Einheit aus Erkenntnis?: Die Unzulässigkeit der verfassungskonformen Gesetzesauslegung als Methode der Normkompatibilisierung durch Interpretation [1 ed.] 9783428528134, 9783428128136

Mit der zunehmenden Konstitutionalisierung der Rechtsordnung ist die verfassungskonforme Auslegung zur allgegenwärtigen

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Einheit aus Erkenntnis?: Die Unzulässigkeit der verfassungskonformen Gesetzesauslegung als Methode der Normkompatibilisierung durch Interpretation [1 ed.]
 9783428528134, 9783428128136

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1118

Einheit aus Erkenntnis? Zur Unzulässigkeit der verfassungskonformen Gesetzesauslegung als Methode der Normkompatibilisierung durch Interpretation

Von

Ulrike Lembke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ULRIKE LEMBKE

Einheit aus Erkenntnis?

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1118

Einheit aus Erkenntnis? Zur Unzulässigkeit der verfassungskonformen Gesetzesauslegung als Methode der Normkompatibilisierung durch Interpretation

Von

Ulrike Lembke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12813-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Wissenschaftliches Arbeiten ist nur mit der Unterstützung vieler Menschen möglich. Zwar mögen manche Momente des Forschens wie des Schreibens einsam sein, erträglich sind sie aber (nur) vor dem Hintergrund, dass wir uns anderswo aufgehoben wissen. Vor allen anderen möchte ich meiner Großmutter Utta Bandt gedenken. Sie konnte leider nicht einmal mehr mein Studium miterleben. Aber sie hat so reichhaltiges Vertrauen in mich wie in die Institution der Universität gesetzt, dass eine langjährige Beziehung entstehen konnte, die ihr sicher auch viel Freude gemacht hätte. Ferner danke ich meiner Mutter Gundula Lembke für die Offenheit und Neugier, mit der sie meine Arbeit begleitet hat. Sie war die Erste, die meinen rechtstheoretischen Ansatz kritisch aufgenommen und für bearbeitenswert befunden hat. Unzählige Anregungen verdanke ich den Gesprächen mit meinen Freundinnen Lena Foljanty und Birte Hellmig. Unser gleichzeitiges Promovieren ist inzwischen zu einem gemeinsamen Projekt geworden, in dem ich auf Grund eines zeitlichen Vorsprungs und mit ihrer Hilfe nun als Erste die Zielmarke erreicht habe. Ohne ihre unermüdliche Ermutigung und ihre konkrete Unterstützung wäre diese Arbeit nie beendet worden. Herrn Prof. Dr. Claus Dieter Classen danke ich für die kritische Betreuung dieser Arbeit und die rasche Erstellung des Erstgutachtens. Wesentlich war für mich aber auch insbesondere die Großzügigkeit, mit der er der Entfaltung meiner sonstigen wissenschaftlichen Interessen begegnet ist. Sein Lehrstuhl war ein hervorragender Ort für die Durchführung eines Promotionsvorhabens und die Arbeit dort eine Bereicherung für mich. Herrn Prof. Dr. Joachim Lege bin ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens ebenso verbunden wie für zahlreiche Gespräche, die weit über das Feld der Rechtstheorie hinausführten. Ich habe sehr viel mehr von ihm gelernt, als diese Arbeit verraten dürfte. Zu großem Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Matthias Jestaedt für meine erste Begegnung mit Hans Kelsens Reiner Rechtslehre und unzählige spätere Diskussionen, die meine rechtstheoretischen Überlegungen beflügelten wie strukturieren halfen. Für das, was inhaltlich aus diesen reichhaltigen Anregungen letztlich geworden ist, muss ich wohl allein die Verantwortung übernehmen. Dass aber aus ersten stolpernden Gehversuchen in Sachen Rechtstheorie schließlich doch noch ein publizierbarer Text wurde, darf gewiss er sich als Verdienst anrechnen. Während meiner Arbeit bin ich von vielen Kolleginnen und Kollegen, denen ich mich auch freundschaftlich verbunden fühle, angeregt und unterstützt worden.

6

Vorwort

Mein Dank gebührt insbesondere Dr. Hagen Bode, Simone Böhne, Dr. Peter Collin, Dr. Harald Dähne, Mirko Gründer, Dr. Elisabeth Holzleithner, Lars Korittki, Dr. Edna Rasch, Dominik Richers, Dr. Katja Rodi, Christian Rühr, Martina Rychly, Bärbel Sachs und Anja Schlage für so vieles, was ein angenehmes Miteinander innerhalb wie außerhalb der Universität ausmacht. Gewiss nicht als Geringste sei an dieser Stelle auch Frau lic.iur. Zita Küng genannt, die – wie so oft – das rechte Wort zur rechten Zeit fand. Tatkräftige Unterstützung erfuhr ich von Frau Annelie Schulz, die immer ein freundlich sorgendes Auge auf alle Lehrstuhlmitglieder hatte und mir nicht nur bei organisatorischen Herausforderungen hilfreich zur Seite stand. In der Fachbibliothek haben Frau Dipl. Bibl. Ellen Ludwig und Frau Bibl. Ass. Christina Rosenthal selbst in Zeiten von Umzügen, Umstrukturierungen und Umsignierungen weder die Nerven noch den Überblick verloren, mich in die Geheimnisse ihrer Wirkungsstätte eingeweiht und mir vor allem bei der Suche nach verschwundenen Büchern unschätzbare Dienste geleistet. Der Studienbuchgruppe, dem Organisationsteam des FJT 2005 und der Ehrenwerten Gesellschaft danke ich herzlich für höchst willkommene Abwechslung. Es ist immer gut zu wissen, dass es auch ein Leben jenseits der Dissertation gibt. Abbitte muss ich leisten bei allen, die unter meiner Hingabe an die Wissenschaft zu leiden hatten und manches Mal zurückstecken mussten. Dies betrifft vor allem meine Familie, meine Patenkinder und manche Freundinnen und Freunde. Ihnen allen danke ich nachdrücklich für ihre schier unerschöpfliche Geduld. Hamburg, im Juni 2008

Ulrike Lembke

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Teil 1 Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen in Rechtsprechung und juristischer Literatur: eine kritische Bestandsaufnahme

23

A. Die verfassungskonforme Auslegung im Spannungsfeld von Auslegung und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung, Vorzugsregel und Normenkontrolle . 49 C. Die Kompetenz zur verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 D. Die Legitimation der verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 E. Die Probleme im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung . . 100 F. Lösungsansätze: Die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . 117 G. Zusammenfassung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

Teil 2 Rechtstheoretische Grundlegungen

136

A. Vorverständnis, Gegenstand und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 B. Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 C. Rechtssystem

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

D. Auslegung, Anwendung und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 E. Zwischenstand

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

Teil 3 Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung und ihre Zulässigkeit

185

A. Die verfassungskonforme Auslegung als Fehlerkalkül für Gesetze . . . . . . . . . . 185 B. Die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

8

Inhaltsübersicht

C. Die verfassungskonforme Auslegung als Inhaltsbestimmung von Gesetzen . . . 222 D. Die sog. „verfassungsorientierte Auslegung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 E. Die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung F. Fazit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Teil 4 Die Bedeutung der Verfassung bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen

270

A. Die Herstellung des Sachverhaltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 B. Die Rechtserkenntnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

C. Die Feststellung der Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 D. Die individuelle Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 E. Fazit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. II.

Forschungsstand und Forschungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Teil 1 Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen in Rechtsprechung und juristischer Literatur: eine kritische Bestandsaufnahme A. Die verfassungskonforme Auslegung im Spannungsfeld von Auslegung und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erscheinungsformen der verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . II. Der klassische Methodenkanon: verfassungskonforme Auslegung als juristische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Methodenkanon von Friedrich Carl von Savigny bis heute . . . . . . . 2. Die Einordnung der verfassungskonformen Auslegung in den Methodenkanon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reihung und Rangfolge: verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel 1. Reihung durch mehrstufige Methodenkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rangfolge durch verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel . . . IV. Allgemeines Konformitätsprinzip: Normerhalt und verfassungsorientierte Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das normerhaltende Konformitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das erkenntnisleitende Konformitätsprinzip: verfassungsorientierte Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Herausforderungen der Methodenlehre: Verfassungsbezug als Antwort . . . 1. Rationalität juristischer Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassung als systemeigener Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Akzeptanz und Begründung: Verfassung als Legitimationselement . . . . . . VII. Rechtsfortbildung: verfassungskonforme Fortbildung des Gesetzesrechts . 1. Auslegung und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen und Prinzipien der Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . 3. Verfassungskonforme Auslegung als Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . 4. Verfassungskonforme Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

24 24 26 26 28 30 31 32 34 35 35 37 38 40 42 44 44 45 46 47

10

Inhaltsverzeichnis VIII. Die methodologische Notwendigkeit der Differenzierung zwischen den Phänomenen verfassungskonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

B. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung, Vorzugsregel und Normenkontrolle . I. Das Prüfungsrecht, das Verwerfungsrecht und die Nichtanwendung . . . . . 1. Das Prüfungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verwerfungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Nichtanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung und Vorzugsregel als qualitative Teilnichtigerklärungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tenorierungen der Normenkontrollentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die qualitative Teilnichtigerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die qualitative Teilnichtigerklärung als Kehrseite von verfassungskonformer Inhaltsbestimmung und Vorzugsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gegenstand und Tenor der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle . . . . IV. Verfassungskonforme Auslegung als Ausschluss der konkreten Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Sperrwirkung“ einer verfassungsgemäßen Deutungsmöglichkeit . 2. Die Deutungsverwerfung als Teilnormverwerfung . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 50 51 52

C. Die Kompetenz zur verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Methodologische Prämissen und Kompetenzzuweisungen . . . . . . . . . . . . . II. Die Befugnis der Fachgerichte zur verfassungskonformen Auslegung . . . . III. Die Befugnis der Verwaltungsbehörden zur verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 63 64

D. Die Legitimation der verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Begründung juristischer Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Juristische Erkenntnis und deren Rechtfertigungsbedürftigkeit . . . . . . . 2. Der Grund der juristischen Erkenntnismethoden: Autorität und Tradition II. Die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vermutung und ihr Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die begrenzte Reichweite der Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Achtung legislativer Entscheidungen durch Normerhalt . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungskonforme Auslegung als judicial self-restraint . . . . . . . . . . 2. Kein zwingender Zusammenhang von Normerhalt und Respekt vor dem Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die verfassungskonforme Auslegung als Ausgleich zur repressiven Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die begrenzte Reichweite des favor-legis-Gedankens . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 70 70 72 73 74 75 78 78

54 55 56 56 59 61 61 62

66 68

79 80 81 82

Inhaltsverzeichnis

11

1. Systematisierung des Rechts und Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz 2. Einheit durch (verfassungskonforme) Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einheitsdrang und Selbständigkeit des Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Vorrang der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die inhaltliche Wirkung der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bewältigung der Doppelbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfassungsvorrang und verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . VI. Grundrechtsschutz und Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundrechtsschutz und verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungskonforme Auslegung als Grundrechtsgefährdung . . . . . . . . 3. Der Justizgewährungsanspruch und die normerhaltende verfassungskonforme Auslegung sowie die verfassungskonforme Rechtsfortbildung VII. Positivrechtliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundgesetzliche Regelung: Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . 2. Einfachgesetzliche Regelung: § 79 Abs. 1 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . .

83 84 86 88 88 90 92 92 93 95 96 98 99 99

E. Die Probleme im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung . . I. Gesetzesauslegung, Kompetenz und Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bindung des Bundesverfassungsgerichtes an eine fachgerichtliche Gesetzesauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bindung der Fachgerichte an eine verfassungsgerichtliche Gesetzesauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beispiele für detaillierte Gesetzesauslegungen durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbindlichkeit der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung bleibt fraglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungskonkretisierung, Kompetenz und Bindungswirkung . . . . . . . 1. Die Arbeitsteilung in der Verfassungskonkretisierung . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtliche Überspielung der Verfassungskonkretisierung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfassungskonforme Auslegung als Verantwortungsreduktion . . . . . . . . IV. Verdrängung der Normenkontrolle durch die verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verfassungskonforme Gesetzeskorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung in der Kritik . . . . . . . .

100 101

F. Lösungsansätze: Die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . I. Die Grenzen der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Wortlaut als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Eindeutigkeit und die Mehrdeutigkeit des Wortlauts . . . . . . . . . . . 2. Die Kritik an der Wortlautgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Relativierung der Wortlautgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117 118 119 120 121 123

101 104 104 106 107 107 109 111 113 113 116

12

Inhaltsverzeichnis III. Der Sinn des Gesetzes als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der eindeutige Gesetzessinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Relativierung der Sinngrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der normative Gehalt des Gesetzes als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normativer Gehalt des Gesetzes und Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Eindeutigkeit des gesetzgeberischen Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die interpretatorische Betreuung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Relativierung der funktionell-rechtlichen Begrenzung . . . . . . . . . 5. Normativer Gehalt des Gesetzes und Normerhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung vorkonstitutioneller Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Grenzen der verfassungskonformen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . .

G. Zusammenfassung

124 124 125 126 126 127 128 129 131 132 133

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Teil 2 Rechtstheoretische Grundlegungen

136

A. Vorverständnis, Gegenstand und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsverständnis und Auslegungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsgebiete und verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ein struktureller Ansatz und seine Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136 137 139 142

B. Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Empirische Sätze, Normen und Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sein und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Recht und Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zielrichtung und Entstehung von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geltung und Ermächtigungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ermächtigungsnormen und hypothetische Grundnorm . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsquellenlehre und Ermächtigungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Verbindlichkeit als konstitutives Merkmal von Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Verbindlichkeit kein konstitutives Merkmal von Ermächtigungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Geltung, Wirksamkeit, Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltung und Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltung und Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erkenntnisinteresse und Zugänge zum Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Generelle und individuelle Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

144 144 144 145 147 149 150 152

C. Rechtssystem

152 154 155 157 159 161 161

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

Inhaltsverzeichnis I.

13

Stufenbau der Rechtsordnung und „doppeltes Rechtsantlitz“ . . . . . . . . . . 1. Das doppelte Rechtsantlitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der doppelte Stufenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Fehlerkalkül als subsidiäre Ermächtigungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . .

165 165 166 168

D. Auslegung, Anwendung und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtserkenntnis und Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Auslegung“ und Rechtserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Rechtsanwendung“ und Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Konkretisierung“ und Gesetzesbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rechtsordnung als arbeitsteiliges und dynamisches System . . . . . II. „Rechtsfortbildung“ und „Richterrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171 172 172 174 178 180 182

II.

E. Zwischenstand

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Teil 3

Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung und ihre Zulässigkeit A. Die verfassungskonforme Auslegung als Fehlerkalkül für Gesetze . . . . . . . . . . I. Positivrechtliche Fehlerkalküle im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestandskraft: Das positivrechtliche Fehlerkalkül für Verwaltungsakte 2. Anfechtbarkeit: Das positivrechtliche Fehlerkalkül für privatrechtliche Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtskraft: Positivrechtliche Fehlerkalküle für gerichtliche Urteile . . 4. Unbeachtlichkeit: Das positivrechtliche Fehlerkalkül für Flächennutzungspläne und baurechtliche Satzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nur geltende Rechtsnormen können Fehlerkalküle sein . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung des Fehlerkalküls zu Heilungsvorschriften oder Umdeutungsermächtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachträgliche Fehlerbehebung: Heilungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsänderung durch Rechtsetzung: Umdeutungsermächtigungen . . . III. Das Fehlerkalkül für Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Streit um das Nichtigkeitsdogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Fehlerkalkül für Gesetze aus Art. 100 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . 3. Das Fehlerkalkül für Gesetze aus Art. 93 Abs. 1 i.V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Fehlerkalkül in der Tenorierung des Bundesverfassungsgerichtes a) Die bloße Unvereinbarerklärung verfassungswidriger Gesetze . . . . b) Tenorierung der Unvereinbarerklärung derzeit unzulässig . . . . . . . IV. Die verfassungskonforme Auslegung als Fehlerkalkül? . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beschränkung des Zugangs zur Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . .

185 185 186 186 187 188 191 192 193 193 194 195 195 198 200 203 203 205 206 207

14

Inhaltsverzeichnis a) Die Vorlageregelung selbst als Fehlerkalkül? . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Beschränkung der Vorlagemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschränkung der Vorlagemöglichkeit kein Fehlerkalkül . . . . . . . . 2. Die Beschränkung der Aufhebungsmöglichkeit in der Normenkontrolle a) Aufhebungsmöglichkeit ist nicht durch Evidenz beschränkt . . . . . . b) Reduktion der Normenkontrolle ist keine lobenswerte Selbstbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vereinbarerklärung in Form einer verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfassungskonforme Auslegung kein Fehlerkalkül für Gesetze . . . . . . .

207 207 209 209 210

B. Die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nichtidentität von Norm und Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die sog. strukturierende Rechtslehre: Gesetzgeber als Textproduzent . 2. Der Normtext als kommunikatives Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nur ein einziger Inhalt der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Generell-abstrakte Regelung und Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der sog. Justizsyllogismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Generelle Norm und Einzelfallnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Keine Deutungsmehrheit – keine Vorzugsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213 214 215 216 217 218 219 220 221

C. Die verfassungskonforme Auslegung als Inhaltsbestimmung von Gesetzen . . . I. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung durch Gerichte und Behörden . 1. Automatische Konformisierung von Gesetz und Verfassung . . . . . . . . a) Lebendes Recht und klügeres Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beeinträchtigung von Rechtssicherheit und Gesetzesbindung . . . . . c) Rechtsänderung nur durch Rechtsetzungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interpretation der Gesamtrechtsordnung: die „verfassungskonforme Schnittmenge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur notwendigen Trennung von Inhalt und Geltung . . . . . . . . . . . . b) Fehlerhafte Voraussetzungen: Mehrdeutigkeit und modifiziertes Nichtigkeitsdogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zur Nichtanwendbarkeit geltender Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Durch Interpretation keine gültige und anwendbare „Schnittmenge“ 3. Herstellung der Verfassungskonformität: Kompatibilisierung durch Interpretation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Interpretative Bewältigung von Normkollisionen? . . . . . . . . . . . . . b) Bewältigung von Normkollisionen durch partielle Nichtanwendung? c) Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung als Gesetzesänderung – und die Gesetzesbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Inhaltsanpassung durch „konformisierende Interpretation“ . . . . II. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222 222 223 223 225 226

V.

211 211 212

226 227 228 229 230 231 231 233 234 236 236

Inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 4.

Anwendungsbereich: Der Fehler im Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die verfassungsgemäße Deutungsvariante des Gesetzes . . . . . . . . . . . Die Nichtanwendung des Gesetzes auf den Einzelfall . . . . . . . . . . . . . Die verfassungskonforme Neudeutung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . a) Die verfassungskonforme Neudeutung bedarf einer Rechtsgrundlage b) Neudeutung versus repressive Normenkontrolle und Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Keine verfassungskonforme Neudeutung durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 237 237 238 241 244 244 247

D. Die sog. „verfassungsorientierte Auslegung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 I. Eine unnötige Doppelung von Verfassungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. „Verfassungsorientierte Auslegung“ nur Ausdruck einaktiger Rechtsgewinnungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 E. Die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundrechte, Schutzpflichten und Gesetzesvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzpflichten und grundrechtliche Gesetzesvorbehalte . . . . . . . . . . . 2. Schutzpflichten und allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . II. Die gesetzliche Ermächtigung zur Fortbildung des Rechts . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsfortbildungsvorlage zu den Großen Senaten . . . . . . . . . . . . 2. Funktionelle oder gewohnheitsrechtliche Ermächtigung? . . . . . . . . . . . 3. Die Lücke im Gesetz und die Geschlossenheit der Rechtsordnung . . . III. Zwischenergebnis zur sog. Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Fazit

250 250 251 254 257 258 260 264 268

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Teil 4 Die Bedeutung der Verfassung bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen

270

A. Die Herstellung des Sachverhaltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 I. Die Forderung nach verfassungskonformer Sachverhaltsbewertung . . . . . 272 II. Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der Sachverhaltsherstellung . . 273 B. Die Rechtserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegenstand und Methode: die subjektiv-historische Auslegung . . . . . . . . II. Die subjektiv-historische Auslegung in der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Vorwurf einer statischen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Vorwurf einer Fortschreibung historischer Machtverhältnisse . . . 3. Der Vorwurf des unfähigen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kern der Kritik: Die Gesetzesbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die subjektiv-historische Auslegung und ihre Methoden . . . . . . . . . . . . .

275 276 278 278 280 282 285 288

16

Inhaltsverzeichnis

IV. V.

1. Erkenntnisziel: Der Wille des historischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . 2. Gesetzesmaterialien als Auslegungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Auslegungsmittel der subjektiv-historischen Auslegung . . . . . 4. Unklarheiten, Justizgewährungsanspruch und Rechtssicherheit . . . . . . Verfassung ohne Einfluss auf die Rechtserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der Gesetzesauslegung . . . . . . 1. „Schlechthin unhaltbare Auslegung“ – oder unzulässige Rechtsetzung? 2. Auslegung als Vorfrage: Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289 290 291 292 294 295 296 299

C. Die Feststellung der Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 I. Die Nichtanwendung aus Verfassungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der Anwendungsentscheidung 302 D. Die individuelle Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Individuelle Rechtsetzung als „black box“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Struktureller Freiraum und Verfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der strukturelle Freiraum jeder sog. Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsnormen zur Bewältigung des Freiraums? . . . . . . . . . . . . . . 3. Struktureller Freiraum durch Verfassungsnormen nicht eliminierbar . . 4. Struktureller Freiraum und demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . III. Struktureller Freiraum und Rechtsanwendungsgleichheit . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Vorstrukturierungen von Entscheidungen im Bereich der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Richterliche Unabhängigkeit und die Frage der Präjudizienbindung . . 3. Einfachrechtliche Bindungswirkungen und grundrechtlicher Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einheitlichkeit der sog. Rechtsanwendung unabhängig vom Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Individuelle Rechtsetzung und Entscheidungsbegründung . . . . . . . . . . . . 1. Rechtspolitische Begründungen als Aufgabe der Rechtswissenschaft? 2. Juristische Dogmatik und Methodenlehren „jenseits des Rechts“ . . . . V. Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der individuellen Rechtsetzung 1. Prüfungsmaßstab: Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prüfungsmaßstab: Verfassungsnormen, insbesondere Grundrechte . . . 3. Prüfungsmaßstab: Willkürverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Fazit

302 303 304 305 307 308 310 310 311 312 314 315 316 317 319 321 322 324 325

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

Einleitung Bereits im ersten Jahr seines Bestehens legte das Bundesverfassungsgericht fest: „Ein Gesetz ist nicht verfassungswidrig, wenn eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit dem Grundgesetz steht, und das Gesetz bei dieser Auslegung sinnvoll bleibt.“ 1 Mit diesem Satz hat es Methodengeschichte geschrieben. Heute genießt die so genannte verfassungskonforme Auslegung den Ruf der Ubiquität. Sie ist allgegenwärtig in der Rechtsprechung aller Instanzen und Gerichtszweige sowie in Kommentaren, dogmatischen Lehrbüchern und dem methodologischen Schrifttum. Sie ist allgemein anerkannt, von der Rechtspraxis gern und häufig verwendet, von der Rechtswissenschaft, gleich welcher Couleur, stets aufgeführt oder gar gefordert. Sie gilt als Allheilmittel der Versöhnung von Verfassung, Gesetz und Methodik und damit auch als ein Beantwortungsangebot auf die drängende Frage 2 nach der gerechten oder zumindest richtigen oder doch wenigstens akzeptanzfähigen juristischen Entscheidung. Doch zugleich steht dieser Allgegenwart ein umso auffälligerer Mangel an analytischer Reflexion gegenüber.

I. Forschungsstand und Forschungsinteresse Die Figur der verfassungskonformen Auslegung fehlt nicht selten dort, wo eine Befassung mit ihr geradezu erwartet werden kann. Dies gilt beispielsweise grundsätzlich für einige Methodenlehren und spezieller für Ausführungen zur Bestandskraft fehlerhafter Gesetze, den Tenorierungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichtes oder der Bedingungsbeziehung von Verfassung und Methodik. Auf der anderen Seite weisen die verbreiteten Darstellungen der verfassungskonformen Auslegung als Bestandteil eines gesicherten Kanons eine merkwürdige Gleichförmigkeit auf. Die kurzen Anmerkungen zu dieser Methode sind stereotyp und bestehen hauptsächlich in der Wiederholung der Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht dazu entwickelt hat. Es kann fast als ungewöhnlich gelten, wenn noch zwei besorgte Sätze über die Grenzen dieser gern verwendeten Methode hinzugefügt worden sind. Insgesamt wird die verfassungskonforme Auslegung als völlig unproblematisch oder jedenfalls nicht problematisierungsbedürftig empfunden. 3 Umfassende 1

BVerfGE 2, 266 (267). Auf die Dringlichkeit weist auch, dass diese Problematik immer wieder selbst die Belletristik erreicht, vgl. für die neuere Literatur nur Julie Zeh, Spieltrieb, 2006, S. 517 ff. 2

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Einleitung

kritische Analysen finden nur sehr selten statt und haben ihre Blütezeit – wenn angesichts der bescheidenen Quantität überhaupt von einer solchen gesprochen werden kann – auch schon lange hinter sich gelassen. In fast fünfzig Jahren sind lediglich zehn Monographien 4 und einige umfangreichere Aufsätze 5 zu diesem Thema erschienen. Über die Gründe dieser spärlichen Bearbeitung eines so viel beachteten Phänomens kann keine zweifelsfreie Aussage getroffen werden. Die umfassende Aneignung der verfassungskonformen Auslegung durch die Rechtspraxis mag ein wesentlicher Punkt sein, schließlich ist das Verdikt der Praxistauglichkeit eine erprobte Waffe im Kampf gegen methodologische Hinterfragungen. Hinzu könnte eine allgemeine Geringschätzung „theoretischer“ Überlegungen in der Rechtswissenschaft 6 kommen, die mit der „Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“ 7 weder beginnt noch gar endet. Es scheint nicht zu lohnen, ein methodisches Instrument, das so vorzüglich funktioniert, ernsthaft zu hinterfragen. 8 3 Weitgehend zu Unrecht, worauf schon Max-Emanuel Geis, NVwZ 1992, 1025 (1026); Peter Lerche, DVBl. 1961, 690 (698, Fn. 76), und jüngst wieder Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (178 f.), hingewiesen haben. 4 Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung: Grenzen und Gefahren, 1986; Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, 1966; Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung. Verfassungskonforme Auslegung oder vertikale Normendurchdringung?, 1966; Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung. Stellung in der Auslegungslehre und Abgrenzung zur Normenkontrolle, 1978; Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968; Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung. Ihre dogmatische Berechtigung und ihre Grenzen im deutschen Recht, 1964; Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung. Verfassungskonkretisierung als Methoden- und Kompetenzproblem, 1969; Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung des Richters. Eine rechtsvergleichende Untersuchung, 1963; Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung als richterliche Verfassungskonkretisierung, 1999; Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik. Beiträge zur verfassungskonformen Auslegung, Lückenergänzung und Gesetzeskorrektur unter besonderer Berücksichtigung des vierten Änderungsgesetzes zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 1976. 5 Genannt seien nur Helmut Michel, JuS 1961, 274 ff.; Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 ff.; Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 ff.; und Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 ff. 6 Zu den Erscheinungsformen des antitheoretischen Affekts in der Jurisprudenz vgl. Matthias Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein ..., 2006, S. 3 ff. 7 So pointiert Julius Hermann von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848. 8 Grundsätzlich ablehnend Peter Lerche, DVBl. 1961, 690 (701): „Wer freilich funktionierende Konstruktionen nur der Originalität halber über Bord wirft, handelt vielleicht methodisch, aber nicht ökonomisch.“ – Dazu ist zweierlei zu bemerken. Zum einen sollten andere Beweggründe als der der Originalität nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Zum anderen ist entgegen anders lautender Ansichten die Ökonomie nicht das Maß aller

Einleitung

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Die „in hermeneutischen Fragen sensationell anmutende Einigkeit“ 9, mit der die neue Methode der verfassungskonformen Auslegung aufgenommen wurde, scheint fortzubestehen. Angesichts dieser Erfolgsgeschichte gestaltet sich auch der Tenor der monographischen Schriften pragmatisch und dringt hauptsächlich auf klarere Begrenzungen der verfassungskonformen Auslegung. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht ist dabei nicht selten Adressat dringlicher Bitten um mehr Selbstbeschränkung in seinem Verhältnis zu Gesetzgeber und Fachgerichten. Insgesamt scheint die Einigkeit zwischen Praxis und Wissenschaft sowie innerhalb letzterer aber doch groß genug zu sein, um nicht unerheblich provozierend zu wirken. Die beiden Monographien zur verfassungskonformen Auslegung, die sich nicht auf eine gemäßigte Mahnung zur besseren Grenzziehung beschränken, stechen auch in der Form ihrer Emotionalität scharf von den anderen Arbeiten ab. Die Schlussworte der einen lauten: „So bleibt nur zu fordern, diesem überbewerteten, die gesicherte Begrifflichkeit verwirrenden und verfassungsrechtlich höchst bedenklichen Grundsatz das Lebenslicht auszublasen!“ 10 Die andere endet zwanzig Jahre später mit dem Aufruf, der Gesetzgeber solle nicht weiter durch verfassungskonforme Auslegung „vergewaltigt“ werden. 11 Die vorliegende Arbeit will sich, wenn auch hoffentlich nicht in der Form, so doch im Inhalt dieser Traditionslinie anschließen, welche sich nicht damit begnügen mag, mögliche Auswüchse der verfassungskonformen Auslegung zurückzustutzen, sondern die Wurzel dieser populären Methode antasten möchte. So soll mit weniger Zorn, aber vergleichbarem Eifer die Unzulässigkeit der verfassungskonformen Auslegung als Methode der Gesetzesinterpretation dargelegt werden. Selbstverständlich tut sich die Frage auf, welchen Sinn es haben soll, sich kritisch mit einer Methode zu befassen, die seit über einem halben Jahrhundert erfolgreich praktiziert und von der Rechtswissenschaft offensichtlich ungern vertieft thematisiert wird. Nun ist es aber ein Vorrecht von Qualifikationsarbeiten, sich auch als abseitig geltenden Themenbereichen widmen zu dürfen. Zudem weckt es eine gewisse Neugier, wenn die Recherche zu einer allgegenwärtigen Methode zunächst nicht mehr als eine Sammlung von Standardsätzen, welche dem Repertoire der ersten Dekade von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zu entstammen scheinen, zutage zu befördern vermag. Diese Neugier vertieft sich angesichts des Umstandes, dass die verfassungskonforme Auslegung wissenschaftlich hochinteressant ist. Dinge. Und weder juristische Dogmatik noch Methodenlehren sollten auf diese Weise an ihrer Selbstabschaffung mitwirken. 9 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 5. 10 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 125. 11 Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 55.

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Sie ist ein faszinierender Kristallisationspunkt von methodologischen, kompetentiellen und rechtstheoretischen Fragen. Das Verhältnis von Verfassungs- und Gesetzesrecht beschäftigt die Rechtswissenschaft seit Jahrzehnten und hat ein schier unübersehbares Schrifttum hervorgebracht. Im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung sind insbesondere die Fragen nach der Funktionenteilung zwischen Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber einerseits und Bundesverfassungsgericht und Fachgerichten andererseits von Bedeutung. Eine genauere Analyse des Vorganges, wie die verfassungskonforme Auslegung konkret funktioniert, also wie die Verfassung ins Gesetz kommt, lädt zum Nachdenken über grundsätzliche methodologische Fragestellungen ein. Die angestrebte „Vermittlung“ verschiedenrangiger Normen provoziert dazu, sich den Strukturen der Rechtsordnung zuzuwenden, sich ihrer zu vergewissern. Und das Ende des Weges kann bei juristischen Glaubenssätzen wie dem von der Einheit der Rechtsordnung liegen. Die konkrete Thematik der verfassungskonformen Auslegung führt quasi ohne Zwischenschritt zu grundsätzlichen Fragen von Rechtswissenschaft und Methodenlehre. Doch obwohl Einigkeit herrscht über die erhebliche Bedeutung der Verfassung für die juristischen Methodenlehren, steht die verfassungskonforme Auslegung oft merkwürdig isoliert neben ambitionierten methodologischen und rechtstheoretischen Ausführungen. Zwar ist ihr im einschlägigen Schrifttum zumeist ein eigener, kleiner Abschnitt gewidmet. Doch liegt der Verdacht nahe, dass dies weniger ein Ausdruck besonderer Wertschätzung ist als vielmehr ein Zeichen mangelnder Integration. Häufig wird die verfassungskonforme Auslegung als eine Art fünfte Methode hinter den klassischen canones aufgeführt und nur kurz abgehandelt. 12 Sie soll gar nichts zu der Frage beitragen, wie Gesetze richtig auszulegen sind oder wie Verfassung und Methode zueinander finden. Ihre Bedeutung wird nicht selten auf die Forderung reduziert, das Ergebnis der Auslegung bzw. Rechtsanwendung müsse verfassungsgemäß sein. Der Weg zu diesem Ergebnis bleibt anderweitigen methodologischen Überlegungen vorbehalten. Die Rechtspraxis bezeichnet dagegen auch den Weg zum gewünschten verfassungsgemäßen Ergebnis als verfassungskonforme Auslegung, ohne allerdings die notwendigen Prämissen offen zu legen. Die verfassungskonforme Auslegung beschreibt damit keine gelungene Konzeption des Zusammenspiels von Verfassungsund Gesetzesbindung in der juristischen Entscheidungsfindung, sondern dient nur noch dazu, ein irgendwie erlangtes Ergebnis durch Darstellung seiner Verfassungsmäßigkeit zu legitimieren. Schärfer gefasst: Der Zweck der Verfassungskonfor12 Diese Befremdlichkeiten können nicht zuletzt historische Gründe haben. Die juristischen Methodenlehren haben sich in Deutschland aus dem Bereich der Zivilrechtsdogmatik entwickelt und bewahren daher eine gewisse Abwehrhaltung gegenüber usurpatorischen Ansprüchen aus dem Bereich des öffentlichen Rechts. Allerdings bricht diese Abwehr gerade im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung oft völlig zusammen.

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mität heiligt alle methodischen oder nicht-methodischen Mittel. Und mögliche Kollateralschäden der Verwendung der verfassungskonformen Auslegung wie die Überschreitung von Kompetenzgrenzen, die Beeinträchtigung demokratischer Grundsätze oder die weitgehende Abschaffung methodologischer Konzepte sind in Kauf zu nehmen. Zwar wird unter der Thematik der Grenzen der verfassungskonformen Auslegung versucht, solchen Begleiterscheinungen entgegen zu wirken. Wenn aber ein fehlgeleiteter Verfassungspatriotismus das verfassungskonforme Ergebnis zum Maß aller Dinge macht, ist zu bezweifeln, dass diese Feinkorrekturen nachhaltig Abhilfe schaffen können. Da die letzte ausführliche Untersuchung der Frage, welche unter den Begriff der verfassungskonformen Auslegung gefassten methodischen Mittel durch den an sich ehrenwerten Zweck des verfassungsgemäßen Ergebnisses gerechtfertigt werden können, mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegt, 13 sollte eine neuerliche Befassung durch die vorliegende Arbeit nicht als allzu anmaßend erscheinen. Sie wird den Schwerpunkt der Betrachtung auf die Prämissen und Prinzipien des Rechts wie der Methodenlehren legen, welche durch die Verwendung der verfassungskonformen Auslegung in Mitleidenschaft gezogen werden können.

II. Der Gang der Untersuchung Die Arbeit wird mit dem Versuch beginnen, einen Überblick über die Auffassungen zur verfassungskonformen Auslegung zu geben, die in Rechtsprechung und Schrifttum vertreten werden. Dabei wird nach Schwerpunkten vorgegangen, die sich an methodologisch relevanten Themenfeldern orientieren. Wer sich mit der verfassungskonformen Auslegung vertraut fühlt, wird hier kaum spektakulär Neues erfahren und sollte diesen Abschnitt überspringen. Von größerer Wichtigkeit ist allenfalls, dass die verfassungskonforme Auslegung keine klar abgegrenzte Methode ist, sondern einen Sammelbegriff für verschiedene Phänomene darstellt, die hier als Vorzugsregel, verfassungskonforme Inhaltsbestimmung, verfassungsorientierte Auslegung und verfassungskonforme Rechtsfortbildung bezeichnet werden. Bevor die Zulässigkeit dieser Phänomene bewertet werden kann, ist offen zu legen, auf Grund welcher Prämissen die Bewertung erfolgt. Den rechtstheoretischen Grundlegungen ist daher ein eigener Abschnitt gewidmet. Fast alle juristischen Methodenlehren treffen – explizit oder implizit (bsw. in der sog. Rechtsquellen13 Die neuere Arbeit von Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung als richterliche Verfassungskonkretisierung, 1999, bietet zwar einen umfassenden Überblick über das Phänomen, aber kaum Ansätze einer kritischen Analyse. Als solche aus jüngerer Zeit muss jedoch der herausragende Aufsatz von Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 ff., genannt werden.

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Einleitung

lehre) – Aussagen über ihre Vorstellung vom Recht, um den Gegenstand ihrer Ausführungen zu bestimmen. In der vorliegenden Arbeit wird an die von Hans Kelsen begründete Reine Rechtslehre angeknüpft, um Recht und Rechtsnormen zu definieren, Strukturen des Rechtssystems zu beschreiben und die Problematik von Auslegung, Anwendung und Rechtsfortbildung anzusprechen. Vor diesem Hintergrund werden die Phänomene verfassungskonformer Auslegung im dritten Abschnitt der Arbeit auf ihre Zulässigkeit untersucht. Es wird sich herausstellen, dass der Wunsch nach einem verfassungsgemäßen Ergebnis zu seiner Befriedigung nur auf wenige, von der Verfassung vorgesehene oder zumindest nicht ausgeschlossene Mittel zurückgreifen kann. Auch müsste der Gesetzgeber noch an mancher Stelle tätig werden, bevor diese wenigen Mittel überhaupt nutzbar sind. Wird dagegen das gewünschte Ziel der Verfassungskonformität absolut gesetzt, erweisen sich die Phänomene verfassungskonformer Auslegung als Instrumente mit teils verheerenden Nebenwirkungen. Mit der Feststellung der weitgehenden Unzulässigkeit der Phänomene verfassungskonformer Auslegung könnte diese Arbeit schließen. Ein solches Resümee allein wäre aber mehr als unbefriedigend. Daher wird sich ein vierter Abschnitt – quasi als Anhang – mit der Frage beschäftigen, welche Bedeutung die Verfassung bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen entfalten kann, wenn die rechtstheoretischen Prämissen aus dem zweiten Abschnitt zugrunde gelegt werden. Es wird sich erweisen, dass die Verfassung auch in dieser Konzeption nicht etwa jegliche Bedeutung verliert, Wert und Selbststand des Gesetzesrechts wie der sog. Einzelfallentscheidungen aber eine stärkere Betonung als sonst üblich erfahren. Insgesamt wird diese Arbeit von der Überzeugung geleitet, dass nicht nur für die Fachgerichte gilt, was das Bundesverfassungsgericht 14 selbst so klar ausgeführt hat: „Der Richter kann die Wertvorstellungen des Grundgesetzes nicht in beliebiger Weise in seinen Entscheidungen zur Geltung bringen. Er würde die Verfassung auch verletzen, wenn er zu einem Ergebnis, das den Wertvorstellungen der Verfassung entspräche, auf einem methodischen Wege gelangte, der die dem Richter bei der Rechtsfindung gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen mißachtete. Auch eine so getroffene Entscheidung müßte vom Bundesverfassungsgericht beanstandet werden.“

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BVerfGE 34, 269 (280) – Soraya.

Teil 1

Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen in Rechtsprechung und juristischer Literatur: eine kritische Bestandsaufnahme Im Folgenden soll zunächst versucht werden, die Auffassungen darzustellen, die in Rechtsprechung und Schrifttum zur verfassungskonformen Auslegung vertreten werden. Dieses Vorhaben wird sich nicht darauf beschränken, die wesentlichen Problemfelder zu umreißen. Zum einen ist bei näherem Hinsehen im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung nahezu jede Einzelfrage umstritten. Zum anderen soll eine möglichst unbefangene und damit umfassende Annäherung an das Phänomen versucht werden, die alle seine methodologisch interessanten Aspekte beleuchtet. Dass diese Unbefangenheit nur begrenzt durchgehalten werden kann, liegt auf der Hand. Schon die Strukturierung der Darstellung nimmt notwendig Wertungen vor. Zudem konnten auch Kommentierungen einzelner Ansichten nicht immer vermieden werden. Im Ganzen soll der folgende Abschnitt über eine kritische Bestandsaufnahme aber nicht hinausgehen. Wer sich mit der verfassungskonformen Auslegung hinreichend vertraut fühlt, sollte diesen Teil daher überspringen oder nur sehr selektiv lesen. Allerdings seien die geneigte Leserin und der geneigte Leser auf wenige wesentliche Aspekte hingewiesen, die das Verständnis der übrigen Arbeit erleichtern können. Zum ersten gibt es keine monolithische Erscheinung der verfassungskonformen Auslegung, sondern mehrere unterschiedliche Phänomene, die unter diesem Begriff verwendet, betrachtet oder kritisiert werden. Sie sollen im Folgenden als Vorzugsregel, verfassungskonforme Inhaltsbestimmung, verfassungsorientierte Auslegung und verfassungskonforme Rechtsfortbildung bezeichnet werden. Ferner ist zu beachten, auf welchen einheitlichen Überzeugungen diese Phänomene beruhen. Diese bestehen kurz gefasst darin, dass Gesetze grundsätzlich mehreren Deutungen zugänglich seien, die Verfassung (wenigstens auch) ein Erkenntnismittel darstelle und die Verfassungsbindung der Gesetzesbindung notwendig vorgehe. Schließlich laufen die diagnostizierten Probleme der Phänomene verfassungskonformer Auslegung darauf hinaus, dass der Gesetzgeber zurückgedrängt oder gar missachtet werde, wobei über die Bewertung von Gesetzeskorrekturen Uneinigkeit besteht. Und als Allheilmittel werden striktere Grenzziehungen für die entsprechenden

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

Phänomene angeboten, die wenig überraschend den jeweiligen methodologischen Grundüberzeugungen korrespondieren. Eine kritische Bestandsaufnahme beginnt folglich mit den Fragen der methodologischen Einordnung und schweift in die Gebiete von Funktionenteilung, Kompetenz und Struktur des Rechtssystems aus, um schließlich doch wieder in den Themenbereichen der juristischen Methodenlehren zu enden.

A. Die verfassungskonforme Auslegung im Spannungsfeld von Auslegung und Rechtsfortbildung Die verfassungskonforme Auslegung ist der Bezeichnung nach zwar schlicht Auslegung, doch ist genauer zu prüfen, welche Phänomene unter diesem Begriff zusammen gefasst sind und wie sie sich in die Systeme und Strömungen der Methodenlehren einordnen lassen. Das Ziel der Verfassungskonformität kann nicht außerhalb juristischer Methoden erreicht werden. So ergibt sich der Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit der verfassungskonformen Auslegung aus methodologischen Prämissen. Gleichzeitig scheint umgekehrt die verfassungskonforme Auslegung auch als Mittel zur Lösung methodologischer Probleme verstanden worden zu sein. Allerdings ist zu beachten, dass sich die Methodenlehre seit Erlass des Grundgesetzes großen Herausforderungen gegenüber gesehen hat. Die dabei entstandenen Differenzierungen und Spezialisierungen können die Allgemeinheit von Aussagen über die Gesetzesauslegung grundsätzlich in Frage stellen.

I. Erscheinungsformen der verfassungskonformen Auslegung Allgemein wird unter verfassungskonformer Auslegung die Auslegung eines Gesetzes unter Hinzuziehung von Normen der Verfassung verstanden. Dies legt auch die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts nahe, wenn es ausführt: „Ein Gesetz ist nicht verfassungswidrig, wenn eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit dem Grundgesetz steht, und das Gesetz bei dieser Auslegung sinnvoll bleibt.“ 1 In der Lehre wird die verfassungskonforme Auslegung als Methode der Gesetzesauslegung eingeordnet. Im Schrifttum wird nachdrücklich betont, dass es um die Interpretation von Gesetzen, nicht der Verfassung, gehe, 2 obwohl eine 1

BVerfGE 2, 266 (267, LS 4); stRspr. Vgl. Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 95. Diese Abgrenzung ist insbesondere notwendig, wenn die verfassungskonforme Auslegung unter dem Oberbegriff der Verfassungsauslegung aufgeführt wird, so bei Ulrich Battis / Christoph Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 4. A. 1999, Rn. 29; Theodor Maunz / Reinhold Zippelius, Deutsches 2

A. Auslegung und Rechtsfortbildung

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Verfassungsauslegung notwendige Voraussetzung sei, was zu Missverständnissen führen könne. 3 Demnach wäre die verfassungskonforme Auslegung eine Sonderform der Gesetzesinterpretation und nach den methodologischen Regeln über die Gesetzesauslegung zu beurteilen. Ein etwas genauerer Blick in Rechtsprechung und Schrifttum zeigt jedoch, dass unter „verfassungskonformer Auslegung“ eine Vielzahl unterschiedlicher Phänomene verstanden wird, 4 die sich nicht alle unter einen der üblichen Auslegungsbegriffe subsumieren lassen. Neben der verfassungskonformen Auslegung im engeren Sinne werden ein allgemeines Konformitätsprinzip sowie die Funktion der verfassungskonformen Auslegung als Vorzugsregel postuliert. Auch soll die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, deren Verfassungsmäßigkeit in Zweifel steht, unterschieden werden von der sog. verfassungsorientierten Auslegung, bei der (verfassungsgemäße) Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe mit Hilfe von Verfassungsnormen „konkretisiert“ werden. Umgekehrt wird die Auslegung eines Gesetzes unter Hinzuziehung von Normen der Verfassung nicht selten auch praktiziert, ohne sie als verfassungskonforme Auslegung zu benennen. 5 Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn Prinzipien oder Figuren aus der Verfassungsdogmatik in die Auslegung eingebracht werden. Zu denken ist an die sog. Wechselwirkungslehre, wonach ein grundrechtseinschränkendes Gesetz selbst wieder im Lichte des eingeschränkten Grundrechts auszulegen und anzuwenden ist. 6 Diese Anforderungen sind nicht mehr auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschränkt, 7 für die sie ursprünglich entwickelt wurden. Praktisch bedeutsam ist auch die – verfassungskonforme! – AusleStaatsrecht, 30. A. 1998, S. 48; Hartmut Maurer, Staatsrecht I, 4. A. 2005, § 1, Rn. 67 ff. Das Denken von der Verfassung aus kann auch dazu führen, die verfassungskonforme Auslegung unter den Funktionen der Grundrechte (Gerrit Manssen, Staatsrecht II, 4. A. 2005, Rn. 61 f.), der Verfassungsbindung des Gesetzgebers (Ekkehart Stein, Staatsrecht, 16. A. 1998, § 20 II, S. 158) oder der mittelbaren Drittwirkung (Jörn Ipsen, Staatsrecht II, 7. A. 2004, Rn. 59) einzuordnen. 3 Vgl. Thomas Clemens, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 1, 2002, Vor Art. 2 ff., Rn. 59; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 301; Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. A. 2005, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 326. 4 Dazu ausführlich im Folgenden, Teil 1 A II–VIII. 5 Vgl. Friedrich Schack, JuS 1961, 269 (269). Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 86 ff., allerdings befasst sich mit der Frage, in welchem Verhältnis mittelbare Drittwirkung und Wechselwirkungslehre zur verfassungskonformen Auslegung stehen. 6 Vgl. nur BVerfGE 47, 198 (232); 12, 113 (124 f.); 7, 198 (208). Für Bodo Pieroth / Bernhard Schlink, Grundrechte, 18. A. 2002, Rn. 595, bildet die Wechselwirkungslehre im Bereich von Art. 5 GG quasi den Ersatz für die Verwendung der verfassungskonformen Auslegung. 7 BVerfG, NJW 2005, 1707 ff. (Art. 12 GG); BVerfG, NJW-RR 2005, 454 ff. (Art. 14 GG); BVerfGE 104, 337 ff. (Art. 4 GG); BVerfG, GewArch 2000, 480 ff. (Art. 12 GG);

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

gung nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit 8 und dem Gleichheitssatz 9. Liegt der Fokus auf der Verfassungsdogmatik, verhindert dies unter Umständen die Identifizierung als verfassungskonforme Gesetzesauslegung. 10 Schließlich gibt es einige Unklarheiten zur Abgrenzung von verfassungskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung: Mancher Umgang mit dem Gesetz im Lichte der Verfassung ist auch nach herkömmlichen Maßstäben eher als Rechtsfortbildung einzuordnen.

II. Der klassische Methodenkanon: verfassungskonforme Auslegung als juristische Methode Die Jurisprudenz arbeitet seit dem 19. Jahrhundert grundsätzlich mit vier Methoden der Gesetzesauslegung. Dabei beruft sie sich bis heute auf die methodologische Konzeption von Friedrich Carl von Savigny, obwohl der Inhalt des Methodenkanons im Laufe der Zeit nicht unwesentlich verändert wurde. Von Interesse ist im Folgenden, ob die verfassungskonforme Auslegung quasi als fünfte Methode neben den Viererkanon tritt oder unter eine der anerkannten Methoden – im traditionellen oder moderneren Verständnis – zu fassen ist. 1. Der Methodenkanon von Friedrich Carl von Savigny bis heute Der klassische Methodenkanon wurde zuerst von Friedrich Carl von Savigny entwickelt 11 und umfasste vier Elemente. 12 Die grammatikalische Auslegung sollte BVerfGE 100, 289 ff. (Art. 14 GG); BVerfGE 100, 214 ff. (Art. 9 GG); BGHSt 29, 244 ff. (Art. 10 GG). 8 Vgl. BVerfGE 89, 69 ff.; BVerfG, NJW 2002, 1190 ff.; BGHZ 117, 35 ff.; 81, 152 ff.; 74, 38 ff. – Eine interessante Ausweitung des Gedankens der Verhältnismäßigkeit ist die Entwicklung der sog. Minusmaßnahmen im Versammlungsrecht. 9 Vgl. BVerfGE 99, 129 (139 ff.); 98, 1 (11 ff.); 54, 277 (293 ff.). 10 So wird in der Strafrechtsdogmatik selbst die vom Bundesverfassungsgericht geforderte einschränkende Auslegung des § 211 StGB nur als restriktive, nicht (auch) verfassungskonforme Auslegung identifiziert; vgl. nur Karl Heinz Gössel, Strafrecht, BT, Bd. 1, 1987, § 4 Rn. 2 ff.; Fritjof Haft, Strafrecht, BT, 7. A. 1998, S. 84 f.; Olaf Hohmann / Günther M. Sander, Strafrecht, BT II, 2000, § 2 Rn. 2; Eberhard Schmidhäuser, StrafrechtsRepetitorium, BT I, 2. A. 2003, S. 44 f. 11 Der dabei einige Widerstände des Judizes gegen die Methode zu überwinden hatte, wie seine einleitenden Worte zur Auslegung von Gesetzen nahe legen. Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 211: „Die Auslegung ist eine Kunst, [...] diese Kunst lässt sich eben so wenig, als irgend eine andere, durch Regeln mittheilen oder erwerben. Allein wir können durch die Betrachtung vorzüglicher Muster ergründen, worin die Trefflichkeit derselben liegt; dadurch aber werden wir unsren Sinn schärfen für das, worauf es bey jeder Auslegung ankommt, und unser Streben auf die rechten Punkte richten lernen. Dieses, und die Vermeidung der mancherley möglichen Abwege, ist es, was wir hier, wie in jeder Kunst, durch die Theorie zu gewinnen hoffen dürfen.“

A. Auslegung und Rechtsfortbildung

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in der Darlegung der von dem Gesetzgeber angewendeten Sprachgesetze bestehen. 13 Das logische Element befasste sich mit der Gliederung des Gedankens, also dem logischen Verhältnis der einzelnen Teile zueinander. 14 In der historischen Auslegung ging es um den vorherigen Rechtszustand, welcher durch das auszulegende Gesetz geändert wurde, sowie die Art und Weise dieser Änderung. 15 Das systematische Element schließlich beleuchtete das Verhältnis des Gesetzes zum gesamten Rechtssystem. 16 Bis heute gebrauchen Rechtsprechung und Schrifttum vier Elemente zur Gesetzesauslegung, wobei sie sich weiterhin nicht selten auf Friedrich Carl von Savigny berufen. 17 Dabei sind die verwendeten Methoden keineswegs identisch. 18 Die vier modernen canones sind die grammatikalische Auslegung nach dem Wortlaut, die systematische aus dem Regelungszusammenhang, die historische anhand der Entstehungsgeschichte und die teleologische, welche nach Sinn und Zweck (telos) des Gesetzes fragt. Eine Berufung auf Friedrich Carl von Savigny muss sich daher gewissen Einschränkungen unterwerfen. 19

12 Vgl. Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 213 f. Regina Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, 1986, S. 149 ff., legt allerdings dar, dass Savignys canones nur einen Sonderfall des herrschenden GrammatikLogik-Schemas bildeten. – Die Ursachen ihrer Durchsetzungskraft wären dann weniger im rein methodologischen Bereich zu finden. 13 Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 213 f. 14 Friedrich Carl von Savigny, ebd., S. 214. 15 Friedrich Carl von Savigny, ebd., S. 214. 16 Friedrich Carl von Savigny, ebd., S. 214. 17 Vgl. Nicola Rowe, Recht und sprachlicher Wandel, 2003, S. 42 ff. Eher distanziert zu Savignys Methoden sowie der Bezugnahme darauf sind Dietrich Busse, Juristische Semantik, 1993, S. 24 ff.; Fritjof Haft, JuS 1975, 477 (478 f.); sowie Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 13. 18 Hinter den verwendeten identischen Begriffen steht keine inhaltliche Kontinuität – selbst die grammatische Auslegung folgt unterschiedlichen Vorstellungen – so dass beinahe von einem Etikettenschwindel gesprochen werden könnte. Marijan Pavcnik, Juristisches Verstehen und Entscheiden, 1993, S. 24 ff., warnt ausdrücklich vor einer unkritischen Übertragung des Kanons. Auch Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 163, weisen darauf hin, dass die verwendeten Kriterien nicht deckungsgleich sind; vgl. ferner Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 138. 19 Winfried Brugger, AöR 119 (1994), 1 (21), präferiert folglich die vorsichtige Formulierung „im Anschluß an Savigny“, gerade mit Blick auf die teleologische Auslegung (S. 21, Fn. 55). Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 50, erinnert daran, dass die teleologische Auslegung von Savigny selbst noch als bedenklich angesehen wurde; fehlerhaft daher Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 72: „Das Zweckkriterium (Teleologie) nennt Savigny ‚logisches Element’.“ Auch Savignys Ausführungen zur ratio legis, vgl. Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 216 ff., tragen keine teleologische Auslegung nach heutigem Verständnis.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

Die Herkunft des teleologischen Elementes ist unklar, zumeist wird seine Etablierung Rudolf von Ihering 20 zugeschrieben. Umstritten ist auch die Bedeutung der historischen Auslegung. Es wird daher zwischen den Formen der historischen Auslegung im engeren Sinne, welche sich mit den Normvorläufern befasst, und der genetischen Auslegung, die dem Willen des Gesetzgebers, den Materialien und der Entstehungsgeschichte nachforscht, unterschieden. 21 Zu diesen vier (bzw. mit zwei historischen Elementen fünf) Auslegungsmitteln werden oft noch das logische Element zur Kontrolle der Schlüssigkeit der Regelung sowie die komparative Methode 22 genannt, welche sich der Rechtsvergleichung bedient. Die vielfach geforderte Erweiterung des Methodenkanons – insbesondere mit Blick auf die Verfassungsauslegung 23 – hat sich in der Praxis nicht durchsetzen können. 24 2. Die Einordnung der verfassungskonformen Auslegung in den Methodenkanon Die verfassungskonforme Auslegung könnte als weitere Methode anzusehen sein, welche neben die bereits anerkannten Auslegungsmittel tritt. 25 Dann würde sich der Begründungsaufwand für ihre Einführung erhöhen und es müssten

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Besonders mit Bezug auf sein Hauptwerk: Der Zweck im Recht, 1877 –1883; zur Herkunft des teleologischen Elementes auch Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 4, 1977, S. 356; Christian Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 253. Unzutreffend Klaus Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 4. A. 1998, S. 66, wonach nur auf Ihering verweisen muss, wer nicht zugeben will, dass schon Savigny teleologisch dachte. 21 So die Zuordnung bei Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 155 ff. 22 Der komparativen Methode bleibt größere Durchsetzungskraft bis jetzt versagt, was seinen wesentlichen Grund darin finden könnte, dass sie eher der Rechtspolitik als der Rechtsdogmatik dienlich sein kann. Die Frage, wie die Rechtslage in Deutschland ist, lässt sich schwerlich anhand ausländischer Regelungen beantworten. Zurückhaltend auch Franz Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2005, S. 42 ff. 23 So Peter Häberle, ZfP 21 (1974), 111 (122 ff.); Fritz Ossenbühl, in: Detlef Merten / Hans-Jürgen Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 1, 2004, § 15, Rn. 6 ff.; vgl. auch die Darstellung und kritische Würdigung von Ernst-Wolfgang Böckenförde, NJW 1976, S. 2089 – 2099. 24 Winfried Brugger, AöR 119 (1994), 1 (22 ff.), fordert interne Differenzierung statt externe Ergänzung. 25 So Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. A. 2005, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 328. Und in vielen Lehrbüchern wird erst der klassische Methodenkanon vorgestellt und danach die verfassungskonforme Auslegung separat aufgeführt; statt vieler: Helmut Köhler, BGB, Allgemeiner Teil, 30. A. 2006, § 4, Rn. 21; Karl Larenz / Manfred Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. A. 2004, § 4, Rn. 34 ff.; Dieter Leipold, BGB I, 3. A. 2004, Rn. 84 ff.

A. Auslegung und Rechtsfortbildung

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gegebenenfalls eigene Regeln für ihre Anwendung entwickelt werden. Vielleicht deshalb gibt es durchaus Ansätze, die verfassungskonforme Auslegung unter eine der vier etablierten Auslegungsmethoden zu fassen. Dabei kommt insbesondere eine Einordnung unter systematische 26 oder teleologische 27 Elemente oder unter eine Kombination beider 28 in Betracht. Die verfassungskonforme Auslegung als systematische Auslegung ist in einem größeren Rahmen (der Gesamtrechtsordnung) zu denken, in welchem die einfachgesetzliche Norm in Bezug zu Verfassungsnormen gesetzt wird. 29 Fraglich ist, ob eine solche Vermittlung verschiedenrangiger Normen tatsächlich noch unter das systematische Element zu subsumieren ist. 30 Es kann auch zur Verschmelzung von verfassungskonformer und systematischer Auslegung kommen, so, wenn nur die verfassungskonforme Auslegung einer durch Heranziehung benachbarter Vorschriften entstandenen Gesamtregelung verfassungswidrige Auswirkungen verhindern kann 31 oder wenn eine verfassungskonforme Auslegung gebietet, den Maßstab einer anderen Rechtsnorm zur Auslegung heranzuziehen, obwohl beide Normen nicht unerhebliche Unterschiede aufweisen 32. Mit der Einordnung un-

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Vgl. nur Hans Peter Bull / Veith Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. A. 2005, Rn. 539; Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 103; Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 180; Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 763; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 308; Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 96; Lutz Treder, Methoden und Technik der Rechtsanwendung, 1998, S. 62; Hans J. Wolff / Otto Bachof / Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. A. 1999, § 28, Rn. 57 f. 27 So Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 3, 1976, S. 677. 28 Kombinatorischer Ansatz bei Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 25 ff.; Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 455; Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 65 ff.; Christian Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 28, 31. 29 Vgl. Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 14; Werner Frotscher, Die Abgrenzung der Zuständigkeit, 1964, S. 47; Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 234; Wolfgang HoffmannRiem, AöR 128 (2003), 173 (191); Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 96; Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (507 ff.); Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 79 ff., 84 ff. Nebeneffekt dieser Konzeption ist, dass die Contra-legemGrenze aufgehoben wird, dazu Marietta Auer, NJW 2007, 1106 (1108). 30 Skeptisch Jörn Lüdemann, JuS 2004, 27 (30). Für Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979, S. 188, hat systematisches Auslegen im Gegensatz zu konformer Interpretation zur Voraussetzung, dass die solcherart vermittelten Normen gleichrangig sind; vgl. auch Ernst Höhn, Praktische Methodik der Gesetzesauslegung, 1993, S. 210. – Andererseits nähert sich der Blick „aufs Ganze“ wieder mehr der Savignyschen Vorstellung von systematischer Auslegung an. 31 Vgl. BGHZ 81, 152 (181). 32 Vgl. BGHSt 43, 129 (136).

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

ter das systematische Element soll betont werden, dass die verfassungskonforme Auslegung eine gänzlich systeminterne Lösung von Normkonflikten darstellt. 33 Die Charakterisierung der verfassungskonformen als teleologische Auslegung stellt auf die Verwirklichung von Verfassungsprinzipien bzw. grundgesetzlichen Wertprinzipien ab. 34 Der Sinn und Zweck des Gesetzes wird damit nicht aus ihm selbst heraus, sondern mit Hilfe externer Kriterien bestimmt. 35 Das Ziel des Gesetzes wird in seiner Verfassungskonformität gesehen, die Auslegung wird zur Verfassungskonkretisierung. Die Einordnung in den Methodenkanon erfolgt nicht ohne Irritationen und wird auch nicht von allen Autor / innen versucht. Das Bundesverfassungsgericht nutzt die verfassungskonforme Auslegung, wenn es sie benennt, neben den vier anderen Methoden. 36 Eine solche Erweiterung des Methodenkanons ist aber nicht unproblematisch, stand (und steht) dieser doch selbst heftig in der Kritik.

III. Reihung und Rangfolge: verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel Ein dauerhaftes Problem der Methodenlehre ist, dass die Festlegung auf vier anerkannte Auslegungsmittel keineswegs zu einheitlichen Ergebnissen in der Rechtspraxis führt. Die canones sollen grundsätzlich gleichrangig sein und sich ergänzen. 37 Doch können bei unterschiedlicher Heranziehung und Gewichtung der einzelnen Elemente höchst unterschiedliche Ergebnisse der Auslegung erzielt werden. 38 Eine radikale Lösung wäre es, die zulässigen Auslegungsmittel zu reduzieren. 39 Ein gemäßigterer Ansatz beruht zunächst auf der Unterscheidung zwischen Auslegungsmittel und Auslegungsziel. 40 Das anerkannte Erkenntnisziel soll die 33

Vgl. Martin Hochhuth, Rechtstheorie 32 (2001), 227 (234, 238). Dazu Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 26; Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 134 f.; Eberhard Schmidhäuser, Strafrecht, AT, 2. A. 1975, 5/34 ff. Winfried Brugger, AöR 119 (1994), 1 (28 ff.), charakterisiert das teleologische Element als Sammelpunkt diverser Argumente, die auch stets irgendwie einen verfassungsrechtlichen Bezug finden. 35 So auch Hans-Martin Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, 1986, Rn. 196, wonach der tatsächliche Zweck des Gesetzes durch den Zweck ersetzt werde, den das Gesetz von Rechts wegen haben muss. – Schon deshalb ist fraglich, ob hier nicht die Grenze zur Rechtsfortbildung überschritten ist. 36 Vgl. BVerfGE 111, 54 (86 ff.); 110, 226 (246 ff., 267 ff.); 110, 1 (14 ff., 26 ff.); 86, 288 (320 ff.). 37 Franz Bydlinski, Rechtstheorie 16 (1985), 1 (44 ff.), hält die These von der Gleichwertigkeit der Argumente für absurd und plädiert für den Vorrang der jeweils einfacheren und daher zuverlässigeren Methode mit der Zielstellung des geringstmöglichen Widerspruches; ablehnend Arthur Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, 1999, S. 93 f. 34

A. Auslegung und Rechtsfortbildung

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Auslegung im Sinne einer Reihenfolge strukturieren oder sogar durch eine Rangfolge deren Mittel gewichten. 41 Zuerst einmal muss aber eine Einigung über das Auslegungsziel stattfinden. Der Streit zwischen der subjektiven Theorie, wonach Auslegungsziel die Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers ist, und objektiver Theorie, die stattdessen den objektivierten Willen des Gesetzes erforschen will, wurde ausdauernd und erbittert geführt. 42 1. Reihung durch mehrstufige Methodenkonzepte Nachdem die Unversöhnlichkeit von subjektiver und objektiver Position erkannt war, versuchten neue Ansätze in der Methodenlehre, diesem Antagonismus zu entkommen. 43 Eine Möglichkeit bestand darin, beide Auslegungsziele als gleichwertig anzuerkennen und ihre Forderungen zu kombinieren. Dieser Weg wurde von der sog. mehrstufigen oder progressiven Methode beschritten. 44 Heute ist in der methodologischen Literatur die Kombinationstheorie herrschend, wonach sowohl der subjektive Wille des Gesetzgebers als auch der objektive Wille des Gesetzes zu ermitteln sind. 45 Zu diesem Zweck werden die Auslegungsmittel in 38

Sehr kritisch zu einem Synkretismus der Interpretationsmethoden daher Bernd Schünemann, in: Günter Kohlmann (Hg.), Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, 1983, S. 169 (171 f.). 39 So betrachten Reinhart Maurach / Heinz Zipf, Strafrecht, AT, Tb. 1, 8. A. 1992, § 8 Rn. 15 ff., die freie Wahl zwischen den Auslegungsmitteln als „überwunden“ und akzeptieren nur noch die objektiv-teleologische als einzig zulässige Methode. 40 Vgl. Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 3, 1976, S. 668; Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 85 ff.; Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 41. 41 Skeptisch zu Rangfolgelisten: Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 7; Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 76 f., m.w. N. Für eine Rangfolge im Interesse dogmatischer Überzeugungskraft: Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 151 ff.; für eine staatstheoretisch bestimmte Rangfolge: Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 112 ff. Das Rangfolgeproblem soll sich diskursiv entschärfen lassen bei Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 3. A. 1996, S. 305 ff. 42 Dazu statt vieler: Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 3, 1976, S. 662 ff.; Arthur Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, 1999, S. 81 ff.; Karl Larenz / ClausWilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 137 ff. 43 Vgl. Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 25 ff., m.w. N. 44 Vgl. dazu Bernd Bender, MDR 1959, 441 (444 ff.); Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 29 ff., m.w. N. 45 Winfried Brugger, AöR 119 (1994), 1 (19 f.) m.w. N. Vgl. auch Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 231 ff.; Franz Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2005, S. 19; Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 119 ff.; Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 160 ff.; Peter Schwacke,

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

eine Reihenfolge gebracht, welche mit dem Wortlaut des Gesetzes beginnt und zu den anderen Elementen voranschreitet. 46 Auch die Verfassung spielt eine wesentliche Rolle, so dass die verfassungskonforme Auslegung in die Abfolge der Auslegungsmittel integriert ist. 47 Leider wurde keine Einigkeit darüber erzielt, welches die universell richtige Reihenfolge der Auslegungsmittel darstellt. 2. Rangfolge durch verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel Die Praxis löste das Problem scheinbar, indem Rechtsprechung und herrschende Lehre sich darauf einigten, dass der objektivierte Wille des Gesetzgebers 48 Erkenntnisziel der Auslegung sein sollte. Allerdings hinderte diese Einigkeit im Folgenden niemanden, Methoden frei zu kombinieren und auch den „subjektiven“ Willen des Gesetzgebers in die Auslegung einzubeziehen, wenn dies dem „richtigen Ergebnis“ dienen konnte. Daher blieb der viel kritisierte Methodenpluralismus 49 der Rechtsprechung erhalten. Die verfassungskonforme Auslegung verspricht dagegen Vereinheitlichung durch interpretative Kompatibilisierung. So dient sie nicht nur der Verfassungskonformität in der Rechtsanwendung. Sie ist zugleich geeignet, beim methodologischen Problem der rechtspraktischen Diversität Abhilfe zu schaffen. Darauf verweist auch die häufige Bezugnahme auf die Einheit der Rechtsordnung 50 als Grund wie als Ziel verfassungskonformer Auslegung. Nach dem Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung soll bei einer Mehrheit von Normdeutungen die Methode bevorzugt werden, welche zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt. 51 Damit ist für die jeweilige Auslegung der Vorrang Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 71; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. I, 2. A. 1984, S. 125 f. 46 Vgl. Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methoden der Rechtsbildung, 2001, S. 271 f.; Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 163 ff.; Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 120 ff.; Helmut Rüßmann, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 135 (147 ff.). Ernst Höhn, Praktische Methodik der Gesetzesauslegung, 1993, S. 160 ff., präferiert eine normorientierte Strukturierung. 47 Vgl. Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 165. 48 Vgl. nur BVerfGE 110, 226 (248); 105, 135 (157); 54, 277 (284); 11, 126 (130 f.); 1, 299 (312); stRspr. 49 Siehe dazu Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 1970, S. 121 ff., der als Ursache der Problematik die erheblichen Mängel der traditionellen Methodenlehre ausmacht; ähnlich Werner Krawietz, JuS 1970, 425 (430 f.). Sehr kritisch zur Idee eines Stufenkatalogs auch Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. A. 1976, S. 85 ff. 50 Dazu ausführlich unten, Teil 1 D IV. 51 Vgl. nur BVerfGE 64, 229 (242); 51, 304 (323); 32, 373 (383 f.); stRspr. Für Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 103, ist die verfassungskon-

A. Auslegung und Rechtsfortbildung

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einer Methode festgelegt und die Einheitlichkeit der sog. Rechtsanwendung gewährleistet. Allerdings ist die verfassungskonforme Auslegung nach dieser Lesart weniger Auslegungsmethode als vielmehr Vorzugsregel 52 für diejenige Methode, welche zum verfassungsgemäßen Ergebnis führt, bzw. dasjenige verfassungsgemäße Ergebnis, welches mit einer (beliebigen) der klassischen Auslegungsmethoden erreicht wird. 53 Die verfassungskonforme Auslegung genießt dabei immer Vorrang, sie hebt die grundsätzliche Gleichwertigkeit 54 der Methoden auf. 55 Dieses Phänomen wird als unzulässiger Methodenmonismus gerügt. 56 Wenn die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel zu verstehen ist, kommt sie allerdings erst nach der „eigentlichen“ Auslegung zur Anwendung. 57 Sie entscheidet als forme Auslegung auf diese Funktion der Auswahl bei mehrdeutigem Wortsinn beschränkt; allerdings bestehe eine Praxis restriktiver oder extensiver Auslegung oder gar Lückenausfüllung durch das Bundesverfassungsgericht (S. 104, Fn. 50). 52 Zur Frage, ob es sich bei der verfassungskonformen Auslegung um eine echte Erkenntnismethode oder eine bloße Rangauswahl handelt: Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 15 ff.; vgl. auch Christian Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 33. Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 134 f., geht davon aus, dass die verfassungskonforme Auslegung sich der klassischen Auslegungsmittel bedient, um die verfassungsgemäße Bedeutung hervortreten zu lassen. Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (522), sieht in der Vorzugsregel die entscheidende Bedeutung, die verfassungskonforme Auslegung sei aber auch als systematische Interpretation bei nur einer Deutung einsetzbar. Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (181), beschränkt die verfassungskonforme Auslegung auf die Funktion der Vorzugsregel; ebenso schon Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 (86). 53 Vgl. zu diesem Verständnis der verfassungskonformen Auslegung: Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 160; Bodo Pieroth / Bernhard Schlink, Grundrechte, 18. A. 2002, Rn. 77 ff.; Lutz Treder, Methoden und Technik der Rechtsanwendung, 1998, S. 63; kritisch: Ernst Höhn, Praktische Methodik der Gesetzesauslegung, 1993, S. 237 ff.; ein anderes Verständnis der verfassungskonformen Auslegung als Vorzugsregel haben auch Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002, Rn. 100. 54 Diese betonen Irmgard Amberg, Divergierende höchstrichterliche Rechtsprechung, 1998, S. 116 ff.; Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 60 ff.; Horst Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53 (59 f.); Fritz-René Grabau, Gesetzes- und Vertragsinterpretation, 1993, S. 162; Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 106 ff.; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. I, 2. A. 1984, S. 125 f. So für den herkömmlichen Methodenkanon auch BVerfGE 105, 135 (157): kein unbedingter Vorrang, aber ggf. hervorgehobene Bedeutung eines Elements. 55 Nach Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methoden der Rechtsbildung, 2001, S. 245 f., 262 ff., sind die Verfassungswerte gerade Grundlage jeder Auslegungslehre und gebieten eine feste Rangfolge der Auslegungskriterien. Ähnlich Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 98 f.: Die Methodenpluralität ist durch Art. 1 III, 20 III GG partiell aufgehoben. Ablehnend Ernst Höhn, Praktische Methodik der Gesetzesauslegung, 1993, S. 246 ff. 56 So Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 63; Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 59; Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 106.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

Metakategorie – mit Hilfe der Verfassung als Metanorm – über die Richtigkeit der klassischen Auslegung.

IV. Allgemeines Konformitätsprinzip: Normerhalt und verfassungsorientierte Auslegung Entgegen dem Befund, dass sich die verfassungskonforme Auslegung nicht zwanglos in den Methodenkanon einpassen lässt, wird angemerkt, an der Methode sei nichts Neues zu bemerken. Vereinheitlichung und Widerspruchslosigkeit würden auf allen Normebenen angestrebt. Die verfassungskonforme Auslegung sei lediglich Ausdruck eines allgemeinen interpretatorischen Konformitätsprinzips 58 oder bilde nur einen Ausschnitt des Prinzips vertikaler Normendurchdringung 59. Dieses Prinzip rangkonformer Auslegung 60 soll für die gesamte Rechtsordnung 61 gelten: Bundesrecht sei gemeinschaftsrechtskonform, Landesrecht bundesrechtskonform, Gesetze verfassungskonform, Satzungen und Verordnungen gesetzeskonform auszulegen. Die verfassungskonforme Auslegung ist damit Ausdruck eines umfassenden Prinzips juristischer Auslegung. Doch schon die Forderung, Gesetze müssten im Lichte der Verfassung ausgelegt werden, schweigt über das konkrete methodische Vorgehen, welches dazu notwendig ist. Ebenso enthält das Postulat eines allgemeinen Konformitätsprinzips keine Aussagen über seine praktische Umsetzung.

57 Vgl. Max-Emanuel Geis, NVwZ 1992, 1025 (1026); Helmut Michel, JuS 1961, 274 (277); Reinhard Rieger, NVwZ 2003, 17 (21); Wolfgang Roth, NVwZ 1998, 563 (564). Noch später setzt Nicola Rowe, Recht und sprachlicher Wandel, 2003, S. 40, an, wenn sie die verfassungskonforme Auslegung in die dritte Phase der Auslegung im Anschluss an die Subsumtion einordnet. 58 Helmut Michel, JuS 1961, 274 (275); ähnlich Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 456; Max Imboden, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, 1961, S. 133 (142 f.); Erwin Stein, NJW 1964, 1745 (1750). 59 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 17 ff.; Werner Frotscher, Die Abgrenzung der Zuständigkeit, 1964, S. 45 f.; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 245. Nach Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 24, ist dies in Rechtsprechung und Lehre der Schweiz ganz unbestritten. 60 So die Terminologie von Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 122; Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 82; vgl. auch Stefan Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen, Bd. 1, 2001, S. 37 ff. 61 Schon ein näherer Blick allein auf die richtlinienkonforme Auslegung von Gesetzen erweist, dass die Konzepte konformisierender Auslegung keinesfalls schlicht gleichgesetzt werden sollten – Richtlinien sind keine Verfassungsnormen und das Konzept des Anwendungsvorrangs aus dem Europarecht entspricht nicht den (vielfältigen) Verständnissen des Verfassungsvorrangs im innerstaatlichen Recht; explizit zu den Unterschieden beider Auslegungskonzepte:Udo Di Fabio, NJW 1990, 947 (948 ff.).

A. Auslegung und Rechtsfortbildung

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Um sich einer Beantwortung der Frage nach dem konkreten methodischen Vorgehen zu nähern, muss zunächst differenziert werden. Das Konformitätsprinzip kann als normerhaltend oder als erkenntnisleitend oder als beide Funktionen vereinend verstanden werden. Relevant wird die Unterscheidung besonders bei der Frage, ob es möglich ist, eine zweifelsfrei verfassungsgemäße Gesetzesnorm verfassungskonform auszulegen oder ob nur verfassungswidrige Normen zu ihrer Aufrechterhaltung mit dieser Methode bedacht werden können. 1. Das normerhaltende Konformitätsprinzip Das Bundesverfassungsgericht hat die verfassungskonforme Auslegung explizit zum Erhalt (mit Blick auf ihre Verfassungsmäßigkeit) zweifelhafter Normen entwickelt. Dies wird besonders in Verfahren der Normenkontrolle deutlich, wenn eine verfassungskonforme Auslegung vorgenommen wird, um danach die Verwerfung der Norm abzulehnen: „Die verfassungskonforme Auslegung hat [...] die Aufrechterhaltung der Gültigkeit der Norm zum Ergebnis.“ 62 So wird das allgemeine Konformitätsprinzip auch als Grundsatz der Normerhaltung verstanden. 63 Diese Vorstellung weist Joachim Burmeister, der den Begriff der vertikalen Normendurchdringung entwickelt hat, 64 ausdrücklich als unzulässig zurück. Das Konformitätsprinzip müsse vom normerhaltenden Prinzip getrennt werden und sei auch nur ohne dieses verfassungsrechtlich zulässig. 65 2. Das erkenntnisleitende Konformitätsprinzip: verfassungsorientierte Auslegung Wird die Funktion des Normerhalts abgelehnt, ist die verfassungskonforme Auslegung ausschließlich als Ausdruck eines erkenntnisleitenden Konformitätsprinzips zu verstehen. Auch die viel betonte Ausstrahlungswirkung der Verfassung auf alle Rechtsbereiche 66 spricht dafür, sie als allgemeine Auslegungsmethode zu 62

BVerfGE 65, 132 (140). Vgl. nur Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 2, 2. A. 1998, § 56 Rn. 111. 64 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung. Verfassungskonforme Auslegung oder vertikale Normendurchdringung?, 1966. 65 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 28 ff., 49, 81, 127 f.; kritisch: Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002, Rn. 104. 66 Stichworte sind die mittelbare Drittwirkung, der objektiv-rechtliche Gehalt und die Schutzdimension der Grundrechte, vgl. nur Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Der Staat 29 (1990), 1 (4 ff.); Michael Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, insbes. S. 177 ff., 220 ff.; Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Vorb., Rn. 96 ff.; Wolfgang Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), 173 (190) m.w. N.; Ingo von Münch, in: 63

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

qualifizieren. Damit wäre sie grundsätzlich auf alle – also auch verfassungsgemäße – Gesetze anzuwenden. 67 Wird davon ausgegangen, dass beide Funktionen nebeneinander bestehen, 68 kann die verfassungskonforme Auslegung mit dem Ziel des Normerhalts abgegrenzt werden von der sog. verfassungsorientierten Auslegung 69 zur Erschließung des Norminhalts. Dies meint die Konkretisierung besonders „offener“ oder „auslegungsbedürftiger“ Gesetzesnormen mit Hilfe der Verfassung, also insbesondere die Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen. 70 Die verfassungsorientierte Auslegung fungiert damit nicht nur als Vorzugsregel, welche die Verfassungsmäßigkeit der zuvor ermittelten Auslegungsmöglichkeiten überprüft, sondern ist zunächst gleichberechtigtes Auslegungsmittel zur Erforschung dieser Möglichkeiten. Umstritten ist allerdings, ob die Konkretisierung von „offenen“ Gesetzesinhalten nicht als Rechtsfortbildung zu werten ist. 71 Auf die Fragen ders. / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2000, Vorb. Art. 1 –19, Rn. 22 ff., 31 ff.; Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (180) m.w. N. Kritisch zu den für die Fachgerichte damit verbundenen „Strahlenschäden“ äußert sich Josef Isensee, JZ 1996, 1085 (1090). 67 Für die Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung von verfassungsgemäßen Gesetzen: Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 36; Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 75 ff. Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 59 f., stellt fest, dass nach dem BVerfGG eine verfassungswidrige Deutung Voraussetzung der verfassungskonformen Auslegung sei, betont aber zugleich die Inkongruenz mit dem wissenschaftlichen weiteren Verwendungszusammenhang, dem er nicht abgeneigt gegenübersteht. 68 So wohl Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 308 ff. 69 Für diese Unterscheidung: Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 448, m.w. N.; ferner Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 183 ff.; Jörn Lüdemann, JuS 2004, 27 (28 f.); Uwe Seetzen, NJW 1976, 1997 (1998); Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 (86). Umgekehrt sehen Michael Sachs, in: ders. (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Einführung, Rn. 52; sowie Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (180), die verfassungskonforme als Unterfall der verfassungsorientierten Auslegung an. 70 Vgl. dazu Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 141; Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 110 ff.; Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 137; Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 42 ff.; Anne Röthel, JuS 2001, 424 (427 f.); Christian Starck, JZ 1996, 1033 (1039); Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 (110). Für das Zivilrecht wurde die Wendung von den Generalklauseln als sogenannte Einfallstore der Grundrechte ins Privatrecht entwickelt, vgl. BVerfGE 73, 261 (269); 42, 143 (148); 7, 198 (206). 71 So Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 110 ff.; ähnlich Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 42 ff., der von Gesetzesergänzung spricht. Auch Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 115, qualifiziert Generalklauseln als bewusste Lücken.

A. Auslegung und Rechtsfortbildung

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des Verhältnisses von verfassungskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung ist noch einzugehen. Zunächst ist festzuhalten, dass von der verfassungskonformen auch die Form der verfassungsorientierten Auslegung unterschieden werden kann.

V. Herausforderungen der Methodenlehre: Verfassungsbezug als Antwort In der Zeit, in der die verfassungskonforme Auslegung etabliert wird, sieht sich die juristische Methodenlehre erheblichen Herausforderungen gegenüber. Diese kommen zunächst von zwei Seiten. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht wird der Jurisprudenz vorgeworfen, normverliebt die Wirklichkeit zu ignorieren. 72 Zudem wird die soziale Herkunft des Richterpersonals als homogen einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht entstammend diskreditiert, 73 wobei der Verdacht geäußert wird, die Herkunft habe Einfluss auf die Entscheidungspraxis. 74 Derweil bedroht auch die philosophische Erkenntnistheorie das Selbstverständnis richtigen und rationalen Entscheidens, indem sie sich grundsätzlich mit den Möglichkeiten von Verstehen befasst. 75 Sie negiert die Möglichkeit „objektiven“ Verstehens und weist auf die Unentrinnbarkeit von Vorverständnis und hermeneutischem Zirkel hin, 76 denen auch die Jurisprudenz 77 nicht entkommen könne. Verschärft wird das Problem durch analytische und sprachphilosophische Ansätze, 78 die Voraussetzungen und Grenzen von Kommunikation grundlegend hinterfragen. 72 Vgl. nur Werner Krawietz, JuS 1970, 425 (428 ff.), m.w. N.; Rudolf Wiethölter, Rechtswissenschaft, 1968, passim, insbes. S. 71 ff. 73 Zur Richtersoziologie statt vieler: Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, 1961; Walther Richter, Zur soziologischen Struktur der deutschen Richterschaft, 1968; Klaus Zwingmann, Zur Soziologie des Richters in der Bundesrepublik Deutschland, 1966. Übersicht über ihren Forschungsstand bei Dieter Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 146 ff., m.w. N. 74 Die Diskussion wird auch unter dem Stichwort der „Klassenjustiz“ geführt, vgl. statt vieler Wolfgang Kaupen, Die Hüter von Recht und Ordnung, 1969; Thomas Raiser, Rechtssoziologie, 2. A. 1973, S. 31 ff.; Theo Rasehorn, Recht und Klassen. Zur Klassenjustiz in der Bundesrepublik, 1974; Hubert Rottleuthner, Richterliches Handeln, 1973. Kritisch dazu Norbert Achterberg, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 92, Rn. 207 (Stand: 1981), m.w. N.; Thomas Drosdeck, in: Jeannette Schmid u. a., Der Rechtsfall, 1997, S. 5 (11 ff.). 75 Vgl. dazu Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 1970, S. 133 ff. Für ein „normerprobtes“ Vorverständnis: Ernst-Wolfgang Böckenförde, NJW 1976, 2089 (2098). 76 Rezipiert wurde vor allem Hans Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, 1960; insbesondere von Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 1970, S. 135 ff.; vgl. dazu Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 266 ff. Allerdings zeigte sich die juristische Methodenlehre insgesamt dieser Herausforderung nur sehr begrenzt gewachsen; ihre hermeneutische Aufklärung endete nicht selten in methodologischem Skeptizismus oder Fatalismus, vgl. dazu Matthias Jestaedt, in: Otto Depenheuer u. a. (Hg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 183 (197 ff.).

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

Die Methodenlehre befindet sich so in arger Bedrängnis. 79 Die aufgeworfenen Fragen müssen rasch und zufrieden stellend einer Lösung zugeführt werden, denn Gerichte wie Behörden müssen entscheiden und ihre Entscheidungen legitimieren. 1. Rationalität juristischer Entscheidungsfindung Die Frage von sozialer Herkunft und Entscheidungspraxis des Justizpersonals bleibt ungeklärt. 80 Zwar werden in diesem Zusammenhang Modelle zur Reform der Juristenausbildung diskutiert, welche eine soziale Folgenorientierung fördern oder gar zum richterlichen social engineering befähigen sollen. 81 Doch wird zugleich eine sozialwissenschaftliche Steuerung juristischer Entscheidungen befürchtet, die als unerwünscht oder überhaupt unmöglich abgelehnt wird. 82 Insgesamt kommt die Rechtssoziologie (mit Ausnahme der Kriminologie) in der Bundesrepublik über eine Randposition kaum hinaus. 83 Auch zeigt die deutsche Rechtstheorie im Ganzen deutliche Rezeptionslücken im Bereich des Rechtsrealismus, der kritischen Soziologie und später den Ansätzen der critical legal studies. 84 In den neueren methodologischen Strömungen könnte Friedrich Müllers strukturierende 77 Zu Vorverständnis und hermeneutischem Zirkel aus Sicht der Rechtswissenschaft: Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 27 ff. Zu Funktionen und Bedeutungen des Vorverständnisses in der Jurisprudenz: Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 19 ff. Kritisch zur juristischen Rezeption des Vorverständnisses: Gerd Roellecke, VVDStRL 34 (1976), 7 (11 ff.). Grundsätzlich zum Verhältnis von philosophischer und juristischer Hermeneutik: Ulrich Schroth, in: Arthur Kaufmann / Winfried Hassemer (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6. A. 1994, S. 344 (347 ff.). Zum Einfluss der Hermeneutik auf die Rechtswissenschaft aus linguistischer Sicht: Ute Stöhr, Der juristische „Bedeutungswandel“, 1994, S. 60 ff. 78 Zur Einführung: Maximilian Herberger / Hans-Joachim Koch, JuS 1978, S. 810 –817. 79 Susanne Baer, in: Verein Pro FRI (Hg.), Recht Richtung Frauen, 2001, S. 33 (36), verweist [vor einem anderen Hintergrund] auf die Probleme, die kritische Anfragen an die Rechtswissenschaft als „eine Profession, die auf Einheit, Konsens, Norm und Entscheidung angewiesen ist“, mit sich bringen. 80 Hubert Rottleuthner, Rechtssoziologische Studien zur Arbeitsgerichtsbarkeit, 1984, findet keinen Nachweis für den Einfluss soziodemographischer Daten auf die konkreten Entscheidungen. 81 Einen Überblick über die Diskussion und Erklärungsversuche für ihre Wirkungslosigkeit gibt Nicolas Lührig, Die Diskussion über die Reform der Juristenausbildung, 1997, passim. Erhebliche Polemik gegen eine Überbewertung der Sozialwissenschaften bietet Helmut Schelsky, JZ 1974, 410 (414 ff.), während für Karl Albrecht Schachtschneider, RuP 1972, 111 (112 ff.), die Reformversuche gerade in dieser Hinsicht nicht weit genug gehen. 82 Strikt ablehnend zu einer Überbewertung der Sozialwissenschaften: Walther Richter, JZ 1974, 345 (347 ff.); für die Beschränkung auf eine Hilfswissenschaft: Fritz Loos, ZRP 1974, 162 (164 ff.); für eine mittelbare Nutzung bei der Rechtsfindung: Klaus J. Hopt, JZ 1975, 341 (345 ff.). 83 Dazu Gerd Bender, in: Dieter Simon (Hg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, 1994, S. 100 – 144.

A. Auslegung und Rechtsfortbildung

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Rechtslehre als Antwort auf den Vorwurf der Realitätsverweigerung verstanden werden; sie bezieht die Wirklichkeit unter dem Begriff des Normbereiches explizit in die gerichtliche Tätigkeit ein. 85 Allerdings wird gerade der strukturierenden Rechtslehre vorgeworfen, dass sie auf der Mikroebene der Auslegung verbleibt und die Gesellschaftsbezogenheit juristischer Tätigkeit ignoriert. 86 Gegen die Hinterfragung der Möglichkeiten von Erkenntnis und der Objektivität der Erkennenden wird einiges in Stellung gebracht, um die Rationalität juristischen Entscheidens 87 zu retten: topische Methode, juristische Logik oder Argumentationstheorien. 88 So ist Theodor Viehweg, der prominent die These von der topischen Struktur juristischen Denkens aufgestellt hat, 89 neben methodologischer Anregung nicht zuletzt bestrebt, den status quo der Rechtspraxis mit einem ideengeschichtlichen Fundament zu versehen. 90 Zwar wird auch versucht, auf Herausforderungen wie die der sprachanalytischen Philosophie 91 einzugehen. Topische Methode wie Argumentationstheorien dürften sich aber nicht zuletzt deshalb solcher Beliebtheit erfreuen, 92 weil sie manch erkenntnistheoretische An-

84 Vgl. Eric Hilgendorf, Die Renaissance der Rechtstheorie zwischen 1965 und 1985, 2005, S. 67 ff. 85 Friedrich Müller, Strukturierende Rechtslehre, 1984, S. 251 ff.; diese Innovation hebt auch Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 212, ausdrücklich hervor. Kritisch sind dagegen Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 173 ff. 86 So Andreas Görgen, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 86 (119 f.). 87 In dem Beitrag von Franz Bydlinski, Rechtstheorie 16 (1985), S. 1 –64, der sich engagiert der Abwehr neuerer methodologischer Herausforderungen widmet – treffend zum Hauptwerk Klaus Adomeit, JZ 1983, 513 (514): „Das Gesamtergebnis lässt sich charakterisieren als eine Rehabilitation der Überlieferung.“ –, ist der geradezu verschwenderische Gebrauch des Wortes „rational“ besonders bemerkenswert (insbes. S. 4, 13 –18). 88 Einen sehr schönen Überblick über die Grundlagendebatten in der Rechtswissenschaft jener Zeit gibt Eric Hilgendorf, Die Renaissance der Rechtstheorie zwischen 1965 und 1985, 2005, mit diversen Nachweisen. Zur Entwicklung der juristischen Methodenlehre vgl. auch ausführlich Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 3, 1976; ferner Ekkehart Stein, in: Erhard Denninger u. a. (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 3. A. 2001, Einl. II, Rn. 9 – 24. 89 Theodor Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1953. 90 Vgl. auch Klaus Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 4. A. 1998, S. 68 f. 91 Vgl. Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978; Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982. – Die Ansätze der sog. Rechtsrhetorik wurden dagegen fast gar nicht rezipiert, was insbesondere ihrer dezidiert konstruktivistischen Grundhaltung geschuldet sein dürfte, auf welche die traditionelle Jurisprudenz mit Befremden reagiert. 92 Die Literatur dazu ist unüberschaubar; vgl. statt vieler Helmut Coing, Die juristischen Auslegungsmethoden und die Lehren der allgemeinen Hermeneutik, 1959; Josef Esser, Grundsatz und Norm, 1956; Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. A. 1976;

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fechtung außer Acht lassen konnten, indem sie sich auf rationale Entscheidungen und deren rationale Begründungen konzentrieren. Die verfassungskonforme Auslegung spielt in all diesen Konzepten kaum eine Rolle. 93 Sie kann weder eine adäquatere Berücksichtigung der „Wirklichkeit“ fördern noch Erkenntnisprobleme lösen. Zudem kann sie als Bestandteil eines traditionellen methodischen Systems verstanden werden, das von Vertreter / innen innovativer Konzepte gerade abgelehnt wird. Trotzdem bleibt die Verfassung eine wesentliche Größe in der etablierten Methodenlehre wie ihren Gegenströmungen. Das hat zum einen mit den Herausforderungen der Rechtswissenschaft zu tun, die sich nicht in den Problemen von Rechtswirklichkeit und Hermeneutik erschöpfen, 94 zum anderen mit dem unmerklichen Perspektivenwechsel vom Prozess der Rechtsgewinnung zur akzeptanzfähigen Begründung des Gewonnenen. 2. Verfassung als systemeigener Maßstab Die dritte – und wohl wesentlichste – Herausforderung für die juristische Methodenlehre besteht in der Rechtspraxis selbst, 95 welche sich von allen ErUlfrid Neumann, Juristische Argumentationslehre, 1986; Franz Wieacker, Gesetz und Richterkunst, 1958. 93 So wird sie beispielsweise bei Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. A. 1976, S. 151, nur in einer Aufzählung möglicher topoi erwähnt und dabei den dogmatischen Rechtsprinzipien zugeordnet. 94 Allerdings äußert sich die Abwehr allein dieser Herausforderungen bis heute in einem methodischen und methodologischen Reduktionismus, unangemessener Unterkomplexität und Verschleierungstendenzen der Rechtswissenschaft, dazu Nikolaus Benke, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 1 (3 ff., 13 ff.). Zur mangelnden Selbstreflexion der juristischen Methodenlehre sehr kritisch schon Werner Krawietz, JuS 1970, 425 (425 ff., insbes. 431). 95 Diese Problematik ist alt. So stellte schon Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 248, zutreffend fest, die Rechtswissenschaft sei von den Rücksichten auf die Praxis beirrt und behindert wie sonst keine Norm- oder Naturwissenschaft; allerdings dürfe diesen Rücksichten nicht nachgegeben werden, da ein solches Vorgehen im schlimmsten Fall nur als Götzenanbetung oder Prostitution durch die Jurisprudenz gewertet werden könne (S. 168, Fn. 1). – Der Versuch von Carl Schmitt, Gesetz und Urteil, 1912, S. 71 ff., allein anhand der Maßstäbe der Praxis selbst eine Theorie der richtigen Entscheidung zu entwickeln, zeigt dagegen exemplarisch sowohl die Alternative des vorauseilenden Gehorsams wie auch die Untauglichkeit eines solchen Vorgehens. Vgl. auch die – wenig ansprechende – Art und Weise, wie Franz Bydlinski, Rechtstheorie 16 (1985), S. 1 –64 (passim), seinen aktuellen wie potentiellen Kritiker / innen die Praxis als permanentes Totschlagsargument vorhält; sowie neueren Datums die Vorstellung, die Ralph Christensen / Michael Sokolowski, Rechtstheorie 32 (2001), 327 (328), von einer gelungenen Theorie der Praxis haben. – Dagegen harrt die von Friedrich Gottlob Nagelmann in Abgrenzung zur Reinen Rechtslehre entwickelte praxisfreundliche Konzeption der „Licht-Kern-Theorie“ ganz offensichtlich noch der wissenschaftlichen Entdeckung, vgl. dazu Dieter C. Umbach, in: ders. u. a. (Hg.), Das wahre Verfassungsrecht, 1984, S. 437 (442 ff.).

A. Auslegung und Rechtsfortbildung

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schütterungen und den Maßnahmen zu ihrer Bewältigung unbeeindruckt zeigt und weiter (unter Berufung auf Friedrich Carl von Savigny) die vier klassischen Auslegungsmittel sowie die verfassungskonforme Auslegung nutzt. Dies führt zu Zerwürfnissen, Resignation oder Anpassungsversuchen von Seiten der Rechtswissenschaft, 96 die weitgehend ebenso unbeachtet bleiben. Die Verunsicherung der Rechtswissenschaft „von außen“ durch Sozialwissenschaften und Erkenntnistheorien bei gleichzeitigem Druck, praxistauglich zu sein, wirft sie auf ihre eigenen Maßstäbe zurück. Traditionelle Konzeptionen aus der Jurisprudenz, Tauglichkeitsbegehren aus der Praxis und vor allem das positive Recht selbst sollen als Gewähr juristischer Richtigkeit dienen. Aus dem positiven Recht kommt mit Blick auf Kontinuität und Autorität nur die Verfassung als Bezugsgröße in Betracht. Die Verfassung soll der Fixpunkt juristischen Denkens sein, 97 der dem Zugriff von Hermeneutik und Soziologie entzogen ist und zugleich von der Praxis akzeptiert wird. So erfreut sich das Postulat der Verfassungsrelevanz von Methodenfragen breiter Anerkennung, 98 zentrale Verfassungsnormen fungieren als Ausgangspunkt methodologischer Überlegungen 99 und auch konkrete Fragen von Auslegung 100 und Rechtsfortbildung 101 werden mit Rekurs auf das Verfassungsrecht gelöst. 102 Begleiterscheinung all dessen ist, dass 96

Kritisch dazu Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. A. 1976, S. 21 ff.,

37 ff. 97 Selbst die strukturierende Rechtslehre, die generelle Normen als nur virtuelles Recht betrachtet, rekurriert in letzter Instanz auf die „methodenbezogenen Normen des Verfassungsrechts“, vgl. Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002, Rn. 430; Friedrich Müller / Ralph Christensen / Michael Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, 1997, S. 137; Ralph Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989, S. 287 f.; ders., in: Friedrich Müller (Hg.), Untersuchungen zur Rechtslinguistik, 1989, S. 47 (85). Kritisch dazu: Thomas-Michael Seibert, Zeichen, Prozesse, 1996, S. 121; Alexander Somek, Der Gegenstand der Rechtserkenntnis, 1996, S. 59 ff. 98 Vgl. nur Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 148; Hans D. Jarass, in: ders. / Bodo Pieroth, Grundgesetz, 8. A. 2006, Einl., Rn. 5 ff.; Anne Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 49; pointiert Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 706: „Methodenfragen sind Verfassungsfragen!“. Zur Bedeutung der Verfassung auch für einen systemtheoretischen Ansatz: Paulo Antonio de Menezes Albuquerque, Funktionen und Struktur der Rechtsprechung, 2001, S. 44 ff. 99 So bei Irmgard Amberg, Divergierende höchstrichterliche Rechtsprechung, 1998, S. 100; Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 37 (37); Christian Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 4 ff.; Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 11 f.; Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 5. 100 Methodologische Schlussfolgerungen aus dem Publikationserfordernis des Art. 82 Abs. 1 GG ziehen Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 66 ff.; Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 90 f.; Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 192 ff.; Robert Walter, in: Günter Kohlmann (Hg.), Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, 1983, S. 189 (195).

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

das Bundesverfassungsgericht zur Autorität auch in allgemeinen Methodenfragen erhoben wird. Dies wird auch bei der „neuen“ Methode der verfassungskonformen Auslegung deutlich. Wird sie in Lehrbüchern überhaupt erwähnt, beschränkt sich die Darstellung nicht selten auf eine Wiederholung der verfassungsgerichtlichen Kernaussagen (oder von Auszügen daraus) 103.

VI. Akzeptanz und Begründung: Verfassung als Legitimationselement Wenn die Erkenntnis und damit der Weg zum Ergebnis unsicher werden, gewinnt die Begründung als Legitimierung des – wie auch immer gefundenen 104 – Ergebnisses erhebliche Bedeutung. In diesem Zusammenhang hat sich die prägnante Unterscheidung zwischen Herstellung und Darstellung 105 juristischer Entscheidungen bewährt. Die Darstellungen bzw. Entstehungslegenden müssen dabei keineswegs dem Herstellungsvorgang entsprechen, ihre Aufgabe ist es vielmehr, Legitimität durch Akzeptanz zu stiften, indem sie für die Adressatinnen und Adressaten der Entscheidung überzeugend sind. 106 Begründungen dienen der kommunikativen Re101 Insbesondere die Frage der Grenzen, vgl. nur Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 254 ff.; Katja Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, 1996, S. 3, 23 ff.; Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 251. 102 Angesichts dessen erstaunt es ein wenig, wenn Friedrich Müller, in: Methodik, Theorie, Linguistik des Rechts, 1997, S. 36 (36), den anderen Methodenlehren vorhält, sie beachteten die Verfassung zu wenig. 103 Vgl. nur Peter Badura, Staatsrecht, 3. A. 2003, H Rn. 60; Hans Brox, Allgemeiner Teil des BGB, 28. A. 2004, Rn. 29; Christoph Degenhart, Staatsrecht I, 20. A. 2004, Rn. 633; Alfred Katz, Staatsrecht, 15. A. 2002, Rn. 124; Helmut Köhler, BGB, Allgemeiner Teil, 30. A. 2006, § 3, Rn. 33, § 4, Rn. 21; Karl Larenz / Manfred Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. A. 2004, § 4, Rn. 61; Theodor Maunz / Reinhold Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. A. 1998, S. 48 f.; Dieter Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 8. A. 2002, Rn. 310; Eberhard Schmidhäuser, Strafrecht AT, 2. A. 1975, 5/34 ff.; Johannes Wessels / Werner Beulke, Strafrecht AT, 33. A. 2003, Rn. 57. 104 Eine hervorragende rhetorische Dekonstruktion der so selbstbewussten Darstellungspraxis juristischer Entscheidungen leistet Katharina Sobota, Sachlichkeit, Rhetorische Kunst der Juristen, 1990, passim. 105 Vgl. Philippe Mastronardi, Juristisches Denken, 2. A. 2003, Rn. 230 ff.; Jochen Schneider / Ulrich Schroth, in: Arthur Kaufmann / Winfried Hassemer (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6. A. 1994, S. 470 (479); sowie Niklas Luhmann, Recht und Automation, 2. A. 1997, S. 50 ff., 65 ff.; kritisch zu Luhmanns Verständnis: Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 37 (53); Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 116 ff.; Luhmanns Unterscheidung verteidigend, wenn auch ihre Nützlichkeit für die Perspektive der Herstellung bezweifelnd: Hans-Heinrich Trute, in: Eberhard SchmidtAßmann / Wolfgang Hoffmann-Riem (Hg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 293 (299 ff.).

A. Auslegung und Rechtsfortbildung

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Konstruktion gerichtlicher (bzw. behördlicher) Entscheidungen als folgerichtiger Konsequenzen der Rechtslage. Die verfassungskonforme Auslegung ist dabei eine Möglichkeit, an der Autorität der Verfassung argumentativ teilzuhaben. Dementsprechend wird sie auch genutzt. So kann es dazu kommen, dass in der Praxis eine verfassungskonforme Auslegung angekündigt, dann aber schlicht eine der vier klassischen Auslegungsmethoden zur Anwendung gebracht wird. 107 Die jeweilige Entscheidung wird dadurch wesentlich überzeugender für ihre Adressatinnen und Adressaten, die verfassungskonforme Auslegung wandelt sich von einer vielschichtigen Auslegungsmethode zum Element der Herstellungs-Darstellung. Auch juristische Diskurs- und Konsenstheorien 108 zielen auf die Vermittlung rechtlicher Entscheidungen und damit auf Akzeptanz 109. Die Entscheidungen sollen als allgemein anerkannt oder zumindest anerkennungsfähig dargestellt werden. 110 Zu den spezifischen Besonderheiten des juristischen Diskurses zählt, dass nicht beliebige Argumente verwendet werden können, sondern der Diskurs durch die Bindung an Gesetze als schon getroffene rechtspolitische Entscheidungen bzw. an die Verfassung als Grenze der Gesetze beschränkt ist. 111 Die verfassungskonforme Auslegung kann folglich eine wesentliche Rolle bei der Aktualisierung von Diskursgrenzen spielen. 106

Vgl. dazu Agnes Launhardt, Rechtstheorie 32 (2001), S. 141 –157. Vgl. nur BVerfGE 49, 286 (301 ff.); BGHSt 38, 144 (151 ff.). Diese Beobachtung hat auch schon Peter Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 44, bezüglich der von ihm untersuchten Entscheidungen gemacht. 108 Exemplarisch: Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, 1978; kritisch dazu: Ralph Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989, S. 183 ff.; Joachim Lege, Pragmatismus und Jurisprudenz, 1999, S. 508, 516; Jochen Schneider / Ulrich Schroth, in: Arthur Kaufmann / Winfried Hassemer (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6. A. 1994, S. 470 (481 ff.); Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 141 ff. Ausführliche Darstellung und Kritik der Diskurstheorie des Rechts bei Armin Engländer, Diskurs als Rechtsquelle?, 2002, passim. 109 Radikal schlägt Doris Lucke, Rechtstheorie 32 (2001), 159 (170 ff.), vor, den Alleingeltungsanspruch juridischer Rationalität aufzugeben, da er kaum in eine postmoderne Welt passe, und die Frage nach Recht und Unrecht insgesamt durch die Frage nach Akzeptanz und Nichtakzeptanz zu ersetzen. 110 Nach Ansicht von Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 224 ff., m.w. N., sind Konsenstheorien umfassend ungeeignet, um Legitimation herzustellen. – Die Probleme, die jedenfalls mit einer beliebigen Verwendbarkeit des Konsensbegriffes einhergehen, werden beispielsweise deutlich, wenn es Rainer Bakker, Grenzen der Richtermacht, 1994, S. 126 f., 139 ff., 154, auf diese Weise gelingt, den Carl Schmittschen Professions-Autismus (vgl. oben, Fn. 95) mit den Weihen des Demokratieprinzips zu versehen. 111 Vgl. Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 3. A. 1996, S. 34, 37; Peter Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 249 ff. 107

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VII. Rechtsfortbildung: verfassungskonforme Fortbildung des Gesetzesrechts Eine akzeptanzfähige Darstellung wird dann schwierig, wenn nicht mehr friktionsfrei behauptet werden kann, die Entscheidung sei eine folgerichtige Konsequenz der Gesetzeslage. 112 Dies gilt insbesondere für alle Konstellationen, in denen eine sog. Rechtsfortbildung vorgenommen wird. Die verfassungsorientierte Auslegung von Generalklauseln wirft erstmals die Frage auf, wie sich verfassungskonforme Auslegung und Rechtsfortbildung zueinander verhalten. 113 Wird das Gesetzesrecht hier mit den Mitteln der Verfassung fortgebildet oder gibt es eine eigene Form der verfassungskonformen Rechtsfortbildung? 1. Auslegung und Rechtsfortbildung Jede Kodifikation ist schon von ihrem Erlass an unvollkommen. 114 Daher ist neben der richtigen Auslegung eine zentrale Frage, wie Fälle gelöst werden können, welche nicht explizit vom ausgelegten Gesetz erfasst sind. Eine der ältesten Methoden ist die Analogie, bei der eine begrenzte Regelung auch auf ähnliche, aber nicht explizit erfasste Fälle angewendet wird. 115 Die Begriffsjurisprudenz bediente sich der Inversion: Aus konkreten Rechtsbegriffen werden durch Induktion abstrakte Oberbegriffe gewonnen, aus denen nun wieder konkrete Falllösungen deduziert werden können. 116 Die mit einer Rechtsfortbildung verbundene Entfernung vom Gesetz wirft Fragen nach der Gesetzesbindung der rechtsanwendenden Instanzen und damit letztlich Probleme der Gewaltenteilung auf. Um die Kompetenzabgren112

Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 37 (38 ff.), besteht auch jenseits der Gesetzesbindung auf einer deduktiven Begründungsstruktur. 113 Zu diesem ungeklärten Verhältnis vgl. auch Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (41 ff.). Im Zusammenhang mit Generalklauseln wird gerne der Begriff der „Konkretisierung“ verwendet, mit dessen Hilfe offen gelassen werden kann, ob es sich um einen Vorgang der Auslegung oder der Rechtsfortbildung handelt, vgl. nur Franz Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2005, S. 92. 114 Dazu sehr schön Rainer Maria Kiesow, Das Alphabet des Rechts, 2004, S. 21 ff., 48 ff. 115 Ausführlich zu diesem Phänomen: A. W. Heinrich Langhein, Das Prinzip der Analogie als juristische Methode, 1992, passim. 116 Klar ablehnend Philipp Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung (1912), hrsg. von Josef Esser, 1968, S. 18 ff.; zur Induktion bei Ernst Rudolf Bierling vgl. Andreas Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, 2004, S. 126 ff. Eine gewisse Fortwirkung dieser Methode ist zu beobachten, wenn aus der Verfassung allgemeine Prinzipien gewonnen werden, die Teil einer Rechtsidee sind, welche wiederum die konkreten Falllösungen leiten soll, vgl. nur Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 94 ff., 103 ff.

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zungen zwischen Gesetzgeber, Verwaltung und Gerichten zu wahren, ist es für die Methodenlehre entscheidend, Auslegung und Rechtsfortbildung klar zu trennen sowie Voraussetzungen und Grenzen beider festzulegen. 117 2. Voraussetzungen und Prinzipien der Rechtsfortbildung Ein methodologischer Standardsatz ist, dass der Wortlaut bzw. Wortsinn des Gesetzestextes die Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung markiert. 118 Eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung liegt vor, wenn der gewollte Zweck des Gesetzes gegenüber einem zu engen oder zu weiten Wortlaut zur Geltung gebracht wird. 119 Das Bedürfnis nach Rechtsfortbildung kann sich aber auch aus einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse seit Erlass des Gesetzes ergeben. 120 Dann kommt eine Rechtsfortbildung praeter oder gar contra legem in Betracht. Die Terminologie ist uneinheitlich. Es kann auch zwischen Auslegung, Lückenfüllung und Rechtsfortbildung 121 oder zwischen Auslegung, Ergänzung und Berichtigung 122 unterschieden werden. Das Bundesverfassungsgericht hat Aufgabe und Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung stets anerkannt. 123 Voraussetzung der Rechtsfortbildung ist das Vorliegen einer Lücke im Gesetz. 124 Die Frage, wie eine solche Lücke zutreffend festgestellt werden kann, bildet schon 117

Vgl. dazu schon Karl Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 87 ff. Statt vieler: Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 143 f.; Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. A. 2006, S. 47, 61 f., 73. Irritierend insofern Claus Dieter Classen, JZ 2007, 53 (59), der die Fachgerichte bei der verfassungskonformen Auslegung auf die klassischen vier canones innerhalb der Wortlautgrenze beschränken möchte, die Rechtsfortbildung dabei aber als inkludiert betrachtet. 119 Karl Larenz / Manfred Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. A. 2004, § 4 Rn. 77. 120 Vgl. BVerfGE 98, 49 (59 f.); 34, 269 (288 f.); Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 66 ff., 122 ff. So auch die Begründung von Helmut Michel, JuS 1961, 274 (281), für die verfassungskonforme Rechtsfortbildung vorkonstitutionellen Gesetzesrechts. 121 Vgl. Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 213 f., die hier fließende Übergänge und keinesfalls qualitative Unterschiede sehen. 122 Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 177; Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 178 f.; Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 96. 123 Vgl. nur BVerfGE 69, 315 (371); 65, 182 (190); 49, 304 (318); 34, 269 (288). Auf Grund ihrer allgemeinen Zulässigkeit will Reinhold Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, 2. A. 1996, S. 433, die Lückenergänzung auch bei der Normenkontrolle zum Zwecke der Verfassungsmäßigkeit einsetzen. 124 Zur Unzulänglichkeit gesetzlicher Regelung als Voraussetzung richterlicher Rechtsfortbildung: BVerfGE 108, 150 (160); 96, 56 (64); 84, 212 (226 f.); 65, 182 (191 f.); 34, 118

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

einen der Hauptstreitpunkte im Zusammenhang mit der Rechtsfortbildung. 125 Die festgestellte Lücke ist sodann durch Analogie, teleologische Reduktion oder Umkehrschluss zu schließen. 126 Dieses Vorgehen soll sich immer noch im Rahmen der gesetzlichen Grundwertungen und Regelungszwecke halten. Werden dagegen Zwecke oder Prinzipien eingebracht, welche nicht im Gesetz selbst liegen, handelt es sich nach Karl Larenz um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung. 127 Nach anderer Ansicht ist auch die Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze ein Fall der Lückenschließung. 128 3. Verfassungskonforme Auslegung als Rechtsfortbildung Bei der verfassungskonformen Auslegung wird die Verfassung zur Auslegung des Gesetzes herangezogen. Damit werden Wertungen, welche außerhalb des Gesetzes selbst liegen, in den Vorgang der Interpretation eingebracht. Folglich wäre die verfassungskonforme Auslegung mit Karl Larenz als (gesetzesübersteigende) Rechtsfortbildung zu qualifizieren. 129 Dementsprechend wird die verfassungskonforme Auslegung auch als Institut richterlicher Rechtsfortbildung eingeordnet. 130 Dieser Auffassung könnten jedoch grundsätzliche methodologische Bedenken entgegenstehen: „Für die traditionelle Methodenlehre nimmt die Abgrenzung von Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung eine zentrale Stellung ein. Verfassungs269 (287). Irritierend daher BVerfGE 49, 286 (303), wonach eine Gesetzeslücke eher als Hindernis für eine Rechtsfortbildung dargestellt wird. Im Zusammenhang mit der Lückendiskussion hat Karl Larenz sowohl den einprägsamen Begriff der „planwidrigen Unvollständigkeit“, vgl. Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 194 ff., als auch den eher zweifelhaften Begriff des „echten Rechtsnotstandes“, vgl. Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. A. 1991, S. 427, geprägt. 125 Hans-Martin Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, 1986, Rn. 210 ff., führt Beispiele für Konstellationen an, in denen eine mangelhafte Regelung behauptet wird, im Verständnis des historischen Gesetzgebers die entsprechenden Fragen aber sehr wohl geregelt waren, und mahnt daher zur Vorsicht. 126 Vgl. Franz Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2005, S. 63 ff.; Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 476 ff.; Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 616; Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 105 ff. 127 Karl Larenz / Manfred Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. A. 2004, § 4 Rn. 83; Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 232 ff. 128 Fritz-René Grabau, Gesetzes- und Vertragsinterpretation, 1993, S. 95 ff. 129 Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 161, qualifizieren den Vorgang der Aufrechterhaltung des sog. „Maximums“ des gesetzgeberischen Willens (siehe dazu Teil 1 F IV 4) als verfassungskonforme Rechtsfortbildung in Form einer teleologischen Reduktion. 130 So Christoph Moench, Verfassungswidriges Gesetz und Normenkontrolle, 1977, S. 29 f.; Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung, 1999, S. 40.

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konforme Auslegung und Analogie markieren diese Grenze.“ 131 Auch Friedrich Schack besteht darauf, bei der verfassungskonformen Auslegung klar zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung zu trennen, da sonst die Funktionen „Auslegung“ und „Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit einer Norm“ vermischt würden. 132 4. Verfassungskonforme Rechtsfortbildung Die gewünschte Trennung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung könnte zur Anerkennung einer Figur verfassungskonformer Rechtsfortbildung 133 führen. Detlef Christoph Göldner stellt fest, dass von verfassungskonformer Rechtsfortbildung zwar nicht gesprochen wird, die Gerichte sie aber faktisch praktizieren. 134 Auch Harald Bogs bescheinigt der Lösung von Auslegungsfragen mittels verfassungskonformer Gesetzesergänzung hohe Praxisrelevanz. 135 So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Richter Gesetzeslücken auch im Wege der Verfassungskonkretisierung füllen könne (und müsse). 136 Wenn das Gesetz die notwendigen Regeln nicht enthalte, müssten diese eben der Verfassung selbst ent131

Peter Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 102. Friedrich Schack, JuS 1969, 269 (269, 273 f.). 133 Zustimmend BVerfGE 51, 304 (323). Im Übrigen muss natürlich jede Rechtsfortbildung auch selbst verfassungskonform sein, vgl. BVerfGE 111, 54 (82); 96, 375 (398), und Helmut Michel, JuS 1961, 274 (279 f.). Daher wäre insgesamt der Begriff „verfassungskonkretisierende Rechtsfortbildung“ wohl treffender; er wird jedoch nirgendwo verwendet. Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 161, Fn. 59, sehen die Besonderheit der verfassungskonformen Rechtsfortbildung darin, dass sie Vorrang vor anderen möglichen Auslegungen oder Rechtsfortbildungen hat. Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 130, geht von einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung aus, wenn sich aus Verfassungsgründen der Zweck gegen den Wortlaut durchsetzt; ähnlich Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 268 ff. Strikt ablehnend zu einem Institut verfassungskonformer Rechtsfortbildung: Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 178 ff., 187, weil damit die Möglichkeit von Richterrecht im Verfassungsrang impliziert werde. 134 Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 67 ff. – Seine Charakterisierung der Verfassungsprinzipien als objektive Rechtszwecke im System einer offenen Teleologie ist allerdings mit dem von ihm favorisierten rechtshierarchischen Ansatz nicht ohne Weiteres vereinbar. 135 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 46 ff. 136 Dies soll hauptsächlich beim Bestehen grundrechtlicher Schutzpflichten gelten; vgl. BVerfGE 49, 286 (303) [Transsexuelle I]; 25, 167 (172 ff.) [Nichtehelichkeit]; 3, 225 (239 ff.) [Gleichberechtigung], sowie BVerfGE 97, 125 (149) [Caroline von Monaco I]. Bei verfassungswidrigem Unterlassen des Gesetzgebers bejaht auch Christian Pestalozza, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 519 (526 ff.), eine fachgerichtliche Kompetenz zur Verfassungskonkretisierung, sofern nicht Vorgaben der Verfassung selbst einer Vertretung des Gesetzgebers entgegenstehen. Zur Frage der Rechtsfortbildung wegen grundrechtlicher Schutzpflichten vgl. ausführlich Teil 3 E I. 132

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

nommen werden. 137 Dieser Vorgang kann nicht anders denn als verfassungskonforme Rechtsfortbildung bezeichnet werden. 138 Allerdings wird die Vorstellung, die verfassungskonforme Auslegung zweifelhafter Gesetze könne klar unterschieden werden von der verfassungskonformen Rechtsfortbildung bei Gesetzeslücken, 139 durch das Bundesverfassungsgericht selbst wieder erschüttert. Dieses zeigt eine markante Unvoreingenommenheit bezüglich der Frage, ob den von ihm diagnostizierten Gesetzeslücken nun durch Rechtsfortbildung oder nicht doch im Wege der (verfassungskonformen) Auslegung zu begegnen sei. 140

VIII. Die methodologische Notwendigkeit der Differenzierung zwischen den Phänomenen verfassungskonformer Auslegung Was unter dem Begriff der verfassungskonformen Auslegung dogmatisch und rechtspraktisch betrieben wird, ist methodologisch nur schwer zu fassen. Die reine Forderung, ein Gesetz möge so ausgelegt werden, dass es verfassungsmäßig sei, sagt eben noch nichts über ihre konkrete methodische Verwirklichung aus. Wichtigste Erkenntnis dürfte zunächst sein, dass sich hinter dem Sammelbegriff der verfassungskonformen Auslegung verschiedene Phänomene verbergen: die verfassungskonforme Auslegung im engeren Sinne, also die Inhaltsbestimmung zweifelhafter Gesetze mit Hilfe der Verfassung, die Vorzugsregel, die verfassungsorientierte Auslegung und die verfassungskonforme Rechtsfortbildung. Eine methodologische Einordnung oder Bewertung „der“ verfassungskonformen Auslegung ist daher ausgeschlossen. Die unterschiedslose Anwendung von Grundsätzen der Methodenlehre auf methodologisch klar zu trennende Phänomene muss scheitern. Hinzu kommen Konstellationen, in denen der Begriff der verfassungskonformen Auslegung nur als Indikator dafür angesehen werden kann, dass ein Verfassungsbezug hergestellt wird, um die Akzeptanzfähigkeit bestimmter Entscheidungen zu erhöhen. Diese Arbeit wird im Folgenden von dem Bemühen geprägt sein, die jeweils relevante Erscheinungsform verfassungskonformer Aus137 BVerfGE 39, 96 (126). Eine Gesetzeslücke soll daher nicht gleichbedeutend mit einer Regelungslücke sein, vgl. BVerfGE 49, 286 (303). 138 So auch Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 116; Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 183 f. Vgl. zu der auf Verfassungsrecht gestützten Richterrechtsbildung auch Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2292 ff.), m.w. N. 139 Klaus Stern, NJW 1958, 1435 (1435), besteht auf strengster Trennung, auch wenn diese schwierig sei, da andernfalls die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers missachtet werde. 140 Vgl. nur BVerfGE 102, 347 (361); 98, 1 (16 f.); 95, 48 (62); 69, 315 (369 ff.); 53, 115 (132 ff.); 41, 251 (267 f.); 39, 276 (299).

B. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung

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legung klar zu benennen. Unschärfen im Einzelnen werden nicht zu vermeiden sein, sie beruhen aber nicht zuletzt darauf, dass die referierte Literatur und Rechtsprechung eine solche Differenzierung nur selten für nötig erachten.

B. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung, Vorzugsregel und Normenkontrolle Am Anfang der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung sowie der Verwendung als Vorzugsregel stehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Solche Zweifel können auch zur Normenkontrolle führen, bei der das Gesetz geprüft und ggf. verbindlich verworfen wird. Die durch den gemeinsamen Ausgangspunkt entstandene Nähe 141 von Normenkontrolle und verfassungskonformer Inhaltsbestimmung sowie Vorzugsregel macht es notwendig, sie voneinander abzugrenzen. 142 Zunächst ist nach den einzelnen Schritten einer Normenkontrolle und der Befugnis zu dem jeweiligen Vorgehen zu fragen.

I. Das Prüfungsrecht, das Verwerfungsrecht und die Nichtanwendung Im Hinblick auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsnormen sind drei Kompetenzen zu unterscheiden: die Befugnis, die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm in Frage zu stellen (Prüfungsrecht), die Befugnis, eine Rechtsnorm 141 Christoph Moench, Verfassungswidriges Gesetz und Normenkontrolle, 1977, S. 19, spricht von einer engen Beziehung; Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (509), sieht die Besonderheit der verfassungskonformen Auslegung bei ihrer Anwendung im Zusammenhang mit der Normenkontrolle; vgl. auch Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2291): „auf der Stufe des Normzweifels und seiner Begründung methodisch identische Verfahren“; anders Helmut Michel, JuS 1961, 274 (275): „wesensverwandt, aber nicht identisch“ auf Grund unterschiedlicher Maßstabsfunktion der Verfassung. Durch den Bezug zur Normenkontrolle irritiert: Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 179. Bezeichnend ist aber, dass in der Literatur zum Verfassungsrecht die verfassungskonforme Auslegung nicht selten gerade unter der Thematik der Normprüfung abgehandelt wird, vgl. nur Peter Badura, Staatsrecht, 3. A. 2003, H Rn. 60; Christoph Degenhart, Staatsrecht I, 20. A. 2004, Rn. 633; Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 155 ff.; Ingo von Münch, Staatsrecht I, 6. A. 2000, Rn. 371 ff., 413; Dieter Schmalz, Staatsrecht, 4. A. 2000, Rn. 718, 733. 142 Clemens Jabloner, ZÖR 60 (2005), 163 (181 f.), identifiziert Normenkontrolle und verfassungskonforme Inhaltsbestimmung dagegen als zwei Systeme der Normvernichtung, deren Duplizität aber aufgegeben werden müsse, da sie nicht gut nebeneinander bestehen könnten. Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 439, stellt fest, dass vielfach offen gelassen wird, wann eine Normenkontrolle und wann eine verfassungskonforme Auslegung vorzunehmen ist.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

allgemein verbindlich für verfassungswidrig und nichtig zu erklären (Verwerfungsrecht) und die Befugnis, eine Rechtsnorm auf Grund ihrer Verfassungswidrigkeit außer Anwendung zu lassen (Nichtanwendung). 143 Diese Befugnisse sind innerhalb der Staatsgewalten unterschiedlich verteilt und richten sich auch nach Art und Rang der zu prüfenden Rechtsnormen. 1. Das Prüfungsrecht Durch die Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesnorm können Gerichte die Grundrechte oder andere Verfassungsnormen verletzen, ihre solcherart zustande gekommenen Urteile sind fehlerhaft. Daher darf und muss jedes Gericht die anzuwendenden Gesetzesnormen zunächst auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen. Dieses richterliche Prüfungsrecht 144 ist allgemein anerkannt, lediglich seine dogmatisch richtige Ableitung bleibt umstritten. 145 Teilweise wird angenommen, es sei durch Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG 146 bzw. Art. 100 Abs. 1 GG 147 direkt normiert, teilweise wird vertreten, Art. 100 Abs. 1 GG setze seine Existenz schon voraus 148. 143

Auch die Rezeption des grundlegenden Werkes von Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, kann insoweit der nachträglichen Differenzierung bedürfen, vgl. Matthias Jestaedt, in: Clemens Jabloner (Hg.), Wirken und Wirkungen höchstrichterlicher Judikatur, 2007, S. 9 (28 f.). 144 Den entscheidenden Schritt vollzog das Reichsgericht, indem es das gerichtliche Recht zur Überprüfung von Reichsgesetzen am Maßstab der Reichsverfassung anerkannte, vgl. RGZ 111, 320 (322 f.), wobei es sich in den Rechtsfolgen etwas unpräzise zwischen Aberkennung der Gültigkeit (S. 322) und Nichtanwendung (S. 323) bewegte. Das richterliche Prüfungsrecht bezüglich Landesrecht war in Art. 13 Abs. 2 WRV vorgesehen, ein Prüfungsrecht bezüglich Bundesrechtsverordnungen schon länger anerkannt, vgl. RGZ 24, 1 (3). Zur Diskussion um das richterliche Prüfungsrecht unter der Weimarer Reichsverfassung vgl. Ernst von Hippel, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 99, S. 546 (552 ff.) m.w. N. 145 Dazu Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 106; Klaus Stern, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 100, Rn. 8 (Stand: 1967). 146 Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 11. 147 Adolf Arndt, BB 1959, 533 (534); Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 1 III, Rn. 83; Apostolos Gerontas, DVBl. 1981, 1089 (1091); Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2290); Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 70, Rn. 79; Jan-R. Sieckmann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 100 Abs. 1 GG, Rn. 2 f. 148 Karl August Bettermann, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 323 (327); Heinrich Götz, NJW 1960, 1177 (1178); Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 118; Alfred Rinken, in: Rudolf Wassermann (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. A. 1989, Art. 100, Rn. 3 f.; Dieter Rönitz, NJW 1960, 226 (227); Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 95, m.w. N.

B. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung

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Die Überprüfung von rechtlich zweifelhaften Gesetzen gehört als Teil der abstrakten und konkreten Normenkontrolle zu den Aufgaben des Bundesverfassungsgerichtes nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 2a, Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr. 6, 6a, 11, 11a, §§ 76 ff., 80 ff. BVerfGG. Gerichte sind nicht die einzigen Institutionen, welche Gesetzesnormen auslegen und anwenden. Dies obliegt in großem Ausmaß auch den Verwaltungsbehörden. Die Frage der Prüfungskompetenz von Verwaltungsbehörden ist umstritten. 149 Teilweise wird ein Prüfungsrecht explizit abgelehnt, 150 teilweise dagegen sogar von einer Prüfungspflicht aller Verwaltungsbehörden ausgegangen 151. Der viel zitierte Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ändert schließlich nichts daran, dass Verwaltungsbehörden ebenso wie Gerichte auch an die Verfassung gebunden sind. Es spricht daher viel dafür, auch ihnen das Prüfungsrecht zuzugestehen. 152 2. Das Verwerfungsrecht In Verfahren der abstrakten und konkreten Normenkontrolle sowie inzident bei der Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht nur ein Prüfungsrecht, gemäß Art. 93 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1 GG entscheidet es auch über die Verfassungsmäßigkeit der geprüften Rechtsnormen. Halten Fachgerichte ein formelles nachkonstitutionelles 153 Gesetz für verfassungswidrig, müssen sie es gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor149 Vgl. dazu Otto Bachof, AöR 87 (1962), S. 1 –48, m.w. N.; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 4, Rn. 56, m.w. N.; Matthias Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 63 ff., m.w. N. 150 So Dieter Rönitz, NJW 1960, 226 (227), wegen des drohenden Verstoßes gegen die Gewaltenteilung. 151 Paul Kirchhof, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 50 (61), sieht einen Prüfungsauftrag für Gerichte und Exekutive. Explizit für eine Prüfungspflicht der Verwaltung: Adolf Arndt, BB 1959, 533 (534); Heinrich Götz, NJW 1960, 1177 (1181); Andreas Hamann, NJW 1959, 1465 (1469); Gerhard Hoffmann, JZ 1961, 193 (198 f.); sowie Helmut Michel, NJW 1960, 841 (842 ff.), dessen Berufung auf § 76 Ziff. 2 BVerfGG allerdings verfehlt ist. 152 Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 198; ders., Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 285 f., Fn. 1, bringt vor, dass das Prüfungsrecht nicht verliehen werden müsse, sondern immer bestehe, da die Rechtsanwendung sich nur mit „Recht“ befassen solle, umgekehrt bedürfe vielmehr der Ausschluss expliziter rechtlicher Regelung. Auch das Reichsgericht folgert in RGZ 111, 320 (323), das Prüfungsrecht der Gerichte aus dem Umstand, dass die Reichsverfassung keine explizite Zuweisung dieser Befugnis an eine andere Stelle enthalte. 153 In Art. 100 Abs. 1 GG wird diese Beschränkung nicht explizit vorgenommen, vgl. aber BVerfGE 1, 184 ff. (formell) und BVerfGE 2, 124 ff. (nachkonstitutionell); dazu auch Jan-R. Sieckmann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 100 Abs. 1 GG, Rn. 23 ff., 26 ff. Karl August Bettermann, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976,

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

legen; das Bundesverfassungsgericht hat bezüglich dieser Rechtsnormen folglich sogar ein Verwerfungsmonopol. Damit soll auch die Autorität des Gesetzgebers geschützt werden. 154 Das Verwerfungsrecht für nachkonstitutionelle Gesetze im materiellen Sinne 155 ist nicht beim Bundesverfassungsgericht monopolisiert, sondern bestimmten Fachgerichten zugeteilt (vgl. nur § 47 VwGO). Die Verwaltungsbehörden sind nicht wie die Gerichte nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Vorlage nachkonstitutioneller Gesetze an das Bundesverfassungsgericht verpflichtet oder berechtigt. 156 Sie haben somit keinen direkten Zugang zum verfassungsgerichtlichen Verwerfungsmonopol und sind auch nicht mit der Verwerfung nachkonstitutioneller Gesetze im materiellen Sinne betraut. Ein Verwerfungsrecht der Verwaltungsbehörden für verfassungswidrige Gesetze ist daher abzulehnen. 157 3. Die Nichtanwendung Die verbindliche Verwerfung ist aber nicht die einzig denkbare Möglichkeit, auf die erkannte Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zu reagieren. Gerichte und Behörden könnten ein Gesetz auch schlicht für den Einzelfall außer Anwendung lassen, um selbst verfassungswidrige Entscheidungen zu vermeiden. 158 Die Befugnis zur Nichtanwendung wird insbesondere davon abhängig gemacht, ob es sich um ein vorkonstitutionelles Gesetz handelt, das nicht dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichtes unterliegt. Vorkonstitutionelle Gesetze weisen die Besonderheit auf, dass ihre Verfassungskonformität primär dem Zufall geschuldet ist. Sie sind Fremdkörper im Verfassungsstaat, die vielleicht geduldet, nicht aber um jeden Preis aufrechterhalten werden müssen. So bestimmt das Grundgesetz in Art. 123 Abs. 1 GG schlicht, dass vorkonstitutionelles Recht weiter gilt, sofern es der Verfassung nicht widerS. 323 (331 ff., 346 f.), fordert eine weitergehende Beschränkung auf Fälle ursprünglicher Unvereinbarkeit, da nur diese eine vorwerfbare „Verletzung“ darstellten. 154 Kritisch zu einer Überhöhung des Schutz-Arguments: Uwe Kischel, AöR 131 (2006), 219 (241 f.). 155 Zur Definition von Gesetz im materiellen und formellen Sinne vgl. Richard Thoma, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.) Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 71, S. 108 (124 ff.). 156 Für Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 4, Rn. 56, knüpft Art. 100 Abs. 1 GG an die Letztentscheidungskompetenz der Gerichte an und erfasst daher die unter Vorbehalt gerichtlicher Bestätigung handelnden Verwaltungsbehörden nicht. 157 So auch Philip Kunig, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2000, Art. 1, Rn. 61; Matthias Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 88 ff., 107 ff. 158 Dies war für Ernst von Hippel, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 99, S. 546 (558), die zulässige Folge des richterlichen Prüfungsrechts unter der Weimarer Reichsverfassung, wobei er auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts verweist.

B. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung

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spricht. 159 Folglich ist die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorkonstitutioneller Gesetze konsequent einem diffusen richterlichen Prüfungsrecht 160 anheim gegeben: Jedes Gericht kann vorkonstitutionelle Gesetze als verfassungswidrig außer Anwendung lassen. 161 Die Autorität des vorkonstitutionellen Gesetzgebers müsse nicht geschützt werden und sei ohnehin nicht berührt, da nur objektiv festgestellt werde, dass der spätere gesetzgeberische Wille in Form des Grundgesetzes dem abweichenden früheren gesetzgeberischen Willen vorgehe (lex-posterior-Regel). 162 Die Vorlagepflicht aus Art. 100 Abs. 1 GG gilt nicht für vorkonstitutionelle Gesetze. Aus dem Fehlen der Vorlagebefugnis 163 in Verbindung mit der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kann Gegensätzliches geschlossen werden: Behörden dürfen Gesetze nicht anwenden, wenn sie sie für verfassungswidrig halten. 164 Behör159 Diese Entscheidung ist konstitutiv, wobei es ausreichend sein soll, wenn die Vereinbarkeit durch verfassungskonforme Auslegung hergestellt werden kann, vgl. Carola Schulze, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 123, Rn. 2, 9; Rupert Stettner, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 123, Rn. 10, 21; kritisch Theodor Maunz, in: ders. / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 123, Rn. 9 (Stand: 1964). 160 Vgl. BVerfGE 18, 216 (219 f.); 14, 245 (249); 11, 126 (129, 136); 10, 129 (131 f.); 6, 55 (64 f.); 2, 124 (128 ff.). Unter Verweis auf eine dem Art. 123 Abs. 1 GG entsprechende Bestimmung der Weimarer Reichsverfassung ging Ernst von Hippel, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 99, S. 546 (552), sogar von einer Prüfungspflicht der Gerichte für „vorrevolutionäre“ Gesetze aus. 161 Allerdings fordert Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2291), dass auch die Prüfung vorkonstitutioneller Gesetze den Anforderungen der konkreten Normenkontrolle entsprechen muss. Joachim Wieland, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 100, Rn. 6, geht davon aus, dass die Gerichte berechtigt und verpflichtet sind, ggf. die Nichtigkeit vorkonstitutioneller Gesetze festzustellen. 162 So BVerfGE 2, 124 (130). – Diese Überzeugung, es läge nur eine temporale und nicht etwa eine Rangkollision vor, ist mehr als zweifelhaft; vgl. Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2291, Fn. 48): „schlechterdings unhaltbar“; ferner Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 100, Rn. 14; kritisch auch Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 96, mit Blick auf die lex-specialis-Regel. Anders Gerhard Hoffmann, JZ 1961, 193 (193), der Art. 123 Abs. 1 GG als Ausdruck der lex-posterior-Regel versteht. 163 Auf Grund der Unterschiede zwischen Verwaltung und Rechtsprechung hält Otto Bachof, AöR 87 (1962), 1 (27 ff.), diesbezügliche Schlussfolgerungen aus Art. 100 Abs. 1 GG für unzutreffend. 164 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 122 ff.; Andreas Hamann, NJW 1959, 1465 (1469); Gerhard Hoffmann, JZ 1961, 193 (200); Helmut Michel, NJW 1960, 841 (843 ff.); Michael Sachs, in: ders. (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 20, Rn. 97. Anders aber bei verbindlicher Weisung zur Anwendung: Adolf Arndt, BB 1959, 533 (534 f.); Heinrich Götz, NJW 1960, 1177 (1181). Vgl. auch BVerfGE 12, 180 (186). Die Befugnis zur Nichtanwendung ist jedenfalls bei evident und schwerwiegend verfassungswidrigen Gesetzen zu bejahen, vgl. Teil 3 C I 2c; Teil 4 C.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

den müssen Gesetze immer anwenden, auch wenn sie sie für verfassungswidrig halten. 165 Eine vermittelnde Ansicht empfiehlt, das betreffende Verwaltungsverfahren auszusetzen und das Problem den jeweiligen Vorgesetzten vorzulegen, bis die Verwaltungsspitze erreicht ist, welche eine abstrakte Normenkontrolle initiieren kann. 166 Wird andererseits später angenommen, dass die Nichtanwendung fehlerhaft war, kann dagegen mit einer abstrakten Normenkontrolle in Form der Gültigkeitskontrolle nach § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG vorgegangen werden. Zu beachten ist noch, dass der Gesetzgeber durch eine nach Inkrafttreten des Grundgesetzes vorgenommene Gesetzesänderung fortgeltende vorkonstitutionelle Gesetze „in seinen Willen aufnehmen“ kann – sie werden dadurch zu nachkonstitutionellem Recht, 167 womit sich wieder die Frage der Verwerfungsbefugnis stellt.

II. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung und Vorzugsregel als qualitative Teilnichtigerklärungen? Zunächst scheint die Unterscheidung zwischen Normenkontrolle sowie verfassungskonformer Inhaltsbestimmung und Vorzugsregel einfach zu sein: Endprodukt der einen ist die Bestätigung oder Verwerfung des Gesetzes, Endprodukt der

165 Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Verfassungsgrundsätze), Rn. 31 (Stand: 1980); Fritz Ossenbühl, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 2. A. 1996, § 62, Rn. 4; Dieter Rönitz, NJW 1960, 226 (227 f.); Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 98; Karl-Peter Sommermann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. A. 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn 257; Matthias Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 189 ff. 166 Vgl. Hans Peter Bull / Veith Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. A. 2005, Rn. 140, 894; Heinrich Götz, NJW 1960, 1177 (1181); Gerhard Hoffmann, JZ 1961, 193 (201); Günter Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 287 f.; Thomas Lapp, Vorbeugender Rechtsschutz gegen Normen, 1994, S. 66 Fn. 165; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 4, Rn. 56; Karl-Peter Sommermann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. A. 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 257; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 1347 ff. Otto Bachof, AöR 87 (1962), 1 (42 ff.), geht von einer Kompetenz zur Nichtanwendung aus, die im Instanzenzug mit Weisungsrecht der Verwaltungsspitze vorbehalten sei. 167 Vgl. BVerfGE 97, 117 (122 f.) [DDR-Recht]; 78, 165 (171); 66, 248 (254 f.); 63, 181 (187 ff.); 60, 135 (149); 37, 217 (237 f.); 18, 216 (219 f.); 16, 343 (346 ff.); 10, 185 (191 f.); stRspr. Allerdings genügt nicht jede Änderung, der Gesetzgeber muss seinen konkreten Bestätigungswillen zu erkennen geben, vgl. BVerfGE 70, 126 (129 f.); 64, 217 (220 f.); 32, 296 (299 f.); 11, 126 (131). Dazu auch Thomas Clemens, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Art. 100, Rn. 63 ff.

B. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung

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anderen eine verfassungsgemäße Version desselben. Doch bei näherem Hinsehen sind schon die Rechtsfolgen der Normenkontrolle selbst alles andere als eindeutig. 1. Tenorierungen der Normenkontrollentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht Der große Nachteil einer Normenkontrolle mit Verwerfungsbefugnis ist das Entstehen von Regelungslücken. So wird darauf hingewiesen, dass die Nichtigerklärung gerade von notwendigen Rechtsgrundlagen oder begünstigenden Regelungen zu unhaltbaren Zuständen führen könne. 168 Bis zum Neuerlass eines Gesetzes könnten Jahre vergehen, in denen ein Rechtsvakuum bestehe. Die richterliche Folgenverantwortung soll daher Zurückhaltung bei der Nichtigerklärung gebieten. 169 Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass das Fehlen einer gesetzlichen Regelung im Einzelfall einen Zustand schaffen könnte, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt wäre als der bisherige. 170 In solchen Konstellationen soll folglich ein verfassungswidriger dem gesetzlosen Zustand vorgehen, 171 mangelnder Rechtssicherheit 172 wird die Unrechts-Sicherheit vorgezogen. Im Laufe der Zeit hat das Bundesverfassungsgericht eine diffizile Tenorierungspraxis 173 entwickelt, um ggf. den Nichtigkeitsausspruch zu vermeiden. Mit Berufung auf die Rechtssicherheit sowie die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers erlässt es Unvereinbarkeitserklärungen, ohne die Nichtigkeitsfolge auszuspre168 Vgl. Ekkehart Stein / Götz Frank, Staatsrecht, 19. A. 2004, § 20 II, S. 151 f. – Fehlsam ist allerdings ihre Annahme, Unvereinbarerklärungen durch das Bundesverfassungsgericht seien „seltene Ausnahmen“ (S. 152). 169 Dazu Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 2, 1987, § 56 Rn. 105. 170 Vgl. BVerfGE 99, 216 (244); 92, 53 (73); 82, 126 (155); 62, 256 (289); 61, 319 (356); 37, 217 (261). 171 Kritisch Ulrich Battis, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 1992, § 165, Rn. 38. 172 Skeptisch zu diesem Argument: Clemens Jabloner, ZÖR 60 (2005), 163 (176 f.). 173 Dazu Andreas von Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 301 ff.; Peter Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Normen, 1996, S. 198 ff.; Jens Blüggel, Unvereinbarerklärung statt Normkassation, 1998, S. 117 ff.; Christoph Moench, Verfassungswidriges Gesetz und Normenkontrolle, 1977, S. 31 ff.; Matthias Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 43 ff.; Tzu-hui Yang, Die Appellentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 2003, S. 21 ff. Kritisch Christian Pestalozza, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 519 (540): „Zwischen Nichtigkeit und makelloser Verfassungsmäßigkeit scheint sich eine graue Zone verfassungsimperfekter Zustände zu entwickeln, [...].“ Einen systematisierenden Überblick bietet Andreas Voßkuhle, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 93, Rn. 48 ff. Zu den verfassungsgerichtlichen Tenorierungen vgl. noch ausführlich Teil 3 A III 4.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

chen, 174 oder es setzt Fristen, bis zu deren Ablauf das verfassungswidrige Gesetz anwendbar bleibt 175. 2. Die qualitative Teilnichtigerklärung Ein anderer Weg, die Härten einer Nichtigerklärung abzumildern, ist die Teilnichtigerklärung einer Rechtsnorm. Kommt das Bundesverfassungsgericht in einem dazu vorgesehenen Verfahren zu der Überzeugung, dass ein Gesetz gegen die Verfassung verstößt, erklärt es das Gesetz für nichtig. Oft sind aber nur eine oder einige Bestimmungen des Gesetzes verfassungswidrig, was grundsätzlich nicht die Nichtigkeit des gesamten Gesetzes bewirkt. 176 In diesen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht unter der Voraussetzung, dass die fragliche Bestimmung teilbar ist, eine Teilnichtigerklärung vornehmen. 177 Solche Nichtigerklärungen sind mit einer Reduktion des Normtextes verbunden. Häufig erklärt das Bundesverfassungsgericht die streitige Norm aber auch nur für bestimmte Fallkonstellationen für nichtig, ohne dabei den Wortlaut zu verändern. 178 Dieser Vorgang wird als qualitative Teilnichtigerklärung ohne Normtextreduzierung bezeichnet. 179 Zu fragen ist, ob er nicht bedenkenswerte Ähnlichkeiten mit der verfassungskonformen Auslegung aufweist. 3. Die qualitative Teilnichtigerklärung als Kehrseite von verfassungskonformer Inhaltsbestimmung und Vorzugsregel Die verfassungskonforme Auslegung verlangt, dass von mehreren möglichen Normdeutungen die verfassungsmäßige zu wählen ist. 180 Dies bedeutet zugleich stets, dass die verfassungswidrigen Deutungen nicht mehr in Betracht kommen. Wird aber als Kehrseite der Vorzugsregel für eine verfassungsgemäße Deutung die 174 Vgl. BVerfGE 111, 176 (177, 189); 111, 115 (116, 146); 107, 27 (28, 57); 104, 126 (127, 149); 99, 216 (218, 243 f.); 87, 234 (234 f.); 82, 126 (154 f.). 175 BVerfGE 101, 106 (132); 101, 54 (105); 99, 300 (332); 99, 216 (244); 98, 365 (402); 93, 121 (148 f.); 87, 153 (178 ff.); 84, 239 (284 f.); 72, 330 (333); 33, 303 (305). 176 BVerfGE 65, 325 (358); 57, 295 (334); 8, 274 (301); stRspr. 177 So BVerfG, FamRZ 2005, 1058 (1061); NJW 2005, 493 (496 f.); BVerfGE 91, 1 (34); 63, 88 (108 ff.); 55, 159 (171); teilweise Unvereinbarerklärung: BVerfGE 114, 1 (69 ff.); keine Teilnichtigkeit wegen fehlender Abgrenzbarkeit: BVerfGE 113, 273 (315 f.); 90, 263 (276); 55, 274 (326 ff.); zur schwierigen Abgrenzung von verfassungskonformer Auslegung und Teilnichtigerklärung: BVerfGE 54, 277 (283 ff.). 178 BVerfGE 99, 69 (69 f., 89); 91, 1 (2, 33 ff.); 87, 68 (69); 72, 200 (201 ff.); 62, 117 (119); 47, 46 (80 ff.); 30, 292 (292, 332 f.); 28, 324 (324 f.); 21, 329 (329 f., 340 ff.). 179 Dazu ausführlich Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 92 ff. 180 Vgl. nur BVerfGE 32, 373 (383 f.); 19, 1 (5); 7, 120 (126), 2, 266 (282); stRspr.

B. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung

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damit verbundene Verwerfung anderer Deutungen in den Blick genommen, gerät die Vorzugsregel in gefährliche Nähe zur (Teil-)Normverwerfung, 181 welche bei formellen nachkonstitutionellen Gesetzen allein dem Bundesverfassungsgericht zusteht. Gleiches gilt für die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung, welche insoweit nicht von der Vorzugsregel unterschieden wird. Sollte die Charakterisierung als qualitative Teilnichtigerklärung zutreffend sein, wären Fachgerichte und Verwaltungsbehörden nicht mehr zu ihrer Ausübung befugt. 182 Das könnte zu erheblichen Problemen in der Praxis führen. Im Sinne einer Kehrseitentheorie kann die verfassungskonforme Auslegung durchaus als ein Vorgang angesehen werden, bei dem materialiter ein Norminhalt ausgeschieden und das Gesetz mit diesem Inhalt nicht mehr angewandt wird. 183 So überrascht es nicht, wenn die verfassungskonforme Auslegung 184 aus dieser Perspektive mit einer qualitativen Teilnichtigerklärung gleichgesetzt wird 185 oder nur graduelle Unterschiede 186 zwischen beiden gefunden werden. Die Gegenansicht stützt sich insbesondere auf die negativen praktischen Konsequenzen und begründet die klare Trennung zwischen verfassungskonformer Auslegung und qualitativer Teilnichtigerklärung damit, dass die Fachgerichte [und die Verwaltungsbehörden] zu ersterer befugt seien, zu letzterer eben nicht. 187 Das Kompetenzproblem zum Lösungsansatz zu machen, ist aber nicht ohne Risi181 Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (181 f.), stellt zutreffend fest, dass auch die Charakterisierung als systematische Auslegung nicht darüber hinwegtäuschen könne, dass Sinnsegmente, also Teile der Norm, als verfassungswidrig verworfen werden, was in der Sache einer qualitativen Teilnichtigerklärung entspreche. 182 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 124 f., nutzt genau diese Argumentation, um den Fachgerichten die von ihm abgelehnte Methode der verfassungskonformen Auslegung zu versagen. 183 So Wolfgang Roth, NVwZ 1998, 563 (564). 184 Eine erhebliche Ähnlichkeit zu Formen der verfassungskonformen Rechtsfortbildung sehen Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 171 (Gesetzesreduktion), und Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 57 ff. (Gesetzeskorrektur), wobei sie gleichwohl auf einer strikten Trennung beider beharren. 185 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 121; Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 108 ff. Etwas unklar HansMartin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 439, wonach die verfassungskonforme Auslegung Normerhalt und teilweise Unwirksamkeitserklärung zugleich ist. 186 Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 35, 40 f.; Herbert Bethge, in: Theodor Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Band 2, § 79, Rn. 30 (Stand: Juni 2001); Christian Pestalozza, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 519 (533); Uwe Seetzen, NJW 1976, 1997 (1999). Vgl. auch Klaus Lange, JuS 1978, 1 (7); Georg Strickrodt, DB 1959, 103 (104). Ablehnend Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 128; Reinhold Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, 2. A. 1996, S. 428.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

ko. Während einerseits dargelegt wird, nur eine verfassungskonforme Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht könne als qualitative Teilnichtigerklärung qualifiziert werden, da nur eine solche die besondere Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG aufweise, 188 wird auch genau umgekehrt argumentiert, die qualitative Teilnichtigerklärung durch das Normenkontrollgericht müsse als verfassungskonforme Auslegung bewertet werden 189. Zielführender scheint da die Überlegung, die Verwerfung einer Normdeutung sei von der Verwerfung der Norm insgesamt zu unterscheiden. 190 Die Verwerfung der anderen möglichen Deutungen erfolge nicht mit der für eine Teilnichtigerklärung erforderlichen Präzision. 191 Es bestehe der dogmatische Unterschied, dass bei der verfassungskonformen Auslegung bestimmte Auslegungsmöglichkeiten für verfassungswidrig erklärt werden, während sich die qualitative Teilnichtigerklärung auf bestimmte Anwendungsfälle beziehe. 192 Diesem Verständnis folgt das Bundesverfassungsgericht allerdings gerade nicht. 193 Doch es versucht im Übrigen, zwischen verfassungskonformer Auslegung und Teilnichtigerklärung zu trennen, sei es, dass eine Teilnichtigerklärung erst nach Ablehnung einer verfassungskonformen Auslegung in Betracht kommt, 194 sei es, dass beide deutlich geschieden nebeneinander angewandt werden 195.

187 So Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 118; Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung, 1999, S. 43 ff.; leider auch Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 447. 188 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 447; vgl. Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 70, Rn. 127. 189 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 100. 190 So Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 94. Ähnlich Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 120 f.; Hans Paul Prümm, JuS 1975, 299 (303). Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (532 ff.), stellt darauf ab, ob der Wesensgehalt der Norm oder eine ihrer möglichen Deutungen verfassungswidrig ist. 191 Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 115. 192 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 387, [Hervorhebungen im Original.]; Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 70, Rn. 115. Genau umgekehrt argumentiert Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 71, der die verfassungskonforme Auslegung als Ausschluss einzelner Anwendungsbereiche definiert. Für Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 154 ff., ist beides nicht trennbar. 193 Dies findet seinen paradigmatischen Ausdruck in der Figur der sog. teleologischen Reduktion, bei der durch Auslegung der Anwendungsbereich der Norm beschränkt werden soll, was Fragen von Inhalt und Anwendbarkeit vermengt. Vgl. nur BVerfGE 110, 226 ff., wo es ausdrücklich darum geht, die uneingeschränkte Anwendung einer Strafnorm zu verhindern (S. 264 ff.), dies soll durch das Mittel einer verfassungskonformen einengenden Auslegung geschehen (S. 267 f.); ähnlich auch BVerfGE 95, 64 (93 ff.).

B. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung

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Um die Frage zu klären, ob es sich bei Erscheinungsformen der verfassungskonformen Auslegung um qualitative Teilnichtigerklärungen handelt, müsste eine überzeugende Konzeption für das Verhältnis von Rechtsnorm, Deutungen und Kompetenz entwickelt werden. Festzuhalten bleibt hier, dass die Entscheidung für eine verfassungsgemäße Deutung impliziert, dass andere, verfassungswidrige Deutungen nicht in Betracht kommen, und dass sich aus dieser Implikation methodische wie kompetenzielle Probleme ergeben können.

III. Gegenstand und Tenor der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle Die Vorstellungen über die verfassungskonforme Auslegung sowie das Verhältnis der Gesetzesnorm zu ihren Deutungen entscheiden auch darüber, was Gegenstand der Normenkontrolle ist. Ist die verfassungskonforme Auslegung integraler Bestandteil jeder Gesetzesauslegung, so kann Gegenstand der Normenkontrolle nur der mit ihrer Hilfe ermittelte Gesetzessinn sein. 196 Wird sie dagegen als eher systemfremde Vorzugsregel, die nach der eigentlichen Auslegung zur Anwendung kommt, begriffen, kann Gegenstand der Normenkontrolle auch der ohne Heranziehung der Verfassung gefundene Norminhalt sein. 197 Je nach Vorstellung über die Struktur einer Gesetzesnorm können entweder alle ihre „normativen Gehalte“ – die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen – der Normenkontrolle unterzogen sein 198 oder nur ihr „Bedeutungskern“, während Deutungsverwerfungen in ihrem Randbereich der verfassungskonformen Auslegung durch die Fachgerichte unterfallen 199. Das Bundesverfassungsgericht selbst geht von der Ansicht aus, dass eine Gesetzesnorm gültig bleibt, solange sie wenigstens eine verfassungsgemäße Deutungs194 So BVerfGE 91, 1 (33); 63, 131 (147 f.); 55, 159 (169 ff.); 55, 134 (141 ff.); 47, 46 (80 ff.). 195 So BVerfGE 81, 156 (200 ff.); 73, 118 (160 ff., 182 ff., 192 ff.). 196 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 30, bezeichnet dies als den wahren Gesetzessinn im Gegensatz zu dem fiktiven Sinngebilde eines mit begrenzten Auslegungsmitteln gefundenen Gesetzesinhalts. Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 (87), betrachtet die geltungserhaltende verfassungskonforme Auslegung als akzessorisches Element der Normenkontrolle. 197 Vgl. Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 117 f. 198 Wird die Gesetzesnorm als ein Bündel möglicher Auslegungen, von denen vielleicht einige verfassungsgemäß sind, andere verfassungswidrig, begriffen, wäre es nur konsequent, alle Auslegungsmöglichkeiten vorzulegen; so Wolfgang Roth, NVwZ 1998, 563 (565). Auch Reinhold Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, 2. A. 1996, S. 428, begreift als Gegenstand der Normenkontrolle „die Norm im vollen Umfang ihrer Auslegungsmöglichkeiten“. 199 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 258.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

möglichkeit aufweist. In der abstrakten Normenkontrolle muss das Bundesverfassungsgericht zunächst das zu prüfende Gesetz auslegen, um seine Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht feststellen zu können. In der konkreten Normenkontrolle überprüft es auch die Auslegung des vorlegenden Fachgerichts und ersetzt sie ggf. durch seine eigene. 200 Greift es bei diesen Gesetzesauslegungen auch auf Phänomene verfassungskonformer Auslegung zurück, wird befürchtet, dass die Normenkontrolle zum Zirkelschluss gerät, wenn der mit Hilfe der Verfassung ermittelte Gesetzesinhalt auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft wird. 201 Das Problem ist aber etwas anders gelagert. Das Bundesverfassungsgericht überprüft nicht den verfassungskonformen Gesetzesinhalt auf seine Verfassungskonformität. Ist eine verfassungskonforme Auslegung möglich, ist damit vielmehr schon die Vereinbarkeit des verfassungskonform ausgelegten Gesetzes mit dem Grundgesetz festgestellt. Die Normenkontrolle weicht dem Vorgang der verfassungskonformen Auslegung, die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit wird durch ihre Herstellung ersetzt. 202 Wenn eine verfassungskonforme Auslegung die Überprüfung ersetzt, stellt sie auch den Tenor der verfassungsgerichtlichen Normenkontrollentscheidung dar. Dabei wird die geprüfte Norm nicht pauschal, sondern nur in ihrer verfassungskonformen Auslegung für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. 203 Ist keine verfassungskonforme Auslegung möglich, kann die Normenkontrolle im eigentlichen Sinne stattfinden. Allerdings ist die Unmöglichkeit verfassungskonformer Auslegung ein schwerwiegendes Indiz für die Verfassungswidrigkeit der Norm, soll doch eine „Rettung“ nur dann denkbar sein, wenn sie durch verfassungskonforme Auslegung erfolgen kann. Insgesamt ist weniger ein Zirkelschluss im Normenkontrollverfahren als vielmehr eine Ersetzung des letzteren durch die Phänomene verfassungskonformer Auslegung zu befürchten.

200 Vgl. BVerfGE 35, 263 (277); 30, 129 (139); 22, 28 (33), wonach die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nur auf Grundlage einer zutreffenden Auslegung dieser Norm geprüft werden kann. Zu den damit verbunden Fragen vgl. Teil 1 E, Teil 3 A IV, Teil 4 B V. 201 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 237 (vgl. auch S. 272). Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 69 f., bestreitet das Vorliegen eines Zirkelschlusses und weist auf die praktische Notwendigkeit hin, die geprüfte Norm nicht pauschal, sondern nur in ihrer verfassungskonformen Deutung für verfassungsgemäß zu erklären. Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 103, behauptet, die verfassungskonforme Auslegung sage, da sie kein normerhaltendes Prinzip sei, nichts über die Normenkontrolle aus. 202 Dazu ausführlich unten, Teil 3 A IV, C II 4. 203 Vgl. statt vieler: BVerfGE 97, 169 ff.; 97, 186 ff.; 96, 315 ff.; 95, 64 ff.; 93, 37 ff.; 91, 148 ff.; 87, 234 ff.; 85, 337 ff.; 81, 156 ff.; 77, 346 ff.; 73, 118 ff.; 69, 1 ff.; 49, 148 ff.; 47, 327 ff.; 45, 187 ff.; 41, 65 ff.; 36, 126 ff.

B. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung

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IV. Verfassungskonforme Auslegung als Ausschluss der konkreten Normenkontrolle Da die Fachgerichte ein Gesetz nur vorlegen dürfen, wenn sie es für nichtig halten, ist die Unmöglichkeit verfassungskonformer Auslegung Voraussetzung der konkreten Normenkontrolle. 204 Gegenstand der konkreten Normenkontrolle ist folglich das Gesetz nach dem gescheiterten Versuch einer verfassungskonformen Auslegung. Erachtet das vorlegende Gericht eine verfassungskonforme Auslegung für unzulässig, behält sich das Bundesverfassungsgericht dennoch die Entscheidung vor, selbst verfassungskonform auszulegen. 205 Wird allerdings durch ein Fachgericht oder vom Bundesverfassungsgericht selbst eine verfassungskonforme Deutungsmöglichkeit gefunden, ist eine erneute Vorlage an das Bundesverfassungsgericht für die Zukunft ausgeschlossen, da es nun am Erfordernis der Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung mangelt. 1. Die „Sperrwirkung“ einer verfassungsgemäßen Deutungsmöglichkeit Diese grundsätzliche Sperrwirkung 206 einer verfassungskonformen Deutungsmöglichkeit für das Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG wirft langfristig Probleme auf. Bei der angenommenen Vielzahl möglicher Normdeutungen ist nicht auszuschließen, dass neben der einmal als verfassungskonform anerkannten noch weitere verfassungsgemäße (aber auch verfassungswidrige) Deutungen denkbar sind. Will ein Fachgericht auf eine solche, seiner Ansicht nach alternativ in Betracht kommende, Deutung abstellen, kann es dieses Vorgehen nicht mehr verfassungsrechtlich absichern. Die gerichtlich festgestellte Möglichkeit einer (einzigen) verfassungskonformen Auslegung versperrt den Weg zum Bundesverfassungsgericht als Normenkontrollgericht. In der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG kann nur das Gesetz vorgelegt werden, nicht eine einzelne Deutung. 207 Und das Gesetz gilt auf Grund seiner einen verfassungsgemäßen Deutung bereits selbst als verfassungsgemäß. Klarheit in der Sache kann nur 204 Vgl. BVerfGE 99, 280 (288); 96, 315 (324); 90, 145 (170); 89, 132 (141); 88, 187 (194); 87, 114 (133); 85, 329 (329); 65, 132 (140). 205 Vgl. nur BVerfGE 95, 64 (78, 81, 86 ff., 93 ff.); 88, 187 (192, 197 f.); 70, 115 (119 f., 125). 206 Werner Heun, AöR 122 (1997), 610 (618 f.), bemängelt, dass das Bundesverfassungsgericht gelegentlich übertriebene Anforderungen an die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung stellt. Zu den Problemen der verfassungskonformen Auslegung als Vorverfahren der Normenkontrolle ausführlich Teil 3 A IV. 207 Anders Wolfgang Roth, NVwZ 1998, 563 (563 ff.), der die verfassungskonforme Auslegung als partielle Nichtanwendung einordnen will, um dem Gesetzgeber gegen „falsche“ verfassungskonforme Deutungen durch die Fachgerichte die Möglichkeit der Normenkontrolle nach § 76 Nr. 2 BVerfGG zu eröffnen. Auch Detlev B. Rein, Das Norm-

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

eine zulässig erhobene Urteilsverfassungsbeschwerde schaffen, bei der die Verfassungskonformität der zugrunde gelegten neuen Normdeutung inzident überprüft wird. Das Bundesverfassungsgericht entgeht so nicht nur fachgerichtlichen Vorlagen, 208 sondern verschafft sich auch selbst eine kurzfristige Arbeitserleichterung, indem nicht mehr das gesamte Gesetz geprüft, sondern nur noch eine verfassungsgemäße Normdeutung gefunden werden muss. Wird aber die Gesetzesbindung in eine Deutungsbindung aufgelöst, müsste dann für jede einzelne Deutung dargelegt werden, ob sie verfassungsgemäß ist oder nicht und damit angewendet werden darf oder nicht. Diese Entscheidung wird den Fachgerichten überlassen. Die Verantwortung für die Überprüfung der fachgerichtlichen Entscheidung wird dagegen den Rechtsunterworfenen im Wege der Urteilsverfassungsbeschwerde aufgebürdet, zugleich wird den Fachgerichten die Überprüfungsmöglichkeit verwehrt. Das Bundesverfassungsgericht beantwortet so die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes mit Hinweis auf eine seiner (verfassungsgemäßen) Deutungen, die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit weiterer Deutungen dagegen mit Hinweis auf die festgestellte Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes überhaupt nicht. Es mag logisch richtig sein, dass eine Deutungsmehrheit nicht insgesamt als verfassungswidrig bezeichnet werden kann, sofern nur eine Deutung unter ihnen verfassungsgemäß ist; im praktischen Umgang mit dieser Deutungsmehrheit dürften solche feinsinnigen Ausführungen wenig hilfreich sein. 2. Die Deutungsverwerfung als Teilnormverwerfung Mit seiner Konzeption unterscheidet das Bundesverfassungsgericht zwischen der Verwerfung von Norm und Deutung. Nach anderer Ansicht ist die Auslegung der Norm zur Norm zu rechnen. 209 Demnach wäre die Deutungsverwerfung nur als ein Unterfall der Normverwerfung zu betrachten, welche die Verwerfungsbefugnis voraussetzt. 210 Die verfassungskonforme Auslegung als Teilverwerfung würde somit unter das Monopol des Bundesverfassungsgerichtes fallen und wäre den Fachgerichten verwehrt. 211 Die verfassungskonforme Auslegung könnte folglich bestätigungsverfahren, 1991, S. 130 ff., befasst sich ausführlich mit der Möglichkeit, eine fachgerichtliche verfassungskonforme Auslegung, die im Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen steht, im Wege der Normenkontrolle überprüfen zu lassen und sieht diese nach § 76 Nr. 2 BVerfGG als eröffnet an. – Allerdings entfaltet die Vorstellung, der Gesetzgeber müsse dauerhaft per Bundesverfassungsgericht die Fachgerichte kontrollieren, ob sie seine Gesetze auch anwendeten, nur sehr begrenzte Überzeugungskraft. 208 Für Werner Heun, AöR 122 (1997), 610 (610), ist die konkrete Normenkontrolle neben der Verfassungsbeschwerde ein Paradebeispiel für die Tendenz der Zugangssteuerung durch das Bundesverfassungsgericht. 209 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 446. 210 Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 31.

C. Die Kompetenz zur verfassungskonformen Auslegung

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nicht als fachgerichtliches Vorverfahren mit Sperrwirkung fungieren, sondern höchstens als Teilnichtigerklärung im Tenor des Bundesverfassungsgerichtes als Normenkontrollgericht erscheinen. Rechtsmittelgerichte können in eine besonders schwierige Situation kommen, wenn die Vorinstanz ein Gesetz anwendet, das zwar bereits verfassungskonform ausgelegt wurde, dabei aber eine andere, nach Ansicht der Vorinstanz ebenfalls verfassungsgemäße Deutung wählt. Hält das Berufungs- oder Revisionsgericht die gewählte neue Deutung für verfassungswidrig, kann es auf Grund der früher erfolgten verfassungskonformen Auslegung diese Frage aber nicht dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. 212 Es muss selbst – und für die Vorinstanz bindend – über die Verfassungswidrigkeit der zugrunde gelegten neuen Normdeutung entscheiden. Damit wird es zum Normdeutungskontrollgericht und übernimmt Funktionen der Verfassungsgerichtsbarkeit.

C. Die Kompetenz zur verfassungskonformen Auslegung Wie sich im Zusammenhang mit der Normenkontrolle gezeigt hat, werfen die Phänomene der verfassungskonformen Auslegung auch Kompetenzfragen auf. Eine klare methodologische Einordnung kann diese Fragen zwar beantworten, doch eben daran fehlt es, wenn die verfassungskonforme Auslegung als Sammelbegriff verschiedener Phänomene dient und überdies umstritten ist, ob einige ihrer Erscheinungsformen nicht zutreffender als Teilnichtigerklärungen zu qualifizieren sind. Diese Unsicherheit in der methodologischen Einordnung lässt letztlich nur ungewisse Konditionalsätze zu, die nicht mehr vermögen, als den wechselnden Verortungen die jeweilige Kompetenz zuzuordnen.

I. Methodologische Prämissen und Kompetenzzuweisungen Wird die verfassungskonforme Auslegung als Auslegung angesehen, sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden berechtigt, diese Methode anzuwenden. Für 211 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 124 f. Uwe Seetzen, NJW 1976, 1997 (2000), sieht jedenfalls durch die Verpflichtung der Fachgerichte zur verfassungskonformen Auslegung vor einer Vorlage das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichtes gefährdet. 212 Es gibt noch diverse andere Gründe, warum Revisionsgerichte eine verfassungskonforme Auslegung der Vorlage vorziehen, vgl. dazu Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 171 ff.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

die Vorzugsregel mag dies noch weitgehend unstreitig sein, bei der systematisierenden Auslegung erheben sich bereits erste Gegenstimmen. Auch irritiert nicht wenige, dass auf diese Weise Fachgerichte und Verwaltungsbehörden zur Verfassungsauslegung und das Bundesverfassungsgericht im Gegenzug zur Gesetzesauslegung angehalten werden. Wird die verfassungskonforme Auslegung dagegen als Rechtsfortbildung qualifiziert oder findet unter dieser Bezeichnung verfassungskonforme Rechtsfortbildung statt, obliegt diese vorrangig den obersten Gerichten, wobei nach herrschender Meinung jedes Gericht Lücken füllen darf, um entscheidungsfähig zu bleiben. Eine mögliche Befugnis zur Rechtsfortbildung durch die Verwaltungsbehörden ist ungeklärt. Sollte allerdings die Qualifizierung der verfassungskonformen Auslegung als Teilnichtigerklärung zutreffend sein, ist auf Grund seines Verwerfungsmonopols allein das Bundesverfassungsgericht zuständig, soweit es sich um formelle nachkonstitutionelle Gesetze handelt. Umgekehrt gibt es Bemühungen, die Kompetenz gerade zur Einordnung der Phänomene der verfassungskonformen Auslegung in die Methodenlehren zu nutzen oder sie zur Grenzziehung zwischen zulässigen und unzulässigen Erscheinungsformen zu verwenden. 213 Solche Verwirrungen können darüber hinwegtäuschen, dass über die Zuordnung von Methode und Kompetenz weniger Streit besteht als über die methodologische Einordnung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung.

II. Die Befugnis der Fachgerichte zur verfassungskonformen Auslegung Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner ständigen Rechtsprechung von einer umfassenden Richterkompetenz aus: Jeder Richter ist zur verfassungskonformen Auslegung berechtigt und verpflichtet. 214 Den Ausgangspunkt bildet dabei das richterliche Prüfungsrecht. Die Frage der verfassungskonformen Auslegung soll sich erst ergeben, wenn die Fachgerichte mit einem verfassungsrechtlich zweifelhaften Gesetz befasst sind. Das Grundgesetz trifft zwar explizite Aussagen darüber, was mit einem verfassungswidrigen (formellen, nachkonstitutionellen) Gesetz zu geschehen hat: Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG. Und im Umkehrschluss darf wohl angenommen werden, ein verfassungsgemäßes Gesetz sei schlicht anzuwenden. Leider 213

Vgl. die Ausführungen zur qualitativen Teilnichtigerklärungen oben, Teil 1 B II. Vgl. BVerfGE 110, 226 (267 ff.); BVerfG, NJW 2003, 2472; NJW 2002, 3693 (3695); BVerfGE 37, 217 (238). Für Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (184 ff.) m.w. N., ist die Befugnis der Fachgerichte stark umstritten, die herrschende formale Betrachtungsweise ignoriere spezifische Gefahren dieser Kompetenzausweitung. 214

C. Die Kompetenz zur verfassungskonformen Auslegung

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enthält das Grundgesetz dagegen keine ausdrückliche Regelung zum Zwitterwesen eines zugleich verfassungswidrigen und verfassungsmäßigen Gesetzes. Die Kompetenz der Fachgerichte kann daher nicht direkt einer Grundgesetznorm entnommen werden, sondern wird wahlweise mit der gefestigten verfassungsgerichtlichen Judikatur, 215 gefestigter Praxis 216 oder der Bindung an die Verfassung im Verein mit der Bindung an das Gesetz 217 begründet. Das Bundesverfassungsgericht hat Unsicherheiten beseitigt, indem es entschieden hat, ein Gesetz sei solange nicht verfassungswidrig, als es verfassungskonformer Deutung zugänglich sei. 218 Damit soll das mehrdeutige Gesetz zu den verfassungsgemäßen Gesetzen zählen, die schlicht anzuwenden sind – allerdings nur in ihrer verfassungsgemäßen Deutungsvariante – was keiner ausdrücklichen Regelung im Grundgesetz bedürfe. Die verfassungsorientierte Auslegung bezieht sich nur auf verfassungsgemäße Gesetze. Dementsprechend gründet sich die Befugnis der Fachgerichte nicht zuvörderst auf einen Ausspruch des Bundesverfassungsgerichtes. Vielmehr sollen Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe einen Auftrag an den Rechtsanwender, eine bewusste Delegation durch den Gesetzgeber darstellen. 219 Der Gesetzgeber hat hier keinen abschließenden Inhalt vorgegeben, sondern einen Freiraum für richterliche Inhaltskonkretisierung geschaffen, die sich mangels anderer ranghöherer Normen bei der Gesetzesauslegung an der Verfassung orientieren sollte. Die Befugnis der Fachgerichte zur Rechtsfortbildung ist vom Bundesverfassungsgericht anerkannt. 220 Von dieser Befugnis ist auch die Rechtsfortbildung mit Hilfe von Verfassungsnormen umfasst. 221 Allerdings sind die Grenzen der Rechtsfortbildung sorgfältig zu beachten. Den Fachgerichten stehen damit nach herrschender Auffassung alle Erscheinungsformen verfassungskonformer Auslegung zur Verfügung.

215

Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 1 III, Rn. 84. Vgl. Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 90. 217 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 114. 218 Seit BVerfGE 2, 266 (267), ständige Rechtsprechung. 219 Vgl. Markus Bock, Der Rechtsnormcharakter der Entscheidungen des Großen Senats, 1997, S. 43 f., m.w. N.; Jürgen Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, 1971, S. 134; Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 63 ff.; Ulrich Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre, 1989, S. 75; Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 240; Bodo Pieroth / Tobias Aubel, JZ 2003, 504 (509). Für Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 184 f., obliegen verfassungskonforme wie verfassungsorientierte Auslegung jedem Gericht. 220 BVerfGE 69, 315 (371); 65, 182 (190); 49, 304 (318); 34, 269 (288). Für funktional ausdifferenzierte Kompetenzen zur Rechtsfortbildung: Claus Dieter Classen, JZ 2007, 53 (59 f.). Zur derzeitigen Unzulässigkeit der Rechtsfortbildung insgesamt ausführlich in Teil 3 E. 221 Vgl. BVerfGE 49, 286 (303); 39, 96 (126); 25, 167 (172 ff.). 216

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

III. Die Befugnis der Verwaltungsbehörden zur verfassungskonformen Auslegung Das Bundesverfassungsgericht hat die Befugnis der Fachgerichte zur verfassungskonformen Auslegung auf das richterliche Prüfungsrecht gestützt. Die Verwaltungsbehörden können dagegen verfassungswidrige oder zweifelhafte Gesetze nicht im Wege der konkreten Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht vorlegen. Fraglich ist daher, ob sie trotzdem ebenso wie die Fachgerichte zur verfassungskonformen Auslegung berechtigt und verpflichtet sind. 222 Auch hier könnte die Festlegung des Bundesverfassungsgerichts gelten, dass ein Gesetz eben nicht verfassungswidrig ist, wenn wenigstens eine verfassungsgemäße Deutung in Betracht kommt. Danach würde die mangelnde Vorlagebefugnis der Verwaltungsbehörden die Befugnis zur verfassungskonformen Auslegung nicht zwingend ausschließen. 223 Der Gesetzesnorm könnte durch verfassungskonforme Auslegung vom zweifelhaften in den klar verfassungsmäßigen Zustand verholfen werden, wonach sich eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ohnehin erübrigt. Es wird betont, dass gerade in der Verwaltung, wo keine Prüfungsbefugnis des Rechtsanwenders besteht, eine verfassungsbewusste Auslegung von eminenter Wichtigkeit sei. 224 Ferner kann die Befugnis der Verwaltungsbehörden zu verfassungskonformer Auslegung mit der behandelten Materie begründet werden: Das Verwaltungsrecht sei schließlich besonders in das Staats- und Verfassungsrecht eingebettet. 225 Mit Blick auf die Grundrechtsbindung der Verwaltung wird in der Lehrbuchliteratur als selbstverständlich vorausgesetzt, dass Behörden zur verfassungskonformen Auslegung berechtigt und verpflichtet sind. 226 222 Für Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 310, ist „jedes Gericht und jeder Rechtsanwender“, für Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (509), sind „alle Gerichte und überhaupt alle Behörden“ zur verfassungskonformen Auslegung berechtigt und verpflichtet. 223 So Thomas Lapp, Vorbeugender Rechtsschutz gegen Normen, 1994, S. 126. Max Imboden, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, 1961, S. 133 (143), ist der Ansicht, dass die verfassungskonforme Auslegung auch vorgenommen werden muss, wenn dem Rechtsanwender (wie bsw. dem schweizerischen Richter) kein Prüfungsrecht zusteht. 224 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 38. 225 Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 24. 226 Vgl. Hans-Joachim Koch / Rüdiger Rubel / Sebastian Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2003, § 5, Rn. 56; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 8 Rn. 11; Hans J. Wolff / Otto Bachof / Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. A. 1999, § 28, Rn. 57 f. Der weitgehenden Aussparung der Methodik der Gesetzesauslegung korrespondiert allerdings auch ein Schweigen über die verfassungskonforme Auslegung, obwohl die Bedeutung der Verfassung für das Verwaltungsrecht stets betont wird, vgl. nur Ulrich Battis, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2002, passim; Volkmar Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. A. 1997, passim; Jörn Ipsen, Allgemeines Ver-

C. Die Kompetenz zur verfassungskonformen Auslegung

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In der Rechtsanwendung durch die Verwaltungsbehörden spielen Ermessensnormen und unbestimmte Rechtsbegriffe eine wesentliche Rolle. Bei der Ausfüllung dadurch entstandener Freiräume sind wieder vorrangig die Grundrechte zu beachten. Folglich ist die verfassungsorientierte Auslegung – auch wenn sie nicht immer als solche benannt wird – eine bekannte und häufig genutzte Methode der Verwaltungsbehörden. 227 Einheitlichkeit in der Rechtsanwendung wird dabei durch norminterpretierende, normkonkretisierende und ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften gewährleistet. Die Festlegung auf eine bestimmte Gesetzesauslegung kann auch Inhalt einer Weisung sein. 228 Unklar ist, ob Verwaltungsbehörden zur (verfassungskonformen) Rechtsfortbildung befugt sind. In der Literatur zum Verwaltungsrecht wird eine Erörterung dieser Frage auffällig ausgespart. 229 Die Thematik der Rechtsfortbildung scheint für die Rechtsprechung reserviert zu sein. Die Ursache könnte in einem spezifischen Zugriff der Verwaltungsrechtswissenschaft auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung liegen, der sich im Dualismus von Bindung und Gestaltung zu äußern pflegt. 230 Wenn den Verwaltungsbehörden grundsätzlich Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt sind, verliert die Thematik der Rechtsfortbildung an Bedeutung. Hinzu kommt die Bandbreite der möglichen Handlungsformen, die den Verwaltungsbehörden im Gegensatz zu den Fachgerichten zur Verfügung stehen. Doch angesichts des Umstandes, dass Gerichte wie Behörden als rechtsanwendende Instanzen betrachtet werden, irritiert die Aussparung der Methodik der Rechtsanwendung für die Verwaltung 231 durchaus. Folge ist, dass hier keine Aussagen darüber getroffen werden können, ob von einer Bewaltungsrecht, 3. A. 2003, passim, insbes. Rn. 71 ff.; Franz-Joseph Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. A. 2002, passim; Maximilian Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. A. 2000, passim. Auch Bernhard Kempen, in: Detlef Merten / Hans-Jürgen Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 2006, § 54, Rn. 37 ff., betont zwar die Grundrechtsbindung der vollziehenden Gewalt (Rn. 37), thematisiert die Fragen verfassungsorientierter und grundrechtskonformer Auslegung aber erst im Zusammenhang mit der Rechtsprechung (Rn. 64 f.) und spart sie im Bereich der vollziehenden Gewalt völlig aus (vgl. Rn. 37 ff.). 227 Vgl. dazu Hans-Joachim Koch / Rüdiger Rubel / Sebastian Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2003, § 1, Rn. 26, § 5, Rn. 78 ff.; Philip Kunig, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2000, Art. 1, Rn. 61; teilweise wird die verfassungskonforme Auslegung immerhin genannt, so bei Hans Peter Bull / Veith Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. A. 2005, Rn. 539; Elmar Giemulla / Nikolaus Jaworsky / Rolf Müller-Uri, Verwaltungsrecht, 7. A. 2004, Rn. 76. 228 BVerfGE 81, 310 (335 f.). 229 Dieser Umstand wird auch von Claus Dieter Classen, JZ 2003, 693 (701), angesprochen. Zugestanden wird die Befugnis von Hans Peter Bull / Veith Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. A. 2005, Rn. 545 ff., und Hans J. Wolff / Otto Bachof / Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. A. 1999, § 28, Rn. 57 f. 230 Vgl. nur Hans-Joachim Koch / Rüdiger Rubel / Sebastian Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2003, § 5 III, Rn. 57 ff.; Maximilian Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. A. 2000, § 6, Rn. 21 ff.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

fugnis der Verwaltungsbehörden zur (verfassungskonformen) Rechtsfortbildung ausgegangen wird.

IV. Die Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungskonformen Auslegung Die Befugnis des Bundesverfassungsgerichtes zur verfassungskonformen Auslegung ist in der Literatur stark umstritten, was sich besonders deutlich im Bereich der Normenkontrolle zeigt. Gegen die Zuerkennung der Kompetenz wird zum einen vorgebracht, dass die verfassungskonforme Auslegung eine Form der Gesetzesauslegung und somit grundsätzlich Sache der Fachgerichte sei. Neben der Prüfungs- und Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichtes soll keine Auslegungskompetenz bezüglich des einfachen Rechts bestehen, 232 so dass die Befugnis zu verfassungskonformer Auslegung entfalle, da die Gesetzesauslegung zumindest einen Bestandteil letzterer bilde 233. Auch dürfe das Bundesverfassungsgericht nicht selbst verfassungskonform auslegen, weil sonst jede Normenkontrolle zum Zirkelschluss gerate. 234 Umgekehrt wird die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichtes zur verfassungskonformen Auslegung ausdrücklich anerkannt. Als allgemein gültige Interpretationsregel stehe sie allen rechtsanwendenden Instanzen inklusive dem Bundesverfassungsgericht 235 – auch in seiner Eigenschaft als Normenkontrollgericht 236 – zu. Das Bundesverfassungsgericht vertritt die Ansicht, die Vereinbarkeit einfachen Rechts mit dem Grundgesetz lasse sich nur auf Grundlage einer zutreffenden Auslegung prüfen: 237 Demnach würde seine Funktion als Normenkontrollgericht (auch) die Gesetzesauslegung verlangen. Unter funktionalen

231 Löbliche Ausnahmen: Hans Peter Bull / Veith Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. A. 2005, Rn. 528 ff.; Elmar Giemulla / Nikolaus Jaworsky / Rolf Müller-Uri, Verwaltungsrecht, 7. A. 2004, Rn. 58 ff.; Hans J. Wolff / Otto Bachof / Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. A. 1999, § 28, Rn. 57 f. 232 Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 119. 233 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 274 f. 234 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 118 ff.; Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 198. 235 Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 119; Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 153, mit Verweis auf das BVerfGG. 236 So ausdrücklich Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 28. 237 So BVerfGE 35, 263 (277); 30, 129 (139); 22, 28 (33); stRspr.

D. Die Legitimation der verfassungskonformen Auslegung

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Aspekten wird dem Bundesverfassungsgericht sogar die alleinige Kompetenz zur verfassungskonformen Auslegung zugesprochen. 238 Das Bundesverfassungsgericht selbst verwendet die von ihm entwickelte Figur der verfassungskonformen Auslegung oft und gern. 239 Das widerstreitende Argument, die dabei vorgenommene Auslegung von Gesetzesrecht sei exklusiv Sache der Fachgerichte, ist nicht stichhaltig. Zu beachten ist, dass beispielsweise die Überprüfung der Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG zwingend die Auslegung des Bundesrechtes voraussetzt. Das Grundgesetz widerlegt damit die pauschale Annahme, Gesetzesauslegung sei keine Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes. Allerdings können sich Probleme ergeben, wenn das Bundesverfassungsgericht im Wege verfassungskonformer Auslegung den Fachgerichten eine bestimmte Gesetzesauslegung als verbindlich vorschreibt. Derweil besteht das Problem bei der Normenkontrolle, wie dargestellt, weniger in einem Zirkelschluss als vielmehr in einer Ersetzung der Normenkontrolle durch verfassungskonforme Auslegung und der Auflösung der Norm in ihre Deutungen, von denen nur wenige oder gar nur eine überprüft werden. Eine Befugnis des Bundesverfassungsgerichtes zur verfassungskonformen Auslegung ist zwar durch vorstehende Argumente nicht ausgeschlossen, sie bleibt aber fragwürdig.

D. Die Legitimation der verfassungskonformen Auslegung Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung sind die einzigen Methoden, welche sich unter dem Grundgesetz neu etabliert haben. Andere, mit teils beachtlichem Begründungsaufwand versehene, neue Methoden (topisch, strukturierend, komparativ, gestuft) sind von der Rechtsprechungspraxis nicht angenommen worden und in der Literatur weiter umstritten. Nur die verfassungskonforme Auslegung wurde mit einer „in hermeneutischen Fragen sensationell anmutenden Einigkeit“ 240 von der Jurisprudenz akzeptiert. Allerdings hat das Bundesverfas238

Claus Dieter Classen, JZ 2007, 53 (61); eine auf die klassischen Auslegungsmethoden beschränkte verfassungskonforme Auslegung soll aber auch den Fachgerichten möglich sein (S. 59). 239 Vgl. die Entscheidungsübersicht bei Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 151 ff., und aus neuerer Zeit statt vieler BVerfG, NJW 2005, 872 ff.; NStZ-RR 2005, 238 f.; NJW-RR 2005, 657 f.; NJW-RR 2005, 741 ff.; NJW 2005, 1923 ff.; NJW 2005, 349 ff.; BVerfGE 104, 92 ff.; 102, 254 ff.; 99, 129 ff.; 98, 1 ff.; 95, 64 ff.; 87, 399 ff.; 81, 70 ff. 240 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 5. Vgl. statt vieler auch Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 179: „in der Literatur wird sie im Grundsatz einhellig anerkannt“.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

sungsgericht mit der Einführung der verfassungskonformen Auslegung als neuer Methode auch gleich ihre Begründungen 241 mitgeliefert. Diese wurden von Literatur und Rechtsprechung aufgenommen und teilweise auch ergänzt. Zudem entfaltet der Bezug auf die Verfassung an sich unter dem Grundgesetz hohe Legitimationswirkung. Damit kann die verfassungskonforme Auslegung auch ihrerseits legitimierend wirken. Die Frage nach der Legitimation beschäftigt sich hier aber nicht mit der besseren Begründung behördlicher oder gerichtlicher Tätigkeit durch eine Methode mit Verfassungsbezug, sondern mit der Begründung oder Rechtfertigung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung als zulässiger Methoden selbst. 242

I. Die Begründung juristischer Methoden Die Gesetzesauslegung ist im deutschen Recht – im Gegensatz zu den Rechtsordnungen anderer Länder 243 – selbst nicht gesetzlich geregelt. Die juristischen Methoden sind aber nicht völlig unabhängig vom Rechtssystem; insbesondere die grundlegende Bedingungsbeziehung von Verfassungsordnung und Rechtsmethodik ist anerkannt. 244 Welche konkreten methodischen Vorgaben sich aus dem Grundgesetz ergeben, ist umstritten, Einigkeit besteht aber darin, dass die juristische Methodik dem Recht und insbesondere der Verfassung nicht zuwider laufen darf. 1. Juristische Erkenntnis und deren Rechtfertigungsbedürftigkeit Zur Begründung richterlichen oder behördlichen Handelns liegt umfangreiche und vielfältige Literatur vor. 245 Dabei ist mit Handeln aber zumeist mehr oder gar anderes gemeint als der Vorgang der Rechtserkenntnis. Die Verwendung des 241 Zu den sehr ähnlichen Legitimationstopoi für eine Auslegung „in harmony with the Constitution“ in der amerikanischen Rechtsprechung vgl. Max Imboden, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, 1961, S. 133 (138 f.). 242 Helmut Michel, JuS 1961, 274 (274), stellt fest, die verfassungskonforme Auslegung sei allgemein anerkannt und derart gesichert, dass sie nicht begründet werde. Dagegen sieht Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2291), eine begrenzte methodologische und verfassungsrechtliche Legitimation, über die nur mit gelegentlich extensivem Gebrauch hinwegzutäuschen versucht werde. 243 Vgl. dazu Fritz-René Grabau, Über die Normen zur Gesetzes- und Vertragsinterpretation, 1993, passim; insbesondere auch die Synopse der wichtigsten Auslegungsbestimmungen europäischer Zivilgesetzbücher im Anhang, S. 189 ff. 244 Vgl. Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 148; Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 706 ff.; siehe auch oben, Teil 1 A V.

D. Die Legitimation der verfassungskonformen Auslegung

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Begriffes „Legitimation“ mag daher im vorliegenden Zusammenhang irritieren, 246 scheint sie doch vorauszusetzen, dass die verfassungskonforme Auslegung einen hoheitlichen Akt darstellt. Die Frage, wie der Vorgang der Rechtserkenntnis zutreffend einzuordnen ist, ist an dieser Stelle nicht zu entscheiden. Der Begriff der Legitimation soll zunächst nur darauf verweisen, dass juristische Erkenntnis zwar eventuell selbst keinen Hoheitsakt darstellt, aber zumindest so eng mit hoheitlichem Handeln verknüpft ist, dass unabhängig von ihrer Qualifizierung grundsätzlich von ihrer Rechtfertigungsbedürftigkeit auszugehen ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte zunächst angenommen, Auslegung sei kein Akt öffentlicher Gewalt, 247 dann aber dargelegt, dass Bürger / innen nicht nur durch die Gesetze selbst, sondern auch durch deren fehlerhafte Auslegung und Anwendung in ihren Grundrechten verletzt sein können 248. Es hat vielfach entschieden, dass die Auslegung einer Regelung gegen Grundrechte verstoßen kann 249 und daher den gegen eine solche Auslegung gerichteten Verfassungsbeschwerden stattzugeben ist. 250 Dieser Schutz vor belastender Auslegung 251 wird auch dem Umstand gerecht, dass die Auslegung eines Gesetzes wesentlichen Einfluss auf die zu treffende Einzelfallentscheidung hat. Friedrich Schleiermacher beschäftigte sich als einer der ersten mit der Problematik, dass auch Erkenntnis sich legitimieren können muss, als er seine exegetischen Vorlesungen über neutestamentarische Schriften zu halten begann. Er stellte fest: „Es fehlte freilich nicht an Anweisungen zur Auslegung, und Ernestis institutio interpretis für das Product einer tüchtigen philologischen Schule geltend genoß eines großen Ansehens und viele darin aufgestellte Regeln zeigten sich auch 245

Statt vieler: Uwe Kischel, Die Begründung, 2003, passim, m.w. N.; ferner Stefan Brink, Über die richterliche Entscheidungsbegründung, 1999; Ralph Christensen / Hans Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001. 246 Aber auch Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (182), spricht in seiner Analyse der verfassungskonformen Auslegung erst von Legitimierung, dann von Legitimation. 247 BVerfGE 18, 1 (14). 248 Seit BVerfGE 18, 85 (92 f.) ständige Rechtsprechung; zu den damit verbundenen Problemen vgl. auch Martin Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, 2000, passim, mit umfassender Übersicht über Rechtsprechung und Literatur. 249 Vgl. nur BVerfGE 66, 199 (206); 64, 389 (393); 62, 323 (333); Dies auch im Rahmen der Normenkontrolle, vgl. BVerfGE 103, 111 (125 ff.). 250 Vgl. nur BVerfGE 115, 320 (341 ff., 367 ff.); 115, 25 (41 ff.); 113, 88 (102 ff.); 112, 332 (358 ff.); BVerfG (K), NJW 2002, 3693 (3694 f.); BVerfGE 105, 1 (12 ff.); 104, 337 (353 ff.); 100, 214 (222 ff.); nach sorgfältiger Prüfung Auslegung aber für verfassungsrechtlich zulässig erachtet in: BVerfGE 112, 185 (208 ff.); 110, 1 (23 ff.). 251 Schwierig ist allerdings der Umgang mit auslegungsleitenden oder norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften, vgl. dazu grundlegend Fritz Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 284 ff., 544 f. Mangels Außenwirkung soll ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen sie ausgeschlossen sein, vgl. Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 24, Rn. 20 ff., 29 f., m.w. N.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

sehr brauchbar, aber es fehlte ihnen selbst die rechte Begründung, [...].“ 252 Für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis ist es zumeist ausreichend, wenn die Methode sich als brauchbar zeigt – was wiederum auf die zu treffende Entscheidung verweist. Methodenlehren stehen daher unter dem Druck, praxistauglich im Sinne von entscheidungsrelevant zu sein. Beschäftigen sie sich mit der Begründung von Erkenntnis, werden sie im Zweifel als irrelevant marginalisiert. 2. Der Grund der juristischen Erkenntnismethoden: Autorität und Tradition Um Rechtssicherheit, Gleichheit und den Abstand zum Politischen zu wahren, orientiert sich die Jurisprudenz weniger an ambitionierten Theorien als vielmehr an zwei festen Größen: Autorität und Tradition. 253 Sie ist die einzige Geisteswissenschaft, welche mit der Figur einer „herrschenden Meinung“ operiert. Dies zeigt sich auch in der Methodenlehre, wenn von „anerkannten Auslegungsmitteln“ die Rede ist. Friedrich Carl von Savigny ist eine solche Autorität, an dessen methodologische Ausführungen sich die Rechtspraxis seit über 150 Jahren anlehnt. Ohne nähere Begründung hat das Bundesverfassungsgericht den Viererkanon von Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck übernommen und so lange wiederholt, 254 bis er nun als gesicherter Grundbestand der juristischen Methodik zu betrachten ist. So gehen auch Fachgerichte 255 und Lehre 256 grundsätzlich von diesen vier Auslegungsmitteln aus. Dabei berufen sie sich nicht selten auf Friedrich Carl von Savigny, obwohl dessen vier canones deutlich vom heutigen 252 Friedrich Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik (1838), hrsg. von Manfred Frank, 4. A. 1990, zitiert in der Einleitung des Herausgebers, S. 8. [Hervorhebung nicht im Original.] 253 Vgl. auch Ulfrid Neumann, Rechtstheorie 32 (2001), 239 (2239 f.), wonach sich das juristische Studium weitgehend im Lernen durch Nachahmung erschöpft; sowie die Anmerkungen von Uwe Wesel, Aufklärungen über Recht, 1981, S. 14 ff., zum Phänomen der sog. herrschenden Meinung. 254 Vgl. nur BVerfGE 111, 54 ff.; 110, 226 ff.; 109, 190 ff.; 107, 104 ff.; 105, 135 ff.; 103, 332 ff.; 101, 1 ff.; 95, 335 ff.; 93, 37 ff.; 78, 132 ff.; 77, 288 ff.; 69, 1 ff.; 59, 336 ff.; 54, 277 ff.; 48, 246 ff.; 41, 399 ff.; 30, 367 ff.; 30, 129 ff.; 24, 75 ff.; 11, 126 ff.; 10, 251 ff. 255 Vgl. BGHZ 161, 124 ff.; 152, 361 ff.; 148, 270 ff.; 145, 16 ff.; 139, 280 ff.; 139, 259 ff.; 137, 387 ff.; 135, 1 ff.; 134, 239 ff.; 133, 391 ff.; 129, 311 ff.; 127, 229 ff.; 124, 394 ff.; 119, 300 ff.; 119, 42 ff.; 112, 9 ff.; 101, 337 ff.; 97, 341 ff.; 92, 94 ff.; 88, 209 ff.; 84, 339 ff.; 68, 86 ff.; 7, 223 ff.; BGHSt 48, 183 ff.; 48, 153 ff.; 46, 321 ff.; 44, 145 ff.; 43, 381 ff.; 42, 94 ff.; 42, 30 ff.; 39, 36 ff.; 29, 204 ff.; 27, 307 ff.; BVerwGE 125, 370 ff.; 125, 9 ff.; 123, 1 ff.; 121, 270 ff.; 120, 298 ff.; 119, 363 ff.; 117, 93 ff.; 108, 364 ff. 256 Vgl. für viele Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 4. A. 1992, S. 293 ff.; Alfred Katz, Staatsrecht, 15. A. 2002, Rn. 110 ff.; Helmut Köhler, BGB, Allgemeiner Teil, 30. A. 2006, § 4 Rn. 14 ff.; Dieter Leipold, BGB I, 3. A. 2004, Rn. 84 ff.; Eberhard Schmidhäuser, Strafrecht AT, 2. A. 1975, 5/32; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. I, 2. A. 1984, S. 125 f. Ablehnend Reinhart Maurach / Heinz Zipf, Strafrecht, AT, Tb. 1, 8. A. 1992, § 8 Rn. 15.

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Verständnis abweichen. 257 Doch die Berufung auf die Autorität Friedrich Carl von Savignys und die Autorität der Tradition dieses Verweises entlasten von weiteren Ausführungen, warum gerade diese vier Methoden geeignete Instrumente der Gesetzesauslegung darstellen und andere eben nicht. 258 Solche Traditionen bestehen, bis eine Autorität neue Traditionen initiiert. Dem Bundesverfassungsgericht war es möglich, mit der verfassungskonformen Auslegung eine neue Methode unter Berufung auf die unangefochtene Autorität der Verfassung einzuführen. In der Verwendung dieser Methode ist das Bundesverfassungsgericht recht großzügig, so dass bisweilen der Eindruck entsteht, wo eine verfassungskonforme Auslegung möglich ist, solle sie auch geboten sein, 259 und möglich sei sie, wenn sie bereits von einem beliebigen Gericht vorgenommen wurde 260. Doch bei der Einführung der verfassungskonformen Auslegung musste das Bundesverfassungsgericht einen höheren Begründungsaufwand betreiben. An ihrer argumentativen Absicherung lassen sich daher methodologische Rechtfertigungsbemühungen exemplarisch verfolgen. Zu beachten ist, dass die vorgebrachten Argumente oft nur auf eine Erscheinungsform der verfassungskonformen Auslegung zugeschnitten sind und somit nicht alle ihre Phänomene rechtfertigen können. Von der Literatur wurden die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts übernommen oder kritisiert, aber auch eigene Argumente beigetragen.

II. Die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes „spricht nicht nur eine Vermutung dafür, dass ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sondern das in dieser Vermutung zum Ausdruck kommende Prinzip verlangt im Zweifel eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes.“ 261 Weitere Ausführungen zu Natur und Inhalt der Vermutung oder des rätselhaften Prinzips macht das Bundesverfassungsgericht leider nicht. 257

Dazu oben, Teil 1 A II 1. Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 205, stellt fest, dass die canones auch in seinem neuartigen Ansatz ihre Gültigkeit bewahren, und zeigt sich davon nicht überrascht, handele es sich doch um das Produkt jahrhundertelanger Überlegungen der Rechtswissenschaft. 259 So kritisch Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 24, der hinzufügt, diese Auslegungsregel im positiven Recht nachzuweisen, habe das Bundesverfassungsgericht auf Grund der Aussichtslosigkeit gar nicht erst versucht. 260 So BVerfGE 44, 105 (121), mit Bezug auf die Rechtsprechung von Ehrengerichten. – Da nicht anzunehmen ist, dass damit eine neue Bindungswirkung ehrengerichtlicher Entscheidungen statuiert werden sollte, kann es sich bei dieser Feststellung nur um ein faktisches Argument handeln, das nicht rechtlich legitimierend wirkt. 261 BVerfGE 83, 201 (215); 2, 266 (282); stRspr. 258

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

1. Die Vermutung und ihr Prinzip Die Vermutung bezieht sich wohl zunächst auf den Gesetzgeber und das Gesetzgebungsverfahren. Es wird davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber die Verfassung nicht verletzen will 262 und auf Grund seines Normerhaltungsinteresses eine Auslegung wünscht, die mit höherrangigem Recht vereinbar ist. 263 Nach anderer Ansicht folgt aus der Pflicht des Gesetzgebers zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit bei der Rechtsetzung eine Tatsachenvermutung zu Gunsten der Verfassungsmäßigkeit des so entstandenen (nachkonstitutionellen) Gesetzes. 264 Dagegen lässt sich zum einen das „demokratische Misstrauen“ in Anschlag bringen. 265 Nicht ganz so weit gegriffen, zeigt schon das richterliche Prüfungsrecht, dass die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit nicht sehr belastbar ist. Gegen eine Rechtsvermutung spricht die Existenz von Verfassungsgerichtsbarkeit und Normenkontrolle. 266 Die Möglichkeit einer Tatsachenvermutung soll durch die hohe Zahl richterlicher Normkassationen widerlegt sein 267 – was statistisch nur begrenzt überzeugt. Aus welchen rechtlichen Gründen jenseits von Ansichten des Bundesverfassungsgerichtes die Vermutung rühren soll, bleibt unklar, noch viel rätselhafter 262

So schon RGZ 134, 1 (15): „Es ist als vermutlicher Wille des Gesetzgebers anzunehmen, daß er nichts Verfassungswidriges bezweckt hat, [...]“. 263 Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 93; Wolfgang Roth, NVwZ 1998, 563 (564); Karl-Peter Sommermann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. A. 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 260. 264 Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 40; ähnlich Bernd Bender, MDR 1959, 441 (446 f.). Ablehnend Helmut Michel, JuS 1961, 274 (274). 265 Adolf Arndt, BB 1959, 533 (533): „Diese Vermutung findet im Bonner Grundgesetz keine Stütze. Im Gegenteil, das System dieser Verfassung gründet sich auf das demokratische Mißtrauen, daß Staatsorgane nicht davor gefeit sind, ja erfahrungsgemäß dazu neigen können, ihre Kompetenzen zum Nachteil des Bürgers zu überschreiten.“; zustimmend Andreas Hamann, NJW 1959, 1465 (1465 ff.); klar ablehnend Fritz Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 299 f. Ein anderes Staatsverständnis zeigt Reinhold Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, 2. A. 1996, S. 427, wonach die Vermutung für das verfassungskonforme Funktionieren der Gesetzgebung schlicht die „Vermutung für das Reguläre“ darstellt. 266 Vgl. Clemens Jabloner, ZÖR 60 (2005), 163 (177); Jörn Lüdemann, JuS 2004, 27 (29). 267 So Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 24 f., der zusammenfasst, dass die Vermutung weder eine legale noch reale Grundlage habe. – Die Behauptung, es gebe eine hohe Zahl verfassungsgerichtlicher Normkassationen, ist aber schlicht fehlerhaft, wie ein Blick in die Statistiken des Bundesverfassungsgerichtes zeigt. – Vorsichtiger spricht Jörn Lüdemann, JuS 2004, 27 (29), von „nicht wenigen“ Normkassationen, welche die Vermutung erschüttern.

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ist das in dieser Vermutung angeblich zum Ausdruck kommende Prinzip. Trotz dringlicher Nachfragen in der Literatur 268 hat das Bundesverfassungsgericht nie erläutert, welches Prinzip gemeint ist und warum es im Zweifel eine verfassungskonforme Auslegung verlangt. Joachim Cornelius nennt den Vertrauensschutz des Bürgers bezüglich eines erlassenen Gesetzes 269 sowie die Gewaltenteilung, welche die Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichtes bei der Normverwerfung erfordert. 270 Das sind schon zwei Prinzipien, die sich höchstens unter dem sehr allgemeinen Begriff des Rechtsstaats vereinen lassen. Hans Paul Prümm dagegen beschränkt sich auf ein Prinzip der Normerhaltung, entfernt sich aber von normorientierten Begründungen. 271 2. Die begrenzte Reichweite der Vermutung Bezüglich der Phänomene verfassungskonformer Auslegung ist die legitimierende Reichweite der Vermutung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen begrenzt. 272 Zum einen ist sie auf vorkonstitutionelle Gesetze nicht anwendbar. 273 Deren Verfassungskonformität kann – mangels prophetischer Fähigkeiten oder normativer Vorwirkungen – weder auf einem gesetzgeberischen Willen noch auf den Vorrichtungen des Gesetzgebungsverfahrens beruhen, sondern ist schlicht dem Zufall 274 geschuldet. Das würde eine verfassungskonforme Auslegung dieser Gesetze zwar nicht ausschließen, 275 verhindert allerdings, dass die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit zur Begründung herangezogen wird.

268 Dringlicher Nachfrager: Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 45. Geduldig: Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 93; Helmut Michel, JuS 1961, 274 (274). Schon resigniert: Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 9; Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 97. 269 Nach Christian-Friedrich Menger, VerwArch 50 (1959), 387 (392), soll die darauf beruhende Vermutung jedenfalls bei Kostenentscheidungen gegen rechtsschutzsuchende Bürger / innen relevant sein. 270 Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 95 f. 271 Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 109, indem er ausführt, dieses Prinzip gründe sich auf „praktische Notwendigkeiten“. 272 Vgl. auch Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 106 f., der ihre Funktion daher auf eine Beweislastregel bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit beschränken will. 273 Bernd Bender, MDR 1959, 441 (442), weist auf den Widerspruch hin, dass die Begrenzung der Vermutung auf nachkonstitutionelle Gesetze mit dem Willen des Gesetzgebers begründet werde, der aber für das Bundesverfassungsgericht nach dessen eigenem Bekunden gar nicht relevant sei. 274 Allerdings mag auch die inhaltliche Vergleichbarkeit von Weimarer Reichsverfassung und Grundgesetz eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

Für die verfassungsorientierte Auslegung ist eine solche Vermutung grundsätzlich nicht von Belang, da sie zur Auslegung verfassungsgemäßer Gesetze nichts beiträgt. Bei der verfassungskonformen Rechtsfortbildung schließlich fehlt es überhaupt an einer gesetzlichen Regelung, über die Vermutungen angestellt werden könnten. So bleibt die Begründungskraft der Vermutung zum einen auf zweifelhafte nachkonstitutionelle Gesetze, zum anderen auf die Erscheinungsformen der Vorzugsregel und der Inhaltsbestimmung eines Gesetzes mit Hilfe der Verfassung beschränkt. Genau hier setzt aber die Kritik an. Beschreibe die Vermutung nur den Regelfall der Verfassungsmäßigkeit, 276 sei sie für den Problemfall der verfassungskonformen Auslegung völlig wertlos. 277 Soll die Vermutung dagegen normative Kraft entfalten und unwiderleglich sein, 278 komme es zur (unzulässigen!) gesetzeskonformen Verfassungsauslegung, da der Gesetzgeber durch Gesetzeserlass den Inhalt der Verfassung bestimmt. 279 Doch der Gesetzgeber profitiert gar nicht vom praktischen Gebrauch der Vermutung. Das Bundesverfassungsgericht habe mit seiner Verwendung die Vermutung funktionell umgekehrt, indem dadurch nicht mehr die richterliche Interpretationsmacht auf Verfassungsebene verringert, sondern im Gegenteil auf der einfachgesetzlichen Ebene erweitert werde. 280 Das Gesetz wird zum Blankett, welches von der Recht275 So schon BVerfGE 7, 198 (205). Solange der Vorrang der Verfassung nicht anerkannt war, hielt das Reichsgericht auch eine verfassungswidrige Auslegung grundsätzlich für zulässig, vgl. RGZ 9, 232 (234 f.). Das Verständnis unter der Weimarer Reichsverfassung war dagegen ein anderes. Die in Art. 13 Abs. 2 WRV vorgesehene Überprüfung der Vereinbarkeit von Landesrecht mit Reichsrecht wurde bald auf die Frage erweitert, ob die „Auslegung und Handhabung“ des Landesrechts dem Reichsrecht inklusive Reichsverfassung entsprach, vgl. RGZ 118, 1 (2). Die Anerkennung verbindlicher Verfassungsvorschriften, vgl. nur RGZ 102, 145 (146), und eines gerichtlichen Prüfungsrechtes auch für Reichsgesetze, vgl. RGZ 111, 320 (322 f.), führte schließlich auch zur Verwendung der verfassungsorientierten Auslegung, vgl. RGZ 128, 92 (95). 276 So wohl Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (506 f.). 277 Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 10; Helmut Michel, JuS 1961, 274 (274); Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 97 ff. Ähnlich Otto Bachof, AöR 87 (1962), 1 (18, 20); Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (182 f.). 278 Klar ablehnend Ingo von Münch, in: ders. / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2000, Vorb. Art. 1 – 19, Rn. 66. 279 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 190 ff.; ähnlich Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 (89). Martin Schulte, Rechtsprechungseinheit als Verfassungsauftrag, 1986, S. 63, sieht die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit durch die gesetzgeberische Praxis gerade oftmals widerlegt. Christian-Friedrich Menger, VerwArch 50 (1959), 387 (389), hält die verfassungskonforme Auslegung dann für gefährlich, wenn nichts mehr für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes spricht als die Hoffnung, das Gesetz möge verfassungsgemäß sein. Dagegen betrachtet Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. A. 1995, Rn. 85, die gesetzeskonforme Auslegung der Verfassung als unproblematischen Ausdruck des Gedankens der Einheit der Rechtsordnung. 280 Kostas Chryssogonos, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, 1987, S. 162.

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sprechung mit beliebigen verfassungskonformen Deutungen aufgefüllt werden kann. 281 Ein etwas bescheidener gefasster Aussagegehalt der Vermutung, wonach eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Verfassungsmäßigkeit besteht 282 und die Gerichte den gesetzgeberischen Spielraum bei der Verfassungskonkretisierung beachten sollen, kann zur Frage der Legitimität verfassungskonformer Auslegung nichts beitragen, weil er nicht besagt, dass die Verfassung inhaltlich wirkt. 283 Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich, wenn die Vermutung auf die Ansicht gestützt wird, die Gewalt des Gesetzgebers sei grundsätzlich unbeschränkt, der Ausnahme bindender Verfassungssätze stehe so die Regel der ungebundenen gesetzgeberischen Gestaltung gegenüber. 284 Danach würden inhaltliche Bestimmungen der Verfassung gar nicht greifen, so dass der verfassungskonformen Auslegung die Grundlage entzogen wäre. 285 Sollte sich mit der Annahme, der Gesetzgeber wolle seine Gesetze in Geltung sehen, die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit doch stützen lassen, ist festzuhalten, dass es sich hier nicht um eine Rechtsvermutung handeln kann – als solche hat sie keine Grundlage – sondern lediglich eine Tatsachenvermutung 286 (präsumptio facti), die nicht viel Gewicht hat. Eine widerlegliche Tatsachenvermutung, welche nur für die Anwendung der Vorzugsregel und die Inhaltsbestimmung nachkonstitutioneller Gesetze gilt, ist kaum geeignet, die Einführung einer umfassenden neuen Methode argumentativ abzusichern. Daher werden weitere Argumente angeführt.

281 Zum Problem der Gesetzeskorrektur unten Teil 1 E V; zum Machtverlust des Gesetzgebers Teil 3 B und C, Teil 4 B II. 282 Für Matthias Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 119, stellt die Vermutung nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil dar, das widerlegbar ist. 283 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 21 f. 284 Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2293), sieht die Funktionen des Grundgesetzes – mit Ausnahme von Gesetzgebungsaufträgen und Gesetzesvorbehalten – in der Anregung und Begrenzung gesetzgeberischen Handelns, das seinen Ursprung daher ebenso in freier politischer Gestaltung nehmen könne. 285 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 187 ff. 286 So schon Helmut Michel, JuS 1961, 274 (274): Das Vorliegen der Gültigkeitsvoraussetzungen kann nicht rechtlich vermutet, sondern muss geprüft werden.

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III. Die Achtung legislativer Entscheidungen durch Normerhalt Auch das Interesse an der Normerhaltung kann im Zweifel eine verfassungskonforme Auslegung verlangen. 287 Solange eine verfassungskonforme Auslegung möglich und sinnvoll ist, darf die Norm nicht für nichtig erklärt werden. 288 Der zur Begründung der verfassungskonformen Auslegung herangezogene favor-legisGedanke 289 beruht auf zwei Überlegungen: der Achtung vor gesetzgeberischen Entscheidungsbefugnissen und dem Erhalt gerichtlicher [und behördlicher] Entscheidungsfähigkeit. 1. Verfassungskonforme Auslegung als judicial self-restraint Die Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung verlangt nicht nur Kontrolle, sondern auch gegenseitige Rücksicht. Gesetzgebung wird weitgehend als Verfassungskonkretisierung verstanden, bei der dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zusteht. In dieser Lesart stellt die verfassungskonforme Auslegung in ihrer normerhaltenden Funktion eine Form des judicial self-restraint dar. 290 Das Grundgesetz schütze die Prärogative des Gesetzgebers und wolle einen verkappten Jurisdiktionsstaat verhindern, die verfassungskonforme Auslegung sei daher der vorschnellen Annahme eines Verfassungsverstoßes vorzuziehen. 291 287 BVerfGE 69, 1 (55); 49, 148 (157). So auch Max-Emanuel Geis, NVwZ 1992, 1025 (1026), wonach das „demokratisch und rechtsstaatlich begründete Prinzip der größtmöglichen Normerhaltung“ die verfassungskonforme Auslegung rechtfertige, allerdings nicht die Analogie oder Normkorrektur. 288 BVerfGE 44, 105 (122). 289 Vgl. Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 22; Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 41; Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 45. 290 Vgl. Ingo von Münch, in: ders. / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2000, Vorb. Art. 1 – 19, Rn. 67; Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung, 1999, S. 62; sowie Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. A. 1995, Rn. 83, der aber zugleich warnt: „Allerdings ist der Vorrang des demokratischen Gesetzgebers mit dem Preis einer Umdeutung des Gesetzesinhalts durch das Verfassungsgericht erkauft; er kann wertlos werden, wenn der Preis zu hoch wird, wenn der Inhalt, den das Gericht dem Gesetz in verfassungskonformer Auslegung gibt, nicht mehr ein minus, sondern ein aliud gegenüber dem ursprünglichen Gesetzesinhalt enthält.“; sehr kritisch auch Helmut Simon, in: Ernst Benda / Werner Maihofer / Hans-Jochen Vogel (Hg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. A. 1994, § 34, Rn. 53. Für Karl-Peter Sommermann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. A. 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 260, folgt das Gebot verfassungskonformer Auslegung aus dem Prinzip der Organtreue. 291 Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 87.

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Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber soll Grund und Grenze verfassungskonformer Auslegung bestimmen. 292 Die verfassungskonforme Auslegung wird so zur Frage gelungener Gewaltenteilung. Dem folgend ist insgesamt ein Bestreben des Bundesverfassungsgerichtes zu bemerken, in der Feststellung der Verfassungswidrigkeit zurückhaltend zu sein. Dies zeigt sich an Evidenzforderungen und Appellurteilen ebenso wie an Fristsetzungen und Teilnichtigerklärungen. 293 Auch ist schon die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Festsetzung, die Möglichkeit verfassungswidriger Deutungen mache das Gesetz nicht ungültig, selbst als normerhaltendes Prinzip zu begreifen. 294 In diese Tendenz zur Rettung fehlerhafter Normen reiht sich die verfassungskonforme Auslegung zwanglos ein. 295 Doch hat schon Harald Bogs angemerkt, aus der Zielsetzung eines Auslegungsverfahrens lasse sich kein Argument für dessen Rechtmäßigkeit gewinnen. 296 Dies gilt besonders dann, wenn die propagierte Zielsetzung nur unvollständig mit den Motiven und Praktiken der Rechtsanwender / innen übereinstimmt. 2. Kein zwingender Zusammenhang von Normerhalt und Respekt vor dem Gesetzgeber Das Argument der Normerhaltung und der Respekt vor dem Gesetzgeber müssen nicht notwendig zusammenhängen. 297 Die herrschende objektive Auslegungstheorie führt ebenso wie die Vorstellung vom „lebenden Recht“ oder von der Gesetzesnorm als reiner Zeichenkette dazu, dass Gesetze als eigenständige Entitäten vom Gesetzgeber getrennt betrachtet werden. 298 Folglich wird vor einer Strapazierung des Erhaltungsprinzips gewarnt, welche die Wirkung ins Gegenteil umschlagen lassen 299 und schwerer in die Autorität des Gesetzgebers eingreifen 292

Vgl. BVerfGE 110, 226 (262 ff.); 90, 263 (275). Dazu Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 245 ff., m.w. N.; zum Zusammenhang von Appellentscheidungen und Gewaltenteilung: Tzu-hui Yang, Die Appellentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 2003, S. 280 ff. 294 Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 91. 295 Vgl. auch Peter Häberle, JöR 45 (1997), 89 (125 f.); Alfred Rinken, in: Rudolf Wassermann (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. A. 1989, Art. 94, Rn. 54 f.; Gerd Sturm, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 93, Rn. 15. 296 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 22. 297 Folgerichtig empfiehlt Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 141, dem Bundesverfassungsgericht, nicht von der Autorität der gesetzgebenden Gewalt, sondern lieber von der Autorität der Gesetze zu sprechen. 298 Dazu näher unten, Teil 1 F IV, Teil 3 C I 1. 299 So Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (183 f.): Wenn verfassungsrechtlich Zulässiges zum wirklich Gewollten erklärt wird anstatt Gewolltes als verfassungswidrig zu verwerfen. 293

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kann als eine Nichtigerklärung. 300 Hans Paul Prümm fasst pointiert zusammen: „Die Gefahr des normerhaltenden Prinzips liegt darin, daß durch diesen Begriff dem Richter suggeriert wird, er erhalte die Norm, während er realiter das Gesetz uno actu verwirft und seinen eigenen Regelungsplan an die Stelle des gesetzlichen setzt. Das reale Vorgehen wird nicht nur durch eine methodisch inadäquate Etikettierung (verfassungskonforme Auslegung) verbrämt. Der Richter kann sich sogar noch damit beruhigen, mittels der ‚Normerhaltung’ dem Gesetz einen Dienst erwiesen zu haben.“ 301 Hinzu kommt, dass auch bei besten Absichten gefragt werden muss, worin das Produkt einer normerhaltenden verfassungskonformen Auslegung tatsächlich besteht. 302 Für das Bundesverfassungsgericht ist die Möglichkeit einer einzigen verfassungsgemäßen Deutungsvariante ausreichend. So liegt eine Gefahr nicht nur darin, dass der Regelungsplan des Gesetzgebers durch gerichtliche Vorstellungen ersetzt, sondern auch darin, dass er auf eine Deutungsmöglichkeit reduziert wird. 3. Die verfassungskonforme Auslegung als Ausgleich zur repressiven Normenkontrolle Bei genauerer Betrachtung erweist sich das Gericht aber auch selbst einen Dienst, wenn es die Normverwerfung durch verfassungskonforme Auslegung vermeidet. Trotz gewisser Unklarheiten über die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung besteht in der Jurisprudenz die Neigung zu einer „Wahrung des Restes der durch 300 Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 8; Uwe Kischel, Die Begründung, 2003, S. 136; Jörn Lüdemann, JuS 2004, 27 (29); Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002, Rn. 101; Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. A. 2005, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 329 f. Kritisch auch Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (139 f.), mit Blick auf die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit. 301 Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 266. – Die Lösungsvorschläge für dieses Dilemma sind nicht selten enttäuschend. So will bsw. Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 87, angesichts der Schwächen der historischen Interpretation eine verkappte Jurisdiktionsherrschaft dadurch verhindern, dass auf den Gedanken der „vertretbaren Normerhaltung“ abgestellt wird, ohne Erläuterungen daran zu verschwenden, was vertretbar sein soll und wer das bestimmt; auch der apodiktische Verweis auf die Planerhaltung und die Nennung des Begriffes favor legis vermögen den Grundsatz der Normerhaltung hier nicht über einen methodologischen Glaubenssatz zu erheben. 302 Für eine ehrliche Folgenbetrachtung auch Christoph Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze, 1966, S. 148 f.: „Gerade unter dem Gesichtspunkt des Übergangsproblems kann eine verfassungskonforme Gesetzesauslegung mit der teilweisen Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes gleichbedeutend sein. Inhalt und Geltungsweise eines Rechtssatzes können sich dadurch völlig ändern und es ist notwendig, auch einmal nach den Folgen einer verfassungskonformen Gesetzesauslegung zu fragen. Dabei wird sich klären, ob das Ausweichen vor einer Nichtigerklärung in eine verfassungskonforme Gesetzesauslegung überhaupt die Folgen abwenden kann.“

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Richterrecht überholten Gesetzesbindung“ 303, welche sich im Wunsch nach einer gesetzlichen Entscheidungsnorm auszudrücken pflegt. Die Nichtigerklärung einer verfassungswidrigen oder zweifelhaften Norm kann zu einer Regelungslücke führen 304 und so eine gelungene Rechtsanwendung ausschließen. 305 Dieses Problem ist für Behörden, deren Befugnis zur Rechtsfortbildung umstritten ist, 306 noch gravierender. Der Normerhalt durch verfassungskonforme Auslegung ist daher auch ein Ausgleich zur möglichen Normkassation durch das Bundesverfassungsgericht. 307 „Der Grundsatz der verfassungskonformen Gesetzesauslegung trat in Deutschland seinen Siegeszug an, als man sich der Nachteile einer repressiven Normenkontrolle bewusst wurde.“ 308 „Er ist methodisch zumindest bedenklich und rechtlich nicht einwandfrei fundiert. So wird die Annahme bestätigt, daß ausschließlich praktische Gesichtspunkte maßgeblich waren. Es ist kein Zufall, daß das Gebot eingeführt wurde, kurz nachdem sich die Nachteile repressiver Normenkontrolle herausgestellt hatten.“ 309 4. Die begrenzte Reichweite des favor-legis-Gedankens Die legitimierende Wirkung des favor-legis-Gedankens ist folglich ebenso begrenzt wie die Rechtfertigungskraft der Vermutung der Verfassungsmäßigkeit. Vorkonstitutionelle Gesetze sollen gemäß Art. 123 Abs. 1 GG nur fortgelten, soweit sie dem Grundgesetz nicht widersprechen. Auch beziehen sich die Idee richterlicher Zurückhaltung auf das Konzept der Gewaltenteilung, wie es im Grundgesetz konzipiert ist, und der Respekt vor dem Gesetzgeber auf den nach Vorschriften des Grundgesetzes demokratisch legitimierten Gesetzgeber. Allerdings kann der Gedanke der richterlichen und behördlichen Entscheidungsfähigkeit für vorkonstitutionelle Gesetze an Bedeutung gewinnen.

303 Thomas Drosdeck, Die herrschende Meinung, 1989, S. 122, der dies als erhebliches Problem in unserer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft mit ihrem sich parallel ausdifferenzierenden Rechtssystem diagnostiziert. 304 Vgl. BVerfGE 103, 111 (141 f.); 101, 312 (330); 89, 48 (66 f.); Fritz Ossenbühl, NJW 1986, 2805 (2808). 305 Für Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 70, Rn. 126, folgt die Pflicht zur harmonisierenden Auslegung daher aus der Gesetzesbindung von Judikative und Exekutive. 306 Zur Lückenschließung durch die Verwaltung: BVerfGE 99, 216 (244 f.). 307 Vgl. Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 457, wonach die Normenkontrolle als Alternative zur verfassungskonformen Auslegung „auch denkbar unzweckmäßig“ wäre. 308 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 16. 309 Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 106.

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Auch der favor-legis-Gedanke befasst sich mit der Problematik zweifelhafter, aber eventuell noch zu rettender Gesetzesnormen. Er kann daher weder eine verfassungsorientierte Auslegung noch eine verfassungskonforme Rechtsfortbildung rechtfertigen. Wird die Notwendigkeit des Normerhalts angeführt, um die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel oder als Inhaltsbestimmung mit Hilfe der Verfassung zu legitimieren, ist stets genau darzulegen, ob es um gesetzgeberische Entscheidungsfreiräume oder gerichtliche [bzw. behördliche] Entscheidungsfähigkeit geht.

IV. Die Einheit der Rechtsordnung Der bayerische Verfassungsgerichtshof hat den Begriff der Einheit der Rechtsordnung zuerst mit der verfassungskonformen Auslegung in Verbindung gebracht. 310 Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung beschreibt die Anforderung an ein Rechtssystem, widerspruchsfrei zu sein, 311 wobei umstritten ist, ob Widerspruchsfreiheit nur formale oder auch inhaltliche Konformität meint. Nach einem weitergehenden Verständnis beschreibt er überdies die Anforderung an ein Rechtssystem, lückenlos zu sein, 312 Antworten auf alle Rechtsfragen bereit zu halten. Eine der großen Streitfragen ist, ob die – wie auch immer konkret verstandene 313 – Einheit der Rechtsordnung bereits vorhanden und damit nur zu erkennen oder erst herzustellen, zu erschaffen ist. 314

310 BayVGH, DÖV 1952, 373 (374). Auf diese Entscheidung wird in BVerfGE 2, 266 (282) verwiesen. 311 Statt vieler: Karl Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 1 ff., 41 ff.; Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 81. 312 Laut Dagmar Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 142, ist mit Einheit der Rechtsordnung heute nur noch Widerspruchslosigkeit, nicht auch Lückenlosigkeit gemeint. Sehr weitgehend war das Verständnis bei Albert Hensel, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 84, S. 313 (313), wonach von jedem Normensystem gefordert werde, dass es eine und nur eine Antwort auf jede Frage bereithält. 313 Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979, S. 9, stellt fest, dass unter Einheit von formaler Summierung bis zum metaphysischen Programm vielerlei verstanden wird; oft sei schlicht der Vorgang der systematischen Interpretation gemeint (S. 63). 314 Vgl. Peter Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 29, Fn. 8. Eindeutig Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 75, wonach die Verschiedenartigkeit der politischen Systeme, denen in Deutschland geltende Gesetze entstammen, die Einheit der Rechtsordnung zu einer schöpferischen Aufgabe macht; auch Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 613, geht von der nachträglichen Schaffung des Systems durch wissenschaftliche Behandlung des Rechtsstoffes aus.

D. Die Legitimation der verfassungskonformen Auslegung

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1. Systematisierung des Rechts und Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung ist deshalb so bedeutsam, weil die Möglichkeit seiner Verwirklichung durch die Jurisprudenz immer auch mit ihrem Wissenschaftscharakter in Verbindung gebracht wurde. Die juristische Dogmatik muss auf das positive Recht bezogen sein, will sie sinnvolle Aussagen treffen. Diese Abhängigkeit von einer fremdbestimmten und wandelbaren Materie ist aber zugleich wissenschaftsfeindlich: „Indem die Wissenschaft das Zufällige zu ihrem Gegenstande macht, wird sie selbst zur Zufälligkeit; drei berichtigende Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur.“ 315 Daher wird die Eigenleistung der Jurisprudenz als Wissenschaft meist in der Systematisierung des reichlich vorhandenen und komplexen Rechtsstoffes gesehen. 316 Friedrich Müller markiert den Paradigmenwechsel im 19. Jahrhundert, nach dem die widerspruchslose und lückenfreie Einheit nicht mehr vom positiven Recht, sondern aus einem begrifflichen System als Erzeugnis der Rechtswissenschaft erwartet wurde. 317 Auch Manfred Baldus beschreibt, wie nach einem kantianischen Wissenschaftsverständnis die Einheit zum Kriterium für die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz wurde. 318 Noch heute ist die Frage des Systems eines der zentralen Elemente methodologischer Überlegungen in der Jurisprudenz 319 und die Möglichkeit von Systematisierung wird als Bedingung der Möglichkeit von 315 Julius Hermann von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 23; vgl. auch Rudolf von Ihering, Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft? (1868), 1998, S. 50: „Dieses Moment des Positiven lastet schwer auf der Jurisprudenz.“ Weitere Probleme mit der Positivität des Rechts werden von Gerd Roellecke, in: Rolf Gröschner / Martin Morlok (Hg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik, 1997, S. 68 (71 ff.), pointiert mit der streitbaren These herausgestellt, alle Rechtsänderungen seien strukturell ungerecht. 316 Vgl. Karl Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 1 ff., 67 ff.; weitergehend Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 9, wonach die Rechtsdogmatik das geltende Recht in konsistenter, widerspruchsloser Einheit darstellen will. 317 Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979, S. 93; pointiert ders., in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 65 (71): „Nach dem Ende der Illusion, das systematisierte, formalisierte, bürokratisierte Recht des modernen kontinentalen Anstaltsstaates sei substantiell geschlossen, sollte wenigstens noch die Jurisprudenz als geschlossen begriffliches System betrieben werden.“ [Hervorhebungen im Original.] Zur Bedeutung des Systems bei Savigny vgl. Walter Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre, 2. A. 2003, S. 24 ff., 44 ff., 57 ff., 63 ff. 318 Manfred Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung, 1995, S. 35 ff.; 80 ff.; 94 ff. Zur vorhergehenden Entwicklung des Systems als Begründungszusammenhang und zum Paradigmenwechsel von der Ordnung zur Erkenntnis vgl. Andreas Görgen, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 86 (88 f., 102 ff.). 319 Vgl. nur Andreas von Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 252 ff.; Jürgen Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, 1971, S. 51 ff., 65 ff.; Christian Bumke,

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wissenschaftlicher Befassung mit Recht überhaupt angesehen 320. Unklar bleibt manchmal, ob Maßstab für den wissenschaftlichen Gehalt von Dogmatik und Methodenlehre die Erkenntnis eines bereits bestehenden oder die Entwicklung eines dem veränderlichen Recht adäquaten Systems ist. Dies hat nicht zuletzt erheblichen Einfluss auf das Verständnis der systematischen Auslegung. 321 2. Einheit durch (verfassungskonforme) Auslegung? Auch die Rechtspraxis steht unter dem Anspruch des Systemgedankens. Die Einheit der Rechtsordnung wird als Rechtfertigung, 322 Zweck 323 oder Funktion 324 Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 23 ff., 37 ff.; Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 1969, insbes. S. 86 ff., 95 ff. – kritisch zu Canaris und selbst deutlich differenzierter ist Franz-Joseph Peine, Das Recht als System, 1983, S. 20 ff., 60 ff., 114 ff. –; Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 77 ff.; Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 105 ff., 123 ff.; Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 156 ff., 175 ff.; Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, 1840, passim; Alexander Somek, Rechtssystem und Republik, 1992, passim; Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 79 ff. 320 Vgl. Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 104: „Ohne Zurückgehen auf die Grundwerte gibt es keine Systematik und keine konzeptionelle Einheit, ohne sie gibt es keine grundgesetzliche Verfassungstheorie und keine adäquate Rechtstheorie.“ Deutlich berühmter und prägnanter ist Hans Julius Wolff, Studium Generale 5 (1952), 195 (205): „Rechtswissenschaft zumindest ist systematisch oder sie ist nicht!“ – Zur Tradition des Systemdenkens auch Niklas Luhmann, in: Hans Albert u. a. (Hg.), Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, 1972, S. 255 (256 ff.). 321 Vgl. nur Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 148 ff., der die Einheit der Rechtsordnung als fruchtbare Fiktion begreift, was ein sehr weites Verständnis von systematischer Auslegung mit diversen Untergruppen nach sich zieht; für Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 76, ist im Interesse der inneren Systematik eine rangkonforme Auslegung geboten; dagegen ist die Herstellung von Widerspruchsfreiheit nach Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 150, nicht von der systematischen Auslegung umfasst, sondern gehört zum teleologischen Element; Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 39, warnt vor den Gefahren systematisierender Auslegung. Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 188 ff., lehnt eine Auslegung aus dem System als demokratiefeindliche Fiktion ab. Bei Alexander Somek, Rechtssystem und Republik, 1992, S. 441 ff., steht nicht die Auslegung, sondern die systematische Anwendung im Vordergrund. 322 Vgl. Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 (86), wonach das Prinzip der Einheit und der Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung die verfassungskonforme Auslegung gebietet; ferner Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 (109). Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. A. 1995, Rn. 81, spricht von der Wurzel des Grundsatzes verfassungskonformer Auslegung. 323 Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung, 1999, S. 52. Ablehnend Theodor Schilling, Rang und Geltung von Normen, 1994, S. 475, wonach die richtlinienkonfor-

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der verfassungskonformen Auslegung verstanden. Jede richterliche Tätigkeit als Integration ziele auf die Einheit der Rechtsordnung ab, 325 die verfassungskonforme Auslegung aber besonders. 326 Die Verfassung soll das positive Recht verklammern, verfassungskonforme Gesetzgebung und Auslegung sollen gemeinsam dem drohenden Verlust von Zusammenhang und Transparenz in der Rechtsordnung entgegen wirken. 327 „Die verfassungskonforme Auslegung dient damit der Verwirklichung der Einheit der Rechtsordnung im Geiste der Verfassung.“ 328 Nicht selten wird davon ausgegangen, dass die Einheit der Rechtsordnung nur erkannt werden muss. Volker Haak führt aus, die Verfassung sei Teil der Gesamtrechtsordnung, deren Einheit auf dem Deduktionszusammenhang aus Prinzipien der Verfassung beruhe, wobei die Schnittmengen von Gesetzen und Verfassung die die Einheit der Rechtsordnung darstellende und zugleich ihre Lückenlosigkeit sichernde Möglichkeit bildeten. 329 Ebenso ist denkbar, dass die erwünschte Einheit eine Eigenleistung der Rechtsanwender / innen verlangt. Nach Valentin Petev brachte die Auffassung des Rechts als System schon im Mittelalter die Einsicht mit sich, dass eine systematisierende Interpretation notwendig sei, um die konzeptionelle und inhaltliche Einheit des Rechts herzustellen. 330 Karl Engisch bezeichnet den Einheitsgedanken als Axiom und Postulat für die juristische Arbeit. 331 Friedrich Carl von Savigny gibt Regeln an, wie die Einheit des Rechts durch die Bereinigung von Widersprüchen und die Schließung von Lücken erreicht werden kann. 332 Auch Bernd Rüthers spricht von einer hermeneutischen Leistung me Auslegung der Einheit der Rechtsordnung dient, die verfassungskonforme Auslegung dagegen nicht. 324 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 132. 325 Vgl. BGH, JZ 1960, 164 (167): „Die Auslegung hat auch darauf bedacht zu sein, dass sich die Gesamtheit der gesetzlichen Regelungen tunlichst zu einem widerspruchslosen Ganzen zusammenfügt.“ Auch für Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 9. A. 2005, S. 49, 52 ff., ist ein Ziel der Auslegung die Wahrung der „Einheit des Rechts“. 326 Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 50 ff. Anders zur richterlichen Integration Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 129, der die integrative Kraft der Verfassung durch die divergierende richterliche Auslegung selbiger begrenzt sieht. 327 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 149 (Schlussworte). 328 Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 144 (Schlussworte). 329 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 226 ff. 330 Valentin Petev, Das Recht der offenen Gesellschaft, 2001, S. 32. 331 Karl Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 69 ff., 83 f. 332 Vgl. Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 263 ff.; Manfred Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung, 1995, S. 68 ff., charakterisiert Savignys Vorstellungen treffend mit „die dem Recht innewohnende, zu enthüllende und zu vollendende Einheit“.

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der Gerichte. 333 Danach wäre das Streben nach Einheit nicht mehr nur rechtswissenschaftliche Herausforderung, sondern auch rechtspraktische Zielsetzung, die Kompatibilisierung durch Interpretation verlangt. Eine so verstandene Einheitsforderung kann sowohl verfassungskonforme Inhaltsbestimmung und Vorzugsregel als auch die verfassungsorientierte Auslegung legitimieren. Ferner stehen gerade vorkonstitutionelle Gesetze, die sich in einem indifferenten Verhältnis zur Verfassung befinden, unter einem besonderen Anpassungsdruck. 334 Fraglich ist allerdings, ob die korrigierende Einpassung vorkonstitutioneller Gesetze in die grundgesetzliche Ordnung noch als verfassungskonforme Auslegung zu qualifizieren ist oder mit diesem Begriff nicht eher Nichtigerklärungen mit nachfolgender Lückenergänzung getarnt werden 335. Wird zur Einheit auch die Lückenlosigkeit des Rechtssystems gezählt, kann schließlich die verfassungskonforme Rechtsfortbildung auf diese Weise begründet werden. Damit reicht die rechtfertigende Kraft der Einheit der Rechtsordnung deutlich weiter als die der schon angeführten Prinzipien. Sie sieht sich aber Einwänden ausgesetzt. 3. Einheitsdrang und Selbständigkeit des Systems Die Gefahr jedes Systemdenkens in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis ist, dass ein eigenständig entdecktes oder entwickeltes System für gut befunden und entgegenstehendes geltendes Recht ignoriert wird. 336 Die Forderung nach Einheit und Widerspruchslosigkeit sollte jenseits des Strebens der Jurisprudenz nach Anerkennung als Wissenschaft auch rechtsnormativ begründet werden können. Insofern nicht ganz überzeugend ist es, die Gebote von Gleichheit und Rechtssicherheit als Ausdruck von Gerechtigkeit 337 heranzuziehen. Vielmehr hat Dagmar 333

Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 146, 278. Vgl. nur Christoph Moench, Verfassungswidriges Gesetz und Normenkontrolle, 1977, S. 22. 335 Diese Vermutung äußert Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 255 ff. Sie wird durch die Ausführungen von Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 75 f., eindrucksvoll bestätigt; nach dessen Auffassung macht auch erst die weite verfassungskonforme Auslegung die Beschränkung der Normenkontrolle im Bereich vorkonstitutioneller Gesetze erträglich (S. 81 f.). 336 Auch Uwe Kischel, AöR 124 (1999), 174 (176), und Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 85, warnen davor, eine wissenschaftliche Systematik von außen an das Recht heranzutragen. – Damit ist das Spannungsverhältnis aufgetan zwischen der Rechtswissenschaft, deren Eigengesetzlichkeit Systematik und Widerspruchsfreiheit verlangt, und dem positiven Recht, das grundsätzlich auch die Geltung einander widersprechender Normen vorsehen kann. Zumindest teilweise aufgelöst werden kann diese Spannung durch die Erkenntnis, dass der reinen Beschreibung von Widersprüchen nicht zwingend selbst der Makel der Inkonsistenz anhaftet. Vgl. auch Michael Schmidt, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 87 (91). 334

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Felix überzeugend dargelegt, dass die Einheit der Rechtsordnung verfassungsrechtlich nicht gefordert ist. 338 Allerdings will sie im Verhältnis von Verfassung und einfachem Recht eine Ausnahme machen, die verfassungskonforme Auslegung soll durch die Einheit der Rechtsordnung gerechtfertigt sein. 339 Die Befreiung vom Einheitszwang bezieht sich damit nur auf das Gesetzesrecht selbst, nicht auf das Verhältnis der Normstufen zueinander. 340 Wenn zunächst das geltende Rechtssystem zu betrachten ist, können Konflikte zwischen Normstufen aber auch durch dessen Kollisionsregeln gelöst werden. Die Einheit von Verfassung und einfachem Recht lässt sich ebenso durch die Kassation verfassungswidriger Normen herstellen. 341 Eine konsistente Begründung der Einheit der Rechtsordnung als Grundlage der verfassungskonformen Auslegung verlangt daher, dass neben der Widerspruchslosigkeit auch Normerhaltung ihr Ziel ist. 342 Zudem müsste dargelegt werden, dass Gerichte bzw. Verwaltungsbehörden dazu befugt sind, im Interesse größerer Einheit zweifelhafte Gesetze interpretatorisch anzupassen. Die Rechtsordnung umfasst auch Kompetenznormen, ihre Einheit kann daher nur im Rahmen dieser hergestellt werden. Das Argument der Einheit der Rechtsordnung wird wohl auch deshalb selten isoliert verwendet, wahlweise sind der Vorrang der Verfassung 343, die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit 344 oder „komplexe Begründungszusammenhänge“ 345 337

Vgl. Martin Schulte, Rechtsprechungseinheit als Verfassungsauftrag, 1986, S. 18, dem es im Übrigen nicht gelingt, den von ihm postulierten Verfassungsauftrag überzeugend durch irgendwelche Verfassungsnormen zu stützen (passim). 338 Dagmar Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 400 f., eine Ausnahme finde sich im Umweltstrafrecht. Uwe Kischel, AöR 124 (1999), S. 174 –211, führt aus, dass sich selbst aus dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG keine Systembindung des Gesetzgebers ableiten lasse; kritisch auch Franz-Joseph Peine, Systemgerechtigkeit, 1985, S. 180 ff., 208 ff. 339 Dagmar Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 177 ff. 340 Die Regelung der Bestandskraft rechtswidriger Verwaltungsakte zeigt aber, dass das Rechtssystem auch Widersprüche zwischen verschiedenrangigen Normen pragmatisch in Kauf nimmt und rechtlich absichert. Zum Fehlerkalkül als Strukturelement der Rechtsordnung vgl. ausführlich Teil 2 C II, Teil 3 A I. 341 So zutreffend Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (183). Vgl. auch Helmut Michel, JuS 1961, 274 (275 f.); Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 106. 342 Dies ist für Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 101, nicht belegt. 343 Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 13; Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 88 f. – Die Verbindung von Vorrang der Verfassung und Einheit der Rechtsordnung führt bei Peter Metzger, Der Persönlichkeitsschutz als Problem der Einheit der Rechtsordnung, 1993, S. 46, zu einer Form unmittelbarer Drittwirkung der Grundrechte (S. 69), bei der sich der Persönlichkeitsschutz brachial in der gesamten Rechtsordnung durchsetzen kann (S. 220, 251).

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hinzuzuziehen. Auch diese Bemühungen beantworten jedoch nicht die sich aufdrängende Frage, wie die verfassungskonforme Auslegung die Einheit der Rechtsordnung sichern soll, solange über die Auslegung der Verfassung 346 selbst keine Einigkeit besteht.

V. Der Vorrang der Verfassung Die Problematik divergierender Verfassungs-Vorverständnisse wird noch deutlicher, wenn der Vorrang der Verfassung zur Begründung der verfassungskonformen Auslegung herangezogen wird. 347 Der Vorrang der Verfassung ist ein zentraler Gedanke des grundgesetzlichen Rechtsstaates: die Bindung des demokratischen Souveräns an die Verfassung. 348 Der Verfassung als ranghöchster Rechtsquelle darf das Unterverfassungsrecht grundsätzlich nicht widersprechen. Doch nicht nur die gesetzgebende Gewalt, sondern auch die Rechtsanwender / innen sind an die Verfassung gebunden. Der Vorrang der Verfassung kann kompliziert abgeleitet oder direkt Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3, Art. 79 Abs. 3 GG entnommen werden. 1. Die inhaltliche Wirkung der Verfassung Der Vorrang der Verfassung wird als Grundlage der verfassungskonformen Auslegung betrachtet, da hiernach die verfassungskonforme die verfassungsdifforme Auslegung verdränge. 349 Zweifelhaft ist aber, ob damit mehr als das Verbot verfassungsdifformer Auslegung dargetan ist. Aus der „gesteigerten“ Verfassungsbindung des Richters wird nur dessen Befugnis gefolgert, die Anwendung des verfassungswidrigen Gesetzes abzulehnen. 350 Selbst wenn aus dem Vorrang der 344

Nach Werner Frotscher, Die Abgrenzung der Zuständigkeit, 1964, S. 46, nur sekundär heranzuziehen. 345 So Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 44. 346 Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 20, bezeichnet das Verfassungs(vor)verständnis des Richters als Metaproblem der verfassungskonformen Auslegung. 347 Schließlich sind die Möglichkeiten bzw. Gefahren eines richterlichen Primats unter Berufung auf die Verfassung nicht zuletzt davon abhängig, ob die Verfassung als Wertordnung, Legitimationsgrundlage oder in einer rein begrenzenden Funktion verstanden wird. Vgl. nur die unterschiedlichen Positionen von Otto Bachof, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, 1961, S. 26 (33 f.), und Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2292 f.). 348 Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 81. Zur geschichtlichen Entwicklung des Vorrangprinzips in Deutschland vgl. Rainer Wahl, Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, 2003, S. 121 ff. 349 So Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 19 f.; vgl. auch Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 457. 350 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 128.

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Verfassung auf deren inhaltliche Ausstrahlungswirkung geschlossen wird, ist damit noch nicht der unbedingte Vorrang der verfassungskonformen Auslegung bewiesen. 351 Helmut Michel verbindet die Einheit der Rechtsordnung mit deren Stufenbau, aus dem er folgert, dass Normen der höheren Stufen die Normen der unteren Stufen inhaltlich bestimmen. 352 Die ranghöhere Norm überstrahle vermöge ihrer erhöhten Geltungskraft die rangniedere, weshalb letztere zwingend in Übereinstimmung mit ersterer auszulegen sei. 353 Dagegen wird vorgebracht, die Lehre vom Stufenbau beschreibe nur einen formalen Geltungs-, nicht aber einen inhaltlichen Ableitungszusammenhang, und könne daher nicht zur Begründung der verfassungskonformen Auslegung herangezogen werden. 354 Auch Rainer Wahl spricht sich gegen eine Annäherung von Verfassung und Gesetzen aus: „Der Vorrang der Verfassung verlangt Differenzierung und Distanz zwischen den Normebenen; er ist ein Konzept der Trennung, nicht des Zusammenwirkens.“ 355 In diesen Kontroversen wird deutlich, dass die Vorstellungen über die Funktionen der Verfassung entscheidende Bedeutung dafür haben, ob die verfassungskonforme Auslegung als Inhaltsbestimmung mit Hilfe der Verfassung begründet werden kann. 356 Mit Blick auf die Gesetze hat die Verfassung zunächst vor allem die Funktionen der Rechtsquelle für den Erlass von Gesetzen und des Kontrollmaß351 Jedenfalls nicht für Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 17 f., und Ernst Höhn, Praktische Methodik der Gesetzesauslegung, 1993, S. 246. 352 Helmut Michel, JuS 1961, 274 (276). [Hervorhebung im Original.] So auch Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 23; Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 763; Erwin Stein, NJW 1964, 1745 (1750); Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 (109); sowie Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 96 f., der aber darauf besteht, dass trotzdem die „normnächste“ Interpretation zu wählen ist. 353 Helmut Michel, JuS 1961, 274 (276). – Vermutlich meint Helmut Michel mit der „erhöhten Geltungskraft“ die erschwerte Abänderbarkeit bzw. die derogatorische Kraft von Verfassungsnormen. Nicht dargetan ist hingegen, warum sich diese (unstreitigen) Eigenschaften auf den Inhalt anderer Normen auswirken sollten. 354 So Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 90; Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 16; Hans-Joachim Mertens, JuS 1962, 261 (263); Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 100 f. – Anders Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 152 ff., unter [zumindest missverständlicher] Berufung auf Hans Kelsens Reine Rechtslehre, 2. A. 1960. – Zum Stufenbau der Rechtsordnung nach der Konzeption der Reinen Rechtslehre ausführlich in Teil 2 C I. 355 Rainer Wahl, Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, 2003, S. 123. 356 Exemplarisch sind in der Debatte aber leider apodiktische Äußerungen wie die von Wolfram Höfling, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 1, Rn. 100: Das gesamte Recht stehe unter dem Vorrang der Verfassung, sei an ihr zu messen und ihren Grundsätzen gemäß auszulegen.

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stabes in der Normenkontrolle. Die Verfassung hat damit entscheidende Bedeutung für die Geltung von Gesetzen. Um die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung und die verfassungsorientierte Auslegung zu begründen, müsste die Verfassung daneben die Funktion haben, inhaltlich auf Gesetze einzuwirken. 2. Die Bewältigung der Doppelbindung Den Gerichten und Verwaltungsbehörden ist aber aufgegeben, nicht nur die Verfassung, sondern auch die Akte des Gesetzgebers zu respektieren. Rechtsprechung und Verwaltung sind nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Eine isolierte Betrachtung dieser Regelung kann zu Fehlschlüssen führen, weil sie keine Auskunft darüber gibt, dass die Rechtsanwender / innen grundrechtliche Gesetzesvorbehalte sowie den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes beachten müssen. 357 Auch durch Art. 20 Abs. 3 GG werden Gerichte und Verwaltungsbehörden an Recht und Gesetz gebunden. Der Bedeutungsgehalt des Begriffes Recht ist für diese Norm zwar nicht abschließend geklärt, 358 es ist aber unstreitig, dass die Rechtsanwender / innen einer Doppelbindung an die Verfassung und die Gesetze unterliegen. Im Dienste zweier Herren können sich Konflikte ergeben. Wird die Verfassungsbindung einseitig in den Vordergrund gestellt, verliert die – in der Verfassung zentral positionierte – Gesetzgebung ihre Funktion; soll nur die Gesetzesbindung relevant sein, wird die Höherrangigkeit der Verfassung missachtet. Ein Weg zur Problemlösung soll die Unterscheidung von mittelbarer und unmittelbarer Verfassungsbindung sein. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, bei der Auslegung und Anwendung verfassungsmäßiger Gesetze gewährleiste schon die Gesetzesbindung des Gerichtes das verfassungsmäßige Ergebnis. 359 Die Verfassungsbindung äußert sich zunächst also mittelbar insofern, als das Gericht darauf zu achten hat, dass es nur verfassungsmäßige Gesetze seiner Entscheidung 357

Ausführlich zu den Gesetzesvorbehalten in Teil 3 E I. Grob gesehen, gibt es drei Möglichkeiten: Recht hat keinen eigenen Bedeutungsgehalt und steht dort nur des sprachlichen Wohlklanges wegen. Recht meint die Verfassung. Recht umfasst auch überpositives Recht. Eine umfassende Analyse leistet Birgit Hoffmann, Das Verhältnis von Gesetz und Recht, 2003. Vgl. ferner statt vieler Richard Bäumlin / Helmut Ridder, in: Rudolf Wassermann (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. A. 1989, Art. 20, Abs. 1 –3, Rn. 54 f. [erfrischend anders]; Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 4, 1977, S. 325 ff.; Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Verfassungsgrundsätze), Rn. 49 ff. (Stand: 1980); Hans D. Jarass, in: ders. / Bodo Pieroth, Grundgesetz, 8. A. 2006, Art. 20, Rn. 38; Gerd Roellecke, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 1, 2002, Art. 20, Rn. 143 ff.; Michael Sachs, in: ders. (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 20, Rn. 103 ff.; Friedrich E. Schnapp, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 5. A. 2001, Art. 20, Rn. 43, m.w. N.; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 94; KarlPeter Sommermann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. A. 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 265 ff., m.w. N. 358

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zugrunde legt. Eine unmittelbare Verfassungsbindung soll grundsätzlich erst eintreten, wenn der Bezugspunkt der Gesetzesbindung fehlt, weil das Gesetz nichtig und aus der Rechtsordnung ausgeschieden ist. 360 Trotz der Höherrangigkeit der Verfassung selbst ist die unmittelbare Verfassungsbindung der Gerichte subsidiär und kommt erst dort zum Tragen, wo das Gericht nicht mehr auf seine Bindung an das verfassungsmäßige Gesetz verwiesen werden kann. Mit diesem Konzept ist der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung, der Vorzugsregel und wohl auch der verfassungsorientierten Auslegung der Boden entzogen. Die Legitimation der verfassungskonformen Rechtsfortbildung lässt sich dagegen plausibel darlegen. 361 Allerdings macht die Prämisse, aus der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes folge zwingend die Verfassungsmäßigkeit des Urteils, das Gericht einmal mehr zum Subsumtionsautomaten. Nicht umsonst prüft das Bundesverfassungsgericht bei der Urteilsverfassungsbeschwerde nicht nur inzident die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage, sondern auch explizit die Verfassungsmäßigkeit ihrer Auslegung und Anwendung. 362 Nach überwiegender Ansicht müssen Gerichte und Verwaltungsbehörden die Verfassung aber nicht erst beachten, wenn es an einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage fehlt, sondern bei jeder Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts. Die verfassungskonforme Auslegung selbst wird daher als Institut zur Bewältigung der Doppelbindung bezeichnet. 363 In ihr würden sich die richterliche Bindung an das Gesetz und an die Verfassung gleichsam verschränken, 364 sie stelle eine schöpferische Gesamtleistung dar 365. Nebeneffekt dieser Bewältigungsstrate359 So Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 81; Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 110; vgl. ferner Hans Schneider, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 390 (403), beschränkt auf die Frage der Verhältnismäßigkeit. 360 Vgl. Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 83; Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 153; für eine unmittelbare Grundrechtsbindung aus Art. 1 Abs. 3 GG aber: Günter Dürig, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 1, Rn. 93 (Stand: 1958); Philip Kunig, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2000, Art. 1, Rn. 50. Ablehnend: Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Verfassungsgrundsätze), Rn. 26 ff. (Stand: 1980). 361 Explizit gegen einen Durchgriff auf materielle Verfassungsnormen: Gerd Roellecke, VVDStRL 34 (1976), 7 (35 ff., 39), mit der Begründung, die Verfassung sei nicht Grund, sondern Grenze. Anne Röthel, JuS 2001, 424 (426 f.), plädiert mit Blick auf Gewaltenteilung, Rechtsstaat und mögliche Normenkontrolle für eine strikte Gesetzesbindung der Rechtsprechung und beschränkt die zulässigen Phänomene verfassungskonformer Auslegung daher auf die verfassungsorientierte Auslegung. 362 Vgl. Hans Heinrich Rupp, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 364 (365), der davon ausgeht, dass eigenständige Grundrechtsverletzungen der gesetzesgebundenen Rechtsanwendung sehr selten sind, eine Ausnahme bilde der Bereich der „verfassungskonformen“ Auslegung. Zur Bedeutung der Verfassung bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen vgl. ausführlich Teil 4.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

gie ist allerdings die Auflösung der Gesetzesbindung in eine Deutungsbindung, da die Rechtsanwender / innen die zuerst gefundene verfassungskonforme Auslegungsvariante zugrunde legen müssen. Während bei der Normenkontrolle nur das Ob der Gesetzesbindung von der Verfassung bestimmt wird, ist bei der verfassungskonformen Auslegung auch der Inhalt der Gesetzesbindung durch die Verfassung determiniert. 3. Verfassungsvorrang und verfassungskonforme Auslegung Soll mit dem Vorrang der Verfassung die verfassungskonforme Auslegung als Inhaltsbestimmung begründet werden, ist zunächst darzulegen, dass die Verfassung auch inhaltlich auf Gesetze einwirkt, dies ist umstritten. Geht es um die Rechtfertigung der verfassungskonformen Auslegung als Vorzugsregel, stellt sich die Frage, ob eine Deutungsbindung in jedem Fall dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gesetzesbindung entsprechen kann. Wird die verfassungsorientierte Auslegung als Auftrag des Gesetzgebers verstanden, gesetzliche Freiräume auszufüllen, bietet sich in der Tat die Verfassung als Maßstab an, sofern nicht ein spezifisches Verständnis des Art. 20 Abs. 3 GG einen Rückgriff auf überpositives Recht als attraktiver erscheinen lässt. Die verfassungskonforme Rechtsfortbildung kann durch ein Konzept der Trennung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Verfassungsbindung legitimiert werden, dies ist aber nicht mehrheitsfähig. Der Rekurs auf den Vorrang der Verfassung liegt zwar zunächst nahe, um die Phänomene verfassungskonformer Auslegung zu begründen. Er wirft aber mehr Fragen auf, als er beantworten kann, insbesondere die nach den Funktionen der Verfassung und der Bewältigung mehrfacher Normbindungen in einem gestuften Rechtssystem.

VI. Grundrechtsschutz und Justizgewährungsanspruch Die verfassungskonforme Auslegung soll nicht nur die Autorität der Verfassung oder des Gesetzgebers schützen, sondern auch den Interessen der Rechtsunterworfenen dienen. Diese können ihre Grundrechte als Abwehrrechte 366 dem Staat entgegen halten und sie genießen Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt nach 363

Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 1 III, Rn. 84. Für Christian Starck, VVDStRL 34 (1976), 43 (48), gebietet die Doppelbindung die verfassungskonforme fachgerichtliche Auslegung. 364 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 24. 365 Friedrich Schack, JuS 1969, 269 (271). 366 Vgl. dazu Fritz Ossenbühl, NJW 1976, 2100 (2100 f.), nach dessen Ansicht diese Funktion in der bundesrepublikanischen Wohlstandsgesellschaft auch völlig ausreichend ist (S. 2107). Differenziert zur Geschichte der Abwehrdimension der Grundrechte in Deutschland: Horst Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 27 ff.; ausführlich zu Grundrechten als negatorischen Rechten auch: Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrech-

D. Die Legitimation der verfassungskonformen Auslegung

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Art. 19 Abs. 4 GG. Die verfassungskonforme als grundrechtskonforme Auslegung könnte sich daher mit einem Anspruch der Bürger / innen aus ihren Grundrechten begründen lassen. Ferner könnte das Justizgewährungsgebot einen Anspruch auf verfassungskonforme als normerhaltende Auslegung oder auf verfassungskonforme Rechtsfortbildung vermitteln. Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung ließen sich damit nicht nur aus allgemeinen Verfassungsprinzipien, sondern auch aus subjektiv-öffentlichen Rechten 367 legitimieren. 1. Grundrechtsschutz und verfassungskonforme Auslegung Nach Art. 1 Abs. 3 GG ist alle staatliche Gewalt an die Grundrechte gebunden. Für die Rechtsanwendungsinstanzen soll die Bedeutung der Grundrechte vor allem bei der grundrechtskonformen Auslegung von Gesetzesrecht relevant werden. 368 Die grundrechtskonforme Auslegung gilt als der häufigste Fall der verfassungskonformen Auslegung. 369 Helmut Michel legt dar, dass insbesondere das normerhaltende Prinzip bezüglich der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 3 GG abzuleiten sei, da ein verfassungseffektiver Vollzug des Grundgesetzes nur durch gültige Gesetze möglich ist. 370 Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ein Unterlassen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung Grundrechte verletzen kann, so dass darauf gestützte Verfassungsbeschwerden Aussicht auf Erfolg haben. 371 Daher ist es nicht selten, dass Beschwerdeführer / innen eine verfassungskonforme Auslegung fordern. 372 Teilweise wird der Grundrechtsschutz durch die Gerichte auch als notwendige Ergänzung des Demokratieprinzips betrachtet: Hier te als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 33 ff. Eine Rehabilitation der abwehrrechtlichen Dimension nimmt Ralf Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, passim, in Angriff. 367 Diese Unterscheidung sollte nicht dazu verführen, einem verbreiteten Dualismus von objektivem Recht und subjektiven Rechten das Wort zu reden. Subjektive Rechte sind nichts vom objektiven Recht Verschiedenes, sondern nur Ausdruck eines objektiv-rechtlich gewährten Schutzes subjektiver Interessen (und eben nicht das Interesse selbst), vgl. dazu Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 110. 368 Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Vorb. Art. 1, Rn. 96; Christoph Kannengießer, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Vorb. v. Art. 1, Rn. 10 f.; Philip Kunig, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2000, Art. 1, Rn. 61. 369 Bodo Pieroth / Bernhard Schlink, Grundrechte, 18. A. 2002, Rn. 79; Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. A. 2005, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 326; und schon Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 127. 370 Helmut Michel, JuS 1961, 274 (276). 371 BVerfGE 44, 105 (115); 18, 85 (92). Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 178, sieht eine Vielzahl von Verfassungsbeschwerden, denen wegen Unterlassung einer verfassungskonformen Auslegung stattgegeben wurde; vgl. auch Wolfram Höfling, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 1, Rn. 101; Christoph Kannengießer, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Vorb. v. Art. 1, Rn. 10.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

finde Minderheitenschutz gegen die Unterdrückung durch demokratische Mehrheiten statt. 373 Ob letzteres dem Gesamtkonzept des Grundgesetzes entspricht, ist allerdings sehr fraglich. 374 Wird das Unterlassen einer verfassungskonformen Auslegung selbst als Grundrechtsverletzung qualifiziert, ist auf einen Anspruch der Bürger / innen auf verfassungskonforme Auslegung aus ihren Grundrechten zu schließen. Neben ihrer abwehrrechtlichen Dimension enthalten die Grundrechte auch eine verfahrensrechtliche Komponente zum Zwecke ihrer wirksamen Durchsetzung. 375 Die Forderung des Bundesverfassungsgerichtes nach richtiger – grundrechtskonformer – Auslegung erfasst dabei die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung ebenso wie die Vorzugsregel und die verfassungsorientierte Auslegung. Ferner soll auch das Unterlassen fachgerichtlicher Rechtsfortbildung einer Verfassungsbeschwerde zum Erfolg verhelfen können, wenn im Ergebnis eine Grundrechtsverletzung vorliegt. 376 Mit Bezug auf die Grundrechte ließe sich die Anwendung aller Phänomene verfassungskonformer Auslegung durch subjektiv-öffentliche Ansprüche der Rechtsunterworfenen rechtfertigen. Daneben ist aber zu beachten, dass sich die Grundrechtsfunktionen nach allgemeiner Ansicht schon lange nicht mehr in der Abwehr staatlicher Eingriffe erschöpfen, sondern weitere Dimensionen wie objektiv-rechtliche Gehalte hinzugewonnen haben. 377 Auch die grundrechtskonforme Auslegung ist damit nicht auf eine subjektiv-rechtliche Begründung beschränkt, sondern kann Ausdruck gewandelter Grundrechtsverständnisse sein. 378 Ob alle Grundrechtsfunktionen friktionsfrei nebeneinander bestehen können, ist eine interessante Frage, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Es sei nur darauf hingewiesen, dass schon das Nebeneinander verschiedener Verfassungsprinzipien zu Grundrechtsgefährdungen führen kann, wie der folgende Beispielsfall zeigen wird. 372

Vgl. nur BVerfGE 114, 1 (11); 110, 226 (234); 107, 299 (305); 87, 48 (55); 18, 1 (7). Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung, 1999, S. 195, 227 f.; vergleichbare Konzeption auch bei John Hart Ely, Democracy and distrust, Cambridge, Mass. 1980, S. 135 ff. 374 Dezidiert ablehnend zum kompensatorischen Ansatz: Gerd Roellecke, VVDStRL 34 (1976), 7 (14 ff.). 375 Dazu mit Rechtsprechungsnachweisen Edna Rasch, Persönliche Vorsprache im Verwaltungsrecht, 2007, S. 42 ff.; Peter Wilfinger, Das Gebot effektiven Rechtsschutzes, 1995, S. 87 ff. 376 Vgl. BVerfGE 84, 197 (203); 54, 251 (276); 25, 167 (178 ff.). 377 Vgl. statt vieler: Harald Dähne, Forschung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Wirtschaftsfreiheit, 2007, S. 275 ff.; Michael Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, passim; Horst Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, insbes. S. 41 ff. Kritisch zu den Grundrechten als objektiver Wertordnung: Rainer Lippold, Recht und Ordnung, 2000, S. 452 ff. 378 Zum Zusammenhang von Grundrechtsverständnis und systematischer Auslegung vgl. Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 746 ff., 759 ff. 373

D. Die Legitimation der verfassungskonformen Auslegung

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2. Verfassungskonforme Auslegung als Grundrechtsgefährdung Die Frage, ob eine verfassungskonforme Auslegung eine Grundrechtsverletzung darstellen kann, scheint auf den ersten Blick absurd. 379 Wie schon die Bezeichnung nahe legt, soll die verfassungskonforme Auslegung die Verfassung und damit insbesondere die Grundrechte zur Geltung bringen. Eine Grundrechtsverletzung kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eben im Verzicht auf eine gebotene verfassungskonforme Auslegung liegen. Dass ein Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht geltend macht, durch eine verfassungskonforme Auslegung in seinen Grundrechten verletzt zu sein, 380 muss nicht zwingend irritieren, da der Kreativität von Beschwerdeführer / innen und ihren Rechtsbeiständen kaum Grenzen gesetzt zu sein scheinen. Erheblich bedenklicher stimmt eine Äußerung des Bundesverfassungsgerichtes selbst in der Entscheidung zur verfassungskonformen Auslegung des Versammlungsgesetzes bei Eilversammlungen 381: „Dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit droht durch diese Auslegung keine Schmälerung. Die Gefahr, daß sich bei einer verfassungskonformen Interpretation von § 14 VersG, die am Wortlaut der Vorschrift nichts ändert, potentielle Veranstalter aus Furcht vor strafrechtlichen Sanktionen von der Organisation einer Eilversammlung abschrecken lassen, ist gering zu veranschlagen. Sie zwingt nicht dazu, auf die verfassungskonforme Interpretation zu verzichten und § 14 VersG stattdessen für teilweise unvereinbar mit Art. 8 GG zu erklären.“ 382 Das Bundesverfassungsgericht erkennt damit seine verfassungskonforme Auslegung 383 als Grundrechtsgefährdung an, die es mit der behaupteten Geringfügigkeit der Gefahr rechtfertigen will. Hintergrund der verfassungskonformen Auslegung 379

Dies gilt in der Tat für manche Äußerungen des Schrifttums zur Grundrechtsverletzung durch Beachtung der Verfassung im Privatrecht, vgl. nur die Nachweise bei Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 110; ferner aus jüngerer Zeit die phantasievollen Ausführungen von Klaus Adomeit / Jochen Mohr, in: dies., Kommentar zum AGG, 2007, S. 1 ff., welche der Rettung des Abendlandes vor dem Antidiskriminierungsrecht zu dienen bestimmt scheinen. 380 So in BVerfGE 110, 1 (7 f.); 105, 135 (147 f.). Hierbei handelte es sich um normerhaltende verfassungskonforme Auslegungen von Strafrechtsnormen, die besonders problematisch sind, da einerseits eine Nichtigerklärung für die Beschwerdeführer regelmäßig günstiger sein wird und andererseits Art. 103 Abs. 2 GG einer verfassungskonformen Ausoder Umdeutung notwendig enge Grenzen setzt. 381 BVerfGE 85, 69 ff. 382 BVerfGE 85, 69 (75 f.). Dagegen macht sich Michael Breitbach, in: Helmut Ridder u. a. (Hg.), Versammlungsrecht. Kommentar, 1992, § 26, Rn. 43, nicht unerhebliche Sorgen um eine Abschreckung möglicher Veranstalter / innen von Versammlungen. 383 In ihrem Sondervotum vertreten die Richter / innen Helga Seibert und Johann Friedrich Henschel dagegen die Ansicht, das Vorgehen der Senatsmehrheit sei nicht mehr als zulässige verfassungskonforme Auslegung zu bewerten, vgl. BVerfGE 85, 69 (77 ff.).

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

war es aber hier, eine (Teil)Nichtigerklärung zu vermeiden. Der Grundrechtsschutz wurde folglich zu Gunsten des Normerhalts relativiert. Zwar ist die Arbeit des Bundesverfassungsgerichtes von der Abwägung widerstreitender Prinzipien geprägt. Doch zum einen waren Grundrechtsschutz und Normerhalt nicht die einzigen relevanten Größen. Zur Prüfung stand immerhin eine Norm des Nebenstrafrechts, welche dem expliziten Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG unterliegt. 384 Zum anderen verkennt das Bundesverfassungsgericht nicht nur seine Aufgabe, wenn es durch Erhalt zweifelhafter Normen die „Autorität“ des Gesetzgebers gegen verfassungsrechtlich geschützte Freiheitsbegehren von Bürger / innen durchsetzen will. 3. Der Justizgewährungsanspruch und die normerhaltende verfassungskonforme Auslegung sowie die verfassungskonforme Rechtsfortbildung Die normerhaltende verfassungskonforme Auslegung und die verfassungskonforme Rechtsfortbildung sollen jedoch nicht nur die Autorität des Gesetzgebers schützen, sondern zugleich die Entscheidungsfähigkeit von Gerichten und Verwaltungsbehörden sichern. Letztere sehen sich dem Justizgewährungsanspruch der Rechtsunterworfenen ausgesetzt, der eine Entscheidung fordert. Folglich könnte der Justizgewährungsanspruch die normerhaltende verfassungskonforme Auslegung und die verfassungskonforme Rechtsfortbildung rechtfertigen, wenn er beinhaltet, dass immer eine Entscheidung zu treffen ist und dass die Grundlagen dieser Entscheidung notfalls von den rechtsanwendenden Instanzen durch verfassungskonforme Auslegung zu erhalten oder durch verfassungskonforme Rechtsfortbildung herzustellen sind. Der Justizgewährungsanspruch aus Art. 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 GG ist als Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols ein Kernelement des Rechtsstaates und garantiert Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte. 385 Umfasst sind der Zugang zu staatlichen Gerichten, die umfassende Prüfung des Streitgegenstandes und die verbindliche Entscheidung. 386 Damit wird insbesondere das Verbot einer Rechts384

Zur Kritik an der Entscheidung siehe Teil 3 C II 4. Vgl. Walter Krebs, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2000, Art. 19, Rn. 50; Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 19, Abs. 4, Rn. 16 (Stand: 1985). 386 Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 211; vgl. auch Hans Hofmann, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 20, Rn. 60. Die gerichtliche Durchsetzung des Justizgewährungsanspruchs ist durch das Anhörungsrügengesetz verbessert worden, wobei das Bundesverfassungsgericht – vgl. seine Vorgaben in BVerfGE 107, 395 ff. – zum Nachteil der Fachgerichte entlastet wurde, so kritisch Jürgen Gehb, DRiZ 2005, 121 (124 ff.). Mit dem Untätigkeitsbeschwerdengesetz sind überdies Möglichkeiten 385

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verweigerung assoziiert. 387 Das Gericht soll auf alle ihm von den rechtsuchenden Bürger / innen angetragenen Rechtsfragen eine Antwort bereithalten. Was aber soll gelten, wenn kein einschlägiges Recht existiert? 388 Wenn dem Gericht die Entscheidungsgrundlage fehlt, weil sie verfassungswidrig und damit nicht anwendbar ist oder weil der Gesetzgeber diese Konstellation von vornherein nicht geregelt hatte? Können – oder müssen gar – die normerhaltende verfassungskonforme Auslegung und die verfassungskonforme Rechtsfortbildung hier Abhilfe schaffen? Hält ein Gericht ein formelles nachkonstitutionelles Gesetz, auf das es für seine Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, muss es dieses Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Nicht ersichtlich ist, inwieweit der Justizgewährungsanspruch auf diese klare Regelung abändernd Einfluss nehmen sollte. Bezeichnenderweise ordnet das Bundesverfassungsgericht nicht selten die Aussetzung von fachgerichtlichen Verfahren bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber an. 389 Wenn ohnehin schon vorausgesetzt wird, dass Gesetze im Zweifel zu ihrer Aufrechterhaltung verfassungskonform ausgelegt werden müssen, dann kann zwar auch noch auf den positiven Effekt hingewiesen werden, dass Gerichte dadurch sofort und ohne Unterbrechung durch eine konkrete Normenkontrolle ihrer Pflicht zur Justizgewährung nachkommen können. Eine eigenständige Rechtfertigung der normerhaltenden verfassungskonformen Auslegung ist darin aber nicht zu erblicken. Eine Rechtfertigung durch den Justizgewährungsanspruch scheint sich für die verfassungskonforme Rechtsfortbildung schon eher anzubieten. Das Bundesvereröffnet, rechtlich gegen untätige Gerichte vorzugehen, vgl. zum Gesetzesentwurf: Inge Kroppenberg, ZZP 119 (2006), 177 (189 ff.). 387 Entscheidend ist dabei, mit welchem Inhalt die Begriffe des Justizgewährungsanspruchs und des Rechtsverweigerungsverbots gefüllt werden. Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 215, nennt das Rechtsverweigerungsverbot als Teil des Justizgewährungsanspruches, ohne dessen Bedeutung festzulegen. Dagegen unterscheidet Curt Wolfgang Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, 1995, S. 169 ff., zwischen einem formellen Entscheidungszwang aus dem Justizgewährungsanspruch und einer Pflicht zur materiellen Entscheidung und damit ggf. zur Rechtsfortbildung aus dem Rechtsverweigerungsverbot. Zur derzeitigen Unzulässigkeit der Rechtsfortbildung ausführlich in Teil 3 E. 388 Dies wirft die Frage auf, ob das Rechtsverweigerungsverbot nur innerhalb der bestehenden gesetzlichen Regelungen erfüllt werden soll oder über diese hinausweist. Eher für einen Anspruch nur im Rahmen der (formellen) Prozessgesetze: Eberhard SchmidtAßmann, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 19, Abs. 4, Rn. 16 (Stand: 1985); für eine (materielle) Pflicht zur Rechtsfortbildung aus dem Rechtsverweigerungsverbot: Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 92, Rn. 39; sowie Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 544; irritierenderweise für beides: Hans Hofmann, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 19, Rn. 30 und 62. 389 Vgl. nur BVerfGE 111, 160 (176); 111, 115 (146); 106, 166 (181); 104, 126 (150); 99, 202 (216); 93, 386 (403); 28, 324 (362 f.).

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

fassungsgericht spricht den Fachgerichten die Kompetenz zu, Gesetzeslücken zu schließen, 390 inklusive solcher, die erst durch eine verfassungsgerichtliche Normenkontrollentscheidung entstanden sind. 391 Dieses Vorgehen soll ihre Entscheidungsfähigkeit sichern. Ein formal verstandener Justizgewährungsanspruch erfordert aber keine verfassungskonforme Rechtsfortbildung. Das Gericht kann ebenso gut das Fehlen einer einschlägigen gesetzlichen Regelung feststellen und den rechtsuchenden Bürger / innen die hieraus folgenden Konsequenzen als Entscheidung mitteilen: dass ihr Anspruch nicht besteht, dass ihr Verhalten nicht strafbar ist etc. Um den Durchgriff auf die Verfassung angesichts defizitärer gesetzlicher Regelungen 392 mit dem Justizgewährungsanspruch zu begründen, muss dessen Inhalt angereichert werden. Eine gerichtliche Entscheidung allein scheint nicht ausreichend zu sein, sondern diese Entscheidung soll auch noch einen Inhalt haben, der über die Konsequenzen aus der gesetzlichen Regelung hinausgeht. 393 Ein so verstandenes Justizgewährungsgebot gerät aber in schwer wiegende Konflikte mit grundrechtlichen wie allgemeinen Gesetzesvorbehalten und der Gesetzesbindung der Gerichte. Bis die damit verbundenen erheblichen Probleme einem zufrieden stellenden Konzept gewichen sind, ist im Zweifel wohl doch eine abschlägige Antwort aus dem geltenden Gesetzesrecht vorzugswürdig. Der Justizgewährungsanspruch trägt sonst kaum zur Legitimation der Phänomene verfassungskonformer Auslegung bei, sondern ist eher geeignet, nachhaltige Zweifel zu wecken.

VII. Positivrechtliche Regelung Bevor solche Zweifel sich vertiefen, ist noch einmal zu fragen, ob die verfassungskonforme Auslegung oder einige ihrer Erscheinungsformen nicht doch – im Gegensatz zu den sonstigen juristischen Methoden – eine positivrechtliche Normierung 394 erfahren haben.

390 Statt vieler: BVerfGE 98, 49 ff.; 82, 6 ff.; 69, 315 ff.; 59, 172 ff.; 46, 166 ff.; 39, 276 ff.; 35, 263 ff. 391 So BVerfGE 99, 341 (359) für den Fall einer Unvereinbarkeitserklärung. 392 Scharf ablehnend Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 1 III, Rn. 82, wonach ausdrücklich dem Missverständnis entgegenzutreten sei, Art. 1 Abs. 3 GG berechtige den Richter zum unmittelbaren Durchgriff auf die Grundrechte unter souveräner Ignorierung des anders lautenden oder nach Auffassung des Richters unzulänglichen Gesetzesrechts. 393 Vgl. nur Horst Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53 (55); Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 27; sowie die ausführlichen Nachweise in Teil 3 E II 3. 394 Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 456, gibt zu, dass die verfassungskonforme Auslegung im positiven Recht nicht geregelt ist;

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1. Grundgesetzliche Regelung: Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG Eng mit dem Vorrang der Verfassung verbunden ist die Ansicht, die positivrechtliche Begründung der verfassungskonformen Auslegung ergebe sich aus Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG. 395 Damit wird zum einen wieder das jeweilige Vorverständnis von den Funktionen der Verfassung und dem Stufenbau der Rechtsordnung relevant. Zum anderen trifft aber die Verfassungsbindung von Gerichten und Verwaltungsbehörden keine konkreten Aussagen zur verfassungskonformen Auslegung. Unklar bleibt schon, welche Phänomene mit diesen Verfassungsnormen begründet werden können. Auch Detlef Christoph Göldner hält es zwar für legitim, die verfassungskonforme Auslegung bsw. auf Art. 1 Abs. 3 GG zu stützen; wie die methodische Verwirklichung konkret aussieht, wie die Verfassung in den Auslegungsvorgang einzugliedern ist, wie sich dieses Vorgehen mit den herkömmlichen Methoden verträgt; diese Fragen würden durch das positive Recht jedoch nicht beantwortet, sondern gestellt. 396 Die grundgesetzlichen Regelungen sind nicht konkret genug, um eine juristische Methode zu etablieren. Sie nennen die verfassungskonforme Auslegung nicht und ihr Regelungsgehalt zielt auch nicht erkennbar auf methodische Fragen ab. Wenn überhaupt, kommt wohl am ehesten eine Rechtfertigung der verfassungsorientierten Auslegung durch die genannten Verfassungsnormen in Betracht. Im Übrigen wiederholen sich die Fragen, die sich bei der Begründung durch den Vorrang der Verfassung ergeben haben, insbesondere die nach der verfassungskonformen Rechtsfortbildung und nach dem Verhältnis von Verfassungs- und Gesetzesbindung. 2. Einfachgesetzliche Regelung: § 79 Abs. 1 BVerfGG Deutlich konkreter als die angeführten Verfassungsnormen ist § 79 Abs. 1 BVerfGG. Danach ist die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ein rechtskräftiges Strafurteil dann zulässig, wenn das Urteil auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist. Damit ist im Bereich des Strafrechts die Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegungsverwerfung gesetzlich anerkannt. Der Gesetzgeber soll mit der Absegnung der Auslegungsverwerfung durch § 79 Abs. 1 BVerfGG auf die Erfindung und den regen Gebrauch der verfassungskonformen Ausleallerdings lasse sie sich aus der Rechtsidee und Zweckmäßigkeitserwägungen begründen (S. 457). 395 So Dagmar Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 180; anders Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (507): Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 GG, ggf. Art. 97 Abs. 1 GG; Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 (110): Art. 1 Abs. 3 GG. Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 94, liest aus Art. 20 Abs. 3 GG einen Aufruf zur verfassungskonformen Auslegung im Problemfall. 396 Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 48.

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gung reagiert haben; 397 die gesetzliche Anerkennung der verfassungskonformen Auslegung werde durch dessen Entstehungsgeschichte klar bestätigt. 398 Es ist jedoch zu fragen, welche Erscheinungsformen verfassungskonformer Auslegung durch diese Regelung konkret abgesichert werden. Durch § 79 Abs. 1 BVerfGG wird zunächst nur die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichtes zur Verwerfung von Normen auf deren Deutungen erweitert. Mit der Urteilsverfassungsbeschwerde kann ohnehin auch die Auslegung durch ein Fachgericht angegriffen werden. 399 Zur verfassungskonformen Auslegung als Inhaltsbestimmung einer einfachgesetzlichen Norm mit Hilfe der Verfassung, als Normerhalt oder als Vorzugsregel, zur verfassungsorientierten Auslegung oder zur verfassungskonformen Rechtsfortbildung sagt § 79 Abs. 1 BVerfGG hingegen nichts aus.

E. Die Probleme im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung Die vielfältigen legitimatorischen Bemühungen zur Rechtfertigung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung haben zuvörderst ebenso vielfältige Kritik provoziert. Dies könnte den Problemen und Systemirritationen geschuldet sein, welche sich durch die Einführung dieser neuen Methode ergeben haben. Besonderes Augenmerk gilt dabei der möglichen negativen Beeinflussung der Gewaltenteilung. 400 Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung sind nicht nur methodologisch schwer zu fassen, sondern können auch Verschiebungen in der Kompetenzordnung bewirken. In zwei der wenigen Monographien zur verfassungskonformen Auslegung wird daher vehement die Abschaffung dieser methodischen Figur gefordert. 401 Zwar sind unerwünschte Auswirkungen der Phänomene verfas397

Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 27 f. Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 43. 399 Vgl. dazu oben, Teil 1 D I 1 sowie Teil 4 B V 1. 400 Vgl. nur Ulrich Battis / Christoph Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 4. A. 1999, § 1, Rn. 29; Ingo von Münch, Staatsrecht, Bd. 1, 6. A. 2000, Rn. 413; Helmut Simon, in: Ernst Benda / Werner Maihofer / Hans-Jochen Vogel (Hg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. A. 1994, § 34, Rn. 53; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. I, 2. A. 1984, S. 135 ff.; Gerd Sturm, Verfassungsrecht, 1981, Rn. 46, 281. Helmuth Schulze-Fielitz, AöR 122 (1997), S. 1 –31, identifiziert die viel beschworene Krise des dabei besonders im Fokus stehenden Bundesverfassungsgerichts als Krise des Zeitgeists; Ulrich R. Haltern, JöR 45 (1997), 31 (68 f., 34 ff.), als Ausdruck überzogener Anforderungen in der Gesellschaft des deutschen Neo-Pluralismus; Josef Isensee, JZ 1996, 1085 (1086), (jedenfalls auch) als Krise seiner Kritiker / innen, wobei er allerdings eine forensische Selbstzerstörung durch die Dissenter ausmacht. In favorem Bundesverfassungsgericht auch Hans-Peter Schneider, NJW 1980, 2103 (2105 ff., 2111). 398

E. Probleme mit der verfassungskonformen Auslegung

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sungskonformer Auslegung schon angesprochen worden. Im Folgenden sollen die schwerwiegendsten Probleme noch einmal pointiert dargestellt werden, um einen Überblick über die Kritik zu gewinnen.

I. Gesetzesauslegung, Kompetenz und Bindungswirkung Die Anwendung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung führt zu Kompetenzverschiebungen zwischen Bundesverfassungsgericht und Fachgerichten. Die Berufung auf die Autorität der Verfassung lässt unklar werden, wer zur verbindlichen Gesetzesauslegung befugt ist. Die Figur der verfassungskonformen Auslegung ist eine – so dies noch möglich erscheint: zugespitzte – Ausprägung der Problematik, wie das Verhältnis von Verfassungsrecht und einfachem Recht und damit auch von Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit richtig bestimmt werden kann. 1. Die Bindung des Bundesverfassungsgerichtes an eine fachgerichtliche Gesetzesauslegung Im Verhältnis zu den Fachgerichten wandelt das Bundesverfassungsgericht bei der Auslegung einfachen Gesetzesrechts auf einem schmalen Grat. Einerseits hat es immer propagiert, die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts sei grundsätzlich den Fachgerichten vorbehalten. 402 Andererseits besteht es darauf, die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nicht auf Grundlage einer unrichtigen Auslegung durch das vorlegende Gericht prüfen zu können 403 und daher ggf. die Rechtslage nach einfachem Recht untersuchen zu müssen 404. Entscheidend ist folglich, wann eine unrichtige fachgerichtliche Auslegung anzunehmen ist.

401 Dies sind Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 55, und Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 125. 402 Seit BVerfGE 18, 85 (92), ständige Rechtsprechung. Ausnahmen sind die offensichtliche Unhaltbarkeit der fachgerichtlichen Beurteilung sowie die Beantwortung verfassungsrechtlicher Vorfragen, vgl. Jan-R. Sieckmann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 100 Abs. 1 GG, Rn. 49 ff., m.w. N. 403 BVerfGE 7, 45 (45). 404 BVerfGE 35, 263 (277); 30, 129 (139); 22, 28 (33). Ablehnung der Bindungswirkung fachgerichtlicher Auslegung auch in BVerfGE 80, 244 (250); 51, 304 (313); 31, 113 (117); 25, 371 (390). Vgl. ferner Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (523 ff.), wonach das Bundesverfassungsgericht die entscheidungserhebliche Vorfrage der Gesetzesauslegung selbst beantworten will. – Unter dem Gebot verfassungskonformer Auslegung ist diese ja auch als verfassungsrechtliche Vorfrage zu verstehen.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

Für eine Überprüfung fachgerichtlicher Auslegung und Anwendung von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht 405 gilt der Maßstab des sog. spezifischen Verfassungsrechts: Die Prüfung ist beschränkt auf die Frage, ob Verfassungsnormen nicht gesehen oder deren grundsätzliche Bedeutung verkannt wurde. 406 Im Übrigen soll die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Fachgerichte nicht über eine Willkürkontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG hinausgehen. 407 Doch weder die Hecksche noch die Schumannsche Formel 408 können eine klare Grenzziehung gewährleisten. Die spätestens mit dem Lüth-Urteil 409 einsetzende Konstitutionalisierung der gesamten Rechtsordnung 410 hat zu einer Verschränkung von Verfassungsrecht und einfachem Recht geführt, 411 deren nunmehr notwendige Entflechtung im Wesentlichen zwei Strategien folgt. Zum einen wird versucht, den verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab zu beschränken, indem die Verfassung nicht mehr als Grund- oder Wertordnung 412 verstanden, sondern auf ihre Funktion als Rahmenordnung 413 reduziert wird. 414 Dies ist die materiell-rechtliche Strategie, um der Expansion von Verfassungsgehalten in alle Rechtsbereiche 415 Einhalt zu gebieten. Daneben gibt es funktionellrechtlich geprägte Bemühungen 416 zur Beschränkung der verfassungsgerichtli405

Vgl. dazu auch ausführlich Teil 4. Vgl. nur BVerfGE 101, 239 (257); 97, 125 (145); 96, 375 (398 f.); 95, 96 (128); 84, 203 (210); 68, 361 (372); 53, 30 (61); 49, 304 (314); 42, 143 (148 f.); 34, 269 (280); 32, 311 (316); 30, 173 (197). Vgl. dazu ausführlich Hans-Jürgen Papier, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 432 ff. Grundsätzliche Ablehnung dieser Beschränkung bei Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 155 ff. 407 Zur Willkürkontrolle: BVerfGE 89, 1 (13 f.); 87, 273 (278 f.); 80, 48 (51); 62, 189 (192), m.w. N. 408 Vgl. BVerfGE 89, 28 (36); 79, 283 (290). Zur Leistungsfähigkeit dieser Formeln unter veränderten Bedingungen vgl. Gerhard Robbers, NJW 1998, 935 (936 ff.). 409 BVerfGE 7, 198 ff. 410 Mit diversen Nachweisen statt vieler: Robert Alexy, VVDStRL 61 (2002), 7 (10 ff.); Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (121 ff.); Gunnar Folke Schuppert / Christian Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 9 ff. Zur Unterscheidung von Konstitutionalisierung im echten und unechten Sinne: Matthias Jestaedt, DVBl. 2001, 1309 (1318 f.). 411 Rainer Wahl / Joachim Wieland, JZ 1996, 1137 (1138, 1143), gehen davon aus, dass Verfassungsrecht und einfaches Recht inzwischen nicht mehr unterschieden werden können. 412 Vgl. zu diesem Verständnis Rainer Wahl, in: Detlef Merten / Hans-Jürgen Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 1, 2004, § 19, Rn. 1 ff., m.w. N. 413 Ernst-Wolfgang Böckenförde, NJW 1976, 2089 (2091, 2099); Christian Starck, JZ 1996, 1033 (1038 f.). 414 Robert Alexy, VVDStRL 61 (2002), 7 (14 ff.), will dagegen den Dualismus von Rahmenordnung und Grundordnung in einer Spielraumdogmatik aufheben, die strukturelle (S. 16 ff.) wie epistemische (S. 27 ff.) Spielräume verarbeitet. 406

E. Probleme mit der verfassungskonformen Auslegung

103

chen Prüfungsdichte. Das Gebot funktioneller Richtigkeit 417 verlange, dass das nach Zusammensetzung, Legitimation und Verfahren am besten geeignete Organ die jeweilige hoheitliche Aufgabe wahrnimmt. 418 In diese Richtung gehen auch Forderungen an das Bundesverfassungsgericht, sich zumindest bezüglich einer ständigen Rechtsprechung oder der Judikatur der obersten Bundesgerichte Zurückhaltung aufzuerlegen. 419 Allerdings endet auch der funktionell-rechtliche Ansatz wieder bei der Grundrechtsauslegung, wenn auf die Besonderheit des Grundrechts 420 oder die Intensität des Eingriffs 421 abgestellt wird. Die Propagierung verfassungskonformer Auslegung erweist sich als gegenläufig zu den Bemühungen um eine Entflechtung von Verfassungs- und einfachem Recht und eine Kompetenzabgrenzung zwischen Verfassungsgericht und Fachge415 Anschaulich Christian Starck, JZ 1996, 1033 (1035): „Die Grundrechte wachsen wie Korallenriffe.“ Insbesondere in der Zivilrechtswissenschaft ist die Begeisterung gering, vgl. nur Uwe Diederichsen, Jura 1997, S. 57 –64, m.w. N., durch dessen Ausführungen (S. 58, 60, Fn. 29) allerdings die – im Zusammenhang mit dem Eigentumsrecht geäußerte – Vermutung von Werner Heun, VVDStRL 61 (2002), 80 (111, Fn. 197), das Unverständnis vieler Zivilrechtswissenschaftler sei nicht zuletzt Ausdruck des schmerzlich empfundenen Verlusts von Definitionskompetenz gegenüber der Dominanz der deutschen Zivilistik im 19. Jahrhundert, eine gewisse Bestätigung erfährt. 416 Vgl. nur Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (127 ff.); Stefan Oeter, AöR 119 (1994), 529 (557 ff.); Gunnar Folke Schuppert, in: Werner Hoppe u. a. (Hg.), Rechtsprechungslehre, 1992, S. 129 (131 ff.); Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (194 ff.). 417 Dazu Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. A. 1995, Rn. 73, 488 ff.; zur Gewaltenteilung als Funktionsgerechtigkeit: Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 133 ff., m.w. N. 418 Dabei gilt das Bundesverfassungsgericht nur begrenzt als geeignet, die Aufgaben einer letzten Instanz im Individualrechtsschutz vollumfänglich wahrzunehmen, vgl. statt vieler Josef Isensee, JZ 1996, 1085 (1089 ff.). Zum einen ist das Gericht ohnehin notorisch überlastet, weshalb Forderungen nach einer Beschränkung des Zugangs erhoben werden, vgl. nur Rainer Wahl / Joachim Wieland, JZ 1996, 1137 (1140 ff.), für ein freies Annahmeverfahren von Verfassungsbeschwerden. Zum anderen wird immer wieder betont, dass dem Bundesverfassungsgericht die spezifische Sachkenntnis der Fachgerichtsbarkeit fehle, vgl. nur Jun Huh, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 2000, S. 11; das Bundesverfassungsgericht selbst spricht von deren größerer Sachnähe, vgl. BVerfGE 40, 88 (94). 419 Vgl. Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 111; Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 151; Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 (90 f.); Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (197). Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 109, hält jedenfalls eine überraschende Neuinterpretation für unzulässig. 420 Vgl. BVerfGE 85, 1 (14) – Art. 5 Abs. 1 GG; BVerfGE 81, 278 (289 f.) – Art. 5 Abs. 3 GG; BVerfGE 83, 216 (234); 76, 143 (162) – Art. 16a GG. 421 Vgl. BVerfGE 83, 130 (145); 70, 296 (316); 67, 213 (223); Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 141 ff., 197 ff.; Dieter Lincke, EuGRZ 1986, 60 (63 ff.); Andreas Voßkuhle, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 93, Rn. 62, m.w. N.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

richten. Ziel ist es gerade, die Verfassung im einfachen Recht wirken zu lassen 422 und die Fachgerichtsbarkeit auch zur Grundrechtsanwendung anzuhalten. Damit kann grundsätzlich jede Gesetzesauslegung zu einer Frage des (spezifischen) Verfassungsrechts werden und der Prüfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes unterfallen. 2. Die Bindung der Fachgerichte an eine verfassungsgerichtliche Gesetzesauslegung Entscheidend ist nun, wie das Bundesverfassungsgericht diese Zuständigkeit wahrnimmt. Nach § 31 Abs. 1 BVerfGG binden seine Entscheidungen alle Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden. Als Kontrollinstanz könnte es sich darauf beschränken, verfassungswidrige Normdeutungen zu verwerfen und sie den Fachgerichten als Grundlage ihrer Entscheidung zu entziehen, um die Gefahr verfassungswidriger Urteile zu reduzieren. Das Bundesverfassungsgericht sieht auch seine Deutungsverwerfung als bindend an, da es diesbezüglich keinen Unterschied mache, ob die Norm insgesamt oder lediglich eine Auslegungsvariante als verfassungswidrig qualifiziert werde. 423 Allerdings beschränkt es sich nicht darauf, die Deutung des Fachgerichtes zu überprüfen oder andere verfassungswidrige Deutungen zu suchen und zu verwerfen. Vielmehr geht es nach seiner Konzeption der verfassungskonformen Auslegung den umgekehrten Weg und sucht eine verfassungsgemäße Normdeutung, welche den Normerhalt sichert. a) Beispiele für detaillierte Gesetzesauslegungen durch das Bundesverfassungsgericht Kommt ein Fachgericht auf methodisch nicht zu beanstandendem Wege zu einem Auslegungsergebnis, welches mit der Verfassung nicht in Einklang steht, ist das Bundesverfassungsgericht nur zu gerne bereit, dem Fachgericht mit der richtigen Auslegung auszuhelfen. 424 Dafür seien einige Beispiele angeführt. Die Frage der Verteilung der Versorgungslast bei Beamtenverhältnissen nötigte das 422 Rainer Wahl, in: Detlef Merten / Hans-Jürgen Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 1, 2004, § 19, Rn. 26, charakterisiert die verfassungskonforme oder die verfassungsgeleitete Interpretation als spezifische Wirkungsmodi der objektiven Dimension der Grundrechte. 423 BVerfGE 40, 88 (88, 94). Ablehnend Michael Sachs, NJW 1979, 344 (346 ff.), nach dessen Ansicht allein die Vereinbarkeitsfeststellung als Streitgegenstand sowie damit verbunden die Feststellung der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung rechtsoder gesetzeskräftig werden kann, nicht aber die Verwerfung einer verfassungswidrigen oder das Vorschreiben einer verfassungskonformen Deutung als einzig richtiger. 424 Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (192 f.) m.w. N., beschreibt das Bundesverfassungsgericht als „Entdecker“ neuer verfassungskonformer Auslegungsvarianten, auf die das betreffende Fachgericht wohl kaum selbst gekommen wäre. Das Fachgericht hält eine

E. Probleme mit der verfassungskonformen Auslegung

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Bundesverfassungsgericht zu einer detaillierten Auslegung des § 42 Abs. 2 G 131: „Deshalb ist es gerechtfertigt, von der Verwendung, von der § 42 Abs. 2 G 131 spricht, eine bloß vorübergehende „Beschäftigung“ zu unterscheiden. Eine bloße Beschäftigung in diesem Sinn, die eine Belastung mit einem Anteil aus der Versorgung nach dem alten Dienstverhältnis nicht nach sich zieht, ist dann gegeben, wenn die Gemeinde des neuen Dienstherrn nach ihrer Größe, insbesondere nach ihrem Personalstand und ihrem Stellenplan an der auf Dauer berechneten Verwendung eines Beamten kein Interesse haben kann, weil ihm eine nach seiner Ausbildung und beruflichen Laufbahn auch nur entfernt in Betracht kommende Aufgabe nicht zugewiesen werden kann. Das ist beispielsweise der Fall, wenn für die Tätigkeit, die ihm angeboten werden kann, eine akademische Ausbildung und die Erfahrung aus einem bisher innegehabten hohen Amt völlig nutzlos ist.“ 425 Die „verfassungskonforme Auslegung“ durch das Bundesverfassungsgericht löst hier den konkreten Fall. 426 Zum anwaltlichen Werberecht führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass unabhängig von der Wahl des Mediums lediglich die berufswidrige Werbung unzulässig sei, die einschlägigen Regelungen seien nur bei dieser von ihm favorisierten Auslegung verfassungskonform. 427 Beim Familienleistungsausgleich sei § 32 Abs. 4 S. 2 EStG so auszulegen, dass von den Bezügen wie von den Einkünften nur diejenigen in die Bemessungsgröße einfließen, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind. 428 Zur Frage der Fahrtüchtigkeit trotz Drogennachweises im Blut hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass § 24a Abs. 2 StVG verfassungsgemäß sei, wenn die Regelung dahin ausgelegt werde, dass eine Wirkung in ihrem Sinne nur vorliegt, wenn eine THC-Konzentration im Blut festgestellt wird, die es als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war. 429 Schließlich soll sich ein Strafverteidiger wegen Geldwäsche nur strafbar machen, wenn er sicheres Wissen von der unrechtmäßigen Herkunft des Geldes hat, bedingter Vorsatz genügt nicht. 430 verfassungskonforme Auslegung nicht für möglich, das Bundesverfassungsgericht nimmt sie trotzdem vor: BVerfGE 96, 315 (321 f., 329 f.); 85, 337 (341 f., 350 ff.). 425 Vgl. BVerfGE 25, 198 (211 f.). 426 Fehlerhaft insoweit Christian Walter, AöR 125 (2000), 517 (533): „Der Supreme Court steht also ebenfalls vor dem Problem, mit einem relativ vagen Text konkrete Einzelfälle zu lösen.“, da es bei Normenkontrollen wie Urteilsverfassungsbeschwerden eben nicht Aufgabe des in Vergleich genommenen Bundesverfassungsgerichtes ist, mit Hilfe der Verfassung Fälle zu lösen, sondern nur, am Maßstab der Verfassung deren legislative bzw. fachgerichtliche Lösung zu bewerten. Ähnlich aber Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 (88). 427 BVerfG (K), NJW 2004, 2656 (2658); BVerfG (K), NJW 2003, 3470 (3470). 428 BVerfGE 112, 164 (182 ff.). 429 BVerfG (K), NJW 2005, 349 (349). 430 BVerfGE 110, 226 (262 ff.).

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

b) Verbindlichkeit der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung bleibt fraglich Fraglich ist, ob die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung an der Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen teilhat und so den Fachgerichten ihre einfachgesetzliche Auslegung vorgeschrieben werden kann. 431 Karl August Bettermann betrachtet es als den Regelfall, dass die Rechtsanwender / innen an die verfassungskonforme Auslegung gebunden sind. 432 Lange Zeit erklärte das Bundesverfassungsgericht ein mehrdeutiges Gesetz im Tenor für vereinbar mit dem Grundgesetz und legte erst in den Gründen dar, mit Bezug auf welche (verfassungskonforme) Deutungsvariante der Tenor überhaupt zutreffend war. Der Streit konzentrierte sich daher auf die Frage, ob den Entscheidungsgründen Bindungswirkung zukommen kann. 433 Eine nahe liegende Forderung ist es, die verfassungskonforme Auslegung in den Tenor aufzunehmen. 434 Es kann aber auch grundsätzlich angezweifelt werden, ob das Bundesverfassungsgericht im Wege verfassungskonformer Auslegung den Gerichten eine bestimmte Deutung einfachen Gesetzesrechts verbindlich aufdrängen kann. 435 Immerhin besteht damit 431 Grundsätzlich kritisch zur Verbindlichkeit inhaltlich normbestätigender Urteile aus schweizerischer Sicht: Max Imboden, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, 1961, S. 133 (148 ff.). Zustimmend für die verfassungskonforme Auslegung in der Normenkontrolle aber Andreas Heusch, in: Dieter C. Umbach u. a. (Hg.), BVerfGG, Mitarbeiter-Kommentar, 2. A. 2005, § 31, Rn. 85; nach Ansicht von Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 160, kann das Bundesverfassungsgericht die fachgerichtliche Deutung nur durch eine andere ersetzen, wenn diese gleich gut begründbar ist. 432 Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 45. 433 Zum Streit vgl. Andreas Heusch, in: Dieter C. Umbach u. a. (Hg.), BVerfGG, Mitarbeiter-Kommentar, 2. A. 2005, § 31, Rn. 58, m.w. N.; Klaus Vogel, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 568 (573 f., 584 ff., 599 ff.) m.w. N.; nach Jan Ziekow, Die Verwaltung 1994, 461 (484), ist die Bindung auch an die tragenden Gründe von der fachgerichtlichen Rechtsprechung inzwischen einhellig anerkannt. Mit Bezug zur verfassungskonformen Auslegung vgl. Stefan Korioth, Der Staat 30 (1991), 549 (557); Klaus Lange, JuS 1978, 1 (7); Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (526 ff.). Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 (89), hält den Streit für unergiebig, da jedenfalls eine faktische Bindung [sic] auch an die Gründe bestehe. 434 So Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 39 ff.; Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 70, Rn. 127; Alfred Rinken, in: Rudolf Wassermann (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. A. 1989, Art. 94, Rn. 54. Nach Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 115 f., sind dem Bundesverfassungsgericht auch im Tenor über die Feststellung zur Vereinbarkeit des Gesetzes hinausgehende Ausführungen verwehrt; ähnlich Klaus Stern, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 100, Rn. 138 (Stand: 1967). 435 Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 107 f., hält genau das für bedenklich. Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 146, verweist als Alternativen auf Österreich, wo nur gefragt wird, ob die

E. Probleme mit der verfassungskonformen Auslegung

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die konkrete Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht entgegen seinen eigenen Ausführungen zum obersten Interpreten aller Rechtsvorschriften 436 und zur Superrevisionsinstanz 437 wird.

II. Verfassungskonkretisierung, Kompetenz und Bindungswirkung Doch es besteht nicht nur die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf die Verfassung die fachgerichtliche Gesetzesauslegung durch seine eigene verdrängt. Die Fachgerichte können zugleich unter Berufung auf ihre Aufgabe der (verfassungskonformen) Gesetzesauslegung die Verfassungskonkretisierung des Gesetzgebers überspielen. 438 Und auch das Bundesverfassungsgericht hat durch die Inanspruchnahme der verfassungskonformen Auslegung seine Machtbefugnisse gegenüber dem Gesetzgeber ausgeweitet. 1. Die Arbeitsteilung in der Verfassungskonkretisierung Alle öffentliche Gewalt ist an die Verfassung gebunden und alle Staatsgewalten interpretieren und konkretisieren das Grundgesetz. Damit es nicht zu unauflöslichen Konkurrenzen zwischen widerstreitenden Verfassungsinterpretationen kommt, sind Zuständigkeiten und Bindungswirkungen in einem gestuften Konkretisierungsprozess festgelegt. 439 Nach Art. 20 Abs. 3 GG ist der Gesetzgeber verfassungswidrige Auslegung zwingend ist, und die Schweiz, wo nur die Möglichkeit verfassungskonformer Deutung geprüft wird. Ablehnend auch Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (198), nach dessen Ansicht nur die verfassungsgerichtliche Verwerfung von Deutungen, nicht aber ein positives Vorschreiben einer bestimmten Auslegung zulässig ist; ähnlich Jörg Berkemann, DVBl. 1996, 1028 (1036); Apostolos Gerontas, DVBl. 1981, 1089 (1094 f.); Wolfgang Roth, NVwZ 1998, 563 (567); Uwe Seetzen, NJW 1976, 1997 (1998 f.); Klaus Vogel, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 568 (608); Jan Ziekow, Die Verwaltung 1994, 461 (486 ff.). Vorbildlich BVerwGE 121, 23 (32 f.): mehrere Möglichkeiten verfassungskonformer Auslegung für die zuständigen Landesgerichte; BVerfGE 26, 302 (308 ff.): zwei verfassungsmäßige Auslegungen. 436 Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 12. [Hervorhebung im Original.] 437 So nachdrücklich Kostas Chryssogonos, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, 1987, S. 163, 166; Theodor Maunz, in: ders. / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 100, Rn. 25 (Stand: 1971), weist diesen Einwand mit Blick auf die Tragweite der Normenkontrollbefugnis und die Stellung des Bundesverfassungsgerichtes zurück. 438 Eine Entfesselung der richterlichen Gewalt sieht Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (67 f.), schon durch die tatsächliche Handhabung der objektiven Auslegungsmethode gegeben. 439 Ausführlich zur Aufgabenteilung in der Verfassungskonkretisierung Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (129 ff.) m.w. N.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

an die Verfassung, die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind an Gesetz und Recht gebunden. Diese Reihung deutet auf die Abfolge der Verfassungskonkretisierung: Der Gesetzgeber konkretisiert die Verfassung zum Gesetz und die Gerichte und Verwaltungsbehörden konkretisieren die Gesetze zu Einzelfallentscheidungen, wobei sie nach Art. 1 Abs. 3 GG auch die Grundrechte zu beachten haben. Die Gesetzesbindung der Gerichte [und Verwaltungsbehörden] bedeutet, dass sie grundsätzlich die Verfassungsinterpretation des Gesetzgebers, wie sie in seinen Gesetzen zum Ausdruck kommt, 440 akzeptieren müssen und nicht durch eine ihrer Ansicht nach bessere Verfassungskonkretisierung ersetzen dürfen. 441 Etwas anderes gilt für das Bundesverfassungsgericht, das nicht der Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG unterliegt. Seine Verfassungsinterpretation ist, wenn und soweit es entscheidet, für alle Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden verbindlich. Damit hat der Gesetzgeber zwar den ersten Zugriff auf die Verfassung (sog. legislativer Primat der Verfassungskonkretisierung 442), das Bundesverfassungsgericht aber das letzte Wort. 443 Die Arbeitsteilung in der Verfassungskonkretisierung zeigt sich exemplarisch auch im Störfall – bei der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber hat sein primäres Recht der Verfassungskonkretisierung genutzt und ein Gesetz erlassen. Dieses prüfen die Fachgerichte vor Anwendung auf seine Verfassungsmäßigkeit, wofür sie auch zunächst die Verfassung auslegen müssen, sofern nicht schon eine verbindliche verfassungsgerichtliche Interpretation vorliegt. 444 Halten sie das Gesetz für verfassungsgemäß, sind sie daran gebunden, halten sie es für verfassungswidrig, sind sie zur Vorlage an das Bundesverfas440 Horst Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53 (68 f.): Jedes Gesetz stellt im Grunde eine Interpretation der Verfassung dar. Dezidiert anders: Joachim Lege, DÖV 2000, 283 (285 f.). 441 Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 183 ff.; Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2290 f.); Peter Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 212. 442 Nach Alfred Rinken, in: Rudolf Wassermann (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. A. 1989, Vor Art. 93, Rn. 110, gilt dieser aber nur bei Grundrechten und Staatszielen, für Organisations- und Verfahrensrecht sei das Bundesverfassungsgericht zuständig. 443 Zu den damit verbundenen Schwierigkeiten vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Der Staat 29 (1990), 1 (25); Kostas Chryssogonos, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, 1987, S. 167 f., m.w. N.; Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 (112 ff.). Gänzlich aus dem Blick geraten ist dabei der Verfassungsgesetzgeber. Matthias Jestaedt, in: Otto Depenheuer u. a. (Hg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 183 ff., hat sich seiner angenommen und diagnostiziert seine Entmachtung und Deaktivierung (S. 204 ff.), die von der Rechtswissenschaft mit verschiedenen Spielarten eines allgemein verbreiteten Verfassungsgerichtspositivismus begleitet werden (S. 188 ff.). 444 Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (188 f.), warnt vor Autoritätsverlusten der Verfassung durch divergierende fachgerichtliche Auslegungen; Philip Kunig, VVDStRL 61 (2002), 34 (64), weist auf die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichtes für die Einheitlichkeit der Verfassungsentwicklung hin.

E. Probleme mit der verfassungskonformen Auslegung

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sungsgericht verpflichtet. Um die Vorlagefrage zu beantworten, interpretiert das Bundesverfassungsgericht zunächst verbindlich die Verfassung, um sodann das Gesetz an ihr zu messen. Das verfassungswidrige Gesetz wird verworfen und dem Gesetzgeber ggf. aufgetragen, eine Neuregelung zu erlassen. Das verfassungsgemäße Gesetz bleibt in Geltung, die Entscheidung darüber hat selbst Gesetzeskraft. 2. Gerichtliche Überspielung der Verfassungskonkretisierung des Gesetzgebers Mit der verfassungskonformen Auslegung gibt es neue Möglichkeiten fachgerichtlichen wie verfassungsgerichtlichen Umgangs mit dem Gesetz, welche die Kompetenzverteilung empfindlich stören. Das Fachgericht kann mehrere Normdeutungen finden, welche teilweise mit seiner eigenen Verfassungsinterpretation übereinstimmen, teilweise nicht. Es legt nun nicht dem Bundesverfassungsgericht vor, um den Interpretationsstreit letztverbindlich entscheiden zu lassen, sondern entscheidet selbst, nur diejenige Normdeutung des Gesetzes anzuwenden, die seiner eigenen Verfassungsinterpretation entspricht. 445 Damit maßt sich ein Fachgericht die Kompetenz an, das Grundgesetz für den Gesetzgeber verbindlich auszulegen und seine eigene Verfassungsinterpretation über die des Gesetzgebers zu stellen. 446 Die Fachgerichte „befreien“ sich (zumindest teilweise) von ihrer Gesetzesbindung, indem sie die höhere Autorität der Verfassung gegen den Gesetzgeber in Anschlag bringen. 447 Mit seiner Erhebung der verfassungskonformen Auslegung zum Vorverfahren der konkreten Normenkontrolle hat das 445 Ein solches Vorgehen ist ihm nach Ansicht von Apostolos Gerontas, DVBl. 1981, 1089 (1091), auf Grund des Vorrangs des Gesetzgebers untersagt. Vgl. auch Uwe Kischel, AöR 131 (2006), 219 (225): „Denn auch das Parlament ist ebenso wie die Gerichte aufgerufen und befähigt, die Verfassung zu schützen und damit auch die grundrechtliche Freiheitsidee zu verwirklichen.“ 446 Vgl. die scharfe Kritik von Reinhard Rieger, NVwZ 2003, 17 (22), zum Urteil des BVerwG vom 2. 5. 2000, NJW 2000, 2521 ff. Für Claus Dieter Classen, AöR 122 (1997), 65 (84 ff.), dient die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Fachgerichte nicht zuletzt der Sicherstellung des gesetzgeberischen Primats bei der Verfassungskonkretisierung. Anders noch Paul Kirchhof, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 50 (99, Fn. 328), wonach das Bundesverfassungsgericht aufgrund seiner rechtsprechenden Gewalt andere Gerichte beauftrage, Verfassungsinhalte gegen Gesetzesrecht in Kraft zu setzen. 447 Fritz Ossenbühl, NJW 1976, 2100 (2107), sieht insbesondere die sog. Wechselwirkungslehre als eine Figur, mit der das einfache Gesetzesrecht durch unmittelbaren Rückgriff auf die Verfassung übergangen wird. Für Carl Schmitt, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 101, S. 572 (598); ders, Legalität und Legitimität, 1932, S. 57 f., wurde mit der Weimarer Reichsverfassung das grundlegende System von Gesetzgebung und Gesetzesanwendung in Frage gestellt, da Justiz und Verwaltung sich nun auf Grund ihrer unmittelbaren Verfassungsbindung gegen den Gesetzgeber durchsetzen könnten. Dagegen sieht Jochen Abr. Frowein, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 555 (559 ff.), im Primat der Gerichte gegenüber dem Gesetzge-

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Bundesverfassungsgericht eine Kompetenzverschiebung zwischen Gesetzgeber und Fachgerichten vorgenommen, die im Grundgesetz keinen Rückhalt findet. 448 Der Vorschlag, der Gesetzgeber könne eine von ihm abgelehnte fachgerichtliche verfassungskonforme Auslegung im Wege der abstrakten Normenkontrolle vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen, 449 will diese Verschiebung zwar ausgleichen. Gegenstand der abstrakten Normenkontrolle kann aber gerade nicht eine einzelne Auslegungsvariante sein. Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht, indem es die Fachgerichte zur verfassungskonformen Auslegung anhält, sich im Bereich der konkreten Normenkontrolle auf Kosten des Gesetzgebers spürbar entlastet. Zugleich hat es aber, indem es die Kompetenz zur verfassungskonformen Auslegung auch für sich selbst reklamiert, seine eigenen Machtbefugnisse zu Lasten des Gesetzgebers erheblich ausgeweitet. Der Bundesgerichtshof beschreibt dies anschaulich: „Einigkeit besteht darin, daß eine Änderung der Gesetzeslage und die ihr gleichkommende verfassungskonforme Auslegung einer Norm durch das Bundesverfassungsgericht eine Abänderung sowohl bei Vergleichen als auch bei Urteilen erlaubt.“ 450 Die Bestimmung eines Gesetzesinhalts durch das Bundesverfassungsgericht 451 ist also auf Grund der Bindungswirkung seiner Entscheidungen mit einer Änderung der Gesetzeslage gleichzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht wird zum Ersatzgesetzgeber. Das durch Auslegung auf sein „verfassungsgemäßes Maximum“ reduzierte Gesetz kann der Gesetzgeber zwar aufheben oder ändern, er ist aber für die Vergangenheit und unter Umständen auch für die Zukunft an das Ergebnis der verfassungskonformen Auslegung gebunden. 452 Autorität und Freiheit des Gesetzgebers werden daher im Zweifel durch eine Nichtigerklärung des Gesetzes ber das geltende Verfassungssystem verwirklicht; zustimmend Hasso Hofmann, Das Recht des Rechts, 1998, S. 52; auch Gunnar Folke Schuppert / Christian Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 73, freuen sich, dass die Eigenständigkeit der Fachgerichte gestärkt ist und ihnen nun ein „Gestaltungsspielraum beim Umgang mit dem einfachen Recht“ zukommt. 448 Hans Paul Prümm, JuS 1975, 299 (304), warnt vor allem vor der Gefahr, dass die Fachgerichte vom Bundesverfassungsgerichte zu mangels Kompetenz unzulässigen qualitativen Teilnichtigerklärungen unter dem Deckmantel verfassungskonformer Auslegung gedrängt werden. Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 161, halten eine abändernde „verfassungskonforme“ Auslegung oder Gesetzeskorrektur jedenfalls dann für unzulässig, wenn der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, die Verfassung zu konkretisieren. Zur Gesetzeskorrektur sogleich Teil 1 E V; zur verfassungskonformen Auslegung als Vorverfahren der konkreten Normenkontrolle vgl. Teil 3 A IV 1. 449 So Wolfgang Roth, NVwZ 1998, 563 ff. 450 BGHZ 148, 368 (376), m.w. N. [Hervorhebung nicht im Original.] 451 Nach Ansicht von Peter Lerche, DVBl. 1961, 690 (700), ist dagegen eine gewisse Deutungsbreite von verfassungsgerichtlicher Kontrolle freizuhalten.

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weniger beeinträchtigt als durch dessen verfassungskonforme Auslegung. 453 Denn dem Gesetzgeber muss es auch freistehen, in von ihm bestimmter Weise auf die Verfassungswidrigerklärung seiner Gesetze zu reagieren. 454 Doch das Bundesverfassungsgericht kann dem Gesetzgeber nun nicht nur mitteilen, ob, sondern auch mit welchem konkreten (neuen) Inhalt sein Gesetz gilt, was nebenbei den Fachgerichten ihre einfachgesetzliche Auslegung vorschreibt. Die Vorwürfe gegen die verfassungskonforme Auslegung reichen bis zur unzulässigen Gesetzeskorrektur und „wohltätigen Vergewaltigung“ der Legislative. 455

III. Verfassungskonforme Auslegung als Verantwortungsreduktion Nach Verwendung der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung und der Vorzugsregel kann uneindeutig sein, wem deren Ergebnisse zuzurechnen sind. Wird der Wille des Gesetzgebers offenbart, die Verfassung zur Geltung gebracht oder verwirklicht das entscheidende Fachgericht seine Vorstellungen vom „richtigen“ Inhalt der Norm? Mit der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung und der Vorzugsregel werden Normdeutungen als verfassungswidrig verworfen, mindestens eine Deutung als verfassungsgemäß der nachfolgenden Entscheidung zugrunde gelegt. Zum Nachteil der Rechtsklarheit findet sich die Reduzierung der Norm auf eine ihrer Deutungen nicht im Wortlaut des Gesetzes wieder. 456 Der Wandel des Normsinns bei gleich bleibendem Normtext 457 ist nicht nur nachteilig für die Rechtsunterworfenen, sondern entlastet zugleich den Gesetzgeber von der Verantwortung für seine politische Entscheidung 458. Die Nichtigerklärung des Gesetzes wird vermieden, ohne dass ein staatlicher Handlungsträger konkret die Verantwortung übernehmen muss: Der Gesetzgeber entscheidet nicht, weil die 452 Helmut Michel, JuS 1961, 274 (279). Zu den Vorwirkungen, welche allein die (formale) Existenz der Verfassungsgerichtsbarkeit in den Bereich der Gesetzgebung entfaltet, vgl. Jürgen Jekewitz, Der Staat 19 (1980), 535 (539 ff.). 453 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 83, Fn. 298; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. A. 1995, Rn. 83; Helmut Michel, JuS 1961, 274 (279); Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 110. 454 Darin liegt für Max-Emanuel Geis, NVwZ 1992, 1025 (1027), die Bedeutung der Priorität des Gesetzgebers bei der Verfassungskonkretisierung. 455 Vgl. Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 46. 456 So Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 92, 95: Der gerügte Rechtssatz behält seine äußere Form, büßt aber an Inhalt ein; sehr deutlich insofern auch BVerfGE 101, 312 (330). 457 Auf die Gefahr dieses Vorgehens verweist auch Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 209. 458 Kritisch daher Helmut Michel, JuS 1961, 274 (277); Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (189 f.).

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Fachgerichte seine Norm durch ihre Auslegungsergebnisse ersetzen, 459 die Fachgerichte entscheiden nicht, weil – Verweis auf den unveränderten Normtext – schon der Gesetzgeber entschieden hat, und das Bundesverfassungsgericht entscheidet erst recht nicht, weil es eigentlich immer noch irgendeine Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung gibt, welche die Normenkontrolle ersetzen kann. Die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel kann aber auch Fachgerichte 460 und Behörden in der Rechtfertigung ihrer Entscheidungen entlasten. Wenn die meisten Rechtsnormen unbestimmt sind und mehrere Deutungen zulassen, bedarf es im Einzelfall sorgfältiger Begründung, warum eine bestimmte Deutung dem Fallentscheid zugrunde gelegt wurde. Hans Kelsen war der Ansicht, dass die Entscheidung zwischen den verschiedenen Auslegungsergebnissen nicht mehr rechtlich determiniert sei, sondern vom Rechtsanwender nach politischen Kriterien getroffen werde. 461 Doch eine solch explizite Einbeziehung politischer Faktoren – insbesondere im Bereich der Rechtsprechung – erfreut sich in der Jurisprudenz nur geringer Beliebtheit. 462 Durch die verfassungskonforme Auslegung wird eine rechtliche Vorzugsregel geschaffen und das von Hans Kelsen benannte politische Element eliminiert. 463 Der Verweis auf die Verfassung reduziert den Begründungsaufwand, indem eine politische Frage scheinbar rechtlich gelöst wird.

459 Philip Kunig, VVDStRL 61 (2002), 34 (47), legt dar, dass es für den Gesetzgeber nicht selten attraktiv erscheint, durch unbestimmte Regelungen Verantwortung an die Gerichte abzugeben, so beispielsweise, wenn eine politische Pattsituation vorliegt. Dagegen fordert Anne Röthel, JuS 2001, 424 (429), die Gerichte auf, den Gesetzgeber keinesfalls aus der Verantwortung zu entlassen. In diese Richtung auch Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (139), wonach der Jurisdiktionsstaat nur durch eine stärkere Verpflichtung des Gesetzgebers zu vermeiden ist. – Der viel zitierte Begriff des Jurisdiktionsstaates – kritisch zur verbreiteten Verwendung Gunnar Folke Schuppert / Christian Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 79 ff. – entstammt der Staatstypenlehre von Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, 1932, S. 8 ff., der nicht davon ausgeht, dass diese historisch in Reinform auftreten. 460 Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 96, beschreibt als „Erfolg“ der verfassungskonformen Auslegung eine kritiklose Übernahme der Argumente und Formulierungen des Bundesverfassungsgerichtes durch andere Gerichte. 461 Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 611 (626). 462 Insoweit sehr kritisch gegenüber Hans Kelsen: Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 208; sowie Christian Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 258: reiner Voluntarismus Kelsens. Ausführlich zum politischen Moment der sog. Rechtsanwendung in Teil 4 D II. 463 Vgl. nur Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 142.

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IV. Verdrängung der Normenkontrolle durch die verfassungskonforme Auslegung In der verfassungsgerichtlichen Tätigkeit wird die Normenkontrolle durch Phänomene verfassungskonformer Auslegung verdrängt, eine „inhaltliche Lösung“ grundsätzlich einer Geltungsentscheidung am Maßstab des Grundgesetzes vorgezogen. Zu befürchten ist, dass damit die Verfassung ihrer Prüfungsfunktion entkleidet und das richterliche Prüfungsrecht aufgeweicht, die repressive Kontrolle durch eine Inhaltsübertragung ersetzt wird. 464 Zugleich nimmt die Verwerfung verfassungswidriger Normdeutungen durch das Fachgericht einen Teil der Normenkontrolle vorweg. 465 Damit drohen insgesamt die Fachgerichte durch verfassungskonforme Auslegung in die Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichtes einzugreifen, 466 während dessen umfassende Auslegungsüberprüfung bei inzidenter Normenkontrolle den Kompetenzbereich der Fachgerichtsbarkeit berührt. 467

V. Verfassungskonforme Gesetzeskorrektur Immer wieder wird im Zusammenhang mit den Phänomenen verfassungskonformer Auslegung die Befürchtung laut, der Wille des Gesetzgebers werde missachtet, seine Regelung durch die Vorstellung der rechtsanwendenden Instanzen ersetzt. 468 Mehr als zweifelhaft ist, ob eine solche Negierung der Gesetzesbindung unter Berufung auf die Verfassung gerechtfertigt werden kann. 469 Wenn auch eine Kor464

So Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 84. Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 (86), dagegen sieht die Verfassung hier schlicht in doppelter Funktion auftreten. 465 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 13; Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 89; Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 104. 466 Vgl. Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 1 III, Rn. 84; Uwe Kischel, Die Begründung, 2003, S. 51; Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. A. 2005, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 331. 467 Auf diese ungünstige Wechselwirkung verweisen auch Hans-Ulrich Evers, in: Christian Starck (Hg.), Das allgemeine Gesetz, 1987, S. 96 (135), und Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 125 f. 468 Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (179), hält es mit Blick auf die Gewaltenteilung für problematisch, die „mit der verfassungskonformen Auslegung praktisch einhergehenden Korrekturbefugnisse gegenüber Akten der Legislative“ ohne Weiteres jedem Gericht zu übertragen. Vgl. auch Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (43), zur verfassungskonformen Auslegung als geltungserhaltender Inhaltskorrektur von Gesetzesrecht.

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rektur des Gesetzes als „verfassungskonforme Auslegung“ zu verstehen ist, 470 kann unter diesem Begriff ein Vorrang der Fachgerichte bei der Verfassungskonkretisierung etabliert werden. 471 Dabei bedürften die Rechtsanwender / innen nicht nur der Befugnis, eigene Verfassungskonkretisierungen an Stelle gesetzlicher Regelungen zu setzen, sondern dem vorangehend auch der Verwerfungsbefugnis zur Beseitigung bestehender Gesetzesinhalte. 472 Bei der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung mag noch diskutiert werden, wie eng sie mit einer qualitativen Teilnichtigerklärung verbunden ist, die verfassungskonforme Gesetzeskorrektur setzt dagegen die Verwerfung bestehender Regelungen voraus. Jedenfalls für nachkonstitutionelle Gesetze liegt das Verwerfungsmonopol aber beim Bundesverfassungsgericht. 473 Schließlich ist unklar, wie die Verwendung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung noch sinnhaft begrenzt werden kann, wenn die 469

Für Hans Hofmann, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 1, Rn. 73, liegt darin der Sinn der Bindung auch der Zivilgerichte an die Grundrechte. Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 242 ff., halten verfassungskonforme Gesetzeskorrekturen für zulässig, sofern die Wertentscheidung des Gesetzgebers nicht entgegensteht. Ohne Problembewusstsein: Christoph Kannengießer, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Vorb. v. Art. 1, Rn. 10. Widersprüchlich: Ernst Höhn, Praktische Methodik der Gesetzesauslegung, 1993, S. 236, 313. Ablehnend: Hans-Ulrich Evers, in: Christian Starck (Hg.), Das allgemeine Gesetz, 1987, S. 96 (135 ff.); Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 90; Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 129, 180; Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 764; Theodor Schilling, Rang und Geltung von Normen, 1994, S. 543 ff. Nach Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2291, Fn. 51), entspricht es allgemeiner Meinung, dass die verfassungskonforme Auslegung nicht zur Gesetzeskorrektur führen darf. Solch klare Bekenntnisse zur Gesetzesbindung werden jenseits der Auslegung aber wieder konterkariert, wenn angenommen wird, dass die Rechtsfortbildung contra legem zulässig sei, vgl. nur Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 132 ff.; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 353 ff.; strikt ablehnend aber Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 254 ff. 470 Nach Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 13 f., 25, ist die verfassungskonforme Auslegung eine Umdeutung, deren Rechtfertigung auf einer objektiven Auslegungstheorie beruht, die den Gesetzestext als Gegenstand und Grenze der Auslegung zugleich begreift. 471 Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung, 1999, S. 129 f., schließt aus dem Vorrang der Verfassung und der Grundrechtsbindung der Gerichte insgesamt auf einen institutionellen Vorrang letzterer vor dem Gesetzgeber. Davon abgesehen, dass dies die grundgesetzliche Ordnung verfehlt, wird solchen Überlegungen von Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 104, zutreffend vorgeworfen, dass sie unzulässig richterliches Prüfungsrecht mit Auslegungsfragen vermengen. 472 Für Friedrich Schack, JuS 1969, 269 (273), m.w. N., umfasst eine zulässige Rechtsanwendung zwar auch Rechtsfortbildung und Gebotsberichtigung; dies könne aber nicht für die verfassungskonforme Auslegung gelten, da andernfalls in die Verwerfungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichtes eingegriffen werde (S. 274). Klaus Stern, NJW 1958, 1435 (1435), kann dagegen nicht verstehen, warum eine Modifikation in die Verwerfungskompetenz eingreifen könnte, das Gesetz bleibe doch erhalten.

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Rechtsanwender / innen auch zu verfassungskonformer Gesetzeskorrektur berufen sind. 474 Die Rechtsprechung bedient sich aber vielfach der verfassungskonformen Gesetzeskorrektur, so ungern sie diese offen legt. 475 Besonders umstritten waren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes 476 und des Bundesgerichtshofes 477, die gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes und die Absichten des Gesetzgebers ihre Vorstellungen von einem verfassungskonformen Rechtsschutz durchsetzen wollten. 478 Bezüglich der Frage, ob bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechtes entgegen der gesetzlichen Regelung auch Geldersatz für immaterielle Schäden zugebilligt werden könne, sprach das Bundesverfassungsgericht von einem „Mehr an Recht“, welches „dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag“. 479 Durch solches Vorgehen ist zugleich wieder die Funktionsverteilung zwischen Legislative und Judikative betroffen. 480 Besonders bedenklich ist, wenn das Bundesverfassungsgericht die Befugnis zur Gesetzeskorrektur für sich in Anspruch nimmt, da der Gesetzgeber von seinen Entscheidungen in ganz anderer Weise betroffen ist als durch eine einzelfallbezogene Missachtung durch ein Fachgericht. 481 Max Emanuel Geis sieht die 473

Kritisch daher Joachim Lege, Jura 2005, 616 (621), zu BVerwG, NJW 2004, 2462 ff., das unter dem Deckmantel verfassungskonformer Auslegung wie ein Verfassungsgericht oder gar Korrekturgesetzgeber handele, statt den hier (einzig) zulässigen Weg der konkreten Normenkontrolle zu gehen. 474 Gegen eine unbegrenzte verfassungskonforme Auslegung als Änderung der Norm im Kern auch Franz Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2005, S. 41. Im Zweifel will Reinhold Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, 2. A. 1996, S. 431 ff., die Frage einer zulässigen Modifikation aber durch eine Abwägung zwischen favor legis und Gewaltenteilung entscheiden. 475 Vgl. Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 69 f.; Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 239 f.; Klaus Rennert, NJW 1991, 12 (18). Aufschlussreich BGHZ 50, 325 (334 f.), wo die Ansicht des Berufungsgerichtes, das gewünschte Ergebnis könne hier nur contra legem erzielt werden, empört zurückgewiesen wird. 476 BVerfGE 9, 194 ff. 477 BGHSt 13, 102 ff. 478 Sehr kritisch zu den Entscheidungen: Martin Baring, JZ 1960, 171 (171 f.); Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. A. 1995, Rn. 83, Fn. 53; Christian-Friedrich Menger, JZ 1960, 168 (169 f.); ders., VerwArch 50 (1959), 387 (389 ff.); Helmut Michel, JuS 1961, 274 (281); Friedrich Schack, JuS 1969, 269 (273 f.); Hans J. Wolff / Otto Bachof / Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. A. 1999, § 28, Rn. 58. Dagegen feierte Theo Zimmermann, NJW 1952, 959 (959 f.), schon früher begeistert den Beginn einer höchstrichterlich abgesegneten gesetzesberichtigenden Rechtsprechung. 479 BVerfGE 34, 269 (287). Zur – teilweise vernichtenden – Kritik vgl. nur Friedrich Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 65 (75 f.), m.w. N.; Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 208; Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 83 ff., m.w. N. 480 Vgl. Werner Frotscher, Die Abgrenzung der Zuständigkeit, 1964, S. 49.

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„verfassungskonforme“ Analogie oder Normkorrektur nicht vom Prinzip der verfassungskonformen Auslegung gedeckt und prangert zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes 482 an, mit denen es nach seiner Ansicht die Grenze zum Ersatzgesetzgeber überschreitet. 483 Werden dagegen diverse Unzulänglichkeiten des Gesetzgebungsverfahrens einerseits sowie die Machtfülle, Legitimation und bessere Prognosefähigkeit des Bundesverfassungsgerichtes andererseits herangezogen, um Versuche der Grenzziehung für überflüssig zu erklären, 484 vermag dies nur begrenzt zu überzeugen. Die verfassungskonforme Gesetzeskorrektur gar als Steuerungsinstrument des Bundesverfassungsgerichtes zur Bestimmung der funktionell-rechtlichen Grenzen zwischen sich und dem Gesetzgeber zu verstehen, 485 ist höchstens als Beschreibung eines erheblichen Missstands akzeptabel.

VI. Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung in der Kritik Die Verwendung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung wirft einige Probleme auf, die insbesondere die Kompetenzen und das Verhältnis der Staatsgewalten zueinander betreffen. Das Bundesverfassungsgericht legt das einfache Recht verbindlich für die Fachgerichte aus und diktiert zugleich dem Gesetzgeber seine Norminhalte. Dieses Vorgehen bestätigt Befürchtungen bezüglich seiner Eigenschaften als Superrevisionsinstanz und Ersatzgesetzgeber. Die Fachgerichte relativieren ihre Gesetzesbindung und unterlaufen den legislativen Primat bei der Verfassungskonkretisierung. Die Anerkennung einer verfassungskonformen Gesetzeskorrektur löst ihre Gesetzesbindung endgültig auf. Zugleich nehmen die Fachgerichte einen Teil der Normenkontrolle vorweg und berühren so die Ver481 Wesentliche Unterschiede liegen in der Frage der Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher und fachgerichtlicher Entscheidungen. Für eine Bindung des Gesetzgebers an verfassungsgerichtliche Entscheidungen: Jürgen Jekewitz, Der Staat 19 (1980), 535 (547, 555); Bindung der Parlamente, nicht aber des Gesetzgebers im funktionellen Sinne: Andreas Heusch, in: Dieter C. Umbach u. a. (Hg.), BVerfGG, Mitarbeiter-Kommentar, 2. A. 2005, § 31, Rn. 64; zum Normwiederholungsverbot: Steffen Detterbeck, AöR 116 (1991), S. 391 –459; Uwe Kischel, AöR 131 (2006), S. 219 –254; grds. ablehnend, aber mit Verweis auf die Verfassungsorgantreue: Stefan Korioth, Der Staat 30 (1991), 549 (565 ff.); Andreas Voßkuhle, NJW 1997, 2216 (2218); sowie Jan Ziekow, Die Verwaltung 1994, 461 (480 f.). Zur Unzulässigkeit verfassungsgerichtlicher Normumdeutung vgl. unten Teil 3 C II 4. 482 BVerfGE 86, 288 ff.; 85, 69 ff. 483 Max Emanuel Geis, NJW 1992, 2938 (2938 ff.); ders., NVwZ 1992, 1025 (1026 ff.). 484 Uwe Seetzen, NJW 1976, 1997 (1999 ff.). Wenig optimistisch ist auch Jörn Lüdemann, JuS 2004, 27 (29), wonach methodische Postulate nur begrenzt Schutz vor der Deformation gesetzlicher Vorgaben bieten könnten, wie einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zeigten; wobei er erfreulicherweise nicht die Schlussfolgerung zieht, dass auf Methode ganz verzichtet werden könne. 485 So aber Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung, 1999, S. 200.

F. Lösungsansätze

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werfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichtes. Auch wenn faktisch eine Machtverschiebung vom Gesetzgeber zu den Gerichten stattfindet, ist die verfassungskonforme Auslegung ein System organisierter Verantwortungslosigkeit insofern, als unklar bleibt, bei welcher Instanz die konkrete Verantwortung liegt. Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung stehen unterschiedlich stark in der Kritik. Am heftigsten umstritten ist die verfassungskonforme Auslegung als Inhaltsbestimmung mit Hilfe der Verfassung und in ihrer normerhaltenden Funktion. Immerhin sind hier Kompetenzabgrenzungen, Funktionsverteilung und Effektivität der Normenkontrolle berührt. Die verfassungskonforme Rechtsfortbildung weist alle Probleme auf, die auch sonst im Zusammenhang mit der Rechtsfortbildung diskutiert werden. Auf eine Wiederholung der Argumente wurde daher an dieser Stelle verzichtet. 486 Die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel wird kaum kritisiert, da sie sich nach herrschender Ansicht wohl nicht vom gewöhnlichen Auslegungsvorgang unterscheidet. 487 Schließlich sieht sich die verfassungsorientierte Auslegung überhaupt nicht in der Kritik. Ursache kann sein, dass sich diese Auslegungsform auf verfassungsgemäße Gesetze bezieht.

F. Lösungsansätze: Die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung Die Ansätze zur Lösung der erkannten Probleme sollen in der richtigen Grenzziehung 488 der verfassungskonformen Auslegung liegen: „Sämtliche Autoren sind sich darüber einig, daß die Problematik [der verfassungskonformen Auslegung] in der Beachtung der notwendigen Grenzen liegt. Auch die Rechtsprechung hat sich in mehreren Entscheidungen um die Auffindung dieser Grenzen bemüht.“ 489 486

Ausführlich zur verfassungskonformen Rechtsfortbildung siehe Teil 3 E. Anders Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 63; Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 59; Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 106: unzulässiger Methodenmonismus. 488 Allerdings hat Christoph Moench, Verfassungswidriges Gesetz und Normenkontrolle, 1977, S. 21, sehr recht, wenn er darauf hinweist, dass ein Philosophieren über die Grenzen wenig Erfolg verspricht, solange keine Klarheit über die Funktion der Phänomene verfassungskonformer Auslegung besteht: „Die ‚offene Flanke’ der verfassungskonformen Auslegung, die Frage ihrer Grenzen, ist die Folge der wenig präzisen Verortung.“ 489 Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 15. Vgl. auch Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (505 ff.) m.w. N. Skeptisch aber Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. I, 2. A. 1984, S. 137, wonach die verfassungskonforme Auslegung auch bei Beachtung der notwendigen Grenzen nicht unproblematisch und daher die Vermehrung von (partiellen) Nichtigerklärungen vorzuziehen sei. 487

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

Dabei hat ihr das Schrifttum hilfreich zur Seite gestanden. 490 Die Ergebnisse dieser gemeinsamen Bemühungen sollen im Folgenden dargestellt und gewürdigt werden. Immerhin ist mit Sorge festgestellt worden, dass der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung schon seiner Rechtsnatur nach eine Tendenz zur Normmanipulierung in sich trage, durch welche er leider auch in Misskredit geraten sei. 491 Klare Grenzen scheinen daher unerlässlich.

I. Die Grenzen der Auslegung Obwohl die verfassungskonforme Auslegung verschiedene Phänomene umfasst, wird an ihrer methodologischen Einordenbarkeit als Auslegung festgehalten, so dass die „anerkannten Grenzen“ der Auslegung 492 gelten sollen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sind dies auch für die verfassungskonforme Auslegung der Wortlaut und der Sinn der Vorschrift, 493 der Wortlaut und der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers, 494 der Wortlaut und der Regelungszweck 495. Auch die Fachgerichte berufen sich auf anerkannte Begrenzungen, wenn für sie eine verfassungskonforme Auslegung wegen des eindeutigen Wortlauts, 496 des entgegenstehenden gesetzgeberischen Willens, 497 einer Kombination beider 498 oder der Eindeutigkeit der Regelung 499 nicht in Betracht kommt. Die zunächst dargestellten Grenzen beziehen sich daher auch nur auf die Phänomene verfassungskonformer Auslegung, die als Auslegung begriffen werden können, also die Inhaltsbestimmung, die Vorzugsregel und ggf. die verfassungsorientierte Auslegung. Da in der Rechtsprechung zum einen zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung nicht immer klar getrennt, zum anderen die verfassungskonforme Rechtsfortbildung nicht gesondert thematisiert wird, ist für deren Darstellung auf die allgemeinen Grenzen der Rechtsfortbildung zurückzugreifen. 490 Anders aber Stefan Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen, Bd. 1, 2001, S. 125, der alle Bemühungen um Grenzziehung nur als inkonsequente Anwendung der verfassungskonformen Auslegung als Vorrangregel einzuordnen scheint. 491 Vgl. Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 69. 492 Vgl. nur Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 156 f.; Hans Paul Prümm, JuS 1975, 299 (302). Für Theodor Schilling, Rang und Geltung von Normen, 1994, S. 547, macht eine verfassungskonforme Auslegung jenseits der dogmatischen Grenzen das verfassungsrechtlich Geforderte abhängig vom Bestand des einfachen Rechts und entwertet so das Verfassungsrecht. 493 BVerfGE 72, 278 (295); 59, 360 (386); 47, 46 (82); 8, 28 (28). 494 BVerfGE 102, 254 (327); 95, 64 (93); 71, 81 (105); 49, 286 (301); 18, 97 (111). 495 BVerfGE 99, 129 (143); 8, 38 (41). 496 Vgl. BVerfGE 110, 94 (104); 88, 187 (192); 35, 263 (267). 497 Vgl. BVerfGE 107, 59 (76); 103, 293 (300); 89, 132 (136). 498 Vgl. BVerfGE 100, 226 (233); 100, 59 (83 ff.). 499 Vgl. BVerfGE 107, 150 (159); 106, 166 (170); 95, 64 (78).

F. Lösungsansätze

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II. Der Wortlaut als Grenze Der Wortlaut bzw. Wortsinn des Gesetzestextes begrenzt nicht nur die verfassungskonforme Auslegung, sondern markiert grundsätzlich die Unterscheidung von Auslegung und Rechtsfortbildung. 500 Hintergrund der Wortlautgrenze ist zum einen die Gewaltenteilung. Gerichte und Verwaltungsbehörden sollen sich nicht über den als Produkt des Gesetzgebungsverfahrens veröffentlichten Normtext hinwegsetzen. Die Richtigkeitsvermutung für die im Bundes- oder Landesgesetzblatt publizierte Gesetzesfassung soll selbst durch sog. Redaktionsfehler nicht nachhaltig erschüttert werden. Denn zum anderen geht es um Rechtssicherheit für die Rechtsunterworfenen. Die Lektüre des Gesetzestextes soll ihnen klare Vorstellungen über ihre Ansprüche und Pflichten sowie über die rechtliche Bewertung ihres Handelns vermitteln. 501 Besonders wichtig ist die Wortlautgrenze daher im Strafrecht, mit dem rechtlich unerwünschtes Handeln sanktioniert werden kann. 502 Diese Begrenzung ist durch das Bestimmtheitsgebot in Art. 103 Abs. 2 GG sogar explizit geregelt. Die strafrechtliche Methodik, welche kurze strafrechtliche Normtexte mit verschachtelten Definitionspyramiden unterlegt und so an die (umgekehrte) Arbeitsweise der Begriffsjurisprudenz erinnert, steht dazu in einem rätselhaften Spannungsverhältnis, welches auch durch den verschwenderischen Gebrauch der Figur der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ kaum aufgelöst werden kann. 503

500 Vgl. Dagmar Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 204, 208; Max-Emanuel Geis, NVwZ 1992, 1025 (1027); Matthias Klatt, Theorie der Wortlautgrenze, 2004, S. 19 f., 244 ff., 280, m.w. N.; Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 47 ff.; Wolfgang Roth, NVwZ 1998, 563 (566), m.w. N. Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 13 f., identifiziert dagegen die Wortlautgrenze als Bedingung der Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung, welche eine von der objektiven Theorie gedeckte Umdeutung darstelle (S. 25). 501 Winfried Brugger, AöR 119 (1994), 1 (24), charakterisiert den – für ihn vorrangigen – juristischen Wortgebrauch allerdings zutreffend als hochtechnisierte Kunstsprache. Und schon Bernhard Windscheid, Recht und Rechtswissenschaft, 1854, S. 12 ff., musste seine Profession gegen den Vorwurf der unverständlichen Sprache wortreich in Schutz nehmen. 502 Zu den Problemen, die der verschwenderische Gebrauch von Generalklauseln sowie die Unmöglichkeit einer eindeutigen Abgrenzung zwischen Auslegung und Rechtsschöpfung im Strafrecht mit sich bringen, vgl. Klaus Rolinski, in: Günter Kohlmann (Hg.), Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, 1983, S. 143 (146 ff.); die durch grenzüberschreitende Auslegung zu Lasten der Rechtsunterworfenen gehende Verschiebung des Verurteilungsrisikos sieht er aber durch Gleichheitssatz, kriminalpolitische Bedürfnisse und Veränderung der Gesellschaftsstruktur hin zu einer sozialen Gemeinschaft als gerechtfertigt an (S. 155). 503 Vorschläge zur Verbesserung der Bestimmtheit des Strafrechts kommen von Fritjof Haft, JuS 1975, 477 (483 ff.). Dagegen bezeichnet Hans Thoma, Bürgerliches Recht, Allgemeiner Teil, 2. A. 1975, S. 34, die Forderung nach allgemein-verständlichen Gesetzen weitgehend als Illusion.

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

1. Die Eindeutigkeit und die Mehrdeutigkeit des Wortlauts Die Wortlautgrenze besagt im Hinblick auf die verfassungskonforme Auslegung zunächst, dass diese bei eindeutigem Wortlaut der Norm nicht möglich ist. 504 Doch schon die Feststellung, dass der Wortlaut eindeutig ist, ist das Ergebnis eines Auslegungsvorganges. 505 Dies wird besonders deutlich, wenn innerhalb der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, ob eine verfassungskonforme Auslegung im vorliegenden Fall am Wortlaut der Vorschrift scheitert oder nicht. 506 Die Divergenzen können so weit gehen, dass das vorlegende Gericht einen „klaren und eindeutigen“ Wortlaut vor sich sieht, während derselbe Wortlaut für das Bundesverfassungsgericht „ersichtlich mehrere“ Deutungen zulässt. 507 Damit wird auch die Vorstellung relativiert, die Wortlautgrenze sei ein Steuerungsinstrument des Gesetzgebers, der mit weiter (alle Fachgerichte durch verfassungskonforme Auslegung) oder enger (nur das Bundesverfassungsgericht durch Normenkontrolle) Formulierung bestimmen könne, wer ihn wie kontrolliert. 508 Die Unmöglichkeit verfassungskonformer Auslegung bei eindeutigem Wortlaut könnte die Kehrseite der Anforderung sein, dass Voraussetzung der verfassungskonformen Auslegung immer eine Mehrheit möglicher Normdeutungen ist. 509 Bezieht sich die Mehrdeutigkeit auch auf den Wortlaut, ist zu fragen, wie dieser noch eine Grenzfunktion entfalten kann. Die Begrenzungsleistung des mehrdeu504

Vgl. BVerfGE 90, 263 (275); 63, 131 (147 f.); 38, 41 (49); 34, 165 (199). Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 39 f.; Vittorio Frosini, Gesetzgebung und Auslegung, 1995, S. 11 f.; Fritz-René Grabau, Gesetzes- und Vertragsinterpretation, 1993, S. 88; Matthias Jestaedt, in: Christoph Grabenwarter / Norbert Lüdecke (Hg.), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, 2002, S. 100 (101). Derweil legt Elisabeth Holzleithner, Juridikum 4/96, 21 (25), zutreffend dar, dass der Rekurs auf den Wortlaut oder allgemeinen Sprachgebrauch in Judikatur wie Kommentarliteratur nicht selten schlicht dazu dient, hochgradig politische Entscheidungen zu verschleiern. 506 Vgl. BVerfGE 95, 64 (78 und 94 f.); 35, 263 (267 und 278 ff.). Auch ist das Bundesverfassungsgericht selbst in seiner Verwendung des „Wortsinns“ nicht eindeutig, vgl. Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 (116), m.w. N. 507 BVerfGE 88, 187 (192 und 197). 508 So aber Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 261 ff. Nach Ansicht von Uwe Seetzen, NJW 1976, 1997 (1999 ff.), müssen bei der verfassungskonformen Auslegung ohnehin nur die Fachgerichte die Wortlautgrenze beachten, das Bundesverfassungsgericht sei dagegen zu Restriktion wie Extension berechtigt. 509 Daran erinnern auch Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 35 f., und Helmut Michel, JuS 1961, 274 (277). In Bezug auf Verwaltungsbehörden sehen Hans-Joachim Koch / Rüdiger Rubel / Sebastian Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2003, § 5, Rn. 78 ff., die Verwendung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung auf den Bereich von unbestimmten Rechtsbegriffen, Spielräumen und Vagheit beschränkt. 505

F. Lösungsansätze

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tigen Wortlauts kann nur negativer Art sein. 510 Das würde die Unterscheidung in sog. positive, negative und neutrale Kandidaten voraussetzen. 511 Positive Kandidaten sind Bezugsgrößen, die vom Wortlaut sicher erfasst sind, negative, die vom Wortlaut keinesfalls erfasst sind, neutrale, die erfasst sein können. 512 Der mehrdeutige Wortlaut bietet eine Abgrenzung zu den negativen Kandidaten: Was keinesfalls vom Wortlaut erfasst ist, kann auch nicht durch (verfassungskonforme) Auslegung hineingelegt werden. In der Reduktion auf diese Ausschlussfunktion wird die Wortlautgrenze auch anerkannt. 513 2. Die Kritik an der Wortlautgrenze Die Wortlautgrenze als reine Ausschlussfunktion überzeugt aber wenig. Zum einen lässt sie vornehmlich die Bereitschaft steigen, den Rahmen denkbarer sprachlicher Bedeutungen möglichst weit zu ziehen, 514 so dass lediglich die Zahl der sog. neutralen Kandidaten exponential ansteigt 515. Zum anderen ist die Wortlautgrenze für den Konfliktfall, in dem sie wirksam werden soll, gerade untauglich. 516 510 Vgl. Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 33 ff.; Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 132 f.; Anusheh Rafi, Kriterien für ein gutes Urteil, 2004, S. 82 ff. 511 Ausführlich zum Drei-Bereiche-Modell: Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 195 ff.; kritisch dagegen Dietrich Busse, Juristische Semantik, 1993, S. 126 ff.; Ulrich Schroth, in: Arthur Kaufmann / Winfried Hassemer (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6. A. 1994, S. 344 (362 f.). 512 Vgl. Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 54 ff.; Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 96, m.w. N.; Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 20 f. 513 Kostas Chryssogonos, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, 1987, S. 118 f.; Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 4, 1977, S. 293; Friedrich Müller, Strukturierende Rechtslehre, 2. A. 1994, S. 159: die rechtsstaatlich unersetzbare Grenzfunktion des Wortlauts muss negativ bestimmt werden; ebenso Ralph Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989, S. 286 ff. Weitergehend Bernd Schünemann, in: Günter Kohlmann (Hg.), Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, 1983, S. 169 (180 ff.). Akzentuiert anders Joachim Lege, Pragmatismus und Jurisprudenz, 1999, S. 534 f., wonach der Wortlaut der Praxis keine unüberwindbare Grenze setzen kann, bei einer gewünschten Veränderung selbiger aber als Trägheitsmoment zumindest ein Innehalten erzwingt. 514 So, wenn das Bundesverfassungsgericht Senate des Bundesgerichtshofes ermutigt, „den möglichen Wortsinn der Vorschrift auszuschöpfen“, vgl. BVerfGE 110, 1 (27); eine sprachphilosophische Aufbereitung des „möglichen Wortsinns“ bieten Maximilian Herberger / Hans-Joachim Koch, JuS 1978, 810 ff.; eine kleine Verwendungsanalyse erstellt Ulfrid Neumann, in: Eike von Savigny (Hg.), Juristische Dogmatik und Wissenschaftstheorie, 1976, S. 42 –59; eine radikale Kritik kommt von Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 137 ff. Oder wenn es in der Literatur für ausreichend erachtet wird, dass „das Gesetzeswort immer noch als eine, wenn auch unvollkommene, doch bei der Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände noch verständliche Erklärung“ angesehen werden kann, so Friedrich Schack, JuS 1969, 269 (273).

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

Der Wortlaut kann nicht zugleich Gegenstand und Grenze der Auslegung sein. 517 Das semantische Argument darf nicht mehr eingebracht werden, wenn die Bedeutung eines Wortes in der Interpretation zweifelhaft war. 518 In allen Fällen, in denen die Mehrdeutigkeit des Gesetzes als Voraussetzung der verfassungskonformen Auslegung auf der Mehrdeutigkeit des Normtextes beruht, könnte danach der Wortlaut nie als Grenze für diese herangezogen werden. Auch der Ausweg, den juristischen Diskurs zu Gunsten eines semantischen zu verlassen und die Grenzfunktion des Wortlauts durch Sprachgebrauchsregeln aufrecht zu erhalten, 519 sieht sich neuen Schwierigkeiten gegenüber 520. Ein ambitionierter Versuch, die Wortlautgrenze zu retten und die Normativität semantischer Regeln nachzuweisen, wird von Matthias Klatt unternommen. 521 Insgesamt gelingt es ihm jedoch nicht, über die Beschreibung der Stabilität von Diskursen durch zeitweilige Übereinstimmung über Wortgebrauchsregeln hinaus normative semantische Grenzen aufzuzeigen. Auch die Einführung eines sprachanalytischen Diskurses, der als Metaebene die Sprachgebrauchsregeln begründen soll, 522 erweist sich als wenig hilfreich, da die Frage, wer dessen Regeln konstituiert, ebenso unklar bleibt wie der Inhalt dieser Regeln selbst. 523

515

So kritisch zum Konzept der „Vagheit“: Dietrich Busse, Juristische Semantik, 1993, S. 128 ff. 516 Vgl. Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 41, 53; Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 240, 250. 517 Überzeugend Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 17 ff.; anders aber die herrschende Meinung, vgl. nur Curt Wolfgang Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, 1995, S. 137, m.w. N.; Karl Larenz / ClausWilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 163; Hans Paul Prümm, JuS 1975, 299 (301 f.); Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 139, 142; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 231, 234; Manfred Seebode, JZ 1998, 781 (781). Für Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 32, ergeben sich Irritationen daraus, dass hier Doppeltes gemeint ist: Text und Bedeutung. 518 Vgl. Peter Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 103, der Karl Larenz vorwirft, gegen diese Grundregel zu verstoßen, indem er bei teleologischer Auslegung als Grenze den möglichen Wortsinn heranziehe. 519 So Matthias Klatt, Theorie der Wortlautgrenze, 2004, S. 122 ff., 235 ff.; vgl. auch Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978, S. 289 ff., 71 ff.; kritisch zu Alexys Vorstellung von allgemeinen Sprachgebrauchsregeln: Dietrich Busse, Juristische Semantik, 1993, S. 181 ff. Für Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 199 f., führt die Gebrauchstheorie schlicht dazu, dass der Wortsinn keine feste Grenze der Auslegung bilden kann. 520 Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 47, spricht von der Unbegrenztheit der empirischen Regeln, die wir Sprache nennen. 521 Matthias Klatt, Theorie der Wortlautgrenze, 2004, passim. 522 Vgl. Matthias Klatt, Theorie der Wortlautgrenze, 2004, S. 233 ff.

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Wenn die Postmoderne mit Theorien über Bedeutungszuschreibungen und Konstruktion von Wirklichkeit unsere begriffsrealistischen Sicherheiten auflöst, soll als Trost dienen, dass die Wortlautbindung im juristischen Alltag ja doch irgendwie funktioniert 524. Dieser Trost muss schwach bleiben, da ein irgendwieFunktionieren kaum den Anforderungen an juristisches Handeln genügen kann. Wird der Postmoderne nicht umfänglich gefolgt, aber immerhin eingesehen, dass die Bedeutung eines Wortes nicht feststeht, sondern von seinem Gebrauch abhängt, 525 hat dies auch Konsequenzen für die Gesetzesauslegung. Wer den Inhalt eines Gesetzes ermitteln will, muss dann auf den Sprachgebrauch des historischen Gesetzgebers abstellen. Nicht immer schenkt dieser aber seinem kommunikativen Hilfsmittel die notwendige Aufmerksamkeit. Die Wortlautgrenze soll folglich auch deshalb unsinnig sein, weil die enge oder weite Fassung eines Gesetzestextes oft auf reinem Zufall beruhe. 526 Wolf-Dieter Eckardt kritisiert insbesondere die objektive Theorie, die er als Urheberin der Wortlautgrenze vermutet: „So zeigt sich das eigenartige Bild, daß gerade die ausschließlich rationale, vernunftbetonte objektive Theorie bei ihrer Grenzziehung auf ein Element angewiesen ist, das noch nicht einmal auf an sich schon mängelbehafteten menschlichen Überlegungen beruht, sondern auf dem blinden Zufall: der unabsichtlich engen oder weiten Fassung des Gesetzeswortlauts.“ 527 3. Die Relativierung der Wortlautgrenze Zwar zeigt sich die Rechtsprechung von der Kritik an der Wortlautgrenze nicht beeindruckt und statuiert diese weiterhin – im Einvernehmen mit der herrschenden 523

Skeptisch bezüglich der Trennung von Objekt- und Metasprache zum Zweck der Grenzziehung schon Ulrich Schroth, in: Arthur Kaufmann / Winfried Hassemer (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6. A. 1994, S. 344 (363 f.). 524 So Martin Hochhuth, Rechtstheorie 32 (2001), 227 (228 f.). 525 Kritisch zu einem radikalen Bedeutungsskeptizismus auch Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 123 (130 ff.); Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 145 ff.; Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 96 ff., m.w. N. 526 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 47. Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (61), weist darauf hin, dass auch Befürworter / innen der Theorie der Wortlautgrenze eine falsa demonstratio nicht für schädlich halten. 527 Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 28. Auch Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 177, sieht einen Zusammenhang zwischen objektiver Methode und Unschärfen in der Begrenzungsfunktion des Wortlauts; Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 221 ff., äußern sich zurückhaltend zur objektiv-teleologischen „Auslegung“; nach ihrer Ansicht sollen die Zwecke des Gesetzgebers maßgebend sein, wenn die Wortsinnauslegung scheitert (S. 210 ff.).

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

Lehre – als ultimative Grenze der (verfassungskonformen) Auslegung. Doch ist zugleich die Tendenz zu bemerken, die Wortlautgrenze durch die Verwendung anderer Auslegungsmittel zu relativieren. 528 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes können sich Deutungsmöglichkeiten aus der Systematik oder dem Sinn der Vorschrift sehr wohl gegen den Wortlaut durchsetzen. 529 Schließlich bedeute Bindung an das Gesetz nicht Bindung an den Buchstaben, der Richter sei nicht durch den formalen Wortlaut begrenzt und die Systematik helfe hier, die wahre [sic!] Bedeutung zu erforschen. 530 Richtig ist, dass alle Auslegungsmittel zur Anwendung kommen sollen, um die Bedeutung einer Norm zu ermitteln. Wenn der Wortlaut aber die Grenze dieser Bedeutung darstellt, können weder Gerichte noch Verwaltungsbehörden im Wege der Auslegung zu einem mit dem Gesetzestext nicht vereinbaren Ergebnis kommen. Eine „Auslegung“ über den Gesetzeswortlaut hinaus ist konsequent als Rechtsfortbildung zu qualifizieren oder die Wortlautgrenze aufzugeben.

III. Der Sinn des Gesetzes als Grenze Wenn der Wortlaut keine Grenzfunktion entfalten kann, weil sein Bedeutungsgehalt umstritten oder seine Grenzfunktion zugunsten anderer Auslegungskriterien aufgehoben ist, stellt sich die Frage, ob diese anderen Kriterien eine zuverlässige Begrenzung der verfassungskonformen Auslegung bieten können. Im Folgenden ist zu untersuchen, ob – wie vom Bundesverfassungsgericht angeregt – der Sinn des Gesetzes die Verwendung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung begrenzen kann. 1. Der eindeutige Gesetzessinn Der Richter soll einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht durch „verfassungskonforme“ Auslegung einen entgegen gesetzten Sinn geben dürfen. 531 Es soll sogar ein weit deutbarer Wortlaut unbeachtlich sein, wenn das gesetzgeberische Ziel erkennbar verfassungswidrig ist. 532 Das Gericht darf ein Gesetz nur im Rahmen seines wesentlichen Sinnes verfassungsbezogen verstehen und ergänzen, 533 seiner Funktion als Sollensaussage entsprechend muss sich der Zweck des

528 Nach Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 98, kann die Einbeziehung der Verfassung eben auch dazu führen, dass mit dem (verfassungsrechtlich geprägten) Sinn des Gesetzes gegen den Wortlaut argumentiert wird. 529 Vgl. BVerfGE 97, 186 (196); 30, 83 (88 f.); 22, 28 (37); 8, 210 (220 f.). 530 BVerfGE 35, 263 (279). 531 BVerfGE 8, 28 (28). Vgl. BVerfGE 88, 203 (333); 71, 81 (105); 54, 277 (299). 532 Werner Frotscher, Die Abgrenzung der Zuständigkeit, 1964, S. 48.

F. Lösungsansätze

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Gesetzes durchsetzen 534. Begrenzungsfunktion soll der gesetzgeberische Zweck allerdings nur entfalten können, wenn er eindeutig feststellbar ist. 535 Sinn und Zweck eines Gesetzes werden nach traditionellem Verständnis mit Hilfe der teleologischen Auslegung ermittelt. Dabei handelt es sich weniger um eine methodische Anleitung zur Inhaltsermittlung als vielmehr um eine Sammelbezeichnung für mögliche – nicht selten einander widersprechende 536 – Auslegungsziele. Gesucht werden kann nach dem Willen des historischen Gesetzgebers, nach der Entscheidung eines vernünftigen Gesetzgebers, nach dem objektivierten Willen des Gesetzes oder nach der gerechten Lösung des Einzelfalles. Der Sinn eines Gesetzes bestimmt sich folglich nach dem rechtstheoretischen und methodologischen Vorverständnis seiner Interpret / innen. Eindeutigkeit ist unwahrscheinlich. Die Frage nach den Grenzen der verfassungskonformen Auslegung lässt sich so auch als bloße Fortsetzung des unfruchtbaren Methodenstreites dechiffrieren. 537 2. Die Relativierung der Sinngrenze Das Bundesverfassungsgericht verfolgt das übergeordnete Auslegungsziel der Verfassungskonformität. Dies wird deutlich, wenn es den Fachgerichten attestiert, die Gesetzesnorm durchaus methodisch korrekt und insoweit zutreffend ausgelegt zu haben – allerdings würde das gefundene Ergebnis gegen die Verfassung verstoßen, weshalb es doch nicht zutreffend sein könne. 538 Dabei kann der Eindruck entstehen, für das Bundesverfassungsgericht sei es eben Sinn und Zweck des Gesetzes, verfassungskonform zu sein. 539 Die klassischen Auslegungsmethoden werden nur darauf überprüft, ob sie dem verfassungskonformen Ergebnis 533 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 33. Für Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 110 ff., ist Grenze der verfassungskonformen Auslegung die „immanente Teleologie des Gesetzes“. 534 Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 251 ff. Ähnlich Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung, 1999, S. 204. 535 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 264. 536 Vgl. Eike von Savigny, in: ders. (Hg.), Juristische Dogmatik und Wissenschaftstheorie, 1976, S. 7 (11), S. 144 (147 ff.), zur heterogenen Basis (strafrechts-)dogmatischer Argumentation. 537 So kritisch Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 66. Ähnlich Helmut Michel, JuS 1961, 274 (277), der allerdings nicht entmutigt ist, weiter nach Grenzen zu suchen. Dagegen sieht Uwe Seetzen, NJW 1976, 1997 (2001), die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung durch Fachgerichte problemlos im herkömmlichen Methodenpluralismus, der für ihn aus grammatischem, systematischem, interessenabwägendem, teleologischem und historischem Element unter Einschluss der verfassungsorientierten Auslegung besteht. 538 Vgl. BVerfGE 110, 226 (248, 262); 25, 198 (205). 539 Vgl. nur BVerfG, NJW 2005, 1923 (1927).

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

entgegenstehen könnten. Dabei mag sich das Bundesverfassungsgericht nicht auf untergeordnete Auslegungsziele festlegen, sondern spricht in salomonischer Methodendiversität 540 mal vom Sinn, mal vom gesetzgeberischen Willen und mal vom Regelungszweck. Diese Formulierungen decken nahezu jedes denkbare Auslegungsziel ab. Mit einer Sinnermittlung nach beliebigen Auslegungszielen kann die Verwendung von Phänomenen der verfassungskonformen Auslegung aber kaum eingeschränkt werden. Soll Sinn und Zweck des Gesetzes gar seine Verfassungskonformität sein, ist die Begrenzungsfunktion des Gesetzessinns für diese Fälle aufgehoben.

IV. Der normative Gehalt des Gesetzes als Grenze Eine verfassungskonforme Auslegung soll ferner nicht möglich sein, wenn sie den normativen Gehalt des ausgelegten Gesetzes erst schaffen oder grundlegend neu bestimmen würde, dies ist Aufgabe des Gesetzgebers. 541 Indem der Aufgabenbereich des Gesetzgebers zur Grenzbestimmung herangezogen wird, werden auch funktionell-rechtliche Kriterien in die Abgrenzung eingebracht. 1. Normativer Gehalt des Gesetzes und Gesetzgeber Die Bestimmung des normativen Gehalts eines Gesetzes gilt also als Aufgabe des Gesetzgebers. Eine verfassungskonforme Auslegung scheidet aus, wenn sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. 542 Der eindeutige gesetzgeberische Wille darf nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung überspielt werden. 543 Dieser Wille ergibt sich insbesondere aus dem Wortlaut des Gesetzes und seiner Entstehungsgeschichte. 544 Dabei kann eine Änderungsabsicht des Gesetzgebers ebenso entscheidend sein 545 wie die aus seiner Untätigkeit zu schließende Absicht, das Gesetz in wesent540 Dem Schweizer Bundesgericht hat das Bekenntnis zum Methodenpluralismus den Vorwurf grundsätzlicher Grundsatzlosigkeit eingetragen, vgl. Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 54 ff., der zwar bereit ist, dieses Vorgehen als topische Methode zu akzeptieren, sich dann allerdings mehr Methodenehrlichkeit, also Übereinstimmung angeführter Argumente mit den Entscheidungsgründen wünscht. 541 Vgl. BVerfGE 90, 263 (275); 71, 81 (105); 45, 393 (400); 34, 165 (200); 20, 150 (161); 9, 83 (87); 8, 71 (78 f.). Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 (117 f.), spricht vom „gesetzgeberischen Regelungsermessen“. 542 BVerfGE 101, 312 (329); 101, 54 (95); 99, 341 (358); 98, 17 (45); 95, 64 (93); 93, 37 (79); 90, 263 (274 f.); 71, 81 (105); 18, 97 (111), stRspr.; vgl. auch die Ablehnung einer „verfassungskonformen Auslegung“ in BVerwGE 122, 130 (133). 543 BVerfGE 67, 299 (329); BVerwGE 106, 64 (84). 544 Vgl. BVerfGE 101, 106 (131); 8, 28 (33).

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lichen Punkten nicht zu ändern 546. Kann der Gesetzgeber einen verfassungswidrigen Zustand auf verschiedene Weise beheben (insbesondere bei Verstößen gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG), darf das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung nicht vorgreifen. 547 Durch diese Rechtsprechung entsteht der Eindruck, der Gesetzgeber spiele eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung der Grenzen der verfassungskonformen Auslegung. 548 Doch ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine Beschränkung nur durch den eindeutigen oder klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers anerkannt wird, womit weniger dessen Absichten als die Erkenntnisfähigkeiten der Anwendungsinstanzen im Vordergrund stehen. Zum anderen will sich insbesondere das Bundesverfassungsgericht durch gesetzgeberische Intentionen auch nicht zu sehr beschränken lassen. 2. Die Eindeutigkeit des gesetzgeberischen Willens Die Rechtsprechung fordert, damit der Wille des Gesetzgebers als Grenze – auch der verfassungskonformen Auslegung – beachtlich sein könne, müsse er sich irgendwie im Wortlaut manifestiert, einen Niederschlag, einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden haben. 549 Eine Rechtsnorm zeichnet sich dadurch aus, dass sie sagt, was sein soll, dass sie eine Regelungsintention hat, ihr normativer Gehalt ist der verbindlich gemachte Regelungswille des Gesetzgebers. 550 Der gesetzgeberische Wille steht nun aber unter dem Vorbehalt von Sprachgefühl und Spracheinfühlungsvermögen der Interpret / innen. 551 545

BVerfGE 37, 154 (166 f.). BVerfGE 38, 41 (49). 547 BVerfGE 106, 166 (181); 100, 313 (396). 548 Jan-R. Sieckmann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 100 Abs. 1 GG, Rn. 34, will die Respektierung des gesetzgeberischen Willens von einer Abwägung zwischen der funktionell-rechtlichen Stellung der beteiligten Organe und den in Frage stehenden materiellrechtlichen Verfassungsprinzipien abhängig machen. 549 Vgl. nur BVerfGE 71, 81 (106); 62, 1 (45); 11, 126 (130); BGHZ 87, 309 (315); 62, 286 (289); 44, 303 (306); BGHSt 26, 156 (160). Ablehnend Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 167 f.; Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 734 ff.; sowie Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 138 ff., nach dessen Ansicht sich der Wille gegen den Wortlaut durchsetzt. Zu den Problemen der Andeutungstheorie vgl. auch Stefan Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen, Bd. 1, 2001, S. 120, m.w. N. 550 So Helmut Michel, JuS 1961, 274 (278), für den sich die Zulässigkeit verfassungskonformer Auslegung daher auch nur mit Bezug auf den Willen des Gesetzgebers bestimmen lässt, unabhängig davon, wie eindeutig oder mehrdeutig der Wortlaut der Norm ist (S. 279). 551 Erfreut der Bundesgerichtshof in BGHZ 142, 111 (114): „Der Wortlaut des Gesetzes bleibt nicht hinter seinem Sinn zurück.“ – Spannend ist, wie sich das Gericht verhalten hätte, 546

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

Damit ist unter den Begriff der Wortlautgrenze eine neue Funktion zu fassen. Ging es ursprünglich um die Begrenzung der Auslegungsmacht der Anwendungsinstanzen, wird der Wortlaut nun zur Geltungsgrenze gesetzgeberischer Regelungsmacht. 552 Ein verständlicher Wortlaut mag ein wünschenswertes Qualitätsmerkmal gesetzgeberischer Tätigkeit sein. Er mag unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgrundsatzes auch verfassungsrechtlich relevant sein. Aber kann der Wortlaut darüber hinaus die Geltung bestimmen? Hängt vom Wortlaut – und dessen Verständnis durch die Auslegenden – ab, ob der Regelungswille des Gesetzgebers verbindlich als Rechtsnorm in Kraft getreten ist oder nicht? Das Bundesverfassungsgericht hat zutreffend ausgeführt, den normativen Gehalt zu bestimmen, sei Sache des Gesetzgebers. Diese Kompetenzzuordnung verwehrt es den Interpret / innen, den Wortlaut aus ihrem eigenen Sprachhorizont zu erschließen, um daraus die Reichweite der Geltung des gesetzgeberischen Regelungswillens zu bestimmen. Das Sprachverständnis der Anwendungsinstanzen kann nicht die Geltung der Rechtsnorm grundsätzlich begrenzen. Inwieweit ein konfuser Wortlaut zur Unanwendbarkeit der Norm mangels Bestimmtheit führt, ist hier nicht zu entscheiden. 3. Die interpretatorische Betreuung des Gesetzgebers Doch selbst, wenn die Interpret / innen sich in der Lage sehen, den Wortlaut zu verstehen und die gesetzgeberische Intention zu erfassen, sehen sie sich nicht genötigt, diese auch zu beachten. Gerade das Bundesverfassungsgericht drängt dem Gesetz(geber) lieber den „besseren“ normativen Gehalt auf. 553 Die gängigen Argumentationslinien legen dabei den Schluss nahe, der Gesetzgeber sei weitgehend unfähig und hilfsbedürftig und auf gerichtliche Betreuung angewiesen: Der Gesetzgeber habe nicht alle Konsequenzen erfasst und hätte eine andere Regelung vorgenommen, wenn er das Problem erkannt hätte. 554 Es gebe keine Anhaltspunkte, wenn er es täte. – Boris Schinkels, Rechtstheorie 37 (2006), 407 (415), fordert dagegen, dass sich die Intention des historischen Gesetzgebers in den Regeln und Optimierungsgeboten eines Normkomplexes niedergeschlagen haben müsse; der ggf. defizitäre Wortlaut sei dann durch Rechtsfortbildung zu korrigieren (S. 413). 552 Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 598, geht davon aus, dass die Anerkennungstheorie zur Folge hat, dass das Gericht den Willen des Gesetzgebers dann im Wortlaut angedeutet findet, wenn es ihn billigt, bei seinen Bemühungen aber scheitert, wenn es grundsätzlich anderer Ansicht als der Gesetzgeber ist. 553 Vgl. zu solchem Vorgehen schon Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 98, Fn. 141: „Bei manchen Entscheidungen fühlt man sich versucht, von einer Sherlok-Holmes-Methode der Interpretation zu reden. Der Gesetzgeber wird behandelt wie ein verstockter Verbrecher, der die Entscheidung wohl gewußt, aber böslich verschwiegen hat, bis dann der scharfsinnige Richter ihn auf einer unvorsichtigen Wendung ertappt und des verborgenen Entscheidungsgedankens überführt.“ [Hervorhebung wie Schreibweise im Original.] 554 So BVerfGE 35, 263 (279 f.); 8, 210 (220).

F. Lösungsansätze

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dass diese Regelung nicht ein Versehen war. 555 Der Gesetzgeber habe den vorliegenden Fall nicht bedacht. 556 Wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit gesehen hätte, hätte er diese andere Regelung getroffen. 557 Es kam dem Gesetzgeber hier gar nicht entscheidend darauf an. 558 Von Respekt vor der Autorität des Gesetzgebers kann angesichts dieser Ausführungen keine Rede sein. Im Interesse einer ausgewogenen Kompetenzordnung, in welcher der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum und die Gesetzesbindung der Gerichte gewahrt werden, wäre wohl eine Beweislastumkehr angebracht. Das Gericht trifft die volle Argumentationslast, dass und warum die gesetzgeberische Problemlösung nicht als zulässige Verfassungskonkretisierung angesehen werden kann. 559 Für eine verfassungskonforme Auslegung muss es überdies nachweisen, dass der Gesetzgeber gerade diese Regelung getroffen hätte bzw. dass ein Versehen (sehr beliebt: der sog. Redaktionsfehler 560) vorliegt; dass dies nicht ausgeschlossen ist, kann für eine richterliche Überspielung des gesetzgeberischen Willens nicht ausreichen. 561 4. Die Relativierung der funktionell-rechtlichen Begrenzung Die Zurückdrängung des gesetzgeberischen Willens erschöpft sich nicht in der Bevormundung des Gesetzgebers. Eine weitere Relativierung der gesetzgeberischen Regelungsintention liegt darin, dass der zu beachtende gesetzgeberische Wille reduzierbar sein soll. 562 Ausreichend sei, wenn das Maximum dieses Willens aufrechterhalten werde. 563 Der Begriff Maximum lässt dabei auf einen umfassenden Schutz der gesetzgeberischen Absichten hoffen. 564 Doch ist zu beachten, dass 555

BVerfGE 87, 48 (67). BVerfGE 32, 199 (226). 557 BVerfGE 70, 35 (57). 558 BVerfGE 87, 114 (145). 559 So Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 204 ff. 560 Zur Rechtsfigur des Redaktionsversehens umfassend Magnus Riedl, AöR 119 (1994), S. 642 – 657. 561 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 451. Den Nachweis, dass der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen hätte, hält Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 763 (773), für nicht einfach zu erbringen. 562 Wie immer dieser Vorgang konkret vorzustellen ist. Es wird wohl ein Geheimnis des Bundesverfassungsgerichtes bleiben, was es bedeutet, einen Willen „soweit wie möglich“ aufrecht zu erhalten. 563 Vgl. BVerfGE 59, 360 (387); 49, 148 (157); 47, 327 (380); 12, 45 (61); 9, 194 (200). Zustimmend Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 154; skeptisch Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 (120); strikt ablehnend Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 270. 556

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dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungskonformität einer von mehreren möglichen Normdeutungen genügt, die zugleich nur einem (Groß-)Teil des gesetzgeberischen Willens entsprechen muss – die vom Bundesverfassungsgericht selbst verwendete Beschreibung als „Restbestand der Norm“ 565 ist daher vielleicht treffender. In dieser Rechtsprechung kann nur die Verwirklichung eines Minimums an Respekt gegenüber dem Gesetzgeber erkannt werden – wenn überhaupt. 566 Daher soll eine verfassungskonforme Auslegung nicht mehr statthaft sein, wenn der Gesetzgeber die fragliche Vorschrift ohne ihren verfassungswidrigen Teil vermutlich nicht erlassen hätte. 567 Vor der Aufrechterhaltung des sog. Maximums wird gewarnt, da es in die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers falle, ob er eine solcherart reduzierte Norm aufrechterhalten oder eine neue Regelung erlassen wolle. 568 Diese Versuche, die funktionell-rechtliche Begrenzung zu re-etablieren, sehen sich aber von einem Phänomen konterkariert: der verfassungskonformen Gesetzeskorrektur 569. Bestehen verfassungskonforme Auslegung und Gesetzeskorrektur nebeneinander, ist der Versuch einer Begrenzung aus gesetzgeberischer Regelungsintention sinnlos, da jederzeit die verfassungskonforme Gesetzeskorrektur die Auslegung ablösen und diese Grenze überwinden kann. Mit dem Begriff des „Maximums“ stellt das Bundesverfassungsgericht das Ziel der Verfassungskonformität über die Wahrung der gesetzgeberischen Regelungsintention. Ist eine einschränkende, verfassungskonforme Auslegung möglich, soll irrelevant sein, ob dem subjektiven Willen des Gesetzgebers die weitergehende, 564 Besonders, wenn seine Bedeutung auf ganze Regelungssysteme erstreckt werden soll, vgl. BVerfGE 86, 288 (320 f.): „Nichts anderes kann dann gelten, wenn im Rahmen eines aufeinander abgestimmten gesetzlichen Regelungssystems das Verfassungsrecht eine bestimmte Auslegung einer einen Teil dieses Regelungssystems bildenden Norm verbietet, aber eine andere Norm, die einen Teil des nämlichen Regelungssystems bildet, nach ihrem Wortlaut und Sinn einer mit dem Grundgesetz vereinbaren Auslegung dahin offen steht, daß aufrecht erhalten werden kann, was der Gesetzgeber mit der von ihm ins Werk gesetzten Gesamtregelung vor allem zu erreichen bestrebt war. So liegt es hier.“ 565 BVerfGE 101, 312 (330); ablehnend Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 131. 566 So kritisch Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 22 f. 567 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 67 ff. Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (519 f.), fordert sogar, dass einwandfrei feststehen müsse, dass der Gesetzgeber auch nur diese Restregelung getroffen hätte. 568 Helmut Michel, JuS 1961, 274 (279). Auch Georg Strickrodt, DB 1959, 103 103), fordert Nichtigkeit statt Umdeutung, wenn das Handeln des Gesetzgebers in Widerspruch zur Verfassung gerät. 569 Dazu oben Teil 1 E V. Nach Ansicht von Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 161, ist die Aufrechterhaltung des „Maximums“ jedenfalls keine Auslegung mehr, sondern eine teleologische Reduktion und damit verfassungskonforme Rechtsfortbildung.

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mit dem Grundgesetz nicht vereinbare Auslegung eher entsprochen hätte. 570 Der Normerhalt setzt sich gegen den normativen Gehalt durch. Wenn normativer Gehalt aber die gesetzgeberische Regelungsintention meint, ist ernstlich zu fragen, was unter dem Begriff des Normerhaltes überhaupt aufrechterhalten wird. 5. Normativer Gehalt des Gesetzes und Normerhalt Wird die funktionell-rechtliche Begrenzung ernst genommen, ist zu fordern, dass die eine verfassungsgemäße Deutung, welche für das Bundesverfassungsgericht ausreichend ist, zugleich den normativen Gehalt des Gesetzes verkörpert. 571 Die eine verfassungsgemäße Deutung müsste also der Intention des Gesetzgebers oder – der herrschenden Ansicht folgend – zumindest dem Maximum seines Willens entsprechen. Dem Bundesverfassungsgericht genügt es aber festzustellen, Entstehungsgeschichte oder Absichten des Gesetzgebers stünden der verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. 572 Zweifelhaft ist, ob mit dieser Negativabgrenzung der Beweis erbracht ist, dass die eine verfassungsgemäße Deutungsvariante dem gesetzgeberischen Willen oder zumindest dessen Maximum entspricht. Dies ist nicht mehr anzunehmen, wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, der Gesetzgeber habe zwar nicht an diese verfassungsgemäße Deutung gedacht, gleichwohl aber eine entsprechende verfassungskonforme Inhaltsbestimmung für zulässig hält. 573 Ein „Normerhalt“ unter Missachtung des normativen Gehaltes ist jedoch schlicht widersinnig. Es handelt sich dann vielmehr um einen Normtexterhalt. 574 Die Konfusion von Norm und Normtext ist in der Jurisprudenz weit verbreitet 575 und zeigt ihre Konsequenzen gerade auch bei Fragen der Grenzziehung. 570

BVerfGE 93, 37 (81); 69, 1 (55); 49, 148 (157). Die Ansicht von Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 51, ein Widerspruch zum wirklichen Willen des Gesetzgebers sei unbeachtlich, geht allerdings entschieden zu weit. Danach wäre der normative Gehalt vom Gesetzgeber zu bestimmen, müsste aber nicht seinem Willen entsprechen – ein rätselhafter Vorgang. 571 Vgl. Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 (119): „Vor allem besteht die Gefahr, daß das Gericht mit seiner Unterstellung des gesetzgeberischen ‚Willens zur Aufrechterhaltung‘ seine eigene rechtspolitische Meinung unterschiebt.“ 572 Vgl. BVerfGE 108, 82 (115); 102, 254 (336); 75, 201 (220 f.); 69, 1 (55). 573 Vgl. BVerfGE 108, 82 (114 f.). 574 Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (49), hat als Effekt der Wortlautgrenze ausgemacht, dass die Gesetzesbindung des Richters nicht mehr das Gesetz als normative Entität, sondern den Gesetzestext als Zeichenfolge schützt. 575 So liegt für Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 3, 1976, S. 688, eine abändernde Auslegung vor, wenn sich der Wille des Gesetzgebers gegenüber dem Wortlaut des Gesetzes durchsetzt. Auch Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 216 ff., meinen mit der Gesetzeskorrektur durch Ana-

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

V. Die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung vorkonstitutioneller Gesetze Umstritten ist, ob die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung von vorund nachkonstitutionellen Gesetzen identisch sind. Helmut Michel, für den der Wille des Gesetzgebers die Grenze verfassungskonformer Auslegung bildet, misst diesem bei vorkonstitutionellen Gesetzen keine Bedeutung bei: Die Gewaltenteilung gelte nur für nachkonstitutionelles Recht. 576 Auch Bernd Bender hält die Grenze des Wortsinns bei vorkonstitutionellen Gesetzen für ausreichend, im Übrigen könne die gesetzgeberische Ordnungsvorstellung dem Wandel der Verhältnisse angepasst werden. 577 Dagegen besteht Hans Paul Prümm darauf, dass beispielsweise Weimarer Normen sich strukturell nicht von nachkonstitutionellem Recht unterscheiden, weshalb auch bei vorkonstitutionellem Recht sowohl die Textgrenze als auch die gesetzgeberische Intention zu wahren seien. 578 Der nachkonstitutionelle Gesetzgeber kann ein vorkonstitutionelles Gesetz durch eine Gesetzesänderung „in seinen Willen aufnehmen“ und so zu einem nachkonstitutionellen Gesetz umwandeln. 579 Im Übrigen sei vorkonstitutionelles Recht durch Auslegung der verfassungsmäßigen Ordnung anzupassen: „Wie neues Recht im Einklang mit dem grundrechtlichen Wertsystem stehen muß, so wird bestehendes älteres Recht inhaltlich auf dieses Wertsystem ausgerichtet; von ihm her fließt ihm ein spezifisch verfassungsrechtlicher Gehalt zu, der fortan seine Auslegung bestimmt.“ 580 Allerdings ist dies nicht uneingeschränkt möglich. 581 Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Sammlungsgesetz nicht logie und teleologische Reduktion ersichtlich eine Korrektur des Gesetzeswortlauts. Zur notwendigen Unterscheidung von Norm und Normtext vgl. Teil 3 B I. 576 Helmut Michel, JuS 1961, 274 (281); Rupert Stettner, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 123, Rn. 21, will die Vereinbarkeit vorkonstitutionellen Rechts mit dem Grundgesetz auch entgegen der Zielsetzung des ursprünglichen Gesetzgebers herstellen lassen. 577 Bernd Bender, MDR 1959, 441 (446), nicht so bei nachkonstitutionellen Gesetzen (S. 447). 578 Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 255 ff. 579 Vgl. BVErfGE 97, 117 (122 f.); 78, 165 (171); 66, 248 (254); 63, 181 (187 ff.); 60, 135 (149); 37, 217 (237 f.); 18, 216 (219 ff.); 10, 185 (191 f.). 580 BVerfGE 7, 198 (205). Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 173, nehmen an, dass die Anpassung vorkonstitutionellen Rechts an die Verfassung eine geänderte Auslegung bewirkt. Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 212 f., betonen die Bedeutung der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen aus der NSZeit; vgl. auch Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 222. Zur Frage der Auslegung von Gesetzen aus der Zeit des Nationalsozialismus vgl. auch Teil 4 B II 2. 581 Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 174 ff., spricht sich dezidiert gegen die Verwendung der verfassungskonformen Auslegung als Revisionsinstrument für

F. Lösungsansätze

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durch verfassungskonforme Auslegung aufrechterhalten werden könne, da es dem Verwaltungsdenken des totalitären Staates entstamme. 582 Eine rechtsstaatliche Umdeutung würde den normativen Gehalt neu bestimmen, was dem Gesetzgeber überlassen bleiben müsse. 583 Damit ist nicht der damalige, sondern der nachkonstitutionelle Gesetzgeber im Blick, dessen Respektierung, wie eben dargestellt, jedoch vielfältigen Relativierungen unterworfen wird.

VI. Die Grenzen der verfassungskonformen Rechtsfortbildung Die Befugnis zur Rechtsfortbildung soll insbesondere durch die Rechts- und Gesetzesbindung in Art. 20 Abs. 3 GG und den Grundsatz der Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 GG beschränkt sein. 584 Das Gericht [bzw., wenn deren grundsätzliche Kompetenz zur Rechtsfortbildung angenommen wird, die Verwaltungsbehörde] darf sich nicht aus der Rolle des Rechtsanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben. 585 Die Rechtsordnung ist mit systemimmanenten Mitteln weiter zu entwickeln, nicht zu verlassen; es dürfen nicht eigene rechtspolitische Vorstellungen zur Geltung gebracht werden. 586 Gegen eine unzulässige Rechtsfortbildung

vorkonstitutionelles Recht aus. Es kann aber nicht übersehen werden, dass weite Teile der Rechtsprechung und Literatur hier eine großzügigere Einstellung pflegen und damit die Auffassung bestätigen, die Anpassung und Umdeutung sei eine Daueraufgabe der Rechtsanwendung, so Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 983 ff. Explizit für eine Anpassung von „Altnormen“: Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 75 ff. 582 BVerfGE 20, 150 (160). 583 BVerfGE 20, 150 (161). 584 Vgl. BVerfGE 102, 347 (361); 96, 375 (394); 69, 315 (371 f.); 65, 182 (191); 57, 220 (248); 34, 269 (288). Daher darf nach Norbert Bernsdorff, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Art. 97, Rn. 25, der Boden des Gesetzes nicht verlassen werden; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 103, betrachtet Wortlaut und Sinn des Gesetzes als Grenze; Reinhold Zippelius, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 108 (121 ff.), hält jedenfalls eine wesentliche Änderung des Gesetzeszwecks oder die Usurpation gesetzgeberischen Regelungsermessens für unzulässig. 585 BVerfGE 96, 375 (394); 96, 56 (63); 87, 273 (280). Zudem sieht Michael Sachs, in: ders. (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 20, Rn. 121, den Vorbehalt des Gesetzes für ein Verwaltungshandeln als mittelbare Grenze richterlicher Rechtsfortbildung an. 586 Vgl. BVerfGE 65, 182 (194); 49, 304 (322); 34, 293 (301 f.). Zur Behauptung des Bundesverfassungsgerichtes im Soraya-Beschluss, der Bundesgerichtshof habe hier keinen eigenen rechtspolitischen Willen zur Geltung gebracht, vgl. BVerfGE 34, 269 (292), kommentiert Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 86, allerdings nur nüchtern: „Das Gegenteil ist offensichtlich.“

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Teil 1: Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen

kann Verfassungsbeschwerde erhoben werden, Prüfungsmaßstab ist Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG. 587 Zuweilen werden auch bei der verfassungskonformen Rechtsfortbildung die anerkannten Auslegungsmethoden zur Begrenzung herangezogen. 588 Ursache dafür ist, dass gerade in der Rechtsprechung Auslegung und Rechtsfortbildung nicht immer klar getrennt werden. 589 Die Rechtsfortbildung erscheint als eine Art Auslegung unter Überschreitung der Wortlautgrenze, eine Fortführung der Interpretation mit anderen Mitteln. 590 Die Überschreitung der Wortlautgrenze ist aber nur Symptom für das größere Problem, dass Gesetzesbindung und Gewaltenteilung berührt sein können. Gerade die verfassungskonforme Rechtsfortbildung steht im Spannungsfeld von Grundrechtsverwirklichung und Beachtung des Gesetzesvorbehaltes. 591 So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, der fehlende Regelungsgehalt einer Norm dürfe nicht durch verfassungskonforme Auslegung so weit ergänzt werden, dass sie danach als gesetzliche Grundlage eines Grundrechtseingriffs in Betracht komme, dies verstoße gegen den Gesetzesvorbehalt. 592

G. Zusammenfassung Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung lassen sich weder in den juristischen Methodenlehren noch in der Kompetenzordnung zweifelsfrei verorten. 587 Vgl. BVerfGE 73, 261 (269); 65, 182 (190). Oder Art. 20 Abs. 3 GG i.V. m. einem spezielleren Grundrecht: BVerfGE 82, 6 (12) – Art. 14 GG; 69, 315 (369) – Art. 8 GG. Oder sogar nur Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ohne expliziten Grundrechtsbezug: BVerfGE 102, 347 (361); 96, 375 (394). 588 Vgl. BVerfGE 96, 375 (395). Nach Ansicht von Bodo Pieroth / Tobias Aubel, JZ 2003, 504 (505 ff., 508), sind Auslegung und Rechtsfortbildung kaum zu trennen, weshalb die klassischen canones eine wesentliche Bedeutung für die Begrenzung der richterlichen Entscheidungsfindung entfalten. 589 Vgl. nur BVerfGE 102, 347 (361); 98, 1 (16 f.); 95, 48 (62); 69, 315 (369 ff.); 53, 115 (132 ff.); 41, 251 (267 f.); 39, 276 (299); BAGE 112, 100 (107 ff.); 91, 144 (153). 590 Vgl. Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 187 f.; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 236 f.; Christian Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 35 f.; KarlPeter Sommermann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. A. 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 286, wonach Auslegung wie Rechtsfortbildung Rechtsfindung unter Anwendung juristischer Methoden sind. Zu dieser Lesart durch die „objektive“ Auslegungslehre und den damit verbundenen erheblichen Schwierigkeiten bei der Grenzziehung vgl. Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (30, 34 ff., 46 ff.), m.w. N. 591 Siehe dazu ausführlich Teil 3 E I. Zur Aufhebung der Contra-legem-Grenze durch die Idee der Konformisierung selbst vgl. sehr schön Marietta Auer, NJW 2007, 1106 (1108). 592 BVerfGE 107, 104 (128 f.).

G. Zusammenfassung

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In ihrer normerhaltenden Funktion tritt die verfassungskonforme Auslegung in ein merkwürdiges Konkurrenzverhältnis zur Normenkontrolle, wodurch zwar das Bundesverfassungsgericht entlastet, die Autorität des Gesetzgebers jedoch beeinträchtigt wird. Versuche, die Phänomene verfassungskonformer Auslegung zu rechtfertigen, sehen sich Widerständen gegenüber, die an ihrem Erfolg zweifeln lassen. Am wenigsten umstritten sind die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel und die verfassungsorientierte Auslegung. Ein Grund, warum Phänomene verfassungskonformer Auslegung in der Praxis so gut funktionieren, kann auch sein, dass sich das Bundesverfassungsgericht nicht genötigt sieht, die von ihm für diese Auslegungsmethoden entwickelten Grundsätze in ein kohärentes System zu bringen, sondern sie nach Belieben nebeneinander anwendet. Das entspricht seinem methodischen Vorgehen insgesamt und wird vielleicht deshalb von der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht explizit kritisiert. Darüber hinaus kann sich in der Rechtsdogmatik unter dem Grundgesetz eine Methode mit Verfassungsbezug großer Anerkennung gewiss sein. Das Kernproblem der verfassungskonformen Auslegung bleibt das Verhältnis von Verfassungs- und Gesetzesrecht sowie die Bedeutung beider für die Entscheidung von Einzelfällen. Die Verteilung von Aufgaben und Befugnissen in einem gestuften Rechtssystem scheint noch der Klärung zu harren. Bisher ist die verfassungskonforme Auslegung dargestellt und auf ihre Widersprüche zu etablierten Strukturen hingewiesen worden. Im Folgenden wird umgekehrt versucht, Strukturen des geltenden Rechtssystems herauszuarbeiten und zu prüfen, ob und wie sich die Phänomene verfassungskonformer Auslegung in diese Strukturen einpassen.

Teil 2

Rechtstheoretische Grundlegungen Die Debatte um das Vorverständnis der Jurist / innen hat die Jurisprudenz nicht nur verunsichert, sondern auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit methodologischer Reflektion geschärft. Wenn die Phänomene verfassungskonformer Auslegung auf Strukturen des geltenden Rechts bezogen werden sollen, ist es unerlässlich, zuvor darzulegen, von welchem Standpunkt aus diese Strukturen betrachtet werden. Werden unterschiedliche Prämissen zugrunde gelegt, kann der gleiche Gegenstand in der Beschreibung höchst unterschiedliche Formen annehmen. Daher werden im Folgenden kurz die rechtstheoretischen Grundlegungen vorgestellt, auf denen die Befassung mit dem derzeit geltenden Recht in dieser Arbeit basiert.

A. Vorverständnis, Gegenstand und Methode Es mag die Frage gestellt werden, warum es notwendig ist, eine Theorie des Rechts vorzustellen, wenn doch nur eine bestimmte Auslegungsmethode auf ihre Zulässigkeit überprüft werden soll. 1 Da der deutsche Gesetzgeber aber weder 1

Ausführliche Antworten von Matthias Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein ..., 2006, insbes. S. 43 ff.; ders., ZÖR 55 (2000), S. 133 –158. Dagegen grundsätzlich ablehnend gegenüber dem Ansinnen theoretischer Reflektion ist Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 2. A. 1914, S. VIII: „Auseinandersetzungen über Methodenfragen liebe ich nicht und habe es namentlich nie verstehen können, wie einer zum Zeichen, daß er gesonnen ist, sich ernsthaft mit einem Zweige der Wissenschaft zu beschäftigen, zunächst einmal mit einem Buch oder einer größeren Abhandlung über Begriff und Methode dieses Zweiges die Öffentlichkeit in Anspruch nehmen mag.“; eine Ansicht, die fortwirkt, wie die Beschreibung des hervorstechenden Identifikationsmerkmals von Rechtstheorie bei Alexander Somek, Rechtliches Wissen, 2006, S. 10, zeigt: „die Rechtstheorie [ist] sozial erkennbar daran, dass sie von juristischen Experten als für das handfeste juristische Geschäft entbehrlich erlebt wird“ [Hervorhebungen im Original.] – dabei ist die Rechtstheorie im Gegenteil für die juristische Expertise völlig unentbehrlich als ihr offenes Ende, ihr Ort für Verweise ins juristische Nichts, ohne den die juristische Praxis nicht funktionsfähig ist (S. 11 ff.). In der vorklassischen und klassischen römischen Kasuistik war die hohe Diskretion in methodologischen Fragen vermutlich eine Strategie zur Sicherung von Herrschaftswissen, so Nikolaus Benke, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 1 (75 ff., 83 f.).

A. Vorverständnis, Gegenstand und Methode

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die verfassungskonforme Auslegung noch andere Methoden der Interpretation von Gesetzesnormen explizit geregelt hat, bleibt nur der umständlichere Weg, grundlegende Aussagen und Strukturen des positiven Rechts zu untersuchen, um daraus gegebenenfalls methodologische Schlussfolgerungen ziehen zu können. Für dieses Vorgehen bedarf es eines rechtstheoretischen Ansatzes, mit dessen Hilfe festgelegt wird, was in diesem Sinne das positive Recht ist und welche Erscheinungen als seine grundlegenden Aussagen und Strukturen zu verstehen sind. Trotzdem könnte es doch genügen, die Phänomene verfassungskonformer Auslegung an den Grundsätzen zu überprüfen, die in juristischen Methodenlehren entwickelt worden sind. Doch sind diese Grundsätze alles andere als einheitlich. Zutreffend ist auch für die juristischen Methodenlehren festgestellt worden: „Der Gegenstand bestimmt die Methode.“ 2 Was aber das Recht als Gegenstand der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, der nach seiner gegenstandsadäquaten juristischen Methode verlangt, ausmacht, darüber gehen die Ansichten weit auseinander. Dabei setzen methodologische Aussagen die Definition des Rechts als Gegenstand nicht nur in Ermangelung positiv-rechtlicher Interpretationsregeln immer voraus. 3 So wie jeder Mensch seine Philosophie hat, ob er es nun weiß oder nicht, hat jede juristische Methodenlehre ihr zugrunde liegendes Rechtsverständnis. Die Vorstellung vom Recht prägt den Umgang mit dem Recht. Jeder Auslegungslehre sollte daher ihr jeweiliges Rechtsverständnis, ihre Theorie vom Recht, vorangestellt werden.

I. Rechtsverständnis und Auslegungsziele Der bekannteste und am längsten andauernde Streit in der juristischen Methodenlehre ist der zwischen sog. subjektiver und objektiver Auslegungslehre. 4 Nicht selten wird dieser Streit darauf reduziert, dass zwar grundsätzliche Einig2 Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. A. 2006, S. 1; zur Abhängigkeit der Auslegungslehre vom jeweiligen Rechtsbegriff auch Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 186 ff. Genau umgekehrt Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1059 (1071 f.), wonach das Recht seiner Erkenntnismethode entspricht; der Schluss vom Recht auf die rechtlich gebotene Interpretationsmethode also zirkulär ist (S. 1075). 3 Auch gesetzliche Interpretationsregeln müssten ja als positives Recht (an)erkannt und nach bestimmten Grundsätzen, die eben auch Ausdruck des jeweiligen Rechtsverständnisses sind, ausgelegt werden. 4 Vgl. dazu Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 112 ff., m.w. N.; Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 104 ff., m.w. N.; Adolf Merkl, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, Tb. 1, hrsg. von Dorothea Mayer-Maly u. a., 1993, S. 85 (134 ff.); Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. A. 2006, S. 21 ff. Historisch betrachtet, war die Entwicklung der objektiven Theorie allerdings kein methodologischer Sprung, sondern hauptsächlich eine Anpassung an gewandelte Darstel-

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

keit über die Auslegungsmittel, aber unvereinbare Ansichten über das richtige Auslegungsziel bestünden. Nach der subjektiven Theorie ist Ziel der Auslegung die Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers, die objektive Theorie erforscht dagegen den objektivierten Willen des Gesetzes. Die Entscheidung für eines dieser Auslegungsziele ist keine Frage des persönlichen Geschmacks, sondern notwendige Konsequenz des jeweiligen, spezifischen Rechtsverständnisses. So muss beispielsweise die subjektive Theorie von einer gewissen „Befehlsstruktur“ des Rechts ausgehen, in der Anweisungen gegeben und unveränderlich ihre Befolgung verlangt wird. 5 Die objektive Theorie hat dagegen die Idee eines „lebenden Rechtes“ zugrunde zu legen, welches sich geänderten Verhältnissen flexibel anpasst. 6 Jeder Versuch einer methodischen Vermittlung durch Kombinationstheorien 7 sieht sich nicht nur der Frage ausgesetzt, mit welchem Kunstgriff diese widerstreitenden Ziele vereinbart werden können. Weit schwerwiegender ist das Problem, wie der zugrunde liegende Gegenstand gedacht werden soll. Wie ist ein Recht zu imaginieren, das unveränderlich und lebendig zugleich sein kann? Und sollte es gar nicht um Eigenschaften des Rechts, sondern um Entscheidungen der Interpret / innen gehen, anhand welcher Maßstäbe sind diese zu treffen? Und könnten dies nur rechtliche Maßstäbe sein, wie ist denn das Recht, wie seine Maßstabsfunktion beschaffen? Wollen Methodenlehre und Rechtsdogmatik eine stärkere Fundierung haben als das Gefühl, das Richtige zu tun, kommen sie ohne eine konsistente Rechtstheorie nicht aus. Schon die wesentliche Entscheidung für das „richtige“ Auslegungsziel kann sich nur auf ein spezifisches Rechtsverständnis gründen. Kombinatorische Auslegungstheorien können sich nicht auf ihre Vermittlungsleistung allein berufen, sondern bedürfen auch einer überzeugenden Rechtstheorie, die einen Gegenstand konstituiert, der gestufter Behandlung zugänglich ist. Die verfassungskonforme Auslegung ihrerseits impliziert eine Rechtstheorie, aus welcher sich das vorrangige Auslegungsziel der Verfassungskonformität ableiten lässt. Dies bedeutet lungsanforderungen, vgl. dazu Regina Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, 1986, S. 158 ff. 5 Vgl. dazu Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 16 ff., mit anschaulichen Beispielen aus verschiedenen Lebensbereichen. Die Kritik an der sog. Imperativentheorie scheint aber integraler Bestandteil neuerer methodologischer Überlegungen zu sein, vgl. nur Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 197 ff.; Nobert Kortgen, Probleme des Gewohnheitsrechts, 1993, Rn. 150 ff.; Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 74 ff.; sie in Schutz nehmend: Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 19 ff., sowie Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 206 ff. 6 Vgl. die Darstellung bei Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 114 ff. 7 Vgl. Teil 1 A III 1.

A. Vorverständnis, Gegenstand und Methode

139

allerdings gerade nicht, dass Rechtsdogmatik oder Methodenlehre sich ihre passende Rechtstheorie zusammenbasteln könnten. Wenn der Gegenstand die Methode bestimmt, muss die Rechtstheorie ihrer Auslegungslehre logisch vorangehen.

II. Rechtsgebiete und verfassungskonforme Auslegung Die Idee einer konsistenten Rechtstheorie, die der Auslegungslehre vorangeht, sieht sich aber einem beachtlichen Einwand ausgesetzt. Es könnte sein, dass es gar keine einheitliche Rechtstheorie geben kann, sondern Aussagen nur konkret für die einzelnen Rechtsgebiete und nicht generell für das Recht insgesamt getroffen werden können. 8 Diese Problematik soll am Beispiel der verfassungskonformen Auslegung kurz erläutert werden. Das Bundesverfassungsgericht mag von der verfassungskonformen Auslegung nicht nur deshalb angetan sein, weil es sie selbst entwickelt hat, sondern auch, weil es aus seiner Perspektive des Hüters der Verfassung agiert. Die Reaktion der Fachgerichte dagegen ist geteilt. Während die Strafgerichte die verfassungskonforme Auslegung häufiger verwenden, 9 reagieren die Zivilgerichte 10 eher zurückhaltend. Nicht selten wird der Begriff der verfassungskonformen Auslegung in ihrer Rechtsprechung nur eingeführt, um deren Anwendung auf den vorliegenden Fall umgehend abzulehnen. 11 In der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist die Beachtung von Grundrechten und Verhältnismäßigkeit selbstverständlich, die verfassungskonforme Auslegung wird vielfach praktiziert und thematisiert. 12

8

In diese Richtung Jan Schapp, Rechtstheorie 32 (2001), 305 (309), für eine allgemeine Rechtslehre. Das kann aber auch methodologische Einzelfragen betreffen, vgl. Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 672 ff.; bsw. den jeweiligen Stellenwert der Analogie in den drei Rechtsbereichen, vgl. dazu Nikolaus Benke, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 1 (11). 9 Vgl. nur BGH, NJW 2004, 3569 ff.; NJW 2004, 3497 ff.; NStZ 2004, 86 ff.; NStZ-RR 2003, 75 f.; StV 2003, 160; NStZ 2001, 531; BGHSt 44, 265 ff.; 44, 46 ff.; 43, 129 ff.; 43, 91 ff.; 40, 371 ff.; 38, 144 ff.; 29, 380 ff.; 28, 103 ff.; 25, 252 ff.; 13, 102 ff. Allerdings zeigt BGH, JZ 1960, 164 (167), noch erhebliche Gewöhnungsprobleme, indem der Begriff „verfassungskonform“ nur in Anführungszeichen auftaucht. 10 Anders wohl die Arbeitsgerichtsbarkeit, vgl. nur BAGE 113, 140 ff.; 108, 17 ff.; 107, 347 ff.; 105, 205 ff.; 104, 175 ff.; 100, 225 ff.; 97, 226 ff.; 94, 1 ff.; 92, 52 ff.; 91, 336 ff.; 90, 348 ff.; 87, 362 ff.; 78, 56 ff.; 77, 226 ff.; 73, 225 ff.; 71, 68 ff.; 62, 288 ff.; 61, 226 ff.; 57, 30 ff.; 54, 113 ff., 47, 363 ff. 11 So in BGHZ 141, 232 (238); 128, 210 (216); 125, 27 (36 f.); 120, 10 (19 f.); 116, 305 (308 f.); 107, 325 (330); 102, 350 (355); 101, 193 (201); 100, 136 (139 f.); 89, 245 (247); 85, 194 (210); 76, 133 (141); 70, 117 (126); 67, 138 (146). 12 Vgl. nur BVerwGE 124, 227 ff.; 124, 110 ff.; 123, 308 ff.; 122, 29 ff.; 121, 345 ff.; 121, 115 ff.; 121, 23 ff.; 119, 305 ff.; 117, 86 ff.; 115, 70 ff.; 114, 379 ff.; 111, 93 ff.; 110, 363 ff.; 110, 99 ff.; 109, 40 ff.; 107, 75 ff.

140

Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

Eine Erklärung für die unterschiedliche Rezeption der verfassungskonformen Auslegung könnte in der unterschiedlich ausgeprägten Verfassungsrezeption in den verschiedenen Rechtsgebieten 13 gefunden werden. Die Zivilrechtswissenschaft begreift ihren Gegenstand als historisch gewachsen 14 und ist somit bemüht, die Eigenständigkeit des Systems gegen neuere „Fremdeinflüsse“ zu behaupten. 15 Die sog. mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht 16 ist immer noch mehr Problembeschreibung denn Lösung. So werden auch in der Lehrbuchliteratur lediglich kursorische Ausführungen zur verfassungskonformen Auslegung gemacht 17 und es wird versucht, ihren Anwendungsbereich auf die verfassungsorientierte Auslegung zu begrenzen 18. 13 Philip Kunig, VVDStRL 61 (2002), 34 (45 f.), setzt dabei etwas andere Akzente: erhebliche Verfassungsrezeption in der Arbeitsgerichtsbarkeit, aber auch durch die Zivilgerichte in den 1950er Jahren, Strafgerichte erlebten die Verfassung dagegen mehrheitlich als Begrenzung, im Bereich des Öffentlichen Rechts sei das Grundgesetz erwartungsgemäß besonders wirkmächtig. Vgl. auch die Beiträge in: Wolfgang Heyde / Christian Starck (Hg.), Vierzig Jahre Grundrechte, 1990, zur gerichtlichen Grundrechtsrezeption im Zivilrecht, Arbeits- und Sozialrecht, Verwaltungsrecht, sowie Prozessrecht und Strafrecht. 14 Vgl. dazu Hasso Hofmann, Das Recht des Rechts, 1998, S. 16; kritisch Peter Krause, JZ 1984, 656 (657). 15 Sehr kritisch zur Idee der Autonomie aus Tradition: Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (125 f.). Vgl. schon Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1115 (1129): „Würden doch manche alte Privatrechtsjuristen von vorneherein den Gedanken von sich weisen, daß der stete Gang, die gewissermaßen eigenen Naturgesetzen folgende Entwicklung des Privatrechts durch zufällige Erscheinungen im öffentlichen Rechte des Staates beeinflußt werden könnten!“ 16 Dazu Günter Dürig, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 1, Rn. 126 ff. (Stand: 1958); Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. A. 2005, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 303 ff.; ablehnend Jürgen Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, insbes. S. 14 ff. Übersicht zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bei Claus Dieter Classen, AöR 122 (1997), S. 65 –107; vgl. auch Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 100 ff. Für Stefan Oeter, AöR 119 (1994), 529 (531 ff.), führt die Figur der Drittwirkung in den Jurisdiktionsstaat. 17 Vgl. Reinhard Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. A. 2006, Rn. 137 f.; Helmut Köhler, BGB, Allgemeiner Teil, 30. A. 2006, § 4, Rn. 21; Karl Larenz / Manfred Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. A. 2004, § 4, Rn. 49, 61; Dieter Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 8. A. 2002, Rn. 310; Hans Thoma, Bürgerliches Recht, Allgemeiner Teil, 2. A. 1975, S. 33, 38; sehr kursorisch: Florian Faust, Bürgerliches Gesetzbuch, Allgemeiner Teil, 2. A. 2007, § 16, Rn. 2; ausgelassen von: Hans-Martin Pawlowski, Allgemeiner Teil des BGB, 7. A. 2003. Hilfreicher: Bernd Rüthers / Astrid Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 13. A. 2003, S. 167 f.; sowie Dieter Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 8. A. 2002, Rn. 311, die zur Vertiefung auf Methodenlehrbücher verweisen. 18 Vgl. Hans Brox, Allgemeiner Teil des BGB, 29. A. 2005, Rn. 29; Uwe Diederichsen, Der allgemeine Teil des BGB, 5. A. 1984, Rn. 339; Heinz Hübner, Allgemeiner Teil des BGB, 2. A. 1996, Rn. 120; Stefan Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen, Bd. 1, 2001, S. 36; noch radikaler Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2,

A. Vorverständnis, Gegenstand und Methode

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Der Gegenstand der Strafrechtswissenschaft ist dagegen ursprünglicher Teil des Öffentlichen Rechts. Nicht nur im Strafverfahrensrecht als „angewandtem Verfassungsrecht“ 19, sondern auch im materiellen Strafrecht ist sich die Strafrechtswissenschaft der Staatsgeprägtheit und damit Grundrechtsbezogenheit ihrer Materie bewusst. Die Wechselwirkungen zwischen Strafrecht und Verfassungsrecht sind so selbstverständlich, dass die Lehrbuchliteratur oftmals sogar ohne den Begriff der verfassungskonformen Auslegung arbeitet, obwohl deren Phänomene zumindest teilweise beschrieben werden. 20 Auf den ersten Blick hält die Verwaltungsrechtswissenschaft eine Überraschung bereit: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung werden kaum explizit thematisiert. 21 Dabei betonen die entsprechenden Autoren allerorten die wesentliche Bedeutung der Verfassung für den gesamten Bereich der Verwaltung. 22 Die Fragen von Auslegung und Anwendung werden jedoch für die Methodenlehren aufgespart, bei denen die richterliche Tätigkeit im Fokus steht. Der traditionelle Zugang der Verwaltungsrechtswissenschaft zu ihrem Gegenstand erfolgt über Aufgaben, Befugnisse und Handlungsformen der Verwaltung. Die Rele4. A. 1992, S. 22: Grundrechtsnormen sind für private Rechtsgeschäfte ausschließlich über § 138 Abs. 1 BGB relevant. Anders Hans-Jürgen Papier, in: Detlef Merten / Hans-Jürgen Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 2006, § 55, Rn. 10: Verpflichtung der Gerichte zur grundrechtskonformen Auslegung nicht nur der Generalklauseln, sondern des gesamten Privatrechts. 19 So BVerfGE 32, 373 (383); BGHSt 19, 325 (330), unter Verweis auf Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur StPO und zum GVG, Teil 1, 2. A. 1964, S. 8, Rn. 333, der von GVG und StPO als „Ausführungsgesetzen zum Bonner Grundgesetz“ spricht; und mit „StPO als angewandtes Verfassungsrecht“ zitiert wird von Hans-Heiner Kühne, Strafprozessrecht, 7. A. 2007, Rn. 20. 20 Vgl. Karl Heinz Gössel, Strafrecht, BT, Bd. 1, 1987, § 4 Rn. 2 ff.; Fritjof Haft, Strafrecht, BT, 7. A. 1998, S. 84 f.; Olaf Hohmann / Günther M. Sander, Strafrecht, BT II, 2000, § 2 Rn. 2; Eberhard Schmidhäuser, Strafrechts-Repetitorium, BT I, 2. A. 2003, S. 44 f.; alle insbesondere zur verfassungskonformen Restriktion. 21 Ausnahmen bei: Hans-Joachim Koch / Rüdiger Rubel / Sebastian Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2003, § 5, Rn. 56; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 8 Rn. 11; Hans J. Wolff / Otto Bachof / Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. A. 1999, § 28, Rn. 57 f. 22 Vgl. Hans Peter Bull / Veith Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. A. 2005, Rn. 137 ff.; Elmar Giemulla / Nikolaus Jaworsky / Rolf Müller-Uri, Verwaltungsrecht, 7. A. 2004, Rn. 10, 665, 676, 771; Volkmar Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. A. 1997, passim; Jörn Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2003, Rn. 71 ff.; Bernhard Kempen, in: Detlef Merten / Hans-Jürgen Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 2006, § 54, Rn. 37; Hans-Joachim Koch / Rüdiger Rubel / Sebastian Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2003, § 1, Rn. 22 ff.; Franz-Joseph Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. A. 2002, passim; Maximilian Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. A. 2000, § 3, Rn. 10; Hans J. Wolff / Otto Bachof / Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. A. 1999, passim. Interessanterweise wird die Verwaltung von Gunnar Folke Schuppert / Christian Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, vgl. S. 45 ff., aber nicht als Akteurin des Konstitutionalisierungsprozesses genannt.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

vanz der Verfassung wird mit diesen Kategorien verknüpft und bereichsbezogen eingebracht, wesentliche Stichworte sind: Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, allgemeiner Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Selbstbindung der Verwaltung, Vertrauensschutz, subjektive Rechte, Bestimmtheitsgebot, Ermessensreduktion auf Null. 23 Die enorme Bedeutung der Verfassung, insbesondere der Grundrechte, für die vollziehende Gewalt wird so unschwer erkennbar, die Suche nach einem Gesamtkonzept verfassungskonformer Auslegung und Anwendung verwaltungsrechtlicher Normen muss aber zu Enttäuschungen führen.

III. Ein struktureller Ansatz und seine Reichweite Die vorstehenden Ausführungen lassen den Schluss zu, es müsse unterschiedliche rechtstheoretische Aussagen und damit unterschiedliche Methoden(lehren) für die unterschiedlichen Rechtsgebiete geben. 24 In der Tat machen viele Jurist / innen die Erfahrung, dass zivilrechtliches, strafrechtliches, verwaltungsrechtliches oder verfassungsrechtliches Denken sich unterscheiden. Sollen die Rechtsgebiete beherrscht werden, muss auf unterschiedliche Herangehensweisen Rücksicht genommen werden, die vielfach aus der Entstehungsgeschichte zu begründen sind. Doch ist damit noch nicht mehr dargetan, als dass es zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Rechtsverständnisse gab. Diese historischen Verständnisse von Recht werden nun als gebietsspezifische Eigenschaften des Rechts tradiert. Dabei ist gern auch von der Rechtsidee und ihren Ausprägungen oder von verschiedenen Rechtsideen die Rede. Das dieser Arbeit zugrunde liegende Rechtsverständnis folgt weitgehend der von Hans Kelsen begründeten Reinen Rechtslehre. 25 Gegenstand des Erkenntnisinteresses sind damit nicht Ideen, sondern Strukturen des Rechts. 26 Es wird davon ausgegangen, dass es jenseits bereichsspezifischer Besonderheiten grundlegende Strukturen des Rechts gibt, die sich durch alle 23 Vgl. statt vieler Hans Peter Bull / Veith Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. A. 2005, Rn. 137 ff.; Volkmar Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. A. 1997, passim; Hans-Joachim Koch / Rüdiger Rubel / Sebastian Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2003, § 1, Rn. 22 ff.; Maximilian Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. A. 2000, § 6, Rn. 1 ff. 24 Eine spezifisch strafrechtliche Begriffsbildung und Auslegungsmethodik versuchte Hans-Jürgen Bruns, Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken, 1938, passim, zu entwickeln. Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 29 ff., fordert zumindest die Berücksichtigung der Besonderheiten der unterschiedlichen Rechtsbereiche und der je eigenen Aufgaben der verschiedenen gerichtlichen Instanzen bei der Rechtsfindung. – Soweit damit angesprochen ist, dass zulässige Rechtsgewinnung nur im Rahmen der jeweiligen positivrechtlichen Vorgaben möglich ist, ist dem vollumfänglich zuzustimmen. – Für eine einheitliche Methodenlehre trotz möglicher Besonderheiten der Rechtsgebiete: Franz Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2005, S. 7 ff. 25 Vgl. insbesondere Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1934; ders., Reine Rechtslehre, 2. A. 1960; ders., Allgemeine Theorie der Normen, 1979.

A. Vorverständnis, Gegenstand und Methode

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Rechtsgebiete ziehen. Damit sollen unterschiedliche rechtswissenschaftliche Zugänge nicht geleugnet werden, es wird aber nach den Merkmalen gesucht, die das Recht als Gegenstand der Rechtswissenschaft von den Gegenständen anderer Wissenschaften unterscheiden. Mit der Prämisse, dass es ein anhand bestimmter Merkmale erkennbares, einheitliches Phänomen Recht gibt und damit auch eine Rechtstheorie, die dessen grundlegende Strukturen beschreiben kann, sind methodologische Folgerungen verbunden. 27 Wenn es rechtliche Strukturen gibt, welche unabhängig von den Rechtsgebieten sind, muss es auch möglich sein, allgemeine gebietsunabhängige Aussagen über die gegenstandsadäquaten juristischen Methoden zu treffen. Ferner ist davon auszugehen, dass nicht mehrere divergierende oder gar einander widersprechende Auslegungsziele nebeneinander bestehen können. Allerdings muss sich eine strukturelle Rechtstheorie einer wesentlichen Einschränkung unterwerfen, die weniger als Begrenzung denn als Präzisierung gedeutet werden sollte: Eine deskriptiv verstandene Rechtstheorie kann Prämissen über das Phänomen Recht als Arbeitshypothesen aufstellen, aber sie muss jede ihrer Aussagen über die Struktur des Rechtssystems mit dem geltenden System abgleichen. Rechtstheorie und darauf beruhende Methodenlehre sind zwar grundsätzlich unabhängig von den Rechtsgebieten, sie sind aber zutreffend nur in Bezug auf eine konkrete Rechtsordnung, die sie beschreiben. So kann die Frage, ob die Phänomene verfassungskonformer Auslegung zulässig sind, nur für das derzeit geltende Recht der Bundesrepublik beantwortet werden. Die im Folgenden dargestellte Rechtstheorie 28 erhebt daher keinen Anspruch darauf, Recht an sich zu erklären, sondern versteht sich als Strukturtheorie 29 der hier und heute geltenden Rechtsordnung. 26 Der Antagonismus der Fragen „Wie ist das Recht beschaffen?“ und „Was liegt hinter dem Recht?“ bildete schon die Grundlage des Weimarer Richtungsstreites, vgl. dazu statt vieler Petra Otto, Die Entwicklung der Verfassungslehre in der Weimarer Republik, 2002, S. 30 ff. Dagegen will Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 1000, beide wieder zusammengeführt sehen, wenn er mit den Worten schließt: „Eine Rechtstheorie ohne Aussagen zu den Wertgrundlagen des Rechts verfehlt ihren Gegenstand.“ 27 Heinz Mayer, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 61 (62), beschreibt die Reine Rechtslehre als Strukturtheorie des positiven Rechts und damit als wichtige Grundlage für eine Interpretationstheorie, wenn sie konsequent weitergedacht werde. – Zu diesem Weiterdenken vgl. Teil 4 B. 28 Annette Brockmöller, Die Entstehung der Rechtstheorie im 19. Jahrhundert in Deutschland, 1997, passim, fordert mit guten Gründen, wieder zum Oberbegriff der Rechtsphilosophie zurückzukehren, insbesondere angesichts des Umstandes, dass die heutige Verwendung des Begriffes Rechtstheorie mit Blick auf den Bedeutungsgehalt bei seiner Entstehung im 19. Jahrhundert geradezu irreführend ist. – In dieser Arbeit soll daraus zuvörderst die Lehre gezogen werden, dass kein Begriff sich von selbst erklärt. 29 Zur Rechtstheorie als analytischer Strukturtheorie des Rechts vgl. Matthias Jestaedt, ZÖR 55 (2000), 133 (148) m.w. N.; zu den Ursprüngen dieser Sichtweise umfassend und differenziert: Andreas Funke, Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, 2004, passim.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

B. Rechtsnormen Rechtsnormen sind die Bausteine des Rechtssystems, seine kleinsten Einheiten. 30 Zugleich sind sie ohne das System nicht denkbar. Trotz dieser Wechselwirkung wird zunächst versucht, die Charakteristika von Rechtsnormen als Gegenstand rechtswissenschaftlichen Erkenntnisinteresses zu beschreiben, bevor dargestellt wird, nach welchen Regelungen sie in einem Rechtssystem miteinander und nebeneinander existieren.

I. Empirische Sätze, Normen und Rechtsnormen Rechtsnormen sind zunächst in doppelter Weise abzugrenzen: einmal von empirischen Sätzen und zum anderen von Normen aus dem nicht-rechtlichen Bereich. Damit ist noch keine positive Definition gewonnen, aber eine Annäherung versucht. 1. Sein und Sollen Rechtsnormen sind Sollenssätze. 31 Und nur Sollenssätze können den Gegenstand einer Normentheorie wie der Rechtstheorie bilden. Sie unterscheiden sich von empirischen Sätzen dadurch, dass sie nicht beschreiben, sondern vorschreiben, nicht deskriptiven, sondern präskriptiven Charakter haben. 32 Diese Differenzierung zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll, ist fundamental für jede Rechtstheorie. Die Phänomene von Faktizität und Normativität sind aber nicht nur zu unterscheiden, sondern auch zu trennen. Aus dem Dualismus von Sein und Sollen 33 folgt insbesondere, dass von einem Sein nicht auf ein Sollen geschlossen werden kann und umgekehrt. 34 Dass „nicht sein kann, was nicht sein darf“ 35, wäre 30 Schön Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 167: „Elementarteilchen des Rechts“. – Die Realakte, welche mit den Rechtsnormen unter den Oberbegriff der Rechtserscheinungen gefasst werden können, bleiben bei der folgenden Darstellung außer Betracht; zu faktischen Vollzugsakten als Bestandteil des Rechtssystems neben den Rechtsnormen vgl. Martin Borowski, in: Stanley L. Paulson / Michael Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 122 (135 f.). 31 Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 2. 32 Vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 76; Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 94 ff.; Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 1 f. 33 Nach Rainer Lippold, Rechtstheorie 19 (1988), 463 (465, Fn. 5), m.w. N., allgemein anerkannt. Vgl. Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1911, S. 7 ff.; ders., in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 37 (37 f., 56, 64 f.). Zu den neukantianischen Grundlagen dieses methodischen Dualismus und den (problematischen) Implikationen vgl. ausführlich Stanley L. Paulson, AöR 124 (1999), S. 631 –657; zum Einfluss des Marburger Neukantianismus

B. Rechtsnormen

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ebenso ein naturalistischer Fehlschluss wie die Vorstellung, was möglich sei, solle auch geboten sein 36. Zu beachten ist allerdings, dass gerade Rechtsnormen durchaus in das Gewand empirischer Aussagen gekleidet sein können, so in Sätzen wie „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ oder „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Umgekehrt kann ein Soll-Satz sowohl eine Norm als auch nur die Aussage über eine Norm sein, bsw. „Diebe sollen mit Gefängnis bestraft werden“. Die äußere Form kann folglich nur begrenzt Aufschluss darüber geben, ob es sich um einen Seinssatz oder einen Sollenssatz handelt. 37 Dieser Umstand kann zu mancher Verwirrung führen, wird aber teilweise auch strategisch genutzt. Normative Aussagen können durch eine empirische Form verstärkt werden: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und nicht: „Die Würde des Menschen soll unantastbar sein“. Umgekehrt kann aber auch eine sog. Normativität des Faktischen 38 begründet werden, welche die Idee von Normativität faktisch zerstört. 2. Recht und Moral Wird der Reinen Rechtslehre gefolgt, ist im Bereich der Normativität zwischen Rechtsnormen und nicht-rechtlichen Normen zu unterscheiden. 39 Nichtauf die Reine Rechtslehre auch Helmut Holzhey, in: Michael W. Fischer u. a. (Hg.), Hermeneutik und Strukturtheorie des Rechts, 1984, S. 99 (106 ff.). Wirklichkeitsverständnis und Sein-Sollen-Dualismus waren die entscheidenden Kampffelder der Weimarer Methodenstreitigkeiten, vgl. dazu Oliver Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, 1994, S. 239 ff., 369 ff. 34 Vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 3, 5, 14, 44 ff., der Irritationen darauf zurückführt, dass das modal indifferente Substrat beider gleich sein kann (S. 46). Ferner ders., in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 611 (514), S. 817 (818), S. 1417 (1421). 35 Insbesondere für Jurist / innen unsterblich formuliert von Christian Morgenstern, Die unmögliche Tatsache, in: Ausgewählte Werke, Bd. 1, hrsg. von Klaus Schuhmann, 1985, S. 133 f. 36 Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 24, wirft dem Bundesverfassungsgericht vor, in Bezug auf die verfassungskonforme Auslegung diese Einstellung zu pflegen. 37 Dazu Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 30 f., 120 ff., wonach daher die Absicht des Sprechers [bzw. der Sprecherin], also innere Vorgänge entscheidend sind. Zur Form von Sollenssätzen vgl. auch Klaus Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 4. A. 1998, S. 16 f.; Dieter Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 1; Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. A. 2006, S. 4 ff. 38 Als Begründer dieser Figur gilt Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 2. A. 1905, insbes. S. 329 ff., dem allerdings vorgeworfen wird, recht unverbunden einen empirischen neben einen normativen Staatsbegriff gestellt zu haben, vgl. zur Kritik Hellers daran: Albrecht Dehnhard, Dimensionen staatlichen Handelns, 1996, S. 72; vernichtende Kritik kam auch von Hans Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, 2. A. 1928, S. 114 ff.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

rechtliche Sollenssätze sind beispielsweise die Normen aus dem Bereich von Sitte und Moral. Auch diese Normen beziehen sich auf menschliches Verhalten, 40 wobei sie grundsätzlich von der Möglichkeit alternativer Handlungsoptionen ausgehen. Die Verbindung von Recht und Moral erfolgt vorzugsweise in der Form, dass die Geltung von Rechtsnormen von ihrer Übereinstimmung mit bestimmten Moralnormen abhängig gemacht wird. 41 Problematisch ist dabei, dass in Zeiten des Pluralismus und Werterelativismus schon gar nicht festgestellt werden kann, welche Moralnormen gültig sind, ohne auf etwas Anderes als persönliche Überzeugungen zurückgreifen zu können. 42 Davon die Geltung rechtlicher Normen abhängig zu machen, erschwert eine wissenschaftliche Betrachtung nicht unerheblich. Wird der Gegenstand rechtstheoretischer Überlegungen dagegen auf Rechtsnormen beschränkt, ist es möglich, die Gesamtheit dieser Normen als System mit bestimmten Strukturmerkmalen zu beschreiben – womit das Ziel der rechtstheoretischen Grundlegungen erreicht wäre. Wie aber lassen sich rechtliche von moralischen Normen unterscheiden? Rechtsnormen sollen daran zu erkennen sein, dass sie mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden können. 43 Während Moral durch Billigung und Missbilligung wirke, gebiete das Recht dadurch, dass es an gegenteiliges Verhalten einen Zwangsakt als 39

Vgl. Norbert Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 4. A. 2007, Rn. 6 ff.; sowie Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 941 (950), nach dessen Ansicht die Trennung des Rechts von der Moral für den Positivismus zentral ist, dazu Horst Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 1986, S. 174 ff.; ferner Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 195 (206 ff.), S. 1167 (1173 ff.). Anders Alfred Verdross, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 515 (515 ff.), für den die Geltung des Rechts nur durch Bezug auf Moral begründbar ist. Für eine differenzierte Betrachtung der Trennungsthese Joachim Lege, in: Manuel Atienza u. a. (Hg.), Theorie des Rechts und der Gesellschaft, 2003, S. 217 (218 ff.); klar gegen die Verbindungsthese ders., Pragmatismus und Jurisprudenz, 1999, S. 556 ff. 40 Dazu Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 23 ff., 71 ff. Dabei betont ders., in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 797 (799 ff.), ausdrücklich, dass sich sowohl Recht als auch Moral auf äußeres und inneres Verhalten beziehen können. 41 Statt vieler: Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, S. 39 ff., 106 ff., 120 ff.; prominenter Begründer dieser Sichtweise ist Gustav Radbruch, SJZ 1946, 105 (107), mit der entsprechenden Formel. 42 Obwohl moralische Normen mit Wahrheitsanspruch auftreten, gibt es – umso konkreter die Fragestellung, umso mehr – vielfältige konkurrierende Moralkonzepte, die sich nicht in ein einheitliches System bringen lassen. Einzelne Postulate auszuwählen und zu moralischen Grundwerten zu erklären, denen alle Menschen zustimmen oder doch zustimmen müssten, kann eine allgemeine Gültigkeit von Moralnormen nicht überzeugend begründen und statt dessen einen erheblichen Eingriff in die individuelle Freiheit davon Betroffener bedeuten. Moralische Postulate entfalten im Bereich des Rechts nur Bedeutung, wenn und soweit das Recht selbst dies anordnet.

B. Rechtsnormen

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Sanktion knüpft. 44 Gemeint sind in der Rechtsordnung nur äußere Zwangsmittel, denn zur Durchsetzung von Moral oder Sitte kann erheblicher psychischer Zwang ausgeübt werden. 45 Das Merkmal des äußeren Zwanges erfasst aber nicht alle Rechtsnormen, denn zum geltenden Rechtssystem gehören auch Normen, die Hoheitsträger ermächtigen, Ansprüche gegen den Staat begründen oder staatliche Lenkung mit Anreizsystemen statt mit Sanktionen verknüpfen. 46 Das Rechtssystem scheint also mehr als seine Zwangsnormen zu sein. 3. Zielrichtung und Entstehung von Rechtsnormen Die Reine Rechtslehre stellt aber eine Lesart zur Verfügung, bei der bsw. Ermächtigungsnormen oder Derogationsnormen nur unselbständige Teile der übergeordneten Zwangsnormen darstellen. 47 Eine solche Entdifferenzierung ist nicht immer hilfreich. 48 Hans Kelsen hat sich auch mit der Frage befasst, was die primäre Zielsetzung von Rechtsnormen ist: Ein bestimmtes Verhalten zu gebieten, indem rechtliche Sanktionen an das unerwünschte Verhalten geknüpft werden, oder bestimmte Organe zu ermächtigen, bei rechtlich unerwünschtem Verhalten einen Zwangsakt zu setzen? 49 Anders gewendet: Sind die primären Adressat / innen von Rechtsnormen die Rechtsunterworfenen oder die rechtsetzenden Organe? Dabei zog er die zweite Ansicht vor. 50 Wenn aber die wesentliche Funktion von 43

Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 115; Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 5 f.; ähnlich Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. A. 2006, S. 6 ff.; zur Kritik am konstituierenden Merkmal des Zwanges: Werner Krawietz, in: Ota Weinberger / Werner Krawietz (Hg.), Reine Rechtslehre im Spiegel, 1988, S. 315 (315 ff.), m.w. N. 44 Dazu Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 797 (802 f.); pointiert ders., Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 77: Ohne Sanktion handele es sich nur um rechtlich irrelevantes Wünschen. 45 Vgl. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 245 (250 f.). 46 Mehrere normative Funktionen des rechtlichen Sollens werden von Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 78 ff., selbst dargestellt. Zu den verschiedenen Arten von Rechtsnormen vgl. auch Gabriele Kucsko-Stadlmayer, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 21 (23 ff.); Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 192 ff.; Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. A. 2006, S. 6 ff., 28 ff. 47 Vgl. Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 15 f., 57 f., 124 f.; Rainer Lippold, Rechtstheorie 19 (1988), 463 (466 ff.); Gabriele Kucsko-Stadlmayer, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 21 (28 ff.). 48 Vgl. Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 74 ff.; Robert Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung, 1964, S. 16 ff. 49 Vgl. nur Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1934, S. 30; ders., Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 96; ders., Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 43 ff., 115 ff., wobei er die Begriffe der „primären“ und „sekundären“ Norm verwendet.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

Rechtsnormen in der Ermächtigung zur Sanktionsverhängung liegt, scheint es wünschenswert, neben Zwangsnormen zumindest auch Ermächtigungsnormen zu benennen und wissenschaftlich zu betrachten. Nach einer erweiterten Definition sind Rechtsnormen autoritativ gesetzte, mit staatlichem Zwang bewehrte Sollensbestimmungen. 51 Das Merkmal der autoritativen Setzung bezieht sich auf die Entstehung von Rechtsnormen. Hier liegt erhebliches Abgrenzungspotential zur Naturrechtslehre, als deren Gegenentwurf der Rechtspositivismus zu sehen ist. 52 Die Lehre vom Naturrecht geht davon aus, dass Normen nicht gesetzt werden müssen, sondern schlicht gelten: aus der Natur, der Vernunft oder dem Willen Gottes. 53 (Damit wäre wohl auch ihre Unterscheidbarkeit zu den moralischen Normen wieder aufgehoben.) Thomas Hobbes hat die Gegenposition in dem Satz zusammengefasst: „Auctoritas non veritas facit legem“ 54 – Autorität, nicht Wahrheit, macht das Gesetz. Das könnte schlicht bedeuten, dass Macht und Recht eins sind. 55 Die Autorität ist aber nicht als bloße Macht zu verstehen, sondern als Ermächtigungsstruktur. Rechtsnormen können nur von denen gesetzt werden, die dazu rechtlich ermächtigt sind. 56 Die spezifische Eigenart von Rechtsnormen gegenüber anderen Normen ist, dass sie einer Ermächtigungsstruktur entstammen, dass sie auf rechtlich autorisierter Setzung beruhen. Der Satz von Thomas Hobbes ist Ausgangspunkt des Rechtspositivismus, wenn Autorität als eine solche Ermächtigungsstruktur im Gegensatz zur Wahrheit als unhintergehbarer Prämisse verstanden wird.

50

Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 77, 115. Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 4. 52 Vgl. nur Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 215 (218 ff.), S. 245 (248 ff.), S. 281 (301 ff.), S. 817 – 832. 53 Vgl. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1455 (1458 ff.). 54 Thomas Hobbes, Leviathan (1670), in: Opera Philosophica, Vol. III, 1841, cap. 26, S. 202. 55 Vgl. die berühmte Antwort von Hans Kelsen, VVDStRL 3 (1927), 55, auf die Frage, was hinter dem positiven Recht stehe: „Wer den Schleier hebt und sein Auge nicht schließt, dem starrt das Gorgonenhaupt der Macht entgegen.“ Zutreffend kritisiert Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, 1932, S. 8, wie leicht Fragen von Macht und Herrschaft durch Bezug auf „das Gesetz“ zum Verschwinden gebracht werden können; seine engagierte Diskreditierung von Legalität insgesamt (insbes. S. 30 ff.) bleibt indes befremdlich. 56 Vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 82, wonach nicht ermächtigte Akte objektiv kein Recht sind, auch wenn dies subjektiv gewollt war. 51

B. Rechtsnormen

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II. Geltung und Ermächtigungsnormen Hans Kelsen hat Geltung als die spezifische Existenzweise von Rechtsnormen bezeichnet. 57 Vergleichbar ließe sich sagen, Leben sei die spezifische Existenzweise biologischer Entitäten. Damit ist wenig über diese Existenzweise ausgesagt. Denn die Frage, wie Geltung zu definieren ist, schließt sich unverzüglich an. In der Jurisprudenz wird der Begriff der Geltung weitgehend als entscheidendes Merkmal existierender Rechtsnormen betrachtet, allerdings oft mit Begriffen wie Wirksamkeit, Verbindlichkeit oder Befolgungsanspruch verbunden. Rainer Lippold hat Geltung dagegen als Voraussetzung der normativen Existenz einer Norm beschrieben und als Zugehörigkeit einer bestimmten Norm zu einer bestimmten Normenordnung definiert. 58 Dies mag zunächst zirkulär erscheinen, enthält aber eine Lösung des Definitionsproblems. Im Folgenden soll der Begriff Geltung verwendet werden, um zu beschreiben, dass eine Rechtsnorm existiert, indem sie einem Rechtssystem angehört. Rechtsnormen kommen (nur) durch Setzung zustande. 59 Um zu erkennen, ob ein bestimmtes menschliches Verhalten einen gelungenen Rechtsetzungsakt darstellt, bedarf es eines Deutungsschemas, das rechtlich relevantes Handeln als solches identifiziert. Wenn alle Abgeordneten die Hand heben, eine Beamtin ein Schreiben aufsetzt oder ein Richter sich zur Verwerflichkeit des Diebstahls äußert, lässt sich nicht einfach durch Anschauung erkennen, ob dieses Verhalten als rechtlich relevant zu qualifizieren ist. Auch die Vorstellung von sog. Funktionsbereichen

57 Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 2 f., 22, 136. Fragwürdig ist die Bezugnahme von Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 30, auf Hans Kelsen, wenn er zugleich die Geltung als Eigenschaft der Norm ansieht. Relevant wird diese Unterscheidung für die Frage, ob logische Regeln unbesehen auf Rechtsnormen anwendbar sind, vgl. nur Teil 3 B II 1. 58 Rainer Lippold, Rechtstheorie 19 (1988), 463 (465, 467). Zum Verständnis der Geltung als Zugehörigkeit vgl. schon Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 2. A 1905, S. 325, und zusammenfassend Boris Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 2007, S. 64 ff.; zur Rechtsgeltung aus Sicht einer institutionalistischen Theorie vgl. Ota Weinberger, in: Csaba Varga / Ota Weinberger (Hg.), Rechtsgeltung, 1986, S. 109 –126. 59 Zutreffend Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 113: Die Setzung durch Willensakt ist die unverzichtbare Bedingung der Geltung einer Norm. Unverständlich bleibt angesichts dessen Boris Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 2007, der seiner Arbeit Kelsens „Kein Imperativ ohne Imperator“ voranstellt, um sodann den Vorgang der Rechtserzeugung auf Grund kollisionsrechtlicher Sachnormverweisung mit dem schillernden Begriff der „Synthese“ zu versehen (insbes. S. 92 ff., 102 ff., 137 ff., 142 ff., 161 ff., 167 ff.), deren spannungsreiches Verhältnis zum propagierten rein urheberschaftlichen Ansatz weder thematisiert noch gar einer Klärung zugeführt wird. Die aufscheinende Prämisse, der Wille des Normsetzers beziehe sich nur auf die Geltung und nicht etwa auch die konkrete ratio der zu setzenden Rechtsnorm (vgl. S. 88 ff.), dürfte insbesondere außerhalb des IPR schwer vermittelbar sein.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

führt primär zu Definitionsproblemen, wie die vielfältigen Bemühungen allein um die begriffliche Erfassung der Funktion „Rechtsprechung“ 60 zeigen. 1. Ermächtigungsnormen und hypothetische Grundnorm Das Deutungsschema, mit dem ein bestimmtes Verhalten als gelungener Rechtsetzungsakt identifiziert werden kann, entstammt der Rechtsordnung selbst. 61 Dies wird auch dem Umstand gerecht, dass die normative Existenz von Rechtsnormen auf Grund des Dualismus von Sein und Sollen 62 ihrerseits nur normativ begründet werden kann. Die Deutungsschemata für Rechtsnormen sind Ermächtigungsnormen. 63 Diese zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Rechtsfolge im Zustandekommen einer Norm besteht. 64 Ermächtigungsnormen können Art und Weise des Zustandekommens sowie inhaltliche Maßstäbe von Rechtsnormen regeln. 65 So enthält das Grundgesetz Regeln über die Gesetzgebungskompetenz, das Gesetzgebungsverfahren, die Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen sowie in den Grundrechten inhaltliche Schranken der parlamentarischen Rechtsetzungsmacht. 66 Ein Beschluss des Bundestages, der darauf gerichtet ist, ein außerhalb dieser Ermächtigungen liegendes Gesetz zu erlassen, kann nicht als gelungener Rechtsetzungsakt gedeutet werden. Erfüllt ein Verhalten nicht den rechtserzeugenden Tatbestand der Ermächtigungsnormen, tritt auch die Rechtsfolge des Zustandekommens einer Rechtsnorm nicht ein. 67 Oder mit Bezug auf 60 Vgl. nur Norbert Achterberg, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 92, Rn. 60 –235 (Stand: 1981); Steffen Detterbeck, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 92, Rn. 4 ff., m.w. N.; Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Gewaltenteilung), Rn. 67 ff. (Stand: 1980); Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 92, Rn. 24 ff., m.w. N.; Christian Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 196 ff.; Heinrich Amadeus Wolff, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Art. 92, Rn. 8 ff. Ein Klassiker dazu ist Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, § 3, S. 21 –44. 61 Vgl. Rainer Lippold, Recht und Ordnung, 2000, S. 283 ff.; ders., Der Staat 29 (1990), 185 (187 f.), unter Bezugnahme auf Hans Kelsens Reine Rechtslehren. 62 Siehe oben, Teil 2 B I 1. 63 Nach Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1469 (1489); ders., Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 82, muss eine Ermächtigung durch die Rechtsordnung selbst vorliegen, andernfalls liegt ungeachtet der Intention kein Recht vor. 64 Vgl. Rainer Lippold, Recht und Ordnung, 2000, S. 309. 65 Vgl. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1363 (1363 f.); Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1337). 66 Zur Verfassung als Rechtserzeugungsregel vgl. Robert Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung, 1964, S. 36 f.

B. Rechtsnormen

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das Deutungsschema: Das Handeln kann nicht als rechtliches gedeutet werden. 68 Rechtsnormen müssen auf Ermächtigungsnormen beruhen, um existent zu sein. Selbstverständlich muss die Existenz von Ermächtigungsnormen ihrerseits normativ begründet werden – auch sie müssen selbst auf Ermächtigungsnormen beruhen. Diese Kette wird Erzeugungszusammenhang 69 genannt und findet in unserer aktuellen Rechtsordnung bei den Verfassungsnormen als ranghöchsten Normen rasch ihr Ende. Um die normative Existenz ranghöchster Rechtsnormen zu begründen, hat Hans Kelsen die Figur der sog. hypothetischen Grundnorm 70 entwickelt. Diese Figur beschreibt die Notwendigkeit, von einer Norm auszugehen, die besagt, dass die Verfassung gelten soll. 71 Ohne eine solche Hypothese würde der Erzeugungszusammenhang durchbrochen und es gäbe keine existierenden Ermächtigungsnormen als notwendige Voraussetzung der Existenz von weiteren Rechtsnormen. Damit beruht alles rechtspraktische wie rechtswissenschaftliche Vorgehen letzten Endes auf einer Fiktion. 72 Im Anerkennen der Grundnorm als Fiktion liegt aber auch das freiheitssichernde Element der Reinen Rechtslehre 73 gegenüber naturrechtlichen Ansätzen, die rechtliche Bindungswirkungen moralisch aufladen. 67 Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 291 f., weist darauf hin, dass im Erkenntnisprozess als Nichtrecht oder Unrecht auszusondern ist, was nicht ausnahmslos alle für Rechtserscheinungen dieser Art und Stufe positivrechtlich aufgestellten Voraussetzungen der Erzeugung erfüllt. 68 Dies hat nicht zur Folge, dass rechtswidriges hoheitliches Handeln nicht mehr möglich wäre. Außerdem ist noch das Fehlerkalkül zu beachten, siehe dazu unten, Teil 2 C II. 69 Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1346 f.). 70 Vgl. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 281 (286 ff.); ders., Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 205 ff.; zustimmend zur Konzeption der Grundnorm Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 100 ff.; kritisch Karl Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 18 ff., und Peter Koller, in: Ota Weinberger / Werner Krawietz (Hg.), Reine Rechtslehre im Spiegel, 1988, S. 129 (157 ff.). 71 Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 209, Fn. 1, spricht von der Ursprungsnorm als Verfassung im rechtslogischen Sinne gegenüber der Verfassung im positivrechtlichen Sinne. 72 Die Verwendung dieses Begriffes sollte nicht als Beitrag zu der Debatte missverstanden werden, ob es sich bei der Grundnorm um eine transzendental-logische Bedingung im Sinne der Kantschen Erkenntnistheorie oder eine (notwendige) Fiktion im Sinne der Vaihingerschen Philosophie des Als-Ob handelt, vgl. dazu Robert Walter, in: ders. (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 47 (57 f.) m.w. N.; zu Kelsens Positionen zwischen Transzendentalphilosophie und Neukantianismus insgesamt erhellend: Horst Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 1986, S. 56 ff. Sehr kritisch zur Charakterisierung juristischer Fiktionen im Werke Vaihingers: Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1215 (1222 ff.). 73 Vgl. Robert Walter, Hans Kelsens Rechtslehre, 1999, S. 12.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

2. Rechtsquellenlehre und Ermächtigungsnormen Hypothetische Grundnorm wie Ermächtigungsnormen sind kein Gemeingut deutscher Rechtsdogmatik geworden. Die Frage nach dem Geltungsgrund von Rechtserscheinungen wird in der sog. Rechtsquellenlehre gestellt und beantwortet. Die Bedeutung von Ermächtigungsnormen für eine positivistische Rechtstheorie liegt auf der Hand. Sie sind unverzichtbar, da nur durch ihre Verwendung als Deutungsschemata der Gegenstand Recht bestimmt werden kann, der wiederum nach seiner gegenstandsadäquaten Methode verlangt. Die Funktion der sog. Rechtsquellen wird dagegen nicht immer mit der wünschenswerten Klarheit festgelegt. Allerdings kommt kaum eine juristische Methodenlehre ohne Rechtsquellenlehre aus. Es liegt daher nahe anzunehmen, dass hier das gleiche Phänomen nur unter verschiedenen Bezeichnungen beschrieben wird. a) Allgemeine Verbindlichkeit als konstitutives Merkmal von Rechtsquellen Gemeinsames Merkmal der Rechtsquellen soll grundsätzlich ihre allgemeine Verbindlichkeit sein. 74 Verfassungsnormen, Gesetze, Verordnungen und Satzungen sollen daher zu den Rechtsquellen zählen, ferner auch gewohnheitsrechtliche 75 Regelungen. 76 Teilweise werden auch privatrechtliche Verträge als Rechtsquelle 77 neben Gesetz und Gewohnheitsrecht betrachtet. Umstritten ist der Rechtsquellencharakter von Rechtsprinzipien, was damit zusammenhängen könnte, dass ihr Verhältnis zu geltenden Rechtsnormen ungeklärt ist. 78 Nach herrschender Meinung ist die Rechtsprechung keine Rechtsquelle, da selbst höchstrichterliche 74 Vgl. Fritz Ossenbühl, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 2. A. 1996, § 61, Rn. 16; Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 515; Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 217. 75 So ein bestimmtes Verständnis des Art. 2 EGBGB, wonach aus der Erweiterung des Gesetzesbegriffs auf jede Rechtsnorm geschlossen wird, auch Gewohnheitsrecht sei damit als Rechtsquelle anerkannt; vgl. Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 3, 1976, S. 698. 76 Statt vieler: Helmut Köhler, BGB, Allgemeiner Teil, 30. A. 2006, § 1, Rn. 4 ff.; Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 9 f.; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. II, 1980, S. 579 ff.; Lutz Treder, Methoden und Technik der Rechtsanwendung, 1998, S. 155 ff.; Christoph Eduard Ziegler, Selbstbindung der Dritten Gewalt, 1993, S. 72. 77 Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 97, Rn. 21, betrachtet das durch Privatrechtssubjekte gesetzte Recht zumindest als Maßstabsnorm für die Richterinnen und Richter. 78 Auch die Transformationstheorie von Josef Esser, Grundsatz und Norm, 1956, vermag insoweit nicht zu überzeugen; vgl. die dezidierte Kritik bei Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 92 ff. Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1317 ff.), emp-

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Präjudizien in Deutschland keine rechtliche, sondern nur faktische Bindungswirkung entfalten. 79 Allerdings wird vertreten, dass eine ständige Rechtsprechung zu Gewohnheitsrecht erstarken, dann bindend und eine Rechtsquelle sein könne. 80 Obgleich eine andauernde Verwaltungspraxis zumindest die Verwaltung selbst binden soll, wird sie nicht als mögliche Rechtsquelle diskutiert. 81 Interessanterweise gibt es aber Überlegungen zum Rechtsquellencharakter der Rechtsdogmatik, 82 wobei dieser grundsätzlich abgelehnt wird 83.

fiehlt im Interesse eines optimierten Erkenntnisgewinns und zur Vermeidung beständiger Anpassung, nicht die Rechtsquellen, sondern lieber die Rechtssatzformen zu betrachten. 79 Mit Ausnahme der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 31 BVerfGG; vgl. Karl-Peter Sommermann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. A. 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 286, m.w. N. Zur Frage der Präjudizienbindung im deutschen Recht vgl. noch ausführlich unten, Teil 4 D III. 80 Vgl. Norbert Achterberg, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 92, Rn. 133 (Stand: 1981); Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 3, 1976, S. 699, m.w. N.; Nobert Kortgen, Probleme des Gewohnheitsrechts, 1993, Rn. 550 ff.; Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 177; Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 545; Christian Starck, VVDStRL 34 (1976), 43 (71); Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. II, 1980, S. 586; anders Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 322 ff.: nur in gesetzesfreien Räumen. Ablehnend zur Einordnung als Gewohnheitsrecht: Helmut Coing, JuS 1975, 277 (277); Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 198; Ellen Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 1986, S. 47 f.; Christian Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 1972, S. 51 ff. Für Richterrecht als subsidiäre bzw. ergänzende Rechtsquelle: Franz Bydlinski, Rechtstheorie 16 (1985), 1 (41); Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 211 ff. 81 Vgl. auch die sehr zurückhaltenden diesbezüglichen Überlegungen bei Edna Rasch, Persönliche Vorsprache im Verwaltungsrecht, 2007, S. 33 ff. 82 Sehr kritisch Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 251 f., wonach die Theorie nur zu gern als geltend fingiert, was die Praxis anzuordnen unterlassen hat; ein schlicht unmöglicher Rollentausch. 83 Eine Reanimation europäischen Ausmaßes versucht aber Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, 1950, S. 21 ff.; dem (national begrenzt) folgend Rainer Bakker, Grenzen der Richtermacht, 1994, S. 241, für den die herrschende Meinung partiell auch normative Geltung hat. Zu Rechtswissenschaft und juristischer Praxis in der römischen Kasuistik vgl. Nikolaus Benke, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 1 (21 ff., 25 ff.); zu Konzeptionen von Juristenrecht im 19. Jahrhundert vgl. Regina Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, 1986, S. 197 ff., 232 ff.

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b) Allgemeine Verbindlichkeit kein konstitutives Merkmal von Ermächtigungsnormen Nach der herkömmlichen Terminologie soll ferner unterschieden werden zwischen Rechtserzeugungsquellen, Rechtswertungsquellen und Rechtserkenntnisquellen. 84 Alf Ross differenziert dagegen zwischen dem rechtssoziologischen, dem ethischen und dem rechtstheoretischen Begriff der Rechtsquelle und definiert letzteren mit der viel zitierten Formel 85 als den „Erkenntnisgrund für etwas als positives Recht“ 86. Nach dem oben Ausgeführten wäre Rechtsquelle damit nur ein anderer Begriff für Ermächtigungsnormen als Deutungsschemata. Ermächtigungsnorm im hier verwendeten Sinne und der Begriff der Rechtsquelle bezeichnen aber nicht identische Erscheinungen. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass Ermächtigungsnormen nicht allgemein verbindlich sein müssen. Zum ermächtigenden Normenkomplex zählen alle Rechtsnormen, welche die Erzeugungsbedingungen von Rechtsnormen regeln. 87 Wenn ein rückverweisendes Urteil die Vorinstanz bescheidet, den Fall unter Zugrundelegung der Auffassung des Rechtsmittelgerichts erneut zu entscheiden, ist dieses Urteil für die Vorinstanz als Teil des ermächtigenden Normenkomplexes zu beachten. Das nun zu erlassende Urteil der Vorinstanz kann nur als gelungener Rechtsetzungsakt gedeutet werden, wenn es nicht gegen die Vorgaben des Rechtsmittelgerichtes verstößt. Die Frage, wann eine Ermächtigungsnorm vorliegt, lässt sich nicht mit Verweis auf deren allgemeine Verbindlichkeit beantworten. 88 Zum ermächtigenden Normenkomplex 84 Dazu Paul Kirchhof, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 50 (53 f.). Im Begriff der „Rechtserkenntnisquelle“ deutet sich die Relevanz der Definition von Rechtsquellen für Fragen der Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen an, die auch im methodologischen Schrifttum oft mehr erahnt als erläutert wird. Explizit aber Hans J. Wolff / Otto Bachof / Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. A. 1999, § 28, Rn. 52, wenn sie ihre methodologischen Ausführungen als Fortsetzung, Krönung und Schlusspunkt der Rechtsquellenlehre bezeichnen. 85 Vgl. nur die Bezugnahme bei Ulrich Battis, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2002, S. 27; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 4, Rn. 3; Fritz Ossenbühl, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 2. A. 1996, § 61, Rn. 3; Maximilian Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. A. 2000, § 3, Rn. 2. 86 Alf Ross, Theorie der Rechtsquellen, 1929, S. 292. 87 Dies können auch Rechtsnormen sein, die lediglich an der Beschreibung des „Tatbestandes“ der Rechtserzeugung beteiligt sind, wie beispielsweise Legaldefinitionen oder Zuständigkeitsregelungen. Mit Verweis auf Hans Kelsen vertritt Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 41, einen erweiterten Rechtsquellenbegriff, der auch konkretindividuelle Einzelakte umfasst. 88 Hinzu kommt noch, dass auch die Vornahme von Realakten oder Vollstreckungshandlungen rechtlicher Ermächtigung bedarf, damit diese im Unterschied zu schlichten tatsächlichen Handlungen als Rechtserscheinungen identifiziert werden können. Bei dieser Betrachtung sind auch alle Urteile, die als Vollstreckungstitel dienen, sowie alle Verwal-

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können allgemein verbindliche wie auch nur individuell verbindliche Regelungen gehören. Grundlegend ist festzustellen, dass für den Charakter als Ermächtigungsnorm entscheidend ist, ob Erzeugungsbedingungen geregelt werden, und nicht, welche Reichweite die betreffende Regelung hat. „Die Rechtsprechung“ ist keine Rechtsquelle, bestimmte Urteile können dagegen durchaus Teil des ermächtigenden Normenkomplexes als Deutungsschema sein. Gleiches gilt für Verwaltungsvorschriften und Weisungen. 89 Übereinstimmung besteht, dass die Rechtsdogmatik keine Ermächtigungsnormen erzeugen kann. Zwar hat sie in Deutschland – als Praxis hinter der Praxis 90 – großen Einfluss auf die Rechtsprechung und Gesetzgebung, 91 dieser Zusammenhang ist aber faktisch, nicht rechtsnormativ. Auch die Vorstellung, gewohnheitsrechtliche Regelungen könnten ermächtigende Normen sein, ist abzulehnen, da in der geltenden Rechtsordnung keine Ermächtigungsnormen ersichtlich sind, mit deren Hilfe sich bestimmte Erscheinungen als Gewohnheitsrecht deuten ließen. 92 Ermächtigungsnormen (bzw. Rechtsquellen) können damit alle – aber auch nur die – Rechtsnormen sein, 93 die Erzeugungsbedingungen anderer Rechtserscheinungen regeln.

III. Geltung, Wirksamkeit, Verbindlichkeit Die Überlegungen, Rechtsprechung oder Gewohnheitsrecht in den Kanon der Rechtsquellen einzubeziehen, suchen den Geltungsgrund dieser Erscheinungen tungsakte, die Grundlage einer Verwaltungsvollstreckung sind, als Ermächtigungsnormen einzuordnen. 89 Zu deren Rechtsnormcharakter Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1331); vgl. bezüglich der Verwaltungsvorschriften auch Christian Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 306 ff. 90 So treffend charakterisiert von Susanne Baer, in: Ursula Rust (Hg.), Juristinnen an den Hochschulen, 1997, S. 153 (160). 91 Fritz-René Grabau, Gesetzes- und Vertragsinterpretation, 1993, S. 181 f. 92 Sehr kritisch zur Gewohnheit als Rechtsquelle der Verwaltung auch Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 2. A. 1914, § 8, S. 90 ff., der die Justiz mit ihrem „Hunger nach Rechtssätzen“ als antagonistische Verursacherin betrachtet. Zum Begriff des Gewohnheitsrechts ausführlich Nobert Kortgen, Probleme des Gewohnheitsrechts, 1993, Rn. 115 ff., m.w. N.; skeptisch zur Existenz von Gewohnheitsrecht, jedenfalls auf Verfassungsebene oder als Eingriffsgrundlage: Friedrich E. Schnapp, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 5. A. 2001, Art. 20, Rn. 44. Siehe ferner Teil 3 E II 2. 93 Eine wohltuende Komplexitätsreduktion zumindest im Bereich der richterlichen Rechtsetzung gelingt auch Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 97, Rn. 22, indem er jede Bindung der Rechtsprechung an sog. allgemeine Rechtsgrundsätze, vermeintliches Richterrecht, angebliches Gewohnheitsrecht, Präjudizien und herrschende Lehre schlichtweg ausschließt.

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nicht in einer rechtlichen Ermächtigungsstruktur. So soll Gewohnheitsrecht einfach deshalb gelten, weil es für Recht gehalten und befolgt wird, also auf Grund seiner tatsächlichen Wirksamkeit. Und bezüglich des Richterrechts bedauert etwa Thomas Drosdeck, dass die Verbindlichkeit kraft Sozialfaktizität in der juristischen Rechtsquellenlehre noch keine Entsprechung finde. 94 Dies steht exemplarisch für Bestrebungen in der Rechtswissenschaft, Geltung und Wirksamkeit bzw. Geltung und Verbindlichkeit in einen notwendigen Zusammenhang zu bringen. 95 Nicht unüblich ist es, von einem dreigliedrigen Geltungsbegriff auszugehen, der eine juristische, soziologische und ethische Dimension umfassen soll. 96 Damit ist es aber nicht mehr möglich, die geltende Rechtsordnung als rechtliches Normensystem zu beschreiben, denn zugleich müssten ihre tatsächlichen Auswirkungen, die zugrunde liegenden Machtverhältnisse und Strategien, aber auch ihre moralischen Implikationen miterfasst werden. Wie dieser Gemengelage noch adäquate Methoden der Rechtserkenntnis zugeordnet werden sollen, ist nicht ersichtlich. Aus der hier gewählten rechtstheoretischen Perspektive beschreibt Geltung nur, dass eine Rechtsnorm existiert, indem sie einem Rechtssystem angehört. Dazu muss sie auf Ermächtigungsnormen dieses Systems beruhen. Die zusätzlichen Anforderungen, sie müsse wirksam oder verbindlich sein, verlassen das System in doppelter Weise. Das Kriterium der Wirksamkeit bezieht sich auf eine faktische, also nicht-normative, Begründung; 97 ein allgemeiner Verbindlichkeitsanspruch setzt normative, aber nicht rechtliche, 98 Maßstäbe. Geltung, Wirksamkeit und Verbindlichkeit von Rechtsnormen sind zu unterscheiden.

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Thomas Drosdeck, Die herrschende Meinung, 1989, S. 135. In einigen Fällen handelt es sich auch schlicht um begriffliche Unschärfen, so wenn Helmut Coing, JuS 1975, 277 (279 f.), Verbindlichkeit mit Geltung identifiziert; recht verwirrend auch: Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 39 ff. 96 Vgl. Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 30 ff.; Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 280 ff.; Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 334 ff.; Theodor Schilling, Rang und Geltung von Normen, 1994, S. 159 f. Zu Theorien der Rechtsgeltung vgl. auch Norbert Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 4. A. 2007, Rn. 101 ff. Zu Geltungskonzeptionen und damit Normativität bei Hans Kelsen vgl. ausführlich Gabriel Nogueira Dias, Rechtspositivismus und Rechtstheorie, 2005, S. 130 ff. 97 Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 110 f., ordnet die sog. Normativität des Faktischen zutreffend als psychisches, nicht rechtliches Phänomen ein. 98 Vgl. Hans-Martin Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, 1986, Rn. 20, wonach Ethik und Moral eine Rechtfertigung des Rechts ermöglichen, die dessen Verbindlichkeit (Bindungswirkung) bewirkt. Ferner Rainer Lippold, Rechtstheorie 19 (1988), 463 (471), nach dessen Ansicht das Urteil der Verbindlichkeit auf einem außerhalb der Normenordnung liegenden Maßstab beruht. 95

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1. Geltung und Wirksamkeit Eine Norm wird unwirksam, wenn sie nicht mehr befolgt oder angewendet wird. 99 Davon die Geltung abhängig zu machen, 100 begegnet mehreren Problemen. Zum einen dürfte es schwierig sein, genau zu bestimmen, wann die Situation der Nichtbefolgung vorliegt: Wenn die Norm nur noch von wenigen, von ganz wenigen, von niemandem mehr befolgt wird? Wenn sie einen Monat, ein Jahr, zehn Jahre – durchgängig? – nicht mehr befolgt wird? Wer darf diese Grenze bestimmen und wer stellt fest, dass sie überschritten wurde? Kann die Norm „reanimiert“ werden, also tritt sie wieder in Wirksamkeit, wenn sich plötzlich doch ein rechtstreuer Rechtsunterworfener findet? Selbst wenn diese Fragen beantwortet werden können, bleibt aus rechtstheoretischer Sicht das Grundproblem bestehen, dass hier versucht wird, Normativität faktisch zu begründen. 101 Aus einem Sein kann aber nicht auf ein Sollen geschlossen werden. 102 Die Frage der Wirksamkeit ist aus rechtssoziologischer und rechtspolitischer Perspektive ohne Zweifel von 99 Vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 3. Grundsätzlich zur Akzeptanz als Voraussetzung der Wirksamkeit, die ihrerseits Voraussetzung der Geltung sein soll: Gerhart Wielinger, in: Csaba Varga / Ota Weinberger (Hg.), Rechtsgeltung, 1986, S. 127 – 136. 100 Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 4, 39 ff., 87, 112 f., macht die Wirksamkeit der Norm zur Bedingung ihrer Geltung – grundsätzlich zustimmend Boris Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 2007, S. 87 – obwohl er im Übrigen darauf besteht, dass Sein und Sollen, also auch Wirksamkeit und Geltung, strikt zu trennen sind (vgl. S. 3, 111 f.). Konsequent geht er davon aus, dass eine generelle Norm ihre Geltung für den konkreten Fall verliert, wenn sie vom Gericht nicht anerkannt und folglich nicht angewendet wird (S. 39, 175, 191 f.). Sehr kritisch zur Verbindung von Zwangstheorie und Anerkennungstheorie in Kelsens Spätwerk: Werner Krawietz, in: Ota Weinberger / Werner Krawietz (Hg.), Reine Rechtslehre im Spiegel, 1988, S. 315 (327 ff.). 101 Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 941 (948), legt viel Wert darauf, dass die Wirksamkeit nicht Grund, sondern nur Bedingung der Geltung ist; dabei verweist er auf den Rechtsetzungsakt als Faktum, welches ebenfalls die Geltung bedinge (S. 942). – Der entscheidende Unterschied ist aber, dass der Rechtsetzungsakt vom positiven Recht selbst als rechtserzeugender Tatbestand vorgesehen ist, während Gleiches für eine Unwirksamkeit als rechtsvernichtenden Tatbestand nicht behauptet werden kann. 102 Und deshalb ist die soziologische Einfärbung von Hans Kelsens Konzeption auch völlig unverständlich. Sehr kritisch Rainer Lippold, Rechtstheorie 19 (1988), 463 ff., der von einem „rechtsrealistischen Element“ (S. 472) und „Residuum naturrechtlichen Denkens in der Reinen Rechtslehre“ (S. 478, Fn. 37) spricht. Eher deskriptiv verweist Michael Schmidt, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 137 (137 ff.), auf die ausführliche Befassung Hans Kelsens mit soziologischen Richtungen und seine scharfe Abgrenzung zu diesen, ferner auf seine Geißelung des Methodensynkretismus (S. 153 f.); die Figur der desuetudo habe aber faktisch zu inhaltlicher Harmonie zwischen Realismus und Reiner Rechtslehre geführt (S. 143). Eugenio Bulygin, in: Stanley L. Paulson / Michael Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 80 (81 ff.), veranlasst diese Problematik zu einer partiellen Rekonstruktion der Reinen Rechtslehre. Gabriel Nogueira Dias, Rechtspositivismus und Rechtstheorie, 2005, S. 225 ff., 253 ff., und Horst Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie

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hohem Interesse. Dieses Kriterium führt aber nicht weiter, wenn der Gegenstand der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis mit dem Ziel der Entwicklung adäquater methodologischer Aussagen bestimmt werden soll. So wie Rechtsnormen nur durch einen Rechtsetzungsakt existent werden können, 103 können sie auch nur durch einen Rechtsetzungsakt außer Geltung gesetzt (derogiert) werden. 104 Zwar kann eine Rechtsnorm auch von Anfang an mit einem „Verfallsdatum“ versehen werden, welches besagt, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt außer Kraft tritt. Ohne diese Einschränkung gelten Rechtsnormen aber zeitlich unbegrenzt mit dem Inhalt, mit dem sie erlassen wurden. 105 Soll eine Rechtsnorm daher geändert oder aufgehoben werden, muss eine neue Rechtsnorm mit dem gewünschten abweichenden Inhalt oder mit einem Aufhebungsbefehl gesetzt werden. 106 Diese neue Rechtsnorm muss überdies die alte verdrängen, ihre Geltung (zumindest teilweise) aufheben können. Bei Gesetzen gilt dafür beispielsweise die Kollisionsregel lex posterior derogat legi priori. 107 Nur auf diese Weise – durch die Setzung einer verdrängenden Rechtsnorm – können Rechtsnormen geändert oder ganz aufgehoben werden. Weder ändern sich Rechtsnormen von selbst oder passen sich geänderten Gegebenheiten autonom an, noch verfallen sie oder sterben, wenn sie nicht mehr beachtet werden. Gel-

und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 1986, S. 124 ff., billigen Kelsens Konzept als pragmatischen Mittelweg und adäquaten Ausdruck seines Bemühens um eine empirische Beschreibung von Normativität. 103 Darin liegt die sog. Positivität des Rechts. Vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 3 f., 14 f., 113: Kein Imperativ ohne Imperator. Reichlich irritierend ist es, wenn Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 216 f., glaubt, diese Prämisse mit dem Argument widerlegen zu können, Gewohnheitsrecht beweise, dass positive Rechtsnormen auch ohne bestimmten Kreationswillen existieren könnten. Dies würde zunächst voraussetzen, dass Gewohnheitsrecht existiert. 104 Zutreffend weist Rainer Lippold, Rechtstheorie 19 (1988), 463 (475), darauf hin, dass die Begründung der Geltung auch für Hans Kelsen unabhängig von der Wirksamkeit der Norm erfolgt; konsequent könne auch die Aufhebung der Geltung nur von der Wirksamkeit abhängig sein, wenn die Rechtsordnung dies vorsehe (S. 475), denn ein Sein könne normative Relevanz nur in der durch Normen festgelegten Weise haben, nicht von sich aus (S. 474). Paradigmatisches Beispiel einer davon abweichenden Verkennung der Eigengesetzlichkeit des Rechts bildet die Annahme, Bebauungspläne würden auf Grund von Funktionslosigkeit ihre Geltung verlieren, wobei die Begründungsansätze variieren, vgl. nur BVerwGE 54, 5 ff.; Peter Baumeister, GewArch 1996, 318 (319 ff.); Sascha Bier, UPR 2004, 335 (337 ff.); Christoph Degenhart, BayVBl. 1990, 71 (75 ff.); Stefan Tysper, BauR 2001, 349 (356 ff.); zur mangelnden Konsequenz in der praktischen Umsetzung kritisch: Sebastian Erhard, NVwZ 2006, 1362 ff., womit diese Erscheinungsform der Normativität des Faktischen auch grundsätzlich in Frage gestellt wird. 105 Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 242 ff., 251 ff. 106 Vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 89 ff. 107 Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1469 (1480).

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tung oder Nichtgeltung, also ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung, 108 kann nur rechtlich bestimmt werden. 2. Geltung und Verbindlichkeit Auch die Idee eines allgemeinen Verbindlichkeitsanspruchs 109 birgt weniger Bereicherung als Irritation. Zwar werden Rechtsnormen mit dem Ziel erlassen, befolgt zu werden und menschliches Verhalten zu beeinflussen. 110 Normativität beschreibt nicht zuletzt den Abstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Doch zum einen legt eine Rechtsordnung selbst fest, welche ihrer Rechtsnormen für wen verbindlich sein sollen – nicht jede Norm der deutschen Rechtsordnung ist für alle in Deutschland lebenden Menschen verbindlich. Zum anderen würde ein quasi hinter der Rechtsordnung stehender allgemeiner Verbindlichkeitsanspruch lediglich dazu führen, dass die rechtliche Bindung moralisch überfrachtet wird. 111 Wird gegen Rechtsnormen verstoßen, kann dieser Verstoß mit den Sanktionen geahndet werden, welche die Rechtsordnung hierfür bereithält. Damit bleibt es der Entscheidung jeder einzelnen Person überlassen, ob sie eine Rechtsnorm befolgt oder die Sanktion in Kauf nimmt. 112 Rechtliche Bindung von metaphysischer Verbindlichkeit zu trennen, schafft Freiheit, 113 und ohne Freiheit ist menschliche Verantwortung nicht denkbar. Selbst Juristinnen und Juristen steht die Möglichkeit offen, geltende Rechtsnormen aus moralischen oder politischen Gründen abzulehnen und nicht zu befolgen. Sie dürfen dann allerdings nicht rechtlich gegen die verhängten Sanktionen argumentieren, 114 sondern müssen politisch tätig werden. Der Versuch, juristische Unrechtsurteile mit einem moralischen Unwerturteil 115 zu 108 Rainer Lippold, Rechtstheorie 19 (1988), 463 (479 ff.), legt zutreffend dar, dass es der Rechtswissenschaft natürlich freisteht, ihren Gegenstand durch enge Geltungsbegriffe zu beschränken, dem müsse zur Abgrenzung dann aber ein weiter Geltungsbegriff vorausgehen. 109 Dagegen regt Rainer Lippold, Rechtstheorie 19 (1988), 463 (470 f.), an, zwischen subjektiver, objektiver und autoritativer Verbindlichkeit zu unterscheiden. 110 Nach Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 16, kann eine Norm nur gelten, wenn es möglich ist, sie zu befolgen oder zu verletzten. 111 In diesem Punkt wird die Grundnorm der Reinen Rechtslehre bevorzugt missverstanden. Also sei mit Michael Schmidt, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 137 (150), noch einmal betont, dass die Grundnorm eine reine Konstruktion ohne jede metaphysische Implikation darstellt und dass aus einem hypothetisch bedingten Geltungsbegriff gerade kein inhaltlich oder moralisch verpflichtendes Sollen abgeleitet werden kann (S. 152, Fn. 74). 112 Vgl. auch Ulfrid Neumann, Rechtstheorie 32 (2001), 239 (250), der betont, dass mit der Geltung von Rechtsnormen als „institutioneller Tatsache“ noch nichts über die moralische Pflicht, geltendes Recht zu befolgen, ausgesagt sei. 113 Prägnant Josef Isensee, JZ 1996, 1085 (1086): „Der Verfassungsstaat bewährt seine Freiheitlichkeit dadurch, daß er nur Befolgung verlangt, nicht Zustimmung, daß er auf äußeres Verhalten abstellt, nicht auf Gesinnung.“

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verknüpfen, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, mit juristischen Mitteln ausgeübte Herrschaft nur zusätzlich absichern zu wollen. 116 Damit soll nicht die Fragestellung, warum Rechtsnormen überhaupt befolgt werden sollten, diskreditiert werden. 117 Dies würde mit unerfreulichen Inhalten ausgestattete Rechtssysteme gegen Kritik von außen immunisieren. 118 Es wird nur daran erinnert, dass weder begründet behauptet werden kann, Rechtsnormen seien aufgrund einer metaphysischen Vorgabe stets verbindlich, noch, bestimmte Rechtsnormen seien (allein) aus moralischen Gründen nicht verbindlich. 119 Die rechtliche Verbindlichkeit von Rechtsnormen bestimmt sich allein nach dem geltenden Rechtssystem. Ihre moralische Verbindlichkeit ist eine hochinteressante, aber davon getrennt zu betrachtende Frage, der sich insbesondere die Rechtsphilosophie 120 widmet.

114 Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 169 f., betont zutreffend, dass Normen der Moral Rechtsnormen weder in Geltung setzen noch aufheben können; sie gälten aber weiterhin unabhängig von der fraglichen Rechtsordnung, welche nun moralisch zu missbilligen sei. Richard Thoma, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 71, S. 108 (141 f.), stellt fest, dass jeder Gesetzesunterworfene einer Rechtsnorm die Anerkennung verweigern dürfe, doch würde er damit im Dienste eines „Rechts“ das positive „Recht“ verletzen. 115 Ein moralisches Unwerturteil ist nur zu schnell eine Verurteilung der ganzen Person. Vgl. auch die Dringlichkeit, mit der Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 71 ff., betont, dass Gegenstand von Rechtsnormen das menschliche Verhalten ist und nicht der Mensch insgesamt und dass Gleiches für Werturteile gelten sollte. 116 Werde die Trennung von Recht und Moral aufgegeben, befürchtet Ingeborg Maus, Rechtstheorie 20 (1989), S. 191 – 210, eine Entgrenzung des Rechtsbegriffes, mit der eine unkontrollierte Ausweitung staatlicher Machtentfaltung ebenso verbunden sei wie der Verlust demokratischer Legitimation und moralischer Kritisierbarkeit des Rechts. 117 Für ein Gemeinwesen ist von hoher Relevanz, dass seine Mitglieder einen sozialen Sinn darin sehen, Rechtsnormen zu befolgen. Auch Juristinnen und Juristen kommen nicht umhin, sich mit Gesellschaftsvertragstheorien, der friedenssichernden Funktion des Rechts oder Gerechtigkeitsvorstellungen zu befassen. Eine Rechtstheorie wie die Reine Rechtslehre ist eben nicht – und war auch nie – die Euthanasie der Rechtsphilosophie, auch wenn dieser Mythos bis heute aufrecht erhalten wird, vgl. jüngst Johann Braun, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2006, S. 41. 118 Allerdings warnt Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 797 (809 f.), zu Recht, dass die moralische Bewertung von Rechtssystemen bevorzugt zur Legitimierung des eigenen und zur Disqualifizierung fremder Systeme angewendet werde. 119 So zutreffend Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 797 (807), unter Verweis auf das Fehlen eines absoluten moralischen Maßstabes. Anders wohl Gustav Radbruch, SJZ 1946, 105 (107) mit seiner berühmten Formel; der Versuch einer ideengeschichtlichen Einordnung von Christoph M. Scheuren-Brandes, Der Weg von nationalsozialistischen Rechtslehren zur Radbruchschen Formel, 2006, passim, ist leider extrem verkürzt und zeitweise merkwürdig romantisierend.

B. Rechtsnormen

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3. Erkenntnisinteresse und Zugänge zum Recht Für eine der Reinen Rechtslehre folgende Rechtstheorie ist es wichtig, sich auf die Beschreibung der Rechtsordnung als System von Rechtserscheinungen zu beschränken. Damit grenzt sie sich gegen alle anderen, also beispielsweise empirischen, moralischen, sozialwissenschaftlichen, diskurstheoretischen, feministischen, ökonomischen, politischen oder philosophischen Zugänge zum Recht ab. Diese Abgrenzung bedeutet nicht, dass andere Zugänge zum Recht irrelevant oder gar in irgendeiner Weise „falsch“ wären. 121 Recht kann aus guten Gründen als politisches Machtmittel, soziale Interaktion, diskursive Praxis oder kultureller Code betrachtet werden. 122 Diese guten Gründe liegen im Erkenntnisinteresse der Betrachterin. Wenn gefragt wird, wie Recht sozial funktioniert, ob bzw. unter welchen Bedingungen es wirksam ist, in welcher Weise rechtliche Regelungen und gesellschaftliche Realität in Wechselwirkung treten, kann der hier gewählte rechtstheoretische Ansatz keine Antworten geben. 123 Ebenso wenig kann er Ziele, Zwecke oder Ideen des Rechts definieren, die moralische Verbindlichkeit von Rechtsnormen begründen oder sagen, was Gerechtigkeit ist. Aber eine strukturelle Rechtstheorie kann die Strukturen und Eigengesetzlichkeiten des Rechts beschreiben und so den Grundstein einer juristischen Methodenlehre bilden.

IV. Generelle und individuelle Rechtsnormen Neben der Vermischung der Zugänge zum Recht kennt die etablierte Rechtswissenschaft aber auch erhebliche Selbstbeschränkungen. Während einerseits die Definition von Rechtsnormen durch den Rekurs auf Moral oder Faktizität entgrenzt wird, ist auf der anderen Seite eine merkwürdige Engführung bei der Verwendung des Begriffes „Rechtsnorm“ zu beobachten. Als „Rechtsnormen“ sollen nur generell-abstrakte Rechtsnormen bezeichnet werden. 124 Verwaltungsakte und Urteile 120 Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 941 (953), spricht insoweit von Arbeitsteilung; allerdings wird seine Einordnung der Rechtsphilosophie als Teil der Rechtspolitik auf wenig Gegenliebe bei deren Vertreter / innen hoffen dürfen. 121 So auch Rainer Lippold, Rechtstheorie 19 (1988), 463 (486 ff.), der aber darauf besteht, dass jede Bezugnahme auf das Recht dessen wertfreie Beschreibung voraussetzt. Ähnlich Michael Schmidt, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 137 (141). In der gegenwärtigen Methodenlehre und Rechtstheorie erfreuen sich dagegen „ganzheitliche“ bzw. holistische Sichtweisen großer Beliebtheit. 122 Vgl. beispielsweise die Zugänge der Beiträge in: Sonja Buckel / Ralph Christensen / Andreas Fischer-Lescano (Hg.), Neue Theorien des Rechts, 2006. 123 Zur Rechtstheorie als Binnenperspektive und Rechtssoziologie als Außenperspektive, zu deren Aufgaben die ständige Irritation juridischer Binnenreflexion zählt, vgl. Gerd Bender, in: Dieter Simon (Hg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, 1994, S. 100 (108 ff.).

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

firmieren hingegen unter „Einzelakt“ oder „Einzelfallentscheidung“, privatrechtliche Verträge unter „Rechtsgeschäft“. 125 Diese recht willkürliche Abgrenzung 126 beeindruckt nicht nur durch ihr regelmäßiges Scheitern, sie verblüfft vor allem dadurch, dass der angestrebte Erkenntnisgewinn weitgehend im Dunkel bleibt. Urteile und Verwaltungsakte sind geltende Rechtsnormen, wenn sie auf geltenden Ermächtigungsnormen beruhen. Das Gleiche gilt für privatrechtliche Verträge. 127 Das Bürgerliche Gesetzbuch verleiht den Bürgerinnen und Bürgern Rechtsetzungsmacht, 128 die sie durch gemeinsamen Vertragsschluss ausüben können. Wenn 124 Vgl. nur Volkmar Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. A. 1997, S. 31; Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 19; Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Verfassungsgrundsätze), Rn. 61 (Stand: 1980); Jörn Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2003, Rn. 290; Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 57 ff.; Nobert Kortgen, Probleme des Gewohnheitsrechts, 1993, Rn. 147; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 37 ff., 49; Hans Schneider, Gesetzgebung, 3. A. 2002, Rn. 14, 16, 35; Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 4. Dagegen bezeichnet Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 245 (259), diese Beschränkung als verhängnisvollen, aber leider traditionell gewordenen Irrtum, und weist in ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, 2. A. 1928, S. 94, Fn. 1, ausdrücklich Adolf Merkl das Verdienst zu, erstmals zu diesem Vorurteil Stellung bezogen zu haben. 125 Paul Kirchhof, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 50 (98 ff.), spricht von „Rechtsakt“ und „Rechtsgeschäft“ in Abgrenzung zum „Rechtssatz“ (S. 76 ff.). 126 Eine wenig schmeichelhafte Erklärung dieser zum Gemeingut avancierten Trennung bietet Rainer Lippold, Der Staat 29 (1990), 185 (193, Fn. 25): „Die Befangenheit großer Teile der deutschen Rechtswissenschaft in naivster Begriffsjurisprudenz, d. h. im Festhalten an überholten terminologischen Setzungen ungeachtet strukturell wesentlicher Gemeinsamkeiten der Rechtserscheinungen, zeigt sich nicht nur an der Reservierung des Begriffes ‚Norm’ für generelle Normen, [...].“ 127 Ernst Rudolf Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 2, 1898, § 22, S. 117 ff., fasst Gesetze, obrigkeitliche Verfügungen, Urteile und Privatrechtsgeschäfte unter dem Begriff des „Rechtsgeschäfts“ zusammen, das er wie folgt definiert: „Rechtsgeschäft nennen wir jede Setzung subordinierter Rechtsnormen“ (S. 117). Derweil will Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 354 ff., seinen durch Heteronomität und Generalität konstituierten Rechtsnormbegriff im Bereich der privaten Rechtsetzung zu Gunsten von Ausübungsregelungen aufgeben, soweit auf der Grundlage subjektiver Rechte gehandelt werde. 128 Zutreffend Jürgen Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 19 ff. Irritierend ist insofern Hans-Martin Pawlowski, Allgemeiner Teil des BGB, 7. A. 2003, Rn. 61, nach dessen Ansicht sich die Rechtsetzungskompetenz für den einzelnen Rechtsgenossen aus der Verfassung ergibt, nach der alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. – Vielleicht der Versuch eines kreativen Anschlusses an die Konzeption von Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 212, Fn. 1, in der die Synonymität von Recht und Staat zur Folge hat, dass auch private Rechtsgeschäfte als Staatsakte zu betrachten sind; ebenso Rudolf Thienel, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 71 (78 f.).

B. Rechtsnormen

163

Ermächtigungsnormen Deutungsschemata für Rechtsnormen sind, ist es unausweichlich, auch Urteile, Verwaltungsakte und privatrechtliche Verträge aufgrund ihrer Ermächtigungen als Rechtsnormen zu identifizieren. Die Gegenauffassung müsste neben einer Rechtstheorie für Rechtsnormen auch eine Rechtstheorie für Rechtsgeschäfte und eine für sog. Einzelakte entwickeln sowie eine Metatheorie präsentieren, welche alle drei in einem gemeinsamen System zusammenbringt. Dabei scheint schon die Abgrenzung selbst herausforderungsvoll zu sein. Zunächst gilt nach herrschender Meinung die Festlegung, dass nur (förmliche) Gesetze 129 sowie Verordnungen 130 und Satzungen 131 aufgrund ihres generell-abstrakten Charakters Rechtsnormen 132 sein können. Im Einzelfall lässt sich die Rechtsverordnung aber kaum von der Allgemeinverfügung trennen. 133 Über den Rechtsnormcharakter der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen 134 oder bestimmter Allgemeinverfügungen 135 kann wohl diskutiert werden. Einzelfallgesetze sollen aber gewiss Rechtsnormen sein, 136 obwohl sie keine generellen Regelungen darstellen. Bei Verfassungsnormen wiederum war es gerade ihre mangelnde Konkretheit, welche ihren Charakter als „echte Rechtsnormen“ in Frage stellte. 137 Was Einzelakte sind, bleibt unklar, mehr noch die Einpassung dieser Erscheinungen in das geltende Rechtssystem. Angesichts dieser Konfusion stellt sich verschärft die Frage nach dem Erkenntnisgewinn. Die Trennung von Rechtsnorm und Einzelakt scheint nicht Prämisse, sondern Produkt eines bestimmten Rechtsverständnisses zu sein. Danach ist das System zweigeteilt in politisch motivierte Rechtsetzung, die generelle Rechtsnormen produziert, und reine unpolitische Rechtsanwendung, welche diese 129 Vgl. BVerfGE 105, 135 (179); 97, 157 (164); 80, 137 (168); 72, 39 (47); 37, 132 (142); 8, 143 (147). 130 Vgl. BVerfGE 95, 267 (302); 74, 69 (74); 71, 305 (334 ff.); 63, 343 (353); 29, 83 (93 f.); 28, 119 (133). – So auch Heinz Schäffer (Hg.), Theorie der Rechtsetzung, 1988, S. 5 (Vorwort); sowie Harald Stolzlechner, in: Heinz Schäffer (Hg.), Theorie der Rechtsetzung, 1988, S. 241 ff. 131 Vgl. statt vieler Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 4, Rn. 20. 132 Vgl. auch die Definition von Rechtsnorm in: Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 18. A. 2004, S. 1071, 563. 133 Vgl. BVerfGE 56, 298 (342 f.). 134 Dazu BVerfGE 64, 208 (215); 55, 7 (20); 44, 322 (340): Rechtsetzungsakt eigener Art. Vgl. ferner BVerfGE 73, 261 (276); 20, 312 (317); Hans Schneider, Gesetzgebung, 3. A. 2002, S. 294 ff. 135 Vgl. in: BVerfGE 40, 237 (241). 136 Vgl. BVerfGE 95, 1 (17); 25, 371 (398). Dazu Hans Schneider, Gesetzgebung, 3. A. 2002, Rn. 38 ff. 137 Vgl. BVerfGE 25, 167 (182); 22, 114 (119 f.); 12, 281 (293); 8, 210 (216 f.); 3, 225 (239). Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979, S. 192, tritt solchen Zweifeln entschieden entgegen.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

Rechtsnormen nur für den Einzelfall vollzieht. 138 Die Implikationen und Irrtümer dieser Auffassung sollen hier nicht vertieft werden. Sie werden noch mehrfach Gegenstand dieser Arbeit sein. Festzuhalten ist vorerst nur: Wer sich vom Gegensatzpaar Rechtsetzung / Rechtsanwendung und vom eingeübten Sprachgebrauch 139 löst, kann die strukturelle Gleichartigkeit von „Rechtsnormen“ und „Einzelakten“ erkennen. Gesetze, Verwaltungsakte, Satzungen, Urteile, Rechtsverordnungen und Verträge sind von rechtlich dazu ermächtigten Personen oder Organen in einem rechtlich geregelten Verfahren innerhalb der rechtlich vorgesehenen Grenzen in die Welt gesetzt. Sie sind Rechtsnormen 140 – was sollten sie sonst sein? Damit sollen Unterschiede zwischen ihnen keinesfalls geleugnet werden. 141 Den Schwerpunkt der Betrachtung rechtstheoretisch auf ihre Gemeinsamkeiten zu legen, ermöglicht aber nicht zuletzt eine überzeugendere Darstellung des Rechtssystems.

C. Rechtssystem Im Vorstehenden ist deutlich geworden, dass Rechtsnormen ohne Rechtssystem nicht Gegenstand des rechtswissenschaftlichen Erkenntnisinteresses sein können, mehr noch, dass ihre singuläre Existenz nicht denkbar ist. 142 Wo aber mehrere Rechtsnormen ein System bilden, ist nicht nur die Abgrenzung nach außen gegen 138 Zum rechtswissenschaftlichen Denken in Dualismen – und der damit verbundenen erheblichen Fehlergefahr – finden sich Beispiele bei Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1356 ff.). Regina Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, 1986, S. 280 ff., entlarvt ferner jedenfalls die Rede vom „unpolitischen Richter“ im 19. Jahrhundert als politische Strategie. Das Beharren auf der unpolitischen Rechtsvollziehung kann zu äußerst fragwürdigen Argumentationen führen; so wurde in BVerfGE 40, 237 ff., ein Grundrechtseingriff durch den Erlass einer Allgemeinverfügung mit der Behauptung verneint, diese habe gegenüber dem Gesetz keinen eigenen Regelungsgehalt, denn „die Maßstäbe hierfür [für die nähere Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung] ergeben sich zwanglos aus der Natur der zu regelnden Materie“. 139 Der insbesondere im Zusammenhang mit abstrakter und konkreter Normenkontrolle deutlich wird. Nach dem hier vertretenen (weiten) Rechtsnormbegriff wäre nahezu jede gerichtliche Überprüfung eine Normenkontrolle. 140 So auch Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (65 f.); Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 6 f.; Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1319 ff.). 141 Diese Unterschiede bestehen nicht zuletzt in ihrer Stellung im Rechtssystem und in der Reichweite ihrer Bindungswirkung. Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 187, spricht von Gesetz und Richterspruch als zwei ebenbürtigen – aber nicht notwendig gleichgestellten – Rechtserscheinungen, eine abstrakt-generell, eine konkret-individuell. 142 Nach Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1311), gilt dies schon für strukturell primitivste Rechtsordnungen.

C. Rechtssystem

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nicht-rechtliche Systeme interessant, sondern gerade das innere Verhältnis der Rechtsnormen zueinander.

I. Stufenbau der Rechtsordnung und „doppeltes Rechtsantlitz“ Erste Aussagen über das Verhältnis der Rechtsnormen zueinander lassen sich schon dem Umstand entnehmen, dass jede Rechtsnorm auf Ermächtigungsnormen beruhen muss, um existent zu sein. Dabei steht die Ermächtigungsnorm, welche die Erzeugung von Rechtsnormen regelt, auf einer logisch höheren Ebene als die erzeugten Normen. 143 Da jede Ermächtigungsnorm ihrerseits auf Ermächtigungsnormen beruhen muss, gibt es einen über mehrere Ebenen reichenden Geltungszusammenhang. 144 Dieser wird auch als Stufenbau der Rechtsordnung 145 bezeichnet. Allerdings handelt es sich nur um eine Seite des Stufenbaus, den Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit. 146 Rechtsnormen beruhen auf logisch höher stehenden Rechtsnormen, die ihrerseits auf logisch höher stehenden Rechtsnormen beruhen. 1. Das doppelte Rechtsantlitz Wird dieser Stufenbau nicht nur von unten nach oben, sondern auch von oben nach unten angeschaut, zeigen die Rechtsnormen ihr „doppeltes Rechtsantlitz“. 147 Damit wird ausgedrückt, dass jeder Rechtsetzungsakt – ausgenommen die Verfassungsgebung „ganz oben“ und der Vollstreckungsakt „ganz unten“ – Rechts143

Vgl. Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1339 ff.), dem es aber mehr auf die Derogierbarkeit als auf die Logik ankommt. 144 Siehe dazu oben, Teil 2 B II. Sehr kritisch zur Nivellierung der Stufen bzw. einer willkürlichen Zäsur durch die herrschende Lehre: Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1091 (1092 ff.). 145 Diese für die Reine Rechtslehre grundlegende Konzeption wurde von Adolf Merkl entwickelt, vgl. insbesondere Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 211 ff.; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 171 ff. Sein Verdienst wurde von Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 2. A. 1923, S. XV, auch ausdrücklich anerkannt; allerdings weist Martin Borowski, in: Stanley L. Paulson / Michael Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 122 (157 f.), zutreffend darauf hin, dass Adolf Merkl in Kelsens Ausführungen zum Stufenbau selbst nicht einmal zitiert wird. Zu Adolf Merkls Stufenbaulehre: Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 149 ff.; Vittorio Frosini, Gesetzgebung und Auslegung, 1995, S. 40 ff.; Rainer Lippold, Recht und Ordnung, 2000, S. 280 ff.; kritisch: Peter Koller, in: Stanley L. Paulson / Michael Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 106 (110 ff.). 146 Dazu Robert Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung, 1964, S. 60 ff.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

vollzug und Rechtsetzung zugleich ist. 148 Die Ermächtigungsnorm wird vollzogen und eine neue Rechtsnorm wird gesetzt. Mit dieser Perspektive sind ungewohnte Einsichten verbunden: Die Gesetzgebung ist Vollziehung der Verfassung, 149 der Erlass von Urteilen oder Verwaltungsakten ist Setzung neuer Rechtsnormen. Die Ablehnung dieser Annahme 150 beruht nicht selten auf fehlerhaften Konzeptionen des Stufenbaus der Rechtsordnung. Insbesondere ist festzuhalten, dass die rechtliche Bedingtheit nicht mit vollständiger inhaltlicher Determination verwechselt werden darf. 151 Jeder Rechtsetzungsakt wird in einer Balance von Bindung und schöpferischer Eigenleistung vorgenommen. Wenn die Bindung in den unteren Ebenen der Rechtsordnung zunimmt, wird damit das schöpferische Element doch nicht eliminiert. Wenn das schöpferische Element in den oberen Ebenen der Rechtsordnung an Bedeutung gewinnt, handeln deren Rechtsetzer / innen doch nicht bindungslos. Rechtsvollziehung und Rechtsetzung sind nicht zwei getrennte Welten, sondern zwei Seiten einer Medaille. 2. Der doppelte Stufenbau Der Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit beschreibt die Voraussetzungen gelungener Rechtsetzungsakte. Die Setzung von Rechtsnormen hat aber auch Folgen. Der doppelte Blick auf die Rechtsordnung führt daher auch zu einem doppelten Stufenbau. 152 Von unten nach oben betrachtet, braucht jede Rechtsnorm 147 Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1339), beschreibt Rechtsnormen als bedingend und bedingt zugleich. 148 Vgl. Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (64). 149 Vgl. Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1347); ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 15, 20. Skeptisch Robert Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung, 1964, S. 45. 150 Philip Kunig, VVDStRL 61 (2002), 34 (40), ist das Konzept des Stufenbaus zu hartkantig, es handele sich doch eher um gleitende Skalen; Gerhard Robbers, NJW 1998, 935 (937 ff.), hält das Modell des Stufenbaus für eine überholte Konzeption des 19. Jahrhunderts und präsentiert statt dessen Rechtsnormen, die wechselnde Funktionen auf allen Ebenen übernehmen, dem Bundesverfassungsgericht gleichgeordnete Fachgerichte und eine Verfassung, die nicht übergeordnete Norm, sondern immanente Struktur der Rechtsordnung sein soll; Norbert Achterberg, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 92, Rn. 155 (Stand: 1981), schließlich präferiert einen kybernetischen Regelkreis. Dagegen widerspricht Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (123, Fn. 19), nachdrücklich einer Aufgabe des Stufenbaus, die nur zu rechtlich nicht determinierten Kooperationsmodellen führe. 151 Vgl. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 941 (952), S. 1363 (1364); Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1091 (1110).

C. Rechtssystem

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Ermächtigungsnormen, um existent zu werden. Von oben nach unten betrachtet, wird mit der Setzung von Rechtsnormen direkt oder indirekt auch der „Bestand“ an Ermächtigungsnormen für die nächstniedrige Stufe beeinflusst. Wird beispielsweise eine Kommunalverfassung geändert, können darauf beruhende Satzungen dadurch rechtswidrig werden und außer Kraft treten. Rechtsnormen einer bestimmten Stufe besitzen also derogatorische (außer Geltung setzende) Kraft gegenüber den Rechtsnormen einer niedrigeren Stufe. Neben dem Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit besteht ein Stufenbau nach der derogatorischen Kraft. 153 Auch der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft funktioniert hierarchisch. Zwar umfasst die Ermächtigung, Rechtsnormen einer bestimmten Stufe zu setzen, grundsätzlich auch die Ermächtigung, sie durch eine spätere Rechtsetzung 154 mit Hilfe von Kollisionsregeln wie lex posterior derogat legi priori 155 abzuändern oder aufzuheben 156 – und so auch die Existenz von darauf beruhenden Rechtsnormen der nächstniedrigen Stufe in Frage zu stellen. In keiner Weise ist aber die Ermächtigung impliziert, Rechtsnormen einer höheren Stufe zu setzen bzw. durch eine spätere Rechtsetzung abzuändern oder aufzuheben. Durch den Erlass einer Rechtsverordnung wird ein entgegenstehendes Gesetz – im Gegensatz zu entgegen-

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Vgl. dazu auch Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 145 ff.; sowie die Ausführungen bei Theodor Schilling, Rang und Geltung von Normen, 1994, S. 159 ff., 401 ff. Martin Borowski, in: Stanley L. Paulson / Michael Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 122 (151 ff.), kritisiert die mangelnde konzeptionelle Einbindung des Derogationszusammenhanges in der ursprünglichen Konzeption des Stufenbaus. 153 Dazu umfassend Robert Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung, 1964, S. 54 ff., der ausdrücklich betont, dass der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft nicht aus jenem nach der rechtlichen Bedingtheit abgeleitet werden kann (S. 65 ff.). Zur Derogation im Stufenbau auch Clemens Jabloner, ZÖR 60 (2005), 163 (168 ff.). Ausführlich zum Prinzip der Derogation Peter Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Normen, 1996, S. 273 ff., mit Darstellung und Ablehnung des Satzes „cessante ratione legis cessat lex ipsa“ (S. 312 ff.). Kritisch zum Stufenbau nach der derogatorischen Kraft Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 157 f. 154 Eine andere Regelung findet sich in § 318 ZPO, wonach Zivilgerichte an ihre eigenen Entscheidungen gebunden sind, diese also weder aufheben noch ändern dürfen, auch wenn sie nachträglich von ihrer Unrichtigkeit überzeugt sind. 155 Kritisch Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 237 ff., 260 ff., der davon ausgeht, dass die Befugnis zur Änderung oder Aufhebung von Rechtsnormen durch spätere Rechtsetzung eigenständiger rechtlicher Ermächtigung bedarf, Grundsätze wie lex posterior derogat legi priori seien ohne positivrechtliche Regelung nichts als rechtspolitische Wünsche in rechtslogischem Gewande. Zustimmend Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1429 (1442): not a logical, but a norm of positive law. Ablehnend zu Merkls These von einer solchen gesonderten Ermächtigung zur Rechtsänderung: Rainer Lippold, Recht und Ordnung, 2000, S. 405 ff. 156 Zur Änderung und Aufhebung von Rechtsnormen (nur) durch Derogation vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 89 ff.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

stehenden Verwaltungsakten oder Urteilen – weder geändert noch außer Geltung gesetzt; dies wird mit dem Stufenbau nach der derogatorischen Kraft beschrieben. Der Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit und der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft stimmen folglich überein, weshalb sich fragen ließe, warum sie überhaupt getrennt betrachtet werden. Die Übereinstimmung beider Strukturen ist aber eine rechtstheoretische Einsicht, die sich erhebliche Modifikationen durch das positive Recht gefallen lassen muss. So verfallen Verwaltungsakte oder Urteile bei einer entsprechenden Gesetzesänderung nicht automatisch der normativen Nichtexistenz. In unserer Rechtsordnung existieren durchaus einige Rechtsnormen, die anderen Rechtsnormen einer höheren Ebene widersprechen. Damit ist die Struktur des Stufenbaus aber nicht widerlegt, nur präzisiert. 157 Der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft kann vom Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit abweichen – wenn und soweit entsprechende positivrechtliche Normen gelten.

II. Das Fehlerkalkül als subsidiäre Ermächtigungsnorm Im Zusammenhang mit der Einheit der Rechtsordnung 158 ist schon die Überzeugung angesprochen worden, das Rechtssystem müsse, wenn schon nicht lückenlos, so doch wenigstens widerspruchsfrei sein. Diese Überzeugung ist sehr weit verbreitet, obwohl sie in einem eklatanten Widerspruch zum geltenden Recht steht. Es existieren zahlreiche Urteile, Verwaltungsakte, Bebauungspläne und Verträge, die geltenden gesetzlichen Regelungen widersprechen. Bei diesen Erscheinungen handelt es sich nicht um „Versehen“ oder „Unfälle“, sondern um von der Rechtsordnung selbst tolerierte Widersprüche. Der Wunsch nach Widerspruchslosigkeit innerhalb des Rechtssystems ist verständlich, er läuft aber mehr noch als andere Wunschvorstellungen Gefahr, das geltende Recht durch eigene Regelungsvorstellungen zu ersetzen. Unsere Rechtsordnung sieht die Geltung einander widersprechender Normen vor. 159 Obwohl die Gesetze ihre derogatorische Kraft entfalten sollten, können rechtswidrige Verwaltungsakte in Bestandskraft erwachsen, rechtswidrige Urteile Rechtskraft erlangen und rechtswidrige Bebauungspläne rechtswirksam sein und bleiben. Auch die Existenz rechtswidriger Rechtsnormen kann sich freilich nur auf Ermächtigungsnormen gründen. Eine solche Ermächtigungsnorm, welche 157 Dazu Rainer Lippold, Recht und Ordnung, 2000, S. 407 ff. Fehl geht daher die Kritik von Karl Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 13 ff., der das Fehlerkalkül – dazu sogleich – vollständig ignoriert. 158 Siehe oben, Teil 1 D IV. 159 Anders Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 12 ff., wonach bei einer Kollision verschiedenrangiger Normen die niederrangige Norm nichtig ist und sich widersprechende gleichrangige Normen sich gegenseitig aufheben. – Dies mag logischen Regeln entsprechen, nicht aber dem geltenden Recht.

C. Rechtssystem

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anordnet, dass fehlerhafte Normen gelten sollen, wird anschaulich auch als Fehlerkalkül 160 bezeichnet. Das wohl bekannteste Beispiel in unserer Rechtsordnung ist die Regelung in §§ 43 f. VwVfG, wonach ein Verwaltungsakt in Geltung gelangen und bleiben kann, auch wenn er rechtswidrig ist. Wenn es ein positivrechtliches Fehlerkalkül gibt, sind der Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit und der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft insoweit nicht mehr kongruent. Der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft wird modifiziert und weicht von dem Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit ab. Eine Rechtsnorm kann in Geltung treten, obwohl sie fehlerhaft ist, den Voraussetzungen ihrer Ermächtigungsnormen nicht entspricht. Und sie kann existieren, obwohl sie gegen höherrangiges Recht verstößt. So verdrängt bsw. ein rechtswidriger, bestandskräftiger Verwaltungsakt – aufgrund des Fehlerkalküls! – für seinen Regelungsbereich das im Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit höherrangige Gesetz. Allerdings kann die positiv-rechtliche Ausgestaltung von Fehlerkalkülen durchaus unterschiedlich ausfallen. Der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft kann daher nicht losgelöst von der konkreten Rechtsordnung beschrieben werden. Wenn Widersprüche zwischen Rechtsnormen verschiedener Normstufen auftreten, gibt es also zwei Möglichkeiten: Entweder die niederrangige Rechtsnorm ist nichtig, existiert gar nicht, oder sie existiert eben doch, weil es ein Fehlerkalkül gibt, das ihre Geltung anordnet. Die Frage, ob ein Fehlerkalkül gilt, ist stets sorgfältig zu prüfen. 161 So ist die Annahme, „Einzelakte“ könnten bestandskräftig oder rechtskräftig werden, wogegen (generell-abbstrakte) „Rechtsnormen“ bei Fehlerhaftigkeit grundsätzlich nichtig seien, 162 zwar gut zu merken, jedoch für unsere derzeit geltende Rechtsordnung nicht zutreffend. Widersprüche zwischen Rechtsnormen der gleichen Normstufe können nur als Normenkonflikt bezeichnet werden, wenn beide Rechtsnormen gelten. 163 Normenkonflikte können nicht durch Logik, sondern nur durch Derogation gelöst werden, welche rechtlich vorgesehen

160 Begriff wie Konzept wurden von Adolf Merkl entwickelt, vgl. dazu ausführlich Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 277 ff.; ders., in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 195 (201 ff.). Auch Ernst Rudolf Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 2, 1898, § 26, S. 275 ff., entfaltete eine differenzierte Mängellehre; seine Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Mängeln (S. 283, 285, 287 ff.) muss ihm aber die Zustimmung der hier vertretenen Position versagen. 161 Zu den diversen positivierten Fehlerkalkülen im deutschen Recht ausführlich unten, Teil 3 A I. 162 Exemplarisch für dieses Schema: Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Verfassungsgrundsätze), Rn. 43 (Stand: 1980), wonach die unterschiedlichen Fehlerfolgen für Gesetze und Einzelakte von Art. 20 Abs. 3 GG intendiert seien und überdies „uralter deutscher Rechtstradition“ entsprächen. 163 Zutreffend Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 168.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

sein muss. 164 Rechtsordnungen sind so widersprüchlich, wie sie selbst es zulassen. Das Ideal von der Einheit der Rechtsordnung muss sich durch deren geltende Regelungen korrigieren lassen. Die Rechtsordnung regelt ihren Normenbestand folglich autonom 165: die Erzeugung, die Änderung und die Aufhebung von Rechtsnormen sowie die Frage der derogatorischen Kraft bei Normwidersprüchen. Sie kann daher in den Begriffen der Systemtheorie auch zutreffend als selbstreferentielles, autopoietisches System beschrieben werden. 166 Ein solches System ist kognitiv offen, aber operativ geschlossen. 167 Die Selbstreferenz dient seiner erfolgreichen Reproduktion. 168 Nun ist eine Rechtsordnung aber kein Naturereignis, sondern Menschenwerk. Im Folgenden soll daher untersucht werden, welche Handlungen als Arbeitsschritte notwendig sind, um das Rechtssystem zu reproduzieren. Dabei werden noch keine Aussagen darüber getroffen, welches die „richtigen“ juristischen Methoden für die einzelnen Arbeitsschritte sind. Zwar wird hier die Ansicht nicht geteilt, dass die Methodenlehre der Rechtspraxis nichts zu sagen habe. 169 Doch würden weitere Überlegungen zum methodischen Vorgehen den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Eine Erfassung der Strukturen und Funktions164

Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 101 ff., 168 f.; Stanley L. Paulson, ARSP 1980, S. 487 –506, gibt eine Übersicht über Kelsen Meinungsbildung in dieser Frage und schließt sich mit der Lehre von „vermutlicher Rechtsgeltung“ der Auffassung an, dass die Nichtgeltung nicht aus dem Konflikt selbst folgt. Zu Normenkonflikten als einem erheblichen Problem der Reinen Rechtslehre auch Inés Weyland, in: Richard Tur / William Twining (Hg.), Essays on Kelsen, 1986, S. 249 –269, die ihre Schwierigkeiten allerdings signifikant hätte verringern können, wenn sie das Fehlerkalkül in ihre Betrachtungen einbezogen hätte. 165 Robert Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung, 1964, S. 57: „Ebenso wie das Recht seine eigene Erzeugung regelt, normiert es auch seine eigene Vernichtung.“ 166 Vgl. dazu Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 2. A. 1985, S. 59 ff.; zum Recht als autopoietischem System im Sinne Luhmanns: Thomas Drosdeck, in: Jeannette Schmid u. a., Der Rechtsfall, 1997, S. 5 (14 ff.); Joachim Lege, in: Rolf Gröschner / Martin Morlok (Hg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik, 1997, S. 83 (84 ff.); Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 424 ff. Dagegen plädiert Philippe Mastronardi, Juristisches Denken, 2. A. 2003, Rn. 386 ff., für einen Vorrang des Diskurses vor der Systemtheorie. 167 Das bedeutet, dass das System seine Umwelt wahrnimmt, aber nur nach seinen eigenen Rationalitäten integriert. Ein anschauliches Beispiel dieser Funktionsweise bilden Juristinnen und Juristen, die alltägliche Geschehnisse oder Handlungen mühelos in justitiable Sachverhalte „übersetzen“. Zur Eigenrationalität des Rechts vgl. auch Niklas Luhmann, Recht und Automation, 2. A. 1997, S. 135 ff. 168 Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1311 (1346), spricht treffend von „Selbsterzeugung des Rechts“, um dies zu beschreiben. 169 Alfons Bora, Rechtstheorie 32 (2001), 259 (265 ff.), geht gerade mit Rekurs auf die Systemtheorie davon aus, dass die Wissenschaft das Recht nicht durch methodische Vorgaben beeinflussen kann, da beide mit jeweils eindeutiger Selbstreferenz operierten und auch die Sozialisation der Juristinnen und Juristen keine Brücke zwischen den Systemen

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abläufe des geltenden Rechtssystems wird ausreichend sein, um die Zulässigkeit der Phänomene verfassungskonformer Auslegung zu beurteilen. Mit Blick auf das Gesamtthema werden die Ausführungen zur Reproduktion der Rechtsordnung ferner auf den (kleinen) Bereich der sog. Rechtsanwendung beschränkt. Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung werden schließlich weitgehend zu diesem Bereich gezählt, wobei die verfassungskonforme Rechtsfortbildung Besonderheiten aufweisen könnte, auf die noch einzugehen ist.

D. Auslegung, Anwendung und Rechtsfortbildung Ausgangspunkt der Überlegung, in welchen Arbeitsschritten die sog. Rechtsanwender / innen vorgehen, ist ihre Position im Stufenbau der Rechtsordnung und das „doppelte Rechtsantlitz“ als Merkmal von Rechtsetzungsakten. Eine der Prämissen der Reinen Rechtslehre ist, dass jeder Rechtsetzungsakt Anwendung und Rechtsetzung zugleich beinhaltet. Die sog. Rechtsanwender / innen wenden also nicht nur das Recht (beispielsweise die Gesetze) an, sondern setzen dabei selbst eine neue Rechtsnorm (beispielsweise einen Verwaltungsakt, ein Urteil, einen privatrechtlichen Vertrag). Eine Ausnahme besteht, wenn nur zu einem tatsächlichen Handeln ermächtigt wird (Realakt oder Vollstreckung), dann wird keine neue Rechtsnorm gesetzt. Verwaltungsakt, Urteil oder Vertrag sind als Rechtsnormen nur existent, wenn sie auf Ermächtigungsnormen (einschließlich einem Fehlerkalkül) beruhen. Den sog. Rechtsanwender / innen müssen daher die Ermächtigungsnormen sowie die dadurch gegebene Befugnis und die Grenzen dieser Befugnis bekannt sein. Entspricht ihr Rechtsetzungsakt nicht diesen Vorgaben, kommt keine geltende Rechtsnorm zustande. Das ist der Hintergrund von Begriffen wie Gesetzes- oder Verfassungsbindung. Der Vorgang der sog. Rechtsanwendung ist folglich zweiaktig. 170 Im ersten Schritt müssen die entsprechenden Ermächtigungsnormen gefunden und verstanden werden, 171 im zweiten Schritt ist auf Grundlage dieses Verständnisses eine neue Rechtsnorm zu setzen. schlagen könne. Katharina Gräfin von Schlieffen, Rechtstheorie 32 (2001), 175 (184 f.), spricht zwar wenig ermutigend von der Krypto-Referenz des Rechts und der PseudoReferenz der Rechtswissenschaft, schließt aber immerhin eine wechselseitige Beeinflussung nicht aus. 170 Rainer Lippold, Recht und Ordnung, 2000, S. 369 ff.; Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 135; Robert Walter, Hans Kelsens Rechtslehre, 1999, S. 26. Wird eine Unterscheidung in Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung abgelehnt, sehen sich Vertreter / innen der Reinen Rechtslehre rasch Vorwürfen ausgesetzt, die aus ihrer Sicht nicht zu überzeugen vermögen, vgl. nur Joachim Lege, Pragmatismus und Jurisprudenz, 1999, S. 409 ff.

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I. Rechtserkenntnis und Rechtsetzung Diese beiden Schritte sollen im Folgenden als Rechtserkenntnis und Rechtsetzung bezeichnet werden. Sie gelten für jeden Rechtsetzungsakt, also für die Gesetz- und Verordnungsgebung genauso wie für Rechtsprechung, Verwaltung und privatrechtliche Rechtsetzung. Auf allen Stufen der Rechtsordnung sind Rechtsetzer / innen tätig, die zuvor das ermächtigende Recht erkannt haben müssen. Die angenommene Zweiaktigkeit fordert auch die Unterscheidung methodischer von kompetentiellen Fragen einerseits sowie zwischen der Ermittlung des Inhalts von Rechtsnormen und der Feststellung ihrer Geltung andererseits. Diese Differenzierungen sind grundlegend für die Einordnung und Bewertung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung, wie noch zu zeigen sein wird. 172 Mit Rechtserkenntnis und Rechtsetzung sind zwei Begriffe eingeführt, die sonst in der Jurisprudenz nicht oder in anderer Bedeutung gebraucht werden. Da Wissenschaft auf Verständigung beruht, muss sich die Einführung neuer Begrifflichkeiten rechtfertigen. Im herkömmlichen Verständnis werden die Begriffe Auslegung und Anwendung für die Tätigkeit von Gerichten und Behörden verwendet, während der Begriff der Rechtsetzung der Gesetz- und Verordnungsgebung vorbehalten bleibt. Für die hier vertretene rechtstheoretische Ansicht ist es zentral, dass sie sich auch begrifflich von den damit verbundenen Rechtsverständnissen abgrenzen kann. Diese Notwendigkeit sei im Folgenden kurz ausgeführt. 1. „Auslegung“ und Rechtserkenntnis Der Begriff der Auslegung wird zwar in der Jurisprudenz allerorten verwendet, hat aber nur begrenztes Klärungspotential, da sein Bedeutungsspektrum sehr weit ist. Im weitesten Sinne kann Auslegung als Prozess der Entscheidungsfindung verstanden werden, die Gesamtheit der Gedanken, durch die das Gericht in Anlehnung an das Gesetz die Entscheidung gewinnt. 173 Damit kann zum einen schlicht ein Oberbegriff für die gerichtliche oder behördliche Tätigkeit gefunden sein. Es kann aber auch gemeint sein, dass das Gericht bzw. die Verwaltungsbehörde tatsächlich auf dem Erkenntniswege zum Urteil bzw. Verwaltungsakt gelangt. 174 Darauf weist ein Rechtsverständnis, welches annimmt, jede gesetzliche Bestim171 Vgl. Franz Bydlinski, Rechtstheorie 16 (1985), 1 (4), wonach jede Anwendung des Rechts Kenntnis und damit zunächst Erkenntnis des entsprechenden Inhaltes voraussetzt. 172 Vgl. ausführlich in Teil 3 C I 2, E II. 173 Einer konsequenten richterrechtlichen Theorie folgend wäre Ziel der Auslegung die gerechte Entscheidung des anhängigen Rechtsstreits, vgl. Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 208; auch im Übrigen wird die Rechtsanwendung nicht selten mit der Rechtsinterpretation identifiziert, vgl. Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 6.

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mung enthalte ein ganzes Bündel von Normen für unzählige Lebenssachverhalte, jedes Gesetz sei in viele Einzelanordnungen zerlegbar. 175 Wenn die Einzelanordnungen schon im Gesetz stecken, müssen sie nur noch erkannt und in Form von Urteilen oder Verwaltungsakten ausgesprochen werden. Carl Schmitt wies dagegen frühzeitig und zutreffend darauf hin, dass die Richtigkeit der Interpretation zwar eine Voraussetzung der Richtigkeit der Entscheidung, aber deshalb noch nicht dasselbe sei. 176 Mit der Vorstellung, dass jedes Urteil im Gesetz enthalten ist, gewinnt die Frage nach der richtigen Auslegungsmethode an Schärfe. Andererseits würde die bisher viel diskutierte Frage der demokratischen Legitimation der Rechtsprechung an Bedeutung verlieren, wenn der Richter doch nur der Mund der Gesetze für den Einzelfall ist. Allerdings wird die Ansicht, der Weg vom Gesetz zum Urteil sei ein Erkenntnisprozess, kaum friktionsfrei vertreten. So stiftet beispielsweise Hartmut Maurer einige Verwirrung, wenn er ausführt: „Der Verwaltungsakt ist – wie das gerichtliche Urteil – ein Rechtserkenntnisakt, da er bestimmt, was im Einzelfall Rechtens ist.“ 177 Wenn bestimmt wird, was Recht ist, muss mehr gemeint sein als ein reiner Erkenntnisvorgang. Nach anderer Ansicht ist die Auslegung nur vorbereitende Maßnahme. Die Gesetzesauslegung diene der Feststellung des Rechtssatzes, unter den ein konkreter Lebenssachverhalt zu subsumieren ist. 178 Dies könne auch Gesetzesberichtigung oder Lückenschließung umfassen, wenn nur so ein Obersatz zu gewinnen sei. 179 Abgesehen von der Frage, was wohl Auslegungsgegenstand einer Lückenschließung sein könnte, besteht in der Jurisprudenz das nicht unerhebliche Interesse, Auslegung und Rechtsfortbildung zu trennen. Dies hängt mit der fundamentalen Trennung von Rechtsanwendung und Rechtsetzung ebenso zusammen wie mit der Schwierigkeit, das viel betonte schöpferische Element der Rechtsprechung richtig zu verorten. Jedenfalls verwendet die herrschende Lehre einen engen Begriff der 174

Sehr kritisch zu solchen Ansätzen Ulfrid Neumann, Rechtstheorie 32 (2001), 239

(242). 175

Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 98. Carl Schmitt, Gesetz und Urteil, 1912, S. 29; vgl. auch Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 176 ff. 177 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 9, Rn. 42. Entschieden anderer Ansicht Wilhelm Henke, Der Staat 3 (1963), 433 (451), der daran erinnert, dass der Einzelfall im Gesetz eben noch nicht bestimmt ist, der Richter also für diesen bestimmt, was Recht sein soll, und nicht nur erkennt, was Recht ist. 178 Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 6; Reinhart Maurach / Heinz Zipf, Strafrecht, AT, Tb. 1, 8. A. 1992, § 9, Rn. 1. 179 Vgl. Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 15; Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 27 ff. Ablehnend Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 45. 176

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

Auslegung als der Ermittlung des Sinngehaltes, der Bedeutung bzw. des Inhalts vorhandener Rechtsnormen. 180 In dieser Arbeit soll Rechtserkenntnis dem engsten Auslegungsbegriff entsprechen. Mit dem Begriff der Rechtserkenntnis soll betont werden, dass allein die Ermittlung des Sinngehaltes vorhandener Rechtsnormen 181 gemeint ist, nicht die Ergänzung oder Berichtigung von Rechtsnormen, die Bildung von Obersätzen oder die Setzung neuer Rechtsnormen. Ist der Vorgang der Rechtserkenntnis klar eingegrenzt, kann der darauf folgende Vorgang, der als Rechtsanwendung, Subsumtion, Konkretisierung oder Rechtsetzung bezeichnet wird, sorgfältiger analysiert werden. 2. „Rechtsanwendung“ und Rechtsetzung Von der Rechtsprechung und herrschenden Lehre wird der auf die Erkenntnis des jeweils bindenden Rechts folgende Entscheidungsvorgang als Rechtsetzung bezeichnet, wenn Gesetze, Verordnungen oder Satzungen erlassen werden, und mit den Begriffen Rechtsanwendung oder Subsumtion beschrieben, wenn es um den Erlass von Verwaltungsakten oder Urteilen geht. 182 In der Unterscheidung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung 183 liegt weit mehr als ein terminologischer 180

Vgl. nur Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 262; Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 4. A. 1992, S. 292; Fritz-René Grabau, Gesetzes- und Vertragsinterpretation, 1993, S. 19; Alfred Katz, Staatsrecht, 15. A. 2002, Rn. 109; Helmut Köhler, BGB, Allgemeiner Teil, 30. A. 2006, § 4 Rn. 12; Dieter Leipold, BGB I, 3. A. 2004, Rn. 82; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. I, 2. A. 1984, S. 124; Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 41; interessant Hans Brox, Allgemeiner Teil des BGB, 29. A. 2005, Rn. 59: Ermittlung des rechtlich maßgebenden Sinnes des Gesetzes. 181 Dies setzt voraus, dass zuvor Rechtsnormen mit bestimmten Inhalten existieren; eine Vorstellung, die insbesondere in der strukturierenden Rechtslehre als naiv diskreditiert ist, vgl. dazu unten, Teil 3 B I, Teil 4 B II 4, III. Das Festhalten an dieser Vorstellung gründet sich auf die Prämisse, die auszulegenden Rechtsnormen seien zuvor mit einem bestimmten Inhalt gesetzt worden. 182 Für die Setzung privatrechtlicher Verträge ist in dieser Terminologie gewöhnlich gar kein Ort, sie fallen unter „Abschluss von Rechtsgeschäften“ oder „Ausübung der Privatautonomie“. 183 Vgl. statt vieler: Axel Burghart, Die Pflicht zum guten Gesetz, 1996, S. 90; Martin Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, 2000, S. 161, 197; Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 92, Rn. 26 (Stand: 1971); Katja Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, 1996, S. 148; Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, 2002, S. 128 f.; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 49, 113. Auffällig ist auch die Betonung dieses Unterschiedes in den Kommentierungen zu Art. 3 Abs. 1 GG, vgl. nur Wolfgang Rüfner, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 3, Abs. 1, Rn. 163 ff. (Stand: 1992); seinen Ausgangspunkt dürfte dieses Bemühen um Abgrenzung im Weimarer Streit um die Reichweite der Bindungswirkung von Art. 109 WRV haben.

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Unterschied, 184 es geht um die Abgrenzung geradezu antagonistischer Funktionen: der Gesetzgebung als freier politischer Gestaltung und der Gesetzesanwendung als Erkenntnis des Vorgegebenen. 185 Auch das Bundesverfassungsgericht besteht auf einer klaren Trennung zwischen legislativer Normsetzung und vollziehender Subsumtion. 186 Dabei sieht es die Rechtsetzung beim Parlament monopolisiert. 187 Doch sollen Rechtsverordnungen 188 und Satzungen 189 ebenfalls durch Rechtsetzung zustande kommen. In dieser Konzeption wird die Satzungsgewalt von Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts als Verlagerung der Rechtsetzungsbefugnis innerhalb der Legislative (horizontal) 190 begriffen, während der Erlass von Rechtsverordnungen durch die Exekutive als abgeleitete Normsetzung (vertikal) 191 eingeordnet wird. Die abgeleitete Rechtsetzung 192 durch die Exekutive wird als Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips angesehen, die jedoch durch Art. 80 184 Vgl. nur BVerfGE 56, 298 (342 f.): „Diese Festsetzung erfolgt nicht durch Verwaltungsakt, sondern durch Rechtsverordnung; sie ist kein Akt der Gesetzesanwendung, sondern ein vornehmlich der Durchführung des Gesetzes zum Schutze gegen Fluglärm dienender Akt der Rechtsetzung; [...] das Verwaltungsverfahren ist mit dem Rechtsetzungsverfahren ebenso wenig vergleichbar wie der Verwaltungsakt mit der Rechtsverordnung.“ – Wenn der Erlass der Rechtsverordnung hier primär der Durchführung des Gesetzes dient, sei allerdings die Frage erlaubt, wodurch sich dieses Vorgehen so markant vom Gesetzesvollzug durch Verwaltungsakt (insbesondere Allgemeinverfügung) unterscheidet. 185 Vgl. statt vieler Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 34; Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, 212 f.; Walther Richter, JZ 1974, 345 (347); Peter Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 247; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. II, S. 586: der Richter „schöpft nicht aus eigener Willensentscheidung wie der Gesetzgeber, sondern aus bestehenden Rechtsmaßstäben“. Klar ablehnend Wilhelm Henke, Der Staat 3 (1963), 433 (450): „Gesetzgebung ist nicht freie, ungebundene Setzung neuen Rechts, sozusagen aus dem Nichts, und Rechtsprechung ist nicht bloß die Feststellung bereits bestehenden Rechts.“; ähnlich Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 165 ff.; vgl. auch Niklas Luhmann, Recht und Automation, 2. A. 1997, S. 25, 28. 186 Vgl. nur BVerfGE 95, 1 (16), wo allerdings auch eine rigorose Einteilung dem Bundesverfassungsgericht nicht die Entscheidung ermöglicht, welchem der beiden Bereiche die staatliche Planung zuzuordnen sei. Zutreffend dagegen Gabriele Kucsko-Stadlmayer, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 107 (111), nach deren Darstellung der Gegensatz zwischen Legislative und Exekutive nur mehr als relativer zu verstehen ist. 187 Vgl. BVerfGE 95, 1 (15 f.); 34, 52 (59); 24, 155 (166); 21, 239 (337). 188 Vgl. BVerfGE 24, 184 (196); 20, 257 (268); 18, 407 (417); 18, 52 (59); 10, 20 (51); 1, 283 (292); BVerwGE 1, 104 (111). 189 Vgl. BVerfGE 101, 312 (323); 56, 298 (341); 33, 125 (158); 32, 346 (361). 190 Vgl. BVerfGE 32, 346 (361). 191 Vgl. BVerfGE 97, 332 (343); 34, 52 (60). 192 So schon Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 2. A. 1914, § 6, S. 68 f., § 8, S. 84 ff. Philipp Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung (1912), hrsg. von Josef Esser,

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

GG gerechtfertigt sei. 193 Zutreffender ist es wohl, Art. 80 GG als Bestandteil eines gewalten- und arbeitsteiligen Systems zu betrachten. Dann ist auch zu fragen, aus welchen Gründen die Idee delegierter Rechtsetzungsbefugnisse bei Rechtsverordnungen ein so abruptes Ende findet. 194 Dem Stufenbau der Rechtsordnung würden weitere Ableitungen durchaus entsprechen: So wie der Erlass von Satzungen oder Rechtsverordnungen seine Grundlage in Gesetz oder Verfassung findet, kann der Erlass von Urteilen oder Verwaltungsakten auf Gesetz, Satzung oder Rechtsverordnung beruhen. 195 In bestimmten Fällen mag es sich dann um doppelt abgeleitete Rechtsetzung handeln, das müsste aber die Qualifizierung als Rechtsetzung nicht ausschließen. Um die rechtlich relevanten Tätigkeiten von Gerichten, Behörden und Privatpersonen aus dem Bereich der Rechtsetzung auszugrenzen, 196 bedarf es einer weiteren Prämisse. Diese lautet, dass der Begriff der Rechtsetzung für den Vorgang der Setzung von Rechtsnormen im engeren Sinne zu reservieren ist. Und Rechtsnormen im engeren Sinne sollen nur generelle Normen mit allgemeiner Bindungswirkung sein, weil nur sie als Rechtsquelle dienen können. 197 Wie oben dargelegt, bestimmt sich die Existenz einer Rechtsnorm weniger danach, ob sie Rechtsquelle (in diesem Sinne) ist, als vielmehr danach, ob sie eine rechtliche Quelle hat, ob sie auf Ermächtigungsnormen beruht. Wenn anerkannt wird, dass die Rechtsordnung die Gesamtheit abstrakter und konkreter Sollenssätze umfasst, 198 ist konsequent eine einheitliche Regelungstheorie (treffender: Rechtsgewinnungstheorie 199) für die Konkretisierung auf allen Normstufen zu fordern 200. Insoweit ist auf die strukturel1968, S. 42 ff., will im Verordnungswege den schwerfälligen Gesetzgebungsapparat von der juristischen Detailarbeit und den notwendigen Anpassungen im Privatrecht entlasten. 193 Vgl. BVerfGE 18, 52 (59). 194 Verwundert über diesen Abbruch der Beschäftigung mit nichtlegislativer Rechtsetzung zeigt sich auch Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 330, der für die Anerkennung richterlicher Rechtsetzung allerdings praktische Bedürfnisse statt rechtstheoretische Erklärungen geltend macht (S. 333 ff.). 195 Anne Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, passim, begreift judikative Rechtsetzung grundsätzlich als abgeleitete Rechtsetzung und Normkonkretisierung als Ausdruck eines zugrunde liegenden Systems delegierter Rechtsetzungsgewalten. 196 Den Antagonismus von Rechtsprechung und Rechtsetzung destruiert Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (27 ff.), anhand einer sorgfältigen Analyse der sog. richterlichen Rechtsfortbildung. 197 Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 16. Vgl. auch Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 302, 321. Siehe dazu oben Teil 2 B II 2, IV. 198 Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 123; Dagmar Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 144; Ulrich Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre, 1989, S. 6, 29, 81; Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 6.

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le Gleichartigkeit von Rechtsetzung und Rechtsanwendung 201 oder, etwas enger, von Gesetzgebung und Rechtsanwendung 202 zu verweisen. Den Erlass von Urteilen und Verwaltungsakten als Rechtsanwendung zu bezeichnen, impliziert die fundamentale Unterscheidung von legislativer und behördlicher bzw. richterlicher Rechtsetzung ebenso wie die Unterteilung der Rechtsordnung in Rechtsnormen, Rechtsgeschäfte und Einzelakte. Beide Prämissen werden nach der hier vertretenen rechtstheoretischen Auffassung explizit nicht geteilt, dies schließt auch eine Verwendung des Begriffes aus. Der Begriff der Rechtsanwendung ist aber auch deshalb bedenklich, weil er suggeriert, der jeweilige Einzelfallentscheid könne durch einen wertungsfreien, quasi logisch zwingenden Vorgang erreicht werden: Das Gesetz wird auf den Einzelfall angewendet und plötzlich ist das Urteil oder der Verwaltungsakt da. 203 Obwohl immer wieder betont wird, dass der Richter kein Subsumtionsautomat sei, 204 wird für den Normalfall eben doch davon ausgegangen, er könne durch Subsumtion als Vorgang logischen Schließens vom Gesetz zum Urteil kommen. 205 Dies impliziert, dass der Einzelfallentscheid schon im Gesetz vorhanden sei. 206 Wenn dagegen der Charakter von Gesetzen als generell-abstrakten Regelungen 199 Eine rechtsgewinnungstheoretische Perspektive einzunehmen, verheißt auch rechtswissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, wie der mit diesem Fokus vorgenommene Vergleich zwischen Carl Schmitts und Hans Kelsens Ausführungen zum Hüter der Verfassung von Matthias Jestaedt, in: Olivier Beaud / Pasquale Pasquino (Hg.), La controverse sur „le gardien de la Constitution“, 2007, S. 155 (158 ff.), exemplarisch sehr schön zeigt. 200 Vgl. Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 146 ff.; Ulrich Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre: Beiträge zur Entwicklung einer Regelungstheorie, 1989. 201 Sehr schön: Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 43 ff.; zu strukturellen Gemeinsamkeiten von Gesetzen im materiellen Sinne und Verwaltungsakten: Peter Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Normen, 1996, S. 72 ff.; zur Unmöglichkeit der Trennung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung: Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 84 ff., 311 ff., 331, 339, 345. 202 Vgl. Uwe Wesel, Aufklärungen über Recht, 1981, S. 116: „Diese Rechtsanwendung, die Tätigkeit des Richters, des Anwalts, des Verwaltungsjuristen oder Hochschullehrers, ist ein ähnlich rechtsschöpferischer Akt wie die Gesetzgebung, aber doch anderen Bedingungen unterworfen, nicht ganz so frei wie sie, komplizierter, individualisiert.“ – Nicht nur mit Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 96, 123, wäre der Gleichsetzung von richterlicher, anwaltlicher und professoraler Tätigkeit allerdings ganz entschieden zu widersprechen. 203 Vgl. Wilhelm Henke, Der Staat 3 (1963), 433 (447), der Gesetz und Fall so verweben möchte, dass „das Urteil schließlich herausspringt“. 204 Schon Rudolf von Ihering, Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft? (1868), 1998, S. 87 ff., bevorzugt stattdessen die kritische Richterpersönlichkeit, insbesondere bei der schöpferischen Rechtsfortbildung (S. 89 f.). 205 Zur Wiederentdeckung der kreativen, gestaltenden Funktion der Rechtsprechung vgl. Ralf Poscher, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 127 (128 ff.), m.w. N.

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ernst genommen wird, kann die konkret-individuelle Rechtsnorm nicht allein durch Logik gewonnen werden. 207 Um zu beschreiben, wie der Abstand zwischen abstrakter und konkreter Regelung überbrückt werden kann, ist der Begriff der Konkretisierung eingeführt worden. Zu prüfen ist, ob es damit gelingen konnte, die untergesetzliche Rechtsgewinnung als einen Vorgang zu beschreiben, der Eigenständigkeit gegenüber den gesetzlichen Vorgaben aufweist und doch von diesen abhängig ist. 3. „Konkretisierung“ und Gesetzesbindung Der Begriff der Konkretisierung wurde eingeführt, um explizit das schöpferische Element der sog. Rechtsanwendung zu betonen. 208 Ein solches Gegengewicht zur Figur des Subsumtionsautomaten zu setzen, ist grundsätzlich verdienstvoll. Leider schießen Vertreter / innen der Konkretisierungsidee dann weit über das Ziel hinaus, 209 wenn sie sich zu der Fragestellung motiviert fühlen, ob die Ermächtigungsnormen überhaupt rechtlich existent sind. Ein hervorragendes Beispiel bietet die strukturierende Rechtslehre, 210 in der davon ausgegangen wird, dass Urteile 206 Schon Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 36 f., nahm dies als allgemeine Anschauung wahr, die aber auf der fehlerhaften Gleichsetzung von Norm und Aussage beruhe. 207 Weil aus abstrakten Regelungen nicht auf konkrete geschlossen werden kann, vgl. Rainer Lippold, Der Staat 29 (1990), 185 (192, Fn. 23); ausführlich Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 179 ff. Anders mit Verweis auf die Unterscheidung zwischen deduktiver und nicht-deduktiver Logik Joachim Lege, Pragmatismus und Jurisprudenz, 1999, passim. 208 Vgl. exemplarisch Paul Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 11 (16); Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 32; ferner Christian Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 38, der aber betont, dass auch die so benannte schöpferische Leistung eine bereits getroffene Entscheidung voraussetzt; ähnlich Matthias Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 144, der Konkretisierung als Setzen konkreten Rechts begreift, das aus einer Vorschrift hergeleitet, aber nicht mit ihr identisch ist. Zur Geschichte des schillernden Begriffs der Konkretisierung vgl. Anne Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 7 ff. 209 Ähnlich erging es wohl schon der Freirechtsschule; Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 198, würdigt sie als notwendige Gegenbewegung zur herrschenden Gesetzeszentrierung, wirft ihr allerdings vor, letztlich ebenso einseitig zu sein wie die von ihr bekämpfte Ansicht. Auch Oskar Bülow, Gesetz und Richteramt (1885), hrsg. von Thomas Vormbaum, 2003, passim, der wirkmächtig die rechtsschöpferische Rolle der Gerichte anerkannte (insbes. S. 19 ff.), gelang dies nur um den Preis der damit sogleich verbundenen Relativierung des Gesetzgebers (insbes. S. 29 ff., 41 ff.); differenziert zu Bülow und kritisch zu seiner Rezeption: Regina Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, 1986, S. 257 ff. 210 Vgl. nur Friedrich Müller, Strukturierende Rechtslehre, 2. A. 1994; Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002; Friedrich Müller / Ralph Christensen / Michael Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, 1997; Ralph Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989.

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Rechtsnormen seien, die sie begründenden Gesetze aber lediglich Eingangsdaten und Zeichenketten. 211 Die Aussage, die Norm sei nicht schon im Text enthalten, sondern erst in der Anwendung existent, 212 ist aber nur insoweit zutreffend, als sie sich auf die noch zu setzende Einzelfallnorm bezieht. Die entsprechenden Ermächtigungsnormen sind bereits gesetzt und damit existent. Wären sie nicht existent, also nicht geltend, könnte auch keine geltende Einzelfallnorm gesetzt werden. Während ein Teil der Methodenlehre die Gesetzesbindung überdehnt, indem davon ausgegangen wird, der Einzelfallentscheid sei bereits in seinen Ermächtigungsnormen enthalten und könne ihnen durch Auslegung, Rechtsanwendung, Subsumtion oder beharrliches Hin- und Herwandern des Blicks 213 entlockt werden, löst die Gegenansicht die Gesetzesbindung auf, 214 indem sie bezweifelt, dass es vor der Setzung der Einzelfallnorm geltende Normen gibt. Beide Ansätze leiden daran, dass sie einaktige Rechtsgewinnungstheorien zugrunde legen 215 und dass es ihnen nicht gelingt, eine Zuordnung von Gesetzesbindung und Rechtsschöpfung, von Gehorsam und eigener Wertung vorzunehmen. Wenn als vermittelnde Ansicht das Ineinander von Gesetzesanwendung und rechtsproduzierender Tätigkeit in der juristischen Hermeneutik anerkannt wird, bleibt sie meist doch eine genauere Spezifizierung des Verhältnisses von Normbefolgung und richterlicher Normschöpfung schuldig. 216 Impliziert der Begriff der Konkretisierung, dass die zu setzende Einzelfallnorm ohne Bindung an höherrangiges Recht entsteht, kann er in dieser Arbeit 211 Umfassende Kritik bei Alexander Somek, Der Gegenstand der Rechtserkenntnis, 1996, S. 59 ff.; speziell zum Rekurs auf die Wortlautgrenze: Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 44. 212 So Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 56. Vgl. auch die Definition von „Konkretisieren“ bei Friedrich Müller, in: Methodik, Theorie, Linguistik des Rechts, 1997, S. 20 (25): „angesichts der Provokation durch den gesellschaftlichen Konfliktfall, der eine rechtliche Lösung erfordert, die für ihn demokratisch und rechtsstaatlich vertretbare Norm produzieren“. [Hervorhebung im Original.] 213 Diese von Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. A. 1963, S. 15, eher beiläufig erwähnte Figur wird von Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. A. 1976, S. 197 ff., aufgegriffen und ausgebaut und macht auch im sonstigen rechtswissenschaftlichen Schrifttum eine beachtliche Karriere. 214 Vgl. nur Walter Grasnick, GA 2000, 153 (155), nach dessen Ansicht es tatsächlich nur Richterrecht gibt; Gesetze könnten keine Rechtsquellen darstellen, da sie nicht determinierend wirken könnten, und seien nur als topoi bei der Rechtsfindung von (untergeordnetem) Interesse (S. 156 ff.); ablehnend Ulfrid Neumann, Rechtstheorie 32 (2001), 239 (252 f.). Ein anderer Weg zur Auflösung der Gesetzesbindung ist die Fallnorm-Theorie von Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 4, 1977, S. 202 ff., mit der die Bedeutung des Gesetzes auf eine Bestätigungshilfe unter vielen reduziert wird. 215 Dazu ausführlich Matthias Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 236 ff., 304 ff., 320 ff. 216 So kritisch Peter Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 30.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

nicht terminologisch affirmativ gebraucht werden, da auf der Gesetzesbindung der sog. Rechtsanwender / innen beharrt wird. Gleiches gilt umgekehrt für den Begriff der Rechtsanwendung, weil mit ihm der nicht-determinierte Eigenanteil der sog. Rechtsanwender / innen bei der Produktion untergesetzlicher Rechtsnormen verschleiert wird. So werden weiterhin die Begriffe der Rechtserkenntnis, welche einen existierenden Erkenntnisgegenstand voraussetzt, und der Rechtsetzung, welche das schöpferische Element innerhalb der erkannten rechtlichen Bindung betont, verwendet. 4. Die Rechtsordnung als arbeitsteiliges und dynamisches System Die Zweiaktigkeit von Rechtserkenntnis und Rechtsetzung gilt für jeden Rechtsetzungsakt auf jeder Ebene der Rechtsordnung. Damit sind die Methoden dieser Rechtserkenntnis noch nicht beschrieben. Es wird aber davon ausgegangen, dass ermächtigende Rechtsnormen als Gegenstand der Rechtserkenntnis existieren. 217 Sie sind der rechtliche Grund und bestimmen die rechtlichen Grenzen von Rechtsetzungsakten. Rechtsetzungsakte auf allen Ebenen enthalten ein schöpferisches Moment und fügen den inhaltlichen Vorgaben der Ermächtigungsnormen eigene inhaltliche Vorstellungen hinzu. 218 Der Gesetzgeber muss nicht alle Einzelfälle regeln, da Rechtsetzer / innen auf unteren Ebenen beständig seine Regelungen konkretisieren und individualisieren, indem sie konkretere Rechtsnormen erlassen. 219 Die Rechtsgewinnung ist arbeitsteilig organisiert, 220 die geltende Rechtsordnung damit ein dynamisches System der Ausdifferenzierung. Wer die strukturelle Gleichartigkeit und damit den Rechtsetzungscharakter der sog. Rechtsanwendung leugnet, verkennt die Dynamik des Systems. 221 Er muss 217 Diesen Glauben will das nachpositivistische Rechtsdenken erschüttern, vgl. nur Nikolaus Forgó/Alexander Somek, in: Sonja Buckel u. a. (Hg.), Neue Theorien des Rechts, 2006, S. 263 (268 ff.). 218 Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 279 f., spricht von der doppelten Determinierung aller Rechtserzeugung: durch das schon erzeugte Recht und durch die Rechtserzeuger / innen. 219 Zur Arbeitsteilung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung ausführlich Paul Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 11 (16 ff.), dessen Auffassungen aber nicht mehr geteilt werden können, soweit es um die Alleinarbeit der Rechtsprechung im Wege der sog. Rechtsfortbildung geht (vgl. S. 30 ff.); ähnlich auch Hasso Hofmann, Das Recht des Rechts, 1998, S. 27 ff., 40 ff. 220 So auch Paulo Antonio de Menezes Albuquerque, Funktionen und Struktur der Rechtsprechung, 2001, S. 58 ff.; Anusheh Rafi, Kriterien für ein gutes Urteil, 2004, S. 91. 221 Zur dynamischen Betrachtung des Rechts vgl. Matthias Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein ..., 2006, S. 32 ff. Für Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 215 (217 f.), ist ein System, das auf der Setzung von Normen beruht, immer dynamisch. Sehr schön Adolf

D. Auslegung, Anwendung und Rechtsfortbildung

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sich auf die Gesetze als Inbegriff des Rechts fixieren und wird die Rechtsordnung als statisch wahrnehmen, da Gesetzesänderungen meist schwerfällig und zeitintensiv verlaufen. 222 Dieser Statik kann dann nur noch ein ominöses Richterrecht entgegengehalten werden, das als flexibler und realitätsnäher gilt, aber leider unter Legitimationsproblemen leidet. Wird dagegen die Vielzahl von Rechtsetzungsakten auf allen Ebenen wahrgenommen, erscheint die Rechtsordnung als ein System, das sich ununterbrochen ausdifferenziert und verändert. Die Ausdifferenzierung der Rechtsordnung erfolgt dadurch, dass immer wieder neue Wertungen und Inhalte in die Rechtsetzung eingebracht werden. Dies ist in der Jurisprudenz auch durchaus anerkannt, so in der Zivilrechtswissenschaft unter dem Stichwort der Privatautonomie, in der Verwaltungsrechtswissenschaft durch Figuren wie das sog. freie Ermessen. Allerdings wird dabei nicht selten der Eindruck vermittelt, freie Entscheidung und rechtliche Bindung bestünden beziehungslos nebeneinander oder schlössen einander aus. Doch können privatrechtliche Verträge keineswegs beliebige Inhalte haben, auch müssen die vertragschließenden Personen bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Die private Rechtsetzung muss wie jede Rechtsetzung die Grenzen ihrer Ermächtigung wahren, auch wenn sie die dadurch zugleich eröffneten Freiräume nutzen kann. Im Bereich des Verwaltungshandelns wird dessen gestaltender Charakter beschrieben, indem den Behörden ausdrücklich Freiräume in Form von Zweckmäßigkeitserwägungen, Beurteilungsspielräumen und Ermessen zugestanden werden. Wenn Behörden Rechtsnormen setzen, sind sie aber immer gestaltend tätig. 223 Dies gilt auch für sog. gebundene Entscheidungen, nur dass der nicht-determinierte Anteil an der Entscheidung entsprechend geringer ausfällt. Zweckmäßigkeit, Beurteilungsspielraum und Ermessen schaffen daher nicht den schöpferischen Freiraum, sondern können höchstens Aussagen über seine Reichweite und das Ausmaß einer möglichen gerichtlichen Überprüfung des Verwaltungshandelns treffen.

Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 217: „Der Statik der Rechtsstufen entspricht eine Dynamik etappenweiser Rechtserzeugung.“ Zur Unterscheidung statisch / dynamisch vgl. auch die Unterscheidung von Recht als System und Recht als Aufgabe bei Philippe Mastronardi, Juristisches Denken, 2. A. 2003, Rn. 842 ff. 222 Eine solche Wahrnehmung von Stillstand wird gern kompensiert durch das Konstrukt des sog. Rechtswandels: Das Gesetz bzw. seine Auslegung sollen sich flexibel geänderten Verhältnissen anpassen. Die Kompetenzprobleme solcher Gesetzesänderungen werden mit reflexhaftem Verweis auf sich ändernde Verhältnisse ausgespart. Dagegen betont Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1615 (1622 ff.), die Notwendigkeit individueller Rechtsetzung, welche sich aber gerade nicht aus dem Abstand zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sondern der logischen Distanz zwischen genereller Norm und Einzelfallentscheid ergebe. 223 Die Verkennung dieses Umstandes beruht nicht zuletzt darauf, dass nicht hinreichend zwischen gewillkürten Freiräumen, die mit Ermessen, Beurteilungsspielraum etc. umschrieben werden, und strukturellen Freiräumen, die sich notwendig aus der Individualisierung im Stufenbau der Rechtsordnung ergeben, unterschieden wird.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

Mit dem gestaltenden Charakter von Urteilen tun weite Teile der Rechtswissenschaft sich deutlich schwerer. Doch auch inhaltliche Vorgaben durch die ermächtigenden Gesetze determinieren den Inhalt des Urteils nicht vollständig. Der Einzelfall ist im Gesetz eben nicht geregelt und die Einzelfallnorm kann nicht logisch-deduktiv aus der abstrakt-generellen Norm abgeleitet werden. 224 Sie bedarf eines eigenen, schöpferischen Rechtsetzungsaktes. Richterliche Rechtsetzung hat Entscheidungsspielräume, die nicht mehr rechtlich gefüllt werden können; so gesehen, ist richterliche Entscheidung immer auch politisch. 225 Rechtsetzung und politisches Handeln sind nicht für den Gesetzgeber reserviert, sondern finden auf allen Ebenen der Rechtsordnung statt. Die rechtliche Bindung und der Freiraum nicht-rechtlicher Entscheidung bestimmen sich dabei nach den jeweiligen Ermächtigungsnormen.

II. „Rechtsfortbildung“ und „Richterrecht“ Mit dieser Konzeption verliert die sog. Rechtsfortbildung auch ihre Funktion, die von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung eingeräumten Reservate für rechtsschöpferische Tätigkeiten der Gerichte 226 zu beschreiben. Neben der Unterscheidung zwischen Rechtsnormen und Einzelakten, zwischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung, kennt die herrschende Lehre auch die Unterscheidung zwischen „normaler“ richterlicher Tätigkeit – Auslegung und Subsumtion – und den Sonderfällen der sog. Rechtsfortbildung und des sog. Richterrechts. 227 Die Besonderheit der sog. Rechtsfortbildung soll sein, dass eine Entscheidung nicht direkt aus dem Gesetz getroffen wird, 228 beim sog. Richterrecht ist die Frage angesprochen, ob Gerichte gesetzesgleiche, generelle Rechtsnormen setzen können 229. 224 Dies schon deshalb, weil die Verknüpfung von Bedingung und Sanktion einer Rechtsnorm nicht im Wege der Kausalität einfach geschieht, sondern im Wege der Zurechnung durch einen Willensakt hergestellt werden muss, vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 17 ff. 225 Ausführlich zum strukturellen Freiraum und den nicht-determinierten Entscheidungsanteilen in der sog. Rechtsanwendung siehe Teil 4 D II–IV. 226 Vgl. statt vieler Norbert Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 4. A. 2007, Rn. 30, zum Ausnahmecharakter von Rechtsfortbildung und Richterrecht. 227 Nach Ansicht von Robert Weimar, in: Michael W. Fischer u. a. (Hg.), Hermeneutik und Strukturtheorie des Rechts, 1984, S. 155 (162), hebt die Anerkennung des sog. Lückenproblems durch die herrschende Dogmatik deren überkommene Anwendungsdoktrin auf. 228 Die Definition erweist sich als mühsam, da sie auch in der einschlägigen Literatur gern unterlassen wird. Ein prägnantes Beispiel bildet Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, der auf knapp 250 Seiten die Grenzen eines nicht definierten Phänomens zu ergründen versucht, dass sich dementsprechend mal als Lückenschließung (S. 70 ff.), mal als Rechtswandel (S. 64 ff.), mal als Konkretisierung (S. 145 ff.), mal als Normkorrektur (S. 104 ff.) und mal als Erlass genereller Regelungen (S. 115 ff.) präsentiert. Diese Vielfalt dürfte insgesamt den vertretenen Erscheinungsformen entsprechen. Zur

D. Auslegung, Anwendung und Rechtsfortbildung

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Die sog. Rechtsfortbildung kann keinen Sonderfall der Rechtsetzung durch Gerichte beschreiben, da diese mit jeder Rechtsanwendung zugleich rechtsetzend tätig sind. 230 In einem dynamischen Rechtssystem wird das Recht stetig „fortgebildet“, 231 indem neue (Einzelfall)Normen erlassen werden. Zugleich ist eine Rechtsfortbildung in dem Sinne, dass neues Recht ohne Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden könnte, nicht möglich. 232 Jede gerichtliche Rechtsetzung bedarf eines ermächtigenden Normenkomplexes, um geltendes Recht zu erzeugen. Sowohl die Reichweite gerichtlicher Rechtsetzungsmacht (Problem der sog. Rechtsfortbildung) als auch die Reichweite der Bindungswirkung gerichtlich gesetzter Rechtsnormen (Problem des sog. Richterrechts) sind den entsprechenden positivrechtlichen Regelungen zu entnehmen. Einer Einführung weiterer Begrifflichkeiten bedarf es dagegen nicht. Der Gebrauch der Begriffe ist vielmehr abzulehnen, da sie suggerieren, es gebe einen Normalfall, in dem Gerichte Rechtsnormen nur anwenden, aber nicht selbst Recht schaffen, und einige Ausnahmefälle, in denen Gerichte frei von rechtlichen Bindungen Recht erzeugen oder gerichtlich erzeugtem Recht eine von der Rechtsordnung nicht vorgesehene Bindungswirkung beilegen dürften. Eine solche Konzeption ist jedoch in jeder Hinsicht unzutreffend. Der Begriff der Rechtsfortbildung wird daher in dieser Arbeit nur verwendet werden, wenn auf die herrschende Lehre oder von ihr beschriebene Phänomene explizit Bezug genommen werden soll. Im Übrigen sind innerhalb der gerichtlichen Rechtsetzung keine grundsätzlichen Unterscheidungen erforderlich. Unterschiede im Einzelnen (wie bei der Frage der Bindungswirkung) können sich aus den jeweiligen Ermächtigungsnormen ergeben. begrifflichen Unsicherheit im Zusammenhang mit Richterrecht und Rechtsfortbildung vgl. auch Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (29 ff.), m.w. N.; Horst Sendler, DVBl. 1988, 828 (829). 229 Skeptisch: Hans-Martin Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, 1986, Rn. 121 ff.; ablehnend: Paul Kirchhof, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 50 (100); Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 55 ff.; differenziert: Rainer Lippold, DVBl. 1989, 140 (141 f.). 230 Vgl. Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (71). 231 Sehr schön Horst Sendler, DVBl. 1988, 828 (831 f.), zum Richterrecht als täglichem Geschäft. Zutreffend definiert ferner Christoph Eduard Ziegler, Selbstbindung der Dritten Gewalt, 1993, S. 37, Richterrecht als den richterlichen Wertungsanteil an einem Urteil, der nicht auf gesetzlicher Determination beruht. 232 Strikt ablehnend zur Vorstellung einer originären Rechtsetzungsbefugnis der Judikative: Anne Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 54 ff. Auch dem Konzept eines Rechtswandels durch Richterrecht, vgl. nur BVerfGE 96, 375 (394), ist damit der Boden entzogen. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 763 (773 ff.), weist ferner darauf hin, dass bei einer gesetzesfreien Rechtsprechung auf Grund der Diversität der Gerechtigkeitsideale eine Rechtfertigung der individuellen Norm nicht mehr möglich wäre.

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Teil 2: Rechtstheoretische Grundlegungen

E. Zwischenstand Die hier beschriebene, geltende Rechtsordnung besteht aus Rechtsnormen unterschiedlicher Stufen. Sie ist statisch insofern, als jede Rechtsnorm auf Ermächtigungsnormen logisch höherer Stufen oder ersatzweise einem Fehlerkalkül beruhen muss. Und sie ist dynamisch, weil ständig und auf allen Stufen neue Rechtsnormen erlassen werden. Dabei können einander widersprechende Normen erlassen werden und gleichzeitig gelten – allerdings nur, sofern die Rechtsordnung dies vorsieht. Bei rangunterschiedlichen Normen steht dem für gewöhnlich der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft entgegen, wonach die Ermächtigung zum Erlass einer neuen Rechtsnorm nicht zur gleichzeitigen Änderung einer höherrangigen Rechtsnorm befugt. Der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft kann aber durch Fehlerkalküle modifiziert werden. Jede Rechtsanwendung ist zweiaktig und besteht aus Rechtserkenntnis und Rechtsetzung. Folglich ist auch jede Rechtsanwendung sowohl gebunden (an den Komplex der sie ermächtigenden Normen) als auch schöpferisch frei (im Rahmen der sie ermächtigenden Normen). Die rechtliche Bindung in den unteren Normebenen ist für gewöhnlich größer und der Freiraum kleiner, da zumeist sowohl die Zahl der verbindlichen Normen als auch die Dichte der inhaltlichen Vorgaben zunimmt. Gewiss sind genauere Ausführungen zur richtigen Methode der Rechtserkenntnis oder zu den Kriterien einer gelungenen Rechtsetzung vermisst worden. Dieses Versäumnis wird nachgeholt werden. Der Abschnitt zu den rechtstheoretischen Grundlegungen sollte auch nur diese enthalten. Die methodologischen Schlussfolgerungen werden dargestellt, wenn sie zur Beurteilung der Zulässigkeit der Phänomene verfassungskonformer Auslegung konkret notwendig sind. Im Übrigen wird sich der vierte Teil dieser Arbeit noch einmal ausführlich mit den Methoden der Rechtserkenntnis und den Kriterien der individuellen Rechtsetzung sowie der Bedeutung der Verfassung für beide Bereiche befassen.

Teil 3

Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung und ihre Zulässigkeit Im Folgenden sollen auf der Grundlage der rechtstheoretischen Vorüberlegungen die Phänomene verfassungskonformer Auslegung auf ihre Funktion innerhalb der Rechtsordnung und ihre Zulässigkeit untersucht werden. Das Phänomen der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung wird dabei nochmals in sein normerhaltendes Prinzip und seine nur die Interpretation leitende, inhaltsbestimmende Funktion unterschieden. Diese strukturelle Differenzierung korrespondiert dem Bemühen, die Fragen von Geltung und Inhalt auseinander zu halten. Die Untersuchung beginnt mit der Frage der Geltung, also der Überlegung, ob die verfassungskonforme Auslegung als normerhaltendes Prinzip ein Fehlerkalkül für Gesetze darstellt. Danach werden die Funktionen im Bereich der Interpretation betrachtet, das meint die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel und als Inhaltsbestimmung sowie die sog. verfassungsorientierte Auslegung. Den Abschluss bildet die nach herkömmlichem Verständnis von der Auslegung klar zu trennende Problematik der Rechtsschöpfung, hier wird die verfassungskonforme Rechtsfortbildung überprüft.

A. Die verfassungskonforme Auslegung als Fehlerkalkül für Gesetze Die verfassungskonforme Auslegung ist nicht zuletzt entwickelt worden, um die Nachteile der repressiven Normenkontrolle auszugleichen. Propagiertes Ziel ihrer Verwendung ist es dabei, eine verfassungsrechtlich zweifelhafte Gesetzesnorm zu erhalten, um den Entscheidungsspielraum in der Gesetzgebung zu wahren und die Entscheidungsfähigkeit von Behörden und Gerichten aufrecht zu erhalten. Aus rechtstheoretischer Perspektive könnte es sich bei dem normerhaltenden Prinzip um ein Fehlerkalkül 1 für Gesetze handeln. Im Folgenden ist zu prüfen, ob die geltende Rechtsordnung Fehlerkalküle kennt, insbesondere, ob es ein 1

Der Begriff des Fehlerkalküls wurde von Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 277 ff., entwickelt und konnte sich trotz seiner Anschaulichkeit in der deutschen

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Fehlerkalkül für Gesetze gibt. Ist dies zu bejahen, schließt sich die Frage an, ob die verfassungskonforme Auslegung als normerhaltendes Prinzip mit diesem Fehlerkalkül identisch ist oder zumindest auf ihm beruht.

I. Positivrechtliche Fehlerkalküle im deutschen Recht Die geltende Rechtsordnung enthält diverse Fehlerkalküle für Rechtsnormen unterschiedlicher Stufen. 2 Rechtswidrige Verwaltungsakte können in Bestandskraft erwachsen, rechtswidrige Urteile in Rechtskraft, fehlerhafte privatrechtliche Rechtsgeschäfte können unanfechtbar werden, fehlerhafte Flächennutzungspläne und baurechtliche Satzungen können rechtswirksam sein und bleiben. 1. Bestandskraft: Das positivrechtliche Fehlerkalkül für Verwaltungsakte Das sicherlich bekannteste Fehlerkalkül ist in §§ 43 f. VwVfG geregelt, wonach rechtswidrige Verwaltungsakte nicht zwingend nichtig sind. Nichtig sind fehlerhafte Verwaltungsakte nur aus den in § 44 Abs. 2 VwVfG genannten Gründen oder wenn sie an einem offenkundig besonders schwerwiegenden Fehler nach § 44 Abs. 1 VwVfG leiden. Im Übrigen können sie durch erfolgreiche Anfechtung oder behördliche Aufhebung vernichtet werden oder sich erledigen. 3 Zu beachten Rechtswissenschaft nicht durchsetzen. Zur Funktion des Fehlerkalküls als subsidiäre Ermächtigungsnorm vgl. oben, Teil 2 C II. Andreas von Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 298 ff., widmet sich der „bedingten Beständigkeit“ fehlerhafter Rechtsakte; Hartmut Söhn, Anwendungspflicht oder Aussetzungspflicht, 1974, S. 28 ff., bezeichnet Normenkontrollregelungen als „alternative Rechtsgeltungsnormen“. Christoph Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze, 1966, S. 91 ff., entwickelt eine differenzierte Fehlertypologie; Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 201 ff., befasst sich ausführlich mit „Fehlerfolgen“ im deutschen Recht; Fritz Ossenbühl, NJW 1986, 2805 (2810 ff.), erforscht Möglichkeiten und Grenzen einer allgemeinen Fehlerlehre; Horst Sendler, DVBl. 2005, 659 (663 ff.), wünscht sich eine Ausweitung des „Grundsatzes der Normerhaltung“; Hans J. Wolff / Otto Bachof / Rolf Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. A. 1999, § 28, Rn. 16 ff., untersuchen die verschiedenen Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die von den jeweiligen Rechtsquellen statuierten Erfordernisse. Befremdliche Ignoranz gegenüber der Wissenschaftsgeschichte erweist allerdings, wer einen „Grundsatz der Rechtserhaltung“ als Neuentdeckung oder modernes Prinzip feiert, so aber Robert Käß, Inhalt und Grenzen des Grundsatzes der Planerhaltung, 2002, S. 37 ff., 42. 2 Vgl. Andreas von Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 307: „Im gesamten deutschen öffentlichen Recht lässt sich eine Tendenz zur ‚Rechtserhaltung’, d. h. zur möglichsten Aufrechterhaltung auch fehlerhafter Rechtsakte ausmachen.“; ferner Fritz Ossenbühl, NJW 1986, 2805 (2810 f.), zu differenzierten Fehlerfolgenregelungen im öffentlichen Recht. Christoph Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze, 1966, S. 23 ff., weist für das Verwaltungsrecht und das Zivilrecht anhand verschiedener Beispiele nach, dass Nichtigkeit keine notwendige Folge von Rechtswidrigkeit ist.

A. Fehlerkalkül für Gesetze

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ist, dass die Anfechtung belastender (vgl. § 70 Abs. 1, § 74 Abs. 1 VwGO) wie behördliche Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte (vgl. § 48 Abs. 4, § 49 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG) bestimmten Fristen unterliegt. Sind diese abgelaufen, ist eine Vernichtung des Verwaltungsaktes auf diesem Wege grundsätzlich nicht mehr möglich (zu Ausnahmen, die eine Wiedereinsetzung oder Wiederaufnahme rechtfertigen, vgl. §§ 60, 153 VwGO, §§ 32, 51 VwVfG). Kann der Verwaltungsakt nicht mehr aufgehoben werden, erwächst er „in Bestandskraft“ 4. Das bedeutet, dass seine Existenz jetzt nur noch durch eine mögliche Erledigung bedroht ist, wie sich aus § 43 Abs. 2 VwVfG ergibt. Auch eine nachträgliche Änderung der Rechtslage führt nicht automatisch zur Nichtigkeit, sondern ermöglicht lediglich ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Selbst der Wegfall der entscheidenden Ermächtigungsnorm durch eine Nichtigerklärung des Bundesverfassungsgerichts lässt die darauf beruhenden nicht mehr anfechtbaren Verwaltungsakte unberührt, jedoch wird die Vollstreckung aus ihnen unzulässig, vgl. § 79 Abs. 2 BVerfGG. 5 Damit enthält das geltende Recht ein Fehlerkalkül für Verwaltungsakte: Trotz möglicher Fehlerhaftigkeit existieren sie als Rechtsnormen, sofern sie nicht nichtig sind, aufgehoben werden oder sich erledigen. 2. Anfechtbarkeit: Das positivrechtliche Fehlerkalkül für privatrechtliche Rechtsgeschäfte Wie oben dargestellt, sind auch privatrechtliche Verträge und andere Rechtsgeschäfte als Rechtsnormen anzusehen. Ihr Fehlerkalkül beruht ebenfalls auf der Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit. 6 Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt etliche Mängel, welche ein Rechtsgeschäft nichtig machen (vgl. nur 3

Zum Wiederholungsverbot für Verwaltungsakte nach gerichtlicher Entscheidung vgl. aber Steffen Detterbeck, AöR 116 (1991), 391 (397 ff.). 4 Zur Frage, warum Verwaltungsakte in Bestandskraft erwachsen und Urteile in Rechtskraft, obwohl derselbe Vorgang beschrieben wird, verwundert schon Rainer Lippold, Der Staat 29 (1990), 185 (193, Fn. 25). Zum Unterschied aber Claus Dieter Classen, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 92, Rn. 15. 5 Vgl. dazu ausführlich Udo Steiner, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 628 (640 ff.), m.w. N.; kurz auch zur verfassungskonformen Auslegung (S. 647 f.). 6 Zu Fehlerfolgen im Bürgerlichen Recht anhand des Beispiels sittenwidriger nachvertraglicher Wettbewerbsverbote: Sudabeh Kamanabrou, ZGR 2002, S. 898 –328. Einen sehr schönen Überblick gibt auch Andreas Cahn, JZ 1997, 8 (9 ff.), der dafür plädiert, die nichtige Rechtsfolge des Rechtsgeschäftes durch eine normzweckgerechte Rechtsfolge der nichtigkeitsanordnenden Norm zu ersetzen (S. 16 ff.) – immerhin eine lobenswerte Klarheit, die im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung oft zu vermissen ist; allerdings wird Nichtigkeit nicht angeordnet, dazu unten A III 2.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

§§ 105, 125, 134, 138 BGB). Daneben ist aber auch geregelt, welche Fehler nur zur Anfechtbarkeit führen. Nach § 142 Abs. 1 BGB wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft mit erfolgreicher Anfechtung nichtig von Anfang an (allerdings sollen Ausnahmen für bestimmte Dauerschuldverhältnisse wie Gesellschaftsverträge oder Arbeitsverträge bestehen 7). Wird dagegen die Anfechtung des Rechtsgeschäfts durch Bestätigung (vgl. § 144 Abs. 1 BGB) oder Fristablauf (vgl. §§ 121, 124, 2082, 2283 BGB) ausgeschlossen, so gilt das anfechtbare – also fehlerhafte – Rechtsgeschäft trotz seiner Mängel fort. Umstritten sind die Folgen der Nichtigerklärung der einem privatrechtlichen Rechtsgeschäft zugrunde liegenden Normen. 8 3. Rechtskraft: Positivrechtliche Fehlerkalküle für gerichtliche Urteile Das Fehlerkalkül für gerichtliche Urteile beruht auf ihrer Rechtskraft durch Unanfechtbarkeit. 9 Die am Ende eines Verfahrens 10 verkündeten Urteile oder Beschlüsse können mit Rechtsmitteln (Berufung, Revision) angegriffen werden, sofern es sich nicht um letztinstanzliche oder nicht mehr anfechtbare Entscheidungen handelt. Allerdings sind die Rechtsmittel nur unter bestimmten engen Voraussetzungen zulässig sowie an Fristen gebunden. Wird kein Rechtsmittel eingelegt, erwächst das Urteil nach Ablauf der Fristen in (zunächst formelle 11) Rechtskraft, vgl. § 705 ZPO. Auch mit der nicht mehr anfechtbaren Abweisung des Antrags auf Zulassung eines Rechtsmittels tritt die Rechtskraft des Urteils ein, vgl. § 124a Abs. 2 Satz 3, § 133 Abs. 5 Satz 3 VwGO.

7 Wolfgang Hefermehl, in: Hans Theodor Soergel (Hg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 2, 13. A. 1999, Vor § 116, Rn. 57 ff., § 142, Rn. 1; Helmut Heinrichs, in: Otto Palandt (Hg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 66. A. 2007, § 119, Rn. 5, § 142, Rn. 2; Heinz Palm, in: Walter Erman (Hg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 1, 11. A. 2004, § 142, Rn. 10. 8 Vgl. dazu Udo Steiner, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 628 (653 ff.), m.w. N. 9 Ausführlich Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1167 (1192 ff.), zum Fehlerkalkül für Urteile: das Rechtsmittel in Verbindung mit der Rechtskraft. Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methoden der Rechtsbildung, 2001, S. 158, stellen fest, dass ein rechtskräftiges Urteil durch Gesetz nicht mehr änderbar oder aufhebbar ist, und schließen daraus, dass es sich dem Aspekt der Derogation entziehe. Rainer Lippold, Recht und Ordnung, 2000, S. 322 ff., stellt die Komplexität von Fehlerkalkülen anhand gerichtlicher Entscheidungen dar. 10 Während des Verfahrens können bereits diverse Entscheidungen des Gerichts ergehen, die unanfechtbar sind, da sonst eine abschließende Entscheidung nicht innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes möglich wäre. 11 Dazu Hans Putzo, in: Heinz Thomas / Hans Putzo (Hg.), Zivilprozessordnung, 27. A. 2005, § 705, Rn. 1a ff.

A. Fehlerkalkül für Gesetze

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Anders als bei Verwaltungsakten und privatrechtlichen Rechtsgeschäften ist die Nichtigkeit von Urteilen kaum ein Thema. 12 Gerade in der Verwaltungs- und Zivilgerichtsbarkeit werden gerichtliche Entscheidungen weniger als eigenständige Rechtsetzungsakte wahrgenommen. Vielmehr steht ihre Funktion im Vordergrund, andere Rechtsakte zu überprüfen. Dass auch auf dieser zweiten – und gewöhnlich letzten – Stufe Nichtigkeit vorliegen könnte, wird ungern problematisiert. Allerdings hat der Gesetzgeber die Nichtigkeitsklage zugelassen und damit einige wenige Ursachen der Nichtigkeit gerichtlicher Entscheidungen statuiert. Nach § 579 ZPO i.V. m. § 173 VwGO ist die Nichtigkeitsfeststellung bei Urteilen verpflichtend vorgeschrieben, erst nach dieser Feststellung kann ein nichtiges Urteil als nichtig behandelt werden. 13 In der Dogmatik zum Zivilprozessrecht ist aber auch anerkannt, dass es Scheinurteile oder Nichturteile geben kann. 14 Diesen „Urteilen“ fehlt schon der äußere Tatbestand, sie sind nicht in Ausübung von Rechtsprechung ergangen, nicht verkündet oder nicht zugestellt worden. 15 Sie können gar nicht ernsthaft den Anspruch erheben, gültige Rechtsakte zu sein. Die Einlegung von Rechtsmitteln gegen diese Erscheinungen ist nicht notwendig, aber zulässig. 16 Problematisch ist der Umgang mit anderweitig fehlerhaften gerichtlichen Entscheidungen. Der Begriff „nichtiges Urteil“ wird vermieden, die Rede ist vielmehr von wirkungslosen oder wirkungsgeminderten Urteilen. 17 Diese sollen nur in sehr eng umrissenen Ausnahmekonstellationen gegeben sein. 18 Anders als das Ver12 Für Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Verfassungsgrundsätze), Rn. 43 (Stand: 1980), gibt es nichtige Urteile überhaupt nicht. Mit dem notwendigen Abstand und zunächst bei Kleist beginnend nimmt sich sehr schön Rainer Maria Kiesow, in: André Gouron u. a. (Hg.), Error iudicis: Juristische Wahrheit und justizieller Irrtum, 1998, S. 145 – 155, der Thematik von Fehlurteilen an. 13 Dazu Andreas von Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 299. Schon die genannte Regelung selbst – keine Nichtigkeit vor Nichtigkeitsfeststellung – ist natürlich ein Fehlerkalkül. 14 Klaus Reichold, in: Heinz Thomas / Hans Putzo (Hg.), Zivilprozessordnung, 27. A. 2005, Vorbem § 300, Rn. 11 ff.; Bruno Rimmelspacher, in: Gerhard Lüke / Peter Wax (Hg.), Münchener Kommentar zur ZPO. Aktualisierungsband, 2. A. 2002, § 511, Rn. 13 ff.; Ingo Saenger, in: ders. (Hg.), Zivilprozessordnung, 2006, Vor §§ 300 –329, Rn. 8 f. 15 Vgl. Wolfgang Grunsky, in: Friedrich Stein / Martin Jonas (Hg.), Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Bd. 5/1, 21. A. 1994, Vor § 578 I, Rn. 2 ff.; Max Vollkommer, in: Richard Zöller (Hg.), Zivilprozessordnung, 26. A. 2007, Vor § 300, Rn. 13. 16 Klaus Reichold, in: Heinz Thomas / Hans Putzo (Hg.), Zivilprozessordnung, 27. A. 2005, Vorbem § 300, Rn. 14; Ingo Saenger, in: ders. (Hg.), Zivilprozessordnung, 2006, Vor §§ 300 – 329, Rn. 10. 17 Vgl. Wolfgang Grunsky, in: Friedrich Stein / Martin Jonas (Hg.), Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Bd. 5/1, 21. A. 1994, Vor § 578 I, Rn. 7 ff.; Bruno Rimmelspacher, in: Gerhard Lüke / Peter Wax (Hg.), Münchener Kommentar zur ZPO. Aktualisierungsband, 2. A. 2002, § 511, Rn. 18; Ingo Saenger, in: ders. (Hg.), Zivilprozessordnung, 2006, Vor §§ 300 –329, Rn. 11 ff.; Max Vollkommer, in: Richard Zöller (Hg.), Zivilprozessordnung, 26. A. 2007, Vor § 300, Rn. 15 ff. Den Begriff „nichtiges Urteil“ verwenden aber: Klaus Reichold, in: Heinz Thomas / Hans Putzo (Hg.), Zivilprozessordnung, 27. A. 2005, Vorbem

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

fahrensrecht für Verwaltungsakte kennt das Prozessrecht keine Evidenzklausel und anders als bei privatrechtlichen Rechtsgeschäften bewirkt ein Gesetzesverstoß nicht sogleich die Nichtigkeit. Selbst schwerste Verfahrensfehler, greifbare Gesetzwidrigkeit oder Willkür müssen nicht zur Nichtigkeit führen. 19 Auch schwerwiegend fehlerhafte gerichtliche Entscheidungen erwachsen in Rechtskraft, 20 wenn sie nicht fristgerecht mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Die Beschränkung der Nichtigkeitsklage auf vier Konstellationen formeller Fehlerhaftigkeit und die im Übrigen umfassende Normerhaltung durch Rechtskraft konstituieren ein sehr weit gehendes Fehlerkalkül für gerichtliche Entscheidungen. Eine Durchbrechung der Rechtskraft ist nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen möglich wie der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 233 ZPO, §§ 44 ff. StPO, § 60 VwGO), der Wiederaufnahme des Verfahrens (vgl. §§ 578 ff. ZPO, §§ 359 ff. StPO, § 79 Abs. 1 BVerfGG, § 153 VwGO), der Aufhebung eines Urteils durch das Bundesverfassungsgericht (§ 95 Abs. 2 BVerfGG) und in einigen Spezialfällen (vgl. §§ 323, 324, 654 ZPO, § 357 StPO). Diesen Ausnahmen steht die Regel gegenüber, dass mit Eintritt der Rechtskraft die normative Existenz eines Urteils nicht mehr gefährdet ist. Anders als eine Behörde den von ihr erlassenen Verwaltungsakt darf das Gericht ein von ihm erlassenes Urteil nämlich nicht von sich aus aufheben, vgl. § 318 ZPO. 21 Eine Erledigung ist ebenfalls nicht vorgesehen. Die festgelegten Rechtsmittel sind folglich die einzige Möglichkeit, Fehler beim Erlass zu korrigieren und die Gültigkeit des fehlerhaften Urteils zu verhindern. Die Rechtskraft des Urteils tritt nicht nur ein, wenn das Rechtsmittel verfristet ist, § 300, Rn. 11 ff.; Walter Zimmermann / Egon Schneider, Zivilprozessordnung, 7. A. 2006, § 300, Rn. 2. 18 Allerdings bemängelt Rainer Lippold, Recht und Ordnung, 2000, S. 323, zu Recht, dass umgekehrt die Minimalbedingungen für die Entstehung eines Urteils nicht explizit rechtlich geregelt sind. 19 Vgl. Hans-Joachim Musielak, in: ders. (Hg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung, 5. A. 2007, § 300, Rn. 4; Ingo Saenger, in: ders. (Hg.), Zivilprozessordnung, 2006, Vor §§ 300 –329, Rn. 15; Max Vollkommer, in: Richard Zöller (Hg.), Zivilprozessordnung, 26. A. 2007, Vor § 300, Rn. 20; Walter Zimmermann / Egon Schneider, Zivilprozessordnung, 7. A. 2006, § 300, Rn. 2. 20 Deutlich weitgehend ist die Begeisterung für die Dritte Gewalt jedoch, wenn von Wolfgang Grunsky, in: Friedrich Stein / Martin Jonas (Hg.), Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Bd. 5/1, 21. A. 1994, Vor § 578 I, Rn. 22, als Begründung für dieses umfassende Fehlerkalkül angegeben wird, bei Urteilen – anders als bsw. bei Rechtsverordnungen – bestehe die größtmögliche Garantie für ihre Übereinstimmung mit der wirklichen Rechtslage. – Zur unangemessenen Begeisterung für die Rechtsprechung bei gleichzeitiger gravierender Missachtung des Gesetzgebers vgl. Teil 4 B II 3. 21 Das hängt auch damit zusammen, dass Gerichte nicht von sich aus, sondern nur auf Anrufung hoheitlich tätig werden, die materielle Rechtskraft eines Urteils es den streitenden Parteien und Beteiligten aber grundsätzlich verwehrt, in der gleichen Sache noch einmal vor Gericht zu ziehen (vgl. §§ 322, 325 ZPO, § 121 VwGO, Art. 103 Abs. 3 GG).

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sondern auch, wenn Rechtsmittel zurückgewiesen wurden (wogegen allerdings die Beschwerde zulässig sein kann, vgl. § 322 Abs. 2 StPO, § 133 Abs. 1 VwGO) oder ein seinerseits unanfechtbares Rechtsmittel erfolglos eingelegt wurde. Zudem können die Berechtigten auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichten (vgl. §§ 346, 515 ZPO, § 302 StPO) oder eingelegte Rechtsmittel zurücknehmen (vgl. §§ 346, 516 ZPO, § 302 StPO, §§ 126, 140 VwGO). Schließlich kann auch das Rechtsmittelgericht selbst rechtskräftig fehlerhaft entscheiden. Rechtskräftige Urteile können auch eine Aufhebung ihrer Ermächtigungsgrundlage überstehen. Nach § 79 Abs. 2 BVerfGG bleiben rechtskräftige Urteile, die auf einer vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Norm beruhten, in ihrem Bestand unberührt, doch wird die Vollstreckung aus ihnen unzulässig. Eine Ausnahme bilden nach § 79 Abs. 1 BVerfGG rechtskräftige Strafurteile, gegen die nun eine Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig wird. Verwaltungsgerichtliche Urteile bleiben gemäß § 183 VwGO auch von der Nichtigerklärung einer Norm des Landesrechts durch ein Landesverfassungsgericht unberührt, gleiches gilt nach § 47 Abs. 5 Satz 3 VwGO bei der Nichtigerklärung von Satzungen und Rechtsverordnungen im Normenkontrollverfahren durch das Oberverwaltungsgericht. Auch hier wird die Vollstreckung aus dem Urteil aber unzulässig. 4. Unbeachtlichkeit: Das positivrechtliche Fehlerkalkül für Flächennutzungspläne und baurechtliche Satzungen Die rechtspolitische Begründung des Fehlerkalküls für Flächennutzungspläne und baurechtliche Satzungen ergibt sich wohl daraus, dass Planungsverfahren überaus zeit- und kostenintensiv sind, die Basis unzähliger späterer Entscheidungen der Verwaltung bilden können und eine solche Komplexität aufweisen, dass eine fehlerfreie Durchführung nur begrenzt wahrscheinlich ist. 22 Nach § 214 Abs. 1 und 2 BauGB soll nur die Verletzung bestimmter Verfahrens- und Formvorschriften für die Rechtswirksamkeit des Flächennutzungsplans, der Bauleitpläne und sonstiger baurechtlicher Satzungen beachtlich sein, andere Fehler haben auf ihre Gültigkeit keinen Einfluss. 23 Ferner sind gemäß § 214 Abs. 3 BauGB nicht alle Abwägungsfehler erheblich. Schließlich können nach § 215 Abs. 1 BauGB auch bestimmte, eigentlich beachtliche Fehler unbeachtlich werden, wenn sie nicht innerhalb einer Zweijahresfrist seit Bekanntmachung gerügt werden. Die Regelungen der §§ 214 f. BauGB ordnen folglich die Geltung von fehlerhaften 22 Vgl. nur Robert Käß, Inhalt und Grenzen des Grundsatzes der Planerhaltung, 2002, S. 63 ff. Eine kritische Würdigung der gesetzgeberischen Bemühungen, mit diesem Problem umzugehen, leistet Fritz Ossenbühl, NJW 1986, 2805 (2806 ff.), nach dessen Ansicht nur bereichsspezifische Korrekturen vorgenommen werden sollten, so dass die eingeräumten Fehlerkalküle schon zu weit gehen (S. 2812). 23 Zur Unbeachtlichkeit von Mängeln im Planungsrecht: Konrad Gelzer / ChristianDietrich Bracher / Olaf Reidt, Bauplanungsrecht, 7. A. 2004, Rn. 1048 ff.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Flächennutzungsplänen und fehlerhaften baurechtlichen Satzungen an. Diese Fehlerkalküle werden in der Baurechtsdogmatik unter dem Begriff der Planerhaltung 24 zusammengefasst, der dem Nichtigkeitsdogma 25 bezüglich genereller Regelungen als Korrektiv gegenüberstehe. 26 5. Nur geltende Rechtsnormen können Fehlerkalküle sein Die Vielzahl von Fehlerkalkülen lässt den Gedanken aufkommen, wir bewegten uns in einer mehrheitlich aus fehlerhaften Rechtsnormen bestehenden Rechtsordnung. 27 Es sollte aber nur einmal der Fokus darauf gerichtet werden, welche Regelungen zur Geltung von fehlerhaften Rechtsnormen die Rechtsordnung enthält und wie vielfältig diese sind. Umgekehrt muss betont werden, dass es kein generelles Fehlerkalkül gibt, beispielsweise nach dem Motto: Jede Rechtsnorm sei gültig, solange sie nicht aufgehoben oder ihre Nichtigkeit festgestellt ist. 28 Ein privatrechtliches Rechtsgeschäft, das der vorgeschriebenen Form ermangelt, ist nichtig, ohne dass dazu noch irgendetwas geschehen müsste. Eine baurechtliche Satzung, welche Fehler aufweist, die nicht von den §§ 214 f. BauGB erfasst sind, ist ebenfalls nichtig. Sie ist es aber nicht deshalb, weil fehlerhafte generelle Rechtsnormen immer nichtig ex tunc wären, 29 sondern weil die positive Rechtsordnung kein Fehlerkalkül für sie bereithält. Die Frage der Geltung von Rechtsnormen wird nicht durch allgemeine Grundsätze des einen oder anderen Inhalts, sondern

24 Ausführlich dazu Robert Käß, Inhalt und Grenzen des Grundsatzes der Planerhaltung, 2002, S. 43 ff. 25 Zur Relativität des Nichtigkeitsdogmas Ulrich Battis, in: ders. / Michael Krautzberger / Rolf-Peter Löhr, Baugesetzbuch. Kommentar, 9. A. 2005, Vorb §§ 214 –216, Rn. 8: Es wurde vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrige Gesetze stetig begrenzt, es kann erst recht vom Gesetzgeber bezüglich fehlerhafter städtebaulicher Satzungen eingeschränkt werden und für Verwaltungsakte gilt es ohnehin nicht. 26 Vgl. Michael Quaas / Alexander Kulck, in: Hans Schrödter (Hg.), Baugesetzbuch. Kommentar, 7. A. 2006, § 214, Rn. 1 ff. 27 Zu den Grenzen der Statuierung positiv-rechtlicher Fehlerkalküle: Fritz Ossenbühl, NJW 1986, 2805 (2811 f.). 28 Vgl. Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 275 ff., 280 ff., wonach die Feststellung der Nichtigkeit konstitutiv sei und die rückwirkende Vernichtung einer bis dahin als gültig angesehenen Norm darstelle (S. 282). 29 So aber die herrschende Lehre, vgl. nur Otto Bachof, AöR 87 (1962), 1 (33 ff.). Beispielhaft ist auch Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 19, Abs. 4, Rn. 286 f. (Stand: 1985), der für Verwaltungsakte noch § 44 VwVfG nennt, die Nichtigkeit fehlerhafter genereller Rechtsnormen dann aber ohne Anführung irgendeiner Rechtsgrundlage schlicht als „angemessen“ beurteilt; vgl. ferner Ulrich Battis, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. A. 2002, S. 28, für Rechtsverordnungen und Verwaltungsakte. Deutlich differenzierter: Fritz Ossenbühl, NJW 1986, 2805 (2805, 2810 f., 2812).

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nur durch Normen des geltenden Rechts selbst beantwortet. 30 Nur eine geltende Rechtsnorm kann ein Fehlerkalkül sein.

II. Abgrenzung des Fehlerkalküls zu Heilungsvorschriften oder Umdeutungsermächtigungen Bevor schließlich auf die Frage eingegangen wird, ob die geltende Rechtsordnung ein Fehlerkalkül für Gesetze enthält, sei noch eine kurze Abgrenzung erlaubt: Das Fehlerkalkül ist von der Heilung und der Umdeutung fehlerhafter Rechtsnormen zu unterscheiden. 31 Nur wenn diese Unterscheidung deutlich ist, ist auch das Fehlerkalkül für Gesetze als Gegenstand unserer Suche hinreichend bestimmt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes lässt es gerade in diesem Bereich zumeist an der wünschenswerten Klarheit mangeln. Fehlerkalküle sind Rechtsnormen, die besagen, dass fehlerhafte Rechtsnormen trotz ihrer Fehlerhaftigkeit gelten sollen. Sie verpflichten die rechtsetzenden Personen oder Organe zu keiner weiteren Handlung und lassen die fehlerhafte Norm unberührt. 1. Nachträgliche Fehlerbehebung: Heilungsvorschriften Heilungsvorschriften sind Rechtsnormen, die dazu ermächtigen, die versäumten Voraussetzungen des Rechtsetzungsaktes nachzuholen. 32 So können gemäß § 45 Abs. 1 VwVfG Anträge, Begründungen, Anhörungen und Mitwirkungshandlungen nachgeholt werden, was ihr vorheriges Fehlen unbeachtlich macht. Eine Heilung liegt auch in der nachträglichen Genehmigung privatrechtlicher Rechtsgeschäfte. Ferner können nach § 214 Abs. 4 BauGB Fehler bei dem Erlass von Flächennutzungsplänen oder baurechtlichen Satzungen durch ein ergänzendes Verfahren nachträglich behoben werden, die Pläne und Satzungen werden danach rückwirkend in Kraft gesetzt. 33 Die Rechtsnorm erfreut sich daraufhin eines 30 Vgl. Gerhard Hoffmann, JZ 1961, 193 (195); Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 260 ff., 293; Fritz Ossenbühl, NJW 1986, 2805 (2811). Verfehlt ist dagegen die Vorstellung, Fehlerkalküle seien eine Frage der Abwägung widerstreitender Prinzipien, so aber Robert Käß, Inhalt und Grenzen des Grundsatzes der Planerhaltung, 2002, S. 42, 255; vgl. auch Horst Sendler, DVBl. 2005, 659 (660 ff.), der keine Rechtsgrundlage für den von ihm forcierten Grundsatz der Plan- und Normerhaltung anzugeben vermag. 31 Andreas von Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 304 ff., unterscheidet zwischen Unbeachtlichkeit und Heilung, geht aber auch auf die Umdeutung ein; Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 205 ff., differenziert Heilung, Unbeachtlichkeit und Unanfechtbarkeit von Fehlern. 32 Vgl. schon Ernst Rudolf Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 2, 1898, § 26, S. 275 (285 ff.).

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

fehlerfreien Rechtsetzungsaktes. Und rechtstheoretisch sicher spannend ist die Frage, auf welcher Ermächtigung ihre Geltung nun beruht: ihren ursprünglichen Ermächtigungsnormen, einem Fehlerkalkül, der Heilungsvorschrift oder einer Ermächtigungskombination. 34 2. Rechtsänderung durch Rechtsetzung: Umdeutungsermächtigungen Ermächtigungen zur Umdeutung sind dagegen Rechtsnormen, welche die Befugnis verleihen, eine fehlerhafte Rechtsnorm inhaltlich zu ändern. Wie im rechtstheoretischen Teil dargestellt, 35 ist die Änderung einer Rechtsnorm nur durch einen neuen Rechtsetzungsakt möglich. Im Gesetzgebungsverfahren ist dies evident, es gilt aber genauso für Rechtsverordnungen, Urteile, Verwaltungsakte, Satzungen und privatrechtliche Rechtsgeschäfte. Die Befugnis zur Umdeutung 36 ermächtigt folglich zum Erlass einer abändernden Rechtsnorm. Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt nach § 140 BGB das letztere, wenn dies bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. 37 In § 47 VwVfG ist die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes in einen anderen Verwaltungsakt geregelt. Ferner ist die sog. geltungserhaltende Reduktion 38 (vgl. als mögliche positivrechtliche Grundlage § 139 BGB) als Umdeutung einzuordnen, da auch sie auf eine inhaltliche Änderung der fehlerhaften Rechtsnorm abzielt. Soweit die Befugnis zur Durchführung eines ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB nicht nur die nachträgliche Behebung von Verfahrensfehlern erfasst, sondern auch ei33

Zur Heilung in der Bauplanung: Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 207 f. 34 Am plausibelsten ist die Annahme, dass Heilungsvorschrift und ursprüngliche Ermächtigungsnormen gemeinsam ihre rechtliche Grundlage bilden. 35 Siehe oben, Teil 2 C I 2. 36 Dabei ist der Begriff „Umdeutung“ für diesen Vorgang alles andere als glücklich gewählt. Er beschreibt nicht zutreffend das Verfahren der Setzung einer abändernden Rechtsnorm, sondern spiegelt vielmehr die Überzeugung weiter Teile der Jurisprudenz wider, Rechtsänderungen seien ohne explizite Rechtsetzung, quasi im Auslegungswege, möglich. Auf solchen Vorstellungen beruhen auch die Phänomene verfassungskonformer Auslegung insgesamt. 37 Zur Umdeutung eines sittenwidrigen Wettbewerbsverbotes: Sudabeh Kamanabrou, ZGR 2002, 898 (925 ff.). 38 Dazu Beate Butters, JuS 2001, 324 (325 f.); sowie Holger Pauly, JR 1997, 357 (359, 361 ff.), die allerdings beide eine ergänzende Vertragsauslegung bevorzugen (Butters, S. 326 ff.; Pauly, S. 362 f.). Grundsätzlich ablehnend: Andreas Cahn, JZ 1997, 8 (14 f.). Interessant: Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 154, sieht große Ähnlichkeiten zwischen geltungserhaltender Reduktion und verfassungskonformer Auslegung.

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ne darauf beruhende inhaltliche Änderung des Flächennutzungsplanes oder der baurechtlichen Satzungen gestattet, 39 handelt es sich ebenfalls um eine Umdeutungsermächtigung. Die geltende Rechtsordnung ist komplex und hält mehrere Lösungen für das Problem fehlerhafter Rechtsnormen bereit. Doch insbesondere Umdeutung und Fehlerkalkül müssen dabei klar unterschieden werden. Die Ermächtigung zur Umdeutung führt zur Setzung einer neuen Rechtsnorm, welche die fehlerhafte Rechtsnorm verdrängt. Das Fehlerkalkül ordnet dagegen die Geltung der unveränderten fehlerhaften Rechtsnorm an.

III. Das Fehlerkalkül für Gesetze Auch wenn sich der Begriff des Fehlerkalküls nicht durchsetzen konnte, wird die dahinter stehende Frage, ob fehlerhafte, also verfassungswidrige, Gesetze gelten können oder gar sollen, in Rechtsprechung und Lehre durchaus diskutiert. Unter dem Grundgesetz wird dieser Streit anhand der Frage geführt, ob Nichtigerklärungen von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht in Normenkontrollverfahren lediglich die von Anfang an bestehende Nichtigkeit feststellen oder die Nichtigkeit erst mit der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht eintritt. 40 1. Der Streit um das Nichtigkeitsdogma Für die Entwicklung des richterlichen Prüfungsrechtes seit dem 19. Jahrhundert war es entscheidend, dass davon ausgegangen werden konnte, verfassungswidrige 39 Im ergänzenden Verfahren dürfen inhaltliche Änderungen vorgenommen werden, solange nicht der Kern der Planung bzw. die Identität des Planes davon betroffen ist, vgl. Ulrich Battis, in: ders. / Michael Krautzberger / Rolf-Peter Löhr, Baugesetzbuch. Kommentar, 9. A. 2005, § 214, Rn. 20, m.w. N.; Konrad Gelzer / Christian-Dietrich Bracher / Olaf Reidt, Bauplanungsrecht, 7. A. 2004, Rn. 1098; Robert Käß, Inhalt und Grenzen des Grundsatzes der Planerhaltung, 2002, S. 244 ff.; Michael Quaas / Alexander Kulck, in: Hans Schrödter (Hg.), Baugesetzbuch. Kommentar, 7. A. 2006, § 214, Rn. 54 f. 40 Vgl. dazu Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 236 ff., m.w. N.; Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 49 ff., m.w. N.; Peter E. Hein, Die Unvereinbarerklärung verfassungswidriger Gesetze, 1988, S. 92 ff.; Christoph Moench, Verfassungswidriges Gesetz und Normenkontrolle, 1977, S. 97 ff., 137 ff.; Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 378 ff., m.w. N.; Matthias Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 37 ff. Einen rätselhaften Zwischenweg versucht Christian Pestalozza, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 519 (565 f.), einzuschlagen, nach dessen Ansicht sich die Weitergeltung eines nur für verfassungswidrig – nicht aber nichtig – erklärten Gesetzes nicht aus der Anordnung des Bundesverfassungsgerichtes, sondern einem verselbständigten Vakuum-Argument als Teil des Rechtssystems ergibt.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Gesetze seien von selbst (ipso iure) und von Anfang an (ex tunc) nichtig. 41 Nur so war erklärlich, warum Gerichte trotz ihrer strengen Gesetzesbindung die sie bindenden Gesetze zunächst prüfen und bei Verfassungswidrigkeit außer Anwendung lassen konnten: An ein nichtiges Gesetz konnten sie nicht gebunden sein. 42 Die Lehre von der ipso-iure-Nichtigkeit wird auch heute noch überwiegend vertreten. 43 Danach sind verfassungswidrige Gesetze von Anfang an nichtig und ihre Nichtigerklärung durch das Bundesverfassungsgericht hat lediglich deklaratorische (feststellende) Wirkung. 44 Zur Begründung wird angeführt, ein Verstoß gegen die höherrangige Verfassung habe einen automatischen Derogationseffekt zu Lasten des niederrangigen Gesetzes zur Folge. 45 Zudem sei das Nichtigkeitsdogma ein Standardsatz nicht nur der deutschen Staatsrechtslehre, 46 ohne den schon die konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht plausibel sei 47.

41

Vgl. Jochen Abr. Frowein, DÖV 1970, 591 (592); Gerhard Ulsamer, in: Theodor Maunz u. a. (Hg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Bd. 2, § 78, Rn. 3 (Stand: Februar 1978), § 80, Rn. 19 (Stand: Oktober 1985). 42 Ablehnend für die heutige Situation Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 239, mit Verweis auf die Möglichkeit eines Anwendungsvorranges, wie er im europäischen Gemeinschaftsrecht existiert. 43 Vgl. nur Peter Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Normen, 1996, S. 284 f.; Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 245 f., obwohl er die Vernichtbarkeitslehre für überzeugender hält; Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 70, Rn. 114; Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 12; Karl-Peter Sommermann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. A. 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 256: anders nur, wenn ein normatives Vakuum droht; Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 53 f.: alternativ ist Anwendungsvorrang möglich. Siehe auch die Nachweise bei Rainer Lippold, Der Staat 29 (1990), 185 (195, Fn. 31). 44 Andreas Heusch, in: Dieter C. Umbach u. a. (Hg.), BVerfGG, Mitarbeiter-Kommentar, 2. A. 2005, § 31, Rn. 74; Alfred Rinken, in: Rudolf Wassermann (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. A. 1989, Art. 94, Rn. 43: herrschende Lehre; Michael Sachs, in: ders. (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 20, Rn. 95; Karl-Peter Sommermann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. A. 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 258; Klaus Vogel, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 568 (606), mit Verweis auf die deutsche Verfassungsentwicklung. Für Theodor Maunz, in: ders. / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 93, Rn. 34 (Stand: 1971), ist die Lehre von der ipso-iure-Nichtigkeit zwar folgerichtig, doch seien die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes mehr als deklaratorisch, da sie eine Vernichtung des Rechtsscheins bzw. eine Bestätigung der Norm beinhalten. 45 Herbert Bethge, in: Theodor Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Bd. 1, § 31, Rn. 139 (Stand: Juni 2001); Klaus Stern, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 93, Rn. 271 ff. (Stand: 1982), Art. 100, Rn. 141 (Stand: 1967); für Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 575, folgt die ipso-iure-Nichtigkeit aus dem Stufenbau der Rechtsordnung. Ablehnend Christoph Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze, 1966, S. 27 ff.: Nichtigkeit auf Grund der Rangordnung setzt Evidenz voraus.

A. Fehlerkalkül für Gesetze

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Dagegen wird vorgebracht, dass zwischen der Nichtanwendung durch ein Gericht im Einzelfall und der monopolisierten Normverwerfung durch das Bundesverfassungsgericht erhebliche Unterschiede bestünden, die herrschende Lehre also nicht einfach tradiert werden könne. 48 Die sog. Vernichtbarkeitslehre nimmt an, dass eine Nichtigerklärung durch das Bundesverfassungsgericht konstitutive (gestaltende) Wirkung hat: ein verfassungswidriges Gesetz sei demnach gültig, bis es vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wird. 49 Ferner wird auf die Tenorierungspraxis des Bundesverfassungsgerichtes hingewiesen, nach welcher die Nichtigerklärung nur eine von mehreren Möglichkeiten sei, auf die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zu reagieren. 50 Schließlich sei die konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG nur plausibel, wenn von der bloßen Vernichtbarkeit eines verfassungswidrigen Gesetzes ausgegangen werde. Die Frage nach einem Fehlerkalkül für Gesetze lässt sich nicht mit dogmatischen Standardsätzen beantworten, wie altwehrwürdig diese auch sein mögen. 51 Das geltende, positive Recht ist darauf zu überprüfen, ob es ein Fehlerkalkül für Gesetze bereithält. 52 Dass diese Überprüfung nicht unproblematisch sein wird, erweist sich schon daran, dass die konträren Ansichten sich mit Art. 100 Abs. 1 GG auf die gleiche Rechtsnorm berufen. 53 Dies ist ein Grund mehr, die Prüfung mit dieser Norm zu beginnen. 46

Theodor Schilling, Rang und Geltung von Normen, 1994, S. 584, sieht ein, dass das Nichtigkeitsdogma aus dem geltenden Recht nicht beweisbar ist, und behilft sich daher mit einem „Rückgriff auf die Grundkonzeption deutschen Rechtsverständnisses“. 47 Jochen Abr. Frowein, DÖV 1970, 591 (592); ferner Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 70, Rn. 114: Nichtigkeit als logische Voraussetzung der konkreten Normenkontrolle. 48 Vgl. Hartmut Söhn, Anwendungspflicht oder Aussetzungspflicht, 1974, S. 14 ff. 49 Heinrich Götz, NJW 1960, 1177 (1179). Eine Theorie der autoritativen Normgeltungsbeendigung entwirft Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, passim, insbes. S. 44 ff., 347 ff. 50 Norbert Achterberg, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 92, Rn. 124 (Stand: 1981); Gerhard Hoffmann, JZ 1961, 193 (197). 51 Kritisch zur Begründung nur aus der Tradition auch Jens Blüggel, Unvereinbarerklärung statt Normkassation, 1998, S. 139. 52 Zutreffend Christoph Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze, 1966, S. 43. Dagegen beschränken sich Heinrich Götz, NJW 1960, 1177 (1177 f.); Gerhard Hoffmann, JZ 1961, 193 (195 ff.); sowie Christian Pestalozza, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 519 (520 ff.), auf die Feststellung, dass das Nichtigkeitsdogma vom positiven Recht jedenfalls nicht bestätigt werde. Wenig hilfreich ist auch die Kritik von Christoph Moench, Verfassungswidriges Gesetz und Normenkontrolle, 1977, S. 114 ff., das Nichtigkeitsdogma werde dem sozialen Phänomen des verfassungswidrigen Gesetzes in keiner Weise gerecht. Selbst wenn diese Ansicht zutreffend sein sollte, bietet sie keinen Anhaltspunkt, um die Frage nach der geltenden Rechtslage zu beantworten. 53 Nach Ansicht von Matthias Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 39, gibt Art. 100 GG keine eindeutige Antwort auf diese Frage her.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

2. Das Fehlerkalkül für Gesetze aus Art. 100 Abs. 1 GG Die Vernichtbarkeitslehre geht davon aus, dass verfassungswidrige Gesetze gelten, bis sie durch eine Nichtigerklärung des Bundesverfassungsgerichtes (rückwirkend) vernichtet werden. Schon Hans Kelsen war überzeugt, dass Gesetze stets nur vernichtbar sein könnten. 54 Nach seiner Ansicht muss die Rechtsordnung nicht nur die Bedingungen der Nichtigkeit von Gesetzen, sondern auch die Befugnis zur Feststellung dieser Bedingungen explizit regeln. Da die Nichtigkeit vor dieser Feststellung rechtlich nicht behauptet werden könne, habe diese Feststellung konstitutiven Charakter und bewirke die Vernichtung des fehlerhaften Gesetzes. Mit diesen Ausführungen kehrt Hans Kelsen seine rechtstheoretischen Prämissen geradezu um, Rainer Lippold kommt das Verdienst zu, sie wieder auf die Füße gestellt zu haben. Wie er richtig darlegt, 55 regelt eine Rechtsordnung nicht die Bedingungen der Nichtigkeit, sondern durch Ermächtigungsnormen die Bedingungen der Geltung von Rechtsnormen. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, liegt keine geltende Rechtsnorm vor. Dies kann jedes rechtsetzende Organ feststellen, bevor es die fraglichen Normen anwendet, es sei denn, eine positivrechtliche Regelung sieht vor, dass die Frage der Geltung nur von einem bestimmten Organ zu entscheiden ist. Schließlich setzt die Behauptung, die Feststellung der Nichtigkeit sei konstitutiv und bewirke die Vernichtung des fehlerhaften Gesetzes, das voraus, was nachzuweisen war: die vorläufige Geltung des verfassungswidrigen Gesetzes. Eine solche Geltung kann sich nur aus einem geltenden Fehlerkalkül ergeben. Hans Kelsen weist ein solches Fehlerkalkül nicht nach, sondern begnügt sich in dieser Frage mit der Aufstellung allgemeiner Behauptungen. Das vermag nicht zu überzeugen. Die Vernichtbarkeitslehre unter dem Grundgesetz beruft sich dagegen auf eine geltende Rechtsnorm. Nach ihrer Ansicht ergibt sich die vorläufige Gültigkeit verfassungswidriger Gesetze aus der Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG. 56 Nur wenn das verfassungswidrige Gesetz vorläufig gültig und der Richter daran gebunden sei, könne er auch zur Vorlage verpflichtet sein. 57 Zudem widerspreche die Vorstellung der ipso-iure-Nichtigkeit dem Gebot der Rechtssicherheit, da 54

Vgl. auch zum Folgenden Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 275 ff., 280 ff. 55 Ausführlich auch zum Folgenden Rainer Lippold, Der Staat 29 (1990), 185 (196 ff.). 56 So Norbert Achterberg, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 100, Rn. 124 (Stand: 1981); dagegen wirft Otto Bachof, AöR 87 (1962), 1 (34), der Berufung auf Art. 100 Abs. 1 GG vor, sie verwechsele Gesetzesgeltung und Verwerfungskompetenz. 57 Vgl. Heinrich Götz, NJW 1960, 1177 (1178); Gerhard Hoffmann, JZ 1961, 193 (197); auf den Punkt gebracht von Hartmut Söhn, Anwendungspflicht oder Aussetzungspflicht, 1974, S. 14: „Was ipso iure nichtig ist, kann nicht binden, was zur Vorlage zwingt, bindet,

A. Fehlerkalkül für Gesetze

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verfassungswidrige Gesetze demnach von jedem Gericht und jeder Behörde 58 jederzeit einfach ignoriert werden könnten. 59 Diese Argumentation geht richtig davon aus, dass Gerichten und Behörden ein Prüfungsrecht zukommt, ob die Ermächtigungsnormen, an die sie bei ihrem Rechtsetzungsakt gebunden sind, tatsächlich gelten. Fehlerhaft ist allerdings die Ansicht, aus dem Prüfungsrecht folge automatisch das Recht, das als verfassungswidrig erkannte Gesetz außer Anwendung zu lassen. 60 Selbst wenn eine solche Befugnis bestehen sollte, wird sie jedenfalls durch die positivrechtliche Regelung in Art. 100 Abs. 1 GG modifiziert, soweit es um die Anwendung formeller nachkonstitutioneller Gesetze durch Fachgerichte geht. 61 Gerade im Interesse der angeführten Rechtssicherheit und in Anbetracht des Umstandes, dass über die Nichtigkeit eines Gesetzes unterschiedliche Ansichten bestehen können, ist die Regelung der Vorlagepflicht in Art. 100 Abs. 1 GG auch dann sinnvoll, wenn von der ipso-iure-Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze ausgegangen wird. 62 Die Vertreter / innen des Nichtigkeitsdogmas machen überdies geltend, der Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 GG bestätige ihre Ansicht. 63 Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ordnet an, dass Gerichte ein verfassungswidriges Gesetz vorlegen müssen, wenn es bei der gerichtlichen Entscheidung auf dessen Gültigkeit ankommt. Damit setze Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG voraus, dass verfassungswidrige Gesetze ungültig – also nichtig – sind, das Nichtigkeitsdogma sei bestätigt und gelte sogar mit Verfassungsrang. 64

und jede Bindungswirkung setzt die Zugehörigkeit dieser bindenden Norm zur geltenden Rechtsordnung voraus.“ 58 Mit Blick darauf, dass Art. 100 Abs. 1 GG nur die Gerichte zur Vorlage verpflichtet und es keine parallele Vorschrift für Behörden gibt, liegt im Prüfungsrecht der Behörden eines der wesentlichen Probleme, zu dessen Lösung die Vernichtbarkeitslehre angetreten war, vgl. Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S. 241. 59 Vgl. Heinrich Götz, NJW 1960, 1177 (1178 f., 1181); Christoph Moench, Verfassungswidriges Gesetz und Normenkontrolle, 1977, S. 128 f.; Hartmut Söhn, Anwendungspflicht oder Aussetzungspflicht, 1974, S. 41 ff. 60 Vgl. dazu oben, Teil 1 B I. Kritisch zur fehlerhaften Identifizierung von Prüfungsund Verwerfungsrecht auch Gerhard Hoffmann, JZ 1961, 193 (199, Fn. 68). 61 Irreführend ist daher die Behauptung, die Vorlagepflicht sei abhängig von der Bindungswirkung des verfassungswidrigen Gesetzes; es genügt insoweit, dass Art. 100 Abs. 1 GG die Gerichte bindet, so auch Klaus Stern, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 93, Rn. 273 (Stand: 1982). Aus Perspektive des Nichtigkeitsdogmas soll die Vorlagepflicht nicht ein Bindungsproblem, sondern ein Erkenntnisproblem – allerdings im Interesse der Rechtssicherheit rechtlich bindend – lösen; vgl. dazu Uwe Kischel, AöR 131 (2006), 219 (248 f.). 62 Dies verkennt Heinrich Götz, NJW 1960, 1177 (1181). 63 Theodor Maunz, in: ders. / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 100, Rn. 26 (Stand: 1971).

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

So überzeugend die Lehre von der ipso-iure-Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze zunächst ist, 65 sie leidet an einem schweren Mangel: Sie funktioniert nur, solange das Bundesverfassungsgericht in der Normenkontrolle richtig entscheidet. 66 Für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht fehlerhaft ein verfassungswidriges Gesetz für verfassungsgemäß erklärt, ist das Nichtigkeitsdogma nach geltendem Recht nicht haltbar. Bei einer Erprobung der widerstreitenden Ansichten am pathologischen Fall der fehlerhaften Normenkontrollentscheidung ist der Vernichtbarkeitslehre der Vorzug zu geben. Allerdings irrt diese, wenn sie das Fehlerkalkül für Gesetze aus Art. 100 Abs. 1 GG ableiten will. 3. Das Fehlerkalkül für Gesetze aus Art. 93 Abs. 1 i.V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG Es sind zwei Konstellationen fehlerhafter Normenkontrollentscheidungen denkbar. Das Bundesverfassungsgericht kann irrtümlich ein verfassungsgemäßes Gesetz für verfassungswidrig erklären. Diese Entscheidung hat nach § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft, das heißt, derogatorische Kraft gegenüber Gesetzen. Die Geltung des verfassungsgemäßen Gesetzes wird folglich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ aufgehoben. Damit ist ein erster Fall benannt, in dem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht deklaratorische, sondern gestaltende Wirkung hat. Noch interessanter ist der Fall, dass das Bundesverfassungsgericht irrtümlich ein verfassungswidriges Gesetz für verfassungsgemäß erklärt. Anhand dieses Falles hat Rainer Lippold das Fehlerkalkül für Gesetze aus Art. 93 Abs. 1 i.V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG überzeugend dargelegt. 67 Die folgenden Ausführungen versuchen, seinen Gedankengang wiederzugeben. Nach dem Nichtigkeitsdogma müsste die Folge sein, dass auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes auf Grund ihrer eigenen Verfassungswidrigkeit ipso iure und ex tunc nichtig ist. 68 Dann könnte das verfassungswidrige Gesetz immer wieder vorgelegt werden, da eine nichtige Entscheidung keine 64 Ablehnend Christoph Moench, Verfassungswidriges Gesetz und Normenkontrolle, 1977, S. 121 f.: Die „Gültigkeit“ in Art. 100 Abs. 1 GG wörtlich zu nehmen, sei reine Begriffsjurisprudenz; ferner Detlev B. Rein, Das Normbestätigungsverfahren, 1991, S. 37: Verwerfungsmonopol verkannt. 65 Zu ihrer scheinbaren Unangreifbarkeit und logischen Evidenz vgl. Christoph Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze, 1966, S. 16. 66 Vgl. auch Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 70 ff. 67 Vgl. zum Folgenden Rainer Lippold, Der Staat 29 (1990), S. 185 –208; kritisch zu seiner Konzeption: Theodor Schilling, Rang und Geltung von Normen, 1994, S. 580 ff.

A. Fehlerkalkül für Gesetze

201

Bindungswirkung entfalten kann. Allerdings gehen auch die Vertreter / innen des Nichtigkeitsdogmas von der Rechtskraft und damit Bindungswirkung aller, auch der fehlerhaften, verfassungsgerichtlichen Entscheidungen aus. 69 Dies entspricht der Regelung in Art. 93 Abs. 1 GG, wonach das Bundesverfassungsgericht auch über die Vereinbarkeit von Gesetzen mit der Verfassung entscheidet. Die Entscheidung des Rechtsfalles setzt aber voraus, dass den Urteilen und Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichtes Bindungswirkung zukommt, damit die Rechtslage abschließend geklärt werden kann. 70 Was aber bedeutet es, wenn auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, mit der ein verfassungswidriges Gesetz für verfassungsgemäß erklärt wird, Rechtskraft entfaltet? Nach dem Nichtigkeitsdogma war das Gesetz vorher nichtig. Es müsste also nun durch die verfassungsgerichtliche Entscheidung in Geltung getreten sein. Nach der Lehre von der ipso-iure-Nichtigkeit müssten Urteile und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts dann aber nicht nur Gesetzeskraft haben, also die Kraft, Gesetze zu derogieren, sondern Verfassungsrang, um bewirken zu können, dass ein verfassungswidriges Gesetz in Geltung tritt und damit für seinen Regelungsbereich die entgegenstehenden Verfassungsnormen derogiert. 71 Dies setzt – unzutreffend 72 – voraus, dass das Bundesverfassungsgericht authentisch und nicht bloß autoritativ über den Inhalt von Verfassungsnormen entscheidet. 68

So konsequent Klaus Vogel, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 568 (611 ff.), der darlegt, dass der fehlerhaften Normbestätigung Verfassungskraft zukommen müsste, weshalb die Gesetzeskraft auf normverwerfende Entscheidungen zu beschränken sei. Dem folgend geht Klaus Lange, JuS 1978, 1 (6), davon aus, dass verfassungswidrige Gesetze nicht durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes „geheilt“ werden könnten. 69 So ein zentrales Argument von Rainer Lippold, Der Staat 29 (1990), 185 (203), wobei die angeführten Nachweise zu sorgfältiger Lektüre nötigen. – Nicht übersehen wird, dass das Fehlerkalkül für Gesetze damit letztlich auf einem Fehlerkalkül für Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen beruht; eine Vorstellung, die zwar eine nicht unerhebliche Plausibilität für sich hat, dessen ungeachtet aber durchaus etwas stärker hätte entfaltet werden können. 70 Zur Letztverbindlichkeit verfassungsgerichtlicher Entscheidungen vgl. auch Uwe Kischel, AöR 131 (2006), 219 (227), der daraus ein grundsätzliches Normwiederholungsverbot folgert (S. 232 ff.). Für krasse Fehlentscheidungen in der Normenkontrolle eines unmenschlichen Gesetzes will Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 180, Gesetzeskraft und Bindungswirkung aber aufgehoben wissen; methodisches Mittel zu diesem Zweck soll bezeichnenderweise eine „verfassungskonforme teleologische Reduktion“ von § 31 BVerfGG sein. 71 Auch Fritz Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 298 ff., hat sich mit der fehlerhaften Feststellung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht befasst und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Normenkontrollentscheidung in diesen Fällen gestaltende Wirkung hat und die Verfassung punktuell derogiert wird (S. 302). 72 Dazu ausführlich Matthias Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 363 ff.

202

Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Gegen höherrangiges Recht verstoßende Rechtsnormen können durch ein Fehlerkalkül Geltung erlangen und insoweit höherrangige Rechtsnormen derogieren. Die Ermächtigung zu dieser Derogation ist aber nur durch höherrangige Rechtsnormen möglich. Zwar kann das Fehlerkalkül selbst der gleichen Normstufe angehören wie die von ihm „gerettete“ Rechtsnorm, doch muss es dann auf einer höherrangigen Ermächtigungsnorm beruhen, da sonst der Stufenbau nach der derogatorischen Kraft nicht durchbrochen werden kann. Die Geltung verfassungswidriger Gesetze kann folglich nur durch eine Rechtsnorm mit Verfassungsrang angeordnet werden. 73 Nach Art. 94 Abs. 2 GG ist der Gesetzgeber aber nur ermächtigt, den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes Gesetzeskraft zu verleihen. Von dieser Ermächtigung hat er mit § 31 Abs. 2 BVerfGG Gebrauch gemacht. Darüber hinaus ist keine Ermächtigung für den Gesetzgeber ersichtlich, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes Verfassungsrang zu verleihen. 74 Damit bleibt es gemäß Art. 93 Abs. 1 i.V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bei der Gesetzeskraft und allgemeinen Verbindlichkeit verfassungsgerichtlicher Normenkontrollentscheidungen. Auf diese Weise kann ein verfassungswidriges Gesetz aber nicht in Geltung gesetzt werden. Folglich ist davon auszugehen, dass das verfassungswidrige Gesetz schon vorher gilt. Das Fehlerkalkül für Gesetze im deutschen Recht ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 i.V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. 75 Es besagt, dass verfassungswidrige Gesetze gelten, bis das Bundesverfassungsgericht sie aufhebt oder, falls dies irrtümlich unterbleibt, bis sie durch ein Änderungsgesetz aufgehoben werden. 73 Ebenso nimmt Hartmut Söhn, Anwendungspflicht oder Aussetzungspflicht, 1974, S. 42 ff., an, dass verfassungswidrige Gesetze ihre Geltung aus der Verfassung ziehen müssen. 74 Dagegen geht Theodor Schilling, Rang und Geltung von Normen, 1994, S. 582 f., davon aus, dass fehlerhafte Normenkontrollentscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes wegen Art. 92 GG Verfassungsrang besitzen, die Verfassung ändern können und das vorher verfassungswidrige Gesetz rückwirkend in Kraft setzen. – Diese Konstruktion erklärt sich hauptsächlich aus dem Bemühen, die Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes angesichts möglicher Fehlentscheidungen mit dem Nichtigkeitsdogma in Einklang zu bringen. Zwar wird zutreffend von einem Fehlerkalkül für Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen ausgegangen, irrig ist aber die Vorstellung, letztere müssten nun selbst Verfassungsrang besitzen; rechtswidrige Verwaltungsakte erlangen durch §§ 43 f. VwVfG auch nicht Gesetzesrang. – Strikt ablehnend zur Vorstellung, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes könnten Verfassungsrang haben: Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 484, 498 ff., sowie Jan Ziekow, Die Verwaltung 1994, 461 (485); zum Gesetzesrang von Normenkontrollentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts: Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 338; ablehnend Stefan Korioth, Der Staat 30 (1991), 549 (561 f.). 75 Es könnte noch hinzugefügt werden, dass bei vorkonstitutionellen Gesetzen das Fehlerkalkül aus Art. 123 Abs. 1 GG zu beachten ist; dies macht aber keinen Unterschied in der hier interessierenden Frage.

A. Fehlerkalkül für Gesetze

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Damit ist auch deutlich, dass die Unterscheidung zwischen deklaratorischen und konstitutiven Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes nicht der Unterscheidung zwischen Nichtigkeitsdogma und Vernichtbarkeitslehre entspricht. Sowohl die Behauptung, verfassungsgerichtliche Normenkontrollentscheidungen seien immer deklaratorisch, als auch die Behauptung des Gegenteils sind unzutreffend. Da im deutschen Recht ein Fehlerkalkül für Gesetze gilt, sind alle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, die ein Gesetz für verfassungsgemäß erklären, insoweit deklaratorisch, als sie nichts an seiner Geltung ändern. Alle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, die ein Gesetz für verfassungswidrig und nichtig erklären, sind dagegen konstitutiv, da sie die bisherige (auf Ermächtigungsnormen oder einem Fehlerkalkül als subsidiärer Ermächtigungsnorm beruhende) Geltung des Gesetzes aufheben. 4. Das Fehlerkalkül in der Tenorierung des Bundesverfassungsgerichtes Bevor der Bogen zurück zur verfassungskonformen Auslegung geschlagen wird, sind diese konstitutiven Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes noch einmal genauer zu betrachten. Die Vernichtung verfassungswidriger (oder dafür gehaltener) Gesetze erfolgt gewöhnlich rückwirkend. Für die abstrakte und konkrete Normenkontrolle sowie die Inzidentprüfung bei Verfassungsbeschwerden ordnen §§ 78, 82 Abs. 1, 95 Abs. 3 BVerfGG explizit an, dass verfassungswidrige Gesetze für nichtig zu erklären sind, Fristen oder zeitliche Begrenzungen der Nichtigerklärung sind nicht vorgesehen. a) Die bloße Unvereinbarerklärung verfassungswidriger Gesetze Mit der bloßen Unvereinbarerklärung 76 verfassungswidriger Gesetze hat das Bundesverfassungsgericht aber schon früh eine weitere Entscheidungsvariante entwickelt, 77 die inzwischen auch in §§ 31 Abs. 2, 79 Abs. 1 BVerfGG genannt wird. Die Unvereinbarerklärung soll eine Alternative zur rückwirkenden Nichtigerklärung darstellen. Dabei wird nicht nur die Geltung in der Vergangenheit bestätigt, sondern teilweise auch die Fortgeltung in der Zukunft. Diese soll enden, wenn 76 Umfassend zu Entwicklung, Praxis und Folgen dieser Tenorierung: Peter E. Hein, Die Unvereinbarerklärung verfassungswidriger Gesetze, 1988, passim. 77 Treffender ist wohl die Charakterisierung, das Bundesverfassungsgericht habe die Unvereinbarerklärung schlicht „erfunden“, so Peter Häberle, JöR 45 (1997), 89 (126); Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 395; Andreas Voßkuhle, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 93, Rn. 48. Dagegen zieht Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 70, Rn. 121 ff., seine frühere Kritik angesichts einer unerschütterten Praxis zurück.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

der Gesetzgeber tätig wird – was in Anbetracht seiner Kompetenz eine Selbstverständlichkeit ist – allerdings scheut sich das Bundesverfassungsgericht auch nicht, ihm hierfür eine Frist zu setzen. 78 Fortgeltung und Anwendbarkeit müssen nicht zusammengehen, das Bundesverfassungsgericht schließt die Anwendung für die Zukunft regelmäßig aus. 79 Der Tenor der Unvereinbarerklärung wurde aus Anlass von Entscheidungen über gleichheitswidrige Begünstigungsausschlüsse entwickelt. 80 Bei solchen Verstößen gegen Art. 3 Abs. 1 GG würde eine Nichtigerklärung jeder Begünstigung die Grundlage entziehen. Zudem hat der Gesetzgeber bei einem Gleichheitsverstoß verschiedene Möglichkeiten, die Verfassungswidrigkeit zu beheben. Das Bundesverfassungsgericht beruft sich daher auf die „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers“ 81, um die neue und im BVerfGG nicht vorgesehene Tenorierung zu rechtfertigen. Dieses Argument wird immer wieder auf weitere Konstellationen und auch Verstöße gegen Freiheitsrechte ausgedehnt, 82 was zu Kritik in der Literatur führt. Eine Berufung auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers vermag allerdings in keiner Konstellation zu überzeugen. 83 Die Unvereinbarerklärung durch das Bundesverfassungsgericht beinhaltet gerade die Aussage, dass die bestehende Regelung verfassungswidrig ist und deshalb keine zulässige ge78 Fristsetzung: BVerfGE 101, 106 (132); 101, 54 (105); 99, 300 (332); 99, 216 (244); 99, 202 (216); 98, 365 (402); 84, 239 (285); 72, 330 (422 f.); Fristverweigerung: BVerfGE 89, 15 (27). Kritisch zur Fristsetzung durch das Bundesverfassungsgericht: Hans Heinrich Rupp, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 364 (387). 79 Zu dieser Regel und ihren Ausnahmen vgl. BVerfGE 109, 256 (273 f.); 107, 27 (58); 105, 73 (134); 99, 165 (185); 91, 389 (404); 87, 153 (181); 73, 40 (101 f.); 61, 319 (356); 55, 100 (110). Für Jens Blüggel, Unvereinbarerklärung statt Normkassation, 1998, S. 93 ff., ist die Rechtsfolge der Unvereinbarerklärung grundsätzlich die Anwendungssperre und Aussetzungspflicht. – Der Sinn einer Fortgeltung unter Anwendungssperre scheint allerdings zu den Arkana verfassungsgerichtlichen Wirkens zu gehören. 80 Vgl. BVerfGE 33, 303 (345 ff.); zu Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfGE 98, 365 (402); 94, 241 (257 ff.); 93, 121 (148); 79, 87 (105); 72, 330 (333); 72, 278 (295); 71, 146 (154 ff.); 71, 1 (15); 67, 348 (349). Dazu auch Alfred Rinken, in: Rudolf Wassermann (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. A. 1989, Art. 94, Rn. 47 f. 81 Vgl. BVerfGE 73, 40 (101); 61, 43 (68); 28, 227 (242 f.). Skeptisch Christian Pestalozza, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 519 (532); Hartmut Söhn, Anwendungspflicht oder Aussetzungspflicht, 1974, S. 67 ff. 82 Vgl. BVerfGE 101, 54 (105) – Art. 14 GG; BVerfGE 99, 202 (216); 81, 242 (263); sowie 77, 308 (338) – Art. 12 GG; vgl. dazu auch Hans Heinrich Rupp, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 364 (385 f.). Dezidiert ablehnend zur Anwendung der Unvereinbarerklärung außerhalb des Bereichs von Gleichheitsverstößen: Peter E. Hein, Die Unvereinbarerklärung verfassungswidriger Gesetze, 1988, S. 114 ff. 83 Vgl. auch Klaus Stern, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 93, Rn. 282 (Stand: 1982).

A. Fehlerkalkül für Gesetze

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setzgeberische Gestaltung darstellt. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen Nichtig- und Unvereinbarerklärung. Der Gesetzgeber ist in beiden Fällen aufgefordert, eine andere als die bisherige Regelung zu treffen. Mit Blick auf die Folgen mag durch eine Nichtigerklärung der Handlungsdruck für den Gesetzgeber erhöht sein, eine stärkere inhaltliche Beeinflussung 84 ist jedoch nicht ersichtlich. Wie anhand des ungerechtfertigten Begünstigungsausschlusses aufgezeigt, kann es gute Gründe geben, eine rückwirkende Nichtigerklärung vermeiden zu wollen, die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zählt nicht zu ihnen. b) Tenorierung der Unvereinbarerklärung derzeit unzulässig Es gibt Überlegungen, in der Tenorierung der Unvereinbarerklärung eine vom Normalfall abweichende Aufrechterhaltung verfassungswidriger Gesetze zu sehen, anders gewendet: diese Neutenorierung als Fehlerkalkül für Gesetze zu betrachten. Eine solche Bewertung ist nur auf der Folie des Nichtigkeitsdogmas verständlich und entspricht nicht dem geltenden Recht. Verfassungswidrige Gesetze gelten schon nach Art. 93 Abs. 1 i.V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, bis sie aufgehoben werden. Aus ihrer bloßen Vernichtbarkeit ergibt sich zwar, dass ihre rückwirkende Vernichtung nicht zwingend ist, weshalb es möglich wäre, als Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit auch eine zeitweise Weitergeltung vorzusehen. 85 Doch obliegt die Ausgestaltung der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen nach Art. 94 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber, die zulässige Tenorierung ist demnach im BVerfGG geregelt. Nach §§ 78, 82 Abs. 1, 95 Abs. 3 BVerfGG ist ein mit dem Grundgesetz unvereinbares Gesetz für nichtig zu erklären. Wenn aber die Unvereinbarkeit Voraussetzung der Nichtigerklärung ist, fragt sich ernstlich, was Voraussetzung der Unvereinbarerklärung sein soll. Zudem ist eine vom Grundsatz der Nichtigerklärung abweichende Regelung im BVerfGG nicht ersichtlich. 86 Die bloße Nennung der Unvereinbarerklärung in §§ 31 Abs. 2, 79 Abs. 1 BVerfGG kann nicht als ausreichend erachtet werden. 87 Auch die Anführung allgemeiner Prinzipien aus dem 84 Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist vielfach weniger durch Nichtigerklärungen bedroht als durch Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes, in denen es en detail darlegt, wie eine verfassungsmäßige gesetzliche Regelung in der Zukunft aussehen sollte; dazu Jürgen Jekewitz, Der Staat 19 (1980), 535 (546 f.), mit Rechtsprechungsnachweisen. 85 Vgl. beispielsweise Art. 140 Abs. 5 B-VG Österreich, wonach der Verfassungsgerichtshof bei Aufhebung eines verfassungswidrigen Gesetzes eine Frist bis zu 18 Monaten bis zum Außerkrafttreten des Gesetzes vorsehen kann. 86 Schon Hartmut Söhn, Anwendungspflicht oder Aussetzungspflicht, 1974, S. 94 f., hielt eine Neuregelung des BVerfGG für unerlässlich. An diesem Befund hat sich nichts geändert. 87 So aber BVerfGE 91, 186 (207); Detlev B. Rein, Das Normbestätigungsverfahren, 1991, S. 38. Soweit das Bundesverfassungsgericht Übergangsschwierigkeiten ferner durch

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Grundgesetz überzeugt wenig. 88 Schließlich ist der Idee, die Unvereinbarerklärung finde ihre Rechtsgrundlage in einer verfassungsgerichtlichen Rechtsfortbildung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, 89 entgegen zu halten, dass das Bundesverfassungsgericht zu dieser Rechtsfortbildung nicht befugt ist, 90 da die Ausgestaltung der Tenorierung von Verfassungs wegen (Art. 94 Abs. 2 GG) dem Gesetzgeber zusteht. Bis dieser sich zu einer klaren, insbesondere nicht widersprüchlichen, Regelung durchgerungen hat, 91 fehlt dem Tenor der Unvereinbarerklärung durch das Bundesverfassungsgericht die notwendige gesetzliche Grundlage.

IV. Die verfassungskonforme Auslegung als Fehlerkalkül? Das Fehlerkalkül für Gesetze im deutschen Recht ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 i.V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Danach gelten verfassungswidrige Gesetze, bis sie durch das Bundesverfassungsgericht oder den Gesetzgeber aufgehoben werden. Im juristischen Schrifttum wird dagegen insbesondere im Zusammenhang mit der Normenkontrolle die verfassungskonforme den Erlass von Übergangsregelungen begegnet, ist dies nach Ansicht von Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 474, nicht mehr zur Vollstreckung nach § 35 BVerfGG zu rechnen, vielmehr betätige es sich hier als Ersatzgesetzgeber. 88 Philip Kunig, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2000, Art. 1, Rn. 59, nennt Gewaltenteilung und Demokratieprinzip als Hintergrund der im Verfassungsprozessrecht nicht unmittelbar vorgesehenen Differenzierungen im Entscheidungsausspruch. 89 Christian Pestalozza, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 519 (521), geht von einer Lücke im BVerfGG aus, deren Schließung „offenbar“ dem Bundesverfassungsgericht übertragen worden sei. Vgl. ferner Malte Graßhof, in: Dieter C. Umbach u. a. (Hg.), BVerfGG, Mitarbeiter-Kommentar, 2. A. 2005, § 78, Rn. 83, der aber mit seiner Anmerkung, die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung ändere nichts an der Akzeptanz dieser Rechtsprechung, eine soziologische Fundierung der rechtlichen Zulässigkeit versucht. Auch Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 580, stellt zunächst fest, dass die Neutenorierungen des Bundesverfassungsgerichtes streng genommen eine Verfassungsänderung erfordert hätten, um sich dann von jedem Gedanken an Normativität mit der Bemerkung zu verabschieden, es gelte eben, was sich durchsetze. 90 Jens Blüggel, Unvereinbarerklärung statt Normkassation, 1998, S. 152 ff., 167, lehnt die Unvereinbarerklärung als unzulässige gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung jedenfalls für gleichheitswidrige und sonst defizitäre Gesetze ab; zulässig könne sie nur dann sein, wenn ein Mindestbestand an Normen verfassungsrechtlich gefordert ist (S. 168 ff., 186 ff.). 91 Wenig optimistisch diesbezüglich ist Rüdiger Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 3. A. 2006, Rn. 321: „An der verfahrensrechtlichen Grauzone um den wichtigsten verfahrensrechtlichen Normenbestand des Staats wird sich nichts ändern.“ Die Lückenhaftigkeit des BVerfGG ist vielfach bemängelt worden, vgl. nur Klaus Schlaich, VVDStRL 39 (1981), 99 (136 f.).

A. Fehlerkalkül für Gesetze

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Auslegung [wenn auch ohne Nennung des einschlägigen Begriffs] als Fehlerkalkül für Gesetze identifiziert. 92 Die verfassungskonforme Auslegung ist aber kein Fehlerkalkül. Sie ist ein Instrument des Bundesverfassungsgerichts, mit dem die Wirksamkeit des bestehenden Fehlerkalküls für Gesetze verstärkt wird, indem der Zugang zur und die Aufhebungsmöglichkeit in der Normenkontrolle beschränkt wird und die verfassungskonforme Auslegung als Form der Vereinbarerklärung des Gesetzes mit der Verfassung fungiert. 1. Die Beschränkung des Zugangs zur Normenkontrolle Als rechtsanwendende Instanzen haben nur die Fachgerichte bei der Anwendung formeller nachkonstitutioneller Gesetze direkten Zugang zur Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG. Halten sie ein solches Gesetz für verfassungswidrig, können sie es nicht einfach außer Anwendung lassen, sondern müssen es dem Bundesverfassungsgericht bzw. dem zuständigen Landesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen. a) Die Vorlageregelung selbst als Fehlerkalkül? In dieser Vorlageregelung sieht Joachim Burmeister eine Art Fehlerkalkül. 93 Schließlich verlange Art. 100 Abs. 1 GG, dass das Fachgericht von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt sein müsse, um es vorlegen zu können. Die Bestandskraft des Gesetzes setze sich daher gegenüber der Gültigkeitsanzweiflung durch, wenn das verfassungswidrige Verständnis nur eine mögliche Auslegung darstelle. Darin liegt aber kein eigenständiges Fehlerkalkül. Die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist für die Fachgerichte die einzige Möglichkeit, ein verfassungswidriges nachkonstitutionelles Parlamentsgesetz vernichten zu lassen. Wird die Vorlagemöglichkeit beschränkt, ist die mögliche Vernichtung erschwert, auf die Geltung des vernichtbaren Gesetzes hat dies keinen unmittelbaren Einfluss. b) Die Beschränkung der Vorlagemöglichkeit Mit seinem eigenen Verständnis der verfassungskonformen Auslegung als Vorverfahren der konkreten Normenkontrolle hat das Bundesverfassungsgericht die Vorlagemöglichkeit der Fachgerichte erheblicher Einschränkung unterworfen. 94 Die Vorgabe von Joachim Burmeister, allein die Möglichkeit verfassungswidri92 Statt vieler Hans D. Jarass, in: ders. / Bodo Pieroth, Grundgesetz, 8. A. 2006, Art. 20, Rn. 34: „Die Folge der Nichtigkeit greift nicht, wenn eine verfassungskonforme Auslegung möglich ist.“ [Hervorhebung im Original.] 93 Zum Folgenden Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 70 ff.

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ger Deutung berechtige noch nicht zur Vorlage, wird geradezu umgekehrt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes schließt nämlich die Möglichkeit einer verfassungsgemäßen Deutung die Vorlage zur konkreten Normenkontrolle aus. 95 Allerdings müsse das Bundesverfassungsgericht die Beurteilung des Fachgerichtes, dass eine verfassungskonforme Auslegung unmöglich ist, grundsätzlich hinnehmen, sofern sie nicht unhaltbar ist. 96 Dieser Grundsatz scheint in der Praxis jedoch Ausnahmen zu erfahren. Teilweise widerspricht das Bundesverfassungsgericht dezidiert der fachgerichtlichen Auffassung, ohne sie für unhaltbar zu erklären. 97 Fast noch problematischer erscheinen die Fälle, in denen das vorlegende Gericht von einer bestimmten Auslegung als eindeutig überzeugt ist und daher gar keinen Anlass sieht, eine verfassungskonforme Auslegung in Betracht zu ziehen. 98 Insgesamt hat die Versperrung des Weges der konkreten 94 Dazu schon oben Teil 1 E I 2. Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (199 f.), fordert einen Abschied von den strikten Entlastungsargumentationen des Bundesverfassungsgerichtes, da zum einen die Fachgerichte gezwungen würden, entgegen ihrer Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes nach grundrechtskonformen Auslegungen zu fahnden, und zum anderen eine echte Entlastung gar nicht eintrete, da die als konkrete Normenkontrolle abgewehrte Frage im Zweifel später als Verfassungsbeschwerde wiederkehre. 95 Dazu Thomas Clemens, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Art. 100, Rn. 123 ff.; kritisch Joachim Wieland, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 100, Rn. 17, mit Blick auf eine mögliche Überforderung der Fachgerichte. 96 Vgl. BVerfGE 96, 315 (325); 7, 171 (175). Willi Geiger, EuGRZ 1984, 409 (414), identifiziert drei Ausnahmen von dem Grundsatz, dass es auf die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts ankommt: die objektive Unhaltbarkeit, verfassungsrechtliche Vorfragen und die Anwendung verfassungsgerichtlich entwickelter Rechtssätze. Nach zustimmungswürdiger Ansicht von Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (199 f.), muss ausreichend sein, dass eine verfassungskonforme Auslegung sich dem Fachgericht nicht aufgedrängt hat. 97 Vgl. BVerfG (K), NJ 2006, 170 [FG: zutreffende gefestigte gegenteilige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes – BVerfG: keine Auslegungsüberprüfung durch Normenkontrolle]; BVerfG (K), NVwZ-RR 2001, 311 ff. [FG: eindeutiger Wortlaut und Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers – BVerfG: Gesetzesmaterialien und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung]; BVerfG (K), FamRZ 2000, 947 f. [FG: klarer Wortlaut und eindeutige Zielsetzung des Gesetzgebers – BVerfG: Wortlaut steht zumindest teleologischer Reduktion nicht entgegen und die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers sind aus den besonderen Gründen des vorliegenden Falles kein Hindernis]. Konsequent nur BVerfG (K), NJW 1997, 2230 f., wonach die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts zur fehlenden Auslegungsfähigkeit der Norm unvertretbar sei. 98 Vgl. nur BVerfG (K), NVwZ 2004, 974 (975) [BVerfG: Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung einer Regelfrist von zwei Monaten nicht erörtert]; BVerfG (K), NZA 1999, 597 f. [FG: eindeutige Absicht des Gesetzgebers – BVerfG: offener Wortlaut]; BVerfG (K), NJW 1997, 792 f. [FG: Richtlinie ist abschließend – BVerfG: keine Ausführungen zu verfassungskonformer Auslegung oder abschließendem Charakter der Richtlinie]; BVerfGE 88, 187 ff. [FG: klarer und eindeutiger Wortlaut – BVerfG: ersichtlich verschiedene Deutungen möglich].

A. Fehlerkalkül für Gesetze

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Normenkontrolle den unangenehmen Nebeneffekt, dass die Fachgerichte zu mehr oder weniger exzessiven Umdeutungen und Korrekturen der fraglichen Gesetze ermuntert werden. 99 c) Beschränkung der Vorlagemöglichkeit kein Fehlerkalkül Ist das Fachgericht unter Anwendung der anerkannten Methoden zu einer Deutung des fraglichen Gesetzes gelangt, die es für richtig hält und die nicht unhaltbar oder objektiv willkürlich ist, kann das Bundesverfassungsgericht den Zugang zur Normenkontrolle nicht mit Hinweis auf eine bessere, verfassungskonforme Auslegung verschließen. 100 Eine solche Erweiterung der Zugangsvoraussetzungen 101 geht zum einen über die gesetzlichen Anforderungen hinaus und wirft daher Kompetenzfragen im Zusammenhang mit Art. 94 Abs. 2 GG auf. Zum anderen entsteht durch dieses Vorgehen aber auch kein Fehlerkalkül. Durch eine Beschränkung des Zugangs zur konkreten Normenkontrolle wird nicht die Geltung des zweifelhaften Gesetzes angeordnet – die Geltung ergibt sich schon aus dem oben dargestellten Fehlerkalkül für Gesetze – sondern lediglich die potentielle Geltungsdauer verlängert, die Wirksamkeit des bestehenden Fehlerkalküls also verstärkt. 2. Die Beschränkung der Aufhebungsmöglichkeit in der Normenkontrolle Allerdings bringt das Bundesverfassungsgericht auch zum Ausdruck, dass es verfassungskonform auslegbare Gesetze gerade als nicht verfassungswidrig betrachtet und sich daher auch nicht zu einer Aufhebung dieser Gesetze verpflichtet sieht. Darin ist schon eher ein eigenständiges Fehlerkalkül zu erblicken, weil die Aufhebung des vernichtbaren Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht 102 99

So zutreffend Horst Sendler, DVBl. 1988, 828 (838). Anders Franz-Wilhelm Dollinger, in: Dieter C. Umbach u. a. (Hg.), BVerfGG, Mitarbeiter-Kommentar, 2. A. 2005, § 80, Rn. 56, der die Vorlage als ultima ratio begreift, weshalb sie nur zulässig sei, wenn es keine andere Möglichkeit gebe, den Rechtsstreit verfassungskonform zu beenden. – Zum einen kann aber selbst der Zweck der Verfassungskonformität nicht alle Mittel heiligen, auch wenn dies unausgesprochen das Credo der verfassungskonformen Auslegung insgesamt zu sein scheint. Zum anderen kann die konkrete Normenkontrolle nur zur Kassation verfassungswidriger Gesetzesnormen führen, nicht aber ein verfassungskonformes Urteil garantieren, vgl. auch Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 70, Rn. 81. 101 Sehr interessant ist hier ein Vergleich mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Vorlegung nach § 121 Abs. 2 GVG. Nach Lothar Kuhlen, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 89 (109), zieht der Bundesgerichtshof die Betrachtung von Einzelfallumständen heran, um die Voraussetzungen einer Vorlegung zu verneinen, wenn diese in Befolgung der auch hier geltenden Vertretbarkeitsregel eigentlich zu bejahen wären. 100

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nicht schlicht erschwert, sondern ausgeschlossen werden soll. Bei der Normenkontrolle soll das Bundesverfassungsgericht feststellen, ob eine Normkollision zwischen Verfassung und Gesetz (oder zwischen Bundesrecht und Landesrecht) vorliegt. Seine Aufgabe ist die Feststellung der Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit, nicht die Herstellung der gewünschten Konformität. Ein Gesetz ist unvereinbar mit der Verfassung, wenn es nicht ausnahmslos alle im Grundgesetz geregelten Erzeugungsbedingungen erfüllt. 103 Etwas anderes gilt nur, wenn ein entsprechendes Fehlerkalkül existiert. Da seine Entscheidungen nicht Verfassungsrang haben, ist das Bundesverfassungsgericht nicht aus eigener Kraft zur Rettung fehlerhafter Gesetze befugt, sondern bedarf einer grundgesetzlichen Ermächtigung. Es ist jedoch keine Rechtsgrundlage in der Verfassung ersichtlich, die es dem Bundesverfassungsgericht gestattet, anhand eigener Maßstäbe auf die Aufhebung eines vernichtbaren Gesetzes zu verzichten. a) Aufhebungsmöglichkeit ist nicht durch Evidenz beschränkt Fehlerhaft ist daher eine Unterscheidung zwischen schwerwiegenden und unbeachtlichen Verfassungsverstößen, 104 wenn das Bundesverfassungsgericht beispielsweise mit ausdrücklichem Bezug zu den Fehlerregelungen für Verwaltungsakte annimmt, Verfahrensfehler in der Gesetzgebung führten nur bei Evidenz zur Nichtigkeit. 105 Der Unterschied zwischen Verwaltungsakten und Gesetzen ist gerade, dass es an einem solchen Evidenz-Fehlerkalkül für Gesetze fehlt. Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes bleibt es daher, bei einem Widerspruch zwischen Gesetz und Verfassung die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes festzustellen und die derzeit gesetzlich vorgesehene Folge der Nichtigerklärung zu exekutieren. Auch die Reduzierung der konkreten wie abstrakten Normenkontrolle auf die Feststellung einer einzigen Deutungsmöglichkeit als verfassungsgemäß findet im Grundgesetz keine Grundlage.

102 Eine Aufhebung durch den Gesetzgeber ist natürlich immer noch möglich, auch wenn dieser nach einer verfassungsgerichtlichen Erklärung, das Gesetz sei gar nicht verfassungswidrig, da verfassungskonform auslegbar, kaum einen Anlass dazu sehen wird. 103 Vgl. zu fehlerhaften Rechtserscheinungen Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 291 f.; ders., in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1167 (1192). 104 Vgl. Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, 1167 (1194), der es als Naturrecht ansieht, die Wesentlichkeit von Verstößen im Voraus zu bestimmen, die rechtlichen Erfordernisse seien alle gleichwertig. 105 So aber BVerfGE 34, 9 (25).

A. Fehlerkalkül für Gesetze

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b) Reduktion der Normenkontrolle ist keine lobenswerte Selbstbeschränkung Da verfassungswidrige Gesetze ohnehin gelten, bis sie vom Bundesverfassungsgericht oder vom Gesetzgeber aufgehoben werden, ist in der Einschränkung verfassungsgerichtlicher Aufhebungsmöglichkeiten keine lobenswerte Selbstbeschränkung 106 zu Gunsten des Gesetzgebers, sondern eine Pflichtverletzung zu Lasten der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit zu erblicken. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass den verfassungsgerichtlichen Rettungsbemühungen die Annahme des Nichtigkeitsdogmas zugrunde liegt, werden diese kaum plausibler. Toleranz gegenüber mangelhaften Rechtsetzungsakten führt erfahrungsgemäß nicht zur Qualitätserhöhung. 107 Den Folgen der repressiven Normenkontrolle wird durch §§ 79, 82 Abs. 1, 95 Abs. 3 BVerfGG Rechnung getragen. Schließlich harrt die Überzeugung, ein verfassungswidriges Gesetz sei besser als gar keines, jenseits des ungerechtfertigten Begünstigungsausschlusses immer noch tragfähiger Begründung. Und wie oben dargestellt, lassen sich in der Zeit bis zur Neuregelung auftretende Probleme durchaus auch im Wege der Tenorierung lösen, sobald der Gesetzgeber eine diesbezügliche Änderung des BVerfGG vorgenommen hat. 3. Die Vereinbarerklärung in Form einer verfassungskonformen Auslegung Schließlich ist zu fragen, wie es zu bewerten ist, wenn das Bundesverfassungsgericht selbst in der Normenkontrolle eine verfassungskonforme Auslegung vornimmt und entscheidet, das Gesetz sei in dieser Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar. Damit wird nicht pauschal eine Aufhebung ausgeschlossen, sondern das verfassungsrechtlich zweifelhafte Gesetz auf seine unzweifelhaft verfassungskonforme Deutung reduziert und in dieser Erscheinung für verfassungsgemäß erklärt. Fraglich ist, ob diese Form der Normenkontrollentscheidung ein Fehlerkalkül darstellt. Ein Fehlerkalkül ordnet schlicht die Geltung der fehlerhaften Norm an. Ist aber durch verfassungskonforme Auslegung eine verfassungsgemäße Deutung gefunden, kommen die anderen, fehlerhaften Normdeutungen nicht mehr in Betracht. In der Vereinbarerklärung durch das Bundesverfassungsgericht wird das fehlerhafte Gesetz nicht insgesamt, sondern nur in seiner verfassungskonformen Deutung 106 Schon Klaus Schlaich, VVDStRL 39 (1981), 99 (112), stellt zutreffend fest, dass die Freiheit des Gesetzgebers sich nicht nach der Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichtes, sondern nach der Regelungsdichte des Grundgesetzes als Prüfungsmaßstab bestimmt. 107 Vgl. Klaus Schlaich, VVDStRL 39 (1981), 99 (115 ff.); Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 99, weist darauf hin, dass bisher niemand die Idee vertrete, ein fehlerhafter Verwaltungsakt müsse nach Möglichkeit aufrecht erhalten werden.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

aufrecht erhalten. Darauf verweist auch die charakteristische Verwendung des Wortes „soweit“ im Tenor, 108 mit dessen Hilfe der eingeschränkte Geltungsumfang beschrieben wird. Die Vereinbarerklärung in Form einer verfassungskonformen Auslegung ist keine Aufrechterhaltung des fehlerhaften Gesetzes, sondern eine Konformisierung durch Reduzierung des Gesetzesinhalts oder ein Anwendungsausschluss. 109 Daher wird hier auch die viel zitierte Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers tatsächlich relevant. Die Frage der inhaltlichen Umgestaltung von Gesetzen im Wege verfassungskonformer Auslegung soll noch ausführlich behandelt werden. Vorerst bleibt festzuhalten, dass auch die Vereinbarerklärung in Form einer verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht kein Fehlerkalkül darstellt.

V. Verfassungskonforme Auslegung kein Fehlerkalkül für Gesetze Das Fehlerkalkül für Gesetze im deutschen Recht folgt aus Art. 93 Abs. 1 i.V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Danach gelten verfassungswidrige Gesetze, bis sie vom Bundesverfassungsgericht oder vom Gesetzgeber aufgehoben werden. Obwohl die verfassungskonforme Auslegung als Unternehmen zur Normrettung betrachtet wird, ist sie kein eigenständiges Fehlerkalkül. Die vom Bundesverfassungsgericht postulierte Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung als Zulässigkeitsvoraussetzung der konkreten Normenkontrolle stellt lediglich eine unzulässige Verstärkung der Wirksamkeit des Fehlerkalküls dar. Die Einschränkung des Prüfungsmaßstabs oder des Prüfungsumfangs in der Normenkontrolle bedarf einer Rechtsgrundlage in der Verfassung, um zulässig zu sein. Solange ein solches Fehlerkalkül nicht existiert, muss die Vereinbarkeit von Gesetz und Verfassung vollumfänglich geprüft werden. Schließlich ist auch eine Vereinbarerklärung in Form einer verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht kein Fehlerkalkül, sondern eine Umdeutung, auf deren Zulässigkeit noch eingegangen wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die verfassungskonforme Auslegung den Normerhalt nicht bewirken kann und ihre Verwendung regelmäßig unzulässig wird, wenn sie ihm dienen soll, indem die potentielle Geltungsdauer fehlerhafter Gesetze verlängert wird.

108 Zur „Soweit“-Tenorierung: Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 372, 384, 386 ff.; vgl. ferner statt vieler: BVerfGE 107, 27 (28); 104, 126 (127); 87, 68 (69); 72, 200 (201); 62, 117 (119); 47, 46 (80); 28, 324 (324 f.). 109 Dazu noch ausführlich unten, Teil 3 C I 2c, Teil 4 C.

B. Vorzugsregel

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B. Die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel Die Funktion als Vorzugsregel wird von allen Erscheinungsformen der verfassungskonformen Auslegung am wenigsten problematisiert. Sie gilt als rein hermeneutisches Instrument der Rechtsanwendung 110 und steht nicht im Verdacht, Gesetze unzulässig aufrecht zu erhalten oder ihre Inhalte zu verändern. Sie kommt erst nach der „eigentlichen“ Auslegung zum Einsatz 111 und stellt keine eigenständige neue Methode dar, deren Einführung aufwendig gerechtfertigt werden müsste. Sie soll den Interpret / innen lediglich eine über methodische Streitigkeiten erhabene Orientierung geben, welche der vielfältigen Deutungsmöglichkeiten des Gesetzes vorzuziehen ist. Die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel wird deshalb nicht in Frage gestellt, weil ihre Prämisse unstreitig ist: dass eine Norm mehreren Auslegungsmöglichkeiten zugänglich sei. Dieser fehlerhaften Grundannahme schien selbst Hans Kelsen zu erliegen, indem er den Freiraum richterlicher Rechtsanwendung in der Auslegung verortete. 112 Dabei trifft seine Annahme, dieser Freiraum könne nicht mehr rechtlich bzw. dogmatisch, sondern nur noch politisch gefüllt werden, auf wenig Gegenliebe in der Rechtsdogmatik. 113 Auch die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel entspricht dem Anliegen, der Mehrdeutigkeit von Gesetzen mit rechtlichen Mitteln zu begegnen. 114 Damit verschwindet das politische Moment wieder aus der Rechtsanwendung. Die Vorstellung, eine Norm könne mehrere Inhalte haben, hat im Wesentlichen zwei Ursachen: die fehlerhafte Schlussfolgerung aus der zutreffend festgestellten Nichtidentität von Norm und

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Der Rechtsanwendung im herkömmlichen Sinne. Nach der hier vertretenen Auffassung ist auch die Gesetzgebung Rechtsanwendung, nämlich Vollzug von Verfassungsnormen. 111 Zur rhetorischen Sinnhaftigkeit dieser Reihung: Wolfgang Gast, Juristische Rhetorik, 3. A. 1997, Rn. 223. 112 Allerdings lassen seine Ausführungen gerade in diesem Punkt auch die wünschenswerte Klarheit vermissen. So wird die Aufgabe der Interpretation einmal darin gesehen, die möglichen Deutungen einer Rechtsnorm festzustellen, vgl. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 611 (619); ein anderes Mal wird die Interpretation – zutreffender – als begleitendes Verfahren der Rechtserzeugung charakterisiert, welches nur den möglichen Entscheidungsrahmen abstecken soll, vgl. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1363 (1366). 113 Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 155 (158 ff., 165), übersetzt Hans Kelsens Rahmentheorem in semantische Spielräume, die dann wissenschaftlich zu bewältigen sein sollen. 114 Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 507, will das Problem der Mehrdeutigkeit durch eine subsidiäre Präjudizienbindung lösen.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Normtext sowie das Bestreben, dem Gesetz selbst die Regelung des Einzelfalles zu entnehmen.

I. Nichtidentität von Norm und Normtext Die juristische Methodenlehre vertritt das Postulat der Nichtidentität von Norm und Normtext. 115 Darin schlägt sich die Erkenntnis nieder, dass die gesetzliche wie jede Aussage nicht mit dem vermittelten Sachverhalt [der Norm] identisch ist, aber nur so intersubjektiv kommuniziert werden kann. 116 In der juristischen Literatur wird allerdings die fehlerhafte Schlussfolgerung gezogen, Gegenstand der Auslegung und Anwendung 117 bzw. der Normenkontrolle 118 sei der Normtext, nicht die Norm. 119 „Auslegung ist das Bemühen um ein Verstehen des Sinnes von Sprachwerken, von ‚Texten’. Der Theologe interpretiert das Evangelium, der Historiker Schriftdokumente einer vergangenen Zeit, der Philologe das lyrische Gedicht. Der Jurist legt Rechtssätze, vor allem Gesetze aus.“ 120 Sehr ähnlich äußert sich Eberhard Schmidhäuser: „Unter Auslegung eines Gesetzes verstehen wir das Bemühen um das sachgerechte Verständnis des Gesetzestextes. „Auslegung“ ist keine Besonderheit der Rechtsanwendung und der Rechtswissenschaft, sie findet sich überall, wo Texte als objektivierte geistige Äußerung zu verstehen sind, wo es also um die Ermittlung des Sinns eines Textes geht. Auch Bibeltexte und Dichtungen werden „ausgelegt“, [...].“ 121 115 Vgl. nur Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002, Rn. 162; Friedrich Müller, Strukturierende Rechtslehre, 2. A. 1994, S. 234; Peter Schneider, VVDStRL 20 (1963), 1 (5). 116 Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 119. Zur Beziehung von Normen zu ihrer sprachlichen Vermittlung Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 131: „ Die Norm, die der Sinn des Willensaktes ist, ist die Bedeutung des Satzes, der das Produkt des Sprechaktes ist, in dem der Sinn des Willensaktes zum Ausdruck kommt.“ 117 Vgl. Reinhard Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. A. 2006, Rn. 121; Peter Bydlinski, Bürgerliches Recht I, 2000, 1/36; Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 44 f.; Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 18; Wolfgang Gast, Juristische Rhetorik, 3. A. 1997, Rn. 140 ff.; Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 102; Karl Larenz / ClausWilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 25 ff.; Joachim Lege, Pragmatismus und Jurisprudenz, 1999, S. 529 ff.; Gerd Roellecke, VVDStRL 34 (1976), 7 (17 ff., 38). So stellt für Manfred Seebode, JZ 1998, 781 (782), die Überschreitung der Wortlautgrenze ein Judizieren contra legem dar; Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 159, spricht dagegen konsequent von Rechtsfindung praeter oder contra verba legis. 118 Max-Emanuel Geis, NVwZ 1992, 1025 (1027). 119 Zu den – unerfreulichen – Folgen dieser Annahme: Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 25 ff., 47 ff. 120 Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 24.

B. Vorzugsregel

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1. Die sog. strukturierende Rechtslehre: Gesetzgeber als Textproduzent Diese Ineinssetzung von Literaturwissenschaft und Rechtswissenschaft 122 bei der Gesetzesauslegung wird von der sog. strukturierenden Rechtslehre konsequent zu Ende gedacht. Deren Vertreter / innen gehen davon aus, der Gesetzgeber stelle lediglich Texte bereit, die das Gericht bei seiner eigenen Normsetzung als ein Eingangsdatum nutze. 123 Die Kritik daran ist kaum überraschend. Es sind berechtigte Zweifel an der Unterstellung angebracht, der Gesetzgeber wolle sich primär als literarisch Tätiger verstanden wissen. Auch liegt der Reduktion der Gesetzgebung auf die Bereitstellung von Texten ein fragwürdiges Verständnis parlamentarischer Demokratie zugrunde. Ferner wird darauf hingewiesen, dass diese Ansicht mit der Regelung der abstrakten Normenkontrolle nicht vereinbar sei. 124 Schließlich ist zu fragen, warum der Gesetzgeber nur Texte, die Gerichte aber – aus diesen Texten! – Rechtsnormen produzieren können. Schwerlich kann der Normtext als reine Zeichenfolge 125 Gegenstand der Gesetzesbindung sein und doch soll am Ende eine verbindliche Rechtsentscheidung stehen. 126 Woher rührt die normative Kraft der gerichtlichen Entscheide und warum bleibt sie den gesetzgeberischen Entscheiden verwehrt? Zur Frage der Normativität aus dem Nichts tritt das Erkenntnisproblem. Wie lässt sich bsw. ein Gerichtsurteil als Rechtsnorm identifizieren, wenn es an anderen Rechtsnormen als Deutungsschemata fehlt?

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Eberhard Schmidhäuser, Strafrecht, AT, 2. A. 1975, 5/29. Zur Nähe von objektiver Theorie und poetologischer Literaturwissenschaft vgl. Dietrich Busse, Juristische Semantik, 1993, S. 34, 36. Dezidiert gegen Gesetze als literarische Äußerungen: Fritjof Haft, JuS 1975, 477 (481); ganz anders Friedrich Müller, in: Methodik, Theorie, Linguistik des Rechts, 1997, S. 20 (32 ff.), wonach es nur Texte, Texte und Texte gibt, also jede Rechtsarbeit Textarbeit ist. 123 Vgl. Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002, Rn. 225 ff.; Friedrich Müller, Strukturierende Rechtslehre, 2. A. 1994, S. 233, 238, 264, 270; ders., in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 65 (69 ff., 78 f.); Friedrich Müller / Ralph Christensen / Michael Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, 1997, S. 68 ff.; Ralph Christensen / Hans Kudlich, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 205 ff. 124 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 212. 125 So aber Ralph Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989, S. 255 f.: „Gegenstand der Bindung ist nicht der Text als Bedeutung, sondern der Text als Zeichenfolge. Wenn die Fiktion einer objektiv vorgegebenen Bedeutung verabschiedet ist, kann dieser Normtext in seiner Funktion als Durchzugsgebiet für konkurrierende Interpretationen erkannt werden.“ 126 Umfassende Kritik bei Alexander Somek, Der Gegenstand der Rechtserkenntnis, 1996, S. 59 ff. 122

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

2. Der Normtext als kommunikatives Hilfsmittel Die sog. strukturierende Rechtslehre hat sich (noch) nicht durchgesetzt. Obwohl also einerseits angenommen wird, Gegenstand der Auslegung sei der Normtext, wird wohl zugleich davon ausgegangen, dass die Produkte der Gesetzgebung Rechtsnormen sind, nicht nur Texte im Bundes- oder Landesgesetzblatt. Diese Diskrepanz erklärt sich daraus, dass die Bedeutung des Normtextes fehlerhaft bewertet wird. Die Pflicht zur Veröffentlichung des Gesetzestextes 127 dient als Argument, primär den Wortlaut als Erkenntnisquelle zu nutzen. Richtig ist, dass die Vermittlung von und die Kommunikation über Norminhalte nur durch Sprache möglich ist. „Das Recht ist der Sprache ausgeliefert, denn nur über die Sprache wird die Norm ihrem Ausleger zugänglich.“ 128 Doch bleibt der sprachliche Ausdruck der Norm ein reines Hilfsmittel. 129 Den Normtext zum Gegenstand der Auslegung zu machen, stellt eine handgreifliche Verwechslung von Form und Inhalt dar. 130 Damit wird ein kommunikatives Hilfsmittel des Gesetzgebers wichtiger als seine Regelungsintention, statt der rechtlichen Qualität der Regelung steht sprachliches Geschick 131 auf dem Prüfstand. Zutreffend ist daher die Ansicht, der Gegenstand der Gesetzesauslegung sei das Gesetz selbst 132 bzw. die rechtliche Regelung 133, deren Sinn oder Inhalt ermittelt werden sollen. 134 Wenn der Gesetzgeber Rechtsnormen setzt, sollten diese auch Gegenstand des behördlichen bzw. gerichtlichen Erkenntnisinteresses sein.

127 Die Publikationspflicht stellt aber keine Auslegungsregel dar, sondern ist Teil des ermächtigenden Normenkomplexes, also eine Gültigkeitsvoraussetzung. 128 Mit diesem Satz beginnt Nicola Rowe, Recht und sprachlicher Wandel, 2003, S. 23, ihre Arbeit zur Entwicklung einer institutionellen Auslegungstheorie. Vgl. auch Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 150: „Es gibt kein Recht außerhalb der Sprache.“ 129 So auch Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 254. 130 Vgl. Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 260; Matthias Jestaedt, in: Christoph Grabenwarter / Norbert Lüdecke (Hg.), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, 2002, S. 100 (101). 131 Günter Stratenwerth / Lothar Kuhlen, Strafrecht 1, 5. A. 2004, § 3, Rn. 31, erinnern daran, wie leicht auch dem Gesetzgeber eine Formulierung misslingen kann, und favorisieren daher die Mindermeinung, das Gesetz selbst sei Gegenstand der Auslegung. 132 Helmut Köhler, BGB, Allgemeiner Teil, 30. A. 2006, § 4 Rn. 12 f. 133 Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 4. A. 1992, S. 292; Dieter Leipold, BGB I, 3. A. 2004, Rn. 82. 134 Für Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 102, ist Auslegung nicht Wort-, sondern Normklärung.

B. Vorzugsregel

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3. Nur ein einziger Inhalt der Norm Allerdings wird die Konsequenz dieser Auffassung nicht immer in aller Schärfe festgestellt: Wenn Gegenstand der Auslegung nicht mehr der Normtext ist, sondern die Norm, kann Ergebnis der Auslegung nicht mehr eine Vielzahl möglicher Norm(text)deutungen sein. Auslegung ist ein Erkenntnisakt, Rechtsetzung ist ein Willensakt. Das gerichtliche bzw. behördliche Erkenntnisinteresse bezieht sich folglich auf die Willensbetätigung des Gesetzgebers. Dass bei einfacher Willensbetätigung multiple Willensinhalte gesetzt werden könnten, mag als Beschreibung eines Krankheitsbildes akzeptabel sein, zur Darstellung des Rechtsetzungsvorganges taugt diese Vorstellung wenig. Wie die meisten Texte kann auch ein Normtext mehrere Deutungen zulassen. Aber eine Rechtsnorm hat nur einen Inhalt. 135 (Dass ein Gesetzestext mehrere Willenssetzungen und damit mehrere Normen verkörpern kann, versteht sich von selbst, ist aber eine andere Frage.) Die Kritik an dieser Auffassung dürfte den Argumentationslinien folgen, mit denen sich jedes Postulat von nur einer richtigen Normdeutung 136 konfrontiert sieht. Neben dem Problem richtiger Erkenntnis, zu dem später Ausführungen erfolgen sollen, wird insbesondere das Entstehen einer statischen Rechtsordnung gerügt. Mit der Feststellung von Ludwig Wittgenstein, die Bedeutung eines Wortes sei sein Gebrauch in der Sprache, 137 ist die Vielfalt und der Wandel von Textbedeutungen 138 in einer lebendigen und pluralistischen Sprachgemeinschaft erklärt. Die Identifizierung der Norm mit ihrem Text lässt dann den Schluss auf einen Ge135 So auch Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 71 f., der die verfassungskonforme Auslegung daher nur als Ausschluss von Anwendungsbereichen der Norm akzeptiert. 136 Da die Unterscheidung von Rechtserkenntnis und Rechtsetzung für die hier vertretene Position zentral ist, darf das Postulat von nur einer richtigen Normdeutung nicht verwechselt werden mit dem Postulat von nur einer richtigen Entscheidung. Zur sog. right-answer-thesis: Ronald Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, 1984, S. 448 ff.; dazu ausführlich Claudia Bittner, Recht als interpretative Praxis, 1988, S. 215 ff., und kritisch Anusheh Rafi, Kriterien für ein gutes Urteil, 2004, S. 28 f., m.w. N. Zur richtigen Entscheidung als regulativer Idee: Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 3. A. 1996, S. 264 ff., 414; Katja Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, 1996, S. 30 ff.; Joachim Lege, Pragmatismus und Jurisprudenz, 1999, S. 525 f.; Lorenz Schulz, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 153 (155 ff.); skeptisch Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 2. A. 1992, S. 278. Die Auffassung, es gebe nur eine richtige Einzelfallentscheidung, wird hier gerade nicht geteilt, dazu unten Teil 4 D II, III. 137 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen 43, Werkausgabe Bd. 1, 11. A. 1997, S. 262. Ausführlich zur Rezeption Wittgensteins in der Rechtstheorie: Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 119 ff.; anhand zweier ausgewählter Rezipienten (H. L. A. Hart und Peter Schiffauer): Dietrich Busse, Juristische Semantik, 1993, S. 135 ff., 190 ff. 138 Soweit ersichtlich, hat sich bisher aber nur Nicola Rowe, Recht und sprachlicher Wandel, 2003, ausführlich mit der Problematik sprachwandelkonformer Auslegung befasst. – Allerdings wird auch in ihrer Arbeit die Bedeutung des Gesetzgebers extrem

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setzeswandel zu. 139 Das Recht soll so „lebendig“ wie die Sprache sein können. 140 Ist das Gesetz dagegen nicht mit seinem vielfältig deutbaren Normtext identisch, sondern Produkt einer gesetzgeberischen Willensbetätigung, kann eine Änderung des Gesetzes nur durch eine erneute Willensbetätigung des Gesetzgebers erfolgen. Damit verfällt die Rechtsordnung aber noch nicht in einen statischen Zustand. Die derzeit geltende Rechtsordnung ist dynamisch, weil sie ausdifferenziert ist und arbeitsteilig funktioniert. Durch eine Vielzahl von Rechtsetzungsprozessen auf allen Stufen wird die Rechtsordnung täglich gewandelt und fortentwickelt. Die Befürchtung einer statischen Rechtsordnung beruht auf einer zweiten fehlerhaften Annahme: dass die Rechtsordnung im Großen und Ganzen mit den geltenden Gesetzen identisch sei. Diese Prämisse kann noch einmal auf andere Weise zu dem Schluss verleiten, Gesetze seien einer Vielzahl von Deutungen zugänglich. Dabei steht nicht die Verwechslung von Norm und Normtext im Vordergrund, sondern die Verkennung des generell-abstrakten Regelungscharakters von Gesetzesnormen.

II. Generell-abstrakte Regelung und Einzelfall Wenn Urteile, Verwaltungsakte und privatrechtliche Rechtsgeschäfte keine Rechtsnormen sein sollen, ist der Normenbestand der Rechtsordnung schlagartig extrem verkleinert. Dann kommen als rechtliche Größen nur noch Gesetze (im materiellen Sinne) und Verfassungsnormen in Betracht. Wenn der Erlass von Urteilen und Verwaltungsakten oder der Abschluss von Verträgen keine Rechtsetzungsakte darstellen, muss die rechtliche Entscheidung des Einzelfalles in irgendeiner Weise schon im Gesetz liegen. Der Vielfalt der Lebenssachverhalte soll eine Vielfalt von Norminhalten korrespondieren. 141 Diese Überzeugung, der

relativiert, da Nicola Rowe davon ausgeht, dass der Gesetzgeber nur objektive Ideen verwirklicht, die schon vor der Gesetzgebung vorhanden sind (vgl. S. 135 ff.). 139 Siehe auch Ulrich Schroth, in: Arthur Kaufmann / Winfried Hassemer (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6. A. 1994, S. 344 (351 ff.), zum Verständnis Wittgensteins in der Jurisprudenz: die Gebrauchstheorie der Bedeutung als Bedeutungstheorie von Normen. Sehr kritisch setzt sich Ute Stöhr, Der juristische „Bedeutungswandel“, 1994, passim, aus linguistischer Perspektive mit der weitgehend unreflektierten und theoretisch wie methodisch nicht abgesicherten Verwendung des Begriffes „Bedeutungswandel“ in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft auseinander. 140 Vgl. nur Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. A. 2006, S. 25 ff., 47, wonach der grundsätzlich bestehende Bedeutungsspielraum von Gesetzesworten über eine geltungszeitliche Auslegung den (notwendigen) Bedeutungswandel von Gesetzen ermöglicht; ferner Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 577 ff., zum sog. Funktionswandel von Rechtsnormen. Siehe auch Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 5. 141 Vgl. statt vieler Agnes Launhardt, Rechtstheorie 32 (2001), 141 (151), wonach sich das Erfordernis einer hochgradig interpretierbaren Rechtssprache aus dem Entscheidungs-

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Einzelfallentscheid müsse schon in der generellen Rechtsnorm enthalten sein, findet ihren paradigmatischen Ausdruck im sog. Justizsyllogismus. 1. Der sog. Justizsyllogismus Der Syllogismus ist eine logische Figur, bei der aus zwei Prämissen eine Schlussfolgerung gezogen werden kann, indem die Begriffe der Aussagen zueinander in Beziehung gesetzt werden. Es handelt sich um eine Form des logischen Schließens, die Konklusion expliziert lediglich, was in den Prämissen schon enthalten ist. 142 Im Zuge von Rationalisierungsbemühungen in Recht und Rechtswissenschaft wurde der sog. Justizsyllogismus entwickelt. 143 Aus der einschlägigen generellen Rechtsnorm und dem jeweiligen Lebenssachverhalt soll der Einzelfallentscheid geschlossen werden können. 144 Immer wieder wird betont, dass damit aber kein Subsumtionsautomatismus verbunden sei. 145 Schon die Feststellung des Sachverhaltes wie das In-Beziehung-Setzen der Begriffe verlange eigene Wertungen der rechtsanwendenden Instanz. 146 Diese Einschränkung ist verdienstvoll. Doch der Versuch, logische Figuren auf Rechtsnormen anzuwenden, beruht auf unzutreffenden Auffassungen über generelle Rechtsnormen.

und Begründungszwang sowie der feststehenden Zahl von Rechtssätzen auf der einen und der unbegrenzten Zahl von Problemstellungen auf der anderen Seite ergibt. 142 Robert Weimar, in: Michael W. Fischer u. a. (Hg.), Hermeneutik und Strukturtheorie des Rechts, 1984, S. 155 (160 f.), äußert den Verdacht, es handele sich um eine Verschleierungstechnik, da ein widerspruchsfreier Ableitungs- und Begründungszusammenhang noch nicht die allgemeine Gültigkeit der Prämissen garantiere, deren kaum begrenzte Bewertungsfähigkeit nur zu oft übersehen werde; kritisch auch Ernst Höhn, Praktische Methodik der Gesetzesauslegung, 1993, S. 87 ff. 143 Seitdem erfreut sich diese Figur in Methodenlehren großer Beliebtheit, vgl. dazu Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, insbes. S. 52 ff., 73 ff.; Ernst Höhn, Praktische Methodik der Gesetzesauslegung, 1993, S. 84 ff.; Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 92 ff.; Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 42 ff. Zur pragmatischen Begründung Ute Stöhr, Der juristische „Bedeutungswandel“, 1994, S. 31: „Der Syllogismus besitzt seinen Wert lediglich in seiner Benutzerfreundlichkeit: er ist ein eingängiges Beschreibungsmittel für einen komplexen Rechtsentscheidungsprozess.“ 144 Für einen vollständigen juristischen Syllogismus, der aus fünf Sätzen besteht, die Justizsyllogismus und Subsumtionsschluss verbinden: Joachim Lege, Greifswalder Halbjahresschrift 1/2006, 1 (13 f.). Für die Verwendung des Toulmin-Schemas (vgl. Stephen Toulmin, The Uses of Argument, Cambridge 1958): Ulfrid Neumann, Juristische Argumentationslehre, 1986, S. 22 f.; Thomas-Michael Seibert, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 127 (138 ff.); ablehnend Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 37 (58 ff.). 145 Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 30 f., hält eine Subsumtion in schwierigen Fällen (hard cases) für wissenschaftlich unhaltbar. 146 So ausdrücklich Karl Engisch, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 3 (6 ff.).

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Nach den hier vertretenen rechtstheoretischen Grundlegungen können logische Regeln sinnvoll nur auf Aussagen angewendet werden. 147 Aussagen haben die Eigenschaft, wahr oder unwahr zu sein. Normen können gelten oder nicht gelten, was keine Eigenschaft von ihnen ist, sondern ihre Existenz ausmacht. 148 Aus der Existenz einer generellen Norm kann aber nicht auf die Existenz einer individuellen Norm geschlossen werden. 149 Dies ist nur bei Eigenschaften wie der Wahrheit von Aussagen möglich. 150 Die Wahrheit einer Schlussfolgerung ist durch die Wahrheit ihrer Prämissen bedingt. Die Geltung von Normen ist dagegen nicht etwa allein durch die Geltung ihrer Ermächtigungsnormen, sondern vor allem durch einen Willensakt der rechtsetzenden Instanz bedingt. 151 Der Gesetzgeber kann gar nicht alle künftigen konkreten Fälle voraussehen und daher mangels Kenntnis auch nicht ihre konkrete Regelung wollen. 152 Das Gericht oder die Behörde entscheiden in der konkreten Ausgestaltung der Rechtsfolge über Details, beispielsweise von Ort, Zeit und Umfang, die der Gesetzgeber gar nicht mitgeregelt haben kann. Die Geltung einer individuellen Norm kann nicht im Wege der logischen Schlussfolgerung erzielt werden. 153 2. Generelle Norm und Einzelfallnorm Wird die Rechtsetzung durch Gerichte, Behörden und Private anerkannt, kann auch der generell-abstrakte Regelungscharakter von Gesetzen wieder zur Kenntnis genommen werden. Gesetze werden nicht erlassen, um eine Vielzahl von Einzelfällen selbst konkret zu regeln. 154 Sie werden erlassen, um die rechtliche Grundlage zu bilden und den rechtlichen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen Einzelfälle durch den Erlass von konkret-individuellen Rechtsnormen geregelt 147 Deshalb kann die Rechtswissenschaft durchaus mit logischen Regeln arbeiten, wenn sie Aussagen über das Recht trifft, vgl. auch Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 197. 148 Zum Unterschied zwischen Aussagen und Normen ausführlich Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 136 ff. 149 Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 186; ders., in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, 1469 (1481 ff.). 150 Diese Unterscheidung zwischen Geltung und Wahrheit hebt Alexander Somek, Rechtliches Wissen, 2006, S. 16 ff., in einem nachpositivistischen Konzept auf, indem er zugrunde legt: „Die Geltung einer Norm ist abhängig von der Geltung des Satzes, der die Geltung der Norm behauptet.“ (S. 16) und von dort aus prüft, unter welchen Bedingungen die juristische Behauptung wahr ist (S. 19 ff.). Zu dieser Strategie vgl. auch Teil 4 D II 1. 151 Dazu oben, Teil 2 C, D I 4. Außerdem erinnern wir uns: Auctoritas non veritas facit legem. 152 Zutreffend Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 36, 189 ff. 153 Ausführlich Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 179 ff.; Rainer Lippold, Recht und Ordnung, 2000, S. 374 ff. Zur misslichen Verwechslung von logischem und juristischem Urteil vgl. auch Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 185.

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werden können. Die Setzung ist Bedingung der Geltung einer Rechtsnorm. Es gibt keinen Weg von der generellen zur individuellen Rechtsnorm, der nicht über einen Willensakt der sog. rechtsanwendenden Instanz führt. 155 Nicht der Gesetzgeber normiert den Einzelfall, sondern Gerichte oder Behörden. Der Inhalt einer Gesetzesnorm besteht nicht aus einer Vielzahl von Einzelanordnungen. Eine Gesetzesnorm ist eine abstrakt-generelle Regelung. Wenn Rechtsanwender / innen die konkrete Entscheidung nicht mehr im Gesetz zu finden glauben, sondern sich bewusst machen, dass sie den Einzelfall selbst entscheiden, kann auch die Suche nach „subsumtionsfähigen“ Gesetzesinhalten beendet werden. Richtet sich das Erkenntnisinteresse dagegen auf eine generell-abstrakte Regelung als Rahmen der Rechtsetzung im Einzelfall, erscheint die Auffassung, die Gesetzesnorm enthalte nur einen und nicht mehrere solcher Rahmen, schon deutlich plausibler.

III. Keine Deutungsmehrheit – keine Vorzugsregel Wird die Nichtidentität von Norm und Normtext dahingehend aufgelöst, dass Gegenstand der Auslegung der Normtext sei, ist eine Gesetzesnorm so vielen Deutungen zugänglich wie ihr dem Sprachwandel unterworfener Text. Die Konzentration auf das kommunikative Hilfsmittel des Gesetzgebers macht die Rechtswissenschaft aber zur Literaturwissenschaft und wird dem Umstand nicht gerecht, dass Gesetze normative Größen sind. Gesetzgebung ist Willensbetätigung des Gesetzgebers, dem nicht zu unterstellen ist, dass er dabei multiple Willensinhalte erlässt. Aus der Nichtidentität von Norm und Normtext ist zu folgern, dass Gegenstand der Auslegung die Norm ist, nicht ihr Text. Eine Rechtsnorm als Produkt eines Willensaktes hat aber nur einen Inhalt. Dieses Ergebnis wird auch nicht mit Blick auf die zu regelnden Lebenssachverhalte erschüttert. Wer die Regelung des Einzelfalles im Gesetz sucht, muss davon ausgehen, dass es so viele Deutungen wie Lebenssachverhalte gibt. Gesetze sind aber generell-abstrakte Regelungen und enthalten damit nur Grundlage und Rahmen für die Rechtsetzung im Einzelfall. In Ermangelung einer Mehrheit von Deutungen kann die verfassungskonforme Auslegung nicht als Vorzugsregel bei der Gesetzesauslegung fungieren.

154 Anders aber Jan Schapp, Hauptprobleme der juristischen Methodenlehre, 1983, S. 6 ff., wonach das Gesetz nicht etwas Allgemeines, sondern selbst schon etwas Besonderes sei, weil es einen oder mehrere in der Zukunft liegende Einzelfälle entscheide. – Neben der sich aufdrängenden Frage, wozu es dann noch irgendwelchen Justizpersonals bedarf [la bouche de la loi?], ist anzumerken, dass Schapps exklusive und recht autoritäre Bezugnahme auf den Universalienstreit höchstens erhellt, dass schon seit Jahrhunderten auch andere Prämissen vertreten werden können. 155 Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, 1469 (1484 ff.).

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

C. Die verfassungskonforme Auslegung als Inhaltsbestimmung von Gesetzen Die Inhaltsbestimmung von Gesetzen mit Hilfe der Verfassung wird am ehesten als ein Phänomen der verfassungskonformen Auslegung identifiziert. In Methodenlehren und Lehrbüchern wird sie unter Fragen der (systematischen) Auslegung erörtert. Damit verbunden ist die Vorstellung, die Inhaltsbestimmung von Gesetzen mit Hilfe der Verfassung sei ein reines Erkenntnisproblem. Hartmut Maurer weist auf einen weiteren Zusammenhang, wenn er schreibt: „Die Unanwendbarkeit bzw. Nichtigkeit [gegen höherrangiges Recht verstoßender Rechtsnormen] tritt allerdings nur ein, wenn die Kollision nicht im Wege der Auslegung (gemeinschaftsrechtskonforme oder verfassungskonforme Auslegung) bereinigt werden kann.“ 156 Die verfassungskonforme Auslegung ist damit nicht reiner Erkenntnisakt, sondern (auch) eine Strategie zur Bewältigung von Normkollisionen. 157 Dabei ist zwischen den Fachgerichten und Behörden, welche die Gesetze anwenden, und dem Bundesverfassungsgericht, welches die Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft und sie ggf. für nichtig erklärt, zu unterscheiden.

I. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung durch Gerichte und Behörden Im Bereich der Rechtsanwendung durch Gerichte und Behörden herrscht immer noch die Überzeugung vor, die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung sei ein Rechtserkenntnisakt oder doch zumindest von einem weiten Interpretationsbegriff gedeckt. Verschwommene Vorstellungen über ihre Einordnung werden dadurch begünstigt, dass unklar bleibt, wie die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung konkret funktioniert, also wie die Verfassung ins Gesetz kommt. 158 Eine genauere Analyse dieses Vorgangs wird selten für nötig erachtet, da doch alle Beteiligten wissen sollten, was gemeint ist. Hinter dem Begriff der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung verbergen sich aber ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie das Recht selbst oder seine Anwender / innen Normkollisionen auflösen sollen. 156

Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 4, Rn. 8. Vgl. Curt Wolfgang Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, 1995, S. 135, wonach es bei der verfassungskonformen Auslegung weniger um Normkonkretisierung denn die Konfliktlösung zwischen Rechtssätzen auf verschiedener hierarchischer Ebene geht. 158 Vgl. statt vieler Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. A. 1995, Rn. 80, wonach der gewünschte Einklang mit der Verfassung „auch dadurch hergestellt werden [kann], dass ein mehrdeutiger oder unbestimmter Inhalt des Gesetzes durch Inhalte der Verfassung bestimmt wird.“ – Nähere Erläuterungen fehlen. Offen bleibt insbesondere, ob der Gesetzesinhalt schlicht durch einen Verfassungsinhalt ersetzt werden soll. 157

C. Inhaltsbestimmung von Gesetzen

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Diese reichen von der automatischen Konformisierung über die verfassungskonforme Schnittmenge bis hin zur Kompatibilisierung durch Interpretation. 1. Automatische Konformisierung von Gesetz und Verfassung Erkenntnis bezieht sich immer auf etwas Vorgegebenes. Wer die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung zum Rechtserkenntnisakt erklärt, muss davon ausgehen, dass der verfassungskonforme Inhalt des Gesetzes bereits vorhanden ist und nur erkannt werden braucht. Und tatsächlich: Die Gesetze sollen durch die Verfassung selbst modifiziert und korrigiert werden können. 159 Wenn sich die Rechtsordnung derart unabhängig von menschlichen Eingriffen (in Form von Rechtsetzungsakten) in einen verfassungsgemäßen Zustand versetzen könnte, wäre die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung tatsächlich ein reiner Erkenntnisvorgang, da der neue verfassungsgemäße Zustand nur festgestellt werden müsste. Der autopoietische Charakter des Systems Recht wäre aber missverstanden, wo auf solche Phänomene der Selbstregulierung gehofft wird. 160 Dieses Missverständnis beruht im Wesentlichen auf der in der deutschen Rechtsdogmatik weit verbreiteten Vorstellung, Rechtsnormen müssten nicht geändert werden, sondern könnten sich „von selbst“ ändern. Besser bekannt ist diese Ansicht unter dem Stichwort „lebendes Recht“ sowie in der Aussage, das Gesetz könne (oder müsse) klüger sein als der Gesetzgeber. a) Lebendes Recht und klügeres Gesetz Geht man mit einer weit verbreiteten Ansicht davon aus, dass das Gesetz klüger sein kann als der Gesetzgeber 161 – eine Sentenz, die bei näherem Hinsehen schlicht besagt, dass die interpretierende Instanz klüger sein kann (bzw. will) als die gesetzgebende 162 – entfernt sich das Gesetz mit Erlass von seinem Schöpfer und 159 Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung, 1999, S. 36. Vgl. auch BVerfGE 36, 193 (211), zu der Frage, wer prüfen soll, ob die Verfassung die Rechtslage im Einzelfall modifiziert hat. 160 Autopoiesis meint zwar Selbstregulierung, allerdings regelt das Rechtssystem seine Normkollisionen durch Kollisionsregeln, nicht durch magisch anmutende Verfassungskonformisierung. Das System ist operativ geschlossen und bei seinen Anpassungsleistungen daher auf seine systemeigenen Mechanismen – Erzeugung, Änderung und Aufhebung von Rechtsnormen durch Rechtsetzungsakte – angewiesen und beschränkt. Dazu oben, Teil 2 D I 4. 161 Vgl Norbert Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 4. A. 2007, Rn. 179a; Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, 1950, S. 17 f.; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. I, 2. A. 1984, S. 125, m.w. N. Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 55, sieht dieses Phänomen dadurch hinreichend erklärt, dass das Sachproblem im Mittelpunkt aller hermeneutischen Betrachtung stehe.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

entwickelt eine Art Eigenleben, 163 befördert durch die Änderung der Verhältnisse und geänderte Auslegungsergebnisse der Gerichte 164. Diese Idee wird besonders von Vertreter / innen der objektiven Theorie propagiert, welche damit den Willen des Gesetzgebers als Auslegungskriterium zurückdrängen wollen. 165 Zudem ist sie als Antwort auf eine der großen Herausforderungen der Methodenlehre, 166 nämlich den Vorwurf, das Recht ignoriere die Wirklichkeit, zu verstehen. Wie könnte diesem Vorwurf besser begegnet werden als mit der Annahme, das Recht passe sich automatisch veränderten Wirklichkeiten an? 167 Wenn dies zu den Begabungen von Gesetzesnormen zählt, können sie sich gewiss auch der Verfassung anpassen.

162 Treffend Oskar Bülow, Gesetz und Richteramt (1885), hrsg. von Thomas Vormbaum, 2003, S. 35: „Gewiß: das Gesetz ist oft klüger als sein Urheber, das Gesetzbuch weiter als der Gesetzgeber! Mit anderen, nüchternen Worten und wohl noch schärfer zutreffend: den Richtern wird oft eine größere und bessere Rechtseinsicht zugemuthet und zugetraut als dem Gesetzgebungspersonal!“ [Hervorhebungen im Original.]; sowie Fritjof Haft, JuS 1975, 477 (481): „Nicht das Gesetz kann also klüger sein als der Gesetzgeber, sondern nur der Gesetzesanwender kann das.“ Kritisch zum „klügeren Gesetz“ auch: Ralph Christensen, in: Friedrich Müller (Hg.), Untersuchungen zur Rechtslinguistik, 1989, S. 47 (52 f.); Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 27, Fn. 105; Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 237; Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 115; Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 722. 163 Pointiert Reinhard Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. A. 2006, Rn. 122: „Eine Norm kann aber im Laufe ihrer Geschichte ein Eigenleben entfalten, sich von ihrer ursprünglichen Bedeutung ablösen und ihren Regelungsgehalt ändern.“; ferner Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. I, 2. A. 1984, S. 125: „Das Gesetz lässt sich nicht als Kind des Gesetzgebers leugnen, aber es ist ein Kind, das in die Zukunft lebt, [...].“ Allerdings stellt Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 50, fest, dass es keine Gesetzesbindung geben kann, wenn der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des Gesetzes die Herrschaft über dieses verliert. 164 So Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 75, Grund der Objektivierung der Normdeutung sei allgemein die „Autointegration“ des positiven Rechts (S. 89). Zutreffend ist aber die Erkenntnis von Ralph Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989, S. 64 f., dass die Anerkennung der Figur des Gesetzeswandels die Prämissen konterkariert, welche die herrschende Anschauung ihrem Konzept von Gesetzesbindung theoretisch zugrunde legt. 165 Grundsätzlich ablehnend daher Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 32 ff., die umgekehrt aus Verfassungsgründen für einen Vorrang des gesetzgeberischen vor dem richterlichen Willen plädieren (S. 48 ff.). Auch Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 238 ff., bescheinigt der objektiven Auslegungslehre ein Verfassungsproblem, das sich nicht durch eine „Wortlautgrenze“ lösen lasse. Sehr kritisch zu den Implikationen der sog. objektiven Interpretation auf Verfassungsebene: Matthias Jestaedt, in: Otto Depenheuer u. a. (Hg.), Nomos und Ethos, 2002, S. 183 (192 ff.). 166 Dazu oben, Teil 1 A V. 167 Peter Häberle, ZfP 21 (1974), 111 (129 f., 133), dechiffriert den sog. Verfassungswandel als ein reines Interpretationsproblem und fordert mehr Ehrlichkeit – also mehr Verfassungsänderungen (S. 134 ff.).

C. Inhaltsbestimmung von Gesetzen

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Allerdings führt der Gedanke eines lebenden Rechts zu schwerwiegenden Problemen. Schon Carl Schmitt unterzog die ihn vertretende objektive Theorie daher vernichtender Kritik: „Es ist oft gesagt worden: Das eben ist der Vorteil unserer [der objektiven] Theorie, daß sie dem Fortschritt der Zeit gerecht wird, daß der „Wille“ wächst und sich entwickelt, wie das Recht, das ja auch ein lebendiger Organismus ist. Sehr gut. Nur ist zu bedenken, daß man unter einen „lebendigen Organismus“ nicht subsumieren kann; daß jede Angabe über das Verhältnis und die Beziehungen der verschiedenen Gestaltungen des Willens zu dem manifesten Inhalt der Gesetze fehlt; daß der Widerspruch ungelöst bleibt: der Wille, den die Rechtsanwendung zu erfüllen vorgibt, ist ihr eigenes Sekret; daß endlich mit dem Wort „Organismus“ nichts klar gemacht ist.“ 168 Das Recht als lebender Organismus birgt zwei grundlegende Probleme. b) Beeinträchtigung von Rechtssicherheit und Gesetzesbindung Zum einen ist bedauerlicherweise auch das klügere lebende Gesetz nicht in der Lage, seine äußere Form dem geänderten Inhalt anzupassen. Die Rechtsunterworfenen sehen sich daher mit variablen Gesetzesinhalten bei konstanter Form konfrontiert. 169 Das Bestimmtheitsgebot, welches nur für den Gesetzgeber, mangels Adressatenfähigkeit aber nicht für das sich ändernde Gesetz gilt, verliert an praktischer Sinnhaftigkeit. Bei der Frage, wie der Gesetzesinhalt neuerdings aussehen könnte, sind die Rechtsunterworfenen auf Auskünfte von Gerichten und Behörden angewiesen. Angesichts stetiger Änderungen und interner Divergenzen verliert die Vorstellung, dass diese den Regelungsgehalt erkennen und nicht selbst festlegen, zunehmend an Plausibilität. Das führt zum zweiten Problem. Wenn das Gesetz immer älter wird und die Rechtsanwender / innen immer klüger, 170 gibt es keine Gesetzesbindung mehr, 171 nur noch die Bindung an den von der Rechtsprechung selbst gesetzten objektiven Sinn des Gesetzes 172. Mit der Bindung 168

Carl Schmitt, Gesetz und Urteil, 1912, S. 35 f. Mit diesem Verständnis der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung wird deren zur Legitimation vorgebrachte normerhaltende Funktion noch fragwürdiger – es geht dann ja wohl um die Erhaltung des Normtextes, nicht der Norm. Auch das Bundesverfassungsgericht zieht hier hin und wieder die Notbremse. Jedenfalls, wenn es feststellt, dass der Normerhalt eine rechtsstaatlich bedenkliche Unklarheit zur Folge hätte, was dann der Fall sein soll, wenn der publizierte Text so weit von der hergestellten verfassungskonformen Rechtslage entfernt wäre, dass er als Handlungsanweisung untauglich würde, und die Rechtsanwendung infolgedessen höchst irrtumsanfällig würde, ohne dass dem ein erkennbarer Vorteil gegenüber stünde, so BVerfGE 101, 312 (330). 170 Eberhard Schmidhäuser, Strafrecht, AT, 2. A. 1975, 5/31, 533, begründet die teleologische Auslegung mit dem Gebot der Vernunft. 171 Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 50, fragt zu Recht, woran die Gerichte denn gebunden sein sollen, wenn der Gesetzgeber mit der Verabschiedung die Herrschaft über das Gesetz verliert. 169

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

der Rechtsprechung an einen Willen, den sie erst selbst festzulegen hat, wird versucht, die Interpretation aus ihrem eigenen Resultat zu legitimieren. 173 Auch WolfDieter Eckardt sieht mit der objektiven Theorie die Auslegung zum Ergebnis ihres Ergebnisses werden. 174 Die Gesetzesbindung ist aufgelöst, wenn Gerichte und Behörden den Regelungsgehalt der Gesetze unabhängig vom gesetzgeberischen Regelungswillen nach eigenem Gutdünken bestimmen können. c) Rechtsänderung nur durch Rechtsetzungsakte Allerdings kann die Auffassung vom lebenden Recht nicht einfach mit Blick auf ihre Folgen verworfen werden. Die Vorstellung, Rechtsnormen seien lebendig und könnten sich von selbst ändern, ist schlicht inkompatibel mit der hier vertretenen Rechtsauffassung. Die unverzichtbare Bedingung für die Geltung von Rechtsnormen ist ein Rechtsetzungsakt. Nur durch einen Willensakt der rechtsetzenden Instanz wird die Rechtsnorm existent. Daher gelten Rechtsnormen mit dem Inhalt, mit dem sie gesetzt wurden, bis sie aufgehoben oder abgeändert werden. 175 Die Aufhebung oder Änderung von Rechtsnormen ist nur durch neue Rechtsetzungsakte möglich, welche die bestehende Rechtsnorm (teilweise) derogieren. 176 Die Anpassung eines Gesetzes an die Verfassung (wie an geänderte Verhältnisse) ist abhängig von einer gesetzgeberischen Willensbetätigung. Weder kann die Verfassung Gesetze ändern, noch können sie „sich selbst ändern“. Wenn Gesetze der Verfassung widersprechen, gelten sie aufgrund des Fehlerkalküls trotzdem – in ihrer Fehlerhaftigkeit – und können vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben oder vom Gesetzgeber geändert werden. 2. Interpretation der Gesamtrechtsordnung: die „verfassungskonforme Schnittmenge“ Eine andere Möglichkeit, die Verfassungskonformisierung durch Interpretation zu legitimieren, liegt darin, den Interpretationsbegriff weiter zu fassen. An der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung wird durchaus als Besonderheit wahrgenommen, dass sie über das eigentliche Ziel der Auslegung – die Sinnermittlung des Norminhalts – hinausgeht, indem sie die inhaltliche Vereinbarkeit von Verfassung und auszulegender Norm fordert. 177 Das Problem wird aber sogleich wieder 172

So Wolfgang Naucke, Strafrecht, 10. A. 2002, § 2, Rn. 60. Carl Schmitt, Gesetz und Urteil, 1912, S. 32. 174 Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 21. 175 Vgl. dazu Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 242 ff., 251 ff.; dagegen bezeichnet Peter Koller, in: Stanley L. Paulson / Michael Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 106 (112 f.), die These der grundsätzlichen Unveränderlichkeit von Rechtsnormen wenig respektvoll als „nahezu lachhaft“. 176 Dazu oben, Teil 2 C I. 173

C. Inhaltsbestimmung von Gesetzen

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entschärft, wenn mit Volker Haak davon ausgegangen wird, dass Verfassung und Gesetze eine Schnittmenge verfassungsmäßiger – und damit gültiger – Gesetzesinhalte bilden. 178 Diese „verfassungskonforme Schnittmenge“ müsste nur durch Interpretation der Gesamtrechtsordnung erkannt werden. Volker Haaks so plausibel klingender Ansatz hat aber einen Schönheitsfehler: Er unterscheidet nicht hinreichend zwischen Inhalt, Geltung und Anwendbarkeit von Gesetzen. a) Zur notwendigen Trennung von Inhalt und Geltung Die Frage, welchen Inhalt eine Norm hat, ist wohl zu trennen von der Frage, ob sie mit diesem Inhalt gilt. 179 Eine schlichte Auslegung kann nur zu dem Ergebnis führen, dass die Gesetzesnorm einen bestimmten Inhalt hat. Der Abgleich mit Verfassungsnormen ergibt dann, ob dieser Inhalt verfassungsgemäß, verfassungsrechtlich bedenklich oder verfassungswidrig ist. Nur in einer Rechtsordnung, welche der Fehlerhaftigkeit eines Norminhalts zwingend die Nichtigkeit der Norm zuordnet, können die Fragen von Inhalt und Geltung gemeinsam beantwortet werden. Die geltende Rechtsordnung sieht aber diverse Fehlerkalküle vor, so dass inhaltlich gegen höherrangiges Recht verstoßende Rechtsnormen trotzdem in Geltung sein können. 180 Die Feststellung und Bewertung des Norminhalts kann daher die Frage der Geltung nicht beantworten. Umgekehrt können Geltungsbedingungen keine Auskunft über Inhalte geben. Die Verfassung kann Rechtserkenntnismittel für Gesetze nur insoweit sein, als mit Hilfe von Verfassungsnormen (als Deutungsschemata) festgestellt werden kann, ob ein Gesetzgebungsakt zu einer geltenden Rechtsnorm geführt hat. Zwar enthalten gerade auch die Grundrechte inhaltliche Vorgaben für die unterverfassungsrechtliche Rechtsetzung. Diese Vorgaben fungieren im Stufenbau aber als rechtliche Erzeugungsbedingungen, deren Nichteinhaltung die Nichtigkeit im Stufenbau nach der derogatorischen Kraft oder die Geltung nur auf Grund eines Fehlerkalküls nach sich ziehen kann. Diese rechtliche Bedingtheit ist nicht mit vollständiger inhaltlicher Determination zu verwechseln. 181 Mit Hilfe der Verfassung 177 So Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 4; Zin-Wan Park, Die verfassungskonforme Auslegung, 1999, S. 59. 178 Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 236. – Das Modell von Begriffskern und Begriffshof, welches für die Textauslegung entwickelt wurde, wird unbesehen auf Rechtsnormen übertragen, die dann in Normkern und Normrand zu differenzieren sind. Ablehnend zum Modell Maximilian Herberger / HansJoachim Koch, JuS 1978, 810 (812). 179 So auch Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (42 f.). 180 Dazu ausführlich oben Teil 3 A I. 181 Vgl. dazu Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1363 (1364 ff.), S. 1625 (1644 ff.);

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

können Inhaltsvorgaben als Erzeugungsbedingungen statuiert werden, doch lässt sich nicht die Frage beantworten, welchen Inhalt ein konkretes Gesetz tatsächlich hat. b) Fehlerhafte Voraussetzungen: Mehrdeutigkeit und modifiziertes Nichtigkeitsdogma Verständlich wird die Verschiebung von der Inhalts- zur Geltungsfrage wohl nur vor dem Hintergrund ihrer beiden wesentlichen Prämissen: der Mehrdeutigkeit von Gesetzen und einem modifizierten Nichtigkeitsdogma, welches dieser Mehrdeutigkeit korrespondiert. Danach führt die Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Inhalte zwingend zur Nichtigkeit – nicht etwa des Gesetzes, sondern der verfassungswidrigen Gesetzesinhalte. 182 So könnte tatsächlich mit Hilfe der Verfassung festgestellt werden, welche Gesetzesinhalte verfassungsgemäß sind und daher noch in Geltung stehen. Nur diese verfassungsgemäßen Inhalte sollen Grundlage der Rechtsanwendung sein. Das Konzept ist attraktiv für Rechtsanwender / innen, weil die Feststellung der Verfassungswidrigkeit gleich auch die Fragen von Geltung und Anwendbarkeit mitbeantworten könnte, so dass nach nur einem Prüfungsschritt die „verfassungskonforme Schnittmenge“ als im konkreten Fall anwendbares Recht ermittelt wäre. Diese Arbeitserleichterung in der Rechtsanwendung sieht sich aber mehreren Einwendungen ausgesetzt. Zum einen kann eine Norm nicht mehrere Inhalte haben, die entweder verfassungsgemäß oder verfassungswidrig sein könnten. 183 Zum anderen zieht die Verfassungswidrigkeit nicht automatisch die Nichtigkeit nach sich, vielmehr muss das verfassungswidrige Gesetz vom Bundesverfassungsgericht oder vom Gesetzgeber aufgehoben werden. Selbst wenn man die Prämissen der Mehrdeutigkeit und der modifizierten Nichtigkeit teilen würde, ist nicht ersichtlich, warum jede rechtsanwendende Instanz angesichts des verfassungsgerichtlichen Verwerfungsmonopols zu einer Art „kleiner Norm(inhalts)verwerfung“ im Vorfeld der Normenkontrolle berechtigt oder gar verpflichtet sein sollte. 184 Allerdings bedeutet dies nicht, dass Gerichte und Behörden auf Grund des Fehlerkalküls zur Anwendung aller auch Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1059 (1067 ff.), S. 1167 (1173 ff.), S. 1573 (1577 ff.), S. 1615 (1622 ff.). Zur (geringen) Bedeutung der Verfassung bei der Gesetzesauslegung siehe unten, Teil 4 B IV. 182 Diese Konzeption, aus der ex-tunc-Nichtigkeit von Gesetzen auf die „Nichtigkeit von Inhalten“ zu schließen, darf sich allen Fragen stellen, die mit der Auflösung des Gesetzes als normativer Größe in verfassungskonforme Inhalte oder Deutungen als ungeklärte Größen einhergehen, vgl. dazu oben Teil 1 E I–IV, Teil 3 B I, C I 1. 183 Dazu oben Teil 3 B I 3. 184 Kritisch auch Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (43); Klaus Rennert, NJW 1991, 12 (18); Uwe Seetzen, NJW 1976, 1997 (2000); Rolf Wank, Grenzen

C. Inhaltsbestimmung von Gesetzen

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noch so fehlerhaften Gesetze gezwungen wären. Wie der Schluss vom Inhalt auf die Geltung ist auch der Schluss von der Geltung auf die Anwendbarkeit nicht zwingend. c) Zur Nichtanwendbarkeit geltender Gesetze Auch wenn Gerichte und Behörden nicht als Subsumtionsautomaten begriffen werden, birgt die Anwendung verfassungswidriger Gesetze regelmäßig die Gefahr, dass die dabei entstehenden Urteile oder Verwaltungsakte selbst fehlerhaft werden. So hat das Fehlerkalkül für Gesetze zwar den Vorteil, dass die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage als geltendes Recht erhalten bleibt. Doch wenn dies zu einer Anwendung aller verfassungswidrigen Gesetze führen sollte, liegt auch der Nachteil auf der Hand. Nach Art. 100 Abs. 1 GG sind verfassungswidrige nachkonstitutionelle Gesetze von Gerichten nicht anzuwenden, sondern dem Bundesverfassungsgericht zur Normenkontrollentscheidung vorzulegen. Damit beschränkt sich die Frage der Bindung an verfassungswidrige Gesetze auf vorkonstitutionelles Recht und Gerichte einerseits und die Gesetzesbindung von Behörden andererseits. Die Frage nach den Auswirkungen eines Fehlerkalküls für Gesetze auf die Rechtsanwendung kann unterschiedlich beantwortet werden. Gerichte und Behörden könnten trotz des Fehlerkalküls ein Prüfungsrecht haben und auch zur Nichtanwendung befugt sein, weil das verfassungswidrige Gesetz ja trotz seiner Geltung mangelhaft ist. Im Interesse der Rechtssicherheit könnte Gerichten und Behörden die Überprüfung aber auch verwehrt sein und sie hätten alle geltenden Gesetze – auch die verfassungswidrigen – schlicht anzuwenden, bis sie aufgehoben werden. Welche dieser rechtstheoretischen Möglichkeiten zutreffend ist, richtet sich nach dem Verständnis der Gesetzesbindung. Unterschiede in der Bindungswirkung und damit in der Anwendung von Gesetzen beruhen auf Art und Ausmaß ihrer Verfassungswidrigkeit. Es ist nicht anzunehmen, dass der Verfassungsgeber mit der in Art. 20 Abs. 3 GG statuierten Gesetzesbindung bewirken wollte, dass Gerichte und Behörden auf Grund dieser Bindung zum Erlass evident und gravierend verfassungswidriger Einzelfallnormen gezwungen werden. Zwar besteht ein Freiraum gerichtlicher und behördlicher Rechtsetzung. Doch kann der durch das verfassungswidrige Gesetz gesteckte rechtliche Rahmen in bestimmten Fällen so beschaffen sein, dass innerhalb dieses Rahmens nur verfassungswidrige Entscheidungen möglich sind. An ein solches Gesetz, dessen Fehlerhaftigkeit sie perpetuieren müssten, sollen Gerichte und Berichterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 104. Pointiert Horst Sendler, DVBl. 1988, 828 (838), wonach das, was Art. 100 Abs. 1 GG verhindern soll, nämlich dass jedes Fachgericht von ihm für fehlerhaft gehaltene Gesetze einfach außer Anwendung lässt, nicht unerheblich durch die verfassungskonforme Auslegung erreicht werde.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

hörden nicht gebunden sein. Die Bindungswirkung verfassungswidriger Gesetze entfällt folglich, wenn sie evident und schwerwiegend verfassungswidrig sind. 185 Im Übrigen spielt es für die Bindungswirkung keine Rolle, ob es sich um ein vor- oder nachkonstitutionelles Gesetz handelt. 186 Auch macht Art. 20 Abs. 3 GG keinen Unterschied zwischen Gerichten und Behörden. Diese sind daher an vorkonstitutionelle wie nachkonstitutionelle Gesetze gebunden und können sie nur, aber immer dann, außer Anwendung lassen, wenn sie evident und schwerwiegend verfassungswidrig sind. 187 Daraus resultierende Streitigkeiten über die Nichtanwendung können vom Bundesverfassungsgericht im Wege der abstrakten Normenkontrolle gemäß § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG auf Antrag entschieden werden. d) Durch Interpretation keine gültige und anwendbare „Schnittmenge“ Der Abgleich von Verfassungsinhalten und Gesetzesinhalten lässt in Rechtsordnungen mit Fehlerkalkül für Gesetze keinen Rückschluss auf die Geltung von Gesetzen zu. Zudem bestehen Gesetze nicht aus multiplen Inhalten. Daher können sie auch nicht in verfassungsmäßige gültige und verfassungswidrige ungültige Mengen zerteilt werden. Ferner kann in einer Rechtsordnung mit Fehlerkalkül für Gesetze aus der Gültigkeit eines Gesetzes nicht geschlossen werden, dass es zwingend anzuwenden ist. Die Zerteilung einer Gesetzesnorm ist ebenso fehlerhaft wie der Schluss von den verfassungsrechtlichen Geltungsbedingungen auf den Gesetzesinhalt, vom Gesetzesinhalt auf dessen Geltung oder von der Geltung eines Gesetzes auf dessen Anwendbarkeit. Die Interpretation der Gesamtrechtsordnung führt daher nicht zu einer verfassungskonformen, gültigen und anwendbaren Schnittmenge, auch wenn dieses Konzept für die sog. Rechtsanwendung recht attraktiv sein mag.

185 Daraus sollte keineswegs geschlossen werden, dass auch das Bundesverfassungsgericht in der Normenkontrolle diese Unterscheidung vornehmen darf; vgl. dazu oben Teil 3 A IV 2a. 186 Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1115 (1152 f., 1161), geht davon aus, dass vorkonstitutionelles Recht mit seiner notwendigen Inkorporation [Art. 123 Abs. 1 GG] dem materiell neuen Recht gleichwertig werde. 187 Schon Fritz Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 308 ff., geht für die Verwaltungsbehörden ausdrücklich von einer Ausnahme von ihrer Anwendungspflicht bei Nicht-Gesetzen und evident verfassungswidrigen Gesetzen aus; vgl. auch Hans Peter Bull / Veith Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. A. 2005, Rn. 894; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 98.

C. Inhaltsbestimmung von Gesetzen

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3. Herstellung der Verfassungskonformität: Kompatibilisierung durch Interpretation? Die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung dient nicht einfach der Ermittlung des bestehenden Gesetzesinhalts. Ihr Erkenntnisziel ist weniger, welchen Inhalt das Gesetz hat, als vielmehr, welchen Inhalt es haben müsste, um verfassungskonform, gültig und anwendbar zu sein. Wenn es mit Hilfe von Auslegungsmitteln und möglichst unter Wahrung der Wortlautgrenze irgendwie machbar ist, soll das Gesetz in diesen wünschenswerten Zustand gebracht werden. Das Gesetz soll verfassungskonform gemacht werden. Dies kann aber nur im Wege einer Inhaltsänderung geschehen. Im Extremfall kann es dabei zu einer Art juristischen Klonverfahrens kommen, bei dem eine Gesetzesnorm von ihrem Inhalt befreit wird, um sodann einen Verfassungsinhalt zu implantieren. In anderen Fällen wird „nur“ eine Modifikation oder Reduktion des ermittelten Gesetzesinhalts vorgenommen. 188 Werner Flume behauptet, dass eine Änderung einzelner Gesetzesinhalte mit Blick auf die Gesamtrechtsordnung inzwischen nicht nur als Auslegung anerkannt sei, sondern teilweise sogar als eigentliche Aufgabe des Interpreten begriffen werde. 189 a) Interpretative Bewältigung von Normkollisionen? Insgesamt hält sich die Vorstellung, dass Normkollisionen im Wege der Interpretation bereinigt werden können oder gar müssen, 190 sehr hartnäckig. Dabei wird insbesondere auf den logischen Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch rekurriert. 191 Der Normenbestand eines Rechtssystems wird aber nicht durch logische, sondern durch rechtliche Sätze (Kollisionsregeln) bestimmt. 192 Und die von den 188

Zu einem durchaus lockeren Verständnis von Gesetzesbindung vgl. auch Otto Bachof, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, 1961, S. 26 (46); Christian Starck, VVDStRL 34 (1976), 43 (70); Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 129 f.: Bindung „vorbehaltlich eines Tatsachen- oder Wertwandels“. 189 Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 4. A. 1992, S. 297 f. Ähnlich Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 150, welche die Herstellung einer sinnvollen Ordnung zwar nicht mehr unter die systematische, aber doch unter eine teleologische in Form von systematisierender Auslegung fassen. 190 Vgl. nur Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 463 ff.; Dagmar Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 242; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 4, Rn. 8; Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 131 ff., 429 ff.; Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 441; Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 76 ff.; Reinhold Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, 2. A. 1996, S. 397 f. Differenziert nach Art des Widerspruchs: Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 212 ff. 191 Vgl. Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 155; ablehnend Matthias Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 36 f., der eine rechtliche Regelung für erforderlich hält.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

auslegenden Instanzen vorzunehmende Feststellung widerstreitender Norminhalte löst die Kollision nicht auf. Dazu ist es notwendig, die Inhalte anzugleichen, mindestens einen von ihnen zu verändern oder aufzuheben. Auch Hans Kelsen gab seine ursprüngliche Ansicht, dass Normenkonflikte im Wege der Interpretation gelöst werden könnten, später auf. 193 Normkollisionen können nur nach den vom geltenden Rechtssystem bereit gestellten Kollisionsregeln gelöst werden. 194 Regeln wie „Bundesrecht bricht Landesrecht“ oder die lex-posterior-Regel sind aber keine Auslegungshilfen, sondern Derogationsnormen. 195 Sie entscheiden, ob die Aufhebung oder Änderung einer bestehenden Rechtsnorm durch die Setzung einer neuen, inhaltlich widersprechenden Rechtsnorm gelingt oder nicht. 196 Zwischen der Feststellung bestehender und der Setzung neuer Norminhalte ist zu unterscheiden. Auch eine als verfassungskonforme Auslegung bezeichnete Inhaltsänderung ist keine Rechtserkenntnis, sondern Rechtsetzung. Sie bedarf daher einer Grundlage im geltenden Recht, deren Darlegung Werner Flume (aus nahe liegenden Gründen) versäumt hat. Die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung durch Gerichte und Behörden weist mit Bezug auf Rechtssicherheit und Gesetzesbindung ähnliche Probleme auf wie die Vorstellung eines lebenden Rechtes. Als Änderung des Gesetzesinhalts ohne Änderung des Gesetzestextes fügt sie sich nahtlos in die Tendenz, den Gesetzgeber nur Normtexte produzieren zu lassen, die von den rechtsanwendenden Instanzen an nahezu beliebige Inhalte gekoppelt werden können. 197 Detlef Christoph Göldner warnt vor der damit verbundenen Gefahr: „Nur ist das Mittel der Gesetzesauslegung deshalb nicht unbedenklich, weil es dazu verleitet, die Sinnverschiebungen zu übersehen, die sich hinter der formal unberührten Gesetzes192 Zum Recht als autopoietischem System vgl. oben, Teil 2 D I 4. Zu Kollisionsregeln: Markus Böckel, Instrumente der Einpassung neuen Rechts, 1993, S. 24 ff. 193 Ursprünglich für eine Lösung durch Interpretation: Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 209 ff.; skeptisch: Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1429 (1439 f.), S. 1469 (1475 ff.); widerrufen in: Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 179, S. 330 f., Fn. 155; vgl. dazu Stanley L. Paulson, ARSP 1980, S. 487 –506. 194 So bürdet Karl August Bettermann, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 323 (347), den Instanzgerichten zuviel auf, wenn er kategorisch verlangt, sie hätten alle von Art. 100 Abs. 1 GG nicht erfassten Normenkonflikte selbständig zu lösen; ähnlich fehlerhaft Gerd Roellecke, VVDStRL 34 (1976), 7 (32 f.). Fragwürdig ist es ferner, die Kollisionsregeln als Auslegungsmittel zu deklarieren, so aber Maximilian Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. A. 2000, § 3, Rn. 69. 195 Vgl. dazu ausführlich Adolf Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 255 ff. 196 Rechtsnormen können nur geändert werden, indem neue Rechtsnormen gesetzt werden, dazu oben, Teil 2 C. 197 Für Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 171, zieht immerhin nicht jeder Wandel der Verhältnisse eine Änderung des Norminhalts nach sich, aber es soll ein bestimmtes Spannungsverhältnis entstehen können, das Auflösung durch veränderte Auslegung oder richterliche Rechtsfortbildung fordere.

C. Inhaltsbestimmung von Gesetzen

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regelung durch die Einführung des Verfassungsprinzips vollziehen können (stiller Gesetzeswandel); Sinnverschiebungen, die in das gesetzliche Ordnungsgefüge tiefer als Textänderungen eingreifen können.“ 198 Die Änderung von Gesetzesinhalten durch den Gesetzgeber unterliegt dagegen wie jede ändernde Gesetzgebung dem Publikationserfordernis. Gegen diese Kritik könnte nun vorgebracht werden, dass Gerichte und Behörden mit der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung keine allgemein verbindliche Änderung, sondern lediglich eine partielle Nichtanwendung des Gesetzes im Einzelfall vornehmen. b) Bewältigung von Normkollisionen durch partielle Nichtanwendung? Um die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung gegen das Erfordernis einer rechtlichen Grundlage zu immunisieren, bleibt nur die Behauptung, es handele sich um ein zulässiges Außer-Anwendung-Lassen der verfassungswidrigen Sinnsegmente der Gesetzesnorm. 199 Diese Idee scheibchenweiser Gesetzesanwendung kann allerdings nur insoweit überzeugen, als die fragliche Bestimmung tatsächlich in mehrere Regelungsgehalte aufteilbar ist. Mangels Mehrdeutigkeit ist der Inhalt einer Rechtsnorm nicht teilbar. 200 Es sind also nur die Konstellationen erfasst, in denen eine gesetzliche Bestimmung mehrere Rechtsnormen umfasst. Ferner muss das Gesetz in einer Weise fehlerhaft sein, die eine Teilnichtigerklärung ermöglicht. 201 Dann könnte unter den oben genannten Bedingungen (evident und schwerwiegend verfassungswidrig) die Gesetzesbindung entfallen und die verfassungswidrigen Teilregelungen könnten von Behörden und Gerichten außer Anwendung gelassen werden, sofern keine abweichende Regelung wie die Vorlagepflicht zum Bundesverfassungsgericht besteht. Der Gesetzgeber kann natürlich Gerichte und Behörden ermächtigen, seine Gesetze auch schon bei Zweifeln über deren Verfassungsmäßigkeit außer Anwendung zu lassen. Darin läge kein Verstoß gegen die Gesetzesbindung, da die Rechtsanwender / innen auch an diese Ermächtigung gebunden wären. Eine solche Regelung hat der Gesetzgeber jedoch bisher nicht getroffen; vielleicht auch aus guten Gründen. Mit Ausnahme der 198 Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, 1969, S. 209. [Hervorhebungen im Original.] 199 Die Verwischung der Grenzen zwischen Interpretation und Anwendung ist ohnehin populär, wobei die damit verbundenen Probleme nicht immer erkannt werden, vgl. aber BAGE 112, 100 (107): „Zur wortsinnübersteigenden Gesetzesanwendung durch Analogie oder wortsinnunterschreitenden Nichtanwendung des Gesetzes durch teleologische Reduktion bedarf es freilich einer besonderen Legitimation.“ 200 Vgl. dazu oben Teil 3 B I. 201 Vgl. zu Teilnichtigerklärungen Lothar Kintrup, Teilnichtigkeit von Rechtsnormen, 1999, S. 17 ff., dessen Weg der Analogie zu § 44 Abs. 4 VwVfG (S. 60 ff.) methodologisch aber strikt abzulehnen ist; sowie Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 75 ff. Keine Teilnichtigerklärung wegen mangelnder Teilbarkeit: BVerfGE 90, 263 (276); 63, 88 (118).

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Konstellation einer evident und schwerwiegend verfassungswidrigen Teilregelung ist die Verfassungskonformisierung eines Gesetzesinhaltes daher bis auf Weiteres als – misslungener – Versuch einer Gesetzesänderung 202 zu qualifizieren. c) Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung als Gesetzesänderung – und die Gesetzesbindung Eine verbindliche Gesetzesänderung bedarf eines gelungenen Rechtsetzungsaktes, der eine Rechtsnorm mit Gesetzesrang erzeugt. Es ist keine Kompetenz für Fachgerichte und Behörden ersichtlich, solche Rechtsnormen zu setzen. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass sie mit der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung das Ziel verfolgen, den Widerspruch des fraglichen Gesetzes zur Verfassung auszuräumen. Für die Verfassungsmäßigkeit der von ihm gesetzten Rechtsnormen ist der Gesetzgeber selbst zuständig, auch er unterliegt bei seiner Rechtsetzung der Grundrechtsbindung aus Art. 1 Abs. 3 GG. Will der Gesetzgeber von dieser Verantwortung abgeben und seine Gesetze durch Gerichte und Behörden betreut sehen, 203 muss er sie ausdrücklich dazu ermächtigen. Dies ist noch nicht geschehen. In Anknüpfung an die bestehende Verantwortungsverteilung könnten Fachgerichte und Behörden aber geltend machen, dass sie selbst gehalten sind, verfassungsgemäße Urteile und Verwaltungsakte zu erlassen. Sie könnten sich folglich berechtigt fühlen, Einzelfallnormen zu setzen, die der einschlägigen gesetzlichen Grundlage 204 widersprechen. Auf Grund der jeweiligen Fehlerkalküle für Verwaltungsakte und Urteile könnten diese trotz ihrer Gesetzeswidrigkeit in Geltung treten und damit das entgegenstehende Gesetz für den jeweiligen Regelungsbereich derogieren. Das wäre quasi eine Gesetzesänderung für den Einzelfall. Diese Ausnutzung des Fehlerkalküls unter dem Begriff der verfassungskonformen Auslegung macht den Fehler zur Methode. 205 Fachgerichte und Behörden sind 202 Diese Qualifikation der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung dürfte auf erhebliche Widerstände stoßen, ist doch eine exakte Differenzierung von Fehlerkalkül und Umdeutung nicht verbreitet, die Vorstellung von offenen bzw. interpretationsbedürftigen Gesetzesinhalten dagegen umso mehr. Zu „offenen“ Norminhalten vgl. das zu den Generalklauseln Ausgeführte, unten Teil 3 D; zum Gesetz als Rahmen, der unterschiedliche Einzelfallnormen stützt, vgl. Teil 4 D II. 203 Zur interpretatorischen Betreuung des Gesetzgebers siehe oben, Teil 1 E II, F IV 3. 204 Berufen sich die Fachgerichte oder Verwaltungsbehörden gar nicht mehr auf ein Gesetz, liegt eine sog. Rechtsfortbildung vor, deren Zulässigkeit noch untersucht wird, siehe unten Teil 3 E. 205 Diese Gefahr liegt aber innerhalb der Möglichkeiten einer Rechtsordnung mit Fehlerkalkülen für Urteile und Verwaltungsakte. Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 195 (203 f.), beschreibt daher auch die notwendige Verschleierung in der Regelungstaktik des Fehlerkal-

C. Inhaltsbestimmung von Gesetzen

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an die geltenden Gesetze gebunden. Eine Ausnahme von der Gesetzesbindung gilt nur für evident und schwerwiegend verfassungswidrige Gesetze, nicht für jede zweifelhafte Regelung. Kann die Verpflichtung, verfassungsgemäße Einzelfallnormen zu erlassen, als Rechtfertigung für eine Lockerung der Gesetzesbindung herangezogen werden? Genau das scheint die Idee hinter der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung zu sein. Die „gesteigerte“ Verfassungsbindung des Richters 206 soll sich gegen seine Gesetzesbindung und die gesetzgeberische Verfassungskonkretisierung durchsetzen können. 207 Gern übersehen wird dabei, dass auch die Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG im Verfassungsrang steht. Die Urteile und Verwaltungsakte, die im Widerspruch zur einschlägigen gesetzlichen Grundlage erlassen wurden, sind nicht leider gesetzwidrig, aber dafür zum Glück verfassungsgemäß. Sie verstoßen gegen das Gebot der Gesetzesbindung und sind damit auch selbst verfassungswidrig. 208 Das ändert allerdings nichts daran, dass sie auf Grund entsprechender Fehlerkalküle als geltendes Recht zu betrachten sein können. 209 Durch Ausnutzung des Fehlerkalküls können Gerichte und Verwaltungsbehörden Gesetzesänderungen für den Einzelfall herbeiführen. Irreführend und sachlich falsch ist aber die Berufung auf eine „verfassungskonforme Auslegung“ für diesen Vorgang. Mit einer solchen küls: Die Rechtsanwender / innen sollen glauben, gebunden zu sein. Ebenso Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1363 (1372 f.), für den heiklen Bereich der Ermächtigung zur sog. Lückenschließung, die tatsächlich eine Korrekturbefugnis darstellt. Dagegen versteht Oskar Bülow, Gesetz und Richteramt (1885), hrsg. von Thomas Vormbaum, 2003, S. 37, die Regelung der Rechtskraft von Urteilen ganz unbeschwert als Aufruf, das Fehlerkalkül zur Methode zu erheben: „Damit ist aber nichts Anderes gesagt, als dass der Richter vom Staate ermächtigt ist, auch solche Rechtsbestimmungen vorzunehmen, die nicht im Gesetzesrecht enthalten, sondern lediglich vom Richter gefunden, ja erfunden, von ihm, nicht vom Gesetz gewählt und gewollt sind!“ [Hervorhebungen im Original.] Nicht ganz so bindungsfrei, aber immer noch bedenklich ist die Perspektive von Alexander Somek, Rechtssystem und Republik, 1992, S. 484 ff., der das Fehlerkalkül für eine höhere Autorität der interpretativen Praxis in Anspruch nehmen will. 206 Statt vieler nur: Volker Haak, Normenkontrolle und verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1963, S. 128. 207 Vgl. Edouard Georges Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, 1978, S. 38: „Dementsprechend hat der Richter auch bei der verfassungskonformen Auslegung die gesetzgeberische Konkretisierung im Gesetz nach Möglichkeit zu respektieren.“ – Gesetzesbindung unter dem Vorbehalt des Möglichen. 208 Auch Joachim Lege, Jura 2005, 616 (621), betont die Gesetzesbindung der Fachgerichte (hier: BVerwG, NJW 2004, 2462), die es ihnen verwehre, einen angenommenen Verfassungsverstoß des Gesetzgebers selbst zu heilen und diese Kompetenzüberschreitung auch noch als verfassungskonforme Auslegung auszugeben. 209 So auch Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 195 (204), der aber darauf besteht, dass der durch ein Fehlerkalkül gedeckte Akt von geringerem Rechtswert sei als ein durch Gesetz gedeckter – jedoch trotzdem kein Unrecht.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Begründung soll wohl vor allem verhindert werden, dass doch noch rechtliche Mittel zur Vernichtung der fehlerhaften Norm ergriffen werden. Zum einen ist die bewusste Setzung einer gesetzwidrigen Einzelfallnorm schwerlich unter den Begriff der Auslegung zu fassen. 210 Zum anderen liegt der Geltungsgrund der fehlerhaften Einzelfallnormen nicht in der Verfassung, sondern im jeweiligen Fehlerkalkül. Nur auf dieses können sich die Rechtanwender / innen berufen. 4. Keine Inhaltsanpassung durch „konformisierende Interpretation“ Die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung durch Gerichte und Behörden ist eine Strategie, Normkollisionen zwischen Verfassung und Gesetzen zu bewältigen. Aus verschiedenen Gründen, die im vorhergehenden Abschnitt dargestellt wurden, lassen sich Normkollisionen aber nicht durch Interpretation lösen. Insbesondere der Versuch, mit Hilfe der Verfassung als Erkenntnismittel einen Gesetzesinhalt festzustellen, weist nur auf eine handgreifliche Verwechslung der tatsächlichen Frage, welchen Inhalt eine Norm hat, mit der normativen Frage, welchen Inhalt sie haben sollte, und ist schon daher zum Scheitern verurteilt. Was als Kompatibilisierung durch Interpretation ausgegeben wird, ist die Auflösung eines Normkonfliktes durch Änderung des zweifelhaften Gesetzes. Fachgerichte und Behörden sind aber nicht zur Gesetzesänderung befugt und handeln verfassungswidrig, wenn sie versuchen, ihre Gesetzesbindung zu relativieren oder aufzuheben. Höchstens der Gesetzgeber selbst könnte ihnen gestatten, von ihnen für verfassungswidrig gehaltene Gesetze in weiterem Umfang als bisher außer Anwendung zu lassen.

II. Verfassungskonforme Inhaltsbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht Legt das Bundesverfassungsgericht in der Normenkontrolle ein Gesetz verbindlich verfassungskonform aus, handelt es sich weder um einen Erkenntnisakt noch um eine einzelfallbezogene Modifikation des Gesetzesinhalts. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes in der Normenkontrolle haben Gesetzeskraft gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG. Folglich nimmt das Bundesverfassungsgericht mit der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung eine verbindliche Gesetzesänderung vor. Es ist oft befürchtet worden, dass sich das Bundesverfassungsgericht zum Ersatzgesetzgeber aufschwingen könnte. Nun scheint diese Befürchtung Wirklichkeit zu werden. Wenn verfassungskonforme Inhaltsbestimmungen durch das Bundesverfassungsgericht betrachtet werden, sind drei Ausformungen zu unterscheiden: 210 Die Einordnung der sog. Normkorrektur ist unsicher, sie erscheint als eigenständige Figur oder wird unter einem weiten Begriff der Rechtsfortbildung eingeordnet, vgl. zu letzterem Max Emanuel Geis, NJW 1992, 2938 (2938 f.); ders., NVwZ 1992, 1025 (1026 f.).

C. Inhaltsbestimmung von Gesetzen

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die Vereinbarerklärung des Gesetzes in seiner verfassungsgemäßen Deutungsvariante, die Vereinbarerklärung des Gesetzes, solange es nicht auf bestimmte Fälle angewendet wird, und die Vereinbarerklärung des Gesetzes in einer neuen, verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht. 1. Anwendungsbereich: Der Fehler im Gesetz Bevor diese drei Ausprägungen der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht betrachtet werden, ist noch zu fragen, auf welche Fehlerkonstellationen damit reagiert werden soll. In § 79 Abs. 1 Var. 3 GG wird davon ausgegangen, dass das Bundesverfassungsgericht auch Normauslegungen für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklären kann. Teilweise wird diese Auslegungsverwerfung mit der verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht identifiziert. 211 Das könnte die Vorstellung nahe legen, es ginge um Fehler in der Anwendung des Gesetzes, nicht im Gesetz selbst. 212 Das Gegenteil ist der Fall. Die Normdeutung soll nur verworfen werden können, wenn sie tatsächlich methodisch aus dem Gesetz ableitbar ist, der Mangel also in der Gesetzesnorm selbst liegt, nicht in ihrer Auslegung. 213 2. Die verfassungsgemäße Deutungsvariante des Gesetzes Ausgangspunkt der verfassungskonformen Auslegung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, dass es mindestens eine verfassungsgemäße Deutungsvariante für das fragliche Gesetz gibt. Eine mögliche Tenorierung der Normenkontrolle besteht folglich darin, das Gesetz in seiner verfassungsgemäßen Deutung für mit dem Grundgesetz vereinbar zu erklären. 214 Gesetze sind aber nicht mit multiplen Inhalten ausgestattet. Auch verblüfft das Bundesverfassungsgericht in der konkreten Normenkontrolle, wenn es ausführt, sowohl die Auslegung durch

211 Malte Graßhof, in: Dieter C. Umbach u. a. (Hg.), BVerfGG, Mitarbeiter-Kommentar, 2. A. 2005, § 79, Rn. 19. 212 In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich gefordert, zwischen Fehlern im Gesetz und Fehlern im Rechtsanwendungsvorgang zu unterscheiden, vgl. nur Herbert Bethge, in: Theodor Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Bd. 2, § 79, Rn. 32, m.w. N. (Stand: Juni 2001); Malte Graßhof, in: Dieter C. Umbach u. a. (Hg.), BVerfGG, Mitarbeiter-Kommentar, 2. A. 2005, § 79, Rn. 20. 213 Malte Graßhof, in: Dieter C. Umbach u. a. (Hg.), BVerfGG, Mitarbeiter-Kommentar, 2. A. 2005, § 79, Rn. 20. Umgekehrt sollen Fehler in der Rechtsanwendung nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Grundlage „verhütet“ werden können, so Herbert Bethge, in: Theodor Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Bd. 2, § 79, Rn. 33 (Stand: Juni 2001). 214 Vgl. BVerfGE 51, 304 (304); 30, 1 (3): in der sich aus den Gründen ergebenden Auslegung.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

das vorlegende Fachgericht als auch seine eigene sei methodisch korrekt, letztere aber im Gegensatz zu ersterer verfassungsgemäß. 215 Hält das Bundesverfassungsgericht die Auslegung des vorlegenden Gerichtes für methodisch korrekt, das Ergebnis aber für verfassungswidrig, muss es konsequent die korrekt ausgelegte Gesetzesnorm für verfassungswidrig erklären. Ist das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, dass das vorlegende Gericht über den Inhalt des Gesetzes irrt, muss es die Norm selbst auslegen. Dabei kann es aber nicht die Verfassung als „Erkenntnismittel“ nutzen. 216 Mit Hilfe der Verfassung lässt sich nur im Anschluss überprüfen, ob die – nun hoffentlich zutreffend ausgelegte – Gesetzesnorm gegen die Verfassung verstößt oder nicht. Die Vorstellung, der Gesetzesnorm seien mit den gleichen Auslegungsmitteln und in methodisch korrekter Weise widersprechende Deutungen zu entlocken, beruht auf einem bedenklichen Verständnis des Gesetzes als Blankett, dem mit Hilfe juristischer Methodik nahezu jede beliebige Deutung entnommen werden kann. Die Idee verfassungsmäßiger Deutungsvarianten ist mit dem hier vertretenen rechtstheoretischen Ansatz nicht vereinbar. 3. Die Nichtanwendung des Gesetzes auf den Einzelfall Die Nichtanwendung des Gesetzes auf den Einzelfall ist nicht ohne Weiteres unter die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht zu fassen. 217 Der Inhalt des fraglichen Gesetzes steht gar nicht unter dem Verdacht der Verfassungswidrigkeit. Die Regelung ist „an sich“ verfassungsgemäß, nur ihre Anwendung auf bestimmte Einzelfälle würde zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen. Damit geht es zum einen um die drohende Verfassungswidrigkeit der Einzelfallnorm, zugleich aber auch um die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, soweit es seinen Anwendungsbereich auch auf die fraglichen Fälle erstreckt. Auch hier suggeriert das Bundesverfassungsgericht, das Problem sei durch Auslegung zu lösen, indem es von der anerkannten Methode der „teleologischen Reduktion“ 218 spricht. Dieser terminologischen Irreführung ist entgegen zu treten. 215

Vgl. BVerfGE 110, 226 (246 ff.); oft bezeichnet das Bundesverfassungsgericht die Auslegung des Fachgerichtes aber auch nur als möglich, um die Vorlage annehmen und dann doch selbst die richtige, verfassungskonforme Auslegung vornehmen zu können, vgl. nur BVerfGE 51, 304 (312 ff.). 216 Vgl. dazu ausführlich oben Teil 3 C I 2a sowie Teil 4 B IV. Dieses Vorgehen würde die tatsächliche Frage, welchen Inhalt eine Norm hat, mit der normativen Frage, welchen Inhalt sie haben sollte, vermengen und könnte so nur damit enden, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. 217 Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 71, dagegen definiert die verfassungskonforme Auslegung als Ausschluss einzelner Anwendungsbereiche wegen Verfassungswidrigkeit.

C. Inhaltsbestimmung von Gesetzen

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Die Frage der Anwendbarkeit ist kein reines Auslegungsproblem. Die Feststellung, die Anwendung eines Gesetzes auf bestimmte Einzelfälle sei verfassungswidrig und daher zu unterlassen, ist vielmehr unter das Phänomen der sog. qualitativen Teilnichtigerklärung zu fassen. 219 Dieser Begriff ist allerdings ebenfalls irreführend, weil gerade nicht ein Teil der Norm für nichtig erklärt, sondern die Anwendung der ungeteilten Norm auf bestimmte Einzelfälle wegen des darin liegenden Verfassungsverstoßes ausgeschlossen wird. Am treffendsten wäre es wohl, von einer Anordnung der Nichtanwendung oder einem Anwendungsausschluss zu sprechen. Bekannte Beispiele sind die Nichtanwendung der Anmeldepflicht aus § 14 Abs. 1 VersG auf Spontandemonstrationen 220, die Nichtanwendung der Rangfolgeregelung der Konkursordnung auf Ansprüche, die der Konkursverwalter erst nach Feststellung der Massearmut erworben hat 221, die Beschränkung der Anwendbarkeit des § 23 KSchG auf die Fälle, in denen nach den Anrechnungsmodalitäten der gesetzlichen Neuregelung ein Kleinbetrieb vorliegt 222, die Nichtanwendung zwingender Mindestsätze für Architektenhonorare auf die Vergütung von Wettbewerbsbeiträgen 223 sowie die Nichtanwendung des subjektiven Tatbestandes der Geldwäsche nach § 261 Abs. 5 StGB auf Strafverteidiger / innen, die ein aus zweifelhaften Quellen stammendes Honorar entgegen nehmen wollen 224. Interessanterweise werden hier die Probleme gesehen, die im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung eher ignoriert werden: „Soweit sich die Literatur mit den Fragen der Nichtigerklärung ohne Normtextreduzierung befasst, 218 Vgl. BVerfGE 97, 186 ff.; 88, 145 ff.; BVerfG (K), NJW 2006, 495 f.; NJW 2005, 352 f.; NJW 2004, 2662 f.; NVwZ 2001, 311 ff.; NJW 1997, 2230 f.; BVerfGE 35, 263 ff., spricht von „restriktiver Interpretation“; Claus Dieter Classen, JZ 2007, 53 (60), ordnet die sog. teleologische Reduktion zutreffender als Rechtsfortbildung ein. Zu verfassungskonformer Auslegung und teleologischer Reduktion: Dirk Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, 1997, S. 154 ff.; Stefan Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen, Bd. 1, 2001, S. 128 ff.; kritisch zur teleologischen Reduktion: Andreas von Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 227. 219 So aus dogmatischer Perspektive Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 387, die leider praktisch keinen Unterschied zur verfassungskonformen Auslegung sehen. Zum Verhältnis von verfassungskonformer Auslegung und qualitativer Teilnichtigerklärung vgl. schon Teil 1 B II. 220 BVerfGE 69, 315 (350 f.). 221 BVerfGE 88,145 (166). 222 BVerfGE 97, 186 (196). 223 BVerfG (K), NJW 2006, 495 f. 224 BVerfGE 110, 226 ff. Allerdings ist das Urteil insgesamt nicht eindeutig einzuordnen, da es die Frage der Anwendbarkeit von § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB auf Strafverteidiger / innen mit einer Reduktion des subjektiven Tatbestandes verbindet. Im Ergebnis wird eine eingeschränkte Anwendbarkeit bejaht, wobei das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes definiert („sicheres Wissen“), ein Vorgehen, das als unzulässige verfassungskonforme Neudeutung [dazu sogleich] zu qualifizieren ist.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

überwiegt die Kritik.“ 225 Dabei spricht viel für dieses Vorgehen. Das Argument des Normerhalts scheint in dieser Konstellation ausnahmsweise angebracht. Ein Gesetz sollte nicht für nichtig erklärt werden, weil es bei der Anwendung auf bestimmte Einzelfälle zur Setzung verfassungswidriger Einzelfallnormen führen würde. Zugleich wäre eine Aufhebung dieser Einzelfallnormen nur in der Verfassungsbeschwerde ineffizient und weder Verwaltung noch Rechtspflege förderlich. Könnten die Rechtsanwender / innen andererseits die fragliche Bestimmung selbst außer Anwendung lassen, könnten sie ihre Gesetzesbindung nach Belieben lockern. Eine verbindliche Erklärung durch das Bundesverfassungsgericht, welche Einzelfälle von der Anwendung ausgeschlossen sein sollen, ist daher vorzuziehen. 226 Wenig gewonnen wäre allerdings, wenn die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung nun unverändert in den neuen Gewändern der teleologischen Reduktion bzw. des Anwendungsausschlusses praktiziert würde. Gerade die teleologische Reduktion mit ihrer ungeklärten Doppelfunktion zwischen Auslegung und Anwendung erweist weder methodologischer Klarheit noch der Kompetenzordnung einen Dienst und bietet sich vielmehr als Instrument an, mit dem die Rechtslage einmal mehr nach dem Gutdünken der Rechtsanwender / innen gestaltet werden kann. Wegweisend ist es daher, wenn das Bundesverfassungsgericht eine verfassungskonforme Auslegung bzw. teleologische Reduktion ablehnt, weil der Anwendungsbereich der Norm selbst schon völlig unzureichend geregelt sei 227, dieses Vorgehen gegen die Grundsätze der Normenbestimmtheit und Normenklarheit verstoßen würde 228 oder die Gesetzgebungsgeschichte dem entgegen stünde 229. Mit diesem Problembewusstsein kann die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung als Anwendungsausschluss ein zulässiges und sinnvolles Instrument der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung werden. Derzeit ist ein Anwendungsausschluss durch das Bundesverfassungsgericht nicht als Rechtsfolge der Feststellung der insoweit bestehenden Unvereinbarkeit vorgesehen. In § 78 BVerfGG ist nur die Nichtigerklärung der gesetzlichen Bestim225 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 388 [Hervorhebung im Original]; vgl. auch die Nachweise bei Klaus Stern, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 93, Rn. 305 (Stand: 1982). Zur Problematik der qualitativen Teilnichtigerklärung – im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung – vgl. auch BVerfGE 16, 306 (329); 2, 380 (405 f.). 226 Mehr als bedenklich sind daher Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, mit denen Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG als unzulässig abgewiesen werden, indem die Fachgerichte auf die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion verwiesen und zugleich zu ihr verpflichtet werden, vgl. nur BVerfG (K), NVwZ-RR 2001, 311 ff.; NVwZ 2000, 910 f.; NZS 1998, 426 f.; SGb 1998, 163; NZA 1997, 773 f. 227 BVerfGE 107, 104 (122 ff., 128 f.). 228 BVerfGE 114, 1 (53 ff.). 229 BVerfGE 111, 54 (103 f.).

C. Inhaltsbestimmung von Gesetzen

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mung geregelt. Einer diesbezüglichen Regelung stünde die Verfassung aber nicht entgegen. Im Interesse der Rechtssicherheit wäre der entsprechende Einzelfall bzw. die Fallgruppe klar in den Tenor aufzunehmen. Problematisch würde diese Tenorierung durch das Bundesverfassungsgericht erst, wenn der Anwendungsausschluss nicht mehr nur Einzelfälle erfasst oder gerade die Adressat / innen der Norm ausnimmt, welche der Gesetzgeber zu erreichen wünschte. In der Terminologie des Bundesverfassungsgerichts wäre dann der „normative Gehalt“ berührt und die fragliche Regelung insgesamt für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären. 4. Die verfassungskonforme Neudeutung des Gesetzes Zwar werden Ansichten über die Mehrdeutigkeit gesetzlicher Normen und den Einfluss der Verfassung auf die Auslegung allgemein geteilt, so dass die Vereinbarerklärung in der verfassungsgemäßen Deutungsvariante nur als folgerichtig erscheint. Auch ein Anwendungsausschluss wird – unter anderer Terminologie – durchaus anerkannt. Doch gibt es einige Fälle verfassungskonformer Inhaltsbestimmung von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht, die auch von Befürworter / innen der verfassungskonformen Auslegung nicht mehr ohne Weiteres als zulässige Auslegungsmethode identifiziert werden. Diese Konstellationen zeichnen sich zunächst durch ein gewisses Überraschungsmoment aus. Die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht versieht das Gesetz mit einer Deutungsmöglichkeit, die zur gängigen Auffassung über seinen Inhalt in einem nicht unerheblichen Widerspruch steht. Dabei drängt sich der Verdacht auf, das Bundesverfassungsgericht könne sein Ergebnis dem fraglichen Gesetz auch nicht im Wege einer „verfassungskonformen Auslegung“ entnehmen, sondern höchstens hineinlegen. 230 Indizien für eine solche verfassungsgerichtliche Gesetzeskorrektur sind die teils scharfe Kritik in Sondervoten des Bundesverfassungsgerichts selbst 231 und die Bewertung im juristischen Schrifttum, sowohl in Bezug auf die Verfassungswidrigkeit bestimmter Normen 232 230 Vgl. dazu Clemens Jabloner, ZÖR 60 (2005), 163 (180 f.), m.w. N.; skeptisch auch Horst Sendler, DVBl. 1988, 828 (838). Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 163, sehen die sog. Wechselwirkungslehre als Quelle möglicher Gesetzeskorrekturen an. Es kann versucht werden, diese Problematik zu umgehen, indem die verfassungskonforme Auslegung als Anwendungsvorrang begriffen wird, so Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 53 f. Dann spielt das Gesetz ja keine Rolle mehr. 231 Vgl. Ernst Gottfried Mahrenholz in: BVerfGE 86, 288 (340 ff.): „die ‚Normerhaltung‘ erweist sich bei näherem Zusehen als formal“ (S. 350); Helga Seibert und Johann Friedrich Henschel in: BVerfGE 85, 69 (77 ff.): „die von der Mehrheit in die Vorschrift hineininterpretierte Verkürzung“ (S. 77); Helmut Steinberger in: BVerfGE 70, 35 (59 ff.): „unzulässiger Übergriff in die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit“ (S. 65); Engelbert Niebler und Walter Rudi Wand in: BVerfGE 56, 298 (324 ff.): „Einen solchen Inhalt sollte

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

als auch in Bezug auf konkrete Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 233. Die Überzeugung vorhergehender Fachgerichte von der Unmöglichkeit verfassungskonformer Auslegung ist Voraussetzung der konkreten Normenkontrolle und daher nicht ohne Weiteres als Indiz anzusehen, 234 anders wohl, wenn sie sich auf eine verbreitete Ansicht in Rechtsprechung und / oder Literatur stützt. Diese Konstellationen sollen hier als verfassungskonforme Neudeutung bezeichnet werden. Ein bekanntes Beispiel ist die „verfassungskonforme Auslegung“ des § 14 Abs. 1 VersG, der die Anmeldepflicht für Versammlungen regelt, in Bezug auf sog. Eilversammlungen 235. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass Eilversammlungen so bald als möglich, aber spätestens mit der Bekanntgabe, anzumelden seien. Diese erstaunliche „Interpretation“, bei der nach eigenem Bekunden die „Fristenbestimmung gemildert“ 236 wurde, führte schon innerhalb des Senates zu dezidierter Kritik in Form eines Sondervotums 237. Auch die kritische Literatur zu der Entscheidung 238 diagnostiziert im Wesentlichen eine Überschreitung der die Verordnungsermächtigung nach dem klaren Wortlaut und Sinn des Gesetzes nicht haben.“ (S. 325); Wiltraut Rupp-von Brünneck und Helmut Simon in: BVerfGE 33, 52 (78 ff.): „Verlagerung gesetzgeberischer Verantwortung auf das Gericht“ (S. 78), „hält weder ein Minimum noch ein Maximum der gesetzgeberischen Absichten aufrecht“ (S. 83), „in der Methode an das Vorgehen des Prokrustes erinnernde Auslegung“ (S. 83); Gregor Geller, Hans Georg Rupp und Fabian von Schlabrendorff in: BVerfGE 30, 1 (33 ff.): „Der Wortlaut ist eindeutig. Es heißt, ihn in sein Gegenteil verkehren, wenn man annehmen wollte, daß [...]“ (S. 34). 232 Vgl. statt vieler Marcel Dalibor, ZZP 119 (2006), 331 (341 ff.); und Bernhard Paus, DStZ 2004, 21 (31), die beide eine verfassungskonforme Auslegung der fraglichen Normen auch explizit ablehnen. 233 Vgl. Ulrich Battis / Christoph Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 4. A. 1999, Rn. 29; Max Emanuel Geis, NJW 1992, 2938 (2938 ff.); ders., NVwZ 1992, 1025 (1026 ff.); Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. A. 1995, Rn. 83, Fn. 53; Peter-Andreas Kamphausen, MDR 1993, 21 (22 f.); Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 181 f.; Gertrude Lübbe-Wolff, DVBl. 1996, 825 (825, 832 f.); Dieter Meurer, JR 1992, 441 (443 ff.); Hans Paul Prümm, JuS 1975, 299 (301 f.); Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 180; Reinhard Rieger, NVwZ 2003, 17 (22); Alfred Rinken, in: Rudolf Wassermann (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. A. 1989, Art. 94, Rn. 55; Gernot Sydow, Jura 2002, 615 (620 f.). 234 Vgl. aber oben Teil 3 A IV 1b. 235 BVerfGE 85, 69 ff. 236 So BVerfGE 85, 69 (76). 237 Helga Seibert und Johann Friedrich Henschel in: BVerfGE 85, 69 (77 ff.). 238 Dass es einige kritische Stimmen gibt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass verfassungskonforme Auslegungen durch das Bundesverfassungsgericht fast ausnahmslos für gut befunden und lediglich referiert werden, vgl. für die vorliegende Entscheidung statt vieler: Christoph Gusy, JuS 1993, 555 (557); Caspar David Hermanns, JA 2001, 79 (82 f.); Gerd Michael Köhler / Cornelia Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. A. 2001, § 1 Rn. 6, § 14 Rn. 2, § 26 Rn. 7; Harald Walther, JA 1995, 372 (376). Wolfgang

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Grenzen der verfassungskonformen Auslegung. Zum einen sei der Wortlaut des § 14 VersG eindeutig, das gewünschte Ergebnis daher eine (unzulässige) Korrektur. 239 Zum anderen genüge der verfassungskonform gerichtete § 14 VersG i.V. m. § 26 Nr. 2 VersG nicht mehr dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG. 240 Schließlich werde dem Gesetzgeber die kriminalpolitische Entscheidung abgenommen, was auch funktionell-rechtlich unzulässig sei. 241 Auf Grund der hohen Akzeptanz der verfassungskonformen Auslegung wird das Bundesverfassungsgericht in diesem Bereich auffällig selten kritisiert. Dadurch entsteht der Eindruck, verfassungskonforme Inhaltsbestimmungen wie die Regelung der Eilversammlung seien seltene Ausnahmen und als unzulässige Grenzüberschreitungen quasi Entartungen einer im Übrigen lobenswerten Methode. Die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung meint aber gerade den absolut gesetzten Primat der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, der alle Mittel recht sein lässt, auch die Inhaltskorrektur. 242 Die verfassungskonforme Neudeutung ist nicht der Fehler im System der verfassungskonformen Auslegung. Der Fehler liegt bereits in der Vorstellung, das Bundesverfassungsgericht könne auf eine Nichtigerklärung Kahl, JuS 2000, 1090 (1093, Fn. 27), erwähnt immerhin in einer Fußnote, dass eine andere Meinung möglich ist. 239 Vgl. Andreas von Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 304; Michael Breitbach, in: Helmut Ridder u. a. (Hg.), Versammlungsrecht. Kommentar, 1992, § 26, Rn. 39; Volker Epping / Sebastian Lenz / Philipp Leydecker, Grundrechte, 2004, Rn. 61; Max Emanuel Geis, NJW 1992, 2938 (2938 ff.); Jörn Ipsen, Staatsrecht II, 7. A. 2004, Rn. 539; Ulrike Lembke, JuS 2005, 984 (988); Jörn Lüdemann, JuS 2004, 27 (29 f.); Sieghart Ott / Hartmut Wächtler, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 6. A. 1996, § 14, Rn. 14. Sehr kritisch äußert sich Wolf-Rüdiger Schenke, JZ 1986, 35 (35 f.), schon zur verfassungskonformen Auslegung des § 14 VersG in Bezug auf Spontanversammlungen durch das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Beschluss. 240 Michael Breitbach, in: Helmut Ridder u. a. (Hg.), Versammlungsrecht. Kommentar, 1992, § 26, Rn. 34, 40; Sieghart Ott / Hartmut Wächtler, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 6. A. 1996, § 26, Rn. 8. Mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (BGHSt 23, 46 [59 ff.]), wonach nur das Fehlen jeglicher Anmeldung, nicht aber eine Fristverletzung strafbegründend wirke, wird dieses Problem relativiert, vgl. Ulli Rühl, in: Helmut Ridder u. a. (Hg.), Versammlungsrecht. Kommentar, 1992, § 14, Rn. 10 f. 241 Michael Breitbach, in: Helmut Ridder u. a. (Hg.), Versammlungsrecht. Kommentar, 1992, § 26, Rn. 40. 242 Vgl. Karl Larenz / Manfred Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. A. 2004, § 4, Rn. 61, wonach die Verfassungskonformität Vorrang vor allen anderen Auslegungskriterien hat; anders Heinz Hübner, Allgemeiner Teil des BGB, 2. A. 1996, Rn. 104: Ist Verfassungskonformität mit den Mitteln der Auslegung nicht zu erreichen, kommt nur eine konkrete Normenkontrolle in Betracht. Zum Kern des Problems Christoph Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze, 1966, S. 67: „Stellt das BVerfG die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes fest oder legt es ein Gesetz verfassungskonform aus, so ist das immer zugleich authentische Verfassungs- und Gesetzesinterpretation. Bezeichnenderweise hat sich im 19. Jahrhundert regelmäßig der Gesetzgeber das Recht zu authentischer Interpretation ausdrücklich vorbehalten.“

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

verzichten, indem es selbst das fragliche Gesetz in einen verfassungsgemäßen Zustand bringt. a) Die verfassungskonforme Neudeutung bedarf einer Rechtsgrundlage Wird der Inhalt einer Gesetzesnorm an die verfassungsrechtlichen Anforderungen angepasst, handelt es sich um eine Umdeutung, 243 genauer: eine Gesetzesänderung. In der Normenkontrolle haben die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes nach § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft, so dass sogar eine verbindliche Gesetzesänderung vorliegen würde. 244 Aber ist das Bundesverfassungsgericht zur verbindlichen Gesetzesänderung befugt? Dem für die verfassungskonforme Auslegung gern genannten § 79 Abs. 1 BVerfGG 245 lässt sich diese Ermächtigung nicht entnehmen. Eine solche Kompetenz könnte nur in der Befugnis zur Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 4a, Art. 100 Abs. 1 GG erblickt werden. 246 Ob die Verdrängung der verfassungswidrigen Gesetzesnorm nach der lex-posterior-Regel dadurch erfolgt, dass die verfassungsgerichtliche Entscheidung besagt, die Norm sei aufgehoben, oder dass sie besagt, es gelte eine inhaltliche Neuregelung, macht mit Blick auf die verfassungswidrige Gesetzesnorm keinen Unterschied. Mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht und seine rechtlichen Handlungsmöglichkeiten ist eine verfassungsgerichtliche Entscheidung, die eine gesetzliche Regelung aufhebt, aber nicht vergleichbar mit einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung, die eine verfassungswidrige gesetzliche Regelung durch eine verfassungsgemäße ersetzt. b) Neudeutung versus repressive Normenkontrolle und Gewaltenteilung In den Normenkontrollen entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetz. Es kann die Vereinbarkeit oder die Unvereinbarkeit feststellen. Als Folge der Unvereinbarkeit ist gemäß § 78 BVerfGG die Nichtigerklärung vorgesehen. Daher wird die 243

Dazu oben Teil 3 A II 2. Zum Streit, ob eine Umdeutung nicht auf dem Erkenntniswege möglich sei, vgl. in Bezug auf Verwaltungsakte die Nachweise bei Ferdinand Kopp / Ulrich Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 9. A. 2005, § 47, Rn. 8. 244 Zutreffend erkannt von BGHZ 148, 368 (376), m.w. N. 245 Vgl. Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 43, und ähnlich Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, S. 27 f. 246 So versteht Gerhard Ulsamer, in: Theodor Maunz u. a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Bd. 2, § 78, Rn. 11 ff., 36 (Stand: Februar 1978), die verfassungskonforme Auslegung schlicht als sonstige Tenorierung neben den in § 78 BVerfGG genannten, deren Aufzählung nicht abschließend sei.

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verfassungsgerichtliche Normenkontrolle auch als repressive Normenkontrolle 247 bezeichnet. Ziel ist die Vernichtung des verfassungswidrigen Gesetzes. Wenn das Bundesverfassungsgericht das Gesetz nicht aufhebt, sondern ändert, verliert die Verfassung ihre Funktion als Prüfungsmaßstab 248 für das Bundesverfassungsgericht. „Anstatt die Gesetzesbestimmung unter die Verfassung zu subsumieren, um die Diskrepanz zu erkennen und durch Vernichtung der Norm die Einheit der Rechtsordnung wiederherzustellen, wird der materielle Verfassungsinhalt der einzelnen Norm aufgedrückt, um die Diskrepanz zu verdecken.“ 249 Dabei scheint das Verfassungsgericht unbeschränktes Ermessen in der Frage für sich in Anspruch zu nehmen, ob es sich für die Aufhebung oder die verfassungskonforme Interpretation entscheiden soll. 250 Dagegen wird vorgebracht, dass es gar nicht in der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichtes liege, Gesetze abzuändern. 251 Auch ist der Grundsatz der Gewaltenteilung erheblich betroffen, wenn das Bundesverfassungsgericht wesentliche Aufgaben des Gesetzgebers übernimmt. 252 Mit einer modifizierenden Inhaltsbestimmung kontrolliert das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber nicht nur, es verbessert ihn. 253 Die Sorge um 247

Vgl. nur Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 338. Dieses Problem kann sich sogar bei einer Änderung der Verfassung selbst ergeben, vgl. das Sondervotum von Renate Jaeger und Christine Hohmann-Dennhardt zur verfassungsgerichtlichen Bewertung des sog. „Großen Lauschangriffs“ in: BVerfGE 109, 279 (386 f.): „Bei der Frage, welche Grenzen einer Verfassungsänderung durch Art. 79 Abs. 3 GG gesetzt sind, geht es aber nicht um die Herstellung einer Konkordanz von bestehenden Grundrechtsnormen, sondern darum, ob die Änderung die in den Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt. Die Verfassungsänderung ist deshalb an diesen Grundsätzen zu messen, nicht dagegen mit deren Maßstäben auszulegen, [...].“ Fehlerhaft dagegen Brun-Otto Bryde, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 79, Rn. 29, welcher einen „Vertrauensvorschuss“ reklamiert, der eine „Art. 79 Abs. 3 – konforme“ Auslegung sogar gebiete. 249 Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966, S. 89. 250 So kritisch Clemens Jabloner, ZÖR 60 (2005), 163 (181 f.), der hier ein Nebeneinander von zwei Systemen der Normvernichtung sieht: die eigentliche Normenkontrolle und einen Anwendungsvorrang. 251 Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 266 f.; Wolfgang Löwer, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 70, Rn. 126: mit aliud statt minus überschreitet das Bundesverfassungsgericht seine funktionell-rechtlichen Grenzen; Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 180; Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 72. 252 Vgl. Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002, Rn. 102; ferner Detlev B. Rein, Das Normbestätigungsverfahren, 1991, S. 135: kein Initiativrecht politischer Gestaltung, nur repressive Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichtes; auch Michael Sachs, in: ders. (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Einführung, Rn. 56, sieht als erhebliche Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung von seiner Kassationsaufgabe abweicht und in die Rolle eines nachbessernden Gesetzgebers eintritt. 248

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

die legislative Gestaltungsfreiheit sollte sich daher weniger auf die Frage der Unvereinbar- oder Nichtigerklärungen als auf die mit der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht verbundenen Probleme konzentrieren. 254 Wird die repressive Normenkontrolle durch konstruktive verfassungsgerichtliche Neuregelung ersetzt, ist die Gewaltenteilung zwischen Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht empfindlich gestört. 255 Das Grundgesetz ermächtigt das Bundesverfassungsgericht, über die Vereinbarkeit von Gesetzen und Verfassung zu entscheiden, nicht aber, diese Vereinbarkeit durch verbindliche Gesetzesänderung selbst herbeizuführen. 256 Wie das Bundesverfassungsgericht sonst gern betont, ist es Sache des Gesetzgebers, wie er einen festgestellten Verfassungsverstoß beseitigt und welche neue verfassungskonforme Regelung er trifft. Verfassungsgemäße Gesetzgebung ist Aufgabe des Gesetzgebers. 257 Das Bundesverfassungsgericht ist Hüter der Verfassung, nicht oberster Gesetzgeber der 253

Vgl. auch Helmut Simon, EuGRZ 1974, 85 (90): „Wenn das Verfassungsgericht im Extremfall nicht mehr nachprüft, was der Gesetzgeber geregelt hat, sondern was er hätte regeln können, und wenn dann die eigene Auslegung von vornherein als verfassungsmäßige Lösung präsentiert wird, dann geht ein wesentlicher Vorteil gewaltenteilender Systeme verloren, nämlich der Vorteil, daß Entscheidungen eines Staatsorgans durch ein anderes Staatsorgan als kritisches Gegenüber kontrolliert werden.“ [Hervorhebungen im Original.] 254 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 451, halten eine verfassungskonforme Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht für unzulässig, wenn der Gesetzgeber auf die Norm ganz verzichten oder eine ganz andere Regelung treffen kann, es sei denn, es lässt sich mit Sicherheit feststellen, der Gesetzgeber habe genau diese verfassungskonforme Regelung gewollt. Ähnlich Christian Pestalozza, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 519 (533), für eine Normkorrektur durch das Bundesverfassungsgericht. 255 Auf das Problem der Gewaltenteilung verweist nachdrücklich Andreas Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (197 f.), wonach Verfassungsauftrag des Bundesverfassungsgerichtes nur die Nichtigerklärung, nicht die Setzung neuen Rechts sei, weshalb auch eine verfassungskonforme Rechtsfortbildung durch das Bundesverfassungsgericht nicht als zulässig in Betracht komme. Prägnant auch Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 93, Rn. 19: „Dann aber kann die angebliche Bewahrung des ‚Willens des Gesetzgebers’ (eine bildersprachliche Ausdrucksweise, die gerade hier besonders in die Irre führt) inhaltlich die Schaffung einer vom Bundestag zumindest so nicht beschlossenen Norm und damit positive Gesetzgebung im Rechtsprechungsgewande sein.“ [Hervorhebung im Original.] 256 Auch Hans Spanner, AöR 91 (1966), 503 (518 f.), sieht erhebliche Unterschiede zwischen der Feststellung der Verfassungswidrigkeit und dem Hinzukonstruieren verfassungsmäßig geforderter Regelungen; ähnlich Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 180, für den Unterschied zwischen Normerhalt und Normkorrektur. Widersprüchlich Christian Starck, VVDStRL 34 (1976), 43 ff., wonach die verfassungskonforme Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht einerseits begrenzt sein soll dadurch, dass Gesetze nicht verändert werden dürfen (S. 48), und andererseits eine Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren mit gestaltender Wirkung darstellen soll (S. 74 f.). 257 Könnte das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber grundsätzlich durch abändernde Regelung korrigieren, würde dieser im schlechtesten Fall nur noch mühsam erstellte Vorlagen für die „bessere“ verfassungsgerichtliche Regelungsentscheidung liefern.

D. Die sog. „verfassungsorientierte Auslegung“

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Bundesrepublik. Anders als bei der Unvereinbarerklärung und beim Anwendungsausschluss könnte daher auch eine Änderung des BVerfGG das Bundesverfassungsgericht nicht ermächtigen, seine Vorstellungen von einer verfassungskonformen Neuregelung mit Gesetzeskraft zu versehen. Mit der Beschränkung des Bundesverfassungsgerichts auf die repressive Normenkontrolle bleibt es bei der sorgfältig ausbalancierten Machtverteilung zwischen Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber. 258 Und nicht zuletzt muss sich das Bundesverfassungsgericht dann nicht mehr in die Widersprüche verstricken, die mit einer rein ergebnisbezogenen Verwendung des Begriffs „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers“ notwendig einhergehen. 5. Keine verfassungskonforme Neudeutung durch das Bundesverfassungsgericht Die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung ist eine Strategie, um mit den unliebsamen Folgen von Normkollisionen umzugehen. Zur Bewältigung von Normkollisionen hat das Bundesverfassungsgericht die Befugnis, Gesetze zu überprüfen, und kann in der Normenkontrolle selbst Entscheidungen mit Gesetzeskraft erlassen. Ihm ist es aber verwehrt, über die Verwerfung verfassungswidriger Regelungen hinaus eigene Regelungsvorschläge in Form einer „verfassungskonformen Auslegung“ verbindlich zu machen. Im Interesse der Gewaltenteilung und mit Blick auf die Bedeutung des Gesetzgebers in einer parlamentarischen Demokratie ist das Bundesverfassungsgericht auf die Aufhebung verfassungswidriger Gesetze beschränkt. Dies schließt es allerdings nicht grundsätzlich aus, dass als mögliche Folge der Unvereinbarkeit auch die Erklärung eines partiellen Anwendungsausschlusses in das BVerfGG aufgenommen wird.

D. Die sog. „verfassungsorientierte Auslegung“ Die sog. verfassungsorientierte Auslegung ruft – obwohl als Unterfall der verfassungskonformen Auslegung betrachtet – erstaunlich wenig Kritik hervor. Dafür können mehrere Gründe ins Feld geführt werden. Zum einen wird davon ausgegangen, dass die ausgelegten Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe verfassungsgemäß sind. Das problematische Moment der Normerhaltung entfällt. Ferner wird der Inhalt der betreffenden Rechtsnormen als sehr offen oder konkretisierungsbedürftig begriffen, 259 so dass wenig die Gefahr besteht, den Willen des Gesetzgebers zu verfälschen oder die Grenzen der Auslegung zu überschreiten. 258 Die Gewaltenteilung kann auch an Grundrechtsfunktionen orientiert werden. Hans Heinrich Rupp, AöR 101 (1976), 161 (175), besteht darauf, dass die Grundrechte für die staatliche Politik als Handlungsnormen und für das Bundesverfassungsgericht als Kontrollnormen fungieren.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Es wird sogar angenommen, der Gesetzgeber selbst habe die Gerichte und Behörden zur Konkretisierung beauftragt oder ermächtigt. 260 Schließlich bereitet die Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen gerade auf Grund ihrer Offenheit einiges Unbehagen – spätestens, seitdem Bernd Rüthers 261 seine Analyse ihrer Verwendung im Nationalsozialismus vorgelegt hat. Mit einer Auslegung im Lichte der Verfassung fühlen sich die Rechtsanwender / innen auf der sicheren Seite.

I. Eine unnötige Doppelung von Verfassungsvorgaben Es darf aber trotz allem gefragt werden, welchen Sinn die Etablierung einer „verfassungsorientierten Auslegung“ als Methode oder Institut haben soll. Warum müssen „offene“ Rechtsnormen 262 mit Hilfe der Verfassung konkretisiert werden, bevor sie angewendet werden können? Es wird gesagt, die verfassungsorientierte Auslegung solle den Rechtsanwendungsvorgang bereichern, indem sie die Rechtsanwender / innen verpflichte, neben einfachrechtlichen Normen auch die Verfassung zu beachten. 263 Diese Bereicherung ist völlig unnötig aufgedrängt, weil 259 Vgl. Uwe Seetzen, NJW 1976, 1997 (1998): Konkretisierung wertausfüllungsbedürftiger Normen; zur Offenheit gesetzlicher Normen auch Christian Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 264 ff. 260 Vgl. Markus Bock, Der Rechtsnormcharakter der Entscheidungen des Großen Senats, 1997, S. 43 f., m.w. N.: Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen; ähnlich Jürgen Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, 1971, S. 134; Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 63 ff.; Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 240; Gertrude Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 132; Bodo Pieroth / Tobias Aubel, JZ 2003, 504 (509); Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 615: Generalklauseln als Kompetenznormen; Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 689. Skeptisch: Anne Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 49 ff. Nach Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 142 ff., ist die Wirksamkeit dieser Delegation in jedem Einzelfall zu prüfen. – Aus Sicht einer strukturellen positivistischen Rechtstheorie ist jede Abgabe genereller Normen zur Individualisierung an die sog. Rechtsanwender / innen eine Ermächtigung zur individuellen Rechtsetzung. 261 Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, [1. A. 1968] 5. A. 1997, passim; allerdings ist Bernd Rüthers insgesamt methodenskeptisch und geht davon aus, dass mit juristischen Methoden nahezu beliebige politisch gewünschte Ergebnisse erlangt werden könnten, weshalb nicht die oder eine juristische Methode gegen Umdeutungen des Rechts schützen könne, sondern nur kritisches Methodenbewusstsein (S. 486 ff.). Scharfe Kritik an dieser These kommt von Klaus Luig, NJW 1992, 2536 ff., der an Beispielen aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts im Nationalsozialismus zu beweisen versucht, dass bestimmte Ergebnisse nicht auf methodischem Wege gewonnen werden konnten (S. 2537 f.), und am Ende die Gegenthese aufstellt, dass zumindest in einem verwissenschaftlichten Rechtssystem im Sinne Franz Wieackers die Methode eben nicht für alle Zwecke zur Verfügung steht (S. 2539). 262 Vgl. Josef Esser, Grundsatz und Norm, 4. A. 1990, S. 218 ff., zum Recht als „offenem System“.

D. Die sog. „verfassungsorientierte Auslegung“

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die Rechtsanwender / innen schon auf Grund ihrer Verfassungsbindung verpflichtet sind, die Verfassung zu beachten. Auch für „offene“ Gesetzesnormen gilt, dass sich mit Hilfe von Verfassungsnormen nicht feststellen lässt, welchen Inhalt sie haben, sondern höchstens, welche inhaltlichen Vorgaben von Verfassungs wegen für sie bestehen. Die sog. verfassungsorientierte Auslegung verfehlt einmal mehr den generell-abstrakten Regelungscharakter von Gesetzen und übersieht das Nebeneinander von Gesetzes- und Verfassungsbindung. Selbst wenn es möglich sein sollte, die Verfassungsinhalte irgendwie in das Gesetz einzuspeisen, wäre der Erfolg doch lediglich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben im ermächtigenden Normenkomplex doppelt auftreten, einmal auf Verfassungs- und einmal auf Gesetzesebene. Der Sinn dieses Vorgehens erschließt sich nicht.

II. „Verfassungsorientierte Auslegung“ nur Ausdruck einaktiger Rechtsgewinnungstheorie Bei der Setzung der Einzelfallnorm sind Gerichte und Behörden nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Da Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe einen größeren Freiraum bei der Rechtsetzung gewähren, kann die Verfassungsbindung bei ihrer Anwendung auch faktisch (!) größere Bedeutung entfalten. Einer Doppelung von Verfassungsnormen in der Rechtsanwendung bedarf es dabei nicht. Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe lassen den Freiraum der behördlichen und gerichtlichen Rechtsetzung nur besonders sichtbar werden. 264 Der daraus entstehenden Verunsicherung in der Methodenlehre 265 sollte nicht durch Rückgriff auf die Verfassung abgeholfen werden. Die überflüssige Konzipierung einer verfassungsorientierten Auslegung enttarnt sich als Versuch, abstrakt-generelle Regelungen so lange „auszulegen“, bis die Einzelfallnorm quasi dem Gesetz entnommen werden kann. Folglich ist sie nicht mehr als Ausdruck einer mit grundgesetzlichen Weihen versehenen einaktigen Rechtsgewinnungstheorie. Der Gebrauch des Begriffes wie der Methode ist daher abzulehnen. 263

Malte Graßhof, in: Dieter C. Umbach u. a. (Hg.), BVerfGG, Mitarbeiter-Kommentar, 2. A. 2005, § 79, Rn. 21. 264 Zu seiner Zeit beklagt sich Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1573 (1578), dass doch zumindest die beim Gesetzgeber so beliebten Generalklauseln ein deutliches Zeichen [seiner Ansicht nach ohnehin strukturell vorhandener] richterlicher Freiheit seien, doch selbst diesbezüglich habe sich das erlösende Wort vom Richter als Rechtsschöpfer nicht unangefochten einbürgern können. 265 Für die Ebene der Verfassung ist Ernst-Wolfgang Böckenförde, NJW 1976, 2089 (2096 f.), sehr kritisch gegenüber jeder Konkretisierung, die sich als Interpretation ausgibt und ihr Vorverständnis nicht offen legt.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

E. Die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung Die herrschende Dogmatik und Methodenlehre betrachten die sog. Rechtsfortbildung als einen Sonderfall gerichtlicher Tätigkeit, in welchem das Gericht ausnahmsweise befugt sein soll, ohne einschlägige gesetzliche Grundlage zu entscheiden. 266 Davon zu unterscheiden ist die weitergehende Problematik des „Richterrechts“, also die Frage, ob Fachgerichte ermächtigt sind, generelle, allgemeinverbindliche Normen mit gesetzesgleicher derogatorischer Kraft zu erlassen. 267 Da die Zulässigkeit der sog. Rechtsfortbildung Voraussetzung ist, um über Rang und Bindungswirkung der dabei entstehenden Normen nachzudenken, sind die Ausführungen zunächst auf diese zu beschränken. Mit der Unterscheidung in Rechtserkenntnis und Rechtsetzung verändert sich auch die Einschätzung der sog. Rechtsfortbildung. 268 Jede gerichtliche Entscheidung beinhaltet einen Rechtsetzungsakt und muss auf Ermächtigungsnormen beruhen, um rechtlich existent zu sein. Für die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung kann die Ermächtigungsgrundlage in der Verfassung, insbesondere in den Grundrechten, gesucht werden.

I. Grundrechte, Schutzpflichten und Gesetzesvorbehalte Fraglich ist, ob die Grundrechte als Ermächtigungsgrundlage für gerichtliche Rechtsetzung in Betracht kommen. Die Grundrechte verleihen als solche keine Rechtsetzungsmacht. Sie sind aber Teil des ermächtigenden Normenkomplexes insofern, als sie die inhaltlichen Grenzen gerichtlicher Rechtsetzung bestimmen. 269 Allerdings sollen Grundrechte eine Verpflichtung zu staatlichem Handeln begründen, wenn sie als Schutzpflichten 270 zu verstehen sind. Dabei handelt es sich 266 Vgl. Bernd Bender, MDR 1959, 441 (443): „eine Art Surrogatgesetzgebung ad hoc“. Sehr kritisch zum herrschenden Verständnis: Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (36 ff.); Friedrich Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 65 (66 ff.). 267 Erhellend Rainer Lippold, DVBl. 1989, S. 140 –143. Zur „Rechtsnormqualität“ von „Richterrecht“ vgl. Rainer Bakker, Grenzen der Richtermacht, 1994, S. 137; Markus Bock, Der Rechtsnormcharakter der Entscheidungen des Großen Senats, 1997, S. 59 ff., 131 ff. 268 Vgl. dazu oben, Teil 2 D II. 269 Vgl. Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 103 f., wonach aus der Verfassungsorientierung der Rechtsprechung allein keine Ermächtigung zur Rechtsfortbildung abgeleitet werden kann, sondern nur eine Begrenzung der gerichtlichen Macht. 270 Dazu statt vieler: Josef Isensee, in: ders. / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 5, 2. A. 2000, § 111, Rn. 12 ff., 18 ff.; Günter Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, passim; Matthias Ruffert, Vorrang der Verfassung, 2001, S. 141 ff.; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 931 ff.; kritisch zum Schutzpflichtenverständnis: Ralf Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 192 ff.; für eine Beschränkung dieser Dimension auf Strafrecht und

E. Die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung

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hauptsächlich um den Schutz von Menschenwürde, Leben oder Gesundheit vor Beeinträchtigungen durch private Dritte 271 oder durch die Risiken bzw. Folgen des sog. technischen Fortschritts 272. Daher läge es nahe anzunehmen, dass zumindest in diesen Konstellationen die Grundrechte als Ermächtigungsgrundlage auch gerichtlicher Rechtsetzung in Betracht kommen. 273 1. Schutzpflichten und grundrechtliche Gesetzesvorbehalte Allerdings bedeutet der Schutz des einen Grundrechts – insbesondere, wenn vor den Handlungen privater Dritter oder dem technischen Fortschritt, von dem private Dritte profitieren, geschützt werden soll – gewöhnlich den Eingriff in ein anderes. 274 Die meisten Grundrechte stehen aber unter Gesetzesvorbehalten und für die unbeschränkt gewährleisteten Grundrechte gilt der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes. Das bedeutet, dass nur durch oder auf Grund eines Gesetzes in Grundrechte eingegriffen werden darf. Das Konzept der richterlichen Rechtsfortbildung steht mit dieser Anforderung in einem gewissen Spannungsverhältnis. 275 Prominentes Beispiel einer daher unzulässigen, wenngleich vom Bundesverfassungsgericht 276 Öffentliches Recht: Jürgen Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 140 ff. 271 Dazu BVerfGE 105, 279 ff. (Sektenwarnung); 103, 89 ff. (Ehevertrag); 95, 173 ff. (Nichtraucherschutz); 46, 160 ff. (Schleyer); 88, 203 ff. und 39, 1 ff. (Schwangerschaftsabbruch). 272 Dazu BVerfG (K), NJW 1998, 3264 ff. (Waldsterben); BVerfG (K), NJW 1996, 651 (Ozon); BVerfGE 77, 170 ff. (chemische Waffen); 53, 30 ff. (Mühlheim Kärlich); BVerfGE 49, 89 ff. (Kalkar). 273 Nach Claus Dieter Classen, AöR 122 (1997), 65 (86), setzt sich der Schutzauftrag im Zweifel gegen die Gesetzesbindung durch und ermächtigt zur Rechtsfortbildung. Ablehnend Anne Röthel, JuS 2001, 424 (427 f.). 274 Zum „Schutz durch Eingriff“: Rainer Wahl / Johannes Masing, JZ 1990, 553 ff.; vgl. auch Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Vorb., Rn. 102, m.w. N.; Christian Hillgruber, JZ 1996, 118 (123 ff.); Wolfgang Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (45, Fn. 166); Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 42 ff.; Günter Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 282 ff.; Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 101. Zutreffend stellt Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2290), fest, dass die Gerichte als Inhaber staatlicher Gewalt auch potentielle Verletzer von Grundrechten sind; vgl. auch Anne Röthel, JuS 2001, 424 (428), m.w. N. 275 Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 511 (519), hat die Rechtsprechung analysiert und festgestellt, dass das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsfortbildung durch Analogie im Strafrecht immer verbiete, im Öffentlichen Recht bei Grundrechtseingriffen ablehne, im Zivilrecht aber trotz Grundrechtskollisionen für zulässig halte, dort greife es dann recht undifferenziert zum Instrument der Abwägung (S. 529). Aber letztere wird von Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 151, schließlich auch als „fundamentale und ubiquitäre juristische Methode“ charakterisiert; sehr kritisch dazu Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 97, Rn. 17.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

abgesegneten gerichtlichen Rechtsetzung ist der vom Bundesgerichtshof 277 direkt aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) abgeleitete Schmerzensgeldanspruch. Die Entscheidung war verfassungswidrig, weil in Grundrechte des zur Zahlung Verurteilten eingegriffen wurde, was eine gesetzliche Grundlage erforderte, die nicht existierte. 278 Allerdings ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle fachgerichtlicher Rechtsfortbildung im Privatrecht ohnehin von einer gewissen Großzügigkeit geprägt. 279 Hintergrund scheint eine denkwürdige Gleichsetzung von Zivilgerichtsbarkeit und Zivilrechtssubjekten zu sein. 280 Für Bürgerinnen und Bürger mag die Feststellung noch zutreffend sein, dass alles, was nicht verboten ist, erlaubt sei. Das Zivilgericht dagegen bedarf der Rechtsgrundlage für seine hoheitliche Tätigkeit – und das nicht nur, wenn Grundrechte verletzt werden können. 281 Die Frage ist aber zunächst, ob im Grundrechtsbereich eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist. Primärer Adressat grundrechtlicher Schutzpflichten soll der Gesetzgeber sein, weshalb allerorten von einer „Gesetzesmediatisierung der Schutzpflichten“ die Rede ist. 282 Dieser zutreffende Gedanke wird allerdings kaum in die entsprechende Dogmatik überführt. Erfolgt der Schutz – wie gewöhnlich – durch Eingriff in die 276

BVerfGE 34, 269 ff. BGH, NJW 1965, 685 ff. Vgl. auch BGHZ 128, 1 ff.; 39, 124 ff.; 35, 363 ff.; 30, 7 ff. 278 So auch Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 208, der überdies moniert, dass die Entscheidung methodisch falsch gewesen sei, da es keine Lücke im Gesetz gab, sondern die Regelung des § 253 BGB. Nach Jörn Ipsen, NJW 1977, 2289 (2292), hätte methodisch korrekt § 253 BGB als verfassungswidrig außer Anwendung gelassen werden müssen; ebenso Hans-Joachim Mertens, JuS 1962, 261 (266). Vgl. auch die Kritik von Christian Hillgruber, JZ 1996, 118 (120 ff.); und Friedrich Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 65 (75 f.). 279 Vgl. dazu Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 291 ff.; Martin Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, 2000, S. 198 ff., m.w. N. 280 Günter Dürig, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 1, Rn. 121 (Stand: 1958), darf als Begründer der verfassungsdogmatisch faszinierenden Konzeption gelten, nach der die Grundrechtsbindung der Zivilgerichte abhängig sei von der Grundrechtsbindung der streitenden Zivilrechtssubjekte und jeder Hinweis auf den hoheitlichen Charakter der Rechtsprechung fehlgehe. Konsequent fortgeführt von Wolfram Höfling, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 1, Rn. 100, der vorschlägt, die inhaltliche Bindungswirkung der Grundrechte für die Rechtsprechung aus der Grundrechtsbindung von Gesetzgebung und vollziehender Gewalt zu folgern; wobei auch er Art. 1 Abs. 3 GG wohl großzügig übersieht. Vgl. ferner Peter Badura, Staatsrecht, 3. A. 2003, C Rn. 23. 281 Nicht zuletzt aus praktischen Erwägungen wird angenommen, dass der Vorbehalt des Gesetzes nur für das Verwaltungsrecht und das Strafrecht gelte, jedenfalls nicht für die Tätigkeit der Zivilgerichte, so Hasso Hofmann, Das Recht des Rechts, 1998, S. 34 f.; vgl. auch Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 135. Andererseits wird der Erkenntnis Raum gegeben, dass „nicht nur hoheitliche Eingriffe, sondern auch Entscheidungen der Zivilgerichte“ Grundrechte verletzen können, vgl. nur Dieter Lincke, EuGRZ 1986, 60 (60). 277

E. Die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung

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Rechte anderer, ist dies zuvörderst eine Frage der Grundrechte als Abwehrrechte und damit des Gesetzesvorbehaltes. 283 Nach traditionellem Verständnis sollen grundrechtliche Gesetzesvorbehalte wie allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes zwar nur gegen die Verwaltung gelten. 284 Unbefangen betrachtet, ist die Vorstellung jedoch irritierend, dass Gerichte aus eigener Machtvollkommenheit in Grundrechte eingreifen könnten. 285 Der Grundrechtsschutz erscheint so erheblich geschmälert. Dahinter steht wohl die Auffassung, Gerichte wären besonders gut geeignet, grundrechtlich geschützte Interessen zum Ausgleich bringen. 286 Zum einen verstellen die guten Absichten einer praktischen Konkordanz 287 aber den Blick auf Grundrechtseingriffe als mögliche Ergebnisse der grundrechtlichen Abwägung. Zum anderen sollten sich auch Ansätze zu einer funktionsadäquaten Aufgabenverteilung im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts halten. 288 Die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte kennen keine Beschränkung auf Eingriffe durch die Exekutive. 289 282

Vgl. statt vieler: Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 1 III, Rn. 35; Josef Isensee, in: ders. / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 5, 2. A. 2000, § 115, Rn. 148, § 111, Rn. 153; Matthias Ruffert, Vorrang der Verfassung, 2001, S. 228 ff.; sowie Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 951, der die Hauptlast der Schutzverwirklichung aber bei den Gerichten sieht, da die Gesetzgebung unzureichend arbeite, und damit das Kompetenzproblem völlig unterschlägt. 283 Dazu auch Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 169 ff. 284 Vgl. dazu Christian Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 204 ff.; Reinhard Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, 1988, insbes. S. 103 ff.; Hasso Hofmann, Das Recht des Rechts, 1998, S. 18; Fritz Ossenbühl, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 2. A. 1996, § 62, Rn. 7; Christian Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 273 ff. Allerdings führen das Streben nach Privatisierung und „Wettbewerb“ auch im Bereich der Verwaltung dazu, dass der Vorbehalt des Gesetzes vielfach missachtet wird, vgl. dazu anschaulich Joachim Lege, JZ 2005, 698 (703 f.), am Beispiel des Akkreditierungswesens. 285 Anne Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 119, sieht in richterlicher Schutzgewähr ohne gesetzliche Grundlage einen Verstoß gegen den Gesetzesvorbehalt; vgl. schon Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 42 ff. Positiv gewendet verlangt Hans-Peter Schneider, NJW 1980, 2103 (2106), für jeden Grundrechtseingriff eine klare, eindeutige und vollständige gesetzliche Ermächtigung, die nicht im Wege „richterlicher Rechtsfortbildung“ geschaffen oder ergänzt werden könne. 286 Vgl. auch Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (137), wonach ein wesentliches Problem darin liegt, dass die Rechtsfortbildung nicht als Kompetenzproblem begriffen wird, sondern als Frage methodengerechter Rechtsanwendung; ähnlich Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 41 ff., 47 ff.; zu den möglichen Folgen: Christian Hillgruber, JZ 1996, 118 (125). Allerdings bietet auch die Methodenlehre kein schlüssiges Konzept gelungener Abwägung, weshalb diese im Zweifel gern unterschlagen wird, vgl. Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 101 ff. Kritisch ferner Klaus Rennert, NJW 1991, 12 (17), zur (vorgeblich) größeren Flexibilität und Akzeptanz des Richterrechts. 287 Begriff von Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. A. 1995, Rn. 317 ff. 288 Vgl. Josef Isensee, in: ders. / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 5, 2. A. 2000, § 111, Rn. 148: „Die Schutzpflicht als Staatsaufgabe vermittelt keine Kom-

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Wenig zielführend ist es, mit der Etablierung von Schutzpflichten und verfassungskonformer gerichtlicher Rechtsfortbildung den Grundrechtsschutz der einen gegen die Gewaltenteilung und den Grundrechtsschutz der anderen auszuspielen. 290 Die Rechtsprechung ist ebenso wie die Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG dem Gesetzgeber nachgeordnet und bedarf für Grundrechtseingriffe einer von ihm erteilten Ermächtigung. Könnten Gerichte unter Berufung auf grundrechtliche Schutzpflichten jederzeit Grundrechtseingriffe vornehmen, 291 wäre die dritte Gewalt tatsächlich entfesselt und die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte würden vielfach leerlaufen. Die Bindung der Rechtsprechung an die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 3 GG umfasst auch die Bindung an die Gesetzesvorbehalte als Teil der grundrechtlichen Gewährleistung. 2. Schutzpflichten und allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes Es sind nicht viele Fälle denkbar, in denen eine grundrechtliche Schutzpflicht besteht, deren Erfüllung nicht mit einem Eingriff in andere Grundrechte verbunden ist. Und auch in diesen Konstellationen lässt die darin liegende Beeinträchtigung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit 292 die Zulässigkeit einer sog. verfassungskonformen Rechtsfortbildung zumindest als fraglich erscheinen. Die geringe inhaltliche Dichte grundrechtlicher Vorgaben führt dazu, dass meist mehrere petenz. Aufgabe und Kompetenz müssen unterschieden werden“; ferner Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 254 ff., zu Rechtsfortbildung und verfassungsrechtlicher Funktionenordnung. 289 Nach Ansicht von Ralf Poscher, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 127 (141 f.), sollen daher grundrechtliche Gesetzesvorbehalte auch für die Rechtsprechung gelten, der allgemeine rechtsstaatliche Gesetzesvorbehalt aber auf die Exekutive beschränkt bleiben. 290 Verfassungsverletzung unter Berufung auf die Verfassung – ob die betroffenen Grundrechtsträger / innen diesen exquisiten Sinn für Dialektik teilen können, erscheint zweifelhaft. Zudem bestreiten Rainer Wahl / Johannes Masing, JZ 1990, 553 (558 f.), grundsätzlich die Gleichrangigkeit von Eingriffsabwehr und Schutzpflicht; im Regelfall könne nur eine gesetzlich konkretisierte Schutzpflicht als Eingriffsermächtigung dienen (S. 562 f.); für letzteres auch Christian Hillgruber, JZ 1996, 118 (124); Matthias Ruffert, Vorrang der Verfassung, 2001, S. 229. Anders Jürgen Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 65 f.: verweigerte Schutzgewähr selbst als Eingriff. 291 Klar ablehnend: Johannes Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, S. 67 ff.; Matthias Ruffert, Vorrang der Verfassung, 2001, S. 228 ff.; Rainer Wahl / Johannes Masing, JZ 1990, 553 (555 ff.); eher ablehnend: Hans H. Klein, DVBl. 1994, 489 (491 ff.); anders nur für ganz eng begrenzte Ausnahmen: Günter Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 285 ff., 292; insgesamt unklar: Peter Krause, JZ 1984, 656 (659 ff.), mit Verweis auf eine Rechtsverweigerung einerseits (S. 660), den Gesetzgeber andererseits (S. 661). Dagegen scheint Gerhard Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 144 ff., 178 ff., weitgehend begründungsfrei von der Zulässigkeit solch gerichtlichen Handelns auszugehen. Und Christian Starck, JuS 1981, 237 (245), schließt die Vorstellung einer Grundrechtskollision für das Privatrecht einfach aus.

E. Die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung

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Möglichkeiten verfassungskonformer Ausgestaltung bestehen. Und Ausgestaltung und Schutz der Grundrechte obliegen – in den Grenzen der Verfassung – in der parlamentarischen Demokratie zuvörderst dem Gesetzgeber. 293 Es sei nur an das Stichwort vom legislativen Primat der Verfassungskonkretisierung erinnert. Die Nachordnung der Gerichte ist nicht nur eine Frage des Stufenbaus, sondern mehr noch der demokratischen Legitimation. Die demokratische Legitimation der dritten Gewalt ist Gegenstand einer inzwischen unüberschaubaren Literatur, 294 auf die hier nicht näher eingegangen werden kann oder muss. Deutlich ist jedenfalls, dass die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter einen unmittelbaren 295 Einfluss des Volkes bzw. seiner Vertreter / innen auf ihre Arbeit ausschließt. 296 Der damit verbundene Mangel an personeller Legitimation soll durch eine strikte Gesetzesbindung ausgeglichen werden. 297 Dies ist in der parlamentarischen Demokratie nur konsequent. 298 Das Parlament 292 Mahnend Christian Hillgruber, JZ 1996, 118 (124), auch für rein begünstigende Regelungen; ferner Stefan Oeter, AöR 119 (1994), 529 (550), der den Spielraum zur Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten als dem Zugriff der Fachgerichte grundsätzlich entzogen ansieht. 293 Zumindest missverständlich insoweit Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 152: „Die Verfassung bedarf zu ihrer Geltung keiner Vermittlungsnorm im einfachen Gesetz.“ – Um die Geltung der Verfassung geht es hier nicht. – Zur Bedeutung des Gesetzgebers vgl. auch die sog. „Wesentlichkeitstheorie“: BVerfGE 98, 218 (251); 83, 130 (140); 77, 170 (230 f.); 61, 260 (275); 49, 89 (126); 47, 46 (79); BVerwGE 109, 29 (37); 68, 69 (72). 294 Statt vieler: Axel Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006. 295 Zu den nicht unerheblichen Möglichkeiten indirekter Einflussnahme: Dieter Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 21 ff.; Uwe Wesel, Geschichte des Rechts, 2. A. 2001, S. 510. 296 Nach Ansicht von Gerd Roellecke, VVDStRL 34 (1976), 7 (30 f.), könnte daher auch eine Wahl der Richter / innen nichts zur Legitimation ihrer verbindlichen Entscheidungen beitragen. In diese Richtung auch Christian Starck, VVDStRL 34 (1976), 43 (47). Anders Claus Dieter Classen, JZ 2007, 53 (59 f.), sowie ders., in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 97 Abs. 1 GG, Rn. 15, zur Rechtsfortbildung durch die gewählten Richter / innen an den obersten Bundesgerichten. 297 Vgl. Claus Dieter Classen, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 97 Abs. 1 GG, Rn. 6; Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 9 ff. Nach Ansicht von Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005 S. 260 ff., verlangt die schwache demokratische Legitimation der Richter / innen Zurückhaltung im Bereich des sog. Richterrechts; vgl. auch Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Demokratie), Rn. 144, m.w. N. Dagegen will Katja Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, 1996, S. 16 ff., das Legitimationsproblem des Richterrechts durch ein Konzept der Unterscheidung von principles und policies lösen; strikt ablehnend zu alternativen Legitimationswegen: Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 204 ff.; für ergänzende Legitimationskriterien: Andreas Voßkuhle / Gernot Sydow, JZ 2002, 673 (680 ff.).

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

ist nicht nur durch Wahlen unmittelbar demokratisch legitimiert. Es ist auch der Ort, an dem sich Bürgerinnen und Bürger durch gesellschaftliche Organisation in Rechtsetzungsprozesse einbringen können. 299 Der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes ist Ausdruck der demokratischen Legitimation der untergesetzlichen Rechtserzeugung. So erscheint es geradezu als verkehrte Welt, die Verwaltung, die durch politische Kontrolle und Hierarchien eine erhebliche personelle Legitimation aufweist, unter Gesetzesvorbehalt zu stellen, die weisungsunabhängige Rechtsprechung aber nicht. Wenn die demokratische Legitimation der Justiz fast ausschließlich über ihre Gesetzesbindung erfolgt, muss der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes schon aus diesem Grund für sie gelten. 300 Die Beschränkung des Vorbehalts des Gesetzes auf die Verwaltung, 301 dessen Verwendung dort ohnehin eine funktionelle Umkehrung erfahren hat, 302 ist wenig mehr als Ausdruck eines traditionell gepflegten Antagonismus von Verwaltung 298

Auch Christian Hillgruber, JZ 1996, 118 (124 f.); sowie Friedrich Müller, in: Methodik, Theorie, Linguistik des Rechts, 1997, S. 36 (42), begreifen das Richterrecht als erhebliches Demokratieproblem. Dieses soll sich nach Ansicht des letzteren allerdings durch „Einschreibung in die Textstruktur des Rechtsstaates“ lösen lassen, vgl. Friedrich Müller / Ralph Christensen, in: Methodik, Theorie, Linguistik des Rechts, 1997, S. 71 (83 ff.). 299 Vgl. dazu Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. A. 1929. 300 So auch Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (137); ferner Christian Hillgruber, JZ 1996, 118 (120 ff.); Heike Pohl, Rechtsprechungsänderung und Rückanknüpfung, 2005, S. 33 ff.; Klaus Rennert, NJW 1991, 12 (17), lehnt die sog. Rechtsfortbildung auf Grund der demokratischen und rechtsstaatlichen Bedeutung des Gesetzes ab; Anne Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 63 ff., identifiziert die Wesentlichkeitstheorie als Delegationsverbot für Rechtsetzungsbefugnisse an die Rechtsprechung; Matthias Ruffert, Vorrang der Verfassung, 2001, S. 132, 229 ff., und Michael Sachs, in: ders. (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 20, Rn. 119 f., erstrecken den Vorbehalt des Gesetzes auch auf die Rechtsprechung, was Rechtsfortbildungen aber nicht grundsätzlich ausschließe; letztlich ratlos bleibt Jürgen Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 102 ff.; Christian Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 54 ff, sieht jedenfalls eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung als unzulässig an und stellt im Übrigen auf die Vorhersehbarkeit für den Bürger ab. Zum Diskussionsstand: Michael Scheffelt, Die Rechtsprechungsänderung, 2001, S. 201 ff. Gegen einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt für die Dritte Gewalt: Claus Dieter Classen, JZ 2003, 693 (697 ff.), der aber fordert, dass sich die richterliche Rechtsfortbildung im Rahmen des positiven Rechts hält (S. 699 f.); ähnlich Paul Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 11 (12). 301 Dies ist in weiten Teilen der Literatur so selbstverständlich, dass es nicht mehr der Erwähnung für notwendig erachtet wird, dass der ausführlich thematisierte Gesetzesvorbehalt nur für einige Rechtsanwender / innen gelten soll, vgl. nur Hans D. Jarass, in: ders. / Bodo Pieroth, Grundgesetz, 8. A. 2006, Art. 20, Rn. 44 ff.; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 105 ff. 302 Vgl. noch die Ansicht von Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 2. A. 1914, § 6, S. 71, wonach der Vorbehalt des Gesetzes nur die begrenzten Ausnahmen zur grundsätzlich (gesetzes-)freien Verwaltungstätigkeit beschreibt, während die Justiz einer strikten Gesetzesbindung unterliegt; dieser grundlegende Unterschied sollte sich insbesondere im Bereich des Ermessens auswirken (§ 9, S. 101).

E. Die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung

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und Rechtsprechung, dem es aber weitgehend an argumentativer Absicherung mangelt. 303 Auch das Argument, die Rechtsprechung müsse entscheiden, überzeugt nicht. Die Verwaltung kann ebenso unter Entscheidungszwang stehen, wenn bsw. Anträge beschieden werden müssen, und hat noch nicht ihre Handlungsunfähigkeit auf Grund des Gesetzesvorbehalts bekannt geben müssen. Den Justizgewährungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG in eine Pflicht zur Rechtsfortbildung umzudeuten, 304 unterschlägt das Kompetenzproblem recht unelegant. Schließlich können praktische Probleme auftreten, wenn die Ausgestaltung von grundrechtlichen Schutzpflichten divergierenden gerichtlichen Konzepten anheim gestellt wird. Gerade diese Grundsatzfragen lassen eine gesetzliche Regelung als wünschenswert erscheinen. Deutsche Traditionen eines ersehnten Richterkönigtums können gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen nicht ersetzen.

II. Die gesetzliche Ermächtigung zur Fortbildung des Rechts Folglich bleibt es dabei, dass auch die sog. Rechtsfortbildung – wie jede gerichtliche Rechtsetzung 305 – einer gesetzlichen Grundlage bedarf. 306 Dies erscheint zunächst widersinnig, ist ihre Voraussetzung doch gerade die sog. Lücke im Gesetz. 307 In anderen Rechtsordnungen ist die gerichtliche Rechtsfortbildung aber durchaus gesetzlich geregelt, so im schweizerischen Zivilgesetzbuch und im österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch. 308 An einer solchen expliziten Vorschrift fehlt es in der deutschen Rechtsordnung. Allerdings wird die Fortbildung des Rechts mehrfach genannt. Die Senate der obersten Gerichts303 Immer noch lesenswert: Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, § 3, S. 21 –44, welcher der herrschenden Ansicht vorwirft, allein aus Gründen der Tradition dem positiv-rechtlichen Organdualismus einen Funktionsdualismus unterzuschieben, welcher der Überprüfung nicht standhalte (S. 30 ff.); allerdings sei eine (grobe) Abgrenzung anhand des organisatorischen Gegensatzes von relativer Unabhängigkeit und Weisung möglich (S. 37 ff.). Ähnlich Richard Thoma, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 76, S. 221 (233 ff.) für den Bereich der Rechtsfindung. Vgl. auch Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1625 (1640 ff.), S. 1781 –1811. 304 Für viele: Paul Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 11 (30 ff.); Stefan Oeter, AöR 119 (1994), 529 (547); Wolf-Rüdiger Schenke, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4, Rn. 272 ff. (Stand: 1982). 305 Dazu oben, Teil 2 B II, D II. 306 Vgl. Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 92, Rn. 8, Art. 97, Rn. 15, 23. 307 Auch Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 304 f., Fn. 129, gibt zu, dass eine solche Regelung, die auf das Fehlen einer Regelung abstellt, etwas paradox wäre, aber praktisch sehr nützlich und aus rechtstheoretischer Perspektive unverzichtbar (vgl. S. 180 f.). 308 Vgl. Art. 1 ZGB, § 7 ABGB.

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

höfe des Bundes können Fragen von grundsätzlicher Bedeutung dem jeweiligen Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn dies nach ihrer Auffassung „zur Fortbildung des Rechts [...] erforderlich ist“, vgl. § 132 Abs. 4 GVG, § 11 Abs. 4 VwGO, § 45 Abs. 4 ArbGG, § 41 Abs. 4 SGG, § 11 Abs. 4 FGO 309. Ferner können die Statthaftigkeit bzw. Zulässigkeit von Berufung 310, Revision 311 oder Rechtsbeschwerde 312 davon abhängig gemacht werden, ob sie zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts erforderlich sind. Folglich kann in Betracht gezogen werden, die genannten Bestimmungen als gesetzliche Grundlage richterlicher Rechtsfortbildung anzusehen. 313 Damit wäre der Kreis der Berechtigten eingeschränkt auf Berufungsgerichte in Zivilsachen und die obersten Gerichtshöfe des Bundes. 314 Unklar bleiben Voraussetzungen, Grenzen und Maßstäbe der sog. Rechtsfortbildung sowie die Qualifizierung der dabei entstehenden normativen Größen: „Richterrecht“ oder Einzelfallentscheid? 1. Die Rechtsfortbildungsvorlage zu den Großen Senaten Zunächst sind die Vorlageregelungen zu den Großen Senaten der obersten Gerichtshöfe des Bundes näher zu betrachten. Die Rechtsfortbildungsvorlage eines erkennenden Senates an den jeweiligen Großen Senat eines der obersten Gerichtshöfe des Bundes soll zulässig sein, wenn die Entscheidung der vorgelegten Rechtsfrage von prägender Bedeutung für das Rechtsleben oder von besonderer Bedeutung für die Rechtspflege ist. 315 Dieser Bedeutung lässt sich wohl nur mit der Aufstellung einer generellen Regel gerecht werden. Auch der Bundesgerichtshof sieht eine Rechtsfortbildung dann gegeben, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen. 316 Andererseits muss die vorgelegte Rechtsfrage für den erkennenden Senat konkret 309

Die Regelungen wurden durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vereinheitlicht, vgl. Gesetz vom 17. 12. 1990, BGBl I 1990, S. 2847. 310 Vgl. §§ 511 Abs. 4 Nr. 1, 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. 311 Vgl. §§ 543 Abs. 2 Nr. 2, 566 Abs. 4 Nr. 2 ZPO, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, § 219 Abs. 2 BEG. 312 Vgl. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 74 Abs. 2 GWB, § 100 Abs. 2 PatG, § 83 Abs. 2 MarkenG, § 80 Abs. 1 OWiG. 313 Statt vieler: Curt Wolfgang Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, 1995, S. 65 ff., 98 ff., 150 ff. 314 So auch Rainer Bakker, Grenzen der Richtermacht, 1994, S. 120 f., der daher bemängelt, dass diese Vorschriften häufig als einfachgesetzlicher Beleg für die Aufgabe der gesamten Rechtsprechung zur Rechtsfortbildung verstanden werden. Dagegen Markus Bock, Der Rechtsnormcharakter der Entscheidungen des Großen Senats, 1997, S. 147 f., der eine Beschränkung auf die Großen Senate ablehnt. 315 Vgl. Birgit Feldner, Verstärkte Senate beim Obersten Gerichtshof, Wien 2001, S. 117, m.w. N. 316 BGHSt 24, 15 (21).

E. Die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung

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entscheidungserheblich sein. 317 Das hinter der Vorlage stehende Interesse ist also immer noch die Setzung der Einzelfallnorm. Schließlich ist die Entscheidung des Großen Senates für den erkennenden Senat in der vorliegenden Sache verbindlich. Dies geht schon über den Grundsatz, dass nur die Parteien gebunden werden, hinaus, eine noch weitergehende Bindungswirkung ist aber nicht normiert. 318 Die fakultative 319 Rechtsfortbildungsvorlage ist folglich ein Verfahren, bei dem der erkennende Senat eine Fortbildung des Rechts wünscht, um eine Entscheidung im Einzelfall treffen zu können. 320 Die Ermächtigung zum Erlass von Leitsätzen oder zur Lückenschließung wird in den Regelungen zur Rechtsfortbildungsvorlage aber nicht expliziert, sondern es wird auf die ungeklärte Größe der „Fortbildung des Rechts“ Bezug genommen. Die fraglichen Bestimmungen selbst legen weder Voraussetzungen noch Grenzen der sog. Rechtsfortbildung fest. 321 Die vergleichbaren Regelungen im schweizerischen Zivilgesetzbuch 322 und im österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch 323 geben immerhin an, anhand welcher 317 BGHSt 33, 356 (359). – Mehr als befremdlich ist allerdings, dass der Große Senat seine Rechtsansicht in dieser Entscheidung ausdrücklich mit Verweis auf einen Beschluss des Reichsgerichtes vom 23. 2. 1938 absichern will. In der zitierten Entscheidung befasst sich der Große Senat des Reichsgerichtes nicht nur mit der Frage der Entscheidungserheblichkeit bei Vorlagen, sondern im gleichen Absatz auch mit den Anforderungen, die das Dritte Reich an die Rechtsprechung stellt, sowie dem „gesunden Volksempfinden“ als Maßstab der Rechtsfortbildung, vgl. RGSt 72, 91 (93 f.), insgesamt geht es um „Rassenschande“ zwischen einem „Juden deutscher Staatsangehörigkeit“ und einer „Staatsangehörigen deutschen Blutes“. 318 Etwas kurz Rainer Lippold, DVBl. 1989, 140 (142), zur obligatorischen Abweichungsvorlage, wenn er schlicht feststellt, was von Interesse war: dass die Rechtsansicht, von der abgewichen werden soll, eine generelle Norm sei. Zutreffend ist aber seine Beobachtung, dass es noch weitergehende Bindungen zwischen Fachgerichten geben kann. Vgl. dazu auch Markus Bock, Der Rechtsnormcharakter der Entscheidungen des Großen Senats, 1997, S. 169 ff., 177 ff., der sogar für eine allgemeine Verbindlichkeit der Rechtsfortbildungen durch die Großen Senate argumentiert. 319 Dies wird als unvereinbar mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG angesehen, weshalb eine verfassungskonforme Auslegung [sic!] der Vorschriften gefordert wird, welche aus der Ermessensentscheidung eine gebundene Entscheidung machen soll, vgl. für § 45 Abs. 4 ArbGG Rainer Bakker, Grenzen der Richtermacht, 1994, S. 224 ff., und Markus Bock, Der Rechtsnormcharakter der Entscheidungen des Großen Senats, 1997, S. 140 ff. 320 Vgl. die Definition von Helmut Coing, JuS 1975, 277 (277), für Richterrecht als die „von den Gerichten in Fortbildung des geltenden Gesetzesrechts entwickelten und als Entscheidungsgrundlage verwendeten Rechtssätze“. [Hervorhebungen im Original.] 321 In Bezug auf die Grenzen schlägt Friedrich Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 65 (80), eine verfassungskonforme Auslegung [sic!] der Vorschriften vor, wonach gerichtliche Entscheidungen praeter oder contra legem nicht gerechtfertigt sind. [Hervorhebung im Original.] 322 Art. 1 S. 2 ZGB: „Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde. Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.“

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

Maßstäbe entschieden werden soll, wenn eine einschlägige gesetzliche Grundlage fehlt. 324 Ferner lassen die Regelungen zur Rechtsfortbildungsvorlage jede Angabe über Rang oder Bindungswirkung der dabei entstehenden Leitsätze vermissen. Folglich erschöpft sich der Regelungsgehalt von § 132 Abs. 4 GVG, § 11 Abs. 4 VwGO, § 45 Abs. 4 ArbGG, § 41 Abs. 4 SGG, § 11 Abs. 4 FGO in der Feststellung, aus welchem Anlass (Vorlage) welche Instanz (Großer Senat) rechtsfortbildend tätig werden darf. Die Regelungen zur Rechtsfortbildungsvorlage gehen damit über eine Festlegung der Zuständigkeit zur Rechtsfortbildung nicht hinaus. Ihnen fehlen elementare Angaben, um selbst als Ermächtigungsnormen zu fungieren. 325 Als Zuständigkeitsnormen verweisen sie nur auf eine mögliche Ermächtigung, die andernorts gefunden werden muss. 2. Funktionelle oder gewohnheitsrechtliche Ermächtigung? Rechtsprechung und Lehre sind von der grundsätzlichen Befugnis der Gerichte zur sog. Rechtsfortbildung überzeugt. 326 Auch die Bundesregierung ging bei ihren Gesetzesentwürfen zur Änderung der FGO und der ZPO ganz selbstverständlich 323 § 7 ABGB: „Lässt sich ein Rechtsfall weder aus den Worten, noch aus dem natürlichen Sinne eines Gesetzes entscheiden, so muss auf ähnliche, in den Gesetzen bestimmt entschiedene Fälle, und auf die Gründe anderer, damit verwandter Gesetze Rücksicht genommen werden. Bleibt der Rechtsfall noch zweifelhaft, so muss solcher mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden.“ 324 Allerdings weist A. W. Heinrich Langhein, Das Prinzip der Analogie als juristische Methode, 1992, S. 216, Fn. 44, zutreffend darauf hin, dass auch der vielgerühmte Art. 1 ZGB keine Methode im eigentlichen Sinne anbietet. 325 Das Bemühen, den Vorschriften durch verfassungskonforme Auslegung die notwendigen Regelungsgehalte zu unterlegen (vgl. Teil 3, Fn. 319, 321), ist ein deutlicher Hinweis auf dieses Problem. Zur Frage, nach welchen Maßstäben die Fortbildung des Rechts erfolgen soll, zitiert Erwin Stein, NJW 1964, 1745 (1748), das schweizerische ZGB, ohne diese Anleihe in einem fremden Rechtssystem kenntlich zu machen. 326 Vgl. statt vieler Claus Dieter Classen, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 97 Abs. 1 GG, Rn. 14, m.w. N.; Josef Esser, Grundsatz und Norm, 4. A. 1990, S. 227: „Logik, Analogie und Fortbildung sind nicht kraft irgendeiner positiven Legalisierung solcher Prinzipien möglich, sondern aus Wesen und Funktionsanspruch rechtlicher Ordnung selbst.“; Katja Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, 1996, S. 3: „Die Rechtsfortbildung und die Entwicklung von Richterrecht sind notwendiger Bestandteil unserer Rechtsordnung.“; Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 286: „Die Befugnis namentlich des Richters zur Schließung normativer Regelungslücken durch ergänzende Rechtsfortbildung entspricht deutscher Rechtstradition und ist in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt.“; Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 65 ff.; Fritz Ossenbühl, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 2. A. 1996, § 61, Rn. 35 ff.; Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 618: „Notwendigkeit und Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung stehen außer Frage.“; Bruno Schmidt-Bleibtreu / Axel

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davon aus, dass ein öffentliches Interesse an der Fortbildung des Rechts besteht 327 und dass die sog. Rechtsfortbildung eine Aufgabe des Bundesgerichtshofes ist 328. Die Regelungen zur Rechtsfortbildungsvorlage werden auch nicht unbedingt als Kompetenzgrundlage begriffen, sondern als Verweis auf eine Befugnis, welche dieser Normierung voraus liegt. 329 Nicht selten wird behauptet, die sog. Rechtsfortbildung gehöre einfach zum Aufgabenbereich der Rechtsprechung. 330 Dies ist eng verwandt mit der Idee natürlicher Funktionsbereiche der Staatsgewalten. 331 Die Entwicklung von Funktionsbereichen und die Aufgabenabgrenzung anhand dieser Bereiche hat aber einen erheblichen Nachteil: Sie kann jederzeit durch positiv-rechtliche Setzung inhaltlich abweichender Bestimmungen korrigiert werden. 332 Und wieder werden ganze Bibliotheken Makulatur. Damit soll nicht negiert werden, dass es insbesondere in der Verfassung Bestimmungen gibt, welche Grenzen für die beliebige Regelung von Aufgabenzuweisungen statuieren. Das Schrifttum zu streitigen FraHopfauf, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Vorb. v. Art. 92, Rn. 3: „herkömmliche und stets bewältigte richterliche Aufgabe“, „Natur der Tätigkeit höherer Gerichte“. 327 Vgl. BR-Drs. 440/00 vom 18. 8. 2000 (2. FGOÄndG), S. 11; BR-Drs. 536/00 vom 8. 9. 2000 (ZPO-RG), S. 168. 328 Vgl. BR-Drs. 536/00 vom 8. 9. 2000 (ZPO-RG), S. 167 f., 294. 329 Vgl. BVerfGE 65, 182 (190 f.): „Rechtsfortbildung war in der deutschen Rechtsgeschichte nicht nur seit jeher eine anerkannte Funktion der Rechtsprechung; sie ist im modernen Staat geradezu unentbehrlich. Gewichtige Regelungen des gegenwärtigen bürgerlichen wie öffentlichen Rechts beruhen auf ihr. Das geltende Recht anerkennt sie zumal für die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. § 137 GVG).“ Ähnlich schon BVerfGE 49, 304 (318); 34, 269 (286 ff.). 330 Vgl. nur BVerfGE 111, 54 (81); 82, 6 (12); 74, 129 (152 f.); 71, 354 (362 f.); 69, 188 (203); 65, 196 (210 ff.); 49, 304 (318); 34, 269 (287 f.). Scharfe Kritik an dieser Betrachtungsweise bei Christian Hillgruber, JZ 1996, 118 (119): „So erkenntnisfördernd die rechtshistorische Betrachtung von Amt und Funktion des Richters ist, so dürfen doch daraus nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf die richterlichen Befugnisse unter den grundlegend veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen des demokratischen Verfassungsstaates gezogen werden, [...].“ In der angegriffenen Konzeption spielt das angebliche „Altern“ von Kodifikationen eine entscheidende Rolle, vgl. nur BVerfGE 96, 375 (394); Rainer Bakker, Grenzen der Richtermacht, 1994, S. 48; strikt ablehnend zu dieser „soziologisch inspirierten Auffassung“ mit ihren „verheerenden Auswirkungen auf den richterlichen Gesetzesgehorsam“: Christian Hillgruber, JZ 1996, 118 (121 f.); insgesamt teilt sie ihren Mangel an Überzeugungskraft mit der Vorstellung von einem lebenden Recht, vgl. oben Teil 3 C I 1a. 331 Zu Befugnis und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung aus dem Blickwinkel der sachgerechten Funktionsteilung vgl. Claus Dieter Classen, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 97 Abs. 1 GG, Rn. 15 ff. 332 Auch Matthias Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 135 ff., fordert normierte Kompetenzen statt den Bezug auf Kernbereiche oder materielle Funktionen.

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gen zeigt aber gerade, dass diese begrenzenden Regelungen nicht geeignet sind, die Aufgabenbereiche der einzelnen Staatsgewalten eindeutig und dauerhaft festzulegen. 333 Es genügt daher nicht zu behaupten, die sog. Rechtsfortbildung sei Aufgabe der Rechtsprechung. 334 Diese Kompetenzzuweisung muss sich auch im geltenden Recht wiederfinden. Neben der Zuständigkeitsregel muss daher eine diesbezügliche Ermächtigungsnorm existieren. Wenn aber allgemein davon ausgegangen wird, dass Gerichte zur sog. Rechtsfortbildung befugt sind, könnte auch eine gewohnheitsrechtliche Kompetenzgrundlage 335 in Betracht gezogen werden. 336 Die Vorstellung, es gebe gewohnheitsrechtliche Institute, die vom Gesetzgeber nur anerkannt würden, 337 ist in der juristischen Dogmatik nicht ungewöhnlich. Danach wären die Bestimmungen, welche eine Fortbildung des Rechts erwähnen, lediglich die gesetzliche Bestätigung einer ohnehin gewohnheitsrechtlich geltenden Befugnis. Allerdings setzt diese Konstruktion voraus, dass die geltende Rechtsordnung neben ihren positiv gesetzten Regelungen auch Gewohnheitsrecht enthält. 338 Wie oben dargestellt, kann eine geltende Rechtsnorm nur mit Hilfe ihrer Ermächtigungs333 Zu den Schwierigkeiten, die Grenzen der sog. Rechtsfortbildung anhand der Aufgabenbereiche von Rechtsprechung und Gesetzgebung zu bestimmen, vgl. Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 113 ff., dem als Ergebnis ausführlicher Erwägungen nur die Feststellung bleibt, dass in vielen Bereichen Gesetzgeber und Gerichte funktional gleich geeignet seien (S. 207). Völlig verfehlt ist allerdings die Ansicht von Rüdiger Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 3. A. 2006, Rn. 620, der Gesetzgeber könne von Handlungspflichten befreit werden, wenn die Gerichte seine Aufgaben übernehmen. 334 Auch der Verweis auf eine beharrlich praktizierte Rechtsfortbildung durch die Fachgerichtsbarkeit ist wenig zielführend, so aber Christian Starck, VVDStRL 34 (1976), 43 (85 f.). 335 Friedrich Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 65 (80), m.w. N., referiert es als herrschende Lehre, dass Richterrecht Gewohnheitsrecht zum Geltungsgrund habe; eine Auffassung, die er ablehnt (S. 81 f.). 336 Nach der verfehlten früheren Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes konnte vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht – zumindest im Bereich der Berufsausübungsfreiheit – sogar Grundrechtseingriffe rechtfertigen, ohne mit dem Erfordernis des Gesetzesvorbehalts in Konflikt geraten, vgl. nur BVerfGE 36, 212 (216); 34, 293 (303). Auch neuere Versuche einer Umdeutung des Gesetzesvorbehalts in diese Richtung –vgl. nur Hauke Witthohn, Gewohnheitsrecht als Eingriffsermächtigung, 1997, S. 127 ff. – sind schon mit Blick auf diverse Staatsstrukturprinzipien strikt abzulehnen. 337 So Bernd Bender, MDR 1959, 441 (443), zur Gesetzesergänzung und sonstigen Rechtsfortbildung mit Verweis auf die Bestimmungen zur Rechtsfortbildungsvorlage, diese schon immer legitime Funktion soll auch durch die Gewaltenteilung nicht in Frage gestellt [sic!] sein. Nach Max Emanuel Geis, NVwZ 1992, 1025 (1027), wird die Kompetenz zur Rechtsfortbildung von Art. 20 Abs. 3 GG vorausgesetzt und ist in § 137 GVG zumindest für die Großen Senate des Bundesgerichtshofes postuliert; vgl. auch Paul Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 11 (14); Christian Starck, VVDStRL 34 (1976), 43 (70).

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normen als Deutungsschemata erkannt werden. 339 Im geltenden Recht sind keine Normen ersichtlich, welche die Erzeugungsbedingungen von Gewohnheitsrecht regeln. 340 Dies dürfte auch sehr herausforderungsvoll sein, da die Bedingungen von dauernder Übung (consuetudo) und allgemeiner Rechtsüberzeugung (opinio iuris) kaum normativ zu fassen sind, 341 insbesondere, solange der Kreis der dabei erforderlich beteiligten Personen unklar, umstritten oder vom Einzelfall abhängig bleibt. 342 Auch wenn angenommen wird, dass das Gewohnheitsrecht seine Rechtskraft erst durch gerichtliche Feststellung erhält, 343 bleibt das Erfordernis 338 Dies war in Rechtsprechung und Literatur noch lange Zeit unumstritten. Vgl. BVerfGE 78, 214 (227); 9, 213 (221); 6, 309 (335); BVerwGE 26, 282 ff.; 8, 317 (321 f.); BSGE 24, 118 (120 f.), m.w. N.; 11, 126 (128 f.); RGZ 37, 179 f.; ferner den Überblick bei Hans Gröpper, DVBl. 1969, S. 945 –950, mit vielen Nachweisen; danach war nur die derogierende Kraft von Gewohnheitsrecht umstritten, nicht aber der Rechtsnorm- und Rechtsquellencharakter (S. 945); zu Begriff und Voraussetzungen von Gewohnheitsrecht aus neuerer Literatur: Hauke Witthohn, Gewohnheitsrecht als Eingriffsermächtigung, 1997, S. 17 ff. 339 Vgl. oben, Teil 2 B II. Ferner wies schon Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 104 ff., darauf hin, dass Gewohnheitsrecht nur gilt, soweit es gesetzlich zugelassen ist, Grund ist der verfassungsrechtlich statuierte Vorrang des Gesetzes. 340 Der beliebte Verweis auf Art. 2 EGBGB ist wenig hilfreich, da diese Vorschrift existierende Rechtsnormen voraussetzt, und damit schwerlich die Frage beantworten kann, ob gewohnheitsrechtliche Rechtsnormen existieren (sollen). Zweifelhaft ist auch der Verweis auf den Begriff „Recht“ in Art. 20 Abs. 3 GG, so aber Hans Hofmann, in: Bruno SchmidtBleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 20, Rn. 91; sowie Friedrich Müller, Strukturierende Rechtslehre, 2. A. 1994, S. 66 f., 107; zutreffend dagegen Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Verfassungsgrundsätze), Rn. 52 (Stand: 1980): Das Grundgesetz nennt Gewohnheitsrecht nicht einmal und Art. 20 Abs. 3 GG bildet davon sicher keine Ausnahme. In einer umfassenden Untersuchung hat Christian Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, 1972, S. 132 ff., dargelegt, dass es jedenfalls kein Gewohnheitsrecht auf Verfassungsebene gibt; zu einem anderen Ergebnis kommt Heinrich Amadeus Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 2000, S. 427 ff., 449; wobei der Eindruck nicht vermieden werden kann, dass die normative Kraft des Faktischen, obwohl nicht existent, eine wesentliche Rolle spielt. 341 Geradezu bezaubernd ist die Lösung von Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 3, 1976, S. 691 f., Rechtsgrundlage seien Art. 2 EGBGB und § 12 EGZPO und im Übrigen trotz logischer Brüche die gewohnheitsrechtliche Anerkennung: „Auf den übrigen Rechtsgebieten liegt es nicht anders. Die gleichrangige Geltung von Gewohnheitsrecht ist dort ‚gewohnheitsrechtlich’ anerkannt, ein Zirkelschluss freilich, den indessen niemand beanstandet.“ (S. 692). Ähnlich schön ist die Konstruktion von Nobert Kortgen, Probleme des Gewohnheitsrechts, 1993, Rn. 524 ff., wonach die Gerichte an das Gewohnheitsrecht gebunden sind, das seinen Geltungsgrund u. a. in der Anerkennung durch selbige finden kann (S. 495 ff.). 342 Zu den Schwierigkeiten der Identifikation von Gewohnheitsrecht am konkreten Beispiel des Rechts auf Vorsprache vgl. Edna Rasch, Persönliche Vorsprache im Verwaltungsrecht, 2007, S. 99 ff. 343 So Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 233; ablehnend Hauke Witthohn, Gewohnheitsrecht als Eingriffsermächtigung, 1997, S. 20; nach Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Verfassungsgrundsätze), Rn. 52 (Stand:

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einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage – nun für die Gerichte – bestehen. 344 Nicht selten ist die Postulierung von Gewohnheitsrecht ein Versuch der Rechtswissenschaft, am Prozess der Rechtserzeugung beteiligt zu werden. In der geltenden vollpositivierten Rechtsordnung ist Gewohnheitsrecht fehl am Platze und auch nicht rechtlich vorgesehen. 3. Die Lücke im Gesetz und die Geschlossenheit der Rechtsordnung Folglich kann die Kompetenz zur sog. Rechtsfortbildung weder aus einem Funktionsbereich der Rechtsprechung noch gewohnheitsrechtlich begründet werden. Die Bestimmungen, welche die Zuständigkeit zur Rechtsfortbildung normieren, beziehen sich auf eine nicht existierende Ermächtigung und laufen insoweit ins Leere. Wohl aus dem Bestreben, aus dieser Not eine Tugend zu machen, darf der Ansatz verstanden werden, aus der Nichtexistenz einer einschlägigen Ermächtigungsnorm eine Ermächtigung zur Rechtsfortbildung zu folgern. Dies verlangt eine diffizile Unterscheidung zwischen der Lücke im Gesetz 345, welche die Gesetzesbindung insoweit lockern oder aufheben soll, und der Geschlossenheit der Rechtsordnung, welche eine Entscheidung „aus dem geltenden Recht“ ermöglicht. 346 Die Rechtsordnung ist in der Tat geschlossen, weshalb es auch keine Lücken im Gesetz gibt, die als Ermächtigungsgrundlage richterlicher Rechtsetzung dienen können. 347 Da jedes menschliche Verhalten grundsätzlich rechtlicher Regelung zugänglich ist, ist ungeregeltes Verhalten nicht aus sich, sondern nur von Rechts wegen frei. 348 Die Rechtsordnung ist folglich insofern abschließend, als jedes menschliche Verhalten entweder geregelt oder freigestellt ist. Gibt es keine posi1980), kann es Gewohnheitsrecht in einer durchnormierten Rechtsordnung jedoch höchstens noch bei Anerkennung durch die obersten Gerichte geben. Zu Theorien der Geltung und praktischer Handhabung vgl. auch Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 525 ff. 344 Der in Blick genommene Art. 20 Abs. 3 GG erweist sich nach Ansicht von Friedrich Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 65 (82), als ungeeignet, da er Bindungen normiere und nicht eine Ermächtigung zur Setzung bindender Normen darstelle; anders aber Birgit Hoffmann, Das Verhältnis von Gesetz und Recht, 2003, S. 186 ff., m.w. N. 345 Sehr kritisch zum Lücken-Theorem: Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (61 ff.), m.w. N. 346 Vgl. BVerfGE 49, 286 (303), zum Unterschied zwischen einer eventuell bestehenden „Gesetzeslücke“ und der mit Blick auf die Verfassung jedenfalls nicht vorliegenden „Lücke rechtlicher Regelung“. Diese Konzeption entspricht recht genau dem so gern geschmähten rechtswissenschaftlichen Positivismus des 19. Jahrhunderts. 347 Dazu Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 941 (952).

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tive Regelung, muss das Gericht in Anwendung des geltenden Rechts die Klage abweisen bzw. die angeklagte Person freisprechen. 349 Dies mag eine unangenehme Aufgabe sein, der sich die Fachgerichte aber nicht ohne Weiteres entziehen können, weil eine nach der Schutzpflichtendogmatik für verfassungswidrig gehaltene Gesetzeslücke nicht im Wege der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden kann, da sie kein Gesetz im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG ist, 350 und nur die Rechtsunterworfenen selbst durch eine Verfassungsbeschwerde wegen gesetzgeberischen Unterlassens das Bundesverfassungsgericht in Anspruch nehmen könnten 351. Doch der fachrichterliche horror vacui an sich taugt nicht als Rechtsgrundlage; wo der Gesetzgeber – in jeder Bedeutung des Wortes – versagt hat, muss die Rechtsprechung dem folgend abschlägig bescheiden. Die „Lücke im Recht“ beschreibt daher vielmehr einen Konflikt zwischen Recht und persönlicher Moral. 352 Schon weil die Rechtsordnung als autopoieti348

Vgl. auch zum Folgenden Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 106 f. 349 So auch Manfred Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung, 1995, S. 202; Axel Burghart, Die Pflicht zum guten Gesetz, 1996, S. 91 f.; Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979, S. 109 ff. Anders Philipp Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung (1912), hrsg. von Josef Esser, 1968, S. 14 f., der dieses Vorgehen kritisiert, da es das Lückenproblem ignoriere und die Versagung des Schutzes für bestimmte Interessen sehr unbillig wirke. 350 Vgl. dazu Hans-Bernhard Brockmeyer, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 100, Rn. 9; Claus Dieter Classen, JZ 2003, 693 (698); Jan-R. Sieckmann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 100 Abs. 1 GG, Rn. 19, m.w. N.; Gerd Sturm, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 100, Rn. 9. Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 197 ff., sieht dieses Problem durch das richterliche Prüfungsrecht und die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen gesetzgeberisches Unterlassen entschärft. Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (142), und Günter Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 290 ff., plädieren weitergehend für die Zulässigkeit von Richtervorlagen wegen gesetzgeberischen Unterlassens. 351 Zur Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten durch gesetzgeberisches Unterlassen: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Axel Hopfauf, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 93, Rn. 109; Klaus Stern, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 93, Rn. 635 ff. (Stand: 1982). Das Bundesverfassungsgericht stellt aber nicht unerhebliche Hürden auf, vgl. BVerfGE 77, 170 (214 ff.); 56, 54 (80 ff.); BVerfG (K), NJW 1987, 2287; 1983, 2931. Zur Einklagbarkeit von Schutzgesetzen vgl. Rainer Wahl / Johannes Masing, JZ 1990, 553 (562 f.). Für Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Der Staat 29 (1990), 1 (28 ff.), ist mit einer solchen verfassungsprozessualen Möglichkeit der Jurisdiktionsstaat unvermeidbar. – Sollte es dem Bundesverfassungsgericht allerdings gelingen, sich auf die Feststellung der verfassungswidrigen Lücke zu beschränken, wäre diese Schlussfolgerung nicht zwingend. 352 Dies wird besonders deutlich, wenn zugegeben wird, Grundlage der Rechtsfortbildung sei letztlich die Gerechtigkeit, vgl. Reinhard Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. A. 2006, Rn. 149; Birgit Hoffmann, Das Verhältnis von Gesetz und Recht, 2003, S. 194 f.;

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

sches System zu charakterisieren ist, 353 kann eine Bewältigung des Konfliktes durch Schließung der Lücke nur nach positiv-rechtlichen Vorgaben erfolgen. Auf Grund der Geschlossenheit der Rechtsordnung kann eine Ermächtigung auch nicht dem Rechtsverweigerungsverbot aus Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 19 Abs. 4 GG entnommen werden. 354 Das Rechtsverweigerungsverbot besagt nur, dass eine gerichtliche Entscheidung nach rechtlichen Maßstäben zu treffen ist, nicht dagegen, dass das Gericht rechtliche Maßstäbe herstellen darf, 355 um eine gewünschte Entscheidung treffen zu können 356: „Rechtsverweigerungsverbot heißt doch wohl Peter Schwacke, Juristische Methodik, 4. A. 2003, S. 98; Reinhold Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, 2. A. 1996, S. 385. Auch Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 113, räumt ein, dass die Argumentation aus dem Rechtsverweigerungsverbot fehlerhaft ist und es vielmehr um das Problem einer unbefriedigenden Lösung geht. In diesem Zusammenhang drängt sich die Naturrechtsdefinition von Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 2. A. 1905, S. 336, auf: „Das Naturrecht ist in seinem innersten Kern nichts anderes als die Gesamtheit der Forderungen, die eine im Laufe der Zeiten veränderte Gesellschaft oder einzelne Gesellschaftsklassen an die rechtschöpfenden Mächte stellen.“, wobei in einer pluralistischen Gesellschaft ausschließlich von agierenden (Teil-)Gruppen auszugehen ist. 353 Dazu oben, Teil 2 D I 4. 354 Vgl. auch Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 193, wo allerdings eine Grundlage für die Rechtsfortbildung stattdessen im Gleichheitsgebot gefunden wird. Anders noch Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. A. 1991, S. 372; ähnlich Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 314; sowie Rainer Bakker, Grenzen der Richtermacht, 1994, S. 135, der im Übrigen nicht in der Lage ist, eine aktuell geltende Rechtsgrundlage anzugeben, vgl. nur S. 7 ff., 128, 136. Mit letzterem Problem ist er nicht allein; so bezieht sich Jochen Abr. Frowein, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 555 (557), auf die „schöne Formulierung“ in der Einleitung zum preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794; Erwin Stein, NJW 1964, 1745 (1748, Fn. 28), nennt die einschlägigen Regelungen zur Rechtsfortbildungsvorlage in einer Reihe mit französischem Code Civil, preußischem ALR und schweizerischem ZGB. 355 Insbesondere im Zivilrecht geschieht die wunderbare Vermehrung der Entscheidungsmaßstäbe durch ein epidemisches Auftreten von Maximen oder Prinzipien, deren gewöhnlich hoher Abstraktionsgrad die weitgehend freie Deduktion erlaubt. Diese Erscheinungen apodiktisch zu Bestandteilen des geltenden Rechts zu erklären, so Boris Schinkels, Rechtstheorie 37 (2006), 407 (413 f.), ermöglicht zwar einen unbefangenen Umgang mit dem Problem der Rechtsfortbildung, wirft aber ganz erhebliche Fragen nach der Rechtsetzungskompetenz der Rechtswissenschaft auf. Das Bestreben letzterer, das positive Recht durch ein wissenschaftlich konzipiertes System zu überformen, ist allerdings alles andere als neu, vgl. nur Ludwig von Almendingen, Metaphysik des Civil-Prozesses, 1821, passim. 356 Es ist daher entlarvend, wenn behauptet wird, das Rechtsverweigerungsverbot verlange den Erlass einer „sachgerechten“ Entscheidung, so bei Irmgard Amberg, Divergierende höchstrichterliche Rechtsprechung, 1998, S. 155, m.w. N.; ähnlich Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 544. Auch Curt Wolfgang Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, 1995, S. 152, 169 ff., unterlegt dem Rechtsverweigerungsverbot aus Art. 20 Abs. 3 GG eine Pflicht zur richterlichen Rechtsfortbildung; ähnlich, aber ohne nähere Ausführungen: Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 454. Strikt ablehnend Christian Hillgruber, JZ 1996, 118 (122), nach dessen zutreffender Ansicht die Abweisung einer Klage wegen fehlender Anspruchsgrundla-

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nicht, daß der Richter verpflichtet wäre, jedem das zuzusprechen, was er als Recht zu haben behauptet. Findet der Anspruch des zivilprozessualen Klägers im positiven Recht keine Grundlage, dann ist die Klage abzuweisen: tertium non datur.“ 357 Die abweisende Entscheidung mit Hinweis auf die fehlende gesetzliche Grundlage ist eine Entscheidung „aus dem geltenden Recht“ – eine sog. Rechtsfortbildung jenseits der Gesetze dagegen nicht. Die Rechtsordnung ist keine Wundertüte, der „richtige“ Lösungen für alle denkbaren Probleme zu entnehmen sind. 358 Die Grundzüge sind in der Verfassung geregelt, die wesentlichen Entscheidungen trifft der Gesetzgeber. 359 Auch jede gerichtliche Entscheidung ist eine Fortbildung des Rechts, aber des geltenden Rechts, nicht eines gewünschten. Es steht dem Gesetzgeber allerdings frei, Voraussetzungen, Methoden, Grenzen und Bindungswirkungen der Rechtsfortbildung im herkömmlichen Verständnis gesetzlich zu regeln 360 und damit die notwendige Ermächtigungsgrundlage zu schaffen, 361 auf die sich die bestehenden Zuständigge keine Rechtsverweigerung darstellt, sondern die Achtung der Gewaltenteilung ausdrückt. Zum „Hunger“ des Richters nach rechtlichen Maßstäben und den Folgen vgl. auch Rainer Wahl, Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, 2003, S. 166 f. 357 Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 200. Vgl. Friedrich Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979, S. 108 f., Fn. 263, m.w. N.: Das Argument für die Geschlossenheit der Rechtsordnung aus dem Rechtsverweigerungsverbot findet sich zu allen Zeiten der Einheits- bzw. Lückendiskussion. Kritisch zur Vorstellung einer lückenlosen Rechtsordnung: Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 207 ff.; selbst der Freirechtler Hermann Kantorowiecz, der das Lückenproblem prominent thematisierte, ging nicht davon aus, dass sich alle Rechtsfälle lösen lassen, vgl. Sebastian Sillberg, Hermann Kantorowiecz und die Freirechtsbewegung, 2004, S. 32 f. 358 Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1363 (1373): „Die sogenannte Lücke im Gesetz ist eine typisch ideologische Formel. Die Anwendung des Gesetzes auf den konkreten Fall, die nur eine – nach Ermessen des Rechtsanwenders zu beurteilende – rechtspolitische Unzweckmäßigkeit ist, wird als eine rechtslogische Unmöglichkeit dargestellt.“ 359 Auch die von Rainer Bakker, Grenzen der Richtermacht, 1994, S. 137, wahrgenommene geänderte „Verfassungswirklichkeit“ durch eine schleichende Funktionsverlagerung von der Gesetzgebung zur Rechtsprechung ist keine zutreffende Beschreibung des geltenden Rechts, sondern eines bedauerlichen tatsächlichen Missstandes; gleiches gilt für den von Irmgard Amberg, Divergierende höchstrichterliche Rechtsprechung, 1998, S. 159 ff., diagnostizierten „Funktionszuwachs“ der Rechtsprechung. Von rechtlichen Argumentationen entfernt sich explizit auch Jürgen Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, 1971, S. 33, wenn er das zur Legitimation herangezogene Rechtsverweigerungsverbot als soziologische [sic] Konstante richterlicher Tätigkeit schlechthin charakterisiert. Einer Entfesselung der Dritten Gewalt kann es ferner nur dienen, wenn Jochen Abr. Frowein, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 555 ff., einerseits den Gesetzgeber für unfähig hält, die richterrechtliche Entwicklung zu kontrollieren (S. 564), andererseits aber diesbezügliche Bemühungen des Bundesverfassungsgerichtes scharf kritisiert (S. 558 f.). 360 A. W. Heinrich Langhein, Das Prinzip der Analogie als juristische Methode, 1992, S. 216, sieht es als Aufgabe des Gesetzgebers an, die verschiedenen Methoden der Rechts-

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Teil 3: Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung

keitsregelungen beziehen. Dann wäre auch die sog. Rechtsfortbildung zulässige Auslegung und Anwendung eines geltenden Gesetzes.

III. Zwischenergebnis zur sog. Rechtsfortbildung Bei der sog. verfassungskonformen Rechtsfortbildung soll die Lücke im Gesetz durch Rückgriff auf die Grundrechte geschlossen werden. Allerdings bieten diese weniger Ermächtigung für die gerichtliche Rechtsetzung, sie beschreiben vielmehr deren Grenzen. Eine Ausnahme könnte angenommen werden, wenn grundrechtliche Schutzpflichten bestehen, welche die staatliche Gewalt – also auch die Gerichte – zum Handeln zwingen. Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte und allgemeiner Vorbehalt des Gesetzes machen aber auch hier eine gesetzliche Grundlage unverzichtbar. Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen kennt das deutsche Recht keine explizite Regelung der sog. Rechtsfortbildung. Bestimmungen, welche die „Fortbildung des Rechts“ erwähnen, erweisen sich als bloße Zuständigkeitsnormen, die eine Ermächtigungsnorm nicht ersetzen. Die Befugnis der Gerichte zur sog. Rechtsfortbildung ergibt sich weder aus einem natürlichen Funktionsbereich der Rechtsprechung noch aus Gewohnheitsrecht. Auch der Versuch, aus der Lücke im Gesetz und der Geschlossenheit der Rechtsordnung eine Ermächtigung zu konstruieren, muss scheitern. Allein der Gesetzgeber kann die Gerichte ermächtigen, beim Fehlen einer einschlägigen gesetzlichen Regelung nach von ihm festgelegten Maßstäben zu entscheiden.

F. Fazit Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung werden zu Unrecht sorglos praktiziert und stehen zu Recht seit Jahrzehnten in der Kritik. Die verfassungskonforme Auslegung in ihrer „normerhaltenden“ Funktion ist kein Fehlerkalkül für Gesetze. Das Fehlerkalkül für Gesetze im deutschen Recht folgt aus Art. 93 Abs. 1 i.V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Die Verwendung der „normerhaltenden“ verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht stellt lediglich eine unzulässige Verstärfortbildung differenziert aufzuführen und die Zulässigkeit positivrechtlich zu klären, um den Eindruck von Willkür zu vermeiden. 361 Auf diese Möglichkeit weist Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1363 (1372 f.), ausdrücklich hin, warnt aber davor, dass die gerichtliche Macht mit der Einräumung einer solchen Korrekturbefugnis ganz erheblich ausgeweitet würde, was durch die übliche regelungstechnische Verschleierung nur unvollkommen aufgefangen werden könne.

F. Fazit

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kung der Wirksamkeit dieses Fehlerkalküls durch Verlängerung der potentiellen Geltungsdauer verfassungswidriger Gesetze dar. Die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel beruht auf der fehlerhaften Prämisse, dass eine Rechtsnorm mehreren Deutungen zugänglich sei. Wird dieser Fehler korrigiert, entfällt auch diese Funktion. Die Beurteilung der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung sollte zwischen der Verwendung durch Fachgerichte und Behörden und durch das Bundesverfassungsgericht unterscheiden. Die Nutzung als Interpretationsmethode durch Fachgerichte und Behörden beruht auf fehlerhaften Vorstellungen über die Zusammenhänge von Inhalt, Geltung und Anwendbarkeit von Gesetzen. Wird gar versucht, mit Hilfe der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung Normkollisionen zu bewältigen, enttarnt sie sich als eine Gesetzesänderung, für die es an einer Ermächtigungsgrundlage fehlt, bzw. eine partielle Nichtanwendung unter Missachtung der Gesetzesbindung. Solange der Gesetzgeber hier nicht Abhilfe geschaffen hat, bleibt dieses Vorgehen unzulässig. Von allen Verwendungen der verfassungskonformen Inhaltsbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht in der Normenkontrolle ist lediglich die Festlegung, ein Gesetz sei von Verfassungs wegen auf bestimmte Einzelfälle nicht anzuwenden (Anwendungsausschluss) verfassungsrechtlich unbedenklich. Die sonstigen Versuche des Bundesverfassungsgerichts, fehlerhafte Gesetze durch eine abändernde Entscheidung der Verfassung anzupassen, verstoßen gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung und wohl auch das Demokratieprinzip. Doch auch der Anwendungsausschluss bedarf noch der gesetzlichen Verankerung im BVerfGG, damit er vom Bundesverfassungsgericht als Tenorierung verwendet werden kann. Die sog. verfassungsorientierte Auslegung erweist sich bei näherer Betrachtung als überflüssiger Versuch, die Bedeutung der Verfassung bei der Setzung von Einzelfallnormen zu verdoppeln. Überdies bestärkt sie in dem (Irr-)Glauben, der konkrete Einzelfallentscheid sei irgendwie dem abstrakt-generellen Gesetz zu entnehmen. Die Verwendung von Begriff wie Methode ist daher abzulehnen. Die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung soll die Lücke im Gesetz durch Rückgriff auf die Verfassung schließen. Sie bedarf einer gesetzlichen Grundlage aber auch dann, wenn grundrechtliche Schutzpflichten bestehen. In einigen gesetzlichen Bestimmungen wird eine Fortbildung des Rechts zwar erwähnt, doch handelt es sich hier lediglich um Zuständigkeitsregelungen, eine Ermächtigungsgrundlage im geltenden Recht fehlt. Die sog. verfassungskonforme Rechtsfortbildung bleibt daher unzulässig, bis der Gesetzgeber die Rechtsanwender / innen zu einem solchen Vorgehen ermächtigt.

Teil 4

Die Bedeutung der Verfassung bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen Es wurde festgestellt, dass die Phänomene verfassungskonformer Auslegung, die in Rechtspraxis wie Rechtswissenschaft so gern und häufig verwendet werden, zum größten Teil verfassungsrechtlich unzulässig oder rechtstheoretisch ausgeschlossen sind. Sehr kurz gefasst, besteht ein Hauptproblem darin, dass es sich bei den meisten Phänomenen, die als verfassungskonforme Auslegung bezeichnet werden, um Rechtsetzungsvorgänge handelt, für die den betreffenden Akteur / innen die notwendige Kompetenzgrundlage fehlt. Wo sie als grundsätzlich zulässig oder zumindest möglich betrachtet werden können, mangelt es nicht selten an einer entsprechenden Umsetzung durch den Gesetz- bzw. Verfassungsgeber. Mit diesem Ergebnis könnte die Arbeit schließen. Nach einer solch weitgehenden Ablehnung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung drängt sich aber doch die Frage auf, welche Bedeutung die Verfassung in dieser Konzeption bei der Erkenntnis und Setzung unterverfassungsrechtlicher Rechtsnormen überhaupt noch haben kann. Überdies ist behauptet worden, aus den rechtstheoretischen Prämissen könnten methodologische Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Einlösung dessen steht noch aus. Die Überlegungen beschränken sich im Folgenden auf den Bereich der Auslegung und Anwendung 1 von Gesetzen. Obwohl der Schwerpunkt der Untersuchung dabei auf der Rechtserkenntnis und der individuellen Rechtsetzung liegen wird, sollen auch die dazugehörigen Arbeitsschritte der Herstellung des Sachverhaltes und der Feststellung der Anwendbarkeit kurz thematisiert werden. Schließlich wirft die Frage nach der Bedeutung der Verfassung im Prozess der sog. Rechtsanwendung zugleich die Frage nach den Aufgaben der Verfassungsgerichtsbarkeit auf, so dass auch die Problematik der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung der einzelnen Arbeitsschritte in die Untersuchung einzubeziehen ist.

1 Diese eingeübten Termini werden zunächst weiter verwendet, da sich auch die dargestellte Rechtsprechung und Literatur auf sie beziehen. In der Sache wird aber daran festgehalten, dass zwischen Rechtserkenntnis und Rechtsetzung zu unterscheiden ist, vgl. zur Terminologie ausführlich Teil 2 D I.

A. Die Herstellung des Sachverhaltes

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A. Die Herstellung des Sachverhaltes Den Anlass für die Auslegung und Anwendung von Gesetzen bilden Lebenssachverhalte. Fachgerichte können überhaupt nur auf Antrag tätig werden und auch Verwaltungsbehörden beziehen zumindest ihre Motivation zur Rechtsanwendung aus konkreten Problemlagen. Die auszulegenden und anzuwendenden Gesetzesnormen bestehen idealtypisch aus Tatbestand und Rechtsfolge. Um feststellen zu können, ob der Tatbestand erfüllt ist, muss zunächst der entscheidungserhebliche Sachverhalt ermittelt und gewürdigt werden. 2 Rechtliche Sanktionen knüpfen aber nicht an einen realen Vorgang selbst an, sondern an die Feststellung eines Vorganges durch das dazu bestimmte Organ. 3 Diese Feststellung ist nicht deskriptiv, sondern konstitutiv, 4 und ihr Wahrheitsgehalt grundsätzlich unerheblich, soweit er nicht als Berufungsgrund genutzt werden kann. 5 Der vom zuständigen Organ hergestellte Sachverhalt ist Grundlage der Rechtsanwendung. Erstaunlicherweise wird die Arbeit am Tatbestand im Studium grundsätzlich nicht vermittelt und von akademischen Methodenlehren gerne ausgespart. 6 Dabei kann die Bedeutung dieses Vorgangs sehr unterschiedlich eingeschätzt werden. Nach einem weitgehenden Verständnis ist die juristische Konstruktion des Sachverhaltes der wesentlichste Schritt der Rechtsanwendung, die sog. „Subsumtion“ ein bloßes Ablenkungsmanöver, bei dem nur noch Zuordnungen vorgenommen werden. 7 Die postmodernen Implikationen der Fragen von Wahrheit und Realität sind indes zwar für sich sehr spannend, aber hier von untergeordnetem Interesse. Mit Blick auf die Fragestellung 2 Zur Sachverhaltsfeststellung im Prozess vgl. Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 56 ff.; Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 125 ff.; zu Problemen der Sachverhalts-Feststellung vgl. die Beiträge von Helmut Rüßmann, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 369 –381 (1982), S. 383 –394 (1990), S. 395 –413 (1987), S. 415 –429 (1985); zur Sachverhalts-Feststellung als verfassungsrechtliches Problem vgl. Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 669 ff. 3 Vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 104 f., der überdies darauf hinweist, dass der Gesetzgeber schon erkenntnistheoretisch nicht „Vorgänge an sich“ zur Bedingung machen könne. 4 Zur Konstruktion bzw. Konstitution des Sachverhaltes vgl. auch Thomas Drosdeck, in: Jeannette Schmid u. a., Der Rechtsfall, 1997, S. 5 (5 ff.); Anusheh Rafi, Kriterien für ein gutes Urteil, 2004, S. 54 f., 119 f. 5 Zutreffend Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 196. Nach HansJoachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 511 (512), verlangt dagegen die Gesetzesbindung auch die Wahrheit der den Sachverhalt feststellenden Prämissen. 6 So kritisch Hans-Joachim Strauch, Rechtstheorie 32 (2001), 197 (198 f.). Ausnahmen bei den Methodenlehren bilden aber: Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 271 ff.; Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 99 ff., 125 ff.; Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 25 ff.; Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. A. 2006, S. 91 ff. 7 Vgl. Katharina Gräfin von Schlieffen, Rechtstheorie 32 (2001), 175 (189).

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

ist entscheidend, ob die Verfassung schon bei der Herstellung des Sachverhaltes von Bedeutung ist.

I. Die Forderung nach verfassungskonformer Sachverhaltsbewertung Das Bundesverfassungsgericht hat in verschiedenen Fallkonstellationen gerügt, dass die Bewertung des Sachverhaltes durch das Fachgericht Inhalt und Bedeutung einschlägiger grundgesetzlicher Regelungen nicht gerecht geworden ist. 8 Dies ist insbesondere im Bereich der sog. Kommunikationsgrundrechte relevant, wo das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass bei der Deutung von Meinungsäußerungen grundrechtliche Anforderungen beachtet werden. 9 Auch ist der Wortsinn von Passagen beruflicher Werbung, die gesetzlichen Einschränkungen unterliegt, stets grundrechtsfreundlich im Gesamtkontext auszulegen. 10 Bei kommunikativen Akten wird besonders sichtbar, dass es subjektiv unterschiedliche Auffassungen über die Bedeutung dieser Akte und damit über den zu beurteilenden Sachverhalt geben kann. Die Etablierung grundrechtlicher Anforderungen auch an die Sachverhaltsherstellung ist dann als Bemühen zu sehen, die rechtliche Entscheidung zu objektivieren. Doch kann grundsätzlich jedes menschliche Verhalten unterschiedlich gedeutet werden. So fordert das Bundesverfassungsgericht eine verfassungskonforme Sachverhaltswürdigung bezüglich des Verhältnisses eines Kleinkindes zu seinem getrennt lebenden Vater am Maßstab von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GG. 11 Allerdings kann der Begriff der Sachverhaltswürdigung falsche Vorstellungen erwecken, wenn er suggeriert, dass damit die rechtliche Bewertung der Tatsachen gemeint ist. Sowohl im Vater-Kind-Verhältnis als auch bei Meinungsäußerungen ist vielmehr die Erhebung und Deutung der wahrgenommenen Tatsachen gemeint, also die der rechtlichen Würdigung vorangehende Herstellung des Sachverhalts. 12 Zur Erkenntnis von Tatsachen kann die Verfassung aber höchstens insoweit beitragen, als Erhebung und Bewertung kaum trennscharf geschieden werden können 8 Zur Tatsachenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht: Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 317 ff.; Martin Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, 2000, S. 61 ff., 105 ff., m.w. N.; Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 223 ff. 9 Vgl. nur BVerfGE 107, 275 (281 f.); 94, 1 (9); 93, 266 (295 f.); 86, 122 (129); 85, 1 (13 f.); 82, 43 (50 ff.); 43, 130 (137). 10 Vgl. BVerfG (K), NJW 2006, 282 f.; BVerfG (K), NJW 2001, 3324 f. Allerdings erschließt sich die Bedeutung der Rüge durch BVerfG (K), NJW 2006, 282 (282) nicht ohne Weiteres: „Damit sind die Gerichte dem Sachverhalt nicht in einer Weise gerecht geworden, die angesichts seiner grundrechtsbeschränkenden Würdigung angezeigt gewesen wäre.“ 11 Vgl. BVerfG (K), FamRZ 2006, 187 (190).

A. Die Herstellung des Sachverhaltes

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und die jeweils präferierte Verfassungstheorie ein bestimmtes Vorverständnis prägt. 13 Dies dürfte nicht nur für Kommunikationsakte und persönliche Beziehungen zutreffen, sondern bezüglich der meisten menschlichen Handlungen relevant sein. Damit könnte nahezu jede Sachverhaltsherstellung Grundrechtsrelevanz erlangen und ein neues Verwendungsfeld für die Phänomene verfassungskonformer Auslegung eröffnet werden.

II. Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der Sachverhaltsherstellung Am Beispiel der Deutung von Meinungsäußerungen sollen die Maßstäbe einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung der fachgerichtlichen Sachverhaltsherstellung dargestellt und kritisch gewürdigt werden. Das Vorgehen des Bundesverfassungsgerichtes in diesem Bereich hat zu scharfer Kritik in der Literatur geführt. 14 Kernpunkt der Vorwürfe ist, dass das Bundesverfassungsgericht seine Befugnisse überschreite, wenn es die Tatsachenfeststellungen der Fachgerichte überprüfe. 15 Nach eigener Auskunft kann das Bundesverfassungsgericht am eingeschränkten Maßstab des sog. spezifischen Verfassungsrechts die Auslegung und Anwendung von Gesetzesrecht kontrollieren. Die Feststellung des Sinns einer zu beurteilenden Meinungsäußerung ist keinem dieser beiden Bereiche zufriedenstellend zuzu12 Allerdings weisen Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. A. 1995, S. 99 ff., zutreffend darauf hin, dass jede Ermittlung eines Sachverhaltes schon normativ geformt ist. 13 Wolfgang Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), 173 (214 f.), folgert die Notwendigkeit verfassungsgerichtlicher Prüfung daraus, dass es sich bei Tatsachenwürdigungen um verfassungsnormativ geleitete Bewertungen von Tatsachen handele, und begründet so ein Desiderat mit dem anderen. 14 Vgl. nur Wolfgang Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), 173 (174 f.) m.w. N.; Dieter Lincke, EuGRZ 1986, 60 (68 f.); Christian Starck, JZ 1996, 1033 (1036 f.), m.w. N.; erfreut zur verfassungsgerichtlichen Überwindung tradierter normativer Sprachauffassung aber: Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002, Rn. 67c. Für eine vollständige Deutungskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht: Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 328 ff.; zustimmend auch Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 226; Gerd Sturm, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 93, Rn. 18. 15 So schon Günter Dürig, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 1, Rn. 125 f. (Stand: 1958). Anders Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 511 (531), da Fehler bei der Sachverhaltsfeststellung hier auch Grundrechtsverletzungen seien; allerdings könnte das Bundesverfassungsgericht seine Prüfung in diesem Bereich etwas zurücknehmen (S. 537); ähnlich Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 5 I, II, Rn. 207; für eine verfassungsgerichtliche Nachprüfung nur im Ausnahmefall: Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 93, Rn. 61.

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

ordnen. Dies sieht auch das Bundesverfassungsgericht, stellt aber auf die in der Deutung liegende Vorentscheidung ab, die eine grundrechtliche Überprüfung rechtfertige. 16 Dabei nimmt es an, dass die Äußerung einen objektiven Sinn habe, der sich aus dem Verständnis eines verständigen Durchschnittspublikums unter Berücksichtigung von Kontext und Begleitumständen ergebe und vom Fachgericht in seiner Deutung verfehlt werden könne. 17 Um das Problem der Mehrdeutigkeit von Äußerungen rechtlich einzuhegen, werden diffizile Regelungen in Bezug auf drohende nachträgliche Sanktionen 18 und begehrtes zukünftiges Unterlassen 19 entwickelt. Die grundrechtlichen Anforderungen an die Sinnermittlung von Äußerungen unterliegen der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung. 20 Wie das Bundesverfassungsgericht aber selbst ausführt, bleibt den Fachgerichten damit nur die Feststellung, ob überhaupt und von wem die Äußerung gefallen ist, welchen Wortlaut sie hatte und unter welchen Umständen sie abgegeben wurde. 21 In einem Sondervotum erinnert Evelyn Haas daran, dass die Aufklärung und Würdigung des Sachverhaltes den Fachgerichten obliegt. 22 Mit seinem weiten Prüfungsmaßstab beanspruche das Bundesverfassungsgericht die tatrichterliche Deutungskompetenz aber weitgehend für sich. Dies entspreche zum einen nicht dem vom Bundesverfassungsgericht selbst formulierten Verständnis seines Aufgabenbereiches. Zum anderen könne die Tatsache, dass vom Ergebnis der Sachverhaltswürdigung die verfassungsrechtliche Beurteilung abhänge, nicht genügen, um eine Ausnahme von der begrenzten verfassungsgerichtlichen Prüfungskompetenz zu statuieren. Schließlich gelte diese Tatsache für andere Grundrechte in gleicher Weise. 23 In einem darauf folgenden Urteil hat das Bundesverfassungsgericht zwar daran festgehalten, dass es zur Nachprüfung befugt sei, ob die grundrechtlichen 16

Vgl. BVerfGE 93, 266 (295 f.). Vgl. BVerfGE 114, 339 (348); 107, 275 (281 f.); 93, 266 (295 f.). 18 Vgl. BVerfGE 94, 1 (9); 93, 266 (295 ff.); 82, 43 (52): Günstigere Deutungsmöglichkeiten müssen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. 19 Vgl. BVerfG (K), NJW 2006, 3769 (3773); BVerfGE 114, 339 (350): Es kann eine Klarstellung vom Äußernden verlangt werden; bleibt diese aus, sind alle nicht fern liegenden Deutungsmöglichkeiten in die Prüfung einzubeziehen. 20 Vgl. BVerfGE 85, 1 (13 f.); 82, 43 (50); 61, 1 (6); 43, 130 (136 f.), ausdrücklich bestätigt von BVerfGE 93, 266 (296). Zumindest überflüssig ist die von BVerfGE 107, 275 (281 f.); 102, 347 (367), betonte Folge, dass eine unter Beachtung dieser Anforderungen ermittelte fachgerichtliche Deutung nicht durch eine andere ersetzt werden solle. Zum Prüfungsumfang bei fehlerhafter Annahme einer Schmähkritik vgl. auch BVerfG (K), NJW 2006, 3769 (3771). 21 Vgl. BVerfGE 93, 266 (296).Wolfgang Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), 173 (218 ff.), weist dagegen darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht nicht seine eigene Deutung einsetze, sondern nur die Fachgerichte mit erneuter Prüfung und Begründung beauftrage, in der sie ja ihre eigene Ansicht fundierter darlegen könnten. 22 Auch zum Folgenden: Evelyn Haas, in: BVerfGE 93, 266 (313 ff.). 23 Vgl. auch Wolfgang Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), 173 (196), m.w. N., zur Rechtfertigung der erhöhten Prüfungsintensität bei Art. 5 Abs. 1 GG aus dem Argument 17

B. Die Rechtserkenntnis

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Anforderungen an die Deutung von Meinungsäußerungen eingehalten wurden. 24 Es zeigte aber eine markante Großzügigkeit bezüglich der Bewertung der Äußerung, indem es sowohl die Einstufung als Werturteil durch das Landgericht als auch die Qualifizierung als Tatsachenbehauptung durch das Oberlandesgericht für verfassungsrechtlich zulässig erklärte. 25 Damit ist die Frage nach dem Bundesverfassungsgericht als letzter Tatsacheninstanz nicht gelöst. Und dieses Problem betrifft nicht nur die Kommunikationsgrundrechte. Wird ein Sachverhalt so konstruiert, dass er den Tatbestand einer Eingriffsgrundlage erfüllt, ist immer das jeweilige Grundrecht berührt. Zwar ist das Bundesverfassungsgericht nach §§ 26, 27a BVerfGG zur Beweiserhebung befugt, umfassende Tatsachenerforschung könnte aber schnell zu seiner Überlastung führen. 26 Dieser Aufgabe sind die Fachgerichte erheblich besser gewachsen, wobei die Berufungsinstanz eine Überprüfung der Sachverhaltsherstellung zumindest grundsätzlich gewährleisten kann. 27 Mit Blick auf eine arbeitsteilige Gerichtsbarkeit liegt es nahe, die Tatsachenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht auf eine bloße Willkürkontrolle zu beschränken. 28 Zwar ist es wünschenswert, dass alle Gerichte und Behörden von einem grundgesetzlich geprägten Vorverständnis aus agieren, es kann aber nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes sein, diesen Zustand zu erzwingen.

B. Die Rechtserkenntnis Die wichtigste rechtstheoretische Grundlegung in dieser Arbeit 29 für die Entwicklung methodologischer Grundsätze ist die Unterscheidung von Rechtserkenntnis und Rechtsetzung. Dieser Unterscheidung entspricht ein enges Verständnis des Auslegungsbegriffes, der als Ermittlung des Inhalts einer geltenden Rechtsnorm zu definieren ist. Dabei müssen die Besonderheiten der auszulegenden Rechtsnorm gegenüber anderen textlich vermittelten Entitäten beachtet werden. Die Methode muss ihrem Gegenstand adäquat sein. 30 der gravierenden Folgen; ferner Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 511 (532). 24 BVerfGE 94, 1 (9). 25 BVerfGE 94, 1 (10). 26 Das Argument der „Arbeitsökonomie“ ist auch das einzige, was für Klaus Jürgen Philippi, Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts, 1971, S. 184 ff., gegen eine Erhebung von legislative facts durch das Bundesverfassungsgericht spricht. 27 Vgl. Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 511 (532), wonach der fachrichterliche Instanzenzug die Vertretbarkeit der Deutung zumindest nahe legt. 28 Vgl. Matthias Jestaedt, DVBl. 2001, 1309 (1321). 29 Dazu ausführlich in Teil 2.

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

I. Gegenstand und Methode: die subjektiv-historische Auslegung Die Vertreter / innen der Reinen Rechtslehre haben aus ihren rechtstheoretischen Einsichten nur marginal methodologische Schlussfolgerungen gezogen. 31 Dies hat gewissen Unmut bei nachfolgenden Rechtstheoretiker / innen hervorgerufen. 32 Hans Kelsen selbst ist ersichtlich stärker mit der Kritik an der traditionellen Jurisprudenz befasst als mit der Entwicklung einer konsistenten Interpretationstheorie. 33 Für ihn sind eine Auslegung nach dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers und eine strenge Wortlautinterpretation durchaus gleichwertig, 34 aber auch das systematische Element scheint eine gewisse Rolle zu spielen 35. Folgerichtig kann eine Interpretation grundsätzlich zu mehreren Ergebnissen führen; 36 ob es sich bei diesen Ergebnissen um mögliche Deutungen der Norm (Rechtserkenntnis) oder mögliche Entscheidungen der sog. Rechtsanwender / innen (Rechtsetzung) handelt, bleibt dabei leider unklar. 37 Adolf Merkl hält nur die grammatisch-logische Auslegung für geboten, 38 erwähnt ohne größere Sympathien die subjektivhistorische Methode zur Einengung des Auslegungsergebnisses, 39 gibt im Streit zwischen subjektiver und objektiver Auslegung nachdrücklich der objektiven 30

Instruktiv: Matthias Jestaedt, ZÖR 55 (2000), 133 (147 ff.). Vgl. Heinz Mayer, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 61 (61); Stanley L. Paulson, in: Werner Hoppe u. a. (Hg.), Rechtsprechungslehre, 1992, S. 409 (409). 32 Beispielsweise bei Hans-Martin Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, 1986, Rn. 127; sowie Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 183 ff. Ausführlich zur Kritik Horst Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 1986, S. 145 ff., der Hans Kelsen aber letzten Endes wegen der Realitätsnähe seiner Konzeption und seinem Bemühen um eine Disziplinierung der Rechtswissenschaft in Schutz nimmt (S. 153 ff.). 33 Vgl. Robert Walter, in: Günter Kohlmann (Hg.), Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, 1983, S. 187 (190 f.). 34 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 350; ders., Reine Rechtslehre, 1934, S. 96. Zutreffend weist aber Matthias Jestaedt, ZÖR 55 (2000), 133 (140 f., Fn. 22) darauf hin, dass die Beschränkung Hans Kelsens auf eine positivrechtliche Gleichwertigkeit den Gehalt dieser Aussage nicht unwesentlich verringert. 35 Vgl. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1363 (1367). 36 Vgl. Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 346 ff. Stanley L. Paulson, in: Werner Hoppe u. a. (Hg.), Rechtsprechungslehre, 1992, S. 409 (414 ff.), zeigt auf, dass Hans Kelsen seine theoretische Forderung, alle möglichen Auslegungen aufzuführen, praktisch selbst nicht durchhält. 37 Vgl. dazu oben Teil 3 B, Fn. 111. 38 Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1059 (1073), S. 1091 (1110 ff.), was er damit begründet, dass Gesetze eben in Sprach- und Denkform auftreten. 39 Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1059 (1075 f.). 31

B. Die Rechtserkenntnis

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Interpretation den Vorzug 40 und besteht im Übrigen darauf, dass die rechtswissenschaftliche Interpretation nur den Rahmen der rechtspraktischen Entscheidung feststellen könne 41. Robert Walter hat aus der positiv-rechtlichen Regelung der Publikationspflicht für Gesetze geschlossen, dass der Wille des Gesetzgebers nur insoweit relevant sein könne, als er im veröffentlichten Text zum Ausdruck kommt. 42 Dies entspricht der sog. Andeutungstheorie, wonach der Wille des Gesetzgebers im Normtext zumindest angedeutet sein muss, um verbindlich zu sein. Auch Rudolf Thienel hebt auf das formalisierte Rechtsetzungsverfahren ab, relevantes Auslegungsmaterial ist für ihn daher der veröffentlichte Normtext. 43 Die Konzentration auf den Normtext irritiert ebenso wie Hans Kelsens methodologische Indifferenz. Aus den Prämissen der Reinen Rechtslehre lassen sich nicht beliebige methodologische Schlussfolgerungen ableiten. Rechtsnormen sind Sollenssätze, deren Geltung durch einen Rechtsetzungsakt bedingt ist und deren Einhaltung mit staatlichem Zwang durchgesetzt werden kann. 44 Sie können nicht auf ihre textliche Gestalt reduziert werden und sind nicht mit biblischen Geschichten oder gar Gedichten vergleichbar. 45 Ein solcher Vergleich kann nur in Betracht gezogen werden, wenn das Gesetz fehlerhaft mit seinem kommunikativen Hilfsmittel, dem Gesetzestext, identifiziert wird. Wenn die Geltung des Gesetzes aber durch einen Willensakt des Gesetzgebers bedingt ist, muss Erkenntnisziel der Gesetzesauslegung der Wille des Gesetzgebers sein. 46 Stattdessen werden die vielfältigen Deutungsmöglichkeiten des förmlichen Ausdrucks dieses Willens ergründet. Die Aufgabe juristischer Interpretation ist jedoch nicht die Suche nach neuen Möglichkeiten kreativer Textinterpretation. Wer eine Anordnung gibt bzw. eine Norm setzt, möchte nicht, dass deren Adressat / innen die grammatischen Möglichkeiten seiner Worte ausschöpfen, um allerlei zu tun, sondern, dass seine Anordnung bzw. seine Norm befolgt wird. Für die sog. Rechtsanwender / innen 40 Vgl. Adolf Merkl, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, Tb. 1, hrsg. von Dorothea Mayer-Maly u. a., 1993, S. 85 (134 ff.); mit den damit typischerweise verbundenen Annahmen: Gleichstellung von Gesetz und literarischer Dichtung (S. 134), Möglichkeit des Rechtswandels (S. 140, Fn. 32), Überlegenheit der Rechtsanwender / innen gegenüber dem Gesetzgeber (S. 144 f.). Nicht uninteressant ist, dass gerade diese Ausführungen keine Aufnahme in die einschlägige, von Hans Klecatsky, René Marcic und Herbert Schambeck herausgegebene Sammlung gefunden haben. 41 Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1059 (1067 ff., 1074 f.), S. 1167 (1168, 1173 ff.). 42 Robert Walter, in: Günter Kohlmann (Hg.), Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, 1983, S. 189 (195), anders nur, wenn der objektive Ausdruck undeutlich ist (S. 196). 43 Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 192 ff. 44 Dazu ausführlich Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 113 ff. 45 Vgl. aber die Charakterisierungen in der Methodenlehre, oben Teil 3 B I. 46 Auch Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 176, bezeichnet die Zielsetzung der subjektiven Theorie als richtig, den Sinn zu ermitteln, den der Gesetzgeber mit der Norm verbunden hat.

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

kommt hinzu, dass jedes rechtlich relevante Handeln einer Ermächtigungsgrundlage bedarf, um die sich selbst bringen kann, wer sein Textverständnis dem Willen des Gesetzgebers vorzieht. Der Normtext kann ein sehr wichtiges Hilfsmittel bei der Gesetzesauslegung sein. Eine schwerwiegende Verwechslung von Erkenntnismittel und Erkenntnisziel liegt aber vor, wenn Textdeutungen anstelle des Norminhalts zum Ziel der Auslegung gemacht werden. Eine Auslegung, die zutreffend den Willen des Gesetzgebers zum Erkenntnisziel macht und dem Gesetzestext nur als Auslegungsmittel Aufmerksamkeit schenkt, wird subjektiv-historische Auslegung genannt und ist nicht besonders populär. 47

II. Die subjektiv-historische Auslegung in der Kritik Die subjektiv-historische Auslegung wird kaum verwendet – höchstens komplementär oder subsidiär im Rahmen sog. Kombinationstheorien – und ihre Thematisierung dient vorrangig Abgrenzungszwecken. Kritische Strömungen sehen die Probleme von Macht und Politik hinter formalistischen Methodenpostulaten verschwinden. Anderen gilt der mit dieser Auslegungsmethode verbundene Gesetzespositivismus als überholt, unflexibel, nicht innovativ. Insbesondere die herrschende objektive Interpretationstheorie muss die subjektiv-historische Auslegung angreifen, um das eigene Vorgehen zu legitimieren. 48 Beachtenswert ist dabei die Parallelität der Vorwürfe an den Gesetzgeber und an eine dessen Bedeutung hervorhebende Auslegungslehre. 1. Der Vorwurf einer statischen Rechtsordnung Ein Hauptvorwurf an die subjektiv-historische Auslegung ist, sie führe zu einer statischen Rechtsordnung. Nur eine ständige Weiterentwicklung des Rechts könne 47 Zutreffend Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 258. Mit großem Engagement verteidigt wurde die subjektiv-historische Auslegung von Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, insbes. S. 23 ff., der allerdings mit seiner Konzeption des „denkenden Gehorsams“ (S. 51) über diese Auslegung hinausgehen will und damit im Bereich der sog. Rechtsfortbildung (vgl. S. 157 ff., 224 ff.) sowie der Gebotsberichtigung (vgl. S. 196 ff.) Positionen vertritt, die hier nicht geteilt werden können. In der neueren Literatur wird die subjektiv-historische Auslegung in modifizierter Form vertreten von: Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 28 ff., 155 ff.; Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 103 ff., 112 ff.; Rolf Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 3. A. 2005, S. 49 ff.; vgl. auch Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 706 ff., 778 ff. 48 Zu den Legitimationsschwierigkeiten der objektiven Theorie: Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 42 ff.; Nicola Rowe, Recht und sprachlicher Wandel, 2003, S. 84.

B. Die Rechtserkenntnis

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den Herausforderungen neuer gesellschaftlicher Verhältnisse gerecht werden. 49 Dem stünde die subjektiv-historische Auslegung in zweierlei Hinsicht entgegen. Zum einen werde das erkennende Gericht an notwendigen Rechtsfortbildungen gehindert. 50 Diesbezüglich sind aber weniger methodologische Erwägungen als vielmehr die geltende Rechtslage als Hemmnis unbegrenzter Richtermacht anzusehen. 51 Ferner ist der Erzeugungszusammenhang von Rechtsnormen zwar statisch, aber die Rechtsordnung lässt sich ebenso als dynamische wahrnehmen, wenn das Augenmerk auf die unentwegte Produktion neuer Rechtsnormen gerichtet wird. 52 Eine Weiterentwicklung der Rechtsordnung erfolgt allerdings nicht durch Auslegung, sondern durch die ständige Rechtsetzung auf allen ihren Ebenen. Ferner scheint die Ansicht zu bestehen, die Beachtung des verbindlichen Willens des Gesetzgebers erlaube auch nur ein „richtiges“ Urteil. Damit würde die subjektiv-historische Auslegung in der Tat zu einer statischen Rechtsordnung führen. Doch der subjektiv-historischen Auslegung liegt zwar zugrunde, dass es nur ein richtiges Auslegungsergebnis gibt. Über die Zahl möglicher zulässiger Ergebnisse der darauf folgenden individuellen Rechtsetzung ist damit aber noch nichts ausgesagt. So wie die Gesetzgebung im Rahmen der Verfassung zumeist mehrere Möglichkeiten hat, verfassungsgemäße Gesetze zu erlassen, ist davon auszugehen, dass Gerichten und Behörden im Rahmen von Verfassung und Gesetzen mehrere rechtmäßige Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. 53 Und schließlich ist auch aus Perspektive der sog. subjektiven Theorie die Vorstellung abzulehnen, Gerichte und Behörden seien nur Subsumtionsautomaten. Jede rechtliche Entscheidung entwickelt die Rechtsordnung ein kleines Stück weiter. Auf die großen gesellschaftlichen Veränderungen kann und sollte dagegen der Gesetzgeber reagieren. Dies macht zum einen unter Aspekten der Funktionsadäquanz wie demokratietheoretisch auch mehr Sinn. Zum anderen können Gerichte oder Behörden seiner Entscheidung auf Grund ihrer Gesetzesbindung ohnehin kaum vorgreifen. Auf die Herausforderungen des Alltags können Gerichte und Be49

Vgl. Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966,

S. 56. 50 Für Fritz-René Grabau, Gesetzes- und Vertragsinterpretation, 1993, S. 60 f., ist die Verwendung der objektiven statt der subjektiven Methode lediglich ein Austausch der Legitimationstopoi mit dem Ziel, die interpretative richterliche Rechtsfortbildung vom Makel der Kompetenzanmaßung zu befreien. Die Kritik von Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 27, sowie Hans Heinrich Rupp, AöR 101 (1976), 161 (163), an der subjektiven Theorie bestätigt diese Vermutung eindrucksvoll. Vgl. auch Heinz Hübner, Allgemeiner Teil des BGB, 2. A. 1996, Rn. 103: „Das alleinige Abstellen auf die historische Auslegung hindert die Rechtsfortbildung.“ 51 Dazu ausführlich oben, Teil 3 E II, III. 52 Dazu oben, Teil 2 D I 4. 53 Gegen die Idee einer einzig richtigen Entscheidung auch Michael Scheffelt, Die Rechtsprechungsänderung, 2001, S. 166 ff.; vgl. auch die Debatte um Dworkins one-rightanswer-thesis, Teil 3 B I 3, Fn. 136.

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hörden aber im Rahmen der Gesetze antworten und dabei Einzelfallnormen setzen, die ihrer Einschätzung der gesellschaftlichen Situation gerecht werden. Wer die subjektiv-historische Auslegung für eine statische Rechtsordnung verantwortlich macht, 54 geht fehlerhaft davon aus, dass einerseits die sog. Rechtsfortbildung nach geltendem Recht zulässig sei und dass andererseits Gerichte und Behörden im Übrigen nur „rechtsanwendend“ und nicht (zugleich) rechtserzeugend tätig seien 55. Der Zusammenhang liegt auf der Hand: Um eine „dynamische“ Rechtsordnung zu gewährleisten, müssen die zunächst eingeschränkten Rechtsanwender / innen andernorts wieder entfesselt werden. 56 Diese Verwendung von Gift und Gegengift wird überflüssig, wenn die Dynamik der Rechtsordnung in ihrer gestuften Arbeitsteilung der Rechtserzeugung erkannt wird. 2. Der Vorwurf einer Fortschreibung historischer Machtverhältnisse Der Blick auf gesellschaftliche Realitäten kann noch zu einem weiteren Kritikpunkt führen. Wird Recht als Ausdruck von Machtverhältnissen verstanden – eine Perspektive, die insbesondere kritische Strömungen wie die der feministischen Rechtswissenschaft einnehmen 57 – kann kritisiert werden, dass die subjektiv-historische Auslegung historische Machtverhältnisse perpetuiere. 58 Die Bezugnahme auf den damaligen Gesetzgeber und seine Vorstellungen kann die Diskriminierung historisch marginalisierter Gruppen weiter fortschreiben. Nicht nur Frauen waren vom Prozess der parlamentarischen Rechtsentstehung lange Zeit ausgeschlossen. Der historische Gesetzgeber repräsentierte (und repräsentiert) nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Gesellschaft und ihrer Anschauungen. Kritisiert wird, dass 54 Anschaulich zum methodologischen Dilemma: Helmut Rüßmann, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 135 (142), wonach die objektive Theorie in die unbegrenzte Auslegung führe, die subjektive Theorie dagegen in die Versteinerung. 55 Diese Vorstellung wird auch von Friedrich Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 65 (68 f., 71 ff.), harsch kritisiert, der aber vor allem bemängelt, dass die Gegenposition zum Gesetzespositivismus dessen Fehler nur wiederhole. 56 Diese Art eines „Kompromisses“ zwischen Gesetzesrecht und Richterrecht praeter oder gar contra legem lehnt Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1573 (1575 ff.), S. 1615 (1623 ff.), klar ab, der gewünschte Ausgleich sei nur zwischen Gesetzesrecht und Richterfreiheit intra legem möglich (und notwendig). [Hervorhebung nicht im Original.] 57 Vgl. Autor / innenkollektiv, in: Lena Foljanty / Ulrike Lembke (Hg.), Feministische Rechtswissenschaft, 2006, S. 17 ff.; Elisabeth Holzleithner, Recht Macht Geschlecht, 2002, S. 13 ff. 58 Vgl. dazu Elisabeth Greif / Eva Schobesberger, Einführung in die Feministische Rechtswissenschaft, 2003, S. 115 ff., die allerdings selbst ein Beispiel anführen, wie sehr es sich für feministische Forschung lohnen kann, sich mit der Gesetzgebungsgeschichte im weiteren Sinne zu befassen.

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das Recht auf diese Weise beständig hinter den gesellschaftlichen Entwicklungen zurückbleibt. Allerdings liegt einer solchen Kritik auch die Vorstellung zugrunde, dass die aktuelle Macht grundsätzlich liebenswerter sei als die historische. Dies wäre nur zutreffend, wenn Rechtsgeschichte auf eine Erfolgsstory des emanzipatorischen Fortschritts reduziert werden könnte. 59 Im Spannungsfeld zwischen Herrschaft und Emanzipation ist das Phänomen Recht aber nicht eindeutig zuzuordnen, letztlich kann es beiden zu Diensten sein. Der Vorwurf einer Fortschreibung historischer Machtverhältnisse hat in Deutschland auf Grund der raschen Wechsel seiner politischen Systeme besondere Brisanz. 60 Die Frage kann daher auch schärfer gefasst werden: Ist mit der subjektivhistorischen Methode ein Gesetz aus der Zeit des Nationalsozialismus im nationalsozialistischen Geiste zu interpretieren? Die Antwort lautet zunächst, dass die Frage zu falschen Schlussfolgerungen einlädt. Zwar ist die subjektiv-historische Methode bei jeder Gesetzesauslegung anzuwenden und immer der Wille des jeweiligen historischen Gesetzgebers zu erforschen. Nur auf Grundlage einer solchen Interpretation lässt sich die Verfassungsmäßigkeit des ausgelegten Gesetzes überprüfen. Ergibt die Ermittlung des gesetzgeberischen Willens im fraglichen Fall, dass die gesetzliche Regelung direkt menschenverachtender nationalsozialistischer Ideologie entspringt, ist das Gesetz evident und schwerwiegend verfassungswidrig und außer Anwendung zu lassen. 61 Sonstige vorkonstitutionelle Gesetze, deren Inhalte dem Grundgesetz nicht widersprechen, sind aber nicht schon deshalb unanwendbar, weil sie vom nationalsozialistischen Gesetzgeber erlassen wurden. 62 Der gesetzgeberische Wille ist nicht stets und ständig Ausdruck politischer Grundentscheidungen, sondern kann ebenso der Durchsetzung anderer, von der aktuell herrschenden Ideologie unabhängigen Regelungsbedürfnissen 59

Die Entwicklung des Unehelichenrechts in Preußen zwischen 1794 und 1854 ist nur ein Beispiel, welches solcher Fortschrittsromantik diametral entgegensteht, vgl. Beate Harms-Ziegler, in: Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts, 1997, S. 325 – 344; dies., Illegitimität und Ehe, 1991, passim. 60 Nach Hans-Martin Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, 1986, Rn. 174, zieht die Wertungsjurisprudenz ihre Berechtigung nicht zuletzt aus der Erkenntnis, dass ein einheitlicher Gesetzgeber nicht existiert; so sei die Bindung an den „historischen Gesetzgeber“ für die nationalsozialistische Zeit völlig ausgeschlossen; vgl. auch Teil 1 F V, Fn. 578. 61 Dazu oben, Teil 3 C I 2c. Auch das Bundesverfassungsgericht würde in diesem Fall keine verfassungskonforme Auslegung mehr versuchen, vgl. BVerfGE 20, 150 (160), zum Sammlungsgesetz. – Diese Überlegungen werfen allerdings Fragen mit Blick auf die Anwendbarkeit bestimmter vorkonstitutioneller Gesetze auf, genannt sei hier nur die Regelung in § 211 StGB, die auf der sog. Tätertyplehre beruht. 62 Bemerkenswert ist, wie viele Gesetze aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 in Deutschland fortgegolten haben und fortgelten, obwohl die scharfe Abgrenzung zu dieser Epoche zugleich ein konstituierendes Merkmal der Bundesrepublik darstellt. Zum Nationalsozialismus als politischem Layout der Bundesrepublik Deutschland (und damit auch des Grundgesetzes) vgl. Gerd Roellecke, in: ders., Aufgeklärter Positivismus, 1995, S. 83 –104.

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folgen. Auch diese Frage ist durch subjektiv-historische Auslegung zu klären. Wenn vorkonstitutionelle Gesetze der Verfassung nicht widersprechen, mag ihre Herkunft zwar moralisch fragwürdig sein, rechtlich ist sie gemäß Art. 123 Abs. 1 GG irrelevant. Im Übrigen entscheidet der Gesetzgeber, ob alte Bestimmungen unberührt bleiben oder durch Neuregelungen ersetzt werden sollen. Der Vorwurf einer Fortschreibung historischer Machtverhältnisse ist daher an ihn weiterzugeben. Ein Versuch der Gerichte oder Behörden, sich selbst zum Motor gesellschaftlichen Fortschritts zu machen, ist in Anbetracht des Demokratieprinzips bedenklich und aus pragmatischer Perspektive wenig aussichtsreich. 3. Der Vorwurf des unfähigen Gesetzgebers Diese Machtfülle des Gesetzgebers verträgt sich allerdings nur schwer mit einer weit verbreiteten anti-parlamentarischen Grundhaltung. 63 Die Debatte um die subjektiv-historische Auslegung ist damit in weiten Teilen weniger Methodenstreit als vielmehr eine Auseinandersetzung darum, wie viel rechtliche Gestaltungsmacht der Gesetzgeber einerseits und die Gerichte andererseits haben sollen. 64 (Dabei sind die Verwaltungsbehörden kaum im Blick, was ihrer weitgehenden Aussparung in den Methodenlehren korrespondiert. 65) 63 Aus systemtheoretischer Perspektive äußert sich Oliver Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, passim, scharf gegen die verbreitete Gesetzgebungskritik als tatsächlich wie verfassungsrechtlich inadäquat. – Zudem sei die Anmerkung erlaubt, dass die deutsche Ausprägung moderner Gesetzgebungskultur weder die einzig mögliche noch über jeden Verbesserungsvorschlag erhaben ist. Zum schwedischen Gesetzgebungsverfahren als einer möglichen Inspirationsquelle im Vergleich ausführlich: Hagen Bode, Das Gesetzgebungsverfahren in Schweden und Deutschland, 2007, passim. 64 Zur Methodenfrage als Machtfrage: Bernd Rüthers, NJW 2005, 2759 (2761). Ausführlich zu den jeweiligen Vor- und Nachteilen von Gesetzesrecht und Richterrecht: Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 113 ff. Die vielfach diagnostizierte Krise des Parlamentsgesetzes führt Wolfgang Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (51), zur Bedeutung des auch verfassungsrechtlich anerkannten Grundsatzes arbeitsteiliger Rechtsproduktion; seine Konzeption beschränkt sich aber leider auf generelle Normen (S. 57 ff.) und dient am Ende einer Umdeutung der Erfordernisse demokratischer Legitimation (S. 66 ff.). Stellvertretend für viele sieht Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 137 ff., 342 ff., 366 ff., faktisch eine erhebliche Verlagerung der Rechtsetzungsmacht von der Legislative zur Judikative. 65 Vgl. schon Philipp Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung (1912), hrsg. von Josef Esser, 1968, S. 10: „Das Problem der Rechtsgewinnung durch Richterspruch steht im Mittelpunkt der juristischen Methodenlehre.“; Peter Noll, in: Hans Albert u. a. (Hg.), Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, 1972, S. 524 (524 ff.), geht gar davon aus, dass die Rechtswissenschaft insgesamt bis dato eine reine Rechtsprechungswissenschaft darstelle. Eine erfreuliche Ausnahme bildet daher Claus Dieter Classen, JZ 2003, 693 (701), der zur Frage der Rechtsfortbildung auch auf eine mögliche Befugnis der Verwaltungsbehörden eingeht.

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Seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, wird die zunehmende Quantität 66 und abnehmende Qualität 67 von Gesetzgebungsakten beklagt. 68 Das Gesetz soll seine Funktion als zentrales Steuerungsinstrument weitgehend eingebüßt haben; 69 was allerdings jenseits abstrakt-genereller Regelungen auf die Rechtsunterworfenen wartet, ist noch unklar. 70 Gegenüber dem Gesetzgeber, der als irrational, korrupt oder unfähig wahrgenommen wird, werden die Gerichte als attraktive Alternative imaginiert. 71 Sie seien unabhängig und unpolitisch, nicht von Tagespolitik berührt und nicht auf Koalitionspartner angewiesen, flexibel in ihrer Reaktion auf gesellschaftlichen Wandel und beharrlich in ihrem Festhalten am Recht. 72 Auf dieses Idealbild des Richters als Philosophenkönig 73 ist die juristische Ausbildung trotz aller Reformen noch heute ausgerichtet. Insgesamt genießen die Gerichte in der 66

Vgl. Axel Burghart, Die Pflicht zum guten Gesetz, 1996, S. 22 ff.; Lutz Treder, Methoden und Technik der Rechtsanwendung, 1998, S. 176 ff. Recht unbeeindruckt von solchen Klagen war schon Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1573 (1573 ff.). 67 Vgl. dazu Wolfgang Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (7 ff.), mit vielen Nachweisen. Sehr kritisch zum verbreiteten Misstrauen gegenüber dem demokratisch gewählten Parlament, das einem modernen Staat nicht angemessen sei, schon Richard Thoma, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, § 71, S. 108 (143 f.). Zu den sieben Anforderungen an ein gutes Gesetz: Ralf Dreier, in: Uwe Diederichsen / Ralf Dreier (Hg.), Das mißglückte Gesetz, 1997, S. 1 (2 ff.). 68 Vgl. Olaf Gericke, Möglichkeiten und Grenzen eines Abbaus der Verrechtlichung, 2003, S. 45 ff., 114 ff.; Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 2. A. 1992, S. 519 ff.; Reinhard Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, 1988, S. 62 ff.; Walter Leisner, Krise des Gesetzes, 2001, S. 123 ff. Kritisch zur Vorstellung eines zwingenden Zusammenhangs von Masse und mangelnder Qualität: Svein Eng, in: Luc J. Wintgens (Hg.), Legisprudence, 2002, S. 65 ff.; Horst Sendler, DVBl. 1995, 978 (978 f.). Siehe auch Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 197: „Die Klage über schlechte – zu viele, zu unklare oder zu komplizierte – Gesetze ist so alt wie das Recht, [...].“ 69 Vgl. Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 44 ff. (Stand: 1980). Allerdings gibt es ohnehin Bemühungen, die als veraltet empfundenen Steuerungstheorien durch governance-Ansätze abzulösen, vgl. dazu instruktiv: Claudio Franzius, VerwArch 2006, S. 186 –219 (insbes. 198 ff.), m.w. N.; sowie die Beiträge in: Gunnar Folke Schuppert (Hg.), Governance-Forschung, 2005. 70 Einen Blick in eine gesetzesfreie Zukunft wagt Walter Leisner, Krise des Gesetzes, 2001, S. 240 ff.; zur Herrschaft durch Fälle – bzw. die daraus extrapolierten exempla – statt durch rules vgl. Nikolaus Benke, Michigan Journal of Gender & Law, Vol. 3:1995, S. 195 (202 f.); ferner ders., in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 1 (32 ff.), zur römischen Kasuistik (procedere ad similia) und deren so ganz anderen Rahmenbedingungen (S. 21 ff., 30 ff., 63 ff.). 71 Vgl. Otto Bachof, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, 1961, S. 26 (37 ff.), der das weit verbreitete Misstrauen gegen das Gesetz allerdings nicht als Vorwurf an den Gesetzgeber verstanden wissen will, sondern als zwangsläufige Entwicklung in der modernen Welt, die als Gegengewicht nach dem Richter als Bewahrer der obersten Werte verlange: „Recht als Maß der Macht“ nur durch die Rechtsprechung (S. 47). 72 Vgl. nur die für den Gesetzgeber wenig schmeichelhafte Gegenüberstellung bei Wolfgang Zeidler, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 645 (646 ff.).

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Jurisprudenz wie in der öffentlichen Meinung mehr Ansehen und mehr Aufmerksamkeit als der Gesetzgeber. 74 Jede Juristin und jeder Jurist, die versuchen, den komplexen Stoff unserer Rechtsordnung irgendwie zu erfassen, fühlen sich den Gerichten schon emotional näher. Denn während ein Federstrich des Gesetzgebers Bibliotheken zu Makulatur machen kann, gibt die oftmals auf ebendiese Bibliotheken gestützte Rechtsprechung das beruhigende Gefühl, am Diskurs beteiligt zu sein. In der Frage der Beteiligung könnte aber auch schon das zentrale Problem einer gerichtszentrierten Rechtsordnung liegen. Eine extensiv rechtsprechungsfreundliche Haltung ist notwendig demokratiefeindlich. 75 Eine Machtverschiebung hin zu den Gerichten würde eine geschlossene Gesellschaft spezialisierter Dogmatiker / innen begünstigen. 76 Wir juristischen Expert / innen dürften dabei sein, die sog. Rechtsunterworfenen blieben außen vor. Die Bedeutsamkeit der eigenen Po73 Siehe dazu die geradezu religiöse Verehrung des Richterberufes bei Erwin Stein, NJW 1964, 1745 (1746, Fn. 9). Zu Leitbildern richterlichen Handelns, Richterbildern und deren Funktionen im 19. Jahrhundert ausführlich: Regina Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, 1986, passim. Umfassend kritische Anfragen an den Richterstand stellt Rolf Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, 2. A. 1996, passim. 74 Diese Bevorzugung der Gerichte vor dem Gesetzgeber kann in Deutschland auf eine gewisse Tradition zurückblicken. Vgl. Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 237: „Die weitgehende Beliebtheit, deren sich Schiedsgerichte, Sondergerichte und Geschworenengerichte erfreuen, beweist deutlich, daß eine besondere Vorliebe für Gesetzeswirkung nicht besteht.“ Auch nach Ansicht von Herbert Jäger, in: Günter Kohlmann (Hg.), Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, 1983, S. 83 (84 ff.), soll sich der Gesetzgeber an den überlegenen Gerichten ein Beispiel nehmen; vgl. nur BGHZ 90, 370 (380): „Denn damit würde dem Gesetzgeber zu Unrecht der Wille unterstellt, hinter dem von der Rechtsprechung schon erreichten Stand zurückzubleiben.“ Fritz Werner, Das Problem des Richterstaates, 1960, S. 24, hatte prophezeit: „Kommt es zu keiner Renaissance der Gesetzgebung, ist der Richterstaat unausweichlich.“; Bernd Rüthers, NJW 2005, 2759 (2759), sieht diese Voraussage erfüllt, für ihn ist die Bundesrepublik Deutschland inzwischen ein Richterstaat geworden. Anders Christian Walter, AöR 125 (2000), 517 (533), nach dessen Ansicht eine wünschenswerte weitere Annäherung ans Common Law dadurch behindert wird, dass „in Deutschland die alte gesetzespositivistische Vorstellung vielfach noch nachwirkt“. 75 Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1573 (1573 f.), hat sehr schön herausgearbeitet, dass die Opposition gegen das Gesetzesrecht in der Monarchie Ausdruck demokratischer Gesinnung war, sich in einer Demokratie aber nachgerade ins Gegenteil verkehrt. Zur Demokratieadäquanz der Justiz in der Bundesrepublik vgl. Hans-Ernst Böttcher, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Vor Art. 92 ff., Rn. 1 –57. Merkwürdig ist daher ein Verständnis, welches die Gesetzesbindung nur als Antagonistin zur richterlichen Unabhängigkeit begreift, vgl. aber Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 97, Rn. 13 ff. (Stand: 1977). 76 Das Bestreben der Rechtswissenschaft, als omnipotentes Expert / innentum – Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 54, stellt fest, dass sich „der unter Juristen verbreitete geistige Alleinvertretungsanspruch häufig unheilvoll aus[wirkt]“ – auch die Gesetzgebung zu dominieren, ist allerdings kaum zu übersehen. Vgl. auch Rainer Wahl,

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sition zu verteidigen, ist aber kaum ein legitimes Ziel im Methodenstreit. Und unabhängig von der inhaltlichen Qualität der Gesetze weist das Grundgesetz den Gerichten im änderungsfesten Art. 20 Abs. 3 GG eine dem Gesetzgeber nachgeordnete Stellung zu. Sollen die Gerichte aus Qualitätsgründen den Gesetzgeber überspielen können, muss sich das deutsche Volk eine neue Verfassung geben. 77 Die Kritik des unfähigen Gesetzgebers enthält letztlich einen Vorwurf an die subjektiv-historische Auslegung, die Gesetzesbindung ernst zu nehmen. 78 Darin scheint die Gemeinsamkeit aller ablehnenden Äußerungen zu liegen. 4. Kern der Kritik: Die Gesetzesbindung Ob der Vorwurf der Statik der Rechtsordnung, der Fortschreibung historischer Machtverhältnisse oder des unfähigen Gesetzgebers: Sie alle beruhen letztlich auf Unzufriedenheit mit der Vorstellung, Gerichte und Verwaltungsbehörden könnten nur auf Grundlage und im Rahmen der Gesetze handeln. Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung versprechen eine Lösung all dieser Probleme. Mit ihrer Hilfe soll eine Anpassung an gesellschaftlichen Wandel möglich sein, als überholt empfundene gesetzliche Regelungen sollen einem modernen Verfassungsverständnis weichen und dynamische Rechtsanwender / innen treten an die Stelle des viel geschmähten Gesetzgebers. Gründet sich die Favorisierung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung 79 aber auf und erschöpft sich die Kritik an der subjektiv-historischen AusleNVwZ 1984, 401 (407), zur ausgeprägten Neigung deutscher Jurist / innen wie Rechtswissenschaftler / innen, Gesetzgebungspolitik im Gewande von Verfassungsrechtsdogmatik zu betreiben. 77 Auch Klaus Schlaich, VVDStRL 39 (1981), 99 (118 ff.), konstatiert ein erschreckendes Misstrauen gegenüber dem Gesetzgeber und ein kompensierendes Vertrauen in die Justiz, was ihn zu der Erinnerung daran nötigt, dass Verfassungsrechtler unter dem Grundgesetz das parlamentarische Verfahren, wenn sie es schon nicht liebten, so doch zumindest wollen müssten (S. 120). 78 Treffend Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 26 f.: „Der schwerwiegendste Grund gegen die streng subjektive Theorie und wohl der einzig wahre Grund für die Entstehung der objektiven Theorie ist, daß eine rein subjektive Auslegung den Richter zu fest an den Willen des Gesetzgebers kettet. Sie zwingt ihn, auch festgestellte Fehler des Gesetzgebers mitzumachen, der ja nicht frei von menschlichen Fehlern und Unzulänglichkeiten ist.“ Vgl. auch Philipp Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung (1912), hrsg. von Josef Esser, 1968, S. 41: „Der Richter bleibt an das Gesetz gebunden, auch wo es verfehlt ist.“, und ders., Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 62: „Wer sich der objektiven Theorie anschließt, nimmt daher die bewußte Vereitlung legislativer Absichten in sein Programm auf.“ [Hervorhebung im Original.] 79 Für Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 129 ff., ist das herrschende Verständnis von Gesetzesbindung jedenfalls nicht mehr zeitgemäß und modernen Anforderungen nicht gewachsen; faktisch erschöpfe sich die Unterwerfung der Richter / innen

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gung 80 nur in einer Ablehnung der Gesetzesbindung der sog. rechtsanwendenden Instanzen, ist dies methodologisch kaum von Interesse. Zu weit entfernen sich die damit verbundenen Vorstellungen von der derzeit geltenden Rechtsordnung. Zwar ist die Methodenlehre selbst nicht Bestandteil des Rechtssystems. Sie könnte der Rechtspolitik zugeordnet werden, da sie nicht sagt, was Recht ist, sondern den Richterinnen und Richtern vorschreiben will, wie sie zu handeln haben. 81 Allerdings wird unter Rechtspolitik zumeist das Nachdenken über mögliche Inhalte künftigen Rechts verstanden. Die juristische Methodenlehre dagegen befasst sich mit dem äußeren Vorgang der Rechtsgewinnung, seinen Abläufen und Strukturen. Die Inhalte des bestehenden Rechts sind für sie nicht verhandelbar, sondern Grundlage ihrer Aussagen. Nur wenn die derzeit geltende Rechtsordnung zutreffend erfasst ist, können auch die darauf beruhenden methodologischen Behauptungen Anspruch auf Beachtung erheben. Wesentliche Merkmale des Rechtssystems sind sein gestufter Aufbau und die Funktion von Ermächtigungsnormen als Deutungsschemata. 82 In der sog. Gesetzesbindung finden diese Strukturmerkmale ihren bekanntesten Ausdruck. Eine Methodenlehre für die derzeit geltende Rechtsordnung muss folglich den Gedanken der Gesetzesbindung zugrunde legen. Methodologisch relevant ist daher nur, welche Kritik bei grundsätzlicher Akzeptanz der Gesetzesbindung an die subjektiv-historische Methode herangetragen wird. Allerdings ist noch auf das Argument einzugehen, Gesetzesbindung sei gar nicht möglich 83 und existiere nur als Vorstellung unbelehrbarer Rechtspositivist / innen, die fehlerhaft annehmen würden, es gäbe Ermächtigungsnormen, 84 deren bindende Inhalte erkannt werden könnten 85. Friedrich Müller geht davon aus, unter das Gesetz heute in ihrer Unterwerfung unter die Verfassung (S. 141). Anne Röthel, JuS 2001, 424 (428), identifiziert die verfassungskonforme Auslegung zutreffend als ein Programm zur Aufweichung der strikten gerichtlichen Gesetzesbindung. 80 Deutlich gegen die Gesetzesbindung Thomas Drosdeck, Die herrschende Meinung, 1989, S. 122; vgl. auch die Ablehnung der streng subjektiven Theorie bei Christian Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, S. 23 f. 81 Vgl. Alf Ross, Theorie der Rechtsquellen, 1929, S. 181. 82 Dazu ausführlich oben, Teil 2 B II, C I. Daher kann auch nicht dem Vorschlag von Claus Dieter Classen, JZ 2007, 53 (55 ff.), gefolgt werden, die Intensität der Gesetzesbindung für die Gerichte nach funktionellen Aspekten abzustufen. Größere Freiheiten höherer Instanzen in Justiz wie Verwaltung können sich (nur) aus anderen Gesichtspunkten ergeben, vgl. dazu unten Teil 4 D III. 83 Sowohl mit den diesbezüglichen Argumenten aus anderen Disziplinen als auch dem Problem von Sprache und Wirklichkeit beschäftigt sich eingehend Christian Starck, VVDStRL 34 (1976), 43 (49 ff., 58 ff.); für die Möglichkeit von Gesetzesbindung ferner Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 256 ff. Selbst Robert Weimar, in: Michael W. Fischer u. a. (Hg.), Hermeneutik und Strukturtheorie des Rechts, 1984, S. 155 (155 ff.), der sich sehr kritisch zu Bindungsvorstellungen in der herrschenden Dogmatik äußert, will letztlich auf das Zusammenspiel von Gesetzesrecht und Richterrecht nicht verzichten (S. 167). Ausführlich zur Problematik der Gesetzesbindung auch Dieter Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 68 ff., m.w. N.

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dass Normativität erst durch Konkretisierung entsteht, Verfassung und sonstige generelle Rechtsnormen seien lediglich virtuelles Recht. 86 Dem konsequent folgend ist anzunehmen, dass das Gericht das, woran es gebunden sein soll, erst noch erzeugen muss. 87 Diese Konzeption wirft weitaus mehr Fragen auf, als sie beantworten kann 88: zum Demokratieprinzip, zur Gewaltenteilung, zur Funktion der Gesetzgebung, zur Legitimationsstruktur, zur Möglichkeit von Normativität, zur Eigenständigkeit des Rechts als System. Obwohl die Wirklichkeit umfassend einbezogen werden soll, hat die strukturierende Rechtslehre überdies nur die sog. Rechtsanwender / innen im Blick 89 und ignoriert die Ebene der generellen Normsetzung weitgehend ebenso wie die Situation der Rechtsunterworfenen. 84 Vgl. Walter Grasnick, GA 2000, 153 (155 ff.), zur Realität des Richterrechts als alleiniger Rechtsquelle; Friedrich Müller, in: Methodik, Theorie, Linguistik des Rechts, 1997, S. 20 (23), S. 55 (59), zur Illusion der lex ante casum; sowie ders., Strukturierende Rechtslehre, 2. A. 1994, S. 233, zur vorgegebenen Entscheidungsnorm als unfrommer Lebenslüge; sehr kritisch zur strukturierenden Rechtslehre aber: Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 260 ff.; dezidiert ablehnend zur Entscheidungspraxis als Kriterium der Rechtsgeltung auch Ota Weinberger, in: Csaba Varga / Ota Weinberger (Hg.), Rechtsgeltung, 1986, S. 109 (122 f.). 85 Vgl. Ralph Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989, S. 238, zum vorgegebenen Sinn als uneinlösbarer Fiktion; Nikolaus Forgó/Alexander Somek, in: Sonja Buckel u. a. (Hg.), Neue Theorien des Rechts, 2006, S. 263 (268 ff.), zur fehlerhaften Vorstellung von einem Gegenstand der Rechtserkenntnis; Alexander Somek, Rechtliches Wissen, 2006, S. 113 ff., zur Praxis der Regelanwendung als konstitutiv für die Bedeutung der Regel; kritisch zum (älteren) Streit um den bindenden Bedeutungsgehalt von Gesetzen: Gertrude Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 114 ff., m.w. N. 86 Friedrich Müller, Rechtstheorie 32 (2001), 359 (364, 370); ähnlich Fritjof Haft, in: Arthur Kaufmann / Winfried Hassemer (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6. A. 1994, S. 269 (281): Gesetze nur als Möglichkeit von Recht. Der Schluss von der Unbestimmtheit einer generellen Regelung darauf, dass sie gar keinen Regelungsgehalt besitze, ist aber unzulässig, vgl. Ulfrid Neumann, Rechtstheorie 32 (2001), 239 (245). 87 Friedrich Müller, Strukturierende Rechtslehre, 2. A. 1994, insbes. S. 246 ff., 256 ff.; Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002, Rn. 162 ff., 225 ff., 481 ff., 505 ff.; Ralph Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989, S. 227 ff. 88 Beeindruckend ist allerdings die geistige Raffinesse, mit der die Strukturierende Rechtslehre von den Prämissen, es existierten keine generellen Normen, es gebe keine feststehenden Bedeutungen und Sprache sei Gewalt, über das einprägsame Bild der „Textstruktur des Rechtsstaates“ doch noch zu einer Gesetzes- und Verfassungsbindung gelangt. Daneben müssen andere Modelle notwendig farblos bleiben. 89 Allerdings gefällt es sehr vielen juristischen Methodenlehren, einen exklusiv rezipientenbezogenen Standpunkt einzunehmen, was mit der totalen Übertragung und Verabsolutierung hermeneutischer Erkenntnisse bei gleichzeitiger Ausblendung von (generellen) Normsetzungsprozessen einhergeht. Ihrem besonderen Gegenstand „Recht“ kann diese Vorgehensweise kaum noch gerecht werden. Von der Reinen Rechtslehre inspirierte strukturelle Theorieansätze werden dagegen bemüht sein, zunächst einmal das positive Recht zutreffend abzubilden. Dazu gehören derzeit unter anderem die Anforderungen demokratischer Legitimation, das Gebot der Gesetzesbindung und die Institution der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle. Werden diese – überdies in Verfassungsrang stehenden – Bestandteile

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III. Die subjektiv-historische Auslegung und ihre Methoden Erkenntnisziel der subjektiv-historischen Auslegung ist der Wille des historischen Gesetzgebers. 90 Selbst wenn zutreffend sein sollte, dass Erkenntnis in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis nicht möglich ist – eine Ansicht, die hier nicht geteilt wird – müssten doch die Vertreter / innen zumindest des rechtsrhetorischen Lagers, welche diese These zugrunde legen, zustimmen, dass die Festlegung eines bestimmten Auslegungszieles trotzdem von erheblicher Bedeutung ist. 91 In Anbetracht der Notwendigkeit einer kommunikativen Rekonstruktion der Entscheidung kann das Auslegungsziel dann immerhin noch als regulative Idee im Kantischen Sinne fungieren. 92 Da es nicht Aufgabe dieser Arbeit ist, die Möglichkeit von Rechtserkenntnis zu beweisen, sei nur darauf hingewiesen, dass die Festlegung eines Auslegungszieles auch unter Verzicht auf diesen Beweis sinnhaft sein kann. 93 Als Auslegungsmittel dienen die bekannten Methoden der grammatikalischen, logischen und systematischen Interpretation. Die subjektiv-historische Auslegung unterscheidet sich von anderen Interpretationskonzepten insbesondere dadurch, dass sie die sog. objektiv-teleologische Auslegung ablehnt, 94 stattdessen aber den Gesetzesmaterialien erhöhte Aufmerksamkeit schenkt.

des geltenden Rechts ignoriert oder zurückgestellt, können die darauf beruhenden methodologischen Fehlleistungen auch durch hermeneutische Höhenflüge nicht mehr ernsthaft ausgeglichen werden. 90 Zutreffend Heinz Mayer, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 61 (68): „Versteht man im Sinne einer positivistischen Rechtstheorie unter Recht im wesentlichen den „Willen des Gesetzgebers“, so kann es bei der Auslegung nur darauf ankommen, eben diesen Willen zu erfassen.“ Aus erkenntnistheoretischer Perspektive sehr skeptisch gegenüber dem subjektiv-historischen Interpretationsansatz ist Thomas Vesting, Der Staat 41 (2002), 74 (78 ff.); vgl. aus diskurstheoretischer Perspektive Andreas Görgen, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 86 (106 ff.). 91 Scharf gegen eine mögliche Erkenntnis, aber optimistisch in der Frage von Wechselwirkungen und Rückbezüglichkeit: Katharina Gräfin von Schlieffen, Rechtstheorie 32 (2001), 175 (185). 92 Hans-Joachim Strauch, Rechtstheorie 32 (2001), 197 (200 f.), weist diese Vorstellung auf Grund der darin liegenden Reduktion der Gesetzesbindung entschieden zurück. 93 Darüber hinaus ist die Kritik von Rechtsrhetoriker / innen am Dogma der Rechtserkenntnis nicht selten vielmehr Kritik an der Vorstellung, die sog. Rechtsanwendung könne sich in einem Erkenntnisakt erschöpfen; vgl. Werner Krawietz, Rechtstheorie 32 (2001), 345 (354); Katharina Gräfin von Schlieffen, Rechtstheorie 32 (2001), 175 (177). 94 Vgl. nur Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 179 ff. Deutlich schärfer brandmarkt Bernd Rüthers, NJW 2005, 2759 (2761), die verbreitete Kombination von objektiver Auslegung und freier Methodenwahl als verfassungswidrig.

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1. Erkenntnisziel: Der Wille des historischen Gesetzgebers Der Wille des historischen Gesetzgebers als zu ermittelnde Größe ist nicht so leicht fassbar wie die Ermittlung der Deutungsmöglichkeiten eines (Gesetzes)Textes. 95 Im modernen demokratischen Staat ist der Gesetzgeber keine Einzelperson, sondern eine Personenmehrheit. Daher wird gern vorgebracht, ein einheitlicher Wille des Gesetzgebers sei eine reine Fiktion. 96 Problematisch mag dies sein, wenn der gesetzgeberische Wille als massenpsychologische Tatsache zu verstehen sein müsste. Doch schon Carl Schmitt stellte zutreffend fest, diese Auffassung des Gesetzgebers beruhe auf einer handgreiflichen Verwechslung der Organe des Staates mit den konkreten Menschen, die als die jeweiligen Organe fungieren. 97 Der Wille des Gesetzgebers ergibt sich daher nicht aus dem natürlichen Willen der einzelnen Abgeordneten 98 und ist auch kein im Moment der Rechtsetzung magisch entstehender Gemeinwille. Der gesetzgeberische Wille ist vielmehr als normativ geformter zu begreifen. 99 Die parlamentarische Mehrheit, welche in Umfang und Zusammensetzung rechtlich bestimmt wird, gibt einem Antrag ihre Zustimmung und drückt damit einen gesetzgeberischen Willen aus. 100 Der Wille des Gesetzgebers kann daher insoweit als fiktiv angesehen werden, als Normativität generell als Fiktion verstanden wird. Relativ unproblematisch gestaltet sich später die Auslegung, wenn eine Gesetzesinitiative ohne größere Debatten beschlossen wurde. Der Normalfall ist komplizierter. Meist gibt es langwierige und kontroverse Beratungen über den Gesetzesentwurf oder auch mehrere Änderungen desselben.

95 Ablehnend Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. A. 2002, Rn. 443: „Wille des Gesetzgebers“ als Chimäre, als Phantom. 96 Sehr kritisch gegen dieses „Willensargument“ schon Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 60 ff., 72 f., m.w. N.; ferner Franz Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2005, S. 24 ff.; Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 259 ff.; Bernd Schünemann, in: Günter Kohlmann (Hg.), Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, 1983, S. 169 (183). Zur (notwendigen) Fiktion des Staatswillen vgl. Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1911, S. 177 ff. 97 Carl Schmitt, Gesetz und Urteil, 1912, S. 25. 98 Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. A. 2006, S. 22 ff., lehnt eine radikale subjektive Theorie ab, deren Erkenntnisziel er zuvor damit beschrieben hat, sie forsche nach den „persönlichen Vorstellungen der am Gesetzesbeschluss Mitwirkenden“. 99 Vgl. Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 46 ff., die auch von fingiertem Einheitsbewusstsein sprechen. 100 So auch Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 24 f.

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2. Gesetzesmaterialien als Auslegungsmittel Ist der Wille des Gesetzgebers nicht ohne Weiteres dem Gesetzesbeschluss zu entnehmen, müssen die Materialien zu Rate gezogen werden. 101 Die sog. Gesetzesmaterialien sind die amtliche Begründung des Gesetzes und die Beratungsprotokolle. In ihnen lässt sich nachlesen, welche Entwicklung die Debatte um einen bestimmten Gesetzesentwurf genommen hat, welche Argumente entscheidend waren, wie der Gesetzesentwurf geändert wurde. Zwar werden auch die Materialien über Texte vermittelt, welche vielfältig deutbar sind und dem Wandel des Sprachgebrauchs unterliegen. 102 Sie haben aber gegenüber dem Wortlaut des Gesetzes einen unschlagbaren Vorteil: Sie sind ausführlicher. Während der Gesetzgeber den Gesetzestext als prägnante Formel gestalten muss, können in den Materialien Argumentationslinien nachvollzogen werden. Gegen die Verwendung der Materialien wird das sog. „Formargument“ 103 vorgebracht, welches darauf hinweist, dass die Materialien keine Gesetzeskraft haben. 104 Warum diese zutreffende Einsicht ihre Einbeziehung in den Prozess der Rechtserkenntnis hindern soll, ist damit allerdings nicht dargetan. Die Materialien sind nicht Geltungsgrund oder Teil des Gesetzes. 105 Sie fungieren als Hilfsmittel bei der Ermittlung seines Inhalts. Wenn versucht wird, den Inhalt eines Urteils zu erschließen, wird auch nicht nur der Entscheidungstenor betrachtet, ebenso spielen die Urteilsgründe eine wesentliche Rolle. Dem sog. Formargument könnte die fehlerhafte Vorstellung zugrunde liegen, das juristische Erkenntnisinteresse werde vom Wortlaut des Gesetzes auf die Texte der Materialien erweitert. Erkenntnis101 Zur Unverzichtbarkeit dieser Auslegungshilfe Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 84 ff., 105 ff.; vgl. auch Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 123 ff.; Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 103 ff.; Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 618 ff. Skeptisch Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 61 ff. 102 Hier setzt Ralph Christensen, in: Friedrich Müller (Hg.), Untersuchungen zur Rechtslinguistik, 1989, S. 47 (55 ff.), an, um die subjektiv-historische Auslegung für gescheitert zu erklären. Insgesamt zur Problematik der Verwendung historischer Dokumente: Klaus Jürgen Philippi, Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts, 1971, S. 114 ff. 103 Vgl. dazu Peter Schneider, VVDStRL 20 (1963), 1 (8 ff.); kritisch Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 115; ablehnend Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 265, und schon Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 71, 73 ff., 77 ff., welcher letzte Ausläufer der Begriffsjurisprudenz, insbesondere der von ihm verhassten Inversionsmethode, als Urheber ausmacht. 104 Allerdings spricht Ralf Poscher, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 127 (133), ihnen „normative Bedeutung“ insoweit zu, als gerichtliche Entscheidungen aufgehoben werden könnten, wenn sie entscheidende Gesetzesmaterialien nicht beachten. 105 Wenig originell ist es daher, wenn Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1059 (1069 f.), feststellt, die Materialien seien offenbar nicht mit dem Gesetz identisch.

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ziel der Auslegung ist aber der Wille des historischen Gesetzgebers als Inhalt der Norm. Die Gesetzesmaterialien sind nicht mehr als wichtige Mittel zur Erreichung des so bestimmten Auslegungszieles. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes soll den Materialien nur insofern Bedeutung zukommen, als sie ein anderweitig gefundenes Auslegungsergebnis stützen. 106 Die zentrale Stellung, welche die Gesetzesmaterialien in der subjektiv-historischen Auslegung einnehmen, wird in der Lehre als Methodenmonismus gerügt. Diese Kritik wäre aber nur zutreffend, wenn die anerkannte Mehrheit möglicher Auslegungsmittel durch die Berufung auf die Materialien insgesamt ersetzt würde. 3. Weitere Auslegungsmittel der subjektiv-historischen Auslegung Die subjektiv-historische Auslegung betrachtet nicht die Entstehungsgeschichte aus den Gesetzesmaterialien allein. 107 Auch die historische Auslegung, wie sie von Friedrich Carl von Savigny verstanden wurde: als Betrachtung der Regelungstradition im fraglichen Bereich, 108 wird zur Ermittlung des gesetzgeberischen Willens herangezogen. Ferner ist der Wortlaut, mit dem der Gesetzgeber ein Gesetz erlassen hat, für die Rechtserkenntnis von entscheidender Bedeutung. 109 Mit der Fokussierung des Erkenntnisinteresses auf den Willen des historischen Gesetzgebers ist aber auch verbunden, dass es bei der Nutzung des Normtextes als Hilfsmittel zur Bestimmung des Norminhaltes nicht auf den divergierenden Sprachgebrauch der Interpret / innen ankommen kann. Entscheidend ist der ursprüngliche Sprachgebrauch des Gesetzgebers, 110 mag auch die Verständigung darüber nur nach jetzt geltenden diskursiven Regeln möglich sein. Schließlich 106 Eine nicht unerhebliche Divergenz zwischen dem Bekenntnis zur objektiven Theorie und der Bedeutung des Gesetzgebungsverfahrens und der Entstehungsgeschichte in der verfassungsgerichtlichen Praxis ist aber nicht zu übersehen, vgl. dazu Helmut Michel, JuS 1961, 274 (278). 107 Zu den Facetten historischer Auslegung: Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 599 f. 108 Vgl. Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 214. 109 Vgl. auch Helmut Rüßmann, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 135 (148 ff.). Zu weit geht aber Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 202 f., 207, welcher den Normtext den Materialien absolut überordnet. 110 Vgl. Hans-Joachim Koch, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 155 (162); Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 121; Helmut Rüßmann, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 135 (144); Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 741; Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 198; ferner auch Rainer Hegenbarth,

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kann bei der Ermittlung des gesetzgeberischen Willens relevant sein, in welchen systematischen Zusammenhang der Gesetzgeber die Norm gestellt hat. Damit kommen alle klassischen Auslegungsmethoden bei der subjektiv-historischen Auslegung als Hilfsmittel 111 zur Anwendung. Ausgeschlossen ist allerdings die Verwendung der sog. objektiv-teleologischen Methode, 112 da mit ihrer Hilfe nicht der gesetzgeberische Wille, sondern der „Wille des Gesetzes“ ermittelt werden soll, welcher sich zumeist als Wille der auslegenden Instanz entpuppt. Dieses Herangehen ist für die subjektiv-historische Auslegung ungeeignet. 4. Unklarheiten, Justizgewährungsanspruch und Rechtssicherheit Schwierig ist die Frage, was geschieht, wenn Unklarheiten nicht zu beseitigen sind, wenn der Wille des historischen Gesetzgebers nicht erkannt werden kann. 113 Von diesem Problem bleibt eine objektive Auslegung verschont, sie sieht sich eher gezwungen zu begründen, warum eines von vielen möglichen Auslegungsergebnissen den Vorrang hat. Dass völlige Unklarheit über den Willen des Gesetzgebers selten ist, kann auch nicht trösten. Es bleibt ein Risiko, insbesondere, solange der Gesetzgeber seinen Materialien nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenkt. 114 Ist der Wille des Gesetzgebers nicht zu ermitteln, fehlt dem Gericht die anwendbare Norm. Teilweise hat sich die subjektive Theorie damit beholfen, den mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers zu ermitteln und damit die Lücke zu schließen. 115 Dies erweist sich jedoch als fragwürdiges Vorgehen. Der Wunsch wird zum Vater der Rechtsnorm und die Figur des mutmaßlichen Willens erschafft den idealen GeJuristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 171, 185: „Ein Text kann keine andere Bedeutung haben als die, die sein Verfasser ihm beigelegt hat.“ 111 Zur Indizfunktion der canones: Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 259 f. 112 Strikt ablehnend auch Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 806 ff. Bernd Schünemann, in: Günter Kohlmann (Hg.), Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, 1983, S. 169 (185), ordnet den Sammelbegriff der sog. teleologischen Interpretation nicht mehr der Auslegung, sondern der über das Gesetz hinausgehenden Rechtsfindung zu. Dies wird durch die Ausführungen von Paul Kirchhof, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2, 1976, S. 50 (65 f.), bestätigt. Robert Walter, in: Michael W. Fischer u. a. (Hg.), Hermeneutik und Strukturtheorie des Rechts, 1984, S. 129 (131), schließt alle „Mittel“ der Interpretation aus, die nicht auf die Erkenntnis des normsetzenden Willensaktes gerichtet sind. 113 Dazu schon Philipp Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung (1912), hrsg. von Josef Esser, 1968, S. 37 f., wobei sein Erkenntnisziel der Wille des Gesetzgebers in Form von dessen Interessenabwägung ist. 114 Treffend bereits Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 216: „Es besteht also hierin eine Wechselwirkung zwischen trefflicher Gesetzgebung und trefflicher Auslegung, indem der Erfolg einer jeden durch die andere bedingt und gesichert ist.“

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setzgeber, der immer das Vernünftige will und der den mangelhaften historischen Gesetzgeber verdrängt. 116 Der Ausweg des mutmaßlichen Willens wurde vor allem beschritten, um „schlechthin unerträgliche“ Ergebnisse 117 zu vermeiden sowie den rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürgern die Auskunft zu ersparen, der Streit sei mangels einschlägiger Rechtsnormen nicht entscheidbar. Die Gerichte haben aber grundsätzlich die unangenehme Pflicht, Urteile nach der Gesetzeslage zu sprechen und die unterlegene Partei auf das Versagen des parlamentarischen Gesetzgebers hinzuweisen. 118 Auch die Abweisung eines Rechtsbegehrens, weil eine einschlägige Rechtsgrundlage fehlt, ist eine Entscheidung aus dem geltenden Recht. 119 Der mutmaßliche Wille des Gesetzgebers gerät in gefährliche Nähe zum sog. Willen des Gesetzes und sollte daher nicht das Erkenntnisinteresse bestimmen. Durch Auslegung lässt sich dem Gesetz nicht mehr entnehmen, als der Gesetzgeber geregelt hat. 120 Diese Einsicht führt nicht dazu, dass von der subjektiv-historischen Auslegung als Verfahren der Gesetzesinterpretation abgerückt werden müsste. Etwas weniger dramatisch kann eine streng subjektiv-historische Auslegung, nach der bei einem Widerspruch zwischen dem Wortlaut der Rechtsnorm und dem gesetzgeberischen Willen der Wille vorgeht, 121 auch in Konflikte mit dem Bestimmtheitsgebot geraten. Das „Vertrauensargument“ besagt, Rechtsgenossen wie rechtskundige Kreise müssten den Sinn eines Gesetzes aus dem Wortlaut erkennen, ihr Vertrauen in den Wortlaut sei zu schützen. 122 Schon die Realität des Strafrechts, obwohl es unter dem verschärften Bestimmtheitsgebot des Art. 103 115 Vgl. Dirk Looschelders / Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 65 f.: zumindest subsidiär. Ablehnend zur Lückenergänzung unter Bezug auf einen „mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers“ nach Jellinek: Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 239 ff.; dezidiert gegen einen mutmaßlichen oder wünschenswerten Willen auch Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 235, 238. 116 So warnend auch Carl Schmitt, Gesetz und Urteil, 1912, S. 25 f.; ähnlich Christian Pestalozza, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 519 (534). Kritisch ferner Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 67 ff., der daher die Betrachtung des zweipoligen Verhältnisses von Richter und historischem Gesetzgeber auf ein Dreiecksverhältnis unter Einbeziehung des heutigen Gesetzgebers erweitern will. 117 Aus dieser Perspektive dürfte auch die – fehlerhafte – Behauptung aufgestellt worden sein, der Positivismus scheitere an den „hard cases“, vgl. nur Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 2. A. 1992, S. 247 f. 118 Zutreffend Martin Hochhuth, Rechtstheorie 32 (2001), 227 (237). 119 Dazu oben, Teil 3 E II 3. 120 Winfried Brugger, AöR 119 (1994), 1 (27), warnt, dass eine Projektion des historischen Willens in die Gegenwart hauptsächlich dazu dient, einen eigenen kreativen Anteil an der Interpretation dem Gesetzgeber unterzuschieben. 121 Für eine subjektiv-historische Auslegungslehre ist die Anerkennung einer Wortlautgrenze eher fern liegend, vgl. dazu Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 20 f.

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Abs. 2 GG steht, führt mit pyramidal verschachtelten Definitionen hinter jedem zweiten Rechtsbegriff dieses Ideal ad absurdum. 123 Deshalb ist das Bestimmtheitsgebot als Anforderung an eine gute Rechtsetzung nicht aufzugeben. Es ist jedoch nicht geeignet, die subjektiv-historische Auslegung zu widerlegen. 124 Ist das Gesetz zu unbestimmt, ist es schlicht verfassungswidrig. 125 Dies wiederum berührt Fragen seiner Geltung oder seiner Anwendbarkeit, nicht der Ermittlung seines Inhalts durch Auslegung.

IV. Verfassung ohne Einfluss auf die Rechtserkenntnis Die Etablierung der verfassungskonformen Auslegung hat das Grundgesetz zum zentralen Faktor bei der Gesetzesauslegung werden lassen. Nach herkömmlichem Verständnis überstrahlt die Verfassung das einfache Gesetz, zerlegt es in verfassungskonforme Schnittmengen oder passt seinen Inhalt an. Die „verfassungskonforme Gesetzesauslegung“ ist dann nicht ein Akt der Rechtserkenntnis, sondern zugleich der Prüfung und ggf. erforderlichen Modifikation, also der Rechtsänderung durch Rechtsetzung. Die subjektiv-historische Auslegung kon122 Helmut Rüßmann, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 135 (143 ff.), sieht das Vertrauensargument als so schwerwiegend an, dass er sich schließlich doch für einen Vorrang des Gesagten vor dem Gewollten entscheidet. Ausdrücklich ablehnend dagegen Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 82 ff.; im Anschluss daran betont Bernd Bender, MDR 1959, 441 (444 f.), dass das gesetzgeberische Ziel wichtiger ist als der Wortlaut und sich die genetische Auslegung sogar gegen einen eindeutigen Wortlaut durchsetzen kann. Kritisch zum blinden Vertrauen auf den Wortlaut auch Otto Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 45 f. 123 Wolf-Dieter Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964, S. 26, weist darauf hin, dass Bürger / innen ihre Rechtskenntnisse ohnehin aus Sekundärquellen schöpfen und fachkundige Jurist / innen wohl einige Mühe des Verständnisses auf sich nehmen könnten. Nach Dagmar Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 189 ff., wird die Relativität der Rechtsbegriffe inzwischen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, sofern noch ein Bezug zur Umgangssprache besteht. 124 So auch Manfred Herbert, Rechtstheorie als Sprachkritik, 1995, S. 265 f. Die sog. Wortlautgrenze ist für die subjektive Auslegung nicht entscheidend, vgl. schon Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 230 f.: „Da nun der Ausdruck bloßes Mittel ist, der Gedanke aber der Zweck, so ist es unbedenklich, daß der Gedanke vorgezogen, der Ausdruck also nach ihm berichtigt werden muss.“ 125 Max-Emanuel Geis, NVwZ 1992, 1025 (1030), fordert, dass Unklarheiten zu Lasten des Normgebers gehen, und schreibt dem Art. 103 Abs. 2 GG insofern eine pädagogische Funktion zu, da er den Gesetzgeber zu konziser Normformulierung anhalte. Zum verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot vgl. auch Hans D. Jarass, in: ders. / Bodo Pieroth, Grundgesetz, 8. A. 2006, Art. 20, Rn. 54 ff., 60 ff.; Friedrich E. Schnapp, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 5. A. 2001, Art. 20, Rn. 29; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 2, 2. A. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 129 ff.

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zentriert sich dagegen auf die Ermittlung des Inhalts eines gesetzgeberischen Willensaktes. Obwohl es um die Auslegung von Rechtsnormen geht, ist die Frage nach dem Gesetzesinhalt tatsächlich und nicht normativ. 126 Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung beruhen hauptsächlich auf der Verkennung dieses Umstandes. Wenn die Verfassung als Rechtserkenntnismittel der Gesetzesauslegung bezeichnet wird, 127 ist dies schlicht fehlerhaft. Mit Blick auf den Inhalt des Gesetzes lassen sich der Verfassung einige Anhaltspunkte entnehmen, welchen Inhalt gesetzliche Regelungen nicht haben sollten, weil sie dann den verfassungsrechtlichen Erzeugungsbedingungen nicht entsprechen (zum Beispiel keine ungerechtfertigte Einschränkung von Grundrechten). Die rechtliche Bedingtheit im Stufenbau ist aber nicht mit inhaltlicher zu verwechseln, der Inhalt von Verfassungsnormen impliziert nicht den Gesetzesinhalt. 128 Mit Hilfe der Verfassung können Inhaltsvorgaben als Erzeugungsbedingungen statuiert werden, doch lässt sich nicht die Frage beantworten, welchen Inhalt ein konkretes Gesetz tatsächlich hat. Erst nachdem der Gesetzesinhalt zutreffend ermittelt ist, kann die Verfassung als Kontrollnorm Bedeutung erlangen. Auch wenn der Gesetzgeber verfassungsgemäß handeln will, muss ihm dies nicht immer gelungen sein. Sprechen allerdings keine Auslegungsmittel dagegen, darf im Zweifelsfall angenommen werden, dass der gesetzgeberische Wille verfassungskonform ist. Der Wille des historischen Gesetzgebers kann mit Hilfe der Verfassung nicht ermittelt werden. Die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit kann höchstens in Zweifelsfällen mangels gegenteiliger Anhaltspunkte als widerlegliche Tatsachenvermutung (praesumptio facti) zur Anwendung kommen. Bei der Rechtserkenntnis bleibt die Verfassung auf diese marginale Bedeutung beschränkt.

V. Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der Gesetzesauslegung Daher ist fraglich, inwieweit das Bundesverfassungsgericht überhaupt eine Gesetzesauslegung der sog. rechtsanwendenden Instanzen überprüfen kann. Wenn 126 Vgl. schon Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 238, wonach es sich nicht mehr um Auslegung handelt, wenn „wir nicht fragen, was in dem Gedanken des Gesetzes enthalten ist, sondern was in denselben consequenterweise hätte aufgenommen werden müssen, wenn sich der Gesetzgeber dieses klar gemacht hätte“. 127 So Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966, S. 127; ähnlich Joachim Cornelius, Gesetzesauslegung und verfassungsmäßige Wertordnung, 1968, S. 150: inhaltsbestimmende Auslegungsfunktion; Stefan Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen, Bd. 1, 2001, S. 36: bindende Richtlinie oder Interpretationsmaßstab; vgl. auch BVerfGE 51, 304 (323). 128 Rainer Lippold, Der Staat 29 (1990), 185 (192, Fn. 23).

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die Verfassung bei der Rechtserkenntnis keine Bedeutung erlangt, kann sie auch schwerlich verletzt werden und fehlt dem Bundesverfassungsgericht überdies der Prüfungsmaßstab. 129 Mit einer Beurteilung der Gesetzesauslegung würde das Bundesverfassungsgericht so in die gefürchtete Rolle der Superrevisionsinstanz 130 fallen. 1. „Schlechthin unhaltbare Auslegung“ – oder unzulässige Rechtsetzung? Eine Ausnahme könnte für jene seltenen Fälle fehlerhafter Rechtserkenntnis angedacht werden, in denen die rechtsanwendende Instanz jenseits jeder anerkannten Methode agiert und zu einem „schlechthin unhaltbaren“ 131 Ergebnis gelangt. Eine solch krasse Missdeutung des Norminhalts soll gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen können. 132 Der Rekurs auf den Gleichheitsgrundsatz ist zunächst irritierend. 133 Dem Bundesverfassungsgericht geht es nicht primär darum, dass eine Gesetzesnorm immer gleich ausgelegt werden muss, um Willkür zu vermeiden. Ganz im Gegenteil soll die unterschiedliche Auslegung einer Norm durch verschiedene Gerichte oder Behörden für sich genommen keine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG darstellen. 134 Für die Richtigkeit dieser Ansicht streitet nichts. Wenn Gerichte und Behörden for129

Ausgehend von der verfassungskonformen Auslegung als Vorzugsregel gesteht Wolfgang Roth, AöR 121 (1996), 544 (568 ff.), dem Bundesverfassungsgericht insoweit ein Prüfungsrecht bezüglich der fachgerichtlichen Gesetzesauslegung zu, allerdings sei dieses auf eine negative Auswahlkritik begrenzt. Anders, wenn davon ausgegangen wird, dass auch Gesetzesauslegungen als solche verfassungswidrig sein können, dann ist darin konsequent eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechtes zu sehen, die vom Bundesverfassungsgericht zu überprüfen ist, vgl. statt vieler: Klaus Stern, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 93, Rn. 690 ff. (Stand: 1982). 130 In BVerfGE 3, 213 (219), beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht bezüglich der Auslegung einfacher Gesetze auf die Feststellung, es sei „kein Revisionsgericht“; erst im Lüth-Urteil (BVerfGE 7, 198 ff.) spricht es davon, keine „Revisions- oder gar ‚Superrevisions’-Instanz“ (S. 207) sein zu wollen. 131 Vgl. nur BVerfGE 71, 202 (204); 66, 199 (206); 62, 338 (343). Kritisch Joachim Wieland, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 100, Rn. 19, wonach die „offensichtliche Unhaltbarkeit“ als Steuerungsinstrument zu Verletzungen der Grenze zur genuinen Kompetenz der Fachgerichte führt. 132 So BVerfGE 87, 273 (279); 62, 338 (343); vgl. dazu BVerfGE 86, 59 (62 f.); 80, 48 (51 ff.); 69, 248 (254 f.). Ferner Wolfgang Roth, AöR 121 (1996), 544 (574 ff.), zu einer möglichen Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG i.V. m. dem Rechtsstaatsprinzip, zu prüfen sei jedoch nur die Vertretbarkeit, nicht die Richtigkeit der Auslegung. Philip Kunig, VVDStRL 61 (2002), 34 (62), fordert, aus psychologischen und semantischen Gründen den Begriff der Willkürformel zu ersetzen. 133 Ein vergleichsunabhängiges Willkürverbot, abgeleitet aus dem Gleichheitssatz, ist nur in den Rechtssystemen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz bekannt, vgl. Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, 2002, S. 114,.

B. Die Rechtserkenntnis

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mal die gleiche Norm als Ermächtigungsnorm ausweisen, sich aber zugleich auf unterschiedliche Regelungsinhalte stützen, ist die Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Etwas anderes gilt – dies bedarf wohl der Betonung – für die „Gleichheit“ der auf die gleichen Ermächtigungsnormen gestützten Einzelfallentscheidungen. 135 Doch nicht Gleichheit im herkömmlichen Sinne, sondern die „Richtigkeit“ 136 der gerichtlichen Rechtserkenntnis steht im Zentrum der Aufmerksamkeit des Bundesverfassungsgerichtes. Genau genommen, sind Maßstab der Prüfung daher nicht Gleichheitsgebot oder sonstige Verfassungsnormen, sondern die methodologischen Anforderungen an eine Gesetzesauslegung. 137 Eine Anknüpfung an Art. 3 Abs. 1 GG auch jenseits von Gleichheitsfragen hat aber den Vorteil, dass mit einer Verletzung dieses Individualrechts auch die Befugnis zur Verfassungsbeschwerde gegeben ist. 138 Zudem versucht das Bundesverfassungsgericht mit dieser Anknüpfung, dem Vorwurf der Kompetenzanmaßung zu begegnen. Der Versuch, auf diese Weise Methodenfragen zu Verfassungsfragen zu erklären, muss aber scheitern. 139 Art. 3 Abs. 1 GG trifft keine Aussagen über die richtigen Methoden der Gesetzesauslegung. 140 Methodologische Postulate orientieren sich am geltenden Recht, sie sind aber in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen 141 – selbst nicht Bestandteil des Rechtssystems. Das Bundesverfassungsgericht ist keine Instanz zur Klärung von methodologischen Problemen, wenn diese nicht zugleich Fragen der Rechtsetzung betreffen. 142 Allerdings ist 134 Vgl. BVerfGE 90, 22 (27); 87, 273 (278); 78, 123 (126); 15, 303 (306); 1, 82 (85); dazu Werner Heun, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 3, Rn. 62; Christoph Kannengießer, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 3, Rn. 50; Wolfgang Rüfner, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 3, Abs. 1, Rn. 185. Allerdings soll eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund oder verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht nur dem Gesetzgeber, sondern auch den Gerichten bei der Auslegung untersagt sein, vgl. BVerfGE 107, 133 (141); 101, 239 (269); 99, 129 (139); 92, 53 (69); 84, 197 (199). 135 Dazu unten Teil 4 D III. 136 Zur mangelnden Aussagekraft dieses Kriteriums auch Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, 2002, S. 64: „Willkür ist, was das Bundesverfassungsgericht für besonders falsch hält.“ 137 Nach Ansicht von Jörg Berkemann, DVBl. 1996, 1028 (1038), wird mit der „Willkürprüfung“ letztlich die fachgerichtliche Professionalität kontrolliert, die ungeschriebenen Standards richterlicher Arbeit. 138 Kritisch Normann Weiß, Objektive Willkür, 2000, S. 73. 139 Damit soll nicht grds. der Annahme einer Bedingungsbeziehung von Verfassungsnormen und juristischen Methoden entgegen getreten werden, vgl. dazu oben, Teil 1 A V 2. Verfassungsnormen stellen einen wesentlichen Bestandteil der geltenden Rechtsordnung dar, die allen methodologischen Aussagen zugrunde liegt. 140 Auch Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, 2002, S. 88 ff., sieht keine Möglichkeit einer überzeugenden Begründung des Gleichheitssatzes als Willkürverbot. 141 Dazu ausführlich Fritz-René Grabau, Gesetzes- und Vertragsinterpretation, 1993, passim.

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

schon die Frage, ob eine Gesetzesnorm richtig ausgelegt wurde, mitnichten verfassungsrechtlich irrelevant. Die zutreffende Ermittlung des Gesetzesinhalts ist Voraussetzung dafür, dass die darauf folgende individuelle Rechtsetzung unter Beachtung der Gesetzesbindung erfolgt. Wenn versucht wird, methodologische Anforderungen verfassungsrechtlich zu verorten, um eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht zu gewährleisten, bietet sich daher weniger ein Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG als vielmehr das Gebot der Gesetzmäßigkeit aus Art. 20 Abs. 3 GG an. 143 Insbesondere, wenn aufgrund fehlerhafter Auslegung eine gesetzliche Grundlage für einen Grundrechtseingriff behauptet wird, die so nicht besteht, drängt sich eine verfassungsgerichtliche Prüfungskompetenz auf. 144 Auch wenn die Gesetzmäßigkeit der individuellen Rechtsnorm gerade auf der zutreffenden Auslegung ihrer gesetzlichen Ermächtigungsnormen beruht, ist die mögliche Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG keine Frage der richtigen Rechtserkenntnis, sondern der zulässigen Rechtsetzung. Das Bundesverfassungsgericht selbst unterscheidet oft nicht hinreichend zwischen Auslegung und Anwendung. 145 Seine Ausführungen zur Prüfung von Gerichtsentscheidungen am Maßstab spezifischen Verfassungsrechts oder anhand einer Willkürkontrolle lassen vielfach offen, ob fehlerhafte Würdigungen des Sachverhaltes, unerträgliche Ergebnisse oder tatsächlich eine methodisch unvertretbare Auslegung 146 der Ermächtigungsnormen gerügt werden. 147 142

Ekkehard Schumann, Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerde, 1963, S. 207, Fn. 5, befürchtete jedoch mit der verfassungskonformen Auslegung die Verlagerung verfassungswidriger Hoheitsakte von der Rechtsetzung in die Interpretation, so dass dringend eine Verfassungsbeschwerde gegen Interpretationsexzesse ermöglicht werden müsse, wolle man nicht mit der verfassungskonformen Auslegung ein Mittel zur Grundrechtsgefährdung erfunden haben. – Wirksamer scheint es, auf die Phänomene verfassungskonformer Auslegung schlicht zu verzichten, um diesen Gefahren zu entgehen. 143 Gegen einen Wechsel des Prüfungsmaßstabes: Martin Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, 2000, S. 184. Allerdings betont Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 241 ff., im Zusammenhang mit dem Willkürverbot den Vorrang spezieller Grundrechte. 144 Vgl. in diese Richtung BVerfGE 113, 88 (113), zur „rechtsschöpferischen Annahme eines Unterhaltsanspruchs“ durch das Fachgericht, welches dabei entgegen allen anerkannten Auslegungsmethoden gehandelt habe (S. 104 ff.). Gertrude Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 166, wertet die grundrechtswidrige Auslegung einer Gesetzesnorm als Grundrechtsverletzung, weil der Grundrechtseingriff nicht durch eine gesetzliche Norm gedeckt sei, in deren falscher Auslegung er gerade bestehe. Für eine auf das Gebot der Gesetzmäßigkeit bezogene Willkürkontrolle bei unhaltbarer Missachtung des einfachen Rechts: Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 279 ff., der die Willkürkontrolle insgesamt auf eine Auslegungskontrolle beschränkt. 145 Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 289, sehen dagegen eine zunehmend klare Gliederung verfassungsgerichtlicher Urteilsbegründungen; derweil sie selbst die Überprüfung von Auslegung und Anwendung zusammen darstellen (Rn. 290 ff.). 146 So explizit aber BVerfGE 113, 88 (103 ff.); 86, 59 (64); 62, 338 (344).

B. Die Rechtserkenntnis

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Eine exaktere Verortung des Fehlers könnte allerdings entbehrlich sein, wenn – wie bei der Urteilsverfassungsbeschwerde – die Frage nach der Richtigkeit der Gesetzesauslegung nur eine Vorfrage zu der Prüfung darstellt, ob die individuelle Rechtsnorm dem Gebot der Gesetzmäßigkeit aus Art. 20 Abs. 3 GG entspricht. Wieweit das Bundesverfassungsgericht diese Vorfrage beantworten darf, richtet sich nach dem Verständnis vom Gesetzesvorbehalt. Dies ist eine Problematik, die bei der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung der individuellen Rechtsetzung erörtert werden soll. 148 Allerdings wird die Vorfrage der Gesetzesauslegung nicht nur bei Urteilsverfassungsbeschwerden relevant. 2. Auslegung als Vorfrage: Konkurrenzen Auch bei der konkreten und abstrakten Normenkontrolle sowie bei der Rechtssatzverfassungsbeschwerde 149 kann sich eine gewisse Konkurrenz fachgerichtlicher und verfassungsgerichtlicher Gesetzesauslegungen ergeben. Um die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes beurteilen zu können, ist als Vorfrage der Inhalt des Gesetzes zutreffend zu ermitteln. Bei der abstrakten Normenkontrolle und der Rechtssatzverfassungsbeschwerde muss das Bundesverfassungsgericht diese Vorfrage selbst beantworten. 150 Fraglich ist, ob die Fachgerichte an die verfassungsgerichtliche Gesetzesauslegung gebunden sind. Die allgemein verbindliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf die Frage, ob das Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist, und nicht auf die Vorfrage, welchen Inhalt das Gesetz hat. Den Fachgerichten und Verwaltungsbehörden mag zwar aus pragmatischen Gründen geraten sein, sich der verfassungsgerichtlichen Gesetzesinterpretation anzuschließen, eine rechtliche Verpflichtung dazu ist nicht ersichtlich. 151 147

Das Bundesverfassungsgericht legt sich ungern fest, was verständlich ist, wenn einerseits eine fehlerhafte Auslegung allein die Entscheidung noch nicht willkürlich macht, vgl. BVerfGE 87, 273 (279), und es andererseits für das Bundesverfassungsgericht ohne Unterschied ist, ob die Auslegung oder die sog. Anwendung Grundrechte verletzt, vgl. nur BVerfGE 89, 1 (13); 83, 82 (84 ff.); 80, 48 (51 ff.); 69, 248 (253 ff.); 58, 163 (167 f.); zu den Fragen, die eine sog. teleologische Reduktion aufwirft, siehe oben, Teil 3 C II 3. 148 Siehe unten Teil 4 D V. 149 In der inzidenten Normenkontrolle bei der Rechtssatz-Verfassungsbeschwerde muss das Bundesverfassungsgericht nach Ansicht von Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 93, Rn. 60, sämtliche möglichen Auslegungen selbst feststellen und am Maßstab des Grundgesetzes prüfen. 150 Wobei in Übereinstimmung mit dem bisher Ausgeführten Erkenntnisziel auch der verfassungsgerichtlichen Gesetzesauslegung die Ermittlung des tatsächlichen gesetzgeberischen Willens sein muss, nicht etwa eines möglichen Willens, der verfassungsgemäß gewesen wäre. Die Forderung nach einer gegenstandsadäquaten Methode gilt unabhängig von der auslegenden Instanz. Zur Gesetzesauslegung als Vorfrage der abstrakten Normenkontrolle vgl. auch BVerfGE 101, 239 (257).

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

Bei der konkreten Normenkontrolle ist das Bundesverfassungsgericht mit einem Beantwortungsangebot für die Vorfrage konfrontiert. Es kann die fachgerichtliche Interpretation übernehmen oder ablehnen 152 – auch hier sind mögliche Bindungswirkungen nicht positivrechtlich statuiert – und durch eine eigene Auslegung ersetzen, letzteres allerdings nicht unter Bezug auf die Verfassung. Die Bindungswirkung der verfassungsgerichtlichen Gesetzesauslegung für das vorlegende Fachgericht wird nicht zuletzt von der Formulierung der Vorlagefrage abhängig sein. Im Übrigen gilt das zur abstrakten Normenkontrolle Ausgeführte. Nicht unschädlich wäre es daher, wenn eine Regelung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz Klarheit darüber schaffen würde, ob das Bundesverfassungsgericht nicht nur zur „authentischen“ 153 – besser: autoritativen 154 – Verfassungs-, sondern auch Gesetzesinterpretation befugt sein soll. Dass diese Vorfrage der Normenkontrolle aber nicht zwingend von der prüfenden Instanz verbindlich zu beantworten ist, zeigt die irreversible Auslegung von Landesrecht. 155

151 Anders, wenn davon ausgegangen wird, dass die Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen sich auch auf die tragenden Gründe erstreckt oder dass der bindende Tenor nur in der Auslegung mit Hilfe der tragenden Gründe gelten soll, vgl. Klaus Lange, JuS 1978, 1 (7); Klaus Vogel, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 568 (573 f., 584 ff., 599 ff.). Für die verfassungskonforme Auslegung war es entscheidend, dass Gesetze nur in der „richtigen“ Deutung für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt werden, vgl. oben Teil 1 B II–IV, Teil 3 C II 2. 152 Gerade aus der Annahme einer möglichen Mehrdeutigkeit von Gesetzesnormen folgert Apostolos Gerontas, DVBl. 1981, 1089 (1094), die Bindungswirkung der fachgerichtlichen Auslegung; eine positiv-rechtliche Grundlage dafür nennt er allerdings nicht. Die entgegen gesetzte Prämisse des Bundesverfassungsgerichtes, dass es alle rechtlichen Vorfragen inzident selbst entscheiden dürfe, führt nach Willi Geiger, EuGRZ 1984, 409 (415 ff.), dazu, dass die konkrete Normenkontrolle zu einem unspezifischen Instrument allgemeiner Kontrolle der Rechtsprechung aller vorlagepflichtigen Gerichte wird, eine „verfassungsrechtliche Vorfrage“ zur Begründung dieses unzulässigen Kompetenzübergriffs finde sich immer. 153 Strikt ablehnend Stefan Korioth, Der Staat 30 (1991), 549 (562 ff.); Klaus Schlaich, VVDStRL 39 (1981), 99 (127 ff.). 154 Die Vorstellung einer „authentischen Interpretation“ der Verfassung durch das Bundesverfassungsgericht wird von Matthias Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 363 ff., nachhaltig destruiert; zutreffend sei höchstens die Bezeichnung als „autoritative Verfassungsinterpretation“ (S. 374 ff.). 155 Vgl. nur die Regelung in §§ 137 Abs. 1, 173 VwGO i.V. m. § 560 ZPO. Allerdings weiß sich das prüfende Gericht durchaus auch durch Verschiebung der Fragestellung zu behelfen, vgl. nur RGZ 134, 1 (10 ff.), wo der bindenden Auslegung des Berufungsgerichtes durch eine vom Reichsrecht vorgeblich geforderte Teilnichtigerklärung begegnet wird, sowie BVerwG, JZ 1973, 26 f., wo der Zugriff auf irreversibles Landesrecht über einen gerügten Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG als seinerseits reversibles Recht ermöglicht wird.

C. Die Feststellung der Anwendbarkeit

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C. Die Feststellung der Anwendbarkeit Wesentliches Ergebnis des vorherigen Abschnitts ist die Feststellung, dass die Verfassung grundsätzlich keinen Einfluss auf die Rechtserkenntnis im Bereich des Gesetzesrechts hat. Wenn dem folgend die Erkenntnis des Gesetzesinhalts und die Frage seiner Verfassungsmäßigkeit eindeutig geschieden werden, treten auch die Verantwortlichkeiten wieder klarer zutage. Schon deshalb sollten Bundesverfassungsgericht, Fachgerichte oder Behörden nicht genötigt sein, fehlerhafte Rechtsetzungsakte der Legislative nachzubessern. Der Gesetzgeber trägt das Risiko der Verfassungswidrigkeit seiner Gesetze und damit die politische Verantwortung. 156 Für die Verfassungsmäßigkeit seiner Gesetze zu sorgen, ist seine Aufgabe und ihm trotz aller attestierten Unfähigkeit auch zuzumuten. 157 Fachgerichte und Behörden übernehmen die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der von ihnen gesetzten Einzelfallnormen.

I. Die Nichtanwendung aus Verfassungsgründen Dazu müssen sie in einem Zwischenschritt zunächst noch feststellen, ob der von ihnen ermittelte Gesetzesinhalt auch anwendbar ist. Die Verfassung gewinnt hier Bedeutung als Kontrollnorm. Fachgerichte wie Behörden prüfen, ob der ermittelte Gesetzesinhalt mit dem Grundgesetz vereinbar ist, und ziehen die entsprechenden Schlussfolgerungen. Evident und schwerwiegend verfassungswidrige Gesetze sind außer Anwendung zu lassen. 158 Die Fachgerichte müssen nachkonstitutionelle Gesetze, die sie für verfassungswidrig halten, dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen. Dabei kann es notwendig sein, auch den zu beurteilenden Sachverhalt in die Überlegung einzubeziehen. Dies trifft für alle Konstellationen zu, in denen sich die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes aus der Weite seines Anwendungsbereiches ergibt und deshalb von Verfassungs wegen ein Anwendungsausschluss für bestimmte Einzelfälle oder Fallgruppen erforderlich scheint. 159 Im Übrigen sind auch für verfassungswidrig gehaltene Gesetze auf Grund der Gesetzesbindung von Fachgerichten und Behörden zunächst anzuwenden. Nach der Rechtserkenntnis des Gesetzesinhalts und der Verwendung der Verfassung als Kontrollnorm hat das Fachgericht oder die Behörde damit das anzuwendende 156 In der Entlastung von diesem Risiko sieht Helmut Michel, JuS 1961, 274 (277), auch gerade die Gefahr einer extensiven verfassungskonformen Auslegung. 157 Zustimmungswürdig BVerfGE 105, 73 (132): „Die Verfassungsbindung des Gesetzgebers und die Forderung nach Verfassungsmäßigkeit des einfachen Rechts stehen nicht unter einem generellen Vorbehalt des Möglichen.“ 158 Zur Befugnis von Gerichten und Behörden, über die Anwendbarkeit zu entscheiden, vgl. ausführlich Teil 1 B I 3; zur Nichtanwendung bei Evidenz der Verfassungswidrigkeit vgl. Teil 3 C I 2c. 159 Ausführlich zum Anwendungsausschluss siehe Teil 3 C I 2c, II 3.

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

Recht als Grundlage und Rahmen seiner bzw. ihrer individuellen Rechtsetzung ermittelt.

II. Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der Anwendungsentscheidung Die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes kann Grundrechte verletzen. Daher prüft das Bundesverfassungsgericht in der Verfassungsbeschwerde inzident auch die Verfassungsmäßigkeit des angewendeten Gesetzes. Dabei kann es zu dem Ergebnis kommen, dass das fragliche Gesetz auf Grund seiner Verfassungswidrigkeit nicht anzuwenden, sondern ihm zur Entscheidung vorzulegen war. Für den umgekehrten Fall, dass Fachgerichte oder Behörden ein Gesetz nicht anwenden, weil sie es (fehlerhaft) für verfassungswidrig halten, ist in § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG eine Überprüfung der Nichtanwendung im Verfahren einer abstrakten Normenkontrolle vorgesehen. Im Übrigen kann grundsätzlich jede Normenkontrolle die Frage beantworten, ob und ggf. in welchem Umfang ein Gesetz angewendet oder nicht angewendet werden sollte.

D. Die individuelle Rechtsetzung Die sog. Anwendung eines Gesetzes auf den Einzelfall durch Fachgerichte oder Behörden erfolgt im Wege der individuellen Rechtsetzung. Hans Paul Prümm spricht für viele, wenn er feststellt, es bedürfe keiner eingehenden Darstellung, dass Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG, deren besondere Wichtigkeit durch Art. 79 Abs. 3 GG betont wird, die Fachgerichtsbarkeit zur verfassungskonformen Rechtsprechung zwingen. 160 Dieser Aussage ist grundsätzlich nicht zu widersprechen. Der entscheidende Fehler liegt aber darin, das Bemühen um Verfassungskonformität auf der Stufe der Rechtserkenntnis ansiedeln zu wollen. Ursache ist eine einaktige Rechtsgewinnungstheorie, welche im Wege der Rechtserkenntnis zu der – verfassungsgemäßen – Entscheidung 161 des Einzelfalles gelangen will. Dem wird hier eine zweiaktige Rechtsgewinnungstheorie gegenübergestellt, bei der die 160

Vgl. Hans Paul Prümm, Verfassung und Methodik, 1976, S. 217. Wobei es sich, streng genommen, nicht mehr um eine Entscheidung handeln würde. Denn wie Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 308, Fn. 21, zutreffend feststellt: „Entscheidungen gibt es nur, wenn etwas prinzipiell Unentscheidbares (nicht: Unentschiedenes!) vorliegt. Denn anderenfalls wäre die Entscheidung schon entschieden und müsste nur ‚erkannt’ werden. Daß die Gerichte diese Darstellungsform als ‚Erkenntnis’ wählen, muß deshalb als Ausweichen vor dem Problem, vielleicht auch als Invisibilisierung und Auflösung der Paradoxie beurteilt werden. Es sollte jedenfalls nicht zu dem Irrtum führen, daß Rechtsstreitigkeiten keiner Entscheidung bedürften. [...] Es gibt keine Entscheidung, die ausschließen könnte, daß als Folge der Entscheidung weitere Entscheidungen notwendig oder möglich werden.“ 161

D. Die individuelle Rechtsetzung

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Verfassung ihre Bedeutung erst im zweiten Schritt der individuellen Rechtsetzung entfalten kann.

I. Individuelle Rechtsetzung als „black box“ Als Teil einer integralen Auslegung gleich miterledigt, 162 als Subsumtion kurzerhand zum problemlosen logischen Vorgang erklärt, 163 als Ausdruck mühsam erworbenen Judizes der persönlichen Tüchtigkeit überantwortet, 164 bleibt der Vorgang der behördlichen und gerichtlichen Rechtsetzung im Dunkel, in der „black box“. Peter Schiffauer ist unsicher, ob er nicht auch dort verbleiben kann: „Nicht beantworten kann ich die Frage, ob richterliche Willkür besser vermieden werden kann, wenn die allgemein bewußten Spielräume richterlicher Entscheidung durch das mystische Dunkel eines objektiven Wahrheitsanspruchs verdeckt werden, oder wenn der Richter soweit notwendig im Bewußtsein seiner Verantwortung gegenüber der Gesellschaft im Hinblick auf die potentielle Zustimmung und Einigung eben entscheidet. Die Antwort kann allenfalls eine noch offene Geschichte geben.“ 165 Uwe Wesel äußert sich hingegen entschieden für mehr Licht in der Dunkelkammer: „Wenn juristische Entscheidungen nämlich gesellschaftliche, ökonomische oder politische Auswirkungen haben, und wenn man juristisch-technisch so oder so entscheiden kann, dann muß auch offengelegt werden, aus welchen gesellschaftlichen, ökonomischen oder politischen Gründen man die eine oder andere für richtig hält. Hierüber kann und muß die Öffentlichkeit informiert, darüber muß diskutiert werden und hier muß man kritisieren können.“ 166 Der Nebeneffekt einer besseren Kontrolle durch die Öffentlichkeit verweist auch auf die demokratietheoretischen Implikationen dieser Entscheidung. So sind sog. Black-Boxen 162 Gegen dieses herrschende Verständnis weist Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (69 ff.), nachdrücklich auf die dynamisch-dichotomische Struktur der Rechtsgewinnung hin. 163 Sehr kritisch Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, insbesondere S. 179 ff.; ablehnend zur Vorstellung von der Rechtsgewinnung als Erkenntnisakt durch klassische Logik auch Katharina Sobota, Sachlichkeit, Rhetorische Kunst der Juristen, 1990, S. 133 ff., 152, die eine solche Herangehensweise als vormodernes Denken einordnet. 164 Zur Untauglichkeit des Judizes in einer pluralistischen Gesellschaft vgl. HansMartin Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, 1986, Rn. 5 ff.; HansJoachim Strauch, Rechtstheorie 32 (2001), 197 (208), bezeichnet das Judiz als theoretische Leerstelle, mit der die Frage versehen werde, ob sich das Gericht noch im Rahmen des Zulässigen halte. Anders Joachim Lege, Pragmatismus und Jurisprudenz, 1999, S. 541 ff., für ein reflektiertes und eigenständiges Rechtsgefühl als Teil der juristischen „Erkenntnis als Praxis“. 165 Peter Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 253. 166 Uwe Wesel, Aufklärungen über Recht, 1981, S. 96.

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

zwar ein zulässiges Mittel der Wissenschaft, will sie nicht zur Doktrin werden. 167 Doch die Dunkelkammer der Rechtsgewinnung betrifft nicht nur Rechtsdogmatik und Methodenlehren, sondern auch die Rechtspraxis. 168 Diese muss sich wie jede Herrschaftsausübung legitimieren können. Besteht ein struktureller Freiraum gerichtlicher und behördlicher Rechtsetzung, wird fraglich, ob der Verweis auf „die Entscheidung des Gesetzgebers“ und „anerkannte Methoden“ noch ausreichend sein kann.

II. Struktureller Freiraum und Verfassungsnormen In Rechtsdogmatik, Methodenlehre und Rechtspraxis herrscht Einigkeit, dass Fachgerichte und Behörden keine Subsumtionsautomaten sind. 169 Daraus wird allerdings nicht die Schlussfolgerung gezogen, die sog. rechtsanwendenden Instanzen seien stets rechtsetzend tätig. 170 Beurteilungs-, Ermessens- und Gestaltungsspielräume 171 sollen vielmehr seltene Ausnahmen von dem Grundsatz beschreiben, dass insbesondere die Fachgerichte allein nach rechtlichen Maßstäben entscheiden. 172

167

Zutreffend Katharina Gräfin von Schlieffen, Rechtstheorie 32 (2001), 175 (179). Auf eine klare Unterscheidung beider gerade in diesem Bereich legt insbesondere Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1059 (1065 ff.), S. 1167 (1174 ff.), großen Wert. 169 Vgl. nur Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 24: „Das Subsumtionsideal ist dahin.“ Doch ist auch das Unbehagen greifbar, das aus dieser Erkenntnis erwächst. Klaus Adomeit, JZ 1980, 343 (344 ff.), versucht, dem mit einer Zertitätstheorie zu begegnen, welche den Akzeptanzwert unter Juristen messbar angibt; Wolfgang Birke, Richterliche Rechtsanwendung, 1968, S. 40, 59, will die richterliche Eigenwertung durch eine objektivere Durchschnittswertung ersetzen; Jürgen Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, 1971, S. 45 ff., beschwört richterliche Urteile als rationale Erkenntnisse. Diese Beispiele stehen für viele. 170 Auch Anusheh Rafi, Kriterien für ein gutes Urteil, 2004, S. 11 f., bemängelt, dass aus den Erkenntnissen moderner Hermeneutik kaum die Konsequenz gezogen werde, eine Rechtstheorie zu entwickeln, die den Richterinnen und Richtern eine Entscheidungsfreiheit einräumt, dies sei ebenso verständlich wie gefährlich. 171 Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. A. 2005, S. 136 ff., widmet unbestimmten Rechtsbegriffen, normativen Begriffen, Ermessen und Generalklauseln ein eigenes Kapitel, wobei er aber auch den Gerichten eingeräumtes Ermessen zugesteht (S. 157 f.) und im Spielraum des Ermessens Richtigkeit als Vertretbarkeit definiert (S. 172 ff.). 172 Vgl. statt vieler Hans Holtkotten, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 97, Rn. 106 (Stand: 1968): „Der Richter ist bei seinen Entscheidungen an den Inhalt der Gesetze gebunden, soweit nicht in den Gesetzen selbst dem richterlichen Ermessen freier Spielraum gelassen ist.“ 168

D. Die individuelle Rechtsetzung

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1. Der strukturelle Freiraum jeder sog. Rechtsanwendung Behördliche wie gerichtliche Rechtsetzung erfordern aber wie die gesetzgeberische Rechtserzeugung eine Willensbetätigung der rechtsetzenden Instanz. 173 Der Willensakt der Rechtsetzer / innen ist die Bedingung der Geltung jeder Rechtsnorm. Fachgericht oder Behörde erkennen nicht, was im Einzelfall Recht ist, sie entscheiden es (auf Grundlage ihrer Rechtserkenntnis). 174 Die zu setzende Rechtsnorm kann dabei durch ihre rechtlichen Erzeugungsbedingungen mehr oder weniger genau (vorher-)bestimmt sein. 175 Folglich entscheidet der Gesetzgeber, seiner Position im Stufenbau und seiner Bedeutung in einer demokratischen Rechtsordnung entsprechend, mit der inhaltlichen Dichte seiner Regelung über das Ausmaß der Freiräume bei der Rechtsanwendung. 176 So kann er neben den strukturell unvermeidbaren Freiräumen auch explizit gewillkürte Freiräume einräumen, bsw. im sog. freien richterlichen Ermessen oder in einer künftigen Ermächtigungsgrundlage für die sog. richterliche Rechtsfortbildung. 177 Da die Rechtsanwendung aber immer Erkenntnis- und Willensfunktion umfasst, 178 ist die zu setzende Rechts173 Auch Stanley L. Paulson, in: Werner Hoppe u. a. (Hg.), Rechtsprechungslehre, 1992, S. 409 (418 ff.), besteht ungeachtet eines Kantischen Erkenntnisbegriffes (mit konstitutivem Charakter) auf dem voluntaristischen Element jeder Rechtserzeugung. Dagegen beharrt bsw. Marijan Pavcnik, Juristisches Verstehen und Entscheiden, 1993, S. 7 ff., darauf, dass der vorgegebene Rahmen rational ausfüllbar sein muss. 174 Vgl. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1363 (1366 f.). Lesenswert auch die Kritik von Robert Weimar, in: Michael W. Fischer u. a. (Hg.), Hermeneutik und Strukturtheorie des Rechts, 1984, S. 155 (155 ff.), an gesetzespositivistischem Vollzugsparadigma, konditionaler Programmierung und voraussetzungsfreiem Subsumtionsmodell. 175 Dazu ausführlich Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 346 ff.; Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 142, sieht in jeder Rechtserzeugung das objektive Recht als heteronome und das freie Ermessen als autonome Determinante; dieses Ermessen beruhe weder auf positiv-rechtlicher Setzung (S. 142) noch auf Schwächen der Gesetzessprache (S. 144), sondern sei eine durch die stufenförmige (und arbeitsteilige) Rechtskonkretisierung begründete Notwendigkeit (S. 142 ff.). 176 Vgl. Claus Dieter Classen, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 97 Abs. 1 GG, Rn. 9; Anne Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 58. Im Interesse der Gewaltenteilung und der Demokratie fordert Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (148), eine Reduzierung gesetzlicher Generalklauseln, der Gesetzgeber müsse in die Pflicht genommen werden (S. 139); für Hans Thoma, Bürgerliches Recht, Allgemeiner Teil, 2. A. 1975, S. 33 f., vermindert die gesetzgeberische Flucht in die Generalklauseln die Qualität der Rechtsprechung. Auf der anderen Seite warnt Klaus Rennert, NJW 1991, 12 (18 f.), davor, die Allgemeinheit der Gesetze immer diffizileren Regelungen zu opfern, um den verfassungsgerichtlichen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit gerecht zu werden; auch Walter Leisner, Verhältnismäßigkeit als Gerechtigkeit?, 1997, passim, befürchtet eine Auflösung der Rechtsordnung in Abwägung und Verhältnismäßigkeit; mit Blick auf die damit gewonnene Flexibilität hält Horst Sendler, DVBl. 1995, 978 (983), Generalklauseln für ein legitimes Mittel der Gesetzgebung.

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

norm niemals vollständig determiniert. 179 Die notwendige Willensbetätigung führt zu einem strukturellen Freiraum bei jeder Rechtsetzung, unabhängig davon, auf welcher Stufe der Rechtsordnung sie stattfindet. 180 Daraus, dass Gesetze nur einen einzigen (generell-abstrakten) Inhalt haben, ist nicht zu folgern, dass es jeweils nur eine richtige Einzelfallentscheidung 181 gäbe. Innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens können durchaus mehrere zulässige Möglichkeiten individueller Rechtsetzung bestehen. 182 Die entscheidende Frage ist, nach welchen Kriterien dieser strukturelle Freiraum bei der individuellen Rechtsetzung zu füllen ist. 183

177 Zur Unterscheidung zwischen notwendigen und gewillkürten Rechtsetzungsfreiräumen: Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (77 ff.); vgl. auch Cornelia Paehlke-Gärtner, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 1, 2002, Art. 3, Rn. 202. Wenn Martin Bulliger, JZ 1984, 1001 (1009), für den Bereich der Verwaltung nur ein vom Gesetzgeber übertragenes Ermessen (im weiten Sinne) akzeptiert, nicht aber die aus der Offenheit und Unbestimmtheit rechtlicher Regelungen folgenden Freiräume, die jeder Rechtsanwendung immanent seien, verkennt er, dass schon der Auftrag zur Rechtsanwendung die geforderte Übertragung enthält. 178 Heinz Mayer, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 61 (64). 179 Vgl. nur Fritjof Haft, in: Arthur Kaufmann / Winfried Hassemer (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 6. A. 1994, S. 269 (288); Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (56, Fn. 142); Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1363 (1364 f.); Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1167 (1173), S. 1573 (1578), S. 1615 (1622 f.). 180 Allerdings ist der Vorstellung von Valentin Petev, Das Recht der offenen Gesellschaft, 2001, S. 42, wonach außerrechtliche Wertungen bei der Interpretation und Entscheidung genauso eine Rolle spielen sollen wie vorher bei der Entstehung der jeweiligen [gesetzlichen] Rechtsnorm, weder in Bezug auf die Interpretation noch in dieser Pauschalität insgesamt zuzustimmen. Fehlerhaft ist aber ebenso die Behauptung, der Rechtspositivismus in seiner letzten Konsequenz hindere die Rechtsschöpfung durch den Richter, vgl. Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 18. A. 2004, S. 1072, zum ‚Rechtspositivismus’. 181 Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 97, Rn. 13, spricht von einem „Mythos“; Ulfrid Neumann, Rechtstheorie 32 (2001), 239 (247), möchte die Theorie der einzig richtigen Entscheidung gern wenigstens als regulative Idee aufrecht erhalten, relativiert diese Forderung allerdings mit Blick auf das positive Recht. Strikt ablehnend Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 150 f. Die von Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 2. A. 1992, S. 268, berichtete Vorstellung, mittels rationaler Rekonstruktion der Rechtsordnung lasse sich genau eine richtige Entscheidung gewinnen, wird von Elisabeth Holzleithner, Juridikum 4/96, 21 (25), zu Recht mit dem Hinweis auf ein fehlendes Rationalitätsmonopol abgelehnt. 182 Vgl. Gabriele Kucsko-Stadlmayer, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 107 (119); Cornelia Paehlke-Gärtner, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 1, 2002, Art. 3, Rn. 199. 183 Walter Grasnick, GA 2000, 153 (156), stellt fest, dass Gesetze den Einzelfallentscheid nicht vollständig determinieren können – wobei er in der Radikalität seiner Erkenntnis

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Das bekannteste Modell zur Bewältigung (oder eher: Eliminierung) des Freiraums ist der sog. Justizsyllogismus. Hans Kelsen hat dagegen überzeugend nachgewiesen, dass die Geltung einer individuellen Norm nicht im Wege einer logischen Schlussfolgerung erlangt werden kann. 184 Allerdings gibt es durchaus Versuche, über den Umweg der Bildung von Rechtssätzen 185 logisch auf den Inhalt der individuellen Rechtsnorm zu schließen und diese conclusio den rechtsanwendenden Instanzen als richtige Lösung zu präsentieren. 186 Auf Hans Kelsen können sich diese Konzepte aber nicht berufen, da dieser neben der notwendigen Bedingung eines Willensaktes noch ein zweites Hindernis für die logischdeduktive Ermittlung des Einzelfallentscheides nennt: Die individuelle Rechtsnorm sei in der generellen schlicht nicht enthalten. 187 Logische Regeln mögen in der Rechtswissenschaft und bei der Entscheidungsbegründung als HerstellungsDarstellung 188 von erheblicher Bedeutung sein, bei der Entscheidung selbst sind sie kaum hilfreich. 189 Mit Logik ist das Problem des strukturellen Freiraums nicht zu lösen. 2. Verfassungsnormen zur Bewältigung des Freiraums? Die Anforderung an jede rechtsanwendende Instanz, nicht nur ihrer Gesetzes-, sondern auch ihrer Verfassungsbindung zu entsprechen, wirft die Frage auf, ob sich dem strukturellen Freiraum nicht mit Hilfe von Verfassungsnormen begegnen lässt. 190 Die Verfassung kann zwar bei der Gesetzesauslegung keine Bedeutung deutlich über das Ziel hinausschießt – und entdeckt daraufhin die Frage nach den Kriterien der Richtigkeit als Forschungsdesiderat (S. 160). Dazu sogleich in Teil 4 D IV. 184 Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 179 ff. Siehe schon oben, Teil 2 D I 2, Teil 3 B II. 185 So bezeichnet Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 124 ff.; ders., Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 73 ff., Aussagen über Normen. Auf solche Aussagen sind logische Figuren seiner Ansicht nach auch anwendbar, nur nicht auf Rechtsnormen. 186 Ähnlich noch Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. A. 1960, S. 77., selbst. Vorsichtig spricht Robert Walter, in: ders. (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 9 (18 f.), von Parallelität, Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung seien zu unterscheiden, doch habe der Gebrauch des normativen Syllogismus die Rechtsanwendung zu begleiten. Michael Schmidt, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 87 (93 ff.), ist solche Zurückhaltung fremd; für ihn ist im Interesse der richtigen Entscheidung die Vornahme des normativen Syllogismus im Vorfeld der Rechtsanwendung geboten und dazu von der Rechtsordnung gefordert und stillschweigend angeordnet (S. 94 f.). 187 Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 189 ff. 188 Zum rhetorischen Charakter juristischer Logik vgl. ausführlich Katharina Sobota, Sachlichkeit, Rhetorische Kunst der Juristen, 1990, S. 65 ff., 81 ff. 189 Anders Herbert Fiedler, in: Günter Kohlmann (Hg.), Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, 1983, S. 55 (60 ff.), der die Rechtsfindung als Modellbildung begreift, in der die Schlussformen der Logik eine wesentliche Rolle spielen sollen; allerdings steht auch bei ihm der deduktive Zusammenhang in seiner Funktion als Darstellungsform im Vordergrund (S. 62).

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erlangen, deutlich anders stellt sich die Situation aber bei der Setzung der individuellen Rechtsnorm dar. Verfassungsnormen sind Teil des ermächtigenden Normenkomplexes und stellen insbesondere inhaltliche Grenzen für die individuelle Rechtsetzung auf. Fachgerichte wie Behörden müssen daher zunächst erkennen, ob und welche Verfassungsnormen von ihrer Entscheidung betroffen sein können. Bei der Ermittlung von deren Inhalt können sie gerade im Bereich der Grundrechte zumeist auf eine gefestigte verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zurückgreifen. 191 Die daraus resultierenden inhaltlichen Vorgaben müssen sie bei der Setzung der individuellen Rechtsnorm beachten. 192 3. Struktureller Freiraum durch Verfassungsnormen nicht eliminierbar Allerdings ist sogleich der Vorstellung entgegen zu treten, die Phänomene verfassungskonformer Auslegung könnten nun unter einem neuen Label verfassungskonformer Rechtsetzung gleichsam unbeschadet weiterverwendet werden. Dies gilt nicht zuletzt für die Funktion der Phänomene verfassungskonformer Auslegung, eindeutige Ergebnisse herzustellen. Verfassungsnormen, insbesondere Grundrechte, können als Orientierungshilfe bei der Entscheidung für die Setzung einer bestimmten individuellen Rechtsnorm dienen. 193 Der strukturelle Freiraum in der Rechtsanwendung wird aber nicht durch Verfassungsnormen pauschal ausfüllbar und damit eliminiert. Verfassungsnormen weisen gewöhnlich eine geringe inhaltliche Dichte auf. 194 Damit soll nicht die Möglichkeit bestritten werden, dass sich Fachgerichte oder Behörden in Einzelfällen auf Grund ihres Verfassungsver190 Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 20 (Verfassungsgrundsätze), Rn. 27 (Stand: 1980), sieht in der verfassungsgemäßen Bewältigung von unvermeidbaren Freiräumen gerade die Bedeutung der allen Rechtsanwender / innen zugestandenen verfassungskonformen Auslegung. 191 In der Abhängigkeit vom verfassungsgerichtlichen Grundrechtsverständnis liegt aber zugleich auch die größte Gefahr für den Freiraum richterlicher Rechtsetzung. Wenn das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz so lange „authentisch interpretiert“, bis sich damit Einzelfälle exakt entscheiden lassen, wird der Freiraum eliminiert. Die praktische Wirksamkeit einer Rechtsetzungslehre bleibt untrennbar mit dem Verfassungsvorverständnis des Bundesverfassungsgerichtes verbunden. 192 Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1167 (1185, 1189), beschreibt rechtliche Bindungen damit, dass die authentische nur im Rahmen der intellektuellen Interpretation stattfinden dürfe. 193 Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (143 f.), spricht von den Grenzen der gesetzlichen Programmierung für die Lösung des Einzelfalles, aus denen sich die Bedeutung der Verfassung für die Rechtsanwendung ergebe, hält allerdings fehlerhaft eine verfassungsorientierte Auslegung für geboten statt konsequent einen verfassungsorientierten Einzelfallentscheid zu fordern. 194 Zumindest im Bereich der Gesetzgebung wird daher gern von den Grundrechten als äußersten Grenzen der Rechtsetzung gesprochen, vgl. nur Uwe Kischel, AöR 124 (1999),

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ständnisses zu bestimmten Entscheidungen als aus ihrer Sicht einzig verfassungsund gesetzesmäßigen genötigt sehen. 195 Es soll nur darauf hingewiesen werden, wie unwahrscheinlich es ist, dass der strukturelle Freiraum, der bei der Anwendung einer generell-abstrakten Gesetzesnorm besteht, durch die gleichzeitige Anwendung einer inhaltlich noch viel unbestimmteren Verfassungsnorm 196 beseitigt wird. Die rechtsanwendenden Instanzen dürfen auf Grund ihrer Verfassungsbindung keine verfassungswidrigen individuellen Rechtsnormen erlassen. Nicht selten gibt es aber mehr als nur eine verfassungskonforme Entscheidungsmöglichkeit. 197 Das Bundesverfassungsgericht hat dies in einer Kammerentscheidung pointiert ausgeführt: „Dass das Gericht vor diesem Hintergrund eine Beeinträchtigung des Kindeswohls bejaht hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, auch wenn die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegenden Wertungen mit Blick auf das Elternrecht der Beschwerdeführerin in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise auch anders hätten ausfallen können. Dem richterlichen Ermessen muss ein gewisser Spielraum bleiben, der die Berücksichtigung der besonderen Lage des Einzelfalles ermöglicht. Eine Grundrechtswidrigkeit liegt daher noch nicht vor, wenn die Anwendung einfachen Rechts durch den hierzu zuständigen Richter zu einem Ergebnis geführt hat, über dessen „Richtigkeit“ sich streiten lässt, insbesondere weil sie den Interessen der einen oder anderen Seite zu viel oder zu wenig Gewicht beigelegt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 ).“ 198 Dass eine Gesetzesnorm nur einen Inhalt haben kann und dass Fachgerichte wie Behörden neben den Gesetzen auch an die Verfassung gebunden sind, führt daher nicht zur vollständigen inhaltlichen Determination behördlicher oder gerichtlicher Rechtsetzung. Der strukturelle Freiraum der Rechtsanwendung bleibt eine Herausforderung, der sich Rechtsdogmatik, Methodenlehre und Rechtspraxis stellen müssen. 199 174 (186). Zur Verfassung als Rahmenordnung auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, NJW 1976, 2089 (2091, 2099). 195 Heinz Mayer, in: Robert Walter (Hg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, 1992, S. 61 (65 ff.), besteht zu Recht darauf, dass auch eine auf der Reinen Rechtslehre beruhende Rechtsdogmatik in bestimmten Fällen zu eindeutigen Ergebnissen gelangen könne. 196 Vgl. auch Horst Sendler, DVBl. 1993, 1050 (1052), der daher einen vorschnellen Rückgriff auf die Verfassung ablehnt. 197 Vgl. nur Christian Walter, AöR 125 (2000), 517 (525). 198 BVerfG (K), NJW 2004, 1586 (1587). [Hervorhebungen nicht im Original.] 199 Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1059 (1065 ff.), S. 1167 (1174 ff.), insistiert, dass es sich um eine Frage der Rechtsanwendung handele, aus der sich die Rechtswissenschaft herauszuhalten habe. Deutlich konstruktiver schlägt Matthias Jestaedt, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 25 (75 ff.), vor, die aus der Verwaltungsrechtswissenschaft bekannte „normative Ermächtigungslehre“ auch für die Rechtsprechung fruchtbar zu machen; Anne Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 58, geht schlicht davon aus, dass die normative Ermächtigungslehre auch für die richterliche Rechtsetzung gilt. Rein-

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4. Struktureller Freiraum und demokratische Legitimation Die Offenlegung eines nicht durch höherrangiges Recht determinierten Entscheidungsfreiraums erweist sich insbesondere für die Rechtsprechung als problematisch. 200 In der Verwaltung sind Zweckmäßigkeitserwägungen nicht nur anerkannt, sondern es besteht auch die Möglichkeit der Kontrolle solch politischer Entscheidungen. Die dazu notwendige Fachaufsicht wird von der Verwaltungsspitze ausgeübt, die ihrerseits parlamentarischer Kontrolle unterliegt. Daraus könnte geschlossen werden, die Rechtsprechung dürfe gar keine politischen Entscheidungen treffen, da sich eine gleichwertige Herstellung demokratischer Legitimation mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit von selbst verbiete. Eine solche Auffassung verkennt aber die Einflussmöglichkeiten des Gesetzgebers und die Arbeitsteilung in der Rechtsgewinnung. 201 Mit seinen abstrakt-generellen Regelungen ermächtigt der Gesetzgeber die Gerichte zum Erlass individueller Rechtsnormen und auch zur „politischen“ Ausfüllung des dabei entstehenden Freiraums. 202 Soll der Freiraum verringert werden, muss der Gesetzgeber die Dichte inhaltlicher Vorgaben erhöhen, eine Steuerungsmöglichkeit, die insgesamt dem Konzept der demokratischen Legitimation von Rechtsprechung entspricht. Die demokratische Legitimation der individuellen Rechtsetzung wird hauptsächlich durch die Gesetzesbindung der sog. Rechtsanwender / innen verwirklicht.

III. Struktureller Freiraum und Rechtsanwendungsgleichheit Der strukturelle Freiraum bei der individuellen Rechtsetzung kann und muss nicht durch Verfassungsnormen eliminiert werden. Allerdings bedarf eine Verfassungsvorgabe dabei genauerer Betrachtung: das Gleichheitsgebot aus Art. 3 Abs. 1 hold Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, 2. A. 1996, S. 92 f., will richterliche Willkür im Spielraum ausschließen, indem die richterliche Entscheidung an „konsensfähigen Gerechtigkeitsvorstellungen“ orientiert wird; wobei er offen lässt, wer diese feststellen soll (und kann). 200 Letztlich liegt das Unbehagen – wie so oft – in der Historie, vgl. Dieter Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 104: „Der politische Richter ist der häßliche Usurpator des unlängst noch vom neutralen Richter besetzten Thrones. Der neutrale, d. h. der unpolitische Richter gehört zum ehernen Bestand der gleichen gesellschaftspolitischen Vision, der auch der Justizsyllogismus und der abstrakt-allgemeine Gesetzesbegriff entstammen. Der Konstitutionalismus hatte Recht und Politik in zwei separate Sphären aufgegliedert und antithetisch konfrontiert.“ 201 Vgl. dazu Paul Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 11 (22 ff.). 202 Treffend negiert Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 142 ff., einen Wesensunterschied zwischen behördlichem und gerichtlichem Ermessen: „Ist die Gerichtsbarkeit gleich der Verwaltung Konkretisierung der abstrakten Gesetzesrechtsnormen, dann gibt sie dem Ermessen ebenso Raum wie die Verwaltung.“

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GG. 203 Gibt es einen strukturellen Freiraum bei der individuellen Rechtsetzung, 204 können zwar alle Bürger / innen vor dem Gesetz gleich sein, die Anwendung des gleichen Gesetzes kann jedoch zu durchaus unterschiedlichen Einzelfallentscheidungen für sie führen. Nicht nur aus der Steuerungsperspektive des Gesetzgebers, sondern auch aus Sicht der Rechtsunterworfenen steht die Idee eines strukturellen Freiraumes bei der individuellen Rechtsetzung daher unter Vorbehalten. 205 Vielleicht kann das Problem des politischen Elementes in der Rechtsanwendung aber durch das Gleichheitsgebot zumindest entschärft werden. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zwischen der hierarchisch aufgebauten Verwaltung und der vom Prinzip der Unabhängigkeit geprägten Rechtsprechung zu unterscheiden. 1. Rechtliche Vorstrukturierungen von Entscheidungen im Bereich der Verwaltung Die Verwaltung kennt nicht nur politische (Zweckmäßigkeits)Entscheidungen und deren Kontrolle im Wege der Fachaufsicht. Im hierarchischen Behördenaufbau gibt es auch vielfältige – rechtliche – Vorstrukturierungen von Einzelfallentscheidungen. Im Bereich der individuellen Rechtsetzung spielen Weisungen, sog. generelle Ermessensausübung, ermessenslenkende und normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften sowie Richtlinien eine wesentliche Rolle bei der Vereinheitlichung von Entscheidungen. Am wesentlichsten dürfte aber die sog. Selbstbindung der Verwaltung an ihre ständige Praxis sein. 206 Wenn Verwaltungsbehörden mehrmals gleichgelagerte Fälle in gleicher Weise entschieden haben, soll dadurch 203 Im verfassungsdogmatischen Schrifttum wird das Problem der Rechtsanwendungsgleichheit im Bereich von Ermessen und Beurteilung verortet, also dort, wo Freiräume der sog. Rechtsanwendung akzeptiert werden, vgl. nur Werner Heun, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 3, Rn. 46, 55; Hans D. Jarass, in: ders. / Bodo Pieroth, Grundgesetz, 8. A. 2006, Art. 3, Rn. 37; Christoph Kannengießer, in: Bruno SchmidtBleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 3, Rn. 45, 48; Lerke Osterloh, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 3, Rn. 115; Wolfgang Rüfner, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 3, Abs. 1, Rn. 172; Ekkehart Stein, in: Erhard Denninger u. a. (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 3. A. 2001, Art. 3, Rn. 73. Dagegen hält Michael Kromer, JuS 1984, 601 (603), es für sehr problematisch, den Gleichheitssatz unbesehen auf die Rechtsprechung anzuwenden, da er zum einen nicht auf diese Staatsfunktion zugeschnitten sei und zum anderen nur das Problem der Subsumtion verdeckt werde. 204 Zutreffend geht Heike Pohl, Rechtsprechungsänderung und Rückanknüpfung, 2005, S. 151 ff., davon aus, dass die Relevanz des Gleichheitssatzes für die Funktion der Rechtsprechung darauf beruht, dass die Richterinnen und Richter rechtsetzend und rechtsschöpferisch tätig sind. 205 Vgl. BVerfGE 54, 277 (296), wonach „die Gleichheit der Rechtsanwendung die Seele der Gerechtigkeit“ ist. Der dort in Verweis genommene Text 3. Mose 19, 15, ist jedoch hauptsächlich als Verbot einer Klassenjustiz zu lesen und kann zum Problem des strukturellen Freiraums daher wenig beitragen. Ausführlich zur Rechtsanwendungsgleichheit: Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, 2002, S. 117 ff.

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eine Verwaltungspraxis entstehen, welche die Verwaltung selbst (rechtlich) bindet, da sie auf Grund des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG gleich gelagerte Fälle nicht ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandeln darf. 207 Damit würde sich der Freiraum bei individueller behördlicher Rechtsetzung auf die ersten Rechtsetzungsakte beschränken, später müssten alle Verwaltungsbehörden – sofern es sich nicht um einen atypischen Fall handelt – den Freiraum in gleicher Weise füllen. Ganz so strikt wird die Vorstellung von einer Verwaltungspraxis aber zumeist doch nicht gehandhabt, im Zweifel sichert die Behörde ihre Spielräume über die tatsächliche Beurteilung des Falles als atypisch. 2. Richterliche Unabhängigkeit und die Frage der Präjudizienbindung Auf Grund der richterlichen Unabhängigkeit, die in Art. 97 Abs. 1 GG mit Verfassungsrang garantiert ist, können gerichtliche Entscheidungen nicht durch Weisungen oder bindendes Innenrecht vorstrukturiert werden. 208 Daher gibt es auch besondere Vorkehrungen zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung auf Bundesebene wie gemeinsame Senate und die Divergenzvorlage. 209 Die in der deutschen Rechtsdogmatik lebhaft umstrittene Frage ist, ob sich darüber hinaus eine Präjudizienbindung begründen lässt. 210 Ausgangspunkt ist die 206

Dazu ausführlich Maximilian Wallerath, Die Selbstbindung der Verwaltung, 1968, passim; vgl. ferner BVerfGE 73, 280 (299 f.); Manfred Gubelt, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2001, Art. 3, Rn. 39 ff.; Cornelia Paehlke-Gärtner, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 1, 2002, Art. 3, Rn. 206 ff. Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 108 ff., lehnte die Bindung an einen Verwaltungsbrauch ab, da sie fehlerhaft auf der Vorstellung von Präjudizien beruhe, Ermessen bedeute eben, dass jede Behörde innerhalb des vorgegebenen Rahmens anders entscheiden könne. – Allerdings bezog Adolf Merkl keine dem Art. 3 Abs. 1 GG entsprechende Norm in seine Überlegungen ein. 207 Vgl. Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. A. 2006, § 24, Rn. 21; Fritz Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 514 ff., 535 ff. Martin Bulliger, JZ 1984, 1001 (1006), spricht vorsichtiger von einem gesetzeskonkretisierenden Verwaltungsprogramm als rechtlichem Maßstab für die Verwaltungspraxis. Zur Gleichheit im Unrecht vgl. Walter Pauly, JZ 1997, 647 ff. 208 Vgl. Claus Dieter Classen, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 97 Abs. 1 GG, Rn. 21 ff.; auch die zunehmend verbreiteten Tabellen können nur Orientierungshilfen sein (Rn. 24). Anders Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 392 ff. 209 Vgl. Art. 95 Abs. 3 GG sowie das Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. 6. 1968, BGBl. I 1968, S. 661. Zur Vereinheitlichung durch Vorlegung vgl. Lothar Kuhlen, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 89 (94 ff.); ferner Ellen Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 1986, S. 37 ff. 210 Zur Diskussion: Heike Pohl, Rechtsprechungsänderung und Rückanknüpfung, 2005, S. 38 ff.; Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 190 ff.; Michael Reinhardt, Kon-

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Feststellung, dass das deutsche Recht im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Rechtsraum keine ausdrückliche Präjudizienbindung kennt. 211 Dies entspricht auch dem hiesigen Verständnis der richterlichen Unabhängigkeit. 212 Andererseits ist der Vertrauensschutz der Bürgerinnen und Bürger zu beachten. 213 Diese Problematik wird insbesondere im Zusammenhang mit Rechtsprechungsänderungen und deren Rückbewirkung von Rechtsfolgen diskutiert. 214 Vermittelnde Ansichten versuchen, eine Präjudizienbindung zu etablieren, die nicht das Niveau des anglo-amerikanischen Rechts erreicht, aber über eine rein faktische Bindung nach kontinentaleuropäischem Verständnis hinausgeht. 215

sistente Jurisdiktion, 1997, S. 435 ff.; Anne Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 91 ff.; Michael Scheffelt, Die Rechtsprechungsänderung, 2001, S. 68 ff. Zur Selbstbindung der Rechtsprechung: Irmgard Amberg, Divergierende höchstrichterliche Rechtsprechung, 1998, S. 300 ff.; Christoph Eduard Ziegler, Selbstbindung der Dritten Gewalt, 1993, S. 79 ff. Für Präjudizienbindung und Selbstbindung aus dem Gleichheitssatz: HansMartin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 103, 519 f.; vgl. auch Ekkehart Stein, in: Erhard Denninger u. a. (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 3. A. 2001, Art. 3, Rn. 71 ff. Zum Streitstand im 19. Jahrhundert: Regina Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, 1986, S. 181 ff. 211 Vgl. nur Jan Ziekow, Die Verwaltung 1994, 461 (478 f.). Umfassend ablehnend zu jedem Versuch, eine rechtliche Bindung zu etablieren, dagegen für eine Kooperationspflicht der Gerichte: Lorenz Kähler, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, 2004, passim. Skeptisch zur Wirksamkeit des Einflusses höchstrichterlicher Rechtsprechung auf die Instanzgerichte ist Ralph Walter Maria Seifert, Argumentation und Präjudiz, 1996, S. 45 ff., der in der Praxis vielmehr eine gegenseitige Beeinflussung ausmacht (S. 175 ff.). 212 Allerdings wird die richterliche Unabhängigkeit insbesondere herangezogen, um eine Selbstbindung der Gerichte abzulehnen, vgl. nur Werner Heun, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 3, Rn. 63; Cornelia Paehlke-Gärtner, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 1, 2002, Art. 3, Rn. 234. Zur Unabhängigkeit der Richter / innen von anderen Gerichten: Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 97, Rn. 34 ff. (Stand: 1977); Lerke Osterloh, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 3, Rn. 128. 213 Dazu Katja Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, 1996, S. 121 ff.; Regine Rausch-Gast, Selbstbindung des Gesetzgebers, 1983, S. 18 ff. Teilweise wird aber nur eine erhöhte Begründungspflicht bei Rechtsprechungsänderungen angenommen, vgl. Martin Kriele, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, 2. A. 2004, S. 38; Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 200; Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 539; Ekkehart Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 8. 214 Vgl. dazu Irmgard Amberg, Divergierende höchstrichterliche Rechtsprechung, 1998, S. 326 ff., m.w. N.; Günter Dürig, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 3, Rn. 402 ff. (Stand: 1973); Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. A. 2005, S. 250 ff.; Christoph Eduard Ziegler, Selbstbindung der Dritten Gewalt, 1993, S. 239 ff. Aus österreichischer Sicht schießt die deutsche Diskussion über die Unzulässigkeit von Rechtsprechungsänderungen allerdings über das Ziel hinaus, vgl. Birgit Feldner, in: dies. / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 224 (242 ff.) m.w. N. 215 Richterrecht als subsidiäre Rechtsquelle: Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 501 ff.; ablehnend Karl Larenz, Methodenlehre

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Das deutsche Prozessrecht, welches die Bindungswirkungen von gerichtlichen Entscheidungen regelt, kennt aber nur wenige Ausnahmen vom Grundsatz der beschränkten Bindung inter partes. Ohne ausdrückliche Ermächtigung kann ein Gericht nicht ein anderes Gericht an seine Entscheidung binden. 216 Die Rechtspflege ist daher konstitutionell uneinheitlich. 217 Das entscheidende Gericht braucht keiner vorherrschenden Meinung zu folgen. Es kann eine eigenständige Auffassung auch gegen alle anderen – einschließlich der ihm übergeordneten – Gerichte vertreten, solange es sich an das geltende Recht hält. 218 3. Einfachrechtliche Bindungswirkungen und grundrechtlicher Gleichheitssatz Der Gleichheitssatz produziert keine Phänomene wie die sog. Selbstbindung der Verwaltung und er etabliert auch keine irgend geartete Präjudizienbindung für die Rechtsprechung. Wenn der verständliche Wunsch nach gleichmäßiger Rechtsanwendung einmal zurückgestellt wird, kann der Frage Raum gegeben werden, welchen rechtlichen Gehalt Art. 3 Abs. 1 GG in Bezug auf die Thematik der Rechtsanwendungsgleichheit haben kann. Das Schlagwort der Einheitlichkeit kann den Blick auf das zugrunde liegende Problem der rechtlichen Bindungswirkungen verstellen. Wenn sog. Einzelfallentscheidungen den Maßstab für andere sog. Einzelfallentscheidungen bilden sollen, müssen sie Bindungswirkungen über den Einzelfall hinaus entfalten. Die Forderung, untere Gerichte müssten aufgrund des Gleichheitssatzes an die Entscheidungen der obersten Gerichte gebunden der Rechtswissenschaft, 6. A. 1991, S. 432 f. Präsumtive Verbindlichkeit der Präjudizien: Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. A. 1976, S. 243 ff.; ablehnend Lorenz Kähler, Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung, 2004, S. 259 ff.; sowie Ralph Walter Maria Seifert, Argumentation und Präjudiz, 1996, S. 41 ff. Im Ergebnis völlig unklar: Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 461 ff., 517, 522. 216 So auch Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 97, Rn. 41: keine Präjudizienbindung über die gesetzlich geregelten Ausnahmen hinaus. 217 Vgl. BVerfGE 87, 273 (278); 78, 123 (126); dazu Norbert Bernsdorff, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 2, 2002, Art. 97, Rn. 20; Steffen Detterbeck, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 92, Rn. 115; Günter Dürig, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hg.), Grundgesetz, Art. 3, Rn. 410 f. (Stand: 1973); Bruno Schmidt-Bleibtreu / Axel Hopfauf, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 92, Rn. 22; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 97, Rn. 39. 218 BVerfGE 87, 273 (278). Strikt ablehnend Franz Bydlinski, Rechtstheorie 16 (1985), 1 (42 f.), der keinen Freiraum sieht, wo Präjudizien existieren, die als subsidiäre Rechtsquelle bindend seien. Vgl. auch Reinhold Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. A. 2006, S. 81 ff., wonach eine Abweichung von Vorentscheidungen jedenfalls der Rechtfertigung bedarf; ähnlich Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 3. A. 1996, S. 339; grundsätzlich bedarf aber jede individuelle Rechtsetzung der Rechtfertigung, dazu unten Teil 4 D IV.

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sein, impliziert daher, dass Art. 3 Abs. 1 GG eine allgemeine Bindungswirkung bestimmter individueller Rechtsnormen über die gesetzlich vorgesehene hinaus statuiert. Schon die vorsichtige Formulierung weist auf das Problem: Der Gleichheitssatz regelt in keiner Weise, wer unter welchen Voraussetzungen an wessen Entscheidungen konkret gebunden sein soll. Auch die vielfältigen Modelle aus der Literatur sind zuvörderst ein Beleg dafür, dass hier nahezu alles denkbar ist. Dagegen sind die einfach-rechtlichen Regeln weitgehend klar und bestimmt. Art. 3 Abs. 1 GG als Gebot der Vereinheitlichung, also der ungeklärten Ausweitung von Bindungswirkungen noch zu bestimmender individueller Rechtsnormen zu verstehen, löst differenzierte Regelungen zur Abgrenzung des ermächtigenden Normenkomplexes in pure Unsicherheit auf. Einige der sog. Einzelfallentscheidungen werden zu – mehr oder weniger – generellen Normen, ohne dass ersichtlich wäre, welche, warum und für wen genau. Schon ein Fortschritt in der Rechtssicherheit ist damit mehr als fraglich. Vor allem aber bleibt unklar, wie die notwendigen präziseren Gehalte in Art. 3 Abs. 1 GG hineininterpretiert werden könnten. 4. Einheitlichkeit der sog. Rechtsanwendung unabhängig vom Gleichheitssatz Der Verzicht darauf, dem Gleichheitssatz überschießende Bindungswirkungen bestimmter individueller Rechtsnormen zu entnehmen, muss aber nicht zur Beliebigkeit oder gar unerträglichen Ungerechtigkeit der sog. Rechtsanwendung führen. Rechtliche wie tatsächliche 219 Mechanismen beugen dem vor. Die dabei schon konstatierten Unterschiede zwischen Verwaltung und Rechtsprechung beruhen allerdings nicht auf einer irgend gearteten Wesensverschiedenheit dieser Staatsfunktionen. Mit Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Weisungen neben Gesetzen und sonstigen generellen Ermächtigungsnormen sehen sich Rechtsetzer / innen in der Verwaltung zumeist einer erheblich höheren Normdichte gegenüber als ihre Recht sprechenden Kolleg / innen. Das schränkt ihre Freiräume spürbar ein. Nicht selten bleiben Spielräume in der Entscheidung daher der jeweiligen Verwaltungsspitze vorbehalten, welche diese ggf. auch politisch verantworten muss. Richterinnen und Richter beziehen sich dagegen auf weitaus „großzügigere“ ermächtigende Normenkomplexe. Ihre strukturellen Freiräume in der Rechtsetzung sind nicht durch diverse verbindliche Anweisungen von vornherein eingeengt. Die Möglichkeit unterschiedlicher Einzelfallentscheidungen bei der gerichtlichen 219 Vgl. Uwe Wesel, Geschichte des Rechts, 2. A. 2001, Rn. 312, zu den praktischen Möglichkeiten der Herstellung einer einheitlich entscheidenden Justiz in bürgerlichen Gesellschaften: intensive Ausbildung, mehrstufiger Instanzenweg, Personalpolitik – wer abweichend entscheidet, wird nicht befördert.

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Rechtsetzung stellt daher als solche keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. 220 In der Praxis zeigen Gerichte allerdings aus verschiedenen Gründen die Neigung, sich an den Entscheidungen höherer Gerichte zu orientieren. Dies trägt faktisch zur Rechtsanwendungsgleichheit bei, sollte aber nicht davon ablenken, dass Gerichte grundsätzlich nicht zur Beachtung anderer gerichtlicher Entscheidungen, sondern nur der sie bindenden Rechtsnormen verpflichtet sind. Daher können sie sich auch nur sehr begrenzt auf andere gerichtliche Entscheidungen berufen und diese streng genommen nicht zur rechtlichen Begründung heranziehen. Spätestens hier erhebt sich die Frage, wie Gerichte – und auch Behörden – angesichts eines strukturellen Freiraums in der Rechtsetzung ihre Entscheidungen überhaupt noch begründen können.

IV. Individuelle Rechtsetzung und Entscheidungsbegründung Die Setzung einer Einzelfallnorm durch Gerichte oder Behörden ist heteronom und autonom zugleich. Sie ist rechtlich strukturiert, soweit die Erzeugungsbedingungen des ermächtigenden Normenkomplexes inklusive Verfassungsnormen zu beachten sind, und sie ist strukturell frei, soweit die Regelung des Einzelfalles eine konkretere inhaltliche Gestaltung durch die Rechtsanwender / innen erfordert. Die behördliche wie gerichtliche Rechtsetzung kann folglich ein politisches Element enthalten. Damit rückt das Erfordernis einer guten Begründung 221 der Entscheidung in den Vordergrund. 222 Die sog. rechtsanwendende Instanz muss 220 Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass Art. 3 Abs. 1 GG gar keine Bedeutung für die Rechtsprechung entfaltet; wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend ausführt, ist den Gerichten jedenfalls eine Differenzierung versagt, die auch dem Gesetzgeber verboten wäre, vgl. BVerfGE 99, 129 (139); 84, 197 (199); 74, 129 (149); 70, 230 (240); 59, 52 (59); 58, 369 (374); zustimmend Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, 2002, S. 188. Für Cornelia Paehlke-Gärtner, in: Dieter C. Umbach / Thomas Clemens (Hg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. 1, 2002, Art. 3, Rn. 120 f., 236, beschränkt sich die Rechtsanwendungsgleichheit auf ein Objektivitätsgebot, welches unangemessene Entscheidungen ausschließt. 221 Für eine Begründungspflicht aus dem Rechtsschutzgebot: Fritz Ossenbühl, NJW 1986, 2805 (2809 f.); für einen Begründungszwang aus dem Willkürverbot: Karl-Peter Sommermann, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. A. 2005, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 306. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungspflicht: Jürgen Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, 1971, S. 91 ff. 222 Claus Dieter Classen, AöR 122 (1997), 65 (87 f.), weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Grundrechtskonformität der Ergebnisse, sondern auch die Gründe für die Entscheidung überprüft. Vgl. dazu Wolfgang Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), 173 (199), wonach sich die Richtigkeit der Rechtsanwendung im Spielraumbereich häufig nicht am Ergebnis allein ablesen lässt. Christian Starck, VVDStRL 34 (1976), 43 (71 f.), betrachtet die Auslegungsregeln als Anleitung zu einer guten Begründung, wobei er der historischen Auslegung eine primäre Rolle zuweist.

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zum einen darlegen, welche rechtlichen Vorgaben für sie bindend waren, also inwieweit die Entscheidung fremdbestimmt ist. Dem korrespondierend ist aber auch der jeweilige Freiraum der individuellen Rechtsetzung auszuweisen. 223 Um die innerhalb dieses Freiraums getroffenen Entscheidungen zu begründen, genügt der Verweis auf den Willen des Gesetzgebers oder die Grundwerte der Verfassung nicht mehr. 224 Der politische Eigenanteil an der individuellen Rechtsetzung zieht seine Legitimation daraus, dass er vom Recht vorgesehen ist, er kann aber nicht rechtlich begründet werden. 1. Rechtspolitische Begründungen als Aufgabe der Rechtswissenschaft? Die Frage nach der Begründung des politischen Eigenanteils an der individuellen Rechtsetzung könnte umgehend aus dem Bereich der Rechtswissenschaft verwiesen werden. Schließlich hat die Abwehr des Politischen in der Jurisprudenz eine lange Tradition. Dies gilt sogar für den – gern als hochpolitisch bezeichneten – Bereich der Gesetzgebung. Die Etablierung einer Gesetzgebungskunst als auch inhaltlicher Gesetzgebungslehre sah sich um 1900 erheblichen Widerständen gegenüber. 225 Vor allem aber galt die unabhängige Justiz als paradigmatisches rechtliches Gegengewicht zu den politischen Staatsfunktionen der Legislative und Exekutive. 226 So überrascht es kaum, dass die juristischen Methodenlehren ihre Betrachtungen auf die Rechtsprechung beschränkten und sich zugleich Verwaltungslehre bzw. Verwaltungsrechtswissenschaft und Gesetzgebungslehre zu eigenständigen Disziplinen mit teilweise ganz anderen Fragestellungen entwickelten. Die Sentenz über den „Juristen als solchen“, dessen Sache ethische, politische oder volkswirtschaftliche Erwägungen nicht seien, 227 kann auf eine beachtliche Wirkungsgeschichte zurückblicken. 228 Die später erhobene Forderung nach dem 223

Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 591, sieht die Ausweisung von Bindungen und Freiraum als Aufgabe der Rechtswissenschaft. 224 Wenn Adolf Merkl, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1059 (1067), S. 1167 (1182 f.), in schöner Offenheit von Politik, Moral und der subjektiven Willkür des rechtsanwendenden Organs spricht, wird vielleicht deutlicher, warum sich diese rechtstheoretischen Erwägungen in der Jurisprudenz so geringer Anerkennung erfreuen. Im Vergleich: Die in den 1960er und 1970er Jahren geforderte Politisierung der Justiz, die zu so heftigen Reaktionen seitens der etablierten Jurisprudenz führte, erläutert einer der herausragenden Protagonisten des Streits, Rudolf Wassermann, Der politische Richter, 1972, S. 17, 44 ff., schlicht als Bewusstwerdung und Ersetzung der persönlichen und klassenbezogenen Vorurteile durch einen klaren Verfassungsbezug. 225 Vgl. dazu ausführlich Sigrid Emmenegger, Gesetzgebungskunst, 2006, S. 27 ff. 226 Pointiert Hasso Hofmann, Das Recht des Rechts, 1998, S. 37: „In der Herausbildung dieses justiziellen Eigengewichts gegen monarchische und demokratische Machtansprüche erneuert sich der europäische Prozess der Emanzipation des Rechts von der Politik seit der sog. Päpstlichen Revolution im 11. Jahrhundert.“

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„politischen Richter“ musste angesichts dessen als Provokation erscheinen und scharfe Gegenreaktionen auslösen. 229 Die Eigenständigkeit des Rechts verkörperte sich im nur an das Recht gebundenen Richter und die Objektivität der Rechtswissenschaft wurde in striktem Bezug auf dieses Idealbild gewahrt. Die Scheidung von Recht und Politik anhand der Staatsfunktionen und die Verknüpfung der Rechtswissenschaft mit dieser Zwei-Bereiche-Lehre bleibt jedoch nicht auf historische Betrachtungen beschränkt. So erkennt jüngst Ralf Poscher zunächst die schöpferischen Elemente in der sog. Rechtsanwendung an, um dann die klare Unterscheidung zwischen rechtsdogmatischer Rechtsproduktion durch die Gerichte und rechtspolitischer Rechtsproduktion durch den Gesetzgeber zu fordern. 230 Da einerseits jeder Rechtsproduktion ein gestaltendes und damit politisches Element innewohnt und andererseits hoffentlich nicht behauptet werden soll, die Legislative agiere frei von rechtlichen Bindungen, könnte diese Differenzierung von Recht und Politik sich nur auf Art und Ausmaß des strukturellen Freiraumes beziehen. Das wäre aber kaum angemessen und ist auch offensichtlich nicht gewollt. Die Unterscheidung von rechtspolitischer und rechtsdogmatischer Rechtsproduktion soll vielmehr der heute nahezu herrschenden Ansicht Rechnung tragen, dass auch die sog. Rechtsanwendung schöpferisch ist, und zugleich die mit Aufgabe des Subsumtionsdogmas verbundenen Ängste beschwichtigen, indem überkommene Ressentiments gegen „die Politik“ und „den Gesetzgeber“, identifiziert mit Irrationalität und Eigennützigkeit, 231 bedient werden. Es bleibt nur 227 Bernhard Windscheid, in: ders., Kleine Schriften, Reden und Rezensionen (1884), 1984, S. 443. 228 Aus historischer Sicht wird die Rede vom „unpolitischen Richter“ von Regina Ogorek, in: Werner Hoppe u. a. (Hg.), Rechtsprechungslehre, 1992, S. 333 ff.; dies., Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, 1986, S. 280 ff., allerdings als politische Strategie dechiffriert. 229 Zum „politischen Richter“: Dieter Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 104 ff., m.w. N.; Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 218 ff.; heftige Abwehr bei: Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. A. 1999, Rn. 139 ff.; Klaus Stern, Das Staatsrecht der BR Deutschland, Bd. I, 2. A. 1984, S. 801; dagegen die politische Funktion bzw. Natur der Rechtsprechung betonend: Norbert Achterberg, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 92, Rn. 212 ff. (Stand: 1981); Rudolf Wassermann, in: Erhard Denninger u. a. (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 3. A. 2001, Art. 92, Rn. 16, 23; vgl. auch Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 5. A. 1997, S. 481 f.; umfassend zu Politik und Richteramt: Frank Lansnicker, Richteramt in Deutschland, 1996, insbes. S. 38, 171 ff., 195 ff. 230 Ralf Poscher, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 127 (134 ff.). Diese Konzeption bezaubert insbesondere vor dem Hintergrund der zutreffenden Erkenntnis, dass Rechtsdogmatik immer auch politisch ist, vgl. Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 2. A. 2005, Rn. 328 ff. 231 Vgl. dazu oben Teil 4 B II 3. Dankenswerterweise erinnert Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 213, daran, dass die Erfüllung politischer Gestaltungsaufgaben durch die Gerichte diese noch nicht zwingend parteiisch macht.

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zu hoffen, dass dem Versuch von Christian Hiebaum, seine Kolleg / innen davon zu überzeugen, dass die Politizität des Rechts und der Rechtswissenschaft deren Objektivität mitnichten ausschließt, 232 mehr Erfolg beschieden sein wird. 2. Juristische Dogmatik und Methodenlehren „jenseits des Rechts“ Einer Rechtswissenschaft, die politisch so enthaltsam ist, dass sie sich zu den Freiräumen individueller Rechtsetzung nicht mehr äußern mag, kann nämlich auch vorgeworfen werden, sie verfehle ihre Aufgabe. Christian Starck hat die Vertreter / innen der Reinen Rechtslehre scharf dafür kritisiert, dass sie genau diese Fragen nicht beantworten wollten und damit die Richterinnen und Richter gerade dort im Stich ließen, wo deren eigentliche Arbeit beginne. 233 Die Rechtswissenschaft bzw. Rechtsdogmatik könnte also dazu aufgerufen sein, sich der wissenschaftlichen Befassung mit rechtspolitischen Fragen 234 nicht zu verschließen, 235 wenn sie von praktischem Nutzen sein will. Es geht dabei nicht darum, die Rechtswissenschaft zu Gunsten einer Rechtspolitik aufzugeben. Die Befassung mit rechtspolitischen Argumenten bezieht sich nur auf die Begründung 236 des nicht determinierten Anteils an der Setzung der Einzelfallnorm. Dieser Bereich ist für die Rechtswissenschaft keineswegs eine terra incognita. Rechtsdogmatik und Rechtslehre befassen sich schon lange mit den entsprechenden Themen. 237 Die Begründung des Eigenanteils an der individuellen Rechtsetzung kann auf vielfältige juristische Argumentationsfiguren zurückgrei232 Christian Hiebaum, Die Politik des Rechts. Eine Analyse juristischer Rationalität, 2004, passim. 233 Christian Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 258 ff. 234 Allerdings bieten weder die historische Extremposition von Julius Hermann von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 41 ff. – politische Rechtswissenschaft ohne positives Recht – noch eine mit Überlegenheitsanspruch auftretende wissenschaftliche Rechtspolitik, wie sie Eike von Hippel, JZ 1998, 529 (533 f.), vorzuschweben scheint, zufrieden stellende Ansätze. Und die Ausführungen zur Rechtspolitologie von Klaus Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 4. A. 1998, S. 96 ff., lassen jegliche Einbettung oder wenigstens Andockfähigkeit im Bereich des Rechts und der Rechtswissenschaft vermissen. 235 Ota Weinberger, in: ders. / Werner Krawietz (Hg.), Reine Rechtslehre im Spiegel, 1988, S. 117 (121 f.), will rechtspolitische Überlegungen aus der Rechtswissenschaft nicht komplett ausschließen, solange nur die Betreffenden stets wissen und sagen, was sie gerade tun. 236 Bei der Entscheidung für eine der möglichen Lösungen kann die Rechtswissenschaft als Wissenschaft nicht hilfreich sein, sondern höchstens zur Rechtspolitik mutieren, vgl. Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 611 (619). 237 Vgl. auch Agnes Launhardt, Rechtstheorie 32 (2001), 141 (151 f.); Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 53 ff.

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fen, die ursprünglich für die Auslegung (in einem weiten Sinne) entwickelt wurden, genannt seien nur topische Methoden, Argumentationslehren, Gerechtigkeitsmodelle, Diskurskonzepte oder Grundrechtstheorien. Auch der Verweis auf eine ständige Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis ist legitim. 238 Schließlich kann die Folgenorientierung von Bedeutung sein. 239 Für die Rechtsetzer / innen ist entscheidend, dass sie ihre Tätigkeit nicht hinter heteronomen rechtlichen Vorgaben verstecken, sondern autonome Entscheidungsanteile ausweisen und begründen. Für die Rechtswissenschaft stellt sich insoweit die Frage, welche Argumente dafür zur Verfügung stehen und wie diese strukturiert werden können. Neben vielfältigen Ausführungen zu rechtlich nicht-determinierten Entscheidungsanteilen im Gewande der Rechtsdogmatik gibt es aber auch einige explizite Überlegungen zu jenem Bereich „jenseits des Rechts“. Als erste bemühen sich Hans-Joachim Koch und Helmut Rüßmann, hier die Idee der Nutzenmaximierung und die Idee der Gerechtigkeit fruchtbar zu machen. 240 Hans-Ulrich Evers sucht Kriterien der Richtigkeit der Entscheidung, die zugleich helfen, die Allgemeinheit des Gesetzes in der Rechtsanwendung zu bewahren. 241 Rudolf Thienel sieht das Erfordernis, die rein beschreibende Rechtsdogmatik durch eine Sozialtechnologie zu ergänzen, um eine Orientierung für die rechtspolitische Entscheidung zu geben, und liefert eine kurze Skizze einer solchen technologischen Anwendungslehre. 242 Anusheh Rafi stellt neun Kriterien als topoi eines gebundenen Dezisionismus der Gerichte auf, die sich sämtlich am von ihm postulierten Zweck richterlicher Tätigkeit, nämlich der Herstellung von Rechtsfrieden, orientieren. 243 Solche Überlegungen stehen exemplarisch für das Bemühen, die Rechtspraxis auch im Bereich des strukturellen Freiraums rechtswissenschaftlich und methodologisch zu begleiten.

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Zu warnen ist aber vor einer Zunahme der in der Praxis so beliebten „string cites“, welche eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den in Bezug genommenen Argumenten vermissen lassen, vgl. dazu Elisabeth Holzleithner / Viktor Mayer-Schönberger, in: Birgit Feldner / Nikolaus Forgó (Hg.), Norm und Entscheidung, 2000, S. 318 (338 ff.). 239 Dazu Christina Coles, Folgenorientierung im richterlichen Entscheidungsprozeß, 1991, passim; Martina Renate Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, 1995, passim; Georg Hermes, in: Eberhard Schmidt-Aßmann / Wolfgang Hoffmann-Riem (Hg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 359 – 385; Gertrude Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 137 ff.; Peter Raisch, Juristische Methoden, 1995, S. 185 ff.; Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. A. 2001, S. 605 ff.; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 262 ff. 240 Hans-Joachim Koch / Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 346 ff., 348 ff., 358 ff., unter der Kapitelüberschrift „Jenseits der Gesetzesbindung“. 241 Hans-Ulrich Evers, in: Christian Starck (Hg.), Das allgemeine Gesetz, 1987, S. 96 (113 ff.). 242 Rudolf Thienel, Kritischer Rationalismus und Jurisprudenz, 1991, S. 213 ff., 216 ff. 243 Anusheh Rafi, Kriterien für ein gutes Urteil, 2004, S. 41 ff., 91 ff.

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V. Die verfassungsgerichtliche Nachprüfung der individuellen Rechtsetzung Die Auslegung von Gesetzen kann für das Bundesverfassungsgericht in unterschiedlichen Verfahren zumindest als Vorfrage relevant sein. Die Überprüfung der individuellen Rechtsetzung erfolgt dagegen ausschließlich im Verfahren der Urteilsverfassungsbeschwerde 244, wobei Verwaltungsakte grundsätzlich nur inzident geprüft werden. Die Individualverfassungsbeschwerde ist erst später ins Grundgesetz eingefügt worden. 245 Sie ist subsidiär zu sonstigen Rechtsschutzmöglichkeiten 246 und gilt als allerletzter, außerordentlicher Rechtsbehelf 247. Die Möglichkeit der Überprüfung individueller Rechtsakte durch die Verfassungsgerichtsbarkeit hat immer wieder Anlass zur Kritik geboten. 248 Zum einen scheint das Bundesverfassungsgericht mit dieser Aufgabe überfordert, weshalb sein Annahmeverfahren sich inzwischen zu einem Geheimverfahren nach Zufallsprinzipien entwickelt hat. 249 Zum anderen wollen die Befürchtungen nicht verstummen, das Bundesverfassungsgericht mutiere damit zur Superberufungs- oder Superrevisionsinstanz. 250 Die Phänomene verfassungskonformer Auslegung verschärfen diese Problematiken 251 und stehen gerade mit letzterer in unmittelbarem Zusammenhang. Wenn die Verfassung für jede individuelle Rechtsetzung Bedeutung erlangen kann, ist 244 Zur Systematisierung verschiedener Arten von Verfassungsbeschwerden vgl. Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 37; Ekkehard Schumann, Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerde, 1963, S. 118 ff. 245 Durch das 19. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 29. 1. 1969, BGBl. I, S. 97. 246 Zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde statt vieler: Jun Huh, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 2000, S. 15 ff. 247 Vgl. BVerfGE 107, 395 (413 ff.); Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 93, Rn. 55; Bruno SchmidtBleibtreu / Axel Hopfauf, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 93, Rn. 119; Klaus Schlaich, VVDStRL 39 (1981), 99 (122 ff.); Klaus Stern, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 93, Rn. 403 (Stand: 1982); Gerd Sturm, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 93, Rn. 68; Joachim Wieland, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 93, Rn. 75. 248 Ausdrücklich ablehnend schon Hans Kelsen, VVDStRL 5 (1929), 30 (62 f.); vgl. ferner Rüdiger Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 3. A. 2006, Rn. 324 ff., der allerdings vor den Gegebenheiten kapituliert hat, Rn. 324: „Ich halte nicht mehr daran fest, dass die Urteilsverfassungsbeschwerde grundsätzlich gestrichen werden muss.“ 249 Sehr kritisch die Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff, EuGRZ 2004, 669 (669 ff., 682), wonach der Zugang inzwischen ein absolutes Arkanum sei und nach dem Stolpersteinprinzip vorgegangen werde statt eine Kanalisierung nach Effizienzprinzipien zu versuchen. 250 Statt vieler: Hans Hofmann, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 20, Rn. 94; Markus Kenntner, NJW 2005, 785 (786 ff.).

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die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes grundsätzlich unbeschränkt. 252 Im Folgenden soll davon ausgegangen werden, dass drei Aspekte denkbar sind, unter denen das Bundesverfassungsgericht die individuelle Rechtsetzung einer Prüfung am Maßstab der Verfassung unterziehen kann. 1. Prüfungsmaßstab: Gesetzesvorbehalt Das Bundesverfassungsgericht könnte zunächst prüfen, ob die Einzelfallentscheidung der rechtsetzenden Instanz sich im Rahmen der ermächtigenden Gesetze hält. 253 Es wurde dargelegt, dass jede sog. Rechtsfortbildung ohne gesetzliche Grundlage 254 unzulässig ist und daher ggf. einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellt. 255 Konsequenz wäre, dass im Rahmen der Verfassungsbeschwerde auch zu überprüfen ist, ob der Rechtsgewinnungsvorgang durch das Fachgericht die Grenzen zur insoweit unzulässigen Rechtsfortbildung überschreitet. Die Kritik an den Phänomenen verfassungskonformer Auslegung ist nicht zuletzt um eine Entflechtung von Verfassungsrecht und einfachem Recht bemüht. 256 Jedenfalls im Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit würden diese Bemühungen konterkariert, wenn das Beharren auf dem Vorbehalt des Gesetzes zu einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Gesetzmäßigkeit fachgerichtlichen Handelns führt. 257 251

Zur verfassungskonformen Auslegung als Einzelentscheidkontrolle: Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 188 ff. Ekkehard Schumann, Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerde, 1963, S. 305, geht davon aus, dass sich mit Anwendung der verfassungskonformen Auslegung die Zahl verfassungswidriger Einzelakte erhöht, weil Rechtssätze immer seltener als grundrechtswidrig gelten. 252 Markus Kenntner, NJW 2005, 785 (788 f.), schlägt daher in Analogie zum Vorabentscheidungsverfahren des Europäischen Gerichtshofes vor, die Überprüfung des Bundesverfassungsgerichtes auf die verfassungsrechtliche Frage und die verfassungsrechtliche Maßstabsetzung zu beschränken. 253 Ablehnend Jörg Berkemann, DVBl. 1996, 1028 (1037); Hans-Jürgen Papier, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 432 (435). 254 Dagegen geht es für Ralf Poscher, in: Wilfried Erbguth / Johannes Masing (Hg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen, 2005, S. 127 (140), um argumentative Standards, was zu bemerkenswerten Schlussfolgerungen führt wie der, dass eine „methodisch unzulässige Rechtsfortbildung intra legem“ [sic] gegen die Gesetzesbindung verstößt, eine „methodisch zulässige Rechtsfortbildung contra legem“ [sic] jedoch nicht. 255 Dazu oben, Teil 3 E I 1. 256 Die Aussichtslosigkeit des Ansinnens einer klaren Entflechtung verdeutlicht die ausführliche Darstellung von Martin Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, 2000, passim, der irritierenderweise das Problemfeld der verfassungskonformen Auslegung vollständig ausspart (genannt auf S. 54 f.). Deutlich optimistischer diesbezüglich Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, insbes. S. 177 ff., der seinerseits die verfassungskonforme Auslegung mit seinem Verständnis der Schumannschen Formel identifiziert und daher zumindest beiläufig erwähnt (vgl. S. 100, 142, 216, 309).

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Die Unschärfe der Funktionentrennung zwischen Bundesverfassungsgericht und Fachgerichten, 258 der weder mit materiell-rechtlichen noch funktionell-rechtlichen Ansätzen nachhaltig abzuhelfen zu sein scheint, 259 würde so vom Bereich der (verfassungskonformen) Auslegung in den Bereich der (verfassungskonformen) Rechtsetzung verlagert. Denn die Entgrenzung der allgemeinen Handlungsfreiheit in der Elfes-Entscheidung 260 ernst nehmend, müsste jedes einfachrechtlich fehlerhafte Urteil zugleich als verfassungswidrig verworfen werden – eine Konsequenz, die das Bundesverfassungsgericht aus naheliegenden Gründen nicht gezogen hat. 261 Diese Entscheidung soll auch nicht durch eine Entfaltung des Gesetzesvorbehalts revidiert werden. Für eine verfassungsgerichtliche Kontrolle des Gesetzesvorbehalts sollte die Prüfung ausreichend sein, ob überhaupt eine gesetzliche Grundlage für das jeweilige gerichtliche bzw. behördliche Handeln existiert. 262 Allerdings könnte 257 Ablehnend auch Hans-Bernhard Brockmeyer, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 10. A. 2004, Art. 93, Rn. 4. 258 Vgl. Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (144 ff.), wonach auf Grund der Aufgabenparallelität Konflikte zwischen beiden unvermeidlich sind und zwingende Abgrenzungen sich nicht gewinnen lassen. Zum Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsund Fachgerichtsbarkeit auch Gerd Roellecke, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. A. 2005, § 68, Rn. 11 ff. 259 Einen sehr schönen Überblick über die Abgrenzungsbemühungen von Seiten des Bundesverfassungsgerichtes gibt Jörg Berkemann, DVBl. 1996, S. 1028 – 1040, mit vielen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur; vgl. ferner auch Jun Huh, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 2000, S. 66 ff.; Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 74 ff. (Bundesverfassungsgericht), 94 ff. (Literatur); Dieter Lincke, EuGRZ 1986, 60 (61 ff.); Alfred Rinken, in: Rudolf Wassermann (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. A. 1989, Vor Art. 93, Rn. 115 ff.; Gerd Sturm, in: Michael Sachs (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. A. 2003, Art. 93, Rn. 16 ff.; Normann Weiß, Objektive Willkür, 2000, S. 162 ff. (Bundesverfassungsgericht), 168 ff. (Literatur). 260 BVerfGE 6, 32 (36 ff.). 261 Vgl. dazu Jörg Berkemann, DVBl. 1996, 1028 (1028 f.); Erhard Denninger, in: ders. u. a. (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 3. A. 2001, Art. 1, Abs. 2, 3, Rn. 33; Martin Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, 2000, S. 177; Jun Huh, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 2000, S. 37 ff.; Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 29 ff.; Philip Kunig, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. A. 2000, Art. 1, Rn. 66; Bodo Pieroth / Tobias Aubel, JZ 2003, 504 (504 f.); Andreas Voßkuhle, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 93, Rn. 55 f. 262 Zwar lehnt Hans-Jürgen Papier, in: Christian Starck (Hg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 1, 1976, S. 432 (456 f.), eine Unterscheidung in gesetzlose und gesetzwidrige Eingriffsakte ab, bejaht aber einen direkten Verfassungsverstoß, wenn es um eine Verkennung der Reichweite des Vorbehaltsprinzips selbst geht. Zur Kontrolle der gesetzlichen Grundlage bei Grundrechtseingriffen vgl. auch Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 302 ff. Eine Rückkehr zur Heckschen Formel fordert Jun Huh, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 2000, S. 210 ff., nach

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

dadurch zuvörderst die Bereitschaft der Fachgerichte bzw. Behörden steigen, Gesetzesnormen über Gebühr weit auszulegen, um so ihre Entscheidungsfähigkeit zu sichern. 263 Folglich sollte das Bundesverfassungsgericht auch noch prüfen, ob eine unzulässige Normkorrektur vorgenommen wurde, 264 in anderen Worten: ob der normative Gehalt der Ermächtigungsgrundlage im Zuge der individuellen Rechtsetzung erst geschaffen oder grundlegend neu bestimmt wurde. Dieser Prüfungspunkt firmiert derzeit unter den Grenzen der Zulässigkeit der verfassungskonformen Auslegung 265 und sollte daher keine Schwierigkeiten bereiten. Der Begriff der Normkorrektur bietet dabei zwar keine so scharfe Begrenzung, dass nicht im Einzelfall doch geprüft werden könnte, ob sich das Fachgericht im Rahmen der ermächtigenden Gesetze hält. Dies ist aber so lange als unschädlich anzusehen, als bewusst ist, dass Gesetze abstrakt-generelle Regelungen sind, 266 aus denen der Einzelfallentscheid nicht deduziert werden kann. 2. Prüfungsmaßstab: Verfassungsnormen, insbesondere Grundrechte Die rechtsanwendenden Instanzen sind aber nicht nur an die Gesetze, sondern auch an die Verfassung gebunden. Das Bundesverfassungsgericht muss daher ferner prüfen, ob die Einzelfallentscheidung der rechtsetzenden Instanz sich im Rahmen der einschlägigen Verfassungsnormen, insbesondere der betroffenen Grundrechte, hält. 267 Zu beachten ist, dass die Grundrechte den strukturellen Freiraum bei der individuellen Rechtsetzung nicht eliminieren. 268 Eine Entscheidung kann einem Grundrecht mehr oder weniger gerecht werden, ohne es in jedem Fall dessen Ansicht eine Urteilsverfassungsbeschwerde daher nur erfolgreich sein soll, wenn das Urteil im Gesetz keinerlei Stütze mehr findet oder die Grundrechte grundlegend verkannt wurden. 263 Dies ist ein Effekt, der schon bei der verfassungskonformen Auslegung in favorem legis beobachtet wurde, vgl. oben Teil 1 E II, V, Teil 3 C I zur Gesetzeskorrektur. 264 Klaus Rennert, NJW 1991, 12 (16 ff.), fordert das Bundesverfassungsgericht auf, den Gesetzesgehorsam der Gerichte stärker zu überwachen und einzufordern sowie keine Korrekturen zu billigen. 265 Vgl. oben, Teil 1 F IV. 266 Die Gesetze, deren Individualisierung der Rechtsprechung und Verwaltung übertragen ist, müssen aber auch abstrakt-generell sein, um eine echte Arbeitsteilung zu gewährleisten und die Gefahr von Normkorrekturen zu verringern, vgl. Klaus Rennert, NJW 1991, 12 (18 f.). 267 Dieter Lincke, EuGRZ 1986, 60 (63), lehnt eine verfassungsgerichtliche Überprüfung ab, wenn nur das Ergebnis den Grundrechtsbereich berührt, sonst sei immer Art. 2 oder Art. 14 einschlägig. 268 Georg Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119 (148 ff.), fordert eine Beschränkung des Bundesverfassungsgerichts auf Grundsatzfragen und lobt daher die Benetton-Entscheidung [BVerfGE 102, 347 ff.], allerdings lasse sich der Zugriff auf den krassen Einzelfall nicht ganz vermeiden, weshalb es ein freies Annahmeverfahren für die Verfassungsbeschwerde

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zu verletzen. In Bezug auf Verfassungsnormen ist nicht einzusehen, warum Judikative oder Exekutive einer anderen bzw. „stärkeren“ Bindung unterliegen sollten als die Legislative. 269 Der Unterschied ergibt sich aus ihrer Position im Stufenbau der Rechtsordnung und besteht darin, dass Rechtsprechung und Verwaltung neben der Verfassung eben auch an Gesetze gebunden sind. 270 Der zur Abgrenzung dieser Bindungen verwendete Begriff des „spezifischen Verfassungsrechts“ ist wenig zielführend. 271 Dagegen weist die sog. Schumannsche Formel 272, wonach zu prüfen ist, ob die ausgesprochene Entscheidungsregel als Gesetz verfassungswidrig wäre, in die richtige Richtung. 273 Mit ihrem Gebrauch kann verdeutlicht werden, dass auch die Urteilsverfassungsbeschwerde eine Form der Normenkontrolle darstellt: die Überprüfung einer konkret-individuellen Rechtsnorm. Diese unterscheidet sich insoweit nicht von anderen Normenkontrollen. 3. Prüfungsmaßstab: Willkürverbot Besondere Beachtung verdient noch die Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht, ob die rechtsanwendende Instanz eine objektiv unhaltbare Entscheidung getroffen hat. Maßstab ist das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. 274 geben sollte. Kritisch zur derzeitigen Annahmepraxis Wolfgang Roth, AöR 121 (1996), 544 (552 ff.). 269 So auch Gerhard Robbers, NJW 1998, 935 (939), mit besonderem Verweis auf die Unterscheidung zwischen Grundrechten als materieller Norm und als Kontrollnorm. 270 Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. A. 2005, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 241, will aber die Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht darauf beschränken, ob der Sachverhalt im Hinblick auf das Grundrecht frei von Willkür festgestellt worden ist und ob das Ergebnis der Gesetzesanwendung – als generelle Norm gedacht – verfassungsgemäß ist. 271 Zum „spezifischen Verfassungsrecht“: Klaus Stern, in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar, Art. 93, Rn. 686 ff. (Stand: 1982); kritisch: Martin Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts, 2000, S. 21; Christian Starck, JZ 1996, 1033 (1035); Rainer Wahl / Joachim Wieland, JZ 1996, 1137 (1139); zustimmend aber: Wolfgang Meyer, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 3, 5. A. 2003, Art. 93, Rn. 61 f. 272 Ekkehard Schumann, Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerde, 1963, S. 207: „Die InterpretationsVB ist erfolgreich, wenn der angefochtene Richterspruch eine Rechtsfolge annimmt, die der einfache Gesetzgeber nicht als Norm erlassen dürfte.“ 273 Für die Anwendung der Schumannschen Formel: Matthias Jestaedt, DVBl. 2001, 1309 (1321); sowie Christian Starck, JZ 1996, 1033 (1039 f.), der damit eine Reduzierung des Prüfungsmaßstabes auf verfassungsrechtliche Mindeststandards verbindet. Ablehnend Ralf Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 142 ff., 214 ff., dessen Annahme, die Schumannsche Formel beziehe sich nur auf die Bildung des Obersatzes, von den Vorgenannten allerdings nicht geteilt wird, so dass seine Kritik an ihren Positionen nicht zu überzeugen vermag. 274 Zum Willkürverbot als Prüfungsmaßstab der Rechtserkenntnis vgl. oben Teil 4 B V 1.

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

Diese Prüfung kann verschiedene Facetten umfassen. Sie kann sich zum einen auf das Erfordernis der Rechtsanwendungsgleichheit beziehen, das in seinen konkreten Ausprägungen vom Bundesverfassungsgericht erst noch zu konstruieren wäre. Sollte auch die „konstitutionell uneinheitliche“ Rechtsprechung insoweit unter Druck gesetzt werden, wird sie sich im Zweifel auf eine der wesentlichen Methoden des Common Law besinnen: distinguishing, die Unterscheidung von Rechtsfällen. 275 Das Bundesverfassungsgericht dürfte schnell überfordert sein, wenn es sich der Differenzierung von Einzelfällen widmet. Mit dem Willkürverbot ist in diesem Zusammenhang aber weniger ein Gleichheitsgebot als vielmehr ein Gebot methodischer Richtigkeit gemeint. 276 Soweit sich dieses auf die fehlerfreie Auslegung des Gesetzes bezieht, ist die Frage des Gesetzesvorbehalts betroffen. Es ist aber auch denkbar, dass die Prüfung über die Frage hinausgehen soll, ob die individuelle Rechtsnorm auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, den Rahmen ihrer Ermächtigungsnormen eingehalten hat und nicht gegen Verfassungsnormen, insbesondere Grundrechte, verstößt. Die sog. Willkürkontrolle soll den verfassungsgerichtlichen Zugriff auf den krassen Einzelfall ermöglichen. 277 Damit soll ein Ergebnis gerichtlicher Rechtsetzung, das als schlechthin unhaltbar empfunden wird, korrigiert werden. Diese Unhaltbarkeit würde sich aber nicht mehr nur auf die Gesetz- oder Verfassungswidrigkeit der individuellen Rechtsnorm beziehen, sondern darüber hinausgehen. 278 Mit dem

275 So auch Lothar Kuhlen, in: Robert Alexy u. a., Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, S. 89 (96). Dagegen optimistisch: Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 495 f. 276 Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, 2002, S. 178 ff., will mit dem Willkürverbot besonders schwere Verstöße gegen die Grundsätze der juristischen Methodenlehre ahnden. Vgl. ferner Christian Starck, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. A. 2005, Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 282 ff., wonach Gleichheit hier streng genommen Gesetzmäßigkeit meint. Christian Kirchberg, NJW 1987, 1988 (1989 f.), plädiert nachhaltig für eine klare Trennung von Rechtsanwendungsungleichheit und Willkür im Sinne einer falschen Beurteilung. 277 Vgl. zum Willkürverbot Jörg Berkemann, DVBl. 1996, 1028 (1037): „Notkompetenz“, offene Klausel ohne Struktur; Christian Kirchberg, NJW 1987, 1988 (1993): neues „Supergrundrecht“; Alfred Rinken, in: Rudolf Wassermann (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 2. A. 1989, Vor Art. 93, Rn. 123, m.w. N.: Bundesverfassungsgericht als Superrevisionsinstanz für besonders schlimme Fälle; Normann Weiß, Objektive Willkür, 2000, S. 185: Ergebniskontrolle ohne wesentliche verfassungsrechtliche Aussagen. Deutlich entspannter sieht Hans D. Jarass, in: ders. / Bodo Pieroth, Grundgesetz, 8. A. 2006, Art. 3, Rn. 38, die dogmatischen Probleme hinter dem hohen Praxiswert zurücktreten; auch Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, Rn. 300, sprechen zwar von Notkompetenz und allgemeiner Gerechtigkeitsjudikatur, scheinen dies aber nicht als kritikwürdig anzusehen. Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 262, wirft dagegen der Willkür-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vor, letztlich selbst willkürlich zu sein, so im Ergebnis auch Michael Kromer, JuS 1984, 601 (605), sowie Normann Weiß, Objektive Willkür, 2000, S. 185, 228.

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Willkürverbot würde eine Kontrolle des politischen Eigenanteils individueller Rechtsetzung etabliert. Es ist zu beachten, dass es einer solchen Kontrolle zunächst an geeigneten – rechtlichen – Maßstäben mangelt. 279 Schließlich geht es um den strukturellen Freiraum der Rechtsetzung, der eben nicht rechtlich determiniert ist. Die Grenzen des rechtlich Geregelten bilden aber zugleich die Grenzen richterlicher Kontrolle. 280 Auch eine Deutung des Art. 3 Abs. 1 GG als Willkürverbot vermag diese rechtlichen Maßstäbe nicht zur Verfügung zu stellen. Das Gerechtigkeitsempfinden der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts zum Inhalt von Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären, 281 mag zwar angesichts einer solch authentischen Interpretation schwer angreifbar sein, erweckt aber den unglücklichen Eindruck einer unzulässigen politischen Kontrolle unter dem Deckmantel der Verfassung. Das Bundesverfassungsgericht ist keine Instanz zur Kontrolle politischer oder moralischer Richtigkeit 282 und sollte auch nicht bestrebt sein, eine solche zu werden. Andern278 Nach Ansicht von Klaus Rennert, NJW 1991, 12 (14), sollte auch eine Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG nichts daran ändern, dass nur der Rahmen richterlicher Rechtserzeugung zu überprüfen ist. Auch Normann Weiß, Objektive Willkür, 2000, S. 207, hält ein Agieren des Bundesverfassungsgerichts jenseits des Rechts für bedenklich. 279 Hans Kelsen, in: Hans Klecatsky / René Marcic / Herbert Schambeck (Hg.), Die Wiener Rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1363 (1366 f.), weist darauf hin, dass innerhalb des rechtlichen Rahmens jede Entscheidung positivrechtlich richtig ist. Systemtheoretisch formuliert, kann auch das Bundesverfassungsgericht in jeder Art von Normenkontrolle nur prüfen, ob die jeweilige generelle oder individuelle Norm geltend / nicht geltend ist, eine Entscheidung anhand der Binärcodierung richtig / falsch bleibt dagegen der Rechtsphilosophie vorbehalten. 280 Zutreffend Wolfgang Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (42); ähnlich Paul Kirchhof, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 11 (21 f.); Stefan Oeter, AöR 119 (1994), 529 (558 ff.). Vgl. auch Jörg Berkemann, DVBl. 1996, 1028 (1030), wonach nicht die fachgerichtliche Entscheidung insgesamt das Objekt verfassungsgerichtlicher Kontrolle ist, sondern nur die kontrollfähigen Elemente. 281 Nach Ansicht von Peter Häberle, JöR 45 (1997), 89 (125), nimmt das Bundesverfassungsgericht mit der „Willkürkontrolle“ eine allgemeine Gerechtigkeitskompetenz in Anspruch, was mit nicht unerheblichen Gefahren verbunden ist. Kritisch auch Werner Heun, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Bd. 1, 2. A. 2004, Art. 3, Rn. 61; Markus Kenntner, NJW 2005, 785 (787 f.); Christian Kirchberg, NJW 1987, 1988 (1992 ff.); Michael Kromer, JuS 1984, 601 (603 ff.); Ekkehart Stein, in: Erhard Denninger u. a. (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, 3. A. 2001, Art. 3, Rn. 29 ff.; Andreas Voßkuhle, in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 5. A. 2005, Art. 93, Rn. 65; Normann Weiß, Objektive Willkür, 2000, S. 69 ff., 206 ff. 282 Eine verfassungsgerichtlich inspirierte Naturrechtslehre mag das anders sehen. Bislang konnte sie sich damit trösten, dass naturrechtliche Forderungen im Grundgesetz positiviert sind. Doch weil Verfassungen keine politischen Lebensversicherungen sind, müsste zum einen konsequent die Weimarer Frage aufgegriffen werden, ob es sich in bestimmten Einzelfällen bei Gesetzen, die formell ordnungsgemäß erlassen sind und deren Inhalt nicht gegen die Verfassung verstößt, überhaupt um Recht handelt, vgl. nur Ernst von Hippel, in: Gerhard Anschütz / Richard Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts,

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Teil 4: Die Bedeutung der Verfassung

falls würde es seine Stellung als letzte gerichtliche Instanz verwechseln mit der Position der letzten Instanz überhaupt. 283

E. Fazit Durch die weitgehende Ablehnung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung wird die Bedeutung der Verfassung bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen gegenüber dem herkömmlichen Verständnis zurückgedrängt. Schon der Sachverhalt muss ohne Hilfe der Verfassung hergestellt werden, wenngleich eine grundrechtlich geprägte Weltsicht fraglos Einfluss auf die Wahrnehmungen von Realitäten hat. Ferner kann die Verfassung der Erkenntnis eines bestehenden Gesetzesinhalts nicht als Hilfsmittel dienen. Lediglich eine widerlegliche Vermutung der Verfassungsmäßigkeit des gesetzgeberischen Willens kommt in Betracht und dies auch nur, sofern keines der Auslegungsmittel als Indiz dagegen spricht. Nach der Gesetzesauslegung ist die Verfassung aber das Kontrollinstrument, mit dem Aussagen zur Anwendbarkeit der ausgelegten Gesetzesnorm getroffen werden können. Verfassungs- und Gesetzesnormen bilden als ermächtigender Normenkomplex sodann Grundlage wie Rahmen der behördlichen oder gerichtlichen Rechtsetzung. Hier kommt auch die Verfassungsbindung von Gerichten und Behörden zum Tragen, die Setzung einer verfassungswidrigen Einzelfallnorm ist unzulässig und kann mit der Individualverfassungsbeschwerde erfolgreich angegriffen werden. In der Methodenlehre sollte sich die Aufmerksamkeit folglich weniger darauf richten, wie eine Kompatibilisierung durch Interpretation stattfinden kann. Vielmehr sollte versucht werden, der Rechtsgewinnung auf allen Ebenen unseres arbeitsteiligen und gestuften Rechtssystems mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Forderung nach einer allgemeinen Regelungstheorie (besser: Rechtsgewinnungstheorie) für alle Normstufen 284 ist zu unterstützen. Eine umfassende Rechtsetzungslehre könnte strukturelle Gemeinsamkeiten wie praktische Unterschiede herausarbeiten. 285 Insbesondere das Verhältnis von Recht und Politik verlangt Juristinnen und Juristen je nach Kontext unterschiedliche Fähigkeiten ab. Im 1932, § 99, S. 546 (549 ff.). Und weil es einen strukturellen Freiraum individueller Rechtsetzung gibt, müsste zum anderen diese Frage auch entsprechend auf alle individuellen Rechtsnormen übertragen werden. 283 Vgl. auch Friedrich Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen, 1987, S. 262 ff. 284 Vgl. Hans Herbert von Arnim / Stefan Brink, Methodik der Rechtsbildung unter dem Grundgesetz, 2001, S. 146 f., 274 ff.; Ulrich Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungsund Rechtsprechungslehre: Beiträge zur Entwicklung einer Regelungstheorie, 1989; Rainer Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 176 ff., wünscht sich eine Kommunikationslehre, die Gesetzgebungstechnik und Anwendungslehre zu einer Pragmatik juristischer Texte vereinigt.

E. Fazit

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Bereich der Setzung genereller Normen besteht die Kunst eher darin, auch „fremde“ politische Vorstellungen in gutes Recht umzuwandeln, um demokratische Grundsätze nicht juristischer Expertokratie zu opfern. Die Setzung individueller Normen erfordert dagegen die Anerkennung und Reflektion politischer Eigenanteile, Methoden ihrer Strukturierung und Implementierung sowie schließlich die Bereitschaft, sich einer Diskussion zu stellen, die nicht bis ins letzte auf das geltende Recht verweisen kann.

285 Einen guten Anfang machen Methodenlehren, die sich neben der richterlichen und behördlichen Rechtsanwendung auch mit legislatorischer oder anwaltlicher Rechtsgestaltung befassen, vgl. Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. A. 1991, S. 593 ff., 609 ff., 618 ff.; Ernst Höhn, Praktische Methodik der Gesetzesauslegung, 1993, S. 8 ff., 31 ff.; Dieter Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. A. 1992, Rn. 113 ff.; Joachim Vogel, Juristische Methodik, 1998, S. 184 ff., 197 ff.; auch wenn zumeist noch die Betonung der Unterschiede überwiegt.

Zusammenfassung in Thesen I. Im ersten Teil wird ein kritischer Überblick über den Meinungsstand zu den Phänomenen verfassungskonformer Auslegung in Rechtsprechung und Literatur gegeben. 1. Hinter dem Begriff der verfassungskonformen Auslegung verbergen sich bei näherem Hinsehen verschiedene Phänomene, die nur selten klar differenziert werden. Zu unterscheiden sind die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung: die Auslegung von Gesetzen mit Hilfe der Verfassung als Erkenntnismittel; die Vorzugsregel: die Auswahl der einen verfassungskonformen von mehreren möglichen Normdeutungen; die sog. verfassungsorientierte Auslegung: die Konkretisierung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen anhand der Verfassung; sowie die verfassungskonforme Rechtsfortbildung: die Schließung von Gesetzeslücken durch Rückgriff auf die Verfassung. 2. Die Phänomene der verfassungskonformen Auslegung lassen sich nicht ohne Weiteres in die etablierten Methodenlehren oder deren kritische Gegenströmungen einordnen. Dies erstaunt angesichts des Umstandes, dass die erhebliche Bedeutung der Verfassung – gerade auch für Methodenfragen – nahezu allerorten betont und methodologische Argumentationen gern mit Rekurs auf das Grundgesetz abgesichert werden. 3. Mit Blick darauf, dass bei der verfassungskonformen Auslegung als Vorzugsregel nicht nur eine Deutung vorgezogen, sondern zugleich andere verworfen werden, rücken die Phänomene verfassungskonformer Auslegung in die Nähe der Normenkontrolle. Umstritten ist, ob die verfassungskonforme Auslegung nicht – zumindest in einigen Fällen – als sog. qualitative Teilnichtigerklärung zu qualifizieren ist. Dies wirft wiederum die Frage auf, ob alle sog. Rechtsanwender / innen zur Verwendung der verfassungskonformen Auslegung befugt sind. 4. Rechtsprechung und Lehre gehen nahezu einhellig davon aus, dass alle Fachgerichte zur verfassungskonformen Auslegung berechtigt und verpflichtet sind. Die Befugnis der Verwaltungsbehörden in diesem Bereich ist weitgehend ungeklärt, was der Behandlung von Methodenfragen im Bereich der Verwaltung generell korrespondiert. Die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichtes zur verfassungskonformen Auslegung ist umstritten; die vertretenen Ansichten reichen von der absoluten Verweigerung bis zur alleinigen Zuweisung. 5. Als fünfte Methode dem klassischen Viererkanon zur Seite gestellt, bedarf die verfassungskonforme Auslegung der Begründung. Dafür greifen Recht-

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sprechung und Literatur auf verschiedene Argumentationsfiguren zurück: die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, die Achtung legislativer Entscheidungen durch Normerhalt, die Einheit der Rechtsordnung, den Vorrang der Verfassung, den Grundrechtsschutz, den Justizgewährungsanspruch sowie die Behauptung positivrechtlicher Verankerung. Diese Legitimationsbemühungen sind in ihrer Reichweite aber beschränkt und vielfach fundierter Kritik ausgesetzt. 6. Das Postulat von der Einheit der Rechtsordnung spielt dabei eine überragende Rolle, auch wenn die Bezugnahme nicht immer explizit erfolgen mag. Die Lückenlosigkeit der Rechtsordnung soll durch den Normerhalt gesichert werden. Diesem Wunsch nach möglichst weitgehender Bewahrung des vorhandenen Rechtsstoffes steht aber das Risiko von damit verbundenen Normwidersprüchen gegenüber. Da Rechtswissenschaft und die sog. Rechtsanwendung nach allgemeiner Auffassung vom Bereich der Rechtsetzung ausgeschlossen sind, können sie ihre widerstreitenden Ziele nur auf dem Feld der Interpretation verwirklichen. Konzepte systematisierender Auslegung scheinen der Königsweg zu sein, das Spannungsverhältnis von Normerhalt und Normkonformität aufzulösen. Auch die Bedeutung der Idee verfassungskonformer Auslegung – Kompatibilisierung durch Interpretation, gedeckt durch die Autorität der ranghöchsten Rechtsnormen – für das dogmatische wie methodologische Rechtsdenken kann daher kaum überschätzt werden. 7. Zwar wird die verfassungskonforme Auslegung insgesamt eher praktiziert denn reflektiert, doch werden durchaus gewisse Probleme mit ihrer Verwendung in Verbindung gebracht. Diese beziehen sich hauptsächlich auf die Gewaltenteilung. Zum einen stellt sich die Frage, wie die Kompetenz zur Gesetzesauslegung zwischen Bundesverfassungsgericht und Fachgerichten verteilt sein soll. Die Idee verfassungskonformer Auslegung ernst genommen, werden alle Versuche der Abgrenzung von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit hinfällig; jede Gesetzesauslegung ist zugleich Verfassungsfrage. Zum anderen wird zweifelhaft, welche Bedeutung der Gesetzgeber bei der Verfassungskonkretisierung noch haben kann, wenn Bundesverfassungsgericht und Fachgerichte die Phänomene verfassungskonformer Auslegung praktizieren, insbesondere, wenn auch eine verfassungskonforme Gesetzeskorrektur zulässig sein soll. 8. Um diese Probleme zu lösen, werden die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung betont. Dabei handelt es sich um die etablierten Grenzen der Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung, deren Effektivität allerdings unterschiedlich bewertet wird. Zudem neigt insbesondere die Rechtsprechung dazu, soeben postulierte Grenzen umgehend wieder zu relativieren. Bei der sog. restriktiven Auslegung bzw. verfassungskonformen Reduktion werden die vier canones selbst zur Grenzziehung herangezogen. Nicht nur dort erweisen sich die Bemühungen um eine Einhegung der expandierenden Phänomene verfassungskonformer Auslegung als eine Fortsetzung des Methodenstreites auf anderer Ebene.

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II. Im zweiten Teil werden die rechtstheoretischen Grundlegungen der eigenen Einschätzung der Phänomene verfassungskonformer Auslegung dargestellt. Ziel ist es, in Anlehnung an die sog. Reine Rechtslehre eine strukturelle Beschreibung des geltenden Rechtssystems zu geben. 1. Die kleinsten Einheiten des Rechtssystems sind die Rechtsnormen. Sie sind als normative Sätze von den empirischen Sätzen zu unterscheiden, müssen aber auch von nicht-rechtlichen Sollenssätzen wie beispielsweise Moralnormen abgegrenzt werden. Werden Recht und Moral nicht getrennt, ist das Rechtssystem nicht mehr als spezifisches Normensystem beschreibbar. 2. Rechtsprechung und herrschende Lehre reservieren den Begriff der Rechtsnorm für abstrakt-generelle Regelungen. Dagegen wird hier auf Grund der strukturellen Gleichartigkeit jede Rechtserscheinung mit Regelungscharakter als Rechtsnorm bezeichnet, also Urteile und Verwaltungsakte ebenso wie Gesetze, Verordnungen, Satzungen und privatrechtliche Verträge. 3. Die spezifische Existenzweise von Rechtsnormen ist ihre Geltung. Damit wird die Zugehörigkeit zu einer Rechtsordnung beschrieben. Eine Rechtsnorm kann nur als geltende identifiziert werden, wenn sie auf Ermächtigungsnormen eines Rechtssystems beruht, die ihre Erzeugungsbedingungen regeln. Die Ermächtigungsnormen sind folglich Deutungsschemata, die es ermöglichen, eine Rechtsnorm als solche zu erkennen. 4. Auch die Ermächtigungsnormen müssen als geltende Rechtsnormen ihrerseits auf Ermächtigungsnormen logisch höherer Stufe beruhen. Daraus ergibt sich ein über mehrere Ebenen reichender Erzeugungszusammenhang. An der Spitze dieser Pyramide steht die sog. hypothetische Grundnorm. Sie besagt, dass die ranghöchsten Rechtsnormen einer Rechtsordnung gelten sollen. Trotz nachhaltiger Bemühungen, die Grundnorm mit anderen Inhalten (wie einem allgemeinen Bindungspostulat oder einer moralischen Bewertung der entsprechenden Rechtsordnung) zu unterlegen, beschränkt sich ihre Funktion darauf, die Geltung der Rechtsordnung zu fingieren. Diese Beschränkung dient nicht zuletzt der Sicherung individueller Freiheit. 5. Rechtsnormen entstehen (nur) durch Setzung. Ein Willensakt der jeweiligen Rechtsetzer / innen ist die Bedingung der Geltung jeder Rechtsnorm. Daher können Rechtsnormen auch nur durch Rechtsetzungsakte geändert oder aufgehoben werden. Dies schließt Gewohnheitsrecht ebenso aus wie den sog. Rechtswandel. 6. Im Stufenbau der Rechtsordnung haben alle Rechtsnormen mit Ausnahme der ranghöchsten und der rangniedrigsten ein sog. „doppeltes Rechtsantlitz“: Alle diese Normen sind bedingend und bedingt zugleich, Ermächtigungs- und ermächtigte Norm in einem. Gesetzgebung ist nicht nur Rechtsetzung, sondern auch Rechtsanwendung, Vollzug von Verfassungsnormen; der Erlass eines Verwaltungsaktes ist nicht nur Rechtsanwendung, sondern auch Rechtsetzung, die Schaffung einer individuellen Rechtsnorm.

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7. Normwidersprüche können nicht durch logische Operationen in Rechtswissenschaft oder sog. Rechtsanwendung gelöst werden. Bei Widersprüchen zwischen Normen verschiedener Stufen derogiert die ranghöhere Rechtsnorm die rangniedere und setzt sie außer Geltung. Dies gilt allerdings nur, soweit das positive Recht keine abweichende Regelung trifft. Positivrechtliche Fehlerkalküle können die Geltung fehlerhafter Rechtsnormen anordnen. So können Rechtsnormen trotz Verstoßes gegen höherrangiges Recht gelten. Ein echter Widerspruch zwischen gleichrangigen Normen besteht nur, wenn beide gelten. Dieser Widerspruch kann durch die Anwendung positivrechtlicher Kollisionsregeln gelöst werden, existieren solche Regeln nicht, bleibt er ungelöst. 8. Jede sog. Rechtsanwendung besteht aus zwei Schritten, der Rechtserkenntnis und der Rechtsetzung. Die Erzeugungsbedingungen der Ermächtigungsnormen müssen zunächst erkannt werden, um sodann eine diesen Bedingungen entsprechende und damit geltende Rechtsnorm setzen zu können. Rechtserkenntnis meint die Ermittlung des Sinngehaltes bestehender Rechtsnormen. 9. Rechtsetzung findet auf jeder Stufe der Rechtsordnung statt und ist nicht auf die Gesetzgebung beschränkt. Jede Rechtsetzung muss auf Grundlage und im Rahmen von Ermächtigungsnormen erfolgen und ist daher bedingt und frei zugleich. Ermächtigungsnormen können auch inhaltliche Vorgaben für die zu setzende Norm enthalten, sie determinieren deren Inhalt damit aber nicht. Daher enthält jede Rechtsetzung grundsätzlich ein politisches Moment und bildet das geltende Rechtssystem fort. III. Im dritten Teil wird die Zulässigkeit der Phänomene verfassungskonformer Auslegung auf Grundlage der dargestellten rechtstheoretischen Prämissen untersucht. Das Resümee fällt kaum zu Gunsten der Phänomene verfassungskonformer Auslegung aus. 1. Als eine Art fünfte Erscheinungsform ist die normerhaltende Funktion der verfassungskonformen Auslegung gesondert zu betrachten. Die verfassungskonforme Auslegung in ihrer normerhaltenden Funktion könnte ein Fehlerkalkül für Gesetze sein. Fehlerkalküle sind Ermächtigungsnormen, die besagen, dass fehlerhafte Rechtsnormen trotz ihrer Fehlerhaftigkeit gelten sollen. Die deutsche Rechtsordnung kennt viele Fehlerkalküle für Normen unterschiedlicher Stufen. 2. Die Geltung verfassungswidriger Gesetze wird in der juristischen Literatur unter den Begriffen Nichtigkeitsdogma und Vernichtbarkeitslehre diskutiert. Das Fehlerkalkül für Gesetze ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 i.V. m. Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG, § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG und besagt, dass (auch verfassungswidrige) Gesetze gelten, bis sie vom Bundesverfassungsgericht oder vom Gesetzgeber aufgehoben werden. Die verfassungskonforme Auslegung in ihrer normerhaltenden Funktion ist selbst kein Fehlerkalkül. Das Bundesverfassungsgericht versucht aber, mit seiner Verwendung der verfassungskonformen Auslegung – als Vorver-

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fahren der konkreten Normenkontrolle oder als Argumentationsfigur der Selbstbeschränkung – das bestehende Fehlerkalkül für Gesetze in seiner Wirksamkeit zu verstärken. Dieses Vorgehen ist allerdings unzulässig. 3. Die verfassungskonforme Auslegung als Vorzugsregel beruht auf der in Rechtsprechung und Literatur unumstrittenen Prämisse, dass Gesetze mehreren Deutungen zugänglich seien. Damit werden aber zum einen Norm und Normtext als Gegenstand der Auslegung verwechselt, zum anderen der generell-abstrakte Regelungscharakter von Gesetzen verkannt. Gesetze als Willensakte des Gesetzgebers umfassen nicht multiple Willensinhalte. Wenn Rechtsnormen aber nur einen Inhalt haben können, entfällt die Funktion der verfassungskonformen Auslegung als Vorzugsregel. 4. Die Inhaltsbestimmung von Gesetzen mit Hilfe der Verfassung ist das meist genutzte Phänomen der verfassungskonformen Auslegung. Erstaunlicherweise gibt es erhebliche Unklarheiten bezüglich der Frage, wie dieser Vorgang konkret funktioniert, also wie die Verfassung ins Gesetz kommt. Die Frage der Zulässigkeit ist für die Fachgerichte und Verwaltungsbehörden einerseits und das Bundesverfassungsgericht andererseits getrennt zu beantworten. 5. Die Vorstellungen, wie Fachgerichte und Verwaltungsbehörden die Verfassung in ihre Gesetzesinterpretation einbringen sollen, gehen weit auseinander. Teilweise wird unter den Stichworten „lebendes Recht“ oder „klügeres Gesetz“ davon ausgegangen, dass sich Gesetze von selbst der Verfassung anpassen. Nach anderer Ansicht bilden Verfassung und Gesetze eine „verfassungskonforme Schnittmenge“, die den sog. Rechtsanwender / innen als anwendbares Recht zur Verfügung steht. Diese Konzepte geraten zum einen mit den Anforderungen von Rechtssicherheit und Gesetzesbindung in ein unauflösliches Spannungsverhältnis. Verfassungswidrige Gesetze können nicht dadurch verfassungskonform (gemacht) werden, dass sie es sein sollten. 6. Zum anderen werden Fragen von Inhalt und Geltung vermischt. Zwar enthält die Verfassung inhaltliche Vorgaben für die Gesetzgebung. Schon weil jede Rechtsetzung durch einen Willensakt erfolgt, determiniert der Inhalt der Verfassung den Inhalt des Gesetzes aber nicht. Die Verfassung stellt inhaltliche Vorgaben nur als Geltungsbedingungen auf. Und in einer Rechtsordnung mit Fehlerkalkül kann aus dem verfassungswidrigen Inhalt eines Gesetzes nicht einfach geschlossen werden, dass es nicht gültig sei. Die Rechtsordnung kann auch verfassungswidrige, gültige Gesetze enthalten. Ob diese anzuwenden, außer Anwendung zu lassen oder aufzuheben sind, bestimmt das nach dieser Rechtsordnung zuständige Organ. 7. Letztlich ist die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung als Versuch zu werten, Normkollisionen durch Interpretation aufzulösen. Dies kann aber nur durch inhaltliche Anpassung, also die Änderung von Rechtsnormen, geschehen. Die Änderung von Rechtsnormen ist nicht durch Auslegung zu erreichen, sondern bedarf eines Rechtsetzungsaktes. Zur Setzung einer Rechtsnorm, welche

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gesetzliche Regelungen derogiert, sind Fachgerichte und Verwaltungsbehörden aber nicht befugt. Der Gesetzgeber könnte ihnen höchstens gestatten, von ihnen für verfassungswidrig gehaltene Gesetze in weiterem Umfang als bisher nicht anzuwenden. Evident und schwerwiegend verfassungswidrige Gesetze sind schon jetzt außer Anwendung zu lassen. 8. Das Bundesverfassungsgericht verwendet die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung insbesondere, um die Verwerfung verfassungswidriger Gesetze zu vermeiden, also in den Verfahren der Normenkontrolle. Die erklärte Absicht, den Gesetzgeber und seine Erzeugnisse zu schonen, führt zu erheblichen methodischen und kompetentiellen Unschärfen und erweist sich gerade in der verfassungskonformen Neudeutung als grobe Kompetenzanmaßung zu Lasten der nun in der Tat signifikant schonungsbedürftigen Legislative. 9. Mangels Mehrdeutigkeit von Rechtsnormen ist es dem Bundesverfassungsgericht nicht möglich, ein Gesetz „in seiner verfassungsgemäßen Deutungsvariante“ mit dem Grundgesetz für vereinbar zu erklären. Ferner bedarf die sog. restriktive Auslegung bzw. teleologische Reduktion, bei der es sich vielmehr um eine qualitative Teilnichtigerklärung handelt, mit der das Bundesverfassungsgericht die Anwendung des Gesetzes auf bestimmte Fälle oder Fallkonstellationen als verfassungswidrig untersagt, noch der gesetzlichen Regelung, bevor sie zulässig sein kann. Dagegen könnte die verfassungskonforme Umdeutung eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht auch durch eine gesetzliche Regelung nicht legalisiert werden. Die Beschränkung des Bundesverfassungsgerichts gegenüber dem Gesetzgeber auf die repressive Normenkontrolle ist unverzichtbarer Bestandteil der Gewaltenteilung in einer parlamentarischen Demokratie. 10. Die sog. verfassungsorientierte Auslegung führt zu einer Doppelung der Einbeziehung von Verfassungsnormen bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen. Sie ist überflüssig und lediglich Ausdruck fehlerhafter Vorstellungen über die sog. Rechtsanwendung. Begriff wie Methode sind daher abzulehnen. 11. Mit der verfassungskonformen Rechtsfortbildung wird zumeist die Vorstellung verbunden, Gerichte – denn die Begriffe Rechtsfortbildung und Verwaltungsbehörde werden kaum jemals gemeinsam genannt – könnten auch ohne gesetzliche Grundlage tätig werden. Die Ermächtigung dafür soll sich in der Verfassung, insbesondere den Grundrechten, finden. Die Grundrechte ermächtigen aber nicht zu gerichtlicher Rechtsetzung. Sie sind Bestandteil des ermächtigenden Normenkomplexes höchstens insoweit, als sie der Rechtsetzung inhaltliche Grenzen ziehen. Eine Ausnahme könnte für grundrechtliche Schutzpflichten bestehen. Der Schutz eines Grundrechts bedeutet aber zumeist den Eingriff in ein anderes. Auf Grund des Gesetzesvorbehalts ist den Gerichten eine Berufung allein auf die Verfassung als Rechtsgrundlage damit verwehrt.

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12. Es bleibt grundsätzlich dabei, dass jede gerichtliche Rechtsetzung gesetzlicher Ermächtigung bedarf. Eine solche Ermächtigung wird nicht selten in den prozessualen Vorschriften gesehen, welche die „Fortbildung des Rechts“ benennen (vgl. nur § 132 Abs. 4 GVG). Eine Erwähnung ist aber noch keine Regelung. Die prozessualen Vorschriften selbst beschreiben weder Voraussetzungen noch Grenzen der sog. Rechtsfortbildung und sind daher nicht bestimmt genug, um als Rechtsgrundlage zu dienen. 13. Ebenso muss der Versuch scheitern, aus der Not eine Tugend und aus der Gesetzeslücke eine Ermächtigung zu machen. Der souveräne Durchgriff auf die Verfassung ist mit der Gesetzesbindung gerade nicht vereinbar. Auch ein Bezug auf den Justizgewährungsanspruch verhilft den Gerichten nicht zu der Über-Kompetenz, von ihnen als defizitär empfundene gesetzliche Regelungen zu „vervollkommnen“. Fehlt es an einer einschlägigen Gesetzesnorm, so ist eine abschlägige gerichtliche Entscheidung die zutreffend gezogene Konsequenz aus dem geltenden Recht. Um zulässig zu werden, bedarf die verfassungskonforme Rechtsfortbildung einer hinreichenden Ermächtigung durch den Gesetzgeber. IV. Nachdem die Phänomene der verfassungskonformen Auslegung entweder als grds. unzulässig verworfen oder auf Grund fehlender gesetzlicher Regelungen als derzeit nicht zulässig bewertet wurden, stellt sich die Frage, ob und welche Bedeutung das Grundgesetz überhaupt bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen haben kann. 1. Zunächst ist die Terminologie von Auslegung und Anwendung endgültig zu Gunsten der Begriffe Rechtserkenntnis und Rechtsetzung aufzugeben. Die Gründe dafür wurden ausführlich im zweiten Teil der Arbeit erläutert. Sodann ist festzustellen, dass der Prozess der sog. Rechtsanwendung auch die Herstellung des Sachverhaltes und die Entscheidung über die Anwendbarkeit der einschlägigen Rechtsnormen umfasst. Darauf kann im Rahmen dieser Arbeit aber nur kurz eingegangen werden. 2. Im Bereich der Meinungsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht seine Forderung der Verfassungsmäßigkeit auch auf die Herstellung des Sachverhaltes, konkret: die Deutung von Meinungsäußerungen, ausgedehnt. Hier übernimmt es sich völlig. Zwar mag ein gewisses Verfassungsverständnis als Vorverständnis auch die Konstruktion von Wirklichkeit steuern, dies kann das Bundesverfassungsgericht aber nicht rechtlich erzwingen. 3. Im Bereich der Rechtserkenntnis bleibt es bei der Forderung, dass die Methode ihrem Gegenstand adäquat sein muss. Die Indifferenz, die von Vertretern der Reinen Rechtslehre in dieser Frage an den Tag gelegt wird, muss daher erstaunen. Gesetze entspringen Willensbetätigungen des Gesetzgebers, welcher diese mit Hilfe des Normtextes kommuniziert. Konsequent ist Gegenstand der Auslegung die Norm und nicht der Normtext, und Auslegungsziel die Ermittlung des gesetz-

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geberischen Willens. Methodische Folge der rechtstheoretischen Prämissen ist die Entscheidung für die sog. subjektiv-historische Auslegung als Methode der Gesetzesinterpretation. 4. Die subjektiv-historische Auslegung wird breit kritisiert und kaum vertreten. Allerdings läuft die Kritik vielfach auf eine Ablehnung der in Art. 20 Abs. 3 GG statuierten Gesetzesbindung hinaus. Wird methodologische Kritik erhoben, beruht sie nicht selten auf fehlerhaften Vorstellungen. Die subjektiv-historische Auslegung macht aber Gerichte nicht zu Subsumtionsautomaten, das Rechtssystem wird nicht statisch, die Materialien werden nicht mit dem Gesetz verwechselt und es zieht auch kein Methodenmonismus ein. 5. Steht der Wille des Gesetzgebers als zu erkennende Gegebenheit im Vordergrund, kommt der Verfassung bei der Auslegung als der Ermittlung dieses Willens keine Bedeutung zu. Denn Erkenntnisziel der Auslegung muss sein, welchen Inhalt ein Gesetz hat, und nicht, welchen Inhalt es von Verfassungs wegen haben sollte. In Zweifelsfällen und wenn keines der Auslegungsmittel dagegen spricht, kann eine widerlegliche Tatsachenvermutung zu Gunsten der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes angenommen werden. Es muss aber immer der tatsächliche Wille des Gesetzgebers ermittelt werden, nicht irgendein verfassungsmäßiger. Eine Normativierung der Rechtserkenntnis beispielsweise durch die verfassungskonforme Inhaltsbestimmung, bei der die Verfassung als „Erkenntnismittel“ genutzt werden soll, ist aufzugeben. 6. Die Verfassung gewinnt Bedeutung für die Frage, ob das ermittelte Gesetz anwendbar ist. Die Fachgerichte müssen formelle nachkonstitutionelle Gesetze nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegen, wenn sie sie für verfassungswidrig halten. Im Übrigen sind Gesetze außer Anwendung zu lassen, wenn sie evident und schwerwiegend verfassungswidrig sind. 7. Ist der ermächtigende Normenkomplex aus Verfassungs- und Gesetzesnormen zutreffend ermittelt, kann auf dieser Grundlage und in diesem Rahmen eine individuelle Rechtsnorm gesetzt werden. Weil aber die individuelle Norm aus den abstrakt-generellen Normen nicht logisch abgeleitet werden kann, gibt es einen Freiraum im Bereich der individuellen Rechtsetzung wie bei jeder sog. Rechtsanwendung. Dieser Freiraum kann nicht mehr nach rechtlichen Vorgaben gefüllt werden. Auch die individuelle Rechtsetzung enthält damit ein politisches Moment – schon weil ein Willensakt der Rechtsetzer / innen die Bedingung der Geltung jeder Rechtsnorm ist. 8. Obwohl die jeweiligen Rechtsetzer / innen sich auch aus Verfassungsgründen für eine bestimmte Ausfüllung des Freiraums entscheiden können, ist dieser nicht durch Verfassungsnormen einfach eliminierbar. Selbst das Postulat der Rechtsanwendungsgleichheit und die damit verbundenen kreativen Ausdeutungen des Gleichheitssatzes ändern nichts daran, dass es einen Freiraum gibt, in

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dem Rechtsetzer / innen politisch entscheiden. Eine gewisse Einheitlichkeit in der Rechtsprechung sowie im Verwaltungshandeln wird durch andere Mechanismen gewährleistet. 9. Das Bundesverfassungsgericht prüft in der Individualverfassungsbeschwerde nach, ob die Gerichte und ggf. Verwaltungsbehörden bei der individuellen Rechtsetzung die sie bindenden Verfassungsnormen und insbesondere Grundrechte beachtet haben. Die Gefahr, dass eine solche individuelle Normenkontrolle die Unterscheidbarkeit von Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit aufhebt, ist durch die verfassungskonforme Auslegung Normalität geworden. Sie ist aber auch bei einer Ablehnung ihrer Phänomene nicht gänzlich gebannt. Insbesondere bei der Frage, ob der Gesetzesvorbehalt hinreichend beachtet wurde, kann die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit nur zu schnell in eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der individuellen Rechtsetzung umschlagen. Es gibt nicht wenige Vorschläge, wie diesem Problem begegnet werden kann, von denen insbesondere der Verweis auf die Schumannsche Formel überzeugt. Daneben besteht eine klare Grenze verfassungsgerichtlicher Kontrolle: Der nicht-determinierte Entscheidungsanteil innerhalb des Freiraums kann nicht rechtlich – auch nicht verfassungsrechtlich anhand einer sog. Willkürformel – überprüft werden. 10. Der Freiraum und das politische Moment der individuellen Rechtsetzung stellen ebenso wie die Vorstellung von Rechtsetzung durch die sog. Rechtsanwender / innen überhaupt eine nicht unerhebliche Herausforderung für die Rechtswissenschaft dar. Nur zögerlich nähern sich die juristischen Methodenlehren, die traditionell an einer als unpolitisch beschworenen Rechtsprechung orientiert sind, diesem Bereich „jenseits des Rechts“. Wünschenswert wäre eine Rechtsgewinnungslehre, die sich mit den Rechtsetzungsprozessen und damit dem Zusammenspiel von Recht und Politik auf allen Ebenen des Rechtssystems befasst. Für den Bereich der individuellen Rechtsetzung könnte eine solche Rechtsgewinnungstheorie auf vielfältige Argumentationen und Institute der juristischen Methodenlehren zurückgreifen.

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Sachwortverzeichnis Abschaffung der verfassungskonformen Auslegung 19, 100 Fn. 401 Abwägung 96, 193 Fn. 30, 251 Fn. 275, 253, 305 Fn. 176 Abwehrrechte, Grundrechte als 92, 252 f. Akzeptanz 42 f., 48, 158 Fn. 99, 206 Fn. 89, 243, 304 Fn. 169 Analogie 44, 46, 47, 115 f., 139 Fn. 8, 233 Fn. 199, 251 Fn. 275 Änderung der Gesetzeslage 110 Änderung von Gesetzen 54, 110, 126 f., 132, 158, 167 f., 181, 194 f., 211 f., 223 ff., 226, 231 ff., 234 ff., 236, 241 ff., 244 ff. Änderung von Rechtsnormen 83 Fn. 315, 158, 167 f., 170, 181, 194 f., 194 Fn. 36, 217 f., 223 Fn. 160, 226, 231 ff., 294, 313 Andeutungstheorie 127 f., 277 Anfechtbarkeit 187 f. Anmeldepflicht für Versammlungen 95 f., 242 f. Anti-Parlamentarismus 282 ff. Anwendbarkeit 228 ff., 301 f. Anwendungsausschluss, verfassungskonforme Auslegung als 238 ff., 301 Arbeitserleichterung für das BVerfG 62, 208 Fn. 94 arbeitsteiliges System, Rechtsordnung als 176, 180 ff., 218, 305 Fn. 175 Arbeitsteilung in der Rechtserzeugung 176, 280, 282 Fn. 64 Arbeitsteilung in der Rechtswissenschaft 161 Fn. 120 Arbeitsteilung in der Verfassungskonkretisierung 107 ff. Argumentationstheorien 39 f., 320 Ausdifferenzierung der Rechtsordnung 81 Fn. 303, 180 ff., 218

Ausgleich zur Normenkontrolle, verfassungskonforme Auslegung als 80 f. Auslegung 26 ff., 70 ff., 101 ff., 104 ff., 172 ff., 214 ff., 222 ff., 231 ff., 275 ff. Auslegung, grammatikalische 26 f., 27 Fn. 18, 288, 291 Auslegung, historische 27 f., 276 ff., 291 Auslegung, systematische 27, 29 f., 291 Auslegung, systematisierende 63 f., 84 Fn. 321, 85 f., 231 Fn. 189 Auslegung, teleologische 27 f., 29 f.,122 Fn. 518, 125, 225 Fn. 170, 231 Fn. 189, 288, 292 Fn. 112 Auslegung, unbegrenzte 113 ff., 248 Fn. 260 Auslegung, verfassungsorientierte 35 ff., 247 ff. Auslegung als Grundrechtsverletzung 71, 95 f. Auslegung und Rechtsfortbildung 26, 36 f., 44 ff., 47, 64, 118, 124, 130 Fn. 569, 134, 171 ff., 239 Fn. 218, 279 Fn. 50, 292 ff. Auslegung von Gesetzen 26 ff., 68 f., 70 ff., 104 ff., 172 ff., 214 ff., 222 ff., 231 ff., 288 ff. Auslegungslehre 26 ff., 276 f. Auslegungsziel 30 f., 137 ff., 277 ff., 288 f. Ausschluss der konkreten Normenkontrolle 61 ff., 113 authentische Verfassungsinterpretation 201, 300, 308 Fn. 191, 327 autopoietisches System, Rechtsordnung als 170, 223, 232 Fn. 192 Autorität des Gesetzgebers 52, 79 f., 96, 109 ff., 128 f. Autorität und Tradition 40 ff., 72 f.

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Sachwortverzeichnis

autoritative Verfassungsinterpretation 201, 300 Autoritätsverluste der Verfassung 108 Fn. 444 Bedeutungskern 59 Bedingtheit, rechtliche 295 Befugnis der Behörden zur verfassungskonformen Auslegung 66 ff. Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungskonformen Auslegung 68 f. Befugnis der Fachgerichte zur verfassungskonformen Auslegung 64 f. Begriffsjurisprudenz 44, 119, 162 Fn. 126, 200 Fn. 64, 290 Fn. 103 Begriffsrealismus 123 Begründung der verfassungskonformen Auslegung 69 ff. Begründung juristischer Methoden 70 ff. Begründung von Entscheidungen 316 ff. berufswidrige Werbung 105 Bestandsaufnahme, kritische 23 ff. Bestandskraft von Verwaltungsakten 186 f. Bestimmtheitsgebot 96, 119, 240, 293 f. Binärcodierung 327 Fn. 279 Bindungswirkung (verfassungs)gerichtlicher Entscheidungen 104 ff., 200 f., 314 f. Bindungswirkungen von Gesetzesauslegungen 101 ff., 299 f. black box 303 Blankett, Gesetz als 76 f., 238 Bundesverfassungsgericht, seine Befugnis zur verfassungskonformen Auslegung 68 f. Bundesverfassungsgerichtsgesetz 99 f., 206, 300 Canones der Auslegung 20, 26 ff., 72 f., 134 Fn. 588, 292 Fn. 111 contra legem 29 Fn. 29, 45, 113 ff., 114 Fn. 269, 115 Fn. 475, 134 Fn. 591, 214 Fn. 117, 280 Fn. 56

Darstellung 42 f., 219, 316 ff. deklaratorische verfassungsgerichtliche Entscheidungen 203 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 65, 175 f., 248 Fn. 260, 256 Fn. 300 Demokratie 93 f., 284 f., 289, 305 demokratische Legitimation der Rechtsprechung 173, 255 f., 282 Fn. 64, 287 Fn. 89, 310 demokratisches Misstrauen 74 Derogation 147, 158, 167 f., 170, 188 Fn. 9, 196, 200 ff., 232 deskriptive Rechtstheorie 143 ff. Determination, inhaltliche 92, 112, 166, 180 f., 183 Fn. 231, 227, 295, 305 f., 309 Deutungsbindung statt Gesetzesbindung 62, 92 Deutungsmöglichkeit, Reduktion auf eine 32 f., 56 ff., 61 f., 80, 91 f., 104 ff., 111, 129 ff., 207 ff., 210, 211 f. Deutungsschema, Ermächtigungsnorm als 149 ff., 154, 162 f., 215, 227, 262 f., 286 Deutungsverwerfung 57 f., 62 f., 100, 104 Differenzierung von Auslegungsmittel und Auslegungsziel 30 f., 216, 278, 288 ff. Diskurs 31 Fn. 41, 43, 122, 161, 288 Fn. 90, 320 Diskurs- und Konsenstheorien 43 distinguishing 326 Diversität der Auslegungsergebnisse 32 Doppelbindung an Gesetz und Verfassung 90 ff. doppelter Stufenbau 166 ff., 169 doppeltes Rechtsantlitz 165 f. Doppelung von Verfassungsvorgaben 248 f. Drittwirkung der Grundrechte, mittelbare 35 Fn. 66, 87 Fn. 343, 140 Dualismus von Sein und Sollen 144 Durchgriff auf die Verfassung 98 Fn. 392 dynamischer Charakter der Rechtsordnung 180 ff., 218 Eilversammlung 95, 242 f.

Sachwortverzeichnis Eindeutigkeit des Gesetzes 124 f. Eindeutigkeit des Wortlauts 120 Einheit der Rechtsordnung 32, 82 ff., 168 ff. Einheitlichkeit der Rechtsanwendung 67 Einheitlichkeit der Rechtsprechung 312 ff. Elemente der Auslegung 26 ff. Elfes-Entscheidung 323 Emotionalität 19 Entscheidungsfähigkeit der Rechtsanwender / innen 80 ff., 96 ff., 185 Erkenntnismittel, Verfassung als 23, 90 ff., 236, 238, 294 f. Erkenntnistheorie 37 Ermächtigungsgrundlage, gesetzliche 80 f., 250, 257 ff. Ermächtigungsnormen 148 ff. Ermessen 67, 142, 181 f., 245, 256 Fn. 302, 259 Fn. 319, 304 ff., 309, 310 Fn. 202 Ersatzgesetzgeber, Bundesverfassungsgericht als 110, 236, 246 f. Erscheinungsformen der verfassungskonformen Auslegung 24 ff. Ersetzung der Normenkontrolle 60, 113 Erzeugungszusammenhang 151, 279 Euthanasie der Rechtsphilosophie 160 Fn. 117 Evidenz 53 Fn. 164, 79, 189 f., 196 Fn. 45, 210, 229 f., 233 ff., 281, 291 Fachgerichte, ihre Befugnis zur verfassungskonformen Auslegung 64 f. Fahrtüchtigkeit trotz Drogennachweis 105 Familienleistungsausgleich 105 favor legis 78 ff., 115 Fn. 474, 324 Fn. 263 Fehlerfolgen 185 ff. fehlerhafte Normenkontrollentscheidung 200 ff. Fehlerkalkül 168 ff., 234 ff. Fehlerkalkül, verfassungskonforme Auslegung als 185 ff. Fehlschlüsse 227 ff. Fehlurteile 189 Fn. 12 feministische Rechtswissenschaft 280

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Folgenorientierung 320 Formargument 290 f. Fortschrittsromantik 281 Freiheit 151, 159 Freiraum, gewillkürter 305 f. Freiraum in der sog. Rechtsanwendung 67, 181 f., 249, 304 ff. Freiraum, struktureller 304 ff. Freirechtsschule 178 Fn. 209 funktionell-rechtliche Begrenzung der verfassungskonformen Auslegung 115 f., 126 ff. funktionell-rechtlicher Ansatz 102 f. funktionelle Richtigkeit 103 Funktionsbereiche der Staatsgewalten 256 f., 261 f. Funktionsverlagerung 267 Fn. 359 Gegenstand der Normenkontrolle 59, 110 Gegenstand der Rechtserkenntnis 178 ff., 214 ff. Gegenstand der Rechtswissenschaft 136 ff., 161 Geldwäsche durch Strafverteidiger 105 Geltung 149 ff. Geltung und Wirksamkeit 157 ff. Geltungsbegriff, dreigliedriger 156 Generalklauseln 36, 44, 119 Fn. 502, 305 Fn. 176 Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe 25, 36, 65, 247 ff. generell-abstrakte Regelung 161 ff., 177 f., 218 ff., 249, 306, 309 Gerechtigkeit 86, 160 Fn. 117, 161, 183 Fn. 232, 265 Fn. 352, 309 Fn. 199, 311 Fn. 205, 319 f., 326 Fn. 277, 327 f. Gesamtrechtsordnung, Interpretation der 226 ff. Geschlossenheit der Rechtsordnung 264 ff. Gesellschaftsbezogenheit juristischer Tätigkeit 38 f. Gesetzesänderung 54, 110, 126 f., 132, 158, 167 f., 181, 194 f., 211 f., 223 ff., 226, 231 ff., 234 ff., 236, 241 ff., 244 ff.

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Sachwortverzeichnis

Gesetzesauslegung 26 ff., 68 f., 70 ff., 104 ff., 172 ff., 214 ff., 222 ff., 231 ff., 288 ff. Gesetzesauslegungen, Bindungswirkungen von 101 ff., 104 ff., 299 f. Gesetzesauslegung durch das Bundesverfassungsgericht 68 f., 104 ff. Gesetzesauslegung durch die Fachgerichte 101 ff. Gesetzesbindung 90 ff., 98, 108 ff., 124, 129, 179 f., 183, 225 f., 229 f., 235 f., 255 f., 279, 285 ff. Gesetzeskorrektur 110 f., 113 ff., 130, 241 ff., 324 Gesetzeskraft verfassungsgerichtlicher Entscheidungen 202, 236, 244 Gesetzeslücke 45 ff., 82 ff., 97 f., 264 ff., 267 Fn. 358 Gesetzesmaterialien 290 f. Gesetzesmediatisierung der Schutzpflichten 252 Gesetzessinn 124 ff. Gesetzesvorbehalt 90, 134, 251 ff., 322 ff. Gesetzeswandel 217 f., 233 Gesetzeszweck 124 ff. Gesetzgeber, Autorität des 52, 79 f., 96, 109 ff., 128 f. Gesetzgeber, Betreuung des 128 f. Gesetzgeber, Missachtung des 282 ff. Gesetzgeber, mutmaßlicher Wille des 292 f. Gesetzgeber, Versehen des 128 f. Gesetzgeber, Wille des 113 ff., 126 ff., 215 ff., 246 Fn. 255, 277 f., 288 ff. gesetzgeberischer Wille, Maximum des 46 Fn. 129, 110, 129 ff., 242 Fn. 231 gesetzgeberisches Unterlassen 47 Fn. 136, 265 Gesetzgebungskritik 283 f. Gesetzgebungslehre 317 Gesetzmäßigkeitsprinzip 51, 67, 142, 298 f., 322 ff. Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers 48 Fn. 139, 55, 204 f., 212, 241 Fn. 231, 245 ff., 254

Gewaltenteilung 75, 78 f., 81, 100, 113 Fn. 468, 133 f., 175, 211, 244 ff., 262 Fn. 337, 262 Fn. 356, 305 Fn. 176 Gewohnheitsrecht 152 f., 155, 158 Fn. 103, 260, 262 ff. Gleichheitsgebot 310 ff., 314 ff. grammatikalische Auslegung 26 f., 27 Fn. 18, 288, 291 Grenzen der verfassungskonformen Auslegung 117 ff. Grenzfunktion des Wortlauts, negative 121 Grundnorm, hypothetische 151 Grundnorm als Fiktion 151 Grundrechte als Abwehrrechte 92, 252 f. grundrechtliche Schutzpflichten 250 ff. Grundrechtsfunktionen 94, 247 Fn. 258 Grundrechtsgefährdung durch verfassungskonforme Auslegung 95 f. Grundrechtskollisionen 251 ff. grundrechtskonforme Auslegung 93 f. Grundrechtsschutz durch verfassungskonforme Auslegung 93 ff. Grundrechtsverletzung, Auslegung als 71, 95 f. Grundrechtsverletzung durch Unterlassen verfassungskonformer Auslegung 93 ff. Gültigkeitskontrolle nach § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG 54, 61 Fn. 207, 230, 302 Hecksche Formel 102, 323 Fn. 262 Heilungsvorschriften 193 f. Herausforderungen der Methodenlehre 37 ff. Hermeneutik 37, 287 Fn. 89 Herstellung der Einheit der Rechtsordnung 84 ff. Herstellung des Sachverhaltes 271 ff. Herstellung und Darstellung 42 f. Herstellung statt Feststellung der Verfassungsmäßigkeit 60, 231 ff., 241 ff. historische Auslegung 27 f., 276 ff., 291 hoheitlicher Charakter der Rechtsprechung 252 Fn. 280

Sachwortverzeichnis hypothetische Grundnorm 151 Indifferenz, methodologische 277 Induktion 44 inhaltliche Determination 92, 112, 166, 180 f., 183 Fn. 231, 227, 295, 305 f., 309 inhaltliche Wirkung der Verfassung 77, 88 ff., 238 Inhaltsbestimmung, verfassungskonforme 88 ff., 106 f., 222 ff. Interpretationstheorie 26 ff., 276 f. ipso-iure-Nichtigkeit 196, 198 ff. irreversible Auslegung von Landesrecht 300 Isolation der verfassungskonformen Auslegung 20 Jenseits des Rechts 319 f. judicial self-restraint 78 f., 211 Judiz 26 Fn. 11, 303 Jurisdiktionsstaat 78, 80 Fn. 301, 112 Fn. 459, 140 Fn. 16, 265 Fn. 351 juristische Methodenlehren 20, 37 ff., 72 f., 83 ff., 136 ff., 161 Fn. 121, 170 f., 249, 271, 282 Fn. 65, 286, 317 ff., 319 f. Justizgewährungsanspruch 96 ff., 257, 292 ff. Justizsyllogismus 219 f., 307, 310 Fn. 200 Kandidaten, positive, negative und neutrale 121 f. Klassenjustiz 37 Fn. 74, 311 Fn. 205 Klonverfahren, juristisches 231 klügeres Gesetz 223 ff. Kodifikationsidee 44 Kollisionsregeln 87, 158, 167, 231 f. Kombinationstheorie 31, 138 Kommunikationsgrundrechte 272 ff. kommunikatives Hilfsmittel, Normtext als 123, 216, 221, 277 f., 291 Kompatibilisierung durch Interpretation 231 ff. Kompetenz und Methode 44 f., 57 f., 63 ff., 87, 97 f., 100 ff., 110 Fn. 448, 128, 181

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Fn. 222, 235 Fn. 208, 244 f., 253 Fn. 286, 257, 266 Fn. 355, 270, 279 Fn. 50 Kompetenz zur verfassungskonformen Auslegung 63 ff. Kompetenzordnung 100 Konformisierung 134 Fn. 591, 212, 223 ff., 234 Konformitätsprinzip, allgemeines 34 ff. Konformitätsprinzip, erkenntnisleitendes 35 ff. Konformitätsprinzip, normerhaltendes 35 konkrete Funktionsweise der verfassungskonformen Auslegung 99 konkrete Normenkontrolle 51 ff., 61 ff., 108 f., 198 f., 207 ff., 300 konkrete Normenkontrolle, Ausschluss der 61 ff., 113 Konkretisierung 178 ff. Konkretisierung der Verfassung 30, 47, 77 f., 107 ff., 113 f., 129, 235, 255 Konkretisierungsprozess, gestufter 107 ff. konkurrierende Auslegungen 104 ff., 109 ff., 299 f. Konstitutionalisierung der Rechtsordnung 102 ff., 141 Fn. 22 konstitutive verfassungsgerichtliche Entscheidungen 203 Kontinuität des Methodenkanons 27, 72 f. Kriterien individueller Rechtsetzung 320 Kunst der Auslegung 26 Fn. 11 Landesrecht, irreversible Auslegung von 300 lebendes Recht 79, 138, 217 f., 223 ff., 261 Fn. 330 legislativer Primat 108, 109 Fn. 446, 116, 255 Legitimation der verfassungskonformen Auslegung 69 ff. Legitimität durch Akzeptanz 42 letzte Instanz 328 lex-posterior-Regel 53, 158, 167, 200, 232, 244

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Sachwortverzeichnis

logische Ableitung 177 f., 182, 219 f., 220 Fn. 153, 231 f., 267 Fn. 358, 303, 307 Lücke im Gesetz 45 ff., 82 ff., 97 f., 264 ff., 267 Fn. 358 Lückenlosigkeit des Rechtssystems 86, 264 ff. Lüth-Urteil 102, 296 Fn. 130 Macht und Recht 148, 155 f., 160 Fn. 116, 234 ff., 253 ff., 280 ff., 283 Fn. 71, 317 Fn. 226 Machtverschiebungen 76, 77 Fn. 281, 107, 109 f., 117, 128, 160 Fn. 116, 178 Fn. 209, 234 Fn. 205, 244 ff., 267 Fn. 359, 282 ff. Makulatur, Bibliotheken werden zu 83, 261, 284 Maximum des gesetzgeberischen Willens 46 Fn. 129, 110, 129 ff., 242 Fn. 231 Mehrdeutigkeit 62, 64 f., 106, 120 ff., 213, 228, 273 ff., 300 Fn. 152 mehrstufige Methode 31 Meinungsäußerung 273 ff. Meinungsfreiheit 273 ff. Metanorm, Verfassung als 34 Methode und Kompetenz 44 f., 57 f., 63 ff., 87, 97 f., 100 ff., 110 Fn. 448, 128, 181 Fn. 222, 235 Fn. 208, 244 f., 253 Fn. 286, 257, 266 Fn. 355, 270, 279 Fn. 50 Methodendiversität 32, 126 Methodenkanon, klassischer 26 ff. Methodenlehren, juristische 20, 37 ff., 72 f., 83 ff., 136 ff., 161 Fn. 121, 170 f., 249, 271, 282 Fn. 65, 286, 317 ff., 319 f. Methodenmonismus 33, 117 Fn. 487, 291 Methodenstreit 31, 125, 137 ff., 145 Fn. 33, 276 ff., 282 Methodensynkretismus 156, 157 Fn. 102, 161 Minderheitenschutz 93 f. mittelbare Drittwirkung der Grundrechte 35 Fn. 66, 87 Fn. 343, 140 Moral und Recht 145 ff., 159 f., 160 Fn. 116, 265, 281 f., 327 f.

Nationalsozialismus 160 Fn. 119, 248, 281 Naturrecht 148, 151, 157 Fn. 102, 210 Fn. 104, 266 Fn. 352, 327 Fn. 282 Nebenstrafrecht 96 Neudeutung, verfassungskonforme 241 ff. Nichtanwendung von Gesetzen 52 ff., 233 f., 238 ff., 301 f. Nichtidentität von Norm und Normtext 111, 131, 214 ff., 221 Nichtigerklärung 79 ff., 86, 95 f., 110 f., 117 Fn. 489, 195 ff., 243 f. Nichtigerklärung, Vermeidung der 111 f., 195 ff. Nichtigerklärung ohne Normtextreduzierung 56, 239 f. Nichtigkeit von Urteilen 189 f. Nichtigkeitsdogma 192, 195 ff. Nichtigkeitsklage 189 f. Norm und Normtext, Nichtidentität von 111, 131, 214 ff., 221 normative Ermächtigungslehre 309 Fn. 199 normativer Gehalt 59, 126 ff., 241, 324 Normativität 131 Fn. 574, 144 ff., 150 f., 155 ff., 159, 206 Fn. 89, 215, 221, 286 f., 289 Normativität des Faktischen 145, 156 Fn. 97, 157, 158 Fn. 104, 263 Fn. 340 Normativität semantischer Regeln 122 Normdeutung, nur eine richtige 217 f. Normebenen, Verhältnis zwischen 34, 89, 165 ff. Normenkonflikte 29 f., 87, 168 ff., 222 ff., 231 ff. Normenkontrolle 49 ff., 54 ff., 195 ff., 206 ff., 236 ff., 244 ff. Normenkontrolle, Beschränkung der 207 ff., 209 ff. Normenkontrolle, Ersetzung durch verfassungskonforme Auslegung 60, 113 Normenkontrolle, Gegenstand der 59, 110 Normenkontrolle, konkrete 51 ff., 61 ff., 108 f., 198 f., 207 ff., 300

Sachwortverzeichnis Normenkontrolle, repressive 80 f., 185, 236 ff., 244 ff. Normenkontrolle und verfassungskonforme Auslegung 49 ff., 54 ff., 80 f. Normenkontrollentscheidung, fehlerhafte 200 ff. Normenkontrollentscheidung, Tenorierungen der 55 ff., 197, 203 ff., 237 ff. Normerhalt 78 ff., 93, 95 f., 96 ff., 131, 185 ff., 240 normerhaltendes Prinzip, verfassungskonforme Auslegung als 79, 96 ff., 185 ff. Normerhaltungsinteresse des Gesetzgebers 74 Normkollisionen 29 f., 87, 168 ff., 222 ff., 231 ff. Normmanipulierung, Tendenz zur 118 Normtext 111 f., 119 ff., 214 ff., 232, 276 ff. Normtext als kommunikatives Hilfsmittel 123, 216, 221, 277 f., 291 Normtext als Zeichenfolge 131 Fn. 574, 215 Normtexterhalt 131, 225 Fn. 169 Objektiv-teleologische Auslegung 31 Fn. 39, 123 Fn. 527, 288, 292 objektive Auslegungstheorie 31, 79, 107 Fn. 438, 114 Fn. 470, 123, 134 Fn. 590, 138, 215 Fn. 122, 224 ff., 278, 285 Fn. 78, 288 Fn. 94, 292 objektive versus subjektive Theorie 31 ff., 137 ff., 276 ff. objektivierter Wille des Gesetzes 31, 125, 138 objektivierter Wille des Gesetzgebers 32 Parallelwertung in der Laiensphäre 119 Persönlichkeitsrecht 87 Fn. 343, 115, 252 Phänomene der verfassungskonformen Auslegung 24 ff., 48 f. Planerhaltung 192 Politik und Recht 28 Fn. 22, 72, 112, 133, 159, 163, 182, 213, 267 Fn. 358, 281, 283, 310 Fn. 200, 317 Fn. 226, 317 ff.

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Politik und Rechtswissenschaft 120 Fn. 505, 161 Fn. 120, 248 Fn. 261, 285 Fn. 76, 286, 318 Fn. 230, 319 f. politische Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht 326 ff. politischer Richter 164 Fn. 138, 310 Fn. 200, 317 Fn. 224, 318 politisches Element der sog. Rechtsanwendung 112, 133, 182, 213, 310, 316 ff. positivrechtliche Normierung 192 f. positivrechtliche Normierung der verfassungskonformen Auslegung 98 ff. Präjudizienbindung 152 f., 154 Fn. 93, 213 Fn. 114, 312 ff. praktische Konkordanz 245 Fn. 248, 253 Prärogative des Gesetzgebers 78 präsumptio facti 74, 77, 295 primäre und sekundäre Normen 147 f. Primat, legislativer 108, 109 Fn. 446, 116, 255 Primat der Verfassungsmäßigkeit 243 Prinzipien 25, 30, 36 Fn. 93, 44 Fn. 116, 45 f., 75, 94 ff., 127 Fn. 548, 152, 193 Fn. 30, 260 Fn. 326, 266 Fn. 355 progressive Methode 31 Prüfungsmaßstab, verfassungsgerichtlicher 102, 133 f., 211 Fn. 106, 212, 245, 274 f., 295 ff., 322 ff. Prüfungsrecht 229 Prüfungsrecht, richterliches 50 f., 195 f., 199 Qualitative Teilnichtigerklärung 54 ff., 110 Fn. 448, 114, 239 f. qualitative Teilnichtigerklärung und verfassungskonforme Auslegung 56 ff. Radbruchsche Formel 146 Fn. 41, 160 Fn. 119 Rahmen, Rechtsnormen als 142 Fn. 24, 184, 213 Fn. 112, 220 f., 229, 253, 277, 279, 285, 305 ff., 312 Fn. 206, 322 ff. Rahmenordnung, Verfassung als 102, 309 Fn. 194

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Sachwortverzeichnis

Rangfolge der Auslegungsmittel 32 ff. rangkonforme Auslegung 34 Rationalität juristischer Entscheidungen 38 ff. Recht und Gesetz 90 Fn. 358 rechtliche Bedingtheit 295 Rechtsänderung 83 Fn. 315, 158, 167 f., 170, 181, 194 f., 194 Fn. 36, 217 f., 223 Fn. 160, 226, 231 ff., 294, 313 Rechtsanwender / innen, Entscheidungsfähigkeit der 80 ff., 96 ff., 185 Rechtsanwendung 171 ff., 174 ff., 302 ff. Rechtsanwendung, politisches Element der 112, 133, 182, 213, 310, 316 ff. Rechtsanwendung, schöpferisches Element der 178 ff., 182 f. Rechtsanwendungsgleichheit 310 ff. Rechtsdogmatik 155 Rechtsdogmatik als Rechtsquelle 153, 155, 266 Fn. 355 Rechtserhaltung 186 ff. Rechtserkenntnis 26 ff., 70 ff., 101 ff., 104 ff., 172 ff., 214 ff., 222 ff., 231 ff., 275 ff. Rechtsetzer / innen, Willensakt der 149 Fn. 59, 158 Fn. 103, 182 Fn. 224, 214 Fn. 116, 217 f., 220 f., 226, 277, 305 ff. Rechtsetzung 174 ff., 250 ff., 302 ff. Rechtsetzung, gerichtliche 250 ff. Rechtsetzung, individuelle 302 ff. Rechtsetzungsbefugnisse, Delegation von 65, 175 f., 248 Fn. 260, 256 Fn. 300 Rechtsfortbildung 44 ff., 182 f., 206, 257 ff. Rechtsfortbildung, Befugnis von Behörden zur 67 f., 282 Fn. 65 Rechtsfortbildung, verfassungskonforme 47 f., 96 ff., 250 ff. Rechtsfortbildung, verfassungskonforme Auslegung als 36 f., 44 ff. Rechtsfortbildung, Volksempfinden als Maßstab der 259 Fn. 317 Rechtsfortbildung contra legem 45, 114 Fn. 469, 322 Fn. 254

Rechtsfortbildung und Auslegung 26, 36 f., 44 ff., 47, 64, 118, 124, 130 Fn. 569, 134, 171 ff., 239 Fn. 218, 279 Fn. 50, 292 ff. Rechtsfortbildungsvorlage 258 ff. Rechtsgebiete und verfassungskonforme Auslegung 139 ff. Rechtsgeschäft 187 f. Rechtsgewinnungstheorie, einaktige 179, 249, 302 Rechtsgewinnungstheorie, zweiaktige 171 ff., 180 ff., 302 Rechtsgewinnungstheorie als Desiderat 176, 328 Rechtsklarheit 111 Rechtskraft 188 ff. Rechtsmittel 63, 154, 188 ff. Rechtsnormen 144 ff., 161 ff., 176 Rechtsnormen, generelle und individuelle 161 ff. Rechtsordnung, dynamischer Charakter der 180 ff., 218 Rechtsordnung, Geschlossenheit der 264 ff. Rechtsordnung, statische 180 f., 217 f., 278 ff. Rechtsordnung als arbeitsteiliges System 176, 180 ff., 218, 305 Fn. 175 Rechtsordnung als autopoietisches System 170, 223, 232 Fn. 192 Rechtsordnung als selbstreferentielles System 170 Rechtspolitik 267 Fn. 358 Rechtspolitik und Rechtswissenschaft 120 Fn. 505, 161 Fn. 120, 248 Fn. 261, 285 Fn. 76, 286, 318 Fn. 230, 317 ff., 319 f. Rechtspositivismus 148, 306 Fn. 180 Rechtspraxis 18, 40 f., 40 Fn. 95, 47, 72, 84, 136 Fn. 1, 155, 170 f., 203 Fn. 77, 291 Fn. 106, 304, 316, 320 Rechtsprechung, demokratische Legitimation der 173, 255 f., 282 Fn. 64, 287 Fn. 89, 310

Sachwortverzeichnis Rechtsprechung, Unabhängigkeit der 312 ff. Rechtsprechung, Wertschätzung der 283 f. Rechtsproduktion 318 Rechtsquelle, Rechtsdogmatik als 153, 155, 266 Fn. 355 Rechtsquellenlehre 152 ff. Rechtsschutz 71 Fn. 251, 92 f., 96, 103 Fn. 418, 115, 316 Fn. 221, 321 Rechtssoziologie 38, 161 Fn. 123 Rechtssystem 164 ff. rechtstheoretische Grundlegungen 136 ff. Rechtsvakuum 55 Rechtsverweigerungsverbot 96 f., 266 f. Rechtswandel 158, 167 f., 181 Fn. 222, 217 f., 223 ff., 224 Fn. 167 Rechtswissenschaft und Rechtspolitik 120 Fn. 505, 161 Fn. 120, 248 Fn. 261, 285 Fn. 76, 286, 318 Fn. 230, 317 ff., 319 f. Redaktionsfehler 119, 129 Reduktion, teleologische 46, 58 Fn. 193, 129 ff., 130 Fn. 569, 201 Fn. 70, 233 Fn. 199, 238, 240 Reduktion auf eine Deutungsmöglichkeit 32 f., 56 ff., 61 f., 80, 91 f., 104 ff., 111, 129 ff., 207 ff., 210, 211 f. Reduktion der konkreten Normenkontrolle 207 ff., 209 ff. Reduktionismus, methodologischer 40 Fn. 94 Reform der Juristenausbildung 38 Regelungslücke 96 ff. Reihenfolge der Auslegungsmittel 31 f. Reine Rechtslehre 142 ff., 276, 319 Relativierung der Wortlautgrenze 123 f. repressive Normenkontrolle 80 f., 185, 236 ff., 244 ff. Respekt vor dem Gesetzgeber 79 f., 128 ff. Restbestand der Norm 130 Rezeptionslücken der deutschen Rechtstheorie 38 Richterkönigtum 257, 283

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richterliches Prüfungsrecht 50 f., 195 f., 199 Richterrecht 80 f., 153, 154 Fn. 93, 156, 172 Fn. 173, 179 Fn. 214, 181, 182 f., 250, 255 f., 280 Fn. 56, 286 f., 312 f. Richtersoziologie 37 Fn. 73 Richterstaat 284 Fn. 74 richtlinienkonforme Auslegung 34 Fn. 61 right-answer-thesis 217 Fn. 136 Sachverhaltsherstellung 271 ff. Sachverhaltswürdigung, verfassungskonforme 272 f. Schmerzensgeldanspruch 251 f. schöpferisches Element der sog. Rechtsanwendung 178 ff., 182 f. Schumannsche Formel 102, 325 Schutzpflichten, Gesetzesmediatisierung der 252 Schutzpflichten, grundrechtliche 250 ff. Selbstbindung der Verwaltung 311 f. selbstreferentielles System, Rechtsordnung als 170 semantisches Argument 122 sensationelle Einigkeit 69 Sinn und Zweck des Gesetzes 124 ff. Sinnverschiebung durch verfassungskonforme Auslegung 232 Sollenssätze, Rechtsnormen als 124 f., 144 ff. Sondervotum Bundesverfassungsgericht 95 Fn. 383, 100 Fn. 400, 274, 241 Fn. 231, 242 Fn. 237, 245 Fn. 248 Sozialwissenschaften und Jurisprudenz 37 f. Sperrwirkung verfassungsgemäßer Deutungsmöglichkeit 61 ff. spezifisches Verfassungsrecht 102 ff., 273, 296 Fn. 129, 298, 325 Spielraum richterlichen Ermessens 309 Sprachgebrauch 120 Fn. 505, 164, 217, 290 f. Sprachgebrauch des historischen Gesetzgebers 123, 291

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Sachwortverzeichnis

Sprachgebrauchsregeln 122 Sprachgefühl der Interpret / innen 127 f. statische Rechtsordnung 180 f., 217 f., 278 ff. Steuerungsinstrument, verfassungskonforme Auslegung als 116 Strafrechtsmethodik 119 Strafrechtswissenschaft und verfassungskonforme Auslegung 141 strukturelle Gleichartigkeit von Rechtsanwendung und Rechtsetzung 176 f. strukturierende Rechtslehre 38 f., 178 f., 215, 287 Fn. 88 Strukturtheorie des Rechts 142 ff. Stufenbau der Rechtsordnung 89, 165 ff., 176, 227 f. Stufenbau nach der derogatorischen Kraft 167 f., 202 Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit 165 ff. subjektiv-historische Auslegung 276 ff. subjektiv-öffentliches Recht 93 f. subjektive versus objektive Theorie 31 ff., 137 ff., 276 ff. Subsumtion 174 ff., 221, 271, 303, 304 Fn. 169, 305 Fn. 174, 318 Subsumtionsautomat 91, 177, 178, 229, 279, 304 Superrevisionsinstanz, Bundesverfassungsgericht als 107, 296, 321 System, Recht als 27, 29 Fn. 30, 40 f., 81 Fn. 303, 82 ff., 87 Fn. 338, 109 Fn. 447, 130 Fn. 564, 132, 133, 140, 146, 156, 161, 163 f., 164 ff., 170, 176, 180 f., 223 Fn. 160, 232, 248 Fn. 262, 265 f., 286 f., 327 Fn. 279 Systemidee und Jurisprudenz 83 ff. systematische Auslegung 27, 29 f., 291 systematisierende Auslegung 63 f., 84 Fn. 321, 85 f., 231 Fn. 189 Tatsachenfrage, Auslegung als 236, 238 Fn. 216, 295

Tatsachenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht 275 Tatsachenvermutung 74, 77, 295 Teilnichtigerklärung und verfassungskonforme Auslegung 56 ff., 63 f., 79, 110 Fn. 448, 114, 233, 239 teleologische Auslegung 27 f., 29 f.,122 Fn. 518, 125, 225 Fn. 170, 231 Fn. 189, 288, 292 Fn. 112 teleologische Reduktion 46, 58 Fn. 193, 129 ff., 130 Fn. 569, 201 Fn. 70, 233 Fn. 199, 238, 240 Tenorierungen der Normenkontrollentscheidung 55 ff., 197, 203 ff., 237 ff. Textstruktur des Rechtsstaates 287 Fn. 88 topische Methode 39 f. Tradition und Methode 139 ff. Trennung von Inhalt und Geltung 227 ff. Überraschungsmoment 241 Umdeutung 114 Fn. 470, 119 Fn. 500, 130 Fn. 568, 133, 194 f., 209, 234 Fn. 202, 241 ff., 248 Fn. 261 Unabhängigkeit der Rechtsprechung 312 ff. Unbeachtlichkeit von Fehlern 191 f. unbegrenzte Auslegung 113 ff., 248 Fn. 260 unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln 25, 36, 65, 247 ff. unhaltbare Auslegung 296 ff. Universalienstreit 221 Fn. 154 Unterlassen, gesetzgeberisches 47 Fn. 136, 265 Unterlassen verfassungskonformer Auslegung, Grundrechtsverletzung durch 93 ff. Unterscheidung von Auslegungsmittel und Auslegungsziel 30 f., 216, 278, 288 ff. Unveränderlichkeit von Rechtsnormen 226 Unvereinbarerklärung 203 ff. Urteilsverfassungsbeschwerde 62, 91, 100, 103 Fn. 418, 240, 297, 298 Fn. 142, 321 ff.

Sachwortverzeichnis Verantwortung des Gesetzgebers 112 Fn. 459, 234, 301 Verantwortungsreduktion, verfassungskonforme Auslegung als 111 f., 117 Verantwortungsverteilung 234 Verbindlichkeit von Rechtsnormen 152 ff., 159 f. Vereinbarerklärung durch das Bundesverfassungsgericht 211 f. Vereinheitlichung der Auslegung 32 ff. Verfassung als Erkenntnismittel 23, 90 ff., 236, 238, 294 f. Verfassung als Legitimationselement 42 ff. Verfassung als Metanorm 34 Verfassungsänderung 224 Fn. 167, 245 Fn. 248, 285 Verfassungsbindung, mittelbare und unmittelbare 90 f. verfassungsgerichtliche Entscheidungen, deklaratorische 203 verfassungsgerichtliche Entscheidungen, Gesetzeskraft von 202, 236, 244 verfassungsgerichtliche Entscheidungen, konstitutive 203 verfassungsgerichtlicher Prüfungsmaßstab 102, 133 f., 211 Fn. 106, 212, 245, 274 f., 295 ff., 322 ff. Verfassungsinterpretation, authentische 201, 300, 308 Fn. 191, 327 Verfassungsinterpretation, autoritative 201, 300 Verfassungsinterpretationen, widerstreitende 107 ff. verfassungskonforme Gesetzeskorrektur 113 ff., 241 ff. verfassungskonforme Inhaltsbestimmung 88 ff., 106 f., 222 ff. verfassungskonforme Neudeutung 241 ff. verfassungskonforme Rechtsfortbildung 47 f., 96 ff., 250 ff. verfassungskonforme Rechtsfortbildung, Grenzen der 133 f. verfassungskonforme Sachverhaltswürdigung 272 f.

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verfassungskonforme Schnittmenge 226 ff. Verfassungskonformität als Gesetzeszweck 125 f. Verfassungskonkretisierung 30, 47, 77 f., 107 ff., 113 f., 129, 235, 255 verfassungsorientierte Auslegung 35 ff., 247 ff. Verfassungspatriotismus, fehlgeleiteter 21 Verfassungsrecht, spezifisches 102 ff., 273, 296 Fn. 129, 298, 325 Verfassungsrecht, Verflechtung mit einfachem Recht 322 f. Verfassungsrelevanz von Methodenfragen 41 f. Verfassungsrezeption 140 Vermutung der Verfassungsmäßigkeit 73 ff. Vernichtbarkeitslehre 197 Versammlungsfreiheit 25, 95 Verschränkung von Verfassungsrecht und einfachem Recht 102 Versehen des Gesetzgebers 128 f. Versorgungslast bei Beamtenverhältnissen 104 f. vertikale Normendurchdringung 35 Vertrauensargument 293 f. Verwaltung, Selbstbindung der 311 f. Verwaltungsbehörden, ihre Befugnis zur verfassungskonformen Auslegung 66 ff. Verwaltungsbehörden, ihre Befugnis zur Rechtsfortbildung 67 f., 282 Fn. 65 Verwaltungspraxis 311 f. Verwaltungsrechtswissenschaft und verfassungskonforme Auslegung 141 f. Verwendung der verfassungskonformen Auslegung 139 ff. Verwerfung von Normdeutungen 57 f., 62 f. Verwerfungsbefugnis 51 f., 114 Verwerfungsmonopol des BVerfG 51 f., 63 Fn. 211, 114, 228 virtuelles Recht 287

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Sachwortverzeichnis

Volksempfinden als Maßstab der Rechtsfortbildung 259 Fn. 317 Vorbehalt des Gesetzes 90, 251 ff., 254 ff., 322 ff. Vorfrage, Auslegung als 299 f. vorkonstitutionelle Gesetze 52 ff., 75, 81, 132 f., 281 f. Vorlage verfassungswidriger Gesetze 207 ff. Vorrang der Verfassung 88 ff. Vorverfahren, verfassungskonforme Auslegung als 109 f., 207 ff. Vorverständnis 38 Fn. 77, 88 Vorzugsregel, verfassungskonforme Auslegung als 32 ff., 213 ff. Wechselwirkungslehre 25 Werberecht, anwaltliches 105 Wertlosigkeit der Jurisprudenz 18 Wertrelativismus 146 Wille des Gesetzgebers 113 ff., 126 ff., 215 ff., 246 Fn. 255, 277 f., 288 ff. Wille des Gesetzgebers, mutmaßlicher 292 f. Willensakt der Rechtsetzer / innen 149 Fn. 59, 158 Fn. 103, 182 Fn. 224, 214 Fn. 116, 217 f., 220 f., 226, 277, 305 ff. Willkürkontrolle 102

Willkürverbot 296 ff., 325 ff. Wirksamkeit von Rechtsnormen 157 ff. Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz 83 f. Wortlaut als Gegenstand und Grenze 122 Wortlautgrenze 119 ff., 128, 134 Wortsinn, Ausschöpfung des 121 Fn. 514 Wundertüte, Rechtsordnung als 267 Zeichenfolge, Normtext als 131 Fn. 574, 215 Ziel der Auslegung 30 f., 137 ff., 277 ff., 288 f. Zirkelschluss, Normenkontrolle als 60, 68f. Zirkelschluss zum Gewohnheitsrecht 263 Fn. 341 Zivilgerichtsbarkeit 252 Zivilrechtswissenschaft und verfassungskonforme Auslegung 140 Zulässigkeit der verfassungskonformen Auslegung 185 ff. Zuständigkeitsnorm Rechtsfortbildung 260 Zwangscharakter des Rechts 146 f. Zweck der Verfassungsmäßigkeit 20 f. Zwitterwesen eines zugleich verfassungswidrigen und verfassungsmäßigen Gesetzes 65