflstria de Bebidas Antártica), DOU 08.01.1998, Seção I, S. 6; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 54 ff. 1094 Das gilt vor allem, wenn es sich um Abnehmer verschiedener Handelsstufen (Groß- oder Einzelhandel) handelt, vgl. CNDC v. 09.05.1997, Expte. 632.054/94 (MAKRO S.A./SAVA), IV. 1095 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 414 Rn. 15; Unterschiedliche Kosten können sein: Transportkosten, Vertriebskosten, Steuern, Zölle. Die argentinische CNDC berücksichtigt Transportkosten bei der Prüfung, ob unterschiedliche Preise eine Diskriminierung darstellen, vgl. CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 47 ff. 1096 T. Lübbig, Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 163; H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 223; C. Jung, Art. 82, in: Grabitz/Hilf, Rn. 163. Anders aber wohl D. Dirksen, Art. 82 EG, in: Langen/Bunte, Rn. 138. 1097 CNDC v. 29.11.1983, Expte. 25.523/82 (Alianza Gas/Atlanta Gas), S. 6; ganz ähnlich: CADE v. 26.07.2000, P. A. 08000.020849/96-1 (White Martins Gases Industriais), DOU 07.08.2000, Seção I, S. 3. 1098 Z. B. kürzere Abholfristen, vgl. CNDC v. 10.05.1982, Expte. 104.084/81 (Cooperativa Popular de Electricidad Santa Rosa), I. 1099 CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 2.1 ff. Das gleiche gilt für Rabatte, die nur Abnehmern gewährt werden, die sich verpflichten, nicht auch Produkte der Konkurrenz zu vertreiben, vgl. CNDC v. 10.07.1984, Expte. 107.337/81 (BIEZA/Sierra del Mar), I., V., VI. und VII. Da die Rabatte nur eingeräumt wurden, wenn sich die Kunden zur Exklusivität verpflichteten, sind solche Vertragsklauseln auch unter die verbotenen Ausschließlichkeitsbindungen einzustufen. Hierzu weiter unten: Teil 3, III. 2. b), cc), (5).

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

brachten Leistungen gleichwertig sind, kann ebenso wie bei der Prüfung, ob Preismissbrauch angenommen werden kann, anhand des Vergleichs mit anderen auf demselben Markt erbrachten Leistungen ermittelt werden1100. Unterschiedliche Kosten, beispielsweise Transportkosten, Steuern etc. können Preisunterschiede trotz vergleichbarer Leistungen der Vertragsgegenseite rechtfertigen1101. In der Literatur zum EG-Wettbewerbsrecht wird eine Abgrenzung zum Ausbeutungsmissbrauch durch überhöhte Preise für nicht immer eindeutig möglich gehalten1102. Wie im Abschnitt über den Ausbeutungsmissbrauch erwähnt, können unterschiedliche Preise für dieselbe Ware in verschieden Märkten ein Indiz für Ausbeutungsmissbrauch sein1103. Die unterschiedliche Behandlung von Abnehmern in verschiedenen Märkten durch ein beherrschendes Unternehmen ist jedoch nicht als Diskriminierung zu werten. Vielmehr sind auch beherrschende Unternehmen berechtigt, ihr Verhalten den Besonderheiten des regionalen Marktes anzupassen1104. Zweck des Diskriminierungsverbots im Wettbewerbsrecht ist es, die Wettbewerbschancen zwischen Konkurrenten nicht durch eine unterschiedliche Behandlung eines dritten marktführenden Zulieferers oder Abnehmers zu verzerren1105. Unternehmen in verschiedenen Märkten stehen jedoch nicht im Wettbewerb miteinander1106. Die Anwendung unterschiedlicher Preise für das gleiche Produkt in verschiedenen Märkten ist ein Indiz für Preismissbrauch; es handelt 1100 So wendet die CNDC das Vergleichsmarktkonzept zur Prüfung an, ob eine diskriminierende Handlung vorliegt, vgl. CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 28; CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 111. 1101 Vgl. CNDC v. 22.12.2003, Expte. 0064-013453/2001 (Larribite/Profertil), Rn. 115; CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 43. Vgl. auch die Praxis in der Europäischen Union: KomE v. 17.12.1975 (Chiquita), ABl. 1976, Nr. L 95/1; KomE v. 17.07.1975 (UNIDI), ABl. 1975, Nr. L 228/17, 20. 1102 N. Koch, Art. 86 – Wettbewerbsregeln, in: Grabitz/Hilf, Kommentar – Maastrichter Fassung, Rn. 68.; T. Lübbig, Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 145. 1103 Zum Vergleichsmarktkonzept vgl. Teil 3, III. 2. b), cc), (1), S. 527. 1104 Aus eben diesem Grund befand die CNDC höhere Preise, die die marktbeherrschende Mineralölgesellschaft Repsol in Mendoza gegenüber anderen Provinzen Argentiniens, die jeweils eigenständige regionale Märkte darstellen, erhob, nicht als Diskriminierung. Neben Repsol verlangten auch alle anderen Anbieter höhere Preise in Mendoza. Vgl. CNDC v. 03.04.2003, Expte. 064-009827/2001 (Ángel Dario/Repsol YPF), Rn. 57 ff. Für das EG-Wettbewerbsrecht so auch E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 415 Rn. 19. 1105 In diesem Sinne E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 414 Rn. 16. 1106 Andernfalls handelt es sich nicht um verschiedene Märkte. Zur Marktabgrenzung: Teil 3, III. 2. a), bb), (8).

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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sich nicht um eine Diskriminierung im Sinne von Art. 82 S. 2 lit. c EGV bzw. Art. 6 Nr. VII des Wettbewerbsschutzprotokolls. Diskriminierung setzt eine unterschiedliche Behandlung durch einen marktführenden Zulieferer oder Abnehmer innerhalb desselben regionalen Marktes voraus. So wie es auch bei dem Ausbeutungsmissbrauch in Art. 6 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls der Fall ist, ist auch für das Diskriminierungsverbot davon auszugehen, dass nicht zwingend eine marktbeherrschende Position des diskriminierenden Unternehmens notwendig ist, um von einem Verstoß gegen das Protokoll auszugehen, da sich die Regelbeispiele auf den Einheitstatbestand des Art. 4 des Protokolls beziehen und dieser auch einseitige Verhaltensweisen nicht marktbeherrschender Unternehmen verbietet, wenn sie eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Wie bereits im Abschnitt zum Beschränkungsverbot dargestellt wurde, ist aber nur im Falle des Bestehens erheblicher Marktmacht seitens des diskriminierenden Unternehmens von einer Verzerrung und damit Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem jeweiligen Markt auszugehen. Nur die Gefahr der Beschränkung der Wettbewerbsordnung des gemeinsamen Binnenmarktes kann eine Einschränkung der Handlung- und Vertragfreiheit eines Unternehmens rechtfertigen, wie sie das Diskriminierungsverbot darstellt1107. (3) Koppelungen Einen Verstoß gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll stellt nach Art. 6 Nr. VIII die Verknüpfung des Verkaufs einer Ware oder Dienstleistung mit dem Erwerb einer anderen Ware oder Dienstleistung dar. Die so genannten Koppelungsstrategien sind auch in Art. 82 S. 2 lit. d EGV als Beispiel für Marktmachtmissbrauch genannt. Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Koppelung liegt neben der Einschränkung der Auswahlfreiheit der Abnehmer1108 darin, dass der an den ursprünglichen Vertragsgegenstand gekoppelte Verkauf eines weiteren Produktes den Zugang zum Markt für eben dieses Produkt für dritte Unternehmen beschränkt1109. Koppelungsstrategien ermöglichen es marktführenden Unternehmen, ihre beherrschende Marktstellung auf benachbarte Märkte der gekoppelten Ware oder Dienstleistung auszudehnen1110. 1107

Vgl. bereits Teil 3, III. 2. a), cc), (4). So für das EG-Wettbewerbsrecht: T. Eilmansberger, Art. 82 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 63. 1109 Vgl. bereits Teil 3, III. 2. a), cc), (5). 1110 Auf diese Gefahr hat die CNDC wiederholt hingewiesen, vgl. CNDC v. 24.08.1982, Expte. 106.213/81 (Asociación de Empresas Ffflnebres y Afines de Villa Maria), V. und VI.; CNDC v. 14.06.1982, Expte. 10.073/81 (Asociación Sureña de 1108

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Voraussetzung für die Annahme einer Koppelung ist zunächst, dass es sich um zwei verschiedene Produkte handelt. Besteht ein Produkt aus mehreren Teilen, gelten die Teile jeweils als verschiedene im Absatz gekoppelte Produkte, wenn es für sie eine eigenständige Nachfrage gibt, sie also jeweils einem eigenen Markt zuzurechen sind1111. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Produkte oder Leistungen im Absatz zu verknüpfen. In der Europäischen Union wurden vor allem Koppelungen durch positive Anreize und durch faktischen Zwang bekannt1112. Die argentinische CNDC hat hingegen klargestellt, dass nur der zwangsweise gekoppelte Verkauf von Waren oder Dienstleistungen verboten ist1113. Ein besonders deutliches Beispiel für die erzwungene Verknüpfung des Vertriebs einer Ware mit einer Dienstleitung ist die Koppelung des Bezugs von Elektrizität an die Benutzung eines Bestattungsdienstes durch einen Stromanbieter, der aufgrund einer öffentlichen Konzession auf dem regionalen Markt eine Monopolstellung genießt1114. Hierbei handelt es sich nicht Empresas de Pompas Ffflnebres de la Provinca de Buenos Aires), VI.; CNDC v. 16.11.1984, Expte. 33.793/82 (Asociación Patagónica de Empresas Servicio Ffflnebre/Cooperativa Provincial de Servicios Pfflblicos y Comunitarios de Neuquen u. a.), I. und IV. Für das EG-Wettbewerbsrecht mit zahlreichen weiteren Nachweisen: H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 237. 1111 Vgl. EU-Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, Rn. 216. Maßgeblich ist nicht, ob es sich aus Sicht des Unternehmens um ein zusammengehöriges Produkt handelt, sondern ob objektive technische oder wirtschaftliche Gründe eine Zusammenfassung von Produkten und Leistungen zu einem einheitlichen Produkt gebieten, vgl. H. Schröter, Art. 82, in: Groeben/Schwarze, Rn. 241. Übereinstimmend auch das US-Antitrustrecht, vgl. Supreme Court, Jefferson/Parish Hospital No. 2 v. Hyde, 466 US 2, 19 (1983). 1112 Ein positiver Anreiz ist der Verkauf zweier Produkte oder Dienstleistungen zusammen zu einem günstigeren Preis, als die Summe der Einzelpreise (so genanntes bundling), vgl. EuGH v. 02.03.1994, Rs. C-53/92 P (Hilti/Kommission), Slg. 1994 I, 667; KomE v. 17.07.1996 (Atlas), ABl. 1996, Nr. L 239/23, Rn. 60. Auch der Verkauf einer Verpackungsmaschine zu Verlustpreisen, um den Verkauf der zum Betrieb notwendigen und gewinnträchtigen Abfüllbehälter zu fördern, ist hier einzustufen, vgl. KomE v. 24.07.1991 (Tetra Pak II), ABl. 1992, Nr. L 72/1, 24 Rn. 117; ebenso wie Rabattsysteme, vgl. EuG v. 06.10.1994, Rs. T-83/91 (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1994 II, 755, 821 Rn. 135. Faktischer Zwang liegt vor, wenn die einzelnen Produkte nicht getrennt, sondern nur im Paket angeboten werden, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 418 Rn. 25. 1113 CNDC v. 24.08.1982, Expte. 106.213/81 (Asociación de Empresas Ffflnebres y Afines de Villa Maria), VI.; CNDC v. 14.06.1982, Expte. 10.073/81 (Asociación Sureña de Empresas de Pompas Ffflnebres de la Provinca de Buenos Aires), VI. 1114 CNDC v. 16.11.1984, Expte. 33.793/82 (Asociación Patagónica de Empresas Servicio Ffflnebre/Cooperativa Provincial de Servicios Pfflblicos y Comunitarios de Neuquen u. a.), I. und IV.; ganz ähnlich: CNDC v. 14.06.1982, Expte. 10.073/81 (Asociación Sureña de Empresas de Pompas Ffflnebres de la Provinca de Buenos Ai-

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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nur um eine Koppelung des Vertriebs völlig sachverschiedener Produkte durch faktischen Zwang. Diese Geschäftspraxis kann auch der ungerechtfertigten Lieferverweigerung und Diskriminierung zugeordnet werden. Wer nämlich den Bestattungsservice nicht in Anspruch nehmen wollte, wurde nicht mit Strom beliefert1115. Unklar ist, ob das im Markt des Hauptproduktes beherrschende Unternehmen auch eine beherrschende Stellung auf dem abgeleiteten Markt des gekoppelten Produktes haben muss, damit ein Missbrauch von Marktmacht bei Anwendung von Koppelungsstrategien vorliegt1116. Die EU-Kommission geht bei einem Marktanteil von weniger als 30% auf dem Markt des gekoppelten Produktes nicht von einer Anwendbarkeit von Art. 82 EGV aus1117, während der Europäische Gerichtshof im Fall „Tetra Pak II“ klargestellt hat, dass in besonders eng verbundenen Märkten eine beherrschende Stellung auf dem Markt des gekoppelten Produktes nicht erforderlich ist1118. Häufig besteht aber ohnehin eine beherrschende Position auf dem Markt des gekoppelten Produktes durch das bereits auf dem Markt des Hauptproduktes führende Unternehmen. Das ist dann der Fall, wenn der Markt des im Absatz verknüpften Nebenproduktes durch das Unternehmen selbst geschaffen wird, weil es sich um ein dem Hauptprodukt komplementäres Gut handelt. Beispiele hierfür sind Ersatzteile oder spezielle Wartungsleistungen für technologisch komplexe Hauptprodukte. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs ist ein Unternehmen aber auch dann nicht berechtigt, den Wettbewerb auf verbundenen Märkten einzuschränken, wenn diese Märkte durch die eigene Tätigkeit geschaffen wurden1119. Im Gegensatz zu der europäischen Parallelvorschrift fehlt in Art. 6 Nr. VIII des Wettbewerbsschutzprotokolls die Einschränkung, dass zwischen den Produkten oder Leistungen und dem ursprünglichen Vertragsres), VI.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 106.213/81 (Asociación de Empresas Ffflnebres y Afines de Villa Maria), I. und VI. 1115 CNDC v. 16.11.1984, Expte. 33.793/82 (Asociación Patagónica de Empresas Servicio Ffflnebre/Cooperativa Provincial de Servicios Pfflblicos y Comunitarios de Neuquen u. a.), IV.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 106.213/81 (Asociación de Empresas Ffflnebres y Afines de Villa Maria), I. 1116 Auf dem Markt des Hauptproduktes muss aber in jedem Fall eine beherrschende Stellung vorliegen, so jedenfalls für das EG-Wettbewerbsrecht: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 416 Rn. 22. 1117 EU-Kommission, Leitlinien zu vertikalen Beschränkungen, Rn. 218. 1118 EuGH v. 14.11.1996, Rs. C-333/94 P (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1996 I, 5951, Leitsatz Nr. 2. 1119 Es sollen vielmehr unabhängige Hersteller die Möglichkeit haben, Produkte zu vermarkten, die in Geräten anderer Hersteller verwendet werden, vgl. EuGH v. 14.11.1996, Rs. C-333/94 P (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1996 I, 5951, 6011 Rn. 36.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

gegenstand, an den sie gekoppelt sind, keine sachliche noch handelsgebräuchliche1120 Beziehung bestehen darf, damit ein Missbrauch der beherrschenden Stellung angenommen werden kann. Die Vorschrift ist folglich strenger als Art. 82 S. 2 lit. d EGV. Jede Verknüpfung des Absatzes von Produkten oder Leistungen mit anderen Produkten oder Leistungen ist verboten1121. Diese engere Formulierung wurde möglicherweise gewählt, um eine Einschränkung der Vorschrift durch Nahelegung eines sachlichen Zusammenhangs zu vermeiden. Häufig stehen nämlich die im Absatz verknüpften Waren oder Leistungen in einem sachlichen Zusammenhang, da es sich um komplementäre Güter handelt, die deshalb einen gemeinsamen Vertrieb ermöglichen1122. Im für das europäische Wettbewerbsrecht grundlegenden Hilti-Fall koppelte der Hersteller von Bolzenschussgeräten den Vertrieb der Bolzen mit den dazugehörigen spezifischen Kartuschen, umso unabhängige Hersteller von Markt zu verdrängen. Das Gericht erster Instanz legte das Vorliegen eines sachlichen Zusammenhangs aber eng aus und verneinte die sachliche Zusammengehörigkeit zwischen den Bolzenschussgeräten und den dazugehörigen Kartuschen, für die es nach Ansicht des Gerichts jeweils eigenständige Märkte gebe1123. Ohne dass ausdrücklich solche Waren oder Dienstleistungen zusammen vermarktet werden dürfen, die in einem Sachzusammenhang stehen, ist aber auch im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls davon auszugehen, dass Leistungen, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie wie ein Produkt anzusehen sind, gemeinsam vertrieben werden dürfen1124. So sind speziali1120 Der Handelsbrauch versteht sich als über einen längeren Zeitraum entwickelte geschäftliche Geflogenheiten, welche weder gegen nationales Recht noch gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, vgl. A. Gleiss/M. Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, Bd. 1, S. 188 Rn. 413. 1121 Beachtenswert ist, dass das aktuelle argentinische Wettbewerbsgesetz Nr. 25.156 von 1999 in Art. 2 lit. i wortgleich wie die Formulierung des Art. 6 Nr. VIII des Wettbewerbsschutzprotokolls ohne Einschränkung von „anderen“ Waren oder Dienstleistungen spricht, die nicht im Verkauf verknüpft werden sollen. Dagegen verbietet noch die Vorgängervorschrift des Gesetzes Nr. 22.262 von 1980 in Art. 41 lit. d ebenfalls wie auch Art. 82 S. 2 lit. d EGV die Verknüpfung von weder in sachlicher noch handelsgebräuchlicher Beziehung stehenden Produkten oder Leistungen. 1122 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 417 Rn. 23. Die besondere Beziehung zwischen Haupt- und Nebenleistung kann regelmäßig eine Kopplung rechtfertigen, so T. Eilmansberger, Art. 82 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 64. 1123 EuG v. 12.12.1991, Rs. T-30/89 (Hilti/Kommission), Slg. 1991 II, 1439, Rn. 66; EuGH v. 02.03.1994, Rs. C-53/92 P (Hilti/Kommission), Slg. 1994 I, 667, Rn. 11–16; EuG v. 06.10.1994, Rs. T-83/91 (Hilti/Kommission), Slg. 1994 II, 755, 821 ff. Rn. 77, 94, 135 ff. Tetra Pak verknüpfte den Verkauf von patentierten Verpackungsmaschinen an den Bezug der zu verarbeitenden Kartons.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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sierte Wartungsleistungen von technisch komplexen Hauptprodukten kaum von einem anderen Unternehmen als dem Hersteller des Hauptproduktes zu erbringen und daher als dem Hauptprodukt zurechenbar. Die Zusammenfassbarkeit von Wartungsleistung und Hauptprodukt zu einem zusammengehörigen Produkt folgt daraus, dass es aufgrund der hohen Spezialisierung und des Fehlens von technischem Wissen keine weiteren Anbieter der Wartungsleistung gibt oder auch aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geben darf1125 und in Ermangelung weiterer Anbieter kein eigenständiger Markt für diese Leistung existiert. Diese Sichtweise entspricht der Praxis der CNDC, die unter Koppelung ebenfalls den künstlichen gemeinsamen Verkauf solcher Waren oder Dienstleistungen versteht, die weder sachlich noch handelsüblich in Zusammenhang stehen1126. In Brasilien erkannte der CADE die in Leasingverträgen von Fotokopiergeräten eingebrachte Verpflichtung, ausschließlich den herstellereigenen Wartungsservice zu nutzen, als Verknüpfung sachverschiedener Leistungen und damit als Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung des Leasinggebers an1127. Der gemeinsame Verkauf sachverschiedener Produkte oder Leistungen ist von Marketingaktionen zu unterscheiden. Von einer Koppelungsstrategie ist nicht anzugehen, wenn ein Supermarkt bei Einkauf oberhalb eines bestimmten Wertes Eintrittskarten für ein Popkonzert zu einem vergünstigten Preis anbietet1128. Der Unterschied zur Koppelung liegt darin, dass nicht zwei verschiedene Produkte gemeinsam vertrieben werden1129. Stattdessen handelt es sich um eine besondere Form des zulässigen Mengenrabatts1130. 1124 Im brasilianischen Wettbewerbsrecht spricht der CADE von „Produktsystemen“, deren Bestandteile zusammen vertrieben werden dürfen, vgl. CADE, Resolução 20/1999, Anhang I, B. 5. 1125 Vgl. beispielsweise den Industriegase-Fall, in dem die EU-Kommission die ausschließliche Wartung der Lagerbehälter vom Hersteller der Behälter aus Sicherheitsgründen anerkannte, vgl. EU-Kommission, 19. Bericht über die Wettbewerbspolitik, 1989, Rn. 62, zitiert nach: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht S. 422, Fn. 65. 1126 CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5. 10); CNDC v. 14.06.1982, Expte. 10.073/81 (Asociación Sureña de Empresas de Pompas Ffflnebres de la Provinca de Buenos Aires), VI.; CNDC v. 24.08.1982, Expte. 106.213/81 (Asociación de Empresas Ffflnebres y Afines de Villa Maria), VI. 1127 CADE v. 31.03.1993 P. A. 23/91 (Xerox do Brasil S.A.), DOU 16.04.1993, Seção I, 4855. 1128 CNDC v. 22.12.1999 (Acción del Consumidor/Alto Palermo S.A.), Rn. 13. 1129 CNDC v. 22.12.1999 (Acción del Consumidor/Alto Palermo S.A.), Rn. 13. 1130 Die Zulässigkeit von Mengenrabatten im Unterschied zu unzulässigen Treuerabatten wird darin gesehen, dass erstere nicht dazu dienen, Marktstellungen zu verfestigen, sondern Kostenersparnisse an Kunden weiterzugeben. Hierzu weiter unten: Teil 3, III. 2. b), cc), (5), S. 544 ff.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

(4) Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes Unter das Verbot des Missbrauchs einer beherrschenden Marktstellung ist ferner die ohne rechtfertigenden Grund in großem Umfang vorgenommene Unterbrechung oder Verringerung der Produktion einzuordnen1131. Diese Vorschrift erinnert an Art. 82 S. 2 lit. b EGV, nach welcher die Einschränkung der Erzeugung des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher als Beispiel für Marktmachtmissbrauch genannt wird. Darunter wird regelmäßig eine künstliche Verknappung des Angebots trotz entsprechender Nachfrage verstanden1132. Die Verringerung des Angebots und die Säuberung des Marktes von vergleichbaren, austauschbaren Produkten sind Vorraussetzung dafür, dass die Marktbürger bereit sind, die höheren Monopolpreise zu bezahlen. Die Verknappung des Angebots ist indes in zwei weiteren Regelbeispielen des Art. 6 des Wettbewerbsschutzprotokolls aufgeführt. Art. 6 Nr. XV des Wettbewerbsschutzprotokolls nennt die Zerstörung, Unbrauchbarmachung oder Hortung von Produkten jeglicher Produktionsstufe oder die Funktionsbeeinträchtigung von Geräten, mit denen diese erzeugt oder transportiert werden, als wettbewerbswidriges Verhalten. In diesen Kontext gehört auch das Regelbeispiel des Art. 6 Nr. XVI des Wettbewerbsschutzprotokolls, wonach die grundlose Aufgabe oder Zerstörung von Pflanzungen oder Plantagen verboten ist. Bei diesen beiden Beispielen handelt es sich um eine noch aus den Anfängen des südamerikanischen Wettbewerbsrechts herrührende typische Formulierung. Verboten ist den drei Beispielen zufolge die künstliche Verknappung des Absatzes, sei es durch Zerstörung von Rohstoffen, Produkten oder der Maschinen, mit denen diese erzeugt werden, oder durch Zerstörung der Transportmittel, mit denen die Waren an den Markt gebracht werden. Die in Art. 6 Nr. XIV und XVI des Wettbewerbsschutzprotokolls gebräuchliche Formulierung, wonach die Verringerung der Produktion bzw. die Zerstörung von Anpflanzungen nur „ohne rechtfertigenden Grund“ verboten ist, stellt klar, dass die Verknappung des Absatzes insbesondere trotz vorhandener Nachfrage und damit zum Schaden der Verbraucher gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll verstößt. Der betriebswirtschaftlich vernünftige Abbau von Überkapazitäten oder Rationalisierungen werden hingegen nicht von dem Beispieltatbestand erfasst. Die Formulierung „zum Schaden der Verbraucher“ in Art. 82 S. 2 lit. b EGV ist treffender, da aus Sicht eines Unternehmens die Erhöhung der Preise durchaus ein nachvollziehbarer Grund für die Verringerung des Absatzes ist. Steigende Preise, die nur dem Unternehmen nutzen und dem Verbraucher schaden, sollen aber gerade 1131 1132

Art. 6 Nr. XIV des Wettbewerbsschutzprotokolls. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 440.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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nicht rechtfertigbar sein1133. Die von einem Einzelunternehmen ausgehende Angebotsverringerung ist nur schwer feststellbar. Die Wettbewerbsbehörde kennt nicht den dem Unternehmen tatsächlich verbleibenden Verhaltensspielraum. Hierfür wäre die Kenntnis des hypothetischen Wettbewerbs ohne die Anwesenheit des fraglichen Unternehmens notwendig1134. Die Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes kann nicht nur von einem Einzelunternehmen bei Missbrauch der Marktführerschaft, sondern auch von einem Kartell ausgehen. Die zwischen Unternehmen abgestimmte Beschränkung des Absatzes fällt allerdings bereits unter den allgemeiner formulierten Art. 6 Nr. III des Wettbewerbsschutzprotokolls, der „Übereinkünfte“ über die Beschränkung oder Kontrolle von Forschung und Entwicklung, der Produktion und von Investitionen verbietet, und wurde im Abschnitt über das Verbot wettbewerbsbeschränkender Absprachen behandelt1135. (5) Ausschließlichkeitsvereinbarungen Art. 6 Nr. XI des Wettbewerbsschutzprotokolls verbietet Vertragsbedingungen, durch die der An- oder Verkauf von der Bedingung abhängig gemacht wird, keine Waren oder Dienstleistungen von Dritten zu erwerben, zu verkaufen oder zu liefern. Ausschließliche Liefer- oder Bezugsvereinbarungen zwischen Unternehmen verschiedener Produktionsstufen unterliegen als vertikale Absprachen bereits dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen im Sinne von Art. 4 Halbs. 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls1136. Ausschließlichkeitsbindungen, die von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen, können aber auch dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 4 Halbs. 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls zugeordnet werden1137. Ausschließliche Bezugsverpflichtungen machen dem gebundenen 1133 Die Formulierung „zum Schaden des Verbrauchers“ in Art. 82 S. 2 lit. b EGV soll vermeiden, dass Maßnahmen der betriebswirtschaftlichen Führung eines Unternehmens wie beispielsweise Rationalisierungen in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen, vgl. D. Dirksen, Art. 82 EG, in: Langen/Bunte, Rn. 119. 1134 Selbst wenn ein Vergleich des gegebenen Wettbewerbs mit dem Zustand wirksamen Wettbewerbs möglich wäre, kann die Wettbewerbsbehörde kaum einen wettbewerbskonformen Absatz sicherstellen. Dafür müsste die Behörde die Leitung anstelle des Unternehmens übernehmen. So für Art. 82 S. 2 lit. b EGV: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 412 f. Rn. 11. 1135 Teil 3, III. 2. a), cc), (2). 1136 Vgl. bereits Teil 3, III. 2. a), cc), (1) und (2). 1137 In Argentinien hat die Wettbewerbsbehörde in zahlreichen Fällen den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung aufgrund von Ausschließlichkeitsklau-

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Unternehmen eine Wahl zwischen verschiedenen Bezugsquellen unmöglich und führen damit zur Verfestigung der Marktanteile des ohnehin marktbeherrschenden, bindenden Unternehmens und bewirken eine Marktabschottung1138. Die Marktausschlusswirkung verdeutlicht eindrucksvoll der Fall „American Express/Visa y Mastercard“ in Argentinien. Den Kreditkartenunternehmen Visa und Mastercard wurde vorgeworfen, Banken aus ihrem System auszuschließen, wenn diese zusätzlich Kreditkarten von American Express anboten. Da nahezu alle Banken entweder Visa oder Mastercard vertreiben, wird American Express vom Markt für Kreditkarten ausgeschlossen1139. Im europäischen Wettbewerbsrecht gibt es kein Regelbeispiel, das Ausschließlichkeitsbindungen ausdrücklich als möglichen Marktmachtmissbrauch erwähnt. Ausschließlichkeitsklauseln in Verträgen, an denen marktbeherrschende Unternehmen beteiligt sind, werden im EG-Wettbewerbsrecht daher teilweise Art. 82 S. 2 lit. b EGV (Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes) zugeordnet. Die mit einem Marktausschluss verbundene Verringerung des Wettbewerbsdrucks auf Seiten des beherrschenden Unternehmens verringert den Zwang zu effizienter Produktion, wodurch der Absatz zum Schaden des Verbrauchers eingeschränkt wird1140. Vom marktführenden Unternehmen auferlegte ausschließliche Bezugs- oder Lieferverträge können aber auch unangemessene Geschäftsbedingungen im Sinne von Art. 82 S. 2 lit. a EGV sein. Sie können ausbeuterisch hohe Bezugspreise seln anerkannt, vgl. CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), VIII.; CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 8.7.f.; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 98 ff.; CNDC v. 07.10.1997, Expte. 034-002270/96 (Sanatorio Pasteur/Colegio Médico de Catamarca), V.3.5.5. 1138 Für Art. 82 EGV vgl. EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/ Kommission), Slg. 1979, 461, 540 Rn. 90. Auf die Marktabschottungswirkung weisen auch CNDC und CADE hin, vgl. Dictamen en Disidencia von Luis Soto (Mitglied der CNDC) zu CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 3.2.2.4; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 87; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 58; CADE v. 19.04.2000, P. A. 08000.003303/98-25 (Souza Cruz), DOU 24.04.2000, Seção I, S. 3 f. 1139 Vgl. CNDC v. 06.05.1997, Expte. 064-002849/96 (American Express/Visa, Mastercard y Argencard), 7.1 (Fall kommentiert in R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 277 ff.). Die Existenz einer solchen Ausschließlichkeitsbedingung konnte jedoch nicht nachgewiesen werden (6.12). 1140 EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 2021 Rn. 526 f.

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bzw. niedrige Belieferungspreise oder unverhältnismäßig lange Vertragsdauern vorsehen1141. Art. 82 S. 2 lit. c EGV (Diskriminierung) kommt in Betracht, wenn die exklusiven Verträge nicht gleichmäßig allen Abnehmern bzw. Zulieferern zustehen oder das marktbeherrschende Unternehmen unterschiedliche Vertragsinhalte anwendet1142. Verpflichtet sich ein Unternehmen beim Kauf einer Abfüllanlage zum ausschließlichen Bezug der in der Anlage verwendeten Verpackungskartons von eben diesem Unternehmen, ist der Tatbestand der Koppelung erfüllt1143. Der Europäische Gerichtshof sieht Ausschließlichkeitsbindungen, die von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen, regelmäßig als Missbrauch der Marktmacht im Sinne von Art. 82 EGV an. Auf Märkten, auf denen der Wettbewerb bereits durch die Anwesenheit eben dieser Unternehmen selbst geschwächt ist, können die positiven Wirkungen von Ausschließlichkeitsvereinbarungen die Einschränkung des Wettbewerbs nicht rechtfertigen1144. Unerheblich ist, ob die Bindung auf Wunsch des Abnehmers oder des Lieferanten zustande kam1145. Ausschließlichkeitsbindungen, die von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen, scheinen im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union demnach per se verboten zu sein1146. Im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls ist jedoch von einer weniger strengen Sichtweise auszugehen. Nach Ansicht der argentinischen Wettbewerbsbehörde sind ausschließliche Bindungen, an denen ein marktbeherrschendes Unternehmen beteiligt ist, dann nicht als Missbrauch zu werten, wenn sie ins1141 H. Schröter, Art. 82, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 199. Zum Ausbeutungsmissbrauch siehe oben, Teil 3, III. 2. b), cc), (1). 1142 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 423 Rn. 37. Beispielsweise Apotheken- oder Ärztekammern, die nur mit bestimmten Krankenkassen Verträge abschließen, vgl. CNDC v. 02.08.1988, Expte. 25.188/85 (Farmia Okane/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Santa Fe u. a.), S. 9; CNDC v. 14.01.1992, Expte. 500.679/86 (Colegio Médico de la Ciudad de Córdoba u. a.), VII.; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 82 ff. 1143 So im Fall „Tetra Pak II“ in der Europäischen Union, vgl. EuG v. 06.10.1994, Rs. T-83/91 (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1994 II, 755; bestätigt durch EuGH v. 14.11.1996, Rs. C-333/94 P (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1996 I, 5951. 1144 EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 540 Rn. 90, 91. 1145 EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, Rn. 89; bestätigt durch: EuGH v. 03.07.1991, Rs. C-62/86 (Akzo/Kommission), Slg. 1991 I, 3359, 3473 Rn. 149; EuGH v. 27.04.1994, Rs. C-393/92 (Almelo u. a./NV Energiebedrijf), Slg. 1994 I, 1477, Rn. 44. 1146 R. Wish, Competition Law, 1993, S. 655 f.; ähnlich: L. Peeperkorn, E. C. Vertical Restraints Guidelines: Effects-Based or Per- Se policy? – A reply, European Competition Law Review 23 (2002) Nr. 1, S. 39 ff.

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gesamt zu Effizienzgewinnen und einer Intensivierung des Wettbewerbs führen1147. Ausschließlichkeitsvereinbarungen sind aber auch in Argentinien wettbewerbswidrig, wenn sie den Marktausschluss von Wettbewerbern bedingen oder eine erhebliche Marktabschottung oder die Ausdehnung von Marktmacht auf andere Märkte bewirken1148. Im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union ist anerkannt, dass Bezugsverträge über den gesamten oder ganz überwiegenden Bedarf des Abnehmers faktisch ausschließliche Bezugsbindungen sind1149. Wie Ausschließlichkeitsbindungen können auch Rabattsysteme, insbesondere Treue- und Zielrabatte wirken1150. Diese haben den Zweck, die Ab1147 CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), VII.: „(. . .) acuerdos como los primeros puedan implicar una integración de actividades productivas capaces de generar mayor eficiencia“, übersetzt: “ solche Abkommen wie die erstgenannten [Ausschließlichkeitsvereinbarungen] könnten eine Integration produktiver Aktivitäten fördern und einen höheren Grad wirtschaftlicher Effizienz ermöglichen“ Die CNDC stellt zudem heraus, dass es im argentinischen Wettbewerbsrecht keine Per-se-Verbot gibt, vgl. CNDC, Memoria Anual 1997, 2.1; CNDC v. 17.01.1996, Expte. 034-006634/95 (Segal/Cámara Argentina de Distribuidores de Tabaco), II., weshalb auch Ausschließlichkeitsbindungen nur für marktstarke Unternehmen verboten seien, vgl. CNDC v. 07.10.1997, Expte. 034-002270/96 (Sanatorio Pasteur/Colegio Médico de Catamarca), V.1.2.; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 73 f., 95 ff. 1148 CNDC v. 16.09.1983, Expte. 100-6-11-0869/79 (Acfor/Igarreta), VII.; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 87, 93, 100; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 86. Da jede Ausschließlichkeitsvereinbarung geeignet ist, Wettbewerber auszuschließen und die beherrschende Stellung zu verfestigen, wird auch nur selten eine Ausschließlichkeitsbindung, die von einem marktbeherrschenden Unternehmen ausgeht, als zulässig einzustufen sein. Im vorliegenden Fall hat die CNDC entschieden, dass der zu erwartende Ausschluss von Wettbewerbern nicht durch Effizienzgewinne zu rechtfertigen sei. 1149 KomE v. 19.12.1990 (Solvy u. CFK), ABl. 1991, Nr. L 152/21, Rn. 59. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um langfristige Verträge handelt, welche die Marktausschlusswirkung noch verstärken (Rn. 21). Vgl. auch: EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, Rn. 89; EuGH v. 03.07.1991, Rs. C-62/86 (Akzo/Kommission), Slg. 1991 I, 3359, 3473 Rn. 149; EuGH v. 27.04.1994, Rs. C-393/92 (Almelo u. a./NV Energiebedrijf), Slg. 1994 I, 1477, Rn. 44. 1150 So im EG-Wettbewerbsrecht für Treuerabatte vgl. EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40-48, 50, 54-56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 2018 ff.; EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, Rn. 89 f.; vgl. auch: H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/ Schwarze, Rn. 215. Für Zielrabatte grundlegend: EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3514 Rn. 70 ff. Zusätzlich zu dem Marktausschlusseffekt wurde in solchen Rabattsystemen auch eine Diskriminierung der

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nehmer dazu zu bewegen, ihre Waren oder Leistungen ausschließlich bei dem bereits marktstarken Unternehmen zu beziehen, wodurch Konkurrenten vom Markt ausgeschlossen werden1151. Treuerabatte von marktbeherrschenden Unternehmen sind in der Regel als Missbrauch der Marktmacht zu werten1152. Die argentinische Wettbewerbsbehörde hat die europäische Rechtsprechung hinsichtlich des missbräuchlichen Einsatzes von Rabatten durch marktbeherrschende Unternehmen übernommen1153, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die genannten Rabatte auch auf Ebene des Mercosur verboten sein werden. Die CNDC hebt ebenso wie die Literatur zum EG-Wettbewerbsrecht hervor, dass Rabatte grundsätzlich erlaubt und erwünscht sind. Sie sind Ausdruck des Preiswettbewerbs, mit dem Effizienzvorteile an den Kunden weitergegeben werden1154. Nur Treue- oder Zielrabatte, die von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen, können den Wettbewerb beschränken, weil sie wie Ausschließlichkeitsbindungen wirken und die beherrschende Stellung verfestigen1155. Die Marktstellung verfestigen besonders auch solche Rabatte, die nur Abnehmern gewährt werden, die sich verpflichten, nicht auch Produkte der Konkurrenz zu vertreiben1156. Sogenannte Mengen- und Funktionsrabatte werden dagegen verschiedenen Abnehmergruppen im Sinne von Art. 82 S. 2 lit. c EGV gesehen, vgl. EuGH v. 16.12.1975, Rs. 40–48, 50, 54–56, 111, 113, 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission), Slg. 1975, 1663, 2021 Rn. 522 f.; EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, 295; EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3514; EuG v. 07.10.1999, Rs. T-228/97 (Irish Sugar/Kommission), Slg. 1999 II, 2969, 3022 Rn. 14 u. 3050 ff. Vgl. auch: T. Eilmansberger, Art. 82 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 35. 1151 EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 540 Rn. 90; zuletzt: EuG v. 30.09.2003, Rs. T-203/01 (Michelin/Kommission), Slg. 2003 II, 4071, Rn. 56. 1152 Vgl. EuGH v. 16.03.2000, Rs. C-395/96 P und C-396/96 P (Compagnie Maritime Belge Transports u. a./Kommission), Slg. 2000 I, 1365, 1481 Rn. 133–136; EuG v. 07.10.1999, Rs. T-228/97 (Irish Sugar/Kommission), Slg. 1999 II, 2969, 3050. 1153 Vgl. J. Bogo, El Caso Amfin (Ambito financiero) vs. AGEA (Clarín) – Discrepancias en la instancia administrativa y en la judicial, BLC 1999 Nr. 7 – Teil 1, S. 4. 1154 Dictamen en Disidencia von Luis Soto (Mitglied der CNDC) zu CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 3.2; für das EG-Wettbewerbsrecht vgl. etwa T. Eilmansberger, Art. 82 EGV, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Rn. 59. 1155 Verschiedene Rabattaktionen der Mineralölgesellschaft Esso befand die CNDC nicht als Missbrauch von Marktmacht, weil die Rabatte nicht zum Ziel hätten, Wettbewerber vom Markt auszuschließen, vgl. CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 42 und 52. Für das EG-Wettbewerbsrecht vgl. EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/ Kommission), Slg. 1983, 3461, 3515.

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überwiegend als zulässig beurteilt, selbst wenn sie von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen1157. Sie unterscheiden sich von den Treue- und Zielrabatten dadurch, dass sie nicht den Zweck verfolgen, Marktstrukturen zu verfestigen oder Marktmacht auszubauen. Vielmehr dienen sie dazu, Kosten- oder Effizienzvorteile an den Abnehmer weiterzugeben (Mengenrabatte) bzw. besondere gegenüber dem Lieferanten erbrachte Leistungen zu vergüten (Funktionsrabatte). Für die Zulässigkeit von Rabatten wird daher auch im Mercosur maßgeblich sein, dass die Rabatte an Kostenvorteile oder Effizienzgewinnen anknüpfen1158. Nicht an Kostenvorteile knüpfen solche Vergünstigungen an, die Supermärkten dafür eingeräumt werden, dass sie Konkurrenzprodukte aus dem Sortiment nehmen1159. Neben dem allgemeinen Verbot von Ausschließlichkeitsbindungen in Art. 6 Nr. XI des Wettbewerbsschutzprotokolls verbietet Art. 6 Nr. X des Wettbewerbsschutzprotokolls ausdrücklich das Verlangen oder die Gewährung von Ausschließlichkeit für die Verbreitung von Werbung in den Kommunikationsmedien. Für das ausdrückliche Verbot von Ausschließlichkeit von Werbung in den Kommunikationsmedien lassen sich zwei Gründe anführen. Unternehmen der Kommunikationsbranche soll es einerseits nicht möglich sein, durch Ausschließlichkeitsklauseln den Zugang von Wettbewerbern zu dem lukrativen Markt für Werbung in den Kommunikationsmedien zu versperren und so ihre eigene Marktstellung zu verfestigen. Für die werbenden Unternehmen ist Werbung andererseits ein bedeutendes 1156 CNDC v. 10.07.1984, Expte. 107.337/81 (BIEZA/Sierra del Mar), I., V., VI. und VII. Hierunter fallen auch Rabatte für Anzeigen in einer marktbeherrschenden Tageszeitung, die nur solchen Kunden gewährt werden, die nicht auch Anzeigen bei der Konkurrenz veröffentlichen, vgl. CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 2.1 ff. Hierbei handelt es sich auch um eine wettbewerbswidrige Diskriminierung durch ein marktführendes Unternehmen, vgl. bereits Teil 3, III. 2. b), cc), (2). 1157 Für Mengenrabatte in der Europäischen Union zuletzt: EuG v. 30.09.2003, Rs. T-203/01 (Michelin/Kommission), Slg. 2003 II, 4071, Rn. 58. Für Funktionsrabatte: EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, Rn. 96. Vgl. auch: H. Schröter, Art. 82, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 233 f. 1158 So in der Europäischen Union, vgl. EuG v. 30.09.2003, Rs. T-203/01 (Michelin/Kommission), Slg. 2003 II, 4071, Rn. 74, 98; EuGH v. 29.03.2001, Rs. C-163/99 (Portugal/Kommission), Slg. 2001 I, 2613, 2657 f. Die erwähnte Rabattaktion von Esso in Argentinien (Fn. 1155, 3. Teil) befand die CNDC auch deshalb für mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar, weil der wirtschaftliche Gesamtüberschuss gestiegen sei, vgl. CNDC v. 01.07.2003, Expte. 064-005608/2001 (Esso SAPA y Red Propia de Servicentros Esso), Rn. 58. 1159 CNDC v. 29.11.1999, Expte. 064-002907/97 (Procter & Gamble/Unilever), Rn. 20 ff. Der Vorwurf, der sich gegen Unilever richtete, wurde jedoch nicht bewiesen.

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Wettbewerbsmittel1160. Sie ermöglicht gerade nicht marktstarken Unternehmen, ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und neue Märkte zu erschließen. Das Gewähren von Ausschließlichkeit in der Werbung gegenüber bereits marktbeherrschenden Unternehmen kann deren Marktstellung noch verfestigen und zu einer Marktabschottung beitragen. Dem Beispiel kommt als spezielle Ausprägung einer Ausschließlichkeitsbindung keine eigenständige Bedeutung zu. Ausschließlichkeitsbindungen beschränken die wirtschaftliche Freiheit der gebundenen Unternehmen1161. Hierbei handelt es sich indes nicht um eine Einschränkung der Handlungs- und Vertragsfreiheit der beteiligten Unternehmen. Vielmehr entspricht es der Handlungs- und Vertragsfreiheit, dass sich Unternehmen vertraglich binden können; denn jeder darf sich selbst verpflichten und rechtlich handeln, wie es ihm beliebt, soweit die Gesetze es ihm erlauben1162. Ein grundsätzliches Verbot ausschließlicher Bezugs- oder Liefervereinbarungen wäre ein unzulässiger Eingriff in die Privatheit der Wirtschaftsteilnehmer. Nur wenn sich die Ausschließlichkeitsvereinbarungen zu Lasten des Wettbewerbs auswirken, kann ein Verbot ausnahmsweise rechtfertigbar sein1163. Im Fall von bereits bestehender Marktmacht des bindenden Unternehmens ist mit einer zusätzlich wettbewerbsschädlichen Wirkung zu rechnen1164, weshalb Ausschließlichkeits1160

Werbung ist vom CADE ebenso wie im Recht der Europäischen Union als Wettbewerbsmittel anerkannt, siehe Anmerkungen in Fn. 428 (3. Teil). Möglicherweise hatte man bei der Formulierung des Regeltatbestandes das Sacchi-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, in dem ausländische Unternehmen vom Zugang zum Werbefernsehen ausgeschlossen wurden, im Blick, vgl. EuGH v. 30.04.1974, Rs. 155-73 (Sacchi), Slg. 1974, 409. Hierbei handelt es sich auch um eine sachlich ungerechtfertigte unterschiedliche Behandlung (Diskriminierung) von Anzeigekunden, vgl. bereits Teil 3, III. 2. b), cc), (2), S. 533. 1161 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 423 Rn. 36. 1162 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 404 ff. ders., Freiheit in der Republik, 8. Kap. VIII. 1163 So auch der Tenor bei CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 84 ff.; CNDC v. 06.11.2000, Expte. 064-000960/97 (SADIT/ Nobleza Picardo y Massalin Particulares), Rn. 86. Nicht jede Beschränkung der Handlungsfreiheit ist eine Beschränkung des Wettbewerbs, vgl. R. H. Bork, Antitrust Paradox: a policy at war with itself, 1993, S. 59. 1164 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 423 Rn. 36. Die besondere Gefahr für den Wettbewerb, die von Exklusivitätsklauseln im Falle einer marktbeherrschenden Stellung seitens des bindenden Unternehmens ausgeht, erkannte die CNDC an, vgl. CNDC v. 07.10.1997, Expte. 034-002270/96 (Sanatorio Pasteur/Colegio Médico de Catamarca), V.1.2 und V.3.5.5; CNDC v. 22.09.1999, Expte. 020-002134/94 (Cámera de Empresas de Asistencia Farmacéutica/Colegio de Farmacéuticos de la Provincia de Buenos Aires), Rn. 84.

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bindungen marktbeherrschender Unternehmen als unzulässig angesehen werden1165. Im Zustand von freiem Wettbewerb wirken sich Ausschließlichkeitsklauseln in Verträgen nicht per se zu Lasten von Wettbewerbern des bindenden Unternehmens aus; denn die Mehrheit potentieller Vertragspartner des bindenden Unternehmens ist nicht gebunden1166. Die positiven Wirkungen von Ausschließlichkeitsbindungen sind in Literatur und Rechtsprechung sowohl in Europa als auch im Mercosur anerkannt1167. Das Europäische Gericht erster Instanz stellt klar, dass ausschließliche Bezugsbindungen bei Wettbewerb zulässig sind, wenn sie im Interesse beider Vertragspartner liegen1168. Dabei handelt es sich nicht um eine Diskriminierung des Marktführers. Es liegt im Wesen des Missbrauchsverbots, dass marktführenden Unternehmen Verhalten untersagt werden können, die anderen Unternehmen erlaubt sind1169. (6) Geschäfts- oder Lieferverweigerung In der Literatur zum europäischen Kartellrecht wird auch die Verweigerung oder der Abbruch von Geschäftsbeziehungen durch marktbeherrschende Unternehmen als Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes im Sinne von Art. 82 S. 2 lit. b EGV systematisiert1170. Der Beispielkatalog in Art. 6 des Wettbewerbsschutzprotokolls enthält in Nr. XIII ausdrücklich 1165 Für das EG-Kartellrecht vgl. EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 540; R. Wish, Competition Law, S. 655 f. 1166 Der Europäische Gerichtshof stellt daher auf die Gesamtheit aller Umstände ab, vgl. EuGH v. 30.06.1966, Rs. 56-65 (Société Technique Minière/Maschinenbau Ulm), Slg. 1966, 282, 302 ; EuGH v. 28.02.1991, Rs. C-234/89, (Delimitis/Henninger Bräu), Slg. 1991 I, 935, 984 Rn. 14 ff. 1167 Anmerkungen in Fn. 637 f. und 640 f. (3. Teil). 1168 EuG v. 01.04.1993, Rs. T-65/89 (BPB/Kommission), Slg. 1993 II, 389, 417 Rn. 65 f. Dem entsprechend stellt die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/99 (Vertikalvereinbarungen) ausschließliche Bezugs- oder Lieferverpflichtungen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen des Art. 81 EGV frei, wenn der Marktanteil des jeweils begünstigten Unternehmens 30% nicht übersteigt (Art. 3 Abs. 3). Ganz so der CADE, der Ausschließlichkeitsklauseln nur im Falle von Marktmacht seitens des bindenden Unternehmens für wettbewerbsschädlich hält, vgl. CADE v. 22.04.1993, P. A. 32/92 (Valer Alimentação e Serviços et al.), DOU 27.04.1993, Seção I, S. 5405. 1169 Vgl. z. B. auch ansonsten erlaubte vertikale Absprachen, vgl. L. Peeperkorn, E. C. Vertical Restraints Guidelines, European Competition Law Review 23 (2002) Nr. 1, S. 39 f. 1170 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 441 f. Dieses Verhalten kann aber auch als Unterfall des Diskriminierungsverbots eingeordnet werden, vgl. EuGH v. 03.07.1985, Rs. 243/83 (Binon/AMP), Slg. 1985, 2015, 2042. Zur Geschäfts- oder Lieferverweigerung im europäischen Kartellrecht siehe auch: T. Lübbig, Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 167–170.

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das Verbot der ungerechtfertigten Verweigerung des Verkaufs von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen. Die Lieferverweigerung durch Unternehmen in marktbeherrschender Position kann zu einem Ausschluss der nicht belieferten Unternehmen im Markt für nachgelagerte Produkte führen, die das in Frage stehende Erzeugnis als Vorstufe benötigen1171. Ein solcher Marktausschluss liegt dann im Interesse des Lieferanten, wenn dieser vertikal integriert ist, das heißt, wenn er selbst auf dem nachgelagerten Markt tätig ist und die Lieferverweigerung nutzt, um seine Marktmacht auf diesem Markt auszudehnen1172. Auch das Drohen mit Lieferverweigerung seitens eines marktbeherrschenden Unternehmens, um den Wiederverkäufer zur Anwendung empfohlener Preise zu zwingen, wurde als Missbrauch von Marktmacht gewertet1173. Die Lieferverweigerung ist dann kein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, wenn sie sachlich gerechtfertigt werden kann. Dies geht klar aus Art. 6 Nr. XIII des Wettbewerbsschutzprotokolls hervor, der nur die „ungerechtfertigte Verweigerung“ des Verkaufs von Waren oder Dienstleistungen als ein dem Protokoll widersprechendes Verhalten nennt1174. Was als ge1171 So befand der Europäische Gerichtshof die Lieferverweigerung eines auf mehreren Produktionsstufen tätigen marktbeherrschenden Unternehmens an einen einstufig produzierenden Konkurrenten mit dem Ziel, diesen vom Markt zu verdrängen, als Missbrauch im Sinne von Art. 82 EGV, vgl. EuGH v. 06.03.1974, Rs. 6 und 7/73 (ICI und Commercial Solvents/Kommission), Slg. 1974, 223, 251 ff. 1172 Vgl. CNDC v. 30.06.1999, Expte. 064-006301/99 (Decoteve/Pramer), 2.4; CNDC v. 18.08.1999, Expte. 064-007874/99 (Mariano Ernesto Morgan/José María Ubici), Rn. 34. 1173 So die Praxis der brasilianischen Wettbewerbsbehörde, vgl. CADE v. 05.11.1997, P. A. 08000.011634/94-07 (Sindicato das Indfflstrias de Panificação Kibon e Indfflstria de Alimentícias Gerais), DOU 21.11.1997, Seção I, S. 27243; CADE v. 05.01.1998 P. A. 148/92 (Kraft Suchard do Brasil), DOU 08.01.1998, Seção I; CADE, Ralatório Anual, S. 71 ff. Die Lieferverweigerung ist im Regelbeispiel Art. 21 Nr. XIII des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes als wettbewerbswidriges Verhalten aufgeführt. Auf die Androhung einer Geschäftsverweigerung als wirksames Mittel, um Handelspartner zu entsprechendem Verhalten zu veranlassen, weisen auch hin: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 440 Rn. 16. 1174 Bei der Formulierung des Wettbewerbsschutzprotokolls hatte man möglicherweise das im europäischen Wettbewerbsrecht grundlegende Chiquita-Urteil im Blick. Der Europäische Gerichtshof stellt heraus, dass der Abbruch von Geschäftsbeziehungen eines marktbeherrschenden Unternehmens ohne sachliche Rechtfertigung missbräuchlich ist, vgl. EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, Rn. 182 f. Auch die argentinische Wettbewerbsbehörde weist darauf hin, dass eine Lieferverweigerung nur dann eine missbräuchliche Handlung darstellt, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, vgl. CNDC v. 18.08.1999, Expte. 064-007874/99 (Mariano Ernesto Morgan/José María Ubici), Rn. 34; CNDC v. 30.06.1999, Expte. 064-006301/99 (Decoteve/Pramer), 2.5.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

rechtfertigt oder ungerechtfertigt gilt, hängt im Einzelnen vom Handelsbrauch in dem jeweiligen relevanten Markt ab. Ungerechtfertigt ist eine Lieferverweigerung, wenn die Bestellung den marktüblichen Bedingungen entspricht1175. Marktübliche Bestellungen sind solche, die den überwiegenden Bestellungen auf dem Markt entsprechen1176. Sachlich gerechtfertigt ist beispielsweise die Verweigerung des Verkaufs an einen Einzelhändler, wenn das marktbeherrschende Unternehmen sonst ausschließlich an Großhändler liefert1177, oder die Lieferverweigerung aufgrund mangelnder Bonität des Abnehmers1178. In der Europäischen Union wurde die so genannte Fachhandelsbindung von der Kommission als sachliche Rechtfertigung, nur an den Fachhandel zu liefern, anerkannt1179. Einer Lieferverweigerung oder dem Abbruch von Geschäftsbeziehungen steht die Lieferung nur unter diskriminierenden oder anderweitig wettbewerbsbeschränkenden Auflagen gleich1180. Ist eine Lieferverweigerung sachlich nicht zu rechtfertigen, ist ein Liefer- bzw. Kontrahierungszwang möglich1181. Die einseitige Lieferverweigerung muss von einem den Markt dominierenden Unternehmen ausgehen, damit sie eine wettbewerbswidrige Hand1175

Nach der argentinischen Parallelvorschrift Art. 2 lit. l des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25. 156 ist die Lieferverweigerung trotz marktüblicher Bedingungen der Bestellung eine wettbewerbswidrige Verhaltensweise. Hierzu auch: G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. II, S. 640 ff., insb. S. 642. 1176 CNDC v. 22.09.1982 (Staff Médico/Federación Médica de la Provincia de Buenos Aires), VI.; CNDC v. 18.08.1999, Expte. 064-007874/99 (Mariano Ernesto Morgan/José María Ubici), Rn. 34 i. V. m. Rn. 36, 40. 1177 CADE v. 18.06.1997, P. A. 3/91 (Good Year do Brasil et al.), DOU 03.07.1997, Seção I, S. 14013; CADE v. 02.12.1997, P. A. 134/93 (Indfflstria de Bebidas Antártica), DOU 08.01.1998, Seção I, S. 6. 1178 CNDC v. 18.08.1999, Expte. 064-007874/99 (Mariano Ernesto Morgan/José María Ubici), Rn. 34. 1179 Dabei muss die Auswahl der zugelassenen Händler nach objektiven Kriterien diskriminierungsfrei erfolgen, vgl. EuGH v. 25.10.1977, Rs. 26/76 (Metro/Kommission), Slg. 1977, 1875, 1905, Rn. 20. 1180 Hierauf verweist für das EG-Wettbewerbsrecht: V. Emmerich, Kartellrecht, S. 442. 1181 So in Argentinien, vgl. A. A. Litvack, La obligación de vender y la defensa de la competencia, La Ley 1992-C, S. 470; vgl. etwa CNDC v. 30.06.1999, Expte. 064-006301/99 (Decoteve/Pramer), III. Der CADE setzt für einen Liefer- oder Kontrahierungszwang in Brasilien nicht eine fehlende sachliche Rechtfertigung, sondern die Lieferverweigerung in Verdrängungsabsicht voraus, vgl. CADE v. 12.10.1989, A. P. 159 (Good Year do Brasil I), DOU 16.10.1989, Seção I, S. 18.556; CADE v. 18.06.1997, P. A. 3/91 (Good Year do Brasil et al.), DOU 03.07.1997, Seção I, S. 14013. Hierbei handelt es sich nicht um unterschiedliche Maßstäbe. Verdrängungsabsicht ist anzunehmen, wenn eine sachliche Rechtfertigung für eine Lieferverweigerung nicht vorliegt.

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lung darstellt. Nur die Lieferverweigerung durch ein marktbeherrschendes Unternehmen kann in Ermangelung von Bezugsalternativen zu einem Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern vom Markt führen und so die Wettbewerbsordnung gefährden1182. Die Verweigerung des Verkaufs von Waren oder Dienstleistungen durch ein Unternehmen bei funktionierendem Wettbewerb gefährdet die Wettbewerbsordnung nicht und steht im Einklang mit der Handlungs- und Vertragsfreiheit der Marktakteure. Grundsätzlich steht es jedem Unternehmen frei zu bestimmen, mit welchen anderen Unternehmen es Handel betreibt. Die freie Entscheidung über die Aufnahme oder den Abbruch von Geschäftsbeziehungen ist Teil der Privatautonomie und unverzichtbares Rechtsinstitut privater Wettbewerbswirtschaft1183. Eine Einschränkung der Handlungs- und Vertragsfreiheit von Marktteilnehmern durch das Verbot der Lieferverweigerung ist nur im Falle der Gefährdung des freien Wettbewerbs und damit der Handlungs- und Vertragsfreiheit selbst gerechtfertigt. Die Feststellung der Marktbeherrschung des fraglichen Unternehmens ist daher zwingend notwendig, um einen Sachverhalt in dieses Regelbeispiel einordnen zu können1184. Dabei sind grundsätzlich auch marktbeherrschende Unternehmen berechtigt, unternehmerische Eigeninteressen zur Geltung zu bringen1185. Die Lieferverweigerung muss im Hinblick auf die Wahrung der Eigeninteressen unverhältnismäßig sein, um als missbräuchlich zu gelten1186. (7) Essential-facilities-Doktrin Der Verweigerung des Verkaufs von Waren oder Dienstleistungen mit dem Ziel, Mitbewerber vom Markt für solche Güter zu verdrängen, die diese 1182 So auch CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I. 1183 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 440 Rn. 15; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 406 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 8. Kap. VIII. 1184 Diese Sichtweise bestätigt die Praxis auf nationaler Ebene Argentiniens und Brasiliens. Sowohl die CNDC als auch der CADE halten eine Lieferverweigerung nur von Unternehmen in marktbeherrschenden Stellung für nicht zulässig, vgl. CNDC v. 10.05.1982, Expte. 104.084/81 (Cooperativa Popular de Electricidad Santa Rosa), VII.; CNDC v. 19.12.1995, Expte. 607.452/92 (C. 290) (Albemar/Cámara Argentina del Tabaco u. a.), S. 6; CADE v. 18.12.1996 Representação 132/90 (Vidraçaria Santa Maria e Blindex), DOU 09.01.1997, Seção I; CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I. 1185 Wie der Europäische Gerichtshof herausstellt, vgl. EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, 298 Rn. 184 u. 194. 1186 EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, 298 Rn. 184 u. 194.

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als Vorstufe oder Bestandteil benötigen, kommt der Verhinderung des Zugangs zu wichtigen Infrastruktureinrichtungen oder Technologien gleich, über die die vor- oder nachgelagerten Märkte erreicht werden1187. Solche Infrastruktureinrichtungen sind klassischerweise Netze der Versorgungswirtschaft und des Verkehrs1188 oder auch Patente1189. Da der Aufbau eigener Einrichtungen praktisch oder im Fall der Patente rechtlich ausgeschlossenen ist, entscheidet der Zugang zu diesen essentiellen Einrichtungen de facto über den Zugang zu den vor- oder nachgelagerten Märkten der jeweiligen Produkte oder Leistungen. In den bisher staatlichen oder halbstaatlichen Monopolen der Telekommunikation, Energie und des Verkehrs ist der Zugang zu Einrichtungen und Netzen eine notwendige Voraussetzung für Wettbewerb1190. Vor dem Hintergrund umfangreicher Privatisierungsbemühungen in Argentinien und Brasilien in den 1990er-Jahren kommt der im internationalen Wettbewerbsrecht als Essential-facilities-Doktrin bekannten Lehre1191 auch im Mercosur eine besondere Bedeutung zu. Sie ist normiert in Art. 6 Nr. IX des Wettbewerbsschutzprotokolls. Danach verstößt die Verhinderung des Zugangs von Mitbewerbern zu Produktionsmitteln, Rohstoffen, Ausrüstungen, Technologien oder Vertriebswegen gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll. Mit dieser Formulierung beschränkt sich das Wettbewerbsschutzprotokoll nicht auf den Zugang zu den klassischen Netzmonopolen. Insbesondere ermöglicht die ausdrückliche Nennung von Technologien auch die Anordnung von Zwangslizenzen durch Patentinhaber1192. 1187 T. Lübbig, Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 204. Schröter ordnet die Essential-facilities-Doktrin der missbräuchlichen Geschäftsverweigerung marktbeherrschender Unternehmen zu, vgl. H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 251 ff., 263; nicht anders C. Jung, Art. 82 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 216. 1188 EuG v. 12.06.1997, Rs. T-504/93 (Tiercé Ladbroke/Kommission), Slg. 1997 II, 923, 969 Rn. 131 f. 1189 Zu gewerblichen Schutzrechten siehe unten, Teil 3, III. 2. b), cc), (9). 1190 Hierzu H. Hohmann, Die essential facility doctrine im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen: Eine Untersuchung der allgemeinen Zugangsregelung zu Netzen und anderen Infrastruktureinrichtungen gem. § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB unter Berücksichtigung US-amerikanischer, europäischer und sektorspezifischer Erfahrungen, 2001, S. 108 ff. 1191 Ph. Areeda, Essential Facilities: An Epithet in Need of Limiting Principles, Antitrust Law Journal 1990 Nr. 58, S. 841. Zu dem geschichtlichen Hintergrund der Essential-facilities-Doktrin im US-Antitrustrecht, vgl. H. Hohmann, Die essential facility doctrine, S. 23–101. Auch die CNDC erkennt die Essential-facilities-Doktrin an, vgl. zuletzt: CNDC v. 10.02.2005, Expte. S01:0096145/2003 (DKA/Telefónica de Argentina), Rn. 28. 1192 Dies entspricht der Praxis in Argentinien und Brasilien. Die CNDC erkennt die Möglichkeit der Kontrolle der Ausübung von Schutzrechten im Falle von gesetzlichen Monopolen an, vgl. CNDC v. 16.08.1981, Expte. 100.779/80 (Tiboni/Sorensen y Cia), VI. In einer jüngeren Entscheidung verpflichtete die CNDC einen

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Auch die EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof haben in jüngeren Entscheidungen die Lehre akzeptiert1193. Sie ist zwar in keinem der Regelbeispiele des Art. 82 EGV ausdrücklich enthalten, kann aber unter die Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes nach Art. 82 S. 2 lit. b EGV und auch unter das Verbot der Diskriminierung nach Art. 82 S. 2 lit. c EGV subsumiert werden1194. Die Praxis in der Europäischen Union legt die Annahme einer wesentlichen Einrichtung restriktiv aus. Wie im Schlussantrag zum Bronner-Fall zutreffend festgestellt wird, ist die Anordnung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung mit der Festlegung von Lieferpreisen und -Bedingungen verbunden. Eine weite Auslegung der Essential-facilities-Doktrin und die damit einhergehenden Preisregulierungen sind mit dem Wettbewerb und einer freien Marktwirtschaft kaum vereinbar1195. Die Mitbenutzung der entsprechenden Einrichtung muss für den Konkurrenten unentbehrlich sein, um Zugang zu den vor- oder nachgelagerten Märkten zu bekommen1196. Maßgeblich für die Unentbehrlichkeit ist privaten Lizenzinhaber von Fernsehprogrammen zur Fortführung eines Lizenzvertrages mit einem konkurrierenden Satellitensender, vgl. CNDC v. 30.06.1999, Expte. 064-006301/99 (Decoteve/Pramer), III.; Art. 24 Nr. IV lit. a des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes sieht die Anordnung von Zwangslizenzen sogar ausdrücklich vor. 1193 Vgl. KomE v. 21.12.1993 (Sea Containers/Stena Sealink II), ABl. 1994, Nr. L 15/8, 16 Rn. 66; KomE v. 21.12.1993 (Hafen von Rødby), ABl. 1994, Nr. L 55/52, 55 Rn. 12; EuGH v. 26.11.1998, Rs. C-7/97 (Bronner/Mediaprint), Slg. 1998 I, 7791, 7830 Rn. 39 f. Auch in der Europäischen Union wurden Zwangslizenzen angeordnet, vgl. EuGH v. 06.04.1995, Rs. C-241/91 P und C-242/91 P (RTE u. ITP/Kommission), Slg. 1995 I, 743, 823 ff. Rn. 49 ff.; KomE v. 03.07.2001 (Zwangslizenz IMS Health), ABl. 2002, Nr. L 59/18, 46. Die von der EU-Kommission angeordnete Zwangslizenz wurde allerdings wieder aufgehoben, vgl. EuGH v. 11.04.2002, Rs. C-481/01 P (NDC Health/Kommission u. IMS Health), Slg. 2002 I, 3401; zuletzt: EuGH v. 29.04.2004, Rs. C-418/01 (IMS Health/NDS Health), Slg. 2004 I, 5039. Zur Entwicklung der Essential-facilities-Doktrin im europäischen Wettbewerbsrecht vgl. auch H. Hohmann, Die essential facility doctrine, S. 42 ff. Gegen eine Anerkennung der Lehre durch den Europäischen Gerichtshof: C. Jung, Art. 82 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 225. 1194 Die EU-Kommission verwies auf die Rechtsprechung zu missbräuchlicher Geschäftsverweigerung, vgl. KomE v. 21.12.1993 (Hafen von Rødby), ABl. 1994, Nr. L 55/52, Rn. 12; KomE v. 21.12.1993 (Sea Containers/Stena Sealink II), ABl. 1994, Nr. L 15/8, Rn. 62 ff. Die Kommission sieht einen Verstoß gegen Art. 82 EGV auch in der Gewährung des Zugangs nur zu diskriminierenden Bedingungen, vgl. KomE v. 21.12.1993 (Sea Containers/Stena Sealink II), ABl. 1994, Nr. L 15/8, 16 Rn. 66. Zur Essential-facilities-Doktrin im Europäischen Gemeinschaftsrecht auch: W. Deselaers, Art. 82 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 348 ff.; C. Jung, Art. 82 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 216 ff.; H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 262 ff. 1195 Schlussanträge in EuGH v. 26.11.1998, Rs. C-7/97 (Bronner/Mediaprint), Slg. 1998 I, 7791, 7814 Rn. 69. 1196 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 443.

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die mangelnde Duplizierbarkeit der Einrichtung. Es darf keinen tatsächlichen oder potentiellen Ersatz für die Engpasseinrichtung (hier ein Hauszustellungssystem einer führenden Tageszeitung) geben1197. Die Duplizierbarkeit kann an technischen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Hindernissen scheitern1198. Anlaufverluste sind jedoch keine solchen wirtschaftlichen Hindernisse, sondern müssen hingenommen werden1199. Eine Einrichtung ist nicht schon deshalb wesentlich, wenn ein Konkurrent ohne den Zugang zu dieser Einrichtung über schlechtere Absatzmöglichkeiten erfügt1200. Das Hauszustellungssystem wurde im konkreten Fall nicht als wesentliche Einrichtung anerkannt. Dem Wettbewerber steht die Möglichkeit der Postzustellung, des Ladenverkaufs oder die Schaffung eines eigenen bundesweiten Hauszustellungssystems zu1201. Die Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung ist dann erlaubt, wenn der Inhaber nachweist, dass eine Mitbenutzung aus technischen, betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Beispiele sind die mangelnde Kapazität des Netzes, die Gefährdung der Betriebssicherheit oder mangelnde technische, fachliche oder wirtschaftliche Voraussetzungen des Antragsstellers1202. Diese ungeschriebenen Ausnahmen sind wie jede Ausnahme eng auszulegen1203. Im Falle, dass aufgrund der hohen Zahl der Antragssteller die Kapazität der wesentlichen Einrichtung überschritten würde, ist der Inhaber verpflichtet, eine öffentliche Ausschreibung vorzunehmen. Der Inhaber kann dabei keinen Vorrang vor den Antragstellern beanspruchen, sondern muss die vorhandenen Kapazitäten gleichmäßig zwischen ihm und den Antragstellern aufteilen1204. In diesem Sinn entschied die CNDC in Argentinien, dass ein 1197 EuGH v. 26.11.1998, Rs. C-7/97 (Bronner/Mediaprint), Slg. 1998 I, 7791, 7831 Rn. 41; H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 269; für den ähnlich lautenden § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB so auch: H. Hohmann, Die essential facility doctrine, S. 225 f.; W. Deselaers, Art. 82 EGV, in: Grabitz/Hilf, Loseblatts., Rn. 351 f. 1198 EuGH v. 26.11.1998, Rs. C-7/97 (Bronner/Mediaprint), Slg. 1998 I, 7791, 7831 Rn. 44. 1199 Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge zu EuGH v. 26.11.1998, Rs. C-7/97 (Bronner/Mediaprint), Slg. 1998 I, 7791, 7841 Rn. 68. 1200 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 452 Rn. 52. 1201 EuGH v. 26.11.1998, Rs. C-7/97 (Bronner/Mediaprint), Slg. 1998 I, 7791, 7831. 1202 Hierauf verweist im Recht der Europäischen Union: H. Schröter, Art. 82, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 265. 1203 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 205. 1204 So das deutsche Bundeskartellamt für den ähnlich lautenden § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB, vgl. V. Emmerich, Kartellrecht, S. 204. Anders jedoch: K. Markert,

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Großschlachthof, der auf dem regionalen Markt aufgrund einer staatlichen Konzession der einzige Schlachthof war, seine Kapazitäten auf die Viehzüchter aufteilen muss1205. Analog zum Beispieltatbestand der Geschäfts- oder Lieferverweigerung entspricht der Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung die Gewährung des Zugangs nur zu diskriminierenden Bedingungen. In Argentinien verlangte ein aufgrund einer staatlichen Konzession einzige Betreiber eines Skiliftes, der auch eine Skischule besitzt, für die Skilehrer anderer Skisschulen einen deutlich höheren Preis für deren Beförderung mit dem Lift, wodurch andere Skischulen faktisch vom Markt für Skischulen ausgeschlossen wurden. Die CNDC führte aus, dass das ausschließliche Recht, Skilifte zu betreiben, nicht auch das ausschließliche Recht beinhalte, Skischulen zu betreiben1206. Auch die EU-Kommission sieht einen Verstoß gegen Art. 82 EGV, wenn der Eigentümer einer wesentlichen Einrichtung den Zugang zu dieser zu weniger günstigen Bedingungen als für die eigenen Dienste gewährt1207. (8) Kampfpreisunterbietung Art. 6 Nr. XII des Wettbewerbsschutzprotokolls verbietet den nicht durch Gründe geschäftlicher Geflogenheiten zu rechtfertigenden Verkauf von Waren unter dem Selbstkostenpreis. Es handelt sich bei dieser Vorschrift um das in der südamerikanischen nationalen Praxis bisher eher unbedeuDie Verweigerung des Zugangs zu „wesentlichen Einrichtungen“ als Problem der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht, WuW 1995, S. 565. 1205 CNDC v. 08.02.1982, Expte. 30.782-S-81 (Humberto Savant/Matadero Vera), VI. 1206 CNDC v. 07.10.1997, Expte. 064-002742/97 (Franski/Ski World), 4.3.7. Sie ordnete den Zugang zu dem Skilift für alle Skilehrer zu den gleichen Konditionen an (5.1). Vgl. die Parallele zur Aspen-Skiing-Co.-Entscheidung des US-Supreme Courts v. 19.06.1985 Aspen Skiing Co./Aspen Highlands Skiing Corp., 472 U.S. 585, 105 S.Ct. 2847 (1985). 1207 Vgl. KomE v. 21.12.1993 (Sea Containers/Stena Sealink II), ABl. 1994, Nr. L 15/8, 16 Rn. 66. Der CADE genehmigte den Verkauf des einzigen Containerterminals in einem bedeutenden Hafen an ein Speditionsunternehmen nur unter der Auflage, dass der Zugang zum Hafen allen Transportunternehmen zu den gleichen Bedingungen offen steht, vgl. CADE v. 15.12.1999 A. C. 08012.007405/98-47 (Terminal de Vila Velha et al.), DOU 21.01.2000, Seção, I, S. 1. In diesem Sinne entschied in Deutschland der Bundesgerichtshof jüngst, dass Stromversorgungsunternehmen, die das Netz eines Konkurrenten zur Durchleitung elektrischer Energie nutzen, eine zivilgerichtliche Überprüfung der Höhe des vertraglich vereinbarten Netznutzungsentgelts verlangen können, das sich im konkreten Fall sogar an den Preisen des Netzbetreibers ausrichten muss, vgl. BGH v. 18.10.2005 – KZR 36/04, Pressemitteilung Nr. 144/2005 (Entscheidung noch nicht gedruckt).

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tende1208, aber aufgrund der Praxis in der Europäischen Union1209 und in den USA1210 auch in den nationalen Gesetzen Argentiniens und Brasiliens übernommene Verbot der Kampfpreisunterbietung1211. Kampfpreisunterbietung ist der Versuch, durch Preisunterbietung selbst unter Inkaufnahme erheblicher Verluste Wettbewerber aus dem Markt zu drängen1212. Eine solche Verdrängungsstrategie ist nur durch die besonderen Ressourcen eines marktstarken Unternehmens möglich1213. Die besondere Schwierigkeit bei der 1208

Verkäufe zu unwirtschaftlich niedrigen Preisen sind in Südamerika ein junges Phänomen, so P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 92. Durch verstärkte Konzentrationen wird es jedoch zunehmend bedeutsamer, vgl. beispielsweise CNDC v. 31.07.1997, Expte. 064-000962/97 (Cámara Argentina de Papelerías Librerías y Afines/Supermercados Mayoristas Makro), Rn. 9 ff.; CNDC v. 20.05.1986, Expte. 107.435/84 (Indfflstria Argentina de Aceros/Fabricaciones Militares), I. f. 1209 Die Kampfpreisunterbietung ist in keinem der Regelbeispiele des Art. 82 S. 2 EGV ausdrücklich erwähnt, lässt sich gegebenenfalls aber unter Art. 82 S. 2 lit. c (Diskriminierung) einordnen, wenn die Kampfpreise nur in einem Teilmarkt oder nur den Abnehmern gewährt werden, die in Geschäftsbeziehung mit dem bekämpften Unternehmen stehen (vgl. EuGH v. 03.07.1991, Rs. C-62/86 (Akzo/Kommission), Slg. 1991 I, 3359, 3466 Rn. 114 f.; EuG v. 12.12.1991, Rs. T-30/89 (Hilti/ Kommission), Slg. 1991 II, 1439, Rn. 16). Die Kampfpreisunterbietung wird in der Regel jedoch unter dem allgemeinen Tatbestand des Art. 82 S. 1 subsumiert, vgl. H. Schröter, Art. 82, in: ders./Jakob/Merderer, Rn. 276. Zur Kampfpreisunterbietung im EG-Kartellrecht siehe auch: T. Lübbig, Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 172–175. Der ungerechtfertigte systematische Verkauf unter dem Einstandspreis ist im deutschen Kartellrecht ausdrücklich in § 20 Abs. 4 GWB verboten. 1210 Der Supreme Court erkannte Kampfpreise erstmals im Standard-Oil-Fall an, vgl. Standard Oil Company of New Jersey vs. U.S. 221, U.S. 1 (1911). Dazu auch: E.-J. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 198 ff. 1211 Vgl. Art. 2 lit. m des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156. Die CNDC nahm vor der Einführung dieses Regelbeispiels in das argentinische Wettbewerbsrecht Bezug auf die Rechtsprechung in den USA, vgl. CNDC v. 31.07.1997, Expte. 064-000962/97 (Cámara Argentina de Papelerías Librerías y Afines/Supermercados Mayoristas Makro), Rn. 29 ff. Das Verbot des Verkaufs unter dem Kostenpreis wurde auch in Art. 21 Nr. XVIII des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes von 1994 aufgenommen. 1212 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 445; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 435 Rn. 2. 1213 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 445; C. Martínez Blanco, Grandes cadenas, poder dominante y defensa de la competencia, S. 74. Die Möglichkeit, aufgrund von Marktmacht Verluste über einen längeren Zeitraum hinnehmen zu können, ist auch für den brasilianischen CADE ein entscheidendes Kriterium für die Annahme von Kampfpreisen, vgl. CADE v. 16.07.1997, A. P. 08000.018467/95-06 (Metalcorp), DOU 01.08.1997 Seção I, 16529; CADE v. 30.05.2001 P. A. 08000.013002/95-97 (Merck), DOU 02.07.2001, Seção I. CADE und CNDC haben klargestellt, dass Kampfpreise nur von marktmächtigen Wirtschaftsteilnehmern ausgehen können, vgl. Hinweise in Fn. 1224 (3. Teil).

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Feststellung einer Kampfpreisunterbietung ist die Abgrenzung zum erlaubten und erwünschten Preiswettbewerb1214. Der Grund, warum Kampfpreise wettbewerbswidrig sind, folgt aus der Gefahr, dass das beherrschende Unternehmen nach erfolgreicher Ausschaltung der Konkurrenz die Marktführerschaft ausnutzt und Preise zu Lasten des Verbrauchers übermäßig erhöht1215. Der Missbrauch von Marktmacht ist anzunehmen, wenn das marktbeherrschende Unternehmen versucht, einem kleineren Wettbewerber durch „andauernde und systematische Preisunterbietungsaktion“ aus dem Markt zu drängen1216. Die Hinnahme von Verlusten ist entscheidendes Kriterium für die Annahme von Kampfpreisen im Unterschied zum erwünschten Preiswettbewerb1217. Dies entspricht der Formulierung in Art. 6 Nr. XII des Wettbewerbsschutzprotokolls1218, wonach der Verkaufspreis nicht den „Selbstkostenpreis“ unterschreiten darf. Die argentinische und die brasilianische Wettbewerbsbehörde nehmen Verlustpreise an, wenn der Preis unter den variablen Durchschnittskosten einer Ware oder Dienstleistung liegt1219, 1214 Es wurde die Meinung vertreten, dass es wettbewerbswidrige Kampfpreise gar nicht gibt. Heute wird ganz überwiegend von der Existenz wettbewerbswidriger Kampfpreise ausgegangen. Zu den vorgebrachten Argumenten mit weitern Nachweisen vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 435 Rn. 3. Zur Feststellung von Kampfpreisen vgl. auch: H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 275 ff. 1215 C. Martínez Blanco, Grandes cadenas, poder dominante y defensa de la competencia, S. 74; CNDC v. 24.11.1981, Expte. 10.110/81 (Eolo/La Platense), VII.; CNDC, Breve Análisis Económico de la Ley Argentina de Defensa de la Competencia, 5.4). In den USA muss nach jüngerer Rechtsprechung diese Gefahr quantifizierbar sein, damit von Kampfpreisen (predatory pricing) ausgegangen werden kann. Das marktbeherrschende Unternehmen muss mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Verluste aus dem Preiskampf vollständig durch zukünftig anzuhebende Preise ausgleichen können, vgl. Supreme Court, Brooke Group vs. Brown and Williamson Tobacco, 509 US 209 (1993), S. 226. 1216 So KomE v. 14.12.1985 (ECS/Akzo), ABl. 1985, Nr. L 374/1, Rn. 2.; bestätigt durch: EuGH v. 03.07.1991, Rs. C-62/86 (Akzo/Kommission), Slg. 1991 I, 3359, 3453; ähnlich: EuGH v. 14.11.1996, Rs. C-333/94 P (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1996 I, 5951, 6012 ff.; EuG v. 07.10.1999, Rs. T-228/97 (Irish Sugar/Kommission), Slg. 1999 II, 2969, 3030 ff.; KomE v. 18.07.1988 (Napier Brown), ABl. 1988, Nr. L 284/41, 54. 1217 T. Lübbig, Art. 82, in: U. Loewenheim/K. M. Meesen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. I, Rn. 172; C. Jung, zu Art. 82 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 192. 1218 Vgl. auch Art. 2 lit. m des argentinischen Wettbewerbsgesetzes Nr. 25.156 sowie Art. 21 Nr. XVIII des brasilianischen Wettbewerbsgesetzes. 1219 CNDC v. 31.07.1997, Expte. 064-000962/97 (Cámara Argentina de Papelerías Librerías y Afines/Supermercados Mayoristas Makro), Rn. 26; CNDC v. 20.05.1986, Expte. 107.435/84 (Indfflstria Argentina de Aceros/Fabricaciones Militares), VII.; CADE v. 30.05.2001 P. A. 08000.013002/95-97 (Merck), DOU 02.07.2001, Seção I; CADE, Resoluçãu 20/1999, Anhang I, A, 4. Keine Kampf-

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während der Europäische Gerichtshof zwischen den durchschnittlichen variablen Kosten und den durchschnittlichen Gesamtkosten unterscheidet1220. „Den geschäftlichen Geflogenheiten“ entspricht allerdings der kurzfristige Verkauf von Waren unter dem Selbstkostenpreis, beispielsweise um den Verderb von Waren zu vermeiden1221. Die Auseinandersetzung um den Preis ist eine der offensichtlichsten Formen, anhand derer sich Wettbewerb ausdrückt1222. Ein Eingriff in die Preispreise liegen nach Ansicht des CADE vor, wenn die Differenz zu Konkurrenzpreisen niedrig ist, vgl. CADE v. 04.03.1998 P. A. 46/92 (Xerox Industrial e Comercial), DOU 23.03.1998, Seção I, S. 21. 1220 Stets missbräuchliche Verlustpreise seien anzunehmen, wenn der Preis die durchschnittlichen variablen Kosten unterschreitet, vgl. EuGH v. 03.07.1991, Rs. C-62/86 (Akzo/Kommission), Slg. 1991 I, 3359, 3455 Rn. 71; EuGH v. 14.11.1996, Rs. C-333/94 P (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1996 I, 5951, 6012 Rn. 41. Bei Unterschreitung der durchschnittlichen Gesamtkosten muss zusätzlich der Zweck, den Konkurrenten aus dem Markt zu verdrängen, offensichtlich sein, vgl. EuGH v. 03.07.1991, Rs. C-62/86 (Akzo/Kommission), Slg. 1991 I, 3359, Rn. 72. Allerdings lässt der Gerichtshof auch andere Kriterien zu, wenn eine Verdrängung durch Kampfpreiswettbewerb unstreitig vorliegt. Im Fall „Maritime Belge Transports“ orientierten sich die Kampfpreise an den Preisen des einzigen Konkurrenten, vgl. EuG v. 08.10.1996, Rs. T-24/93, T-25/93, T-26/93 und T-28/93 (Compagnie Maritime Belge Transports u. a./Kommission), Slg. 1996 II, 1201, 1251 f.; bestätigt durch: EuGH v. 16.03.2000, Rs. C-395/96 P und C-396/96 P (Compagnie Maritime Belge Transports u. a./Kommission), Slg. 2000 I, 1365, 1477 Rn. 118 f. Kritisch zur Verwendung des Maßstabs variabler Kosten: E.-J. Mestmäcker, Marktzugang und Monopolmissbrauch auf deregulierten Märkten, in: J. F. Baur/K. Hopt/K. P. Mailänder (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff zum 70. Geburtstag, 1990, S. 1051. 1221 Das Bundeskartellamt erkennt die Verderblichkeit von Waren unter anderem als sachliche Rechtfertigung eines Verkaufs unter dem Einstandspreis an, vgl. Bundeskartellamt, Verkauf unter Einstandspreis: Bekanntmachung des Bundeskartellamtes zur Anwendung des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB, WuW 2000, S. 1221–1225, insb. S. 1224; ebenso CNDC v. 27.042.1997, Expte. 609.960/93 (C. 320) (Cooperativa de Energía Eléctrica San Bartolomé/Cable Visión San Bartlolomé u. a.), V. Nicht als Missbrauch von Marktmacht zu werten sind auch Räumungsverkäufe, vgl. CADE v. 27.10.1993, P. A. 10/91 (Lumix Química), DOU 05.11.1993, Seção I, S. 16609 und kurzfristige Lockangebote, vgl. CADE v. 16.10.1996, A. P. 08000.016380/94-60 (Supermercados Big Lar), DOU 24.10.1996, Seção I, 21777. In diesem Sinne auch: CNDC v. 31.07.1997, Expte. 064-000962/97 (Cámara Argentina de Papelerías Librerías y Afines/Supermercados Mayoristas Makro), Rn. 40; CNDC v. 20.05.1986, Expte. 107.435/84 (Indfflstria Argentina de Aceros/Fabricaciones Militares), VIII.; CNDC v. 09.10.1996, Expte. 235.014/90 (C. 258) (Buenos Aires Compañia Argentina de Seguro), 5.1; CNDC v. 30.10.2003, Expte. 064-000870/2001 (EMI/Libertad), Rn. 28. 1222 So auch CNDC v. 11.07.1985 (Bodegas y Viñedos Giol), 4.7; CNDC v. 20.05.1986, Expte. 107.435/84 (Indfflstria Argentina de Aceros/Fabricaciones Militares), VII.; so auch EuGH v. 11.07.1989, Rs. 246/86 (Belasco u. a./Kommission), Slg. 1989, 2117, 2185 ff.; EuGH v. 25.10.1977, Rs. 26/76 (Metro/Kommission), Slg. 1977, 1875, 1906. Vgl. auch Anmerkungen in Fn. 601 (3. Teil).

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bildungsfreiheit der Wirtschaftsteilnehmer ist nur in engen Grenzen möglich, nämlich vor allem dann, wenn die Absicht erkennbar ist, den Wettbewerber aus dem Markt zu verdrängen, wie auf nationaler Ebene sowohl die argentinische CNDC als auch der brasilianische CADE klargestellt haben1223. Beide Behörden gehen zudem davon aus, dass die Anwendung von Kampfpreisen das Vorliegen von Marktmacht der Wirtschaftsteilnehmer voraussetzt1224 und die niedrigen Preise über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden müssen1225. Die CNDC stellt zum Teil und in offensichtlicher Anlehnung an die Rechtsprechung in den USA1226 zudem darauf ab, dass aufgrund der Marktstruktur das Unternehmen mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit in der Lage sein muss, die erlittenen Verluste zurückzuholen1227. 1223 CNDC v. 20.05.1986, Expte. 107.435/84 (Indfflstria Argentina de Aceros/Fabricaciones Militares), VII.; CNDC v. 27.042.1997, Expte. 609.960/93 (C. 320) (Cooperativa de Energía Eléctrica San Bartolomé/Cable Visión San Bartlolomé u. a.), V.; CNDC v. 31.07.1997, Expte. 064-000962/97 (Cámara Argentina de Papelerías Librerías y Afines/Supermercados Mayoristas Makro), Rn. 25; CNDC v. 11.07.1999, Expte. 064-008480/98 (Cámara de Indfflstria de Calzado de Córdoba/ Carrefour), Rn. 10, 17; CNDC v. 02.08.1999, Expte. 064-007873/99 (Mercado de Abasto de Villa Maria/Supermercados Americanos Disco), Rn. 10; CADE, Resolução 20/1999, Anhang I, A, 4. Hierauf verweist auch für das EG-Wettbewerbsrecht: Emmerich, Kartellrecht, S. 189. Vgl. auch C. Martínez Blanco, Grandes cadenas, poder dominante y defensa de la competencia, S. 74. 1224 CADE v. 16.07.1997, A. P. 08000.018467/95-06 (Metalcorp), DOU 01.08.1997 Seção I, 16.529; CADE v. 27.10.1993, P. A. 10/91 (Lumix Química), DOU 05.11.1993, Seção I, S. 16609; CNDC v. 27.042.1997, Expte. 609.960/93 (C. 320) (Cooperativa de Energía Eléctrica San Bartolomé/Cable Visión San Bartlolomé u. a.), V.; CNDC v. 31.07.1997, Expte. 064-000962/97 (Cámara Argentina de Papelerías Librerías y Afines/Supermercados Mayoristas Makro), Rn. 25; CNDC v. 11.07.1999, Expte. 064-008480/98 (Cámara de Indfflstria de Calzado de Córdoba/Carrefour), Rn. 17; CNDC v. 20.05.1986, Expte. 107.435/84 (Indfflstria Argentina de Aceros/Fabricaciones Militares), VII.; CNDC v. 02.08.1999, Expte. 064-007873/99 (Mercado de Abasto de Villa Maria/Supermercados Americanos Disco), Rn. 10. 1225 CNDC v. 24.11.1981, Expte. 10.110/81 (Eolo/La Platense), VII.; CNDC v. 31.07.1997, Expte. 064-000962/97 (Cámara Argentina de Papelerías Librerías y Afines/Supermercados Mayoristas Makro), Rn. 40; CNDC v. 20.05.1986, Expte. 107.435/84 (Indfflstria Argentina de Aceros/Fabricaciones Militares), VII.; CNDC v. 27.042.1997, Expte. 609.960/93 (C. 320) (Cooperativa de Energía Eléctrica San Bartolomé/Cable Visión San Bartlolomé u. a.), V.; CNDC v. 09.10.1996, Expte. 235.014/90 (C. 258) (Buenos Aires Compañia Argentina de Seguro), 5.1; CADE v. 16.10.1996, A. P. 08000.016380/94-60 (Supermercados Big Lar), DOU 24.10.1996, Seção I, 21777; CADE v. 30.05.2001 P. A. 08000.013002/95-97 (Merck), DOU 02.07.2001, Seção I: „(. . .) a conducta não pode ser esporádica e de pequeno alcance (. . .)“. 1226 Vgl. Supreme Court, Brooke Group vs. Brown and Williamson Tobacco, 509 US 209 (1993).

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Ein besonders deutliches Beispiel von Kampfpreiswettbewerb ist die Quersubventionierung eines Geschäftsbereichs aus Gewinnen eines staatlichen Monopols1228. Eine erhebliche Reduzierung der Anzeigenpreise marktführender Tageszeitungen mit dem Ziel, eine andere Zeitung vom Anzeigenmarkt zu verdrängen, wurde von den Wettbewerbsbehörden sowohl in Argentinien als auch in Brasilien als wettbewerbswidrig eingestuft1229. (9) Gewerbliche Schutzrechte Zu den gewerblichen Schutzrechten zählen das Patentrecht, das Geschmacks- und Gebrauchsmusterrecht und das Markenrecht1230. Der Inhaber eines gewerblichen Schutzrechtes hat das ausschließliche Recht, als Ausgleich einer schöpferischen Tätigkeit gewerbliche Erzeugnisse selbst herzustellen oder das jeweilige Recht durch Lizenzvergabe zu verwerten1231. Obwohl gewerbliche Schutzrechte, allen voran Patente, dem Inhaber den Erwerb einer besonderen Marktposition ermöglichen und im Falle von Patenten auf Schlüsseltechnologien Monopole schaffen können, nennt weder der Beispielkatalog in Art. 6 des Wettbewerbsschutzprotokolls noch Art. 82 S. 2 EGV Beispiele für den missbräuchlichen Einsatz von gewerb1227

CNDC v. 11.07.1999, Expte. 064-008480/98 (Cámara de Indfflstria de Calzado de Córdoba/Carrefour), Rn. 10, 17: „(. . .) y así poder cobrar ulteriormente precios superiores a los de un mercado competitivo, recobrando la pérdida incurrida.“; ebenso CNDC v. 27.042.1997, Expte. 609.960/93 (C. 320) (Cooperativa de Energía Eléctrica San Bartolomé/Cable Visión San Bartlolomé u. a.), V.; CNDC v. 31.07. 1997, Expte. 064-000962/97 (Cámara Argentina de Papelerías Librerías y Afines/ Supermercados Mayoristas Makro), Rn. 25; CNDC v. 02.08.1999, Expte. 064007873/99 (Mercado de Abasto de Villa Maria/Supermercados Americanos Disco), Rn. 10; und auch bereits CNDC v. 24.11.1981, Expte. 10.110/81 (Eolo/La Platense), VII. 1228 Vgl. EuG v. 09.09.1999, Rs. T-127/98 (UPS/Kommission), Slg. 1999 II, 2633; KomE v. 20.03.2001 (Deutsche Post), ABl. 2001, Nr. L 125/27; Zu Quersubventionen durch argentinische Unternehmen vgl. den CTI-Fall, der aufgrund einer Einigung zwischen den Beteiligten nicht abgeschlossen wurde, kommentiert in R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 270–277. 1229 CNDC v. 18.05.1998, Expte. 064-005402/96 (Editorial Amfin S.A./Arte Gráfico Ed. Argentina), 2.1 ff., 8.9; CADE v. 20.08.1997 Representação 209/93 (Diario de Grande ABC), DOU 02.09.1997, Seção I, 19147. Einen ähnlichen Fall gab es auch in Östereich, vgl. Kronenzeitung/Standard, öOGH SZ, Bd. 69, 1996 I, Nr. 47, S. 279 ff. insb. S. 285 f. und in Deutschland, wo eine überregionale marktbeherrschende Zeitung durch Senkung der Anzeigepreise in regionalen Ausgaben versuchte, die lokalen Zeitungen aus dem Markt zu verdrängen, vgl. Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht 1993/94, Bundestags-Drucksache 13/1660, S. 120 ff. 1230 Vgl. etwa Dieter Rebel, Handbuch Gewerbliche Schutzrechte – Übersichten und Strategien: Europa – USA – Japan, 1993, S. 3. 1231 So der Europäische Gerichtshof für das Patentrecht, vgl. EuGH v. 31.10.1974, Rs. 15-74 (Centrafarm u. a./Sterling Drug), Slg. 1974, 1147, 1163 Rn. 9.

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lichen Schutzrechten. Hierin kann die grundsätzliche Anerkennung des Bestandes gewerblicher Schutzrechte gesehen werden1232. Wie auch im EGWettbewerbsrecht der Fall ist gleichwohl davon auszugehen, dass eine missbräuchliche Ausübung dieser Rechte von marktbeherrschenden Unternehmen gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll verstößt1233. Missbrauch von Lizenzen ist beispielsweise das Eintragen von Defensivzeichen, um ausländische Konkurrenten am Eindringen in den Markt zu hindern1234, der Einsatz von „Sperr- oder Wegelagererpatenten“, um Wettbewerber an der Fortentwicklung von technischen Produkten zu hindern1235, oder die Verweigerung der Vergabe von Lizenzen, um beispielsweise unabhängige Teilehersteller vom Markt zu verdrängen1236. In diesen Fällen ist sogar die Anordnung von Zwangslizenzen möglich1237. Auch die Verknappung des 1232 Wesensgemäßer Zweck gewerblicher Schutzrechte ist es, dem Rechtsinhaber die Ausübung vorzubehalten, vgl. EuGH v. 30.06.1988, Rs. 35/87 (Thetford u. a./ Fiamma u. a.), Slg. 1988, 3585, Rn. 24. Das gilt selbst dann, wenn es sich bei dem Inhaber um ein marktbeherrschendes Unternehmen handelt, vgl. EuGH v. 06.04.1995, Rs. C-241/91 P und C-242/91 P (RTE u. ITP/Kommission), Slg. 1995 I, 743, Rn. 49; EuGH v. 26.11.1998, Rs. C-7/97 (Bronner/Mediaprint), Slg. 1998 I, 7791, Rn. 39; EuGH v. 29.04.2004, Rs. C-418/01 (IMS Health/NDS Health), Slg. 2004 I, 5039, Rn. 34. Alle Mercosur-Mitgliedstaaten haben den WTO-Vertrag innerstaatlich ratifiziert (vgl. 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 127) und damit auch das in Annex 1C enthaltene Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS). Vgl. auch D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 453 ff. 1233 In diesem Sinne auch B. Kraekel, Der Abbau von Maßnahmen kontingentgleicher Wirkung als Instrument der Marktöffnung, S. 147 f.; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 474. Zur Unterscheidung zwischen dem Bestand und der Ausübung gewerblicher Schutzrechte in der Europäischen Union vgl. EuGH v. 11.02.1971, Rs. 40-70 (Sirena/EDA u. a.), Slg. 1971, 69, 83; EuGH v. 05.10.1988, Rs. 53/87 (Cicra u. a./Renault), Slg. 1988, 6039, Rn. 10 f.; EuGH v. 05.10.1988, Rs. 238/87 (Volvo/Veng), Slg. 1988, 6211, 6235 Rn. 7 f.; EuGH v. 06.04.1995, Rs. C-241/91 P und C-242/91 P (RTE u. ITP/Kommission), Slg. 1995 I, 743, 823. 1234 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 447. 1235 T. Eilmansberger, Der Umgang marktbeherrschender Unternehmen mit Immatrialgüterrechten im Lichte des Art. 86 EWGV, EuZW 1992, S. 630. 1236 EuGH v. 05.10.1988, Rs. 53/87 (Cicra u. a./Renault), Slg. 1988, 6039, 6073; EuGH v. 05.10.1988, Rs. 238/87 (Volvo/Veng), Slg. 1988, 6211, 6235 f.; EuG v. 10.07.1991, Rs. T-70/89 (BBC/Kommission), Slg. 1991 II, 535, 565. Der Europäische Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich auch marktführenden Unternehmen nicht verwehrt ist, die Lizenzvergabe zu verweigern. Nur im Zusammenhang mit weiteren „außergewöhnlichen Umständen“ kann die Lizenzverweigerung ein missbräuchliches Verhalten darstellen, vgl. EuGH v. 06.04.1995, Rs. C-241/91 P und C-242/91 P (RTE u. ITP/Kommission), Slg. 1995 I, 743, Rn. 49 f. 1237 EuGH v. 06.04.1995, Rs. C-241/91 P und C-242/91 P (RTE u. ITP/Kommission), Slg. 1995 I, 743, 823 f. Rn. 49 ff.; KomE v. 03.07.2001 (Zwangslizenz IMS

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Angebots eines durch gewerbliche Schutzrechte geschützten Produktes bei unveränderter Nachfrage1238 oder der Erwerb der einzigen Konkurrenztechnologie durch ein ohnehin aufgrund eines besonderen Patentes marktbeherrschenden Unternehmen1239 wurden als Marktmachtmissbrauch eingestuft. (10) Staatliche Monopole Art. 2 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls bestimmt die Anwendung seiner Vorschriften ausdrücklich auch auf staatliche Monopole1240. Staatliche Monopole werden demnach vom Protokoll anerkannt und sind nicht grundsätzlich verboten. Da sie aber ebenso wie andere juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts dem Wettbewerbsschutzprotokoll unterliegen, kann die Ausübung gesetzlicher Monopole gegen Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls verstoßen. Auch im Europäischen Gemeinschaftsrecht sind gesetzliche Monopole nach Art. 31 i. V. m. Art. 82 und 86 EGV grundsätzlich zulässig, jedoch nicht von der Anwendung der Wettbewerbsregeln ausgenommen1241. Das Ausüben eines gesetzlichen Monopols ist kein Missbrauch, solange das gleiche Marktverhalten von einem Unternehmen mit natürlicher Marktmacht nicht als Missbrauch qualifiziert würde1242. Als Missbrauch einer beherrschenden Stellung wurde in der Praxis der Europäischen Union eingestuft, wenn staatliche Monopole den technischen Fortschritt nicht nutzen und zum Nachteil der Verbraucher veraltete Systeme aufrechterhalten1243 oder unzulängliche Dienste zu überhöhten PreiHealth), ABl. 2002, Nr. L 59/18. Den Versuch, einen konkurrierenden Fernsehsender durch Verweigerung der Lizenzvergabe an Fernsehsenderechten aus dem Markt zu drängen, sah die CNDC als Missbrauch einer beherrschenden Marktstellung des Lizenzinhabers an, vgl. CNDC v. 30.06.1999, Expte. 064-006301/99 (Decoteve/Pramer), 2.5 ff. Im brasilianischen Wettbewerbsgesetz ist die Anordnung von Zwangslizenzen im Rahmen des Missbrauchs einer beherrschenden Marktstellung sogar ausdrücklich vorgesehen, vgl. Art. 24 Nr. IV lit. a. 1238 EuGH v. 05.10.1988, Rs. 238/87 (Volvo/Veng), Slg. 1988, 6211, 6235 f.; EuGH v. 05.10.1988, Rs. 53/87 (Cicra u. a./Renault), Slg. 1988, 6039, 6073. Dieses Beispiel kann auch unter die Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes eingeordnet werden, vgl. Teil 3, III. 2. b), cc), (4). 1239 EuG v. 10.07.1990, Rs. T-51/89 (Tetra Pak/Kommission – „Tetra Pak I“), Slg. 1990 II, 309, 357 Rn. 23. 1240 Vgl. bereits Teil 3, III. 1. a) dd). 1241 V. Emmerich, Kartellrecht, S. 448; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 383 Rn. 23. Für die staatlichen Postunternehmen grundlegend: EuGH v. 20.03.1985, Rs. 41/83. (Italien/Kommission), Slg. 1985, 873, 885 ff. 1242 Für die Europäische Union vgl. EuGH v. 13.12.1991, Rs. 18/88 (RTT/GBInno-BM), Slg. 1991 I, 5941, 5980 Rn. 20.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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sen bereitstellen1244. Gerade die Unangemessenheit der Preise im Verhältnis zu den Kosten wurde wiederholt als Verstoß gegen Art. 82 EGV beanstandet1245. Insbesondere verstoßen Monopolunternehmen, die versuchen, ihr Monopol auf Nachbarmärkte auszudehnen, gegen Art. 82 EGV1246. Es ist davon auszugehen, dass ebenso wie im Wettbewerbsrecht der Europäischen Gemeinschaft1247 Normadressaten des Wettbewerbsschutzprotokolls neben den privaten und öffentlichen Wirtschaftsteilnehmern1248 auch die Mitgliedstaaten selbst sind, obwohl im Wettbewerbsschutzprotokoll eine ausdrückliche Bestimmung vergleichbar mit Art. 86 Abs. 1 EGV fehlt. Zwar stellt das Verleihen ausschließlicher oder besonderer Rechte von Seiten der Mitgliedstaaten für sich genommen keinen Verstoß gegen das Protokoll dar. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten das Wettbewerbsschutzprotokoll verletzen, wenn sie privilegierten Unternehmen Verhaltensweisen zugestehen, die ohne gesetzliche Befugnis einen Missbrauch einer beherrschenden Marktstellung darstellen würden1249. Die Mitgliedstaaten dürfen den Unternehmen auch nicht durch hoheitliche Regelungen freie Hand für ein missbräuchliches Verhalten lassen1250. Sie haben vielmehr die Pflicht, staatliche Privilegien so zu begrenzen, dass den Wirtschaftsteilnehmern ein missbräuchliches Ausnutzen ihrer hoheitlich gewährten Marktmacht nicht möglich ist1251. Die Mitgliedstaaten verstoßen auch gegen das gemeinsame Wettbewerbsrecht, wenn sie Unternehmen Tätigkei1243

EuGH v. 20.03.1985, Rs. 41/83. (Italien/Kommission), Slg. 1985, 873, 885 ff. EU-Kommission, Bekanntmachung der Kommission über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Postsektor und über die Beurteilung bestimmter staatlicher Maßnahmen betreffend Postdienste, ABl. 1998, Nr. C 39/2, S. 7 f. 1245 EuGH v. 05.10.1994, Rs. C-323/93 (Besamungsstation la Crespelle/Genossenschaft Mayenne), Slg. 1994 I, 5077, 5106 Rn. 25; EuGH v. 17.07.1997, Rs. C-242/95 (GT-Link/DSB), Slg. 1997 I, 4449, 4447 Rn. 46. 1246 EuGH v. 13.12.1991, Rs. 18/88 (RTT/GB-Inno-BM), Slg. 1991 I, 5941, 5979 f.; EuGH v. 06.04.1995, Rs. C-241/91 P und C-242/91 P (RTE u. ITP/Kommission), Slg. 1995 I, 743, Rn. 54 ff. 1247 Vgl. I. Pernice/S. Wernicke, Art. 86 EGV, in: Grabitz/Hilf, Rn. 4 ff.; I. F. Hochbaum/R. Klotz, Art. 86 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 6 f. 1248 Vgl. bereits Teil 3, III. 1. a). 1249 So jedenfalls für die Europäische Union: EuGH v. 13.12.1991, Rs. 18/88 (RTT/GB-Inno-BM), Slg. 1991 I, 5941, 5980 Rn. 20; EuGH v. 23.04.1991, Rs. C-41/90 (Höfner u. Elser/Macrotron GmbH), Slg. 1991, 1979, 2018 Rn. 29; EuGH v. 18.06.1991, Rs. C-260/89 (ERT u. a./DEP u. a. – „Griechisches Fernsehen“), Slg. 1991 I, 2925, 2962; EuGH v. 10.12.1991, Rs. C-179/90 (Merci convenzionali/Siderurgica Gabrielli), Slg. 1991 I, 5889, 5928 f. 1250 So für das EG-Wettbewerbsrecht: EuGH v. 17.07.1997, Rs. C-242/95 (GTLink/DSB), Slg. 1997 I, 4449, 4465 Rn. 34; EuGH v. 17.05.1994, Rs. C-18/93 (Corsica Ferries), Slg. 1994 I, 1783 Rn. 43. 1251 So für das EG-Wettbewerbsrecht: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 384 Rn. 24. 1244

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ten durch ausschließliches Recht zugestehen, die sie nicht erbringen können1252 oder die auch von einem unabhängigen Unternehmen hätten ausgeführt werden können1253. dd) Die Beschränkung des Restwettbewerbs als Missbrauchstatbestand Im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union gilt neben dem Schutz des Verbrauchers der Schutz des Restwettbewerbs als wesentlicher Zweck des Verbots des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung1254. Nach der inzwischen gefestigten EG-Rechtsprechung sind Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen verboten, die zu einer zusätzlichen Beschränkung der Wettbewerbsstruktur führen, welche ohnehin durch die Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist1255. Zwar erkennt die EG-Rechtsprechung an, dass auch marktbeherrschende Unternehmen berechtigt sind, Eigeninteressen zu wahren1256 und insbesondere nicht dafür 1252 Im Recht der Europäischen Union hat der Europäische Gerichtshof dies als missbräuchliche Einschränkung der Produktion oder des Absatzes im Sinne von Art. 81 Abs. 2 lit. b EGV anerkannt, vgl. EuGH v. 23.04.1991, Rs. C-41/90 (Höfner u. Elser/Macrotron GmbH), Slg. 1991, 1979, 2018 f. Rn. 30–34; EuGH v. 19.03.1991, Rs. C-202/88 (Frankreich u. a./Kommission – „Telekommunikation“), Slg. 1991 I, 1223, 1268 f. Art. 82 S. 2 lit. b EGV entspricht Art. 6 Nr. XIV–XVI des Wettbewerbsschutzprotokolls, hierzu bereits Teil 3, III. 2. b), cc), (4). 1253 Aus diesem Grunde hat der Europäische Gerichtshof im Fall „Ambulanz Glöckner“ einen Verstoß gegen Art. 82 S. 2 lit. b EGV anerkannt, vgl. EuGH v. 25.10.2001, Rs. C-475/99 (Ambulanz Glöckner/Landkreis Südwestpfalz), Slg. 2001 I, 8089, 8152 Rn. 43. 1254 EuGH v. 21.02.1973, Rs. 6-72 (Europemballage und Continental Can/Kommission), Slg. 1973, 215, 244 f., Rn. 21–24: „(. . .) jede strukturelle Maßnahme kann die Marktverhältnisse beeinflussen, sofern sie das Unternehmen größer und wirtschaftlich stärker macht.“, weshalb die Unterscheidung zwischen einem missbräuchlichen Verhalten und der gegebenen Marktstruktur aufgegeben werden müsse. Im Fall „Tetra Pak“ befand das Europäische Gericht erster Instanz, dass der Erwerb einer Lizenz durch ein marktführendes Unternehmen als missbräuchliches Verhalten einzustufen ist, wenn dadurch die Vormachtstellung verstärkt wird und der ohnehin geringe Restwettbewerb noch verringert wird, vgl. EuG v. 10.07.1990, Rs. T-51/89 (Tetra Pak/Kommission), Slg. 1990 II, 309, 357 Rn. 23. 1255 EuGH v. 21.02.1973, Rs. 6-72 (Europemballage und Continental Can/Kommission), Slg. 1973, 215, 246 Rn. 26; EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 541 Rn. 91; EuG v. 01.04.1993, Rs. T-65/89 (BPB/Kommission), Slg. 1993 II, 389, 425 f. H. Schröter, Art. 82 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 26. 1256 EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, 298–302; EuG v. 01.04.1993, Rs. T-65/89 (BPB/Kommission), Slg. 1993 II, 389, 418 Rn. 69; EuG v. 06.10.1994, Rs. T-83/91 (Tetra Pak/Kommission – „Tetra Pak II“), Slg. 1994 II, 755, 813 Rn. 160; EuG v. 08.10.1996, Rs. T-24/93, T-25/93,

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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verantwortlich sind, die Wettbewerbsstruktur aufrechtzuerhalten1257. Andererseits weist der Europäische Gerichtshof auf die „besondere Verantwortung“ hin, den wirksamen und unverfälschten Wettbewerb im Gemeinsamen Markt nicht zu gefährden1258. Der Interessenschutz rechtfertige kein Verhalten, das auf die Verstärkung einer marktführenden Stellung abziele1259. Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen sind in der Europäischen Union demnach nur solange legitim, wie sie auch ohne Machtinteressen wirtschaftlich sinnvoll wären1260. Da Marktbeherrschung immer mit einer Einschränkung des Wettbewerbs einhergeht, wird sogar die Meinung vertreten, dass die Wettbewerbsregeln auch zum Abbau der beherrschenden Stellung beigetragen sollen1261. Diese Auslegung verkennt, dass jedem Wirtschaften das Streben nach Wachstum und damit nach (weiterer) Marktmacht inhärent ist. Jedes Unternehmen verringert durch Wachstum und dem damit einhergehenden Ausbau der Marktmacht den Restwettbewerb. Dies ist offenbar solange zulässig, bis eine beherrschende Marktposition erreicht wird. Ist diese einmal erreicht, darf das Unternehmen nach oben dargestellter Sichtweise nicht nach weiterer Marktmacht streben, weil die Verringerung des Restwettbewerbs die Marktstruktur verändert. Jede wirtschaftliche Tätigkeit eines Unternehmens ab dem Zeitpunkt des Erreichens einer beherrschen Marktposition ist damit als Missbrauch einer beherrschenden Stellung zu werten. Eine Trennung zwischen derjenigen wirtschaftlichen Tätigkeit, die auf den Ausbau von Marktmacht und solchen Verhaltensweisen, die auf den bloßen Erhalt der erreichten Position abzielen, ist kaum möglich. Ab dem Zeitpunkt des ErT-26/93 und T-28/93 (Compagnie Maritime Belge Transports u. a./Kommission), Slg. 1996 II, 1201, 1252 Rn. 146; EuG v. 07.10.1999, Rs. T-228/97 (Irish Sugar/ Kommission), Slg. 1999 II, 2969, 3048, Rn. 112, 189; EuG v. 22.11.2001, Rs. T-139/98 (AAMS/Kommission), Slg. 2001 II, 3413, 3450 Rn. 79. So im Übrigen auch die argentinische Wettbewerbsbehörde, vgl. CNDC v. 17.03.2004, Expte. 064-004619/2001 (Servicio Pfflblico/Telecom), Rn. 46. 1257 EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, 302 Rn. 227-233. 1258 EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3511 Rn. 57. 1259 EuGH v. 14.02.1978, Rs. 27/76 (United Brands/Kommission), Slg. 1978, 207, Rn. 189; EuG v. 01.04.1993, Rs. T-65/89 (BPB/Kommission), Slg. 1993 II, 389, 418 Rn. 69; EuG v. 08.10.1996, Rs. T-24/93, T-25/93, T-26/93 und T-28/93 (Compagnie Maritime Belge Transports u. a./Kommission), Slg. 1996 II, 1201, Rn. 107, 146; EuG v. 07.10.1999, Rs. T-228/97 (Irish Sugar/Kommission), Slg. 1999 II, 2969, 3048, Rn. 112. 1260 Zu diesem Schluss kommen E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 424 Rn. 41. 1261 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 380 Rn. 9.

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reichens der beherrschenden Position müsste das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit aufgeben oder einen Teil des Unternehmens verkaufen, um sicherzustellen, nicht gegen Art. 82 EGV zu verstoßen. Dass Unternehmen in beherrschender Position Verhaltensweisen untersagt werden können, die im Zustand vollständiger Konkurrenz zulässig sind, steht außer Frage1262. Art. 82 EGV verbietet jedoch nicht die beherrschende Stellung an sich, sondern das missbräuchliche Ausnutzen einer solchen1263. Wenn die beherrschende Stellung an sich nicht verboten ist, dann darf auch deren weiterer Ausbau nicht verboten sein. Ähnlich dem im Wettbewerbsschutzprotokoll klaren Bekenntnis zu aus Effiziensvorteilen erwachsender Marktbeherrschung1264 stellt auch der Europäische Gerichtshof heraus, dass der Schutz der eigenen Marktstellung rechtmäßig ist, wenn er auf Kriterien wirtschaftlicher Effizienz beruht und im Interesse der Verbraucher liegt1265. Diese zutreffende Feststellung bekräftigt die Auffassung, dass es für die Erfüllung des Missbrauchstatbestandes nicht entscheidend sein kann, ob das Unternehmen seine Marktmacht weiter ausbaut, sondern ob es die Möglichkeiten, die ihm die Marktmacht bietet, missbräuchlich, insbesondere zum Schaden des Verbrauchers ausnutzt. Voraussetzung dafür, ein Marktverhalten als missbräuchlich zu qualifizieren, ist, dass das Marktverhalten von demjenigen eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweicht1266. Das Unternehmen darf seine Marktmacht nicht missbrauchen, insbesondere nicht die in den Beispieltatbeständen genannten Verhaltensweisen praktizieren. Die Schwierigkeit, bei einer einmal erreichten beherrschenden Marktstellung aufgrund der Interdependenz von Marktstruktur und Marktverhalten1267 missbräuchliche Verhaltensweisen zu identifizieren, darf nicht dazu führen, Marktmacht an sich zu verbieten, um vermeintlich bessere Marktergebnisse zu erreichen1268. Es ist gerade Aufgabe der zur Entscheidung berufenen 1262 Vgl. etwa L. Peeperkorn, E. C. vertical restraints guidelines, European Competition Law Review 23 (2002) Nr. 1, S. 39 f. 1263 Vgl. bereits Teil 3, III. 2. b), cc). 1264 Vgl. Art. 5 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 1265 EuG v. 07.10.1999, Rs. T-228/97 (Irish Sugar/Kommission), Slg. 1999 II, 2969, 3048 Rn. 189. 1266 EuGH v. 21.02.1973, Rs. 6-72 (Europemballage und Continental Can/Kommission), Slg. 1973, 215, 246; EuGH v. 13.02.1979, Rs. 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission), Slg. 1979, 461, 539 ff.; EuGH v. 11.12.1980, Rs. 31-80 (L’Oréal/De Nieuwe Amck), Slg. 1980, 3775, 3794; EuGH v. 09.11.1983, Rs. 322/81 (Michelin/Kommission), Slg. 1983, 3461, 3512 ff.; EuGH v. 20.03.1985, Rs. 41/83. (Italien/Kommission), Slg. 1985, 873, 886 ff. 1267 Vgl. Anmerkungen in Fn. 1254 (3. Teil). 1268 So aber: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 386 Rn. 32.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Stelle, im Rahmen einer rechtlichen Gesamtwürdigung missbräuchliche, das heißt solche nur aufgrund der Marktmacht und der zugunsten des Unternehmens veränderten Marktstruktur mögliche Verhaltensweisen von legitimen Maßnahmen abzugrenzen, die dem normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerb auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger entsprechen1269. Das bloße Ausnutzen von Effizienzvorteilen, die dem Unternehmen durch seine Größe zukommen und anderen kleinern Wirtschaftsteilnehmern vorenthalten bleiben, ist jedenfalls kein Missbrauch, auch dann nicht, wenn das Unternehmen dadurch weitere Marktanteile gewinnt1270. ee) Fusionskontrolle Art. 7 des Wettbewerbsschutzprotokolls sieht vor, die Kontrolle von Handlungen und Verträgen, die zu wirtschaftlicher Konzentration führen können, innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren in einer gemeinsamen Vorschrift zu regeln. Bisher wurde ein Fusionskontrollverfahren nicht verabschiedet, was nicht verwundert, da das Wettbewerbsschutzprotokoll selbst noch nicht in Kraft getreten ist1271. Mit dem Zeitrahmen von nur zwei Jahren haben sich die Vertragsstaaten ein ehrgeiziges Ziel gesetzt1272. Brauchte doch die Europäische Union 32 Jahre bis zur Verabschiedung der ersten Fusionskontrollverordnung1273.

1269 Das ist umso schwieriger, je marktbeherrschender das fragliche Unternehmen ist, da der Wettbewerb sich mit zunehmender Marktmacht der Marktteilnehmer vom ursprünglichen Zustand vollständiger Konkurrenz und damit vom „normalen“ Produkt- oder Dienstleistungswettbewerb auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger entfernt. 1270 Kritisch auch N. Koch, Art. 86 – Wettbewerbsregeln, in: Grabitz/Hilf, Kommentar – Maastrichter Fassung, Rn. 7 u. 45 f., der ein allgemeines Monopolisierungsverbot in der Continental-Can-Doktrin (vgl. Fn. 1254, 3. Teil) erkennt. 1271 Die Tatsache, dass bisher noch keine gemeinsame Regelung gefunden wurde, lässt darauf schließen, dass als Beginn der Zweijahresfrist nicht der Zeitpunkt der Verabschiedung des Wettbewerbsschutzprotokolls gemeint ist, sondern der Zeitpunkt des Inkrafttretens. Hierfür spricht auch die systematische Auslegung unter Heranziehung von Art. 32 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 1272 So auch P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 297. 1273 Verordnung Nr. 4064/89, ABl. 1989, Nr. L 395/1, mit Wirkung zum 1. Mai 2004 ersetzt durch Verordnung Nr. 139/04, ABl. 2004, Nr. L 24/1. Auch in Deutschland wurde erst 17 Jahre nach der Verabschiedung des GWB mit der Novelle von 1973 eine Fusionskontrolle verabschiedet.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

3. Staatliche Beihilfen Während staatliches unternehmerisches Handeln und staatliche Monopole von den Wettbewerbsvorschriften erfasst werden, ist „rein hoheitliches“ Handeln aufgrund der vermeintlich fehlenden Teilnahme am Wirtschaftsverkehr ausgenommen1274. Der Staat kann Wettbewerb aber auch verzerren oder verfälschen, indem er (hoheitlich) Beihilfen an ausgewählte Unternehmen oder Produktionszweige gewährt1275. Durch die Besserstellung einheimischer Unternehmen wird der Marktzutritt ausländischer Konkurrenten erschwert1276. 1274 Vgl. bereits Teil 3, III. 1. a). Kritisch zur Trennung von hoheitlichem Handeln und staatlichen Unternehmen: K. A. Schachtschneider, Eigentümer globaler Unternehmen, in: FS Steinmann, S. 420 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 34 ff., 200 ff. insb. S. 206, 209, 212 f., 224 f., 231 f., 233 f., 237, S. 300 ff., 309 ff.; vgl. auch Anmerkungen in Fn. 236 (3. Teil). 1275 Vgl. etwa die Rundfunkgebühren in Deutschland, die lediglich den einheimischen öffentlich-rechtlichen Sendern zugutekommen. Zu der Wirkung von Beihilfen auf den Allokationsmechanismus vgl. C. Grave, Der Begriff der Subvention im WTO-Abkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen, 2002, S. 112 ff. Art. 1 Abs. 2 der Ratsentscheidung 31/00 (Entscheidungsvorschlag für gemeinsame Regelung von Export- und Produktionsförderung) erkennt die verzerrende Wirkung von Beihilfen bei der Ressourcenallokation an. Vgl. auch: Art. 16 GATT. In der Europäischen Union werden die Art. 87 ff. EGV daher auch auf staatliche Monopole angewendet: Art. 86 Abs. 2 EGV ist keine lex specialis zu den Beihilfevorschriften, vgl. mit weiteren Nachweisen: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 1047 Rn. 14. In diesem Sinne für den Mercosur: D. Deacon/F. Caballero Sanz, Integración económica y política de Defensa de la Competencia, Integración Latinoamericana, Nr. 193 (1993), S. 34; S. Rippe, El Derecho de la Competencia en el Mercosur, S. 266. E. I. Rimoldi de Ladmann, El derecho fundamentale de las relaciones comerciales internacionales, in: dies. (Hrsg.), Derecho y Política de Defensa de la Competencia – Análisis Comparado 2000, S. 21. 1276 EuGH v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans u. a./Nahverkehrsgesellschaft Altmark), Slg. 2003 I, 7747, Rn. 72–79. Die marktabschottende Wirkung von Beihilfen hat den Europäischen Gerichtshof veranlasst, Beihilfen auch am Maßstab des Art. 28 EGV (Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung) zu messen, vgl. EuGH v. 07.05.1985, Rs. 18/84 (Kommission/Frankreich), Slg. 1985, 1339, 1347 ff. Als lex specialis hat Art. 87 EGV aber Vorrang vor den Grundfreiheiten, sonst käme dem Beihilferecht keine eigenständige Bedeutung zu, vgl. EuGH v. 22.03.1977, Rs. 74–76 (Iannelli/Meroni), Slg. 1977, 557, 575 Rn. 9 f. Nur bei groben Verstößen gegen den freien Warenverkehr bleibt Art. 28 anwendbar, vgl. EuGH v. 20.03.1990, Rs. 21/88 (Du Pont de Nemours/Unita Sanitaria Locale u. a.), Slg. 1990 I, 889, 920 ff. Rn. 10–20; EuGH v. 24.11.1982, Rs. 249/81 (Kommission/Irland), Slg. 1982, 4005, 4020, Rn. 16 f. Zum Verhältnis der Beihilferegelungen zu Art. 28 EGV vgl. W. Cremer, Das Verhältnis der Beihilferegeln gemäß Art. 92 f. EGV zur Warenverkehrsfreiheit, EuR 31 (1996), S. 225–237; P. Cichy, Wettbewerbsverfälschungen durch Gemeinschaftsbeihilfen, 2002, S. 158 ff.; W. Merderer, Vorbem. Art. 87–89 EG, in: Groeben/Schwarze, Rn. 10; A. Bartosch, Verschärft sich die Spruchpraxis zum Europäischen Beihilferecht?, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht – ZIP 2000, 2014 ff.

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Mit fortschreitender Integration und Öffnung der Märkte steigt die Versuchung, für bestimmte Wirtschaftsbereiche den Wegfall schützender Handelshemmnisse durch die Vergabe von Beihilfen auszugleichen1277. Beihilfekontrollen sind notwendig, um zu verhindern, dass anstelle angemessener Wettbewerbsbedingungen (Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción) oder unverfälschten Wettbewerbs (Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV) ein Wettbewerb der Staatshaushalte geschaffen wird1278. Erst durch gemeinsame Vorschriften über Beihilferegelungen wird die Wettbewerbsordnung für einen Gemeinsamen Markt abgerundet; denn nur so kann eine größtmögliche Wettbewerbsgleichheit zwischen den Unternehmen der verschiedenen Teilnehmerstaaten in einem Integrationsprozesses hergestellt werden1279. Ebenso wie in der Europäischen Union1280 wird das Beihilferecht im Mercosur als Bestandteil des Wettbewerbsrechts begriffen. Art. 32 des Wettbewerbsschutzprotokolls verpflichtet die Mitgliedstaaten, innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Protokolls gemeinsame Vorschriften zur Disziplinierung staatlicher Beihilfen dem Protokoll zuzufügen. Da das Wettbewerbsschutzprotokoll noch nicht in Kraft getreten ist, verwundert es nicht, dass bisher noch keine solche umfassende Regelung verabschiedet wurde1281. Das heißt jedoch nicht, dass es keine Vorschriften bezüglich staatlicher Beihilfen gibt. Der Versuch, Beihilfen in den Mitgliedstaaten einer gemeinsamen Regelung zu unterwerfen, und vor allem die Frage, inwieweit die Staaten Ausgleichsmaßnahmen (medidas compensatorias) gegen unstatthafte Beihilfen treffen dürfen, sind Gegenstand einer unübersichtlichen Zahl von zum Teil sich gegenseitig ersetzender, zum Teil in ihrer Gültigkeit abgelaufener oder von dem Mercosur-Schiedsgericht für ungültig erklärter Ratsentscheidungen, Entschließungen der Gruppe Gemeinsamer Markt und Richtlinien der Handelskommission1282. Eng verbunden mit staatlichen Beihilfen und etwaigen ausnahmsweise zu erlaubenden Ausgleichsmaßnahmen sind Antidumping1277 In diesem Sinne E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 1044 Rn. 8. 1278 So für Art. 87 ff. EGV: S. Moser/N. Pesaresi/K. Soukup, State guarantees to German public banks: a new step in the enforcement of State aid discipline to financial services in the Community, in: Competition Policy Newsletter Nr. 2/2002, S. 3; ähnlich: W. Möschel, Den Staat an die Kette legen – Gegen die Aushöhlung des Wettbewerbs durch den Staat, Bad Homburg 1995, S. 58. 1279 P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 239. 1280 Art. 87 ff. EGV befinden sich im Titel VI, Kapitel 1 „Wettbewerbsregeln“ des EGV. 1281 Die Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, bis Juni 2006 zusammen mit den bis dahin zu verabschiedenden Änderungen am Wettbewerbsschutzprotokoll eine gemeinsame Regelung über die Anwendung von Antidumping- und Ausgleichsmaßnahmen zu finden, vgl. Punkt 1.4 des Anhangs der Ratsentscheidung 26/03 i. V. m. Ratsentscheidung 11/05, Art. 1. Dies ist bisher nicht geschehen.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

maßnahmen. Dumping ist der Verkauf eines Produktes unter seinem „normalen Wert“ (valor normal)1283. Ein solches Verhalten ist neben marktbeherrschenden vor allem solchen Unternehmen möglich, deren Produktion oder Export durch Beihilfen gefördert wird1284. Es verwundert daher nicht, dass die Begriffe „Ausgleichsmaßnahmen“ und „Antidumpingmaßnahmen“ im Recht des Mercosur ebenso wie im Recht der Europäischen Union1285 in gleichem Zusammenhang verwendet werden1286. Bereits Art. 4 des Vertrags von Asunción verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre nationalen Gesetzgebungen gegen Importe anzuwenden, deren Preise durch Subventionen, Dumping oder andere unlautere Praktiken beeinflusst sind1287. Drei Ad-hoc-Schiedsgerichte 1282 Ein Beispiel für eine Kette sich gegenseitig ersetzender Rechtsakte: Die Entschließung der Gruppe 129/94 verlängert die Gültigkeit der mit der Entschließung 63/93 verabschiedeten Verfahrensregeln über die Anwendung von Antidumpingmaßnahmen im Mercosur bis zur Verabschiedung des Wettbewerbsschutzprotokolls. Die Entschließung 129/94 wird ihrerseits ersetzt durch die Richtlinie der Handelskommission 5/95 (deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 24), welche wiederum durch Ratsentscheidung 64/00 aufgehoben wird, deren Regelungen durch Ratsentscheidung 22/02 ersetzt werden; Beispiel für in der Gültigkeit abgelaufener Entscheidungen: die Ratsentscheidung 3/92 galt nur für die Übergangszeit bis zum 31.12.94; das 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 112 erklärt die Ratsentscheidungen 18/96 und 11/97 (deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 23) wegen fehlender innerstaatlicher Umsetzung für ungültig. 1283 Der „normale Wert“ ist der marktübliche Preis im Exportland, so die Definition in Art. 2 Abs. 2 des Anhangs von Ratsentscheidung 7/93 (entspricht Art. 5 des Anhangs von Ratsentscheidung 29/00, welche Ratsentscheidung 7/93 ersetzt); So auch die Definition nach WTO-Recht, vgl. Art. VI Abs. 1 GATT 1994 i. V. m. Art. 2 des Agreement on Implementation of Art. VI of GATT 1994; hierzu: P.-T. Stoll/ F. Schorkopf, WTO, S. 120 ff.; W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, S. 267 f. Rn. 642; C. Gloria, Internationales Wirtschaftsrecht, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 622 Rn. 8; ausführlich auch R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 123 ff. 1284 J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 43; R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 166. Niedrigere Lohn- oder Sozialkosten im Ursprungsland der Ware, wofür in der Öffentlichkeit der Begriff des „Lohn- und Sozialdumpings“ (hierzu H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 115 ff.) geprägt wurde, sind hingegen nicht als Dumping im technischen Sinne zu verstehen. Sie führen nicht zu unüblich niedrigen Preisen im Ursprungsland. Die Idee des Freihandels beruht gerade auf der Ausnutzung solcher komparativen Produktionsvorteile. So P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 120 Rn. 345. 1285 M. Lux, Art. 26 in: Lenz/Borchardt, Rn. 25; R. Streinz, Europarecht, S. 273 f. Rn. 735. Dagegen unterscheidet das WTO-Recht Antidumpingmaßnahmen und Ausgleichsmaßnahmen gegen unstatthafte Beihilfen, vgl. Agreement on Implementation of Art. VI of GATT 1994 und Agreement on Subsidies and Countervailing Measures. Hierzu P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 118 ff. u. 128 ff. 1286 Vgl. statt vieler: Ratsentscheidung 64/00, mit der Verfahrensregeln über „Antidumping- oder Ausgleichsmaßnahmen“ (medidas antidumping o compensatorias) verabschiedet werden (Art. 1).

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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haben sich bisher zum Beihilfe- und Antidumpingrecht im Mercosur geäußert und damit ganz entscheidend zu dessen Verständnis beigetragen. a) Begriff der Beihilfe In der spanischen Terminologie werden die Ausdrücke „subvenciones“ oder „subsidios“ verwendet1288. In Ermangelung einer Definition im Primär- und Sekundärrecht bemühte sich das zweite Ad-hoc-Schiedsgericht um eine inhaltliche Klärung dieser Begriffe unter Heranziehung des WTORechts, welches zu dem gemäß Art. 19 des Protokolls von Brasilia1289 bei der Auslegung des Mercosur-Rechts anzuwendenden internationalen Recht gehöre1290. Eine Beihilfe bestehe aus drei Elementen: eine aus staatlichen Mitteln gewährte finanzielle Unterstützung (contribución financiera del gobierno), die Existenz eines Vorteils (beneficio) und das Erfordernis der Spezifität oder Selektivität (que el subsidio sea específico)1291. Die finanzielle Unterstützung kann sowohl vom Staat selbst als auch mittelbar durch öffentliche Organe erfolgen1292. Sie kann in der Zuführung von Kapital, als vergünstigter Kredit oder in der staatlichen Garantie für einen sodann zinsgünstigen Kredit bestehen. Eine finanzielle Unterstützung ist auch der Erlass öffentlicher Abgaben, die anderenfalls zu zahlen wären, sowie die kostenlose Belieferung mit Gütern durch den Staat. Wie eine finanzielle Unterstützung wirken Maßnahmen, die Preise künstlich aufrecht halten und dem Unternehmen indirekt Einnahmen ermöglichen, die über dem marktüblichen Niveau liegen1293. 1287

Wie bereits herausgestellt wurde, sind unlautere Praktiken im südamerikanischen Recht solche, die Preise beeinflussen, siehe oben, Teil 3, II. S. 356. 1288 Beide Begriffe werden als Synonyme verwendet. So ist teilweise innerhalb des gleichen Rechtsaktes die Rede von „subvenciones und später „subsidios“, vgl. auch 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen) Rn. 20, 23; vgl. auch R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 367. Die wörtliche Übersetzung von „subvención“ ist Subvention, die wörtliche Übersetzung von „subsidio“ ist Beihilfe. Auch in der Literatur zum WTO-Recht werden beide Ausdrücke als Synonyme gebraucht, vgl. M. Hahn, Das neue Regime der Beihilfenkontrolle in der WTO, in: M. Klein/W. Meng/R. Rode (Hrsg.), Die Neue Welthandelsordnung der WTO, Bd. I, 1998, S. 105 ff.; zum Begriff der Subvention im WTO-Recht ausführlich C. Grave, Der Begriff der Subvention, S. 82 ff. 1289 Jetzt Art. 34 Abs. 1 des Protokolls von Olivos. 1290 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 56. 1291 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 61. Zum Begriff der Beihilfe/Subvention im WTO-Recht vgl. M. Hahn, Das neue Regime der Beihilfenkontrolle in der WTO, S. 105 ff.; sehr ausführlich C. Grave, Der Begriff der Subvention, S. 124 ff.; P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 130 ff. 1292 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 62; 9. Ad-hocSchiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Rn. 50 Nr. iv.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Ein Vorteil stellt sich als eine Besserstellung eines Unternehmens oder Produktionszweiges im Vergleich zu den normalen Marktbedingungen dar1294. Der Vorteil wird selektiv gewährt, wenn er nur bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen zugute kommt1295. Das Erfordernis der Selektivität einer staatlichen Unterstützung grenzt das Recht eines jeden Staates zur allgemeinen wirtschaftspolitischen Gestaltungsbefugnis von punktuellen und daher wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen ab1296. Würde man den Staat als marktbeherrschenden Wirtschaftsteilnehmer qualifizieren, so unterfielen Beihilfen als diskriminierende Verhaltensweise dem Verbot des Marktmachtmissbrauchs1297. Das zweite Ad-hoc-Schiedsgericht hat den staatlich geförderten genossenschaftlichen Verkauf von landwirtschaftlichen Produkten in Brasilien aufgrund fehlender Selektivität nicht als Beihilfe gewertet. Das System stand allen landwirtschaftlichen Produkten und sogar ausländischen Produzenten offen1298. Der Beihilfebegriff erfasst dem Dargestellten zufolge nicht nur Subventionen im engen Sinne1299, sondern auch solche Maßnahmen, die einer positiven Mittelübertragung nach Art und Wirkung gleichstehen, und entsprechen dem Konzept der Beihilfe im europäischen Wettbewerbsrecht1300. 1293 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 62; bestätigt durch 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Rn. 50. Für das WTO-Recht vgl. C. Grave, Der Begriff der Subvention, S. 136–158 und S. 211–257; P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 130 Rn. 377. 1294 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 63. Für das WTO-Recht vgl. C. Grave, Der Begriff der Subvention, S. 170–189; P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 130 f. Rn. 378. 1295 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 64. 1296 Zum Erfordernis der Spezifität, vgl. M. Hahn, Das neue Regime der Beihilfenkontrolle in der WTO, S. 105 ff.; C. Grave, Der Begriff der Subvention, S. 189–210; P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 131 Rn. 379. 1297 Ähnlich: H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 669. 1298 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 74. Auch der Europäische Gerichtshof sieht in Maßnahmen, die unterschiedslos alle Unternehmen begünstigen, keine Beihilfen, vgl. EuGH v. 08.10.2001, Rs. C-143/99 (Adria-Wien Pipeline u. a./Finanzlandesdirektion Kärnten), Slg. 2001 I, 8365, 8394 Rn. 35. 1299 Im EG-Wettbewerbsrecht ist die Subvention im strengen Sinne des Wortes die Übertragung positiver Leistungen durch den Staat und nur eine Form möglicher Beihilfen, vgl. EuGH v. 23.02.1961, Rs. 30-59 (Steenkolenmijnen Limburg/Hohe Behörde EGKS), Slg. 1961, 3, 43. Ausführlich zum Beihilfebegriff in der Europäischen Union vgl. W. Cremer, Art. 87 EGV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 7 ff.; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 1054–1099, insb. S. 1055 Rn. 3; R. Streinz, Europarecht, S. 399 Rn. 1017; V. Götz, H. III, in: M. A. Dauses, (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatts., Stand 2006, Rn. 21; M. Ciresa, Beihilfekontrolle und Wettbewerbspolitik in der EG, 1992, S. 31 ff. 1300 Hierfür spricht auch, dass in der deutschen Übersetzung des WTO-Abkommens über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 1994, Nr. L 336/156) der Begriff „Beihilfe“ verwendet wird, obwohl

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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b) Die bisherigen Regelungen Gemäß Art. 87 Abs. 1 EGV sind nur solche Beihilfen unzulässig, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Auch Art. 32 des Wettbewerbsschutzprotokolls sieht für die zukünftig zu verabschiedende umfassende Beihilferegelung vor, dass ihr nur solche Beihilfen unterfallen sollen, die den Wettbewerb „begrenzen, einschränken, verfälschen oder verzerren können“. Im EG-Wettbewerbsrecht wird die durch Beihilfen herbeigeführte Wettbewerbsverfälschung anders als beim Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nicht als Einschränkung der Handlungsalternativen der Beteiligten oder Dritter gesehen. Vielmehr wird unter Wettbewerbsverfälschung im Beihilferecht die Beeinträchtigung der Chancengleichheit der Unternehmen im Leistungswettbewerb verstanden1301. Die Prüfung, ob die Chancengleichheit beeinträchtigt ist, ist von der Prüfung der Selektivität zu unterscheiden. Nicht jede selektive Gewährung eines finanziellen Vorteils wirkt sich zugleich negativ auf die Chancengleichheit der Marktteilnehmer aus. Sie kann dazu dienen, die Chancengleichheit gerade herzustellen, wenn Vorteile zum Ausgleich eines Nachteils gewährt werden, der dem Unternehmen beispielsweise bei der Erfüllung einer dem Gemeinwohl dienenden Aufgabe entsteht. Eine Beihilfe liegt vor, wenn Marktakteure im Vergleich zu anderen, auch potentiellen Wettbewerbern einen „spürbaren Vorteil“ erlangen1302. In diesem Sinne hielt das zweite Mercosur-Schiedsgericht ein System der Exportfinanzierung, welches zwar grundsätzlich gegen das Verbot der Ausfuhrbeihilfen der Ratsentscheidung 10/94 verstoße, dennoch in Ermangelung eines Schadens für den Kläger für zulässig1303. Die meisten Rechtsakte im Mercosur regeln nicht die Vergabe von Beihilfen selbst, sondern die Möglichkeit, ausnahmsweise Maßnahmen gegen die englische Fassung des Art. 87 EGV mit „aid granted by a Member State“ einen anderen Terminus als die englische Fassung des genannten WTO-Abkommens verwendet, welches von „financial contribution“ spricht. 1301 Vgl. EuG v. 13.06.2000, Rs. T-204/97 und T-270/97 (EPAC/Kommission), Slg. 2000 II, 2267, 2297, Rn. 87 ff. 1302 EuGH v. 02.02.1988, Rs. 67, 68 u. 70/85 (van der Kooy u. a./Kommission), Slg. 1988, 219, 279 Rn. 74; EuG v. 23.10.2002, Rs. T-269/99, T-271/99 und T-272/99 (Diputación Foral de Guipfflzcoa/Kommission), Slg. 2002 II, 4217, 4245 Rn. 69; EuG v. 06.03.2003, Rs. T-228/99 u. T-233/99 (WestLB u. NRW/Kommission), Slg. 2003 II, 435, Rn. 301. Die Kommission stellt in der De-minimis-Verordnung für Beihilfen diese bis 100.000 Euro innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren von der Anwendung der Art. 87 f. EGV frei, vgl. Verordnung Nr. 69/2001 der Kommission vom 12.01.2001 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf „De-minimis“-Beihilfen, ABl. 2001, Nr. L 10/30. Ausgenommen sind Bereiche Landwirtschaft und Verkehr (Art. 1 lit. a der Verordnung). 1303 Vgl. 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 93–96.

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Importe zu erlassen, deren Preise durch Beihilfen oder Dumping beeinflusst sind1304. Das vierte Schiedsgericht hat Antidumpingmaßnahmen innerhalb des Mercosur als nichttarifäres Handelshemmnis qualifiziert und grundsätzlich für unvereinbar mit dem freien Warenverkehr erklärt1305. Allerdings könnten die Maßnahmen auch dem Schutz des Wettbewerbs dienen und dann ausnahmsweise erlaubt sein1306. Sie sollten jedoch durch gemeinsames Wettbewerbsschutzrecht ersetzt werden, da die Gefahr des versteckten Protektionismus zu groß sei1307. Die große Zahl von Antidumping-Regelungen ist geschichtlich mit dem bis in die 1980er-Jahre betriebenen Protektionismus in Lateinamerika zu erklären. Schutzzölle ermöglichen der heimischen Wirtschaft, überhöhte Preise aufrecht zu erhalten und Monopolrenten zu erzielen, die es den Unternehmen erlauben, Exportpreise zu subventionieren1308. Nur wenige Ratsentscheidungen beinhalten gemeinsame Regelungen über Beihilfen. Die Ratsentscheidung 10/941309 verpflichtet die Mit1304 Ratsentscheidung 3/92 (Beschwerden gegen Dumping oder Subventionen in anderen Mitgliedstaaten); Ratsentscheidung 7/93 (Maßnahmen gegen Dumping oder Subventionen in Drittstaaten); Ratsentscheidung 63/93 (Verfahrensregeln und Informationsaustausch über Intra-Mercosur-Antidumpingmaßnahmen); Ratsentscheidung 129/94 (Verlängerung von Ratsentscheidung 63/93 bis zur Verabschiedung des gemeinsamen Wettbewerbsstatuts); Ratsentscheidung 18/96 (Endfrist für Intra-Mercosur-Antidumpingmaßnahmen); Ratsentscheidung 11/97 (Normativer Rahmen über gemeinsame Antidumpingmaßnahmen), deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 23; Ratsentscheidung 28/00 (Entscheidungsvorschlag über gemeinsame Regelung über Intra-Mercosur-Antidumping- und Ausgleichsmaßnahmen); Ratsentscheidung 29/00 (Normativer Rahmen gegen Subventionen in Drittstaaten); Ratsentscheidung 64/00 (Verfahrensregeln über Intra-Mercosur-Antidumping- und Ausgleichsmaßnahmen); Ratsentscheidung 13/02 (Annahme des Vertrags über die Anwendung von Art. VI GATT für Intra-Mercosur-Antidumpingmaßnahmen); Ratsentscheidung 14/02 (Annahme des Vertrags über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen der WTO für Intra-Mercosur-Anwendung). 1305 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 148; übereinstimmend werden in der Literatur Antidumpingmaßnahmen als Protektionismus bezeichnet, vgl. m. w. N. R. X. Basaldffla, Mercosur y Derecho de la Integración, S. 382 f. 1306 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 154. 1307 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 149, 156. Ebenso wird für die Antidumpingregelungen in GATT und WTO festgehalten, dass das Regelungsinteresse weniger in der Bekämpfung der durch Dumping entstehenden Wettbewerbsverzerrungen liegt, sondern vielmehr der protektionistischen Tendenz von Antidumpingmaßnahmen entgegen getreten werden soll, vgl. P.-T. Stoll/F. Schorkopf, WTO, S. 118 Rn. 341. 1308 Auf den Zusammenhang zwischen Schutzzöllen und Export-Dumping verweist: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 205 Rn. 22. Auf den Zusammenhang zwischen staatlichen Beihilfen und Dumping verweist J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 43. 1309 Deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 25.

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gliedstaaten, Ausfuhrbeihilfen nur im Einklang mit den Regeln des GATT zu gewähren1310. Ausfuhrbeihilfen für Exporte in andere Länder des Mercosur sind bis auf drei Ausnahmetatbestände verboten1311. Zulässig sind demnach nur die staatliche Gewährung langfristiger Kredite zu international üblichen Zinssätzen, die Rückerstattung indirekter Steuern, solange bis das Steuerecht harmonisiert ist, sowie spezielle, als Beihilfen zu wertende Zollbestimmungen. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, jedwede anderweitige innerstaatliche Unterstützung der Produktion oder des Exports, sei es steuerlicher oder sonstiger Art, im intraregionalen Handel zu vermeiden1312. Das zweite Schiedsgericht hält fest, dass es sich hierbei um eine Auffangnorm handelt, die verhindern soll, dass andere, nicht in der Ratsentscheidung 10/94 vorhergesehene staatliche Unterstützungen den zwischenstaatlichen Handel und die Bildung des Gemeinsamen Marktes behindern1313. Diese Ratsentscheidung wendet sich an die Mitgliedstaaten und ist nicht unmittelbar anwendbar, denn sie schafft keine konkreten Rechte und Pflichten1314. Die Ratsentscheidung 20/94 beauftragt die Handelskommission mit der Gründung eines Fachausschusses, welcher staatliche Wettbewerbsverzerrungen identifizieren soll, die dadurch entstehen, dass der Staat in diskriminierender Weise Wirtschaftsteilnehmer unterstützt. Dabei sind auch Verhaltensweisen öffentlicher Unternehmen zu berücksichtigen, egal ob es sich um Monopole handelt oder nicht1315. Die Ratsentscheidung 31/00 beauftragt die Gruppe Gemeinsamer Markt, einen Entscheidungsvorschlag für eine gemeinsame Regelung auszuarbeiten, die neben der Export- auch die Investitions- und Produktionsförderung umfasst1316. Die bisherigen, in Art. 12 der Entscheidung 10/94 genannten Ausnahmen sollen dann vollständig wegfallen1317. Bisher wurde noch keine solche Regelung verabschiedet. Das neunte Schiedsgericht stellte klar, dass die Ratsentscheidung 10/94 weiterhin volle Gültigkeit besitze und nicht etwa bis zur Verabschiedung der in 1310

Ratsentscheidung 10/94, Art. 1. Ratsentscheidung 10/94, Art. 12 lit. a–c. 1312 Ratsentscheidung 10/94, Art. 11 Abs. 2. 1313 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 89. 1314 So das 2. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 27.09.1999 (Exportbeihilfen), Rn. 75. 1315 Ratsentscheidung 20/94 (deutsche Übersetzung in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I, Dokument 26), Abs. 1, 2, 4. In Erfüllung dieser Entscheidung wurde der Fachausschuss Nr. 5 gegründet (durch die Richtlinie der Handelskommission Nr. 1/95), der aus Delegierten der mitgliedstaatlichen Außen- und Wirtschaftsministerien besteht. 1316 Ratsentscheidung 31/00, Art. 1. Der Vorschlag sollte ursprünglich bis zum 31.03.2001 erarbeitet werden. Die Frist wurde durch Ratsentscheidung 16/01 zunächst bis zum 31.03.03 und durch Ratsentscheidung 26/03 bis zum Jahr 2006 verlängert. 1317 Ratsentscheidung 31/00, Art. 4 lit. 2. 1311

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Ratsentscheidung 31/00 vorgesehenen gemeinsamen Regelung schwebend unwirksam sei1318. Die Ratsentscheidung 14/02 bestimmt die Gültigkeit des ohnehin in allen Mitgliedstaaten ratifizierten Vertrags über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen der WTO auch für den Mercosur1319. Die explizite Annahme der WTO-Regelungen für den Mercosur ist möglicherweise eine Reaktion auf den vierten Schiedsspruch. Einer der zu behandelnden Streitpunkte war, inwiefern die WTO-Regeln für den Mercosur Gültigkeit besitzen1320. Dass bisher noch keine zusammenhängende Beihilferegelung gefunden wurde, ist Ausdruck der Komplexität der Materie. Gerade in einem durch Zwischenstaatlichkeit geprägten Integrationssystem, das sich dadurch auszeichnet, dass die Mitgliedstaaten ungern Macht an regionale Organe abzugeben scheinen, ist es nachvollziehbar, dass die Mitgliedstaaten ihren Spielraum in der nationalen Wirtschaftspolitik durch zwischenstaatliche Übereinkünfte möglichst wenig einschränken möchten. Auch in der Europäischen Union verlief die Entwicklung des Beihilferechts zunächst unabhängig von anderen Gebieten des Wettbewerbs- und Gemeinschaftsrechts1321, und es sind nach wie vor nicht alle Bereiche geregelt1322. Die Existenz zahlreicher Rechtsakte verdeutlicht die Relevanz, die die Mercosur-Mitgliedstaaten dem Beihilferecht für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beimessen1323. Die Verpflichtung in Art. 32 des Wettbewerbsschutzprotokolls, eine umfassende Regelung des Beihilferechts dem Wettbewerbsschutzprotokoll zuzufügen, folgt der Erkenntnis, dass dieses als Bestandteil des Wettbewerbsrechts und nicht getrennt geregelt werden sollte1324. Die Mitgliedstaaten haben den Willen bekräftigt, bis Juni 2006 die bereits in Ratsentscheidung 31/00 vorgesehenen Bestimmungen auf den 1318

9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen), Rn. 55. Ratsentscheidung 14/02, Art. 1. 1320 Das vierte Mercosur-Schiedsgericht befand, dass die WTO-Regeln nicht schon deshalb als Mercosur-Recht zu betrachten seien, weil alle Mitgliedstaaten die Abkommen von Marrakech ratifiziert haben, vgl. 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 127–130. 1321 E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 1043 Rn. 7. 1322 Z. B. Exportbeihilfen für Exporte in Drittstaaten, vgl. E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 1046 Rn. 12. 1323 Die Relevanz für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes wird immer wieder als Erwägungsgrund den genannten Ratsentscheidungen vorangestellt, vgl. statt vieler: Ratsentscheidung. 28/00, 2. Erwägungsgrund; Ratsentscheidung 31/00, 1. Erwägungsgrund. 1324 Das vierte Mercosur-Schiedsgericht hat klargestellt, dass in einem Integrationssystem Antidumpingmaßnahmen besser im Rahmen des gemeinsamen Wettbewerbsrechts geregelt sein sollten, vgl. 4. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 21.05.2001 (Antidumpingmaßnahmen), Rn. 149, 156. 1319

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Weg zu bringen, um staatliche Produktions-, Investitions- und Exportbeihilfen sukzessiv abzubauen1325. 4. Organisation und Verfahren Die Durchführung des Wettbewerbsschutzprotokolls obliegt der Handelskommission und dem „Wettbewerbskomitee“ (Comité de Defensa de la Competencia)1326. Wie alle Organe des Mercosur ist das Wettbewerbskomitee ein zwischenstaatliches Organ, welches sich aus den nationalen Organen zur Durchführung des Wettbewerbsschutzprotokolls zusammensetzt1327. Die Koordination obliegt dem jeweiligen nationalen Durchführungsorgan, dessen Staat die Ratspräsidentschaft innehat1328. Das Verfahren wird von Amts wegen oder auf Antrag einer interessierten Partei mit legitimen Interesse1329 durch die nationalen Durchführungsorgane eingeleitet1330. Das Wettbewerbskomitee entscheidet innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt einer Vorprüfung durch das nationale Durchführungsorgan, das Verfahren zu eröffnen oder die Untersuchung unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission einzustellen1331. In jedem Falle informiert das Wettbewerbskomitee die Handelskommission regelmäßig über den Verfahrensstand. Besteht Dringlichkeit, kann das Wettbewerbskomitee unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission einstweilige Maßnahmen erlassen1332. Im Falle der Nichtbefolgung der angeordneten Maßnahmen ist das Wettbewerbskomitee befugt, ein Ordnungsgeld zu erheben, welches vom jeweiligen nationalen Durchführungsorgan vollstreckt wird, in dessen Land die beschuldigte Partei ansässig ist1333. 1325

Ratsentscheidung 26/03 (Aktionsplan 2004–2006), Punkt 1.10. Art. 8 des Wettbewerbsschutzprotokolls. In der Übersetzung des Wettbewerbsschutzprotokolls durch das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Rechtsquellen des Mercosur I, S. 305, wird das Wettbewerbskomitee „Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs“ genannt. 1327 Art. 8 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls i. V. m. Art. 2 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1328 Art. 3 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1329 Eine interessierte Partei mit legitimem Interesse kann jede natürliche oder juristische Person mit oder ohne wirtschaftlichem Interesse sein, die sich unmittelbar oder mittelbar durch den mutmaßlichen Verstoß gegen das gemeinsame Wettbewerbsrecht geschädigt sieht, vgl. Art. 14 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1330 Art. 10 des Wettbewerbsschutzprotokolls; Art. 13 i. V. m. Art. 15 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1331 Art. 11 des Wettbewerbsschutzprotokolls i. V. m. Art. 15 und 17 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1332 Art. 13 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 1326

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Die Untersuchung obliegt dem Durchführungsorgan desjenigen Vertragsstaates, in dessen Gebiet der Beschuldigte ansässig ist1334. Die übrigen nationalen Durchführungsorgane unterstützen die Untersuchung durch Beibringung von Informationen, Unterlagen oder sonstige, als wesentlich erachtete Mittel1335. Bei der Untersuchung hält sich das jeweilige nationale Durchführungsorgan an die für jeden neuen Fall vom Wettbewerbskomitee gesondert aufzustellenden Untersuchungsleitlinien1336. Nach Abschluss der Untersuchung bezeichnet das Wettbewerbskomitee unter Berücksichtigung des vom nationalen Durchführungsorgan erstellten Gutachtens die unzulässigen Verhaltensweisen und ordnet unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission Sanktionen oder sonstige, dem Einzelfall entsprechende Maßnahmen oder die Einstellung des Verfahrens an1337. Das Wettbewerbskomitee trifft Entscheidungen im Konsens1338. Kommt das Wettbewerbskomitee in zwei aufeinander folgenden Sitzungen zu keinem Konsens, legt es seine Schlussfolgerungen der Handelskommission zur Entscheidung vor1339. Diese entscheidet auf der Grundlage des Gutachtens des nationalen Durchführungsorgans und der Schlussfolgerungen des Wettbewerbskomitees1340. Die Sanktionen werden durch das entsprechende nationale Durchführungsorgan vollstreckt, in dessen Gebiet die beschuldigte Partei ansässig ist1341. Wird auch in der Handelskommission kein Einvernehmen erzielt, unterbreitet diese den Fall innerhalb von 10 Tagen der Gruppe Gemeinsamer Markt1342. Erzielt auch die Gruppe kein Einvernehmen, so kann der interessierte Vertragsstaat das Streitbeilegungsverfahren einleiten1343. Ganz ähnlich wie die Verpflichtungszusagen in Art. 9 der EG-Kartellverfahrensverordnung 1/03 kann das Wettbewerbskomitee in jedem Stadium 1333

Art. 13 Unterabsatz 1 und 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls. Art. 15 des Wettbewerbsschutzprotokolls i. V. m. Art. 17 Unterabsatz 1 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1335 Art. 16 des Wettbewerbsschutzprotokolls i. V. m. Art. 20 einziger Unterabsatz des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1336 Art. 14 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 1337 Art. 19 des Wettbewerbsschutzprotokolls i. V. m. Art. 22 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. Die Art und Weise der Verhängung sowie die Höhe der Sanktionen sind im Kapitel VII (Sanktionen) geregelt. 1338 Art. 7 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1339 Art. 9 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1340 Art. 19 einziger Unterabsatz i. V. m. Art. 20 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 1341 Art. 20 Unterabsatz 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 1342 Art. 20 Unterabsatz 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls i. V. m. Art. 27 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1343 Art. 21 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls. 1334

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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der Untersuchung – unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission – eine Verpflichtungszusage zur Beendigung der untersuchten Verhaltensweise (compromiso de cese) durch die beteiligten Unternehmen billigen1344. Als Sanktionen können Ordnungsgelder bis zu 150% des mit der als unzulässig erachteten Verhaltensweise erzielten Gewinns oder bis zu 100% des Wertes der eingesetzten Aktivmittel oder bis zu 30% des Bruttoumsatzes des Unternehmens im abgelaufenen Geschäftsjahr festgesetzt werden1345. Die Bußgelder fließen demjenigen Staat zu, in dessen Gebiet das beschuldigte Unternehmen ansässig ist1346. Alternativ oder kumulativ kann auch das Verbot der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen oder das Verbot, Verträge mit öffentlichen Finanzeinrichtungen in irgendeinem der Vertragsstaaten zu schließen, ausgesprochen werden1347. Als weitere Sanktion kann das Wettbewerbskomitee den Vertragsstaaten empfehlen, die beteiligten Unternehmen von etwaigen steuer- oder abgabenrechtlichen Vergünstigungen auszuschließen1348. Die Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls obliegt auf mitgliedstaatlicher Ebene den nationalen Durchführungsorganen (órganos nacionales de aplicación del presente protocolo). Das Protokoll sagt nicht, ob es sich hierbei um die nationalen Wettbewerbsbehörden handelt oder um noch zu gründende Organe. Diese Entscheidung ist demnach den Mitgliedstaaten zu überlassen1349. Die Formulierung „nationales Durchführungsorgan“ anstelle „nationale Wettbewerbsbehörde“ entspricht dem Umstand, dass nach wie vor nicht alle Mitgliedstaaten eigenständige Wettbewerbsbehörden haben1350. 1344 Art. 22–26 des Wettbewerbsschutzprotokolls i. V. m. Art. 31 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1345 Art. 1 des Anhangs des Wettbewerbsschutzprotokolls (verabschiedet mit Ratsentscheidung 2/97) i. V. m. Art. 28 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls. 1346 Art. 28 Nr. I des Wettbewerbsschutzprotokolls i. V. m. Art. 34 des Anhangs der Richtlinie der Handelskommission 1/03. 1347 Art. 28 Nr. II und III des Wettbewerbsschutzprotokolls. 1348 Art. 28 Unterabsatz 1 des Wettbewerbsschutzprotokolls. Kommt der Vertragsstaat der Empfehlung des Wettbewerbskomitees nicht nach, ist gemäß Art. 31 des Wettbewerbsschutzprotokolls das Streitschlichtungsverfahren anzuwenden. 1349 In der Literatur wird teilweise wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden gemeint sind, vgl. E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Jurídico, S. 172. 1350 Nach wie vor keine eigenständige Wettbewerbsbehörde haben Paraguay und Uruguay. In Paraguay ist das Handelssekretariat des Ministeriums für Handel und Industrie, in Uruguay die Generaldirektion Handel des Wirtschaftsministeriums für die Anwendung der nationalen Wettbewerbsschutzlegislaturen zuständig, vgl. Art. 2 lit. b Nr. III und IV des Anhangs von Ratsentscheidung 4/04. In Paraguay ist aber die Einrichtung einer Wettbewerbsbehörde geplant (Art. 2 Abs. 3).

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

Kommt das Wettbewerbskomitee zu keiner Übereinkunft, entscheidet die Handelskommission bzw. in dem Fall, dass auch sie kein Einvernehmen erzielt, die Gruppe Gemeinsamer Markt. Beide äußern ihre Entscheidung mit dem im Protokoll von Ouro Preto zugewiesenen Rechtsakt: die Handelskommission durch Richtlinien, die Gruppe durch Entschließungen. Wie auch Ratsentscheidungen sind Richtlinien und Entschließungen verbindlich, bedürfen aber der innerstaatlichen Umsetzung, „wenn es notwendig ist“, wenn also nicht bloß interne Angelegenheiten des Mercosur geregelt werden1351. Da zur Vollstreckung das Tätigwerden desjenigen Vertragsstaates gefordert ist, in dessen Territorium die beschuldigte Partei sitzt, ist eine innerstaatliche Umsetzung zumindest in diesem Staat zweifelsohne erforderlich. Fraglich ist, ob auch hier das Verfahren der „simultanen Gültigkeit“ gemäß Art. 40 des Protokolls von Ouro Preto anzuwenden ist1352. Demnach tritt ein Rechtsakt in Kraft, nachdem ihn alle vier Mitgliedstaaten in innerstaatliches Recht umgesetzt haben. Eine Inkorporation der Vollstreckungsanordnung, die sich an das nationale Durchführungsorgan eines bestimmten Mitgliedstaates richtet, macht in den übrigen Mitgliedstaaten jedoch wenig Sinn1353. In der Schlussbetrachtung zum ersten Teil dieser Arbeit wurde hervorgehoben, dass für das Durchsetzten völkerrechtlicher Normen der gute Wille der Vertragsstaaten ausschlaggebend ist. Es scheint allerdings außerordentlich viel guter Wille erforderlich zu sein, damit ein Konsens innerhalb des Wettbewerbskomitees zustande kommt. Ein Vertragsstaat wird einem Untersuchungsverfahren gegen ein in seinem Territorium ansässigen Unternehmen nur ungern zustimmen oder sich der Gegenstimme enthalten. Selbst wenn ein Verfahren eingeleitet wird, weil ein klarer Verstoß gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll nicht verneint werden kann, wird die Untersuchung möglicherweise nicht mit der notwendigen akribischen Sorgfalt1354 durchgeführt; denn die Untersuchung ist ausgerechnet von dem nationalen Anwendungsorgan durchzuführen, in dessen Staat das beschuldigte Unternehmen sitzt1355. Wirkt sich die beanstandete Verhaltensweise nicht auch im eigenen Territorium aus, so dürfte es kaum im Interesse des nationalen Anwendungsorgans liegen, eines „seiner“ Unternehmen zu bestrafen1356. 1351 Art. 42 Protokoll von Ouro Preto i. V. m. Art. 5 der Ratsentscheidung 23/00; zur innerstaatlichen Geltung von Mercosur-Recht ausführlich Teil 1, IV. 2. a). 1352 Hierzu oben, Teil 1, IV. 2. a). 1353 Hierauf verweist P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 293. 1354 Auf das aufwendige Untersuchungsverfahren internationaler Kartellrechtsfälle wird hingewiesen, vgl. J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 50. 1355 Weshalb in der Literatur ein supranationales Wettbewerbsorgan gefordert wird, vgl. S. Rippe, El Derecho de la Competencia en el Mercosur, S. 268.

III. Das Wettbewerbsschutzprotokoll

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Gemäß Art. 15 Unterabsatz 2 des Wettbewerbsschutzprotokolls wird dem Beschuldigten die Ausübung seines Rechts auf Verteidigung garantiert. Es gibt bisher jedoch keine weitere Regelung, die sagt, wie sich die Betroffenen wehren können. Zwar steht es jedem Unternehmen grundsätzlich offen, über die nationale Sektion der Gruppe Gemeinsamer Markt die Einleitung des Streitschlichtungssystems zu beantragen1357. Wie bereits im ersten Teil dieser Arbeit dargestellt wurde, ist der Kläger dabei jedoch ähnlich wie bei Klagen vor dem Schiedsgericht auf die Mitwirkung seines Staates angewiesen. Da das Wettbewerbskomitee wie auch alle anderen Organe zwischenstaatlich zusammengesetzt sind und durch Konsens entscheiden, entspricht jede Entscheidung, sei es die des Wettbewerbskomitees oder, falls dieses zu keinem Beschluss kommt, die der Handelskommission bzw. der Gruppe Gemeinsamer Markt, auch dem Willen desjenigen Vertragsstaates, in dem das beschuldigte Unternehmen ansässig ist. Es ist daher unwahrscheinlich, dass ein vom Wettbewerbskomitee verurteiltes Unternehmen das Schiedsverfahren erfolgreich initiieren wird. Das gleiche gilt für den Fall, dass eine Person gegen die Einstellung des Verfahrens (Art. 11 des Wettbewerbsschutzprotokolls) Klage erhebt. Für den Fall, dass ein Vertragsstaat die Position des angeklagten Unternehmens unterstützt, wird schon zuvor kein Konsens in Wettbewerbskomitee, Handelskommission oder Gruppe zustande kommen, und das Schiedsgericht wird gemäß Art. 21 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls ohnehin entscheiden müssen. In der Literatur wird die Frage aufgeworfen, ob die Beschuldigten gegen die Vollstreckung, die ja von einem nationalen Organ ausgeführt wird, vor nationalen Gerichten klagen können1358. Zumindest wenn in der Verfassung garantierte Rechte verletzt werden, kann der Rechtsschutz vor nationalen Gerichten nicht verneint werden; denn die Verfassung steht in allen Mitgliedstaaten über dem gemeinsamen Recht1359. Die Möglichkeit, vor einem nationalen Gericht die Verurteilung einer Verhaltensweise durch das Wettbewerbskomitee einzuklagen, besteht nicht. Das nationale Gericht kann lediglich das nationale Durchführungsorgan beauftragen, sich eines Falles anzunehmen. Die weitere Behandlung des Falls im zwischenstaatlichen Wettbewerbskomitee ist durch das nationale Gericht nicht beeinflussbar. Der 1356

Auf die Gefahr von Blockaden verweist: P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 287 f. 1357 Art. 31 des Wettbewerbsschutzprotokolls. 1358 Vgl. E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Jurídico, S. 173. 1359 So auch E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Jurídico, S. 173; D. Hargain/G. Mihali, Circulación de bienes en el Mercosur, S. 179; M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, S. 68. Zum Vorrang von Verfassungsrecht gegenüber zwischenstaatlichen Verträgen und damit auch dem Mercosur-Recht in den Vertragsstaaten, vgl. J. Samtleben, Der Mercosur als Rechtssystem, S. 78 ff.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

nationale Richter hätte für eine solche Entscheidung auch (das bereits in die innerstaatliche Rechtsordnung überführte) Mercosur-Recht anzuwenden, was einer einheitlichen Auslegung im Wege stehen könnte1360. Um Konflikte der Rechtsordnungen zu vermeiden, wird eine Anpassung des nationalen Rechts an das Mercosur-Recht für unumgänglich gehalten. Wenn eine Verhaltensweise gemäß Wettbewerbsschutzprotokoll wettbewerbswidrig ist, so sollte sie auch in den Mitgliedstaaten verboten sein1361. Zum Teil findet eine solche Harmonisierung „von unten“1362 ebenso wie in der Europäischen Union auch im Mercosur bereits statt1363. Das argentinische Wettbewerbsgesetz wurde, wie gesehen, in der Novelle von 1999 dem Wettbewerbsschutzprotokoll stark angepasst.

IV. Abschließende Betrachtung zum Wettbewerbsschutzprotokoll Das Mercosur-Wettbewerbskomitee setzt sich aus den nationalen Wettbewerbsbehörden der Vertragsstaaten zusammen. Die Auslegung und Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls durch das Wettbewerbskomitee werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach an den von diesen erarbeiteten Grundsätzen orientieren, zumal die Wettbewerbsordnungen Argentiniens und Brasiliens erkennbaren Einfluss auf die Formulierung das Wettbewerbsschutzprotokolls genommen haben. Der Rechtsvergleich fördert unter Heranziehung der von der argentinischen und brasilianischen Wettbewerbsbehörde entwickelten Auslegung eine große Übereinstimmung des Wettbewerbsrechts des Mercosur mit dem Wettbewerbsrecht der Europäischen Union zutage. Dies ist bemerkenswert, da das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen verglichen mit anderen Rechtsgebieten keine lange Tradition vorweisen kann und es keinen breiten internationalen Konsens in den Grundwertungen gibt1364. Die Formulierung des Beschränkungs- und des Missbrauchsverbots in einem Einheitstatbestand entspricht lateinamerikanischer Wettbewerbsrechtstradition. Der Wortlaut wird nur in der deutschen Übersetzung für überfrachtet empfunden1365, da sich der Satzbau in der spanischen und portugiesischen Sprache regelmäßig langer Schachtelsätze bedient. 1360

P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 294. E. I. Rimoldi de Ladmann, Análisis Jurídico, S. 174. Für eine Anpassung der nationalen Legislationen an das Wettbewerbsschutzprotokoll auch: R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 51. 1362 M. Dreher, Kartellrechtsvielfalt oder Kartellrechtseinheit?, AG 1993, S. 446. 1363 E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 23; vgl. etwa die Entschließung der Mercosur-Gruppe 13/95 (Nettogewichte für Fischprodukte). 1364 Vgl. Fn. 11 (3. Teil). 1361

IV. Abschließende Betrachtung

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Die Zusammenfassung des Beschränkungsverbots und des Missbrauchsverbots in einer Generalklausel hat zwar Vorteile: Praktiken, die im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union sowohl als abgestimmte Handlungen als auch im Falle einer marktbeherrschenden Stellung als einseitige Maßnahme verboten sind1366, werden in einer systematisch zusammenhängenden Vorschrift genannt. Zudem ist dem Wortlaut des Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls nach nur einer von beiden Tatbeständen einschlägig, während im Europäischen Gemeinschaftsrecht Art. 81 und 82 EGV nebeneinander anwendbar sind1367. Der Einheitstatbestand ermöglicht jedoch keine scharfe Trennung zwischen dem Missbrauch einer beherrschenden Marktstellung und dem Verbot abgestimmter Verhaltensweisen. Dadurch, dass auch nicht marktbeherrschende Wirtschaftsteilnehmer einseitig einen Verstoß gegen Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls bezwecken oder bewirken können, verliert der Tatbestand des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung an Bedeutung1368. Dies ist vor allem deshalb bedenklich, weil im Falle missbräuchlich überhöhter Preise die Wettbewerbsbehörde die Möglichkeit hat, die Preispolitik des entsprechenden Marktteilnehmers zu kontrollieren1369. Der Eingriff in die Preispolitik von Unternehmen ist aber nur angemessen, also verhältnismäßig, wenn der Wettbewerb erheblich beeinträchtigt wird, wie durch den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Der Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit und damit in die Handlungsfreiheit kleiner Unternehmen ist nicht rechtfertigbar, selbst wenn diese genügend Marktmacht besitzen, so dass sie Preise oder Konditionen erzwingen können. Das Erzwingen von Preisen und Konditionen ist gegebenenfalls auch mit geringer Marktmacht möglich, beispielsweise bei Abhängigkeit des Abnehmers von bestimmten technischen Voraussetzungen des Produktes. Auch wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anders als im EG-Vertrag1370 nicht ausdrücklich im Vertrag von Asunción normiert wurde, ist er 1365 So T. Schreiber, Das argentinische Gesetz 25.156, S. 71 für Art. 1 des argentinischen Wettbewerbsgesetzes von 1999, der dem Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls des Mercosur sehr ähnlich ist. 1366 Vgl. die Übereinstimmung der Beispieltatbestände in Art. 81 Abs. 1 lit. a, b, d, e EGV und Art. 82 S. 2 lit. a, b, c, d EGV. 1367 Zur Konkurrenz zwischen Kartellverbot und Missbrauchsverbot vgl. oben Teil 3, III. 2. b), bb), (2). Das Nebeneinander der Art. 81 und 82 EGV wird für die Entwicklung des Wettbewerbsrechts in der Europäischen Union als hinderlich gehalten, vgl. G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. I, S. 234, 355 f. 1368 In diesem Sinne D. M. Ramos, Das Wettbewerbsschutz-Protokoll des Mercosur, S. 106. 1369 Hierauf verweist G. Cabanellas de las Cuevas, Derecho antimonopólico y defensa de la competencia, Bd. II, S. 222. 1370 Art. 5 Abs. 3 EGV.

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3. Teil: Das Wettbewerbsrecht des Mercosur

als Ausdruck von Gerechtigkeit, Gleichheit, Vernunft und Freiheit1371 und als „Schranken-Schranke“1372 in jeder Rechtsordnung und damit auch im Mercosur1373 zu berücksichtigen1374. Das Eingreifen in die Preisfreiheit bei nicht marktstarken Unternehmen bedeutet einen unangemessenen Eingriff in die Privatheit der Marktteilnehmer, welche Voraussetzung des leistungssteigernden Wettbewerbs ist1375. Die Praxis in den beiden großen Mitgliedstaaten Argentinien und Brasilien berechtigt zur Hoffnung, dass auch im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls der Ausbeutungsmissbrauch nur bei Vorliegen von erheblicher Marktmacht anerkannt werden wird1376. Für welche Form der Freistellung zwar an sich wettbewerbsbeschränkender, aber insgesamt doch für vorteilig erachteter Verhaltensweisen man sich entscheiden wird, bleibt abzuwarten. Zur Auswahl stehen drei Modelle: Ein Erlaubnisvorbehalt, wie er vor dem Erlass der Verordnung 1/03 in der Europäischen Union galt und nach wie vor in Brasilien praktiziert wird, eine Legalausnahme, wie sie im EG-Wettbewerbsrecht mit der Verordnung 1/03 eingeführt wurde, oder ein Verbotsvorbehalt für Verhaltensweisen, die das wirtschaftliche Allgemeininteresse beeinträchtigen, wie es in Argentinien angewendet wird. Im Unterschied zu der aus dem US-Antitrustrecht bekannten rule of reason ermöglicht letzteres Konzept, grundsätzlich auch Handlungen für zulässig zu erachten, die nicht lediglich die Effizienz des Wettbewerbs fördern, sondern auch Vorteile allgemeinwirtschaftlicher Natur mit sich bringen. 1371 A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 49; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 342 ff. 1372 A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insb. S. 337–341. 1373 Dass es sich beim Mercosur um eine eigenständige Rechtsordnung handelt, stellt das 9. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 04.04.2003 (Produktionsbeihilfen) in Rn. 63 heraus. 1374 Wie auch das 6. Ad-hoc-Schiedsgericht v. 09.01.2002 (runderneuerte Reifen) bekräftigt, Punkt II. B. 1. c. 1375 Auf den leistungssteigernden Aspekt der Privatheit verweist: K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 396 ff. 1376 Der CADE hat herausgestellt, dass eine Kontrolle von Preisen und Konditionen in Verträgen nur dann angemessen ist, wenn eine Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs und damit des Allgemeininteresses droht, vgl. CADE v. 04.03.1998 P. A. 46/92 (Xerox Industrial e Comercial), DOU 23.03.1998, Seção I, S. 21. Preismissbrauch könne nur von Wirtschaftsteilnehmern in marktbeherrschender Position ausgehen, vgl. CADE v. 03.09.1997 Representação 147/93 (Escola de Formação de Vigilantes Tiradentes), DOU 19.09.1997, Seção I, S. 20744 ff.; CADE v. 01.10.1997 Representação 211/93 (Smithkline do Brasil), DOU 16.10.1997, Seção I, 23385; CADE v. 06.06.2001, P. A. 08012000487/2000-40 (Associação Nacional de Fabricantes de Veículos et al.), DOU 2.7.2001, Seção I. So auch die Literatur, vgl. C. Salomão Filho, Direito concorrêncial, S. 225. Vgl. auch Anmerkungen in Fn. 332 f. und 335 (3. Teil).

IV. Abschließende Betrachtung

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Dass ein Tätigwerden des Wettbewerbskomitees von Wirtschaftsteilnehmern praktisch nicht eingeklagt werden kann, entspricht dem zwischenstaatlichen Charakter des Mercosur und verdeutlicht im Übrigen, dass auch das Wettbewerbsschutzprotokoll, ebenso wie anderes Mercosur-Recht, trotz der klaren Verbotsaussage1377 nicht unmittelbar anwendbar sein kann1378. Die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit muss jedoch nicht zwangsläufig ein Nachteil sein. Ein völkerrechtliches Übereinkommen, das Raum für strengeres nationales Recht lässt1379, sollte nach Ansicht von Jürgen Basedow nicht als unmittelbar anwendbare Konvention abgefasst sein, sondern lediglich die Verpflichtung beinhalten, dass die Vertragsstaaten ihr innerstaatliches Recht in Einklang mit dem Übereinkommen bringen1380. So sieht der Vorschlag für ein Weltkartellrecht unter der Federführung von Wolfgang Fikentscher von vornherein keine unmittelbare Anwendbarkeit des Kartellrechtskodexes vor, um den Vertragsstaaten volle Souveränität zu gewährleisten1381. Jedenfalls ist ein zwischenstaatliches, aber innerstaatlich akzeptiertes Recht einem supranationalen Rechtssystem, dem es aber von vornherein an Akzeptanz fehlt, wie etwa beim Andenpakt der Fall, vorzuziehen1382.

1377

Auf den klaren Verbotscharakter des Wettbewerbsschutzprotokolls verweist auch: R. Dromi, Competencia y Monopolio, S. 79. 1378 So aber: P. Bischoff-Everding, Wettbewerbsrecht im Mercosur, S. 280. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Mercosur-Recht: Teil1, IV. 2. b). 1379 Vgl. oben, S. 393. 1380 J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 91. 1381 W. Fikentscher/J. Drexl, Der Draft International Antitrust Code. Zur institutionellen Struktur eines künftigen Weltkartellrechts, RIW 1994, S. 93–99. Der Draft International Antitrust Code ist abgedruckt in: J. Basedow, Weltkartellrecht, S. 142–154. 1382 So auch der Tenor bei U. Wehner, Der Mercosur, S. 141–143. Die Erfolglosigkeit einiger seiner zur Supranationalität tendierenden Vorgänger wird als Grund für die intergouvernementale Ausgestaltung des Mercosur angegeben, vgl. S. Feldstein de Cárdenas, El MERCOSUR: Una mirada al futuro, in: CAEI (Hrsg.), Working Paper, 2006, S. 7 f.; ebenso C. Pena/R. Rozemberg, Una aproximación al desarrollo institucional del MERCOSUR: sus fortalezas y debilidades, S. 6.

Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Der Mercosur ist ein wirtschaftliches Integrationsprojekt zwischen Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, dessen Ziel die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes ist. Unter einem Gemeinsamen Markt wird ebenso wie in der Europäischen Union der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren verstanden. Durch die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen in den Märkten sollen wirtschaftliches Wachstum, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitigem Erhalt der sozialen Gerechtigkeit erreicht werden. Als der viertgrößte Handelsblock der Welt wird der Mercosur auch für Europa zunehmend wichtig. 2. Der erste Teil der Arbeit analysiert zunächst die Rechtsnatur des Gründungsvertrags des Mercosur, des Vertrags von Asunción. Der Vertrag von Asunción wird in der Literatur aufgrund seines nicht endgültigen und programmatischen Charakters als acuerdo marco, als Rahmenvertrag bezeichnet, und ihm wird ein Übergangscharakter zugewiesen. Beide Charakterisierungen sind jedoch wenig aussagekräftig. Einen Gemeinsamen Markt in einem einzigen juristischen Akt zu schaffen, ist kaum möglich, weil nicht jede Eventualität vorhergesehen und von vornherein im Detail geregelt werden kann. Aus diesem Grund werden Organe mit Rechtsetzungsbefugnis geschaffen. Auch der Gemeinsame Markt der Europäischen Gemeinschaft war nicht von Anbeginn vollendet, und auch der EG-Vertrag enthält überwiegend Zielbestimmungen und Kompetenzvorschriften über die Ausgestaltung des sekundären Gemeinschaftsrechts. Jeder Integrationsvertrag muss daher als Rahmenvertrag eingestuft werden, weil er der Konkretisierung durch das Sekundärrecht oder weiterer primärrechtlicher Verträge bedarf. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, in einer erneuten Übereinkunft die institutionelle Struktur zu überarbeiten, erzeugt keinen Übergangscharakter. Jeder Vertrag kann grundsätzlich durch einen nachfolgenden Vertrag aufgehoben werden und ist in diesem Sinne ein Übergangsvertrag; er gilt so lange, bis ein neuer geschlossen wird. 3. Bis auf das Revisionsgericht setzten sich alle Mercosur-Organe aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen. Die Beschlüsse der Organe kommen durch Konsens und bei Anwesenheit aller Mitgliedstaaten zustande, wodurch jedem Mitgliedstaat ein Vetorecht eingeräumt wird. Das Mercosur-Recht entspricht damit dem Willen aller Mitgliedstaaten, wodurch eine Kollision des gemeinsamen Rechts mit verfassungsrechtlichen Bestimmun-

Zusammenfassung der Ergebnisse

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gen erschwert wird, was besonders vor dem Hintergrund der Abwesenheit einer demokratischen Bürgervertretung wichtig ist. Zudem gewährleistet das Konsensprinzip eine zügige Integration des Rechts in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, weil ein Staat, der zunächst einem Rechtsakt zustimmt oder zumindest nicht dagegen stimmt, sich widersprüchlich verhielte, wenn er ihn später nicht umsetzen würde. Die Verlangsamung des Integrationsprozesses durch eine schwerfällige Entscheidungsfindung aufgrund des Konsensprinzips wird durch eine zügigere spätere Umsetzung kompensiert. 4. Die Organe lassen sich in solche mit und solche ohne Rechtssetzungsbefugnis einteilen. Rechtssetzungsbefugnis haben der Rat, welchem als oberstes Organ die politische Führung obliegt, die Gruppe Gemeinsamer Markt, welche als Exekutivorgan angelegt ist, und die Handelskommission, welche die Gruppe in allen Belangen der gemeinsamen Handelspolitik, dem Intra-Mercosur-Handel und dem Handel mit Drittstaaten unterstützt. Der Rat äußert sich durch Entscheidungen (Decisiones), die Gruppe durch Entschließungen (Resoluciones) und die Handelskommission durch Richtlinien (Directivas). Anders als im Recht der Europäischen Union bestimmt sich also im Mercosur die Art des Rechtsaktes nach dem Organ, das ihn erlässt, und nicht aus seinen inhaltlichen Merkmalen. Kompetenzkonflikte zwischen den Organen werden durch das institutionelle Machtgefüge innerhalb des Mercosur weitgehend vermieden: Als höchstes Organ, das die Politik des Mercosur bestimmt, erlässt der Rat Leitentscheidungen. Die Entschließungen der dem Rat untergeordneten Gruppe sowie die Richtlinien der dieser untergeordneten Handelskommission dienen lediglich zur Materialisierung der Leitentscheidungen des Rates. 5. Weil die Zuständigkeiten teilweise sehr unpräzise formuliert sind, kann im Mercosur kaum von einem „Prinzip der begrenzten Ermächtigung“ gesprochen werden, wie dies von der EU-Rechtslehre bekannt ist und welches aus der existentiellen Staatlichkeit der Völker folgt. In welchem Rahmen die Organe folglich legitimiert sind, tätig zu werden, kann nicht abschließend geklärt werden. Eine Subsidiaritätsklausel vergleichbar mit Art. 5 Abs. 2 EGV, nach der die Organe grundsätzlich nur tätig werden dürfen, wenn eine Regelung besser auf Gemeinschaftsebene als auf nationaler Ebene getroffen werden kann, gibt es nicht. Die Problematik der demokratischen Legitimation sehr weitgehender Mercosur-Rechtsakte wird jedoch durch die intergouvernementale Zusammensetzung der Organe und das Konsensprinzip bei der Beschlussfassung entschärft. 6. Nach der Darstellung der Organe und der von diesen zu erlassenen Rechtsakte werden die Rechtsquellen des Mercosur untersucht. In Anlehnung an das Europäische Gemeinschaftsrecht lässt sich eine Systematisie-

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Zusammenfassung der Ergebnisse

rung in Primär- und Sekundärrecht vornehmen, obwohl eine Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrecht im Mercosur weniger eindeutig möglich ist. Da die Organe sich aus Repräsentanten der jeweiligen Regierungen der Mitgliedstaaten zusammensetzten, handelt es sich beim Sekundärrecht um Beschlüsse einer internationalen diplomatischen Konferenz im herkömmlichen völkerrechtlichen Sinn. Zum Primärrecht gehören der Vertrag von Asunción sowie die in seinem Rahmen geschlossenen Abkommen und Protokolle, d.h. insbesondere das Protokoll von Brasilia, das Protokoll von Ouro Preto und das Protokoll von Olivos, welches das Protokoll von Brasilia ersetzt. Das Sekundärrecht ist das von den Organen erlassene Recht. 7. Neben dem Primär- und Sekundärrecht erscheint es fraglich, inwieweit die allgemeinen Rechtsprinzipien, das internationale Gewohnheitsrecht und die Schiedssprüche zu den Rechtsquellen des Mercosur gehören. In Anlehnung an die EG-Rechtsprechung werden die allgemeinen Prinzipien des Rechts teilweise zu den Rechtsquellen des Mercosur gezählt, obwohl sie an keiner Stelle ausdrücklich als Rechtsquellen genannt sind. Sie werden jedoch als wichtige Stützen eines jeden demokratischen Rechtssystems erachtet. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts werden im Protokoll von Olivos als Rechtsquellen zur Beurteilung von Streitigkeiten genannt, weshalb auch die Wiener Vertragsrechtskonvention und das internationale Gewohnheitsrecht zu den Rechtsquellen des Mercosur zu zählen sind, während ein mercosurspezifisches Gewohnheitsrecht noch nicht anzunehmen ist. Weder im Protokoll von Olivos noch im Protokoll von Ouro Preto werden die Schiedssprüche als Rechtsquellen erwähnt, weshalb davon auszugehen ist, dass die Entscheidungen des Mercosur-Schiedsgerichts nicht zu den Rechtsquellen des Mercosur zu zählen sind. Hierfür spricht auch, dass nach Art. 26 Abs. 1 des Protokolls von Olivos die Schiedssprüche des Schiedsgerichts für die am Schiedsverfahren beteiligten Mitgliedstaaten bindend sind. Aus dieser Formulierung kann geschlossen werden, dass sie für die anderen, nicht am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten nicht verbindlich sind. 8. Eine hierarchische Ordnung der Rechtsquellen findet sich in keiner Vorschrift. Die vom dritten Ad-hoc-Schiedsgericht bestätigte Handhabe im Mercosur spricht für eine Gleichrangigkeit von Primär- und Sekundärrecht. So ersetzen beispielsweise die Ratsentscheidungen 6/94 und 18/03 die Ursprungsregeln, wie sie im Anhang II des Vertrags von Asunción niedergelegt sind. Dies wäre nicht möglich, wenn das Primärrecht dem Sekundärrecht grundsätzlich übergeordnet wäre. Für eine Gleichrangigkeit spricht auch, dass eine Trennung zwischen Primär- und Sekundärrecht im Mercosur aufgrund der zwischenstaatlichen Zusammensetzung der Organe im Grunde nicht sinnvoll ist.

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9. Weil die Anhänge und Protokolle zum Vertrag von Asunción wie beispielsweise das Protokoll von Ouro Preto den Vertrag von Asunción in weiten Teilen abändern, ist auch eine Rangfolge innerhalb des Primärrechts nicht anzunehmen. Dies folgt auch aus der Praxis der Vertragsstaaten, die sogar dem Sekundärrecht als lex posterior oder als Spezialregelung Vorrang vor dem Vertrag von Asunción einräumt. Wenn sogar das von Mercosur-Organen erlassene Recht mit dem Vertrag von Asunción auf einer Rangstufe steht, so ist eine Rangordnung innerhalb des Primärrechts, also zwischen dem Vertrag von Asunción und den in seinem Rahmen geschlossenen Abkommen und Protokollen sachlogisch nicht begründbar. 10. Eine Hierarchie der von den Mercosur-Organen erlassenen Rechtsakte ergibt sich aus dem institutionellen Machtgefüge. Die Entscheidungen des Rates stehen daher über den Entschließungen der Gruppe, welche ihrerseits Vorrang vor den Richtlinien der Handelskommission haben, die der Gruppe zur Unterstützung beigeordnet ist. Die hierarchische Stellung der allgemeinen Prinzipien des internationalen Rechts und des Völkergewohnheitsrechts sowie die Stellung der vom Mercosur mit dritten Staaten oder Organisationen geschlossenen Verträge bleiben aufgrund einer fehlenden eigenständigen Dogmatik des Mercosur-Rechts ungeklärt. 11. Besonderes Augenmerk wird auf das Verhältnis des gemeinsamen Rechts zum nationalen Recht der Mercosur-Mitgliedstaaten gelegt. Zwar halten Art. 9, 15, 20, 42 des Protokolls von Ouro Preto fest, dass die Rechtsakte für die Mitgliedstaaten bindend sind. Dabei wird jedoch keine Aussage über die Reichweite der Verbindlichkeit getroffen. Eine inhaltliche Unterscheidung nach dem Adressatenkreis, dem Ausmaß der Verbindlichkeit und der jeweiligen innerstaatlichen Geltung, wie aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht bekannt, gibt es nicht. Die Frage nach der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit des Mercosur-Rechts in den Mitgliedstaaten sowie die Frage, inwieweit dem Mercosur-Recht Vorrang vor nationalem Recht zukommt, ist in der Literatur zum Mercosur von Anfang an umstritten und ist auch wegen sich zum Teil widersprechender Äußerungen der Mercosur-Schiedsgerichte nicht einfach zu beantworten. 12. Nach der inhaltlichen Klärung der Begriffe der unmittelbaren Geltung, Anwendbarkeit und Vorrang von völkerrechtlichen Vorschriften sowie einer kritischen Würdigung der Dogmatik des Europäischen Gerichtshofs zur Begründung des Vorrangs des Europäischen Gemeinschaftsrechts werden jeweils die unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur und anschließend die Mercosur-Rechtsprechung und -Rechtssetzung bezüglich der Thematik dargestellt. Die Schiedsurteile scheinen ein nicht einheitliches Verständnis über die Definition des Begriffs der unmittelbaren Anwendbarkeit widerzuspiegeln, wie es auch in der Völkerrechtslehre und der EU-

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Rechtslehre vorzufinden ist. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass beim derzeitigen Stand der Integration weder von einer unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit noch von einem allgemeinen Vorrang des Mercosur-Rechts vor nationalem Recht ausgegangen werden kann: 13. Mercosur-Vorschriften, die nicht lediglich mercosur-interne Angelegenheiten regeln und einen entsprechenden Hinweis enthalten, sind solange in innerstaatliches Recht zu inkorporieren, bis die Verfassungen der Mitgliedstaaten oder zumindest deren Verfassungsgerichte eine unmittelbare Geltung des Mercosur-Rechts vorsehen. Inkonsequenterweise enthalten nicht alle Entscheidungen, die eindeutig innere Angelegenheiten des Mercosur regeln, wie z. B. solche, die Ad-hoc-Arbeitsgruppen oder Fachausschüsse mit der Ausarbeitung eines Themas beauftragen, einen Hinweis bezüglich der Nicht-Pflichtigkeit der innerstaatlichen Umsetzung. Umgekehrt ist es unverständlich, dass beispielsweise die Ratsentscheidung 18/02, mit der das Reglement zum Anhang des Protokolls von Ouro Preto verabschiedet wurde, in Art. 2 die Nicht-Notwendigkeit der innerstaatlichen Umsetzung festlegt und auch das Reglement selbst kein Verfahren zur Eingliederung in innerstaatliches Recht vorsieht. Es ist schwer nachvollziehbar, warum das Reglement zu einem umsetzungspflichtigen und zum Primärrecht zählenden Protokoll als Inner-Mercosur-Angelegenheit nicht der Inkorporation in innerstaatliches Recht bedarf. Es hätte konsequenterweise, so wie das Protokoll von Ouro Preto selbst auch, als zwischenstaatliches Abkommen mit Umsetzungspflicht verabschiedet werden müssen. Die Annahme des Reglements durch eine Ratsentscheidung hätte als reine mercosur-interne Angelegenheit nicht unbedingt der Umsetzung bedurft. Ist eine Mercosur-Regelung bereits mit identischem Wortlaut in einer mitgliedstaatlichen Vorschrift enthalten, kann auf eine Eingliederung in nationales Recht verzichtet werden. 14. Eine unmittelbare Anwendbarkeit von Mercosur-Recht kann vor allem wegen der nicht unmittelbaren Geltung, aber auch wegen der beschränkten Möglichkeit Privater, sich auf Mercosur-Recht zu berufen, nicht angenommen werden. Einige Bestimmungen des Primärrechts sind jedoch so eindeutig, klar und bestimmt formuliert, dass sie, nachdem der Vertrag von Asunción in die Rechtsordnungen aller Vertragstaaten übernommen wurde und geltendes Recht darstellt, ohne weitere Ausführungsvorschriften den Mitgliedstaaten konkrete Handlungs- oder Unterlassungsverpflichtungen auferlegen und daher, wie es das erste und achte Mercosur-Schiedsgericht formulieren, als autoejecutable – selbstausführend, nicht jedoch als unmittelbar anwendbar betrachtet werden können. Tatsächlich versucht allerdings Ratsentscheidung 18/03, eine der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien im Europarecht ähnliche Situation bezüglich der von der Gruppe Gemeinsamer Markt festzulegenden Zollnomenklatur einzuführen. Die Ent-

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scheidung regelt das Erfordernis von Ursprungszertifikaten für Waren, die noch vom gemeinsamen Außenzoll ausgenommen sind. Art. 49 des Anhangs dieser Entscheidung bestimmt, dass Staaten, die Änderungen der Zollnomenklatur nicht fristgerecht umsetzen, sich nicht auf ihre Säumigkeit berufen können und dennoch für den innergemeinschaftlichen Handel etwaige Vorteile weitergeben müssen. Mit anderen Worten sollen Änderungen an der Zollnomenklatur und dem mit dieser verbundenen gemeinsamen Außenzoll unmittelbar anwendbar sein, soweit sich daraus Vorteile für den Intra-Mercosur-Handel ergeben. Dass sich die mitgliedstaatlichen Gerichte hierauf einlassen und nicht in innerstaatliches Recht transformierte Änderungen an der Zollnomenklatur von Individuen einklagbar sind, ist jedoch bei der derzeitigen, von wenig Souveränitätsverzicht gekennzeichneten Praxis der Mitgliedstaaten nur schwer vorstellbar. 15. Dem Mercosur-Recht kommt aufgrund der vom achten Schiedsgericht vorgenommenen Gleichstellung jeglichen Mercosur-Rechts mit nationalem Gesetzesrecht Vorrang vor nationalen Ausführungsbestimmungen und Verwaltungsentscheidungen zu, unabhängig von der Art und Weise, wie es in die nationale Rechtsordnung Eingang findet. Ein allgemeiner Vorrang von Mercosur-Recht gegenüber innerstaatlichem Recht jedweden Rangs, insbesondere gegenüber Gesetzesrecht und Verfassungsrecht kann im derzeitigen Stand der Integration nicht angenommen werden. 16. Das Verfahren zur simultanen Geltung, wonach ein Rechtsakt erst in Kraft tritt, wenn er in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurde, wird in der Literatur vielfach kritisiert. Der negativen Einschätzung kann nicht gefolgt werden. Es handelt sich um eine geschickte Regelung, mit der verhindert werden soll, dass trotz der nicht unmittelbaren Geltung von Mercosur-Recht ein Rechtsakt in einigen Mitgliedstaaten bereits umgesetzt ist, während die Inkorporation in die nationale Rechtsordnung in anderen Mitgliedstaaten noch aussteht. 17. Dadurch, dass das Mercosur-Recht nicht unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt, entsprechen alle Rechtsakte im Mercosur, unabhängig davon, ob sie der Rat, die Gruppe Gemeinsamer Markt oder die Handelskommission erlassen, der Richtlinie im EU-Recht, welche der Rechtsangleichung dient und nur verbindlich hinsichtlich der festgelegten Ziele ist. Die Pflicht der Mitgliedstaaten, alle Vorschriften der Mercosur-Organe in die nationale Rechtsordnung einzugliedern, verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Rechtsangleichung, wie sie EU-Richtlinien gemäß Art. 249 EGV den Staaten der Europäischen Union auferlegen. 18. Das Kapitel schließt mit der Diskussion um die Fragen, ob man bei der Rechtsordnung des Mercosur von Gemeinschaftsrecht im Sinne des Europäischen Gemeinschaftsrechts sprechen kann und ob es sich beim Mer-

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cosur um einen supranationalen Staatenzusammenschluss handelt. In der Literatur wird die Supranationalität als Merkmal von Gemeinschaftsrecht gehalten. Tatsächlich verhält es sich eher anders herum. Eine Gemeinschaftsrechtsordnung mit den Merkmalen der unmittelbaren Geltung und des Vorrangs des Rechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten ist neben der Unabhängigkeit der Beschlussorgane eine Voraussetzung für die Charakterisierung eines Staatenverbundes als supranational. Trotz einiger supranationaler Elemente, wie sie der Streitschlichtungsmechanismus und das Sanktionsverfahren bei Verstößen gegen das Mercosur-Wettbewerbsrecht darstellen, ist der Mercosur eine überwiegend zwischenstaatliche, am allgemeinen Völkerrecht orientierte Organisation und kann nicht als supranational bezeichnet werden. 19. Besondere Beachtung wird auch dem Streitschlichtungsverfahren gewidmet, welches als unverzichtbares Instrument einer jeden Wirtschaftsintegration zu sehen ist. Das derzeit gültige Streitbeilegungssystem ist hauptsächlich im Protokoll von Olivos geregelt, welches, in Kraft getreten am 2. Januar 2004, das bis dahin gültige Protokoll von Brasilia und das Reglement zum Protokoll von Brasilia ablöst. Das Verfahren kann in einen politisch-diplomatischen und einen juristischen Abschnitt eingeteilt werden und hat Ähnlichkeit mit dem Streitschlichtungsmechanismus der WTO. Es betrifft ausschließlich Streitigkeiten zwischen den Vertragsstaaten. Es gibt zwar auch die Möglichkeit der „Individualbeschwerde“, hierbei handelt es sich aber im Grunde um das Verfahren zwischen Mitgliedstaaten, das lediglich von Privaten eingeleitet wird. Konnte die Streitigkeit nicht in direkten Verhandlungen zwischen den betroffenen Vertragsstaaten gelöst werden, wird der Fall der Gruppe Gemeinsamer Markt übergeben, welche, sollte sie zu keinem Konsens gelangen, den Fall dem ad hoc zu gründenden Schiedsgericht übergibt. Dieses entscheidet den Fall nach dem Mehrheitsprinzip, d.h. hier findet sich die einzige Abweichung vom sonst in allen Organen gültigen Konsensprinzip. 20. Wichtigste Neuerungen des Protokolls von Olivos sind die Einführung einer ständigen Revisionsinstanz sowie die Pflicht zur verbindlichen Wahl eines internationalen Streitschlichtungsforums. Die Einrichtung einer permanenten Revisionsinstanz ist begrüßenswert; denn sie fördert die einheitliche Auslegung des Mercosur-Rechts und damit Rechtssicherheit, dies umso mehr, seitdem das Reglement zum Protokoll von Olivos eine dem Vorlageverfahren in der Europäischen Union ähnliche Regelung vorsieht. Im Unterschied zu dem Vorabentscheidungsverfahren in der Europäischen Union besteht allerdings eine Pflicht, Mercosur-Recht anzuwenden und bei Unklarheiten bezüglich der Auslegung eine Vorabentscheidung zu erbitten, auch bei den höchsten nationalen Gerichten nicht, während mitgliedstaatliche Ge-

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richte niederer Instanzen von vornherein nicht zur Vorlage befugt sind. Wenn eine Auslegungsfrage vorgelegt wird, besteht keine Pflicht seitens des Revisionsgerichts, sich zu äußern. Wenn es sich äußert, ist diese Äußerung nicht verbindlich. Mitgliedstaatliche Gerichte sind demnach nicht verpflichtet, Mercosur-Vorschriften anzuwenden. Damit steht die Regelung im Einklang mit den Verfassungen Brasiliens und Uruguays, welche einen Vorrang von Mercosur-Recht vor nationalem Gesetzesrecht nicht anerkennen. Ein Art. 234 EGV vergleichbares Vorabentscheidungsverfahren, in dem die letztinstanzlichen nationalen Gerichte zur Vorlage verpflichtet sind und die Auslegungen des Europäischen Gerichtshofs verbindlich sind, würde durch die „Hintertür“ einen Vorrang von Mercosur-Recht bedeuten; denn Entscheidungen eines obersten nationalen Gerichts sind nicht durch nachträgliche Gesetze abänderbar. Es stellt sich die Frage, inwieweit der Hauptzweck des Vorlageverfahrens, die Förderung der Einheitlichkeit der Auslegung und damit von Rechtssicherheit erreicht werden soll, wenn die Ausführungen des Revisionsgerichts im Vorlageverfahren nicht verbindlich sind. 21. Während es auch vor der Neuregelung des Streitschlichtungsmechanismus den Parteien offen stand, ein von dem Mercosur-Schiedsverfahren verschiedenes Streitschlichtungsforum zu wählen, sind die Streitparteien nun gezwungen, sich für ein völkerrechtliches Streitschlichtungs-Forum zu entscheiden. Die Neuerung ist nicht nur vorteilhaft. Die Möglichkeit, wie bisher neben demjenigen des Mercosur zusätzlich auch auf andere Streitschlichtungsmechanismen zurückgreifen zu können, dürfte dazu führen, dass sich der integrationsfreundlichere Mechanismus durchsetzt. Dieser Vorteil entfällt nun. Zudem werden die Staaten, wenn sie sich nun auf ein Verfahren von vornherein festlegen müssen, bei Streitigkeiten, die auch in den Anwendungsbereich eines WTO-Abkommens fallen, möglicherweise das WTO-Streitschlichtungsverfahren bevorzugen, weil dieses nicht nur regional, sondern auch international anerkannt ist und die Durchsetzung eines Urteils durch den internationalen Druck eher gewährleistet ist. Diese Regelung kann eine institutionelle Schwächung des Systems bedeuten. Weil zudem die WTO nicht zum Ziel hat, einen Gemeinsamen Markt zu schaffen und zumindest tendenziell weniger strenge Regeln vorsieht, könnten dadurch in Zukunft vermehrt handelsbeschränkende Maßnahmen für zulässig erachtet werden, welche nach Mercosur-Recht verboten sind. Der Rückgriff auf das Mercosur-Verfahren ist dann aber nicht mehr möglich, was für die Erreichung des Ziels, der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes, abträglich ist. Abgeschwächt wird dieser Nachteil dadurch, dass die klagende Partei das Forum auswählt. 22. Der überwiegend kritischen Bewertung des Streitschlichtungsverfahrens kann nicht gefolgt werden. Sie beruht im Wesentlichen auf dem nicht passenden Vergleich des Systems mit dem Rechtsschutz in der Europäi-

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schen Union. Insgesamt ist aber das Streitbeilegungssystem typisch für die gesamte Vorgehensweise im Mercosur und von daher konsequent und in sich kohärent: Es ist ebenfalls wie alle anderen Organe überwiegend zwischenstaatlich geprägt und wie das gesamte institutionelle Gefüge provisorisch angelegt. Die meisten Klagearten, wie sie der EG-Vertrag vorsieht, sind in der jetzigen Konstellation des Mercosur nicht sinnvoll und zum Teil auch gar nicht realisierbar: 23. Im Mercosur werden die Mitgliedstaaten keinen Rechtsschutz vor Rechtsakten der Organe benötigen, weil aufgrund der zwischenstaatlichen Zusammensetzung dieser und des Konsensprinzips bei der Beschlussfassung jeder Mitgliedstaat nicht nur an den Beschlüssen direkt beteiligt ist, sondern auch ein Veto einlegen kann. Die kritisierte fehlende Möglichkeit der Mercosur-Organe, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, relativiert sich vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass das mit dem Konsensprinzip verbundene Vetorecht eines jeden Staates in den Organen eine Selbstanklage ohnehin verhindern würde. Auch die Einschränkung des Rechtsschutzes Privater aufgrund der Möglichkeit der Gruppe Gemeinsamer Markt, eine Individualbeschwerde ohne weiteres abweisen zu können, wird durch das in allen Organen gültige Konsensprinzip abgemildert. Die Vertreter des Staates des Beschwerdeführers dürfen zumindest nicht gegen die Ablehnung stimmen. Fehlender Rechtsschutz wird aufgrund eingeschränkter Durchsetzungsmöglichkeiten des Rechts bemängelt, weil anstelle von Zwangsmaßnahmen lediglich die Anwendung von Repressalien vorgesehen ist, welche nur für wirtschaftlich starke Staaten ein Druckmittel darstellt. Rechtsschutz ist mangels Zwangs im Völkerrecht aber grundsätzlich beschränkt und stellt keine Besonderheit des Mercosur dar. Gegenüber dem Zwangsgeld in der Europäischen Union ist die Repressalie ein sehr viel stärkeres Mittel. Um die schwächere Position kleiner Staaten bei der Anwendung von Repressalien zu verringern und den Druck zur Umsetzung eines Schiedsspruches zu erhöhen, wurde vorgeschlagen, dass sich die Staaten verpflichten könnten, grundsätzlich gemeinsam Repressalien gegen einen in der Umsetzung des Schiedsspruchs säumigen Staates anzuwenden. Zuzustimmen ist der Kritik, dass der diplomatische Teil des Streitschlichtungsverfahrens möglicherweise zu einer Einigung zwischen den im Streit befindlichen Vertragsstaaten führt, welche nicht zwangsläufig dem Mercosur-Recht entspricht, wodurch die Interessen Privater verletzt werden können. 24. Der Weg, auf dem das Ziel Gemeinsamer Markt erreicht werden soll, ist ein anderer als derjenige in der Europäischen Union. Das letzte Kapitel des ersten Teils stellt heraus, dass dieser andere Weg nicht grundsätzlich schlechter ist. Entscheidend für den Fortschritt ist weniger die Vorgehensweise als der Integrationswille, und der scheint im Mercosur vorhanden zu sein, was den Mercosur von vorherigen Integrationsbemühungen unterschei-

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det. Schließlich ist auch die Europäische Union von der Durchsetzung und Einhaltung der gemeinsamen Rechtssetzung in den Mitgliedstaaten und damit von deren Willen abhängig. Kommt ein Staat seinen Gemeinschaftsverpflichtungen nicht nach, kann die EU-Kommission vom Gerichtshof zwar ein Zwangsgeld verhängen lassen, doch sie ist machtlos gegenüber einem zahlungsunwilligen Staat. Völkerrecht ist genossenschaftliches Recht. Eine Verpflichtung zur Einhaltung des selbst geschaffenen Rechts gibt es lediglich ethisch. Jedwede Form von Staatenzusammenschlüssen ist letztlich vom Willen der Völker abhängig, auch wenn supranationale und damit vermeintlich unabhängige Organe geschaffen wurden. Die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge kann nur auf dem Willen der Völker beruhen. Die letzte Entscheidung darüber, ob das Gemeinschaftsrecht gelten soll, obliegt den Mitgliedstaaten. Integrationsrecht gilt, weil die Vertragsstaaten wollen, dass es gilt, und nicht etwa weil eine autonome Rechtsmasse geschaffen wurde, die über dem Recht der Mitgliedstaaten steht und diesem vorgeht, wie der Europäische Gerichtshof judiziert. 25. Eine differenzierte institutionelle Ausgestaltung und die Art der Beschlussfassung können eine fehlende Entschlossenheit zur Kooperation nicht ersetzten. Der Wille zur Kooperation ist das entscheidende Kriterium für den Erfolg eines jeden Staatenzusammenschlusses, für die Einhaltung eines jeden völkerrechtlichen Vertrages. Ob der Mercosur auch in Zukunft erfolgreich sein wird, hängt weniger von der technischen Vorgehensweise ab, als davon, ob der Integrationswille der beteiligten Staaten auch in Zukunft besteht. Hiervon ist angesichts der neuen Dynamik sowohl in der Normschaffungsaktivität als auch in den Außenbeziehungen des Mercosur auszugehen. 26. Ein Vorteil der Abhängigkeit der Entscheidungsfindung vom Willen der Mitgliedstaaten ist die im Vergleich zum Recht der Europäischen Union größere demokratische Legitimation des Mercosur-Rechts. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es noch kein Mercosur-Parlament gibt, in dem direkt von den Völkern gewählte Vertreter sitzen und welches die Rechtsetzung der Organe kontrolliert, ist eine andere Form der Beschlussfassung nicht befürwortbar. Es wird aber auf die mit dem Konsensprinzip verbundene relative Überrepräsentierung der Bürger der kleinen Staaten bei der Entscheidungsfindung hingewiesen. 27. Im zweiten Teil wird die Verwirklichung der Grundfreiheiten im Mercosur dargestellt. Der Begriff der Grundfreiheiten ist dem EU-Recht entnommen und meint den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen, die Niederlassungsfreiheit, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Kapitalverkehrsfreiheit. Die Verwirklichung der Grundfreiheiten ist Voraussetzung für die Qualifizierung des Mercosur als Gemeinsamer Markt.

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28. Wörtlich bestimmt Art. 1 des Vertrags von Asunción den freien Verkehr von Gütern, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren, zu denen nach allgemeiner Auffassung neben Kapital auch Arbeitskraft zählt, und zwar unabhängig von der Art der Beschäftigung. Darunter fallen eine selbständige Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat und damit auch die hierfür notwendige Niederlassung in diesem. Dass die Niederlassungsfreiheit ein Bestandteil des Gemeinsamen Marktes sein soll, geht aber auch aus dem Dienstleistungsprotokoll hervor, dessen Anwendungsbereich sich auf die Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat mittels Handelsvertretungen oder mittels persönlicher Präsenz natürlicher Personen erstreckt. Das Dienstleistungsprotokoll unterscheidet nicht zwischen einer dauerhaften oder lediglich vorübergehenden Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat. 29. Im innergemeinschaftlichen Handel sind Zölle bis auf die Produkte der Automobil- und Zuckerindustrie vollständig beseitigt. Für die Mehrheit der Waren existiert ein gemeinsamer Zolltarif. Viele der Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll gibt es auch in der Europäischen Union, die übrigen Ausnahmen, insbesondere für Finanzprodukte und Produkte des Telekommunikationssektors sind zeitlich begrenzt. Die Freiheit des Warenverkehrs ist aber für Waren aus Drittstaaten aufgrund der noch bis voraussichtlich 2008 möglichen Doppelverzollung beschränkt. Die Pflicht, auch für Mercosur-Waren Ursprungszeugnisse mitzuführen, stellt ebenfalls ein Hindernis des grenzüberschreitenden Handels im Mercosur dar. Während in der Europäischen Union ebenso wie in der ALADI eine Schlechterstellung von einheimischen gegenüber importierten Produkten möglich ist, schreibt Art. 7 des Vertrags von Asunción eine Gleichbandlung (mismo tratamiento) im Bereich von Steuern, Abgaben und anderen internen Belastungen für heimische und Produkte aus anderen Mitgliedstaaten vor. 30. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist im Mercosur keine allgemeine Freizügigkeit, sondern das Recht eines Arbeitnehmers, in jedem Mitgliedstaat eine abhängige Beschäftigung anzunehmen. Das geht aus der Formulierung in Art. 1 des Vertrags von Asunción hervor, der einen freien Verkehr von Personen nur vorsieht, insoweit es sich um Produktionsfaktoren handelt. 31. Die Möglichkeit des Erwerbs des Lebensunterhalts in einem anderen Mitgliedstaat wurde für bestimmte Berufsgruppen durch die vereinfachte Visumsausstellung, die Pflicht zur Anerkennung der akademischen Grade und die im Sozialrechtsabkommen gewährten Rechte deutlich verbessert. Für alle anderen Berufsgruppen gelten bezüglich der Einreiserlaubnis zu erwerbstätigen Zwecken nach wie vor die mitgliedstaatlichen Regelungen und damit möglicherweise Beschränkungen. In jedem Fall erleichtert aber die Anrechnung in anderen Mitgliedstaaten erworbener sozialversicherungs-

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rechtlicher Beitragszeiten die Entscheidung, eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat anzustreben. 32. Eine umfassende Freizügigkeit, wie sie die Arbeitnehmer und deren Familienangehörige in der Europäischen Union genießen und deren Rechte sich einem allgemeinen, aus der Staatsangehörigkeit fließenden Bürgerrecht annähern, wird im Mercosur bisher nicht angestrebt. Der Europäische Gerichtshof hat entgegen seiner frühen Rechtsprechung auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit ebenso wie alle anderen Grundfreiheiten vom Diskriminierungs- zu einem Beschränkungsverbot ausgedehnt, das auch gegenüber Privaten anzuwenden ist (Drittwirkung). Im Mercosur wird dagegen offenbar das Ziel verfolgt, ein objektives Diskriminierungsverbot ohne Drittwirkung zu verwirklichen. Dass eine Drittwirkung der Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit im Mercosur nicht angenommen werden kann, geht auch aus der Tatsache hervor, dass bisher nur staatliche Bildungseinrichtungen Zeugnisse anderer Mitgliedstaaten anerkennen müssen. 33. Begünstigte der im Dienstleistungsprotokoll niedergelegten Dienstleistungsfreiheit sind auch Drittstaatsangehörige, die im Mercosur ansässig sind, und zwar selbst dann, wenn sowohl Erbringer als auch Empfänger der Leistung die Nationalität eines Drittstaates besitzen. Damit ist der persönliche Anwendungsbereich des Mercosur-Dienstleistungsprotokolls weiter als derjenige der Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union, der grundsätzlich nur Unionsbürger begünstigt. Die Vorgabe für Unternehmen, eine nachhaltige wirtschaftliche Aktivität im Mercosur ausüben zu müssen, schließt Briefkastenfirmen, die in Wirklichkeit in einem Drittstaat ihren Sitz haben, vom Anwendungsbereich des Protokolls aus. 34. Die Dienstleistungsfreiheit im Mercosur schützt die Erbringung einer Dienstleistung im eigenen Mitgliedstaat und den Vertrieb dieser in einem anderen Mitgliedstaat ebenso wie die Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat, auch mittels Handelsvertretungen, Niederlassungen oder Handelsvertreter in diesem Mitgliedstaat. Im Unterschied zur Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union wird die Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat des Mercosur grundsätzlich und nicht nur vorübergehend gewährleistet. Aufgrund dieses bedeutenden Unterschiedes ist im Mercosur eine scharfe Abgrenzung von der Niederlassungsfreiheit nicht möglich. Dies steht mit der Tatsache im Einklang, dass letztere nicht eigenständig geregelt ist. Es wird vermutet, dass man im Mercosur die zum Teil schwierige Unterscheidung einer auf Dauer angelegten selbständigen Tätigkeit und einer nur vorübergehenden Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat vermeiden möchte. 35. Geschützt wird auch die so genannte negative oder passive Dienstleistungsfreiheit, wobei sich der Leistungsempfänger grenzüberschreitend

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zum Leistungserbringer begibt, etwa zum Arztbesuch; denn das Dienstleistungsprotokoll definiert als schutzwürdigen Dienstleistungsverkehr die Erbringung einer Dienstleistung in einem Mitgliedstaat für Verbraucher aus jedem anderen Mitgliedstaat. Dies beinhaltet die Erbringung einer Dienstleistung im Heimatstaat für Verbraucher aus anderen Mitgliedstaaten wie im Übrigen auch die Erbringung einer Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Heimatstaat für Leistungsempfänger aus wieder einem anderen Mitgliedstaat, z. B. dem Heimatstaat des Leistungserbringers. 36. Das Dienstleistungsprotokoll verbietet Maßnahmen, die im Recht der Europäischen Union erst durch die Rechtsprechung abgeleitet wurden und den Zugang zu Dienstleistungsmärkten betreffen, wie etwa Vorschriften, welche eine bestimmte Rechtsform eines Dienstleistungsbetriebes vorschreiben, oder die Vorgabe, die wirtschaftliche Notwendigkeit der ausländischen Dienstleistung nachzuweisen. 37. Dass wie im EU-Recht die Dienstleistungserbringer Arbeitnehmer im Empfängerstaat der Dienstleistung ohne gesonderte Arbeitserlaubnis und nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem der Unternehmer seinen Sitz hat, beschäftigen dürfen (Herkunftslandprinzip), um die Dienstleistungsanbieter nicht verdeckten Diskriminierungen aus objektiv, aber unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen auszusetzen, wird nicht angenommen. Unterschiedslos anwendbare Vorschriften zur Reglementierung der Berufszulassung und -ausübung, welchen schon durch die Erfüllung gleichwertiger Voraussetzungen im Herkunftsland Rechnung getragen ist, werden im Mercosur demnach anders als im Europarecht nicht als Beschränkung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs gesehen. 38. Ist die Vergabe von Lizenzen notwendig, beispielsweise im Lebensmittelgewerbe, so verpflichten sich die Vertragsstaaten, dass sich diese an objektiven Kriterien orientiert, etwaige aufzuerlegende Vorschriften das notwenige Maß nicht überschreiten und die Vergabe an sich nicht bereits ein Hindernis für den freien Dienstleitungsverkehr darstellt. Verboten ist demnach die schikanöse Ausgestaltung von Verwaltungsregelungen. Es wird darauf hingewiesen, dass jedoch jeder Staat das Recht hat, die Vorschriften für die Berufsausübung in seinem Territorium selbst festzulegen. Erkennt ein Staat Bildungsabschlüsse eines anderen Staates an, so zwingt ihn das Dienstleistungsprotokoll nicht, Gleiches für Bildungsabschlüsse eines anderen Mitgliedstaates zu tun. Allerdings muss jeder Vertragsstaat allen anderen Staaten zumindest eine Möglichkeit geben, objektiv gleichwertige Abkommen auch mit diesen Staaten zu treffen. Dies entspricht dem Meistbegünstigungsprinzip, welches so ausgelegt werden kann, dass eine Anerkennung auch für Bildungsabschlüsse aller anderen Staaten möglich sein muss, da andernfalls die Dienstleistungsfreiheit jedenfalls faktisch be-

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schränkt wäre. Natürlich kann kein Staat verpflichtet werden, einen Bildungsabschluss als gleichwertig anzuerkennen, der nicht gleichwertig ist. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, die für die Verwirklichung der unternehmerischen Freizügigkeit unabdingbare Harmonisierung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften voranzutreiben. 39. In der Europäischen Union müssen dagegen nach dem Konzept des so genannten Herkunftslandprinzips Diplome, Prüfungszeugnisse und Befähigungsnachweise aus anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Aus freiheitsdogmatischen Erwägungen ist eine Harmonisierung des Rechts einer supranational auferlegte Anerkennungspflicht vorzuziehen. Zwar erspart das Herkunftslandsprinzip aufwendige Verhandlungen über die Rechtsangleichung. Es führt aber zur innerstaatlichen Geltung ausländischen Rechts, und es wird hinterfragt, ob eine so weitgehende Auslegung der Marktfreiheiten, wie sie derzeit in der Europäischen Union gehandhabt wird, nicht auch eine Einschränkung der Freiheit bedeuten und insoweit als Maßstab dienen kann. Es wird kritisiert, dass, wenn in allen wesentlichen Anknüpfungspunkten auf das Recht des Herkunftslandes verwiesen wird, das Recht des Volkes des Bestimmungslandes, in seinem Staat das Recht zu geben, der Kern der Freiheit also hinter die Gesetzgebungsmacht oder eben die Staatsgewalt des Volkes des Herkunftslandes zurücktritt. 40. Die Kapitalverkehrsfreiheit, welcher die Funktion zukommt, die übrigen Grundfreiheiten nicht durch die Beschränkung des Kapitaltransfers zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern, unterliegt im Mercosur insbesondere im Vergleich zum gemeinsamen Finanzmarkt, den die Währungsunion in der Europäischen Union erzwingt, noch Beschränkungen. Dennoch sind im Mercosur bedeutsame Fortschritte bei der Harmonisierung der Kapitalmarktregulationen zu erkennen, und die Einschätzung, dass die Freiheit des Kapitalverkehrs noch weitgehend unverwirklicht ist, kann nicht mehr gefolgt werden. Vielmehr erscheint heute bereits ein nahezu grenzenloser regionaler, aber auch globaler Kapitalverkehr möglich. 41. Im Zusammenhang mit der Kapitalverkehrsfreiheit stehen der Schutz in- und ausländischer Investitionen und der Schutz privaten Eigentums. Hierzu wurden das Protokoll von Colonia zur Förderung und zum Schutz von Investitionen im Mercosur sowie das Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Ländern, die nicht dem Mercosur angehören, erlassen. Die Protokolle sollen eine unterschiedlose Behandlung in- und ausländischer Investitionen und eine bestmögliche Förderung einmal getätigter Investitionen sicherstellen. 42. Während in der Europäischen Union alle Vorschriften verboten sind, die für den grenzüberschreitenden Kapital- und Zahlungsverkehr eine gegenüber den Inlandsgeschäften abweichende Regelung vorsehen, spricht die

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beispielhafte Nennung im Protokoll von Colonia, die Möglichkeit der Ausübung von Lizenzverträgen und der Einreise von Fachpersonal zu gewährleisten, allerdings für eine restriktivere Auslegung. Schließlich stellt die Erlaubnis, im Rahmen einer Investition einreisen zu dürfen, eine Notwendigkeit dar, die lediglich eine Gleichstellung mit den ohnehin in diesem Mitgliedstaat befindlichen einheimischen Investoren bewirkt, und auch die beispielhaft genannte Ausübung von Lizenzen steht Staatsbürgern automatisch zu. Darauf, dass die in Frage stehende Formulierung ebenfalls nicht als Beschränkungsverbot verstanden werden soll, deutet neben der Tatsache, dass alle anderen Grundfreiheiten im Mercosur lediglich ein Nichtdiskriminierungs- und Meistbegünstigungsprinzip vorsehen, auch die Tatsache hin, dass das Protokoll von Colonia Investitionen aus anderen Mitgliedstaten eine lediglich „gerechte und unterschiedslose“ Behandlung zusichert. Man wollte offenbar den Willen bekräftigen, größtmögliche Anstrengungen zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu unternehmen, ohne spezifischere Vorschriften zu erlassen, wie etwa ein Verbot, Kapitaltransfers einem Genehmigungsverfahren zu unterwerfen. 43. Gegenüber dem im Protokoll von Colonia niedergelegten Schutz von Investitionen aus anderen Mitgliedstaaten ist der Schutz von Investitionen aus Drittstaaten eingeschränkt. Die Mitgliedstaaten müssen nicht, sondern „können“ Investitionen aus Drittstaaten ein Schutzstandard gewährleisten, der demjenigen von Investitionen aus einem Mitgliedstaat entspricht. Investitionsschutzabkommen mit Drittstaaten dürfen höchstens einen Investitionsschutz vorsehen, der demjenigen von Investitionen aus den Mitgliedstaaten gleichwertig ist. Die Formulierung entspricht dem im Protokoll von Colonia festgelegten Meistbegünstigungsprinzip: Investitionen aus den Mitgliedstaaten dürfen nicht schlechter als Investitionen aus Drittstaaten gestellt werden. Während Enteignungen im Protokoll von Colonia nur zum Bau öffentlicher Einrichtungen möglich sind, können Investitionen aus Drittstaaten auch aus Gründen des sehr viel interpretierfähigeren Allgemeininteresses enteignet werden. Die Entschädigung muss nicht wie im Protokoll von Colonia vor der Enteignung, sondern lediglich zügig, oder sobald sich die Gelegenheit ergibt, gezahlt werden. Zudem wird eine lediglich dem „Wert der enteigneten Investition entsprechende Entschädigung“ gezahlt, während Investitionen aus Mercosur-Mitgliedstaaten entsprechend ihrem „realen Wert“ entschädigt werden, also einschließlich einer üblichen Verzinsung des Kapitals. Überweisungen müssen auch nach dem Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten ohne zeitliche Verzögerung und zu freiem Wechselkurs möglich sein. Im Gegensatz zum Protokoll von Colonia bestimmt das Protokoll zum Schutz von Investitionen aus Drittstaaten jedoch nicht, dass es sich hierbei um den am Tag der Überweisung gültigen Wechselkurs handeln muss. Hintergrund dieser differenzierten Vorgehensweise ist mögli-

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cherweise, dass den Drittstaaten die Vorteile hinsichtlich der Sicherheit von Investitionen nicht, wie teilweise in der Europäischen Union der Fall, ohne Gegenleistung zugute kommen sollen, sondern nur im Gegenzug ähnlicher Garantien bezüglich Investitionen aus den Mercosur-Ländern. 44. Die Verabschiedung der so genannten Minimalregelung der Kapitalmärkte, die unter anderem den vereinheitlichten Zugang zu anlagerelevanten Informationen vorsieht, zeigt, dass man wie in der Europäischen Union über die Liberalisierungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs hinaus rechtliche und verwaltungsmäßige Hindernisse im Rahmen der Rechtsangleichung zu beseitigen sucht, um einen einheitlichen Finanzraum zu schaffen. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich zur Anwendung der so genannten Baseler Kriterien für den Mercosur. 45. Dass man sich im Mercosur auch bei der Kapitalverkehrsfreiheit lediglich für ein Diskriminierungs- und nicht für ein Beschränkungsverbot, wie es die Europäische Union praktiziert, entschieden hat, ist nicht zwangsläufig nachteilig. Eine global zugeschnittene Kapitalverkehrsfreiheit, die Kapitaleigner ermächtigt, ihr Kapital irgendwo in der Welt verwerten zu dürfen, wird aufgrund der damit verbundenen Missachtung des Sozialprinzips als unvereinbar mit der existentiellen Staatlichkeit des Gemeinwesens gehalten. Auch für den Mercosur werden der Endregelungswettbewerb und der damit einhergehende abnehmende Einfluss der Politik auf nationale Kapitalmarktstrukturen als eine mögliche Gefahr für die nationalen Finanzsysteme herausgestellt, und es wird empfohlen, einer maßvollen Rechtsharmonisierung und einer gemeinsamen Strategie der schrankenlosen Liberalisierung des Finanzsektors im Mercosur den Vorzug zu geben. 46. Vor dem Hintergrund der Unvollkommenheiten bei der Verwirklichung der Grundfreiheiten in der Europäischen Union lässt sich die Meinung vertreten, dass der Mercosur das Integrationsstadium eines Gemeinsamen Marktes fast erreicht hat. Der Warenverkehr wurde weitgehend liberalisiert, aber auch bei den anderen Grundfreiheiten sind erhebliche Fortschritte erkennbar. Viele der noch bestehenden Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll wie etwa die Sonderregeln für die Einfuhr bestimmter Güter (regímenes especiales) gibt es auch in der Europäischen Union, ohne dass dieser deshalb die Eigenschaft als Zollunion oder Gemeinsamer Markt abgesprochen würde, während die übrigen Ausnahmen vom gemeinsamen Außenzoll zeitlich begrenzt sind. Die Bereichsausnahmen Zucker und Automobil von der Freihandelszone wie auch vom gemeinsamen Außenzoll sind mit der eigenständig geregelten Landwirtschaftspolitik der Europäischen Union vergleichbar. Der Stand der Rechtsangleichung im Mercosur wird als fortgeschritten eingestuft. Dass nach wie vor nichttarifäre Handelshemmnisse vorhanden sind, ist noch kein Grund, dem Mercosur die

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Eigenschaft Gemeinsamer Markt abzusprechen. Die Erfahrungen der Europäischen Union zeigen, dass die Abschaffung sämtlicher nichttarifärer Handelshemmnisse ein langwieriger Prozess ist, der auch in Europa noch für unbestimmte Zeit vorrangige Aufgabe bleibt und möglicherweise niemals wirklich abgeschlossen sein wird. Es wird herausgestellt, dass, wenn man als Kriterium eines Gemeinsamen Marktes die Beseitigung sämtlicher Beschränkungen der Grundfreiheiten definieren würde, dieses Integrationsstadium wohl nie erreichbar wäre. Einen vollständig integrieren Kapitalmarkt gibt es in Europa bis heute nicht, die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungs- sowie die Niederlassungsfreiheit sind in der Europäischen Union noch praktischen wie bürokratischen Hürden ausgesetzt, und die Rechtsangleichung in der Gemeinschaft wird für noch lange nicht vollendet betrachtet. Dennoch wird der europäische Binnenmarkt regelmäßig seit dem Vertrag von Maastricht als vollendet betrachtet, der dessen Verwirklichung auf den 31. Dezember 1992 terminiert hatte. Der Mercosur wird allerdings vollständig erst ab dem Zeitpunkt der für das Jahr 2008 vorgesehenen Beseitigung der Doppelverzollung von Waren aus Drittstaaten als Gemeinsamer Markt qualifizierbar sein. 47. Die Beschränkung der Liberalisierung der Grundfreiheiten im Mercosur auf das Gebot der Inländergleichbandlung und das Meistbegünstigungsprinzip im Gegensatz zu dem vom Europäischen Gerichtshof praktizierten Beschränkungsverbot ist nicht zwangsläufig nachteilig; denn die Entwicklung der Grundfreiheiten in der Europäischen Union wird nicht nur positiv beurteilt. Insbesondere das Herkunftslandsprinzip und die damit verbundene Pflicht zur Anerkennung der Gesetzgebung des Herkunftslandes im Bestimmungsland führen zur Fremdbestimmung anderer Völker, also zum Gegenteil der Freiheit als Selbstbestimmung. Auch wenn das Herkunftslandsprinzip aufwendige Verhandlungen über die Rechtsangleichung vermeidbar macht, ist letztere vorzugswürdig, weil sie ein hohes Schutzniveau im Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz ermöglicht, ohne dabei gegen das demokratische Prinzip zu verstoßen. Eine generelle Argumentationsregel „in dubio pro communitate“, wie sie der Europäische Gerichtshof praktiziert, widerspricht dem Subsidiaritätsprinzip und ist jedenfalls dann nicht tragfähig, wenn die Ausnahmen Prinzipien mit Verfassungsrang, insbesondere Grundrechte oder essentielle Belange der Mitgliedstaaten schützen sollen. 48. Der dritte Teil der Arbeit widmet sich dem Wettbewerbsrecht des Mercosur, welches im Protokoll zum Schutz des Wettbewerbs niedergelegt ist. Als Interpretationshilfe werden neben den Wettbewerbsvorschriften der Europäischen Union auch das argentinische und das brasilianische Wettbewerbsrecht und hier insbesondere die Praxis der jeweiligen Wettbewerbsbehörden zum Vergleich herangezogen, welche einen erkennbaren Einfluss auf das Wettbewerbsschutzprotokoll genommen haben. Die Vorgehensweise

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scheint gerechtfertigt, weil sich die Mercosur-Wettbewerbsbehörde, das Mercosur-Wettbewerbskomitee, aus den nationalen Wettbewerbsbehörden der Vertragsstaaten zusammensetzt. Die Auslegung und Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls durch das Wettbewerbskomitee werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach an den von diesen erarbeiteten Grundsätzen orientieren. 49. Im Anschluss an die begriffliche Definition des Wettbewerbsrechts, einer kurzen Darstellung der Wettbewerbsfunktionen und -theorien, der Notwendigkeit gemeinsamer Wettbewerbsregeln einer Wirtschaftsgemeinschaft sowie der Geschichte des Wettbewerbsrechts in den Mercosur-Staaten werden die einzelnen Vorschriften des Wettbewerbsschutzprotokolls den Vorschriften der Art. 81 und 82 EGV gegenübergestellt, immer unter Berücksichtigung der Auslegung der ähnlich formulierten argentinischen und brasilianischen Wettbewerbsschutzgesetze. Es wurde herausgestellt, dass der Begriff „unlautere Praktiken“ im südamerikanischen Schrifttum als Synonym für wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen zu betrachten ist. 50. Die zwei Grundtatbestände, das Verbot wettbewerbsbeschränkender Absprachen und das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, werden wie in den nationalen Wettbewerbsgesetzten Argentiniens und Brasiliens in einer Generalklausel zusammengefasst. Einige Tatbestände des im Vergleich zum EG-Wettbewerbsrecht langen Katalogs beispielhaft verbotener Verhaltensweisen beziehen sich sowohl auf wettbewerbsbeschränkende Absprachen als auch auf das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Sie werden daher sowohl bei der Besprechung des Beschränkungsverbots als auch im Kapitel des Missbrauchsverbots behandelt. 51. Trotz dieser Unterschiede fördert der Rechtsvergleich eine große Übereinstimmung des Wettbewerbsrechts des Mercosur mit dem Wettbewerbsrecht der Europäischen Union zutage. Größter materieller Unterschied zum EG-Wettbewerbsrecht ist die Tatsache, dass auch einseitige Maßnahmen nicht marktbeherrschender Unternehmen verboten sein können. Aufgrund der Praxis der argentinischen und brasilianischen Wettbewerbsbehörde ist aber davon auszugehen, dass dennoch Marktmacht – nicht aber zwingend eine beherrschende Machtstellung – bestehen muss, damit eine einseitige Handlung als wettbewerbswidrig angesehen werden kann. Diese Regelung hat den Vorteil, dass auf die zum Teil aufwendige Prüfung, ob eine beherrschende Stellung besteht, verzichtet werden kann, wenn zumindest Marktmacht zweifelsohne festzustellen ist. Der Verbotstatbestand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Position erscheint dann nicht als redundant, wenn man diesen als eine besonders schwerwiegende Form der einseitigen Wettbewerbsbeschränkung betrachtet.

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52. Der offenkundige Unterschied zum EG-Kartellrecht, in dem einseitige Verhaltensweisen nur im Fall von Marktmacht verboten sein können, relativiert sich zudem vor dem Hintergrund der neueren Entwicklung der Praxis in der Europäischen Union. Die Gemeinschaftsorgane interpretieren zunehmend auch einseitige Maßnahmen im Rahmen bestehender vertraglicher Beziehungen als Vereinbarung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV, wenn eine stillschweigende oder konkludente Zustimmung der Vertragsgegenseite angenommen werden kann, weshalb auch in der Europäischen Union einseitige Maßnahmen unter das Beschränkungsverbot fallen können, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 82 EGV (Missbrauch von Marktmacht) gegeben sein müssen. 53. Anders als im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union wurde auf den Begriff des Unternehmens zur Definition des persönlichen Anwendungsbereichs verzichtet und stattdessen der Begriff des „Wirtschaftsteilnehmers“ (agente económico) verwendet. Entscheidend ist, dass sich die Handlungen auf den „Wettbewerb innerhalb des Mercosur auswirken“, sich die Person also am Wirtschaftsverkehr beteiligt. Die Wettbewerbsregeln gelten nicht nur für Unternehmen, sondern können auf sämtliche Akteure des wirtschaftlichen Lebens, unabhängig von der Rechtsform angewendet werden. Man wollte offenbar sicherstellen, dass der Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls ebenso umfassend ist wie derjenige des EGWettbewerbsrechts durch die weite Auslegung des Unternehmerbegriffs. Hierfür spricht, dass sich die Auslegung der nationalen Wettbewerbsvorschriften durch die Wettbewerbsbehörden in Argentinien und Brasilien an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs orientieren. Es wurde vorsichtshalber auf den interpretierfähigen Begriff des Unternehmers verzichtet. Die Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls auf private und öffentliche Personen kommt im Gegensatz zu der Formulierung des Art. 81 EGV deutlich zum Ausdruck. 54. Art. 2 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls enthält eine mit Art. 86 Abs. 2 EGV vergleichbare Ausnahmevorschrift zugunsten öffentlicher Monopole. Diese Unternehmen fallen dann nicht unter die Vorschriften des Wettbewerbsschutzprotokolls, wenn dadurch die ordnungsgemäße Erfüllung gesetzlicher Aufgaben beeinträchtigt wird. Bedenklich ist, dass Monopole bereits von der Anwendung der gemeinsamen Wettbewerbsvorschriften freigestellt werden, wenn die Erfüllung der übertragenen Aufgabe durch die Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls nur „beeinträchtigt“ wird, während im Pendant der Europäischen Union die Erfüllung „verhindert“ werden muss. Die strengere Formulierung im EG-Vertrag ist gerade im Hinblick auf das Ziel der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes mit unverfälschtem Wettbewerb (Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV)

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bzw. angemessenen Wettbewerbsbedingungen, wie sie Art. 1 Abs. 4 des Vertrags von Asunción vorsieht, vorzugswürdig. Es gibt allerdings Gründe zur Annahme, dass diese Vorschrift eng ausgelegt werden wird. Dafür spricht zunächst der Wortlaut des Art. 2 einziger Unterabsatz Halbs. 1, der klarstellt, dass in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls grundsätzlich auch Unternehmen fallen, die ein staatliches Monopol ausüben. Erst im zweiten Halbsatz findet sich der Vorbehalt der Ausnahme zugunsten der Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe. Für eine enge Auslegung spricht auch die Tatsache, dass der Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift des Art. 2 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls mit der Verwendung des Begriffs des Unternehmens, das sich zudem in einer Monopolstellung befinden muss, ausdrücklich enger gefasst ist als der weit formulierte allgemeine Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls in Art. 2 Abs. 1 desselben. Ein Unternehmen kann eine Monopolstellung zudem nur auf einem bestimmten sachlich und geographisch relevanten Markt innehaben. Die etwaige Ausnahme eines staatlichen Monopols von der Anwendung der Vorschriften des Wettbewerbsschutzprotokolls ist daher auf den relevanten Markt beschränkt, auf dem das Unternehmen eine dominante Stellung besitzt, und gilt nicht etwa für weitere Märkte, auf denen das Unternehmen tätig ist oder werden will. Die Ausnahme ist damit wie Art. 86 Abs. 2 EGV marktbezogen, nicht unternehmensbezogen. Von einer engen Auslegung kann auch deshalb ausgegangen werden, weil eine Legalausnahme zugunsten staatlicher Unternehmen weder im brasilianischen noch im argentinischen Wettbewerbsrecht existiert. 55. Eher unbedenklich ist, dass Art. 2 einziger Unterabsatz des Wettbewerbsschutzprotokolls keine dem Art. 86 Abs. 2 S. 2 EGV vergleichbare Schranke enthält, wonach der Handelsverkehr in der Europäischen Union durch die Ausnahmeregelung nicht in einem Maße beeinträchtigt werden darf, dass er dem Interesse der Gemeinschaft zuwider läuft. Der Europäische Gerichtshof hat diese Schranke weitgehend entkräftigt. Das Gemeinschaftsinteresse sei nicht schon deshalb verletzt, weil die eine oder andere Vorschrift nicht beachtet wird, selbst dann, wenn es sich hierbei um ein grundlegendes Vertragsprinzip handelt. Andernfalls würde der Ausnahmevorschrift des Art. 86 Abs. 2 EGV jede praktische Relevanz genommen. 56. Kritisch hinterfragt wird, ob einer Ausnahmeregelung zugunsten staatlicher Monopole eine eigenständige Bedeutung beizumessen ist. Nach gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind Einrichtungen, die mit der Verwaltung gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherungssysteme betraut sind und lediglich Pflichten erfüllen, die ihnen das Gesetz auferlegt, keine Unternehmen im Sinne der EG-Wettbewerbsregeln. Jüngst entschied der Europäische Gerichtshof, dass gesetzliche Krankenkas-

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sen in Deutschland nicht als Unternehmen im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV einzustufen sind und damit nicht in den Anwendungsbereich des Art. 81 EGV fallen, wenn sie Festpreise für Medikamente festsetzen. Ob eine Tätigkeit in den Anwendungsbereich des EG-Wettbewerbsrechts fällt, hängt demnach von einer entsprechend weiten oder engen Auslegung des Begriffs des hoheitlichen Handelns bzw. des Begriffs der wirtschaftlichen Tätigkeit ab. In den genannten Fällen hat der Europäische Gerichtshof Tätigkeiten der öffentlichen Daseinsvorsorge aus dem Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln genommen, für die gerade die Ausnahmevorschrift des Art. 86 Abs. 2 EGV geschaffen wurde. Eine eigenständige Ausnahmevorschrift zugunsten öffentlicher, also staatlicher monopolartiger Unternehmen ist nicht notwendig. Auch die Übertragung von Ausschließlichkeitsrechten an private Unternehmen, welche sodann öffentliche Monopole in Zivilrechtsform begründen, geschieht durch hoheitlichen Übertragungsakt. Gesetzliche Monopole sind unabhängig von ihrer Rechtsform immer auf hoheitliches Handeln zurückzuführen und unterliegen daher ohnehin nicht dem Anwendungsbereich weder des Art. 81 EGV noch dem des Wettbewerbsschutzprotokolls. 57. Im Mercosur ist von einer parallelen Geltung des Wettbewerbsschutzprotokolls und des nationalen Wettbewerbsrechts der Mitgliedstaaten auszugehen. In dem Fall, dass ein wettbewerbsbeschränkender Sachverhalt gleichzeitig in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls und in den der nationalen Vorschriften fällt und die nationale Rechtsordnung eine vom Wettbewerbsschutzprotokoll unterschiedliche Regelung vorsieht, stellt sich die Frage nach dem Vorrang. Dies könnte dann der Fall sein, wenn das gemeinsame Wettbewerbsrecht im Mercosur eine Vereinbarung oder Verhaltensweise verbietet, die nach nationalem Recht ausdrücklich erlaubt oder freigestellt ist. Eine vom Mercosur-Kartellrecht nicht verbotene Maßnahme kann dennoch vom mitgliedstaatlichen Recht verboten werden, ohne dass es zu einem Konflikt der Rechtsordnungen kommt. Das Verhältnis des Wettbewerbsschutzprotokolls zum mitgliedstaatlichen Kartellrecht ist zumindest für Argentinien, Brasilien und Paraguay vergleichbar mit dem in der Europäischen Union nach dem Teerfarben-Urteil des Europäischen Gerichtshofs und vor Verabschiedung der Kartellverfahrensverordnung 1/03. Nationale und gemeinsame Wettbewerbsvorschriften werden grundsätzlich nebeneinander angewendet. Fällt ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls und in den eines (oder mehrerer) nationaler Wettbewerbsgesetzte und kommt das nationale Recht zu einem den gemeinsamen Vorschriften widersprechenden Ergebnis, hat das gemeinsame Recht Vorrang. Verhaltensweisen, die den gemeinsamen Wettbewerbsregeln nicht widersprechen, können dennoch nach nationalem Recht verboten sein. In Uruguay besteht aufgrund des nicht geregelten

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Rangs des Mercosur-Rechts eher eine Situation vergleichbar mit derjenigen in der Europäischen Union vor dem Erlass des Teerfarben-Urteils. Das Wettbewerbsschutzprotokoll und nationale Vorschriften zum Wettbewerbsrecht sind gleichrangig anzuwenden, weshalb sich die jeweils strengere Rechtsordnung durchsetzt. 58. Die Zusammenfassung des Beschränkungsverbots und des Missbrauchsverbots in einer Generalklausel hat zwar Vorteile: Praktiken, die im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union sowohl als abgestimmte Handlungen als auch im Falle einer marktbeherrschenden Stellung als einseitige Maßnahme verboten sind, werden in einer systematisch zusammenhängenden Vorschrift genannt. Zudem ist dem Wortlaut des Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls nach nur einer von beiden Tatbeständen einschlägig, während im Europäischen Gemeinschaftsrecht Art. 81 und 82 EGV nebeneinander anwendbar sind. Der Einheitstatbestand ermöglicht jedoch keine scharfe Trennung zwischen dem Missbrauch einer beherrschenden Marktstellung und dem Verbot abgestimmter Verhaltensweisen. Dadurch, dass auch nicht marktbeherrschende Wirtschaftsteilnehmer einseitig einen Verstoß gegen Art. 4 des Wettbewerbsschutzprotokolls bezwecken oder bewirken können, verliert der Tatbestand des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung an Bedeutung. Dies ist vor allem deshalb bedenklich, weil im Falle missbräuchlich überhöhter Preise die Wettbewerbsbehörde die Möglichkeit hat, die Preispolitik des entsprechenden Marktteilnehmers zu kontrollieren. Der Eingriff in die Preispolitik von Unternehmen ist aber nur angemessen, also verhältnismäßig, wenn der Wettbewerb erheblich beeinträchtigt wird, wie durch den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Der Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit und damit in die Handlungsfreiheit kleiner Unternehmen ist nicht rechtfertigbar, selbst wenn diese genügend Marktmacht besitzen, so dass sie Preise oder Konditionen erzwingen können. Das Erzwingen von Preisen und Konditionen ist gegebenenfalls auch mit geringer Marktmacht möglich, beispielsweise bei Abhängigkeit des Abnehmers von bestimmten technischen Voraussetzungen des Produktes. Auch wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anders als im EG-Vertrag nicht ausdrücklich im Vertrag von Asunción verankert wurde, ist er als Ausdruck von Gerechtigkeit, Gleichheit, Vernunft und Freiheit und als „SchrankenSchranke“ in jeder Rechtsordnung und damit auch im Mercosur zu berücksichtigen. Das Eingreifen in die Preisfreiheit bei nicht marktstarken Unternehmen bedeutet einen unangemessenen Eingriff in die Privatheit der Marktteilnehmer, welche Voraussetzung des leistungssteigernden Wettbewerbs ist. Die Praxis in den beiden großen Mitgliedstaaten Argentinien und Brasilien berechtigt zur Hoffnung, dass auch im Rahmen des Wettbewerbsschutzprotokolls der Ausbeutungsmissbrauch nur bei erheblicher Marktmacht anerkannt werden wird.

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59. Im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union muss die beherrschende Stellung gemäß Art. 82 EGV zumindest auf einem „wesentlichen Teil“ des Gemeinsamen Marktes bestehen. Diese Vorschrift dient dazu, den Anwendungsbereich des Verbots von Marktmachtmissbrauch auf bedeutende Missbrauchssachverhalte mit gemeinschaftsweiter Dimension einzuschränken. Das Wettbewerbsschutzprotokoll sieht diese einschränkende Formulierung nicht vor und verbietet stattdessen den Missbrauch auf dem „jeweiligen Markt“. Relativierend wirkt allerdings die Tatsache, dass nur Verhaltensweisen in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsschutzprotokolls fallen, die den zwischenstaatlichen Handel tatsächlich beeinträchtigen, während im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union bereits die Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ausreicht. Die Eignung wurde vom Europäischen Gerichtshof zudem weit ausgelegt, weshalb die Zwischenstaatlichkeitsklausel in der Praxis der Europäischen Union in der Vergangenheit eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Dadurch, dass der zwischenstaatliche Handel im Mercosur tatsächlich beeinträchtigt sein muss und nicht schon die abstrakt-logische Eignung hierzu ausreicht, werden solche Missbrauchssachverhalte aus der Anwendung des Wettbewerbsschutzprotokolls herausgenommen, die für den gemeinsamen Binnenmarkt von untergeordneter Bedeutung sind. Die Möglichkeit einer engeren Auslegung der Zwischenstaatlichkeitsklausel im Mercosur ersetzt das Erfordernis der Marktführerschaft auf mindestens einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes in der Europäischen Union. 60. Im Rahmen der Fragestellung, welche Form der bisher noch nicht geregelten Erlaubnis an sich wettbewerbswidriger, aber insgesamt für den Wettbewerb vorteilhafter Verhaltensweisen für den Mercosur zu befürworten ist, wird ausführlich und kritisch auf die durch die EG-Kartellverfahrensverordnung 1/03 eingeführten Neuerungen im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union eingegangen und eine Legalausnahmeregelung auch für eine praktikable Lösung im Mercosur gehalten. 61. Neben einem Legalausnahmesystem, wie es im EG-Wettbewerbsrecht mit der Verordnung 1/03 eingeführt wurde, stehen zwei weitere Modelle zur Auswahl: Ein Erlaubnisvorbehalt, wie er vor der Verordnung 1/03 in der Europäischen Union galt und nach wie vor in Brasilien praktiziert wird, oder ein Verbotsvorbehalt für Verhaltensweisen, die das wirtschaftliche Allgemeininteresse beeinträchtigen, wie es in Argentinien angewendet wird. Im Unterschied zu der aus dem US-Antitrustrecht bekannten rule of reason ermöglicht letzteres Konzept grundsätzlich auch Handlungen für zulässig zu erachten, die nicht lediglich die Effizienz des Wettbewerbs fördern, sondern auch Vorteile allgemeinwirtschaftlicher Natur mit sich bringen. Zudem dreht es das Kausalitätserfordernis um. Während im US-Antitrustrecht – wie auch im EG-Wettbewerbsrecht – die wettbewerbsbeschränkende Maß-

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nahme kausal für die rechtfertigende positive Wirkung sein muss, damit sie ausnahmsweise erlaubt sein kann, so muss im argentinischen Recht die Kausalität zwischen der wettbewerbsbeschränkenden Handlung und der Schädigung des wirtschaftlichen Allgemeininteresses gegeben sein, damit sie verboten ist. 62. Es wird herausgestellt, dass das argentinische System eine ähnliche Rechtswirkung entfaltet wie das durch die EG-Verordnung 1/03 eingeführte Verbot mit Legalausnahme im europäischen Wettbewerbsrecht: Eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme ist in Argentinien juristisch vom Zeitpunkt ihrer Vornahme an verboten, wenn sie geeignet ist, das wirtschaftliche Allgemeininteresse zu schädigen. Faktisch ist sie aber so lange möglich, bis die Wettbewerbsbehörde von Amts wegen oder auf Anzeige einer interessierten Partei hin die Unvereinbarkeit mit dem wirtschaftlichen Allgemeininteresse feststellt. Im EU-Wettbewerbsrecht ist eine wettbewerbsbeschränkende Handlung ebenfalls vom Zeitpunkt ihrer Vornahme an verboten, wenn sie nicht den gesetzlichen Ausnahmetatbestand nach Art. 81 Abs. 3 EGV erfüllt. Das Verbotsgesetz mutiert durch die Neuregelung im EG-Kartellrecht jedoch zur erfahrungsgemäß ineffektiven Missbrauchsaufsicht. Verhaltensweisen sind faktisch solange möglich, bis nicht eine nationale Behörde oder ein nationales Gericht oder die europäische Kommission die Unvereinbarkeit mit Art. 81 Abs. 1 EGV und das Fehlen der Rechtfertigungsgründe des Art. 81 Abs. 3 EGV feststellt. Dass man sich bei der Verabschiedung des Wettbewerbsschutzprotokolls nicht auf eine Ausnahmevorschrift einigen konnte, ist im Hinblick auf die unterschiedlichen Ansätze in den Wettbewerbsordnungen Brasiliens und Argentiniens nicht verwunderlich. 63. Unbeschadet der Tatsache, dass für das Durchsetzten völkerrechtlicher Bestimmungen grundsätzlich der gute Wille der Vertragsstaaten ausschlaggebend ist, scheint außerordentlich viel guter Wille erforderlich zu sein, damit ein Konsens innerhalb des Wettbewerbskomitees zustande kommt. Ein Vertragsstaat wird einem Untersuchungsverfahren gegen ein in seinem Territorium ansässigen Unternehmen nur ungern zustimmen oder sich der Gegenstimme enthalten. Selbst wenn ein Verfahren eingeleitet wird, weil ein klarer Verstoß gegen das Wettbewerbsschutzprotokoll nicht verneint werden kann, wird die Untersuchung möglicherweise nicht mit der notwendigen Sorgfalt durchgeführt; denn die Untersuchung ist ausgerechnet von dem nationalen Anwendungsorgan durchzuführen, in dessen Staat das beschuldigte Unternehmen sitzt. Wirkt sich die beanstandete Verhaltensweise nicht auch im eigenen Territorium aus, so dürfte es kaum im Interesse des nationalen Anwendungsorgans liegen, eines „seiner“ Unternehmen zu bestrafen.

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64. Dass ein Tätigwerden des Wettbewerbskomitees von Wirtschaftsteilnehmern praktisch nicht eingeklagt werden kann, entspricht dem zwischenstaatlichen Charakter des Mercosur und verdeutlicht im Übrigen, dass auch das Wettbewerbsschutzprotokoll, ebenso wie anderes Mercosur-Recht, trotz der klaren Verbotsaussage nicht unmittelbar anwendbar sein kann. Es wird herausgestellt, dass die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit jedoch nicht zwangsläufig ein Nachteil sein muss. Jedenfalls ist ein zwischenstaatliches, aber innerstaatlich akzeptiertes Recht einem supranationalen Rechtssystem, dem es aber von vornherein an Akzeptanz fehlt, wie etwa bei dem Andenpakt der Fall, vorzuziehen. 65. Im Laufe der Untersuchung der Regelbeispiele verbotener Verhaltensweisen wird mehrfach betont, dass auch Wettbewerbsschutzgesetze wie alle Gesetze der Verwirklichung der Freiheit dienen, auch wenn sie zunächst eine Einschränkung der Privatautonomie darstellen. Die Einschränkung der Privatautonomie muss aber in einem angemessenen Verhältnis zu dem schutzwürdigen Zweck stehen. Aus diesem Grund sind viele Beispieltatbestände nicht grundsätzlich verboten, sondern nur, wenn die entsprechende Verhaltensweise von einem marktbeherrschenden Unternehmen oder von einem Kartell ausgeht. Dies gilt insbesondere für das Diskriminierungsverbot, das Koppelungsverbot, das Verbot der Lieferverweigerung, das Verbot von Ausschließlichkeitsbindungen und das Verbot der Kampfpreisunterbietung: 66. Es entspricht der Handlungs- und Vertragsfreiheit, also dem Privatheitsprinzip, Verträge frei zu gestalten und Handelspartner trotz gleichwertiger Leistungen unterschiedlich zu behandeln. Ein Verbot der unterschiedlichen Behandlung von Marktpartnern und die damit einhergehende Einschränkung der Vertragsfreiheit sind gerechtfertigt, wenn die Wettbewerbsordnung gefährdet ist. Hiervon ist nur im Fall der kollektiven Diskriminierung oder bei erheblicher Marktmacht des diskriminierenden Unternehmens auszugehen. Dass Diskriminierungen, die von einem einzelnen nicht marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen, nicht verboten sind, ergibt sich auch aus dem Wortlaut des Regelbeispiels in Art. 6 Nr. VII des Wettbewerbsschutzprotokolls, der im Einklang mit Art. 81 Abs. 1 lit. d EGV die „Anwendung“ unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern verbietet. Diese Formulierung beinhaltet die Ausübung von Zwang, der nur von einem marktführenden Unternehmen oder einem Kartell ausgehen kann. 67. Ebenso entspricht es der Vertragsfreiheit, Produkte oder Leistungen gemeinsam zu verkaufen. Etwaige Vertragspartner sind nicht gezwungen, das Geschäft abzuschließen. Nur, wenn die Koppelung von einem marktbeherrschenden Unternehmen oder Kartell ausgeht, ist die Auswahlfreiheit Dritter so stark eingeschränkt, dass ein Verbot gerechtfertigt scheint.

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68. Auch die einseitige Lieferverweigerung seitens eines einzelnen nicht marktstarken Unternehmens führt zu keiner Beschränkung des Wettbewerbs, sondern ist Ausdruck der Handlungs- und Vertragsfreiheit. Grundsätzlich steht es jedem Unternehmen frei zu bestimmen, mit welchen anderen Unternehmen es Handel betreibt. Die freie Entscheidung über die Aufnahme oder den Abbruch von Geschäftsbeziehungen ist Teil der Privatautonomie und unverzichtbares Rechtsinstitut privater Wettbewerbswirtschaft. Eine Einschränkung der Handlungs- und Vertragsfreiheit von Marktteilnehmern durch das Verbot der Lieferverweigerung ist nur im Falle der Gefährdung des freien Wettbewerbs und damit der Handlungs- und Vertragsfreiheit selbst gerechtfertigt. Dabei sind grundsätzlich auch marktbeherrschende Unternehmen berechtigt, unternehmerische Eigeninteressen zur Geltung zu bringen. Die Lieferverweigerung muss im Hinblick auf die Wahrung der Eigeninteressen unverhältnismäßig sein, um als missbräuchlich zu gelten. 69. Aus dem gleichen Grunde wäre ein grundsätzliches Verbot ausschließlicher Bezugs- oder Liefervereinbarungen, welche die wirtschaftliche Freiheit der gebundenen Unternehmen beschränken, ein unzulässiger Eingriff in die Privatheit der Wirtschaftsteilnehmer. Diese erlaubt es, sich vertraglich binden zu können; denn jeder darf sich selbst verpflichten und rechtlich handeln, wie es ihm beliebt. Nur im Fall von bereits bestehender Marktmacht können sich Ausschließlichkeitsvereinbarungen zu Lasten des Wettbewerbs auswirken, und ein Verbot kann ausnahmsweise rechtfertigbar sein. Im Zustand von freiem Wettbewerb wirken sich Ausschließlichkeitsklauseln in Verträgen nicht per se zu Lasten von Wettbewerbern des bindenden Unternehmens aus; denn die Mehrheit potentieller Vertragspartner des bindenden Unternehmens ist nicht gebunden. 70. Besonders heikel stellt sich in diesem Zusammenhang das Verbot der Kampfpreisunterbietung dar. Die Auseinandersetzung um den Preis ist eine der offensichtlichsten Formen, anhand derer sich Wettbewerb ausdrückt. Ein Eingriff in die Preisbildungsfreiheit der Wirtschaftsteilnehmer ist nur in engen Grenzen möglich, nämlich vor allem dann, wenn die Absicht erkennbar ist, den Wettbewerber aus dem Markt zu verdrängen. Es wird zu Recht sowohl im europäischen als auch im argentinischen und brasilianischen Wettbewerbsrecht davon ausgegangen, dass die Anwendung von Kampfpreisen das Vorliegen von Marktmacht der Wirtschaftsteilnehmer voraussetzt. 71. Kritisch wird auch auf die inzwischen gefestigte EG-Rechtsprechung (Continental-Can-Doktrin) eingegangen, nach der Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen verboten sind, die zu einer zusätzlichen Beschränkung der Wettbewerbsstruktur führen, welche ohnehin durch die Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist. Der Euro-

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päische Gerichtshof weist auf die „besondere Verantwortung“ hin, den wirksamen und unverfälschten Wettbewerb im Gemeinsamen Markt nicht zu gefährden. Der Interessenschutz rechtfertige kein Verhalten, das auf die Verstärkung einer marktführenden Stellung abziele. Diese Auslegung verkennt, dass jedem Wirtschaften das Streben nach Wachstum und damit nach (weiterer) Marktmacht inhärent ist und jedes Unternehmen durch Wachstum und dem damit einhergehenden Ausbau der Marktmacht den Restwettbewerb verringert. Ist diese einmal erreicht, darf das Unternehmen nach oben dargestellter Sichtweise nicht nach weiterer Marktmacht streben, weil die Verringerung des Restwettbewerbs die Marktstruktur verändert. Art. 82 EGV verbietet jedoch nicht die beherrschende Stellung an sich, sondern das missbräuchliche Ausnutzen einer solchen. Wenn die beherrschende Stellung an sich nicht verboten ist, dann darf auch deren weiterer Ausbau nicht verboten sein. Für die Erfüllung des Missbrauchstatbestandes kann nicht entscheidend sein, ob das Unternehmen seine Marktmacht weiter ausbaut, sondern ob es die Möglichkeiten, die ihm die Marktmacht bietet, missbräuchlich, insbesondere zum Schaden des Verbrauchers ausnutzt. Voraussetzung dafür, ein Marktverhalten als missbräuchlich zu qualifizieren, ist, dass das Marktverhalten von demjenigen eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweicht. Das bloße Ausnutzen von Effizienzvorteilen, die dem Unternehmen durch seine Größe zukommen und anderen kleinern Wirtschaftsteilnehmern vorenthalten bleiben, ist jedenfalls kein Missbrauch, auch dann nicht, wenn das Unternehmen dadurch weitere Marktanteile gewinnt.

Ausblick Im Zusammenhang mit der in den achtziger Jahren in Lateinamerika vorherrschenden protektionistischen Wirtschaftspolitik wurde der Begriff „verlorenes Jahrzehnt“ geprägt. Die Rückkehr der beiden großen südamerikanischen Länder Argentinien und Brasilien zur Demokratie und die damit einhergehende Annäherung beider gipfelte in der Unterzeichnung des Vertrags von Asunción unter Einbeziehung Paraguays und Uruguays1. Durch die Gründung des Mercosur verbesserte sich die wirtschaftliche Situation der beteiligten Länder zunächst so abrupt, dass die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik den Mercosur als das gelungenste Integrationsprojekt in Südamerika bezeichnete2. Neben den wirtschaftlichen gab es auch integrationspolitische Erfolge. Durch die Angleichung von Normen und technischen Standards konnten zahlreiche nichttarifäre Handelshemmnisse beseitigt werden3. Man bewegte sich zielstrebig auf den angestrebten Gemeinsamen Markt zu. Die Krisenjahre 1999–2002 haben jedoch eine Stagnation der zunächst beachtlichen Entwicklung4 bewirkt, so dass der Mercosur bisher das angestrebte Integrationsstadium eines Gemeinsamen Marktes nicht vollständig erreichen konnte. Es besteht die Hoffnung, dass bis 2008 das Problem der Doppelverzollung für Drittstaatswaren beseitigt sein wird und der Mercosur dann, wie dargestellt wurde5, gemessen am Maßstab eines ebenfalls unvollkommenen Gemeinsamen europäischen Marktes als Gemeinsamer Markt qualifizierbar wäre, ohne freilich die Integrationsbemühungen damit als beendet zu betrachten. Aber auch wenn die Anfangseuphorie der Gründerjahre seit der Währungsabwertung in Brasilien und der damit einhergegangenen schweren wirtschaftlichen Krise in Argen1 E. Rivas, El futuro del Mercosur, Comunicação & política, Vol. XI (2004) 1, S. 171 ff. 2 A. O’Connell, Los desafíos del MERCOSUR ante la devaluación de la moneda brasilera, S. 5. So auch die einhellige Meinung in der Literatur, statt vieler vgl. D. Flemes, Seguridad Cooperativa en el Sur de América Latina, S. 2. 3 R. E. Di Martino Ortiz, Instituciones de la Unión Europea y del Mercosur, S. 71, 88. 4 J. Basedow/J. Samtleben, Vorwort in: MPI, Rechtsquellen des Mercosur I; E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 177; E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 177; S. Abreu Bonilla, Mercosur e integración, S. 35; E. Rivas, El futuro del Mercosur, Comunicação & política, Vol. XI (2004) 1, S. 179. 5 Teil 2, V.

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tinien6 verflogen ist, sind sich die Staatspräsidenten einig, dass den Mercosur gemeinsame Werte, Traditionen und eine gemeinsame Zukunft vereinen, und man will den eingeschlagenen Weg weitergehen7. Beispielhaft hierfür ist die neue Dynamik sowohl in der Normschaffungsaktivität als auch in den Außenbeziehungen des Mercosur, die seit etwa 2002 zu verzeichnen ist8. Wegweisend ist die Verabschiedung des Protokolls von Olivos, das das Protokoll von Brasilia ablöst und wonach ein ständiges Revisionsgericht einrichtet wurde. Das mit dem Protokoll von Olivos eingeführte Vorlageverfahren wird die einheitliche Auslegung des Mercosur-Rechts fördern. Institutionell ist zudem ein Mercosur-Parlament in Vorbereitung, in dem direkt von den Völkern gewählte Vertreter sitzen9. Neben Bolivien und Chile haben sich vier weitere Staaten mit dem Mercosur assoziiert: Peru, Venezuela, Ecuador und Kolumbien. Auf dem Gipfeltreffen im Dezember 2005 in Montevideo beschlossen die vier Mercosur-Vertragsstaaten zudem, Venezuela bis 2007 als Vollmitglied aufzunehmen. Der Vertrag über die Aufnahme Venezuelas wurde im Juli 2006 zwischen den vier bisherigen Mitgliedstaaten und Venezuela geschlossen10, ist aber bisher nicht in Kraft getreten. Mit der Einbindung des an Erdöl reichen Landes wird der Mercosur an wirtschaftlichem Gewicht gewinnen, was auch die europäischen Staaten zukünftig in den Verhandlungen über den Welthandel spüren dürften11. Ähnliche interregionale Kooperationsabkommen, wie sie mit der Europäischen Union in Kraft sind, wurden mit Kanada, Mexiko, Südafrika, Ägypten, Indien, Israel, Pakistan und der Andengemeinschaft geschlossen. Das Ziel ist die Schaffung einer Freihandelzone zwischen dem Mercosur und den jeweiligen Regionen. Unterdessen zeigt auch der neue Boom ausländischer Direktinvestitionen, dass das Ausland am Mercosur festhält12. Das höchste Wirtschaftswachstum seit über 12 Jahren in Argentinien, seit über 10 Jahren in Brasilien und seit über 9 Jahren in Paraguay sowie ein un6 Der Zusammenhang wird dargestellt bei E. Holz, Internalización y acuerdos de liberalización en servicios financieros, S. 137 ff. 7 Abs. 15 und 18 des Consenso de Buenos Aires, unterzeichnet vom argentinischen Präsidenten Néstor Kirchner und dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva am 16.10.2003 in Buenos Aires. 8 Diese erkennen auch N. Lavranos, An introduction into the Regional Economic Integration Process of the Americas, ZEuS 2001 Nr. 1, S. 144; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, The Common Market of the Southern Cone, 2005, S. 5. 9 Ratsentscheidung 49/04; vgl. auch bereits Teil 1, II. 2. a); hierzu A. Dreyzin de Klor, La necesidad de un Parlamento para el Mercosur, S. 23 ff.; C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 243 ff. 10 Protocolo de adhesión de la Repfflblica Bolivariana de Venezuela al MERCOSUR, unterzeichnet am 04.07.2006 in Caracas. 11 So das Urteil der deutschen Außenhandelskammern, vgl. http://www.mercosurinfo.com/al/index.shtml. 12 Vgl. Hinweise in Fn. 659 (2. Teil).

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erwartet hohes Wirtschaftswachstum in Uruguay einhergehend mit einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit in allen vier Ländern13 und gestiegenen Ausfuhren des gesamten Wirtschaftsblocks14 bei moderaten Inflationsraten und konsolidierten Haushalten15 zeigen, dass der Mercosur die Argentinienkrise überstanden zu haben scheint16. Der Mercosur ist nicht nur das Ergebnis eines Paradigmenwechsels in der Region zugunsten von Demokratie und freier Marktwirtschaft nach einer langen Phase von Autoritarismus und Importsubstitution. Angesichts der Gefahr der Vereinnahmung Südamerikas durch die USA wurde die Gründung des Mercosur auch als eine Alternative zu einer von den USA angestrebten gesamtamerikanischen Freihandelszone (Free Trade Area of the Amercias – FTAA / Área de Libre Comercio de las Américas – ALCA) verstanden17, von der angenommen wird, dass sie weniger der Region als vor allem den Hegemonialinteressen der USA diene18. In der möglichen Bildung der FTAA liegt wohl auch die besondere Unterstützung des Mercosur durch die Europäische Union begründet, die die Integrationsbemühungen im südlichen Lateinamerika wie keine andere fördert. Man möchte vermeiden, Handelsvolumen an die USA abzugeben, wie dies im Fall von Me13 Wirtschaftswachstum: 9% in Argentinien, 4% in Brasilien, 12,3% in Uruguay und 4% in Paraguay; Rückgang der Arbeitslosigkeit: 13,6% in Argentinien, 11,5% in Brasilien, 13,1% in Uruguay und 10% in Paraguay, vgl. INTAL-BID (Instituto para la Integración de América Latina y el Caribe – Banco Interamericano de Desarrollo), Informe Mercosur Nr. 10, 2005, S. 6 f., S. 11, 15, 18; CEPAL (Comisión Económica para América Latina y el Caribe), Preliminary Overview of the Economies of Latin America and the Caribbean, 2004, S. 75–77; 83–85; 91–93; 97–99. 14 EU-Kommission, La Unión Europea, América Latina y el Caribe, S. 38; CEPAL, Preliminary Overview, S. 24, 28 und 30. 15 INTAL-BID, Informe Mercosur Nr. 10, 2005, S. 3 ff. 16 Der Mercosur wird wieder als einer der wichtigsten Handelsblöcke der westlichen Hemisphäre betrachtet, vgl. E. Croce/H. Juan-Ramón/F. Zhu, Performance of Western Hemisphere Trading Blocs: A Cost-Corrected Gravity Approach, in: International Monetray Fund (Hrsg.), Working Paper 04/109, 2004, S. 3; J. P. Schmidt, Neue Impulse durch institutionelle Reformen – der Mercosur ist wieder auf Kurs, EuZW 2005, S. 139 ff. erkennt eine Aufbruchstimmung im Mercosur; positiv bereits E. Ramos da Silva, Rechtsangleichung im Mercosul, S. 19. 17 S. Gratius/H. Coronado, Zehn Jahre Mercosur, S. 42 f. 18 J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 260; so auch der Tenor bei M. E. Carranza, Mercosur, The Free Trade Area of the Americas, and the future of U.S. Hegemony in Latin America, Fordham Int’l L.J., Bd. 27 (2004), S. 1029 ff.; M. Á. Ciuro Caldani, Introducción: ¿Optimismo o Ilusión?, in: ders. (Hrsg.), Del Mercosur – Aduana, Jurisdicción, Informática, Relaciones Intercomunitarias, 1996, S. 9; E. Rivas, El futuro del Mercosur, Comunicação & política, Vol. XI (2004) 1, S. 182 f.; M. E. Carranza, Mercosur, The Free Trade Area of the Americas, and the future of U.S. Hegemony in Latin America, Fordham Int’l L.J., Bd. 27 (2004), insb. S. 1037 ff.

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xiko nach dessen Beitritt zur North American Free Trade Area – NAFTA – geschehen ist19. Europa misst dem Mercosur jedoch nicht nur eine strategische Bedeutung zu20. Vielmehr wird im Mercosur der Schlüssel für eine positive Entwicklung einer Region gesehen, mit der man kulturelle und historische Gemeinsamkeiten teilt21. Die Europäische Union gewährte dem Mercosur Hilfen zur Vervollständigung des Gemeinsamen Marktes in Höhe von 48 Mio. Euro für den Zeitraum 2002–200622 und denkt über weitere Unterstützung für die Jahre 2007–2013 nach23. Der Mercosur hat seinerseits die Fortentwicklung der Beziehungen mit der Europäischen Union im Aktionsplan 2004–2006 festgeschrieben24. Schon aufgrund der Unterstützung durch die Europäische Union kommt dem Mercosur anders als älteren Integrationsmodellen in Lateinamerika eine besondere Bedeutung zu. Aus Sicht des Mercosur steht die mögliche Gründung der FTAA, welche ohnehin keine über eine Freihandelszone zwischen den Staaten Amerikas hinausgehende Integration anstrebt, einer Weiterentwicklung des Mercosur nicht entgegen. Vielmehr soll der Mercosur innerhalb einer gesamtamerikanischen Freihandelzone, sollte sie Wirklichkeit werden, bestehen bleiben25. Dass die Wettbewerbspolitik eine der Schlüsselfragen zum Erreichen von Wettbewerbsfähigkeit26 und damit Wohlstand27 und letztlich für die Zukunft 19 Diese Vermutung äußern S. Gratius/H. Coronado, Zehn Jahre Mercosur, S. 50; so auch der Tenor bei H. Sangmeister, Der ALCA-Prozess: James Monroe versus Simón Bolívar, in: Ibero-Amerikanisches Institut Preußischer Kulturbesitz (Hrsg.), Ibero-Analysen Nr. 14, 2003, insb. S. 15 ff. Ein Konkurrenzverhältnis zwischen der Europäischen Union und den USA über Einflusszonen erkennen auch: I. Malcher, Der Mercosur in der Weltökonomie, S. 9, 162 ff.; J. Vervaele, Mercosur, ICLQ Vol. 54 (2005), S. 389; E. Rivas, El futuro del Mercosur, Comunicação & política, Vol. XI (2004) 1, S. 185 f. 20 Das strategische Interesse am Mercosur ist bereits an den Namen der Veröffentlichungen der EU-Kommission zu erkennen, vgl. EU-Kommission, La Unión Europea, América Latina y el Caribe: una asociación estratégica; EU-Kommission (Directorate Latin America, Mercosur, Chile Unit), Mercosur – European Community Regional Strategy Paper, v. 10.09.2002. 21 EU-Kommission, La Unión Europea, América Latina y el Caribe, S. 36. Auf die kulturelle und historische Verbundenheit weisen auch Romano Prodi, Christopher Patten und Pascal Lamy hin, in: EU-Kommission, Unión Europea – Mercosur, Una Asociación para el Futuro, S. 3, S. 5 f., S. 11. 22 Vgl. EU-Kommission, Mercosur – European Community Regional Strategy Paper, Anhang IX und X. 23 Vgl. Webseite der Europäischen Union: http://europa.eu.int/comm/external_re lations/mercosur/intro/index.htm. 24 Ratsentscheidung 26/03, Punkt 2.2.1. 25 Consenso de Buenos Aires, Abs. 18. 26 D. W. Benecke, Las reformas económicas de la segunda generación en América Latina – Desafío para la política económica, Contribuciones 17 (2000) Nr. 68, S. 38.

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des Mercosur insgesamt ist28, haben die Vertragsstaaten mit dem klaren Bekenntnis zu freiem und unverfälschtem Wettbewerb im Wettbewerbsschutzprotokoll bekräftigt. Dennoch ist man sich einig, dass die Wirtschaftsintegration sich nicht auf ökonomische Ziele beschränken darf29. Wettbewerb ist Teil einer Gesamtordnung, die als freiheitliche Demokratie in Erscheinung tritt30, d.h. er muss in den Grenzen von Gerechtigkeit, Moral und Menschenwürde veranstaltet werden31. Die 1998 von den vier Präsidenten unterzeichnete Declaración Sociolaboral 32 stellt soziale Grundstandards auf, die in allen Ländern eingehalten werden sollen. Die Staatschefs verpflichten sich, die Arbeitsbedingungen und Chancengleichheit zu verbessern, die sozialen Sicherungssysteme auszubauen und die Koalitionsfreiheit zu gewährleisten. Die Erklärung verurteilt Kinderarbeit ebenso wie Diskriminierungen am Arbeitsplatz und stellt die Achtung der Menschenrechte heraus. Die Koalitionsfreiheit und die ausdrückliche Anerkennung von Gewerkschaften (sindicatos) und des Rechts auf Streik33 sind Voraussetzung für eine gleichmäßigere Verteilung des Einkommens34. Die Erklärung folgt der Erfahrung, dass trotz Wirtschaftswachstum die soziale Ungleichheit wachsen kann35. Auf bilateraler Ebene haben die Präsidenten Brasiliens und Argentiniens im Consenso de Buenos Aires die Überzeugung bekräftigt, 27 C. Ch. v. Weizsäcker, Über den optimalen Umfang der Staatstätigkeit, Paderborn u. a. 2004, insb. S. 28. 28 F. Peña, Una política de competencia económica en el Mercosur, BLC 2001 Nr. 12, S. 9 f. 29 R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 448. 30 Hierzu E. Hoppmann, Freiheitliche Wirtschaftspolitik und Verfassung, in: FG Willgerodt, S. 3 ff., insb. S. 10 ff.; ders., Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 186; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, insb. 8. Kap. VI., 10. Kap. V. 31 B. Saravia Frías, Concentración empresarial y defensa de la competencia en el Mercosur, Anuario de Derecho (Buenos Aires) 1999 Nr. 5, S. 149. 32 Unterzeichnet in Rio de Janeiro am 10.12.1998; abrufbar unter http://www.tra bajo.gov.ar/crem/documentacion/declaracion.htm. hierzu: C. A. Gonzáles Garabelli, Procesos de Integración, S. 149; H. Babace, Derecho de la Integración, S. 239 f.; H. R. Mansueti, Derecho del Trabajo en el Mercosur, S. 99 ff. 33 Declaración Sociolaboral, Art. 11. 34 Vgl. K. A. Schachtschneider, Flächentarifverträge und die soziale Frage, in: D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche (Hrsg.), Karl Albrecht Schachtschneider: Freiheit – Recht – Staat. Eine Aufsatzsammlung zum 65. Geburtstag, 2005, S. 324 ff., insb. S. 328 ff. In Deutschland ist die Koalitionsfreiheit aus diesem Grunde in das System der freiheitlichen Grundrechtsgarantien eingeordnet, vgl. R. Scholz, Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit anhand ausgewählter Entscheidungen zur Rechtsstellung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, 1972, S. 11 f. Zum teilweise sehr jungen Streikrecht in den Mercosur-Mitgliedstaaten vgl. M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, S. 107 ff.; H. Babace, Derecho de la Integración y Relaciones Laborales, S. 267 ff.

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die demokratischen Strukturen im Mercosur weiter zu festigen36, Armut zu bekämpfen, den Zugang zu Bildung zu verbessern und sozial ausgewogener zu gestalten; Letzterer ist ein besonders wichtiger Punkt, denn dem Humankapital im Mercosur werden erhebliche Defizite bescheinigt37. Die beiden Präsidenten sehen im Mercosur auch ein Mittel zur Stärkung der Stimme der Region in der internationalen Politik. Sie fordern die Welt auf, gegen den destabilisierenden Fluss spekulativen Finanzkapitals vorzugehen38 und die Prinzipien des internationalen Rechts und insbesondere die UN-Charta zum Erhalt des Friedens in der Welt zu respektieren39, was unter anderem als eine Missbilligung der Irak-Politik der USA gewertet werden kann. Die Beachtung der Demokratie und der als universell und unteilbar erachteten Menschenrechte wurde jüngst durch das Menschenrechtsprotokoll noch einmal staatsvertraglich festgeschrieben40. Das bereits 1998 als Reaktion auf Umsturzversuche in Paraguay verabschiedete Protokoll von Ushuaia41 ermöglicht es, solche Staaten aus dem Mercosur auszuschließen, die nicht den demokratischen Grundwerten verpflichtet sind. Die erwähnte Fortentwicklung der Gemeinsamen Parlamentarischen Kommission zu einem Mercosur-Parlament, die Einrichtung eines Ausschusses für Menschenrechtsfragen im Forum für Politische Beratung und Abstimmung42 und ei35 Diese Erfahrung mussten die Mercosur-Länder in der ersten Hälfte der 1990erJahre machen, vgl. H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur, S. 30. 36 Vgl. auch bereits Declaración Presidencial sobre Compromiso Democrático en el Mercosur, geschlossen zwischen den Republiken Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay am 25.06.1996. 37 H. Sangmeister, Zehn Jahre Mercosur, S. 28. 38 Consenso de Buenos Aires, Abs. 16. Auf die destabilisierende Wirkung von Spekulationskrisen an den Finanzmärkten auf die Weltkonjunktur verweist auch: W. Hankel, Der lange Weg zum monetären Völkerrecht – Geschichte der Geldlehren, Lehren der Geldgeschichte, in: K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 25–46, insb. S. 46. Kritik an der grenzenlosen und ungeregelten Kapitalverkehrsfreiheit in der globalisierten Welt übt auch: K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 253–27, insb. S. 289 ff. 39 Consenso de Buenos Aires, Art. 21. 40 Protocolo de Asunción sobre compromiso con la promoción y protección de los Derechos Humanos en el MERCOSUR, verabschiedet mit Ratsentscheidung 17/05. Der 5. Erwägungsgrund der Declaración Sociolaboral bestätigt die Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte, wie sie in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 niederlegt sind. Im ersten und zweiten Erwägungsgrund der Ratsentscheidung 40/04 werden der Schutz und die Förderung der Menschenrechte als fundamental für die Konstruktion freier Gesellschaften und als essentielle Ziele des Mercosur angesehen. 41 Protocolo de Ushuaia sobre compromiso democrático en el Mercosur, La Repfflblica de Bolivia y la Repfflblica de Chile, unterzeichnet am 24.07.1998 in Ushuaia, Argentinien. 42 Ratsentscheidung 40/04, Art. 1.

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nes Zentrums zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit, welches dem Revisionsgericht angegliedert ist43, sowie die geplante Gründung eines Instituts für Sozialfragen44 zeigen, dass die Mercosur-Staaten den formulierten Zielen auch Taten folgen lassen. Dass Wirtschaftswachstum und Wettbewerb nicht als einziger Maßstab gesehen werden, an dem der Erfolg der Integrationsbemühungen zu messen ist, sowie das Bekenntnis zu Demokratie und Achtung der Menschenrechte sind entscheidende Unterschiede zu voran gegangenen Integrationsbemühungen in Südamerika45. Man folgt offenbar der Erkenntnis, dass das demokratische Prinzip, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen soll, nicht aufgegeben werden darf46. Auch Wettbewerb, der über die Staatsgrenzen hinweg veranstaltet wird, muss sich in das Gemeinwohl einfügen und eine hinreichende Gleichheit der Chancen zwischen den Teilnehmern gewährleisten47 und legitimiert insbesondere nicht eine Desozialisierung der Lebensverhältnisse48. Zu Recht hebt bereits die Präambel des Vertrags von Asunción die Integration der Märkte der Vertragsstaaten als ein Mittel zur beschleunigten wirtschaftlichen Entwicklung bei gleichzeitiger sozialer Gerechtigkeit hervor49, während im Gemeinsamen Markt die Grundlage für einen immer engeren Zusammenschluss zwischen den Völkern gesehen wird50. Man hat im Mercosur erkannt, dass Wirtschaftsintegration kein Selbstzweck ist, sondern dem Wohl aller dienen muss51 und dass das Demokratie43 „Centro MERCOSUR de Promoción de Estado de Derecho“, begründet mit Ratsentscheidung 24/04. 44 Ratsentscheidung 19/06, Art. 1. 45 Dass bezüglich des Demokratieverständnisses ein „neuer Wind weht“ in Südamerika, empfindet auch J. P. Montero Traibel, MERCOSUR, S. 90. 46 So für Deutschland im Verhältnis zur Europäischen Union: K. A. Schachtschneider, Regieren für statt durch das Volk?, S. 209 ff., 219 ff. 47 K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 322 ff.; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 304. 48 K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 303 f.; ders., Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, S. 685. 49 1. Erwägungsgrund. Bestätigt durch: Declaración Sociolaboral, 1. Erwägungsgrund und Art. 13; Consenso de Buenos Aires, Abs. 1 und 16. 50 7. Erwägungsgrund der Präambel des Vertrags von Asunción. 51 So ausdrücklich in: Consenso de Buenos Aires, Abs. 1 und 18; in diesem Sinne M. A. Sardegna, Las relaciones laborales en el Mercosur, 138; R. R. Díaz Labrano, Mercosur – Integración y derecho, S. 268 f. Zur dienenden Funktion der Wirtschaft für das Allgemeinwohl W. Hankel/W. Nölling/K. A. Schachtschneider/ J. Starbatty, Die Euro-Klage – Warum die Währungsunion scheitern muss, 1998, S. 200 f.; K. A. Schachtschneider, Eigentümer globaler Unternehmen, in: FS Steinmann, S. 414 ff.; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, 319–324.

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und das Sozialprinzip52 das Fundament einer jeden Wirtschaftsintegration sind53. Die zwischenstaatliche Struktur des Mercosur ist die Konsequenz dieses Demokratieverständnisses; ermöglichen supranationale und damit von den Regierungen unabhängige Organe doch die Oktroyierung einer von den Parlamenten der Mitgliedstaaten nicht mitgetragen Rechtsentwicklung54. Die Zwischenstaatlichkeit muss indes kein Hindernis für eine tiefer greifende Integration sein, deren Entwicklung ohnehin, wie dargestellt, auf dem Integrationswillen der Völker beruht und im Übrigen auch beruhen muss, will sie rechtens, also freiheitlich sein55. 52

Zum Sozialprinzip in Deutschland: K. A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip: zu seiner Stellung im Verfassungssystem des Grundgesetzes, Bielefeld 1974, insb. S. 31 ff.; ders., Res publica res populi, S. 243–251; T. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsbund – Gemeinschaftsrechtliche Einflüsse auf das deutsche Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003. 53 Für die Europäische Union vgl. C. Koenig/M. Pechstein, Die Europäische Union – Der Vertrag von Maastricht, S. 149 ff. 54 Zum Demokratiedefizit durch supranationale Gesetzgebung in der Europäischen Union: K. A. Schachtschneider, Das europäisierte Deutschland, Recht und Politik 2003, insb. S. 16–18; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, in: FS Hankel, insb. S. 124 ff.; ders., Regieren für statt durch das Volk?, S. 203–233; ders., Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, S. 625 ff.; C. Gusy, Demokratiedefizite postnationaler Gemeinschaften unter Berücksichtigung der EU, Zeitschrift für Politik 1998, S. 267–281; W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union: Eine Analyse der These vom Demokratiedefizit der Europäischen Union aus gemeineuropäischer Verfassungsperspektive, 1995; R. Stentzel, Integrationsziel Parteiendemokratie – Rechtliche Rahmenbedingungen für eine Demokratisierung der Europäischen Union, 2002, S. 219–345; R. Streinz, Europarecht, S. 111 ff. Rn. 323 ff.; kritisch bereits F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 318–324; vgl. auch Hinweise in Fn. 152 (1. Teil), 1044 (1. Teil). Zwischenstaatliche Ausrichtung ist allerdings kein Garant für Demokratie. Voraussetzung ist auch, dass die Regierungen demokratisch gewählt werden und die gewählten Volksvertreter tatsächlich dem Volke, also der Verwirklichung des kategorischen Imperativs dienen und nicht lediglich die Macht der classa politica zu stärken streben, wie das für die pluralistische Parteienoligarchie in Deutschland kritisiert wird, vgl. K. A. Schachtschneider, Das europäisierte Deutschland, Recht und Politik 2003, S. 13; ders., Deutschland nach dem Konventsentwurf einer „Verfassung für Europa“, in: FS Nölling, S. 315; ders., Res publica res populi, S. 772 ff., 1045 ff., insbesondere S. 1060 ff.; ders., Der republikwidrige Parteienstaat, in: D. Murswieck/U. Storost/H. A. Wolff (Hrsg.), Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, 2000 S. 141 ff. 55 Denn Recht ist der allgemeine Wille für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit, vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 350 ff.; S. 519 ff., S. 567 ff., insb. S. 569 f., S. 617 ff., insb. S. 638, S. 978 ff., insb. S. 980, S. 990 ff., insb. S. 996; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, (2005), S. 52; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 19 ff.; ders., Freiheit in der Republik, 2. Kap. VI, 5. Kap. II. und III.

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Ansätze einer gemeinsamen Außen-56, Sicherheits-57, Sozial-58, Bildungs-59, Kultur-60, Umwelt61- und Verbraucherschutzpolitik62, also der Koordinierung auch solcher Politiken, die nicht unmittelbar der Verwirklichung der Marktfreiheiten dienen, wie auch die Einrichtung von Strukturfonds zur Förderung schwächerer Regionen63 lassen erkennen, dass der Mercosur 56 Vgl. Ratsentscheidungen 32/00 (gemeinsame Wirtschafts- und Außenpolitik); 40/00 (Zusammenarbeit der Zentralbanken gegen Geldwäsche); 8/01 (Verhandlungen mit Drittstaaten); 8/04 (Kooperation mit Japan im Tourismussektor); 28/04 (Verträge mit Drittstaaten). 57 Vgl. Ratsentscheidungen: 5/92 (Gerichtshilfe und justizielle Zusammenarbeit); 2/96 (Zusammenarbeit Justiz); 5/98 (Regionale Sicherheit); 20/99 und 21/99 (Informationsaustausch in Sicherheitsfragen); 22/99 (Regionale Sicherheit); 6/00 (Regionale Sicherheit); 8/00 (Regionale Sicherheit); 12/00 (Illegaler Handel mit radioaktivem Material); 18/00 (Informationsaustausch in Sicherheitsfragen); 3/01 (Internationale Wirtschaftskriminalität); 12/01 (Justizielle Zusammenarbeit); 7/02 (Justizielle Zusammenarbeit); 9/02 (Regionale Sicherheit); 15/04 (Waffenschmuggel); 34/04 (Verlegung von Straftätern); 35/04 (Regionale Sicherheit); 36/04 (Austausch sicherheitsrelevanter Information); 37/04 (Bekämpfung von Menschenhandel); 12/05 (Sträflingsüberführung). 58 Z. B. Einrichtung des Ausschusses für Sozial- und Arbeitsfragen (Comisión Sociolaboral) innerhalb der Gruppe Gemeinsamer Markt, vgl. Entschließung der Gruppe 15/99; gemeinsame Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, vgl. Declaración Sociolaboral, Art. 14; Ratsentscheidung 46/04 u. 4/06 (Strategie zur Verringerung der Arbeitslosigkeit). 59 Vgl. Ratsentscheidung 7/92, 25/97, 26/97, 13/98 (gemeinsame Bildungspolitik); 9/96 (Zusammenarbeit bei Forschung und Ausbildung von Professoren); 4/94, 4/95, 7/95, 8/96, 4/99, 9/05, 6/06 (Anerkennung von Bildungsabschlüssen); 13/98 (Gemeinsame Ziele im Bildungssektor); 16/00 (Politische Bildung); 15/01 (Aktionsplan Bildungspolitik); 26/02 (Übereinkünfte der Bildungsminister); 36/03 (Förderung Forschung); 33/04 (Fonds zur Förderung der Bildung). 60 Vgl. Ratsentscheidungen: 11/96 (Förderung des kulturellen Austauschs); 22/97 (Zusammenarbeit mit UNESCO); 11/06 (Kulturzentrum Mercosur). 61 Vgl. Ratsentscheidungen: 10/00 (Umweltvergehen); 2/01 (Rahmenabkommen über den Umweltschutz); 3/02 und 9/04 (Förderung sauberer Produktion); 14/04 (Umweltschutz-Notfälle); 14/06 (Förderung sauberer Produktion); Der Umweltschutz und eine nachhaltige Entwicklung sollen nach den Maßgaben gefördert werden, wie es unter anderem im Protokoll von Kioto festgeschrieben wurde, vgl. Abs. 14 des Consenso de Buenos Aires. Vgl. auch: 2. Erwägungsgrund der Präambel des Vertrags von Asunción. Zum Umweltschutz im Mercosur vgl. auch C. E. Arcocha, Mercosur: Ecosistema operativo de integración jurídica ambiental, in: M. Á. Ciuro Caldani (Hrsg.), Del Mercosur – Aduana, Jurisdicción, Informática, Relaciones Intercomunitarias, 1996, S. 329 ff. 62 Vgl. Entschließung der Gruppe Gemeinsamer Markt 42/98; Ratsentscheidungen: 21/03 (Strategie gegen den Tabakkonsum); 8/05 u. 25/05 (Aktionsplan Maulund Klauenseuche); 31/05 (Vermeidung einer Vogelgrippe-Pandemie); Acuerdo interinstitucional de entendimiento entre los organismos de defensa del consumidor de los Estados Partes del MERCOSUR para la Defensa del Consumidor visitante, unterzeichnet in Buenos Aires am 03.06.2004; vgl. auch bereits Anmerkungen in Fn. 8.

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über das Ziel eines Gemeinsamen Marktes hinaus eine politische Union anstrebt64. Die z. T. negative Beurteilung der Zukunft des Mercosur65 rührt auch von dem unangemessenen Vergleich der fast 50 Jahre alten Integrationsbemühungen in Europa her. Dass der Mercosur in wenigen Jahren eine der Europäischen Union vergleichbare Integrationstiefe erreichen würde, war kaum zu erwarten. Bis zur Verabschiedung des Vertrags von Maastricht war die Europäische Union, damals noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, kaum in den Köpfen der Unionsbürger verankert; 35 Jahre spielte sie nur eine Rolle im Hintergrund, die im Bewusstsein der Europäer weniger präsent war als heute der Mercosur, der in seinen Mitgliedsländern in aller Munde ist66. Integration ist auch ein soziokulturelles Phänomen, das sich durch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit ausdrückt, welches sich herausbilden muss67. Insoweit kann der Mercosur große Fortschritte verzeichnen und an Bedeutung weiter gewinnen. Die Einrichtung von Schulferien am Tag des Mercosur (26. März) und spezielle Einreiseterminals an Flughäfen für Bürger aus den Mercosur-Mitgliedstaaten68 sind Ausdruck dieses Mercosur-Gefühls.

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Vgl. Ratsentscheidungen 45/04, 18/05; 24/05, 17/06. So auch die Beurteilung von: E. I. Rimoldi de Ladmann, La toma de decisiones en el Mercosur, S. 136; A. Loschky, Mercosur und EU, S. 92; R. Vigil Toledo, La cooperación entre el Tribunal de Justicia de la Comunidad Andina y el Tribunal Permanente de Revisión del Mercosur, ADCL 11 (2005) 2, S. 780; anderer Ansicht J. D. Cristaldo Montaner, Integración: Mercosur también existe, S. 48 f. 65 Vgl. beispielsweise E. J. Rey Caro, La solución de controversias en el Mercosur, S. 100; R. A. Porrata-Doria, MERCOSUR, Ga. J. Int’l & Comp. L. 32 (2004) 1, S. 4 f. 66 Die große Akzeptanz des Mercosur bei den Bürgern der Mitgliedstaaten stellen heraus: R. Bloch, Un nuevo protocolo jurídico para el Mercosur, in: ders. (Hrsg.) La construcción del Mercosur – La evolución de un nuevo actor en las relaciones internacionales, 2003, S. 237; W. Greiner, Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur, S. 126. 67 J. Basedow, Der Mercosur als Integrationsmodell, S. 11. 68 Vgl. Ratsentscheidungen 12/91; 46/00; 47/00. 64

Anhang I. Vertrag von Asunción1 Vertrag zur Errichtung eines Gemeinsamen Marktes zwischen der Republik Argentinien, der Föderativen Republik Brasilien, der Republik Paraguay und der Republik Uruguay Die Republik Argentinien, die Föderative Republik Brasilien, die Republik Paraguay und die Republik Uruguay, im Weiteren als „Vertragsstaaten“ bezeichnet; IN DER ERWÄGUNG, dass die Erweiterung der derzeitigen Dimension ihrer nationalen Märkte im Wege der Integration eine grundlegende Bedingung dafür darstellt, ihre Prozesse der wirtschaftlichen Entwicklung bei [gleichzeitiger] sozialer Gerechtigkeit zu beschleunigen; IN DEM VERSTÄNDNIS, dass diese Zielsetzung erreicht werden soll mittels der wirksamsten Ausnutzung der verfügbaren Ressourcen, der Erhaltung der Umwelt, der Verbesserung der Infrastruktur, der Koordinierung der makroökonomischen Politiken und der Ergänzung der verschiedenen Wirtschaftssektoren, auf der Grundlage der Prinzipien der Gradualität, der Flexibilität und des Gleichgewichts; UNTER BERÜCKSICHTIGUNG der Entwicklung der internationalen Ereignisse, insbesondere der Festigung der großen Wirtschaftsräume, und der Wichtigkeit, eine angemessene internationale Einbindung ihrer Länder zu erreichen; BEKUNDEND, dass dieser Integrationsprozess eine angemessene Antwort auf jene Ereignisse darstellt; IN DEM BEWUSSTSEIN, dass der vorliegende Vertrag als ein neuer Ansatz angesehen werden muss in dem Bemühen um fortschreitende Entwicklung der Integration von Lateinamerika, gemäß der Zielsetzung des Vertrages von Montevideo von 1980; ÜBERZEUGT von der Notwendigkeit, die wissenschaftliche und technologische Entwicklung der Vertragsstaaten zu fördern und ihre Wirtschaften zu modernisieren, um das Angebot und die Qualität der verfügbaren Güter und Dienstleistungen zu vergrößern mit dem Ziel, die Lebensbedingungen ihrer Einwohner zu verbessern; UNTER BEKRÄFTIGUNG ihres politischen Willens, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss zwischen ihren Völkern zu errichten in dem Bestreben, die oben erwähnten Zielstaaten zu erreichen, VEREINBAREN: 1 Die deutsche Übersetzung ist abgedruckt in: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.), Rechtsquellen des Mercosur, Teilband I, Dokument 1. Es wurden einige wenige Änderungen der Übersetzung vorgenommen.

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Anhang Kapitel I – Vorhaben, Grundsätze und Instrumente

Art. 1 – Die Vertragsstaaten entscheiden sich, einen Gemeinsamen Markt zu errichten, der bis zum 31. Dezember 1994 gebildet werden soll, welcher sich „Gemeinsamer Markt des Südens“ (MERCOSUR) nennen wird. Dieser Gemeinsame Markt umfasst: den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren zwischen den Ländern, unter anderem, im Wege der Beseitigung der Zollabgaben und nicht-tarifären Hemmnisse des Warenverkehrs und jedweder anderen gleichwertigen Maßnahme2; die Aufstellung eines gemeinsamen Außenzolls und die Annahme einer gemeinsamen Handelspolitik gegenüber dritten Staaten oder Staatenverbindungen und die Koordination der Positionen in regionalen und internationalen handelswirtschaftlichen Foren; Die Koordination der makroökonomischen und sektoralen Politiken zwischen den Vertragsstaaten: die Außenhandels-, Industrie-, Geld-, Wechsel- und Kapital-, Dienstleistungs-, Transport- und Kommunikationspolitik und andere, die vereinbart werden, um angemessene Wettbewerbsbedingungen zwischen den Staaten sicherzustellen; Die Verpflichtung der Vertragsstaaten, ihre Gesetzgebungen auf den einschlägigen Gebieten zu harmonisieren, um die Stärkung des Integrationsprozesses zu erreichen. Art. 2 – Der Gemeinsame Markt wird auf der Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsstaaten beruhen. Art. 3 – Während der Übergangszeit, die sich von dem Inkrafttreten des vorliegenden Vertrages bis zum 31. Dezember 1994 erstrecken wird, und um die Errichtung des Gemeinsamen Marktes zu erleichtern, beschließen die Vertragsstaaten eine Allgemeine Übergangsregelung, ein System der Streitbeilegung und Klauseln über Schutzmaßnahmen, die sich in den Anhängen II, III und IV des vorliegenden Vertrages finden. Art. 4 – In den Beziehungen mit dritten Ländern gewährleisten die Vertragsstaaten faire Handelsbeziehungen. Zu diesem Zweck wenden sie ihre nationalen Gesetzgebungen an, um Importe zu verhindern, deren Preise durch Subventionen, Dumping oder irgendwelche anderen unlauteren Praktiken beeinflusst sind. Gleichzeitig koordinieren die Vertragsstaaten ihre entsprechenden nationalen Politiken, mit dem Ziel, gemeinsame Normen über Handelswettbewerb auszuarbeiten. Art. 5 – Während der Übergangszeit sind die Hauptinstrumente zur Errichtung des Gemeinsamen Marktes: ein Programm der Handelsliberalisierung, das in fortschreitenden, linearen und automatischen Zollsenkungen besteht, welche durch die Beseitigung von nicht-tarifären Hemmnissen, Maßnahmen gleicher Wirkung sowie von anderen Beschränkungen des Handels zwischen den Vertragsstaaten begleitet werden, um am 31. Dezem2

Nach dem portugiesischen Text: „Maßnahme gleicher Wirkung“.

I. Vertrag von Asunción

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ber 1994 einen Zoll von Null zu erreichen, ohne nicht-tarifäre Hindernisse im gesamten Zollbereich (Anhang I); b) die Koordination der makroökonomischen Politiken, die sich schrittweise und in Übereinstimmung mit den Programmen des Zollabbaus und der Beseitigung der im vorherigen Buchstaben bezeichneten nicht-tarifären Handelshemmnisse vollziehen wird; c) ein gemeinsamer Außenzoll, der die Wettbewerbsfähigkeit der Vertragsstaaten im Aussenhandel fördert; d) der Abschluss von sektoralen Abkommen mit dem Ziel, den Einsatz und die Mobilität der Produktionsfaktoren zu optimieren und effiziente, funktionsfähige Größenordnungen zu erreichen. Art. 6 – Die Vertragsstaaten erkennen einzelne Abweichungen im [Übergangs-] Rhythmus für die Republik Paraguay und für die Republik Uruguay an, die sich aus dem Programm der Handelsliberalisierung (Anhang I) ergeben. Art. 7 – Im Bereich von Steuern, Abgaben und anderen internen Belastungen genießen die Produkte mit Ursprung aus dem Gebiet eines Vertragsstaates in den anderen Vertragsstaaten die gleiche Behandlung, wie sie nationalen Produkten zukommt. Art. 8 – Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die bis zum Datum des Abschlusses des vorliegenden Vertrages eingegangenen Verpflichtungen, einschließlich der im Rahmen der ALADI geschlossenen Abkommen, aufrechtzuerhalten und ihre Positionen bei den auswärtigen Verhandlungen über Handelsfragen zu koordinieren, die sie während der Übergangszeit unternehmen. Dazu: a) vermeiden sie, die Interessen der Vertragsstaaten bei den Verhandlungen über Handelsfragen, die sie [einzeln] untereinander bis zum 31. Dezember 1994 führen, zu beeinträchtigen; b) vermeiden sie, die Interessen der anderen Vertragsstaaten oder die Ziele des Gemeinsamen Marktes in Abkommen, die sie mit andern Mitgliedsländern der ALADI während der Übergangszeit führen, zu beeinträchtigen; c) werden sie sich untereinander konsultieren, sofern sie über weitreichende Pläne eines Zollabbaus, gerichtet auf die Bildung von Freihandelszonen, mit den übrigen Mitgliedsländer der ALADI verhandeln; d) erweitern sie automatisch auf die übrigen Vertragsstaaten jedweden Vorteil, Vergünstigungen, Freiheit, Befreiung oder Vorrecht, die sie einem Produkt gewähren, das seinen Ursprung in dritten Ländern, die nicht Mitglied der ALADI sind, hat oder für solche bestimmt ist.

Kapitel II – Organstruktur Art. 9 – Die Verwaltung und Durchführung des vorliegenden Vertrages und der besonderen Abkommen und Entscheidungen, die in dem rechtlichen Rahmen, den dieser für die Übergangszeit festlegt, angenommen werden, steht in der Verantwortung folgender Organe:

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Anhang

a) Rat des Gemeinsamen Marktes b) Gruppe Gemeinsamer Markt. Art. 10 – Der Rat ist das oberste Organ des Gemeinsamen Marktes, dem die politische Führung desselben zusteht und dem es zukommt, Entscheidungen zu treffen, um die Einhaltung der Zielsetzungen und Fristen sicherzustellen, die zur endgültigen Errichtung des Gemeinsamen Marktes festgelegt worden sind. Art. 11 – Der Rat besteht aus den Außenministern und den Wirtschaftsministern der Vertragsstaaten. Er tagt, sooft es für angebracht gehalten wird, aber mindestens einmal im Jahr unter Beteiligung der Präsidenten der Vertragsstaaten. Art. 12 – Die Präsidentschaft des Rates wird im Wege der Rotation der Vertragsstaaten und in alphabetischer Reihenfolge für Zeiträume von sechs Monaten ausgeübt. Die Tagungen des Rates werden von den Außenministern koordiniert, andere Minister oder Amtsträger auf Ministerebene können zur Teilnahme an ihnen eingeladen werden. Art. 13 – Die Gruppe Gemeinsamer Markt ist das Exekutivorgan des Gemeinsamen Marktes und wird von den Außenministern koordiniert. Die Gruppe Gemeinsamer Markt hat das Initiativrecht. Ihre Aufgaben sind die folgenden: – über die Einhaltung des Vertrags zu wachen; – die Vorkehrungen zu treffen, die zur Erfüllung der vom Rat angenommenen Entscheidungen notwendig sind; – konkrete Maßnahmen vorzuschlagen, gerichtet auf die Anwendung des Programms der Handelsliberalisierung, die Koordination der makroökonomischen Politiken und die Aushandlung von Abkommen mit Dritten; – das Arbeitprogramm festzulegen, das den Fortschritt hin zur Errichtung des Gemeinsamen Marktes sichert. Die Gruppe Gemeinsamer Markt kann die Unterarbeitsgruppen einrichten, die zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen notwendig sind. Anfänglich stehen ihr die im Anhang V erwähnten Unter[arbeits]gruppen zu Verfügung. Die Gruppe Gemeinsamer Markt stellt ihre Geschäftsordnung innerhalb von 60 Tagen nach ihrer Einsetzung auf. Art. 14 – Die Gruppe Gemeinsamer Markt besteht aus vier ordentlichen Mitgliedern und vier stellvertretenden Mitgliedern je Land, welche die folgenden öffentlichen Stellen vertreten: – Außenministerium; – Wirtschaftsministerium oder seine Entsprechungen (Bereiche Industrie, Außenhandel und/oder Wirtschaftskoordination); – Zentralbank.

I. Vertrag von Asunción

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Beim Ausarbeiten und Formulieren von konkreten Maßnahmen im Verlauf ihrer Arbeiten bis zum 31. Dezember 1994 kann die Gruppe Gemeinsamer Markt, wenn sie es für angemessen hält, Vertreter anderer Stellen der öffentlichen Verwaltung und des privaten Sektors hinzuziehen. Art. 15 – Der Gruppe Gemeinsamer Markt steht ein Verwaltungssekretariat zur Verfügung, dessen Hauptaufgaben in der Aufbewahrung der Dokumente und Verbreitung der Aktivitäten jener bestehen. Es hat seinen Sitz in der Stadt Montevideo. Art. 16 – Während der Übergangszeit werden die Entscheidungen des Rates des Gemeinsamen Marktes und der Gruppe Gemeinsamer Markt im Einvernehmen und in Anwesenheit aller Vertragsstaaten getroffen. Art. 17 – Die offiziellen Sprachen des Gemeinsamen Marktes sind Spanisch und Portugiesisch, und die offizielle Fassung der Arbeitsdokumente ist die Sprache des Sitzlandes einer jeden Tagung. Art. 18 – Vor der Errichtung des Gemeinsamen Marktes am 31. Dezember 1994 berufen die Vertragsstaaten eine außerordentliche Tagung ein mit dem Ziel, die endgültige institutionelle Struktur der Verwaltungsorgane des Gemeinsamen Marktes festzulegen, ebenso wie die besonderen Befugnisse eines jeden von ihnen und sein Entscheidungsverfahren. Kapitel III – Geltung Art. 19 – Der vorliegende Vertrag hat eine unbestimmte Dauer und tritt 30 Tage nach dem Datum der Hinterlegung der dritten Ratifikationsurkunde in Kraft. Die Ratifikationsurkunden werden bei der Regierung der Republik Paraguay hinterlegt, welche das Hinterlegungsdatum den Regierungen der übrigen Vertragsstaaten mitteilt. Die Regierung der Republik Paraguay notifiziert der Regierung eines jeden der übrigen Vertragsstaaten das Datum des Inkrafttretens des vorliegenden Vertrages. Kapitel IV – Beitritt Art. 20 – Der vorliegende Vertrag steht den übrigen Mitgliedsländern der ALADI zum Beitritt mittels Verhandlungen offen, deren Anträge durch die Vertragsstaaten nach fünf Jahren der Geltung dieses Vertrages behandelt werden können. Doch können auch vor der besagten Frist die Anträge von Mitgliedstaaten der ALADI berücksichtigt werden, die nicht Teil eines subregionalen Integrationsverfahrens oder einer außerregionalen Vereinigung sind. Die Annahme der Anträge erfolgt durch einstimmige Entscheidung der Vertragsstaaten. Kapitel V – Kündigung Art. 21 – Der Vertragsstaat, der sich von dem vorliegenden Vertrag lösen möchte, muss diese Absicht den übrigen Vertragsstaaten ausdrücklich und förmlich mitteilen, wobei er innerhalb von sechzig (60) Tagen die Übergabe des Kündigungsschreibens

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Anhang

an den Außenminister der Republik Paraguay vornehmen muss, welcher es an die übrigen Vertragsstaaten weiterleitet. Art. 22 – Mit der förmlichen Kündigung enden für den kündigenden Staat die Rechte und Pflichten, die seiner Stellung als Vertragsstaat entsprechen, wobei [jedoch] an denjenigen festgehalten wird, die sich aus dem Liberalisierungsprogramm des vorliegenden Vertrages und aufgrund anderer Aspekte ergeben, welche die Vertragsstaaten gemeinsam mit dem kündigenden Staat innerhalb von sechzig (60) Tagen nach der förmlichen Kündigung vereinbaren. Diese Rechte und Pflichten des kündigenden Staates bleiben für die Zeit von zwei (2) Jahren ab dem Datum der erwähnten förmlichen Kündigung bestehen. Kapitel VI – Allgemeine Bestimmungen Art. 23 – Der vorliegende Vertrag wird „Vertrag von Asunción“ genannt. Art. 24 – Mit dem Ziel, die Bildung des Gemeinsamen Marktes zu erleichtern, wird eine Gemeinsame Parlamentarische Kommission des MERCOSUR eingerichtet. Die Exekutiven der Vertragsstaaten halten die entsprechenden Legislativen unterrichtet über die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes, der Gegenstand des vorliegenden Vertrages ist. GESCHEHEN in der Stadt Asunción, am sechsundzwanzigsten März des Jahres neunzehnhunderteinundneunzig, in einem Original in den Sprachen Spanisch und Portugiesisch, wobei beide Texte gleichermaßen authentisch sind. Die Regierung der Republik Paraguay ist der Depositar des vorliegenden Vertrages und übersendet den Regierungen der übrigen unterzeichnenden und beitretenden Staaten ordnungsgemäß beglaubigte Abschriften desselben. Anhang I – Programm der Handelsliberalisierung [Das Programm der Handelsliberalisierung ist durch Zeitablauf großenteils überholt; die heute noch relevanten Bestimmungen werden in Teilband II der Textsammlung im Abschnitt VI „Warenverkehr“ abgedruckt.] Anhang II – Allgemeine Ursprungsregelung [Die Allgemeine Ursprungsregelung ist durch spätere Rechtsakte ersetzt.] Anhang III – Beilegung von Streitigkeiten [Das in Absatz 1 geregelte System der Streitbeilegung wurde gemäß Absatz 2 durch das Protokoll von Brasilia ersetzt. Das in Absatz 3 vorgesehene Ständige System der Streitbeilegung wurde bisher nicht errichtet.]

II. Protokoll von Ouro Preto

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Anhang IV – Schutzmaßnahmen [Gegenüber dem Liberalisierungsprogramm waren Schutzmaßnahmen in Ausnahmefällen bis zum Ende der Übergangszeit zugelassen.] Anhang V – Unterarbeitsgruppen [Die Aufteilung der Unterarbeitsgruppen der Gruppe Gemeinsamer Markt wurde inzwischen mehrfach geändert und wird laufend angepasst.]

II. Protokoll von Ouro Preto3 Zusatzprotokoll zum Vertrag von Asunción über die Institutionelle Struktur des MERCOSUR Die Republik Argentinien, die Föderative Republik Brasilien, die Republik Paraguay und die Republik Uruguay, im Weiteren als „Vertragsstaaten“ bezeichnet; IN ERFÜLLUNG der Bestimmung des Artikel 18 des Vertrages von Asunción vom 26. März 1991; IM BEWUSSTSEIN der Bedeutung der erreichten Fortschritte und der Inkraftsetzung der Zollunion als Etappe zum Aufbau des Gemeinsamen Marktes; UNTER BEKRÄFTIGUNG der Grundsätze und Zielsetzungen des Vertrages von Asunción und im Hinblick auf die Notwendigkeit einer besonderen Aufmerksamkeit für die weniger entwickelten Länder und Regionen des MERCOSUR; IM HINBLICK auf die dem gesamten Integrationsprozess eigene Dynamik und die daraus folgende Notwendigkeit, die institutionelle Struktur des MERCOSUR an die geschehenen Veränderungen anzupassen; IN ANERKENNUNG der hervorragenden Arbeit, welche die bestehenden Organe während der Übergangszeit geleistet haben; VEREINBAREN: Kapitel I – Struktur des MERCOSUR Art. 1 – Die institutionelle Struktur des MERCOSUR verfügt über die folgenden Organe: I. Den Rat des Gemeinsamen Marktes (CMC) [Consejo del Mercado Comffln]; II. Die Gruppe Gemeinsamer Markt (GMC) [Grupo Mercado Comffln]

3 Die deutsche Übersetzung ist abgedruckt in: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.), Rechtsquellen des Mercosur, Teilband I, Dokument 2. Es wurden einige wenige Änderungen der Übersetzung vorgenommen.

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Anhang

III. Die Handelskommission des MERCOSUR (CCM) [Comisión de Comercio del MERCOSUR]; IV. Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission (CPL) [Comisión Parlamentaria Conjunta]; V. Das Beratungsforum aus Wirtschaft und Gesellschaft (FCES) [Foro Consultivo Económico-Social]; VI. Das Verwaltungssekretariat des MERCOSUR (SAM) [Secretaría Administrativa del MERCOSUR]. Einziger Unterabsatz – Im Rahmen der Bestimmungen dieses Protokolls können die Hilfsorgane geschaffen werden, welche notwendig sind, um die Zielsetzungen des Integrationsprozesses zu verfolgen. Art. 2 – Organe mit Entscheidungsbefugnis und von intergouvernementaler Art sind: der Rat des Gemeinsamen Marktes, die Gruppe Gemeinsamer Markt und die Handelskommission des MERCOSUR. Abschnitt I – Der Rat des Gemeinsamen Marktes Art. 3 – Der Rat des Gemeinsamen Marktes ist das oberste Organ des MERCOSUR, dem die politische Führung des Integrationsprozesses und das Treffen von Entscheidungen obliegt, um die Einhaltung der im Vertrag von Asunción festgelegten Zielsetzungen sicherzustellen und die endgültige Errichtung des Gemeinsamen Marktes zu erreichen. Art. 4 – Der Rat des Gemeinsamen Marktes besteht aus den Außenministern und aus den Wirtschaftministern oder den ihnen entsprechenden [Ministern] der Vertragsstaaten. Art. 5 – Die Präsidentschaft des Rates des Gemeinsamen Marktes wird im Wege der Rotation der Vertragsstaaten, in alphabetischer Reihenfolge, für einen Zeitraum von sechs Monaten ausgeübt. Art. 6 – Der Rat des Gemeinsamen Marktes tagt so oft, wie er es für angebracht hält, mindestens jedoch ein Mal pro Halbjahr unter Beteiligung der Präsidenten der Vertragsstaaten. Art. 7 – Die Tagungen des Rates des Gemeinsamen Marktes werden von den Außenministern koordiniert, andere Minister oder Amtsträger auf Ministerebene können zur Teilnahme daran eingeladen werden. Art. 8 – Aufgaben und Befugnisse des Rates des Gemeinsamen Marktes sind: I.

über die Einhaltung des Vertrags von Asunción, seiner Protokolle und der in seinem Rahmen geschlossenen Abkommen zu wachen;

II.

Grundsätze der Politik zu entwerfen und die für die Bildung des Gemeinsamen Marktes notwendigen Aktionen voranzutreiben;

III.

die Vertretung der Rechtspersönlichkeit des MERCOSUR wahrzunehmen;

IV.

Abkommen im Namen des MERCOSUR mit dritten Ländern, Ländergruppen und internationalen Organisationen auszuhandeln und zu unterzeichnen. Diese

II. Protokoll von Ouro Preto

631

Funktionen können durch ausdrückliches Mandat unter den in Ziffer VII des Artikel 14 formulierten Voraussetzungen der Gruppe Gemeinsamer Markt übertragen werden; V.

sich zu den von Seiten der Gruppe Gemeinsamer Markt eingereichten Vorschlägen zu äußern;

VI.

Ministerausschüsse zu schaffen und sich zu den von selbigen übersandten Übereinkünften zu äußern;

VII. die Organe zu schaffen, die er für geboten hält, sowie sie zu verändern oder aufzulösen; VIII. den Inhalt und die Reichweite seiner Entscheidungen zu erläutern, wenn er es für notwendig hält; IX.

den Direktor des Verwaltungssekretariats des MERCOSUR zu ernennen;

X.

Entscheidungen in Finanz- und Haushaltsfragen zu erlassen;

XI.

die Geschäftsordnung der Gruppe Gemeinsamer Markt zu genehmigen.

Art. 9 – Der Rat des Gemeinsamen Marktes äußert sich durch Entscheidungen, welche für die Vertragsstaaten bindend sind. Abschnitt II – Die Gruppe Gemeinsamer Markt Art. 10 – Die Gruppe Gemeinsamer Markt ist das Exekutivorgan des MERCOSUR. Art. 11 – Die Gruppe Gemeinsamer Markt besteht aus vier ordentlichen Mitgliedern und vier stellvertretenden Mitgliedern pro Land, die von den jeweiligen Regierungen berufen werden und unter denen sich zwingenderweise Vertreter der Außenministerien, der Wirtschaftsministerien (oder entsprechender Ministerien) und der Zentralbanken befinden müssen. Die Gruppe Gemeinsamer Markt wird von den Außenministerien koordiniert. Art. 12 – Bei Ausarbeitung und Vorschlag konkreter Maßnahmen im Verlauf ihrer Arbeit kann die Gruppe Gemeinsamer Markt, wenn sie es für angemessen erachtet, Vertreter anderer Organe der öffentlichen Verwaltung oder der institutionellen Struktur des MERCOSUR hinzuziehen. Art. 13 – Die Gruppe Gemeinsamer Markt tritt zu ordentlichen und außerordentlichen Tagungen sooft zusammen, wie es notwendig ist, nach Maßgabe der Bestimmungen ihrer Geschäftsordnung. Art. 14 – Aufgaben und Befugnisse der Gruppe Gemeinsamer Markt sind: I.

innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches über die Einhaltung des Vertrages von Asunción, seiner Protokolle und der in seinem Rahmen geschlossenen Abkommen zu wachen;

II.

dem Rat des Gemeinsamen Marktes Entwürfe für Entscheidungen vorzuschlagen;

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Anhang

III.

die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen für die Erfüllung der vom Rat des Gemeinsamen Marktes gefassten Entscheidungen;

IV.

Arbeitsprogramme aufzustellen, welche die allmähliche Errichtung des Gemeinsamen Marktes sichern;

V.

zur Erfüllung ihrer Aufgaben solche Organe wie Unterarbeitsgruppen und Sonderausschüsse zu schaffen, zu ändern oder aufzulösen;

VI.

Stellung zu nehmen zu den Vorschlägen oder Empfehlungen, die ihr von den übrigen Organen des MERCOSUR im Rahmen ihrer Zuständigkeiten unterbreitet werden;

VII. unter Beteiligung von Vertretern aller Vertragsstaaten, mit ausdrücklicher Ermächtigung durch den Rat des Gemeinsamen Marktes und innerhalb der Grenzen der zu diesem Zweck erteilten besonderen Mandate, im Namen des MERCOSUR Verträge mit dritten Ländern, Ländergruppen oder internationalen Organisationen auszuhandeln. Bei entsprechendem Mandat kann die Gruppe Gemeinsamer Markt solche Abkommen unterzeichnen. Soweit sie vom Rat des Gemeinsamen Marktes hierzu autorisiert ist, kann die Gruppe Gemeinsamer Markt die genannten Vollmachten auf die Handelskommission des MERCOSUR übertragen; VIII. den Haushalt und den jährlichen Rechnungsabschluss des Verwaltungssekretariats des MERCOSUR zu billigen; IX.

in Finanz- und Haushaltsfragen auf der Grundlage der vom Rat ausgehenden Vorgaben Beschlüsse zu fassen;

X.

dem Rat des Gemeinsamen Marktes seine Geschäftsordnung vorzulegen;

XI.

die Tagungen des Rates des Gemeinsamen Marktes zu organisieren und die Berichte und Untersuchungen auszuarbeiten, die dieser von ihr fordert;

XII. den Direktor des Verwaltungssekretariats des MERCOSUR auszuwählen; XIII. die Tätigkeit des Verwaltungssekretariats des MERCOSUR zu überwachen; XIV. die Geschäftsordnungen der Handelskommission und des Beratungsforums aus Wirtschaft und Gesellschaft zu genehmigen. Art. 15 – Die Gruppe Gemeinsamer Markt äußert sich durch Beschlüsse, die für die Vertragsstaaten bindend sind. Abschnitt III – Die Handelskommission des MERCOSUR Art. 16 – Die Handelskommission des MERCOSUR, als das der Gruppe Gemeinsamer Markt zur Unterstützung beigeordnete Organ, ist dafür zuständig, über die Anwendung der von den Vertragsstaaten zur Verwirklichung der Zollunion vereinbarten Instrumente einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik zu wachen, sowie die Themen und Bereiche zu verfolgen und zu überprüfen, die mit den gemeinsamen Wirtschaftpolitiken, dem Handel innerhalb des MERCOSUR und [dem] mit Drittländern zusammenhängen.

II. Protokoll von Ouro Preto

633

Art. 17 – Die Handelskommission des MERCOSUR besteht aus vier ordentlichen Mitgliedern und vier stellvertretenden Mitgliedern pro Vertragsstaat und wird von den Außenministern koordiniert. Art. 18 – Die Handelskommission des MERCOSUR tagt mindestens einmal im Monat oder sonst, sofern es von der Gruppe Gesamter Markt oder irgendeinem der Vertragsstaaten von ihr verlangt wird. Art. 19 – Aufgaben und Befugnisse der Handelskommission des MERCOSUR sind: I.

über die Anwendung der gemeinsamen Instrumente der Handelspolitik innerhalb des MERCOSUR und mit Drittländern, internationalen Organisationen und von Wirtschaftsabkommen zu wachen;

II.

die Anträge der Vertragsstaaten bezüglich der Anwendung und Erfüllung des gemeinsamen Außenzolls und der übrigen Instrumente einer gemeinsamen Handelspolitik zu begutachten und zu ihnen Stellung zu nehmen;

III.

die Anwendung der Instrumente einer gemeinsamen Handelspolitik in den Vertragsstaaten zu verfolgen;

IV.

die Fortentwicklung der Instrumente einer gemeinsamen Handelspolitik für die Verwirklichung der Zollunion zu analysieren und diesbezüglich gegenüber der Gruppe Gemeinsamer Markt Vorschläge zu formulieren;

V.

die mit der Verwaltung und Anwendung des gemeinsamen Außenzolls und der von den Vertragsstaaten vereinbarten Instrumente einer gemeinsamen Handelspolitik verknüpften Entscheidungen zu treffen;

VI.

die Gruppe Gemeinsamer Markt über die Fortentwicklung und Anwendung der Instrumente einer gemeinsamen Handelspolitik, die Behandlung der erhaltenen Anträge und über die diesbezüglich erlassenen Entscheidungen zu informieren;

VII. der Gruppe Gemeinsamer Markt neue Vorschriften oder Änderungen der bestehenden Vorschriften in Handels- und Zollfragen des MERCOSUR vorzuschlagen; VIII. die Überprüfung der Zolltarife für bestimmte Positionen des gemeinsamen Außenzolls vorzuschlagen, auch zur Berücksichtigung von Fällen neuer Produktionstätigkeiten im Bereich des MERCOSUR; IX.

die zur angemessenen Erfüllung ihrer Funktionen notwendigen Fachausschüsse einzurichten sowie deren Tätigkeit zu leiten und zu überwachen;

X.

die mit der gemeinsamen Handelspolitik zusammenhängenden Arbeiten zu erledigen, um die sie die Gruppe Gemeinsamer Markt ersucht;

XI.

sich eine Geschäftsordnung zu geben, die sie der Gruppe Gemeinsamer Markt zur Genehmigung vorlegt.

Art. 20 – Die Handelskommission des MERCOSUR äußert sich durch Richtlinien oder Vorschläge. Die Richtlinien sind für die Vertragsstaaten bindend. Art. 21 – Über die Aufgaben und Befugnisse hinaus, die in den Artikeln 16 und 19 des vorliegenden Protokolls festgelegt sind, obliegt der Handelskommission des

634

Anhang

MERCOSUR die Beratung über die von den Nationalen Sektionen der Handelskommission des MERCOSUR vorgelegten Beschwerden, die auf die Vertragsstaaten oder auf Klagen von Privaten – natürlichen oder juristischen Personen – zurückgehen und mit den in den Artikeln 1 oder 25 des Protokolls von Brasilia vorgesehenen Situationen zusammenhängen, wenn sie in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Erster Untersatz – Die Prüfung der betreffenden Beschwerden im Rahmen der Handelskommission des MERCOSUR steht der Einleitung eines Verfahrens nach dem Protokoll von Brasilia zur Beilegung von Streitigkeiten durch den Vertragsstaat, der die Beschwerde erhoben hat, nicht entgegen. Zweiter Untersatz – Die Beschwerden, die auf die in diesem Artikel festgelegten Fälle zurückgehen, werden nach der im Anhang zu diesem Protokoll vorgesehenen Verfahrensordnung behandelt. Abschnitt IV – Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission Art. 22 – Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission ist das Vertretungsorgan der Parlamente der Vertragsstaaten im Rahmen des MERCOSUR. Art. 23 – Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission setzt sich aus einer jeweils gleichen Zahl an parlamentarischen Vertretern der Vertragsstaaten zusammen. Art. 24 – Die Mitglieder der Gemeinsamen Parlamentarischen Kommission werden von den jeweiligen nationalen Parlamenten im Einklang mit ihren internen Verfahrensregeln ernannt. Art. 25 – Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission bemüht sich um die Beschleunigung der entsprechenden innerstaatlichen Verfahren in den Vertragstaaten für ein rasches Inkrafttreten der von den in Artikel 2 dieses Protokolls vorgesehenen Organen des MERCOSUR ausgehenden Vorschriften. In gleicher Weise leistet sie Beistand bei der Harmonisierung der Gesetzgebungen, und zwar so, wie es der fortschreitende Integrationsprozess erfordert. Wenn es notwendig sein sollte, ersucht der Rat die Gemeinsame Parlamentarische Kommission um die Prüfung vorrangiger Themen. Art. 26 – Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission übermittelt Empfehlungen an den Rat des Gemeinsamen Marktes über die Gruppe Gemeinsamer Markt. Art. 27 – Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Abschnitt V – Das Beratungsforum aus Wirtschaft und Gesellschaft Art. 28 – Das Beratungsforum aus Wirtschaft und Gesellschaft ist das Vertretungsorgan der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sektoren und setzt sich aus einer gleichen Anzahl von Vertretern jedes Vertragsstaates zusammen. Art. 29 – Das Beratungsforum aus Wirtschaft und Gesellschaft hat beratende Funktion und äußert sich mittels Empfehlungen an die Gruppe Gemeinsamer Markt.

II. Protokoll von Ouro Preto

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Art. 30 – Das Beratungsforum aus Wirtschaft und Gesellschaft legt seine Geschäftsordnung der Gruppe Gemeinsamer Markt zur Genehmigung vor. Abschnitt VI – Das Verwaltungssekretariat des MERCOSUR Art. 31 – Der MERCOSUR verfügt über ein Verwaltungssekretariat als Organ zur operativen Unterstützung. Das Verwaltungssekretariat des MERCOSUR ist verantwortlich für die Erbringung von Dienstleistungen an die übrigen Organe des MERCOSUR und hat einen ständigen Sitz in der Stadt Montevideo. Art. 32 – Das Verwaltungssekretariat des MERCOSUR versieht die folgenden Tätigkeiten: I.

als offizielles Dokumentationsarchiv des MERCOSUR zu dienen;

II.

für die Veröffentlichung und Verbreitung der im Rahmen des MERCOSUR angenommenen Normen zu sorgen. In diesem Zusammenhang obliegt ihm: (i) in Abstimmung mit den Vertragsstaaten die offiziellen Übersetzungen in Spanisch und Portugiesisch aller von den Organen der institutionellen Struktur des MERCOSUR angenommenen Entscheidungen anzufertigen, gemäß den Bestimmungen des Artikels 39; (ii) das Amtsblatt des MERCOSUR herauszugeben.

III.

die logistischen Aspekte der Tagungen des Rates des Gemeinsamen Marktes, der Gruppe Gemeinsamer Markt und der Handelskommission des MERCOSUR zu organisieren und im Rahmen des Möglichen auch die der übrigen Organe des MERCOSUR, wenn diese an seinem ständigen Sitz tagen. Bei den Tagungen außerhalb seines ständigen Sitzes soll das Verwaltungssekretariat des MERCOSUR dem Staat, in dem die Tagung stattfindet, Unterstützung leisten;

IV.

alle Vertragsstaaten regelmäßig über die Maßnahmen zu informieren, die von jedem Land durchgeführt wurden, um die von den in Artikel 2 dieses Protokolls vorgesehenen Organen des MERCOSUR ausgehenden Vorschriften in ihre Rechtsordnung einzugliedern;

V.

die nationalen Listen der Schiedsrichter und Sachverständigen zu führen sowie weitere Aufgaben zu erledigen, die im Protokoll von Brasilia vom 17. Dezember 1991 bestimmt sind;

VI.

die Arbeiten zu erledigen, die ihm von dem Rat des Gemeinsamen Marktes, der Gruppe Gemeinsamer Markt und der Handelskommission des MERCOSUR aufgetragen werden;

VII. seinen Haushaltsentwurf auszuarbeiten und nach seiner Billigung durch die Gruppe Gemeinsamer Markt alle notwendigen Maßnahmen zu dessen korrekten Durchführung zu treffen; VIII. jährlich seine Rechnungslegung der Gruppe Gemeinsamer Markt vorzulegen, sowie einen Bericht über seine Tätigkeit.

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Anhang

Art. 33 – Das Verwaltungssekretariat des MERCOSUR wird von einem Direktor geleitet, der Staatsangehöriger eines der Vertragsstaaten ist. Er wird von der Gruppe Gemeinsamer Markt im Rotationssystem nach vorheriger Anhörung der Vertragsstaaten ausgewählt und vom Rat des Gemeinsamen Marktes berufen. Die Amtszeit beträgt zwei Jahre, bei Ausschluss der Wiederwahl. Kapitel II – Rechtspersönlichkeit Art. 34 – Der MERCOSUR besitzt Rechtspersönlichkeit im Sinne des Völkerrechts. Art. 35 – Der MERCOSUR kann in Ausübung seiner Befugnisse sämtliche für die Verwirklichung seiner Zielsetzungen notwendigen Handlungen ausführen, insbesondere Verträge schließen, bewegliche und unbewegliche Güter erwerben und veräußern, vor Gericht auftreten, Vermögen verwalten und übertragen. Art. 36 – Der MERCOSUR wird Sitzabkommen schließen. Kapitel III – Entscheidungsverfahren Art. 37 – Die Entscheidungen der Organe des MERCOSUR werden im Einvernehmen und in Anwesenheit aller Vertragsstaaten getroffen. Kapitel IV – Innerstaatliche Anwendung der von den Organen des MERCOSUR ausgehenden Vorschriften Art. 38 – Die Vertragsstaaten verpflichten sich, alle notwendigen Maßnahmen durchzuführen, um in ihrem jeweiligen Staatsgebiet die Einhaltung der von den in Artikel 2 dieses Protokolls vorgesehenen Organen des MERCOSUR ausgehenden Vorschriften sicherzustellen. Einziger Untersatz – Die Vertragsstaaten informieren das Verwaltungssekretariat des MERCOSUR über die dazu getroffenen Maßnahmen. Art. 39 – Im Amtsblatt des MERCOSUR werden vollständig in spanischer und portugiesischer Sprache abgedruckt: die Entscheidungen des Rates des Gemeinsamen Marktes, die Beschlüsse der Gruppe Gemeinsamer Markt, die Richtlinien der Handelskommission des MERCOSUR und die Schiedssprüche zur Beilegung von Streitigkeiten sowie jeglicher Akt, für den es der Rat des Gemeinsamen Marktes oder die Gruppe Gemeinsamer Markt notwendig erachtet, ihm offizielle Publizität zukommen zu lassen. Art. 40 – Zu dem Zweck, das gleichzeitige Inkrafttreten der von den in Artikel 2 dieses Protokolls vorgesehenen Organen des MERCOSUR ausgehenden Vorschriften zu gewährleisten, ist das nachstehende Verfahren zu befolgen: (i)

Sobald die Vorschrift verabschiedet ist, führen die Vertragsstaaten die zu ihrer Eingliederung in die [jeweilige] nationale Rechtsordnung erforderlichen Maßnahmen durch und teilen dieselben dem Verwaltungssekretariat des MERCOSUR mit;

II. Protokoll von Ouro Preto

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(ii) Wenn alle Vertragsstaaten die Eingliederung in ihre jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnungen gemeldet haben, teilt das Verwaltungssekretariat des MERCOSUR die Tatsache jedem Vertragsstaat mit; (iii) Die Vorschriften treten in den Vertragsstaaten gleichzeitig 30 Tage nach dem Datum der Mitteilung durch das Verwaltungssekretariat des MERCOSUR gemäß dem vorstehenden Buchstaben in Kraft. Zu diesem Endziel veröffentlichen die Vertragsstaaten innerhalb der genannten Frist den Beginn der Geltung der entsprechenden Vorschriften in ihren jeweiligen Amtsblättern. Kapitel V – Rechtsquellen des MERCOSUR Art. 41 – Die Rechtsquellen des MERCOSUR sind: I.

der Vertrag von Asunción, seine Protokolle und die zusätzlichen oder ergänzenden Instrumente;

II. die im Rahmen des Vertrages von Asunción geschlossenen Abkommen und ihre Protokolle; III. die Entscheidungen des Rates des Gemeinsamen Marktes, die Beschlüsse der Gruppe Gemeinsamer Markt und die Richtlinien der Handelskommission des MERCOSUR, die seit Inkrafttreten des Vertrages von Asunción angenommen wurden. Art. 42 – Die von den in Artikel 2 dieses Protokolls vorgesehenen Organen ausgehenden Vorschriften haben bindenden Charakter und müssen, sofern es notwendig ist, in die nationalen Rechtsordnungen mittels der von der Gesetzgebung jedes Landes vorgesehenen Verfahren eingegliedert werden. Kapitel VI – System der Streitbeilegung Art. 43 – Die Streitigkeiten, die zwischen den Vertragsstaaten über die Auslegung, Anwendung oder Nichteinhaltung der Bestimmungen des Vertrages von Asunción, der in dessen Rahmen geschlossenen Abkommen sowie der Entscheidungen des Rates des Gemeinsamen Marktes, der Beschlüsse der Gruppe Gemeinsamer Markt und der Richtlinien der Handelskommission des MERCOSUR auftreten, werden den im Protokoll von Brasilia vom 17. Dezember 1991 festgelegten [Streit-] Beilegungsverfahren unterworfen. Einziger Untersatz – Die Richtlinien der Handelskommission des MERCOSUR werden auch in die Artikel 19 und 25 des Protokolls von Brasilia aufgenommen. Art. 44 – Vor der vollständigen Vereinheitlichung des Gemeinsamen Außenzolls nehmen die Vertragsstaaten eine Überprüfung des derzeitigen Systems der Streitbeilegung des MERCOSUR vor mit der Ausrichtung auf die Annahme des ständigen Systems, auf das sich Absatz 3 des Anhangs III des Vertrages von Asunción und Artikel 34 des Protokolls von Brasilia beziehen.

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Anhang Kapitel VII – Haushalt

Art. 45 – Das Verwaltungssekretariat des MERCOSUR verfügt über einen Haushalt, um seine Betriebskosten und solche Ausgaben, die von der Gruppe Gemeinsamer Markt bestimmt werden, abzudecken. Dieser Haushalt wird zu gleichen Teilen durch Beiträge der Vertragsstaaten finanziert. Kapitel VIII – Sprachen Art. 46 – Die offiziellen Sprachen des MERCOSUR sind Spanisch und Portugiesisch. Die offizielle Fassung der Arbeitsdokumente ist die Sprache des Sitzlandes der jeweiligen Tagung. Kapitel IX – Revision Art. 47 – Die Vertragsstaaten werden, wenn sie dies für angemessen halten, eine diplomatische Konferenz einberufen mit der Zielsetzung, die mit diesem Protokoll festgelegte institutionelle Struktur des MERCOSUR zu überarbeiten ebenso wie die spezifischen Befugnisse eines jeden seiner Organe. Kapitel X – Geltung Art. 48 – Das vorliegende Protokoll, Bestandteil des Vertrages von Asunción, hat eine unbestimmte Dauer und tritt 30 Tage nach dem Datum der Hinterlegung der dritten Ratifikationsurkunde in Kraft. Das vorliegende Protokoll und die Ratifikationsurkunden werden bei der Regierung der Republik Paraguay hinterlegt. Art. 49 – Die Regierung der Republik Paraguay notifiziert den Regierungen der übrigen Vertragsstaaten das Datum der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden und des Inkrafttretens dieses Protokolls. Art. 50 – In Fragen des Beitritts oder der Kündigung gelten für das vorliegende Protokoll die im Vertrag von Asunción festgelegten Vorschriften. Der Beitritt zu oder die Kündigung des Vertrages von Asunción oder des vorliegenden Protokolls bedeuten, ipso iure, den Beitritt zu oder die Kündigung des vorliegenden Protokolls und des Vertrages von Asunción. Kapitel XI – Übergangsvorschriften Art. 51 – Die im Vertrag von Asunción vom 26. März 1991 vorgesehene institutionelle Struktur sowie die durch diese geschaffenen Organe bleiben bis zum Inkrafttreten des vorliegenden Protokolls bestehen. Kapitel XII – Allgemeine Vorschriften Art. 52 – Das vorliegende Protokoll wird „Protokoll [von] Ouro Preto“ genannt.

III. Anhang zum Protokoll von Ouro Preto

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Art. 53 – Alle Bestimmungen des Vertrages von Asunción vom 26. März 1991, die im Widerspruch zu der Regelung des vorliegenden Protokolls und dem Inhalt der vom Rat des Gemeinsamen Marktes während der Übergangszeit verabschiedeten Entscheidungen stehen, sind hiermit aufgehoben. GESCHEHEN in der Stadt Ouro Preto, Föderative Republik Brasilien, am siebzehnten des Monats Dezember neunzehnhundertvierundneunzig, in einem Original, in den Sprachen Portugiesisch und Spanisch, wobei beide Texte gleichermaßen authentisch sind. Die Regierung der Republik Paraguay übersendet den Regierungen der übrigen Vertragsstaaten eine beglaubigte Abschrift des vorliegenden Protokolls.

III. Anhang zum Protokoll von Ouro Preto4 Verfahrensordnung für Beschwerden vor der Handelskommission des MERCOSUR Art. 1 – Die Beschwerden, die von den Nationalen Sektionen der Handelskommission des MERCOSUR vorgelegt werden und auf die Vertragsstaaten oder auf Beschwerden Privater – natürlicher oder juristischer Personen – aufgrund der Vorschrift des Artikels 21 des Protokolls von Ouro Preto zurückgehen, richten sich nach dem im vorliegenden Anhang festgelegten Verfahren. Art. 2 – Der beschwerdeführende Vertragsstaat legt seine Beschwerde der amtierenden Präsidentschaft der Handelskommission des MERCOSUR vor, welche die notwendigen Vorkehrungen für die Aufnahme des Themas in die Tagesordnung der nächstfolgenden Tagung der Handelskommission des MERCOSUR mit einer Mindestfrist von einer Woche im Voraus trifft. Wenn man auf dieser Tagung zu keiner Entscheidung gelangt, überweist die Handelskommission des MERCOSUR den Vorgang ohne weiteres Verfahren an einen Fachausschuss. Art. 3 – Der Fachausschuss erstellt und sendet an die Handelskommission des MERCOSUR binnen einer Frist von höchstens dreißig (30) Kalendertagen ein gemeinsames Gutachten über die Angelegenheit. Dieses Gutachten oder die gutachtlichen Stellungnahmen der den Fachausschuss bildenden Sachverständigen, wenn kein gemeinsames Gutachten existiert, werden von der Handelskommission des MERCOSUR berücksichtigt, wenn diese über die Eingabe entscheidet. Art. 4 – Die Handelskommission des MERCOSUR entscheidet über die Frage auf ihrer ersten ordentlichen Tagung nach dem Empfang des gemeinsamen Gutachtens oder, falls ein solches nicht existiert, der gutachtlichen Stellungnahmen der Sachverständigen, wobei auch eine außerordentliche Tagung zu diesem Zweck einberufen werden kann.

4 Die deutsche Übersetzung ist abgedruckt in: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.), Rechtsquellen des Mercosur, Teilband I, Dokument 2a.

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Anhang

Art. 5 – Falls auf der in Artikel 4 erwähnten ersten Tagung kein Einvernehmen erzielt wird, sendet die Handelskommission des MERCOSUR die verschiedenen vorgeschlagenen Alternativen sowie das gemeinsame Gutachten oder die gutachtlichen Stellungnahmen der Sachverständigen des Fachausschusses an die Gruppe Gemeinsamer Markt, damit diese über die aufgeworfene Frage entscheidet. Die Gruppe Gemeinsamer Markt äußert sich darüber innerhalb einer Frist von dreißig (30) Kalendertagen, gerechnet seit dem Empfang der von der Handelskommission des MERCOSUR übersandten Vorschläge durch die amtierende Präsidentschaft [der Gruppe]. Art. 6 – Falls über die Berechtigung der Beschwerde Einvernehmen besteht, hat der beschuldigte Vertragsstaat die von der Handelskommission des MERCOSUR oder der Gruppe Gemeinsamer Markt gebilligten Maßnahmen durchzuführen. In jedem Fall setzen die Handelskommission des MERCOSUR oder danach die Gruppe Gemeinsamer Markt eine angemessene Frist zur Umsetzung der besagten Maßnahmen. Ist die Frist verstrichen, ohne dass der beschuldigte Staat das erfüllt hat, was in der Entscheidung – sei es von der Handelskommission des MERCOSUR oder von der Gruppe Gemeinsamer Markt – angeordnet worden ist, kann der beschwerdeführende Staat unmittelbar zu dem in Kapitel IV des Protokolls von Brasilia vorgesehenen Verfahren übergehen. Art. 7 – Falls in der Handelskommission des MERCOSUR und danach in der Gruppe Gemeinsamer Markt kein Einvernehmen erreicht werden kann oder falls der beschuldigte Staat in der in Artikel 6 vorgesehenen Frist nicht das erfüllt, was in der Entscheidung angeordnet worden ist, kann der beschwerdeführende Staat unmittelbar zu dem in Kapitel IV des Protokolls von Brasilia festgelegten Verfahren übergehen, was dem Verwaltungssekretariat des MERCOSUR mitzuteilen ist. Das Schiedsgericht muss, bevor es seinen Richterspruch erlässt5, binnen einer Frist von bis zu fünfzehn (15) Kalendertagen, gerechnet vom Tage seiner Einrichtung an, die vorläufigen Maßnahmen festlegen, die es für geeignet erachtet, sofern die durch Artikel 18 des Protokolls von Brasilia aufgestellten Voraussetzungen vorliegen.

IV. Protokoll zum Schutz des Wettbewerbs des MERCOSUR6 Die Republik Argentinien, die Föderative Republik Brasilien, die Republik Paraguay und die Republik Uruguay, nachfolgend Vertragsstaaten genannt, IN DER ERWÄGUNG,

5

In der portugiesischen Fassung ist hier eingefügt: „wenn es der beschwerdeführende Staat so verlangt“. 6 Die deutsche Übersetzung ist abgedruckt in: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.), Rechtsquellen des Mercosur, Teilband I, Dokument 22. Es wurden einige wenige Änderungen der Übersetzung vorgenommen.

IV. Protokoll zum Schutz des Wettbewerbs des MERCOSUR

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dass der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen zwischen den Vertragsstaaten es unerlässlich macht, angemessene Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen, die zur Festigung der Zollunion beitragen; dass die Vertragsstaaten bei der Ausübung von Wirtschaftstätigkeiten in ihren Hoheitsgebieten gleiche Bedingungen des freien Wettbewerbs sicherstellen müssen; dass der gleichmäßige und harmonische Ausbau der intrazonalen Handelsbeziehungen ebenso wie die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der in den Vertragsstaaten niedergelassenen Unternehmen in hohem Maße von der Festigung eines wettbewerbsorientierten Umfeldes im Integrationsraum des MERCOSUR abhängen wird; der dringenden Notwendigkeit, dass die Richtlinien zum Schutz des Wettbewerbs im MERCOSUR geschaffen werden, an denen sich die Vertragsstaaten und die in ihnen niedergelassenen Unternehmen orientieren, als Instrumentarium, das fähig ist, den freien Zugang zum Markt und die gleichmäßige Verteilung der Vergünstigungen des wirtschaftlichen Integrationsprozesses sicherzustellen, VEREINBAREN: Kapitel I – Gegenstand und Anwendungsbereich Art. 1 – Das vorliegende Protokoll hat den Schutz des Wettbewerbs innerhalb des MERCOSUR zum Gegenstand. Art. 2 – Die Bestimmungen dieses Protokolls sind auf Akte anwendbar, die von natürlichen und juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts oder anderen Stellen ausgehen und sich auf den Wettbewerb innerhalb des MERCOSUR auswirken oder dies bezwecken und den Handel zwischen den Vertragsstaaten beeinträchtigen. Einziger Unterabsatz – Zu den in dem vorhergehenden Absatz genannten juristischen Personen gehören auch Unternehmen, die ein staatliches Monopol ausüben, soweit die Bestimmungen dieses Protokolls nicht die ordnungsgemäße Erfüllung gesetzlicher Aufgaben beeinträchtigen. Art. 3 – In die ausschließliche Zuständigkeit des einzelnen Vertragsstaates fällt die Regelung derjenigen Handlungen, die von natürlichen und juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts oder von einer anderen in ihm ansässigen Einrichtung innerhalb seines jeweiligen Hoheitsgebiets begangen werden und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb sich auf ihn beschränken. Kapitel II – Wettbewerbsbeschränkende Handlungs- und Verhaltensweisen Art. 4 – Einen Verstoß gegen die Bestimmungen dieses Protokolls stellen unabhängig vom Vorliegen eines Verschuldens diejenigen individuellen oder abgestimmten Handlungen jedweder Art und Weise dar, die bezwecken oder bewirken, dass der Wettbewerb oder der Marktzugang begrenzt, beschränkt, verfälscht oder verzerrt wird, oder die einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem jeweiligen

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Anhang

Markt für Waren oder Dienstleistungen innerhalb des MERCOSUR darstellen und den Handel zwischen den Vertragsstaaten beeinträchtigen. Art. 5 – Die bloße Eroberung eines Marktes, die auf dem natürlichen Prozess einer größeren Wirtschaftlichkeit des Wirtschaftsteilnehmers gegenüber seinen Mitbewerbern beruht, stellt keinen Verstoß gegen den Wettbewerb dar. Art. 6 – Unter anderen stellen die folgenden Handlungsweisen, soweit sie die in Artikel 4 genannten Merkmale aufweisen, wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen da: I.

die unmittelbare oder mittelbare, mit Mitbewerbern abgestimmte oder individuelle Festsetzung, Auferlegung oder Anwendung jeglicher Art von Preisen und Bedingungen des An- oder Verkaufs von Waren, der Erbringung von Dienstleistungen oder der Produktion;

II.

die Durchsetzung oder die Einflussnahme auf die Einführung von einheitlichen oder unter Mitbewerbern abgestimmten wirtschaftlichen Handlungen;

III.

die Regulierung von Märkten für Waren und Dienstleistungen durch den Abschluss von Übereinkünften, um die technische Forschung und Entwicklung, die Herstellung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu begrenzen oder zu kontrollieren, oder um Investitionen für die Herstellung von Waren oder Dienstleistungen oder deren Vertrieb zu erschweren;

IV.

die Aufteilung von Märkten für Dienstleistungen oder für fertige oder halbfertige Produkte, von Rohstoffversorgungsquellen oder von Zwischenprodukten;

V.

die Begrenzung oder Verhinderung des Zugangs neuer Unternehmen zum Markt;

VI.

die Verabredung von Preisen oder Vorteilen, die den Wettbewerb bei Öffentlichen Ausschreibungen beeinträchtigen können;

VII.

die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen gegenüber Vertragspartnern im Falle gleichwertiger Leistungen, wodurch diese in eine Situation des Wettbewerbsnachteils versetzt werden;

VIII. die Verknüpfung des Verkaufs einer Ware mit dem Erwerb einer anderen Ware oder mit der Inanspruchnahme einer Dienstleistung oder die Verknüpfung der Erbringung einer Dienstleistung mit der Inanspruchnahme einer anderen [Dienstleistung] oder mit dem Erwerb einer Ware; IX.

die Verhinderung des Zugangs von Mitbewerbern zu Produktionsmitteln, Rohstoffen, Ausrüstungen oder Technologien sowie zu Vertriebswegen;

X.

das Verlangen oder die Gewährung der Ausschließlichkeit für die Verbreitung von Werbung in den Kommunikationsmedien;

XI.

die Unterwerfung des Ankaufs oder Verkaufs unter die Bedingung, Waren oder Dienstleistungen, nicht zu benutzen, zu erwerben, zu verkaufen oder zu liefern, die von Dritten hergestellt, verarbeitet, vertrieben oder vermarktet werden;

IV. Protokoll zum Schutz des Wettbewerbs des MERCOSUR XII.

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der nicht durch Gründe geschäftlicher Gepflogenheiten gerechtfertigte Verkauf von Waren unter dem Selbstkostenpreis;

XIII. die ungerechtfertigte Verweigerung des Verkaufs von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen; XIV. die ohne rechtfertigenden Grund in großem Umfang vorgenommene Unterbrechung oder Verringerung der Produktion; XV.

die Zerstörung, Unbrauchbarmachung oder Bevorratung von Rohstoffen, Zwischen- oder Endprodukten sowie die Zerstörung, Unbrauchbarmachung oder Funktionsbeeinträchtigung von Geräten, die dazu bestimmt sind, jene zu erzeugen, zu vertreiben oder zu transportieren;

XVI. die ohne berechtigten Grund erfolgte Aufgabe, Bestimmung zur Aufgabe oder Zerstörung von Anpflanzungen oder Plantagen; XVII. die Manipulation des Marktes, um Preise durchzusetzen. Kapitel III – Die Kontrolle von Handlungen und Verträge Art. 7 – Die Vertragsstaaten werden, zum Zwecke der Eingliederung in die Rechtsordnung des MERCOSUR und innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren, gemeinsame Vorschriften zur Kontrolle von Handlungen und Verträgen jedweder Art verabschieden, die den freien Wettbewerb begrenzen oder in irgendeiner Weise beeinträchtigen können oder zu einer Beherrschung des relevanten regionalen Marktes für Waren oder Dienstleistungen führen können, einschließlich der zu einer wirtschaftlichen Konzentration führenden [Handlungen und Verträgen] im Hinblick darauf, deren möglichen wettbewerbswidrigen Folgen innerhalb des MERCOSUR vorzubeugen. Kapitel IV – Durchführungsorgane Art. 8 – Die Durchführung dieses Protokolls obliegt der Handelkommission des MERCOSUR, gemäß Artikel 19 des Protokolls von Ouro Preto, und dem Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs. Einziger Unterabsatz – Der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs, ein zwischenstaatliches Organ, setzt sich aus den nationalen Organen zur Durchführung des vorliegenden Protokolls in jedem Vertragsstaat zusammen. Art. 9 – Der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs unterbreitet der Handelskommission des MERCOSUR die Durchführungsregelungen zu dem vorliegenden Protokoll zur Zustimmung. Kapitel V – Das Verfahren der Durchführung Art. 10 – Die nationalen Durchführungsorgane leiten das in diesem Protokoll vorgesehene Verfahren von Amts wegen oder auf den begründeten Antrag einer legitimerweise interessierten Partei ein, der an den Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs zusammen mit einer fachlichen Vorbewertung weiterzuleiten ist.

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Anhang

Art. 11 – Nach einer fachlichen Vorprüfung eröffnet der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs die Untersuchung oder stellt, unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission des MERCOSUR, das Verfahren ein. Art. 12 – Der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs leitet der Handelskommission des MERCOSUR regelmäßig Berichte über den Verfahrensstand der untersuchten Fälle zu. Art. 13 – Im Falle der Dringlichkeit oder der Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens für den Wettbewerb setzt der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs, unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission, die Anwendung vorläufiger Maßnahmen fest, einschließlich der sofortigen Beendigung der zur Untersuchung unterbreiteten Verhaltensweise, die Wiederherstellung der vorherigen Situation oder anderer [Maßnahmen], die ihm notwendig erscheinen. 1. Für den Fall der Nichtbefolgung der vorläufigen Maßnahmen kann der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs, unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission des MERCOSUR, gegen die zuwiderhandelnde Partei ein Ordnungsgeld festsetzen. 2. Die Anwendung der vorläufigen Maßnahme oder des Ordnungsgeldes wird von dem nationalen Durchführungsorgan des Staates, in dem die beschuldigte Partei ansässig ist vollstreckt. Art. 14 – Der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs stellt für jeden Untersuchungsfall Leitlinien auf, die unter anderen Punkten die Struktur des betroffenen Marktes, die Beweismittel für die Handlungsweisen und die Kriterien für die Prüfung der wirtschaftlichen Auswirkungen der untersuchten Verhaltensweisen festlegen. Art. 15 – Das nationale Durchführungsorgan des Vertragsstaates, auf dessen Gebiet der Beschuldigte ansässig ist, führt die Untersuchung wegen der wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen nach Maßgabe der in Artikel 14 festgelegten Leitlinien durch. 1. Das nationale Durchführungsorgan, das die Untersuchung betreibt, veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Berichte über seine Tätigkeiten. 2. Dem Beschuldigten wird die Ausübung seines Rechts auf Verteidigung garantiert. Art. 16 – Den Durchführungsorganen der übrigen Vertragsstaaten obliegt es, dem für die Untersuchung verantwortlichen nationalen Organen durch die Beibringung von Informationen, Unterlagen oder sonstigen für die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens als wesentlich angesehenen Mittel Hilfe zu leisten. Art. 17 – Im Falle von Meinungsverschiedenheiten über die Durchführung der in diesem Protokoll vorgesehenen Verfahren kann der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs die Handelskommission des MERCOSUR um Stellungnahme zu der Angelegenheit ersuchen. Art. 18 – Nach Abschluss des Untersuchungsverfahrens legt das für die Untersuchung verantwortliche nationale Organ dem Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs ein abschließendes Gutachten über die Angelegenheit vor.

IV. Protokoll zum Schutz des Wettbewerbs des MERCOSUR

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Art. 19 – Unter Berücksichtigung des von dem nationalen Durchführungsorgan erstellten Gutachtens bezeichnet der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs, unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission des MERCOSUR, die unzulässigen Verhaltensweisen und ordnet die zu verhängenden Sanktionen oder die sonstigen dem Einzelfall entsprechenden Maßnahmen an. Einziger Unterabsatz – Wenn der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs kein Einvernehmen erzielt, legt er seine Schlussfolgerungen der Handelskommission des MERCOSUR unter Darlegung der bestehenden Meinungsverschiedenheiten vor. Art. 20 – Die Handelskommission des MERCOSUR entscheidet unter Berücksichtigung des Gutachtens oder der Schlussfolgerungen des Ausschusses zum Schutz des Wettbewerbs durch den Erlass einer Richtlinie, in der die der zuwiderhandelnden Partei aufzuerlegenden Sanktionen oder die sonstigen dem Einzelfall entsprechenden Maßnahmen festgelegt werden. 1. Die Sanktionen werden durch das nationale Durchführungsorgan des Vertragsstaates, auf dessen Gebiet die zuwiderhandelnde Partei ansässig ist, vollstreckt. 2. Wenn kein Einvernehmen erzielt wird, unterbreitet die Handelskommission des MERCOSUR die verschiedenen vorgeschlagenen Alternativen der Gruppe Gemeinsamer Markt. Art. 21 – Die Gruppe Gemeinsamer Markt entscheidet über die Angelegenheit durch den Erlass eines Beschlusses. Einziger Unterabsatz – Wenn die Gruppe gemeinsamer Markt kein Einvernahmen erzielt, kann der interessierte Vertragsstaat unmittelbar das in Kapitel IV des Protokolls von Brasilia über die Streitbeilegung vorgesehene Verfahren einleiten. Kapitel VI – Beendigungsverpflichtung Art. 22 – In jedem Stadium des Verfahrens kann der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs, unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission des MERCOSUR, eine Verpflichtung zur Beendigung der untersuchten Verhaltensweise billigen; dies bedeutet weder ein Eingeständnis der Tatsachen noch eine Anerkennung der Rechtswidrigkeit der überprüften Handlungsweise. Art. 23 – Die Beendigungsverpflichtung muss folgende Regelungen enthalten: a) die Verpflichtungen des Beschuldigten, also die Beendigung der untersuchten Verhaltensweise innerhalb der festgelegten Frist; b) die Höhe des im Falle der Nichterfüllung der Beendigungsverpflichtung aufzuerlegenden täglichen Ordnungsgeldes; c) die Verpflichtung des Beschuldigten, über seine Tätigkeit am Markt regelmäßige Berichte vorzulegen und das nationale Durchführungsorgan über eventuelle Änderungen seiner Gesellschaftsstruktur, seiner Kontrolle, seiner Geschäftsfähigkeit und seines Sitzes informiert zu halten.

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Art. 24 – Das Verfahren wird ausgesetzt, solange die Erfüllung der Beendigungsverpflichtung eingehalten wird, und mit Ablauf der festgesetzten Frist abgeschlossen, wenn sämtliche in der Verpflichtung festgelegten Bedingungen erfüllt sind. Art. 25 – Der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs kann, unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission des MERCOSUR, Änderungen der Beendigungsverpflichtung billigen, wenn deren übermäßige Belastung für den Beschuldigten nachgewiesen wird, Dritten oder der Allgemeinheit keine Nachteile entstehen und die neue Situation keinen Verstoß gegen den Wettbewerb darstellt. Art. 26 – Die Beendigungsverpflichtung, deren Änderungen und die Sanktion, auf die sich das vorliegend Kapitel bezieht, werden von dem nationalen Durchführungsorgan des Vertragsstaates, auf dessen Gebiet der Beschuldigte ansässig ist, vollstreckt. Kapitel VII – Sanktionen Art. 27 – Der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs ordnet, unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelkommission des MERCOSUR, die endgültige Beendigung der unzulässigen Verhaltensweise innerhalb der genau zu bestimmenden Frist an. 1. Im Fall der Nichterfüllung der Untersagungsverfügung wird ein tägliches Ordnungsgeld verhängt, das vom Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs, unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission, festzusetzen ist. 2. Die Untersagungsverfügung sowie die Verhängung des Ordnungsgeldes werden von dem nationalen Durchführungsorgan des Vertragsstaates, auf dessen Gebiet die zuwiderhandelnde Partei ansässig ist, vollstreckt. Art. 28 – Im Falle des Verstoßes gegen die Bestimmungen des vorliegenden Protokolls werden die folgenden Sanktionen kumulativ oder alternativ verhängt: I.

Ordnungsgeld, auf der Grundlage des durch die Begehung der unzulässigen Verhaltensweise erzielten Gewinns, des Bruttoumsatzes oder der eingesetzten Aktivmittel; dieses fällt dem nationalen Durchführungsorgan des Vertragsstaates, auf dessen Gebiet die zuwiderhandelnde Partei ansässig ist, zu;

II. Verbot, sich am öffentlichen Beschaffungswesen in irgendeinem der Vertragsstaaten während des festzulegenden Zeitraumes zu beteiligen; III. Verbot, mit öffentlichen Finanzeinrichtungen in irgendeinem der Vertragsstaaten während des festzulegenden Zeitraumes Verträge zu schließen. 1. Der Ausschuss zum Schutz des Wettbewerbs kann, unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Handelskommission des MERCOSUR, den zuständigen nationalen Behörden der Vertragsstaaten empfehlen, dem Zuwiderhandelnden keine Vergünstigungen irgendwelcher Art oder Erleichterungen bei der Abgabenzahlung zu gewähren. 2. Die in diesem Artikel vorgesehenen Strafen werden von den nationalen Durchführungsorganen des Vertragsstaates, auf dessen Gebiet die zuwiderhandelnde Partei ansässig ist, vollstreckt.

IV. Protokoll zum Schutz des Wettbewerbs des MERCOSUR

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Art. 29 – Bei der Abstufung der im vorliegenden Protokoll vorgesehenen Sanktionen sind die Schwere des Falles und die Höhe der dem Wettbewerb innerhalb des MERCOSUR entstandenen Schäden zu berücksichtigen. Kapitel VIII – Zusammenarbeit Art. 30 – Um die Anwendung des vorliegenden Protokolls zu sichern, werden die Vertragsstaaten durch ihre jeweiligen nationalen Durchführungsorgane Mechanismen der Zusammenarbeit und der fachlichen Konsultationen in dem Sinne einführen, dass a) die Zusammenarbeit zwischen den verantwortlichen nationalen Behörden und Einrichtungen systematisiert und verstärkt wird, um die nationalen Systeme und die gemeinsamen Instrumentarien zum Schutz des Wettbewerbs durch ein Programm des Informations- und Erfahrungsaustausches, der Ausbildung von Fachleuten und der Sammlung von Rechtsprechung auf dem Gebiet des Wettbewerbsschutzes sowie der gemeinsamen Untersuchung der wettbewerbsschädigenden Verhaltensweisen innerhalb des MERCOSUR zu verbessern; b) die notwendigen Hilfsmittel benannt und bereitgestellt werden, auch durch fachliche Kooperationsübereinkünfte auf dem Gebiet des Wettbewerbsschutzes mit anderen Staaten oder regionalen Zusammenschlüssen, zur Implementierung des im vorangegangenen Absatz genannten Kooperationsprogramms. Kapitel IX – Streitbeilegung Art. 32 – Die Vertragsstaaten verpflichten sich, innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nach dem Inkrafttreten dieses Protokolls und zum Zwecke der Einfügung in dieses Dokument, gemeinsame Vorschriften und Verfahrensweisen auszuarbeiten, zur Disziplinierung der staatlichen Beihilfen, die den Wettbewerb begrenzen, einschränken, verfälschen oder verzerren können und geeignet sind, den Handel zwischen den Vertragsstaaten zu beeinträchtigen. Hierbei werden sie die Fortschritte bei dem Thema der wettbewerbsverzerrenden öffentlichen Politiken und die einschlägigen Vorschriften der WTO berücksichtigen. Art. 33 – Das vorliegende Protokoll ist Bestandteil des Vertrages von Asunción. Es tritt dreißig Tage nach der Hinterlegung der zweiten Ratifikationsurkunde zwischen den beiden ersten Vertragsstaaten, die es ratifizieren, und für die anderen Unterzeichner am dreißigsten Tag nach der Hinterlegung der jeweiligen Ratifikationsurkunde in Kraft. Art. 34 – Keine Bestimmung des vorliegenden Protokolls findet auf wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen Anwendung, gegen die die zuständige nationale Behörde eines Vertragsstaates vor dem in Artikel 33 vorgesehenen Inkrafttreten eine Untersuchung eingeleitet hatte. Art. 35 – Das vorliegende Protokoll kann auf Vorschlag eines Vertragsstaates im gegenseitigen Einverständnis geändert werden. Art. 36 – Der Beitritt eines Staates zum Vertrag von Asunción bedeutet ipso iure den Beitritt zum vorliegenden Protokoll.

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Art. 37 – Die Regierung der Republik Paraguay ist der Depositar des vorliegenden Protokolls und der Ratifikationsurkunden und übersendet den Regierungen der übrigen Vertragsstaaten ordnungsgemäß beglaubigte Abschriften derselben. In gleicher Weise notifiziert die Regierung der Republik Paraguay den Regierungen der anderen Vertragsstaaten das Datum des Inkrafttretens des vorliegenden Protokolls sowie das Datum der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden. GESCHEHEN in der Stadt Fortaleza am siebzehnten Tag des Monats Dezember 1996, in einem Original in den Sprachen Spanisch und Portugiesisch, wobei beide Fassungen gleichermaßen authentisch sind.

V. MERCOSUR/CMC/Dec. (Ratsentscheidung) Nr. 2/977 IN ANBETRACHT des Vertrages von Asunción, des Protokolls von Ouro Preto, der Entscheidungen Nr. 21/94 und 18/96 des Rates des Gemeinsamen Marktes, des Beschlusses Nr. 129/94 der Gruppe Gemeinsamer Markt und der Akte der XXI. Tagung der Handelskommission des MERCOSUR, ANGESICHTS der Wichtigkeit, die Kriterien für die Bemessung der Höhe der Ordnungsgelder festzusetzen, die in dem durch die Entscheidung CMC Nr. 18/96 verabschiedeten Protokoll zum Schutz des Wettbewerbs vorgesehen sind, ENTSCHEIDET DER RAT DES GEMEINSAMEN MARKTES: Art. 1 – Der nachfolgende Anhang zum Protokoll zum Schutz des Wettbewerbs des MERCOSUR wird verabschiedet. Anhang zum Protokoll zum Schutz des Wettbewerbs des MERCOSUR Art. 1 – Die in diesem Protokoll vorgesehenen Ordnungsgelder sind gleichwertig mit bis zu 150% der durch die unzulässige Verhaltensweise erzielten Gewinne oder mit bis zu 100% des Wertes der eingesetzten Aktivmittel oder mit bis zu 30% des Wertes des Bruttoumsatzes des Unternehmens in seinem letzten Geschäftsjahr, Steuern ausgenommen. Die genannten Ordnungsgelder dürfen nicht niedriger sein als der erzielte Vorteil, sofern dieser berechnet werden kann. Art. 2 – In den besonderen in den Artikeln 13.1, 23.b und 27.1 dieses Protokolls vorgesehenen Fällen wird ein tägliches Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 1% des Bruttoumsatzes des Unternehmens im letzten Geschäftsjahr festgesetzt. XII CMC – Asunción, den 18.06.97

7 Die deutsche Übersetzung ist abgedruckt in: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.), Rechtsquellen des Mercosur, Teilband I, Dokument 22 a.

VI. Protokoll von Olivos zur Beilegung von Streitigkeiten

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VI. Protokoll von Olivos zur Beilegung von Streitigkeiten8 Die Republik Argentinien, die Föderative Republik Brasilien, die Republik Paraguay und die Republik Uruguay, im weiteren „Vertragsstaaten“ genannt; ANGESICHTS des Vertrages von Asunción, des Protokolls von Olivos und des Protokolls von Ouro Preto; IN ANERKENNUNG der Tatsache, dass die Fortentwicklung des Integrationsprozesses im Rahmen des Mercosur die Verbesserung des Streitbeilegungssystems erfordert; IN ANBETRACHT der Notwendigkeit der Gewährleistung einer richtigen, in sich konsistenten und systematischen Interpretation, Anwendung und Erfüllung der Hauptinstrumente des Integrationsprozesses sowie des Normsystems des Mercosur; IN DER ÜBERZEUGUNG der Notwendigkeit, Veränderungen am Streitbeilegungssystem vorzunehmen, um die Rechtssicherheit im Mercosur zu verbessern; SIND WIE FOLGT ÜBEREINGEKOMMEN: Kapitel I – Streitigkeiten zwischen Vertragsstaaten Art. 1 – 1. Die Streitigkeiten, die zwischen den Vertragsstaaten über die Auslegung, Anwendung oder Nichteinhaltung des Vertrages von Asunción, des Protokoll von Ouro Preto, der im Rahmen des Vertrages von Asunción geschlossenen Abkommen, der Entscheidungen des Rates des Gemeinsamen Marktes, der Beschlüsse der Gruppe Gemeinsamer Markt und der Richtlinien der Handelskommission auftreten, werden dem durch das vorliegende Protokoll festgelegten [Streit-] Beilegungsverfahren unterworfen. 2. Für solche Streitigkeiten, die auch dem Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation oder anderen Handelsabkommen, denen die Vertragsstaaten beigetreten sind, unterworfen werden können, hat die klagende Partei das Recht, eines der möglichen Streitschlichtungsforen zu wählen. Unbeschadet dessen können sich die Parteien auch auf ein Streitschlichtungsforum einigen. Nachdem ein Streitschlichtungsmechanismus in Gang gesetzt wurde, ist es keiner der Parteien gestattet, einen anderen Streitschlichtungsmechanismus aufgrund desselben Streitgegenstandes anzurufen. Die Einzelheiten bezüglich der Wahl des Streitschlichtungsforums regelt der Rat des Gemeinsamen Marktes.

8 Eigene Übersetzung. Der Autor ist allgemein beeidigter Übersetzer und Dolmetscher der spanischen Sprache.

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Anhang Kapitel II – Mechanismen bezüglich fachlicher Aspekte

Art. 2 – Wenn dies für notwendig erachtet wird, können Mechanismen für eine zügige Lösung von Meinungsverschiedenheiten der Vertragsstaaten über fachliche Aspekte in der gemeinsamen Wirtschaftpolitik eingerichtet werden. 2. Die Funktionsweise und Reichweite dieser Mechanismen sowie die [Rechts-] Natur der von diesen abgegeben Äußerungen werden vom Rat des Gemeinsamen Marktes festgelegt und verabschiedet. Kapitel III – Vorlageverfahren Art. 3 – Der Rat des Gemeinsamen Marktes ist befugt, ein Vorlageverfahren beim Revisionsgericht einzurichten. Kapitel IV – Direkte Verhandlungen Art. 4 – Die an einer Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten versuchen, sie in erster Linie mittels direkter Verhandlungen beizulegen. Art. 5 – 1. Die direkten Verhandlungen dürfen, außer bei entsprechender Vereinbarung der Parteien, eine Frist von fünfzehn (15) Tagen nicht überschreiten ab dem Datum, an dem einer der Vertragsstaaten die Streitigkeit aufgeworfen hat. 2. Die Vertragsstaaten benachrichtigen die Gruppe Gemeinsamer Markt auf dem Wege über das Mercosur-Sekretariat über Schritte, die während der Verhandlungen unternommen werden, und die Ergebnisse derselben. Kapitel V – Intervention der Gruppe Gemeinsamer Markt Art. 6 – 1. Falls mittels der direkten Verhandlungen keine Übereinkunft erreicht wird oder falls die Streitigkeit nur teilweise beigelegt wird, kann jeder der an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten unmittelbar das in Kapitel VI vorgesehene Schiedsverfahren eröffnen. 2. Unbeschadet des ersten Absatzes können sich die an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten darauf einigen, die Streitigkeit der Gruppe Gemeinsamer Markt zur Begutachtung zu unterbreiten. i) In diesem Fall untersucht die Gruppe Gemeinsamer Markt die Situation, wobei sie den Streitparteien Gelegenheit zur Darstellung ihrer jeweiligen Position gibt und, wenn sie es für notwendig hält, den Rat von Sachverständigen einholt, die aus der Liste ausgewählt werden, auf die sich Artikel 43 des vorliegenden Protokolls bezieht. ii) Die Kosten, die dieser gutachtliche Rat verursacht, werden zu gleichen Teilen von den an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten getragen oder in dem Verhältnis, das die Gruppe Gemeinsamer Markt bestimmt. 3. Die Streitigkeit kann im Anschluss an die direkten Verhandlungen auch auf berechtigtes Verlangen eines dritten, nicht an der Streitigkeit beteiligten Staates der

VI. Protokoll von Olivos zur Beilegung von Streitigkeiten

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Gruppe Gemeinsamer Markt vorgelegt werden. In diesem Fall wird das bereits eröffnete Schiedsverfahren nur dann unterbrochen, wenn sich die an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten darauf einigen. Art. 7 – 1. Die Gruppe Gemeinsamer Markt spricht so genaue und detaillierte Empfehlungen wie möglich mit dem Ziel der Beilegung der Meinungsverschiedenheit aus. 2. In dem Fall, dass die Streitigkeit auf Verlangen eines dritten, nicht an der Streitigkeit beteiligten Staates zur Begutachtung der Gruppe Gemeinsamer Markt vorgelegt wurde, kann die Gruppe Gemeinsamer Markt diesem Umstand bei ihrer Stellungnahme und den ausgesprochenen Empfehlungen Rechnung tragen. Art. 8 – Das in dem vorliegenden Kapitel beschriebene Verfahren darf sich nicht länger als über eine Frist von dreißig (30) Tagen hinziehen ab dem Datum, an dem die Streitigkeit der Gruppe Gemeinsamer Markt zur Begutachtung unterbreitet worden ist. Kapitel VI – Schiedsverfahren Art. 9 – 1. Wenn die Streitigkeit nicht mittels der Anwendung der in Kapitel IV und V bezeichneten Verfahren beigelegt werden konnte, kann jeder der an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten dem Verwaltungssekretariat seine Absicht mitteilen, auf des Schiedsverfahren zurückzugreifen, welches im vorliegenden Kapitel festgelegt wird. 2. Das Verwaltungssekretariat benachrichtigt unverzüglich den anderen oder die anderen an der Streitigkeit beteiligten Staaten sowie die Gruppe Gemeinsamer Markt von der Mitteilung. 3. Das Verwaltungssekretariat verwaltet die Durchführung des Verfahrens. Art. 10 – 1. Das Schiedsverfahren vollzieht sich vor einem Ad-hoc-Schiedsgericht, das sich aus drei (3) Schiedsrichtern zusammensetzt. 2. Die Schiedsrichter werden auf die folgende Weise bestimmt: i) Jeder an der Streitigkeit beteiligte Vertragsstaat bestimmt einen (1) Schiedsrichter aus der in Art. 11. Abs. 1 vorgesehenen Liste innerhalb von 15 Tagen, gerechnet ab dem Zeitpunkt, an dem das Verwaltungssekretariat die Vertragsstaaten über die Eröffnung des Schiedsverfahrens informiert hat. Zusätzlich muss jeder an der Streitigkeit beteiligte Vertragsstaat einen (1) weiteren Ersatzschiedsrichter aus der genannten Liste auswählen, der den ersten, sollte dieser ausfallen, auf jeder Stufe des Verfahrens ersetzen kann. ii) Falls einer der an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten seinen Schiedsrichter nicht innerhalb der in Absatz 2 lit. i) bezeichneten Frist ernannt hat, wird dieser von dem Verwaltungssekretariat innerhalb von zwei (2) Tagen durch Losentscheid aus der in Art. 11. Abs. 1 vorgesehenen Liste ausgewählt. 3. Der Präsident des Schiedsgerichts wird auf die folgende Weise bestimmt:

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i) Die an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten bestimmen den dritten Schiedsrichter, der dem Ad-hoc-Schiedsgericht vorsitzen wird, einstimmig aus der in Art. 11 Abs. 2 lit. iii) vorgesehenen Liste innerhalb von fünfzehn (15) Tagen, gerechnet ab dem Tag, an dem das Verwaltungssekretariat den an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten die Eröffnung des Verfahrens mitgeteilt hat. Zusätzlich bestimmen sie aus derselben Liste einen Ersatzschiedsrichter, der den ersten Schiedsrichter, sollte dieser ausfallen, auf jeder Stufe des Verfahrens ersetzen kann. ii) Falls zwischen den an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten keine Einigung über die Wahl des dritten Schiedsrichters innerhalb der genannten Frist erreicht wird, nimmt das Verwaltungssekretariat auf Antrag eines jeden von ihnen die Berufung durch Losentscheid aus der in Art. 11 Abs. 2 lit. iii) vorgesehenen Liste vor, wobei der durch Losentscheid bestimmte Schiedsrichter nicht die Nationalität eines der an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten besitzen darf. iii) Die ernannten Richter müssen innerhalb von drei (3) Tagen ab der Bekanntgabe ihrer Wahl mitteilen, ob sie die Wahl annehmen. 4. Das Verwaltungssekretariat teilt den Schiedsrichtern ihre Ernennung mit. Art. 11 – 1. Jeder Vertragsstaat benennt zwölf (12) Schiedsrichter, die eine Liste ausmachen, welche im Verwaltungssekretariat hinterlegt wird. Die übrigen Vertragsstaaten und das Verwaltungssekretariat werden über die jeweiligen Kandidaten zusammen mit deren detaillierten Lebensläufen in Kenntnis gesetzt. i) Jeder Vertragsstaat kann innerhalb von dreißig (30) Tagen nach deren Bekanntgabe Auskunft über die von den übrigen Vertragsstaaten ernannten Personen in der Liste verlangen. ii) Die endgültige Liste, ebenso wie ihre sukzessiven Veränderungen, wird den Vertragsstaaten durch das Verwaltungssekretariat zur Kenntnis gebracht. 2. Jeder Vertragsstaat schlägt zusätzlich jeweils 4 Personen vor, aus denen sich die Liste der Kandidaten für das Amt des Schiedsgerichtsvorsitzenden zusammensetzt. Mindestens einer der vier von jedem Vertragsstaat zu benennenden Personen darf nicht die Staatsangehörigkeit eines der Mercosur-Vertragsstaaten besitzen. i) Die Ratspräsidentschaft setzt die übrigen Vertragsstaaten über die Liste der Kandidaten mit ihren jeweiligen Lebensläufen in Kenntnis. ii) Jeder Vertragsstaat kann innerhalb von dreißig (30) Tagen nach deren Bekanntgabe Auskunft über die von den übrigen Vertragsstaaten ernannten Kandidaten verlangen oder begründete Einwände bezüglich der in Art. 35 niedergelegten Bestimmungen gegen die Kandidaten vorbringen. Die jeweilige Ratspräsidentschaft befasst sich mit den etwaigen Einwänden. Gelangt man nicht innerhalb einer Frist von dreißig (30) Tagen zu einer einvernehmlichen Lösung, so gilt der Einwand als angenommen. iii) Die endgültige Liste der Kandidaten für den Schiedsgerichtsvorsitz, ebenso wie ihre sukzessiven Veränderungen, wird zusammen mit den Lebensläufen der Kandidaten durch die Ratspräsidentschaft dem Verwaltungssekretariat mitgeteilt, wo

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die Liste hinterlegt wird. Die endgültige Liste wird den Vertragsstaaten durch das Verwaltungssekretariat zur Kenntnis gebracht. Art. 12 – Die an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten bestellen ihre Vertreter vor dem Schiedsgericht und können Berater für die Verteidigung ihrer Rechte bestellen. Art. 13 – Wenn zwei oder mehrere Vertragsstaaten die gleiche Position in der Streitsache vertreten, dürfen sie vor dem Ad-hoc-Schiedsgericht gemeinsam auftreten und können auch gemeinsam einen Schiedsrichter innerhalb der in Art. 10 Abs. 2 lit. i) festgelegten Frist benennen. Art. 14 – 1. Der Streitgegenstand kann nach dem Einreichen der Klageschrift vor dem Ad-hoc-Schiedsgericht und der Antwort der Streitgegenseite nicht mehr geändert werden. 2. Die vor dem Schiedsgericht eingereichten schriftlichen Positionen müssen inhaltlich auf denselben Gegenständen beruhen, die in den vorherigen Etappen des Streitbeilegungssystems, welche in diesem Protokoll und in dem Protokoll von Ouro Preto niedergelegt sind, beruhen. 3. In den einzureichenden schriftlichen Positionen müssen die Vertragsstaaten die zuvor durchlaufenden Etappen des Streitbeilegungsmechanismus angeben und ihre Positionen fundiert begründen. Art. 15 – 1. Das Schiedsgericht kann auf Antrag der interessierten Partei und in dem Maß, in dem begründete Vermutungen existieren, dass die Beibehaltung der Situation zu schweren und irreparablen Schäden bei einer der Parteien führen würde, einstweilige Maßnahmen erlassen, die es nach den Umständen für angemessen hält, um solche Schäden zu vermeiden. 2. Das Schiedsgericht kann diese Maßnahmen zu jedem Zeitpunkt aussetzen. 3. In dem Fall, dass der Schiedsspruch Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein sollte und die einstweiligen Maßnahmen nicht bereits vor dem Schiedsspruch ausgesetzt wurden, werden diese bis zur ersten Zusammenkunft des Revisionsgerichts beibehalten, welches sodann entscheidet, ob die Maßnahmen beibehalten werden. Art. 16 – 1. Das Schiedsgericht erlässt das Schiedsurteil innerhalb einer Frist von sechzig (60) Tagen, verlängerbar um höchstens dreißig (30) Tage, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Mitteilung des Verwaltungssekretariats über die Berufung seines Vorsitzenden. Kapitel VII – Revisionsverfahren Art. 17 – 1. Jeder an der Streitigkeit beteiligte Vertragsstaat kann gegen einen Schiedsspruch innerhalb von fünfzehn (15) Tagen ab dessen Bekanntgabe Einspruch beim Revisionsgericht einlegen. 2. Der Gegenstand des Revisionsverfahrens kann nicht über die im Schiedsverfahren behandelten rechtlichen Aspekte sowie die vom Ad-hoc-Schiedsgericht angestellten rechtlichen Interpretationen hinaus ausgeweitet werden. 3. Schiedssprüche, die ex aequo et bono entschieden wurden, können nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein.

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4. Das Verwaltungssekretariat kümmert sich um die verwaltungstechnischen Angelegenheiten und hält die Vertragsstaaten und die Gruppe Gemeinsamer Markt informiert. Art. 18 – 1. Das Revisionsgericht setzt sich aus 5 Mitgliedern zusammen 2. Jeder Vertragsstaat benennt einen (1) Richter und dessen Ersatz für einen Zeitraum von zwei (2) Jahren, höchstens zweimal verlängerbar. 3. Der fünfte Richter wird von den Vertragsstaaten einstimmig für drei (3) Jahre aus der unten bezeichneten Liste spätestens drei (3) Monate vor dem Ablauf der Amtszeit seines Vorgängers gewählt. Die Wahl desselben Richters für eine weitere Amtszeit ist grundsätzlich nicht möglich, es sei denn, die Vertragsstaaten einigen sich darauf. Der fünfte Richter hat die Nationalität eines der Vertragsstaaten des Mercosur, unbeschadet der Bestimmungen des Absatzes 4. Sollte keine Einstimmigkeit erreicht werden, wird das Verwaltungssekretariat den fünften Richter durch Losentscheid aus der besagten Liste innerhalb von zwei (2) Tagen nach Ablauf der Frist bestimmen. Die Liste für die Benennung des fünften Richters setzt sich aus acht (8) Kandidaten zusammen. Jeder Vertragsstaat schlägt zwei (2) Kandidaten vor, die die Staatsangehörigkeit eines der Mitgliedstaaten des Mercosur haben müssen. 4. Die Vertragsstaaten können sich einmütig auf andere Kriterien zur Ernennung des fünften Richters einigen. 5. Spätestens drei (3) Monate vor dem Ablauf der Amtszeit der Richter schlagen die Vertragsstaaten die Nachfolger vor. 6. In dem Fall, dass die Amtszeit eines Richters während der Behandlung eines Falles abläuft, bleibt dieser bis zur Beendigung des Falls im Amt. 7. Die einschlägigen Vorschriften des Art. 11 Abs. 2 sind zu berücksichtigen. Art. 19 – Die Mitglieder des Revisionsgerichts müssen ab dem Zeitpunkt der Annahme der Wahl zum Richter dauerhaft zur Verfügung stehen. Art. 20 – 1. Wenn der Streitgegenstand zwei Vertragsstaaten berührt, setzt sich das Revisionsgericht aus drei (3) Richtern zusammen. Zwei Richter müssen die Staatsangehörigkeit der jeweiligen an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten besitzen, während der dritte und vorsitzende Richter durch Losentscheid vom Direktor des Verwaltungssekretariats aus den übrigen Kandidaten, die nicht die Staatsangehörigkeit eines der Mitgliedstaaten besitzen, bestimmt wird. Der vorsitzende Richter wird einen Tag nach der Anrufung des Revisionsgerichts benannt. Ab diesem Tag gilt das Revisionsgericht als konstituiert. 2. Wenn der Streitgegenstand mehr als zwei Vertragsstaaten berührt, setzt sich das Revisionsgericht aus fünf (5) Richtern zusammen. 3. Die Vertragsstaaten können sich einmütig auf andere Kriterien für die Arbeitsweise des Revisionsgerichts einigen. Art. 21 – 1. Der Streitgegenseite wird Gelegenheit gegeben, innerhalb von fünfzehn (15) Tagen ab der Mitteilung über die Eröffnung des Revisionsverfahrens eine Stellungnahme abzugeben.

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2. Das Revisionsgericht äußert sich spätestens dreißig (30) Tage nach der Abgabe der Stellungnahme oder Ablauf der Frist für eine Stellungnahme, auf die sich der vorige Absatz bezieht. Das Gericht kann die Frist um fünfzehn (15) Tage verlängern. Art. 22 – 1. Das Revisionsgericht kann die rechtliche Argumentation und die Entscheidung des Ad-hoc-Schiedsgerichts bestätigen, abändern oder aufheben. 2. Das Urteil des Revisionsgerichts ist unwiderrufbar und gilt vorrangig vor dem Urteil des Ad-hoc-Schiedsgerichts. Art. 23 – 1. Die Streitparteien können sich darauf einigen, sich im Anschluss an die in Art. 4 und 5 dieses Protokolls festgelegten direkten Verhandlungen unmittelbar dem Revisionsgericht als einzige Instanz zu unterwerfen. In diesem Fall hat das Revisionsgericht die gleichen Befugnisse wie das Ad-hoc-Schiedsgericht. Es gelten die einschlägigen Bestimmungen der Artikel 9, 12, 13, 14, 15 und 16 dieses Protokolls. 2. In diesem Fall sind die Urteile des Revisionsgerichts für die an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten ab dem Erhalt der entsprechenden Benachrichtigung verbindlich, keinem Revisionsverfahren unterziehbar und insoweit rechtskräftig. Art. 24 – Der Rat des Gemeinsamen Marktes kann Regelungen für die Behandlung besonders dringlicher Fälle entwerfen, welche irreparable Schäden für die Mitgliedstaaten hervorrufen könnten. Kapitel VIII – Schiedsurteile Art. 25 – Die Schiedssprüche des Ad-hoc-Schiedsgerichts und des Revisionsgerichts werden mehrheitlich angenommen, müssen begründet und von dem Vorsitzenden und den übrigen Schiedsrichtern unterschrieben werden. Die Mitglieder des Schiedsgerichts dürfen keine abweichenden Voten begründen und müssen die Vertraulichkeit der Abstimmung ebenso wie die der Beratungen bewahren. Art. 26 – 1. Die Schiedssprüche des Schiedsgerichts sind für die an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten ab Erhalt der entsprechenden Benachrichtigung bindend und insoweit rechtskräftig, wenn die in Art. 17 Abs. 1 vorgesehene Frist für das Revisionsverfahren verstrichen ist, ohne dass das Revisionsverfahren initiiert worden ist. 2. Die Urteile des Revisionsgerichts sind unanfechtbar, bindend für die an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten ab Erhalt der entsprechenden Benachrichtigung und insoweit rechtskräftig. Art. 27 – Die Urteile müssen nach der Maßgabe erfüllt werden, wie diese es vorsehen. Die Anwendung von Kompensationsmaßnahmen gemäß den Bestimmungen dieses Protokolls befreit den Vertragsstaat nicht von der Pflicht zur Erfüllung des Urteils. Art. 28 – 1. Jeder der an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten kann innerhalb von fünfzehn (15) Tagen nach Benachrichtigung vom Schiedsspruch des Adhoc-Schiedsgerichts bzw. des Revisionsgerichts eine Erläuterung desselben beantragen oder eine Auslegung über die Form, in der dieser erfüllt werden soll.

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2. Das jeweilige Gericht äußert sich innerhalb der fünfzehn (15) Tagen nach der Beantragung der Erläuterung des Schiedsspruchs und kann die Frist verlängern, innerhalb derer der Schiedsspruch erfüllt werden muss. Art. 29 – 1. Die Urteile des Ad-hoc-Schiedsgericht und des Revisionsgerichts müssen innerhalb der vom jeweiligen Gericht festzusetzenden Frist erfüllt werden. Wenn keine Frist festgesetzt wird, sind die Urteile innerhalb von dreißig (30) Tagen nach ihrer Bekanntgabe zu erfüllen. 2. Im Falle, dass ein Vertragsstaat das Revisionsverfahren initiiert, wird die Erfüllung des Urteils des Ad-hoc-Schiedsgerichts für die Dauer des Verfahrens ausgesetzt. 3. Der im Urteil verpflichtete Vertragsstaat informiert innerhalb von fünfzehn (15) Tagen nach Bekanntgabe des Urteils die übrigen Vertragsstaaten sowie die Gruppe Gemeinsamer Markt durch das Verwaltungssekretariat über die zur Erfüllung des Urteils getroffenen Maßnahmen. Art. 30 – 1. Im Fall, dass der im Urteil begünstigte Vertragsstaat die getroffenen Maßnahmen für nicht ausreichend zur Erfüllung des Urteils befindet, kann dieser innerhalb von dreißig (30) Tagen nach Festlegung der Maßnahmen die Situation dem Ad-hoc-Schiedsgericht oder dem Revisionsgericht, je nachdem welches Gericht das Urteil erlassen hat, vortragen. 2. Das jeweilige Gericht muss innerhalb von dreißig (30) Tagen nach der Benachrichtigung über die unzureichende Erfüllung die aufgeworfenen Streitfragen schlichten. 3. Im Falle, dass es nicht möglich ist, das Ad-hoc-Schiedsgericht in derselben Besetzung wieder einzuberufen, wird dieses mit dem oder den entsprechenden Ersatzrichtern, auf die sich Art. 10 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 3 beziehen, besetzt. Kapitel IX – Kompensationsmaßnahmen Art. 31 – Wenn einer der Vertragsstaaten den Schiedsspruch des Ad-hoc-Schiedsgerichtes nicht oder nicht vollständig erfüllt, kann die Streitgegenseite innerhalb eines Zeitraumes von einem (1) Jahr, gerechnet ab dem Tag, an dem die Frist nach Art. 29 Abs. 1 endet, vorläufige Kompensationsmaßnahmen treffen, wie etwa die Aussetzung von Konzessionen oder gleichwertigen Verpflichtungen, mit dem Ziel, die Erfüllung des Urteils zu erreichen. Dies gilt unabhängig davon, ob bereits Maßnahmen nach den Bestimmungen des Art. 30 ergriffen wurden. 2. Der im Urteil begünstigte Vertragsstaat versucht dabei in erster Linie Konzessionen oder gleichwertige Verpflichtungen in den betroffenen Wirtschaftsbereichen auszusetzen. In dem Fall, dass dies nicht möglich oder uneffizient ist, können auch Konzessionen oder Verpflichtungen in anderen Bereichen ausgesetzt werden, wobei diese Entscheidung zu begründen ist. 3. Der die Kompensationsmaßnahmen anwendende Vertragsstaat muss den im Urteil verpflichteten Vertragsstaat über die Anwendung der Kompensationsmaßnahmen mindestens fünfzehn (15) Tage im Voraus unterrichten.

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Art. 32 – Wenn der im Urteil verpflichtete Vertragsstaat Kompensationsmaßnahmen anwendet, weil er die zur Erfüllung des Urteils getroffenen Maßnahmen für unzureichend hält, der im Urteil verpflichtete Vertragsstaat seine getroffenen Maßnahmen jedoch für ausreichend hält, kann dieser innerhalb von fünfzehn (15) Tagen nach der Benachrichtigung gemäß Art. 31 Abs. 3 die Situation dem jeweiligen Gericht, welches das Urteil erlassen hat, vortragen. Das jeweilige Gericht muss sich innerhalb von fünfzehn (15) Tagen ab seiner Zusammenkunft zu der Situation äußern. 2. In dem Fall, dass der im Urteil verpflichtete Vertragsstaat die getroffenen Kompensationsmaßnahmen für unverhältnismäßig hält, kann dieser innerhalb von fünfzehn (15) Tagen nach der erstmaligen Anwendung der Maßnahmen die Situation dem jeweiligen Gericht, welches das Urteil erlassen hat, vortragen. Das jeweilige Gericht muss sich innerhalb von fünfzehn (15) Tagen ab seiner Zusammenkunft zu der Situation äußern. i) Das Gericht äußert sich zu den getroffenen Kompensationsmaßnahmen. Es bewertet die gegebenenfalls vorgebrachte Begründung, Kompensationsmaßnahmen in einem anderen Bereich als demjenigen, der im Streitfall betroffen ist, anzuwenden, ebenso wie die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen. ii) Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt das Gericht unter anderem auch den Umfang und/oder den Handelswert in dem betroffenen Wirtschaftsbereich ebenso wie andere Schäden oder Faktoren, die sich auf die Höhe oder den Umfang der Kompensationsmaßnahmen ausgewirkt haben. 3. Vorbehaltlich, dass das Gericht keine andere Frist vorsieht, muss der die Kompensationsmaßnahmen anwendende Vertragsstaat diese innerhalb von fünfzehn (15) Tagen anpassen. Kapitel X – Gemeinsame Bestimmungen der Kapitel VI und VII Art. 33 – Die Vertragsstaaten erklären, dass sie die Gerichtsbarkeit der Ad-hocSchiedsgerichte, welche im Einzelfall gebildet werden, um über Streitigkeiten zu befinden und zu entscheiden, auf die sich das vorliegende Protokoll bezieht, sowie die Gerichtsbarkeit des Revisionsgerichts, welches nach Maßgabe der durch dieses Protokoll zugewiesenen Kompetenzen über Streitigkeiten befindet und entscheidet, als bindend anerkennen, ipso facto und ohne die Notwendigkeit eines besonderen Abkommens. Art. 34 – 1. Die Schiedsgerichte und das Revisionsgericht entscheiden die Streitigkeit auf der Grundlage der Bestimmungen des Vertrages von Asunción, des Protokolls von Ouro Preto, der im Rahmen des Vertrags von Asunción geschlossenen Abkommen, der Entscheidungen des Rates des Gemeinsamen Marktes, der Beschlüsse der Gruppe Gemeinsamer Markt, der Richtlinien der Handelskommission sowie auch der in der Sache anwendbaren Grundsätze und Bestimmungen des internationalen Rechts. 2. Die vorliegende Bestimmung beschränkt nicht das Recht der Ad-hoc-Schiedsgerichte sowie des Revisionsgerichts, sollte dieses als einzige und letzte Instanz nach den Maßgaben des Art. 23 tätig werden, eine Streitigkeit ex aequo et bono zu entscheiden, falls die Parteien dies so vereinbaren.

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Art. 35 – 1. Die Richter der Ad-hoc-Schiedsgerichte sowie des Revisionsgerichts müssen Juristen mit anerkannter Kompetenz auf den Sachgebieten sein, die Gegenstand von Streitigkeiten sein können, und mit dem Normsystem des Mercosur vertraut sein. 2. Die Richter müssen die notwendige Unparteilichkeit und funktionelle Unabhängigkeit von den jeweiligen Mitgliedstaaten bzw. deren jeweiligen öffentlichen Verwaltungen vorweisen und dürfen kein eigenes Interesse an der Streitsache verfolgen. Sie werden bestimmt anhand ihrer Objektivität, Vertraulichkeit und fachlichen Kompetenz. Art. 36 – 1. Die Ausgaben und Gehälter der Richter werden von dem jeweiligen Vertragsstaat aufgebracht, der sie ernannt hat. Die Kosten, die der Versitzende des Ad-hoc-Schiedsgerichts verursacht, werden vorbehaltlich einer anders lautenden Entscheidung des Gerichts zu gleichen Teilen von den an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten aufgebracht. 2. Die Ausgaben und Gehälter der Richter des Revisionsgerichts werden vorbehaltlich einer anders lautenden Entscheidung des Gerichts zu gleichen Teilen von den an der Streitigkeit beteiligten Vertragsstaaten aufgebracht. 3. Die Ausgaben, auf die sich die vorigen Absätze beziehen, können über das Verwaltungssekretariat beglichen werden. Dies kann über einen von den Vertragsstaaten noch einzurichtenden gesonderten Fonds zusammen mit der Begleichung der Beiträge für den Haushalt des Verwaltungssekretariats gemäß Art. 45 des Protokolls von Ouro Preto stattfinden oder jeweils im Moment, in dem ein Verfahren gemäß der Kapitel VI oder VII dieses Protokolls initiiert wird. Der Fonds wird vom Verwaltungssekretariat verwaltet, welches jährlich Rechenschaft über dessen Benutzung ablegt. Art. 37 – Die Höhe der Gehälter, Kosten für Reise, Unterkunft und sonstige Spesen der Richter werden von der Gruppe Gemeinsamer Markt festgelegt. Art. 38 – Der Sitz des Revisionsgerichts ist die Stadt Asunción. Unbeschadet dessen kann das Revisionsgericht in begründeten Fällen ausnahmsweise auch in anderen Städten des Mercosur tagen. Die Ad-hoc-Schiedsgerichte tagen in einer Stadt der Mercosur-Vertragsstaaten. Kapitel XI – Eingaben von Privaten Art. 39 – Das in dem vorliegenden Kapitel festgelegte Verfahren ist anzuwenden auf die von Privaten (natürlichen oder juristischen Personen) vorgebrachten Eingaben gegen den Erlass oder die Anwendung von rechtlichen oder verwaltungstechnischen Maßnahmen durch die Vertragsstaaten, die beschränkende Wirkung haben, diskriminierend oder auf unlautere Weise wettbewerbswidrig sind, in Verletzung des Vertrages von Asunción, des Protokolls von Ouro Preto, der im Rahmen des Vertrags von Asunción geschlossenen Abkommen, der Entscheidungen des Gemeinsamen Marktes, der Beschlüsse der Gruppe Gemeinsamer Markt oder der Richtlinien der Handelskommission.

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Art. 40 – 1. Die betroffenen Privaten reichen die Eingaben bei der Nationalen Sektion der Gruppe Gemeinsamer Markt des Vertragsstaates ein, an dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihren Geschäftssitz haben. 2. Die Privaten müssen die Fakten beibringen, die es erlauben, die Wahrscheinlichkeit der Verletzung und die Existenz oder Gefahr eines Nachteils festzustellen, damit die Klage von der Nationalen Sektion angenommen wird und damit sie von der Gruppe Gemeinsamer Markt und der Expertengruppe, falls diese einberufen werden sollte, bewertet werden können. Art. 41 – 1. Außer wenn die Eingabe sich auf eine Frage bezieht, welche den Beginn eines Streitbeilegungsverfahrens nach den Kapiteln IV und VII dieses Protokolls veranlasst hat, muss die Nationale Sektion der Gruppe Gemeinsamer Markt, welche die Eingabe nach Artikel 40 des vorliegenden Kapitels zugelassen hat, Beratungen mit der Nationalen Sektion der Gruppe Gemeinsamer Markt des Vertragsstaates aufnehmen, dem die Verletzung zugeschrieben wird, mit dem Ziel, eine unmittelbare Lösung der aufgeworfenen Frage zu suchen. Die Beratungen werden automatisch und ohne weitere Formalitäten beendet, falls die Frage nicht in der Frist von fünfzehn (15) Tagen ab der Mitteilung über die Eingabe an den beschuldigten Vertragsstaat gelöst werden kann. 2. Werden die Beratungen beendet, ohne dass eine Lösung gefunden werden konnte, legt die Nationale Sektion der Gruppe Gemeinsamer Markt die Eingabe ohne Notwendigkeit eines weiteren Verfahrens der Gruppe Gemeinsamer Markt vor. Art. 42 – 1. In der ersten Sitzung nach dem Erhalt der Eingabe untersucht die Gruppe Gemeinsamer Markt die Voraussetzungen gemäß Art. 40 Abs. 2, auf die die Zulassung der Eingabe durch die Nationale Sektion gestützt wurde. Sollte Konsens darüber bestehen, dass nicht alle Voraussetzungen zu ihrer Behandlung erfüllt sind, weist sie die Eingabe ohne weiteres Verfahren ab. 2. Wenn die Gruppe Gemeinsamer Markt die Eingabe nicht zurückweist, gilt sie als angenommen. Die Gruppe Gemeinsamer Markt wird sodann unverzüglich eine Sachverständigengruppe einberufen, die ein Gutachten über ihre Berechtigung innerhalb der nicht verlängerbaren Frist von dreißig (30) Tagen ab ihrer Bestellung anfertigen muss. 3. Innerhalb dieser Frist gibt die Sachverständigengruppe dem betroffenen Privaten und den Vertragsstaaten, gegen die sich die Eingabe richtet, die Möglichkeit, von der vollständig versammelten Sachverständigengruppe gehört zu werden und ihre Argumente vorzubringen. Art. 43 – 1. Die Sachverständigengruppe, auf die in Art. 42 Abs. 2 Bezug genommen wird, setzt sich aus drei (3) Mitgliedern zusammen, die von der Gruppe Gemeinsamer Markt bestellt werden oder bei fehlender Einigkeit über einen oder mehrere Sachverständige durch Abstimmung aus einer Liste von vierundzwanzig (24) Sachverständigen gewählt werden. Das Verwaltungssekretariat benachrichtigt die Gruppe Gemeinsamer Markt über den Namen des Sachverständigen oder der Sachverständigen, welche die meisten Stimmen erhalten haben. Im letzten Fall und außer, wenn die Gruppe Gemeinsamer Markt es auf andere Weise entscheidet, darf einer der bestellten Sachverständigen nicht Staatsangehöriger des Staates, gegen den

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sich die Eingabe richtet, noch des Staates sein, in dem der Private seine Eingabe unter den Bedingungen des Artikels 40 eingereicht hat. 2. Mit dem Ziel, die Sachverständigen aufzustellen, benennt jeder Vertragsstaat sechs (6) Personen mit anerkannter Kompetenz für die Fragen, die Gegenstand einer Eingabe sein können. Besagte Liste wird in dem Verwaltungssekretariat registriert. 3. Die sich aus der Tätigkeit der Sachverständigengruppe ergebenen Kosten werden zu dem Anteil, den die Gruppe Gemeinsamer Markt bestimmt, oder mangels Einigkeit zu gleichen Teilen von den direkt beteiligten Parteien getragen. Art. 44 – 1. Die Sachverständigengruppe sendet ihr Gutachten an die Gruppe Gemeinsamer Markt. i) Falls in diesem einstimmig zu beschließenden Gutachten die Berechtigung der gegen einen Vertragsstaat erhobenen Eingabe bestätigt wird, kann jeder andere Staat von diesem die Annahme von korrigierenden Maßnahmen oder die Aufhebung der in Frage stehenden Maßnahmen verlangen. Wenn dem Verlangen nicht in der Frist von fünfzehn (15) Tagen nachgekommen wird, kann der klagende Vertragsstaat direkt auf das Schiedsverfahren zu den in Kapitel IV des vorliegenden Protokolls festgelegten Bedingungen zurückgreifen. ii) Nach Empfang des Gutachtens, das eine einstimmige Lösung der Eingabe für nicht möglich gehalten wird, erklärt die Gruppe Gemeinsamer Markt die Eingabe im Anwendungsbereich dieses Kapitel [dieses Protokolls] umgehend für abgeschlossen. iii) Falls die Sachverständigengruppe keine Einstimmigkeit zur Erstattung eines Gutachtens erzielt, sendet sie ihre unterschiedlichen gutachterlichen Stellungnahmen an die Gruppe Gemeinsamer Markt, welche die Eingabe umgehend im Anwendungsbereich dieses Kapitel [dieses Protokolls] für abgeschlossen erklärt. 2. Die Beendigung des Verfahrens nach Maßgabe der Bestimmungen in lit. ii) und iii) steht nicht der Möglichkeit des klagenden Vertragsstaates entgegen, das in den Kapiteln IV und VI dieses Protokolls festgelegte Verfahren zu initiieren.

Kapitel XII – Allgemeine Bestimmungen Art. 45 – Auf jeder Stufe des Streitbeilegungsverfahrens kann derjenige, der eine Streitfrage bzw. eine Eingabe vorgebracht hat, diese wieder zurückziehen oder die beteiligten Streitparteien können zu einer einvernehmlichen Regelung finden, wodurch die Angelegenheit als beendet gilt. Beide Fälle müssen durch das Verwaltungssekretariat der Gruppe Gemeinsamer Markt bzw. dem entsprechenden Gericht mitgeteilt werden. Art. 46 – 1. Mit Ausnahme der Schiedssprüche sind alle bei den in diesem Protokoll vorgesehenen Verfahren eingebrachten Dokumente nur für die an der Streitigkeit beteiligten Parteien einsehbar. 2. Nach Maßgabe der Beurteilung der Nationalen Sektion der Gruppe Gemeinsamer Markt eines jeden Vertragsstaates und nur, wenn dies notwendig ist für die Ausarbeitung der Standpunkte, die dem Gericht vorgetragen werden, können besagte

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Dokumente auch anderen an der Streitfrage Interessierten zur ausschließlichen Kenntnis gebracht werden. 3. Unbeschadet der Bestimmungen in Abs. 1 regelt der Rat des Gemeinsamen Marktes die Art und Weise der Bekanntmachung der Schriftsätze und Darstellungen der bereits abgeschlossen Streitfälle. Art. 47 – Der Rat des Gemeinsamen Marktes verabschiedet das Reglement zu diesem Protokoll innerhalb von sechzig (60) Tagen nach seinem Inkrafttreten. Art. 48 – 1. Alle in diesem Protokoll genannten Fristen sind unverlängerbar und werden in laufenden Tagen von dem Tag an gezählt, der dem Tag folgt, auf den sich die Frist bezieht. Sollte eine Frist für das Einreichen eines Schriftsatzes oder für die Erfüllung einer Pflicht am Sitz des Verwaltungssekretariats nicht auf einen Werktag fallen, so verlängert sich die Frist bis zum ersten Werktag, der dem Tag des Fristablaufs folgt. 2. Unbeschadet der Bestimmungen des vorigen Absatzes können alle in diesem Protokoll vorgesehenen Fristen durch gemeinsame Übereinkunft der an der Streitigkeit beteiligten Parteien abgeändert werden. Die Fristen für die Verfahren vor den Ad-hoc-Schiedsgerichten und dem Revisionsgericht können abgeändert werden, wenn die Streitparteien dies dem jeweiligen Gericht erbitten und dieses der Bitte stattgibt. Kapitel XIII– Übergangsbestimmungen Art. 49 – Die Vertragsstaaten führen die ersten in den Art. 11, 18, und 43 Abs. 2 vorgesehenen Ernennungen und Benachrichtigungen innerhalb von dreißig (30) Tagen nach dem Inkrafttreten dieses Protokolls durch. Art. 50 – Für Streitigkeiten, die noch nach Maßgabe der Bestimmungen des Protokolls von Brasilia initiiert wurden, gilt dieses bis zu deren vollständigen Beendigung. Art. 51 – 1. Das Revisionsgericht verabschiedet eigene Verfahrensregeln innerhalb von dreißig (30) Tagen nach seiner Gründung, welche vom Rat des Gemeinsamen Marktes angenommen werden müssen. 2. Die Ad-hoc-Schiedsgerichte verabschieden eigene Verfahrensregeln, wobei sie sich an den vom Rat des Gemeinsamen Marktes zu verabschiedenden Modell-Verfahrensregeln orientieren. 3. Die in den vorigen Absätzen dieses Artikels genannten Verfahrensregeln gewährleisten, dass jede an der Streitigkeit beteiligte Partei die uneingeschränkte Möglichkeit bekommt, gehört zu werden und seine Argumente vorzutragen, und zudem die Verfahren zügig vonstatten gehen.

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Anhang Kapitel XIV– Schlussbestimmungen

Art. 52 – 1. Das vorliegende Protokoll, Bestandteil des Vertrags von Asunción, tritt am dreißigsten Tag nach der Hinterlegung der vierten Ratifikationsurkunde in Kraft. 2. Die Republik Paraguay ist der Depositar des vorliegenden Protokolls sowie der Ratifikationsurkunden und teilt den übrigen Vertragsstaaten das Datum der Hinterlegung dieser Urkunden mit. Die Republik Paraguay übersendet den übrigen Vertragsstaaten ordnungsgemäß beglaubigte Abschriften dieses Protokolls. Art. 53 – Noch bevor der Prozess der Angleichung des gemeinsamen Außenzolls beendet ist, werden die Vertragsstaaten eine Überprüfung des geltenden Streitbeilegungssystems mit dem Ziel durchführen, ein ständiges Streitbeilegungssystem für den Gemeinsamen Markt zu verabschieden, auf das sich Nummer 3 des Anhangs III des Vertrages von Asunción bezieht. Art. 54 – 1. Der Beitritt seitens eines Staates zum Vertrag von Asunción bedeutet ipso iure den Beitritt zum vorliegenden Protokoll. 2. Die Ablehnung des vorliegenden Protokolls bedeutet ipso iure die Ablehnung des Vertrags von Asunción. Art. 55 – 1. Das vorliegende Protokoll hebt ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens das Protokoll von Brasilia zur Beilegung von Streitigkeiten, unterzeichnet am 17 Dezember 1991, ebenso wie das Reglement zum Protokoll von Brasilia, verabschiedet mit der Entscheidung CMC 17/98, auf. 2. Unbeschadet dessen gelten das Protokoll von Brasilia und sein Reglement weiterhin bis zur Beendigung der in Art. 49 vorgesehenen Verfahren und zudem für Streitfälle, die unter der Geltung des Protokolls von Brasilia initiiert wurden, bis zu deren vollständigen Beendigung. 3. Die Verweise auf das Protokoll von Brasilia in dem Protokoll von Ouro Preto und seinem Anhang gelten entsprechend für das vorliegende Protokoll. Art. 56 – Die offiziellen Sprachen in allen in diesem Protokoll vorgesehenen Verfahren sind Spanisch und Portugiesisch. GESCHEHEN in der Stadt Olivos, Provinz Buenos Aires, Republik Argentinien am achtzehnten Tag des Monats Februar des Jahres zweitausendzwei in einem Original, in den Sprachen Spanisch und Portugiesisch, wobei beide Texte gleichermaßen authentisch sind.

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Sachwortregister 26. März 208, 621 Abgabe zollgleicher Wirkung 221, 224 abgestimmte Verhaltensweisen 350, 356, 361, 390, 396, 402–403, 508 abgestimmtes Festsetzen 444 abgestimmtes Verhalten 402, 405, 409, 411, 520 Abschottung, der Märkte 382 Abschottungseffekt, kumulativer 430, 432 Abschottungswirkung 463 Absprache von Preisen siehe Preisabsprachen 409 abstrakte Eignung 87, 522 Abwehr unerwünschten Wettbewerbs 421 acquis communautaire 62, 266 Acta de Trujillo 24 acuerdo de alcance parcial 25, 35 acuerdo marco 38, 586 Adalat/Bayer-Fall 400 Ägypten 30, 613 Aktivlegitimation 166 ALADI 22–23, 25, 35, 224, 226, 230, 240, 246, 258–259, 310 ALALC 22–23, 25, 30 ALCA 614 Alcoa-Fall 349, 524 Alleinvertriebsvereinbarungen 459 Alleinvertriebsverträge 452, 455 allgemeiner Wille 98, 345, 481, 619 Allgemeinheit 50, 357, 500, 645 Allgemeinwohl 261, 295–296, 494, 498–499, 502, 618 Allokation von Ressourcen, optimale 346

Allokationstheorie 306 Ambulanz-Glöckner-Urteil 564 American-Express-Fall 542 ancillary restraints 468, 495 Ancillary-restraints-Doktrin 468, 490, 506 Andengemeinschaft 24, 30, 205, 239, 613 Andengerichtshof 24, 198 Andenpakt 22–24, 30, 198, 585, 608 Anfangseuphorie 612 angeborene Freiheit 129, 345, 481 Angebot und Nachfrage 430, 437 Angebotsmärkte 435 Angebotssubstitution 436 Angemessenheit 251, 471, 527, 529 Anknüpfungspunkte für die Preisberechnung 410 Anmeldepflicht 475, 479, 506 Anpassungsordnung 189, 226–228, 231, 247 Antidumping 241–242, 574 Antidumpingmaßnahmen 173, 570, 574 Antidumpingrecht 571 Antitrustrecht 353, 401, 466–467, 488–489, 499, 505, 584, 607 Antriebs- oder Fortschrittsfunktion 341 Anwendungsvorrang 80, 95 – des EG-Kartellrechts 389 Anzilotti, Dionisio 42 aplicación directa 94, 123–124 aplicación inmediata 94, 105 aplicación simultánea 105, 359 Apothekenkammern 366 Arbeitnehmerfreizügigkeit 262–264, 266–267, 272–273, 275, 277–279,

Sachwortregister 281, 284–285, 298, 306, 310, 314, 316, 320, 329, 331, 595–596, 601 Arbeitslosigkeit 276 – Rückgang 614 Arbeitsverhältnis 276, 278 Arbeitsvisum 316 Área de Libre Comercio de las Américas 614 Argentinien 20, 26, 80, 120, 125, 135, 137, 203, 206–207, 225–228, 231–233, 243, 251, 253, 314, 327, 339, 352, 363, 371, 376–377, 386, 388, 394, 396, 399, 409, 418, 428, 431–433, 435, 437, 442, 450, 463, 467, 497, 503–505, 511–512, 518–519, 530, 533, 544, 552, 555, 560, 584, 603, 606–607, 612 Argentinienkrise 20, 612, 614 Armut 272, 617 Ärzte- und Apothekerkammern 452 Ärztekammern 366, 500 aseptische und nichtaseptische Verpackungen 438 Asociación Latinoamericana de Integración 22 Asociación Latinoamericana de Libre Comercio 22 Aspen-Skiing-Co.-Urteil 555 assoziierte Mitglieder 30 assoziierte Staaten 613 Assoziierung, interregionale 20 Assoziierungsabkommen 29, 208 Aufenthaltsrecht 276, 278, 313 Auffangtatbestand 214, 283, 402, 465 Aufteilung – Absatzmärkte 459 – Einkaufsmärkte 459 – Kunden 459 – Märkte 427, 458, 489 – Märkte und Versorgungsquellen 458 – Rohstoffversorgungsquellen 458–460 aus der Sicht der Verbraucher 435 Ausbeutungsmissbrauch 351, 525–526, 534–535, 584, 607

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Ausbildung 272–273, 275, 281, 502, 620, 646 Ausfuhr 614 Ausfuhrbeihilfen 423, 573, 575 Ausfuhrverbot 157, 400 Ausgleichsmaßnahmen 242, 569–570 – WTO 576 Auslegung 104, 107, 150, 155–156, 160–162, 164–165, 176, 178, 180, 183, 186, 188, 192–193, 195–196, 259, 290, 296, 301, 304, 317, 320, 334, 353–354, 370, 374–375, 378, 380–382, 385–386, 388, 394, 396, 402, 423–424, 428, 465, 472, 476–477, 484–486, 488, 491, 498–499, 503, 506, 508, 519, 523, 553, 565, 567, 571, 582, 592, 598–599, 602–605, 610, 613, 636, 648, 654 – teleologische 88, 95, 97, 196 Auslegungsmethode 176, 194, 196, 334 Ausnahmetatbestand 491, 497, 504, 507, 607 ausschließliche Anwendbarkeit – des EG-Kartellrechts 486 – des Gemeinschaftsrechts 387 ausschließliche Belieferung von Großhändlern 533 ausschließliche Bezugsbindungen 463, 548 – faktische 544 ausschließliche Bezugsvereinbarungen 452, 541, 547, 609 ausschließliche Bezugsverpflichtungen 451, 541 ausschließliche Bezugsverträge 542 ausschließliche Gesetzgebungskompetenz 137 ausschließliche Konzessionen 289 ausschließliche Liefervereinbarungen 452, 541, 547, 609 ausschließliche Lieferverpflichtungen 451 ausschließliche Lieferverträge 542

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Sachwortregister

ausschließliche Rechte 372 ausschließliche staatliche Rechte 517 ausschließliche und konkurrierende Zuständigkeiten 75 ausschließliche Zuständigkeit 259, 473 ausschließlicher Bezug 457, 543 ausschließliches Abgrenzungsmerkmal 387 Ausschließlichkeit 496, 546–547 Ausschließlichkeitsbedingungen 350, 384, 416, 496, 530 Ausschließlichkeitsbindungen 451–453, 455, 541–548, 609 – als Mittel der Markterschließung 453 Ausschließlichkeitsklauseln 423, 451, 501, 542, 546, 548, 610 – positive Wirkungen 548 Ausschließlichkeitsrechte 372, 378, 605 Ausschließlichkeitsvereinbarungen 541, 543–544, 547, 610 Außenwirkung 417 Außenzoll 231–232, 235 Austauschbarkeit 435, 437, 439, 510, 515 – auf der Angebotsseite 436 – aus Sicht der Verbraucher 435 – keine hundertprozentige Gleichwertigkeit erforderlich 437 Austritt 204 Auswahlfreiheit Dritter 609 Auswirkungsprinzip 349, 355, 379–380, 388 Autoachsen 438 autoejecutable 123–124, 590 Automobil 228, 231, 332, 601 Automobilindustrie 228, 236, 261, 329 Automobilsektor 229, 231, 433 autonomes Festsetzen von Preisen 399 Autoritarismus 614

Bagatellbekanntmachungen siehe Deminimis-Bekanntmachungen 384 Bagatellklausel 385, 432 Bahn 438 Basel-I 326 Basel-Kriterien 326 Bedingungen des An- und Verkaufs 449, 525 Beeinflussung der Preise 356–357 Befugnis 47–50, 68, 75, 166, 205, 334, 563 – zu zwingen 205 Befugnisse – gesetzliche 364 – hoheitliche 286 – konkrete 57 – verfassungsrechtliche 364 – weitreichende 50 Befugnisüberschreitung 52, 69 begrenzte Ermächtigung 48, 75, 302, 334, 587 Behinderungsmissbrauch 351 Beihilfe 232, 242, 254–255, 266, 323, 339, 348–349, 357, 361–362, 364, 568–575, 646 Beihilferecht 254, 349, 568–569, 573, 576 Beitritt 36, 62, 135, 282, 312, 379, 615 Beitrittskandidat 30 Berechnungsschemata, Veröffentlichung 447 Berechnungstabellen 410 Bereichsausnahmen 332, 368, 381, 601 Berufs- oder Interessensverbände 448 Berufs- oder Interessensvereinigungen 452 Berufs- und Standesorganisationen 411 Berufsausübung 293, 597 Berufsverbände 449, 465 Beschränkungen der Produktion 468 Beschränkungsverbot 218, 280, 303, 316–317, 328, 333, 344, 361, 363,

Sachwortregister 400, 421, 521, 535, 583, 596, 599–603, 606 Beschwerde 167–169, 179, 182, 633, 638–639 Beschwerdeführer 170–171, 179, 182, 186, 593 Bestimmtheit 104 Bestimmungen, verfassungsrechtliche 587 Bestimmungslandprinzip 224, 254 Beurteilungsspielraum 483 Bezugs- oder Lieferverträge, ausschließliche 542 Bezugsverträge 544 bezwecken oder bewirken 379, 394, 413, 424–425, 496–497, 535, 583, 606 Bildung, Zugang zu 617 Bildungspolitik 271–272 Binden 437 Binnenmarkt 28, 210, 331–332, 335–336, 347, 374, 387, 390, 418, 425, 440, 453, 456, 458, 486, 523, 529, 531, 535, 601 – europäischer 601, 604 Binnenzölle 123, 200, 227, 229–230 Binnenzollfreiheit 227, 235 BMI-Fall 469 BMW-Belgium-Fall 400 Böhm, Franz 342 Bolivien 23, 29, 208, 613 Bona-fides-Prinzip 64 Bonifikationen 457 Bosch-Urteil 478 Boykott 464, 468 Brasilien 20, 23, 26, 111, 120, 136, 138, 164, 172, 190, 192, 203, 206–207, 225–228, 232, 235, 253–255, 328, 339, 352, 354, 359, 363, 371, 377, 386, 388, 393–394, 396, 399, 409, 422, 428, 431–432, 435, 437–438, 450, 466, 495, 503–504, 516, 518, 539, 552, 560, 572, 584, 603, 605–607, 612–613

Bronner-Fall 553 Buchpreisbindung 450, 452 buena fe 192 Bündeltheorie 383, 416, 430 Bundesgesetz 125 Bundesstaat 72–73, 254, 332, 334 – europäischer 73 – existentieller 73 Bundesstaatsverfassung 72 – Mercosur 72 Bürgerschaft, verfasste 71, 97 Cafés-la-Virginia-Fall 171 Cartagena-Abkommen 23–24 Cassis de Dijon 215, 220, 258, 261 Chancengleichheit 325, 573, 616 Chicago-Board-of-Trade-Fall 468 Chicagoer Schule 343 Chile 23, 29, 208, 613 Chiquita-Urteil 549 Circulo-Médico-Fall 500 Civitas 481 classa politica 619 clausula rebus sic stantibus 242 código aduanero 248 Colegio Médico de Corrientes 511 College-Football-Fall 469 comfort letters 474–475 Comisión Nacional de Defensa de la Competencia 352 Comités Técnicos 53 competencia comercial 356 concurrere 414 Conselho Administrativo de Defensa Econômica 352 Consenso de Buenos Aires 616 Containerschiffe 437 Continental-Can-Doktrin 610 Costa/ENEL 83, 89, 95, 110, 128, 195, 389 CTI-Fall 560

713

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Sachwortregister

Daseinsvorsorge 329, 348, 366, 372, 374, 378, 605 Dassonville-Formel 214, 220, 257, 316 Dassonville-Urteil 223 Daueraufenthaltsrecht 276 dauerhafte Preiserhöhungen 439 de facto 367, 552 de jure 367 De-minimis-Beihilfen 573 De-minimis-Bekanntmachungen 384, 430 De-minimis-Regel 384–385 De-minimis-Verordnung für Beihilfen 573 De-minimis-Wettbewerbsbeschränkungen 386 Declaración de Iguazffl 26 Declaración Sociolaboral 616 Defizit, demokratisches 56, 202, 271, 619 Delimitis-Urteil 416 Demokratie 612, 614, 616–618 Demokratieverständnis 619 demokratisches Prinzip 302, 327, 334, 601, 618 Deregulierung 374, 377 Deutscher Bund 184 Dienstleistungsfreiheit 268, 278, 281, 283–287, 289, 292, 295–299, 301–304, 306–307, 310, 331, 333, 355, 596–598, 601 Dienstleistungsrichtlinie 302 Dienstleistungswettbewerb 525, 566–567, 610 Diskriminierung 35, 64, 111, 123, 127, 132, 154, 158, 189, 192–193, 219, 223–224, 252, 259, 264, 276, 291, 351, 393, 460–462, 529–535, 537, 543–544, 546–548, 553, 556, 609 – am Arbeitsplatz 616 – aufgrund der Staatsangehörigkeit 252, 264, 276, 531 – einseitige 460 – faktische 216, 531

– kollektive 461, 609 – verdeckte 289, 597 diskriminierungsfrei 457 Diskriminierungsverbot 218, 252, 280–281, 303, 328, 460, 462, 529, 531, 533–535, 596, 608 Dispute Settlement Body 184, 197 Dispute Settlement Understanding 197 Dogmatik – des EuGH 84, 86, 89, 96, 101, 196, 389, 589 – des EU-Rechts 83, 85 – des Mercosur-Rechts 82, 589 dominante Position 509, 512, 515 dominante Stellung 376, 604 Doppelverzollung 234, 236, 262, 330, 595, 612 Dozenten 274 Dritt- oder Außenwirkung 417 Drittwirkung 280–281, 596 – potentielle 429 Dumping 242, 355–356, 570, 574 durchschnittliche Gesamtkosten 558 Durchschnittskosten, variable 557–558 economies of scale 517 Ecuador 23, 30, 613 efecto directo 94, 123, 126 effects doctrine 349 Effektivität 109 – der gemeinsamen Normen 108 – der Integrationsmethode 44 – des Schiedsgerichts 158 effet utile 107, 194 Effet-utile-Doktrin 109, 127 Effizienz 17, 342, 351, 490, 492, 497, 502, 584, 586 – als Ziel der Wettbewerbsordnung 468 – des Wettbewerbs 607 – einer Repressalie 184 – wirtschaftliche 457, 500–501, 523, 566

Sachwortregister Effizienzgewinne 344, 490, 496, 501–502, 544, 546 Effizienzverbesserungen 494 Effizienzvorteile 545–546, 567, 611 Eigenständigkeit – der europäischen Rechtsordnung 128 – der Gemeinschaftsrechtsordnung 96 Eigentumsgewährleistung 327 Einfuhrlizenz 190, 214 Einheitliche Europäische Akte 40 einheitliche Geltung 102, 130, 202 Einheitstatbestand 361, 443, 520, 525–526, 535, 582–583, 606 Einkaufspreis, ausbeuterisch niedriger 528 Einreise 274–275 – von Fachpersonal 316–317, 599 Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen 273, 275 Einreiseerlaubnis 279, 596 Einreiseland 274–275 Einreisende, Typen 276 Einreiseterminals 621 Einrichtung – funktionale, der Staat als 98 – zwischenstaatliche 102, 143 einseitige Abhängigkeit 516 Einsparung von Kosten 470 Einstandspreis 351 Einzelfreistellung 475 Ekmekdjian/Sofovich-Urteil 110, 130, 134 Embargo 157 emerging markets 20, 207 enabling clause 36 Endregelungswettbewerb 329, 600 Engpasseinrichtung 554 Entscheidungen, oktroyierte 149 entstaatlichen, im existentiellen Sinne 98 Erfolge, integrationspolitische 612

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Erhard, Ludwig 342 erhebliche Marktmacht 461, 535, 584, 607, 609 erheblicher Schaden 174, 243 Erhöhung der Rentabilität 470 Erlaubnisvorbehalt 495, 584, 607 Ermächtigung, begrenzte 48, 75, 302, 334 Ermächtigungsklausel 36 Ermessen, Beurteilungsspielraum 483 Ermessensspielraum 468, 483, 486, 493, 505, 507 Erzwingen von Konditionen 526 Erzwingen von Preisen 444, 526 Erzwingen von Preisen und Konditionen 527, 583, 606 escape clauses 242 Essential-facilities-Doktrin 551–553 Etikettierung 337 Etikettierungsvorschriften 219 EU-Rechtslehre 75, 587, 590 EU-Richtlinie 90–91, 93, 122, 141, 590–591 EU-Verfassung 333 EU-Zollkodex 240–241, 248 Eucken, Walter 342 Europäische Union, kein Staat im existentiellen Sinn 100 europaweite Märkte 441 Ewigkeitsklausel 98 ex aequo et bono 155, 159, 185–186 ex nunc 478 ex tunc 478 excedente total 501 Executive-Class-Fall 367 existentielle Staaten 72 existentielle Staatlichkeit 71–73, 75, 98, 102, 130, 328, 333–334, 587, 600 – vornehmstes Merkmal 73 existentieller Bundesstaat 73 existentieller Staat 71, 204 Exklusivität 533 – beim Bezug 452

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Sachwortregister

Exklusivitätsklauseln 452, 547 Export- oder Produktionsbeihilfen 255 Export- und Importkartelle 459 Exportbeihilfen 255, 577 Exportförderung 575 Exportkartell 348 Exportpreis 239 Exportverbot 382, 459 Fähigkeit, Preise zu bestimmen 512 faktische – ausschließliche Anwendbarkeit 486 – ausschließliche Bezugsbindungen 544 – Behinderung des zwischenstaatlichen Handels 214 – Beschränkung des zwischenstaatlichen Handels 257 – Diskriminierungen 216 – Subsidiarität 391 – Verbindlichkeit 163, 405 faktischer – Vorrang des strengeren Rechts 389 – Zwang 536 Farbstoff-Fall 380 Fernsehen – frei empfangbar 438 – Pay-TV 438 Festpreise 378, 489 Festsetzung – von Geschäftsbedingungen 410 – von Preisen 410, 446, 525–526 – von Verkaufspreisen 427 – von Wiederverkaufspreisen 427 fiktive Basispreise 192 Finanzbranche 326 Finanzmonopol 371–373 Finanzprodukte 232, 262, 330, 595 Finanzsektor, Liberalisierung 329, 600 Fluglinie 438 Flugzeug 438 Ford-Fall 437 Forscher 273–274

Fortschritt – abhängig vom Willen der Mitgliedstaaten 199, 594 – technischer 562 – wirtschaftlicher 343, 506 Franchisegeber 457 Franchisenehmer 457 Franchisevereinbarungen 457 Franchiseverträge 455, 457 Free Trade Area of the Amercias 614 Freiburger Schule 342 freie Marktwirtschaft 553, 614 Freihandelszone 22, 24–25, 28, 30, 32, 150, 208–210, 228–229, 329, 332, 601, 614–615 Freiheit – aller 341 – allgemeine 98, 129 – als Selbstbestimmung 333 – angeborene 129, 345, 481 – der Bürger 99–100, 334 – der Marktteilnehmer 344–345 – des Handels 382 – des Kapitalverkehrs 304, 312, 327, 598 – des Menschen 334 – des Warenverkehrs 191, 261–262, 595 – des Wettbewerbs 337, 345 – des Zahlungsverkehrs 306 – Einschränkung 598 – Gegenteil der 601 – Kern der 302, 598 – Verwirklichung 72–73, 98–99, 608 – wirtschaftliche 345, 547, 609 – zum Austritt 204 freiheitliche Demokratie 616 freiheitsdogmatisch 399 freiheitsdogmatische Erwägungen 300, 598 Freistellung 452, 465, 467, 469, 473–477, 479, 491, 522, 584

Sachwortregister Freistellungsanträge 474 Freistellungsentscheidung 473, 475 Freistellungsentscheidungen 483 Freistellungsgenehmigung 493 Freistellungsmöglichkeit 467 Freistellungsregelung 453, 505 Freistellungssystem 466, 473, 475, 493, 506 Freistellungsverfahren 465, 476, 496 Freistellungsvoraussetzungen 483 Freistellungsvorbehalt 482, 504–505 Freiwilligkeit der Mitgliedschaft 204 Freizügigkeit 273–276, 280–281, 320, 336 – allgemeine 263 – der Arbeitnehmer 209, 264, 267, 273–274, 330, 595 – der Familienangehörigen 276 – des Dienstleistungsverkehrs 294 – gewerbliche 298 – objektive 333 – unternehmerische 299, 598 – von Kapital 210 – von Personen 210 – von Waren 210 Freizügigkeitspolitik 263 Fremdbestimmung, als Gegenteil der Freiheit 601 FTAA 614–615 Fühlungnahme 406 Funktionen, unterstützende 307 Funktionieren – der Gemeinschaft 127 – der Märkte 498 – der Zollunion 52 – des Angebots- und Nachfragemechanismus 498 – des Gemeinsamen Marktes 308, 576 – des Marktmechanismus 501 – des Wettbewerbs 497, 499, 503 Funktionsrabatte 546

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Gaststudenten 274 GATS 282, 291, 294–295, 301 Gebietsabsprachen 430, 490 Gebietshoheit 100 Gebrauchsgewohnheiten 437 Gefahr eines Schadens 167, 503 – abstrakt-logische 503 Gegengiftthese 343 Geltungsvorrang 95 Gemeinsame Parlamentarische Kommission 55–57, 60, 111, 617 gemeinsame Währung 20, 323 gemeinsame Zollformulare 248 gemeinsamer Außenzoll 27, 122, 125, 151, 200, 228–230, 233–238, 248, 262, 330, 332, 356, 595, 600 – Ausnahmen 231 gemeinsamer Zolltarif 262, 595 gemeinsames Zollgebiet 238 Gemeinschaft, supranationale, Merkmal 85 gemeinschaftliche Ausübung der Staatsgewalt 100 Gemeinschaftsgewalt 101 – supranationale 84 – übergeordnete 101 – überlegene öffentliche 84 Gemeinschaftsorgane 45, 56, 66, 75, 85, 128, 139, 177, 277, 384, 387, 397, 400, 427, 481, 603 Gemeinschaftsrecht – als Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung 101 – einheitliche Geltung 97 – im engeren Sinne 83 – im europäischen Sinne 195 – Merkmale 138 – Primär- und Sekundärrecht 65, 587 – südamerikanisches 138 – unmittelbare Anwendbarkeit 88 – unmittelbare Geltung 87–88, 98, 143 – Verhältnis zu nationalem Recht 96

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Sachwortregister

– Vorrang 95–96, 98, 102–103, 125, 127–128, 139, 143, 389, 391, 421, 589 – Vorrang, faktischer 389 Gemeinschaftsrechtsdogmatik 196 Gemeinschaftsrichtlinie 121–122 Gemeinschaftsverträge 88, 102 genossenschaftlicher Verkauf 572 genossenschaftliches Recht 67, 184, 594 gentlemen’s agreements 403, 409 Gerechtigkeit 135, 272, 616 – soziale 17, 586, 618 Gerechtigkeit, Gleichheit, Vernunft und Freiheit 584, 606 Gesamtüberschuss 500–501, 546 Gesamtumsatzrabattkartell 446 Gesamtwürdigung 442, 567 Gesamtzoll, nominaler 252 Geschäfts- oder Lieferverweigerung 464 Geschäftsbedingungen 410, 444, 447, 449–451, 526, 529, 533, 542 – abgestimmte Festsetzung 444 – angemessene 529 – auferlegte 527 – Festsetzung 444 – Offenlegung 447 Geschmacks- und Gebrauchsmusterrecht 560 gesellschaftlich-moralisch bindende Absprachen 403 Gesetz 125, 129 – nationales 156 Gesetze – als allgemeiner Wille 98 – moralische 68 Gesetzesrang 135 Gesetzesrecht 110, 126, 130, 132–135, 138, 164, 393, 590, 592 Gesetzgebung 127 – Harmonisierung 28, 56 – Recht zur obersten 98

Gesetzgebungsakte 95 Gesetzgebungskompetenz, ausschließliche 137 Gesetzlichkeit, allgemeine 98 Gesundheit und Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen 219, 258, 295 Gesundheits- oder Verbraucherschutz 142, 215 gesundheits- oder veterinärmedizinische Untersuchungen 213, 250 Gesundheits- und Pflanzenschutz 250 Gesundheits- und Verbraucherschutz 249 gesundheitsgefährdend 260 Gesundheitsschutz 334, 601 Gesundheitswesen 452 Gewaltenteilung, innerstaatliche 126 Gewerbefreiheit 344 gewerbliche Schutzrechte 517, 560, 562 gleichförmiges Verhalten 412 Gleichheit 135 – der Chancen 618 Gleichheitsgrundsatz 64, 183 Gleichrangigkeit, Mercosur-Recht und nationales Gesetzesrecht 132 gleichzeitige Geltung 105 Größenvorteile 517 Grundfreiheiten 209–210, 218, 252, 263, 277, 280, 283, 289, 305, 307–310, 316, 329–330, 332–333, 337, 418, 421, 595–596, 598–601 Grundordnung, demokratische 134 Grundrechte 217, 334, 601 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 221, 583, 606 Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft 354 Grundsätze eines marktwirtschaftlichen Systems 354 Gründungsverträge 38, 65 Gruppenfreistellung 477 Gruppenfreistellungsvereinbarung 477

Sachwortregister Gruppenfreistellungsverordnung 452, 474–475, 477, 486 guten Willen der Genossen 68, 184 gutes Leben aller 129, 481, 619 Haftung des Staates 171 Handelsbedingungen – faire 355–356 – gleiche 355 Handelsrecht 137, 298 – internationales 240 Handelsverträge 242 Handelsverzerrungen 20, 251 Handelswettbewerb 356–357 Handlungs- oder Unterlassungsverpflichtung 122–124, 590 Handlungs- und Vertragsfreiheit 344, 460, 464, 467, 535, 547, 551, 609 Handlungsfreiheit 583, 606 Harmonisierung 246, 253, 349 – der Bildungssysteme 272 – der Gesetzgebung 28 – der Kapitalmarktregelungen 311, 327, 598 – der nationalen Kartellrechte 358 – der Sanktionen 251 – der Vorschriften 256 – des nationalen Wettbewerbsrechts 358 – des Steuerrechts 323 – einschlägiger Rechtsgebiete 253 – nationaler Gesetzgebung 56 – sozialrechtlicher Bestimmungen 279 – sozialrechtlicher Vorschriften 299, 598 – verwaltungstechnischer Regelungen 29 – von Investitionsanreizen 323 Hauptprodukt 463, 537, 539 Hauptverträge 495, 506 Haushalt und Gewerbe 438 Hayek, Friedrich August von 343 Hegemonialinteressen 614

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Herkunftslandprinzip 289, 299, 597–598 Herren der Verträge 204 Herstellungsvollkosten 528 Hierarchie 78, 82, 132, 589 – unterhalb des Gesetzesrechts 132 Hierarchieebene 81 Hilti-Fall 538 H-Milch-Fall 213 Höchst- oder Niedrigpreise 410 Höchstpreise 445 höchstrangige Verwirklichung der Freiheit 73 Hoffmann-La-Roche-Urteil 509 hohe Qualität 502 Hoheitsgebiet 68, 100, 218, 313 Hoheitsgewalt 85 Hoheitsgewässer 238, 313 Hoheitsrechte 31, 72, 75, 102 – Einschränkung 137 – Übertragung 85, 89–90, 100, 102, 128, 135, 137, 143–144, 148 – Übertragung auf EU 100 hoher Beschäftigungsgrad 502 Hoppmann, Erich 343 horizontale Absprachen 413, 430, 449–450, 452, 459 horizontale Integration 510 horizontale Kartelle 449 horizontale Marktaufteilung 459 horizontale Vereinbarungen 468 horizontale Wettbewerbsbeschränkungen 350, 413, 469 horizontale Zusammenarbeit 490 Hüterin der Verträge 54 Image 437 Immaterialgüterrechte 256 Importlizenz 188 Importlizenzvergabe 190 Importquoten 229 Importsonderregelungen 235 Importsubstitution 23, 614

720

Sachwortregister

in aller Munde 621 in dubio pro communitate 334, 601 Indien 30, 613 Individualbeschwerde 119, 151–152, 169, 171, 591, 593 Indiz – einer beherrschenden Marktstellung 512 – für ein schlechtes System 198 – für eine geringe Austauschbarkeit der Güter 437 – für eine Verhaltensabstimmung 408, 412 Indizes 410 Indizien 407 Industriegase-Fall 539 Informatik und Telekommunikation 232 Informatik- und Telekommunikationsbranche 231 Informatik- und Telekommunikationsgüter 232 Informatik- und Telekommunikationssektor 232, 235 Informatiksektor 240 Infrastruktureinrichtungen 552 Initiativfunktion 50, 53, 60 innergemeinschaftliche Wirkung 106 innergemeinschaftliche Zölle, Abschaffung 245 innergemeinschaftlicher Handel 122, 214, 235, 257, 261, 595 innovatorische Rechtsfortbildung 202 Integration 137, 173, 210, 271 – Abhängigkeit der Fortentwicklung vom Willen der Regierungen 201 – auf marktwirtschaftlicher Basis 354 – der Kapitalmärkte 306, 329 – der Märkte 618 – des Rechts 587 – durch Wettbewerb 346 – Fortentwicklung der 58 – Fortgang 253 – Hindernis 619

– – – – – –

klassische 31 kulturelle 136 neue Art der 31 regionale 22, 137, 150, 354 soziokulturelles Phänomen 621 Stand 41, 114, 118, 120, 124, 133, 135, 139, 144, 590 – wirtschaftliche 23, 136, 176 – Ziel 188, 194 – zügige 78 Integrationsabkommen 37 Integrationsbemühungen 28, 612, 614 – Erfolg 618 – frühere 322, 618 – in Europa 621 – vorausgegangene 150, 205 – vorherige 594 integrationsfördernde Absprachen 453 Integrationsform 209 Integrationsmechanismen, bekannte 39 Integrationsmechanismus 52 – funktionierender 69 Integrationsmethode 33, 40, 77, 185, 201 – Effektivität 44 – Pragmatismus 110 – Übergangscharakter 151 Integrationsmodell, europäisches 196 Integrationsmodelle 36 – ältere 615 integrationspolitische Funktion, des Binnenmarktes 387 Integrationsprinzip 102, 334, 336 Integrationsprinzipien 195 Integrationsprojekt 17, 28, 31 – am Völkerrecht orientiertes 77 – Bewusstsein der Bürger für das 271 – fortgeschrittenste 175 – gelungenste, in Südamerika 612 – neuartiges 199 – wirtschaftliches 586 Integrationsprojekte – frühere 301

Sachwortregister – gescheiterte 43 Integrationsprozess 28, 33, 40, 59, 158, 312, 569 – bisheriger 191 – Effektivität 109 – Förderung 60 – Irreversibilität 208 – Konsolidierung 281 – Nutzen 360 – verdichteter 193 – Verlangsamung 201, 587 – Verrechtlichung 193 Integrationsprozess, Fundament 190 Integrationsraum, wichtigster, Lateinamerikas 201 Integrationsrecht 109, 127, 138, 201 – Gültigkeit 594 – Gültigkeit folgt aus Integrationswillen 205 – kein Vorrang 130 – Vorrang 108 – Vorrang immanent 127 – Wesensmerkmal 108, 110 Integrationsstadium 333, 600–601 – angestrebtes 346, 612 – Gemeinsamer Markt 32 – Gemeinsamer Markt nahe 332 Integrationssystem 223 Integrationstechnik 201 Integrationstiefe 621 – zunehmende 53 Integrationsversuche, frühere 41 Integrationsvertrag 38, 42, 71, 586 Integrationsverträge 78 Integrationswille 28, 43, 102, 193, 198, 206–208, 594 interés económico general 466, 497 Interessenverbände 448, 465 Interessenvertretungen, Beschlüsse 410 Interpretationsmethode 195 – des EuGH 194 interregionale Assoziierung 20

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interregionales Rahmenabkommen 19, 29 Intra-Mercosur-Handel 29, 45, 52, 122, 225, 236, 246, 255, 587 – Ausnahmen 228 – keine weiteren Beschränkungen 227 – Vervierfachung 201 Investitions- und Produktionsförderung 575 Investitionsschutz 321, 599 Investitionsschutzabkommen 321, 599 Investitionsstandort 321 invocabilidad directa 94 ipso iure 266, 282, 312, 379 Israel 30, 613 ius cogens 83 Jellinek, Georg 184 Kabelfernseh-Urteil 528 Kalkulationskartelle 446 Kampfpreise 557, 559, 610 Kampfpreisunterbietung 517, 555, 557, 609–610 Kampfpreiswettbewerb 560 Kanada 150, 613 Kant, Imanuel 73 kantianisch 471, 481 Kapitalmarktstrukturen 329, 600 Kapitalverkehrsfreiheit 209, 289, 304, 306–311, 314–316, 318–319, 325, 327–328, 330, 595, 598, 600 Kartellgrenzen 209 Kausalität 499 Kausalitätsbeziehung 408 Kausalitätserfordernis 418, 494 – umgedrehtes 499, 607 Keck-Urteil 219 kein Selbstzweck 203, 346, 618 Kelsen, Hans 42, 99 Kernbeschränkungen 430, 489, 495, 499 Koalitionsfreiheit 616

722

Sachwortregister

kollektive Buchpreisbindung 450, 452 kollektives Festsetzen 444 Kollisionsfall 388 Kollisionsklausel 388 Kollisionsnorm 379, 387 Kollisionsproblem 388 Kollisionsregel 310 Kolonialherrschaft 26 Kolumbien 30, 613 komparative Vorteile 346 Kompensationsmaßnahmen 157–160, 174, 184–185 Kompetenz 70, 152, 167 – anerkannte 155 Kompetenzabgrenzung 50 Kompetenzbereich 50, 53, 153 Kompetenzen 46–47, 49–53, 78 – übertragene 102 – weitreichende 48 Kompetenzkonflikte 74, 587 Kompetenzverteilung 253 Kompetenzvorschriften 42, 586 Konditionen 415, 457, 531, 583 Konditionenkartell 444 Konditionenmissbrauch 529 Konferenz, diplomatische 66, 79, 148, 588 Konflikt der Rechtsordnungen 392, 582, 605 konkludente Zustimmung 400, 603 konkreter Schaden 166 Konkurrenz 414, 516, 533, 545, 557 – zwischen Kartellverbot und Missbrauchsverbot 518 Konkurrenzproblem 521 Konkurrenzprodukte 546 Konkurrenztechnologie 562 Konkurrenzverhältnis 350 Konsensprinzip 48, 50, 67, 70, 75, 77, 148, 153, 162, 169, 179, 182, 201, 203, 394, 587, 591, 593, 595 Kontrahierungszwang 550 Konvention 585

Konventionen und Verträge 393 Konvergenzkriterien 207 Konzessionen – Aufhebung 157 – ausschließliche 289 – staatliche 364 – technisch oder wirtschaftlich notwendige 377 Koppelung 462–463, 535–536, 539, 543, 609 – durch positive Anreize 536 – wettbewerbswidrige 463 Koppelungsgeschäfte 351 Koppelungspraktiken 462–463, 519 Koppelungsstrategien 462, 535, 537, 539 Koppelungsverbot 462, 608 Koppelungsverträge 463, 517 Kostenvorteile 546 – komparative 346 Kreuzpreiselastizität 439 Kristallzucker 438 Kronenzeitung-Fall 560 Künstler 274, 369 Kurzzeitvisum 276 Ladenöffnungszeiten 449 lang und steinig 332 Lateinamerikanische Integrationsassoziation 25 Lauterkeit des Handelsverkehrs 421 Lauterkeitsrecht 337–338, 357, 397, 401, 420–421 Leasinggeber 539 Leasingverträge 539 Lebensmittelgewerbe 292, 597 Legalausnahme 376, 469, 475, 477, 479–480, 482, 490, 503–506, 584, 604, 607 Legalausnahmeregelung 607 Legalausnahmesystem 507, 607 legislative Maßnahme 166 legislative Relevanz 113

Sachwortregister legislativer Charakter 115 Legitimation, demokratische 48, 50, 55–56, 70, 75, 202–203, 302, 304, 480, 587, 594, 619 Lehre – acquis communautaire 62 – des EuGH 96 – deutsche, vom lauteren Wettbewerb 357 – essential-facilities 553 – monistische 108 – südamerikanische Praxis und 353 – umgekehrter Monismus 67, 99, 129 – vom besonderen Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht 86 Leistungswettbewerb 398, 444, 573 lex posterior 79, 81–82, 244, 589 lex posterior derogat legi priori 82, 129 lex specialis 80, 129, 244, 568 Liberalismus, klassischer 342 Liefer- bzw. Kontrahierungszwang 550 Liefer- oder Bezugsverträge 423 Lieferbedingungen 446 Lieferverweigerung 464, 517, 537, 548–551, 555, 608–609 Lizenz 241, 292–293, 317, 561, 597, 599 – Verwertung 319 Lizenzrechte 457 Lizenzvergabe 187, 190, 560 Lizenzverträge 316–317, 599 Lohnfertigungsverträge 454 Lohnkonkurrenz 290 lokale Märkte 441 Maastricht-Konvergenzkriterien 207 Maastricht-Urteil 56, 100–101, 142, 181, 204, 484 Maastricht-Vertrag 236, 330–332, 601, 621 Machtposition, endgültige 341 Manipulation des Marktes 465

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Maritime-Belge-Transports-Fall 558 Markenrecht 560 Markt – Autoachsen 438 – Manipulation 465 – Skischulen 555 Marktabgrenzung 433, 509 – enge 442 – örtliche 442 – räumliche 433 – sachliche 433 Marktabschottung 331, 416, 542, 544, 547 Marktabschottungswirkung 416–417 Marktanalyse 428 Marktanteil 382, 385, 398, 429–430, 432, 441, 452, 463, 511, 513–515, 517–518, 537 – bedeutendes Kriterium zur Feststellung von Marktmacht 511 – der Vertragssysteme 430 – des Lieferanten 475 – wichtigstes Indiz einer marktbeherrschenden Stellung 516 Marktanteilsschwellen 430, 516 Marktaufteilung 350, 454, 459, 464, 468, 500 – horizontale 459 Marktaufteilungsabsprachen 455 Marktausschluss 451, 542, 544, 549 Marktausschlusswirkung 542 marktbeherrschende Position 347, 399, 449, 460, 462, 526, 535, 549, 584, 603 marktbeherrschende Stellung 351, 357, 395–399, 401, 417, 433, 443–444, 452, 454, 463–465, 492, 497, 508, 510, 513–516, 518–519, 523–526, 539, 541, 547, 551, 564, 573, 583, 602, 606, 672 Märkte – bessere Durchdringung 470 – Erschließung 470

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Sachwortregister

Marktfreiheiten 27, 210, 302, 308, 317, 327, 347, 598, 620 Marktführerschaft 444, 512, 521, 523, 526, 557 marktgerechte Preise 351 Marktinformationssysteme 447 Marktmacht, Ausdehnung 544 Marktmachtkonzept 431–432, 508 Marktmachtmissbrauch 461, 522, 535, 540, 542, 562, 572 Marktmechanismus, Funktionsfähigkeit 498, 501 Marktstellung, starke 517 Marktstruktur 546, 559, 565–567, 610 – unvollkommene 419 – wettbewerbliche 357 Marktstrukturkriterien 511, 514, 516 Marktwirtschaft – Grundsatz der offenen 354 – wettbewerbsverfasste 212 marktwirtschaftlich orientierter Gemeinsamer Markt 335 marktwirtschaftliche Verfassung 337 marktwirtschaftliches System 354 Marktzugang 361, 385, 394–395, 416, 424, 433, 465 Marktzutritt 413, 420, 568 – Behinderung 425, 451, 499 – Beschränkung 343, 424–425 – freier 425 – Schutz 425 Marktzutrittsbarrieren 412 Marktzutrittshemmnisse 518 Marktzutrittsmöglichkeit 514 Marktzutrittsschranken 420, 440, 513, 517–518 – rechtliche 510 Marx, Karl 344 Maßnahmen gleicher Wirkung 27, 188, 213, 218, 221–222, 225, 247, 333 Mastercard-Fall 542

medidas compensatorias 157, 242, 569 medidas de salvaguardia 80 medidas equivalentes 221 Mehrfachverzollung siehe Doppelverzollung 235 Mehrwertsteuer 254 Mehrwertsteuerregelungen, unterschiedliche 215 Meistbegünstigung 291, 313 Meistbegünstigungsklausel 36 Meistbegünstigungsprinzip 36, 282, 291, 293, 300, 310, 314–317, 322, 333, 598–599, 601 Mengenrabatt 539, 546 Menschenrechte 134–135, 616–618 Menschenwürde 203, 616 Menschheit des Menschen 129, 345, 481 Mercosur-Bürgerschaft 73 Mercosur-Gefühl 621 Mercosur-Parlament 57, 203, 594, 613, 617 Mercosur-Rechtsordnung 133 Mercosur-Reisepass 264 Mercosur-Visum 274 Mexiko 30, 613, 615 Militärregierung 23 Mindestpreise 445, 489 Minimalregelung 325, 600 Minimalregelung der Kapitalmärkte 323, 328 Missbrauch hoheitlich gewährter Marktmacht 563 Missbrauch von Marktführerschaft 521, 526, 541 Missbrauch von Marktmacht 351, 356, 361, 400, 444, 450, 464, 492, 508, 523, 526–528, 537, 545, 549, 557–558, 566–567, 603, 610 missbräuchlicher Einsatz, von gewerblichen Schutzrechten 560 missbräuchlicher Einsatz, von Rabatten 545

Sachwortregister mittelbar abgestimmte Preise 447 Molkerei 214, 442 Monismus – nach Kelsen 99 – umgekehrter 67, 98–99, 129 monistisch 99 Monopol 328, 342, 374, 419, 523, 560, 563, 575, 603–604 – gesetzliches 364, 373, 378, 562, 605 – halbstaatliches 552 – öffentliches 377–378, 605 – örtliches 350 – staatliches 289, 359, 363, 371–375, 377, 560, 562, 568, 604–605 monopolartige Unternehmen 378 Monopolpreis 540 Monopolrente 341, 574 Monopolstellung 371–372, 375, 401, 523–524, 536, 604 Monopolunternehmen 563 Moral 189, 258, 295, 616 moralische Verpflichtung, zur Einhaltung des selbst geschaffenen Rechts 205 Moralität 68, 72, 205 – der Menschen 72 Motor der Integration 49 multilaterale Verträge 69 Nachfragemärkte 435 Nationalökonomie 342 Nebenabreden 468, 490, 495, 506 Nebenprodukt 463, 537 Neste/Yötuuli-Urteil 417 Netzmonopol 552 Neuklassik 343 neuklassisches Wettbewerbsparadigma 344 Nichtdiskriminierung 291, 313 Nichtdiskriminierungsprinzip 314, 316–317, 529, 599 Nichtigkeitsklage 177–178

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Niederlassungsfreiheit 209, 268, 278, 281, 284, 287, 297–298, 302–303, 307, 309, 331, 595–596, 601 niedrige Preise 502 Niedrigpreise, Abstimmung 410 Niedrigpreispolitik 351 Notarskammern 366 Notwehr 68 öffentliche Moral 189, 258 Öffnung der Märkte 23, 352, 569 Oktroyierung, einer Rechtsentwicklung 619 Oligopol 407, 412, 514 – beherrschendes 519 oligopolistische Märkte 412 oligopolistische Strukturen 347, 407 Ordnung und Sicherheit, öffentliche 219, 277–278, 295–296, 331, 418, 421, 539 Ordoliberalismus 342 ordre-public 190, 192, 257–258, 260, 277 Orientierung an Preisindizes 446 pacta sunt servanda 67, 134 Pakistan 30, 613 Panel-Entscheidung 197 Paraguay 17, 27, 34, 131, 135, 137, 184, 225–227, 231–235, 253, 327, 340, 359, 393, 433, 507, 586, 605, 613, 617 parallele Preiserhöhung 407, 412 Parallelimporte 427, 456, 459 Parallelverhalten 407–408, 411 Parteienoligarchie 619 Patente 517, 552, 560, 562 Patentinhaber 552 Patentrecht 560 Per-se-Verbot 468–469, 489, 495 Peru 23, 30 Pflanzen 219, 238, 250 Pflanzenschutzmaßnahmen 250

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Sachwortregister

Pflanzenschutzprodukte 192 politische Union 621 potentiell überlegende Gewalt 100 potentiell überlegene öffentliche Gemeinschaftsgewalt 84 potentiell wettbewerbsbeschränkende Handlung 428 potentiell wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen 506 potentielle Behinderungen 316 potentielle Drittwirkungen 429 potentielle Mitbewerber 517 potentielle Vertragspartner 548, 610 potentielle Wettbewerber 420, 511, 573 potentielle Wettbewerbsbeschränkungen 466 potentieller Wettbewerb 361, 418–420, 436, 515 Poucet-und-Pistre-Fall 370 pouvoir constituant 73 prácticas desleales 356 Pragmatismus 110, 199 praktische Vernunft 471 Präsidialdemokratien 199 Preis – abgestimmte Festsetzung 444 – Abreden 450 – Absprache 409 – Abstimmung 410 – angemessen 528 – einseitige Bestimmung 399 – Erzwingen 444, 526–527, 529 – Festsetzung 444, 465, 525 – kollektives Festsetzen 444 – künstlich aufrechterhalten 458 – künstlich hoher 412 – überhöhter 528 – unangemessen 527–528 – wichtigster Wettbewerbsparameter 444 Preis- oder Konditionenkartell 444 Preisabsprache 495

Preisabsprachen 344, 350, 412, 448, 454, 468, 495, 499 Preisankündigung 407 Preisberechnung 410 Preisbestandteile 446 Preisbildung 510 Preisbildungsfreiheit 559, 610 Preisbindung 350 – vertikale 450, 457 Preisdiskriminierung 517 Preise von Konkurrenten 407 Preisempfehlung, vertikale 450 Preisempfehlungen 410, 448, 450, 465 Preiserhöhung 439 – dauerhafte 420 Preisfestsetzung 445, 455, 498 – abgestimmte 445, 450 – einseitige 516 – individuelle 526 – vertikale 450 Preisfreiheit 584, 606 Preisgleichgewicht 406 Preisindizes 446 Preiskartell 444, 446, 449 Preiskontrollen 340, 399, 412 Preislisten 447 – Veröffentlichung 407, 447 Preismissbrauch 399, 528, 534 Preisnachlässe 446 Preisniveau, hohes 419 Preispolitik 399, 501, 533, 583, 606 – Koordinierung 410 Preisregulierungen 553 preisrelevante Informationen, Veröffentlichung 410 Preissenkung 501 Preistheorie 342, 447, 461 Preistransparenz 412 Preisunterbietung 351, 410 Preisunterschied 533 Preisvorgaben 448, 465 Preiswettbewerb 545, 557 – erwünschter 351

Sachwortregister Primär- und Sekundärrecht – Gleichrangigkeit 79 – keine Definition 571 – keine Unterscheidung 65, 79, 132 Primärrecht 66–67, 78–79, 86–87, 104, 116, 132, 148, 196, 282, 312, 359, 477, 571, 588 Primat – der staatlichen Rechtsordnung 99 – des innerstaatlichen Rechts 100 – des Völkerrechts 99 Prinzip, demokratisches 302, 334, 601, 618 Prinzip der begrenzten Ermächtigung 48, 56, 75, 302, 334, 587 Prinzipien mit Verfassungsrang 334, 601 Privatautonomie 210, 344–345, 551, 608–609 Privatheit 467, 547, 584, 606, 609 Privatheitsprinzip 460, 609 Privatisierung 377, 552 Produkteigenschaften 219, 437 Produktions-, Investitions- und Exportbeihilfen 577 Produktionsbeschränkungen 489 Produktionsstandorte 29 Produktionssteigerung 494 Produktmarkt 434–435 – Abgrenzung 437 Produktvarianten 415 Produktwettbewerb 525, 567 Profertil-Fall 530 Professoren 274 Programa de Liberación Comercial 37 Programm zur Handelsliberalisierung 24, 41, 43, 123, 189, 195, 225–226 Protektionismus 213–214, 227, 347, 574 Qualität 415 quantitative Marktanteile 511 Quersubventionierung 560

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Quotenabsprachen 344 Quotenkartelle 350, 454 Rabattaktion 501 Rabatte 410, 415, 449, 457, 533 Rabattkartelle 446 Rabattsysteme 544 Rahmenabkommen – interregionales 19, 29 – Umweltschutz 250 Rahmenvertrag 33, 37–39, 42–44, 123, 586 Rang 131, 133, 135, 393–394, 590, 606 Rangfolge 81–82, 589 Rangfrage 131, 392 – internationaler Verträge 137 Rangordnung 78–80, 82, 589 Rangregel 81 Rangstufe 82, 103, 127, 589 Recht – ausschließliches 372, 517, 555, 560, 563–564 – der Wirtschaftsintegration 157 – genossenschaftliches 67, 184, 594 – subjektives 118, 165, 170 – supranationales 84 – WTO 244, 571 – zum Austritt 204 Rechtsangleichung 141, 225, 252, 256–257, 265, 300, 328, 330–331, 334, 421, 590, 598, 600–601 Rechtsanwaltskammern 366 Rechtsanwendungsbefehl 101, 202 Rechtsetzung 56, 111, 131, 199, 595 – Befugnis 33, 42, 586 – oktroyierte 203 Rechtsfortbildung 506 – innovatorische 202 Rechtsharmonisierung 215, 247, 300, 598 – maßvolle 329, 600 Rechtsordnung – autonome 83

728

Sachwortregister

– des Mercosur 138, 591 – eigene 89 – losgelöste 83–84, 97 – strengere 389, 394, 507, 606 – supranationale 135 – ursprüngliche 99 Rechtspersönlichkeit 368 – des Mercosur 19, 35, 48 – juristische 368 – Unternehmen mit 371 Rechtsschutz 120, 162, 169, 171, 175, 178, 182–183, 186, 217, 313, 593 – Dritter 485 – vor nationalen Gerichten 581 Rechtssicherheit 64, 150, 161, 165, 181, 183, 321, 479, 592 Rechtsstaatlichkeit 618 Rechtsunsicherheit 349, 479, 485, 507 redeeming virtues 468 Reformen des Wettbewerbsrechts 352 Regelung, souveränitätsschonende 165 Regiebetrieb 368 régimen de adecuación 189, 227 régimen de origen 237 regímenes especiales 330, 600 regímenes especiales comunes 233 regímenes especiales de importación 233, 236 Reimporte 400, 456 relevanter Markt 416–417, 419–420, 432–434, 473, 492, 508, 511, 514, 550 – Definition 509 – geographisch 375, 441–442, 486, 604 – räumlich 384, 439–440, 442 – sachlich 384, 434–435, 437–439, 442, 604 – zeitlich 433 remedial imperfection 343 Repressalie 68, 147, 157–158, 160, 184–185, 593 Republik 98, 103

requisitos específicos 240 restricciones no arancelarias 221 Restwettbewerb 515, 564–565, 610 Retorsion 68, 157–158 Revisionsgericht 46, 54, 126, 147, 159–160, 162–165, 174, 180–181, 586, 592, 613, 618 Risikokapital 326 Rivalen 407, 415 Roaming 458 Römische Verträge 37, 40, 42, 256 Rudolf, Walter 93 rule of reason 465–468, 488–491, 495–497, 499, 502, 506, 584, 607 Rule-of-reason-Doktrin 468 Sacchi-Urteil 547 Sandoz-Fall 400, 403 Satellitenfernsehen 438 saveguard measures 242 Schachtschneider, Karl Albrecht 98 Schaden, konkreter 166 Schiff 438 schikanöse Ausgestaltung – von Grenzkontrollen 213 – von Verwaltungsregelungen 292, 597 Schirm-Gruppenfreistellungsverordnung 475 Schlüsseltechnologien 560 Schranken-Schranke 584, 606 Schutzklauseln 39, 241–244 Schutzmaßnahmen 80, 241–244, 382 Schutzpflicht-Dogmatik 217, 318 schutzwürdiger Wettbewerb 343, 418, 420 Schwierigkeiten, verfassungsrechtliche 137 Sekundärrecht 42, 65–67, 78, 82, 86, 104, 112–113, 132, 148, 196, 202, 571, 586 Selbständigkeitspostulat 405, 407 selbstausführend 123–124, 590 Selbstbestimmung 333

Sachwortregister Selbstbestimmungsrecht 67, 204 Selbstheilungskräfte des Wettbewerbs 343 Selbsthilfe 68, 184–185, 339 Selbstkosten 351 Selbstkostenpreis 410, 555, 557–558 selektive Vertriebssysteme 400, 455, 457 selektive Vertriebsvereinbarungen 456 selektiver Vertrieb 455 Selektivität 571–573 self executive 106 Senkung der Preise 470 Service 415 Sherman Act 340, 349, 401, 467–468, 523–524 Simmenthal 90 sindicatos 616 Sittlichkeit 73, 98, 219, 345 Skilift 555 Skischule 555 Skonti 446, 449 Smith, Adam 342 Solange III 181 Solange-Entscheidungen, des BVerfG 181 Sondervermögen 368 Souveränität 22, 67, 125, 129, 146, 204, 327, 386, 585 Souveränitätsdenken, ausgeprägtes 149 Souveränitätsrechte 89–90, 128, 143, 145, 200 – Abtretung 34 – Übertragung 85 Souveränitätsverzicht 122, 147 Sozialprinzip 328, 600, 619 Sozialrechtsordnung 269 Sozialstandards 265, 290, 302 Spezialregelung 79–80, 82, 218, 589 Spezifität 571 Sportler 274, 369 spürbare – Auswirkungen auf Dritte 429

729

– Handelsbeeinträchtigung 384 – objektive Vorteile 471 – wettbewerbsbeschränkende Wirkungen 430 – Wettbewerbsbeschränkung 433, 444 spürbarer Vorteil 573 Spürbarkeit 384–385, 387, 428–432 Spürbarkeits- bzw. Marktmachterfordernis 433 Spürbarkeitserfordernis 384, 433 Spürbarkeitskriterium 431 Staat – der Ämter 71 – existentieller 71–72, 100 – funktionaler 71–72 – im engeren Sinne 71–72 – republikanischer 68, 71 Staatenbund 140, 145, 195 Staatenverbund 101, 144, 591 – supranationaler 144 Staatenzusammenschluss 206, 591, 594 Staatlichkeit 100 – funktionale 100 – Rechtlichkeit der gemeinsamen 181 – republikanische 98 Staatsgewalt 67, 72, 97, 100, 302, 598, 618 – aus dem Willen des Volkes 67 – gemeinschaftliche 100, 102 – unabhängige, autonome europäische 97 Staatshaftung 171 Stabilität 19 – makroökonomische 307 – volkswirtschaftliche 329 stabilitätsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik 207 Standard-Oil-Fall 468, 488, 556 Standesvertretungen 366 Standort- und Spezialisierungsvorteile 306 Standortnachteile 304

730

Sachwortregister

Statistiksteuer 251–252 Steuerungsfunktion 342 stillschweigende Zustimmung 400, 403, 603 Streitschlichtungs-Forum, völkerrechtliches 172, 592 Struktur der Marktgegenseite 516 subjektives Beschwerdeinteresse 166 Submissionskartell 446 Subsidiarität, faktische 391 Subsidiaritätsklausel 75, 587 Subsidiaritätsprinzip 334, 601 substituierbar 435 Substituierbarkeit 439 – aus der Sicht der Nachfrager 435 – potentielle 515 Substitute 439 Substitutsprodukte 419 Subventionen 355–357, 570 Südafrika 613 Süd-Süd-Integration 207 Summe der Marktanteile 455 supranational auferlegte Anerkennungspflicht 300, 598 supranationale Ausrichtung, der EU 61 supranationale Elemente 148, 591 supranationale Europäische Union 126 supranationale Gemeinschaft 143 supranationale Gemeinschaftsorgane 85 supranationale institutionelle Ausgestaltung, nicht zwingend erfolgreich 205 supranationale Organe 144, 199, 205, 594, 619 – Abneigung 203 supranationale Organisation 135, 142–143, 145, 195 supranationale Rechtsordnung 135 supranationale Verordnung 271 supranationaler Charakter 31, 33 supranationaler Staatenzusammenschluss 591

supranationales Gemeinschaftsrecht 136 supranationales Gericht 177, 197 supranationales Rechtssystem 585, 608 Supranationalität 142–146, 148, 176, 199, 591 – gewisser Grad an 148 System unverfälschten Wettbewerbs 529 Systemwettbewerb 302 Tag des Mercosur 208, 621 Tampons 437 Teerfarben-Urteil 388–389, 390, 393–394, 507, 605 Teilvorrang 133 Telekommunikationssektor 232, 262, 330, 595 Territorialprinzip 380 Tetra Pak II 537, 543 Transportkosten 441–442, 534 Transportkostenempfindlichkeit 440–442 Transportpreise 236 Treu und Glauben 192 Treue- und Zielrabatte 544 Treuerabatte 545 Triepel, Heinrich 42 TRIPS 561 Übergangscharakter 33, 39, 44, 151, 199, 586 überhöhte Preise 399 UK Network Sharing Agreement 458 ultra-vires 484 umgekehrter Monismus 67, 98–99, 129 Umsturzversuche 73, 319, 617 Umweltschutz 247, 249–250, 257, 334, 490, 601 Unabhängigkeit, von des anderen nötigender Willkür 98 unangemessene Konditionen 530 Unangemessenheit 527, 530, 563 – von Preisen 527

Sachwortregister Ungleichheit, soziale 616 Unionsbürger 100, 275, 278, 285, 596, 621 Unionsstaat, im existentiellen Sinn 97 Universitätsprofessoren 273, 279 unlautere Handelspraktiken 432 unlautere Praktiken 355–357, 398, 570, 602 unlautere Verhaltensweisen 337, 356 unmittelbare Anwendbarkeit 86–89, 91–94, 118–124, 126, 131, 134, 139, 148, 165, 171, 178, 208, 304, 391, 473, 483, 585, 589–590, 608 unmittelbare Geltung 86–87, 89–94, 96, 104–105, 107–111, 114, 117–119, 121, 123–125, 133, 136–137, 139, 144, 182–183, 201–202, 253, 589–591 unmittelbare Wirkung 89, 91–92, 118, 476 unsichtbare Hand 342 Untätigkeitsklage 177–178 Unternehmensvereinigungen 368, 404 – Beschlüsse 390, 402–404, 408, 410 unterschiedliche Konditionen gegenüber Großhändlern 532 unterschiedliche Preisniveaus 456 Unverbindlichkeit – der Stellungnahmen des Revisionsgerichts 180 – der Vorabentscheidung 181 – von Vorlageentscheidungen 171 unverfälschter Wettbewerb 349, 355, 406, 487, 491, 511, 520, 524, 529, 565, 569, 610 Urheberrecht 517 Ursprungsland 236–237, 274 Ursprungslandprinzip 254 Ursprungsregeln 39, 79, 236–237, 240, 249, 588 Uruguay 17, 27, 34, 60, 125, 136, 138, 146, 164, 184, 192, 203, 223, 225–227, 231–235, 253, 328, 340, 393–394, 586, 592, 606, 612, 614

731

Uruguay-Runde 281 van Gend & Loos 86, 88, 109 Venezuela 23, 30, 613 Verbesserung der Qualität 470 Verbindlichkeit 134, 146, 165 – Ausmaß 74, 589 – der gemeinsamen Regelungen 141 – der Normen 73 – der Rechtsakte 74 – des Primärrechts 67 – des Rechts 67 – faktische 163, 405 – Mercosur-Normen 130 – Mercosur-Recht 111, 129, 146 – rechtliche, folgt aus dem Willen der Völker 97, 130 – Reichweite 74, 589 – völkerrechtliche 137 – völkerrechtlicher Verträge 205, 594 Verbindlichkeiten – keine echten, sondern nur eventuelle 130 – unter Völkern 98 Verbindlichkeitswirkung 146 Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 475, 482 Verbot mit Freistellungsvorbehalt 482 Verbot mit Legalausnahme 475, 504–506, 607 Verbraucherschutz 142, 215, 219, 247, 249, 257, 334, 337, 601 Verbraucherschutzpolitik 620 verdeckte Handelsbeschränkungen 247 Verdrängungswettbewerb 351 Verdross, Alfred 42 Verfassung 71, 81, 98, 103, 137, 581 – argentinische 110, 131, 133, 179 – brasilianische 136, 146, 164, 393, 592 – der Europäischen Union 333 – des Mercosur 70, 209 – eines Mercosur-Bundesstaates 72

732 – – – – – – – –

Sachwortregister

eines republikanischen Staates 71 europäische 97, 204 freiheitlich-demokratische 178 gemeinsame 100 marktwirtschaftliche 337 materielle 70 paraguayische 131, 135, 393 uruguayische 136, 146, 164, 393, 592 Verfassungen – der Mitgliedstaaten 97, 102–103, 108, 110, 114, 117, 130, 133, 137, 139, 181, 581, 590 – konkurrierende 72 – nationale 127 Verfassungsänderungen 110 Verfassungsbedenken 137 Verfassungsbestimmungen 393, 587 Verfassungsgebung, Recht zur 98 Verfassungsgerichte 117 Verfassungshoheit, der Mitgliedstaaten 98 Verfassungslage 127 Verfassungsprinzip 276 Verfassungsprobleme, durch das Konsensprinzip reduzierte 201 Verfassungsrang 334, 601 Verfassungsrecht 135, 590 verfassungsrechtlich bedenklich 181 verfassungsrechtlicher Kern 348 Verfassungsreform 138, 200, 328 Verfassungsrichter 181 Verfassungsstruktur, föderale 253 Verfassungsvertrag 204 Verfestigung der Marktanteile 451, 542 Vergleichsmarktkonzept 527–528 Verhaltensabstimmung 406, 408–409, 412, 416, 444, 454 Verhaltenskoordinierung 412, 415, 426, 443, 447, 525 Verhältnismäßigkeit 488 – Erfordernis 472 Verhältnismäßigkeitsgebot 158

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 61, 64, 174, 221, 494, 529, 583, 606 Verhältnismäßigkeitsprinzip 174, 220, 259, 296, 471, 487, 529 Verkauf unter dem Selbstkostenpreis 410 Verkaufsbedingungen 398 Verkaufsmodalitäten 219 Verkaufspreis 528 – Festsetzung 427 vermeintlich unabhängige Organe 205, 594 Vermittlungsfunktion 50 Vernunft 584, 606 – im Namen der 507 – praktische 471 – wirtschaftliche 495 Verringerung des Angebots 458 Verteidigungsbündnis, kein Staat im existentiellen Sinne 101 Verteilung – der Kompetenzen 253 – der Produktion 502, 512 – der Waren 469, 494 – der Zolleinnahmen 235 – des Einkommens 341, 616 – des Gewinns 494 – des Nutzens 360 Verteilungsfunktion 341 Verteilungsproblem 235 vertikale Abreden 450 vertikale Absprachen 344, 350, 413, 430, 449–450, 452, 459, 541 vertikale Ausschließlichkeitsbedingungen 384 vertikale Ausschließlichkeitsbindungen 452 vertikale Integration 510, 516–517 vertikale Preisbindungen 450, 457 vertikale Preisempfehlungen 450 vertikale Preisfestsetzung 450 vertikale Vereinbarungen 432

Sachwortregister vertikale Wettbewerbsbeschränkungen 350, 413 Vertikalvereinbarungen 452 Vertrag von Maastricht 263 Verträge – Ärzte- und Apothekerkammern 452 – bilaterale 271 – des Alleinvertriebs 452 – des Mercosur 128 – exklusive 543 – Gesamtheit gleichartiger 416 – gleichartige 430 – Herren der 204 – internationale 69, 89, 134–136, 171, 393 – mit dritten Staaten geschlossene 589 – multilaterale 69 – primärrechtliche 586 – Recht auf freie Gestaltung 460, 609 – rechtsverbindliche 403 – standardisierte 449 – völkerrechtliche 90, 127, 134, 138, 205, 594 – wettbewerbsbeschränkende 467 – zwischenstaatliche 134, 359 Vertragsfreiheit 609 Vertrauensschutzprinzip 64, 295 Vertriebsabsprachen 455 Vertriebsbedingungen 350 verwaltungsmäßige Hindernisse 328, 600 Verzerrung 422, 425 – des innergemeinschaftlichen Handels 257 – des Wettbewerbs 413, 424, 521, 535 Verzollung, mehrfache 235 Veto 178, 192, 201, 203, 593 Vetorecht 77, 179, 586, 593 Visa 275, 299, 434, 436, 438–440, 509, 528, 542 Visum 274, 276 Visumsausstellung 275, 279, 596 Völkerrecht, Vorrang 102–103

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völkerrechtliche Verbindlichkeit 137 Volksgesundheit 470 vollkommene Konkurrenz 342–343 vollständige Konkurrenz 342, 501, 566 volontée générale 98 Vorrang 79–82, 86, 95, 136, 164, 554, 591, 605 – allgemeiner 133, 144, 590 – der kleinen Einheit 334 – faktischer 389 – folgt aus dem Willen 130 – folgt aus der Verbindlichkeit 146 – genereller 136, 393 – Integrationsrecht 108–109 – internationaler Übereinkünfte 134 – internationaler Verträge 134, 393 – Mercosur-Recht 104, 126–127, 129–133, 137, 144, 146, 208, 244, 393, 589–590, 592 – Mercosur-Wettbewerbsrecht 507 – völkerrechtlicher Verträge 137 – völkerrechtlicher Vorschriften 589 – vor den Verfassungen der Mitgliedstaaten 102 – vor Gesetzesrecht 135 – vor nationalen Ausführungsbestimmungen und Verwaltungsentscheidungen 133, 590 – vor nationalen Gesetzen, nicht aber vor den Verfassungen 134 – Wettbewerbsregeln 393, 605 – zwischenstaatlicher Verträge 134 Vorrangfrage 103, 135, 392, 394 – als Problem der nationalen Verfassungen 127 Vorrangklausel 393 Vorrangproblem 103 Vorrangregel 132 Vorteile für die Verbraucher 502 Wachstum 565, 610 – harmonisches 360 – Streben nach 610

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Sachwortregister

Währungsabwertung 412, 612 Währungskrise 207 Währungsunion 41, 56, 202, 327, 348, 598, 618 Walz, Gustav 93 Waren- bzw. Leistungsangebot 470 Warenverkehrsfreiheit 27, 180, 190, 211–212, 217, 221, 229–230, 250, 256, 263, 308, 318 Wechsel der Zollposition 239 Wegelagererpatente 561 Weltmärkte 441 Weltzollorganisation 230 Werbung 415 Wettbewerb – aktueller 419 – als Aufgabe des Staates 342 – als Entdeckungsverfahren 414 – als Mittel zur Verwirklichung der Ziele 346 – als staatliche Veranstaltung 345 – als Teil einer Gesamtordnung 616 – bestehender 511 – der Staatshaushalte 569 – der Systeme 304 – effektiver 519 – effizienter 209 – Erscheinungsformen 413 – freier 344, 346, 354, 357, 491, 499, 548, 610, 616 – funktionierender 357, 551 – funktionsfähiger 473, 488 – hypothetischer 472, 501 – lauterer 420 – natürliches Phänomen 413 – potentieller 361, 419 – rechtswidriger 420 – schutzwürdiger 343, 418, 420 – unlauterer 356 – unverfälschter 355, 374, 616 – verfälschter 348, 568, 573 – verzerrter 348, 568 – Wesen 351

– – – – –

wesentlicher 516 wirksamer 530 wirkungsvoller 342 wirtschaftlicher 415 Zustand, in dem die wirtschaftliche Freiheit verwirklicht ist 345 Wettbewerbsbedingungen 17, 28, 227, 291, 346, 355, 374, 406, 408, 413, 416, 424, 437, 440, 524, 529, 569, 586, 604, 623, 640 Wettbewerbsbeschränkungen – horizontale 350, 413, 469 – vertikale 350, 413 Wettbewerbsdruck 347, 511, 542 Wettbewerbsfähigkeit 17, 272, 360, 586, 615 – kleinerer Unternehmen 455 – zukünftige 458 Wettbewerbsfreiheit 347, 354, 583, 606 Wettbewerbsfunktionen 341, 602 Wettbewerbsgleichheit 569 Wettbewerbskomitee 148, 353, 506–507, 577–578, 580–582, 585, 602, 608 Wettbewerbslegislation 339 Wettbewerbslegislaturen 354 Wettbewerbsmittel 415, 419, 457, 547 Wettbewerbsordnung 354, 358, 381, 461, 468, 505, 535, 551, 569, 609 – Argentiniens und Brasiliens 441, 504, 582, 608 – brasilianische 523 – zeitgenössische 524 Wettbewerbspolitik 347 Wettbewerbsrecht im engeren Sinne 337 Wettbewerbsrecht im weiteren Sinne 337 Wettbewerbsstatut 358 Wettbewerbssystem 348 Wettbewerbstheorien 341 wettbewerbsverfasste Marktwirtschaft 212

Sachwortregister Wettbewerbsverzerrung 307, 323, 325, 355–356, 575 Wette 414 Wetteifern 415 Wiederverkaufspreise, Festsetzung 427 Wiener Vertragsrechtskonvention 134, 192, 588 Wille 20, 34, 37, 43, 48, 67–68, 77, 97, 99, 101–103, 109, 126–128, 130, 143–147, 149, 184–185, 195, 197–206, 317, 323, 352, 354, 359, 402, 481, 512, 576, 580–581, 586, 594, 599, 608 – allgemeiner 98, 345, 481, 619 Willkür 98, 251, 351, 505, 507 – nötigende 72, 98, 345, 481 willkürliche Beeinflussung 399 willkürliche Beschränkungen 420 Willkürverbot 292 Wirkungsprinzip 379–380 wirtschaftliche Freiheit 345 wirtschaftliches Allgemeininteresse 395, 431, 466, 497–498, 500, 502–504, 584, 607 Wirtschafts- und Währungsunion 348 Wirtschaftsintegration 157, 591, 616, 618 – Fundament 619 – Kern 193, 212 – Ziel 198, 252, 458 Wirtschaftsintegrationsprojekt 425 Wirtschaftsverfassung 212 Wirtschaftswachstum 207, 613–614, 616, 618 Wissenschaftler 274, 279 Wohlstand 23, 312, 615 workable competition 343 World Customs Organization 230 WTO 172–173, 193, 250, 282, 291, 592 WTO-Abkommen 172, 193, 242, 592 WTO-Ausgleichsmaßnahmen 576 WTO-konform 245 WTO-Norm 193

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WTO-Panel 251 WTO-Recht 244, 571 WTO-Regeln 243, 576 WTO-Schiedsverfahren 172 WTO-Streitschlichtungsmechanismus 172–173, 196, 591–592 WTO-Verträge 244 Xerox-Fall 519 YPF-Fall 501, 516 Zahlungsbedingungen 446 Zahlungsbilanzschwierigkeiten 319 Zahlungsverkehrsfreiheit 305–306, 308, 310, 330 Zahlungsziele 449 Zellstoff 380 Zellstoff-Fall 380, 447 Zielpreise 410, 445 Zielrabatte 545 Zigarettensteuer 192 Zinssätze 449 Zoll 234, 241 Zollabbau 226, 229 – automatischer 226 Zollabfertigung 248 Zollabgaben 27 Zollangelegenheiten, Zusammenarbeit 248 Zollbefreiung 225 Zollbehörden 248, 250 Zollbestimmungen 255, 575 Zolldienste 251 Zolleinnahmen 235 – Verteilung 235 Zollformalitäten 249 Zollfreiheit 227, 237 Zollgebiet 209, 211, 235 zollgleiche Abgabe 219, 221, 254 zollgleiche Maßnahmen 222 Zollgrenzen 209 Zollkontingente 234

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Sachwortregister

Zollnomenklatur 122, 211, 230, 239–240 Zollpolitik 230 Zollpunkte, integrierte 249 Zollreduzierung 226 Zollsätze 230–231 – für Finanzprodukte 232 Zollsenkung – automatische 24, 37 – Automatismus 41, 227 Zollspediteure 369 Zollunion 28, 32, 51–52, 209–210, 236, 238, 248, 262, 329–330, 332, 360, 600 – Vollendung 189 Zollverein, deutscher 175 Zollvergehen 248 Zollwert 248–249 Zucker 228–229, 231, 332, 601 Zuckerindustrie 236, 261, 329, 595 Zuckersektor 228–229, 231 Zugang – natürlicher Personen zum Arbeitsmarkt 285 – nur zu diskriminierenden Bedingungen 555 – Privater zum Streitbeilegungsverfahren 165 – Verhinderung 552 – Verweigerung 554–555 – zu anlagerelevanten Informationen 324, 600 – zu Arbeit 264 – zu Bildung 617 – zu Dienstleistungsmärkten 289, 597 – zu essentiellen Einrichtungen 552 – zu Finanzdienstleistungsmärkten 325 – zu Finanzierungen 325 – zu Kapital 306, 325 – zu Netzmonopolen 552 – zu Rohstoffen 517 – zu Schulen 280 – zu Sozialsystemen 268

– zu Universitäten 272 – zu vor- oder nachgelagerten Märkten 553 – zu wesentlichen Einrichtungen 351, 553–554 – zum Markt 382, 429, 463–464, 535 – zum Markt für Werbung 546 – zum Schiedsgerichtsverfahren 119, 171 – zum Versicherungsmarkt 326 Zugangsbedingungen 384 Zukunft des Mercosur 207, 616, 621 Zwang 68, 461 – Ausübung von 609 – faktischer 536 – im Völkerrecht 184, 593 – zu effizienter Produktion 542 Zwangsbefugnis – mitgliedstaatliche 72 – originäre 100 Zwangsgeld 68, 158, 204, 593–594 Zwangsgewalt 68, 205 – gemeinschaftlich ausgeübte 101 – originäre 185 – territoriale 68 Zwangslizenzen 552, 561 Zwangsmaßnahmen 67, 184, 593 Zwangsmittel 158 Zwangswirkung 463 zwischenstaatliche Ausrichtung 61, 77 zwischenstaatliche Einrichtung 102, 143 zwischenstaatliche Organisation 53 zwischenstaatliche Verträge 134 zwischenstaatliche Zusammensetzung 48–50, 66, 77, 79, 109, 144 zwischenstaatlicher Charakter 31, 55, 124 zwischenstaatlicher Vertrag 44 zwischenstaatliches Abkommen 116 zwischenstaatliches Recht 84 Zwischenstaatlichkeitsklausel 381, 387–388, 391, 522–523 – De-minimis-Regel 384