Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus [1 ed.] 9783428482061, 9783428082063

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Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus [1 ed.]
 9783428482061, 9783428082063

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PETRA WERNER

Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus

Schriften zur Rechtstheorie Heft 171

Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus

Von

Petra Werner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Werner, Petra:

Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus / von Petra Werner. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 171) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08206-0 NE: GT

D6 Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-08206-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ®

Vorwort Kein deutschsprachiger Autor (einmal abgesehen von Theodor Geiger, dessen Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts 1947 veröffentlicht wurden, und natürlich von Niklas Luhmann!) hat die Entwicklung der Normentheorie und der Rechtssoziologie im Nachkriegsdeutschland und in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts so tiefgreifend bestimmt und so nachhaltig geprägt, wie Helmut Schelsky (1912-1984) dies getan hat. Es ist deshalb kein Zufall, daß im Jahrzehnt nach seinem Tode in Rechtswissenschaft und Soziologie das Interesse an seiner Theorie und Soziologie des Rechts eher noch gewachsen ist. Schelsky begreift - ausgehend von einer Theorie der sozialen Institutionen, insbesondere derjenigen staatlich organisierter oder zwischen- und überstaatlich organisierter Rechtssysteme - alles Recht als eine normative Gesellschaftsstruktur. Eine systematisch voll ausgearbeitete Normentheorie ist von Schelsky leider nicht hinterlassen worden. Es gibt jedoch eine Vielzahl von ihm verfaßter Detailstudien und monographischer Bearbeitungen einzelner Strukturprobleme des Rechts, die seine Normentheorie im Umriß klar erkennen lassen. Diese Bausteine müssen ins Mosaik gerückt werden, wenn man zu einer zusammenfassenden Rekonstruktion, Beurteilung und Evaluation seiner Theorie und Soziologie des Rechts gelangen will. Dies ist das Anliegen der hier angestellten Untersuchungen. Sie knüpfen an die Analysen von Werner Krawietz zur Normentheorie Schelskys - insbesondere an diejenigen aus den Jahren 1985 und 1986 - thematisch und inhaltlich an in dem Bestreben, die dort angesprochenen Problemstellungen und Lösungsansätze Schelskys konstruktiv zu erfassen und nach Möglichkeit fortzuführen. Die gegenwärtigen rechtstheoretischen Auseinandersetzungen werden im wesentlichen bestimmt durch die sprachanalytischen Richtungen, die institutionalistischen Theorien und durch behavioristisch-soziologische Rechtsauffassungen. Die Institutionentheorien, insbesondere diejenige Schelskys, nehmen insoweit eine vermittelnde Position ein. Sie begreifen alles Recht nicht nur als ein brute fact , sondern als ein normatives institutionelles Faktum (institutional fact). Im ersten Teil des ersten Abschnitts werden die diversen Konzeptionen der institutionalistischen Normen- und Rechtstheorien skizziert, wobei zwischen naturrechtlichen, rechtspositivistischen und nachpositivistischen Institutionentheorien des Rechts unterschieden wird. Hier geht es zugleich um die soziologischphilosophische Basis der Rechtstheorie. In Abgrenzung einerseits gegenüber dem letzten Endes thomistischen, insoweit naturrechtlich fundierten Institutionalismus

2

Vorwort

von Hauriou und Renard und andererseits gegenüber dem noch rechtspositivistischen Institutionalismus von Santi Romano wird in kritischer Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen institutionalistischen Rechtspositivismus (Weinberger und MacCormick) gezeigt, daß Helmut Schelsky eine neue Position vertrat, die jenseits von Naturrecht und Rechtspositivismus liegt, von ihm im Umriß ausgearbeitet und mit Verve vertreten wurde. Hauptanliegen der modernen Institutionentheorien ist es, das Zusammenspiel von sozialer Normierung und menschlichem Handeln, vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu beobachten und zu beschreiben. Es geht der Rechtstheorie nicht darum, die dogmatische (normative) Rechtswissenschaft durch Rechtstheorie zu ersetzen, sondern durch komplementäres Wissen zu ergänzen, soweit dies möglich und nötig erscheint. Anders als Ota Weinberger, der die strikte analytische Trennung der Sollensvon der Seinssphäre propagiert, wie sie vor allem von Hans Kelsen und der Wiener rechtstheoretischen Schule vertreten wurde und wird, ist es Schelsky gelungen, die konventionelle Dichotomisierung von Sollen und Sein durch seinen pragmatisch-instrumentellen, rechtsrealistischen und soziologisch fundierten Denkansatz zu unterlaufen und zu überwinden. Die traditionelle Dichotomie von Sollen und Sein kann bei rechtsrealistischer Betrachtungsweise substituiert werden durch ein normativ-beschreibendes, sozialkybernetisches Kreismodell normativer Kommunikation, das den Kreisprozeß zwischen institutioneller Steuerung einerseits und individuellem Handeln andererseits aufnimmt. Im zweiten Teil des ersten Abschnitts werden die anthropologischen Voraussetzungen der Rechtsbildung und der modernen Institutionentheorie, die sehr weitgehend auf der philosophischen Anthropologie Arnold Gehlens aufbaut, behandelt. Anschließend werden Schelskys Analysen der Stabilitätsbedingungen sozialer Institutionen dargestellt, deren genaue Kenntnis zugleich Voraussetzung gezielter Veränderungen ist. Institutionen des Rechts sind nach Schelsky nicht nur Entlastungs-, sondern auch Führungs- und Steuerungssysteme sozialen Verhaltens mit Mitteln des Rechts. Damit tritt der Zusammenhang von Recht als objektiver Ordnung und Rechtshandeln als bewußtem und bezwecktem sozialen Handeln innerhalb des sich ständig neu objektivierenden Ordnungsrahmens in den Vordergrund der Normen- und Institutionentheorie des Rechts. Soweit Schelskys Theoriedesign Lücken in der Ausarbeitung aufweist, wurde versucht, diese durch Rekurs auf konkurrierende, aber funktional äquivalente Theorieansätze, wie beispielsweise die soziologische Systemtheorie, aufzufüllen. Ein derartiges Vorgehen erschien insbesondere bei der Erörterung der Evolution des Rechts angezeigt. So konnte hier wie anderwärts gezeigt werden, daß zwischen der konzeptionellen Ausgestaltung der soziologischen Institutionentheorie Schelskys und der Theorie sozialer Systeme, wie Luhmann sie konzipiert, wesentliche Parallelen bestehen. Hervorzuheben ist ferner, daß die Berücksichtigung

Vorwort

des anthropologisch-funktionalen Ansatzes neben dem systemfunktionalen Theorieansatz die Normen- und Institutionentheorie Schelskys nicht zu einer Spielart der Anthropologie, insbesondere einer Kultur- und Rechtsanthropologie macht. Bei Schelskys Normen- und Institutionentheorie geht es vielmehr um eine realistische Soziologie, das heißt um eine Theorie und Soziologie der Normen und des Handelns, insbesondere des Rechtshandelns, deren Forschungsgegenstand das soziale Handeln in institutionellem Rahmen ist. Im zweiten Abschnitt werden die Grundzüge einer modernen Strukturtheorie des Rechts behandelt. Um die normative Struktur des Rechtssystems zu erschließen, ist es erforderlich, normativistische, institutionalistische und systemische Elemente zu integrieren. Nach Abgrenzung gegenüber einer behavioristischen Sichtweise werden die strukturellen und handlungsspezifischen Aspekte der Institutionen beleuchtet. Hierbei wird deutlich, daß Schelskys Normen- und Institutionentheorie nicht als eine allgemeine, abstrakte Theorie der Gesellschaft begriffen werden kann. Vielmehr sieht seine Theorie ihr Anliegen vor allem darin, die Grundlagen und das grundbegriffliche Framework für eine realistische Bestimmung und Beschreibung der wesentlichen Institutionen sowie ihrer normativen, insbesondere rechtsnormativen Strukturen zu schaffen. Um eine zureichende Beschreibung der sozialen Wirklichkeit des Rechts zu erreichen, ist eine kumulative Analyse sowohl vom universalistischen als auch vom individualistischen Ansatz her erforderlich. Ebenso ist es unvermeidlich, die diversen Möglichkeiten einer funktionalen Analyse im Recht zu berücksichtigen. Auf den relativ abstrakten normen- und rechtstheoretischen Ausführungen aufbauend, schließen sich in den § § 5 und 6 institutionentheoretische Analysen zu dem Verhältnis von Rechtsnorm und Rechtsregel sowie dem Verhältnis von genereller und individueller Norm an. Hierbei wird versucht, die Rechtsanwendung und die individuelle Normentstehung rechtsrealistisch zu bestimmen, zu beschreiben und zu begründen. Im dritten und letzten Abschnitt geht es vor allem darum, die Geltungsgrundlagen des Rechts herauszuarbeiten, so wie sie bei rechtsrealistischer Betrachtungsweise erkennbar werden. In kritischer Auseinandersetzung mit den aktuellen Diskussionen des Verhältnisses von Recht und Moral wird gezeigt, daß Recht und Moral, empirisch und analytisch betrachtet, streng voneinander zu trennen sind. Hierbei geht es nicht nur um eine semantische Trennung. Bei empirischkonkreter Beobachtung des Rechtssystems wird deutlich, daß das Recht sich in der modernen Gesellschaft gegenüber anderen Normensystemen tatsächlich ausdifferenziert hat und damit ein Rückgriff auf moralische und andere außerrechtliche Normen dem juristischen Entscheider verwehrt ist. Die immer noch verbreitete Verbindungsthese, die von einem unlösbaren Zusammenhang von Recht und Moral ausgeht, wird verworfen, da sie auf einem verfehlten Idealismus beruht und einen Rückfall in ein Vernunftnaturrecht bedeutet. Es ist nicht Aufgabe des Rechts und der Rechtswissenschaft eine ideale Ordnung zu erkennen, sondern

4

Vorwort

eine wirkliche Ordnung zu schaffen. Ausgangspunkt für diese Überlegungen ist Schelskys Kritik an der Diskurstheorie, die heute im Anschluß an Habermas von einer Reihe von Autoren vertreten wird. Anschließend werden Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts unterschieden, die im Anschluß an Schelskys Normentheorie in institutionentheoretischer rechtsrealistischer Perspektive betrachtet und gedeutet werden. Juridische Rationalität ist infolgedessen, normentheoretisch betrachtet, nicht ein bloß vernünftiger 4 oder gar moralisch-,richtiger 4 Denkvorgang, sondern ein institutioneller, nach Regeln arbeitsteilig organisierter Prozeß. Auf diese Weise können, rechtstheoretisch gesehen, die juridischen Rationalitätsleistungen auf der Ebene der Rechtspraxis bzw. auf den Stufen der sie begleitenden dogmatischen Rechtswissenschaft und der ihr zugehörigen juristischen Methodenlehre rekonstruiert, gedeutet und erklärt werden. Bei der in den grundlegenden Positionen rekonstruierten Normentheorie Schelskys handelt es sich - verglichen mit dem naturrechtlichen Institutionalismus und einem institutionalistischen Rechtspositivismus - um einen gänzlich Neuen Institutionalismus, der als nachpositivistischer Denkansatz charakterisiert wird. Die Untersuchung wurde während einer mehrjährigen Assistententätigkeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster durchgeführt und von. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster im Wintersemester 1993 / 94 als Dissertation angenommen. Auf Vorschlag der Fakultät wurde die Arbeit mit einem Universitätspreis ausgezeichnet. Zu großem Dank verpflichtet bin ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. Dr. h. c. Werner Krawietz, an dessen Lehrstuhl für Rechtssoziologie, Rechts- und Sozialphilosophie ich seit mehreren Jahren als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig bin. Er hat nicht nur die thematische und inhaltliche Anregung zur Beschäftigung mit der Normen- und Institutionentheorie Helmut Schelskys gegeben, sondern auch die Ausarbeitung durch zahlreiche Hinweise und Hilfestellungen gefördert. Dankbar bin ich auch dafür, daß ich durch die Teilnahme an dem von Professor Krawietz geleiteten Doktorandenseminar die Möglichkeit hatte, diverse Probleme - auch interdisziplinärer Natur - vorzutragen und zu diskutieren. Ganz herzlich danken möchte ich meinen Eltern, die mein Studium durch ihre vielfältigen Unterstützungen ermöglicht und begleitet haben. Die Westfälische Wilhelms-Universität hat die Drucklegung dieser Arbeit mit einem Druckkostenzuschuß gefördert, für den ich sehr dankbar bin. Herrn Professor Norbert Simon, dem Geschäftsführenden Gesellschafter des Verlages Duncker & Humblot, danke ich für seine hilfreiche Förderung und die Bereitschaft, diese Untersuchung im Rahmen der Schriften zur Rechtstheorie zu veröffentlichen. Münster, im April 1995 Petra Werner

Inhaltsverzeichnis Erster Abschnitt Theorie der Normen und des Rechts als institutionalistische Theorie sozialer Kommunikationssysteme

§ 1 Konkurrenz von normativistischen und rechtsrealistischen Institutionentheorien

9

1. Recht als institutionelle Tatsache und gesellschaftliche Einrichtung

15

2. Verhältnis von Norm, Institution und Organisation

24

3. Recht als normative Entität und Ausdruck politisch-funktionalen Zweckhandelns

32

§ 2 Anthropologische Voraussetzungen der Institutionentheorie und Rechtsbildung im Wege sozialen Wandels

46

1. Institutionen als Entlastungs- und Steuerungssysteme

46

2. Ausdifferenzierung der Institutionen und sozialer Wandel

49

3. Sozialer Wandel und Evolution des Rechts

54

4. Recht als objektive Ordnung und bewußtes Zweckhandeln

60

Zweiter Abschnitt Verhältnis von normativistischer, institutionalistischer und systemischer Strukturtheorie des Rechts

§ 3 Institutionentheorie des Rechts in systemischer Perspektive

65

1. Abgrenzung zum behavioristischen Ansatz der Institutionenlehre

65

2. Institutionen als normative Muster sozialen Handelns

70

3. Institutionen als soziale Handlungssysteme

73

6

Inhaltsverzeichnis

§ 4 Integration von systemfunktionaler und personfunktionaler Analyse des Rechts

78

1. Universalistischer und individualistischer Theorieansatz

78

2. Politisch-funktionale Ansätze als Ergänzung der bestandsfunktionalen Ansätze

82

3. Selektion von Leitideen als operative Grundlage sozialen Handelns

84

4. Personfunktionale Leistungen des Rechts

89

5. Verhältnis von Person und sozialem System

94

§ 5 Normativistische und institutionalistische Deutung des Verhältnisses von Rechtsnorm und Rechtsregel

100

1. Funktion des Rechtssatzes im Rahmen juristischer Entscheidungen

100

2. Verhältnis von Gesetzesnorm und Fallnorm

102

3. Semantische Ausdifferenzierung der unterschiedlichen Rechtsnormtypen

104

4. Faktische Regelsetzung und Regelbefolgung 5. Rechtsregeln im Sinne subsistenter Normen als Voraussetzung institutioneller Ordnungsbildung und sozialen Handelns

109 111

§ 6 Verhältnis von genereller und individueller Norm in rechtsrealistischer Perspektive

117

1. Normenhierarchie oder Rückkopplungsschleifen als Basisstruktur des Rechtssystems

117

2. Selektion von Normadressaten in rechtlichen Entscheidungsprozessen ...

122

3. Organisationstheoretische Konsequenzen

126

Dritter Abschnitt Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität im nachpositivistischen Rechtsrealismus

§ 7 Kritik der vernunftrechtlich orientierten Geltungsbestimmungen

130

1. ,Wicked Systems' und Unrechtsargument im Lichte des Verhältnisses von Moral und Recht 133 2. Rechtsprinzipien, Gesetzeslücken und Autopoiese des Rechts als Ausdruck institutioneller Rationalität 137

Inhaltsverzeichnis

7

§ 8 Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts in normativistischer, Institutionen- und systemtheoretischer Perspektive

147

1. Reduktionismus der normativistischen Stammbaumtheorien des Rechts 147 2. Geltung und institutionelles Dasein der Rechtsordnung 3. Akzeptanz von oder faktische Orientierung an rechtsnormativen Erwartungen

152

4. Geltung als Ergebnis institutioneller, systemisch geführter Entscheidungsprozesse

154

5. Verbindlichkeit der Rechtsnormen und Einzelfallentscheidung

158

§ 9 Vernunftmoral oder juridisch-institutionelle Rationalität in rechtlichen Entscheidungsverfahren?

150

164

1. Vernunft versus Rationalität

165

2. Institutionen als normativ strukturierte Handlungssysteme der Gesellschaft

169

Schrifttumsverzeichnis

173

Personenregister

194

Sachregister

197

Erster Abschnitt

Theorie der Normen und des Rechts als institutionalistische Theorie sozialer Kommunikationssysteme § 1 Konkurrenz von normativistischen und rechtsrealistischen Institutionentheorien

Vergleicht man im heutigen Rechtsdenken die verschiedenen Richtungen im Bereich der rechtstheoretischen Forschung, so ergibt sich ein sehr heterogenes Erscheinungsbild. Die jeweiligen Denkansätze sind von höchst unterschiedlicher Provenienz und Relevanz. Sie variieren je nachdem, was als Recht bzw. als konkreter Forschungsgegenstand in den Vordergrund der jeweiligen Betrachtung gestellt wird. Auf der einen Seite bilden sich die Spielarten der mehr analytisch orientierten Richtungen heraus, die vor allem an die rechtstheoretischen Arbeiten von John Austin, Hans Kelsen und H. L. A. Hart anschließen.1 Auf der anderen Seite differenzieren sich die eher rechtsrealistischen und soziologischen Theorien aus. Eine vermittelnde Position nehmen die Institutionentheorien des Rechts ein, die aufgrund ihrer divergierenden Ansätze, wie Werner Krawietz dargelegt hat, in einen naturrechtlichen, einen rechtspositivistischen und einen nachpositivistischen Institutionalismus eingeteilt werden können.2 Letzterer ist vor allem von Helmut Schelsky begründet und entwickelt worden.

ι Grundlegend sind unter anderem folgende Schriften: John Austin, Lectures on Jurisprudence or the Philosophy of Positive Law, fifth edition, revised and edited by Robert Campbell, two vols., London 1911; Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2. vollständig neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Wien 1960; H. L. A. Hart, The Concept of Law, Oxford 1961; dersRecht und Moral. Drei Aufsätze, aus dem Englischen übersetzt und mit einer Einleitung herausgegeben von Norbert Hoerster, Göttingen 1971. Aus dem neueren Schrifttum exemplarisch: Norbert Hoerster, Zur Verteidigung des Rechtspositivismus, in: Neue Juristische Wochenschrift 39 (1986), S. 2480-2482; ders., Zur logischen Möglichkeit des Positivismus in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie LVI (1970), S. 43-59. 2 Vgl. hierzu Werner Krawietz, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus im Rechtsdenken der Gegenwart, in: Horst Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1986, S. 114-148, 122.

10

1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

Zu den bedeutendsten Vertretern einer naturrechtlich geprägten institutionalistischen Rechtslehre werden üblicherweise vor allem Maurice Hauriou und sein Schüler und Fortsetzer Georges Renard gerechnet. Hauriou versteht unter einer Institution die Idee eines Artefakts, eines Werks oder eines Unternehmens, die in einem sozialen Milieu Verwirklichung und Rechtsbestand findet. Diese Idee muß in die konkrete Tatsachenwelt umgesetzt werden. Hierfür bildet sich eine Macht aus, welche die Idee bzw. die Institution mit Organen ausstattet. Zwischen den Mitgliedern der an der Durchsetzung der Idee beteiligten sozialen Gruppe ergeben sich unter der jeweiligen Oberleitung der Organe Gemeinsamkeitsbekundungen, die bestimmten Regeln folgen. 3 Solche Personen-Institutionen (institutions-personnes), zu denen Hauriou beispielsweise Vereinigungen, Gewerkschaften und Staaten rechnet, werden anders als die hiervon zu unterscheidenden Sach-Institutionen (institutions-choses) zu selbständigen Personen hypostasiert. 4 Für die Institutionen der zweiten Kategorie, also die Sachinstitutionen, ist charakteristisch, daß sie keine eigene Körperschaft im Sinne eines sozialen Körpers hervorbringen. Hauriou bezeichnet die sozial fest verankerten Rechtsnormen als Institutionen dieses Typs. Die Rechtsnorm sei Institution im Sinne von institutions-choses, da sie sich als Idee im sozialen Milieu ausbreite und in ihm lebe.5 Wichtigstes Element der verbandsmäßigen Institutionen ist für Hauriou die Idee des zu schaffenden Werks innerhalb einer sozialen Gruppe oder, wie im folgenden sehr viel konkreter und präziser dargelegt werden wird, innerhalb sozialer Systeme. Diesen Ideen mißt er einerseits in genuin idealistischer Deutung ein reales Dasein an sich bei. Als objektive Idee vom zu schaffenden Werk dringe sie in ein soziales Milieu ein; im Falle der Rechtswirklichkeit werde sie ein sozialer Tatbestand und erlange in ihm ihre Existenz.6 Zu Recht betont Hauriou andererseits den realen Charakter der Institutionen, die sich nicht in bloßen Strukturvorgaben, Werten bzw. Programmen menschlichen Handelns erschöpfen, sondern sich erst durch soziales Verhalten als real existierende gesellschaftliche Systeme etablieren. Es geht nämlich nicht darum, anhand einer rein analytischen Methode ein statisches System von Rechtssätzen ungeachtet der rechtlichen Wirklichkeit zu konstruieren und damit einem bloßen normativistischen Schematismus zu erliegen, sondern vielmehr darum, rechtlich relevante Verhaltensweisen, die sich an rechtsnormativen Strukturen orientieren, zu beob3

Maurice Hauriou, Die Theorie der Institution und der Gründung (Essay über den sozialen Vitalismus), in: ders., Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1965, S. 34; ähnlich auch Georges Renard, La Théorie de FInstitution. Essai d'ontologie juridique, Paris 1930, S. 31 ff. 4 Hauriou, Die Theorie der Institution und der Gründung (FN 3), S. 34; vgl. auch Haurious staatstheoretische Abhandlung „La Souveraineté nationale", in: Recueil de Législation de Toulouse VIII (1912), S. 1-154. 5 Hauriou, Die Theorie der Institution und der Gründung (FN 3), S. 35. 6 Ebd., S. 35 f.; vgl. zum idealistischen Charakter der „Idee" bei Hauriou Victor Leontovitsch, Die Theorie der Institution bei Maurice Hauriou, in: Roman Schnur (Hrsg.), Institution und Recht, Darmstadt 1968, S. 179.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

11

achten, zu beschreiben und im jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu erklären. Es darf dabei aber nicht übersehen werden, daß trotz des Versuchs, den Zusammenhang von Sein und Sollen realistisch darzustellen, Haurious Theorie ganz wesentlich auf naturrechtlichen Prämissen basiert und den idealistischen Präsuppositionen verhaftet bleibt. So formuliert er in einem gegen die deutsche Rechtswissenschaft gerichteten Aufsatz: „II existe un idéal de justice universel et immuable." 7 Er meint, das Recht entspringe der metaphysisch-spekulativ gedeuteten Natur des Menschen, nämlich einem moralischen Gefühl bzw. einem Instinkt. Ebenso mißt er den Leitideen (idées directrices) präexistentiellen Charakter bei. Das menschliche Bewußtsein schaffe nicht die Ideen, sondern entdecke die Ideen und stoße auf sie. Zur Veranschaulichung benutzt Hauriou die Metapher eines Bergmanns, der auf einen Edelstein trifft und ihn aus dem Berg von Ballast an das Tageslicht bringt. 8 Die Leitideen verkörpern für Hauriou nicht bloß die Zielsetzungen und Funktionen gesellschaftlichen Wollens, sie haben ursprüngliche Realität und lediglich die Tendenz, sich in der wirklichen Welt zu realisieren, indem die Institutionen als Quelle der Rechtsnormen fungieren. 9 Haurious Theorie der Institution ist somit in den wesentlichen Grundzügen dem idealistischen Gedankengut verhaftet, so daß seine partiell durchaus rechtsrealistischen Betrachtungen auf einer metaphysisch-spekulativen Basis aufbauen. Hingegen ist die geistige Grundeinstellung Santi Romanos gegenüber derjenigen Haurious grundlegend verschieden. Man kann Romano ganz sicherlich nicht als Naturrechtler bezeichnen. Üblicherweise wird er als Positivist angesehen,10 doch ist diese Einstufung davon abhängig, was man unter Positivismus bzw. 7

Maurice Hauriou, Le droit naturel et l'Allemagne, in: Le Correspondant, Bd. 272 bzw. Bd. 236 der neuen Serie, Ausgabe vom 25. September 1918, S. 913-939, 913; zu Haurious rechtstheoretischer Grundeinstellung vgl. auch die Kritik an Duguit in den Aufsätzen „Les idées de M. Duguit", in: Recueil de Législation de Toulouse VII (1911), S. 1-40 und „Les deux réalismes", in: Recueil de Législation de Toulouse VIII (1912), S. 409-417. 8 Vgl. Hauriou , Die Theorie der Institution und der Gründung (FN 3), S. 39. 9 Haurious Auffassung der Institution als Rechtsquelle hat ihm verschiedentlich den Vorwurf einer neuthomistischen Deutung eingebracht. So vor allem Niklas Luhmann, Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, Berlin 1965, S. 12; ähnlich auch Ota Weinberger, Institutionentheorie und Institutionalistischer Rechtspositivismus, in: ders. / Werner Krawietz (Hrsg.), Helmut Schelsky als Soziologe und politischer Denker, Stuttgart 1985, S. 134-172, 152; vgl. auch die detaillierten Ausführungen von Wolf gang Fikentscher, Maurice Hauriou und die institutionelle Rechtslehre, in: Fritz Baur, Josef Esser u. a. (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen. Festschrift für Ludwig Raiser zum 70. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 559-575, 559, 565 f. sowie Christopher Β. Gray, A Forgotten Link in Legal Sociology. Influences by and upon Maurice Hauriou, in: R E C H T S T H E O R I E 15 (1984), S. 256-267. 10 Vgl. beispielsweise Weinberger, Institutionentheorie und Institutionalistischer Rechtspositivismus (FN 9), S. 149; Werner Krawietz, Ansätze zu einem Neuen Institutionalismus in der modernen Rechtstheorie der Gegenwart, in: Juristenzeitung 40 (1985), S. 706-714, 708.

12

1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

Gesetzes- und Rechtspositivismus versteht. Wesentlich für Romanos Lehre ist die Gleichsetzung des Begriffs Rechtsordnung mit dem der Institution. Jede Rechtsordnung sei Institution und umgekehrt sei jede Institution Rechtsordnung; diese Gleichung sei notwendig und absolut.11 Die Institution ist für ihn nicht, wie es Hauriou gesehen hatte, Rechtsquelle und somit ist das Recht auch nicht ein Produkt der Institution. Dies wird damit begründet, daß die Rechtsordnung als ganze nicht nur eine Einheit von Normen oder Normenkomplexen sei, sondern eine komplexe Ordnung, die sich zwar teilweise nach den Normen bewege, die aber vor allem die Normen selbst hervorbringe. Den Normen wird insoweit gegenüber der Rechtsordnung nur sekundäre Bedeutung beigemessen; sie seien bloß Objekt und Mittel der Tätigkeit der Rechtsordnung und nicht Element ihrer Struktur. 12 Normen seien veränderbar, während die Rechtsordnung selbst in ihren wesentlichen Zügen erhalten bleibe. Romano sieht in den Normen keinen grundlegenden und ursprünglichen Aspekt des Rechts 13 , was ihm verschiedentlich den Vorwurf des Antinormativismus eingebracht hat. 14 Vielmehr stellt er die Normen, die als einzelne selbstverständlich kontingent sind und geändert werden könnten, nur als von der institutionellen Rechtsordnung abgeleitete und zweitrangige Phänomene dar. Auch geht er davon aus, daß es Rechtsordnungen gebe, in denen jegliche Art von Normen, seien es geschriebene oder ungeschriebene, also gewohnheitsrechtliche, fehlten. 15 In Ermangelung dieser rechtlichen Elemente müsse man das Recht in der institutionellen Gewalt des Richters erblicken, der das objektive soziale Bewußtsein ausdrükke. 1 6 Maßgebend bestimmender Gesichtspunkt des Rechts sind bei Romano also nicht die Normen, sondern die Institutionen, worunter er jedes konkrete soziale Etwas, jede reale soziale Erscheinung versteht, in der sich das Recht erst normativ konkretisiert. 17 Wenn aber Normen lediglich Produkt etablierter Ordnungen bzw. 11

Santi Romano, Die Rechtsordnung, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1975, S. 32. 12 Ebd., S. 23. 13 Ebd., S. 49. 14 Maximilian Fuchs, Die Allgemeine Rechtstheorie Santi Romanos, Berlin 1979, S. 38 ff.; Weinberger, Institutionentheorie und Institutionalistischer Rechtspositivismus (FN 9), S. 149. is Romano, Die Rechtsordnung (FN 11), S. 27; ähnlich auch Peter Sack, Bobotoi and Pulu Melanesian Law: Normative Order or Way of Life? In: Journal de la Société des Océanistes 80 (1985), S. 15 - 23; dersLaw, Morals and Religion. A Melanesian Perspective, in: ders. / Carl P. Wellman / Mitsukuni Yasaki (Hrsg.), Monismus oder Pluralismus der Rechtskulturen? Anthropologische und ethnologische Grundlagen traditioneller und moderner Rechtssysteme, Berlin 1991, S. 351-371 und neuerdings ders., ,Law', Normativity and „Power-Conferring Rules", in: Aulis Aarnio / Stanley L. Paulson / Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 749759, wobei er jedoch von einem juristisch verengten Rechtsnormbegriff ausgeht, ebd., S. 751. 16 Romano, Die Rechtsordnung (FN 11), S. 27. I? Ebd., S. 38.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

13

Organisationen sein sollen, so drängt sich die Frage auf, wie die Entstehung der Institutionen unabhängig von normativen Mustern möglich ist. Romano meint, es handle sich um einen „rein tatsächlichen Vorgang". 18 Recht gebe es beispielsweise erst unmittelbar mit der Existenz eines effektiven, lebendigen Staates. Er vertritt insoweit eine fast etatistische Rechtsauffassung. Das Recht ist nach Romano, noch bevor es Norm wird, Organisation: Recht gebe es erst in dem Augenblick, in dem die Entwicklung einer stabilen sozialen Ordnung vollzogen sei. Vorherige Ereignisse bewegten sich im rein faktischen Bereich und seien kein Recht. Was vorher der Welt des Faktischen angehört habe, müßte dann nach Romano gewissermaßen durch einen Sprung ins Recht als solches qualifiziert werden. 19 Romano trennt mit dieser Unterscheidung zu sehr die Seins- von den Sollensaspekten des Rechts; das Zusammenspiel ypn Norm und Faktum wird trotz der durchaus vorhandenen rechtsrealistischen Ansätze nicht hinreichend herausgestellt; denn nur was real zunächst Ordnung geworden ist, wird dann in einem weiteren Schritt gleichsam automatisch Recht. Da Romano nicht nur den Staat als eine solche Rechtsordnung ansieht, sondern prinzipiell sämtliche organisierten Systeme, kann ihm zwar nicht der Vorwurf des Etatismus oder Gesetzespositivismus gemacht werden. Trotzdem ist Romanos Ordnungsgebundenheit allen Rechts eine noch zu enge, nicht die gesamte Wirklichkeit allen gesellschaftlichen Rechts erfassende Sichtweise, die ihm den Blick auf die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichem und staatlichem Recht zumindest teilweise verstellt und letztlich die von ihm selbst geforderte Überwindung der Dichotomie von Sein und Sollen unmöglich macht. Deshalb wird Romanos Position noch dem positivistischen Denken zuzurechnen sein. Romano verkennt, daß jede soziale Ordnung schon stabile normative Strukturen voraussetzt, an denen sich soziales Verhalten orientieren kann. Ohne grundlegende normative bzw. rechtsnormative Muster können Institutionen in Form eines dauerhaften Regelsystems nicht etabliert werden. Hiermit soll in keiner Weise - um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen - Partei für einen die Faktizität der Institutionen ignorierenden Normativismus ergriffen werden. Vielmehr geht es ausschließlich darum, von vornherein auf die Bedeutung der Normen für jede Art sozialen Handelns hinzuweisen. Zugleich wird damit für den weiteren Gang dieser Untersuchung klargestellt, daß die realistische Normen- und Institutionentheorie Helmut Schelskys sich nicht nur ganz wesentlich von der klassischen is Ebd., S. 49. 19 Fuchs, Die Allgemeine Rechtstheorie Santi Romanos (FN 14), S. 51 ff., spricht insoweit mit Blick auf Romano von einer Transformation des bloßen Faktums in Recht. Ähnlich wie Romano betont zwar auch Georges Gurvitch, L'Idée du Droit Social. Notion et système du Droit Social. Histoire doctrinale depuis le XVII e siècle jusqu'à la fin XIX e siècle, réimpression de l'édition Paris 1932, Aalen 1972, S. 134, die Faktizität des Rechts. Beide meinen aber, die künstliche Unterscheidung zwischen normativen und reinen Fakten aufrechterhalten zu müssen, und vermeiden auf diese Weise einen naturalistischen Fehlschluß.

1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

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naturrechtlichen Position Haurious unterscheidet, sondern ebenso deutlich von der Position Santi Romanos, der den Normen in verengender Betrachtung der Rechtswirklichkeit nur im Rahmen bestehender Rechtsordnungen Bedeutung beimißt. Schelsky hingegen verfolgt einen neuen, auf Erfahrung basierenden, schon nachpositivistischen Theorieansatz, der Naturrecht und Positivismus überwindet. Hauptanliegen der modernen Institutionentheorien ist daher, das Zusammenspiel von sozialer Normierung und menschlichem Verhalten vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu beobachten und zu beschreiben. Dies wird auf der einen Seite auf der Basis eines institutionalistischen Rechtspositivismus20 versucht, wie er vor allem von Ota Weinberger und in ähnlicher Weise von Neil MacCormick vertreten wird, auf der anderen Seite durch die Institutionentheorie des Rechts von Schelsky. Während die Theorie von Weinberger nach seiner eigenen Einschätzung noch als rechtspositivistische anzusehen ist, kann man bei der Theorie des Rechts von Schelsky, im Anschluß an Ihering und Max Weber, schon von einem nachpositivistischen Standpunkt sprechen. 21 Schelskys nachpositivistischer Ansatz seiner Theorie des Rechts kann im Gegensatz zu den klassischen Varianten des Institutionalismus als Grundlegung eines neuen rechtsrealistischen Denkansatzes charakterisiert werden. Für ihn als Soziologen ist das Recht nicht nur ein Gedankeninhalt, bestehend aus Wortnormen und deduktiven Ableitungen, sondern Recht und Rechtsordnung werden als faktisch existierende objektive soziale Ordnung, als „institutionelles Ordnungssystem", begriffen. 22 Entgegen den bloß analytischen Richtungen der modernen Rechtstheorie, bemühen sich die modernen Institutionentheorien - vor allem die von Weinberger und Schelsky - darum, die gesellschaftstheoretischen Defizite der verschiedenen normativistischen Rechtslehren aufzuzeigen und ihre rein positivistische Sicht der Normen zu überwinden, indem sie versuchen, sowohl die normativ als auch die soziologisch wichtigen Aspekte und Grundlagen des Rechts 20

Vgl. hierzu Ota Weinberger, Norm und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts, Wien 1988; ders., Recht, Institution und Rechtspolitik, Stuttgart 1987; Donald Neil MacCormick I Ota Weinberger, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, Berlin 1985. 21 Krawietz, Ansätze zu einem Neuen Institutionalismus in der modernen Rechtstheorie der Gegenwart (FN 10), S. 708 ff.; ders., Recht, Institution und Politik im Lichte der Institutionentheorie. Hommage à Ota Weinberger, in: Peter Koller / Werner Krawietz / Peter Strasser (Hrsg.), Institution und Recht. Grazer Internationales Symposion zu Ehren von Ota Weinberger, Berlin 1994, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 14, S. 5-16, 10 und ebenso Raffaele De Giorgi, Abstraktion versus Institution? In: Werner Krawietz / Walter Ott (Hrsg.), Formalismus und Phänomenologie im Rechtsdenken der Gegenwart. Festgabe für Alois Troller zum 80. Geburtstag, Berlin 1987, S. 95-105, 105. 22 Helmut Schelsky, Die Soziologen und das Recht, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 77-94, 78.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

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in ihrer realen Verbindung zu beschreiben und nicht künstlich zu trennen. Dies ist allerdings, vor allem was die gesellschaftstheoretische Fundierung angeht, bei Weinberger in sehr viel geringerem Maße der Fall als bei Schelsky.

1. Recht als institutionelle Tatsache und gesellschaftliche Einrichtung

Gegenüber rein analytisch / normativistisch orientierten Rechtstheorien erblickt Schelsky die wesentliche Aufgabe einer Institutionentheorie des Rechts darin, die spezifischen Wesenszüge der Dauer und Kontinuität, der Stabilität und Hierarchie rechtlicher Phänomene im Bestand einer Gesellschaftsordnung und die damit verbundenen gesellschaftlichen Verhaltensweisen zu erfassen. 23 Im Mittelpunkt einer solchen Forschung stehen die rechtlichen Lebensvorgänge in sozialen Institutionen unter Vernachlässigung solcher sozialen Erscheinungen, die sich nicht in Rechtsverhältnissen äußern oder auf sie einwirken. Kennzeichnend für Schelskys Theorie ist die beschreibende Untersuchung von gesellschaftlichen Verhaltensweisen in sozialen Gebilden, wie Institutionen, die dem Beobachter hilft, die tatsächlichen normativen bzw. rechtsnormativen Forderungen oder besser Erwartungen zu erschließen und zu analysieren. So sind für ihn die gesellschaftlich erzeugten Erwartungsstrukturen, an denen sich sowohl das Rechtsverhalten als auch das übrige gesellschaftlich relevante Verhalten orientieren, in die soziale Realität integriert. Schelsky versteht - ausgehend von der sozialen Wirklichkeit, ohne den normativen Aspekt zu ignorieren - das Recht als institutionelles Faktum oder, mit anderen Worten ausgedrückt, als das Verhalten von Menschen in Institutionen. Bereits in seinem im Jahre 1949 verfaßten Aufsatz „Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen", betont er ausdrücklich, daß die Staatsverfassung als Institution sich nicht nur in dem geschriebenen Text erschöpft, 24 sondern sich die VerfassungsWirklichkeit gerade in von ihr ausgehenden und beeinflußten Akten und Vollzügen handelnder Menschen, also der gelebten Ordnung, realisiert. 25

23 Grundsätzlich hierzu bereits die Ausführungen Helmut Schelskys in „Wandlungen der Deutschen Familie in der Gegenwart", fünfte, unveränderte Aufl., Stuttgart 1967, S. 30. Ebenfalls abgedruckt in: ders., Die Aufgaben einer Familiensoziologie in Deutschland. (Zu René König: Materialien zur Soziologie der Familie), in: Kölner Zeitschrift für Soziologie 2 (1949/50), S. 218-247, 240 f. 24 Helmut Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen. Kulturanthropologische Gedanken zu einem rechtssoziologischen Thema, in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf / Köln 1965, S. 33-55, 54 (Anm. 16). 25 Ebd., S. 43. Diese zutreffende Einsicht beruht auf einer seit jeher aposteriorischen und realistischen erkenntnistheoretischen Position, die bereits in Schelskys Untersuchung über „Schellings Philosophie des Willens und der Existenz", in: Gotthard Günther/ Helmut Schelsky, Christliche Metaphysik und das Schicksal des modernen Bewußtseins, Leipzig 1937, S. 47-108, zum Ausdruck kommt.

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

Auch Weinberger geht in ähnlicher Weise vor und versucht, die Existenz des Rechts mit Hilfe einer institutionalistischen Konzeption zu erklären. Das Recht ist dem Sinn nach ein Sollen, gleichzeitig aber auch etwas Wirkliches, ein Bestandteil der Realität und damit Tatsache des gesellschaftlichen Lebens. 26 Das Rechtsleben bestehe in einem Zusammenwirken von Rechtsnormen auf der einen Seite und beobachtbaren faktischen Vorgängen in der Gesellschaft auf der anderen Seite, also einer Verbindung des Normensystems mit beobachtbaren Tatsachen, die soziologisch feststellbar seien. Tatsachen, die auf diese Weise untrennbar mit normativen Sinngebilden verknüpft sind, werden von Weinberger als „institutionelle Tatsachen" bezeichnet. Sie stehen im Kontext mit den Institutionen und dem Menschen als handelndem Wesen. Im Anschluß an John Searle 27 unterscheidet Weinberger die institutionellen von den „rohen" Tatsachen (brute facts). Bei letzteren handelt es sich um physikalische, rein naturwissenschaftliche Beschreibungen, die dem einzelnen als physikalische Realität entgegentreten. 28 Durch Institutionen werden immer neue Tatsachen geschaffen, die im Unterschied zu den brute facts nicht durch physikalisch-chemische Beschreibungen adäquat dargestellt werden können. Diese institutionellen Tatsachen sind beispielsweise das Bestehen des Staates, der Kirche, der Religion, gesellschaftlicher Einrichtungen oder auch bestimmter Lebensgewohnheiten. Auch die Rechtsnormen sind institutionelle Tatsachen in dem Sinne, daß sie mit realen und beobachtbaren Prozessen verknüpft sind, die ihrerseits nur im Zusammenhang mit dem institutionellen Rahmen zu verstehen sind. 29 Weinberger ist der Auffassung, daß die institutionellen Tatsachen dadurch zustande kommen, daß Menschen als handelnde und denkende Subjekte, die Regeln und Verhaltensformen internalisieren, das heißt in ihr Bewußtsein aufnehmen. Durch diesen Vorgang und die hieran anknüpfende, ständig wiederholte Praxis werden dann die entsprechenden Lebensformen der Gesellschaft geschaffen. 30 Neben dieser im subjektiven Bereich des Individuums liegenden Seite der Institutionalisierung entstehen seiner Ansicht nach auch institutionelle Einrichtungen, wie Gerichte, Körperschaften, Betriebe und Verwaltungsbehörden.

26 Ο ta Weinberger , Das institutionelle Dasein des Rechts, in: Dorothea Mayer-Maly / Ota Weinberger / Michaela Strasser (Hrsg.), Recht als Sinn und Institution, R E C H T S T H E O RIE Beiheft 6, S. 245-259, 245 und ders., Das Recht als institutionelle Tatsache. Gleichzeitig eine Überlegung über den Begriff des positiven Rechts, in: R E C H T S T H E O R I E 1 1 (1980), S. 427-442,427 Vgl. auch Donald Neil MacCormick, Das Recht als institutionelle Tatsache, in: ders. / Ota Weinberger, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, Berlin 1985, S. 76-107. 27 J. R. Searle, Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language, Cambrigde 1969, S. 50 ff.; G. E. M. Anscombe, On Brute Facts, in: Analysis 18-3 (1958), S. 69-72. 2 8 Weinberger, Norm und Institution (FN 20), S. 32. 2 9 Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik (FN 20), S. 133 f. und ders., Die formal-finalistische Handlungstheorie und das Strafrecht, in: ders., Recht, Institution und Rechtspolitik (FN 20), S. 129-142, 133 f. 30 Weinberger, Norm und Institution (FN 20), S. 77.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

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Mit der hier umrissenen Konzeption versucht Weinberger, die strikte Trennung der Sollens- von der Seinssphäre, wie sie insbesondere in der Reinen Rechtslehre Hans Kelsens zum Ausdruck kommt, 31 zu überwinden. Ausgehend von der vollkommenen Disparität von Sein und Sollen, also der Dichotomie von Seins- und Sollenswelt, bringen die Rechtsnormen für Kelsen nur vorgestellte und gesollte Verhaltensweisen zum Ausdruck, die dem wirklichen Verhalten gegenüberstehen. Letzterem wird für die Beschreibung des Rechts keine Bedeutung beigemessen. Dagegen erschöpft sich die Theorie Weinbergers nicht nur in einer logisierten Darstellung des Rechts. Nach seiner institutionalistischen Betrachtungsweise ist gerade ein Zusammenspiel von Tatsachen bzw. faktischen Vorgängen auf der einen Seite und Rechtsnormen auf der anderen Seite wesentlich.32 Erst aufgrund dieses Zusammenspiels zwischen Normen und beobachtbaren gesellschaftlichen Vorgängen erlangten die Rechtsnormen Tatsachenqualität und damit gesellschaftliches Dasein. Die realen institutionellen Handlungsabläufe und Prozesse würden erst in Anbetracht der Normen verständlich und erlangten wegen ihres normativen Kerns die Qualität einer institutionellen Tatsache. Normen seien Bestandteil institutioneller Tatsachen und konstituierten diese.33 Soweit Weinberger die Normen als Bestandteil gesellschaftlichen Handelns bzw. Lebens und institutioneller Einrichtungen beschreibt, ist ihm zuzustimmen. Es darf dabei nicht der Umstand übersehen werden, daß das Recht bei ihm nicht nur eine Tatsache ist, sondern ebenso eine normative Gedankenentität. Für Weinberger sind Normen keine Gegenstände an und für sich, die objektives Dasein oder objektive Geltung haben. Weinberger faßt die Rechtsnorm vielmehr als gedanklichen Gegenstand,34 als Idealentität auf, die insoweit der semantischen und logischen Analyse unterliegt. 35 Praktische Informationen, zu denen er neben den Normen auch Werte, Zwecke und Ziele rechnet, müssen als gedankliche Inhalte in ihrer Struktur und spezifischen Bedeutung logisch untersucht werden, da sie nur so verstanden werden können. 36 Die Norm als objektiver spezifischer Gedanke muß losgelöst sowohl von psychischen als auch sozialen Akten gesehen 31 Kelsen, Reine Rechtslehre (FN 1). 32 Ota Weinberger, Verfassungstheorie vom Standpunkt des neuen Institutionalismus, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie LXXVI (1990), S. 100-118, 101 ff; ders., Das Wesen der Regeln, in: Werner Krawietz / Antonio A. Martino / Kenneth I. Winston (Hrsg.), Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, RECHTSTHEORIE Beiheft 11, Berlin 1991, S. 169-191, 189 f. 33 Weinberger, Das institutionelle Dasein des Rechts (FN 26), S. 252. 34 Weinberger, Norm und Institution (FN 20), S. 79 sowie auch bereits Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, im Auftrag des Hans-Kelsen-Instituts aus dem Nachlaß herausgegeben von Kurt Ringhofer und Robert Walter, Wien 1979, S. 136 f. 35 Ota Weinberger, Die Norm als Gedanke und Realität, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 20 (1970), S. 203-216, 205; ders., Das Recht als institutionelle Tatsache (FN 26), S. 437. 36 Ota Weinberger, Soziologie und normative Institutionentheorie, in: Recht und Institution. Helmut Schelsky - Gedächtnissymposion, herausgegeben von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 33-58, 39 f. 2 Werner

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

werden, um als Ausdruck sinnvoller Struktur rein logisch erfaßt werden zu können. Nur auf diese Weise kann nach Weinberger eine Theorie der normlogischen Operationen und Beziehungen entstehen. Die tatsächlichen materiellen Akte, wie ζ. B. psychische Akte (Willensakte, Erkenntnisakte) oder die gesellschaftlichen Akte (Gesetzgebungsakte), treten nach Weinberger als solche nicht in die logischen Beziehungen und Untersuchungen ein, da sie andere zeitliche Koordinaten haben. Die Akte erlangen nur insofern Bedeutung, als sie zwischen ideellem Sein und der materiellen Realität des Rechts als Berührungspunkte fungieren. Durch Hinweise dieser Art versucht Weinberger, die normenlogische Analyse mit dem Erfassen der Rechtswirklichkeit zu verknüpfen. Jedoch geht es ihm im Endeffekt, wenn er vom „Realsein" und „Dasein" der Norm spricht, nicht um die faktischen Handlungen, wie die Normsetzungsakte oder das Verhalten derjenigen, die sich in irgendeiner Weise an der Norm orientieren. Vielmehr steht im Zentrum seiner Untersuchungen vor allem die Norm als Idealentität bzw. ihr normativer Sinn, der gedacht und verstanden werden kann und muß. 37 Wesentlich ist für ihn, daß der objektive Normgedanke immer als derselbe Gedanke mit denselben logischen Operationen und Relationen angesehen werden muß. Dabei erblickt er den Normgedanken im Geiste des Befehlenden, im Geiste des Normadressaten oder des Rechtsgelehrten als ein und denselben Gedanken an. Dieser Vorstellung liegt ein Kommunikationsmodell zugrunde, bei dem der Normgedanke ein Kommunikat ist, welches intersubjektiv übermittelt wird. Bei einwandfreiem Verlauf der Kommunikation stimme der abgesandte Normgedanke des normsetzenden Subjekts mit dem verstandenen Gedanken bei dem Normsatzempfänger überein. 38 37 Weinberger, Das Recht als institutionelle Tatsache (FN 26), S. 437. Vgl. demgegenüber Kazimierz Opalek, Der Dualismus der Auffassung der Norm in der Rechtswissenschaft. Der Versuch seiner Überwindung, in: R E C H T S T H E O R I E 20 (1989), S. 433-447, 439, der die Norm nicht auf eine logisch-linguistische Ebene reduziert, sondern ihr auf sämtlichen Rechtsebenen Bedeutung beimißt. Demzufolge könne die Norm kein logischlinguistisches Objekt sein, da ein logisch-linguistisches (ideelles) Objekt nicht in faktischen Beziehungen zu den Erlebnissen und dem Verhalten stehen kann. Vielmehr sei nach der von ihm vertretenen nicht linguistischen Konzeption die Norm als empirische Tatsache aufzufassen. Hierzu neuerdings Werner Krawietz, Vorwort. Kazimierz Opaleks Rechtstheorie - in internationaler Perspektive betrachtet, in: ders. / Jerzy Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts. Festgabe für Kazimierz Opalek zum 75. Geburtstag, Berlin 1993, S. V-XX. 38 Weinberger, Die Norm als Gedanke und Realität (FN 35), S. 205, wo es heißt: „Die Normenkommunikation ist ein Prozeß, an dem in der Regel verschiedene Personen teilnehmen und der mittels sprachlicher Ausdrücke vollzogen wird; Ziel ist, daß der Mitteilungsempfänger die Norm versteht. Das Verstehen von Normen ist weitgehend analog dem Verstehen von indikativen Kommunikaten. Wenn die Kommunikation perfekt ist und ihr Ziel voll erfüllt, muß Übereinstimmung bestehen zwischen dem abgesandten Normgedanken, der vom normsetzenden Subjekt geäußert wurde, und dem Normgedanken, wie ihn der Nachrichtenempfänger verstanden hat." Vgl. auch ders., Norm und Institution (FN 20), S. 172.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

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Diese Übertragungsvorstellung, gemäß der Informationen vom Absender auf den Adressaten übertragen werden, verstellt aufgrund ihres ontologischen Charakters den Blick für eine realitätsangemessene Beschreibung der Rechtskommunikation. „Sie suggeriert, daß der Absender etwas übergibt, was der Empfänger erhält. Das trifft schon deshalb nicht zu, weil der Absender nichts weggibt in dem Sinne, daß er selbst es verliert." 39 Es wird nämlich nicht gewährleistet, daß der als Information selegierte Sinn für Absender und Adressaten übereinstimmt, das heißt ein und derselbe ist. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, dann nur aus dem Grund, weil der Kommunikationsprozeß selbst durch weitere Sinnselektionen, nämlich Mitteilung und Verstehen, inhaltliche Übereinstimmung konstituiert. Dieser dreistellige Selektionsprozeß, der Information, Mitteilung und Verstehen zu einer emergenten Einheit verknüpft, ist Grundlage jeder Kommunikation, 40 insbesondere auch der Rechtskommunikation41. Für die Rechtsnormen hat dies zur Folge, daß sie nicht bloße Idealentität mit objektiver Bedeutung sein können, sondern vielmehr jeweils in fortlaufenden Kommunikationsprozessen, das heißt in jedem einzelnen Anwendungsfall neu konstituiert und konkretisiert werden. Bei der Normbeschreibung geht es nämlich nicht um die Erfassung objektiver Bedeutungen, sondern um die Beobachtung prozessierten Sinns in der Rechtskommunikation. Auch in der rechtlichen Kommunikation wird jeweils die Komplexität aktuell möglicher Sinnverknüpfungen durch Sinnselektionen reduziert. Der normative Sinn kann daher zutreffend nicht als ideale Entität mit objektiver Bedeutung bezeichnet werden, sondern wird in jeder Rechtskommunikation, insbesondere durch rechtsnormative Entscheidungen - sei es im Alltag, sei es in rechtlichen Organisationen - produziert und reproduziert, das heißt jeweils neu aktualisiert. Wenig hilfreich ist auch die Vorstellung Weinbergers, das Realsein der Normen komme darin zum Ausdruck, daß Menschen die Regeln in ihr Bewußtsein aufnehmen bzw. internalisieren. Zwar können menschliche Bewußtseinssysteme normative Gedanken mit sprachlichen Mitteln produzieren bzw. reproduzieren. Diese Gedanken können aber von außen nicht beobachtet werden, 39 Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1988, S. 193. Vgl. hierzu auch die sehr anschaulichen und überzeugenden Ausführungen zur Komplexität bei der Anbahnung einfacher Interaktion am Paradigma des Türklopfens bei Georg Henrik von Wright, An Essay on Door-Knocking, in: R E C H T S T H E O R I E 19 (1988), S. 275-288. 40 Niklas Luhmann, Was ist Kommunikation? In: Information Philosophie Heft 1,15. Jahrg. (1987), S. 4-16, 8; ders., Soziale Systeme (FN 39), S. 203 ff.; vgl. auch zu den besonderen Abhängigkeiten zwischen Bewußtseins- und Kommunikationssystemen ders., Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt? In: Hans Ulrich Gumbrecht/ K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Materialität der Kommunikation, Frankfurt a. M. 1988, S. 884-905. Vgl. insbesondere zum Begriff der Rechtskommunikation die Ausführungen von Werner Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? Geltungsgrundlagen normativer Kommunikation im Bereich des Rechts, in: Werner Hoppe/Werner Krawietz/ Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium Münster 1988, Köln/Berlin/Bonn/München 1992, S. 455-519, 460. 2*

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

da das Bewußtsein gegenüber der sozialen Wirklichkeit als eine Art „black box" erscheint. Die Normen sind daher institutionelle Tatsachen nicht wegen ihrer Internalisierung im Bewußtsein, sondern wegen ihrer Objektivation 42 in der sozialen normativen Kommunikation. Weinbergers Konzeption, die versucht, Normen als Idealentitäten und als reales Sein zu beschreiben, kann damit subjektivistischidealistische Denkansätze nicht wirklich überwinden. Anders als Weinberger faßt Schelsky das Recht nicht als normative Gedankenentität auf. Recht ist ein sozialer Mechanismus, mit dem die einzelnen Personen sich in ihren sozialen Handlungen bzw. Kommunikationen aneinander orientieren. 43 Dieser rechtliche Handlungs- und Verhaltensbereich wird von ihm als institutioneller Tatbestand, als objektiviertes Ordnungssystem gesehen.44 Als sozialer Vorgang ist Recht ein Prozeß, der hilft, einerseits das durch Handeln Erreichte auf Dauer zu stellen, andererseits planend auf zukünftiges Verhalten einzuwirken. Die hierdurch geschaffenen konkreten sozialen Tatbestände institutioneller Art wirken steuernd und beeinflussend auf das Handeln des einzelnen ein. 45 Schelsky betont damit nicht nur den sozial-strukturellen, sondern vor allem den dynamischen Aspekt des Rechts, das - hier verstanden als sozialer Prozeß - trotz seiner stabilisierenden Wirkungen ständig im Fluß ist. Schelsky faßt demzufolge seine Institutionentheorie auch als eine Art Systemtheorie auf. Er beschreibt die Institutionen ausdrücklich als eine Art sozialer Systeme. Sie sind für ihn ein objektives Bezugssystem der sozialen Wirklichkeit, nämlich ein „System sozialer Handlungen". 46 Ähnlich wie Luhmann, der auch von sozialen Systemen ausgeht, mißt Schelsky ihnen als sozialen Gebilden ganz wesentliche Bedeutung bei. Wenn Schelsky trotz dieser qualitativen Übereinstimmung den Begriff der Institution dem des sozialen Systems vorzieht, geschieht dies aus dem Grunde, weil ihm der Institutionenbegriff für bestimmte soziologische Erkenntnisabsichten weniger abstrakt erscheint als der Systembegriff. Geht man bei der Beschreibung des Rechts von Institutionen im Sinne sozialer Systeme 42

Otto Brusiin, Der Mensch und sein Recht. Ausgewählte rechtstheoretische Schriften, Berlin 1990, S. 170 ff. « Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 22), S. 77. Zutreffend ist daher die Feststellung Werner Gepharts, Gesellschaftstheorie und Recht. Das Recht im soziologischen Diskurs der Moderne, Frankfurt a. M. 1993, S. 10 FN 3, Schelsky komme das Verdienst zu, die Barrieren zwischen Soziologie und Recht überwunden zu haben. Leider setzt sich Gephart mit den inhaltlichen Positionen der Schelskyschen Normen- und Institutionentheorie nicht auseinander. 44 Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 22), S. 78 f. und dersZur soziologischen Theorie der Institution, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 215 231,215. Vgl. hierzu auch schon Brusiin, Der Mensch und sein Recht (FN 42), S. 170 f., der ausdrücklich die Unterschiede zwischen juristischen Denkprozessen und -produkten einerseits und ihren meist in schriftlicher Form fixierten Objektivationen aufzeigt. 4 5 Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 22), S. 78. 46 Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution (FN 44), S. 215 f.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

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aus, lassen sich neben den Handlungen Normstrukturen, insbesondere auch Rechtsnormen als eigenständige Elemente bzw. Entitäten nicht ausmachen. Das Verhältnis von Struktur und Handlung ist derart, daß beide sich gegenseitig ermöglichen und wechselseitig voraussetzen; denn Strukturierung ist unter bestimmten Voraussetzungen Prozeß, und Prozesse haben Strukturen. Unterschiede ergeben sich nur durch ihr Verhältnis zur Zeit. Strukturen halten Zeit reversibel fest, denn sie sind kontingent, das heißt sie können fortlaufend geändert werden. Prozesse hingegen bestehen aus irreversiblen Ereignissen. 47 Diese Ereignisse sind als Elemente sozialer Systeme Kommunikationen, im Falle des Rechtssystems normative Kommunikationen. Zu ihnen gehören auch diejenigen des Alltags, sofern sie auf das Recht Bezug nehmen. Kommunikationen sind die Operationen des sozialen Systems, welches durch diese konstituiert und reproduziert wird, indem Kommunikationen relationiert werden. Frühere Operationen führen zu einer Vorselektion und strukturieren damit Anschlußoperationen. Hiermit wird nicht gesagt, daß alle Kommunikationen gleichen strukturellen Charakter haben. Es werden vielmehr durch Mitteilungshandlungen Erwartungsstrukturen unterschiedlichster Qualität zum Ausdruck gebracht, deren informativer normativer Gehalt verstanden sein muß, bevor andere normative Kommunikationen operativ hieran anschließen können. Gegen diese kommunikationsund handlungstheoretische Beschreibung sozialer, auch rechtsnormativer Strukturen wird bisweilen seitens positivistisch orientierter Autoren eingewandt, allein durch die Beobachtung des Verhaltens, der Verhaltensabläufe bzw. bloßer Regelmäßigkeiten könnten keine Norminhalte erkannt und Institutionen nicht zutreffend charakterisiert werden. 48 Unzweifelhaft lassen sich Normen aus Fakten nicht logisch ableiten. Vielmehr benötigen Juristen für ihre Entscheidungsfindung sprachlich formulierte Normsätze, die bei der Ableitung und Begründung neuer Entscheidungen Verwendung finden. Jedoch verengt die rein normativistische Betrachtung die Problematik auf die für den Juristen unbedingt notwendigen Prämissen rechtlicher Entscheidungsfindung, ohne ihren tatsächlichen Voraussetzungen und Wirkungen in ausreichender Weise gerecht zu werden. Zutreffend bezeichnet Helmut Schelsky daher das Verhältnis von Institution und konkreter Handlung - und damit auch von Norm und Aktivität - als einen sich wechselseitig bedingenden Kreisprozeß. Bei diesem sind Struktur und Prozeß untrennbar verbunden, so daß die Dichotomie von Norm und Aktivität überwunden wird. Schelsky identifiziert somit nicht Institution und Recht. Für ihn ist Recht vielmehr vor allem Aktivität, nämlich bewußtes Zweckhandeln in den 47 Luhmann, Soziale Systeme (FN 39), S. 74; Alfred North Whitehead, Prozeß und Realität. Entwurf einer Kosmologie. Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Hans Günter Holl, 2. überarbeitete Aufl., Frankfurt a. M. 1984, S. 385 ff.; Werner Bergmann, Die Zeitstrukturen sozialer Systeme. Eine systemtheoretische Analyse, Berlin 1981, S. 47 f. 48 Weinberger, Soziologie und normative Institutionentheorie (FN 36), S. 41; ders., Das Recht als institutionelle Tatsache (FN 26), S. 434.

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

Institutionen. 49 Es ist die bewußte Regelung und Gestaltung sozialer Beziehungen. Durch diese Dynamik, die im rechtlichen Handeln in den Institutionen ihren Ausdruck findet, verändert sich die Institution gegenüber neuen Umweltsituationen. Indem Schelsky dieses Verhältnis von Institution und bewußtem Zweckhandeln als Kreisprozeß 50 darstellt, erfaßt er die Rechtsbeziehungen nicht nur von ihrer rein objektiven Seite, also dem Einfluß der Rechtsinstitutionen bzw. sozialen Systeme auf das Verhalten der Rechtssubjekte, sondern auch aus der Sicht der handelnden Individuen, die mit ihren Motivationen und Zielvorstellungen dauernd das Recht verändern und sogar neues Recht schaffen. Der von Schelsky in „Die Soziologen und das Recht" 51 graphisch skizzierte Kreisprozeß zwischen institutioneller Steuerung einerseits und individuellem Handeln andererseits wird mit den beiden folgenden Abbildungen aufgenommen, aber analytisch in zwei unterschiedliche kreisförmige Bewegungen (vgl. Abb. 1 und 2) aufgegliedert. Hierdurch wird das Ursprungsmodell Schelskys abgewandelt, genauer gesagt: berichtigt. Im folgenden wird davon ausgegangen, daß in Schelskys Modell der innere und der äußere Kreis richtigerweise in gegensätzlicher Richtung verlaufen müßten, um die gegenseitige Beeinflussung der unterschiedlichen Handlungsarten in den Institutionen aufzuzeigen.

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Mit dieser Abbildung wird das Handeln, hier symbolisiert durch eine gestrichelte bzw. durchgezogene Linie, veranschaulicht, welches institutionell weitgehend determiniert ist und welches im Wege eines feed back die institutionellen Muster bestätigt.

49 Helmut Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 95146, 122 f. so Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 22), S. 78 ff. si Ebd., S. 78.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

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Abbildung 2 Die zweite Abbildung verdeutlicht die Beeinflussung und Veränderbarkeit der Institutionen und damit der institutionellen Strukturen durch bewußtes Zweckhandeln, welches als Element der Institutionen seinerseits auf das individuelle Handeln zurückwirkt. Die Beobachtungen beschränken sich somit nicht auf die für den externen Beobachter empirisch erfaßbaren Verhaltensweisen, sondern beziehen die Gedankeninhalte der Bewußtseinssysteme als für die Kommunikation und damit für alle sozialen Beziehungen unabdingbare Voraussetzung mit ein. Schelsky verfällt hiermit aber nicht in einen heimlichen Psychologismus. Er untersucht weder konkrete Bewußtseinssysteme und schon gar nicht individuelle Gedanken noch in irgendeiner Weise „objektivierte" Idealentitäten. Sein Anliegen ist vielmehr zu zeigen, daß die Institutionen trotz der Normierung fast aller Lebensbereiche den einzelnen nicht vollständig determinieren, sondern nur Vorselektionen erbringen, die durchaus noch bewußtes Zweckhandeln ermöglichen und zu ihrer Änderung und Fortsetzung sogar erforderlich machen. Die Betonung der Handlungsmotivation als Grundlage des bewußten Handelns in den Institutionen soll die Defizite der Systemtheorie ausgleichen. Für diese sind weder Menschen noch Bewußtseinssysteme Elemente sozialer Systeme, sondern ausschließlich Kommunikationen bzw. Handlungen. Dies gilt auch für die normativen Kommunikationen bzw. das Handeln im Bereich des Rechts. Bewußtseinssysteme und Kommunikationssysteme sind jeweils autopoietische Systeme, die füreinander Umwelt sind. Allerdings bemüht sich die Systemtheorie neuerdings, durch Einführung von Begriffen wie „Interpénétration" 52 und „strukturelle Kopplung" 53 die bestehenden

52 Vgl. hierzu Niklas Luhmann, Interpénétration - Zum Verhältnis personaler und sozialer Systeme, in: Zeitschrift für Soziologie 6 (1977), S. 62-76, 62 ff. und ders., Soziale Systeme (FN 39), S. 286-345. Unzutreffend ist insoweit die Interpretation von Reiner Frey, Vom Subjekt zur Selbstreferenz. Rechtstheoretische Überlegungen zur Rekonstruktion der Rechtskategorie, Berlin 1989, S. 77, der meint, Interpénétration könne „in" sozialen Systemen stattfinden. Kommunikation als systeminterne Operation sozialer Systeme wird zwar durch Interpénétration ermöglicht. Mit diesem Begriff wird aber stets nur ein System-Umwelt-Verhältnis beschrieben und nicht das Geschehen innerhalb eines sozialen Systems.

24

1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

Verbindungen zwischen Bewußtsein und sozialem System aufzuzeigen. 54 Damit wird den Forderungen Schelsky s nach Einbeziehung des Menschen, hier verstanden als soziales Gattungswesen, zumindest teilweise entsprochen.

2. Verhältnis von Norm, Institution und Organisation

Anders als bei den normativistischen Institutionentheorien stehen bei Schelsky nicht die Normsätze und ihre Bedeutung im Vordergrund. Vielmehr sind die Institutionen für ihn, wie gezeigt, wirklich existierende soziale Systeme, die er mittels seiner soziologischen Theorie der Institution begrifflich bezeichnet, analysiert und rekonstruiert. Insoweit können - entgegen einer häufig vertretenen Ansicht 55 - vermeintliche Diskrepanzen zwischen den soziologischen Theorien von Helmut Schelsky einerseits und von Niklas Luhmann andererseits nicht festgestellt werden. 56 Die Rekonstruktion der sozialen Institutionen bezeichnet er als Wirklichkeitskontrolle. 57 In diesem Zusammenhang ist Kontrolle nicht im 53 Niklas Luhmann, Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt (FN 40), S. 900; ders., Über systemtheoretische Grundlagen der Gesellschaftstheorie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 38 (1990), S. 277-284, 281; ders., Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1990, S. 163 ff.; ders., Operational Closure and Structural Coupling: The Differentiation of the Legal System, in: Cardozo Law Review 13 (1992), S. 1419-1441. vgl. auch: Andreas Schemann, Strukturelle Kopplung. Zur Festlegung und normativen Bindung offener Möglichkeiten sozialen Handelns, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 215-229. 54 Eine entsprechende Annäherung Luhmanns an die Position Schelskys diagnostiziert neuestens auch Walter Kargl, Handlung und Ordnung im Strafrecht. Grundlagen einer kognitiven Handlungs- und Straftheorie, Berlin 1991, S. 262. Eine solche Annäherung erfordert aber im Gegensatz zu Kargls Auffassung nicht die Einbeziehung ganzer Menschen als Bestandteile sozialer Systeme. Siehe ebd., S. 263; ders., Kommunikation kommuniziert? Kritik des rechtssoziologischen Autopoiesebegriffs, in: R E C H T S T H E O R I E 21 (1990), S. 352-373 sowie ders., Gesellschaft ohne Subjekte oder Subjekte ohne Gesellschaft? Kritik der rechtssoziologischen Autopoiese-Kritik, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 12 (1991), S. 120-141. 55 Thomas Raiser, Rechtssoziologie, Frankfurt a. M. 1987, S. 130 ff.; Michael Bock, Recht ohne Maß. Die Bedeutung der Verrechtlichung für Person und Gemeinschaft, Berlin 1988, S. 138 ff. 56 Vgl. hierzu Werner Krawietz, Der soziologische Begriff des Rechts, in: Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 157-177, 171; ders., Recht und moderne Systemtheorie, in: Torstein Eckhoff / Lawrence M. Friedman / Jyrki Uusitalo (Hrsg.), Vernunft und Erfahrung im Rechtsdenken der Gegenwart, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 10, Berlin 1986, S. 281 309,305; ders., Rechtssystem als Institution? Über die Grundlagen von Helmut Schelskys sinnkritischer Institutionentheorie, in: Dorothea Mayer-Maly / Ota Weinberger / Michaela Strasser (Hrsg.), Recht als Sinn und Institution, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 6, Berlin 1984, S. 209-243,224 f.; Hermann Lübbe, Diskussionsbeitrag, in: Recht und Institution. Helmut Schelsky-Gedächtnissymposion Münster 1985, herausgegeben von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 94. 57 Helmut Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, 3. Aufl., Düsseldorf/ Köln 1967, S. 122 f.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

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Sinne von Planung zu verstehen, sondern als begriffliche Darstellung des Seienden einschließlich des seienden Normativen. Die soziologische Analyse arbeitet zwar im funktionalen Zusammenhang auch auf Handlungsmöglichkeiten hin, aber nicht, indem sie selbst Entscheidungen produziert „und sich die praktische Planung und Anwendung ihrer Einsichten als wissenschaftliche Pflicht mit auferlegt, sondern indem sie ,interessenlos4 im kantischen Sinne die phänomenale Analyse des Vorhandenen und Geschehenden sich zu geben bemüht, um die ganze Fülle des Machbaren und des Nichtmachbaren erst einmal aufzuhellen". 58 Dieser diagnostischen Tatbestandsfeststellung des Sozialen liegt eine Beobachtung zugrunde, die nicht von normativen Prämissen und Schlüssen geleitet wird. Schelsky erfaßt daher die Normen und Normensysteme als Phänomene der institutionellen Wirklichkeit. Regeln, insbesondere solche des Rechts, haben sowohl die Aufgabe, Stabilität sozialer Institutionen zu gewährleisten, als auch Veränderbarkeit und stabilen Wandel der Institutionen zu ermöglichen. Ein Zusammenleben in sozialer Gemeinschaft erfordert zunächst, daß die Handlungsbeiträge aller Beteiligten sinnhaft geordnet und aufeinander bezogen werden können. 59 Eine entsprechende Strukturierung sozialen bzw. kommunikativen Handelns wird durch institutionalisierte Verhaltenserwartungen gewährleistet. 60 Die strukturellen Muster, die die Institutionen als Verhaltensorientierung herausgebildet haben bzw. fortlaufend bilden, machen menschliches Verhalten erwartbar. Trotz der unüberschaubaren Vielzahl möglicher sozialer Situationen ist menschliches Handeln in den seltensten Fällen originell. Vielmehr kann ein Beobachter sozialer Geschehnisse häufig anhand der Situation die anschließenden Handlungen abschätzen und einordnen, ohne die beteiligten Personen zu kennen oder zu wissen, welche Motivationen ihrem Handeln zugrunde liegen. Mit anderen Worten: der institutionelle Rahmen strukturiert regelmäßig das soziale Handeln. Erst die institutionellen Muster machen menschliches Verhalten erwartbar. Daher wird in der modernen Rechtstheorie und Rechtssoziologie der Erwartungsbegriff als Oberbegriff für die sozialen Strukturen verwendet. Bereits Jeremy Bentham - und ihm zustimmend A l f Ross - ging in seiner Kritik des Naturrechts davon aus, daß das positive Recht Erwartungen etabliere, ohne die alles menschliche Handeln unberechenbar, zusammenhanglos und unsicher wäre. 61 Auch Max Weber betont die strukturbildende Funktion sozialer Verhaltenserwartungen; denn das Handeln der einzelnen wird rational an bestimmten Erwartungen Dritter orientiert. 62 Damit bilden nach Weber die Erwartungen die wichtigsten BestandS. 125. 59 Vgl. Helmut Schelsky, Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, München 1977, S. 33. 60 Vgl. zur Institutionalisierung sozialer Regeln ebd., S. 33 f. 61 Jeremy Bentham, Works, published by John Bowring, Edinburgh 1843, Bd. I, S. 308 und Bd. II, S. 500 f.; Alf Ross, Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis. Zugleich Prolegomena zu einer Kritik der Rechtswissenschaft, Kopenhagen / Leipzig 1933, S. 189 f. 58 E b d . ,

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

teile des Gemeinschaftshandelns. Durch die sinnhafte Orientierung an den Erwartungen eines bestimmten Verhaltens anderer und den danach für den Erfolg des eigenen Handelns geschätzten Chancen entsteht einerseits die subjektiv geschätzte Chance für den Erfolg des eigenen Handelns und wird andererseits ein objektives Möglichkeitsurteil, daß diese Erwartungen auch mit Recht gehegt werden, ermöglicht. 63 Helmut Schelsky, in der Tradition von Ihering und Weber stehend, teilt in Fortführung dieser klassischen Denkansätze in ganz wesentlichen Teilen die Rechts- und Normentheorie Max Webers. 64 Ausdrücklich betont er in einer Art „Standortbestimmung": „Binnenwissenschaftlich war ich vor allem ein empirischer Soziologe auf der Grundlage der Bindung an die Philosophie in der geistigen Nachfolge Max Webers." 65 Dies gilt nicht zuletzt für die Charakterisierung sozialer Normen - insbesondere der Rechtsnormen - als Verhaltenserwartungen. Gerade wegen dieser inhaltlichen Übereinstimmung mit Weber scheint Schelsky es nicht für erforderlich gehalten zu haben, den Erwartungsbegriff im einzelnen zu explizieren. Ein weiterer Grund mag auch darin liegen, daß Niklas Luhmann seit den sechziger und siebziger Jahren - trotz des von ihm forcierten, vermeintlichen Gegensatzes zu Weber - die Normen wiederholt als kontrafaktische Erwartungen bestimmt und beschrieben hat. 66 Die grundlegende Bedeutung normativer Erwartungen für die Theorie und Soziologie des Rechts hat Werner Krawietz, auch und vor allem in Abgrenzung zu den mehr analytisch ausgerichteten Normentheorien, aufgezeigt. 67 Der Charakterisierung der Norm als kontrafaktischer

62 Max Weber, Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Aufl., Tübingen 1951, S. 427-474, 440. 63 Ebd., S. 441 ff. 64 Vgl. hierzu die entsprechenden Untersuchungen von Krawietz, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus im Rechtsdenken der Gegenwart (FN 2), S. 129 ff.; ders., Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm? In: Ota Weinberger / ders. (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, Wien /New York 1988, S. 315-369, 325 f., 355 f. Hierzu jetzt auch: ders., What Does It Mean ,Το Follow an Institutionalized Legal Rule'? On Rereading Wittgenstein and Max Weber, in: Eugene E. Dais/Stig J0rgensen / Alice Erh-Soon Tay (Hrsg.), Konstitutionalismus versus Legalismus? Geltungsgrundlagen des Rechts im demokratischen Verfassungsstaat, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 40, Stuttgart 1991, S. 7-14, 12. 65 Helmut Schelsky, Politik und Publizität, Stuttgart-Degerloch 1983, S. 51, 55 f.; ders., Die Arbeit tun die anderen (FN 59), S. 10 f. sowie ders. Die Erfahrungen vom Menschen. Was ich von Bürger-Prinz gelernt habe, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 24. Jahr, Tübingen 1979, S. 203-217, 214. 66 Vgl. insbesondere Niklas Luhmann, Normen in soziologischer Perspektive, in: Soziale Welt 20 (1969), S. 28-49, 33; ders., Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964, S. 56 f.; ders., Rechtssoziologie, 2. erweiterte Aufl., Opladen 1983, S. 40 ff. 67 Krawietz, Der soziologische Begriff des Rechts (FN 56), S. 170; ders., Legal Norms as Expectations? On Redefining the Concept of Law, in: Aulis Aarnio / Kaarlo Tuori (ed.), Law, Morality, and Discursive Rationality, Helsinki 1989, S. 109-140, 118; ders.,

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Erwartung stimmt auch Schelsky ausdrücklich zu. 68 Dies ist jedoch, wie später zu zeigen sein wird, nur ein Aspekt rechtsnormativer Erwartungsbildung neben anderen. Damit kommt dem Erwartungsbegriff in der modernen deutschen rechtsrealistischen Literatur bei der Bestimmung sozialer Strukturen eine ganz zentrale Bedeutung zu. 69 Erwartungen strukturieren soziale Beziehungen jedweder Art. Bereits Kommunikation unter Anwesenden, also in Interaktionssystemen 70, ist nur möglich, wenn alle Kommunizierenden bestimmte Verhaltensweisen erwarten bzw. erwarten können und dürfen, was ihrerseits von ihnen erwartet wird. Solche Erwartungserwartungen strukturieren die Kommunikation. Dies geschieht dadurch, daß das Erwarten reflexiv wird, also seinerseits erwartet werden kann. Man muß als Erwartender lernen, nicht nur fremdes Verhalten, sondern auch fremde Erwartungen zu erwarten, vor allen Dingen, die an einen selbst gerichteten Erwartungen. 71 Auf diese Weise können Situationen mit doppelter Kontingenz geordnet werden. 72 Erwartungserwartungen strukturieren die Art und Weise von Handlungszusammenhängen, die erst die Möglichkeit zum Handeln eröffnen. Auf dieser Ebene des Operierens anhand allgemeiner Erwartungserwartungen läßt sich lediglich beschreiben, wie relativ einfach strukturierte Kommunikationszusammenhänge entstehen. Erst wenn Verhaltenserwartungen mögliche Enttäuschungsfälle und das Problem ihrer Abwicklung von vornherein mitberücksichtigen, ist man in der Lage, höhere Kontingenzen einzubeziehen und damit komplexere Sozialsysteme zu bilden. In solcher Weise modalisierte Erwartungen sind entweder Kognitio-

Soziale Spielregeln und Recht in systemtheoretischer Perspektive, in: Dieter Müller/ Danilo Ν. Basta (Hrsg.), Pravna drzava poreklo i buduénost jedne ideje. Simpozijum Beograd, 26-27. septembar 1991 (Rechtsstaat. Ursprung und Zukunft einer Idee. Tagung Belgrad, 26.-27. September 1991), Belgrad 1991, S. 125-132, 131 sowie ders., Taking Legal Systems Seriously: Legal Norms and Principles as Expectations, in: ders. / Leopold PospiSil / Sabine Steinbrich (Hrsg.), Sprache, Symbole und Symbolverwendungen in Ethnologie, Kulturanthropologie, Religion und Recht. Festschrift für Rüdiger Schott zum 65. Geburtstag, Berlin 1993, S. 361-384, 376. 68 Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34-76, 60. 69 Vgl. zum Erwartungsbegriff neuerdings Athanasios Gromitsaris, Symbolische und soziale Generalisierung von Erwartungen als Strukturelemente gesellschaftlichen Sinns, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 133-146. 70 Hierzu im einzelnen Niklas Luhmann, Interaktion, Organisation, Gesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen 1975, S. 9-20, 15. 71 Luhmann, Normen in soziologischer Perspektive (FN 66), S. 33. 72 Luhmann, Soziale Systeme (FN 39), S. 411. Vgl. hierzu auch Michael Welker, Einfache oder multiple doppelte Kontingenz? Minimalbedingungen der Beschreibung von Religion und emergenten Strukturen sozialer Systeme, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 355-370.

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

nen oder Normen, also lernbereite bzw. lernunwillige Erwartungen. 73 Lernunwillige Erwartungen werden als Normen stilisiert und generalisiert, das heißt sie werden zeitlich indifferent gemacht. Ihre Geltung bleibt trotz abweichenden Verhaltens bestehen; es wird im Enttäuschungsfall kontrafaktisch an ihnen festgehalten. 74 Nur wenn die Erwartungsstrukturen auf diese Weise für zukünftige Fälle aufrechterhalten werden, kann institutionelle Stabilität geschaffen, aber auch ein institutionell gesteuerter sozialer Wandel durch Recht sichergestellt werden. Für Schelsky ist das Element der Dauer wesentliche Voraussetzung der Institutionalisierung. Neben dieser zeitlichen Dimension erfordert die Institutionalisierung der Verhaltenserwartungen auch eine soziale Generalisierung, das heißt eine Geltungserstreckung über das unmittelbare Interaktionssystem, die Organisation und die jeweils Anwesenden hinaus, auf nicht anwesende Dritte. Institutionalisierung bedeutet für Schelsky demnach, daß alle Beteiligten die auf Dauer gestellten Verhaltenserwartungen und die damit geschaffene Ordnung weitgehend und planend in Rechnung stellen können, dürfen und müssen.75 Der Begriff der Institutionalisierung wird damit weiter gefaßt als in der Systemtheorie Luhmanns, der den Begriff der Institutionalisierung auf die Erwartungserstreckung in die soziale Dimension reduziert. 76 Da man den Konsens beliebiger Dritter für konkrete Erwartungen in komplexen Gesellschaften nicht wirklich erwarten und vor allem für neue Erwartungen nicht mehr voraussehen könne, sei es erforderlich, faktischen Konsens zu fingieren. Mit dieser zwar nicht falschen, aber gegenüber Schelsky um die zeitliche Dimension verkürzten Begriffsbestimmung, läßt sich die Dauer bzw. die Stabilität sozialer Institutionen nicht erklären. Zu dieser institutionellen Stabilität tragen insbesondere die Rechtsnormen bei, die sich gegenüber anderen Normen durch eine besonders anspruchsvolle Generalisierung in allen drei Dimensionen, nämlich der zeitlichen, der sozialen und der sachlichen, auszeichnen. Institutionen dürfen aber nicht mit der normativen Ordnung, also auch nicht mit den Rechtsnormen, identifiziert, das heißt verkürzend gleichgesetzt werden. Den durch bewußtes Zweckhandeln etablierten Normen oder Verhaltensmustern kommt eine Entlastungsfunktion in den Institutionen zu. Zukünftig kann sich entsprechendes Verhalten aus der Bewußtheit und Aktualität in Gewohnheit entlasten.77 Die bewährten Lösungen bewußten Zweckhandelns werden geformt 73 Vgl. hierzu: Antonis Chanos, Erwartungsstruktur der Norm und rechtliche Modalisierung des Erwartens als Vorgabe sozialen Handelns und Entscheidens, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 230-246, 231 ff. 74 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 66), S. 43. 7 5 Schelsky, Die Arbeit tun die anderen (FN 59), S. 122. 7 6 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 66), S. 64 ff. 77 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz (FN 49), S. 122.

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sowohl zu einer „Schicht von kulturellen Bedürfnissen und Gewohnheiten" als auch zu einem damit verbundenen „Handeln in »kulturellen Selbstverständlichkeiten' und ihren institutionellen Formen". In Anlehnung an die Ethologie von Konrad Lorenz 78 nennt Schelsky diesen Bereich menschlichen Verhaltens, der mehr oder minder an sozialen Gesetzmäßigkeiten orientiert ist und von diesen gesteuert wird, den institutionellen Ersatz des Instinktverhaltens. Dieser Bereich steuert und beeinflußt das Individuum durch übergeordnete soziale Kräfte. Hierdurch wird eine institutionelle Dauererfüllung und Absättigung menschlicher Bedürfnisse geschaffen, die den Charakter des Selbstverständlichen, Banalen und Inferioren annehmen.79 Jedoch ist das noch nicht der Fall, wenn neue Bedürfnisse im Wege problemüberwindender schöpferischer Anstrengungen erstmals befriedigt oder neue Lösungen gefunden werden. Diese Lösungen lassen sich nicht ohne weiteres in institutionelle Formen bringen. Voraussetzung ist vielmehr deren trivialisierte, banalisierte und formalisierte, leicht und sicher gewordene und auf den Durchschnitt der Betroffenen bezogene Befriedigung. Nach Schelsky ist Institutionalisierung also eine „Stabilisierung von Verhaltensweisen als Trivialisierung und Banalisierung, und umgekehrt bildet erst ein Verhalten, das diesen Zustand erreicht hat, die Grundlage für neue stabile Institutionen". Zu diesem Bereich stabilen sozialen Verhaltens zählen alle Formen der Entlastung von bewußtem Zweckhandeln, vor allem Brauch, Sitte, Konventionen und Gewohnheiten. Recht als Form des bewußten Zweckhandelns entsteht nach Schelsky nicht aus Brauchtum oder Sitten. Rechtsgestaltungen und Rechtsbehandlungen sind vielmehr primär gegenüber den in die „Unbewußtheit" entlasteten Formen der Regelung sozialer Beziehungen und sozialen Handelns.80 Nur wenn sie in den Fokus des bewußten Zweckhandelns wieder eintreten, das heißt, wenn sie erneut durch Kommunikation thematisiert werden, gelangen sie in den Bereich der Rechtsgestaltung und des Rechtshandelns. Bezogen auf die kommunikative Rechtsgestaltung im Alltag bedeutet dies beispielsweise für den Fall eines Kaufvertrages: die Erwartung des gegenseitigen Austausches von Ware gegen Geld ist institutionalisiert, die Abreden und Konditionen des Einzelfalls, also konkreter Gegenstand und Höhe des Preises, sind dagegen dem Bereich des bewußten Zweckhandelns zuzurechnen. Die Institution als ganze bildet eine stabile Einheit, das heißt aber nicht, daß sie ein starres Gebilde ist. Sämtliche Anschlußkommunikationen, die sich an den etablierten Erwartungen orientieren und auf Normierung neuer Fälle, auch einzelner Fälle des täglichen Lebens, gerichtet sind, wirken an 78 Exemplarisch zum Instinktverhalten Konrad Lorenz, Über die Bildung des Instinktbegriffs (1937), in: ders., Über tierisches und menschliches Verhalten. Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre. Gesammelte Abhandlungen Band I, München 1965, S. 283342. 79 Helmut Schelsky, Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? Zum Thema einer modernen Religionssoziologie, in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf/Köln 1965, S. 250-275, 263 f. so Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz (FN 49), S. 122 f.

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

der Produktion und Reproduktion der vorhandenen Strukturen mit und ermöglichen so einen „stabilen Wandel" der Institution. Grundlegende Bedeutung für den stabilen Wandel der Institutionen kommt dem Verhältnis von Institution und Organisation zu. Dies ist bei Schelsky nicht, wie Mestmäcker behauptet,81 ein solches der Gleichartigkeit. Mestmäcker geht dabei davon aus, daß Schelsky den Institutionenbegriff in verschiedenen Zusammenhängen immer an das Vorhandensein einer Organisation knüpfe. Das bedeutet, den Institutionenbegriff bei Schelsky stets auf die Form der Organisation zu verengen. Schelsky erläutert den Begriff der Organisation im Zusammenhang mit der Problematik des Institutionalisierens. Institutionalisierung bedeute nicht lediglich die Übernahme oder Schaffung neuer moderner Organisationsformen, was nicht heißt, daß Institutionen sich nicht der speziellen Systemform der Organisation bedienen können. Mit Blick auf die Universitäten als Institutionen sieht er beispielsweise betriebsförmig organisierte Forschungsinstitute als deren Kernzellen. 82 Er versteht unter einer Organisation, die durch eine bewußte Methodik erreichte und gesicherte Koordination von Personen oder wenigstens menschlichen Teilaktivitäten zur Verwirklichung ebenso bewußter Ziele oder zur Erfüllung von klar angebbaren Interessen. 83 Moderne Organisation beruhe also auf Zweckhandeln. Institutionen hingegen basieren nicht nur auf dem planenden Zweckhandeln, sondern sind soziale Gebilde, deren Dauerhaftigkeit und Stabilität tiefer begründet ist. Sie haben wegen ihrer stabilisierenden Funktion fundamentalere und weniger leicht ersetzbare Bedeutung für die Gesellschaft als die Organisationen. Diese können aufgrund bewußter Ziele oder Zwecke relativ leicht gegründet, geändert oder aufgelöst werden. Diese Abgrenzung zwischen Institution und Organisation, die Schelsky vornimmt, ist gerade auch aus juristischer Sicht verständlich und ganz sicherlich angebracht. Trotz der Kontingenz allen positiven Rechts können Institutionen, wie Ehe, Familie oder Eigentum, nicht ohne weiteres geschaffen oder aufgelöst werden. Organisiertes Handeln zur Erreichung eines bestimmten Zwecks oder Ziels geschieht zwar immer im institutionellen Rahmen, unterliegt aber nicht der gleichen Stabilität wie das institutionalisierte Verhalten. Es lassen sich zahlreiche Formen organisierter gemeinschaftlicher Zweckverfolgung denken, die entstehen, erprobt werden und wieder zerfallen können, aber nicht müssen. Eine Stabilisierung bewährter Organisations^^ durch Institutionalisierung ist nicht nur möglich, sondern zur Erleichterung weiteren gemeinschaftlichen Handelns unter kom81 Ernst-Joachim Mestmäcker, Diskussionsbeitrag, in: Recht und Institution. Helmut Schelsky - Gedächtnissymposion Münster 1985, herausgegeben von der Rechts wissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 75 f. 82 Helmut Schelsky, Grundzüge einer neuen Universität. Eine Denkschrift, in: Paul Mikat / Helmut Schelsky, Grundzüge einer neuen Universität. Zur Planung einer Hochschulgründung in Ostwestfalen, Gütersloh 1966, S. 35-69, 38. S3 Schelsky, Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? (FN 79), S. 262.

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plexeren Bedingungen sogar erforderlich. Zu denken ist hierbei an die verschiedenen Formen juristischer Gesellschaften, Körperschaften und Anstalten. Mit Grund betont Schelsky daher, daß soziale Institutionen aus planvoll errichteten Organisationen erwachsen können und wahrscheinlich heutzutage vorwiegend auf diese Art und Weise entstehen.84 Trotz der aufgezeigten in vielfältiger Weise möglichen Beziehungen und Überschneidungen zwischen Institutionen und Organisationen muß nach allem aber an der Unterscheidung zwischen beiden Phänomenen festgehalten werden. Für eine realistische Theorie des Rechts stehen Institutionen und Organisationen in einem Verhältnis der Komplementarität. 85 Ungeklärt ist aber noch die Frage, ob organisiertes Handeln stets Voraussetzung sozialer Institutionalisierung ist. Weinberger meint, Schelsky bejahe diese Frage und vertrete damit einen sehr engen Institutionenbegriff. 86 Hierbei verkennt Weinberger jedoch, daß Schelsky - unabhängig vom Bestehen einer Organisation von der Institutionalisierung menschlicher Verhaltensweisen ausgeht, falls diese sich bewährt und in der Gemeinschaft stabilisiert haben. Dies hat Werner Krawietz unter Hinweis auf die Differenz zwischen der Institutionalisierung menschlicher Verhaltensweisen und der Problematik ihrer Organisation ausdrücklich betont. 87 Darüber hinaus bezieht Schelsky die Möglichkeit ein, daß sich Institutionen aus spontanem Gruppenhandeln oder aus dem Zufall historischer Handlungskonstellationen heraus bilden. 88 Fraglich ist aber, ob auch rechtsnormative Erwartungen organisationunabhängig institutionalisiert werden können. In der heutigen Gesellschaft wird Recht ganz wesentlich in komplexen, weit ausdifferenzierten organisierten Sozialsystemen, wie ζ. B. Staaten und supranationalen Organisationen, erzeugt. 89 Jedoch bedeutet dies nicht, daß Kommunikation, die die Funktion der Produktion von Rechtsnormen verfolgt, ausschließlich in und durch Staaten bzw. staatsähnlichen Organisationen entsteht. Vertreter eines etatistischen Rechtsbegriffs führen für diesen keine Gründe an, die dem beobachtbaren Rechtshandeln entstammen, sondern wollen vielmehr die Möglichkeit einer klaren begrifflichen Abgrenzung des Begriffs Recht von anderen sozialen Phänomenen erreichen. 90 Dem ist entgegenzuhalten, daß eine Theorie, die aus Gründen von 84 Ebd. 85 Wenig sinnvoll erscheint daher der neuerdings von Luhmann gemachte Vorschlag, den Begriff der Institution durch den Begriff der Organisation zu ersetzen. Niklas Luhmann, Die Universität als organisierte Institution, in: ders., Universität als Milieu. Kleine Schriften, hrsg. von André Kieserling, Bielefeld 1992, S. 90-99, 98. 86 Ota Weinberger, Diskussionsbeitrag, in: Recht und Institution. Helmut SchelskyGedächtnissymposion Münster 1985, herausgegeben von der Rechts wissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 74. 87 Werner Krawietz, Diskussionsbeitrag, in: Recht und Institution. Helmut SchelskyGedächtnissymposion Münster 1985, herausgegeben von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 76 f. 88 Schelsky, Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? (FN 79), S. 262. 89 Brusiin, Der Mensch und sein Recht (FN 42), S. 144 f. 90 Klaus F. Röhl, Rechtssoziologie, Köln / Berlin / Bonn / München 1987, S. 218 f.

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

Abgrenzungsschwierigkeiten auf eine derart vereinfachende Darstellung zurückgreift, die soziale Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität nicht realistisch erfassen kann. Rechtliche Verhaltenserwartungen entstehen somit nicht nur durch Rekurs auf das offizielle staatlich gesetzte und sanktionierte Recht. Gegen die ausschließliche Organisationabhängigkeit des Rechts wehrt sich Schelsky, da ansonsten das Individuum sich nicht gegenüber den Systemzwängen behaupten könne. Ausdrücklich formuliert er: „Nimmt man das Recht nur als »objektive Ordnung 4 hin, das durch politische Organisationen gesetzt wird, so hat man das Recht auch bereits der Organisationshaftigkeit der modernen Welt, also ihren Systemzwängen, ausgeliefert." 91 Der Staatsbezug ist kein alleiniges Rechtskriterium, denn Recht entsteht auch in anderen gesellschaftlichen Organisationen, Institutionen, Familien und Gruppen. Die Normierungsfunktion wird somit in der sozialen Wirklichkeit allen Rechts auf verschiedene soziale Systeme verteilt. Die diversen Organisationen sind trotz ihrer unbestreitbaren Relevanz für die Rechtsproduktion rein faktisch nicht imstande, jeden Einzelfall zu normieren. Eine generell-abstrakte Normierung durch Organisationen kann nicht sämtliche Einzelfallregelungen vorwegnehmen. Diese müssen weitgehend durch Kommunikationen in Interaktionen oder durch soziales Einzelhandeln festgelegt werden. So wird beispielsweise durch die Institution des Vertrages die konkrete Gestaltung normativ erwartbarer Bindungen den ausdrücklichen Erklärungen der Beteiligten anheimgegeben.92 Der Vorteil liegt insoweit in der Entlastung der staatlichen Gesetzgebungsorgane von normativen Regelungsnotwendigkeiten. Recht entsteht somit nicht nur im Staat, sondern auch in Interaktionen, anderen Organisationen oder einfach in der Gesellschaft, also in allen Arten sozialer Systeme.

3. Recht als normative Entität und Ausdruck politisch-funktionalen Zweckhandelns

Wie zu Beginn dieser Untersuchung kurz skizziert, wird von manchen Vertretern des analytischen Positivismus der Versuch unternommen, den Normativismus in abgeschwächter Form zu retten, weil sie zu der Einsicht gelangt sind, daß er allein auf der Basis des Kelsenschen Reinheitspostulats nicht überlebensfähig ist. 93 Das Recht wird hier einerseits als normative Idealentität angesehen, 91

Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz (FN 49), S. 143. 92 Zur gesellschaftlichen Entwicklung und sozialen Bedeutung des Vertrags vgl. Stig J0rgensen, Contract as a Social Form of Life, in: R E C H T S T H E O R I E 16 (1985), S. 201-216. 93 Vgl. exemplarisch Ota Weinberger, Institutionalistische versus Reine Verfassungstheorie, in: Heinz Mayer (Hrsg.), Staatsrecht in Theorie und Praxis. Festschrift Robert Walter zum 60. Geburtstag, Wien 1991, S. 739-754, 740 und ders., Die Norm als Gedanke und Realität (FN 35), S. 205 f.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

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also als eine isolierte Größe, andererseits wird es daneben auch mit Bezug auf die tatsächlich beobachtbaren gesellschaftlichen Vorgänge dargestellt und logisch geordnet. 94 Weinberger meint, idealen normativen Entitäten komme in gewisser Weise Existenz zu. Seine Auffassung, der eine neue Ontologie des Rechts zugrunde liegt, entspricht insoweit der Hartmannschen Schichtenontologie95 und der DreiWelten-Lehre Poppers 96. Nach Weinberger ist es sinnvoll, den Begriff des Realen so weit zu fassen, daß auch von der Realität idealer Entitäten gesprochen werden kann. Real ist alles, was Dasein in der Zeit hat. Es gibt unterschiedliche Sphären der Realität, in denen die Daseinskriterien und Erkenntnisgründe verschiedenartig sind. Hartmann beispielsweise sieht den Kosmos als Stufenbau, innerhalb dessen vier „Schichten" erkennbar sind. Die unterste Schicht bildet der Bereich der anorganischen Natur, des Physisch-Materiellen, auf der alle höheren Seinsschichten ruhen. Über dieser Schicht entfaltet sich die Welt des Organischen. Ihr Dasein wird von der Grundschicht des Materiellen ermöglicht und getragen. Hierauf wiederum baut eine auf den Lebensbereich des Menschen und der höheren Tierarten beschränkte Sphäre des seelischen Seins, die Welt der Psyche auf. Sie ist immer an die Voraussetzung eines lebenden Organismus gebunden. Die höchste Seinsschicht bildet bei Hartmann das geistige Sein, welches empirisch betrachtet nur der menschliche Geist sein kann. Diese Welt der Inhalte des Denkens und der Erzeugnisse des menschlichen Geistes wird bei Popper als Welt 3 bezeichnet.97 Nach Weinberger stützt sich die Erkenntnis dieses materiellen Realseins auf die Sinneserfahrung. Materiale Tatsachen bestehen dann, wenn sie in Raum und Zeit existieren, das heißt, wenn die Sachverhaltsbeschreibung dem Phänomen in Raum und Zeit entspricht. 98 Nur durch die Bindung an die Sphäre der materiellen 94 Neuestens hierzu Ota Weinberger, Grundlagenprobleme des Institutionalistischen Rechtspositivismus und der Gerechtigkeitstheorie, in: Peter Koller/ Werner Krawietz/ Peter Strasser (Hrsg.), Institution und Recht. Grazer Internationales Symposion zu Ehren von Ota Weinberger, Berlin 1994, RECHTSTHEORIE Beiheft 14, S. 173-284,226 f., 230 f. sowie ders., Ontologie der Normen, vor allem der Rechtsnormen. Gegenüberstellung der Auffassungen von Frantisek Weyr, Hans Kelsen und des Institutionalistischen Rechtspositivismus, in: RECHTSTHEORIE 23 (1992), S. 167-176, 168 und 176. 95 Nicolai Hartmann, Das Problem des geistigen Seins. Untersuchungen zur Grundlegung der Geschichtsphilosophie und der Geisteswissenschaften, Berlin / Leipzig 1933, S. 15 ff., 66 ff., 175 ff. 96 Karl R. Popper, in: ders./John C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn, 8. Aufl., München/Zürich 1989, S. 61-77. 97 Ebd., S. 63; ders., Unended Quest. An Intellectual Autobiography, fifth impression of the revised edition by Fontana 1976, Glasgow 1980, S. 187; kritisch demgegenüber beispielsweise Aulis Aarnio, Legal Fictions and the Problem of Institutional Facts. An Ontological Point of View, in: Werner Krawietz / Georg Henrik von Wright (Hrsg.), Öffentliche oder private Moral? Vom Geltungsgrunde und der Legitimität des Rechts. Festschrift für Emesto Garzón Valdés, Berlin 1992, S. 3-15, 10 ff. 98 Weinberger, Tatsachen und Tatsachenbeschreibungen, in: MacCormick / Weinberger (FN 20), S. 108-123, 117. 3 Werner

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Realität werde das Realsein des ideellen Seins begründet." Der Zusammenhang zwischen der idealen Entität und dem materiellen Sein werde durch Momente bedingt, die die Idealentität als Bestandteil des realen Geschehens, als etwas in der Zeit Daseiendes erfaßten. 100 Nur für den Fall, daß die Norm als Tatsache auftrete, könne man ihr zeitliche Koordinaten zuordnen, so daß sie real sei. Als Idealentität kann die Norm lediglich als gedanklicher Inhalt mit einer gewissen Struktur verstanden und auf ihre logischen Beziehungen hin untersucht werden. In dieser Betrachtungsweise ist die Norm für Weinberger nur gedanklich-inhaltlicher Natur, aber nicht real. Sie sei eine praktische Information, wie auch Zwecke, Ziele oder andere Wertstandards, die die Wahlentscheidung des Handelnden determinieren sollen. Zusammen mit den theoretischen (beschreibenden) Informationen, die der Tatsachenfeststellung dienen, bilden sie die Grundlage der Orientierung menschlichen Handelns. 101 Ergänzend zu Hartmanns bzw. Poppers Theorie hebt Weinberger hervor, daß die Ontologie des Institutionalistischen Rechtspositivismus auf der zentralen These aufbaue, gewisse Tatsachen könnten nicht erfaßt und erklärt werden, wenn nicht auch praktische Informationen zu ihrer Charakterisierung herangezogen werden. Diese bezeichnet er, wie bereits dargelegt, im Unterschied zu den rohen Tatsachen als institutionelle Tatsachen. Damit umfasse die Lebenswelt nicht nur Gegenstände im positivistisch-reistischen Sinne, sondern auch institutionelle und kulturelle Gebilde. Weinberger betont, Gegenstände physikalischer Art, die sinnlich wahrnehmbar seien, erlangten neben ihrem physikalischen Dasein den Charakter institutioneller Gegenstände, institutioneller Relationen bzw. institutioneller Tatsachen. Beispielsweise hat Geld in Form von Münzen oder Scheinen physikalische Realität, aber seine Funktion als Zahlungsmittel erlangt es erst als institutionelle Tatsache, also eingebunden in ein Wirtschaftssystem, welches den Tausch Ware gegen Geld als institutionelles Muster vorsieht. 102 Das Verhalten der Subjekte sei nicht mit dem Realdasein der Norm gleichzusetzen, da die Norm auch real gelte, unabhängig davon, ob der einzelne sich entweder normgemäß oder normwidersprechend verhalte, denn diese Verhaltensalternativen bestimmten nicht das Dasein der Norm. 1 0 3 Hingegen werde die Realität der Norm nur in bestimmten Aspekten deutlich. Sie lebe in der Sphäre des menschlichen Bewußtseins. Das Subjekt habe zum einen ein Sollerlebnis, erlebe also, 99 Weinberger, Die Norm als Gedanke und Realität (FN 35), S. 209. 100 Ebd. sowie ders., Intersubjektive Kommunikation, Normenlogik und Normendynamik, in: R E C H T S T H E O R I E 8 (1977), S. 19-40, 29 f. ιοί Weinberger, Norm und Institution (FN 20), S. 20 f.; ders., Einleitung: Ausgangspunkte des Institutionalistischen Rechtspositivismus, in: MacCormick / Weinberger (FN 20), S. 11-56, 16 f. ι 0 2 Zum Charakter des Geldes als Kommunikationsmedium, welches die Ausdifferenzierung der Wirtschaft als besonderes Funktionssystem ermöglicht, vgl. Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1988, S. 230 ff. 103 Weinberger, Die Norm als Gedanke und Realität (FN 35), S. 210.

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was gesollt ist. Zum anderen habe es ein Soll-Wissen, also ein Wissen, daß ein Sollen in einer menschlichen Gemeinschaft gelte. Ebenfalls wirke die Norm als motivierendes Moment auf das menschliche Verhalten ein. Das Normbewußtsein enthalte Schemata von Verhaltensweisen, die sich aufgrund der Nachahmungstendenz in der menschlichen Gesellschaft oder infolge der Zwangsandrohung bei bestehender Normverletzung im Verhalten des einzelnen durchsetzten. Außerdem habe die real geltende Norm eine Auswirkung auf das menschliche Verhalten des einzelnen und auf das Verhalten der Gesellschaft. Diese Auswirkungen beschränken sich nach Weinberger nicht bloß auf die Erfüllung bzw. Verletzung der Norm, sondern wirken auch sekundär. Zum Beispiel haben normative Eingriffe in den Markt, wie die zur Kapitalflucht ins Ausland führende Einführung einer Quellensteuer, weit verzweigte wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Weinbergers Charakterisierung der Normen als Determinanten menschlichen Verhaltens ist sicherlich insoweit zutreffend, als die sozialen Normen- bzw. Regelsysteme der Orientierung menschlichen Verhaltens dienen. Gesellschaftliche Ordnung ist ohne Normen undenkbar, so daß der Satz „ubi societas, ibi ius" zweifellos nicht nur Ausdruck einer rechtspolitischen oder rechtsphilosophischen Forderung ist, sondern vielmehr eine auf Erfahrung begründete Beschreibung sozialer Gebilde darstellt. 104 Soziale Normen dienen der Reduzierung gesellschaftlicher Komplexität und entlasten damit menschliches Handeln von dauerndem Entscheidungsdruck in ähnlich gelagerten Fällen. Normorientierung führt zu normativer Anschlußkommunikation, das heißt, durch Bezugnahme auf Normen bzw. vorausgegangene Rechtskommunikation wird soziales Verhalten in einer Gemeinschaft erst möglich. Gleichzeitig dient normorientiertes Handeln der Reproduktion der etablierten Normstrukturen und setzt damit die Autopoiese des jeweiligen sozialen Systems fort. Zweifelhaft ist aber, ob der Institutionalistische Rechtspositivismus Weinbergers diese sozialen Zusammenhänge erfaßt. Es ist zwar von Institutionen des Rechts die Rede, doch sind damit in erster Linie Rechtsinstitute gemeint. Institutionen sind für ihn nicht strukturierte Handlungs- bzw. Kommunikationssysteme. Weinberger stellt ab auf die Differenz zwischen normativen Institutionen, unter denen er positivierte Normensysteme als spezifische Bedeutungen versteht, die nur den Handlungsrahmen vorgeben, und den Realinstitutionen.105 Letztere sind 104 Hierzu Werner Krawietz, Theorie und Forschungsprogramm menschlicher Rechtserfahrung - Allgemeine Rechtslehre Otto Brusiins, in: R E C H T S T H E O R I E 22 (1991), S. 1 37, 32 f. 105 Weinberger, Norm und Institution (FN 20), S. 28 f.; ders., Institutionalistische versus Reine Verfassungstheorie (FN 93), S. 752. Ahnlich auch Bernd Rüthers, „Institutionelles Rechtsdenken" im Wandel der Verfassungsepochen. Ein Beitrag zur politischkritischen Funktion der Rechtswissenschaft, Bad Homburg v. d. H. / Berlin / Zürich 1970, S. 37 ff., 63, der für die praktische Rechtswissenschaft ausschließlich auf den Institutsbegriff rekurriert. 3*

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

Personen- und Sachinstitutionen. Bei diesen stellen die praktischen Informationen das Kristallisationszentrum der Institution dar, das heißt, die Personen bzw. Gegenstände werden erst mittels der institutionellen Regeln als Personen mit spezifischen Rollen bzw. als institutionelle Gegenstände identifizierbar. Sie bestimmen somit die Struktur und Funktionsweise der Realinstitutionen. Demgemäß beruht alles Institutionelle auf Systemen praktischer Informationen, vor allem auf normativen Regulativen. Das Institutionelle sei nur durch Verstehen der den Institutionen zugrundeliegenden praktischen Informationen erfaßbar. 106 Obwohl Weinberger versucht, realistische Elemente in seine Theorie zu integrieren, beruht sein institutionalistischer Rechtspositivismus, wie auch die eben dargestellte Differenz zwischen normativen Institutionen und Realinstitutionen zeigt, auf einer kategorialen Unterscheidung von Sollen und Sein. 107 Mit seinem „Rettungsversuch" des Normativismus 108 plädiert er für eine ontologisch eigene Wesenheit der Normen als Idealentitäten. Er kreiert damit eine gegenüber der realen Welt eigene Sollenswelt. Gegenüber einer solchen ontologischen Auffassung machte bereits Otto Brusiin den Einwand geltend, für den praktisch tätigen Juristen sei die Beobachtung einer reinen Sollenswelt kaum durchführbar, denn er werde das Recht niemals als eine vom Sein streng abgesonderte Welt des Sollens erleben. 109 Hieran anschließend stellt sich sodann die Frage, ob auf theoretischer Basis ein solches isoliertes Normverständnis eine zutreffende Rekonstruktion der Rechtswirklichkeit ermöglicht. Normen und Fakten können und müssen auch für gewisse Untersuchungen analytisch unterschieden werden. Aber hieraus folgt nicht eine besondere eigene Wesenheit normativer Strukturen. Diese sind weder an und für sich existierende Gegenstände materieller Natur noch Idealentitäten im Sinne objektiver Gedankengebilde. Zuzustimmen ist Weinberger nur insoweit, als er eine semantische Zäsur zwischen Sein und Sollen, also zwischen Aussage- und Normsätzen aufrechterhalten will, um die Rechtsnorm mit Hilfe der gnoseologisch differenzierten Semantik in ihren logischen Beziehungen und Schlußfolgerungen κ* Weinberger, Institutionalistische versus Reine Verfassungstheorie (FN 93), S. 752; vgl. auch ders., Der normativistische Institutionalismus und die Theorie der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit als Leitidee der Demokratie, in: ders., Moral und Vernunft. Beiträge zu Ethik, Gerechtigkeitstheorie und Normenlogik, Wien / Köln / Weimar 1992, S. 234260, 237 f. M7 Daß diese Dichotomie nicht nur in Weinbergers älteren Schriften Ausdruck findet, sondern auch grundlegend für seine jüngsten Arbeiten ist, betont er selbst in dem Aufsatz „Institutionalistische versus Reine Verfassungstheorie" (FN 93), S. 752, wo es heißt: „Beide Lehren [Die Reine Rechtslehre und der Institutionalistische Rechtspositivismus] sind normativistische Theorien; sie beruhen auf der kategorialen semantischen Unterscheidung theoretischer und praktischer (normativer) Sätze. Sie unterscheiden beide streng zwischen Fragen des Seins und des Sollens." Zusätze in eckiger Klammer von P. W. Ebenso ders., Institutionentheorie und Institutionalistischer Rechtspositivismus (FN 9), S. 169. we Weinberger, Institutionalistische versus Reine Verfassungstheorie (FN 93), S. 752. 109 Brusiin, Der Mensch und sein Recht (FN 42), S. 204 f.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

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zu untersuchen und zu analysieren. 110 Die Ausarbeitung einer deontischen Logik, die aber nicht Gegenstand der hier anzustellenden, rechtsrealistisch fundierten Untersuchung ist, kann zweifellos auf die Differenz zwischen deskriptiven und präskriptiven Begriffen und Sätzen nicht verzichten, um das Recht in seiner sprachlichen Form als System normativer Rechtsregeln zu betrachten. Jedoch bleibt Weinberger nicht bei dieser semantischen Differenz, sondern die Norm wird, ontologisch betrachtet, als Idealentität isoliert und untersucht. Bei dieser Normcharakterisierung bezieht er sich ausdrücklich auf die ontologischen Modelle Hartmanns und Poppers. 111 Letzterer ordnet praktische Bestimmungen gedanklich-inhaltlicher Natur der Welt 3 zu und vergleicht seine Welt 3 mit der ihr in manchem entsprechenden Ideenlehre Piatons. 112 Diese bestehe im Gegensatz zu den materiellen Dingen aus einer Welt „intelligibler Objekte", die Piaton als Ideen oder Formen bezeichnet. Die wichtigsten Wesenheiten sind die Ideen des Guten, des Schönen und des Gerechten. Gemeinsamkeiten dieser Ideen sind, daß sie von Piaton als unwandelbar, zeitlos und ewig, als göttlichen Ursprungs verstanden wurden. Demgegenüber sind die Ideen der Welt 3 bei Popper ausschließlich von Menschen geschaffen. Spekulationen über die wahre Natur des Guten oder der Gerechtigkeit sollen vermieden werden. Resümierend ist jedoch zu konstatieren, daß Weinberger - rekurrierend auf Hartmann und Popper - an einer Welt der Inhalte des Denkens, der Erzeugnisse des menschlichen Geistes sowie der praktischen Informationen festhält. Diese über die analytische Differenz zwischen Fakten und Normstrukturen bzw. beschreibenden und praktischen Informationen hinausgehende Welt des Sollens läßt sich aber in der rechtskommunikativen Wirklichkeit als solche nicht beobachten. Untersucht man nur die strukturelle Seite des Rechtssystems, also eine Vielzahl von Rechtssätzen, wird die Komplexität der Rechtswirklichkeit no Zur erkenntnismäßig differenzierten Semantik vgl. insbesondere Weinberger, Norm und Institution (FN 20), S. 54, 57 und ders., Rechtslogik, 2., umgearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage, Berlin 1989, S. 51 - 58. Zur Unterscheidung von präskriptiven und deskriptiven Sätzen in der deontischen Logik vgl. auch Kazimierz Opaiek, Theorie der Direktiven und der Normen, Wien/New York 1986, S. 28 ff.; Carlos E. Aichourron / Eugenio Bulygin, Normative Systems, Wien/New York 1971, S. 54 ff.; dies., Pragmatic Foundations for a Logic of Norms, in: R E C H T S T H E O R I E 15 (1984), S. 453 464 sowie neuerdings Aleksander Peczenik, Morality, Law and Rights, in: Werner Krawietz / Jerzy Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts. Festgabe für Kazimierz Opalek zum 75. Geburtstag, Berlin 1993, S. 141-157, 143 f. und Zygmunt Ziembinski, Prescriptive and / or Descriptive Language in Legal Sciences, in: ebd., S. 85-92. m Ο ta Weinberger, Tatsachen und Tatsachenbeschreibungen. Eine logisch-methodologische Überlegung zu einem Grundlagenproblem der Sozialwissenschaften, in: MacCormick / Weinberger (FN 20), S. 108-123, 117; ders., Bausteine des Institutionalistischen Rechtspositivismus, in: ders., Recht, Institution und Rechtspolitik (FN 20), S. 11 42, 15; ders., Ontologie, Hermeneutik und der Begriff des geltenden Rechts, in: ders., Recht, Institution und Rechtspolitik (FN 20), S. 109 -128,117. Vgl. auch ders., Ontologie der Normen, vor allem der Rechtsnormen (FN 94), S. 167 f. und 176. 112 Popper, Unended Quest (FN 97), S. 186.

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nicht erfaßt. Die semantische Analyse von Wortnormen gewährleistet nicht, daß die bestehenden rechtlichen Verhaltenserwartungen in ihrer Gesamtheit und Wandelbarkeit einbezogen werden. Erst recht wird nicht berücksichtigt, daß das Rechtssystem sich aus verschiedensten rechtlichen Verhaltensweisen und Entscheidungen, die als Folge selektiver Ereignisse beschrieben werden können, als Prozeß oder besser als Kommunikationsprozeß konstituiert. Die Selektivität der prozessual verketteten kommunikativen Operationen wiederum wird erst möglich aufgrund und unter Einbeziehung der Struktur der vorangegangenen rechtsnormativen Kommunikationen. Rechtsrealistisch betrachtet, können Norm und Handlung - oder allgemeiner Struktur und Prozeß - daher nicht getrennt, sondern nur in ihrem tatsächlichen Zusammenhang beobachtet und beschrieben werden. So kann man nicht mit Weinberger die Norm durch bestimmte Wesensmerkmale als eigenständige Größe charakterisieren bzw. als Idealentität bestimmen, sondern nur als eine faktische Verhaltenserwartung. 113 Demgemäß ist das Recht in der institutionentheoretischen Analyse Helmut Schelskys stets untrennbar mit dem menschlichen Verhalten bzw. sozialen Handeln 1 1 4 verknüpft. Man kann daher auch nicht einwenden, er sei einem bloßen Behaviorismus erlegen, der den normativen Charakter der Rechtsregeln ignoriert. Ohne Positivist zu sein, geht Schelsky davon aus, daß Recht immer „gesetzt" werde 115 und damit stets positives Recht ist. Anders als für die konservativen Institutionentheoretiker wie Durkheim 116 oder Gehlen 117 erschöpft es sich für ihn aber nicht in den bereits institutionalisierten normativen Verhaltenserwartungen, also in dem „Institutionellen" im Sinne einer dem individuellen Handeln vorgegebenen Steuerungsnormativität, welche als anthropologischer Instinktersatz des menschlichen Handelns quasi zur Aufrechterhaltung des status quo dient. In der Anthropologie Gehlens tritt die Institution dem einzelnen nur als Führungs- und Entlastungssystem entgegen. Sie ist die Objektivierung menschlicher Bedürfnisse. Durch die dauerhafte soziale Organisation wird den Institutionen Gehlens etwas unveränderbar Statisches, Überdauerndes verliehen. Die Institution wird dann nur als objektivierte soziale Ordnung begriffen. Demgegenüber verkennt Schelsky keineswegs die Bedeutung der institutionalisierten normativen Strukturen. Er sieht die Notwendigkeit der Analyse regelgeleiteten Verhaltens in den Institutionen. Diese Art der Untersuchung charakterisiert

Π3 Krawietz, Der soziologische Begriff des Rechts (FN 56), S. 169. 114 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 49), S. 99. us Ebd., S. 123. 116 Hierzu Ute Bullasch, Rechtsnorm und Rechtssystem in der Normentheorie Emile Dürkheims, Frankfurt a. M. / Bern /New York/Paris 1988, S. 41 ff. 117 Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, 3., verbesserte Aufl., Frankfurt a. M. 1975, S. 212 f.; ders., Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, 12. Aufl., Wiesbaden 1978, S. 57 ff.

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er als bestandsfunktionale Analysen. Zu unterscheiden sind hierbei einerseits Ansätze, die von der Gesellschaft als ganzer bzw. von sozialen Systemen ausgehen, und andererseits solche, die vom Individuum, also vom sozialen Handeln her, ansetzen. Bei dem Ansatz der erstgenannten Art werden die Strukturen und Prozesse, also das strukturdeterminierte Verhalten, unter dem Aspekt des Bestandes einer sozialen Einheit, eines strukturell und damit auch normativ gekennzeichneten Zustandes eines ganzheitlichen sozialen Systems sowie der Prozeß der Herstellung dieses Zustandes, untersucht. Hierbei geht es als Zielsetzung für das System nur um sein Überleben, das heißt um sein Funktionieren und seine Anpassung an die sich verändernden Weltläufe. 118 Schelsky bezeichnet diese Untersuchungsmethode im Anschluß an Radcliffe-Brown 119 und Merton 120 als systemfunktionalen Ansatz. Dagegen ist bei dem bestandsfunktionalen Ansatz, der vom Individuum ausgeht, nachzuweisen, welche Leistung die Vorgänge des sozialen Lebens (Handlungen, Einrichtungen, Normen usw.) für konstante, in der menschlichen Natur begründete Ansprüche und Bedürfnisse erbringen. Insoweit stimmt Schelsky Malinowski zu, der davon ausgeht, „daß die menschlichen Institutionen, wie auch alle Teilhandlungen innerhalb dieser Institutionen, in Beziehung stehen zu primären, das heißt zu biologischen oder abgeleiteten, das heißt zu kulturellen Bedürfnissen; das beginnt bei dem einfachsten Akt des Essens und reicht bis zur heiligen Handlung, in der das Nehmen der Kommunion mit einem ganzen System von Glaubenssätzen verbunden ist, die von dem kulturellen Bedürfnis bestimmt sind, mit dem lebendigen Gott eins zu sein". 121 Im Vordergrund derartiger anthropologisch-funktionaler Analysen steht daher, die aus der Natur des Menschen stammenden Bedürfnisse und Antriebe als Dauerbedürfnisse zu erweisen und zu konkretisieren, so daß die auf sie bezogene Leistung sozialer Gebilde und Strukturen eindeutig nachweisbar wird. Gemeinsam ist den sogenannten „bestandsfunktionalen" Ansätzen, daß die Ziele, auf die hin soziale Handlungen oder Einrichtungen als Funktion begriffen werden, objektive Tatbestände sind. Schelsky sieht sie als wirklich existierende Systemstrukturen, die der Wissenschaftler rekonstruiert. Ausschließlich der Fortbestand und das Funktionieren, sei es des sozialen Systems oder des Menschen, werden hier als Endziele verstanden und daraufhin analysiert. 122

ne Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 49), S. 101. 119 A. R. Radcliffe-Brown, On the Concept of Function in Social Science, in: American Anthropologist, vol. 37 (1935), S. 394-402. ι 2 0 Robert K. Merton, Funktionale Analyse, in: Heinz Hartmann (Hrsg.), Moderne amerikanische Soziologie. Neuere Beiträge zur soziologischen Theorie, 2., umgearbeitete Aufl., Stuttgart 1973, S. 171-214. 121 Bronislaw Malinowski, Die Funktionaltheorie, in: ders., Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur und andere Aufsätze, Zürich 1949, S. 20-44, 30. 122 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 49), S. 103.

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Darüber hinaus hält Schelsky politisch-funktionale Analysen des Menschen als eines generalisierten Individuums und der sozialen Systeme für erforderlich. Sowohl „der Mensch" als auch das „soziale System" seien zu Prozessen der Willensbildung und damit zur Bestimmung von Endzielen ihres Handelns fähig, die jenseits des bloßen Fortbestandes und Funktionierens liegen. Beide können sich einen „spezifischen Lebenssinn" geben, dem alle Handlungen und Einrichtungen unterstellt werden. Diese Endziel-Programmfunktion sei das politische Wesen, welches sowohl den generalisierten Menschen als auch die sozialen Systeme charakterisiere. Daher können der Mensch und die sozialen Systeme als „politische Einheiten" bezeichnet werden. Sowohl der generalisierte Mensch als auch das soziale System sind nach Schelsky finale Systeme, die sich an Letztzielen, wie persönlichen Lebenssinngebungen oder politischen Zielen, orientieren, die bloßen Bestand und Funktion übersteigen. Schelsky exemplifiziert dies am Beispiel der „Person", die sich nicht nur als ein auf Gesundheit und soziale Stabilität programmiertes System erweist. „Der Mensch ist nicht frei geboren, wie es die aufklärerisch-idealistische Philosophie voraussetzte, sondern er ist zur Freiheit geboren. Durch Lebensselbstführung, durch Umweltbewältigung jenseits von Selbsterhaltung oder Umweltanpassung wird er erst frei. Freiheit ist das kontrafaktische Lebensziel der menschlichen Existenz." 123 Schelsky differenziert im Rahmen dieser politisch-funktionalen Analyse zwischen Endzielbestimmungen, die auf der einen Seite das Individuum auf der anderen Seite soziale Ganzheiten betreffen. Die Untersuchung letzterer bezeichnet er als „gesellschaftsprogrammatische Funktionsanalysen". Die politische Programmierung sozialer Systeme werde in der Literatur beispielsweise als „politische Idee" (Weltanschauung) in bezug auf die Institutionen, also die sozialen Subsysteme, von Malinowski als „Charter", von Hauriou als „idée directrice" oder von Carl Schmitt als „die verfassungspolitische Grundentscheidung" bezeichnet. 1 2 4 Leistungen, die in sozialen Systemen für diese Grund-Programmierung erbracht werden, sind mittels der gesellschaftsprogrammatischen Funktionsanalyse zu ermitteln. Daneben sieht Schelsky die auf das Individuum bezogenen Endziele, wie ζ. B. den Grundgedanken der Freiheit der Person oder den Glauben des Christen an seine Erlösung durch Christus, als Leitideen des persönlichen und sozialen Handelns an. Alle Einrichtungen und Handlungen der sozialen Wirklichkeit können daraufhin erforscht werden, inwieweit diese den auf die Person bezogenen Leitideen entsprechen und das in ihnen vorausgesetzte Endziel erfüllen. Derartig operierende Theorien nennt Schelsky „personfunktionale Analysen". Sowohl diese als auch die gesellschaftsprogrammatische Analyse sind lediglich Unterfälle der politisch-funktionalen Analyse und ergänzen die bestandsfunktionalen Theorien. Sie erfolgen zusätzlich und sind keine eigentlich 123 Schelsky, Die Erfahrungen vom Menschen (FN 65), S. 211. 124 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 49), S. 104.

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soziologischen Theorieansätze, sondern gehören zum Bereich der sogenannten „normativen" Wissenschaften, wie der Jurisprudenz, der Theologie oder der Betriebswirtschaftslehre. Die Berücksichtigung politisch-funktionaler Analysen bedeutet aber nicht, daß Schelskys Rechtssoziologie und -theorie ihrerseits normativen Charakter aufweist. 1 2 5 Die Erörterung verschiedener funktionaler Analysen soll lediglich ein interdisziplinäres Verständnis zwischen der funktionalen Soziologie und Anthropologie einerseits und den sogenannten normativen Wissenschaften ermöglichen. Sein Forschungsinteresse ist analytisch-theoretischer Art, seine Analyse des politisch-funktionalen Ansatzes ist rein deskriptiv, sie schreibt derartige Leitideen nicht vor, sie macht die vorhandenen Leitideen nur zum Gegenstand einer Funktionsanalyse. 1 2 6 Dabei ist ganz wesentlich, daß die Ideen, Leitbilder oder absoluten Werte der Institutionen nicht etwa angeborene Ideen sind, sondern die Endziele vom Menschen selbst gesetzt sind. Aus der Sicht des beobachtenden und analysierenden Wissenschaftlers erscheinen die Endziele kontingent, obwohl festzustellen ist, daß kein „menschliches Wesen ohne die Annahme solcher Endziele, also ohne diesen selbstgesetzten Instinktersatz des »Absoluten4, auf die Dauer existenzfähig ist". 1 2 7 Die absoluten Endziele liegen zwar in der „Entscheidung" des Menschen, jedoch müsse er eine derartige Wahl immer aus einer Lebensnotwendigkeit heraus treffen. Da der Mensch nur über ein Minimum an endogenen instinktiven Antriebsrichtungen verfügt, ist er gezwungen, sowohl die Leitideen durch bewußtes Zweckhandeln zu setzen, als auch diese mit Hilfe des bewußten Zweckhandelns zu erreichen. In Bezug auf die Endziele stellt sich das Zweckhandeln als politisch-funktional dar und ist deshalb mit einer entsprechenden politisch-funktionalen Analyse zu erforschen, ohne die gerade auch die soziologische Analyse des Rechts nicht auszukommen vermag. 128 Veränderung und Fortentwicklung der Institutionen erfordern stets bewußtes Zweckhandeln. Kommt es zu befriedigenden Lösungen, werden diese auf Dauer „stabilisiert". In Form von abgeleiteten Bedürfnissen („Kulturbedürfnissen") werden sie Ziele des Antriebs. Deren Verwirklichung durch dauernde Erfüllung ermöglicht es, von bewußter Zweckhandlung zu unbewußter Gewohnheit zu 125 Vgl. hierzu im einzelnen die Analyse von Krawietz, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus im Rechtsdenken der Gegenwart (FN 2), S. 132 f.; Krawietz, Helmut Schelsky - ein Weg zur Soziologie des Rechts, in: Friedrich Kaulbach / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. XIII - LXXVIII, L f. Die gegenteilige Auffassung von Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a. M. 1992, S. 189, kann daher nicht überzeugen. 126 Vgl. hierzu im speziellen die Ausführungen zur personfunktionalen Analyse des Rechts unten in § 4. 127 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 49), S. 125. 128 Ebd., S. 106.

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wechseln. Mit anderen Worten: die „Lösungen" des bewußten, zweckgerichteten Handelns erhalten Selbstwert, werden „durch Außenstützung (Riten, Symbole, Personifizierungen usw.) »objektiviert4 " . 1 2 9 Diese Institutionalisierung ermöglicht eine Entlastung der Bewußtheit und Aktualität in Gewohnheit. Das freie und bewußte Zweckhandeln selbst ist Recht, soweit es die sozialen Beziehungen bewußt regelt und gestaltet. Die Bewußtheit des Zweckhandelns als Kennzeichen des Rechts grenzt dieses gegenüber bloßen Gewohnheiten, wie Sitte, Brauch und Konventionen ab. Aus dem Vorhergesagten ergeben sich auch wichtige Konsequenzen für das theoretische Verständnis des Gewohnheitsrechts. Für Schelsky ist es ein widersprüchlicher Begriff bzw. ein kontroverses Phänomen.130 Funktional gesehen kann auch das Gewohnheitsrecht nur insoweit Recht sein, als es als solches bewußt wird. Die bloße Gewohnheit ist kein Recht. Sie dient vielmehr als Zweckbegründung der als Gewohnheitsrecht bezeichneten Normen, von der sich die Rechtskommunikation entlastet, indem sie sich auf eine verdrängte, zur unbewußten Tradition gewordenen Zweckmäßigkeit und Bewußtheit bezieht. Schelsky erreicht mit dieser Charakterisierung des Rechts bzw. des Gewohnheitsrechts eine unmißverständliche Klarstellung der von Juristen auch heute noch bewußt oder unbewußt übersehenen Tatsache, daß Recht stets nur von Menschen im Wege bewußten Rechtshandelns bzw. rechtskommunikativer Entscheidung positivierte Normen sein können. Schelsky muß daher so verstanden werden, daß mit der Berufung auf Gewohnheit nur die Angabe der Geltungsgrundlagen bestimmter rechtlicher Verhaltenserwartungen gemeint sein kann. Diese theoretisch beschreibende Aussage über das Gewohnheitsrecht widerspricht nicht den juristischen Voraussetzungen der lang dauernden Übung und der Überzeugung der Rechtmäßigkeit.131 Nur muß die Rechtskommunikation diese Voraussetzungen, wie bei allen Rechtsnormen in Bezug auf bestimmte Verhaltenserwartungen, thematisieren. Mit anderen Worten, nicht die bloße regelmäßige Übung eines bestimmten Verhaltens ist entscheidend, sondern deren bewußte Beobachtung. Die Gewohnheiten müssen nach Schelsky in den Fokus des bewußten Zweckhandelns aufgehoben werden und treten dann erst in den Bereich der Rechtsgestaltung und des Rechtshandelns. Rechtsgestaltungen und Rechtshandlungen sind demnach primär gegenüber den in die Unbewußtheit entlasteten Formen der Regelung sozialer Beziehungen und sozialen Handelns. Diese Sichtweise wird von Weinberger aufgegriffen und einer Kritik unterzogen. Weinberger expliziert seinen Vorwurf gegenüber Schelsky dergestalt, daß nicht nur das Recht von Anbeginn allein die gesellschaftlichen Institutionen durch bewußtes Zweckhandeln schaffe. Recht sei nicht das soziologisch entschei-

129 Ebd., S. 122. 130 Ebd., S. 123. 131 Hierzu Weinberger,

Norm und Institution (FN 20), S. 119 ff.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

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dende Soll-System. Er meint, Schelsky zweifle daran, daß sich die Pluralität der gesellschaftlichen Normensysteme wie Sitte, Brauchtum oder Religionsnormen aus einem ursprünglich einheitlichen Normensystem entwickelt habe. Hingegen vermittle seine eigene Theorie ein adäquateres Bild der Rechtsrealität, da sie verdeutliche, wie verschiedene normative Regulative zusammenwirkten. Bestimmte Grundsätze der Moral, der Sitte oder der Religion müßten in das Rechtssystem transformiert werden. Jeder Richter müsse das Abfassen seiner Urteile auch als moralische Aufgabe ansehen.132 Die Kritik Weinbergers zeugt von verschiedenen Mißverständnissen in Bezug auf die Institutionentheorie Schelskys und basiert auf einer unzureichenden theoretischen Beleuchtung des Verhältnisses, in dem das Rechtssystem zu anderen Funktionssystemen steht. Daß nicht allein das Recht soziale Institutionen etabliert, ist für Schelsky von jeher selbstverständlich gewesen, wie insbesondere seine besonders anschaulichen und aufschlußreichen religionssoziologischen Untersuchungen zeigen. 133 Die Definition Schelskys, Recht sei die stets bewußte Regelung und Gestaltung sozialer Beziehungen durch freies und bewußtes Zweckhandeln, ist nicht so zu verstehen, daß jedes auf soziale Regulierung gerichtete Zweckhandeln eine rechtliche Entscheidung sein muß. Vielmehr ist das Recht bloß eine, wenn auch vielleicht die exponierteste Möglichkeit sozialer Normierung. Sitte und Brauchtum gehören für Schelsky als bloße Gewohnheiten nicht zum Bereich des bewußten Zweckhandelns und sind daher auch nicht als soziale Normen anzusehen.134 Es ist daher nicht angebracht, mit Weinberger Brauch und Sitte neben Religionsnormen auf eine Stufe zu stellen. Im Gegenteil würde eine solche Gleichstellung sozialer Normen mit Brauch und Sitte als bloßen Verhaltensgewohnheiten zwangsläufig zu einer behavioristischen Sichtweise führen, die Weinberger andererseits stets mit Grund als unzureichend verwirft. Denjenigen, die von einer Transformation nichtrechtlicher, ζ. B. moralischer oder religiöser Normen ins Recht ausgehen, kann der Vorwurf eines Theoriedefizits wohl nicht erspart werden. 135 Jedenfalls ist er nicht angebracht gegenüber

132 Weinberger, Soziologie und normative Institutionentheorie (FN 36), S. 47; ders., Institutionentheorie und Institutionalistischer Rechtspositivismus (FN 9), S. 186 f. 133 Schelsky, Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? (FN 79), S. 262 ff. und ders., Religionssoziologie und Theologie, in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf/Köln 1965, S. 276-293. 134 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 49), S. 122 f.; ähnlich auch bereits Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5., revidierte Aufl., hrsg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 1976, 1. Halbband, S. 15 und 2. Halbband, S. 581 ff. 135 Die gegenteilige Ansicht sieht sich mit dem Problem eines Sprungs ins Recht konfrontiert. Vgl. Aleksander Peczenik, Grundlagen der juristischen Argumentation, Wien/New York 1983, S. 5 ff., 16 ff. Demgegenüber hat Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 168, überzeugend dargelegt, daß spätestens seit der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die mit der Etablierung staatlich organisierter Rechtssysteme einherging, sich die Trennung von Moral und Recht vollzog,

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der Normen- und Institutionentheorie Schelskys, der jeder Form von Transformationstheorie, ähnlich wie Luhmann, eine klare Absage erteilt hat. Das Rechtssystem ist - wie alle anderen gesellschaftlichen Funktionssysteme - ein autopoietisches System, das als solches operativ geschlossen ist. Es erzeugt alle Operationen selbständig und selbstreferenziell, mit anderen Worten: ausschließlich systemintern. Das Recht kann daher eine rechtsnormative Kommunikation stets nur als rechtliche einordnen, was nicht heißt, daß externe Beobachtungen unter Umständen bestimmte Operationen sowohl als rechtliche als auch als moralische beschreiben können. Das Rechtssystem operiert mit Hilfe des Codes Recht / Unrecht und kann damit lediglich originär rechtliche Elemente produzieren. Das System kann nicht außerhalb seiner eigenen Grenzen handeln. Es stehen dem System eben nur die eigenen Operationen zur Disposition, so daß es zwischen den Systemen keinerlei Überschneidungen ihrer Operationen gibt. Unzutreffend ist ferner die Auffassung, Schelsky verstehe das Wesen der Handlung lediglich von der Person und der menschlichen Natur aus. 136 Gesellschaftliches bzw. organisatorisches Handeln werde von ihm ignoriert. Zwar geht Schelsky einerseits davon aus, daß der Mensch als „providentielles Wesen" mit seinen Entscheidungen seine Wirklichkeit selbst schafft und dabei kontrafaktische Lebensziele verfolgt. 137 Dies gilt jedoch in gleichem Maße für soziale Systeme, die auch, wie bereits oben dargelegt, politische Ideen, Weltanschauungen oder andere gesellschaftspolitische Programme verfolgen. 138 In diesem Zusammenhang ist ferner der Tatsache Rechnung zu tragen, daß Schelsky seine differenziert angelegte Theorie des sozialen Handelns bereits in seinen frühen Arbeiten, beginnend mit der Habilitationsschrift über Thomas Hobbes, ausgearbeitet hatte. 139 Für ihn gibt es keinen einheitlichen Handlungsbegriff. Das soziale Geschehen könne nicht aus einer Analyse des unmittelbaren sozialen Handelns der Personen erfaßt werden. Vielmehr konzipiert er eine neue Auffassung der sozialen Handlung als Grundlage der Wirklichkeitsanalyse, also der diagnostischen Tatbestandsfeststellung des Sozialen. „Die soziale Handlung ist endgültig nicht mehr nach den anthropologischen und geistigen Strukturen zu denken, die sich auf die Einheit der Person b e z i e h e n ; . . F ü r die Bedeutsamkeit des sozialen Handelns sind gerade auch die Handlungsformen institutionell-kooperativer Art herso daß eine Transformation von Moral in Recht gesellschaftlich ausgeschlossen ist. Ebenso Theodor Geiger, Über Moral und Recht. Streitgespräch mit Uppsala, Berlin 1979, S. 182 f. 136 Weinberger, Soziologie und normative Institutionentheorie (FN 36), S. 47. 137 Helmut Schelsky, Die Hoffnung Blochs. Kritik der marxistischen Existenzphilosophie eines Jugendbewegten, Stuttgart 1979, S. 58; ders., Die Erfahrungen vom Menschen (FN 65), S. 211. 138 Schelsky, Die Erfahrungen vom Menschen (FN 65), S. 211 ; ders., Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz (FN 49), S. 104. 139 Helmut Schelsky, Thomas Hobbes. Eine politische Lehre, Berlin 1981, S. 140 ff.; ders., Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen (FN 24), S. 46 f. und ders., Ortsbestimmung der deutschen Soziologie (FN 57), S. 91 f., 123 f.

§ 1 Normativistische und rechtsrealistische Institutionentheorien

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anzuziehen. Das Handeln sei grundsätzlich als ein System der Kooperation und Spezialisierung zu verstehen, in dem nicht nur der Gegenstandsbereich, sondern die Handlungs- und Denkformen zwischen Wissenschaft und Praxis arbeitsteilig aufgespalten sind. 140 Die Gesamtverantwortung der Handlung sei nicht von der Person, sondern nur von einer Kooperation in den Institutionen zu tragen. Er bezeichnet die Institutionen u. a. als Denksynthesen, in die die einzelnen Wissenschaften einzugehen haben, um „das System eines sozialen Handelns zu ermöglichen". Soziale Handlungssysteme erfordern eine Verschränkung soziologischer und normativer Analysen. Die Einbeziehung des bewußten Zweckhandelns in den Gegenstandsbereich der Theorie steht zu dem Vorhergesagten nicht im Widerspruch. Der Hinweis auf die Bedeutung sozialer Zweckverfolgungen macht Schelsky nicht zum Vertreter einer finalen Handlungslehre, welche den Handlungsw///^w als planvoll steuernden Faktor des Kausalgeschehens begreift. 141 Daß menschliches Handeln an Zielen orientiert ist, ist eine grundlegende Tatsache für sämtliche Handlungsund Sozialwissenschaften, die aber keine bestimmte Handlungstheorie präjudiziell. Vielmehr meint Schelsky, ganz im Gegensatz hierzu, vornehmlich auf den menschlichen Willen abstellende Handlungslehren der normativen Wissenschaften, einschließlich der Rechtswissenschaften, könnten im Grunde den Bannkreis des idealistischen, den Primat des Bewußtseins behauptenden Denkens, niemals überschreiten. 142 Erst mit den beschreibenden Wissenschaften wird es möglich, sämtliche handlungsbildenden Faktoren angemessen zu berücksichtigen. Bei der Anwendung dieser Wissenschaften auf den Menschen als Gegenstand, verliere der Primat des Bewußtseins in der Handlung seine geheime, wissensmethodologische Grundlage, und das Motivbewußtsein oder die Zielvorstellungen des Handelnden müßten dann bei der Determinierung der Handlung oft als nebensächlicher, oberflächlicher oder abhängiger Faktor unter anderen angesehen werden. Schelsky selbst hat keine isolierte Handlungstheorie entwickelt, sondern sieht eine solche als integrierenden Bestandteil seiner realistischen Institutionentheorie des Rechts an. 140

Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie (FN 57), S. 124. 141 Exemplarisch hierzu Hans Welzel, Um die finale Handlungslehre. Eine Auseinandersetzung mit ihren Kritikern, Tübingen 1949; ders., Kausalität und Handlung, in: ders., Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, Berlin / New York 1975, S. 7 22,21 ; Günter Stratenwerth, Strafrecht, Allgemeiner Teil I. Die Straftat, 3., neubearbeitete Aufl., Köln / Berlin / Bonn / München 1981, S. 62 ff.; vgl. auch in kritisch modifizierter Form aus rechtstheoretischer Sicht Weinberger, Norm und Institution (FN 20), S. 141 ff.; ders., Zur Idee einer formal-finalistischen Handlungstheorie, in: ders., Recht, Institution und Rechtspolitik, Grundprobleme der Rechtstheorie und Sozialphilosophie, Stuttgart 1987, S. 43-84. 142 Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen (FN 24), S. 46. Daß Schelsky eine differenzierte Auffassung über das Verhältnis von menschlichem Willen und Handlung hat, wird bereits in seiner Habilitationsschrift deutlich, in der er sich detailliert mit Hobbes Handlungsverständnis auseinandersetzt; Schelsky, Thomas Hobbes (FN 139), S. 140 ff.

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§ 2 Anthropologische Voraussetzungen der Institutionentheorie und Rechtsbildung im Wege sozialen Wandels 1. Institutionen als Entlastungs- und Steuerungssysteme

Gegenüber Schelskys Begriff der Institution findet man neuerdings in der soziologischen Literatur den Einwand, dieser sei zu konkret, weil er nur anthropologisch-bedürfnisorientiert ausgerichtet sei.1 Dieser Kritik, die mit einem Naturalismusvorwurf 2 einhergeht, liegt die häufig geäußerte Ansicht zugrunde, Schelskys Absicht sei es gewesen, eine anthropologische bzw. personfunktionale Theorie als Gegenposition zum systemtheoretischen Ansatz zu entwerfen. 3 Dies hieße, die Theorie und Soziologie Schelskys, die auf einer Vielfalt von interdisziplinären Forschungsergebnissen basiert, auf einen lediglich anthropologiebezogenen Ansatz zu reduzieren. Für Schelsky ist die moderne Anthropologie jedoch nur eine Voraussetzung unter anderen, sie stellt lediglich den philosophischen Hintergrund dar und bildet die Basis seiner anthropologisch begründeten soziologischen Theorie des Rechts. 4 In Anlehnung an die philosophische Anthropologie Arnold Gehlens ist auch Schelsky der Ansicht, daß der Mensch im Unterschied zum Tier unspezialisiert ist und demzufolge die Natur des Menschen in seiner biologischen Minderausstattung besteht. Er wird von Gehlen um seiner Unspezialisiertheit willen als „Mängelwesen" gekennzeichnet.5 Die Organe des Menschen sind 1

Vgl. Niklas Luhmann, Am Ende der kritischen Soziologie, in: Zeitschrift für Soziologie 20 (1991), S. 147-152, 151 sowie ders., Die Universität als organisierte Institution, in: ders., Universität als Milieu. Kleine Schriften, hrsg. von André Kieserling, Bielefeld 1992, S. 90-99, 91. Ähnlich auch Klaus F. Röhl, Institutionstheoretische Ansätze in der Rechtssoziologie und institutionelles Rechtsdenken, in: Gerhard Göhler/Kurt Lenk/ Rainer Schmalz-Bruns (Hrsg.), Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, Baden-Baden 1990, S. 357-380, 369 f. 2 Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1988, S. 159 FN 14 und ders., Rechtssoziologie, 2., erweiterte Aufl., Opladen 1983, S. 65. 3 Thomas Raiser, Rechtssoziologie, Frankfurt a. M. 1987, S. 132; Bernhard Schäfers, Person und Institution, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 36 (1984), S. 420-427, 422; Wolf Lepenies, Anthropologie und Gesellschaftskritik. Zur Kontroverse Gehlen - Habermas, in: ders./Helmut Nolte, Kritik der Anthropologie. Marx und Freud. Gehlen und Habermas. Über Agression, 2. Aufl., München 1972, S. 77-102, 95. 4 Helmut Schelsky, Soziologie - wie ich sie verstand und verstehe, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 7-33, 13; ders., Thomas Hobbes. Eine politische Lehre, Berlin 1981, S. 70 ff., 140 ff., 321 ff. und Werner Krawietz, Begründung des Rechts - anthropologisch betrachtet: zur Institutionentheorie von Weinberger und Schelsky, in: ders. / Helmut Schelsky / Günter Winkler / Alfred Schramm (Hrsg.), Theorie der Normen. Festgabe für Ota Weinberger zum 65. Geburtstag, Berlin 1984, S. 541 556, 549. 5 Arnold Gehlen, Ein Bild vom Menschen, in: ders., Anthropologische Forschung, Reinbek bei Hamburg 1961, S. 44-54, 46 f.; ders., Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, 12. Aufl., Wiesbaden 1978, S. 33 und ders., Über einige Kategorien

§ 2 Anthropologische Voraussetzungen und sozialer Wandel

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nicht einseitig auf bestimmte Verrichtungen angelegt, sondern unspezialisiert. Er handelt im Gegensatz zum Tier instinktarm. Wo das Tier in gewisser Weise instinktiv weiß, wie zu handeln ist und was von ihm gefordert wird, strömen auf den Menschen ungeordnete und desorientierende Eindrücke zu. Da die Bedürfnisse des Menschen nicht mehr von seinen Instinkten kanalisiert werden, steht er unter einem konstitutionellen Bedürfnisdruck und Antriebsüberschuß, der kulturell verarbeitet werden muß. Eine ontologisch eindeutige Natur des Menschen, die gleichsam vorgegeben wäre, kann daher nicht ausgemacht werden. Anders als Malinowski 6 verfällt Schelsky nicht in den Fehler, die Bedürfnisse aus den Leistungen der Institutionen zu erschließen und sie dann wiederum als „Bedürfnisse" in die menschliche Natur zu projizieren. Dies führte zu Zirkelschlüssen, in die sich derartige funktionale Analysen der Institutionen verstricken. Ein funktionaler Erkenntniszuwachs als Grundlage der Beschreibung sozialer Lebensvorgänge ist jedoch nur möglich, wenn die menschlichen Grundbedürfnisse biologisch-anthropologisch definiert werden, ohne auf die Mechanismen ihrer Erfüllung zu rekurrieren. Daß Malinowski trotzdem dieser methodische Fehler unterläuft, verwundert, da er andererseits auf das Fehlen einer „point-for-pointcorrelation" zwischen biologischem Bedürfnis und institutioneller Reaktion hingewiesen hat. 7 Bedürfnisse können nicht schlüssig aus den Leistungen der Institutionen abgeleitet werden. Dies folgt bereits aus dem von Malinowski entwickelten Prinzip der funktionalen Äquivalenz der Institutionen gegenüber den anthropologischen Bedürfnissen. Keine Institution kann funktionell auf ein einziges Grundoder Kulturbedürfnis zurückgeführt werden, denn Kultur ist nicht einfach eine Zusammenstellung von spezifischen Reaktionen auf spezifische biologische Bedürfnisse. Jede Institution befriedigt zugleich mehrere Bedürfnisarten (Bedürfnissynthese der Institution) und jede Bedürfnisart findet ihre Befriedigung in mehreren Institutionen.8 Eine eindeutige Kausalbeziehung zwischen biologischem Bedürfnis und Institution ist auch nach Schelsky nicht möglich, denn es sind immer eine Vielzahl von Organisationen und Kulturgebilden an der Befriedigung eines jeweiligen Antriebs beteiligt. In diesem Zusammenhang weist Schelsky auf Niklas Luhmann hin, der das Prinzip der funktionalen Äquivalenz für die Systemfunktionalität nachgewiesen hat. 9 Auch Luhmann geht davon aus, daß die funktionale Beziehung nicht als des entlasteten, zumal des ästhetischen Verhaltens, in: Studium Generale 3 (1950), S. 5460. 6 Bronislaw Malinowski, Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur, in: ders., Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur und andere Aufsätze, Zürich 1949, S. 45 -170,122 f. ι Ebd., S. 139 ff. 8 Vgl. Helmut Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 95146, 103. 9 Ebd.

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eine spezielle Art der Kausalbeziehung, sondern umgekehrt Kausalität als ein besonderer Anwendungsfall funktionaler Kategorien angesehen werden muß. 10 Funktionale Leistungen können den Bestand eines Systems nicht im Sinne ontologischer Bestandssicherheit bewirken. Das bedeutet, die Feststellung eines gewissen Zustandes, eines Seins oder Nichtseins kann nicht mit Sicherheit getroffen werden. Der Ausschluß anderer Möglichkeiten ist aber gerade das Prinzip jeglicher Kausalerklärungen. Luhmann wendet sich von diesem traditionellen Begriff der Kausalität ab, bei dem die Vorstellung von invarianten Korrelationen zwischen jeweils einer Ursache und einer Wirkung dominierte. Diese Abstraktion sollte bestimmte Ordnungsfunktionen erfüllen. 11 Keine Ursache kann allein zur Bewirkung einer Wirkung ausreichen, auch hat keine Ursache nur eine einzige Wirkung. Nach Luhmann besitzt das Kausalschema eine Alternativstruktur. Es gibt immer andere Ursachen, die eine bestimmte Wirkung ebenfalls bewirken können; gleichzeitig gibt es immer auch andere Wirkungen, die eine bestimmte Ursache ebenso bewirken könnten. Dies ist dann der Fall, wenn Wirkung bzw. Ursache in einen anderen Kausalkontext gebracht werden. 12 Ursache und Wirkung sind disponibel. Es kommt somit nicht auf eine gesetzmäßige Beziehung zwischen bestimmten Ursachen und Wirkungen an, sondern auf die Feststellung der funktionalen Äquivalenz mehrerer möglicher Ursachen unter dem Gesichtspunkt einer problematischen Wirkung. 13 Der kausalwissenschaftliche Funktionalismus wird durch den Äquivalenzfunktionalismus ersetzt. Funktion ist keine zu bewirkende Wirkung, sondern ein regulatives Sinnschema, welches einen Vergleichsbereich äquivalenter Leistungen organisiert. Die funktional äquivalenten Möglichkeiten werden als Variablen bezeichnet, die zwar unbestimmt bleiben, jedoch nicht beliebig sind, sondern durch einen funktionalen Bezugsgesichtspunkt definiert werden. Von dieser Definition des funktionalen Bezugsgesichtspunktes hängt dann wiederum der Äquivalenzbereich einer Funktion ab. Die besondere Leistung der funktionalen Orientierung liegt in der Ausweitung und Limitierung des Möglichen. Auf dieser Grundlage läßt sich nun der Funktionsbegriff als regulatives Prinzip für die Feststellung von Äquivalenzen im Rahmen funktionaler Variablen verstehen. Eine eindeutige Kausalanalyse zwischen biologischen Bedürfnissen und Institutionen ist unmöglich, denn die Bedürfnisse sind nichts weiter als funktionale Bezugsgesichtspunkte, die die Gleichwertigkeit verschiedener Erfüllungsmöglichkeiten sichtbar machen. Da, wie bereits erwähnt, die Bedürfnisse beim Menschen nicht mehr vom Instinkt kanalisiert werden und der einzelne unter einem Antriebsüberschuß steht, der Belastung bedeutet, bringen nur die Institutionen als teilweiser Ersatz des 10 Niklas Luhmann, Funktion und Kausalität, in: ders., Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, Bd. 1, Opladen 1972, S. 9-30, 10. 11 Niklas Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität. Über die Funktion von Zwecken in sozialen Systemen, Frankfurt a. M. 1973, S. 26. 12 Ebd. 13 Luhmann, Funktion und Kausalität (FN 10), S. 14.

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Instinktverhaltens Entlastung.14 Sie sind vom Menschen selbst geschaffen und bringen Entlastung; denn bestimmte Entscheidungen sind in ihnen vorweggetroffen und verwirrende Eindrücke sind bereits geordnet. Der einzelne handelt in den Institutionen. Sie geben seinem Lebensraum Übersichtlichkeit und Richtung, er kann sich ihnen unterwerfen bis hin zur Einschränkung seines eigenen Triebes. Die Institutionen nehmen insofern jetzt die Funktion des sozialen Bereichs ein, der hauptsächlich in der Kontrolle und Führung des einzelnen liegt. „Gesamtfunktion der Institutionen ist dann immer die als Instinkt fehlende oder verkümmerte Steuerung des menschlichen Verhaltens in seiner Umwelt." 1 5 An dieser Position ändert sich nichts, wenn man, anders als noch Gehlen, 16 mit Schelsky in Anlehnung an Konrad Lorenz und Paul Leyhausen zusätzlich annimmt, daß Institutionen auch Systeme der Befriedigung tendenzgerichteter instinktiver Antriebsreservoire - neben ihrer Funktion als Entlastungs- und Steuerungssysteme des plastischen Antriebsüberschusses - sind.

2. Ausdifferenzierung der Institutionen und sozialer Wandel

Schelsky sieht die Geschichtlichkeit und den sozialen Wandel von Institutionen ähnlich wie Malinowski. Zunächst einmal muß jede Kultur bestimmte rein biologisch begründete Grundbedürfnisse des Menschen erfüllen. 17 Diese biologische Betrachtung reicht jedoch nicht aus, sie dient lediglich als Ausgangspunkt. Aufgrund der mangelnden spezialisierten Organausstattung des Menschen ist dieser auf den Aufbau einer künstlichen kulturellen Umwelt angewiesen. Wenn die gegebenen biologischen Grundbedürfnisse durch Institutionen 1. Grades erfüllt werden, entstehen neue kulturelle Bedürfnisse. Die in den Institutionen organisierte Befriedigung von Grundbedürfnissen produziert also neue, nicht naturgegebene, sondern vom Menschen selbst selegierte Bedürfnisse. Mit diesen sogenannten „abgeleiteten Bedürfnissen" und deren Erfüllungen treten zugleich neue Typen der Gesetzmäßigkeiten im menschlichen Verhalten auf. Dieses institutionelle Verhalten entwickelt aus seinem Erfüllungsbestand heraus neue Folgebedürfnisse. 1 8 Charakteristisch für die abgeleiteten menschlichen Kulturbedürfnisse ist es, aus sich selbst, auf dem Weg institutioneller, versachlichter Befriedigungen zugleich neue Arten von jeweiligen Folgebedürfnissen zu produzieren. Schelsky 14 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 8), S. 118. 15 Ebd., S. 117. 16 Arnold Gehlen, Das Bild des Menschen im Lichte der modernen Anthropologie, in: ders., Anthropologische Forschung, Reinbek bei Hamburg 1961, S. 55-68, 61 f. 17 Helmut Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen. Kulturanthropologische Gedanken zu einem rechtssoziologischen Thema, in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf/Köln 1965, S. 33-55, 37. is Ebd. S. 39. 4 Werner

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bezeichnet sie als tertiäre, quartäre abgeleitete Bedürfnisse höheren Grades, die ihrerseits zu einem Weitertreiben der sozialen Institutionenbildung auffordern. Dieser Prozeß einer fortgesetzten abgeleiteten Bedürfnisentwicklung bei Dauerbefriedigung der jeweils vorgelagerten Bedürfnisse in Institutionen führt dazu, daß die Institutionen jeweils höchsten Grades neue Bedürfnisse hervorbringen, die ihre institutionelle Erfüllung verlangen und damit immer neue Institutionen und damit wiederum neue Bedürfnisse aus sich heraus schaffen. 19 Die abgeleiteten kulturellen Bedürfnisse haben damit eine gegenüber den biologischen Grundbedürfnissen weitgehend unabhängige soziale Position. In Schelskys Institutionentheorie werden die biologischen Grundbedürfnisse lediglich als Voraussetzungen der kulturellen Entwicklungsgeschichte aufgeführt. Demgegenüber machen die sozialen Bedürfnisse als Themen der sinnhaften Kommunikation die sachliche Dimension der Institutionen bzw. sozialen Systeme aus. 20 In der Regel werden Kommunikationseinheiten zu einem Prozeß verknüpft, indem mehrere selektive kommunikative Ereignisse durch wechselseitige Konditionierung temporal verbunden werden. Voraussetzung der Entstehung eines solchen Prozesses ist die Möglichkeit, zwischen Kommunikationsthemen und -beiträgen differenzieren zu können. Kommunikationsprozesse können nur entstehen, wenn die einzelnen Beiträge thematisch geordnet werden. Es müssen stets mehrere Beiträge einen Sinnbezug zu einem bestimmten Thema haben. Themen überdauern Beiträge und fassen unterschiedliche Beiträge zu einem mehr oder weniger langfristigen Sinnzusammenhang zusammen. Sie führen schließlich zur Institutionsbildung, die die Themenwahl oder die abgeleiteten sozialen Bedürfnisse befriedigt und damit zur Voraussetzung der Einführung neuer Themen wird. In diesem Bedürfnis-Institutionen-Aufbau der Kultur liegt, institutionentheoretisch betrachtet, der soziale Wandel begründet. 21 Voraussetzung und Ausgangs!9 Helmut Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 215-231, 225. Die Forschungsergebnisse Malinowskis und Schelskys zur Bedeutung der institutionell selegierten Kulturbedürfnisse ignorierend, plädiert Ernst-Joachim Lampe, Grenzen des Rechtspositivismus. Eine rechtsanthropologische Untersuchung, Berlin 1988, S. 25 ff., 41 f., 193 f., für einen rein anthropologischen Ansatz, der die Rechtsordnung lediglich auf siebzehn von ihm aufgelistete Grundbedürfnisse hin ausrichtet. 20 Vgl. zu den Parallelen zwischen sozialen Bedürfnissen und Kommunikationsthemen bereits Athanasios Gromitsaris, Theorie der Rechtsnormen bei Rudolph von Ihering. Eine Untersuchung der Grundlagen des deutschen Rechtsrealismus, Berlin 1989, S. 186. 21 Vgl. zum Gesetz des sich selbst produzierenden Kreislaufs von Bedürfnis und Institution auch den Bereich der Technik und Artefakte, bei denen neue technische Erfindungen ebenfalls auch neue Bedürfnisse schaffen, Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf / Köln 1965, S. 439-480; allgemein zur Problematik des sozialen Wandels: Wilfried Fiedler, Sozialer Wandel, Verfassungswandel, Rechtsprechung, Freiburg / München 1972, insbes. S. 65 ff. und auch Wolf gang Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, 3. Aufl., Köln/Berlin 1971. Die Bedeutung Schelskys für eine Kultursoziologie des

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punkt allen sozialen Wandels ist somit die institutionelle Stabilität, das heißt das Funktionieren des komplexen Beziehungsgeflechts zwischen Bedürfnissen und Institutionen. 22 Hierbei werden die grundsätzlichen Zusammenhänge zwischen Bedürfnissen und Institutionen von Schelsky wie folgt zusammengefaßt: „Es besteht 1. ein jeweiliges System der in einer Institution als ihrer Erfüllung zusammenlaufenden Bedürfnisse; 2. eine Hierarchie von Bedürfnissen und also auch Institutionen auf Grund der notwendigen Entwicklung von abgeleiteten Bedürfnissen höheren Grades und des aus ihnen folgenden Aufbaus der Kultur." 2 3 Die Stabilität einer sozialen Institution in den aufgezeigten Beziehungen setzt zunächst eine relative Konstanz der Quantität der in ihr befriedigten Bedürfniskorrelationen und Antriebskombinationen voraus. Eine solche innere Regulierbarkeit eines sozialen Systems ist nur beobachtbar mittels einer quantitativen soziologischen Analyse sämtlicher in der Institution etablierten Antriebsfaktoren. Da sich jede Institution auf das Zusammenspiel eines Bündels verschiedener Bedürfnisse gründet, stellt sich stets die Frage, welche Bedürfnisveränderungen von der Elastizität und Regulierbarkeit des Systems aufgefangen und egalisiert werden können bzw. welche die Stabilität der betreffenden Institutionen erschüttern. Von Stabilität sozialer Institutionen als einer statischen Situation kann nur ausgegangen werden, wenn die in einem sozialen System untergebrachten Antriebsenergien oder Bedürfnisintensitäten konstant sind, das heißt, in ihrer Relation und Kombination zwar wechselnd, doch als ganzes stets von relativ gleichbleibender Quantität sind. Es muß also ein soziales Gleichgewicht herrschen. Die Möglichkeit der flexiblen Regulierbarkeit der Institution und damit der Herstellung sozialen Gleichgewichts ist sicherlich auf dem einmal etablierten Niveau nicht mehr gewährleistet, wenn alle einer Institution zugrundeliegenden Bedürfnisse entweder in Richtung einer Steigerung oder in Richtung einer Schwächung ihrer Intensität geändert werden. Das bisherige soziale Gleichgewicht kann damit sowohl durch grundsätzliche Unterschreitung der erforderlichen Intensität aller oder einzelner Faktoren der institutionstragenden Bedürfnisrelation als auch durch grundsätzliche Intensitätsübersteigerung erschüttert werden. Schelsky nennt als Beispiele für den ersten Fall, bei dem eine Institution aufgrund AntriebsRechts betont Michael Bock, Neues von der Kultursoziologie des Rechts? Kritische Anmerkungen zu Werner Gepharts „Kulturelle Aspekte des Rechts - Vom Klassenzum Kulturparadigma?" In: Zeitschrift für Rechtssoziologie 12 (1991), S. 147-151, 150. 22 Vgl. neuerdings zur Stabilität von Institutionen als Voraussetzung gesellschaftlichen Wandels aus wirtschaftstheoretischer Sicht: Douglass C. North, Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Streissler, Tübingen 1992, S. 6 ff. und 98 ff. 23 Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen (FN 17), S. 40. 4*

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entzugs erlischt, das Bettelmönchtum sowie das Duell; für den zweiten Fall, in dem die Leistungsfähigkeit der Institution durch eine Hyperthrophie einzelner oder sämtlicher Bedürfnisse überbeansprucht wird, staatliche Institutionen. 24 Schelsky macht ferner die Stabilität einer sozialen Institution von einer zweiten dynamischen Schicht von Stabilitätsgesetzlichkeiten abhängig. Er verweist hier auf die historische Abhängigkeit und Zuordnung, die sich in der Entwicklung des Verhältnisses von Bedürfnissen und Institutionen auswirkt. Das entwicklungsgeschichtlich spätere, aber höher organisierte System übernimmt in der kulturellen, geschichtlich und gesellschaftlich geprägten Hierarchie die Steuerung der niederen, aber ursprünglicheren Bedürfnis- und Institutionssysteme. Hier führt Schelsky als Beispiel die Entwicklung der Staatsverfassung an, in der die historisch später entwickelten Bedürfnisse hochbürokratischer Herrschafts- und Verwaltungsmethoden die Lenkung und Steuerung der ursprünglichen Bedürfnisse der demokratischen Verfassungsgesetzgebung übernommen haben. In diesem Zusammenhang erwähnt Schelsky die theoretischen Leistungen der allgemeinen Verfassungslehre Rudolf Smends, der die Integrationsaufgabe des Staates und der Verfassung betonte.25 Schon in den auf die soziologischen Voraussetzungen des Verfassungsrechts eingehenden Untersuchungen Smends werde die Rückwirkung deutlich, die eine Institution als versachlichte und in Akten der Wirklichkeitsschöpfung bestehende Bedürfnisbefriedigung als Führung und Formierung auf eben diese Bedürfnisse ausübe. Bei dieser im wesentlichen aber bloß typologischen Betrachtungsweise, die den anthropologischen und soziologischen Strukturzusammenhang der Integrationsakte im Gesamtaufbau der menschlichen Kultur unberücksichtigt läßt, vermißt Schelsky den in jeder politischen Organisation deutlich ausgeprägten Grundstock an Bedürfnissen, von deren Erfüllung in institutionellen Handlungen der reversible Prozeß der Integration im höchsten Maße abhänge. Ebenso werden nach seiner Auffassung die Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichsten Institutionen, die aufgrund abgeleiteter Bedürfnisspaltung entstehen und in steigendem Maße Entlastung der ursprünglicheren Bedürfniserfüllungen mitsichbringen, nicht hinreichend deutlich. Eine entsprechende Entwicklung sozialer Systeme aufgrund des Entstehens neuer Folgebedürfnisse unter Beibehaltung der institutionellen Stabilität steht dagegen im Zentrum Schelskys Theorie des sozialen Wandels. 26 Erst mit einer

24 Ebd., S. 41 f. 25 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, München / Leipzig 1928, S. 18 ff.; ders. t Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, in: Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl zum Doktorjubiläum am 19. April 1923, Tübingen 1923, 3. Beitrag (mit eigener Paginierung), S. 19 ff.; vgl. hierzu Jürgen Poeschel, Anthropologische Voraussetzungen der Staatstheorie Rudolf Smends. Die elementaren Kategorien Leben und Leistung, Berlin 1978, S. 42 ff.; neuerdings zu diesem Problemkreis aus systemtheoretischer Sicht Niklas Luhmann, Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, in: Rechtshistorisches Journal 9 (1990), S. 176-220.

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hierarchischen Strukturanalyse der Zuordnung von Bedürfnissen und Institutionen zeigt sich die historische Dimension des Stabilitätsproblems und damit die dynamische Gesetzlichkeit des stabilen bzw. instabilen Institutionenwandels. Ein stabiler Wandel ist nicht möglich, wenn das Verhältnis menschlicher Bedürfnisse und Antriebe zu den institutionellen Erfüllungsformen instabil wird. Dies kann einmal durch eine Veränderung der die Institutionen tragenden Bedürfnisse und Folgebedürfnisse geschehen, mit der keine entsprechende Anpassung der Institution einhergeht. Zum anderen führt auch eine Veränderung der Institution bei konstantem Bestand der Bedürfnisse und Antriebe zur Instabilität. 27 Im ersten Fall verändern sich die Antriebsstrukturen durch die Entstehung neuer, abgeleiteter Folgebedürfnisse, so daß der institutionellen Wirklichkeit mit den veränderten Bedürfnissen die existenznotwendige Basis entzogen wird, bis es zum Verfall der Institution kommt. Eine solche Entwicklung stellt die normale bzw. typische Form des Instabilwerdens von Institutionen dar. Im zweiten Fall dagegen, kommt es zur Instabilität des sozialen Systems, weil äußere oder innere Kräfte derartige institutionelle Änderungen erzwingen, daß die noch bestehenden Bedürfnisstrukturen nicht mehr befriedigt werden können. Solche, oftmals radikalen institutionellen Veränderungen sind häufig das Ergebnis gewaltsamer Einwirkungen institutionsfremder Kräfte, beispielsweise nach kriegerischen Niederlagen oder Revolutionen. Es ist durchaus möglich, daß die in revolutionären Umwälzungen neu etablierten Institutionen mit den neu aufgekommenen Folgebedürfnissen gänzlich kompatibel sind; aber durch völlige Zerstörung der alten Organisationen belasten sich die neuen Institutionen mit deren noch vorhandenen, ursprünglicheren Bedürfnissen. Schelsky exemplifiziert diesen instabilen Wandel anhand der Weimarer Verfassung, die zwar einerseits den sich verbreitenden Bedürfnissen nach demokratischer Selbstbestimmung entgegenkam, andererseits aber mit der völligen Zerstörung der Institution der Monarchie das abstrakt demokratische Staatssystem mit den noch weit verbreiteten Bedürfnissen nach patriarchalischer Machtrepräsentation überfrachtete und deren Nichtbefriedigung letztlich in dem Ruf nach dem starken Mann gipfelte. 28 Stabiler Wandel im hierarchischen Bedürfnis-Institutionen-Aufbau erfordert hingegen nach Schelsky zum einen, daß sich die Folgebedürfnisse höheren Grades in neue, auf die alten Institutionen sich stützende Gebilde eingliedern lassen. Sie dürfen nicht hierarchisch ungebunden und zu ihrer Erfüllung auf die alten Institu26 Zum Verhältnis von sozialem Wandel und Evolution Niklas Luhmann, Moderne Systemtheorien als Form gesamtgesellschaftlicher Analyse, in: Jürgen Habermas / Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt a. M. 1971, S. 7-24, 21; hierzu Jürgen Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie? Eine Auseinandersetzung mit Niklas Luhmann, in: ders./Luhmann, wie vor, S. 142-290, 272ff. 27 Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen (FN 17), S. 44. 28 Ebd., S. 48 f.

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tionen angewiesen sein, um diese nicht zu überlasten. Zum anderen müssen die alten und ursprünglicheren Bedürfnisse in den alten Institutionsformen gebunden bleiben und befriedigt werden. Eine Zerstörung derselben hätte zur Folge, daß die alten Bedürfnisse frei fluktuierend neue Institutionen beanspruchen und diese dann überlasten. Schelsky bezeichnet dieses dritte Stabilitätsgesetz als das Gesetz des stabilen Wandels. 3. Sozialer Wandel und Evolution des Rechts

Der Aufbau der Kultur ist außerdem ein Zeitprozeß, da er zugleich auch ihre Geschichte verkörpert. Die Entwicklung höherer Bedürfnisse und Institutionen wird von Schelsky zutreffend als zeitlicher oder geschichtlicher Fortschritt interpretiert. 2 9 Es ist ihm gelungen, die Zeitdimension realistisch in seine soziologische Institutionentheorie zu integrieren. Hierbei hat er sehr wohl gesehen, daß sozialer Wandel sich nicht nur kontinuierlich als geschichtlicher Prozeß von Systemereignissen, also gesellschaftlichen Kommunikationen, vollzieht, sondern soziale Strukturänderungen auch ungeplant, nicht in Form von geschichtlicher Einheit, auftreten. Damit sind bei Schelsky bereits die Voraussetzungen sozialer Evolution, wie sie in der modernen soziologischen Evolutionstheorie behandelt werden, thematisiert. 30 Phänomene sozialer Strukturänderung werden von ihm theoretisch, wie bereits dargelegt, mit den Begriffen stabiler bzw. instabiler sozialer Wandel bezeichnet. Es werden also nicht nur langfristige Richtungen historischer Veränderungen beschrieben, sondern durchaus Strukturänderungen, die mit sprunghaften Umbrüchen bzw. Katastrophen, in Schelskys Terminologie als „unstabiler" Wandel bezeichnet, verbunden sind. Eine bloß geschichtliche Beschreibung der zeitlichen Entwicklung der Gesellschaft insgesamt und des Rechtssystems im besonderen würde gerade die häufig zufällig auftretenden sozialen Strukturänderungen übersehen bzw. nicht angemessen charakterisieren. 31 Schelsky sieht sehr wohl die sozialen Probleme, die durch die nicht geplante Variation institutionalisierter Systemstrukturen entstehen, und beobachtet durchaus zutreffend, daß die Folgen in der Regel Institutionsüberlastung oder Institutionsverfall sind. 29 Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution (FN 19), S. 225; zur Bedeutung von Geschichtsbewußtsein und Vergangenheitsorientierung für sozialen Fortschritt vgl. Rüdiger Schott, Das Geschichtsbewußtsein schriftloser Völker, in: Archiv für Begriffsgeschichte XII (1968), S. 166-205, 169 ff. 30 Vgl. bereits Helmut Schelsky, Zum Begriff der tierischen Subjektivität, in: Studium Generale 3 (1950), S. 102-116,115. Hier thematisiert er die Möglichkeit, die Evolutionstheorie für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft nutzbar zu machen. 31 Als charakteristisches Beispiel einer evolutionären Entwicklung ist die Positivierung der Menschenrechte, wie Werner Krawietz, Evolution des Rechts und der Menschenrechte, in: Friedrich Kaulbach / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 319-341, eingehend dargelegt hat, anzusehen; zu den Voraussetzungen gesellschaftlicher Evolution vgl. auch Talcott Parsons, Evolutionäre Universalien der Gesellschaft, in: Wolfgang Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, 3. Aufl., Köln/Berlin 1971, S. 55-74.

§ 2 Anthropologische Voraussetzungen und sozialer Wandel

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Die institutionellen Strukturen korrelieren in der sachlichen Dimension gewöhnlich, wie bereits ausgeführt, mit den zugrunde liegenden Bedürfnissen. Systemtheoretisch ausgedrückt, leiten und ordnen sie als Themen die sinnhaften Kommunikationszusammenhänge und sind damit ausschließlich soziale Phänomene und nicht etwa biologisch vorgegeben. Mit dem Fortschreiten des Kommunikationsprozesses können unvermittelt auch Vorschläge zur Themenänderung, also Variationen auftreten, so daß die Sinngrenzen, also die Differenz von Umwelt und System erweitert bzw. geändert werden. Sinngrenzen ordnen die einzelnen Elemente, nämlich die Kommunikationen, aus denen ein System besteht und die es reproduziert, dem System zu. Jede Kommunikation trifft damit eine Zuordnungs- also eine Grenzentscheidung. Sie trägt zur Bestimmung bzw. zur Veränderung der Systemgrenzen bei, indem sie die Differenz zur Umwelt in Anspruch nimmt. Grenzvorstellungen haben umgekehrt eine ordnende Funktion für die Konstitution der Elemente, da es möglich wird abzuschätzen, welche Elemente bzw. welche Kommunikationen im System gebildet werden. 32 Mit Hilfe dieses Zusammenhangs von Themen und Grenzen ist es institutionenund systemtheoretisch möglich, die Prozesse des Schrumpfens und des Verfalls sozialer Systeme bzw. Institutionen zu analysieren. Es geht also um die Frage, wie ein System, welches seine eigenen Operationen durch seine eigenen Strukturen steuert, diese Strukturen mit den Operationen ändern kann, auch für den Fall, daß das System an die gegebenen Strukturen gebunden ist und diese nicht planmäßig durch neue ersetzt werden können. Durch Variationsmechanismen werden einzelne Operationen, die als kommunikative Ereignisse auftreten, verändert. Dies geschieht, indem ζ. B. etwas Neuartiges, Unerwartetes gesagt bzw. geschrieben wird. Ein autopoietisches Element wird im Vergleich zum bisherigen Muster der Reproduktion verändert. Eine solche Variation fordert zur Bedürfnis- bzw. Themenänderung auf und stellt zugleich ein Strukturangebot dar. Es wird die Möglichkeit geschaffen, Strukturen zu selegieren. Die Selektion kann in zwei Richtungen verlaufen. Falls sich die mutierte Variante durchsetzt, muß sie den etablierten Normstrukturen angepaßt werden. Für den Fall der Ablehnung wird eine Restabilisierung erforderlich; denn das bisherige Bedürfnis, welches bislang alternativenlos institutionalisiert war, ist nunmehr lediglich die präferierte Lösung, welche für die Zukunft im Angesicht neuer Möglichkeiten besonders stabilisiert werden muß. Das soziale System verändert sich also in jedem Fall, gleichgültig, für welche Option es sich entscheidet. Maßgeblich ist, daß die Selektion zu einer Stabilisierung führt. Es sind demnach Variation, Selektion und Stabilisierung zu unterscheiden. Erst das Zusammenspiel der drei Differenzen Variation / Selektion, Selektion / Stabilisierung und Stabilisierung / Variation führt zur Evolution. 33 Nur wenn eine 32 Luhmann, Soziale Systeme (FN 2), S. 266 f. 33 Niklas Luhmann, Evolution des Rechts, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts, Frankfurt a.M. 1981,S. 11-34,14 ff.; ders., Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

Variation zugleich eine Selektion vollzieht, was aber sehr selten und zufällig geschieht, kann es zur Evolution kommen. Isoliert betrachtet, sind die Variationen, sofern sie als Änderungs- und Reformvorschläge auftreten, nicht zufällige Ereignisse, sondern teilweise oder gänzlich determinierte gesellschaftliche Operationen. Der Zufall ist nur darin zu sehen, daß Variation und Selektion nicht vorab koordiniert sind. Die Variation eröffnet somit die Möglichkeit, neu zu selegieren. Evolution ist also nicht eine automatisch ablaufende Folge bestimmter Ereignisse nach Art eines Phasenmodells im Sinne eines Zeitstrahls, bei dem auf Variation Selektion und auf Selektion gleichsam naturnotwendig Stabilisierung folgen muß. Alle diese Mechanismen, die als solche weitgehend nicht fest institutionalisiert sind, wirken vielmehr simultan, das heißt, daß sowohl ständige Rückkopplungen stattfinden als auch rekursive Vor- und Rückgriffe möglich sind, wobei aber die Differenzen erhalten bleiben. Bezogen auf das Rechtssystem geht der evolutionäre Mechanismus von rechtlichen Variationen aus, die - institutionell gewöhnlich schon vorstrukturiert immer einzelne Operationen, nämlich kommunikative Ereignisse, betreffen. Es wird etwas Abweichendes, Neues gesagt, empfohlen oder geschrieben. Die maßgebliche Variation liegt in der Kommunikation unerwarteter, neuer normativer Erwartungen. Die sich hieran anschließenden Selektionen beziehen sich immer auf Strukturen, vor allem Normen bzw. Rechtsnormen. In den modernen staatlich organisierten Rechtssystemen erfolgt die Selektion regelmäßig in institutionell und organisatorisch verselbständigten, besonderen Verfahren, die als Interaktionssysteme, beispielsweise Gerichtsverhandlungen oder Parlamentssitzungen, im Rahmen spezieller, arbeitsteilig gegliederter Organisationen ausgestaltet sind. Die rechtskommunikative Selektion ist mithin nichts anderes als die Entscheidung darüber, welche Normprojektion dem geltenden Recht entspricht, oder genauer, es wird eine rechtsnormative Verhaltenserwartung positiviert, die die Rechtssicherheit erhöht und damit zunächst die Komplexität im System ganz im Sinne eines stabilen sozialen Wandels reduziert. Eine evolutionäre Stabilisierung rechtsnormativer Entscheidungen wird ermöglicht durch die ständig fortlaufende Reproduktion der selegierten Normerwartungen durch positive Bezugnahme in Folgeentscheidungen, zustimmende Kommentierung in der Rechtswissenschaft oder auch durch regelgeleitetes Verhalten der Normadressaten in der alltäglichen Rechtskommunikation. Dieser evolutionäre Mechanismus ist, wie Schelsky und Luhmann immer wieder betont haben, ein zirkulärer Prozeß. 34 Es geht nicht um ein rein zeitliches a. M. 1990, S. 557 f.; vgl. auch Stefan Smid, Soziale Evolution und Rationalität. Bemerkungen zu N. Luhmanns Grundlegung einer allgemeinen Theorie, in: R E C H T S T H E O R I E 16 (1985), S. 429-457. 34 Siehe hierzu Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft (FN 33), S. 559 f.

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Aufeinanderfolgen von Variation, Selektion und schließlich Stabilisierung. Vielmehr setzt Variation stabilisierte, also institutionalisierte Verhältnisse voraus und führt beim Gelingen der Evolution wieder zu stabilen modifizierten oder letzten Endes sogar neuen Institutionen. Ganz in diesem Sinne stellt Schelsky die evolutionäre Entwicklung sozialer Institutionen vor, indem er rechtliche Variationen durch bewußtes Zweckhandeln als Voraussetzung institutionellen Wandels ansieht. Die unterschiedliche Terminologie bei Luhmann, der ausschließlich auf kommunikative Ereignisse abstellt, und Schelsky, der sich am bewußten Zweckhandeln orientiert, ist nicht widersprüchlich, sondern bezeichnet nur unterschiedliche Systemreferenzen, auf die es ganz maßgeblich ankommt. Luhmann bezieht sich unter Autopoiesegesichtspunkten auf das sich wandelnde soziale System, Schelsky hingegen auf den die Variation im konkreten Falle veranlassenden Aktor. Den Verlauf rechtsnormativer institutioneller Änderung und Entwicklung in Abhängigkeit vom bewußten Zweckhandeln hatte Schelsky bereits mit seinem Kreismodell erfaßt. 35 Variationen im Sinne unerwarteter rechtlicher Änderungsvorschläge, die neue Bedürfnisse thematisieren, setzen nach Schelsky zunächst voraus, daß die bestehenden Institutionen hinreichend stabil beschaffen sind. 36 Indem die Institution der Verfassung beispielsweise die Rolle eines in der hierarchischen Schichtung des Rechts ranghöheren Integrationsmodus übernimmt, wird die Möglichkeit geschaffen, neue Bedürfnisse zu entwickeln. Als problematisch bezeichnet Schelsky den Fall, daß technische Erfindungen der Wissenschaft neue soziale Bedürfnisse schaffen. Technische Entwicklungen erfolgen nicht immer funktionsbezogen, sondern häufig „um ihrer selbst willen" und können zunächst einmal erhebliche Irritationen auslösen, insbesondere dann, wenn beispielsweise das Wissenschaftssystem eine für die industrielle Produktion beachtenswerte Erfindung macht, die von der Wirtschaft wahrgenommen wird. 3 7 Unter Umständen wird dann das Wirtschaftssystem mit einer Variation seiner Strukturen reagieren müssen. Aber institutioneller Wandel basiert nicht immer auf Irritationen, die im System durch störende Umwelteinflüsse hervorgerufen werden. Systemkritisch eingestellte Autoren, wie beispielsweise Teubner, sprechen hier gern von,,Perturbationen", denen sie in rechtskritischer Absicht nur mittelbaren Einfluß auf die interne Entwicklungslogik des Systems einräumen. 38 Nach Schelsky können Veränderun35 Vgl. hierzu Helmut Schelsky, Die Soziologen und das Recht, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 77-94, 78. „ 36 Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen (FN 17), S. 39. 37 Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution (FN 19), S. 225 f., 230. 38 Gunther Teubner, Recht als autopoietisches System, Frankfurt a. M. 1989, S. 47, 74 und 78.

1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

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gen und Erneuerungen des Kommunikationssystems die normativen Ansprüche der Institution unmittelbar verlebendigen. Sie sind darüber hinaus in weit größerem Maße ein Indiz für den dauerhaften sozialen Wandel bzw. die soziale Evolution der Institutionen als gewaltsame revolutionäre Handlungen, bei denen aber die Möglichkeit evolutionärer Umstrukturierungen nicht gänzlich ausgeschlossen ist. 39 In realistischer Beschreibung dieser Phänomene betont Schelsky aber die Unwahrscheinlichkeit der Stabilisierung aller derartigen, mit den etablierten institutionellen Mustern nicht kompatiblen Strukturänderungen. Diese Fälle stehen deshalb nicht im Vordergrund seiner Untersuchungen. Im Mittelpunkt seiner Institutionen- und Normentheorie steht der regelmäßig zweck- und zielgerichtete Aufbau der Kultur gerade mit Mitteln des Rechts,40 der sich vornehmlich in staatlich organisierten Rechtssystemen sowie supranationalen bzw. internationalen Organisationen vollzieht. Entsprechend betont er, daß die Normselektionen vor allem in speziellen juristischen Entscheidungsverfahren erfolgen. 41 Im Vordergrund stehen hierbei spezielle organisatorisch ausgestaltete Gesetzgebungs-, Gerichts- und Verwaltungsverfahren. 42 Die weitaus größte Zahl rechtlicher Normselektionen erfolgt aber in Vertragsverhandlungen und führt zu individuell konkreten Regelungen. Daß auch für Schelsky die Selektion einer bestimmten rechtlichen Variation aus der Vielzahl von Normierungsvorschlägen kein automatischer Funktionsablauf ist, sondern letztlich ein zufälliges und unwahrscheinliches Ergebnis, zeigt sich in seinen ins Detail gehenden Ausführungen zum Problem des „Aushandelns" juristischer Entscheidungen.43 Normative Selektionen in der Rechtskommunikation - gleichgültig auf welcher Ebene - setzen regelmäßig Handlungsprozesse voraus und sind keine Wahrheitsfindung, sondern Entscheidung darüber, welche der möglichen Normprojektionen geltendes Recht sind. Diese Handlungsprozesse des „Aushandelns" können im Tausch von Interessen, Absichten oder Versprechen der beiderseitigen Vertragsparteien liegen. Gesellschaftliche Normselektionen können aber auch atypisch außerhalb der vorgesehenen Verfahren erfolgen, beispielsweise durch Oktroyierung nach verlorenem Krieg oder durch Revolutionen. 39

Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution (FN 19), S. 231. Grundlegend hierzu im Anschluß an Rudolph von Ihering, Über die Aufgabe und Methode der Rechtsgeschichtsschreibung, in: ders., Der Kampf ums Recht. Ausgewählte Schriften, mit einer Einleitung von Gustav Radbruch, hrsg. von Christian Rusche, Nürnberg 1965, S. 401 -444,420 ff.; Helmut Schelsky, Das Ihering-Modell des sozialen Wandels durch Recht. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Beitrag, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vortrage zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 147-186, 184. Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34-76, 48 f. und insoweit übereinstimmend mit Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl, Frankfurt a. M. 1989. 42 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 41), S. 36 f. 43 Ebd., S. 47. 40

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Zusammenfassend und allgemein formuliert, bedeutet die Auswahl bestimmter rechtsnormativer Strukturen stets die soziale Erwartung der Wiederverwendbarkeit rechtlicher Sinnfestlegungen. Rechtliche Evolution erfordert darüber hinaus die Stabilisierung der selegierten normativen Erwartungen. Für Schelsky bedeutet gesellschaftliche Stabilität weder Stagnation noch Starrheit der etablierten Institutionen. Er vertritt vielmehr eine dynamische Institutionentheorie, bei der der ständige soziale Wandel im Vordergrund steht. Seine Untersuchungen zum Stabilitätsproblem zeigen die Bedingungen der Möglichkeit stabilen Wandels auf. Die Stabilisierung des Rechts ist nämlich selbst dynamisch geworden, da sich aus der Stabilisierung wiederum neue Variationen ergeben. Dieser stabile Wandel wird vor allem möglich, indem dem Recht die bedeutsame Funktion als dynamischer Stabilitätsfaktor sozialer Institutionen zukommt. 44 Die Stabilitätsfunktion des Rechts setzt aber weder die Unveränderlichkeit einzelner Rechtsnormen noch der Institutionen voraus. Die Institution ist nämlich nicht nur als objektivierte soziale Ordnung zu begreifen. 45 Das Recht erfüllt seine gesamtgesellschaftlich relevante Aufgabe, indem das Rechtssystem sich selbst als kontinuierlich autopoietischer Kommunikationsprozeß ausgestaltet, in dessen Rahmen neue Normselektionen Anschluß an frühere Entscheidungen suchen und sich letztlich als systemkompatibel erweisen müssen. Genau dies meint Schelsky, wenn er ausführt, daß die institutionelle Sublimation neuer sozialer Antriebe nur gelingen könne, indem „der größte Teil der alten und persistierenden Bedürfnisse im Fortbestand alter Institutionen untergebracht und so die eigentliche institutionsschöpferische Tätigkeit entlastet ist". 4 6 Im Rechtssystem wird dieser Stabilisierungsmechanismus durch fortlaufende aufeinander Bezug nehmende Prozesse des Aushandelns juristischer Entscheidungen aufrechterhalten. Schelsky exemplifiziert dies anhand der Gesetzgebung und der justiziellen Urteilsfindung, die keine Wahrheitsfindungen sind, sondern Zukunftsstabilisierungen des sozialen Lebens.47 Schelskys Theorie des sozialen Wandels enthält demnach ganz zentrale Einsichten und Beschreibungen zur gesellschaftlichen Entwicklung, die in weiten Bereichen schon die Problemstellungen der modernen soziologischen Evolu44

S. 49.

Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen (FN 17),

45

So aber noch Arnold Gehlen, Mensch und Institutionen, in: ders., Anthropologische Forschung, Reinbek bei Hamburg 1961, S. 69-77, 71; kritisch hierzu Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 35), S. 81 f. 46 Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen (FN 17), S. 50; zur Strukturierungsleistung der Geschichte für die weitere gesellschaftliche Entwicklung: Reinhart Koselleck, Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, S. 38-66. 4

7 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 41), S. 47.

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

tionstheorie 48 beinhalten, allerdings ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Darwinsche Unterscheidung von Variation, Selektion und Stabilisierung. 49 Schelskys Konzeption der Institutionen im Rahmen seiner differenzierten Theorie des sozialen Wandels ist damit entgegen der eingangs zitierten Kritik Luhmanns 50 weder zu konkret noch im überkommenen Sinne anthropologisch-bedürfnisorientiert. 4. Recht als objektive Ordnung und bewußtes Zweckhandeln

Im Unterschied zu den Klassikern der philosophischen Anthropologie, wie Scheler und Plessner, aber auch noch Arnold Gehlen, gründet Schelsky seine Auffassung von Kultur und Recht nicht auf eine vorgegebene, besondere Eigenart des Menschen.51 Die klassischen anthropologischen Ansätze führen zwangsläufig zu einer Charakterisierung der gesellschaftlichen Institutionen, die durch das festgelegte Bild vom Wesen des Menschen bestimmt werden. Hiernach stehen Geist und Kultur in Wechselbeziehung und sind in der Natur des Menschen bereits verankert. 52 Normen bzw. Rechtsnormen haben unter dieser Prämisse nur die Funktion, vorgegebene Bedürfnisse zu befriedigen. Schelsky vertritt hingegen keine anthropologische Rechtssoziologie, sondern bringt pointiert und differenziert zum Ausdruck, daß die menschliche Natur keine Deduktionen „fixer" Naturansprüche mehr erlaube. 53 Von daher sind die Institutionen nicht logische Folge einer ontologisch fixierten Natur des Menschen.54 Das Recht ist für Schelsky 48 Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft (FN 33), S. 549 ff. 49 Vgl. hierzu beispielsweise Reinhard W. Kaplan, Die Mutation als Motor der Evolution, in: Hoimar von Ditfurth (Hrsg.), Evolution II. Ein Querschnitt der Forschung, Hamburg 1978, S. 13-28. so Luhmann, Am Ende der kritischen Soziologie (FN 1), S. 151. 51 Gehlen, Der Mensch (FN 5), S. 38 ff., 80; Max Scheler, Von der Ganzheit des Menschen. Ausgewählte Schriften, hrsg. von Manfred S. Frings, Bonn 1991, S. 3 ff., 194 ff.; Helmut Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, Berlin 1928; ders., Zwischen Philosophie und Gesellschaft, Bern 1953; ders., Über das Welt-Umweltverhältnis des Menschen, in: Studium Generale 3 (1950), S. 116-120. 52 Ebenso Jan M. Broekman, Recht und Anthropologie, Freiburg / München 1979, S. 12,52 ff.; eingehend zu den verschiedenen philosophischen Richtungen Michael Landmann, Philosophische Anthropologie. Menschliche Selbstdeutung in Geschichte und Gegenwart, 4., überarbeitete und erweiterte Aufl., Berlin /New York 1976. 53 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 8), S. 139; insoweit ihm folgend Lepenies, Anthropologie und Gesellschaftskritik (FN 3), S. 95. Vgl. auch Hubert Rottleuthner, Recht und Institution, in: Gerhard Göhler / Kurt Lenk/Rainer Schmalz-Bruns (Hrsg.), Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, Baden-Baden 1990, S. 337-355, 351 ff. Unzutreffend daher die gegenteilige Auffassung von Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, S. 189, der meint, Schelsky verpflichte das Recht auf die Artikulation vorgegebener ,konkreter Ordnungen'. 54 Die Person ist in Schelskys Theorie keine apriorische Kategorie. „Der Mensch wird ich-los geboren." Das Ich selbst bilde sich erst im Lebensprozeß. Helmut Schelsky, Die Erfahrungen vom Menschen. Was ich von Bürger-Prinz gelernt habe, in: Hamburger

§ 2 Anthropologische Voraussetzungen und sozialer Wandel

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als Funktion und System nicht eine bloße Kulturreaktion auf ein biologisches Grundbedürfnis. Eine eindeutige Zuordnung zu endogenen Antriebsstrukturen bzw. zu Instinkten ist vom Standpunkt seiner Normen- und Institutionentheorie des Rechts nicht möglich. Die gegenteilige Auffassung würde zu einer Theorie der Institutionen führen, die diese als einzige Quelle des Rechts bestimmt. Das Recht tritt dem einzelnen dann nur als Kontrolle, Steuerung, Führung und Integration entgegen.55 Es wird eliminiert zugunsten einer einseitigen Deutung der Institution, die nur in ihrer strengen Objektivität gesehen wird. Der Modus der gewollten Setzung und der gewollten Veränderbarkeit werden übersehen. 56 Von der Institution aus ist Recht anthropologisch-funktional immer als dem Menschen auferlegte Ordnung anzusehen, von der Recht, Gesetze und ihre Auslegung allenfalls abzuleiten sind. Wird die so begriffene Institution auf ihre immanente Gesetzlichkeit hin untersucht, erschöpft sich nach Schelsky diese Analyse in einer systemfunktionalen. 57 Insoweit ist die anthropologisch-funktionale Analyse, die den Zusammenhang von Instinktmangel und sozialem Instinktersatz durch Institutionen behandelt, durchaus mit der systemfunktionalen Analyse sozialer Systeme vereinbar. 58 Gegen eine Vereinnahmung nur des objektiven Rechts durch eine derartige Institutionentheorie meldet Schelsky hingegen Bedenken an. 59 Aus rechtstheoretischer und rechtssoziologischer Sicht wendet er ein, daß man mit der Erklärung der Institutionen als bloßem Instinktersatz bereits auch eine Rechtsanalyse habe. Die Identifikation von Institution und Recht hat die Konsequenz, daß die anthropologisch-funktionale Analyse des Rechts in einer Analyse der Institution aufgeht. Zwar sind nach Schelsky heutzutage keine Institutionen ohne Recht auffindbar. Trotzdem dürften beide Phänomene nicht gleichgesetzt werden. Schelsky gelangt daher zutreffend zu dem Ergebnis, die Funktion des Rechts in der Institution sei in Wirklichkeit durch die anthropologisch-funktionale Analyse der Institution noch gar nicht hinreichend bestimmt und geklärt. 60 Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 24. Jahr, Tübingen 1979, S. 203217, 210. 55 Hierzu Hans Joas, Intersubjektivität bei Mead und Gehlen, in: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie LXV (1979), S. 105-121. 56 Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 35), S. 81. 57 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 8), S. 117. 58 Ebd. 59 Ebd., S. 118; und zustimmend Werner Krawietz, Helmut Schelsky - ein Weg zur Soziologie des Rechts, in: Friedrich Kaulbach / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. XIIILXXVIII, XL VII; ders., Rechtssystem als Institution? Über die Grundlagen von Helmut Schelskys sinnkritischer Institutionentheorie, in: Dorothea Mayer-Maly / Ota Weinberger/Michaela Strasser (Hrsg.), Recht als Sinn und Institution, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 6, Berlin 1984, S. 209-243, 228 f. 60 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 8), S. 118.

1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

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Er versucht, diese einseitig an der Thematisierung der Institutionen als Instinktersatz orientierte Erkenntnisrichtung der Anthropologie und Soziologie zu überwinden. Durch eine derartige Anthropologie wird die Tendenz verstärkt, solche gesellschaftlichen Kräfte und Mechanismen, die den Menschen mehr oder weniger determinieren, als „soziale Gesetzlichkeiten" anzusehen. Unberücksichtigt geblieben sind hierbei wichtige biologische Forschungen auf dem Gebiet der Ethologie, die zeigen, daß bereits tierisches Verhalten nicht völlig instinktmäßig festgelegt ist. In Anlehnung an Konrad Lorenz rekurriert Schelsky auf das sogenannte „Appetenzverhalten". Dieser Verhaltensbereich ist neben den Instinkthandlungen zu sehen und ist von den instinktiven Reaktionen fundamental verschieden. Lorenz versteht hierunter zweckgerichtetes Verhalten, welches unter Beibehaltung eines gleichbleibenden Zieles adaptive Veränderlichkeit zeigt. 61 Dies führt letztlich in den Bereich des instinktfreien, bewußten Handelns. Da der Mensch im wesentlichen gerade kein instinktgeleitetes Wesen ist, hat sich eine Institutionentheorie des Rechts nicht darauf zu beschränken, Institutionen als Instinktersatz und damit soziales Handeln als im wesentlichen determiniert zu bestimmen. Bei der Schaffung der Institutionen und der Produktion von Recht ist vor allem zu beachten, daß der Mensch aufgrund seiner biologischen Minderausstattung zu einem bewußten zweckgerichteten Handeln gezwungen ist. 62 Schelsky bezieht zwar ethologische Untersuchungen zum besseren Verständnis des menschlichen Sozialverhaltens ein, aber er stellt keine Analogie zwischen tierischen Sozialverbänden und menschlicher Gesellschaft her. Er nutzt lediglich das Wissen um die biologischen Besonderheiten des Menschen bei seiner Beschreibung der sozialen Institutionen, die dann aber unabhängig von anthropologischen und biologischen Forschungen originär rechtssoziologischer Natur ist. 63 Somit erblickt Schelsky neben den Grundbedürfnissen bzw. den Instinktresten und ihrem Ersatz, den Institutionen, in dem instinktfreien und bewußten Handeln die „zweite und wahrscheinlich wichtigere anthropologische Quelle des Rechts". 64 Dieses Bedürfnis nach Recht ist kein biologisches Grundbedürfnis, sondern in der Terminologie Malinowskis ein „abgeleitetes Kulturbedürfnis". 61

Konrad Lorenz, Über die Bildung des Instinktbegriffs (1937), in: ders., Über tierisches und menschliches Verhalten. Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre. Gesammelte Abhandlungen Band I, München 1965, S. 283-342, 295; ders., Psychologie und Stammesgeschichte (1954), in: ders., Über tierisches und menschliches Verhalten. Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre. Gesammelte Abhandlungen Band II, München 1965, S. 201-254, 210 f. 62 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 8), S. 121. 63 Den beschränkten Erkenntnisgewinn eingehender Vergleiche tierischer und menschlicher Verhaltensweisen für das Recht zeigt die biologisch orientierte Arbeit von Frank-Hermann Schmidt, Verhaltensforschung und Recht. Ethologische Materialien zu einer Rechtsanthropologie, Berlin 1982. 64 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 8), S. 121.

§ 2 Anthropologische Voraussetzungen und sozialer Wandel

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Erst das bewußte, zweckgerichtete Handeln schafft die Lösungen, die bei dauerhafter Bewährung institutionalisiert werden und die Basis der Institutionen bilden. Rechtsgestaltungen und Rechtshandlungen sind primär gegenüber den in die Unbewußtheit entlasteten Formen der Regelung sozialer Beziehungen. Eine Steuerung menschlichen Verhaltens durch institutionelle Muster setzt also die bewußte Schaffung normativer Mechanismen voraus. Schelskys Korrektur an der konservativen Institutionentheorie Gehlens ermöglicht es nun, die anthropologische Funktion des Rechts als die stets bewußte Regelung und Gestaltung sozialer Beziehungen durch freies und bewußtes Zweckhandeln zu bestimmen.65 Das Recht schafft damit in den Institutionen den Bereich des bewußten Zweckhandelns. Die sozialen Institutionen werden dann unabhängig von ihrer Aufgabe der Bedürfniserfüllung als Gegenstand und Ziel immer erneuten, modifizierten bewußten Zweckhandelns etabliert. 66 Auf dieser Ebene vollzieht sich die rechtliche Gestaltung, die sekundäre Themen im Sinne neuer Ziele des Menschen innerhalb der Institutionen zum Gegenstand hat. Da das Bedürfnis nach Recht, welches anthropologisch-funktional untersucht wird, als das bewußte Zweckhandeln erscheint und der Mensch seine Ziele, auf die hin sein Zweckhandeln gerichtet ist, selbst selegiert, thematisiert die anthropologisch-funktionale Beschreibung des Rechts letztlich das bewußte Zweckhandeln. Für Schelsky ist Ergebnis der anthropologisch-funktionalen Analyse im Rahmen seiner Institutionentheorie, daß das menschliche Handeln letztlich auf Endziele gerichtet sein muß, die zwar grundsätzlich kontingent sind, auf die der Mensch aber nicht verzichten kann. Mit anderen Worten: bei der Wahl des Inhalts der Endziele ist der Mensch frei, hingegen nicht bei der Frage, ob er überhaupt Endziele benötigt, wobei es nicht erforderlich ist, daß den Individuen diese Endziele und Leitideen stets angemessen bewußt sind, weil gerade die institutionellen Vorgaben das menschliche Handeln von der Präsenz dieser Ziele entlasten.67 Schelskys Rechtssoziologie kann nach allem nicht als biologisch bedürfnisorientiert bezeichnet werden. Die Verwendung des Begriffs „abgeleitetes Bedürfnis" weist gerade auf die Abhängigkeit dieser „Bedürfnisse" von sozialem Handeln hin, welches über die Auswahl der aktuellen Bedürfnisse im Sinne von Sachthemen der gesellschaftlichen Kommunikation entscheidet. Die Berücksichtigung des anthropologisch-funktionalen Ansatzes neben dem systemfunktionalen macht Schelskys Institutionentheorie auch nicht zu einer Spielart der Anthropologie. Vielmehr ist eine realistische Soziologie, deren Forschungsgegenstand die 65

Ebd. S. 122; zustimmend auch Michael Bock, Recht ohne Maß. Die Bedeutung der Verrechtlichung für Person und Gemeinschaft, Berlin 1988, S. 124 f. 66 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 8), S. 123. 67 Hierzu Krawietz, S.LII.

Helmut Schelsky - ein Weg zur Soziologie des Rechts (FN 59),

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1. Abschn.: Theorie der Normen und des Rechts

menschliche Gesellschaft ist, gar nicht denkbar, ohne die Tatsache einzubeziehen, daß menschliches Handeln weitgehend auf die Verfolgung bestimmter Zwecke gerichtet ist.

Zweiter Abschnitt

Verhältnis von normativistischer, institutionalistischer und systemischer Strukturtheorie des Rechts § 3 Institutionentheorie des Rechts in systemischer Perspektive 1. Abgrenzung zum behavioristischen Ansatz der Institutionenlehre

Die oben angeführte Kritik an den normativistischen bzw. rechtspositivistischen Vorstellungen der Institution zeigt bereits, daß die theoretische Erfassung des sozialen Phänomens Institution mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Schelsky exemplifiziert die überaus vielschichtige Problematik der Bestimmung der Institutionen anhand einer von Floyd Henry Allport geschilderten Anekdote, die von ihm kritisch analysiert und ironisch kommentiert wird. 1 Wiedergegeben wird ein Gespräch zwischen dem Dekan und einem jungen Professor im Anschluß an eine Fakultätssitzung, in der eine einschneidende Verwaltungsmaßnahme beschlossen wurde. Auf die Äußerung des Dekans, die Entscheidung sei zwar hart, liege aber im Interesse der Institution, fragt der - um etwas vordergründige Konkretheit und stärkere Differenzierung bemühte - junge Professor immer wieder nachhakend, ob die Entscheidung also für die Studenten oder für die Fakultät und die Studenten oder für den Universitätsbeirat oder für den Kanzler vorteilhaft sei. Stereotyp antwortet ihm der Dekan jeweils, er meine, die Maßnahme sei gut für die Institution selbst bzw. die Institution als ganze, um schließlich etwas unwirsch das Gespräch abzuschließen mit der Bemerkung: „Ich meine die Institution, die Institution! Junger Mann, wissen Sie nicht, was eine Institution ist?" Allports - nach Meinung Schelskys zu einseitige, auf Erfahrung der Wirklichkeit allein durch Sinneswahrnehmung bedachte - Schlußfolgerung aus dieser kurzen Geschichte ist die, daß es keine Evidenz einer Universität, eines Staates bzw. einer Gemeinde als einer Sache selbst gebe. Man benötige nicht eine 1 Helmut Schelsky, Der behavioristische Ansatz der Institutionenlehre (Floyd Henry Allport), in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 232-247, 232; Floyd Henry Allport, Institutional Behavior. Essays toward a Re-Interpreting of Contemporary Social Organization, New York 1969, S. 3. 5 Werner

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

transzendente Institution, um das Vorhandensein der Individuen, die an der Universität lehren, lernen oder in akademischen Beziehungen zusammenarbeiten, zu erklären. Eine Institution lasse sich nur in einem metaphorischen Sprachgebrauch nachweisen, ansonsten gebe es keine Institution. 2 Beobachtbar seien im Endeffekt nur die einzelnen Menschen, die sich in bestimmter, vielleicht charakteristischer Weise verhalten. Wirklich und damit real sei nur das beobachtbare und beschreibbare Handeln und Verhalten der einzelnen; allein darauf solle sich dann eine empirische Sozialwissenschaft beziehen. Allport führt somit einen empirisch-analytischen Wirklichkeitsbegriff ein, der beinhaltet, daß nur körperhaft und sinnlich-materiell erfaßbares Verhalten real ist. Dies habe zur Konsequenz, daß alle höheren Abstraktionen, wie ζ. B. die Institutionen, als nicht real abzulehnen seien. Lediglich für den Handelnden habe die Institution Realitätswert, hingegen für den analysierenden Wissenschaftler nicht. Für den praktisch Handelnden existieren also Institutionen als Realität, da er bestimmte Zielsetzungen des sozialen Handelns verfolgt und den Funktionszusammenhang des betreffenden sozialen Handelns als ein vorgegebenes System der Mittel zu diesen Zielen in Rechnung stellt. 3 Der Wissenschaftler hat dagegen nach Allport den institutionellen Zusammenhang zu ignorieren. Seine wissenschaftliche Analyse besteht für ihn in einer bloßen Deskription von Ereignissen, welche unabhängig von ihrem Funktionszusammenhang untersucht werden. Gegen diese Extremposition eines behavioristischen Ansatzes, bei der die empirisch-materiell faßbaren Reaktionen des Individuums die einzige Realitätsgrundlage sozialwissenschaftlicher Forschung sind, meldet Schelsky Bedenken an. Auch der beobachtende und beschreibende Wissenschaftler müsse die Institutionen und damit ebenso das institutionelle Handeln in den Gegenstandsbereich seiner Analysen einbeziehen. Die Ziel- und Zweckvorstellungen der Handelnden sowie der gesamte Funktionszusammenhang sind nach Schelsky unabtrennbarer Teil des institutionellen bzw. sozialen Handelns überhaupt. 4 Schelsky räumt ein, daß die Wirklichkeit des Sozialen keine unmittelbar materiell feststellbare Realität habe. Jedoch müsse für die Sozialwissenschaften die Sinn-Existenz der Institution anerkannt werden, weil sie die Realitätsform sozialer Gebilde sei.5 Dieser institu-

2 Allport, Institutional Behavior (FN 1), S. 5. 3 Ebd., S. 8 f. 4 Schelsky, Der behavioristische Ansatz der Institutionenlehre (FN 1), S. 243. 5 Ebenso aus rechtstheoretischer Sicht: Ota Weinberger, Norm und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts, Wien 1988, S. 30 f. und aus dem Bereich der Politikwissenschaft: Gerhard Göhler, Institutionenlehre und Institutionentheorie in der deutschen Politikwissenschaft nach 1945, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen der Theorie politischer Institutionen. Forschungsstand - Probleme - Perspektiven, Opladen 1987, S. 15-47, 37 ff.; Arno Waschkuhn, Allgemeine Institutionentheorie als Rahmen für die Theorie politischer Institutionen, in: ebd., S. 71 -97 und Rainer Schmalz-Bruns, Ansätze und Perspektiven der Institutionentheorie. Eine bibliographische und konzeptionelle Einführung, unter Mitarbeit von Rainer Kühn, Wiesbaden 1989, S. 100 ff.

§ 3 Institutionentheorie des Rechts in systemischer Perspektive

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tionelle Sinn veranlaßt die Handelnden zu bestimmten sozialen und kommunikativen Reaktionen. Bei Außerachtlassung des sozial konstituierten Sinns können die zwischenmenschlichen Verhaltensweisen „zwar in ihrem Daß beobachtet, nicht aber in ihrem Weil, ihrer Ursache und ihrem Zusammenhang verständlich gemacht werden". 6 Die Sinn-Existenz wird hierbei von Schelsky nicht einseitig psychologisch auf das Bewußtsein konkreter Individuen bezogen, sondern aller Sinn wird sozial konstituiert. Für ihn ist der Sinnbegriff losgelöst vom Subjektbegriff festzulegen, weil letzterer als sinnhaft konstituierte Einheit erst mittels der Sinndimension definiert werden kann. Daher bezieht sich Sinn bei Schelsky auf die Institutionen, Organisationen und Systembildungen sozialer Lebensführung. Das Zusammenschließen solcher Sinngebungen zu sozial wirksamen und im sozialen Zusammenhang stehenden Gebilden bezeichnet Schelsky als „sinnhafte oder geistige Führungssysteme" 7. Derartige sinnhafte Führungssysteme können sozialstrukturell in Rollen oder Ämter audifferenziert sein. Aller Sinn wird vermittelt durch sprachliche und soziale Symbolverwendungen und Handlungsanweisungen, wie Informationen, Normen, Grundsätze, Leitideen, Werte usf. 8 Schelsky betont die Komplexität aller gesellschaftlichen Bezüge, die in Form von Sinn verfügbar gehalten wird, und diagnostiziert eine damit notwendigerweise einhergehende Abstraktionserhöhung des kommunikativen Geschehens. Moderne Superstrukturen - vor allem auch diejenigen des Rechts - bilden die Basis der sozialen Wirklichkeit. Sie entziehen sich in ihrer Anonymität der Erfahrung des einzelnen und seinem Verständnis für die gesellschaftlichen Zusammenhänge. 9 Diese Komplexität, die sich in einer Überfülle von Daten, Beziehungen und verwirrenden Sinnzusammenhängen äußert, muß - wie Schelsky und Luhmann übereinstimmend meinen - reduziert werden, damit ein Orientierungsrahmen für künftiges Handeln geschaffen werden kann. „Der Handelnde braucht sinnfälligere Motive." 1 0 Dies geschieht, indem durch Sinnausblendung Handlungsfähigkeit erreicht bzw. überhaupt erst hergestellt wird. Es werden »Aktionsfelder" aus dem Bereich der Möglichkeiten ausgewählt, um eine Spezifizierung und Ausdifferenzierung bestimmter Sachbereiche zu erreichen. Sinnselektionen dieser Art sind nur institutionsimmanent im Wege normativer, insbesondere rechtsnormativer Kommunikationen möglich und zeigen, daß soziale Systeme den immer schon gesellschaftlich produzierten Sinn verwenden und auf diesen angewiesen sind, um Komplexität zu reduzieren und Handeln zu ermöglichen. Ganz in dieser Weise versteht auch Luhmann das Phänomen Sinn als eine Form des Überschus-

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Schelsky, Der behavioristische Ansatz der Institutionenlehre (FN 1), S. 244. Helmut Schelsky, Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, München 1977, S. 51. » Helmut Schelsky, Systemüberwindung, Demokratisierung und Gewaltenteilung. Grundsatzkonflikte der Bundesrepublik, München 1973, S. 24. 9 Schelsky, Die Arbeit tun die anderen (FN 7), S. 159. 10 Ebd., S. 160. 7

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

ses von Verweisungen auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns.11 Die Verwendung von Sinn führt zur Appräsentation beliebig hoher Komplexität, das heißt, die Alternativen sozialen Handelns werden zunächst reduziert, wobei aber die anderen Möglichkeiten nicht ausgeschlossen werden, sondern die Option eines Zugriffs in anderen, zukünftigen Fällen gewahrt wird und gleichsam aufgehoben bleibt. Angesichts der Komplexität der sozialen Bezüge in der modernen Gesellschaft untersucht Schelsky die vielfältigen Möglichkeiten, durch Sinnselektionen Ordnung zu schaffen und damit Verhaltenssicherheit zu vermitteln. In den verschiedenen sozialen Situationen und Beziehungen müssen potentielle Verhaltensweisen der Akteure erwartbar sein, um eigenes, hieran orientiertes Handeln überhaupt erst zu ermöglichen. 12 Hierfür ist die Institutionalisierung der wesentlichen sozialen Regeln unabdingbare Voraussetzung. Erst mit den realen Institutionen ist die komplexe gesellschaftliche Entwicklung denkbar. Der institutionelle Sinn ist Bezugspunkt sämtlicher gesellschaftlicher Kommunikationen und darf daher nicht in behavioristisch verkürzender Betrachtung bei der wissenschaftlichen Untersuchung ausgeblendet werden. Die Einbeziehung des institutionellen Sinns in die wissenschaftliche Analyse der Gesellschaft und des Rechtssystems erfordert keineswegs, daß der beobachtende Wissenschaftler auch selbst die Ziele, Werte, Normen oder Realitätsannahmen des beobachteten Systems befolgen bzw. übernehmen muß. 13 Der Religionssoziologe, der beispielsweise die gesellschaftliche Bedeutung buddhistischer Glaubensrichtungen erforscht, braucht selbst weder Buddhist noch überhaupt religiös zu sein. Der Forscher folgt als Wissenschaftler einer ganz anderen Zielvorstellung oder Leitidee. Er versucht, systematisch die Wahrheit zu erforschen und zu beweisen. Auch hierin ist jedoch nur eine institutionelle Zielvorstellung zu erblicken, die als solche den maßgeblichen Code „wahr / unwahr" des Wissenschaftssystems bestimmt. 14 Diese Vorgabe ist grundlegend für die gesamte For11

Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1988, S. 93. Zur Sinnproblematik auch bereits: ders., Sinn als Grundbegriff der Soziologie, in: Jürgen Habermas / Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt a. M. 1971, S. 25 100, 29 f. 12 Zur Situationsgebundenheit wechselseitiger Verhaltensweisen: Werner Krawietz, Identität oder Einheit des Rechtssystems? Grundlagen der Rechtsordnung in rechts- und gesellschaftstheoretischer Perspektive, in: Mitsukuni Yasaki / Alois Troller / José Llompart (Hrsg.), Japanisches und europäisches Rechtsdenken - Versuch einer Synthese philosophischer Grundlagen, in: R E C H T S T H E O R I E 16 (1985), S. 233-277, 262. 13 Schelsky, Der behavioristische Ansatz der Institutionenlehre (FN 1), S. 244. Vgl. ferner Werner Krawietz, Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: ders. / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 14-42, 19 f. 14

Neuerdings umfassend hierzu Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1990, S. 167 ff., insbes. 184, 192, 194.

§ 3 Institutionentheorie des Rechts in systemischer Perspektive

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schungsarbeit des Wissenschaftlers. Er wird ihr nur gerecht, wenn er alle sozialen Phänomene, die in der Welt real existieren, mit seinen theoretischen Beschreibungen erfaßt. Die komplexen gesellschaftlichen Institutionen dürfen nicht aus der wissenschaftlichen Analyse ausgeblendet werden, nur weil der Zugang zu einer adäquaten Beobachtung - anders als bei derjenigen von Einzelhandlungen - das Verständnis des jeweiligen Funktionszusammenhangs voraussetzt und die theoretische Aufbereitung ein differenziertes Instrumentarium verschiedener methodischer, unter Umständen auch fachübergreifender Grundbegriffe und Theoriebausteine verlangt. Gerade der institutionelle Funktionszusammenhang gehört sowohl für den Handelnden als auch für den Beobachter und deskriptiven Wissenschaftler - trotz der unterschiedlichen Systemreferenzen - zum Untersuchungsfeld. Ohne ihn müßte ein der Wirklichkeit nicht entsprechender, ganz und gar künstlicher, institutionsfreier Verhaltensraum präsupponiert werden. Die behavioristischen Ansätze, die einseitig nur das Verhalten der einzelnen in den Fokus ihrer Analysen stellen, identifizieren und erkennen infolgedessen nur solche Strukturen, die sich unmittelbar im konkreten Handeln manifestieren. Die für einen größeren institutionellen Funktionszusammenhang relevanten sozialen Normen, insbesondere die Rechtsnormen oder gar die Rechtsordnung als ganze, können auf diese Weise nicht ausreichend berücksichtigt werden. Der in solchen Normen - vor allem in denjenigen des Rechts - zum Ausdruck kommende institutionelle Sinn wird allenfalls ausschnitthaft beleuchtet. Diese Methode ermöglicht im Ergebnis nur eine reduktionistische Betrachtungsweise, die Maßgebliches ausblendet. Will man eine realistische Beschreibung der sozialen Wirklichkeit erreichen, ist es sicherlich erforderlich, die wissenschaftliche Analyse auf real existierende gesellschaftliche Phänomene zu beschränken. Forschungsgegenstand sind daher alle sozialen Handlungen bzw. Kommunikationen. Nur wird aus der Perspektive des Behaviorismus übersehen, daß Institutionen - jedenfalls aus der Sicht des Neuen Institutionalismus, wie ihn Schelsky vertritt 15 - keineswegs transzendentalen Charakter haben.16 Ganz im Gegenteil sind soziale Normierungen als besondere Form institutionellen Sinns real kommunizierte Erwartungsstrukturen. Deren Beobachtung setzt allerdings voraus, daß nicht allein und auch nicht in erster Linie das Einzelverhalten berücksichtigt wird, sondern vielmehr die Kommunikationen in Organisationen, zwischen verschiedenen Organisationen oder zwischen Organisationen und Individuen, in die alles menschliche Sozialverhalten nun einmal eingebettet ist. Erst die Einbeziehung der Organisationen bzw. der Institutionen ermöglicht es, komplexere Funktionszusammenhänge in der Gesellschaft zu erfassen und verstehend zu begreifen. Auf diese Weise wird die zu enge und 15 Schelsky, Der behavioristische Ansatz der Institutionenlehre (FN 1), S. 235. Vgl. hierzu auch Werner Krawietz, Ansätze zu einem Neuen Institutionalismus in der modernen Rechtstheorie, in: Juristenzeitung 40 (1985), S. 706-714.

16 Allport , Institutional Behavior (FN 1), S. 5.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

zu einseitige Anknüpfung an das bloße Verhalten (behaviour) überwunden, ohne daß die Ebene des realen kommunikativen Geschehens verlassen wird. Der vielschichtige Begriff der „Institution" wird demnach durch die behavioristischen Forschungsansätze, die ihm gar keine bzw. nur teilweise „Realität" zuschreiben, allzu reduktionistisch beschrieben, gedeutet und verstanden. 2. Institutionen als normative Muster sozialen Handelns

Von Soziologen wird häufig die Ansicht geäußert, Institutionen bildeten die Struktur sozialer Systeme. Im Unterschied zum juristischen Begriff des Instituts und der Institution werden dabei häufig alle normativen Strukturelemente insbesondere diejenigen des Rechts, aus der Betrachtung und begrifflichen Bestimmung eliminiert. Dem Institutionenbegriff wird regelmäßig ein wenig differenzierter struktureller Charakter beigemessen. Dieser wird mit Termini wie „Muster", „established forms" oder „Typen" umschrieben. 17 So wird ζ. B. bei William Graham Sumner die Institution mit „Begriff 4 und „Struktur" definiert. Den Begriff bestimmt er mit Blick auf den Zweck oder die Funktion der Institution, die Struktur hingegen wird für ihn verkörpert durch die ihr zugrunde liegende Idee. Sie liefert auch die Instrumente, durch die die Idee in Aktion gesetzt wird. 1 8 Für René König bezieht sich der Begriff der Institution einzig auf die für die Aktivitäten sozialer Systeme bezeichnenden und feststehenden Formen oder Bedingungen des Verfahrens in verschiedenen Zusammenhängen.19 Die Institution sei die Art und Weise, wie bestimmte Dinge getan werden müssen. 17 Hierzu beispielsweise: Urs Jaeggi, Institution - Organisation, in: Christoph Wulf (Hrsg.), Wörterbuch der Erziehung, 5. Aufl., München/Zürich 1980, S. 308-313, 309; Ephrem Else Lau, Interaktion und Institution. Zur Theorie der Institution und der Institutionalisierung aus der Perspektive einer verstehend-interaktionistischen Soziologie, Berlin 1978, S. 43 f.; Niklas Luhmann, Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, Berlin 1965, S. 12 f.; ders., Institutionalisierung - Funktion und Mechanismus im sozialen System der Gesellschaft, in: Helmut Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, 2. Aufl., Düsseldorf 1973, S. 2-41, 28; Horst Reimann, Basale Soziologie: Einführung, in: ders. / Bernard Giesen u. a., Basale Soziologie: Theoretische Modelle, München 1975, S. 10-88, 22; Talcott Parsons, Aktor, Situation und normative Muster. Ein Essay zur Theorie sozialen Handelns. Herausgegeben und übersetzt von Harald Wenzel, Frankfurt a. M. 1986, S. 218 f.; Manfred Rehbinder, Rechtssoziologie, 2., völlig neubearbeitete Aufl., Berlin / New York 1989, S. 54 sowie neuerdings für die Politikwissenschaft Göhler, Institutionenlehre und Institutionentheorie in der deutschen Politikwissenschaft nach 1945 (FN 5), S. 17. 18 William Graham Sumner, Folkways. A Study of the Sociological Importance of Usages, Manners, Customs, Mores, and Morals, Boston / New York / Chicago u. a. 1940, S. 53 ff. Ähnlich auch Durkheim, der, ohne den Institutionsbegriff theoretisch auszuarbeiten, diesen häufig im Sinne eines sozialen Typus versteht. Vgl. Émile Durkheim, Les règles de la méthode sociologique, 18. édition, Paris 1973, S. 118 f., 136 f. sowie ders., Physik der Sitten und des Rechts. Vorlesungen zur Soziologie der Moral, hrsg. von Hans-Peter Müller, Frankfurt a. M. 1991, S. 103, 199, 201, 233 f., 285. Siehe femer Kenneth 1. Winston, Reflections on Model Institutions, in: Werner Krawietz / Jerzy Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts. Festgabe für Kazimierz Opalek zum 75. Geburtstag, Berlin 1993, S. 455-465, 458 f.

§ 3 Institutionentheorie des Rechts in systemischer Perspektive

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Luhmann konkretisiert diese Vorstellungen dahingehend, daß Institutionen in soziologischer Sicht Komplexe faktischer Verhaltenserwartungen seien. Diese werden im Zusammenhang einer sozialen Rolle aktuell und können in der Regel auf sozialen Konsens rechnen. Institutionen sind für Luhmann nach allem nur zeitlich, sachlich und sozial generalisierte Verhaltenserwartungen, die als solche die Struktur sozialer Systeme ausmachen.20 Es muß auffallen, daß diese begriffliche Bestimmung nahezu wörtlich mit derjenigen übereinstimmt, die er in seiner Rechtssoziologie für den Begriff des Rechts bereithält. 21 Im Unterschied zum Systembegriff bestehen Institutionen für ihn somit nicht aus faktischen Handlungen bzw. Kommunikationen. Sie seien keine empirisch aufweisbaren Handlungszusammenhänge.22 Aus diesem Grunde glaubt Luhmann, in der Soziologie auf das Institutionenkonzept zugunsten des Systembegriffs verzichten zu können. 23 Dieser strategische Verzicht, der von ihm - aus durchsichtigen Gründen - auf der Ebene begrifflicher Unterscheidung placiert wird, ermöglicht es ihm zugleich, eine Auseinandersetzung mit Schelskys Institutionentheorie aus dem Wege zu gehen und diese gleichwohl zu beerben. Die bewußte, aber so ganz und gar nicht plausible Trennung von Institutionen und sozialen Systemen wird besonders deutlich anhand Luhmanns Charakterisierung der Grundrechte als Institution. 24 Sein Institutionsbegriff geht insoweit zwar von tatsächlich existierenden Erwartungsstrukturen aus, ist aber dennoch eher dem Institutsbegriff vergleichbar als dem Institutionsbegriff moderner rechtsreali!9 René König, Institution, in: ders. (Hrsg.), Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 142-148, 143. 20 Luhmann, Grundrechte als Institution (FN 17), S. 13; ders., Die Soziologie und der Mensch, in: Neue Sammlung. Vierteljahres-Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft 25 (1985), S. 33-41, 36. 21 Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 2., erweiterte Aufl., Opladen 1983, S. 99. 22 Luhmann, Institutionalisierung - Funktion und Mechanismus im sozialen System der Gesellschaft (FN 17), S. 28. 23 Ebd. sowie neuerdings ders., Die Universität als organisierte Institution, in: ders., Universität als Milieu. Kleine Schriften, hrsg. von André Kieserling, Bielefeld 1992, S. 90-99, 98. In dieser Abhandlung vergleicht Luhmann den Institutionsbegriff mit dem Organisationsbegriff und meint, nur letzterer sei für eine adäquate sozial wissenschaftliche Beschreibung brauchbar, da der Begriff der Institution vergleichsweise unzulänglich spezifiziert sei. Weiter heißt es: „Nachdem schon das Naturrecht und seine naturalen Formkonstanten unter dem Druck der Zeitverhältnisse aufgegeben werden mußten, scheint dasselbe Schicksal auch die Ersatzvorstellung der Institution zu ereilen." Diese Parallele zwischen Institution und Naturrecht kann allenfalls mit Blick auf ein veraltetes Institutionenverständnis im Sinne Haurious gezogen werden. Ein derartiger Institutionsbegriff findet sich auch heute noch beispielsweise bei Mary Douglas, Wie Institutionen denken, Frankfurt a. M. 1991, S. 81 f. Hiemach sei jede etablierte Institution in der Lage, ihren Legitimitätsanspruch nötigenfalls durch eine Übereinstimmung mit der Natur der Welt zu begründen. Hinsichtlich der Institutionentheorie Schelskys ist ein solches Verständnis aber abwegig, was bereits aus dem bisherigen Gang der Untersuchung deutlich geworden ist. 24 Luhmann, Grundrechte als Institution (FN 17), S. 12 f.; zum Verhältnis von Institutionen und sozialen Systemen vgl. auch Ludwig M. Lachmann, Drei Essays über Max Webers geistiges Vermächtnis, Tübingen 1973, S. 66.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

stischer Institutionentheorien, die sowohl institutionalisiertes Verhalten als auch bewußtes Zweckhandeln integrieren. Luhmann verkürzt den Institutionsbegriff auf die Struktur sozialer Systeme mit der Maßgabe, daß aus rechtlicher Perspektive vermeintlich bloß die Normsätze und aus soziologischer Perspektive jedenfalls nur der faktische Konsens bezüglich bestimmter Erwartungen erfaßt werden. Infolgedessen erhält nur noch der Begriff der Institutionalisierung im Rahmen seiner Theorie sozialer Systeme eine Bleibestatt. Hiermit sind - und auch darin ist eine wenig angebrachte unzulässige Verkürzung zu erblicken - lediglich die Prozesse gemeint, die die Generalisierung von Konsens ermöglichen. Durch Institutionalisierung, die es den Interaktionspartnern innerhalb einer sozialen Beziehung erlaubt, sich wechselseitig einen (mutmaßlichen!) Konsens zu unterstellen, ohne ihn wirklich abzufragen, wird der Konsenswert aktuellen Erlebens im Hinblick auf die Erwartung von Verhaltenserwartungen überzogen. „Institutionalisierung dient dazu, Konsens erfolgreich zu überschätzen." 25 Auch unter der Voraussetzung moderner rechtsstaatlicher Verfassungen sind für die Institutionalisierung eigens vorgesehene Verfahren etabliert, die es ermöglichen, Normen in Geltung zu setzen, ohne aktuellen Konsens der Betroffenen vorauszusetzen. Institutionalisierung bezeichnet mithin auch für die Theorie des positiven Rechts grundlegende Operationen der sozialen Generalisierung normativer Erwartungen. Jedoch kann diese durchaus treffende Beschreibung Luhmanns den Begriff der Institution nicht ersetzen. Mit seinem Institutionalisierungskonzept erfaßt Luhmann lediglich die soziale Dimension. Zudem ignoriert seine Auffassung der Institutionen, die diese auf bloße Strukturen sozialer Systeme reduziert, die modernen institutionentheoretischen Forschungen und Auffassungen, die im Neuen Institutionalismus, insbesondere in demjenigen von Helmut Schelsky und Werner Krawietz, vertreten werden. Beide Autoren zeigen, daß die Institutionen soziale Kommunikations- und Handlungssysteme sind. Sie fungieren nicht nur als Muster für soziale Verhaltensabläufe, sondern bieten den in ihrem Rahmen Handelnden zugleich die Möglichkeit, Handlungsalternativen herauszubilden, zu wählen und selektiv auf Dauer zu stellen. Auf diese Weise kann zugleich ein institutioneller Wandel im Rahmen relativer Systemstabilität ermöglicht werden. 26 Im Zentrum eines modernen Verständnisses der Institutionen stehen somit alle Formen sozialen Handelns.27 25 Luhmann, Institutionalisierung - Funktion und Mechanismus im sozialen System der Gesellschaft (FN 17), S. 30. 26 Exemplarisch hierzu Helmut Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 215-231, 216; Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 76; ders., Der soziologische Begriff des Rechts, in: Rechthistorisches Journal 7 (1988), S. 157-177, 171; ders., Identität oder Einheit des Rechtssystems? (FN 12), S. 241 ff., 253. 27 In Abgrenzung zum Institutsbegriff betont beispielsweise auch Leopold von Wiese, Institution, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 5. Band, Stuttgart / Tübingen / Göttingen 1956, S. 297-298, daß Institution Handlung sei. Ähnlich bereits ders., System

§ 3 Institutionentheorie des Rechts in systemischer Perspektive

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3. Institutionen als soziale Handlungssysteme

Aus verstehend-interaktionistischer Perspektive versucht Ephrem Else Lau die Handlungsgebundenheit der Institutionen besonders herauszustellen. 28 Institutionen werden als Handlungszusammenhänge und weitreichende Handlungsverkettungen gesehen. Nicht nur die Institutionalisierung, sondern auch die Institutionen selbst werden als Medium der Sozialstruktur zugleich prozeßhaft verstanden. Institutionalisierung meine das (ineinandergepaßte) Handeln, das rückschauend vom Standpunkt des Beobachters als Institution in den Blick gebracht werde. Zutreffend wird gesehen, daß Institutionen aus Handlungen bestehen. Letztere müssen symbolisch präsentiert werden, damit sie als Objekte berücksichtigt werden können. Ausdrücklich definiert Lau Institutionalisierung als den Prozeß, in dem lebensweltlich Handelnde durch das Ineinanderpassen ihrer Handlungsperspektiven Sinnzusammenhänge schaffen. Die Institutionen werden bestimmt als soziale Objekte alltagsweltlichen Handelns, die sich in Institutionalisierungsprozessen konstituieren und denen aufgrund ihrer geschichtlichen Bewährung und Verankerung in persönlichen und gesellschaftlichen Wissensvorräten auf Dauer Geltung verliehen worden ist. 29 Indem Lau Institutionen nicht als starre Ganzheiten beschreibt, sondern als Phänomene aktiven gemeinsamen Handelns und als Objekte, die der Veränderung unterworfen sind, versucht sie eine „Vermittlung von ,Statik' und »Dynamik1, von Struktur 4 und ,Prozeß 4" zu erreichen. Ihr Anliegen entspricht insoweit dem realistisch-soziologischen Ansatz von Schelsky. Anders als dieser plädiert sie dafür, ausschließlich den „alltagsweltlich handelnden Menschen" in den Vordergrund zu stellen und nicht vom Menschen als Gattungswesen auszugehen.30 Gegen diese Abstraktion meldet sie Bedenken an, da das konkret handelnde Individuum nicht in den Blick komme. Jedoch besteht bei einer rein verstehendinteraktionistischen Theorie die Gefahr einem höchst prekären, methodologischen Individualismus zu erliegen, der die Organisationen und die Gesellschaft als ganze ausblendet. Man kann die gesamtgesellschaftlich geprägten rechtlichen Beziehungen nicht allein aus interaktionistischer Sicht beschreiben. Gerade die wechselseitigen Verflechtungen zwischen interaktionistischen, organisatorischen und gesamtgesellschaftlichen Strukturen und Prozessen müssen im Zentrum jeder realistischen Theorie sozialer Institutionen stehen. Diese Zusammenhänge werden bei einer isolierten Analyse der Interaktionen konkret-individueller Menschen nicht hinreichend deutlich. Die von Menschen im sozialen Miteinander geschaffenen normativen bzw. rechtsnormativen Strukturen können nicht ausschließlich und auch nicht überwiegend konkreten Individer Allgemeinen Soziologie als Lehre von den sozialen Prozessen und den sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungslehre), 4. Aufl., Berlin 1966, S. 331 ff. 28 Lau, Interaktion und Institution (FN 17), S. 50, 213 ff. 29 Ebd., S. 50. 30 Ebd.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

duen zugeschrieben werden, sondern sie sind - genau umgekehrt - nur insoweit von Menschen geschaffene Regeln als sie sich als autopoietisches, im Wege der Selbstorganisation erzeugtes Produkt der sozialen Gattung „Mensch" darstellen. Wichtig ist dabei, wie Werner Krawietz im Anschluß an Brusiin hervorhebt, daß es stets um von Menschen und für Menschen gemachte Regeln geht, die die objektive Ordnung bzw. das objektive Recht ausmachen.31 Alle Rechtserzeugung ist somit als rechtsnormative Erwartungsbildung stets ein gesellschaftliches Phänomen, welches sich nicht nur auf Interaktionen beschränkt, sondern es vor allem mit den Organisationen und der Gesellschaft als ganzer zu tun hat. Typischerweise werden in der modernen Gesellschaft die wesentlichen normativen Entscheidungen in und durch Organisationen erzeugt. Die theoretische Einbeziehung der Organisationen ist deshalb unentbehrlich, weil diese über die Ordnungsebene einfacher Interaktionen hinausgreifen und eine Episodenbildung ermöglichen, so daß ein Weitermachen auch bei Nichtweiterwissen gesichert erscheint. Eine nur verstehend-interaktionistische Theorie, die allein auf das konkret handelnde Individuum abstellt und den Menschen nicht als Gattungswesen in Ansatz bringt, ist zu einseitig und kann mit den so gewonnenen Einzeldaten keine zureichenden Erklärungen der komplexeren Beziehungszusammenhänge in und zwischen weit ausdifferenzierten sozialen Systemen liefern. 32 Diese Defizite eines nur auf Interaktionen basierenden Theorieverständnisses werden in Schelskys Institutionentheorie durch Einbeziehung der Organisationen vermieden. Die mit der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft einhergehende faktische Ausbildung einer unübersehbaren Vielzahl sozialer Organisationen sowie deren Folgen für das in Gemeinschaft lebende Individuum, stehen bei Schelsky seit jeher im Mittelpunkt seiner theoretischen Analysen. 33 Dabei widmete sich sein institutionentheoretisches Denken von Anfang an vor allem dem Verhältnis von Politik und Recht. 34 Thematisiert und untersucht werden in Schelskys umfangreichem Werk hauptsächlich Institutionen und Organisationen, wie 31 Werner Krawietz, Theorie und Forschungsprogramm menschlicher Rechtserfahrung - Allgemeine Rechtslehre Otto Brusiins, in: R E C H T S T H E O R I E 22 (1991), S. 1 -37, 4 ff. 32 Ausdrücklich betont Schelsky, daß sich auch der individualistische Theorieansatz vom konkreten Individuum abstrahiert und generalisiert hat: „Das Individuum ist sowohl in der Tiefenpsychologie und ihren wissenschaftlichen und ideologischen Nachfolgeerscheinungen als auch in der kulturellen und philosophischen Anthropologie längst seiner ,Bewußtheits4-Dominanz und -Kennzeichnung entkleidet und zur Kategorie ,Der Mensch4 generalisiert worden.44 Vgl. Helmut Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 95-146, 97. 33 Insoweit bemerkt Johann August Schülein, Theorie der Institution. Eine dogmengeschichtliche und konzeptionelle Analyse, Opladen 1987, S. 96, sehr treffend, Schelskys Vorstellungen seien nicht nur lange Zeit konkurrenzlos, sondern auch „ungenutzt44 geblieben. 34 Vgl. bereits Helmut Schelsky, Theorie der Gemeinschaft nach Fichtes ,,Naturrecht44 von 1796, Berlin 1935 sowie ders., Thomas Hobbes - Eine politische Lehre, Berlin 1981 [Erstmalige Publikation der Habilitationsschrift Schelskys aus dem Jahre 1939].

§ 3 Institutionentheorie des Rechts in systemischer Perspektive

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zum Beispiel der Staat, die Universitäten, Schulen, Wirtschaftsunternehmen etc., in denen der hohe Grad der Selbstorganisation der Gesellschaft zum Ausdruck gelangt und die die hohe funktionale Durchorganisiertheit der Gesellschaft gewährleisten. 3 5 Hierbei interessiert ihn insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Organisation und Person, welches anhand der pointierten Fragestellung „Integrität und Autonomie der Person?" aufgegriffen wird. 3 6 Die hiermit angesprochene Problematik wird weiter unten 37 im einzelnen untersucht werden. Schelskys Analysen beschränken sich nirgendwo auf eine reduktionistische, nur auf Individuen bzw. deren Interaktionen abstellende Betrachtungsweise. Gerade die verschiedenen Systemreferenzen werden berücksichtigt, insbesondere die theoretischen Ansätze, bei denen komplexere Institutionen und Organisationen bis hin zur Gesellschaft einbezogen werden. Dementsprechend findet sich bei Schelsky ein dynamisches Konzept der Institution. Die Thematisierung des Institutionsbegriffs in diversen Zusammenhängen und aus unterschiedlichen Beobachterperspektiven veranlaßt Schülein allerdings zu der Annahme, der Institutionsbegriff sei bei Schelsky kein theoretisches Instrument erster Wahl, sondern mehr der „Feiertags-Soziologie" zuzurechnen. 38 Diese Kritik verkennt ganz ohne Zweifel Schelskys zentrales theoretisches Anliegen. Ausgehend von einer Vielzahl sozialwissenschaftlicher Theorieansätze, die von ihm kritisch gesichtet und beleuchtet werden, kommt er zu dem Schluß, daß diese jeweils nur „aspekthafte Theorie-Schnitte" in die soziale Wirklichkeit darstellen.39 Erst eine Integration der unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen 35 Exemplarisch hierzu (aus seinem nahezu 400 Veröffentlichungen umfassenden wissenschaftlichen Werk): Helmut Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen. Kulturanthropologische Gedanken zu einem rechtssoziologischen Thema, in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf/ Köln 1965, S. 33-55; ders., Aufgaben und Grenzen der Betriebssoziologie, in: ebd., S. 59-87; ders., Soziologische Bemerkungen zur Rolle der Schule in unserer Gesellschaftsverfassung, in: ebd., S. 131-159; ders., Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen, 2., um einen „Nachtrag 1970" erweiterte Auflage, Düsseldorf 1971; ders., Die Wirtschaftswissenschaften und die Erfahrung des Wirtschaftens. Eine laienhafte Betrachtung, Wiesbaden 1980; ders., Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34-76. 36 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 32), S. 137. Vgl. auch: ders., Die Institutionenlehre Herbert Spencers und ihre Nachfolger, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 248261, 253 ff. 3 7 Siehe § 4 4. u. 5. 38 Schülein, Theorie der Institution (FN 33), S. 97. Ähnlich meint neuerdings Francesco Belvisi, La sociologia del diritto di Helmut Schelsky: agire individuale, istituzioni normative e razionalità giuridica, Corso di dottorato di ricerca in sociologia del diritto, IV Ciclo, Mailand 1992, den Institutionen werde in Schelskys Theorie nur untergeordnete Bedeutung beigemessen, im Vordergrund stehe dagegen das individuelle Handeln. 39

Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 32), S. 107.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

Theorieansätze gewährleiste einen höheren Erkenntniszuwachs, ohne daß ein gänzlich neues Erkenntnissystem entsteht.40 Aus diesem Grunde ergänzen sich die funktionale Systemanalyse der Institutionen, insbesondere derjenigen des Rechts, sowie die Analysen des sozialen Handelns, ohne hierbei den anthropologischen Hintergrund außer acht zu lassen. Eine die Perspektivenvielfalt einseitig charakterisierende Definition des Institutionsbegriffs entspricht nicht der Intention Schelskys, denn die Verfolgung eines derartigen Denkzwanges gehe mit einem Verlust an Wirklichkeitserkenntnis einher. 41 Schelskys Sichtweise der Institutionen, die von einem dynamischen Konzept des sozialen Wandels ausgeht, erschöpft sich nicht in starren Verhaltensmustern. Institutionen müssen als sich ständig entwickelnde Strukturen und Prozesse analysiert werden. 42 Sein Konzept der Institution geht weit über das der üblichen soziologischen Vorstellungen hinaus. Bei diesen wird - neben den komplexen Verhaltensmustern, die in einer Gesellschaft gelten - lediglich das den Normen entsprechende tatsächliche Verhalten der Mehrheit der Handelnden erfaßt. 43 Werden nur die persistenten Verhaltensregelmäßigkeiten in den Blick genommen, ist es praktisch unmöglich, den von Schelsky diagnostizierten stabilen institutionellen Wandel zutreffend zu beschreiben, der ohne Rekurs auf die normativen Strukturelemente der sozialen Institutionen und Organisationen gar nicht erfaßt und identifiziert werden kann. Die Institutionen und insbesondere das Recht haben gerade keinen statischen Charakter. Grundlegend ist für Schelsky, daß jede Institution ein informatives Kommunikations- bzw. Handlungssystem ist. 44 Institutionen bestehen auch nicht aus Individuen, da Menschen als solche keine Institutionen bilden. Institutionentheoretisch gedeutet, sind sowohl das Individuum als auch die Institution sich entsprechende, vom Gesamtverhalten der Person abstrahierte, soziale Handlungseinheiten.45 Zum einen gehört das institutionelle Handeln als spezifischer Anteil am Gesamthandeln und den gesamten Lebensäußerungen des Individuums zur Institution. Das heißt mit anderen Worten, daß das Rollenverhalten den Individualanteil der Institutionen ausmacht.46 Über Rollenerwartungen, die in Institutionen zusammengefaßt sind, passen sich individuelle Handlungen in institutionelle Prozesse ein. 47 Zum anderen kommt jedoch bei Schelsky hinzu, daß er neben den institutionalisierten Mustern und dem institutionellen Verhalten das bewußte Zweckhandeln in den Fokus seiner Untersuchungen stellt. Diese Ebene des

40 Ebd. 41 Ebd. 42 Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution (FN 26), S. 217. 43 Horst Reimann, Institutionen, in: ders./Bernard Giesen u. a., Basale Soziologie: Hauptprobleme, München 1975, S. 148-164, 148. 44 Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution (FN 26), S. 230. 45 Schelsky, Der behavioristische Ansatz der Institutionenlehre (FN 1), S. 246. 46 Ebd., S. 245; ders., Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, 3. Aufl., Düsseldorf / Köln 1967, S. 88 f. 47 Ähnlich auch König, Institution (FN 19), S. 143 f.

§ 3 Institutionentheorie des Rechts in systemischer Perspektive

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zweckgerichteten, ordnungsgestaltenden und bewußten Handelns für jeweils abgeleitete Bedürfnisse innerhalb der Institutionen wird durch das Recht ausgefüllt. Dem Recht wird die planende und gründende Funktion für die Gestaltung der Zukunft zugeschrieben. Im Rechtscharakter der Institution liege ihre Veränderbarkeit und ihre Anpassungsfähigkeit gegenüber neuen Umweltsituationen. Die Institution erschöpft sich also nicht in der Erhaltung des status quo im Wege der normativen Determination individuellen Handelns, sondern bezieht - orientiert an den jeweiligen Grenzen eines sozialen Systems in seiner Umwelt - auch das individuelle Erleben sowie ein auf entsprechende Veränderung gerichtetes Handeln ein. Institutionen sind somit in der Perspektive des Neuen Institutionalismus, wie ihn Schelsky konzipiert, stets soziale Kommunikations- und Handlungssysteme. Schelsky ist damit eine höchst realistische Beschreibung der Institutionen der modernen Gesellschaft gelungen, die zugleich als Grundlage einer sinnkritischen Rechtssoziologie und Normentheorie zu dienen vermag. Sie überragt insoweit nicht nur die klassischen institutionentheoretischen Ansätze, sondern geht in ihrer soziologischen Fundierung auch weit über das hinaus, was bis auf den heutigen Tag von den Vertretern eines institutionalistischen Rechtspositivismus zur Erkenntnis von Recht, Staat und Gesellschaft beigesteuert werden konnte. Ganz ähnlich werden die theoretischen Prämissen im Rahmen der Luhmannschen Systemtheorie festgelegt. Zwar plädiert dieser für den Begriff des sozialen Systems, der den Gegenstandsbereich der Soziologie definiere, 48 übrigens genau so, wie der Begriff der sozialen Institution es für die Institutionentheorie Schelskys tut. Als Grund führt Luhmann aber lediglich an, daß der herkömmliche Institutionsbegriff nicht genügend das Prozeßhafte, Dynamische und Funktionelle berücksichtige und daher eher von Institutionalisierung gesprochen werden müsse. Gerade diese in älteren Institutionentheorien in der Tat fehlenden oder nicht hinreichend berücksichtigten Aspekte hat Schelsky aber in sein Institutionenverständnis aufgenommen, so daß seine Theorie die Voraussetzungen für eine Integration seiner Theorie der Institutionen mit der Theorie sozialer Systeme bietet. 49 Bei Schelsky wird der Prozeß der Selbstorganisation von sich selbstreferenziell ändernden Institutionen und sozialen Systemen durch das Einbeziehen des bewußten Zweckhandelns deutlich herausgestellt. Er betont im Unterschied zu Luhmann aber das Erfordenis stabilen Wandels und damit die Bedeutung der bereits institutionalisierten Normen bzw. Normenordnung als Orientierungsmaßstab für alle in den Institutionen ablaufenden Handlungen. In Luhmanns Systemtheorie wird dagegen der Gesichtspunkt der Kontingenz aller Strukturen stärker betont als es 48

Luhmann, Institutionalisierung (FN 17), S. 28. Zur Ausarbeitung der Integration von Institutionen- bzw. Rechts- und Systemtheorie vgl. Werner Krawietz, Recht und moderne Systemtheorie, in: Torstein Eckhoff / Lawrence M. Friedman / Jyrki Uusitalo (Hrsg.), Vernunft und Erfahrung im Rechtsdenken der Gegenwart, Berlin 1986, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 10, S. 261-309, 303; ders., Recht als Regelsystem (FN 26), S. 158 ff. und ders., Der soziologische Begriff des Rechts (FN 26), S. 171. 49

2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

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der sozialen Wirklichkeit aller Rechtssysteme der modernen Gesellschaft entspricht. Dementsprechend erscheint auch die Freiheit, zwischen verschiedenen Handlungsalternativen wählen zu können, theoretisch sehr viel größer als praktisch realisierbar ist. Beide Theorievarianten schließen sich jedoch nicht aus, sondern ergänzen sich. In rechtstheoretischer Sicht steht allerdings, wie Schelsky mit Grund immer wieder betont, die praktische Möglichkeit der institutionellen Beeinflussung allen Handelns mit Hilfe von Direktiven und Rechtsnormen 50 durchaus im Vordergrund.

§ 4 Integration von systemfunktionaler und personfunktionaler Analyse des Rechts 1. Universalistischer und individualistischer Theorieansatz

Im Vordergrund der theoretischen Analysen Helmut Schelskys steht das Bemühen, die sozialen Phänomene in ihrer Komplexität integrativ zu erfassen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, sie einseitig oder gar verzerrt und perspektivisch verengt durch die Brille einer speziellen Theorie zu beschreiben, die - natürlich vergeblich - ein Monopol auf vernünftige Einsicht bzw. wissenschaftliche Erkenntnis geltend zu machen sucht. Welche Seiten und Aspekte der sozialen Wirklichkeit erkennbar seien, hänge von dem jeweiligen Ansatz ab, mit der man sich ihr nähere. Nach Schelsky kristallisieren sich im wesentlichen zwei Zugangswege heraus, die versuchen, entweder vom Ganzen der Gesellschaft oder vom Individuum her die sozialen Beziehungen zu erforschen und zu beschreiben.1 Schelsky unterscheidet mithin verschiedene Systemreferenzen. Der beobachtende Wissenschaftler sieht sich damit der Konkurrenz zwischen einem holistischen und einem reduktionistischen Zugang ausgesetzt. Bei ersterem wird die Analyse komplexerer sozialer Einheiten in den Vordergrund gerückt. Für Schelsky liegt insoweit der entscheidende Fortschritt in der Überwindung des Begriffs des kollektiven Subjekts zugunsten des abstraktionshöheren Systembegriffs. Dieser zeichne sich unzweifelhaft durch seine Abstraktionshöhe, seine Konformität mit den theoretischen Ansätzen anderer Disziplinen sowie durch seine Technisierbarkeit aus.2 Es wird möglich, die normativen Erwartungen - losgelöst vom Subjektbezug - nicht als Willensäußerungen, sondern als institutionelle Verhaltensmu50

Hierzu: Torstein Eckhoff I Nils Kristian Sundby, Rechtssysteme. Eine systemtheoretische Einführung in die Rechtstheorie, Berlin 1988, S. 45 f., 48 f. und Krawietz, Recht als Regelsystem (FN 26), S. 41 ff. ι Helmut Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 95146, 96 und ders., Zur soziologischen Theorie der Institution, in: ebd., S. 215-231, 215. 2 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 96.

§ 4 Systemfunktionale und personfunktionale Analyse des Rechts

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ster, also als komplexe soziale Struktur- und Funktionszusammenhänge zu analysieren. Diese Sichtweise vom „Ganzen der Gesellschaft" hält Schelsky jedoch für zu einseitig, zumal das „subjektive Handeln und zumeist auch das Individuum aufgehoben und in Seinsbezüge objektiviert" werden. Diese Bezüge seien dann lediglich in ihren objektiven Zusammenhängen als ein strukturiertes System zu verstehen. Andererseits setzt sich Schelsky sehr kritisch mit den individualistischen Theorieansätzen von Max Weber und Alfred Schütz auseinander. Diese beruhen auf der Annahme, daß das Individuum durch sein Bewußtsein, sein Sinnverständnis und seine Sinngebung, also seinen Erlebnishorizont, die soziale Handlung bestimme.3 Von der individuellen Ichbewußtheit her ansetzende soziale Handlungstheorien beschränken sich in ihrer Erkenntnis auf ichsubjektive Bewußtseinshorizonte. Ebenso wie Luhmann hält Schelsky es für erforderlich, die Grenzen des Erlebnishorizonts des Handelnden zu sprengen, um mehr Komplexität erfassen zu können.4 Um dieses Ziel zu erreichen, ist es nach Schelskys Auffassung nicht erforderlich, ausschließlich die systemtheoretische Konzeption (von Parsons und Luhmann) zu verfolgen. Vielmehr betont er ausdrücklich, daß sich auch der individualistische Theorieansatz mittlerweile abstrahiert und generalisiert habe. Das Individuum sei sowohl in der Tiefenpsychologie als auch in der kulturellen und philosophischen Anthropologie längst seiner BewußtheitsDominanz entkleidet und zur Kategorie „Der Mensch" generalisiert worden. 5 Aus diesem Grunde könne man auch nicht mehr von einer Überlegenheit des universalistischen Denkansatzes sprechen. Des weiteren hätten die systemtheoretischen Ansätze gezeigt, daß ein Reflexionsüberschuß des analytischen Denkens gegenüber dem Motivbewußtsein des Handelnden bestehe, denn der analysierende Sozialwissenschaftler erfasse höhere Komplexität gegenüber dem individuellsubjektiven Handlungsbewußtsein des Individuums. Allerdings werde dieser Reflexionsüberschuß ebenso bei Anwendung der individualistischen Analyse erzielt. Diese Vorteile eines Reflexionsüberschusses des analytischen Denkens gegenüber dem Motivbewußtsein des Handelnden werden in den neueren Schriften Luhmanns mittels einer Theorie des Beobachtens von Beobachtungen verdeutlicht. Dabei wird ein vom üblichen Verständnis abweichender Begriff der Beobachtung vorausgesetzt. Der Beobachtungsbegriff erfaßt jede klassifikatorische Unterscheidung, die im Wege kommunikativen Operierens zur Bezeichnung der einen und nicht der anderen Seite eines Gegenstandsbereichs getroffen wird. Luhmann operiert hier nach dem von Spencer Brown in seinen Laws of Form 6 ausgegebenen Motto: „Draw a distinction! Make a difference!", das am Anfang jeder Beobachtung stehe. Unterscheidung ist somit das Markieren einer Grenze. 3 Ebd. Niklas Luhmann, Positives Recht und Ideologie, in: ders., Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, Bd. 1, 3. Aufl., Opladen 1972, S. 178-203, 179. 5 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 97. 6 George Spencer Brown, Laws of Form (1969), Neudruck, New York 1979. 4

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

Trotz der abstrakten Begrifflichkeit ist mit Beobachtung stets eine empirische Operation, im Falle sozialer Systeme also eine ihrerseits beobachtbare Kommunikation gemeint.7 Dies gilt auch für alle wissenschaftlichen Operationen. Ergebnis der wissenschaftlichen Kommunikationen bzw. Unterscheidungen ist das Wissen. Der von Schelsky diagnostizierte Reflexionsüberschuß des Wissenschaftlers wird aber in der Beobachtungstheorie erst deutlich, wenn man Wissenschaft als Beobachten von Beobachtern charakterisiert. Das bedeutet, daß man die Unterscheidung selbst mit Hilfe einer anderen Unterscheidung bezeichnen muß. Es reicht nicht aus, unterschiedene Gegenstände aufzuzählen, wie ζ. B. mein Auto und andere Autos oder mein Haus und andere Häuser. Mit diesen Feststellungen bliebe man auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung, da man nicht die unterscheidenden Operationen als solche, sondern diese wie Objekte behandelt.8 Zu einer Beobachtung zweiter Ordnung kommt es demnach erst, wenn ein Beobachter als Beobachter beobachtet wird, mit anderen Worten: unter Berücksichtigung der Art und Weise, wie er beobachtet.9 Obwohl Schelsky die abstrakte Begrifflichkeit der Beobachtungstheorie nicht bemüht, hat er die wirklichkeitsbeschreibende Funktion der Wissenschaft ähnlich gesehen. Die sozialwissenschaftliche Empirie schaffe eine sekundäre Wirklichkeit, die den unmittelbaren Erfahrungsumfang des einzelnen grundsätzlich überschreite. 1 0 Die Wissenschaft reproduziere damit die Tatsachen für das Bewußtsein, auf denen in einer modernen großräumigen Gesellschaftsverfassung das soziale Geschehen und seine Gesetzlichkeiten beruhen. Die besondere Beobachterperspektive der Wissenschaft wird nicht nur vom universalistischen Ansatz, sondern ebenso von modernen individualistischen Ansätzen eingenommen, wobei aber wegen der unterschiedlichen Prämissen andere Ausschnitte des sozialen Geschehens in den Vordergrund gerückt werden. Schelsky optiert daher für keinen der beiden Ansätze und räumt weder dem einen noch dem anderen eine Prärogative ein. Vielmehr würden von den beiden Theorieansätzen her die gleichen Wirklichkeiten des sozialen Lebens komplementär erfaßt und jeweils verschieden problematisiert. Der universalistische Theorieansatz basiere auf der generalisierten Kategorie „das System", der individualistische auf dem generalisierten Begriff „der Mensch". Schelsky hält sich in seiner Institutionentheorie, 7 Niklas Luhmann, Ich sehe was, was Du nicht siehst, in: ders., Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven, Opladen 1990, S. 228-234, 230; ders., Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1990, S. 75 und ders., Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft, in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, S. 93-128, 100 f.; erläuternd hierzu Peter Fuchs, Niklas Luhmann - beobachtet. Eine Einführung in die Systemtheorie, Opladen 1992, S. 44 ff. 8 Niklas Luhmann, Soziologie des Risikos, Berlin/New York 1991, S. 239. 9 Ebd., S. 240. Weiterführend, vor allem zum Paradoxieproblem des Beobachters ders., Sthenographie, in: ders. / Umberto Maturana u. a., Beobachter. Konvergenz der Erkenntnistheorien?, München 1990, S. 119-137.

10 Helmut Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, 3. Aufl., Düsseldorf/ Köln 1967, S. 69.

§ 4 Systemfunktionale und personfunktionale Analyse des Rechts

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die beide Kategorien auf begrifflicher Ebene auf ihre Weise zu integrieren sucht, die doppelte Möglichkeit offen, einmal vom sozialen Handeln des Individuums einschließlich seiner Realitäts-, Ziel- und Zweckvorstellungen auszugehen, zum anderen die Struktur- und Funktionszusammenhänge, also die institutionellen Verhaltensmuster als Ganze zum Forschungsgegenstand zu machen.11 Dieses grundsätzliche Anliegen kommt auch in dem oben beschriebenen Kreismodell zum Ausdruck. Die Konsequenzen der Komplementarität der beiden Ansätze stellen sich für Schelsky wie folgt dar. Zum einen kommt es zu einander ausschließenden Perspektiven in der Thematisierung der betreffenden Erscheinungen der sozialen Wirklichkeit. Zum anderen zeigt sich für beide Ansätze die Tendenz zum Umschlagen in die Problematik des jeweils anderen. Ersteres führe - je nachdem, welchen Theorieansatz man verfolge - zu antagonistischen Problemund Kategoriensystemen. 12 Universalistische Sozialtheorien neigen zur Aufstellung von Ordnungs-, Integrations- und Institutionsproblematiken; individualistische zu Freiheits-, Konflikt- und Bewußtseinsproblematiken. Nach Schelsky kommt es zu endlos diskussionsfähigen, aber unlösbaren sozialwissenschaftlichen Problemen, wenn bestimmte Grundkategorien der unterschiedlichen Ansätze dualistisch aufeinandertreffen. Exemplarisch nennt er „Freiheit - Ordnung", „Konflikt - Integration" oder „Individuum - Gemeinschaft". Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, werde die Kategorie der Gegenseite in das eigene System aufgenommen. Dies führe nur zu Systembefriedigungen der betreffenden Denker, aber nicht zur Bewältigung der vom anderen Ansatz her gedachten Problemstellung. Gegenüber derartigen „Scheinlösungen" weist Schelsky auf den Vorteil antagonistischer soziologischer Theorieansätze hin. Die Sozialwissenschaft müsse arbeitsteilig mit beiden Ansätzen operieren, da beide eine verschiedene Erkenntnis- und Praxisfunktion haben. Andererseits haben beide Ansätze ein wesentliches gemeinsames Erkenntnisziel, da beide letztlich das soziale Handeln analysieren wollen. Zutreffend sieht Schelsky, daß dies nur möglich ist, wenn sowohl die Handlungen des Individuums als auch seine Beziehungen zum Ganzen oder zu ganzheitlichen Teilen der Gesellschaft berücksichtigt werden. Daher müsse in jedem der Ansätze die Problemstellung des anderen auftreten. Diese Tendenz beider Ansätze bringt für jeden von beiden die Gefahr mit sich, unkontrolliert in die Problematik des anderen umzuschlagen.13 Es wäre jedoch verfehlt, diesen Umstand als einen methodologischen Synkretismus zu 11 Helmut Schelsky, Der behavioristische Ansatz der Institutionenlehre (Floyd Henry Allport), in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 232 - 247,246. Unzutreffend ist daher die Auffassung Niklas Luhmanns, Nachruf auf Helmut Schelsky, in: Jahrbuch 1984 der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Opladen 1985, S. 42-44, 42, Schelskys Begriff der Institution habe eher anthropologisches als soziologisches Kolorit. 12 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 98. 13 Ebd., S. 99. 6 Werner

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

verstehen. Jeder Ansatz wird methodisch stringent durchgeführt, nur kommt der eine nicht ohne den anderen aus. Die Beschreibung der sozialen Wirklichkeit erfordert eine kumulative Analyse sowohl vom universalistischen als auch vom individualistischen Ansatz her. Schelsky monopolisiert also nicht eine „allgemeine Theorie" der Gesellschaft oder des menschlichen Handelns. Er geht ganz im Gegenteil davon aus, daß es stets eine Vielfalt von sozialwissenschaftlichen Theorieansätzen gibt, die jeweils nur Ausschnitte der sozialen Wirklichkeit theoretisch erfassen. Die unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Theorien ergänzen sich zwar in der Leistung der Wirklichkeitserkenntnis, aber nicht zu einem einzigen Erkenntnissystem. 14 Schelskys Institutionentheorie versteht sich selbst daher auch nicht als eine allgemeine, abstrakte Theorie der Gesellschaft. Ihr Anliegen ist vielmehr, die Grundlagen und das grundbegriffliche Framework für eine realistische Beschreibung der wesentlichen Institutionen sowie ihrer normativen, insbesondere rechtsnormativen Strukturen zu schaffen. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe macht Schelsky sich allgemeine Theorieansätze - wie vor allem den systemtheoretischen Denkansatz - zunutze, ohne diese vollständig als eigene zu übernehmen oder gar ihren Einseitigkeiten zu erliegen.

2. Politisch-funktionale Ansätze als Ergänzung der bestandsfunktionalen Ansätze

Ähnlich verhält es sich mit den verschiedenen Funktionsanalysen des Rechts. Wenn Schelsky neben der systemfunktionalen Bestimmung des Rechts auch anthropologischfunktionale und personfunktionale Ansätze behandelt, ist dies keine abschließende Aufzählung möglicher funktionaler Analysen. Er optiert weder für eine dieser Zugangsweisen zum Recht, noch monopolisiert er den personfunktionalen Ansatz, 15 wie im Schrifttum 16 häufig behauptet wird. Wie 14 Ebd., S. 107. ι 5 Hierzu eingehend bereits Werner Krawietz, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus im Rechtsdenken der Gegenwart, in: Horst Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1986, S. 114-148, 132; ders., Rechtssystem als Institution? Über die Grundlagen von Helmut Schelskys sinnkritischer Institutionentheorie, in: Dorothea Mayer-Maly / Ota Weinberger / Michaela Strasser (Hrsg.), Recht als Sinn und Institution, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 6, Berlin 1984, S. 209243, 232. 16 Wolf Lepenies, Anthropologie und Gesellschaftskritik. Zur Kontroverse Gehlen Habermas, in: ders. / Helmut Nolte, Kritik der Anthropologie. Marx und Freud. Gehlen und Habermas. Über Agression, 2. Aufl., München 1972, S. 77-102, 95; Rosemarie Pohlmann, Einleitung. Zum soziologischen Denken Helmut Schelskys: ,Person und Institution4 als Leitthema einer kritischen Gegenwartswissenschaft, in: dies. (Hrsg.), Person und Institution. Helmut Schelsky gewidmet, Würzburg 1980, S. 9-33, 31; Frank Rotter, Der personfunktionale Ansatz in der Rechtssoziologie. Eine Auseinandersetzung

§ 4 Systemfunktionale und personfunktionale Analyse des Rechts

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bereits oben ausgeführt, handelt es sich bei der personfunktionalen Analyse des Rechts um einen Unterfall des politisch-funktionalen Ansatzes, welcher gegenüber den bestandsfunktionalen Theorien keinen Ausschließlichkeitsanspruch erhebt, sondern gerade ergänzend erfolgt. Sowohl der systemfunktionale Ansatz als auch der anthropologisch-funktionale kommen ohne den Rekurs auf politischprogrammatische Endzielbestimmungen nicht aus, wenn es um die Analyse des geltenden Rechts geht. 17 Analysen, die die sozialen Systeme in bezug auf ihre Leistung für diese Grundprogrammierung untersuchen, bezeichnet Schelsky als „gesellschaftsprogrammatische Funktionsanalysen". Demgegenüber steht bei den „personfunktionalen Ansätzen" ein auf das Individuum bezogenes Endziel im Zentrum der Funktionsanalysen. Schelsky bringt hiermit lediglich zum Ausdruck, daß sowohl der Mensch als generalisiertes Individuum als auch soziale Systeme andere oder zusätzliche Endziele als den bloßen Fortbestand und das Funktionieren ihrer selbst verfolgen. Gemeinsam ist den politisch-funktionalen Analysen, daß sie die bloß bestandsfunktionalen nicht aus-, sondern einschließen. Im Rahmen seines interdisziplinären Zugangs zur Funktion des Rechts trennt Schelsky diese Ansätze strikt voneinander und betont, daß die bestandsfunktionalen Untersuchungen den empirisch-beschreibenden Sozialwissenschaften vorbehalten sind, die politisch-funktionalen hingegen den sogenannten „normativen" Wissenschaften überlassen bleiben. Zwar hat für ihn die Rechtssoziologie nicht nur eine analytische, sondern zudem auch eine rechtspolitische sowie eine gesellschaftspolitische Aufgabe. 18 Dennoch ist seine Institutionentheorie nicht normativ. Sie bleibt deskriptiv, denn sie schreibt selbst keine Leitideen oder Normen vor. Vielmehr versucht sie nur, die wesentlichen poltischen Grundentscheidungen des Rechts, wie beispielsweise Demokratie-, Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip, in die Systemanalyse einzubeziehen, indem sie deren Funktionen sowohl im Hinblick auf die Institutionen als auch auf die Individuen analysiert. Es werden von Schelsky keine eigenen politischen Forderungen erhoben. Vielmehr sollen die für die modernen, staatlich organisierten Rechtssysteme grundlegenden Entscheidungen in ihrer funktionalen Bedeutung beleuchtet werden, die nur in einer abstrakten Systemanalyse gar nicht zureichend erfaßt werden können. Jedoch geht es stets um die Analyse und theoretische Durchdringung von im Rechtsalltag schon getroffenen politisch-rechtlichen Entscheidungen - und nicht um die Aufstellung oder gar normative Aufstellung eigener Entscheidungen. Aus diesen mit dem Ansatz von Helmut Schelsky, in: Friedrich Kaulbach / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 481 -505,485. Bernhard Schäfers, Person und Institution, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 36 (1984), S. 420-426, 422; Francesco Belvisi, La sociologia del diritto di Helmut Schelsky: agire individuale, istituzioni normative e razionalità giuridica, Corso di dottorato di ricerca in sociologia del diritto, IV Ciclo, Mailand 1992, S. 211 ff., 214. 17

Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 104.

is Ebd., S. 95. 6*

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

Gründen ist die Behauptung unzutreffend, Schelsky stelle seine Rechtssoziologie in den Dienst der Rechtspolitik 19 . 20 Auch verfolgt Schelsky mit seiner Rechtstheorie nicht einen bloß moralisch orientierten personfunktionalen Ansatz. Der personfunktionale Ansatz dient vielmehr im Rahmen des politisch-funktionalen Ansatzes dem Zweck, eine Betrachtungsweise zu etablieren, „die eine Stärkung des sich im personalen Rechtsanspruch verwirklichenden und bewährenden individuellen Freiheits- und Verantwortungsbewußtseins begründet" 21. Der politisch-funktionale, insbesondere der personfunktionale Ansatz, stellt insofern eine Ergänzung des systemfunktionalen Theorieansatzes der Rechtssoziologie dar, den er ganz ausdrücklich für brauchbar und fruchtbar hält. 22 Schelsky betont, daß insofern eine kompensatorische Wahlmöglichkeit besteht. So wie man bei der systemfunktionalen Analyse den Bestand der jeweiligen Einrichtungen, insbesondere derjenigen des Rechts, bei dem anthropologischen Ansatz hingegen die sozialen Bedürfnisse des Menschen zum Ausgangspunkt der Betrachtung erklärt, kann man auch jene Endziele und Leitideen des Menschen, auf die er in der individuellen Lebensführung und in der politischen Gemeinschaft sein Handeln ausrichtet, einer Funktionsanalyse unterziehen. Da die gesellschaftsprogrammatische Funktionsanalyse des Rechts schon häufig behandelt worden sei, wendet er sich in seinen Erörterungen der von der Rechtssoziologie vernachlässigten personfunktionalen Analyse zu. 23

3. Selektion von Leitideen als operative Grundlage sozialen Handelns

Bei den grundlegenden personalen Leitideen des Rechts handelt es sich nicht um irgendwelche metaphysischen Wesenheiten noch können diese bewußtseinsphilosophisch bestimmt werden. Für Schelsky geht es dabei stets um gesellschaftlich bedingte und bestimmte, vom Menschen als einem sozialen Gattungswesen ausgewählte und in sozialer Kommunikation geschaffene „absolute End19

Hans Ryffel, Rechtssoziologie. Eine systematische Orientierung, Neuwied / Berlin 1974, S. 75. 20 Ebenso bereits Krawietz, Die Normentheorie Helmut Schelskys (FN 15), S. 132 und ders., Rechtssystem als Institution? (FN 15), S. 232 f. sowie ihm folgend Athanasios Gromitsaris, Theorie der Rechtsnormen bei Rudolph von Ihering. Eine Untersuchung der Grundlagen des deutschen Rechtsrealismus, Berlin 1989, S. 156; ähnlich auch Otfried Höffe, Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat, Frankfurt a. M. 1989, S. 364, der aber an dem Fehlen eines normativen Kriteriums in Schelskys Institutionentheorie Kritik übt. Diese ist jedoch unberechtigt, da es nicht Anliegen einer rechtssoziologischen Analyse des Rechtssystems sein kann, normative Vorgaben aufzustellen. 21 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 95. 22 Ebd., S. 113. 23 Ebd., S. 125.

§ 4 Systemfunktionale und personfunktionale Analyse des Rechts

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ziele", die im Wege bewußten Zweckhandelns institutionell auf Dauer gestellt werden. 24 Im Unterschied zu Motiven, die dem einzelnen gewöhnlich mehr oder weniger bewußt sind, ist dies hinsichtlich der Leitideen, die als Bestimmungsgrund allen sozialen Handelns dienen, sehr weitgehend nicht der Fall. Gerade der institutionelle Bestand und Zusammenhang seines Handelns entlastet das Individuum von der aktuellen Präsenz dieser Ideen. 25 Nach Gehlen und Schelsky rücken sie in den Bereich der Hintergrundserfüllungen des Lebens. 26 Sie werden - ebenso wie die anthropologischen Voraussetzungen der Institutionenbildung und wie die Systemfunktionen - regelmäßig erst durch die ex post reflektierende Selbst- oder Fremdbetrachtung deutlich. Leitideen sind demnach hochabstrakte, kommunikativ festgelegte, grundsätzliche Verhaltensorientierungen und Grundentscheidungen. Sie bieten damit Vorgaben sowohl für das Handeln komplexer Sozialsysteme, wie Organisationen, als auch für Interaktionsbeziehungen und für das soziale Einzelhandeln. Die Auswahl einer Leitidee ist Zielvorgabe für die sehr viel konkretere systeminterne Strukturbildung sowohl psychischer als auch sozialer Systeme. Die Selektion normativer Strukturen orientiert sich direkt oder indirekt an derartigen Leitideen und leistet damit einen Beitrag zur sozialstrukturellen Systementwicklung auch in Abgrenzung zur jeweiligen Umwelt der sozialen Systeme. Leitideen sind somit, institutionentheoretisch betrachtet und gedeutet, real existierende, grundlegende Prinzipien, die einerseits funktionale Differenzierungen ermöglichen und begründen sowie andererseits programmatische Zielvorgaben für das soziale Handeln der Individuen und der Organisationen. Schelskys Interesse gilt der Bedeutung und der Analyse von Leitideen der Individuen und der sozialen Systeme. Indem er diese als selbsterzeugte Endziele, die dem bewußten, freien Zweckhandeln gesetzt sind, in seine Theorie einbezieht, vermag er, die Relevanz allen zielorienierten und zweckgerichteten Handelns für das Bestehen und die Entwicklung sozialer Gemeinschaften zu erforschen. Auch können auf diese Weise die so gewonnenen Erkenntnisse mit denen der bestandsfunktionalen Analysen verbunden werden. Dies ermöglicht zugleich eine sehr viel realistischere Rekonstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit als sie im Rahmen eines einzigen Theorieansatzes möglich wäre. Schelsky legt dabei größten Wert auf den jeweiligen Realitätsbezug und ist bemüht, allzu abstrakte, empirisch schwer oder gar nicht überprüfbare Theorieannahmen zu vermeiden. 27 Er plädiert insoweit für eine Theorie mittlerer Reichweite, die sich mit den konkret erfahrbaren und beschreibbaren Sozialbeziehungen und Institutionen auseinandersetzt.28 Es kann daher nicht verwundern, daß er keine gesellschafts-

24 Ebd. 25 Ebd., S. 106. 26 Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, 3., verbesserte Aufl., Frankfurt a. M. 1975, S. 50 ff. 27 Vgl. beispielhaft Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie (FN 10), S. 86 ff.

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weiten Leitideen ausmacht. Für ihn ist die Gesellschaft kein soziales System, sondern eine leere Abstraktion, obwohl er seine Institutionentheorie als Teil einer Systemtheorie behandeln will. 2 9 Der Systembegriff setze eine strukturelle Einheitlichkeit voraus, die es nicht erlaube, „das Ganze" der sozialen Bezüge als System zu denken. Schelsky erblickt in der Gesellschaft eher ein Konglomerat sozialer Systeme der verschiedensten Art, von offenen, d. h. nicht systemgebundenen Handlungen, von System- und Handlungsresten und -bruchstücken, von Strukturkonkordanzen und Strukturantagonismen. Daher erscheint ihm der Gesellschaftsbegriff als für die soziologische Theoriebildung zu abstrakt und letztlich als dubios. Er sei nur noch ein metaphorischer Begriff, darstellerisch unentbehrlich, aber kein Gegenstand der exakten Theorie. Einen ganz anderen Stellenwert nehmen die Gesellschaft und deren theoretische Analyse in der Systemtheorie Luhmanns ein. Neben der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, die mit der Theorie der Gesellschaft nicht verwechselt werden darf, 30 hat letztere es mit der Gesamtheit aller Kommunikationen zu tun. Gesellschaftstheorie ist somit für Luhmann eine eigenständige Teildisziplin der Soziologie, neben der Interaktions- und Organisationstheorie. Weil diese Unterscheidungen bezüglich der Forschungsgegenstände im Schrifttum häufig ganz ignoriert bzw. nicht ausreichend berücksichtigt werden, existieren viele Fehleinschätzungen und Mißverständnisse, die das Verhältnis von Schelskys Institutionentheorie zu Luhmanns Systemtheorie belasten und verunklären. Vor allem die internationalen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen führen zu weltweiter Kommunikation, was Luhmann veranlaßt, nur noch von der Weltgesellschaft und nicht mehr von einer Vielzahl von Gesellschaften zu sprechen. 31 Für die Gesellschaft, die Intersubjektivität ausschließt und selbst ein geschlossen-selbstreferenzieller Kommunikationszusammenhang ist, bedeutet 28 Seine Auffassung von soziologischer Theorie bringt Schelsky, Soziologie - wie ich sie verstand und verstehe, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 733, 17, wie folgt zum Ausdruck: „»Soziologische Theorie4 halte ich nur für notwendig, um einerseits empirisch-operationale Hypothesen zu formulieren und die empirischen Ergebnisse mit einem Minimum an geistig-strukturell ordnendem Zusammenhang zu versehen. So habe ich jedenfalls den Begriff Robert K. Mertons von den »Theorien mittlerer Reichweite4 aufgenommen und für mich verarbeitet..." 29 Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution (FN 1), S. 215. 30 Werner Krawietz, Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: ders. / Michael Welker, Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 14-42, 17 ff. 31 Vgl. die Ausführungen Luhmanns, in: Dirk Βaecker / Niklas Luhmann, Wege und Umwege der Soziologie. Interview im Deutschlandfunk am 3. Dezember 1989, in: R E C H T S T H E O R I E 21 (1990), S. 209-216,213; ders., Die Weltgesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen 1975, S. 51 - 71; ders., Rechtssoziologie, 2., erweiterte Aufl., Opladen 1983, S. 333 und ders., Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1988, S. 557.

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dies, daß alle Kommunikation ausnahmslos gesellschaftliche ist. 32 Anders als Großorganisationen, wie ζ. B. Staaten, supra- und internationale Organisationen oder weltweit aktive Aktiengesellschaften, bildet die Weltgesellschaft selbst keine organisatorische Einheit, wie auch schon Schelsky bemerkte. Da sie die Gesamtheit des Sozialen erfaßt, ist sie nicht organisierbar und kann auch nicht eigenständig operieren. Auch die Vereinten Nationen repräsentieren nicht dieses weltweite soziale Kommunikationsnetz, sondern sind ihrerseits nur eine Organisation, die freilich einen sehr weiten Aktionsbereich besitzt. Demnach sind Luhmann und Schelsky in ihrer Auffassung von Gesellschaft gar nicht so weit voneinander entfernt. Trotzdem versucht Luhmann, die die Gesellschaft kennzeichnenden Merkmale zu identifizieren, begrifflich zu erfassen und theoretisch zu deuten. In der Tat fehlt auf gesellschaftlicher Ebene eine einheitliche Willensbildung. Es erscheint daher ausgeschlossen, gesellschaftsweite Prinzipien, Endziele oder Leitideen auszumachen, die die substantielle Grundlage einer gesellschaftsweiten Normierung sein könnten. Daß es für das Gesellschaftssystem keine entsprechenden inhaltlichen Zielvorgaben gibt, heißt aber nicht, daß die Gesellschaft nur als eine Akkumulation unterschiedlichster Sozialbeziehungen beschreibbar ist. Die moderne Gesellschaft ist nach Luhmann durch die funktionale Differenzierung in Teilsysteme bzw. Subsysteme der Gesellschaft gekennzeichnet. Neben Politik, Wirtschaft, Bildung / Erziehung und Religion bildet auch das Recht ein gesellschaftliches Funktionssystem, das aus der Gesamtheit aller rechtlichen Kommunikationen konstituiert wird. Jedes Funktionssystem steht in Beziehungen zur Gesellschaft und zu anderen Funktionssystemen. Die Orientierung eines Funktionssystems an der Gesellschaft wird für Luhmann als „Funktion" spezifiziert. Sie ist für jedes der Teilsysteme eine andere. Auf dieser Grundlage nimmt das jeweilige Funktionssystem eine Universalkompetenz in Anspruch. 33 Zur Wahrnehmung seiner spezifischen Funktion benötigt jedes Funktionssystem einen binären Code, an dem sich das System orientieren kann, wenn es sich reproduziert und gegen eine Umwelt abgrenzt. 34 Codes bestehen aus einem positiven und einem negativen

32 Luhmann, Soziale Systeme (FN 31), S. 555,584. Vgl. auch ders., Gesellschaftliche Organisation, in: Thomas Ellwein / Hans-Hermann Groothoff u. a. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliches Handbuch, Erster Band, Berlin 1969, S. 387-407, 400 sowie ders., Identitätsgebrauch in selbstsubstitutiven Ordnungen, besonders Gesellschaften, in: ders., Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Opladen 1981, S. 198-227, 206. 33 Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft (FN 7), S. 635 f. Vgl. im Hinblick auf das Rechtssystem bereits ders., Die Funktion des Rechts: Erwartungssicherung oder Verhaltenssteuerung? In: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981, S. 73-91. 34 Grundlegend zum Problem der binären Codierung Niklas Luhmann, „Distinctions directrices". Uber Codierung von Semantiken und Systemen, in: ders., Soziologische Aufklärung 4. Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, Opladen 1987, S. 13-31; ders., Die Codierung des Rechtssystems, in: R E C H T S T H E O R I E 17 (1986), S. 171 -

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Wert, im Falle des Rechtssystems darin, daß es durch die Differenz von Recht / Unrecht codiert ist und kein anderes System unter diesem Code arbeitet. 35 Aufgrund ihrer Zweiwertigkeit sind sie Voraussetzung weiterer Programmierung und Konditionierung, denn aus der Codierung selbst ergeben sich beispielsweise keine Kriterien für die Feststellung von Recht und Unrecht. Codes sind allein nicht existenzfähig, da sie selbst keine Informationen produzieren. Durch den binären Schematismus werden Systeme ausdifferenziert. 36 Normen bzw. Rechtsnormen fungieren als Bedingungen für die Richtigkeit der Selektion von Operationen. Auf der Norm- bzw. Programmebene kann das Rechtssystem, ohne seine durch den Code Recht / Unrecht bestimmte Identität aufzugeben, Strukturen verändern oder austauschen. Trotz seiner operativen Geschlossenheit ist das Rechtssystem insoweit offen, als es aufgrund eigener Umweltbeobachtung auf externes Geschehen reagieren kann. Das Rechtssystem als Funktionssystem der Gesellschaft wird durch seine spezifische Funktion, nämlich die Produktion und Reproduktion rechtlicher Erwartungen, charakterisiert. Es geht darum, im Rechtssystem fortlaufend kongruent generalisierte soziale Erwartungen, also Rechtsnormen, zu erzeugen. Ihre Programmierung ist jeweils am rechtlichen Code orientiert und entscheidet darüber, welcher Sachverhalt rechtmäßig bzw. welcher rechtswidrig ist. Code und Funktion liefern aber als solche, wie dargelegt, noch keine Handlungsanweisung. Insofern besteht ein Unterschied zu den Leitideen, die zwar ebenfalls kein Konditionalprogramm enthalten, aber zumindest eine inhaltliche Zielbestimmung vorgeben, wie es beispielsweise bei Freiheit oder Gleicheit der Fall ist. Wenn Schelsky für jedes soziale System auf die Notwendigkeit hinweist, sich ein bestimmtes Endziel zu setzen oder für eine Leitidee zu optieren, so ist dieses 203, 178 sowie ders., Die soziologische Beobachtung des Rechts, Frankfurt a. M. 1986, S. 42. 35 Bereits Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, Hamburg 1933, S. 7 ff., hat in der sozialen Wirklichkeit selbständige Sachgebiete ausgemacht, die auf spezifischen Gegensätzen basieren. So ordnet er der Moral „Gut" und „Böse", der Ästhetik „Schön" und „Häßlich", der Ökonomie „Nützlich" und „Schädlich" sowie der Politik die Unterscheidung „Freund" und „Feind" zu. Siehe hierzu Ernst-Wolf gang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Helmut Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für VerwaltungsWissenschaften Speyer, Berlin 1988, S. 283-299. Die vorgenannten Unterscheidungen Schmitts sind zwar nicht normativ, aber anders als bei Luhmann inhaltlich bestimmt in dem Sinne, daß sie das Wesen des jeweiligen Sachgebiets ausmachen. Schelsky, Politik und Publizität, Stuttgart-Degerloch 1983, S. 31 f., 38 ff. und 52 ff., hat daher mit Grund kritisiert, daß gerade die Freund-Feind Unterscheidung der Komplexität der politischen Verhältnisse nicht ausreichend gerecht wird sowie daß wesentliche Sachgebiete wie vor allem Recht und Religion von Schmitt nicht genannt werden. 36 Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, 2. Aufl., Opladen 1988, S. 91 sowie ders., Ausdifferenzierung des Rechtssystems, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981, S. 35-51, 35.

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grundlegende Erfordernis zum einen Existenzbedingung und zum anderen eine Voraussetzung der theoretischen Analyse. Als soziale Systeme kommen bei Schelsky nur Organisations- und Interaktionssysteme in Betracht. Die Gesellschaft, die Schelsky wegen ihres hohen Abstraktionsgrades gerade nicht einbezieht, ist nicht in der Lage, derartige Zielbestimmungen gesamtgesellschaftlich festzulegen. Es ist daher durchaus folgerichtig, wenn Luhmann gesellschaftstheoretisch nur auf die funktionale Differenzierung mit entsprechender binärer Codierung abstellt. Die generelle Gesellschaftstheorie Luhmanns und die sehr viel konkretere institutionentheoretische Analyse Helmut Schelskys schließen sich insoweit nicht aus, sondern ergänzen sich - auch im Ergebnis. Es können bei zutreffendem Verständnis beider Ansätze sowohl die abstrakten gesellschaftsfunktionalen Analysen als auch die konkreteren politisch-funktionalen Analysen ausgearbeitet und deren Ergebnisse zu einem insgesamt realistischeren Gesamtbild der unterschiedlichen Institutionen und sozialen Systeme zusammengefaßt werden.

4. Personfunktionale Leistungen des Rechts

Mit den politisch-funktionalen Untersuchungen ist es möglich, aus der Beobachterperspektive des Wissenschaftlers die institutionell und personell festgesetzten Zwecke zu erfassen, zu bestimmen, zu beschreiben und zu deuten sowie das gesamte Handeln funktional auf die Zweckerfüllung hin zu überprüfen. Im Rahmen einer personfunktionalen Analyse nennt Schelsky exemplarisch drei Leitideen des Rechts, nämlich „Gegenseitigkeit auf Dauer", „Gleichheit bei Verschiedenheit" und „Integrität und Autonomie der Person gegenüber Organisation". 37 Diese Leitideen ordnet er verschiedenen Gesellschaftstypen zu. Während das Handlungsprinzip der Gegenseitigkeit auf Dauer schon die Analyse des Rechts in segmentären Gesellschaften kennzeichnete, tritt die zweite Leitidee des Rechts, historisch betrachtet, erst im Zusammenhang mit gewissen Herrschafts- und Staatsbildungen auf, die in der Tat durch Gleichheit der Menschen bei Verschiedenheit charakterisiert werden können. Die Leitidee der Integrität und Autonomie der Person gegenüber Organisationen ist demgegenüber im wesentlichen eine rechtliche Leitidee der modernen westlichen Gesellschaft. Temporal betrachtet, bauen die einzelnen Leitideen im zeitlichen Nacheinander aufeinander auf. 38 Wir können daher in dieser Abfolge zugleich Ansatzpunkte für eine Theorie der Evolution allen Rechts und des zugehörigen Rechtsdenkens erblicken. Schelsky konstatiert, daß eine funktionale Abhängigkeit der jeweils späteren zu den früheren Leitideen gegeben ist.

37 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 126. 38 Ebd.

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Er knüpft bei der personalen Leitidee „Gegenseitigkeit auf Dauer" an das Prinzip der schon in primitiven Gesellschaften zu findenden Reziprozität an. Dies wird als die tfendlungsform des gegenseitigen Austausches von materiellen oder immateriellen Gütern oder als eine Gegenseitigkeit von Ansprüchen und Pflichten verstanden. Diese dualistische Handlungsbeziehung begründe sowohl die Erfüllung der Chance des Nehmens als auch die Erzwingung des Gebens.39 Die Gegenseitigkeit wird mit einem Ausdruck Malinowskis als „Waffe zur Erzwingung von Rechten" bezeichnet. Ein derartiges Interaktionsmodell sei durch eine „Person-zu-Person-bezogene Struktur" gekennzeichnet. Zwei gleichberechtigte Partner tauschen Leistungen aus. Die Interaktion sowie der Zweck und die Funktion der Austauschbeziehungen seien nicht auf das Ganze der Gesellschaft bezogen, sondern primär auf die individuellen Interessen. 40 Hiermit werde natürlich nicht ausgeschlossen, daß auch Systemfunktionen, die dem Zwecke der Erhaltung der Gemeinschaft dienen, miterfüllt werden. Jedoch sei andererseits zu bedenken, daß gerade die Reziprozität bzw. individualegoistische Ansprüche die Systemfunktionalität gefährden könnten. Im Gegensatz zu Malinowski 41 weist Schelsky daraufhin, daß erst die Absicht der Dauerhaftigkeit beim Eingehen und Vollziehen von gegenseitigen Handlungen diese zu Rechtsbeziehungen mache. Ein gelegentlicher Tausch von Gütern schaffe kein Rechtsverhältnis. Erst wenn dieses Prinzip der Dauer berücksichtigt wird, könne die Gegenseitigkeit gesichert werden. 42 Denn das Recht habe die Aufgabe, die Zukunft festzulegen, es sei die Planungsmacht schlechthin.43 Durch die auf Dauer geltende, lange Zeit praktizierte und funktionierende Gegenseitigkeitsleistung werde die Zukunftssicherheit des Handlungsverhältnisses gesteigert. Darüber hinaus sieht Schelsky sehr wohl, daß es aufgrund der Variabilität der Interessen der Partner durchaus mit Schwierigkeiten verbunden sein kann, die reziproken Vertragsbeziehungen auf Dauer zu stellen. Aus diesem Grunde tritt nach Schelsky zu dem Rechtsprinzip der Reziprozität die Funktion des „übermächtigen Dritten" oder in der Sprache Gehlens „das Prinzip der institutionellen Entlastung" 44 hinzu. Der übermächtige Dritte oder einfach die „anderen" werden in den Prozeß der Reziprozität als garantierende und sanktionierende Kräfte

39 Ebd., S. 127. 40 Ebd., S. 128. 41 Bronislaw Malinowski, Sitte und Verbrechen bei den Naturvölkern, Übersetzung nach der 3. Aufl. (1940), Bern o. J., S. 46 ff. 42 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 129. 43 E b d .

44 Gehlen, Urmensch und Spätkultur (FN 26), S. 49 f. und Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 130. Hierzu auch Andrea Holtwick-Mainzer, Der übermächtige Dritte. Eine rechtsvergleichende Untersuchung über den streitschlichtenden und streitentscheidenden Dritten, Berlin 1985, S. 94 f.

§ 4 Systemfunktionale und personfunktionale Analyse des Rechts

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einbezogen. Die anderen oder genauer die Institutionen werden als Zusatzstabilisierung mit zum funktionalen Träger der reziproken Rechtsbeziehung. Rechtliche Konflikte werden öffentlich behandelt. Schelsky begreift diese Publizität, d. h. die rechtsbezogenen zeremoniellen Handlungen vor Zeugen, als den Ursprung der Institutionen. 45 Aus diesen bewußten Zweckhandlungen können sich erst die Institutionen entwickeln. „Das Zeremoniell ist daher der Ursprung der Institution aus der Reziprozität von Sozialbeziehungen."46 Kam zunächst der Reziprozität selbst die sanktionierende Funktion in der Sozialbeziehung zu, so verliert sie diese in dem Maße, in dem der Dritte selbst aus seiner passiven Zeugenrolle in die Rolle des aktiven Garanten hinüberwechselt. Als übermächtige Dritte kommen die Familie, der Stamm, die Götter und in der modernen Gesellschaft Staaten oder andere Organisationen in Betracht. 47 Schelsky betont, daß der Dritte nicht nur die garantierende Sanktion personhafter Sozialbeziehungen übernehme, sondern diese Beziehungen im Interesse des jeweiligen sozialen Ganzen selbst bestimme. Die institutionellen Muster legen die Typen reziproker Rechtsbeziehungen als solche fest und machen in gewissem Umfang inhaltliche Vorgaben. Die Sozialbeziehung erschöpft sich nicht mehr in einer interagierenden reziproken Rechtsbeziehung, sondern es entsteht ein mit der personfunktionalen Analyse nicht mehr unmittelbar erfaßbares herrschaftliches Rechtsverhältnis. Die personfunktionale Analyse schlage notwendigerweise in eine systemfunktionale Analyse des Rechts um. 4 8 Auch hier zeigt sich ganz unmißverständlich, daß Schelskys Institutionentheorie sich nicht in einem personfunktionalen Ansatz erschöpft. Der systemfunktionale Ansatz ist für ihn spätestens bei Einbeziehung von organisierten Sozialsystemen unentbehrliches Instrument der theoretischen Analyse des Rechts und der Gesellschaft. Sobald Staaten mit gewissen Herrschaftsstrukturen entstanden sind, muß die Person nach Schelsky ein neues grundsätzliches Verhältnis zum Recht gewinnen. Das Reziprozitätsprinzip reicht nicht mehr als Leitidee einer personfunktionalen Analyse aus. Das Ausgangsproblem wird nun durch die politische und soziale Verschiedenheit von Herrschenden und Beherrschten dargestellt. Mittels der

45 Zur Bedeutung des Zeremoniells für die Entstehung von Recht vgl. bereits Rudolph von Ihering, Der Zweck im Recht, 2. Bd., Leipzig 1883, S. 287 f., 559 ff.; ders., Der Takt. Aus dem Nachlaß herausgegeben und eingeleitet von Christian Helfer, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen aus dem Jahre 1968. PhilologischHistorische Klasse, Göttingen 1968, S. 78-97. Speziell hierzu neuerdings Gromitsaris, Theorie der Rechtsnormen bei Rudolph von Ihering (FN 20), insbesondere S. 281 ff. Anschaulich beschreibt Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 2., erweiterte Aufl., Opladen 1983, S. 65 ff., die Entwicklung der Rolle des Dritten vom zunächst unbeteiligten Zuschauer bis hin zur hauptberuflichen Rolle des Dritten, nämlich der des Richters. 46 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 131. 47 Ebd. 48 E b d .

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Leitidee der Gleichheit bei Verschiedenheit wird der Grundgedanke des personalen Rechts in die Beziehung von Herrschenden und Beherrschten integriert. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, daß ein reines Machtverhältnis vermieden bzw. überwunden wird und sich beide Seiten zur Wahrung ihrer Positionen auf das Recht berufen können. Damit wird die Reziprozität auf Dauer in neuer Form zur Geltung gebracht. Juristisch betrachtet, geht es um die Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Recht. Es wird also eine grundlegende evolutionäre Errungenschaft moderner Rechtsstaaten thematisiert. 49 Daß die wirkliche Interessenlage auf Seiten der Herrschenden sowie der Beherrschten im konkreten Einzelfalle durchaus unterschiedlich bzw. sogar gegenläufig sein kann, liegt in der Natur der Sache. Aus eben diesem Grunde sind sowohl die systemfunktionale als auch die personfunktionale Analyse kumulativ zu berücksichtigen. Systemfunktionalität ist für Schelsky insoweit auch Herrschaftsfunktionalität. Aus der systemfunktionalen Perspektive können die jeweils Herrschenden mit Blick auf das soziale Ganze identifiziert werden. Die systemfunktionale Analyse stellt die Funktion des Rechts für die Herrschenden in den Mittelpunkt ihres Denkansatzes. Personfunktional betrachtet wird dem Recht der Herrschenden das Freiheitsrecht des Individuums gegenübergestellt. Es wird als Handlungsraum der Person gegenüber der Herrschaftsmacht verstanden. 50 Die Leitidee „Gleichheit bei Verschiedenheit" liefert die Erklärung für die Auflösung bloßer Machtverhältnisse zwischen Herrschenden und Beherrschten und für deren Transformation in Rechtsverhältnisse, die dem Individuum subjektive Rechte gegenüber den Herrschenden, insbesondere gegenüber dem Staat einräumen. Der Grundgedanke des personalen Rechts, die Reziprozität auf Dauer, wird so in neuer Form zur Geltung gebracht. , Jedes subjektive - Recht ist eine auf die einzelnen Individuen verteilte Macht, d. h. die Aufhebung der Fremdbestimmung ihres Willens und zugleich die in einem bestimmten Handlungsbereich gesicherte Einwirkung des Individuums auf die - etwa widerstrebende oder störende - Willenseinwirkungen und Handlungen anderer." 51 Diese Charakterisierung der subjektiven Rechte deckt sich im Ergebnis mit den sozial wissenschaftlichen Untersuchungen von Max Weber 52 und 49

Hierzu eingehend Werner Krawietz, Evolution des Rechts und der Menschenrechte, in: Friedrich Kaulbach / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 319-341, 334 ff. Zu den staatstheoretischen Problemen anläßlich der Positivierungsversuche subjektiver Menschenrechte: Dieter Wyduckel, lus Publicum. Grundlagen und Entwicklung des Öffentlichen Rechts und der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1984, S. 277 f. 50 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 134. si Ebd., S. 135. 52 Schelskys Definition des subjektiven Rechts knüpft an die Bestimmung Max Webers, Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß der verstehenden Soziologie, 5., revidierte Aufl., herausgegeben von Johannes Winckelmann, 2. Halbband, Tübingen 1976, S. 398, an, jedes subjektive Recht sei eine Machtquelle. Diese grundlegende Einsicht Webers,

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Niklas Luhmann 53 , hat aber den großen Vorteil, theoretisch besser durchdacht zu sein als diejenige Webers und nicht so abstrakt zu sein wie diejenige Luhmanns, die Gefahr läuft, den Realkontakt zu den konkreten Rechtsproblemen zu verlieren. Die Gewährung subjektiver Rechte hilft, Macht zu neutralisieren. Subjektive Rechte sind an die Person gebunden und nicht zu Herrschaft kumulierbar. Die gewährten Freiheiten eröffnen individuelle Handlungsspielräume bestimmten Ausmaßes und sind - dies sei ergänzend bemerkt - selbstverständlich Bestandteil des objektiven Rechts. Daher obliegt es in der Regel auch der Herrschaftsorganisation selbst, die Durchsetzung der subjektiven Rechte sicherzustellen, was die Funktion der Machtverteilung nicht beeinträchtigt. 54 Selbstverständlich kann dabei die Art und Weise, wie Herrschaftsmacht in Herrschaftssystemen verteilt und in den Dienst personfunktionaler Interessen gestellt wird, von Rechtsordnung zu Rechtsordnung ganz erheblich differieren. Es ist deshalb die Aufgabe der personfunktionalen Analyse des Rechts, die spezifischen Differenzen im Hinblick auf die unterschiedlichen, real existierenden Sozialsysteme zu beschreiben, zu vergleichen und zu deuten. Schelsky weist darauf hin, daß der personfunktionale Gesichtspunkt im sozialen Denken eine der geistigen Grundlagen der Aufklärung gewesen sei, was die Soziologie aber weitgehend bereits vergessen habe. In der Tat bestehen in der Problemsicht ganz erhebliche Diskrepanzen zwischen Soziologie und Jurisprudenz, einschließlich der allgemeinen Rechtslehre und Rechtstheorie. Für Schelsky ist das Recht insoweit nicht primär staatliches Herrschaftsinstrument, sondern das erfolgreichste Mittel zur Sicherung der Person gegenüber den Zwängen der Gesellschaft in Form der Herrschaft, die insofern personfunktional, in relativer Autonomie ausgeübt werden darf. 55 Thematisch kommt bei der dritten Leitidee „Integrität und Autonomie der Person gegenüber der sozialen Organisation" das Spannungsverhältnis zwischen sozialer Objektivität und individueller Subjektivität zum Ausdruck. Die Autonomie und Integrität der Person sei, so die Auffassung Schelskys, auf der einen Seite in der westlich-demokratischen Gesellschaft zwar durch eine hohe rechtliche Sicherung der Freiheit durch Verfassung, Grund- und Wahlrechte garantiert, auf der anderen Seite bestehe jedoch wegen der extremen funktionalen Durchorganisiertheit der Gesellschaft ein neues Schutzbedürfnis der Person. Dieses existiere die für die Stellung des Individuums in der Gesellschaft bzw. für die Möglichkeiten individuellen Handelns im Rahmen institutioneller Ordnungen von besonderer Bedeutung ist, wird von Hans Haferkamp, „Individualismus" und „Uniformierung" - Über eine Paradoxie in Max Webers Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung, in: Johannes Weiß (Hrsg.), Max Weber heute. Erträge und Probleme der Forschung, Frankfurt a. M. 1989, S. 461-496, nicht berücksichtigt und führt damit zu einer einseitigen WeberInterpretation, die meint, Weber gehe von einer Uniformierungstendenz aus. 53 Niklas Luhmann, Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, Berlin 1965, S. 42 sowie ders., Macht, 2., durchgesehene Aufl., Stuttgart 1988, S. 48 ff. 54 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 136. 55 Ebd.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

nicht mehr primär gegenüber dem Staat, sondern gegenüber anderen organisatorischen Einheiten. Zwar werden die Interessen und subjektiven Rechte der Person weitgehend durch Organisationen wahrgenommen. Andererseits aber werde durch eben diese Organisationen das Individuum als potentielles Mitglied vieler Organisationen in den diversen Mitgliedschaftsrollen, die gleichzeitig eingenommen werden könnten, in eine Vielzahl von sozialen Funktionen aufgelöst. Zum Schutz der Person als solcher entsteht das soziale Grundbedürfnis Integrität und Autonomie der Person. Schelsky exemplifiziert das Umschlagen der personbezogenen Rechte des Individuums in „organisierte" und damit kollektiv institutionalisierte Rechte und Interessen an dem Grundrecht, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigern zu dürfen, wie es in Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistet wird. Ebenso weist er daraufhin, daß ursprünglich bei Gerichtsverhandlungen die Öffentlichkeit die Person gegenüber Herrschaftseinflüssen schützen sollte. 56 Heutzutage sei an vielen Beispielen nachweisbar, daß die organisierte Publizität die Integrität und Autonomie der Person in höherem Maße bedrohe als Willkürakte des Staates bzw. der Gerichte. 57

5. Verhältnis von Person und sozialem System

Soziale Organisationen und die sie analysierenden Wissenschaften wirken nach Schelsky an der Auflösung bzw. Desintegration der Person mit, da letztere von diesen Disziplinen nur mehr als bloßer Träger oder Bezugspunkt von sozialen Rollen angesehen werde. Es wäre jedoch ein schweres Mißverständnis, hieraus zu schließen, Schelsky plädiere für den „ganzen Menschen" als Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Analyse. 58 Das Problem seiner Theorie ist nicht die 56

Ebd., S. 137 f.; ein weiteres Beispiel, welches Schelsky, Funktionäre. Gefährden sie das Gemeinwohl?, Stuttgart-Degerloch 1982, in einem seiner letzten Bücher ausführlich analysiert hat, ist die organisierte Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten durch die Funktionäre der Gewerkschaftsorganisationen. 57 Die Öffentlichkeitsmaxime ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz verankert, aber dennoch eine grundlegende Einrichtung des Rechtsstaates und für die ordentliche Gerichtsbarkeit in den §§ 169 ff. GVG geregelt. Die Diagnose von Schelsky trifft auch auf die von der juristischen Dogmatik beschriebene Funktion der Öffentlichkeitsmaxime zu. Diese diene heutzutage ganz überwiegend dem Informationsinteresse der Allgemeinheit, während öffentliche Kontrolle und Schutz vor Willkür ihre Bedeutung im wesentlichen verloren hätten. Vgl. hierzu Theodor Kleinknecht / Karlheinz Meyer, Strafjprozeßordnung. Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, erläutert von Theodor Kleinknecht und Karlheinz Meyer, fortgeführt von Lutz MeyerGoßner, 41., neubearb. Aufl., München 1993, § 169 GVG Anm 1. 58 Zur Fiktion des „ganzen Menschen" und zum Problem des „homo sociologicus" als Träger sozial vorgeformter Rollen noch immer grundlegend: Ralf Dahrendorf, Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle, 9. Aufl., Köln/Opladen 1970; Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie (FN 10), S. 104 ff., insbesondere S. 107. Siehe hierzu neuerdings Schelskys Auffassung zustimmend: Johannes Weiß, Vernunft und Vernichtung. Zur Philosophie

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Frage, wie sich die verschiedenen analytischen Abstraktionen des Menschen, die von den empirisch-analytischen Fachwissenschaften angenommen werden, zu dem ganzen Menschen der Erfahrung verhalten, sondern sein Problem ist die Untersuchung dessen, was sich im Menschen zu seinen „sozialen Rollen" verhält. 59 Das bedeutet, daß Schelsky die Ergebnisse der soziologischen Rollentheorie durchaus für fruchtbar hält, jedoch in gewisser Hinsicht für zu einseitig. Rollen kennzeichnen die unterschiedlichen sozialen Erwartungen, also Verhaltensvorschriften, denen man in der Gesellschaft in diversen Positionen ausgesetzt ist. Die Vielzahl sozialer Gruppen, Institutionen und Organisationen, denen man angehört, etablieren jeweils spezifische Verhaltensmuster. Letztere können bei dem einzelnen, der unter Umständen vor dem Erfordernis stehen kann, sie gleichzeitig befolgen zu müssen, zu Rollenkonflikten führen. 60 Der einzelne muß die Rollen und die aus ihnen resultierenden, häufig diskrepanten Verhaltenserwartungen auseinander halten. Auch ist es möglich, in einer Rolle kriminell, in einer anderen anständig zu sein. 61 Da in den diversen Organisationen die Identität der Person stets nur qua Mitgliedschaft und nicht im ganzen in Anspruch genommen wird, geht es immer nur um einen Ausschnitt des Verhaltens eines Menschen, der im Rahmen seiner jeweiligen Rolle erwartet und koordiniert wird. Aus der Sicht der anderen stellt sich die Rolle als eine Einheit dar, bei der es gewöhnlich nicht darauf ankommt, welcher konkrete Mensch sie gerade ausfüllt. Rollen können auch durch wechselnde Rollenträger übernommen werden. 62 Rollen, hier verstanden als Erwartungsbündel, müssen von dem Begriff der Person unterschieden werden, da sie durch abstraktere Gesichtspunkte der Identifikation von Erwartungszusammenhängen charakterisiert werden. 63 Für Schelsky und Soziologie der Moderne, Opladen 1993, S. 61. Vgl. zur gesamten Problematik auch Ursula Coburn-Staege, Der Rollenbegriff. Ein Versuch der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Individuum, Heidelberg 1973, S. 30 ff. sowie auch schon Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften I, Erstes und Zweites Buch, herausgegeben von Adolf Frisé, neu durchgesehene und verbesserte Ausgabe 1978, Reinbek bei Hamburg 1987, S. 32 ff., insbesondere 34. 59 Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie (FN 10), S. 107. 60 Vgl. zu den geschlechtsspezifischen Rollen und deren Institutionalisierung: Helmut Schelsky, Soziologie I: Die sozialen Formen der sexuellen Beziehungen, in: Hans Giese (Hrsg.), Die Sexualität des Menschen. Handbuch der medizinischen Sexualforschung, 2. Aufl., Stuttgart 1968, S. 133-170, 137 ff. 61 Helmut Schelsky, Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, München 1977, S. 384. 62 Niklas Luhmann, Funktion und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964, S. 57; ders., Rechtssoziologie (FN 31), S. 86. Siehe zum Rollenbegriff die Unterscheidung zwischen Rollen und Institutionen von Ota Weinberger, Soziologie und normative Institutionentheorie, in: Recht und Institution, Helmut Schelsky - Gedächtnissymposion. Herausgegeben von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 33-58, 43. 63 Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34-76, 42 f.

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sind manche der modernen soziologischen Rollentheorien zu einseitig, da sie nur den sozialen Vordergrund, die diversen Rollen der Person analysieren, ohne auf den Hintergrund des Rollenverhaltens, auf die Person als Zurechnungskonstrukt und individuelle Lebensanforderung, einzugehen.64 Die handelnde Person sei nicht lediglich Element sozialer Prozesse und dürfe nicht mit diesen identifiziert werden. In Abgrenzung zu rein soziologischen Rollentheorien geht Schelsky von zwei Ebenen der Personkonstitution aus, indem er zwischen der Selbstkonstitution der Person in der Lebenspraxis einerseits und der kritischen Selbstreflexion dieses Vorgangs auf der Ebene der Beobachtung (Selbstbeobachtung / Fremdbeobachtung) unterscheidet. Ihm geht es um die Durchleuchtung der soziologischen Fachabstraktionen durch eine reflektierende Selbstabstraktion dessen, was vom Menschen nicht in die vergegenständlichten Strukturen der empirisch-analytischen Denkebenen eingeht.65 Der einzelne stehe, lebenspraktisch gesehen, vor der Aufgabe, „hinter" der Vielzahl der Rollen die Einheit der Person zu gewinnen und zu bewahren. Nicht das Rollenverhalten als solches zerstöre den Hintergrund, die Selbsteinheit der Person, sondern die mit der Rollenvielfalt einhergehende Selbstentlastung in die Rollen hinein hindere den einzelnen daran, die „Selbsteinheit" der Person zu finden. 66 Die individuelle Leistung, die Einheit der Person zu konstituieren, kann nach Schelsky nur durch den Lebensvollzug selbst erbracht werden und nicht als vergegenständlichtes Bewußtsein, als Gedachtes, als Philosophie.67 Das soziale Leben selbst produziert fortwährend Gegensätze und Spannungen, die im Bewußtsein im Wege der Selbstreflexion als solche identifiziert, erkannt und lebenspraktisch behandelt werden können. Jedoch können sie nicht durch bloß gedankliche Vermittlung nach Art eines »vernünftigen 4 Denkgleichgewichts oder durch Vereinheitlichung im Bewußtsein gelöst werden. Der einzelne ist genötigt, im lebenspraktischen Zusammenhang mit sich selbst zu kommunizieren und in selbstkritischer Auseinandersetzung mit den divergierenden Rollenanforderungen und Verhaltenserwartungen jene Ganzheit zu werden, die er im fragmentarischen, sprunghaften Verlauf seiner eigenen Vorstellungs welt und Personwerdung zunächst nicht ist. 68 Ebenso wie soziale Organisationen sind Menschen höchst labile Systeme, „die dauernd vom Verfall, von Abnormalität und Krankheit, von Dekadenz und zerstörenden Konflikten bedroht sind". Die Stabilität der Person steht als hohe Leistung 64 Schelsky, Die Arbeit tun die anderen (FN 61), S. 385. 65 Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie (FN 10), S. 107. 66 Schelsky, Die Arbeit tun die anderen (FN 61), S. 385. 67 Helmut Schelsky, Die Hoffnung Blochs. Kritik der marxistischen Existenzphilosophie eines Jugendbewegten, Stuttgart 1979, S. 76. 68 Helmut Schelsky, Die Erfahrungen vom Menschen. Was ich von Bürger-Prinz gelernt habe, in: ders., Rückblicke eines „Anti-Soziologen", Opladen 1981, S. 109-126, 117; Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1989, S. 152.

§ 4 Systemfunktionale und personfunktionale Analyse des Rechts

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der Selbstführung der Ordnung und dem Frieden im sozialen System nicht nach. Weder Freiheit der Person noch Frieden im sozialen System können ein für allemal fest etabliert und fixiert werden. „Der Mensch ist nicht frei geboren, wie es die aufklärerisch-idealistische Philosophie voraussetzte, sondern er ist zur Freiheit geboren. Durch Lebensselbstführung, durch Umweltbewältigung jenseits von Selbsterhaltung oder Umweltanpassung wird er erst frei" 69 Freiheit und Frieden müssen somit in der Selbstführung und im sozialen Zusammenleben der Menschen ständig neu geschaffen und gefestigt werden. Abstrakt läßt sich der Mensch als ein System darstellen, das in zwei dauernden Konfliktebenen lebt. Zum einen steht er in Auseinandersetzung mit seinem Bewußtsein und der eigenen Innenwelt, zum anderen mit der Bewältigung der Faktenaußenwelt, also den sozialen Verhältnissen. Der Mensch wird ich-los geboren. Das Ich bildet sich erst im Lebensprozeß, da der Mensch sein Leben selbst führen muß und nicht nur ausleben kann. 70 Der einzelne gewinnt seine Individualität als Person nur im sozialen Miteinander, indem auf seine Selbstdarstellung entweder durch Konsens oder Dissens eingegangen wird. Jedoch muß nach Schelsky stets berücksichtigt werden, daß weder der Mensch noch die Gesellschaft auf bloße Bestandssicherung und Stabilität ihrer Funktionen ausgerichtete Systeme sind, sondern finale Systeme, die sich ihrerseits an gesellschaftlichen Zielen, Zwecken und Weiten orientieren, aber auch an selbstgesetzten lebenspraktischen Nahzielen. Wie bereits dargelegt, geht es bei den gesellschaftlichen Letztzielen sehr weitgehend um gleichsam unabdingbare und folglich weitgehend „tabuisierte" Lebenssinngebungen, die bei der menschlichen Personwerdung nicht ignoriert werden können, sondern in Rechnung zu stellen sind. Schelsky sieht sehr wohl die lebenspraktischen, aber auch die theoretischen Schwierigkeiten, wie ein personbezogenes Endziel der Rechtsordnung dem Prinzip der Variabilität der Rechtsordnung und den Rollenstrukturen gegenüber zu bestimmen ist, da das freie bewußte Zweckhandeln des einzelnen durch eine zu abstrakte sozialwissenschaftliche Terminologie weitgehend in ein vermeintlich vollauf sozial gesteuertes, bloß institutionelles Handeln aufgelöst wird. Auf der anderen Seite exemplifiziert er jedoch an der Unterscheidung Max Webers zwischen Status- und Zweckkontrakten 71, die nach Weber beide als Typus freien individuellen Zweckhandelns angesehen werden, daß diese individualistische Erklärung allen sozialen Handelns die Einsicht in die Gesetze institutionellen Handelns gerade verschüttet. 72 Nicht jedes Verhalten ist nach Auffassung von Schelsky als freies bewußtes Zweckhandeln zu charakterisieren. Webers Auffas69 Schelsky, Die Erfahrungen vom Menschen (FN 68), S. 117. 70 Ebd., S. 110. 71 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 52), S. 401 f. 72 Dies ignoriert Belvisi, La sociologia del diritto di Helmut Schelsky (FN 16), S. 224, der unrichtigerweise davon ausgeht, Schelsky habe sich zu einem Gegner der sozialen Institutionen entwickelt. Vgl. demgegenüber: Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz (FN 1), S. 139. 7 Werner

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

sung, es seien Status- oder Verbrüderungsverträge, die bewirken, daß jemand Vater, Bruder, Herr, Sklave, Klient usw. werde, verkennt nämlich die normativen Bestimmungen, die alles derartige institutionalisierte Rollenverhalten regeln. Alle derartigen Verträge setzen ja gerade voraus, daß der Vertrag als soziale Institution bereits gesellschaftlich existiert. 73 Es geht also in diesen Fällen keineswegs um Verträge im Sinne freien Zweckhandelns. Gerade in diesen sozialen Verhaltensformen erblickt Schelsky typische Beispiele institutionellen Handelns und damit eines institutionalisierten Rollenverhaltens. Die zu Weber diametrale Position stellt nach Schelsky 74 Luhmanns Begriff einer „verfeinerten Rollendifferenzierung" dar. Charakteristisch für diese Auffassung sei, daß „sich die Partner mehr und mehr in spezifischen Rollen begegnen, in denen die Rücksicht auf eigene andere Rollen und auf die anderen Rollen des Partners ausgeblendet ist" 7 5 . Dies gelte auch für die Eingehung zivilrechtlicher Verträge, beispielsweise den Kaufvertrag. Dieses vertragliche Handeln im eigentlichen juristischen Sinn wird nicht mehr als individuelles, freies Handeln bestimmt, sondern als Rollenverhalten, also als von der Institution determiniertes oder gesteuertes Sozialhandeln. Schelsky verwahrt sich dagegen, daß die Person nur noch als „individuelle Rollenkombination", also als eine variable Synthese von Sozialerwartungen und institutioneller Steuerung, auftauche. Der Zugang zu einem freien, integren und autonomen Handeln der Person, der trotz allem gleichwohl möglich und nötig sei, werde auf diese Weise verschüttet. Gerade das Beispiel des Abschlusses eines Kaufvertrages zeigt, wie das institutionelle Muster dieses Vertragstyps einerseits und die freie Ausgestaltung des konkreten Kontrakts andererseits kumulative Voraussetzungen für einen neuen, hierdurch wirksam werdenden Vertrag sind, der zur Autopoiese des Rechtssystems beiträgt. Schelskys Position vermittelt somit zwischen individualistischer und institutionalistischer Sicht. 76 Die Selbständigkeit und Eigenart sozialer Systeme zu analysieren und zu beschreiben, ist für ihn ebenso wichtig und grundlegend wie die Berücksichtigung des Bereichs des freien und bewußten Zweckhandelns der

73 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz (FN 1), S. 139 f. Vgl. hierzu auch: Stig J0rgensen, Contract as a Social Form of Life, in: R E C H T S T H E O R I E 16 (1985), S. 201-216 und ders., Vertrag und Recht. Privatrechtliche Abhandlungen, Kopenhagen 1968, S. 13-21. 74 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz (FN 1), S. 139. 75 Niklas Luhmann, Zur Funktion der „subjektiven Rechte", in: Rüdiger Lautmann / Werner Maihofer / Helmut Schelsky (Hrsg.), Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. I, Bielefeld 1970, S. 321-330, 326. 76 Unzutreffend ist daher die Auffassung von Wolfgang Lipp, Institution, Reflexion und Freiheit - Wege in Widersprüche. Helmut Schelskys Institutionenlehre, in: Horst Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1986, S. 78-95,81 ff., der Schelskys Position insoweit als widersprüchlich bezeichnet.

§ 4 Systemfunktionale und personfunktionale Analyse des Rechts

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Person, welches sowohl Voraussetzung als auch Ergänzung institutionellen Handelns ist. Schelsky versucht damit, die institutionentheoretischen Vorteile der Luhmannschen Systemtheorie zu nutzen, ohne deren Defizite zu teilen. 77 Insbesondere ist Schelsky darum bemüht, die Bedeutung der Person als sozial handelndes Wesen herauszustellen, während Luhmann - vor allem in seinen früheren Schriften die Person bzw. personale Systeme weitgehend ausgeblendet hat. Zwar sind Personen für Luhmann, ebenso wie für Schelsky, nicht identisch mit dem „ganzen Menschen" der Alltagserfahrung. Jedoch definiert Luhmann seinen Personbegriff stets aus der Beobachterperspektive. Eine Person wird konstituiert, um einen Komplex von Verhaltenserwartungen, die an einen Einzelmenschen gerichtet werden, ordnen und zurechnen zu können. Mithin geht es für Luhmann darum, wie soziale Systeme oder psychische Systeme andere psychische Systeme beobachten.78 Schelsky hingegen unterscheidet den Begriff Person in diesem Zusammenhang von dem des Individuums. Während der Ausdruck Individuum bei einer rein analytischen, hauptsächlich vom Beobachter aus formulierten Aussage verwandt wird, dient der Begriff der Person dazu, die Zwecksetzungen des Handelnden zu unterstreichen. 79 Diese sind für Schelsky aber nur insoweit relevant, als sie in den sozialen Handlungen und Bezügen des Menschen zum Ausdruck kommen. Demnach wird der Personbegriff bei Schelsky und Luhmann nicht synonym benutzt. Während ersterer vor allem die Selektionsmöglichkeiten zum freien Zweckhandeln im Blick hat, steht bei letzterem die Selbstdarstellung der Persönlichkeit aus der Sicht des Kommunikationssystems im Vordergrund. Thematisiert werden also unterschiedliche Systemreferenzen. Insbesondere in Luhmanns älteren Schriften wird die konstituierende Beeinflussung sozialer Systeme durch ihre Umwelt, nicht in den Fokus seiner Untersuchungen gestellt. Das bedeutet, daß Luhmanns Forschungsgegenstand ausschließlich die jeweiligen sozialen Systeme sind. Dies hat Schelsky zu der berechtigten Kritik veranlaßt, Luhmann wisse wohl um den Zirkel der Wechselwirkung von Institutions- und Motivationssystemen, denke aber - auf das Schelsky sehe Kreismodell 80 bezogen - den Kreis nur in einer Richtung folgerichtig zu Ende. 81 Schelskys Kritik an Luhmann konzentriert sich im wesentlichen darauf, diese personbezogenen Defizite der Luhmannschen Theorie oder, in der Terminologie Luhmanns, die Mängel von dessen Theorie des Persönlichkeitssystems zu benennen. Die auf dieser Linie 77 Vgl. insbesondere Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 142. 78 Luhmann, Soziale Systeme (FN 31), S. 155. 79 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 1), S. 125. so Helmut Schelsky, Die Soziologen und das Recht, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 77-94, 78. 8i Ebd., S. 93. 7*

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

liegenden Forderungen gegenüber Luhmann erscheinen, normentheoretisch gedeutet, durchaus angebracht. Andererseits dürfen jedoch trotz der Schelskyschen Kritik die weitgehenden Institutionen- und systemtheoretischen Übereinstimmungen zwischen beiden Autoren nicht ignoriert werden. 82

§ 5 Normativistische und institutionalistische Deutung des Verhältnisses von Rechtsnorm und Rechtsregel 1. Funktion des Rechtssatzes im Rahmen juristischer Entscheidungen

Im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung werden die Begriffe Rechtssatz, Rechtsnorm und Rechtsregel häufig synonym verwandt und nicht hinreichend unterschieden. Die Identifikation von Rechtssätzen mit Rechtsnormen ist gewöhnlich das Ergebnis einseitig verengender Analysen, bei denen das Recht auf die schriftlich fixierten Verhaltensvorschriften reduziert wird, die in Normsätzen geäußert werden. In seiner Lehre von der logischen Struktur des Rechtssatzes geht Larenz davon aus, daß jede Rechtsordnung Regeln beinhaltet, die beanspruchen, daß diejenigen, an die sie sich richten, sich ihnen gemäß verhalten. 1 Der Großteil der Regeln seien sowohl Verhaltensnormen für den Bürger als auch Entscheidungsnormen für die Gerichte und Behörden. 2 Charakteristikum jeder Regel sei ihr genereller und normativer Charakter. 3 Die Regel des Rechts habe die sprachliche Form eines Satzes, nämlich des „Rechtssatzes". Larenz weist expressis verbis daraufhin, daß der Ausdruck „Rechtsnorm" bei ihm gleichbedeutend mit dem Begriff „Rechtssatz" gebraucht werde. Die Rechtsnormen werden auch bei anderen Autoren gewöhnlich als den Akten der Rechtsanwendung übergeordnet angesehen.4 82 So bereits Werner Krawietz, Der soziologische Begriff des Rechts, in: Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 157-177, 171; ders., Rechtssystem als Institution? (FN 15), S. 209-243; ders., Die Normentheorie Helmut Schelskys (FN 15), S. 138; ders., Droit et jeu. Le point de vue de la théorie des systèmes, in: Le jeu: un paradigme pour le droit, sous la direction de François Ost et Michel van de Kerchove, Paris 1992, S. 218235,227; Hermann Lübbe, Diskussionsbeitrag, in: Recht und Institution. Helmut Schelsky-Gedächtnissymposion Münster 1985, herausgegeben von der Rechts wissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 94 f.; Gromitsaris, Theorie der Rechtsnormen bei Rudolph von Ihering (FN 20), S. 162 f. 1 Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6., neu bearbeitete Aufl., Berlin / Heidelberg / New York u. a. 1991, S. 250. 2 Ähnlich auch H. L. A. Hart, The Concept of Law, Oxford 1961, S. 94 f., der die Verhaltensregeln als „primary rules" und die Entscheidungsregeln als „secondary rules" bezeichnet. Zu den diversen analytischen Normentheorien vgl. exemplarisch: Kazimierz Opalek, Theorie der Direktiven und der Normen, Wien/New York 1986. 3 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (FN 1), S. 250. 4 Exemplarisch hierzu Heinrich Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie. Grundlagen des Rechts, 2., völlig neubearbeitete Aufl., München 1977, S. 40; Hans Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, 2., durchgearbeitete

§ 5 Verhältnis von Rechtsnorm und Rechtsregel

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Neben den formellen Gesetzen werden auch Rechtsverordnungen, Satzungen und Gewohnheitsrecht vom Begriff der Rechtsnorm erfaßt. Entscheidungen der Gerichte, die im alltäglichen Rechtsgeschehen in unüberschaubarer Fülle ergehen, seien nicht als Rechtsnormen aufzufassen und damit nicht als Bestandteile der Rechtsordnung zu bezeichnen, da sie einem ständigen Wechsel unterliegen. Nach dieser Auffassung führen richterliche Entscheidungen nur ausnahmsweise zur Bildung von Rechtsregeln. Die Gerichte könnten lediglich im Wege der Lükkenausfüllung durch zutreffende Folgerungen aus dem geltenden Recht oder durch Konkretisierungen von Rechtsprinzipien neue Rechtsnormen schaffen. 5 Die Intention der Gerichte als Interpreten des geltenden Rechts gehe nicht darauf, die Norm vorzubilden, sondern nur darauf, diejenige Bedeutung zu erkennen und auszusprechen, die im Text beschlossen liege. Der Interpret will „nur den Text zum Sprechen bringen". 6 Der Wesensunterschied zwischen Rechtsetzung auf der einen und Rechtsanwendung auf der anderen Seite dürfe nicht verwischt werden. 7 Diese Auffassung verkennt, daß die Unterscheidung zwischen Rechtserzeugung und Rechtsanwendung, so notwendig sie aus semantischen Gründen auch sein mag, nicht mit der Differenz zwischen Legislative und Judikative einhergeht. Es ist gänzlich unzutreffend, die Rechtserzeugung ausschließlich beim Gesetzgeber zu lokalisieren und den Gerichten allein die Rolle des Rechtsanwenders zuzuschreiben. Schon Kelsen hat daraufhingewiesen, daß Rechtsanwendung zugleich Rechtserzeugung sei.8 Diese beiden Begriffe stellen für ihn keinen absoluten Gegensatz dar; denn jeder Rechtsakt sei zugleich die Anwendung einer höheren Norm und die durch diese Norm bestimmte Erzeugung einer niederen Norm. Rechtserzeugung und -anwendung sind also stets eng miteinander verzahnt. Die Anwendung genereller Normen seitens der Gerichte und Verwaltungsbehörden erzeugt individuelle Normen. Allerdings muß es nicht notwendigerweise, wie Kelsen meint, stets um das Verhältnis von ranghöherer zu rangniederer Norm gehen. Dieses Problem wird unten im Zusammenhang mit der Fragestellung näher beleuchtet werden, ob bzw. in welcher Form Normenhierarchien charakteristische Merkmale des modernen Rechts sind.9 Die Identifikation von Rechtsnorm bzw. Rechtsregel mit dem Rechtssatz beruht somit auf dem grundlegenden Irrtum

und erweiterte Aufl., Einsiedeln / Zürich / Köln 1948, S. 45 sowieHansRyjfel, Grundprobleme der Rechts- und Staatsphilosophie. Philosophische Anthropologie des Politischen, Neuwied/Berlin 1969, S. 139. 5 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (FN 1), S. 250, 366 f. 6 Ebd., S. 367. 7 Henkel, Einführung in die Rechtsphilosphie (FN 4), S. 40. s Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2. vollständig neu bearbeitete Aufl., Wien 1960, S. 240 und 260. Ähnlich auch Josef Esser, Grundsatz und Norm in derrichterlichen Fortbildung des Privatrechts. Rechtsvergleichende Beiträge zur Rechtsquellen- und Interpretationslehre, 4., unveränderte Aufl., Tübingen 1990, S. 139 und 141, der aber zu stark den Unterschied zwischen angloamerikanischem und kontinental-europäischem Recht hervorhebt. 9 Siehe unten § 6 1.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

einer lex ante casum. Es geht also nicht um die bloße Deduktion der konkreten Entscheidung aus einer vorgegebenen Rechtsnorm oder mit anderen Worten, die Normen des staatlichen Gesetzgebers werden „nicht als endgültiges Fertigprodukt vorfabriziert" 10 . Ganz in diesem Sinne kritisiert Schelsky die Auffassung der Totalabhängigkeit der justiziellen und verwaltenden Instanzen von der Gesetzgebung, die mit dem technologisch-exekutiven Begriff „Anwendung der Gesetze" zum Ausdruck gebracht wird. 1 1 2. Verhältnis von Gesetzesnorm und Fallnorm

Fikentscher versucht diesem Problem gerecht zu werden, indem er den Bereich des Richterrechts weiter faßt, als es auf dem Level der juristischen Methodenlehre ansonsten üblich ist. 12 Seine Lehre fußt vor allem auf einem Vergleich mit dem anglo-amerikanischen Recht, welches als Case Law der Bedeutung gerichtlicher Präjudizien einen weit höheren Stellenwert einräumt, 13 als dies im kontinentaleuropäischen Rechtsdenken der Fall ist. Für Fikentscher ist grundlegend, daß der Richter in jedem Einzelfall rechtsschöpferisch tätig wird. Das Recht stehe nicht nur im Gesetz; dieses sei nur eine Entscheidungshilfe unter mehreren. 14 Aber auch auf die Hilfe des Gesetzes kann der Richter dann nicht mehr rechnen, wenn der Wortlaut im Hinblick auf den zu entscheidenden Fall weder positiv noch negativ Anhaltspunkte für die konkrete Entscheidung liefert. Letztlich ist der Richter in jedem Einzelfall - also nicht nur bei Lücken im Gesetz - gezwungen, das geltende Recht zu konkretisieren und damit auch neues Recht zu schaffen. Nach Fikentschers Auffassung steht richterliches Fallrecht gleichberechtigt neben io Werner Krawietz, Verhältnis von Macht und Recht in staatlich organisierten Rechtssystemen, in: Paul Hofmann / Ulrich Meyer-Cording / Herbert Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, Köln / Berlin / Bonn / München 1986, S. 217-235,229; ähnlich bereits Oskar Bülow, Gesetz und Richteramt (1885), in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976, S. 107-135, 108. Schon Bülow hat festgestellt, daß die Gesetzgebung „der Herstellung einer wirklichen Rechtsordnung bloß gebieterisch den Weg weisen kann". u Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34-76, 48. 12 Wolf gang Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. IV, Tübingen 1977, S. 313 ff. 13 Trotz der Unterschiede zwischen dem kontinental-europäischen und dem angelsächsischen Rechtskreis kommt demrichterlichen Präjudizienrecht auch in Kontinentaleuropa eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, die zumindest in einer tatsächlichen Bindung an obergerichtliche und höchstrichterliche Entscheidungen zum Ausdruck kommt. Siehe hierzu die rechtsvergleichenden Untersuchungen von: Werner Krawietz, Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. Eine Untersuchung zum Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung, Wien/New York 1978, S. 92 ff. und Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, 2. Aufl., Berlin 1976, S. 243 ff. 14 Fikentscher,

Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung (FN 12), S. 382.

§ 5 Verhältnis von Rechtsnorm und Rechtsregei

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dem Gesetzesrecht. Dem Richter komme eine rechtssatzschöpfende Funktion zu. 15 Seine Auffassung ist damit zwar derjenigen von Larenz insofern ähnlich, als er Normen mit Rechtssätzen identifiziert. Der wesentliche Unterschied beider Ansichten besteht aber darin, daß Fikentscher mit Normen bzw. Rechtssätzen nicht den Gesetzestext meint, sondern die jeweilige Fallnorm. 16 Während für Larenz der Rechtssatz ausschließlich die allgemein gefaßte Regelung ist - also nicht die Regelung, die nur für einen konkreten Fall bestimmt ist - gehört für Fikentscher zu jedem Fall die Norm, die ihn möglichst gerecht löst. Grundsätzlich gibt es so viele Normen, wie zu lösende unterschiedliche Fälle. Die Fallnorm sei diejenige Regel des objektiven Rechts, die einem lösungsbedürftigen Sachverhalt eine ihn regelnde Rechtsfolge zuordne. Der gesetzliche Wortlaut, beispielsweise des § 985 BGB, könne keine Fallnorm sein. Begriffe wie „Eigentümer", „Besitzer" und „Sache" seien so allgemein, daß sie in der Regel weiterer Bestimmung durch andere Normen bedürfen, um eine eindeutige Subsumtion zu ermöglichen. Eine Fallnorm sei erst dann gegeben, wenn alle in Betracht kommenden rechtlichen Voraussetzungen begrifflich so weit verfeinert und aufbereitet worden seien, daß die begrifflich erfaßte Wirklichkeit unter den Anforderungen von Sach- und Gleichgerechtigkeit verglichen werden könne. 17 Nach der Fallnormtheorie wird der Obersatz für die Subsumtion solange konkretisiert, bis anschließend - im Gegensatz zu den Gleichsetzungslehren - 1 8 eine echte Subsumtion des Sachverhalts im Sinne einer logischen Ableitung vorgenommen werden kann. Bei der Subsumtion werde der konkretisierte Rechtssatz zu einer Sachverhaltsaussage „aus dem wirklichen Leben" in Beziehung gesetzt. In Abgrenzung zu den Gleichsetzungslehren weist Fikentscher auf die Notwendigkeit einer echten Subsumtion hin. Selbst für den Fall, daß die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale so weit wie möglich konkretisiert werden, sei die Subsumtion nicht überflüssig. Sie habe essentielle Bedeutung, weil das Sollen einer anderen Sinnkategorie menschlichen Daseins zugehöre als das Sein. 19 „In der Subsumtiöh begegnen sich also . . . Kultur und Natur." 20 15 Ebd. 16 Ebd., S. 206. 17 Ebd., S. 207. is Zur Gleichsetzungslehre zählen einerseits die Konkretisierungslehre von Engisch und die Analogielehre von Kaufmann. Beide versuchen den Sachverhalt und die Norm im Wege der Verfeinerung und Konkretisierung einander anzugleichen, so daß zum Schluß nur noch die direkte Gegenüberstellung des konkretisierten Rechts und des hierfür vorbereiteten Sachverhalts übrigbleibt. Vgl. Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 7., neubearbeitete Aufl., Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1977, S. 56 und 214 FN 47 sowie Arthur Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache". Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Typus, 2., verbesserte und durch ein Nachwort ergänzte Aufl., Heidelberg 1982, S. 36 ff. 19 Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung (FN 12), S. 186. 20

Ebd.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

In der Fallnormtheorie finden sich bereits Ansätze eines realistischen, aber zugleich auch regelskeptizistischen Denkens. Es wird deutlich, daß die gesetzlich fixierten, allgemeinen Regeln lediglich einen Orientierungsrahmen abgeben, mit dessen Hilfe die Gerichte in jedem Einzelfall erst eine spezifische Norm erarbeiten müssen. Andererseits hält Fikentscher trotz dieser ganz zutreffenden Beschreibung der rechtlichen Entscheidungspraxis an der Dichotomie von Sein und Sollen fest. Das Recht ist aber nicht, wie oben bereits dargelegt, ein von der Seinswelt isolierter Bestandteil einer eigenständigen Sollenswelt. Unabhängig davon, daß der mittels rechtlicher Kommunikation vermittelte Sinn normativ verstanden wird, bleiben Rechtsnormen soziale Fakten. 21 Fikentschers Beschreibung der Subsumtion erweckt den Eindruck, als ob der konkretisierte Rechtssatz nicht dem wirklichen Leben zugehörig sei bzw., daß die richterliche Entscheidungstätigkeit in einer Kunstwelt ablaufe. Hiermit soll nicht die Art und Weise der juristischen Deduktion kritisiert werden, die neben oder vor anderen Kriterien Grundlage jeder Fallentscheidung sein muß. Dieses spezifisch juridische Operieren ist in gleicher Weise „wirklich" und im Ergebnis gesellschaftliche Kommunikation, wie die Präsentation des sogenannten „Lebenssachverhalts".

3. Semantische Ausdifferenzierung der unterschiedlichen Rechtsnormtypen

Eine semantische Differenzierung zwischen den Begriffen Rechtssatz, Rechtsnorm und Rechtsregel findet sich in den rechtstheoretischen Untersuchungen des institutionalistischen Rechtspositivismus.22 Unter einem Rechtssatz versteht Weinberger einen Normsatz des Rechtssystems, der eine Rechtsnorm ausdrückt. Hierbei sei es unerheblich, ob der Rechtssatz vom Gesetzgeber, von einem Richter oder einem Rechtsgelehrten formuliert worden sei. Der Rechtssatz bzw. der Rechtsnormsatz bilde also nur die sprachliche Formulierung der Rechtsnorm. Die Rechtsnorm als gedanklicher Gegenstand, als Idealentität sei als Norm eines Rechtssystems anzusehen. Sie ist nach Weinberger als gedanklicher Inhalt die Bedeutung bzw. der Sinn eines Rechtssatzes. Ebenso kann sie für ihn wie für Kelsen sowohl generelle als auch individuelle Norm sein. Sie statuiere bedingtes oder unbedingtes Sollen. 23 Außerdem rekurriert Weinberger auf den Begriff der 21 Hierzu auch Werner Krawietz, Welche Methode lehrt die juristische Methodenlehre? In: Juristische Schulung 10 (1970), S. 425-432,432 sowie Niklas Luhmann, Normen in soziologischer Perspektive, in: Soziale Welt 20 (1969), S. 28-48. 22 Ota Weinberger, Norm und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts, Wien 1988, S. 85 f.; ders., Das Wesen der Regeln, in: Werner Krawietz / Antonio A. Martino / Kenneth I. Winston, Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 11, Berlin 1991, S. 169-191, S. 188 f. und ders., Der semantische, der juristische und der soziologische Normbegriff, in: Werner Krawietz / Jerzy Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts. Festgabe für Kazimierz Opalek zum 75. Geburtstag, Berlin 1993, S. 435-453, 437 f. 23 Weinberger, Der semantische, der juristische und der soziologische Normbegriff (FN 22), S. 439.

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Rechtsregel, die für ihn eine Rechtsnorm ist, die durch einen universell adressierten hypothetischen Normsatz ausgedrückt werde. 24 Universelle Adressierung bedeutet, daß sich die Rechtsregel an jede Person als den potentiell von ihr Betroffenen richte. Sie bestehe aus dem bedingenden Vordersatz und dem bedingten Hintersatz. Der Vordersatz habe deskriptiven Sinn. Der normative Hintersatz drücke das bedingte Sollen oder Dürfen aus.25 Für den Fall, daß die Bedingung des Bedingungsnormsatzes erfüllt sei, werde das bedingte Sollen aktualisiert, indem es zum unbedingten Sollen werde. 26 Auch hier wird deutlich, daß Weinberger die Rechtsregel als Idealentität, als gedanklichen Inhalt mit gewisser Struktur und Bedeutung begreift, die der logischen und semantischen Analyse unterzogen werden kann. 27 Die Rechtsregei als generelle Norm wird - isoliert vom faktischen Verhalten derjenigen, die sich an der Norm orientieren - lediglich in ihren logischen Beziehungen und Bedeutungen untersucht. Wesentlich ist für ihn der normative Sinn, der gedacht und verstanden wird. Dieser kann jedoch, wie bereits ausgeführt, richtigerweise nicht als ideale Entität mit objektiver Bedeutung verstanden werden, da dieser durch jede Rechtskommunikation, jede tatsächliche Befolgung im Einzelfall und jede rechtsnormative Entscheidung jeweils neu aktualisiert, produziert und reproduziert wird. Indem Weinberger den Regelbegriff ausdifferenziert und zwischen verschiedenen Typen von Rechtsregeln, wie Verhaltensregeln, Straf- und Belohnungsregeln, Ermächtigungsregeln, Maßstabregeln, Aufgabennormen sowie dispositiven Rechtsregeln unterscheidet, erfaßt er die inhaltlich unterschiedlichen Ausgestaltungen der Rechtssätze, wie sie in den modernen Rechtsordnungen üblicherweise verwendet werden. Diese semantischen Unterscheidungen sind unerläßlich, um auf dem Level der allgemeinen Rechtslehre bzw. der Juristischen Methodenlehre eine grundsätzliche Typologie der wesentlichen Arten von Rechtssätzen zu etablieren. 28 Jedoch bewegen sie sich ausschließlich auf dem Niveau der sprachlichen Sätze bzw. Wortnormen 29 , ohne eine realistische Differenzierung von Rechtsnorm und Rechtsregel vorzunehmen. Entsprechend plädiert Weinberger 24

Weinberger, Norm und Institution (FN 22), S. 86 und ders., Institutionentheorie und Institutionalistischer Rechtspositivismus, in: ders. / Werner Krawietz (Hrsg.), Helmut Schelsky als Soziologe und politischer Denker, Stuttgart 1985, S. 134-172, 142 f. 25 Weinberger, Norm und Institution (FN 22), S. 87. 26 Ebd. 27 Ota Weinberger, Die Norm als Gedanke und Realität, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 20 (1970), S. 203-216, 205. 28 Grundlegend zur levelspezifischen Begriffsbildung im Rechtsdenken die Ausarbeitung des Multi Level Approach von: Werner Krawietz, Droit et jeu. Le point de vue de la théorie des systèmes, in: Le jeu: un paradigme pour le droit, sous la direction de François Ost et Michel van de Kerchove, Paris 1992, S. 218-235, 226 sowie ders., Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 117 ff. 29 Die Wortnorm im Sinne von Normsatz ist, wie Geiger eingehend nachgewiesen hat, von der realen Norm, d. h. der eigentlichen oder subsistenten Norm zu unterscheiden: Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 4. Aufl., durchgesehen und herausgegeben von Manfred Rehbinder, Berlin 1987, S. 20 ff.

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für eine logisierte Darstellung des Rechts und der Rechtsordnung als Ganzer, welche das System - verstanden als Normsatzsystem - als logisch konsistente Einheit auffassen will. 3 0 Andererseits soll die logisierte Darstellung realistisch sein und das Rechtssystem nicht nach den Wünschen des Logikers abbilden. Man müsse ein Rechtssystem erkennen und verstehen, um die Bedingungen des Entstehens, der Aufhebung, der Veränderung und der Erfüllung der Rechtsnormen erfassen zu können. Weinberger ist der Auffassung, seine logisierte Abbildung des Rechts sei eine dynamische Konzeption der Rechtsordnung als Normensystem. 31 Berücksichtigt werden sollen die Beziehungen zwischen den rechtlichen Vorgängen und den normenlogischen Relationen. Durchaus zutreffend weist Weinberger darauf hin, daß einerseits das Recht als Normensystem durch dynamische Prozesse konstituiert wird und andererseits diese Prozesse, nämlich die Entstehung, Aufhebung und Veränderung von Rechtsnormen, normiert werden. Jedoch zieht er aus dieser Einsicht nicht die Konsequenz, das Rechtssystem als gelebte gesellschaftliche Ordnung abzubilden, welche sich im Wege ständigen rechtsnormativen Handelns und Kommunizierens unter Bezugnahme auf seine eigenen vergangenen Aktivitäten, einschließlich der normierenden Tätigkeiten bzw. Verfahren, fortentwickelt und damit reproduziert. Diese tatsächliche Dynamik des rechtlichen Geschehens bedeutet aber im Hinblick auf zukünftige Fälle weder Beliebigkeit noch volle Determination juristischer Entscheidungstätigkeit. Vielmehr geht es darum, trotz der bestehenden Bindung an die geltende Rechtsordnung die Kontingenz aller zukünftigen Rechtsakte theoretisch in Rechnung zu stellen. Dies ist aber nicht durchführbar, wenn man wie Weinberger eine logisierte Darstellung des Rechts anstrebt. Die Logik kann im Rahmen der Rechtstheorie vor allem bei einer zusätzlichen wissenschaftlichen ex post-Kontrolle Hilfestellung leisten, nämlich dann, wenn sowohl die Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes definiert als auch die Fakten des Einzelfalles kraft juristischer Entscheidung festgestellt sind. Das bedeutet, daß diese Hilfestellung allenfalls vom Beobachterstandpunkt des Wissenschaftlers möglich ist, um logische Fehler aufzudecken. Weinberger hingegen will die von der Logik entwickelten analytischen Methoden für die Beweisführung im Rechtsverfahren, für Interpretationserwägungen über Rechtsvorschriften bzw. für die Begründung von Rechtsmeinungen im richterlichen Entscheidungsprozeß heranziehen. 32 Die Logik gebe 30 Weinberger, Norm und Institution (FN 22), S. 66 f. Vgl. auch ders., Ontologie der Normen, vor allem der Rechtsnormen. Gegenüberstellung der Auffassungen von Franti§ek Weyr, Hans Kelsen und des Institutionalistischen Rechtspositivismus, in: R E C H T S T H E O R I E 23 (1992), S. 167-176, 170 f. Mit Grund kritisch gegenüber einer solchen Auffassung bereits Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, im Auftrag des HansKelsen-Instituts aus dem Nachlaß herausgegeben von Kurt Ringhofer und Robert Walter, Wien 1979, S. 101 f. 31 Weinberger, Norm und Institution (FN 22), S. 102 f. sowie ders., Rechtslogik, 2. umgearbeitete und wesentlich erweiterte Aufl., Berlin 1989, S. 258 ff. und 261 ff.

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dem Juristen gerade die Argumente an die Hand, um exakter argumentieren und vorgelegte Beweise und Gründe kritisch überprüfen zu können. 33 Auch im Rahmen von Plausibilitätserwägungen bzw. -argumentationen spiele die Logik eine wesentliche Rolle. Aufgrund dieser logisierten Darstellung des Rechtssystems kommt Weinberger - logisch folgernd - zu dem Schluß, daß neue Rechtsnormen, wie ζ. B. individuelle Normen, automatisch aus der generellen Regel entstehen. Der automatischen Normentstehung liege ein normenlogischer Subsumtionsschluß zugrunde. Die abgeleitete Rechtsnorm gelte, weil sie eine logische Folge der Rechtsregel und der sie erfüllenden Tatsache sei. 34 Als Beispiele erwähnt Weinberger die gesetzliche Erbfolge und die Wahlberechtigung mit Eintritt der Volljährigkeit. Nach bloßem Zeitablauf - also beispielsweise bei Vollendung des 18. Lebensjahres - gelte automatisch die individuelle Norm, daß der Betreffende aktiv wahlberechtigt sei. Die Theorie der automatischen Normentstehung beruht auf der grundsätzlichen Vorstellung, das Recht erschöpfe sich in der Summe der Rechtssätze bzw. der Einheit der Rechtsordnung und ihrer jeweiligen Bedeutung. Bei einer rechtsrealistischen Betrachtung stellt sich die Normentstehung jedoch ganz anders dar. Jedes Normieren erfordert eine Operation im Rechtssystem, das heißt, ohne rechtsnormatives Handeln bzw. Kommunizieren ändert sich das Rechtssystem nicht. 35 Auf Weinbergers Beispiel der Volljährigkeit bezogen, hat dies folgende Konsequenzen. Selbst wenn institutionalisierte, im Wege der Rechtsgeltung auf Dauer gestellte Normen den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen davon abhängig machen, daß Fristen gleichsam von selbst ablaufen, ein gefordertes Alter erreicht wird oder in anderer Weise Zeitgrenzen überschritten werden, kann das bloße Verstreichen der Zeit nicht Grundlage für das Entstehen einer neuen, konkreten Norm sein. Wird jemand 18 Jahre alt, dann ist diese Tatsache, isoliert betrachtet, kein Ereignis im Rechtssystem. Erst die rechtsnormative Kommunikation, 36 die auf den Eintritt dieser Bedingung für die Volljährigkeit Bezug 32 Weinberger, Rechtslogik (FN 31), S. 23. 33 Ebd. Ähnlich für den Bereich der Grundrechte: Jörg Berkemann, Zur logischen Struktur von Grundrechtsnormen, in: R E C H T S T H E O R I E 20 (1989), S. 451-491. 34 Weinberger, Norm und Institution (FN 22), S. 102 ff. sowie ders. Juristische Entscheidungslogik. Zur Theorie der Deutung und Anwendung des Rechts vom Standpunkt des Institutionalistischen Rechtspositivismus, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln / Berlin / Bonn / München 1986, S. 123-146, 124, 128. Gegen eine logische Ableitung der Entscheidung aus der Norm schon Hermann Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, Neudruck der Ausgabe Berlin 1929, Aalen 1970, S. 23. Vgl. hierzu auch: Werner Krawietz, Juristische Logik, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, Basel/Stuttgart 1980, Spalte 423-434. 35 Gegen eine bloß begrifflich-deduktive Normableitung Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 11), S. 54. Vgl. hierzu auch: Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 29), S. 172 und 221 ff., 226 f. 36 Grundsätzlich hierzu: Werner Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? Geltungsgrundlagen normativer Kommunikation im Bereich des Rechts, in: Werner

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nimmt, ist als Operation im Rechtssystem und damit als Basis einer neuen konkreten Normierung zu werten. Ganz in diesem Sinne versteht auch Schelsky, wie bereits oben ausgeführt, das Recht stets handlungs- bzw. kommunikationsbezogen. Entscheidend ist für ihn, daß es in der Kommunikation, also im Rahmen sozialer Beziehungen thematisiert bzw. bewußt gesetzt wird. 3 7 Schelskys Rechtstheorie kann daher mit Grund als realistische, kommunikations- und handlungsbezogene und damit zugleich auch als dynamische Theorie bezeichnet werden, die sich an den sozialen Handlungsabläufen in ihrem zeitlichen Nacheinander orientiert. Bei Weinberger hingegen wird die Dynamik des Rechts nicht im Hinblick auf das wirkliche Rechtsleben bestimmt. Vielmehr bedeutet die Dynamik des Rechts für ihn im wesentlichen nur die Erfassung der normativen, vor allem der verfassungsrechtlichen Prämissen, die jeder Änderung der Rechtssätze, insbesondere der gesetzlichen Wortnormen zugrunde liegen. 38 Insgesamt räumt Weinberger der formalen Logik im Rahmen des Rechts einen zu prominenten Stellenwert ein, den diese im praktischen juristischen Entscheidungsverhalten gar nicht auszufüllen vermag. Sicherlich ist es aus der Sicht der juristischen Methodenlehre erforderlich, daß die Rechtskommunikation, jedenfalls soweit es um Entscheidungen der zuständigen rechtlichen Entscheidungsorganisationen geht, methodisch fehlerfrei erfolgt. Mittels der Normenlogik lassen sich aber lediglich bestimmte, von besonderen Voraussetzungen abhängige Fehlschlüsse nachweisen, da juristische Entscheidungen weitestgehend nicht im Wege unmittelbaren logischen Schließens gewonnen werden, sondern auf einer rechtsnormativen Argumentation basieren, die bei der Auslegung und teleologischen Interpretation von Rechtssätzen bestimmte, normativ geschützte Interessen und Werte berücksichtigen muß. 39 Es ist durchaus möglich, mittels rechtlicher Argumentation rechtsfehlerfrei zu unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen, ohne daß man Fehler im Sinne der juristischen Logik begeht. Dieser wesentliche Gesichtspunkt wird bei einer logisierten Abbildung des Rechts nicht hinreichend deutlich. Hoppe / Werner Krawietz / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium, Köln / Berlin / Bonn / München 1992, S. 455 - 519, 460. 37 Helmut Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 95146, 122 f. sowie ders., Zur soziologischen Theorie der Institution, in: ebd., S. 215231, 218. 38 Weinberger, Rechtslogik (FN 31), S. 261 ff. sowie ders., Norm und Institution (FN 22), S. 102 f. Ähnlich bereits Kelsen, Reine Rechtslehre (FN 8), S. 72 f. und 198 ff. Zu letzterem vgl. Raimund Hauser, Norm, Recht und Staat. Überlegungen zu Hans Kelsens Theorie der Reinen Rechtslehre, Wien/New York 1968, S. 22 ff. 39 Hierzu: Krawietz, Juristische Logik (FN 34) sowie ders., lnteressenjurisprudenz, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Spalte 494-514, 496.

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Folglich ist die normativistische Unterscheidung von Rechtsnorm und Rechtsregel, die lediglich auf die unterschiedliche Gestaltung von Rechtssätzen abstellt, für eine rechtskommunikativ orientierte institutionentheoretische Beschreibung des Rechts nicht ausreichend. Normativ-realistisch betrachtet, ist zwischen dem Normsatz und seiner Bedeutung bzw. der Norm in ihrer befolgten Form als Regel zu unterscheiden. Was den Regelcharakter des Rechts angeht, findet sich eine grundlegende rechtsrealistische Betrachtung schon in der Rechtstheorie und - S o z i o l o g i e Max Webers, die wie bereits gezeigt, keinen unerheblichen Einfluß auf das rechtstheoretische Denken Helmut Schelskys hatte. Weber hat die unterschiedlichen Varianten möglicher Regelbegriffe detailliert ausgearbeitet. 40 4. Faktische Regelsetzung und Regelbefolgung

Ausgehend von faktischen Regelmäßigkeiten unterscheidet Weber Naturgesetze, empirische Gesetze und generelle Erfahrungssätze, die er allesamt als eine Art Regel bezeichnet. Diesen Regeln ist gemein, daß sie generelle Aussagen über kausale Verknüpfungen in unterschiedlicher Strenge enthalten. Erfaßt werden also empirische Regelmäßigkeiten im Sinne beobachtbarer Vorgänge. Die zweite Hauptvariante des Regelbegriffs ist für Weber die Regel im Sinne von Norm. Die Regel dient in diesem Fall als Beurteilungsmaßstab vergangener, gegenwärtiger oder auch zukünftiger Vorgänge. 41 Die Unterscheidung dieser beiden grundsätzlichen Regelbegriffe bedeutet nicht, daß beobachtete und erstrebte Regelmäßigkeit de facto nicht koinzidieren können. Die Ausprägung des Regelbegriffs als Norm meint im Unterschied zu Weinberger nicht nur die bloße Wortnorm einschließlich ihrer Bedeutung, sondern auch deren tatsächliche Befolgung, nämlich das Maß faktischer Regelmäßigkeit, das durch das Streben nach der Norm kausal herbeigeführt und realisiert wird. 4 2 Es geht also einerseits um die möglichen Verhaltensweisen, die der Norm entsprechen, sowie andererseits um die tatsächlichen Anwendungsfälle und Befolgungsakte. Hinsichtlich der Bedeutung der Norm geht Weber nicht von einem normativistisch verengten Verständnis aus, sondern weist darauf hin, daß der objektive Sinn einer Regel bloße Fiktion sei. Die Handelnden versuchen lediglich, für sich eine „objektive" Sinnfestlegung auszumachen, indem sie stets eigene Vorstellungen der Norm selegieren, an denen sie ihr Verhalten orientieren. Nach Weber sind dies die tatsächlich der Orientierung der Handelnden dienenden, gleichsam empirischen Maximen der Handelnden.43 Sie wirken als „reales Agens" des 40 Max Weber, R. Stammlers „Überwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Aufl., Tübingen 1951, S. 291-359. 41 Weber, R. Stammlers „Überwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung (FN 40), S. 323. 42 Ebd., S. 329. 43 Ebd.

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tatsächlichen, empirisch beobachtbaren Verhaltens. Die Bedeutung der Norm ist damit stets beobachterrelativ, aber auch handlungsrelativ. Unter dem Regelbegriff wird also einmal eine kausal erklärbare und kausal wirksame empirische Maxime und zum anderen eine durch die Maxime veranlaßte faktische, beobachtbare Verhaltensregelmäßigkeit verstanden. Der in diesem doppelten Sinne verstandene Regelbegriff erfaßt nach Weber sowohl Spielregeln als auch Rechtsregeln. Im einzelnen erläutert Weber seine Auffassung am Paradigma des Skatspiels und seiner Regeln. 44 Sein Beobachtungsinteresse ist auf das wirkliche Spiel, also das faktische Geschehen der aufeinander bezogenen Spielhandlungen gerichtet, welches aber nur angemessen beschrieben werden kann, wenn man von der Prämisse ausgeht, daß die Skatspieler sich den Skatregeln unterwerfen. Der erlebende Beobachter kann eine Gruppe interagierender Skatspieler nur als solche erfassen, wenn er die Spielregeln kennt und diese als Beobachtungs- und Deutungsschema benutzt.45 Wie Weber anschaulich zeigt, lassen sich auf diese Weise die Fragen nach der Normgemäßheit des Spielablaufs bzw. des Spielverhaltens der Mitspieler beantworten. Insoweit bewegt man sich gleichsam auf dem Gebiet der „Skatjurisprudenz", wenn man Webers Vergleich von Spielregel und Rechtsregel folgt. Ebenso lassen sich die für das Spiel nicht erforderlichen oder gar überflüssigen Verhaltensweisen, wie beispielsweise das Auf-den-Tisch-Klopfen beim Ausspielen einer Karte, als solche identifizieren. Weber beschreibt ferner weitere wesentliche institutionelle Determinanten für das Skatspiel, deren Nichtbefolgung aber nicht als Regelwidrigkeit anzusehen ist. Es sind dies einerseits Skatsitten und Regeln und andererseits als „Kunstregeln" bezeichnete Zweckmäßigkeitsregeln. Ersteren ist die Erwartung zuzurechnen, daß vom Mitspieler Aufmerksamkeit verlangt wird, um den gemeinsamen Gegner zu schlagen. Zu den Kunstregeln gehören Erfahrungsregeln, die besagen, wie besonders effizient gespielt wird. Weber nennt sie „generelle Regeln der praktischen Skat Weisheit". Je genauer ein Beobachter über diese strukturellen Voraussetzungen des Skatspiels informiert ist, desto besser ist er in der Lage, eine zutreffende Analyse des wirklichen konkreten Spielgeschehens vorzunehmen. Erst die empirische Beobachtung zeigt, daß die Skatnormen, insbesondere die eigentlichen Spielregeln, zwar einerseits als heuristisches Prinzip für das Verständnis des sozialen Geschehens „Skatspiel" wesentlich und wichtig sind, daß sie aber andererseits das konkrete Spiel nicht vorwegnehmen oder gar ausweglos zu determinieren vermögen. Vielmehr variiert der Spielverlauf von Spiel zu 44 Ebd., S. 336 f. Hierzu auch: Krawietz, Verhältnis von Macht und Recht in staatlich organisierten Rechtssystemen (FN 10), S. 228. 45 Siehe hierzu auch Gregorio Robles, Was ist eine Regel? In: Torstein Eckhoff/ Lawrence M. Friedman und Jyrki Uusitalo (Hrsg.), Vernunft und Erfahrung im Rechtsdenken der Gegenwart, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 10, Berlin 1986, S. 325-338, 331 f.

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Spiel. Wesentlich sind die Spielregeln zudem als System von Orientierungsgesichtspunkten, die den Aktionsbereich der Spieler strukturieren, indem sie Auskunft darüber geben, welches die grundsätzlichen sozialen Erwartungen beim Skatspiel sind und dann als kausale Determinante des weiteren Spielverhaltens dienen. 46 Diese grundlegenden Einsichten überträgt Weber auch auf die rechtlichen Regeln. Ganz ähnliche Phänomene wie beim Skatspiel beobachtet er in der Rechtswirklichkeit, die durch das Verhältnis der Rechtsregel und ihrer Befolgung charakterisiert wird. 47 Auch im Bereich des Rechts identifiziert Weber Verhaltensregelmäßigkeiten, die als Normbefolgung bezeichnet werden können, nicht mit der Rechtsnorm selbst. Webers rechtsrealistische Sicht kommt vor allem darin zum Ausdruck, daß er zeigt, wie die Rechtsregeln Eingang in das tatsächliche soziale Geschehen finden. Rechtshandlungen beruhen stets auf eigenen Maximen der Akteure. Hierdurch wird einerseits die Beobachterrelativität rechtsnormativer Sinnfestlegungen zum Ausdruck gebracht. Andererseits wird gezeigt, daß Rechtsregeln - unabhängig von ihrer Befolgung, das heißt verstanden im Sinne von Normorientierung und Anschlußhandeln und nicht nur von rechtmäßigem Verhalten - keine soziale Bedeutung besitzen. Es geht mithin darum, daß die rechtlichen Institutionen eindeutige Erwartungen etablieren, die es den Handelnden ermöglichen, ihr Verhalten an diesen zu orientieren. 48

5. Rechtsregeln im Sinne subsistenter Normen als Voraussetzung institutioneller Ordnungsbildung und sozialen Handelns

Hierauf aufbauend hat Schelsky ein modernes institutionentheoretisches Verständnis der Rechtsregel entwickelt. Ausgehend von der Prämisse, daß Rechtsregeln, realistisch betrachtet, nicht auf Gesetzestexte bzw. Wortnormen zu reduzieren sind, wendet sich Schelsky ausdrücklich gegen den normativistischen Reduktionismus und seine Auffassung, es gehe im Rechtssystem stets um Gesetze und deren Anwendung; denn in der Regel können weder alle Befolgungs- noch Entscheidungsakte präjudiziell werden. 49 Die hermeneutische Auseinandersetzung mit den Wortnormen als Symbolen der institutionalisierten Verhaltensweisen überläßt Schelsky den klassischen rechtswissenschaftlichen Disziplinen im Bereich der Rechtsdogmatik und der Juristischen Methodenlehre, die auf sehr

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Weber, R. Stammlers „Überwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung (FN 40), S. 339. 4 7 Ebd., S. 349 ff. 48 Max Weber, Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie (1913), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2., durchgesehene und ergänzte Aufl., besorgt von Johannes Winckelmann, Tübingen 1951, S. 427-474, 473 f. 49

Hierzu und zum folgenden Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 11), S. 48 ff.

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viel konkreteren Theorielevels operieren. 50 Diese für den Aufbau einer Strukturtheorie des Rechts wesentliche Grundposition nimmt auch Werner Krawietz ein, der betont, „daß die Normen des Rechts, insbesondere diejenigen des staatlichen Gesetzgebers, nicht als endgültiges Fertigprodukt vorfabriziert werden, das alle nachfolgenden Anwendungsakte gleichsam ausweglos determiniert". 51 Schelskys Interesse zielt darauf ab, die wirkliche Entstehung des Rechts aufzuzeigen, welches sich nicht in einer weitgehend formalisierten, sprachlich vorgefertigten Sinneinheit erschöpft, die mittels rechtswissenschaftlicher Exegese und Hermeneutik zu verstehen ist. 52 Gerade „diese vermeintliche rechtswissenschaftliche Selbstverständlichkeit" unterzieht er einer kritischen Analyse. Schelsky geht in seinem nachpositivistischen Institutionenverständnis, wie bereits oben ausführlich dargelegt worden ist, nicht mehr von Institutionen im Sinne bloßer Normenkomplexe aus, sondern begreift sie als realiter existierende soziale Handlungssysteme, die einerseits die institutionalisierten Regeln nebst deren fortlaufender Befolgung und andererseits das bewußte, auf Regelsetzung und -änderung gerichtete Zweckhandeln umfassen. Die institutionalisierten Rechtsregeln und normativen Erwartungen bilden einen Orientierungsrahmen. Gerade als Basis für Orientierungssicherheit angesichts der Komplexität von sozialen Erwartungsfeldern muß man nicht nur das Verhalten anderer, sondern auch die Erwartungen anderer, insbesondere die institutionalisierten rechtsnormativen Erwartungen erwarten können. Je mehr mit Mitteln des Rechts stabilisierte Erwartungserwartungen für potentielle soziale Situationen bereit gehalten werden, desto geringer ist grundsätzlich der Entscheidungsdruck für den Handelnden. Die institutionalisierten Regeln haben eine Entlastungsfunktion. 53 Die Normadressaten können sich auf die etablierten Regeln berufen, ohne bei jeder normrelevanten Handlung sämtliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen neu festlegen zu müssen. Dies wird von Schelsky als das im gegenseitigen Handeln in Sozialbeziehungen „Sichere" bezeichnet, auf das man sich bei anderen verlassen kann. 54 Diese Entlastungsfunktion kommt in der überwiegenden Zahl institutionalisierten Verhaltens zum Tragen und dient gleichzeitig der laufenden Reproduktion der Regeln, die auf diese so Nach den von Krawietz unterschiedenen Theorielevels sind dies vor allem Level zwei und drei. Vgl. Werner Krawietz, Soziale Spielregeln und Recht in systemtheoretischer Perspektive, in: Dieter Müller / Danilo Ν. Basta (Hrsg.), Pravna drzava poreklo i buducnost jedne ideje. Simpozijum Beograd, 26-27. septembar 1991 (Rechtsstaat. Ursprung und Zukunft einer Idee. Tagung Belgrad, 26.-27. September 1991), Belgrad 1991, S. 125-132, 128. 51 Krawietz, Verhältnis von Macht und Recht in staatlich organisierten Rechtssystemen (FN 10), S. 229 und siehe auch ders., Zur Korrelation von Rechtsfrage und Tatfrage, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium, Münster 1984, Köln/Berlin/Bonn/München 1986, S. 517-553, 527 f. 52 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 11), S. 34. 53 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 37), S. 106. 54 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 11), S. 35.

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Weise in ihrer Validität durch immer erneute Wiederholung der befolgten Form bestätigt werden. Daß diese Form institutioneller Steuerung regelmäßig funktioniert, steht nicht im Widerspruch zu der eingangs angesprochenen These, daß die vom Gesetzgeber formulierten Rechtssätze die Einzelfallentscheidungungen nicht völlig determinieren. In Korrelation stehen somit Rechtsregeln im Sinne institutionalisierter Verhaltensmuster und die hieran orientierten weiteren rechtlichen Aktivitäten, wie ζ. B. Befolgungsakte oder auch richterliche Entscheidungsakte, Vertragsabschlüsse oder sonstiges bewußtes Zweckhandeln. Die institutionalisierten Regeln werden im modernen rechtsrealistischen Schrifttum als soziale Verhaltenserwartungen charakterisiert, welche als Orientierungsrahmen dienen.55 Als rechtsnormative Erwartungen strukturieren sie die rechtlich relevanten Verhaltensweisen. Nicht ganz unproblematisch erscheint in diesem Zusammenhang die Vorstellung Luhmanns, daß es sich bei den Normen, funktional betrachtet, ausschließlich um Formen der Zeitbindung handelt, da Normen soziale Erwartungen stabilisieren. Dies gelte gerade auch für den Fall, daß anders als erwartet gehandelt werde. 56 Man hält trotz Norm Verstoßes an den kontrafaktischen Erwartungen fest, es ist kein Anlaß zur Änderung der Norm gegeben. Nach Luhmanns Auffassung werden die Erwartungen kondensiert. Sie werden angeblich durch und anläßlich von Verstößen, Anwendungs- und Befolgungsakten nicht verändert. Es entsteht der Eindruck, daß die Norm als feststehende Größe, als kontrafaktische Erwartung nicht modifiziert wird. Unterbelichtet bleibt der Aspekt, daß die generelle Norm gerade nicht Bestimmungen für alle denkbaren Anwendungsfälle enthält und durch die Befolgungsakte stets neu produziert und reproduziert wird. Da Luhmann den zeitbindenden Faktor der Normen - also die Beibehaltung der Erwartung trotz zukünftiger Enttäuschungsfälle - zu sehr in den Vordergrund rückt, vernachlässigt er nicht nur die rechtsschöpferische Tätigkeit der Gerichte, sondern auch die fortlaufende Beeinflussung und Veränderung des Normgehalts durch die sonstigen normorientierten sozialen Aktivitäten. Selbst abweichendes Verhalten kann eine normändernde Wirkung haben, wie die Diskussion um die Reform des § 218 StGB gezeigt hat. Norminhalte sind eben keine feststehenden Größen, die unabhängig vom gesellschaftlichen Rechtsleben - also unabhängig von der unüberschaubaren Vielzahl tagtäglicher Rechtskommunikationen - im 55 Weber, Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie (1913) (FN 48), S. 440 ff.; Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 29), S. 56 f.; Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 2., erweiterte Aufl., Opladen 1983, S. 40 ff. und 94 ff.; Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 11), S. 60 sowie Werner Krawietz, What Does It Mean ,Το Follow an Institutionalized Legal Rule4 ? On Rereading Wittgenstein and Max Weber, in: Eugene E. Dais / Stig J0rgensen / Alice Erh-Soon Tay (Hrsg.), Konstitutionalismus versus Legalismus? Geltungsgrundlagen des Rechts im demokratischen Verfassungsstaat, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 40, Stuttgart 1991, S. 714, 12. 56 Niklas Luhmann, Soziologie des Risikos, Berlin/New York 1991, S. 62. 8 Werner

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Wege wissenschaftlicher Erkenntnis als Entität eigener Art identifiziert werden können. Damit stellt sich die Frage, ob allein und vor allem die Kontrafaktizität der Erwartungen den Normcharakter ausmacht. Sicher ist zwar, daß jedenfalls die gesetzlichen Wortnormen einer gewissen zeitlichen Stabilität bedürfen, um die gewünschte Orientierungsmöglichkeit und -Sicherheit sowohl bei den staatlichen Regierungs-, Exekutiv- und Justizorganisationen als auch bei sämtlichen Normadressaten, also bei jeder rechtsnormativen Kommunikation im Einzelfall, zu gewährleisten. Normierte Verhaltensweisen müssen eine Form erhalten, in der sie identifizierbar sind, damit das aktuelle Rechtshandeln als Wiederholung erkennbar ist. Andererseits ist jedoch zu bedenken, daß die Norm im Sinne einer subsistenten Norm nicht feststeht, sondern erst in einem arbeitsteiligen Erzeugungszusammenhang produziert, das heißt, generalisiert und spezifiziert werden muß. 57 Der Inhalt bzw. der normative Sinn ist stets im Wandel und muß jeweils im rechtlichen Kommunikationskontext neu selegiert und etabliert werden. Dies wird insbesondere deutlich, wenn Rechtsentscheidungen über konkrete Sachverhalte zu treffen sind. Alle richterlichen bzw. gerichtlichen Urteile setzen den zu entscheidenden Fall voraus. Die Norm als Lösung eines im Einzelfalle bestehenden, konkreten Interessenkonflikts muß stets im nachhinein im Wege der Konkretisierung gewonnen werden. Genaugenommen sind daher alle sogenannten „normanwendenden Aktivitäten" rückwirkend. Nach Geiger resultiert dies daraus, daß der Verbindlichkeitsumfang der Norm sich in der Normanwendung selbst reproduziere und daß kein konkreter Fall mit irgendeinem anderen völlig identisch ist. 58 Der Richter konstruiere in jedem Einzelfall durch Generalisierung und Spezifizierung neues Recht. Geigers Untersuchungen machen damit die grundlegende rechtsrealistische Einsicht deutlich, daß die Norm nicht im vorhinein in schon integrierten, konsistenten Mustern existent ist. Ganz in diesem Sinne sieht Schelsky die justizielle Urteilsfindung im Instanzen- und Rollenspiel juridischer Institutionen. 59 Ähnlich wie die demokratischparteien-pluralistische Gesetzgebung lasse sich die gerichtliche Entscheidung, wenn auch in unterschiedlichem Maße, als „Kompromiß" bezeichnen. Dieser wird prozessual in der Auslegung der Gesetze für den anstehenden Fall gefunden. 57

Hierzu und zum folgenden Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 29), S. 20 ff. Neuerdings zur Bedeutung Geigers für die moderne Rechtstheorie und Rechtssoziologie: Athanasios Gromitsaris, Normativität und sozialer Geltungsgrund des Rechts. Zur Revision und Reformulierung der Normentheorie von Theodor Geiger, Berlin 1992. 58 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 29), S. 226. Vgl. hierzu auch Isay, Rechtsnorm und Entscheidung (FN 34), S. 177. 59 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 11), S. 47. Ähnlich, mit Blick auf das amerikanische Recht: Lawrence M. Friedman, The Legal System. A Social Science Perspective, New York 1975, S. 173 f., der die Rolle des Richters hervorhebt und hinzufügt: „ . . . this ,role' requires them to play the game of law."

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Denn im juridischen Verfahren stehen weder die Tatbestandsbeurteilung noch die Normen fest, da sie handlungs- und beobachterabhängig sind. Sowohl der Sachverhalt als auch die Normen werden nachträglich durch die rechtliche Kommunikation festgelegt. Der Sachverhalt ist nach Schelsky - aus den unterschiedlichen Beobachterperspektiven betrachtet - jeweils ein anderer. Die als juristisch relevant angesehen Tatsachen können aus den Perspektiven der verschiedenen Prozeßrollen, der gegnerischen Anwälte bzw. des Verteidigers oder Staatsanwalts, zum Teil erheblich voneinander abweichen.60 Entsprechend verhält es sich mit den jeweils zugeordneten juristischen Tatbeständen. Gegenstand der gerichtlichen Rechtskommunikationen sind divergente Sachverhalts- und Normprojektionen. 61 Die tatsächlichen Fallinformationen liegen nicht einfach vor, sie müssen in systemeigenen Prozessen erarbeitet und aufbereitet werden. 62 Jede Prozeßpartei versucht nach Möglichkeit die relevanten Verhaltensnormen so zu rekonstruieren, daß das Gericht im Wege zustimmender Bezugnahme auf diese Normsuppositionen eine für die Partei positive, zumindest akzeptable Entscheidung treffen wird. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Normsuppositionen rekonstruiert der Richter seinerseits die aufgrund seiner eigenen Tatbestandsselektion für ihn relevanten Aktionsnormen, wobei Bindung an und Bezugnahme auf die entsprechenden Wortnormen hier als selbstverständlich unterstellt werden. Im Unterschied zu den sprachlich feststehenden Gesetzestexten werden daher die Rechtsregeln im Rahmen der sich selbst fortzeugenden Rechtskommunikation stets aktualisiert, so daß es die Rechtsregel im Sinne einer genau umrissenen Bedeutung nicht geben kann. Diese ist vielmehr ständig im Fluß und weist durch die Regelbefolgung und die Entscheidungsakte im kommunikativen Prozeß einen stets im Wandel begriffenen Inhalt auf. Sehr anschaulich bezeichnet Schelsky die vorgenannten rechtlichen Handlungszusammenhänge als „Aushandeln" der juristischen Entscheidungen bzw. der Rechtsregeln im Sinne juridischer Rationalität. 63 Dieser Rationalitätsbegriff wird nicht im Sinne der üblicherweise seit der Aufklärung in den Geisteswissenschaften verwandten Begriffe Vernunft oder Rationalität benutzt. Es geht vielmehr um die Rationalität, die in institutionellen, nach Regeln arbeitsteilig organisierten Prozessen entsteht.64 Das „Aushandeln" hat für Schelsky zwei Bedeutungen. Zum einen die einer Gegenseitigkeitsfestlegung, die trotz der grundsätzlichen Freiheiten nach Regeln erfolgt. In Rede steht das bereits oben eingehend beschrie60 Hierzu auch: Otto Brusiin, Der Mensch und sein Recht. Ausgewählte rechtstheoretische Schriften, hrsg. und eingeleitet von Urpo Kangas, Berlin 1990, S. 82 f. 61 Vgl. mit speziellem Blick auf den Zivilprozeß Robert Weimar, Das Rechtsgespräch, in: Werner Hoppe/Werner Krawietz / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium, Münster 1988, Köln / Berlin / Bonn / München 1992, S. 283-302. 62 Vgl. hierzu Krawietz, Zur Korrelation von Rechtsfrage und Tatfrage (FN 51 ), S. 527. 63 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 11), S. 47. 64 Ebd., S. 34 f. Vgl. hierzu im einzelnen die Ausführungen unten in §§ 8 und 9. 8*

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bene Handlungsprinzip „Gegenseitigkeit auf Dauer". Mit dem Begriff „Aushandeln" wird darüber hinaus gezeigt, daß sämtliche juristische Entscheidungstätigkeit, einschließlich der Gesetzgebung und der justiziellen Urteilsfindung, keine bloße Wahrheitsfindung oder Erkenntnis ist, sondern, daß sie in rechtliche Handlungsprozesse eingebettet ist und selbst ein Handeln darstellt. Das Aushandeln charakterisiert somit sehr treffend die arbeitsteilige Konstruktion der Rechtsregeln in jedem einzelnen Fall. Geiger hält für diese fortlaufende Prozedur der Regelbildung den weniger handlungsbezogenen, aber ebenso normenskeptizistischen und damit rechtsrealistischen Begriff der „subsistenten Norm" bereit. 65 Diese gestaltet sich erst in der auf den Normsatz bezugnehmenden Entscheidung. Maßgeblich für den sozialen Geschehensablauf, der der juristischen Beurteilung unterliegt, ist nicht die abstrakt-begriffliche Norm, sondern die konkrete, die in jedem Einzelfall gewonnen wird. Die verschiedenen Erwartungskalküle, die vor der Entscheidung im kommunikativen Widerstreit stehen, sind sämtlich prospektive Wahrscheinlichkeitskalküle, die zwar mit Bezug auf existierende Wortnormen und vergangene Entscheidungen abgegeben werden, aber eben nicht die neue, konkrete Fallentscheidung vorwegnehmen oder ersetzen können. Neue Gesetzgebungsakte, Gerichtsentscheidungen oder sonstige rechtsnormerzeugende Aktivitäten werden nach Schelsky vorwiegend retrospektiv ausgehandelt, indem auf bereits vergangene Sachverhalte und frühere Rechtshandlungen Bezug genommen wird. Wie kaum einem anderen Rechtstheoretiker und Rechtssoziologen gelingt es Schelsky, das komplizierte Verhältnis der gesetzlichen Wortnormen zur rechtlichen Norm- und Regelbildung sozial adäquat und institutionentheoretisch zu erfassen, ohne einen Einzelaspekt dieses Zusammenhangs sozialer Systembeziehungen überzubetonen und einen anderen zu vernachlässigen oder gar zu ignorieren, wie dies üblicherweise geschieht. Daß die Wortnormen nur Programmcharakter haben und Orientierungshilfe bieten, wird mit dem normenskeptizistischen Konzept des institutionalisierten Aushandelns der rechtlichen Entscheidungen beschrieben. Andererseits reduzieren die ausgehandelten Normen die Komplexität und bringen eine gewisse Zukunftsstabilisierung mit sich, worauf Schelsky ausdrücklich hinweist. 66 Die zuvor unsichere Rechtslage wird beseitigt, indem neue rechtliche Erwartungen institutionalisiert bzw. fortgeschrieben werden. Institutionelle Steuerung einerseits und die Institutionalisierung neuer Normen gehen also Hand in Hand. Rechtsregeln und regelgeleitetes Verhalten bilden eine Einheit. Da dem regelgeleiteten Verhalten seinerseits regelbildender bzw. -fortbildender Charakter zukommt, ist es mittels der Rechtsregeln möglich, relativ stabile Handlungsverkettungen in den sozialen Institutionen zu schaffen.

65

Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 29), S. 20 ff., 57 ff. und 206 ff. 66 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 11), S. 47.

§ 6 Generelle und individuelle Normen

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§ 6 Verhältnis von genereller und individueller N o r m in rechtsrealistischer Perspektive 1. Normenhierarchie oder Rückkopplungsschleifen als Basisstruktur des Rechtssystems

Ausgehend von dem zuvor dargelegten rechtsrealistischen Normenverständnis, das sich als gemäßigter Regelskeptizismus charakterisieren läßt, wird im folgenden die Frage zu untersuchen sein, welchen Beitrag die Unterscheidung zwischen generellen und individuellen Normen im Rahmen einer modernen nachpositivistischen Institutionentheorie des Rechts leistet bzw. leisten kann. Schon in der analytischen Rechtstheorie Hans Kelsens findet sich die Differenz zwischen generellen und individuellen Normen. Im Unterschied zu generellen Normen, zum Beispiel den Gesetzen, sind individuelle Normen, wie richterliche Urteile, in ihrer Geltung auf einen konkreten Fall beschränkt. 1 Gegen die auf dem Boden des kontinentaleuropäischen Gesetzesrechts entstandene Theorie, daß die Gerichte überhaupt kein Recht erzeugen, sondern nur schon geschaffenes Recht anwenden,2 meldet Kelsen in gleichem Maße Bedenken an wie gegen die These, daß nur die Gerichte Recht schaffen. Es sei die Aufgabe sämtlicher Rechtsorgane, Recht zu erzeugen.3 Zwar müßten die rechtsanwendenden Organe vor ihrer Entscheidung zunächst die entscheidungserheblichen Normen erkennen. Der die Verfassung anwendende Gesetzgeber sollte die Verfassung, der die Gesetze anwendende Richter, die Gesetze kennen. Aber diese Erkenntnis sei nicht das Wesentliche, sondern nur die Vorbereitung ihrer Funktion, die sowohl für den Gesetzgeber als auch für den Richter in der Rechtserzeugung liege. Kelsen meint damit, daß der Gesetzgeber generelle Rechtsnormen erzeuge, während der Richter individuelle Rechtsnormen schaffe. 1

Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, zweite, vollständig neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Wien 1960, S. 20. 2 Diese Auffassung, die die Funktion der Rechtsprechung arg verkürzt, geht letztlich auf Montesquieu, De L'Esprit des Lois, ed. Gonzague True, Paris 1956, Classiques Garnier, t. I, liv. XI, chap. 6, S. 171, zurück, der die Richter als bouche de la loi, also als bloßes Sprachrohr des Gesetzes, charakterisiert. Zur Kritik an dieser Auffassung vgl. beispielsweise: Aulis Aarnio, Was würden Sie sagen, Herr Montesquieu? In: ders., Wegen Recht und Billigkeit. Vorträge und Aufsätze aus 10 Jahren, Berlin 1988, S. 55-64, 57 f. Montesquieu kommt andererseits aber das Verdienst zu, die Rechtsprechung erstmals als eigenständige Staatsfunktion neben der legislativen und exekutiven Gewalt einzuordnen, aaO., S. 163 f. Vgl. zum Einfluß Montesquieus auf die rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung, insbesondere die juristische Methodenlehre: Regina Ogorek, De l'Esprit des légendes oder wie gewissermaßen aus dem Nichts eine Interpretationslehre wurde, in: Rechtshistorisches Journal 2 (1983), S. 277-296. 3 Hierzu und zum folgenden Kelsen, Reine Rechtslehre (FN 1), S. 74, 85, 242 ff., 260. Vgl. femer Valentin Petev, Die spezifische Rationalität derrichterlichen Entscheidungstätigkeit in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln/Berlin/Bonn/München 1986, S. 565-579, 574.

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Das Verhältnis zwischen der anzuwendenden generellen Norm und der richterlichen Entscheidung stellt sich für Kelsen regelmäßig wie folgt dar. Das Gesetz gibt einen Rahmen vor, innerhalb dessen der Richter ein gewisses Entscheidungsermessen hat. Er liefert ihm hinreichend Informationen, ob einer Anklage oder Klage stattzugeben oder aber, ob sie abzuweisen ist. Dies gelte selbst für den Fall, daß das Gericht keine Rechtsnorm im Hinblick auf einen konkreten Sachverhalt für anwendbar hält. Denn die Rechtsordnung regele menschliches Verhalten nicht nur positiv, sondern auch negativ, indem sie ein bestimmtes Verhalten dadurch erlaube, daß sie es nicht verbiete. 4 Mangels einer generellen Norm, die eine bestimmte Verhaltensweise verbietet oder gebietet, könne das Gericht aber auch ermächtigt sein, die Klage nicht abzuweisen, sondern eine individuelle Rechtsnorm zu erzeugen, deren Inhalt in keiner Weise durch eine im Wege der Gesetzgebung oder Gewohnheit erzeugte generelle Norm materiellen Rechts vorausbestimmt sei.5 In diesen Fällen mache das Gericht lediglich von einer Ermächtigungsnorm Gebrauch. Trotzdem sei es insoweit nicht ganz zutreffend, von einer gesetzgebenden Funktion der Gerichte zu sprechen.6 Denn die Gerichte seien anders als der Gesetzgeber regelmäßig nur ermächtigt, eine individuelle für den konkreten, ihnen vorliegenden Fall gültige Norm zu schaffen - und keine generelle Norm. Hierbei bleiben die Fälle außer Betracht, in denen die Gerichte ermächtigt sind, generelle Normen in Form von verbindlichen Präjudizien zu erzeugen.7 Liegt eine solche Präjudizienermächtigung nicht vor und fehlt es an einer einschlägigen materiell-rechtlichen Verhaltensnorm, produziert das Gericht nach Kelsen nur eine individuelle Norm. Dies geschieht in Anwendung einer von ihm für wünschenswert, für „gerecht" gehaltenen generellen Norm, die nicht in Form eines Gesetzes erlassen worden ist. Lediglich als Anwendung einer solchen nicht positiven, aber generellen Norm sei die von dem Gericht gesetzte individuelle Norm als gerecht zu rechtfertigen. 8 Zusammenfassend läßt sich Kelsens Auffassung dahingehend charakterisieren, daß die Schaffung individueller Rechtsnormen jeweils vom Vorhandensein entsprechender Verhaltensnormen abhängig ist. Zwar räumt er ein, daß sich die richterliche Entscheidungstätigkeit nicht in einer bloßen Gesetzesanwendung erschöpft und regelmäßig mehr erfordert als nur eine logische Deduktion im Sinne eines reinen Justizsyllogismus.9 Trotzdem bedeutet die Differenz zwischen 4 Kelsen, Reine Rechtslehre (FN 1), S. 248. 5 Ebd., S. 249. 6 Ebd., S. 249 f. ι Hierzu ebd., S. 255 ff. s Ebd., S. 250. 9 Diese Einsicht findet sich bereits in der viel beachteten Schrift von Oskar Bülow, Gesetz und Richteramt (1-885), erneut abgedruckt in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976, S. 107-135. Zur historischen Relevanz und Klassifizierung der Bülowschen Rechtsquellenlehre neuerdings Regina Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat? Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert,

§ 6 Generelle und individuelle Normen

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generellen und individuellen Rechtsnormen für Kelsen eine erkenntnistheoretische Notwendigkeit, die sich für ihn aus dem Stufenbaumodell der Rechtsnormen, zunächst vertreten von Adolf Merkl, 1 0 ergibt. 11 Jede Rechtsnorm müsse ihren Geltungsgrund in einer sie bedingenden ranghöheren Norm haben, die die Erzeugung der niederen Norm regele. 12 Die Rechtsordnung sei kein System von gleichgeordneten, nebeneinanderstehenden Rechtsnormen, sondern ein Stufenbau verschiedener Schichten von Rechtsnormen. Diese Schichten bilden eine hierarchische Normenkette, innerhalb derer die jeweils rangniedere Norm gemäß den Voraussetzungen der ranghöheren entstehen müsse, ein Regreß, der letztlich in der von Kelsen unterstellten Grundnorm mündet, die als oberster Geltungsgrund fungiert. Das Bild vom Stufenbau der Rechtsordnung, verstanden als ein einheitliches System der unterschiedlichen Arten von Rechtsnormen wird für jede Rechtsordnung angenommen. Weder Merkl noch Kelsen entwickeln das Stufenbaumodell anhand einer Beobachtung der Rechtswirklichkeit, also der Vielzahl der unterschiedlichen Rechtsaktivitäten und Rechtskommunikationen, sondern leiten es lediglich aus den bedingenden Normsätzen ab, die Voraussetzungen für die Erzeugung weiterer Normen festlegen. 13 Dies führt vorgeblich dazu, daß generelle Normen, die als Geltungsgrund für individuelle Normen dienen, vermeintlich stets Priorität besitzen, so daß ein Stufenbauverhältnis im Sinne von ranghöheren zu rangniederen Normen besteht. Dieses Stufenverhältnis sei jeder Rechtsordnung immanent. 14 Frankfurt a. M. 1986, S. 257 ff. Zur gesamten Problematik Dieter Wyduckel, Die Herkunft der Rechtsprechung aus der Jurisdictio. Ein Beitrag zur historischen Rekonstruktion der Rechtsprechungslehre, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln/Berlin/Bonn/München 1986, S. 247-270, 266 ff. sowie Thomas Raiser , Richterrecht heute. Rechtssoziologische und rechtspolitische Bemerkungen zurrichterlichen Rechtsbildung im Zivilrecht, in: Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, ebd., S. 627-645, 633 ff. 10 Adolf Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaues, in: Hans Klecatsky / René Marcié / Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Ausgewählte Schriften von Hans Kelsen, Adolf Julius Merkl und Alfred Verdross, Bd. 2, Wien / Frankfurt / Zürich / Salzburg / München 1968, S. 1311 -1361. 11 Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre. Entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatz, 2., um eine Vorrede vermehrte Aufl., Tübingen 1923, S. XV; vgl. hierzu auch Walter Ott, Der Rechtspositivismus. Kritische Würdigung auf der Grundlage eines juristischen Pragmatismus, 2., überarbeitete und erweiterte Aufl., Berlin 1992, S. 46 f. ι 2 Hierzu und zum folgenden: Kelsen, Reine Rechtslehre (FN 1), S. 228 sowie als Erläuterung Raimund Hauser, Norm, Recht und Staat. Überlegungen zu Hans Kelsens Theorie der Reinen Rechtslehre, Wien/New York 1968, S. 59 ff. Vgl. auch: Werner Krawietz, Grundnorm, in: Joachim Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel/Stuttgart 1974, Spalte 918-922. 13 Vgl. hierzu Jürgen Behrend, Untersuchungen zur Stufenbaulehre Adolf Merkls und Hans Kelsens, Berlin 1977, S. 11 f., 32 ff., 64 ff. und kritisch zu Kelsens Konzeption: Ota Weinberger, Juristische Entscheidungslogik. Zur Theorie der Deutung und Anwendung des Rechts vom Standpunkt des Institutionalistischen Rechtspositivismus, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln/Berlin/Bonn/München 1986, S. 123-146, 127.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

Diese Auffassung wird von Werner Krawietz treffend als „Selbstapriorisierung des Rechtsdenkens" charakterisiert. Das hierarchische Ordnungsmodell nehme mit seiner Apriorität die rechtswissenschaftliche Unabhängigkeit von aller Erfahrung der Rechtswirklichkeit in Anspruch. 15 Allein die Tatsache, daß gewisse Vorschriften der Verfassung und des einfachen Gesetzesrechts das Verfahren der Setzung von generellen sowie individuellen Rechtsnormen regeln, gibt wenig Auskunft darüber, welche Verbindungen bei den tatsächlichen Rechtserzeugungsprozessen auf allen Ebenen der gesellschaftlichen Rechtskommunikation faktisch bestehen. Die Stufenbaumetaphorik mag im rechtswissenschaftlichen Lehrbetrieb hilfreich sein, um die Verfassungsmäßigkeit und Rechtmäßigkeit von Normsätzen gutachtlich in systematischer Weise zu überprüfen. Unzutreffend ist es jedoch, von einer logischen oder denknotwendigen Priorität der generellen vor den individuellen Normen zu sprechen. Wie Krawietz nachgewiesen hat, läßt sich allenfalls eine zeitliche Priorität finden dergestalt, daß ζ. B. bedingende Normen gewöhnlich vor den bedingten Normen in Erscheinung treten. 16 Der rechtsnormative Sinn genereller und individueller Normen wird jedoch regelmäßig nicht linear, sondern wechselseitig im Rahmen der Entscheidungstätigkeit auf den verschiedenen Kompetenzebenen des Rechtssystems selegiert. 17 Selbstverständlich findet durch Konkretisierung und Spezifikation in dynamischen, autopoietischen Prozessen eine ständige Produktion und Reproduktion der generellen Normen statt, die ständig im Fluß bleibt. Bei einer angemessenen Beobachtung und Beschreibung der fortwährenden Erzeugung rechtlicher Entscheidungen und damit rechtsnormativer Erwartungen ist, realistisch betrachtet, das Bild des Stufenbaus im Sinne einer Normenhierarchie nicht haltbar. Vielmehr erscheint das Rechtssystem als ein Netzwerk unterschiedlichster rechtsnormativer Kommunikationen, die sich als selbstsubstitutive Ordung etablieren, weil im Wege bestimmungsgemäßen 14 Kelsen, Reine Rechtslehre (FN 1), S. 228 f.; ders., Allgemeine Theorie der Normen. Im Auftrag des Hans-Kelsen-Instituts aus dem Nachlaß herausgegeben von Kurt Ringhofer und Robert Walter, Wien 1979, S. 208 und ebenso bereits Adolf Merkl, Gesetzesrecht und Richterrecht, in: Hans Klecatsky / René Marcie / Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Ausgewählte Schriften von Hans Kelsen, Adolf Julius Merkl und Alfred Verdross, Bd. 2, Wien / Frankfurt / Zürich / Salzburg / München 1968, S. 1615-1624, 1618. 15 Werner Krawietz, Die Lehre vom Stufenbau des Rechts - eine säkularisierte politische Theologie? In: Werner Krawietz / Helmut Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 5, Berlin 1984, S. 255271, 265. 16 Ebd., S. 266. 17 Aus zivilrechtlicher Sicht hat dies Josef Esser, Richterrecht, Gerichtsgebrauch und Gewohnheitsrecht, in: ders. / Hans Thieme (Hrsg.), Festschrift für Fritz von Hippel zum 70. Geburtstag, Tübingen 1967, S. 95-130, sehr realistisch gesehen. Jedoch meint er trotzdem, ebd., S. 123 f., dem Richterrecht den Rechtsquellencharakter absprechen zu müssen, da die Gerichte de lege lata keine generellen Normen zu schaffen hätten. Im Rahmen einer rechtsrealistischen Theoriebildung ist es aber wenig hilfreich, die Rechtsquellen auf die vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgegebenen Rechtserkenntnisquellen zu beschränken. Zu den Rechtsnormen als Rechtserkenntnisquellen vgl. grundlegend: Alf Ross, Theorie der Rechtsquellen, Leipzig/ Wien 1929.

§ 6 Generelle und individuelle Normen

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politisch-rechtlichen Entscheidens die bestehenden rechtlichen Erwartungen ständig gewissen Modifikationen unterliegen. Diese Entscheidungsprozesse laufen und wirken keineswegs nur linear in einer Richtung. Aus diesem Grunde verfügt das Rechtssystem weder über eine Spitze noch über ein Zentrum oder eine Ausgangsbasis, von der, wie die GrundnormThese es prätendiert, alle Rechtserzeugung ausgehe. Kennzeichnend sind dagegen die verschiedenen Arten von Entscheidungskopplungen und normativen Rückkopplungen, die wegen ihrer im einzelnen nicht vorhersehbaren, weit verzweigten Entwicklung von Eckhoff und Sundby als Rückkopplungsschleifen bezeichnet werden. 18 Um diese wechselseitigen kommunikativen Beziehungen und Beeinflussungen operabel zu machen, müssen innerhalb des gesellschaftsweiten Rechtssystems auf der Ebene der Großorganisationen, vor allem von den Staaten und zunehmend auch von internationalen und supranationalen Organisationen, Entscheidungsnormen institutionalisiert werden, die es trotz zunehmender Komplexität ermöglichen, rechtliche Entscheidungen derart zu produzieren, daß das Gesamtsystem - unter Berücksichtigung seiner wechselseitigen Beziehungen zu anderen Funktionssystemen wie Wirtschaft und Politik - funktionstauglich bleibt. Zur Vereinfachung der diversen juristischen Entscheidungen etabliert das Rechtssystem bestimmte Normen- bzw. Organisationshierarchien. Diese werden im autopoietischen Rechtssystem im Wege einer „Selbsthierarchisierung" herausgebildet. 1 9 Wichtig ist, daß das Rechtssystem nicht eine apriorische, also wesensimmanente, hierarchische Form aufweist, sondern sich in bestimmten strukturellen Fragen selbst für eine hierarchische Ordnung entscheidet, da Hierarchie eine komplexitätsgünstige Form der Ausdifferenzierung sozialer Systeme ist, die auch die Einheit des gesamten Systems in besonderer Weise betont. Durch entsprechende Selbsthierarchisierung kristallisiert sich im Rechtssystem ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung heraus. Obwohl, realistisch betrachtet, diverse strukturelle Wechselbeziehungen zwischen den Entscheidungsorganen bestehen, kann und soll die richterliche Tätigkeit derartige komplexe strukturelle Kopplungen ausblenden und die eigene Entscheidung lediglich auf die ihr durch die jeweilige Verfassung vorgegebenen Rechtsquellen stützen. Die Selbsthierarchisierung führt damit zu einer Bindung der unteren Kompetenzebenen an die oberen - und nicht umgekehrt. Auf diese Weise schafft das Rechtssystem mit relativ wenigen grundlegenden Entscheidungen Programme für eine unübersehbare Vielzahl konkreter, zukünftiger Fälle. 20 Diese werden zwar nicht vorwegentschieden. Jedoch werden den zuständigen Entscheidungsor18 Tor stein Eckhoff I Nils Kristian Sundby, Rechtssysteme. Eine systemtheoretische Einführung in die Rechtstheorie Berlin 1988, S. 149. Ähnlich auch Niklas Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: R E C H T S T H E O R I E 21 (1990), S. 459-473, 464. 19 Vgl. grundlegend hierzu Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Darmstadt 1984, S. 133 ff. und ders., Die Lehre vom Stufenbau des Rechts (FN 15), S. 268 ff. 20 Krawietz, Die Lehre vom Stufenbau des Rechts (FN 15), S. 268.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

ganen in Programmform Entscheidungsmuster zur Verfügung gestellt, die eine gewisse institutionelle Orientierungssicherheit gewährleisten.

2. Selektion von Normadressaten in rechtlichen Entscheidungsprozessen

Anknüpfend an hierarchische Normenordnungen ist man geneigt, ausschließlich die Normen höherer Stufe, die regelmäßig allgemein, für eine unbestimmte Anzahl von Fällen formuliert sind, als die generellen Normen zu bezeichnen. Die Normen unterer Stufe, die konkreter gefaßt sind, werden dagegen regelmäßig als die individuellen Normen angesehen. Danach hätten verfassungsrechtliche und gesetzliche Regeln stets generellen Charakter, Urteile, Verwaltungsakte sowie Verträge demgegenüber individuellen Charakter. Daß diese Differenzierung anhand der tatsächlichen rechtsnormativen Strukturen nicht durchgängig beobachtet werden kann, sondern lediglich als typisierendes Schema tauglich ist, ist bei der Vielzahl der geltenden und alle sozialen Bereiche betreffenden rechtlichen Regeln naheliegend. Aus diesem Grunde versuchen Eckhoff und Sundby zu einer begrifflich präziseren Abgrenzung zu gelangen, indem sie zunächst drei Normelemente voneinander unterscheiden, nämlich Thema, Situationsbedingungen und Pflichtsubjekt. 21 Als Pflichtsubjekt werden von ihnen Personen bezeichnet, die in bezug auf eine Norm eine Pflicht haben oder nicht. Diese Definition wird der Problematik jedoch nicht in vollem Umfang gerecht. Erforderlich ist es, eine begriffliche Beschreibung zu wählen, die alle von der Rechtsnorm Betroffenen erfaßt. Der Ausdruck „Pflichtsubjekt" ist aus zweierlei Gründen mißverständlich bzw. unpassend. Da Rechtsnormen nicht nur positive und negative Verpflichtungen regeln, sondern auch Rechte und Kompetenzen gewähren und garantieren, ist es nicht adäquat, einseitig auf die Pflichten abzustellen. Ferner können die Normbetroffenen nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Personenmehrheiten oder sogar Organisationen sein. Dies wird nicht hinreichend deutlich, wenn man ausschließlich von „Subjekten" spricht. Angemessener ist es, auf Normadressaten abzustellen, da dieser Begriff neutraler ist und den Kreis der Betroffenen nicht so restriktiv festlegt. Der Begriff des Normadressaten scheint sich auch im modernen rechtstheoretischen Schrifttum durchzusetzen. 22

21 Eckhoff / Sundby, Rechtssyteme (FN 18), S. 71 ff. 22 Ota Weinberger, Norm und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts, Wien 1988, S. 86; Kazimierz Opalek, Theorie der Direktiven und der Normen, Wien/ New York 1986, S. 51 ff., 107,115 ff.; Friedrich Müller, Juristische Methodik, 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Berlin 1989, S. 124 sowie Ernst-Joachim Lampe, Grenzen des Rechtspositivismus. Eine rechtsanthropologische Untersuchung, Berlin 1988, S. 113 ff.

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Mit dem ersten, von Eckhoff und Sundby genannten Normelement, nämlich dem Thema einer Norm, ist jeweils eine Handlung gemeint, die die Norm gebietet, verbietet, erlaubt oder von der sie befreit. Mit den Situationsbedingungen als zweitem Normelement werden die Zusammenhänge charakterisiert, die vorliegen müssen, damit ein Subjekt eine Handlungs- bzw. Nicht-Handlungspflicht habe.23 Alle drei Normelemente werden in materiellen Gesetzen - also Parlamentsgesetzen, Verordungen und Satzungen - regelmäßig, aber nicht notwendigerweise generell und in diversen anderen Normen, beispielsweise in Gerichtsentscheidungen, Verwaltungsakten und Verträgen, vorwiegend individuell angegeben. Darüber hinaus kommt es zu Zwischenformen, in denen entweder einzelne Normelemente generell, andere individuell sind oder der Generalisierungsgrad eines einzelnen Normelements schwer bzw. nicht eindeutig klassifizierbar ist. Daß die Themen, Situationsbedingungen und Adressaten in den unterschiedlichen Rechtsnormen mehr oder weniger abstrakt bzw. konkret angegeben werden, ergibt sich aus den ganz heterogenen Regelungsbedürfnissen. Die unterschiedlichen Generalisierungs- oder besser Abstraktionsgrade hinsichtlich der Themen und der Situtationsbedingungen betreffen vorwiegend den konkreten operativen Umgang mit den Rechtsnormen im Bereich der Rechtspraxis, der rechtswissenschaftlichen Dogmatik sowie der Juristischen Methodenlehre und nicht so sehr die rechtstheoretischen und rechtssoziologischen Fragestellungen, welche überwiegend das Recht als grundlegende und verbindliche Kommunikationsstruktur in allen sozialen Lebensbereichen sowie als Summe der auf Institutionalisierung neuer rechtsnormativer Strukturen gerichteten kommunikativen Operationen zum Gegenstand haben. Ausgehend von diesen rechtskommunikativen Prämissen kommt deshalb der Frage nach den Adressaten der rechtsnormativen Erwartungsinformationen besondere Bedeutung zu. Die Adressatenproblematik ist aus rechtsrealistischer Perspektive keineswegs zwangsläufig mit bestimmten Normkategorien dergestalt verbunden, daß sich gesetzliche Regelungen stets an einen generellen, das heißt unbestimmten Adressatenkreis richten, während richterliche, behördliche und vertragliche Regelungen sich demgegenüber ausschließlich an einen individuellen, das heißt bestimmten Adressatenkreis wenden. Ebenso wie die Normenhierarchie keine wesensmäßige oder logische Vorgegebenheit des Rechts, sondern eine kraft politischer und rechtlicher Entscheidung selbst gewählte Ordnung ist, wird unter anderem der Adressatenkreis bei jeder rechtskommunikativen Normselektion durch den Entscheider erst festgelegt. Augenscheinlich wird dies insbesondere an solchen Normen, die als Mischform von genereller und individueller Regelung angesehen werden können. Ein typisches Beispiel für eine derartige Regelungsform ist die Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG, bei der der Adressatenkreis sowohl individuell als auch generell bestimmt sein kann. Erwähnenswert sind ferner die

23 Eckhoff / Sundby, Rechtssysteme (FN 18), S. 72.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

Tarifverträge, die zwar nur von den Tarifvertragsparteien ausgehandelt werden, aber nicht nur diese, sondern gemäß § 3 Abs. 1 TVG sämtliche Mitglieder der Tarifvertragsparteien binden und damit an einen faktisch schwer bestimmbaren Adressatenkreis gerichtet sind. Hinsichtlich der richterlichen Entscheidung stellt sich die Frage der Adressatenselektion in zweifacher Hinsicht, nämlich zum einen in Bezug auf die Fallnorm und zum anderen in Bezug auf den Urteilstenor. Wie bereits erwähnt, steht die Norm mit Blick auf einen noch zu entscheidenden Fall nicht fest, da sie erst mittels eines arbeitsteiligen Prozesses konstruiert werden kann bzw. rekonstruiert werden muß. Ausgehend von einem konkreten Fall werden im gerichtlichen Verfahren die diversen Normsuppositionen der verschiedenen Situationsbeteilig-: ten geäußert und verhandelt. Dieses formalisierte Verfahren als prozessuale Methode gehört für Schelsky zu den „Grundeinsichten" des Rechts.24 Aus den mehr oder weniger übereinstimmenden, zum Teil aber auch widersprüchlichen Sachverhaltsdarstellungen und Sachverhaltsbeurteilungen der Verfahrensbeteiligten sowie im Wege der Beweiswürdigung selegiert das Gericht den konkreten Fall und damit den Tatbestand im prozeßrechtlichen Sinn. Der aktuelle Fall ist niemals identisch mit vorangegangenen Fällen. Die Ereignisse, die tatbestandlich zu einer Einheit zusammengefügt werden, sind einmalig, momenthaft und damit zeitpunktfixiert, aber regelmäßig an den institutionalisierten Regeln orientiert. Die Gegenüberstellung des aktuellen Falles und der etablierten rechtsnormativen Erwartungen bedeutet, rechtstheoretisch betrachtet, fortwährende rechtskommunikative Analogiebildung, die im Ergebnis zu einer weitergehenden Konkretisierung der als fallrelevant angesehenen kongruent generalisierten Erwartungen führt. Die vom Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten generellen normativen Erwartungen werden in der sachlichen Dimension so weit präzisiert, daß der aktuell zu entscheidende Fall sowie alle hypothetischen, ihm in den rechtsrelevanten Fakten gleichenden Fälle problemlos subsumiert werden können. Das Ergebnis der Konkretisierung ist demnach die Fallnorm bzw. die ratio decidendi, welche als Grundlage für die konkrete Entscheidung dient, selbst aber immer noch generellen Charakter aufweist. Die individuelle Norm, die nur an die Verfahrensbeteiligten bzw. die Vollstreckungsorgane adressiert ist, wird erst mit dem Ausspruch der konkreten Entscheidung, also dem Urteilstenor, produziert. Denn hier werden, um auf die Adressatenproblematik zurückzukommen, die Parteien, die Verfahrensbeteiligten oder Angeklagten konkret genannt sowie Rechte und Pflichten eindeutig zugerechnet, so daß die eventuelle Urteilsvollstreckung an unmißverständlichen Vorgaben orientiert werden kann. Im Rahmen gerichtlicher Entscheidungsprozesse werden somit durch arbeitsteilige Konstruktion Erwartungszusammenhänge zunächst spezifiziert, dann ge24 Helmut Schelsky, Nutzen und Gefahren der sozialwissenschaftlichen Ausbildung von Juristen, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 196-214, 203.

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neralisiert und schließlich respezifiziert. Jede rechtsnormative Entscheidung ist ein kontingenter kommunikativer Akt, der eine neue rechtliche Sinnselektion beinhaltet, die die zeitlich früheren Normierungen, soweit auf diese Bezug genommen wird, reproduziert. In der fortwährenden Reproduktion der bereits institutionalisierten Normen kommt deren Verbindlichkeit in realistischer Weise zum Ausdruck. Die nachpositivistische Institutionen- und Systemtheorie des Rechts steht daher allen Formen eines rein positivistischen Rechtsverständnisses kritisch gegenüber und nimmt selbst einen regelskeptizistischen Standpunkt ein, weil die normativen Entscheidungsprämissen ex ante gar nicht für alle zukünftigen Fälle hinreichend genau festlegbar sind. Aus der Sicht eines rechtsrealistischen, gemäßigten Regelskeptizismus kann es die Norm oder die Rechtsregel als solche gar nicht geben.25 Der Ausdruck subsistente Norm dient als ein Kürzel, welches die verfahrensmäßig institutionalisierte Konstruktion der relevanten Fallnorm durch den Entscheider, also vor allem die Gerichte, symbolisiert. Jede Gerichts- oder Verwaltungsorganisation, die rechtliche Entscheidungen zu treffen hat, schafft das Recht, das sie anwendet, in gewisser Weise selbst, da lediglich die institutionalisierten Programme, aber nicht die subsumtionsfähige Fallnorm vorgegeben werden. 26 Die subsistente Norm hat als generelle Norm keine feststehende Bedeutung, da sie nicht formalisiert ist, so daß es an einem Anknüpfungspunkt für die normative Sinnbildung fehlt. Sie ist auch nicht die Summe aller relevanten, auf die gesetzliche Wortnorm bezugnehmenden Rechtskommunikationen, sondern vielmehr die ständige Bestätigung und Fortentwicklung einer einmal positivierten rechtlichen Regelung. Durch diesen autopoietischen Prozeß, bei dem in jedem Einzelfall neue Fallnormen gebildet werden, ist die subsistente Norm fortlaufend Änderungen unterworfen.

25 Zum gemäßigten Regelskeptizismus als einer der grundlegenden Einsichten des sinnkritischen Rechtsrealismus der Münsterschen Schule der Rechtstheorie und -Soziologie vgl.: Werner Krawietz, Zur Korrelation von Rechtsfrage und Tatfrage, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, Internationales Symposium Münster 1984, Köln /Berlin /Bonn /München 1986, S. 517-553, 527 f. sowie ders., What Does It Mean ,Το Follow an Institutionalized Legal Rule4? On Rereading Wittgenstein and Max Weber, in: Eugene E. Dais / Stig J0rgensen / Alice Erh-Soon Tay (Hrsg.), Konstitutionalismus versus Legalismus? Geltungsgrundlagen des Rechts im demokratischen Verfassungsstaat, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 40, Stuttgart 1991, S. 714, 10. Vgl. zur Gesamtproblematik des Regelskeptizismus mit Blick auf Wittgenstein und die moderne amerikanische Rechtstheorie: Scott Landers, Wittgenstein, Realism, and CLS: Undermining Rule Scepticism, in: Law and Philosophy 9 (1990), S. 177-203, der sich im Ergebnis nicht gegen den gemäßigten Regelskeptizismus im Sinne Wittgensteins wendet, sondern gegen einen extremen Skeptizismus im Sinne Kripkes und vieler Vertreter der Critical Legal Studies Bewegung. Siehe femer Andreas Kemmerling, Regel und Geltung im Lichte der Analyse Wittgensteins, in: R E C H T S T H E O R I E 6 (1975), S. 104131. 26 Vgl. Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 4. Aufl., durchgesehen und herausgegeben von Manfred Rehbinder, Berlin 1987, S. 227.

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2. Abschn.: Strukturtheorien des Rechts

Schelsky verwendet insoweit im Anschluß an das amerikanische und skandinavische rechtsrealistische Schrifttum den die Handlungsbezogenheit des Rechts betonenden Ausdruck „law in action" im Unterschied zum „law in books". 27 Für ihn ist es selbstverständlich, daß die juridischen Urteile in der rationalen Kooperation von Richtern und Anwälten gefällt werden. Der hohe Rationalitätsgrad rechtlicher Entscheidungen - insbesondere der Gerichte und der Verwaltungsbehörden - beruht, wie Schelsky ausdrücklich hervorhebt, vor allem darauf, daß sie in institutionalisierten Verfahren ausgehandelt werden. 28 Mit anderen Worten, gerade die tatsächlichen Entscheidungsprozesse gestalten und verändern das Recht. Die generellen Rechtsnormen - verstanden als subsistente Normen unterliegen einer ständigen Entwicklung, die mit jeder neuen Fallnormselektion voranschreitet. Die Selektion einer Fallnorm beeinflußt und variiert also stets die subsistente Norm. Im faktischen Kommunikationsprozeß, der der juridischen Entscheidung zugrundeliegt und der nach Maßgabe rechtlicher Regelungen abläuft, wird also die jeweilige normative Erwartung respektive die subsistente Norm umstrukturiert. Hiermit ist aber nicht gesagt, daß die bereits institutionalisierten rechtsnormativen Erwartungen für die konkrete Entscheidung keine oder nur geringe Bedeutung haben. Die Einzelfallentscheidung ist keineswegs beliebig, sondern lediglich ex ante nicht mit Sicherheit prognostizierbar. Bei realistischer Betrachtung müssen grundsätzlich zwei Perspektiven der Normbeschreibung voneinander unterschieden werden. Aus der ersten Perspektive nimmt man die bereits institutionalisierten Normen in den Blick, ohne gegenwärtige oder zukünftige Entscheidungen zu berücksichtigen. Es bietet sich an, insoweit von kongruent also in sachlicher, zeitlicher und sozialer Dimension - generalisierten Erwartungen zu sprechen. Der zweite Aspekt ist auf den ständigen Entwicklungsprozeß des Rechts gerichtet, in dem die individuelle Norm in ihrer befolgten Form als Regel entsteht. 3. Organisationstheoretische Konsequenzen

Das aufgezeigte dynamische und regelskeptizistische Normenverständnis der modernen nachpositivistischen Institutionentheorie bringt zwangsläufig erhebliche Konsequenzen für die organisationstheoretische Beschreibung der hauptsächlich an der Rechtsproduktion beteiligten Organisationen mit sich. In den komplexen Rechtsstaaten der heutigen Gesellschaft wird die Rechtserzeugung auf verschiedene Kompetenzebenen verteilt. Vor allem Gesetzgebung und Rechtsprechung sind an der Rechtserzeugung beteiligt. Da die Vorstellung, die Gerichte seien bloße Anwender der vom Gesetzgeber geschaffenen Rechtsnormen, völlig 27 Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34-76, 56; vgl. zu dieser Unterscheidung auch: Robert S. Summers, Instrumentalism and American Legal Theory, Ithaca/London 1982, S. 112-115.

28 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 27), S. 46 f.

§ 6 Generelle und individuelle Normen

127

unhaltbar und überholt ist, 29 sind andere funktionale Differenzierungsgesichtspunkte erforderlich, um Gesetzgebung und Rechtsprechung zu unterscheiden. Auszugehen ist hierbei von der Tatsache, daß sowohl der Gesetzgeber als auch die Gerichte normierend tätig werden, indem sie soziale Interessenkonflikte entscheiden. Gesetzgebende und rechtsprechende Tätigkeit stehen daher für Schelsky auf der gleichen Rationalitätsstufe. 30 Der Entscheidungsbegriff ist also sowohl für die Tätigkeit der Legislative als auch für die Tätigkeit der Judikative grundlegend. Zur funktionalen Differenzierung beider Entscheidungsbereiche schlägt Luhmann die Begriffe programmierendes Entscheiden des Gesetzgebers sowie programmiertes Entscheiden der Gerichte vor. 31 Die Verschiedenheit beider Entscheidungsprozesse bestehe darin, daß das Gesetzgebungsverfahren unter unbestimmter, übermäßig hoher Komplexität, das Gerichtsverfahren unter schon stark reduzierter Komplexität operiere. Auf der Ebene der Programmierung des Rechts seien zureichende Information und kontrollierbare Richtigkeit des Entscheidens praktisch ausgeschlossen. Die Rationalität des Entscheidens in dieser Lage könne nicht durch feststehende und auslegbare Normen oder Zwecke gewährleistet werden, da dies Programmierung voraussetze. Im Bereich des programmierten Entscheidens sei es dagegen möglich, die Übereinstimmung mit vorgegebenen Kriterien festzustellen und nachzuprüfen. Die Programme werden als Prämissen übernommen und nicht mehr problematisiert. Das Nachvollziehen der programmierenden Entscheidung nehme den Charakter der Auslegung sowie der Reduktion auf schon Bekanntes an. 32 Vergleicht man diese Auffassung mit den obigen rechtsrealistischen Ausführungen zu den wechselseitigen Beziehungen und Rückkopplungsmechanismen bei der Rechtsbildung, dann erscheint die Differenz zwischen programmierendem Entscheiden des Gesetzgebers und programmiertem Entscheiden der Gerichte als eine starke Verkürzung der rechtsnormproduzierenden Prozesse im Rechtssystem. Zutreffend ist daher Schelskys Einwand, auch der Gesetzgeber sei in gewisser Weise, nämlich hauptsächlich durch die Verfassung programmiert. 33 Vor allem aber läuft die Tätigkeit der Gerichte nicht nur programmiert ab. 34 Der 29 So auch Regina Ogorek, De l'Esprit des légendes (FN 2), S. 280 f.; Raffaele De Giorgi, Systemtheoretische Überlegungen zur Rechtsprechung, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln / Berlin / Bonn / München 1986, S. 587 - 601,597 ff. und Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, 2., durch ein Nachwort ergänzte Aufl., Berlin 1976, S. 60 ff. 30 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 27), S. 48. 31 Hierzu und zum folgenden Niklas Luhmann, Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981, S. 113-153, 134 ff. 32 Ebd., S. 136. 33 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 27), S. 49. 34 Vgl. beispielsweise Norbert Achterberg, Rechtsprechung als Staatsfunktion, Rechtsprechungslehre als Wissenschaftsdisziplin, in: ders. (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. In-

128

2. Abschn.: Strukturtheorie des Rechts

Richter muß die subsumtionsfähige Fallnorm, die er seiner Entscheidung zugrunde legt, wie oben gezeigt, regelmäßig erst selbst schaffen, das heißt, er muß selber programmierend tätig werden. Häufig - und nicht nur in besonderen Fällen, wie etwa der richterlichen Normenkontrolle - kann er hierbei nicht auf eindeutige gesetzgeberische Programme zurückgreifen. Zudem ist richterliches Entscheiden nicht selten an Zukunftsprognosen orientiert, die im Wege der Folgenreflexion gewonnen werden. Ferner entfalten zahlreiche Urteile zumindest eine faktische Präjudizwirkung, wenn ihre Fallnorm, respektive ihre ratio decidendi, zur Entscheidungsgrundlage nachfolgender Rechtsprechungsaktivitäten wird. Neben der Formel vom programmierenden und programmierten Entscheiden differenziert Luhmann neuerdings zwischen der Peripherie und dem Zentrum des Rechtssystems.35 Die Gerichtsorganisation sei dasjenige Teilsystem, in dem das Rechtssystem sein Zentrum habe. Entscheidendes Argument ist für Luhmann der Entscheidungszwang, unter dem die Gerichte stehen. Es werde die Universalität der Kompetenz in der Form der Entscheidbarkeit aller Rechtsfragen garantiert. Alle anderen Bereiche der Rechtskommunikation, wie private Vertragsschlüsse und die Gesetzgebung, ordnet er der Peripherie zu. Es gebe für die Peripherie keinen Operationszwang. Sie sei daher Kontaktzone zur Umwelt des Rechtssystems, also beispielsweise zur Wirtschaft, zur Politik oder zum Familienleben. Charakteristisch für die Peripherie sei ferner, daß hier Irritationen auf kommunikativem Wege in Rechtsformen gebracht werden können oder auch nicht. Das System garantiere seine Autonomie durch Nicht-entscheiden Müssen. 36 Luhmann übersieht bei dieser Beschreibung, daß die Gerichte sehr wohl Umweltkontakt haben. Zwar werden zahlreiche kommunikative Akte im Gerichtsverfahren, wie vor allem die Klageschrift, die Klageerwiderung oder die Anklageschrift bereits als rechtsinterne Operationen abgefaßt. Trotzdem hat aber das Gericht die Möglichkeit des Umweltkontaktes im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme, sei es durch Sachverständigengutachten, Parteivernehmung, Urkunds- oder Zeugenbeweis. Zudem ist die Differenz zwischen Peripherie und Zentrum, auf das Rechtssystem bezogen, mißverständlich. Da eine räumliche Bedeutung dieser Unterscheidung ohnehin ausscheidet, wird der Eindruck erweckt, die Rechtsprechung sei der zentral wichtige Bestandteil des Rechtssystems oder doch zumindest der typische. Der Hinweis Luhmanns auf den Entscheidungszwang der Gerichte, also das Justizverweigerungsverbot, ist sicherlich in den meisten, vielleicht sogar in sämtlichen modernen Rechtsstaaten beobachtbar. Es ist aber bereits fraglich, ob das Justizverweigerungsverbot ein Charakteristikum der Rechtsprechung ist. In der Rechtswirklichkeit verläuft die ganz überwiegende ternationales Symposium Münster 1984, Köln / Berlin / Bonn / München 1986, S. 3 - 26, 18 f. sowie De Giorgi, Systemtheoretische Überlegungen zur Rechtsprechung (FN 29), S. 598 ff. 35 Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem (FN 18), S. 466. 36 Ebd., S. 467 f.

§ 6 Generelle und individuelle Normen

129

Zahl aller Rechtsaktivitäten und -kommunikationen völlig unproblematisch und nur ganz ausnahmsweise kommt es zur Inanspruchnahme der Gerichtsorganisationen. Ein funktionierendes Rechtssystem setzt gerade voraus, daß die Entscheidung streitiger Rechtsfälle eine Ausnahme ist, die möglichst auf zukünftige Fälle programmierend wirkt, so daß weitere Gerichtsverfahren in ähnlich gelagerten Fällen vermieden werden. Anders als Luhmann hat sich Helmut Schelsky stets gegen eine zu stark an der Rechtsprechung und am Richteramt orientierte Beschreibung des Rechtssystems gewandt. Mit Noll ist er der Ansicht, daß der Rolle des Rechtsanwalts mehr Bedeutung beizumessen sei als der des Richters. 37 Die gerichtliche Entscheidung und die faktische Möglichkeit, Rechtsschutz zu erlangen, hängt in weit größerem Maße von den Qualitäten des Rechtsanwalts ab als von denjenigen des Richters. Ein fähiger Rechtsanwalt ist in der Lage, das Verfahren in seinem Sinne zu beeinflussen, indem er bestimmte Fragen oder Anträge stellt. Er kann damit auch Fehler oder Unzulänglichkeiten auf Seiten des Richters ausgleichen, was umgekehrt kaum möglich ist. Von daher ist auch die ausschließlich auf den Richterberuf konzentrierte Juristenausbildung zu kritisieren. Schelsky plädiert dafür, daß die Juristenausbildung das „autoritäre oder geistig arrogante Vorurteil" aufgibt, daß sie ausschließlich „Richter" heranzieht. 38 Die Ausbildung ist vor allem auch notwendige Voraussetzung für den Beruf des Staatsanwalts und den des Rechtsanwalts, deren Rollen in der Rechtspraxis ganz andere argumentative Anforderungen im Hinblick auf Sachverhaltsdarstellung und -beurteilung sowie entsprechende juristische Schlußfolgerungen stellen. Daher wird die klassische Illusion, wer zum Richter ausgebildet werde, der sei gleichsam nebenbei auch ein guter Ankläger oder Verteidiger, in der Rechtspraxis ständig widerlegt. Ferner kennzeichnet die forensische Tätigkeit nicht mehr ausschließlich das Berufsbild des Rechtsanwalts. Zunehmend gewinnen beratende, vertragsgestaltende und prozeßverhütende Aktivitäten an Bedeutung. Mit Schelsky ist eine Beschreibung des Rechtssystems abzulehnen, die sich zu einseitig an der Berufsrolle des Richters bzw. an den Gerichtsorganisationen orientiert. Nicht die Entscheidungstätigkeit des richterlichen Rechtsstabs ist typisch für das Rechtssystem als Kommunikationssystem, sondern vielmehr die rechtliche Regelbildung und Regelbefolgung in allen sozialen Bereichen und durch alle Adressaten des geltenden Rechts, insbesondere auch auf seiten der Bürger im rechtlichen Alltagsleben. Jedermann schließt im Laufe seines Lebens eine nicht übersehbare Zahl von rechtlich bindenden Verträgen, aber kaum einmal ist man gezwungen, zur Durchsetzung seiner Rechte auf gerichtlichen Rechtsschutz zurückzugreifen. 37 Peter Noll, Gesetzgebungslehre, Reinbek bei Hamburg 1973, S. 12-14 sowie Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 27), S. 60. 38 Schelsky, Nutzen und Gefahren der sozialwissenschaftlichen Ausbildung von Juristen (FN 24), S. 205. 9 Werner

Dritter Abschnitt

Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität im nachpositivistischen Rechtsrealismus § 7 K r i t i k der vernunftrechtlich orientierten Geltungsbestimmungen

Im modernen rechtstheoretischen Schrifttum werden die unterschiedlichsten Geltungsbegriffe vertreten. Sie korrelieren mit dem jeweils zugrundeliegenden Rechtsverständnis. Trotz der unübersehbaren Differenzen im Detail lassen sich drei Grundpositionen unterscheiden, nämlich die vernunftrechtliche, die rechtspositivistische und die rechtsrealistische. Mit diesen Grundpositionen korrespondieren der ethische bzw. moraltheoretische (vernunfttheoretische), der formaljuristische und der realistische Geltungsbegriff. Vor allem aus der vernunfttheoretischen Perspektive wird gewöhnlich nicht ausschließlich auf den zugehörigen Geltungsbegriff, sondern regelmäßig zusätzlich auf wenigstens einen der beiden anderen Geltungsbegriffe rekurriert. Bemerkenswert ist vor allem die Renaissance des Natur- bzw. Vernunftrechtsdenkens in diversen rechtstheoretischen Arbeiten der letzten Jahre, die bedeutsame Kontroversen zwischen den Vertretern der unterschiedlichen Grundpositionen nach sich zog. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Auseinandersetzung zwischen Ralf Dreier, Norbert Hoerster und Werner Krawietz zu. 1 Die grundlegenden Probleme und Fragestellungen dieser rechtstheore1 Ralf Dreier, Der Begriff des Rechts, in: Neue Juristische Wochenschrift 39 (1986), S. 890-896, auch in: ders., Recht - Staat - Vernunft. Studien zur Rechtstheorie 2, Frankfurt a. M. 1991, S. 95-119; Norbert Hoerster, Zur Verteidigung des Rechtspositivismus, in: Neue Juristische Wochenschrift 39 (1986), S. 2480-2482; Werner Krawietz, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Rechts bei Ralf Dreier und Norbert Hoerster, in: R E C H T S T H E O R I E 18 (1987), S. 201-254 sowie die Replik von Ralf Dreier, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? In Erwiderung auf Werner Krawietz, in: R E C H T S T H E O R I E 18 (1987), S. 368-385. Neuerdings hierzu: Ernesto Garzón Valdés, Weitere Überlegungen zur Beziehung zwischen Recht und Moral, in: Aulis Aarnio / Stanley L. Paulson / Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 477-494, 477 ff. Vgl. auch die Kontroverse zwischen Franz Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze. Zur rechtsethischen Verfassung der Sozietät, Wien/New York 1988 und Regina Ogorek, Gesucht: Rechtsethik, westlicher Typ, in: Rechtshistorisches Journal 9 (1990), S. 403427 [Rezensionsabhandlung zu dem vorgenannten Werk von Bydlinski] sowie die Erwi-

§ 7 Kritik der vernunftrechtlich orientierten Geltungsbestimmungen

131

tischen Diskussion sind auch bereits für die institutionentheoretischen Arbeiten Helmut Schelskys bestimmend und maßgebend gewesen. Für ihn stand dabei stets eine realistische strukturtheoretische Beschreibung des Verhältnisses von Recht und Gesellschaft im Vordergrund, durch die einerseits eine positivistisch verengende Darstellung des Rechts vermieden und andererseits die eigenständige Bedeutung des Rechts gegenüber Moral oder anderen außerrechtlichen Normenordnungen herausgestellt werden sollte. Die Relevanz der Schelskyschen Position wird im folgenden unter Berücksichtigung der genannten Kontroverse und in Abgrenzung zu den divergierenden Bestimmungen des Rechtsbegriffs aufgezeigt. In einer ersten Annäherung an die Problematik wird zunächst der ethische Geltungsbegriff kritisch beleuchtet. Gegenstand dieses Geltungsbegriffs ist die moralische Geltung der Rechtsnormen. Hiernach bedürfen Rechtsnormen einer moralischen Begründung bzw. Rechtfertigung. 2 Dementsprechende Geltungstheorien setzen voraus, daß objektiv vorgegebene Wertkriterien existieren, die vor jeder menschlichen Rechtsetzung gelten. Sie basieren also auf der Vorstellung, daß es im Grunde eine gemeinsame Wurzel von Recht und Moral gibt. Charakteristisch für diese Auffassung ist es, nur diejenigen Normen als geltendes Recht anzusehen, die den grundlegenden Anforderungen der Moral nicht widersprechen. Der Begriff des Rechts im Sinne einer nichtpositivistischen Verbindungstheorie sei so zu definieren, daß er moralische Elemente enthalte.3 Gänzlich verfehlt wäre es, für diese Verbindungsthese Helmut Schelsky als Gewährsmann aufzuführen. Eben in diesem Sinne verfährt jedoch Bydlinski, der behauptet, Schelsky fordere, das juristische Axiom der Trennung von Recht und Moral fallen zu lassen.4 Er bezieht sich insoweit auf eine Textstelle Schelskys, die aber gerade nicht den Unterschied von Recht und Moral thematisiert, sondern derung von Franz Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze in der Löwengrube, in: R E C H T S T H E O R I E 22 (1991), S. 199-214 und neuestens die Auseinandersetzung zwischen Hruschka und Hoerster: Joachim Hruschka, Vorpositives Recht als Gegenstand und Aufgabe der Rechtswissenschaft, in: Juristenzeitung 47 (1992), S. 429-438; Norbert Hoerster, Richtigstellung über den Rechtspositivismus, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 79 (1993), S. 416-420 und Joachim Hruschka, Recht und Unrecht bei Norbert Hoerster, in: ebd., S. 421-424. 2 Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, Freiburg / München 1992, S. 141. 3 Hauptvertreter der Verbindungsthese sind Ralf Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht - Moral - Ideologie. Studien zur Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981, S. 180216, 197 f.; ders., Der Begriff des Rechts (FN 1), S. 116; Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 1), S. 17; Otfried Höffe, Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat, Frankfurt a. M. 1989, S. 122 f.; Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (FN 1), S. 128 ff. sowie ders., Recht, Methode und Jurisprudenz, Frankfurt a. M. 1988. Ähnlich auch Valentin Petev, Wie moralisch ist das Recht? In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie LXXIV (1988), S. 348-358. 4 Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2., ergänzte Aufl., Wien / New York 1991, S. 288 f., FN 212 und neuerdings ders., Setzungs- oder Existenzpositivismus und methodische Rechtsgewinnung, in: Peter Koller/Werner Krawietz/ Peter Strasser (Hrsg.), Institution und Recht. Grazer Internationales Symposion zu Ehren von Ota Weinberger, Berlin 1994, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 14, S. 73-91, 90 f. FN 38. 9*

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

sich vielmehr mit dem Problem auseinandersetzt, wie es möglich ist, das Wissen um die Rechtsstaatlichkeit und die spezifisch juridische Rationalität einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. 5 Schelsky kritisiert in diesem Zusammenhang das Rechtswissenschaftssystem, welches sich weitgehend nur seinen fachspezifischen, systeminternen Aufgaben widmet. Die Komplexität des Rechts und seine spezifische Rationalität bringen es mit sich, daß nur praktizierende Juristen und Rechtswissenschaftler in der Lage sind, die grundsätzlichen Strukturen des modernen Rechtsstaats erzieherisch zu vermitteln - und zwar nicht nur im Rahmen der Juristenausbildung, sondern auch im gesamten Erziehungssystem. Diese Aufgabe kann und darf nach Schelsky nicht aus Gründen der Arbeitsüberlastung freiwillig den Sozialwissenschaftlern oder beispielsweise den Gewerbelehrern überlassen bleiben.6 Gerade diese Forderung Schelskys belegt seine Auffassung der funktionalen Differenzierung und Unabhängigkeit des Rechts gegenüber anderen gesellschaftlichen Teilsystemen. Schelsky hält es für erforderlich, daß die Juristen ihre fachspezifischen Rollen gelegentlich auch mit denjenigen, im Erziehungssystem vertauschen, um die rechtlichen Leitideen angemessen darzustellen. Nach Möglichkeit sollen die grundlegenden Regeln des modernen Rechtsstaats Gegenstand der Erziehung in allen Schulen und auch in der Familie sein. Im Rahmen einer solchen Erziehung wird dann über Recht kommuniziert. Jedoch sind Kommunikationen, die sich in diesem Bereich bewegen, nicht Bestandteil des Rechtssystems, das hier von ihm im engeren Sinne verstanden wird. Vielmehr handelt es sich - funktional betrachtet - um Kommunikationen im Erziehungssystem, bei der politische und moralische Fragestellungen und Norminhalte nicht strikt von den rechtlichen getrennt werden können, so daß die Kommunikation sich thematisch in einem nicht genau festlegbaren und damit diffusen Bereich bewegt. Nur vor diesem Hintergrund ist die von Bydlinski zitierte Äußerung Schelskys angemessen zu verstehen. Die Überschneidung moralischer und rechtlicher Normbereiche diagnostiziert Schelsky ausschließlich im Rahmen der erzieherischen und politischen Vernunft. 7 In demselben Zusammenhang betont er, daß gerade für die tatsächliche Rechtskommunikation, also das wirkliche Rechtsleben, aufgrund der spezifischen Rationalität die Trennung von Recht und Moral unerläßlich ist. Ganz in diesem Sinne plädiert Schelsky wiederholt für eine strikte Trennung von Recht und Moral. 8 Für ihn kann die Geltung der Gesetze nicht mehr durch einen gedanklich-ableitenden Bezug auf metajuristische Voraussetzungen gewonnen werden. 9 Schelskys eigene, genuin rechtsrealistische Position wird weiter unten im einzelnen dargestellt werden. 5 Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34-76, 72 f. 6 Ebd., S. 72. ι Ebd., S. 73. » Helmut Schelsky, Die Soziologen und das Recht, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 77-94, 79; ders., Die juridische Rationalität (FN 5), S. 50.

§ 7 Kritik der vernunftrechtlich orientierten Geltungsbestimmungen

133

Der vernunfttheoretische Rechtsbegriff, wie er vornehmlich von Dreier und Alexy vertreten wird, soll demgegenüber die Elemente des positivistischen und eines vernünftigen, das heißt richtigen Rechtsbegriffs umfassen, doch schließt dies die ordnungsgemäße Gesetztheit und die soziale Wirksamkeit nicht aus, sondern ein. Das bedeutet für diese Autoren, daß neben den Merkmalen des positiven Rechts, die auf Tatsachen abstellen, auch moralische Elemente eingebaut werden müssen.10 Inhaltlich übereinstimmend mit Dreiers Rechtsbegriff 11 ist das Recht für Alexy „ . . . ein Normensystem, das (1) Anspruch auf Richtigkeit erhebt, (2) aus der Gesamtheit der Normen besteht, die zu einer im großen und ganzen sozial wirksamen Verfassung gehören und nicht extrem ungerecht sind, sowie aus der Gesamtheit der Normen, die gemäß dieser Verfassung gesetzt sind, ein Minimum an sozialer Wirksamkeit oder Wirksamkeitschance aufweisen und nicht extrem ungerecht sind, und zu dem (3) die Prinzipien und die sonstigen normativen Argumente gehören, auf die sich die Prozedur der Rechtsanwendung stützt und /oder stützen muß, um den Anspruch auf Richtigkeit zu erfüllen" 12 .

1.,Wicked Systems' und Unrechtsargument im Lichte des Verhältnisses von Moral und Recht

Die drei Teile der Definition leitet Alexy aus dem Richtigkeits-, dem Unrechtsund dem Prinzipienargument ab. Obwohl eine juristische Definition des Rechts intendiert ist, ist ausnahmslos jedes der drei Argumente mit dem Bereich der Moral bzw. des Vernunft- und Naturrechts verknüpft. Die Begründung dieses Rechtsbegriffs stützt sich zunächst auf das Unrechtsargument. Dieses kann sich nach Alexy auf einzelne Normen oder auch auf das Rechtssystem als Ganzes beziehen.13 Im wesentlichen ist es bereits in der Radbruchschen Formel enthalten. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus änderte Radbruch seine ursprünglich positivistisch orientierte Auffassung des Rechts zugunsten einer vernunftrechtlichen, an den Grundsätzen der Moral orientierten. Danach ist der Konflikt zwischen positivem Recht und Gerechtigkeit dahin zu lösen, „daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den 9 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 5), S. 50. 10 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 1), S. 17 sowie ders., Zur Verteidigung eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs, in: Werner Krawietz / Georg Henrik von Wright (Hrsg.), Öffentliche oder private Moral? Vom Geltungsgrunde und der Legitimität des Rechts. Festschrift für Emesto Garzón Valdés, Berlin 1992, S. 85-108, 86. π Dreier, Der Begriff des Rechts (FN 1), S. 116. 12 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 201 ; neuerdings mit Grund kritisch hierzu: Eugenio Bulygin, Alexy und das Richtigkeitsargument, in: Aulis Aarnio / Stanley L. Paulson /Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechts wirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 19-24, 22 ff. 13 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 71.

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als »unrichtiges Recht4 der Gerechtigkeit zu weichen hat". 14 Nach dieser Ansicht verliert eine Norm nicht ihren Rechtscharakter, wenn sie ungerecht ist, sondern erst dann, wenn sie ein „unerträgliches Maß" erreicht und in gewisser Weise eine Schwelle übertreten hat. Dies wird von Alexy als „schwache Verbindungsthese" bezeichnet.15 Sie führe nicht zu einer Identifikation des Rechts mit der Moral, denn auch ungerechte und unmoralische Normen könnten Recht sein. Die Schwelle, von der an Normen den Rechtscharakter verlieren, sei durch minimale moralische Anforderungen markiert. 16 Für eine solche Verbindung von Recht und Moral werden im wesentlichen folgende Gründe angeführt. Selbst in einem Unrechtsstaat könne der vernunfttheoretische Rechtsbegriff gewisse Wirkungen gegen »gesetzliches Unrecht 4 entfalten. Wenn nämlich in der Rechtspraxis ein Konsens darüber bestehe, daß autoritativ gesetzte Normen minimale Anforderungen der Gerechtigkeit erfüllen müssen, stehe eine in der Rechtspraxis verankerte juristische und nicht nur moralische Argumentation dafür zur Verfügung, den Akten eines Unrechtsregimes (wicked system) Widerstand zu leisten, wobei Alexy selbst davon ausgeht, daß bei einem bereits fest etablierten Unrechtsstaat sein Rechtsbegriff nicht mehr viel bewirken kann. Vor allem soll aber mittels dieses Rechtsbegriffs dem Richter für den Fall des Zusammenbruchs einer totalitären Diktatur eine Richtlinie an die Hand gegeben werden, um zwischen gesetzlichem Unrecht und geltenden Rechtsnormen differenzieren zu können. 17 Auch verstößt nach Ansicht Alexys der von ihm vertretene Rechtsbegriff nicht gegen die Rechtssicherheit. Dies wäre nur dann der Fall, wenn man von der Prämisse ausgeht, daß jede noch so leichte Ungerechtigkeit zum Verlust der Rechtsqualität führe und schließlich jeder unter Berufung auf sein Gerechtigkeitsurteil Gesetze nicht mehr befolgen müsse. Dreier und ihm folgend Alexy vertreten somit eine schwache Verbindungsthese, nach der der Rechtscharakter erst dann beseitigt wird, wenn Normen ein „unerträgliches Maß" an Ungerechtigkeit erreicht haben. Hieraus folge die Einsicht, je extremer die Ungerechtigkeit, desto sicherer sei ihre Erkenntnis. 18 Es bestehe also ein notwendiger Zusammenhang zwischen dem sachlichen Aspekt der Ungerechtigkeit und dem erkenntnistheore-

14

Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: ders., Rechtsphilosophie, 8. Aufl., hrsg. von Erik Wolf und Hans-Peter Schneider, Stuttgart 1973, S. 339-350, 345. is Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 84. 16 Ebenso wie Alexy auch Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (FN 1), S. 129 sowie Peter Koller, Theorie des Rechts. Eine Einführung, Wien / Köln / Weimar 1992, S. 277. π Dreier, Der Begriff des Rechts (FN 1), S. 101. ι» Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 91.

§ 7 Kritik der vernunftrechtlich orientierten G e l t u n g s b e s t i m m u n g e n 1 3 5

tischen Aspekt. In diesem Sinne habe das Bundesverfassungsgericht im Staatsangehörigkeitsbeschluß festgestellt, die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz weise ein unerträgliches Maß an Ungerechtigkeit auf, und dies sei auch evident. 19 Nur in den - vielleicht gar nicht so wenigen - Fällen, in denen nicht mit völliger Sicherheit gesagt werden kann, ob eine extreme Ungerechtigkeit vorliegt, führe die „nichtpositivistische" Verbindungsthese zu einem minimalen Verlust an Rechtssicherheit, was aber ausnahmsweise um der materiellen Gerechtigkeit willen in Kauf genommen werden müsse.20 In modifizierter Form vertritt auch Martin Kriele das Unrechtsargument. 21 Er wendet es nicht auf einzelne Normen, sondern auf ganze Rechtsordnungen an. Rechtspflicht und Moralpflicht sind für ihn derart miteinander verknüpft, daß das positive Recht befolgt werden müsse, wenn es „im großen und ganzen" der Sittlichkeit genüge.22 Diese Voraussetzungen seien bei solchen Rechtsordnungen gegeben, die auf den Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaats beruhen, dagegen typischerweise nicht bei solchen in totalitären Staaten. Allerdings sollen in diesen Systemen solche Gesetze rechtliche Verbindlichkeit genießen, die nicht systemtypisch sind und die für sich betrachtet ethisch gerechtfertigt seien. Die Formel von Kriele gleicht daher der Radbruchschen weitgehend. Nur verlangt Kriele zusätzlich, daß die Rechtsqualität moralisch zweifelhafter Rechtsnormen davon abhängt, in welchem Typus von Rechtsordnung sie erlassen worden sind. Die vorgenannten Auffassungen des Rechts und seiner Geltung benutzen sämtlich das sogenannte „Unrechtsargument", um eine Verbindung zwischen Recht und Moral herzustellen. Sie sehen das Recht zwar nicht als bloßen Kernbestand der moralischen Regeln, wie es typisch für die starken Verbindungsthesen der früheren Natur- und Vernunftrechtstheorien war, sondern zielen darauf ab, ausschließlich in den Fällen auf die moralischen Normen zu rekurrieren, in denen das positive Recht „extrem ungerecht" ist und damit zu unerträglichen Ergebnissen führt. So versucht man auf diese Art und Weise andere normative Grundsätze dem positiven Recht unterzuschieben, was eine Rematerialisierung des Rechtsdenkens mitsichbringt. Dies führt bei Verstoß gegen die minimalen moralischen Anforderungen im Endeffekt zu einem Geltungsentzug und zu einer Delegitimation des positiven Rechts. Unter Berufung auf die Moral kann dann die Befolgung des positiven Rechts verweigert werden, was letztendlich im aktiven Widerstandsrecht gipfelt. 23 Dieser Standpunkt wäre akzeptabel, wenn es eine absolute Moralnorm gäbe, die als unumstößliches Gebot bzw. Verbot für jedermann erkennbar wäre. Nur lassen 19 BVerfGE 23, 98, 106. 20 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 91 f. 21 Martin Kriele, Recht und praktische Vernunft, Göttingen 1979, S. 117. 22 Ebd. 23 Krawietz, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? (FN 1), S. 220.

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

sich unmittelbar aus der Natur keine Verhaltensregeln ableiten, denn eine naturimmanente Normativität ist nicht ersichtlich. 24 Die Natur selbst reflektiert nicht über naturgemäßes bzw. naturwidriges Verhalten. Auch kann man nicht von der Prämisse ausgehen, daß bestimmte Dinge sich ihrem Wesen nach unterscheiden, also von sich aus entweder gerecht oder extrem ungerecht sind. Nach Alexy ist es jedoch eine sichere Erkenntnis, daß eine extrem ungerechte Handlung evident erkennbar sei. 25 Die Gerechtigkeit wird auf diese Weise als ein materialer, nicht disponibler Faktor bestimmt. Dabei verkennt Alexy jedoch, daß sich der Geltungsgrund allen Rechts eben nicht aus rechtsnormimmanenten moralischen Qualitäten ableiten läßt. Vom Standpunkt der wissenschaftlichen Erkenntnis ist eine inhaltlich eindeutige, apriorisch geltende Gerechtigkeitsnorm nicht erkennbar. Eine sichere Diagnose extremer Ungerechtigkeit ist auch mangels eines absoluten gesellschaftlichen Moralwertes gar nicht möglich. Es kann nicht geleugnet werden, daß zu verschiedenen Zeiten, in unterschiedlichen Kulturkreisen oder sogar innerhalb der diversen Bevölkerungsgruppen ganz heterogene Moralvorstellungen existieren. 26 Niemand vermag daher allgemeingültig zu bestimmen, was gut oder böse bzw. was gerecht oder ungerecht ist. Wie bereits Kelsen eingehend nachgewiesen hat, sind die Attribute „gut" und „böse" wie auch „gerecht" und „ungerecht" nur relativ, das heißt aus der spezifischen Perspektive einer bestimmten moralischen Anschauung zu definieren und damit sowohl für die Festlegung des Rechtsbegriffs als auch des damit verknüpften Geltungsbegriffs unbrauchbar. 27 Das sogenannte Unrechtsargument ist folglich mangels Bestimmbarkeit 24

Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Wien 1960, S. 68 f.; Theodor Geiger, Über Moral und Recht. Streitgespräch mit Uppsala, Berlin 1979, S. 169 ff.; Krawietz, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? (FN 1), S. 228 f.; ders., Risiko, Recht und normative Verantwortungsattribution in rechtsethischer Perspektive, in: Volker Gerhardt / Wemer Krawietz (Hrsg.), Recht und Natur. Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach, Berlin 1992, S. 147-187, 182 f.; ders., Moral versus Legal Responsibility? Different Motives and Models for Attributing Rights and Duties, in: ders. / Georg Henrik von Wright (Hrsg.), Öffentliche oder private Moral? Vom Geltungsgrunde und der Legitimität des Rechts. Festschrift für Emesto Garzón Valdés, Berlin 1992, S. 43-55, 50; Hoerster, Zur Verteidigung des Rechtspositivismus (FN 1), S. 2481 sowie Ogorek, Gesucht: Rechtsethik, westlicher Typ (FN 1), S. 405 f. 2 5 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 91. Vgl. dagegen zur Systemrelativität des Gerechtigkeitsbegriffs: Adalbert Podlech, Recht und Moral, in: R E C H T S T H E O R I E 3 (1972), S. 129-148, 131. 26 Vgl. hierzu Wojciech Sadurski, Moral Pluralism and Legal Neutrality, Dordrecht / Boston /London 1990, S. 7 ff., 29 ff., 55 f. und 85 f. 2 ? Kelsen, Reine Rechtslehre (FN 24), S. 65 ff. und 357-444, insbes. 403 ff. und zur Trennung von Recht und Moral bereits Immanuel Kant, Werkausgabe, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd. VIII, Die Metaphysik der Sitten, 9. Aufl., Frankfurt a. M. 1991, S. 324, 519, der das Recht als die äußeren und die Moral als die inneren Bestimmungsgründe des Handelns beschreibt. Siehe auch Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 78 f., der davon ausgeht, „daß zwar der Moral code als binärer Schematismus gesellschaftsweit derselbe ist, aber die Moralprogramme, also die Kriterien der Unterscheidung von gut und schlecht bzw. gut und böse, nicht mehr konsensfähig

§ 7 Kritik der vernunftrechtlich orientierten Geltungsbestimmungen

137

dessen, was als ungerecht zu gelten hat, weder ein überzeugender noch ein zwingender Grund, aus dem die Verbindung von Recht und Moral folgt.

2. Rechtsprinzipien, Gesetzeslücken und Autopoiese des Rechts als Ausdruck institutioneller Rationalität

Das Unrechtsargument kann und wird von den Verfechtern der Verbindungsthese im wesentlichen nur benutzt, um einen grundlegenden Zusammenhang von Moral und Recht wenn schon nicht zu begründen so doch zumindest zu postulieren und damit die Möglichkeit zu haben, moralisch verwerflichen Normierungen totalitärer Diktaturen den Rechtscharakter zu versagen. Um die Verbindung von Moral und Recht auch im Hinblick auf das geltende Recht moderner demokratischer Verfassungsstaaten annehmen zu können, benötigen sie Begründungen, die über das Unrechtsargument hinausgehen. Insoweit führen Dreier und Alexy das „Prinzipienargument" an. 28 Hierbei wird unterstellt, es gebe bestimmte Lükken im Recht bzw. einen „Offenheitsbereich" des positiven Rechts, in dessen Rahmen die Anhänger der Trennungsthese anhand nicht- oder außerrechtlicher Maßstäbe entscheiden müßten. Dieser Vorwurf trifft aber allenfalls die Vertreter eines Gesetzespositivismus, der in seiner reinen Form kaum noch befürwortet wird. Demgegenüber verweisen Alexy und Dreier auf Prinzipien, welche anders als Regeln den „Offenheitsbereich" des positiven Rechts schließen sollen. Regeln seien Normen, die bei Erfüllung des Tatbestandes eine definitive Rechtsfolge anordnen. Prinzipien hingegen seien Optimierungsgebote, also Normen, die gebieten, daß etwas im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten in einem möglichst hohen Maße realisiert werde. 29 Alexys und Dreiers Argumentation basiert auf solchen Prinzipien, die - wenn auch nicht als Optimierungsgebote etabliert - typischerweise Bestandteil moderner Rechtsordnungen bzw. Verfassungen sind. Beispielhaft werden die Prinzipien des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, wie die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), die Gleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie

sind". Im Ergebnis ebenso mit Blick auf die anglo-amerikanische Rechtsphilosophie und Rechtstheorie: M.B. E. Smith, Should Lawyers Listen to Philosophers about Legal Ethics? In: Law and Philosophy 9 (1990), S. 67-93. Zu letzterem kritisch: DavidLuban, Smith Against the Ethicists, in: ebd., S. 417-433. 28 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 118 sowie ders., Zur Verteidigung eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs (FN 10), S. 89 f.; Dreier, Der Begriff des Rechts (FN 1), S. 104 und ähnlich auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff (FN 4), S. 289 f., der von einem methodologischen Argument gegen die Trennungsthese spricht. 2 9 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 120; Dreier, Der Begriff des Rechts (FN 1), S. 104 und ebenso aus philosophischer Sicht Ludwig Siep, Naturgesetz und Rechtsgesetz, in: Volker Gerhardt / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Natur. Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach, Berlin 1992, S. 133-145, 140.

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

das Rechtstaats-, das Demokratie- und das Sozialstaatsprinzip (Art. 20, 28 Abs. 1 S. 1 GG) genannt. Mit diesen Rechtsprinzipien sollen gleichzeitig auch die Grundprinzipien des neuzeitlichen Natur- und Vernunftrechts und damit der neuzeitlichen Moral des Rechts und des Staats dem positiven Recht inkorporiert worden seien.30 Ausgehend von der Vorstellung, daß das geltende Recht und zwar jedes Rechtssystem von einer minimalen Entwicklungsstufe an notwendigerweise gewisse fundamentale moralische Prinzipien enthalte, was zunächst zu beweisen wäre, wird den rechtlichen Regeln ein ethischer Mindestgehalt zugewiesen und damit eine Verbindung von Recht und Moral als zwangsläufig angesehen. In jedem zweifelhaften Fall habe der Richter bei der Prozedur der Entscheidung und Begründung abzuwägen und die rechtlich gebotene Berücksichtigung der Prinzipien zu beachten. Andernfalls würde der Anspruch des richterlichen Urteils auf Richtigkeit unterlaufen. In zweifelhaften Rechtsfällen gehe es stets darum, eine Antwort auf eine praktische Frage zu finden, die dem vorgegebenen autoritativen Material nicht zwingend entnommen werden könne. 31 Der Richter habe zu entscheiden, was gesollt ist. Basis hierfür seien eben auch, was auf eine gleichfalls unbewiesene, höchst problematische Unterstellung hinausläuft, alle einschlägigen Prinzipien, die zu irgendeiner Moral gehörten. Damit kommt den Prinzipien nach Alexys Ansicht eine doppelte Eigenschaft zu. Einerseits seien die Prinzipien aufgrund der sogenannten „Inkorporationsthese" notwendige Bestandteile des Rechtssystems und andererseits könnten sie auch solche irgendeiner Moral sein. Prinzipien gehören demnach in der Regel zugleich zum Recht und zur Moral. Alexy zieht daraus den Schluß, der Richter entscheide, wenn er sich auf Prinzipien stützt, dem Inhalt nach aufgrund moralischer Werte, der äußeren Form nach aufgrund rechtlicher Gründe. 32 Das Regel / Prinzipienmodell des Rechts reichert Alexy um eine auf die Prozedur der Regel- und Prinzipienanwendung bezogene aktive Seite an. Diese ist für ihn - orientiert am Begriff der praktischen Vernunft - eine rationalitätssichernde Prozedur, wobei mit Prozedur nicht die institutionalisierten juristischen Verfahren gemeint sind, sondern der nicht institutionalisierte Gedanken- und Argumentationsprozeß. 33 Alexy plädiert damit im Anschluß an die Habermassche Diskurstheorie für eine prozedurale Moraltheorie, die Regeln bzw. Bedingungen rationalen praktischen Argumentierens formuliert, um wenigstens eine „relative Richtigkeit" rechtlicïiéïf Entscheidungen zu erreichen. 30 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 120. Ebenso Jürgen Habermas, Recht und Moral (Tanner Lectures 1986), in: ders., Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a. M. 1992, S. 541-599, 554. 3 1 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 127 f. 32 Ebd., S. 129. 33 Robert Alexy, Rechtssystem und praktische Vernunft, in: R E C H T S T H E O R I E 18 (1987), S. 405-419, 416 f.

§ 7 Kritik der vernunftrechtlich orientierten G e l t u n g s b e s t i m m u n g e n 1 3 9

Im folgenden ist die verschachtelte Argumentationsstruktur dieser neuen vernunftrechtlichen Position im einzelnen kritisch zu durchleuchten. Sie bringt die Gefahr mit sich, daß letztlich unter Berufung auf konstitutionelle Prinzipien einer moralorientierten Politisierung des Rechtsdenkens Vorschub geleistet wird. 3 4 Mit der Einführung des Prinzipienarguments wird der Eindruck erweckt, es werde die Rechtsethik als Schutz des positiven Rechts vor dem positiven Recht benötigt. Der Realität der Kontingenz des geltenden Rechts, dem institutionellen Faktum also, daß jede inhaltliche Rechtsregulierung auch anders hätte ausfallen können, sowie der Möglichkeit der Änderbarkeit positivrechtlicher Bestimmungen sollen durch Anwendung moralischer Argumentation - letztlich im Wege des herrschaftsfreien, vernünftigen Diskurses — Grenzen gezogen werden. Es geht mithin ja nicht um die Frage, ob es im Rechtssystem positivierte Prinzipien und Werte gibt und ob das Recht in der heutigen, komplexen Gesellschaft grundsätzlich solche grundlegenden Wertentscheidungen benötigt, welche nicht in die übliche Wenn-dann-Struktur gepreßt werden können. Dies ist aus der Sicht sämtlicher moderner Institutionen- und Systemtheorien selbstverständlich und gehört zu den Rahmenbedingungen der Erzeugung von Recht. Die rechtlich relevanten Prinzipien, Leitideen und Grundwerte sind sämtlich positives, von Menschen für Menschen gemachtes Recht. Hierzu gehört vor allem das gesetzte Verfassungs- oder Gesetzesrecht, aber auch das nicht expressis verbis, in einem formalisierten Verfahren gesetzte, sondern sonstwie eingelebte Gewohnheitsrecht. 3 5 Aus der Sicht des in der modernen Gesellschaft weitgehend formalisierten Rechtssystems ist die Verfassung letzter Geltungsgrund aller Rechtsnormen, sowohl der Konditionalprogramme als auch der grundlegenden Wertentscheidungen, wie es beispielsweise das Demokratie-, das Rechtsstaats- und das Sozialstaatsprinzip sind. 36 Aufgrund der Ausdifferenzierung der Gesellschaft ist das Recht ein gegenüber seiner Umwelt geschlossenes, weitgehend formalisiertes autopoietisches System, welches seine Elemente, aus denen es sich aufbaut, ausschließlich selbst produziert und reproduziert. Damit gehören eben - nicht bloß empirisch, sondern auch begrifflich! - andere gesellschaftliche Normen, beispielsweise religiöse oder moralische, nicht zum Rechtssystem, sondern zur Umwelt desselben.37 Es muß 34 Vgl. Sadurski, Moral Pluralism and Legal Neutrality (FN 26), insbesondere Chapter 4 sowie R. M. Hare, Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methode, sein Witz. Übersetzt von Christoph Fehige und Georg Meggle, Frankfurt a. M. 1992, S. 213 ff. 3 5 Hierzu: Werner Krawietz, Der bedrohte Konsens: An welchen Grundwerten orientiert sich die Gesellschaft? In: Edgar Lamm (Hrsg.), Frieden ohne Menschenrechte? Aspekte einer Politik für den Menschen, Aachen 1981, S. 119-147, 143 ff., 146 f. 36 Hierzu Krawietz, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? (FN 1), S. 223 und Niklas Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung. Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung, Berlin 1966, S. 52 f. 37 Vgl. bereits Rudolph von Ihering, Der Zweck im Recht, zweiter Band, Leipzig 1883, S. 52 ff., 56 f.

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

deshalb zwischen Rechtsprinzipien, Vernunft- und Moralprinzipien differenziert werden. Mittels des Prinzipienarguments versuchen Alexy und Dreier moralische Prinzipien mit dem Etikett des positiven Rechts zu versehen und verschleiern damit, daß sie dem Recht normative Vorgaben machen, die moralischer und damit außerrechtlicher Natur sind. Nach Dreier ist mit der Inkorporierung der konstitutionellen Prinzipien sichergestellt, daß „das Recht, wie es ist, dem Recht wie es sein sollte, im Falle von Vagheiten und Normenkollisionen so weit als möglich anzunähern" sei. 38 Diese wertorientierte, moralisch fundierte Charakterisierung des Rechts wird begleitet von der falschen und gefährlichen Vorstellung, man entscheide aufgrund formalen positiven Rechts, obwohl man in Wirklichkeit dem Inhalt nach auf außerrechtliche moralische Argumente rekurriert, wo es angebracht wäre, alle gesellschaftlich wirksam werdenden Faktoren aufgrund und nach Maßgabe des geltenden Rechts zu beurteilen und gegeneinander abzuwägen, um sodann verbindlich - nach wie vor im Rahmen des geltenden Rechts - zu entscheiden. Aus der Sicht des Rechtssystems bewegen sich derartige Auffassungen außerhalb der im Rechtssystem immer schon institutionell vorstrukturierten Rechtskommunikation. Dabei geht es in Wirklichkeit um rechtspolitische oder moralische Forderungen der gesellschaftlichen Umwelt des Rechts, die die reale Rechtspraxis allenfalls irritieren, aber nicht rechtsverbindlich regulieren können. 39 Indem behauptet wird, diese normativen moralischen Vorgaben seien „inkorporiert", versucht man ab extra die aktuelle Geltungslage der Rechtsprogramme zu ändern, ohne daß dies dem Rechtsanwender, der sich am formal geltenden Recht orientiert, bewußt zu werden braucht. Dieser entscheidet dann nämlich dem Inhalt nach - vielleicht ohne es zu bemerken - aufgrund moralischer Prinzipien, die in keiner Weise Bestandteil des geltenden Rechts sein können. Denn nur solche rechtsnormativen Kommunikationen, die am Code Recht / Unrecht orientiert sind, sind als Operationen des Rechtssystems anzusehen. Dagegen nicht solche, die eine moralische Bewertung positivierter Rechtsnormen intendieren bzw. als systemfremden Bestandteil implizieren. Mit der rechtlichen Positivierung von Prinzipien werden diese für die Zukunft als soziale Erwartungen rechtsgrundsätzlicher Art formuliert, mit Rechtsgeltung und Verbindlichkeit ausgestattet und als allgemeine Wertungsgrundsätze institutionell auf Dauer gestellt. 40 Aufgrund ihrer relativen Unbestimmtheit besteht vor 38 Dreier, Der Begriff des Rechts (FN 1), S. 105. 39 Vgl. hierzu: Geiger, Über Moral und Recht (FN 24), S. 169 ff.; ähnlich und für eine deskriptive, moralisch neutrale Rechtstheorie plädierend H.L.A. Hart, Harts »Concept of Law4 nach dreißig Jahren. Ein Interview mit dem Autor, von Juan Ramón de Päramo, in: R E C H T S T H E O R I E 22 (1991), S. 393-414, 402. 40 Grundlegend zum Rechtsprinzip als allgemeinem Wertungsgrundsatz schon: Werner Krawietz, Das positive Recht und seine Funktion. Kategoriale und methodologische Überlegungen zu einer funktionalen Rechtstheorie, Berlin 1967, S. 87 ff., 95 f.; ders.,

§ 7 Kritik der vernunftrechtlich orientierten Geltungsbestimmungen

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allem in der sachlichen Dimension weiterer Normierungs- und Konkretisierungsbedarf, dem das Recht in irgendeiner Weise genüge tun muß. Das Rechtssystem hilft sich insoweit selbst, indem es beispielsweise mittels historischer und insbesondere systematischer Auslegung bei Gelegenheit der juristischen Entscheidung von Einzelfällen die Bedeutung der Prinzipien rechtlich präzisiert. Die praktische juristische Argumentation bleibt aber ausschließlich rechtlich und gleitet nicht in die Moral bzw. in die „neuzeitliche Rechts- und Staatsethik" ab. 41 Der Versuch, den verfassungsrechtlichen Prinzipien moralische Inhalte zu inkorporieren, ist aber nicht nur aus rechtstheoretischen Gründen abzulehnen, sondern widerspricht auch dem geltenden Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Nach Art. 20 Abs. 3 GG, in dem es heißt, die Gesetzgebung sei an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung seien an Gesetz und Recht gebunden, ist die Trennung von Recht und anderen Normensystemen verfassungsrechtlich vorgegeben. Ein Rückgriff auf moralische Normen, wenn auch nur für Zwecke der Interpretation ist ausgeschlossen. Mit der Positivierung der Prinzipien sind sie als Rechtsprinzipien - formal, das heißt im System der Rechtsquellen betrachtet - Bestandteil des geltenden Rechts geworden. Jedoch ist hiermit kein bestimmter moralischer Inhalt vorgegeben. Dies gilt in gleichem Maße für andere Rechtsprinzipien, wie beispielsweise den ordre public im internationalen Privatrecht, auf den sich Dreier bezieht, 42 oder die guten Sitten im Zivilrecht, die - auch rechtssprachlich gesehen - als Bestandteile des geltenden Rechts anzusehen sind. Sie dürfen deshalb auch nicht - unter Nichtbeachtung der Referenz, die diesen normativen Rechtsausdrücken im Rechtssystem zugeschrieben wird - einer ab extra an sie herangetragenen, moralischen Deutung unterworfen werden, die ihren rechtsnormativen Sinn inhaltlich verändert. Sämtliche Varianten der moralphilosophischen Verbindungstheorien des Rechts verwechseln (um nicht zu sagen: vertauschen absichtsvoll!) letztlich die einschlägigen Systemreferenzen, an denen sich alles geltende Recht, das heißt alle Rechtsnormen und Rechtsprinzipien nun einmal zu orientieren haben. Da sich das Rechtssystem längst gegenüber Moral, Religion und praktischer Philosophie ausdifferenziert hat, ist eine sachlich zutreffende, auch und gerade in normativer Hinsicht sinnadäquate Beschreibung und Beobachtung des Rechts sowohl im Wege der Selbstbeobachtung durch die Rechtswissenschaft als auch im Wege der Fremdbeobachtung durch die Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft oder Soziologie nur möglich, wenn der Autonomie und Unabhängigkeit des Rechts als eines selbstreferenziellen und selbstsubstitutiven Systems Rechnung getragen wird. Hierdurch wird selbstverständlich eine auch außerhalb des Gewährt Art. 1 Abs. 1 GG dem Menschen ein Grundrecht auf Achtung und Schutz seiner Würde? In: Dieter Wilke / Harald Weber (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, München 1977, S. 245-287, 255 ff., 258 ff., 264 f.; ders., Der bedrohte Konsens: An welchen Grundwerten orientiert sich die Gesellschaft? (FN 35), S. 141 f., 144 f. 41 So aber Dreier, Der Begriff des Rechts (FN 1), S. 105. 42 Ebd., S. 113.

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

Rechtssystems geführte bzw. zu führende politische oder moralische Bewertung der Rechtsnormen oder der Rechtsordnung als ganzer nicht ausgeschlossen, nur bewegt diese sich nicht im Rahmen des Rechts und kann deshalb auch nicht per se (das heißt unter Umgehung der institutionell für Rechtserzeugung zuständigen Verfahren) als rein akademisches Gedankenprodukt allein hierdurch schon Rechtsgeltung erlangen. Das moralische Un Werturteil über eine Rechtsnorm kann allenfalls zu der Empfehlung ihrer Nichtanwendbarkeit oder ihrer Abänderung durch den Gesetzgeber führen. Dies ist jedoch keine Äußerung über den Rechtszustand, sondern lediglich eine moralische Bewertung. Gesetzt den Fall (das heißt einmal unterstellt, aber nicht zugestanden!), daß man einen notwendigen Zusammenhang zwischen Recht und irgendeiner Moral annimmt, 43 schließt sich unmittelbar die Frage an, wessen Moral relevant bzw. maßgeblich ist. Bei dieser Fragestellung setzt Schelskys Kritik der natur- und vernunftrechtlich geprägten Theorien an, indem er exemplarisch die unter Rechtsphilosophen verbreitete Ideenlehre Gustav Radbruchs herausgreift und kritisch analysiert. Nach dieser hat das Recht den Sinn, dem Rechts wert, der Rechtsidee zu dienen, wobei als Idee des Rechts keine andere als die der Gerechtigkeit in Betracht komme. 44 Die hiervon ausgehende Rangordnung der Wertideen, nämlich Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit, dient für Schelsky nur der Bewußtseinsbefriedigung. 45 Die Ideenlehre bringe sehr unterschiedliche Phänomene der juridischen und politischen Wirklichkeit auf einen Nenner. Dies geschehe aufgrund des institutionell rechtsfremden Bedürnisses nach „Sinn-Vereinheitlichung innerhalb der Bewußtseinsphilosophie" vor allem seit dem 19. Jahrhundert. „Dieses spezifisch philosophische Bedürfnis schafft überhaupt erst die Probleme, indem es die institutionelle Verfahrens-Rationalität der juridischen Institutionen vor ein anderes Vernünftigkeits-Tribunal zieht", um sie dann vermeintlich zu lösen, „ohne daß dabei ein institutionell-praktischer Rationalitätsgewinn herausspringt". Für Schelsky ist es eine gesicherte Einsicht, daß die Vernünftigkeit und die Geltung von Gesetzen nicht mehr durch einen gedanklich-ableitenden Bezug auf meta-juristische Voraussetzungen wie Naturrecht oder Natur der Sache gewonnen werden können. 46 Ebenso hinfällig seien für die juridischen Instanzen und deren Rationalität philosophisch-abstrahierte Ideen und Wertvorstellungen. 47 Die Orientierung an diesen moralisch-ethischen Ideen bzw. Werten und Prinzipien

43 Wie es Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 127 vorschlägt. 44 Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 8. Aufl., hrsg. von Erik Wolf und HansPeter Schneider, Stuttgart 1973, S. 119 f. und 164 ff. 45 Dazu und zum folgenden: Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 5), S. 50 f. 46 Helmut Schelsky, Nutzen und Gefahren der sozialwissenschaftlichen Ausbildung von Juristen, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 196-214, 197. 47 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 5), S. 50.

§ 7 Kritik der vernunftrechtlich orientierten G e l t u n g s b e s t i m m u n g e n 1 4 3

birgt die Gefahr in sich, diese mit nicht hinreichend bestimmten absoluten Gerechtigkeitsvorstellungen zu verknüpfen und diese sodann dem geltenden Recht unterzuschieben. 48 Mangels einer apriorischen Existenz dieser Ideen ist es vom Boden der vernunftrechtlichen Positionen aus kaum möglich, befriedigende Antworten auf Schelskys kritische Fragen zu liefern, welche er wie folgt artikuliert: „Wer setzt den Wert »absolut4 und wie geschieht das? Wie bringen die Verwalter des ,positiven Rechts4 und der »Gesetzgeber' diese ungeklärte »Absolutheit1 in ihre juridische Tätigkeit ein?" 49 Schelsky sieht die Gefahr, daß mittels der Prinzipien nur scheinbare Maßstäbe angeführt werden, anhand derer bei juristischen Entscheidungen subjektive Glaubens- und Überzeugungsauslegungen gerechtfertigt werden können. 50 In praxi könnten unter Berufung auf die angeblich moralischen Inhalte der Ideen bzw. Prinzipien positivierte Rechtsnormen umgangen oder sogar außer Geltung gesetzt werden, wobei der betreffende Entscheider sich an seinen eigenen moralischen Vorstellungen orientiert. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, daß die Moral Vorstellungen eines einzelnen bzw. bestimmter Gruppen gegenüber der institutionalisierten juridischen Rationalität vorzuziehen sind. Gerade die juridische Rationalität erzielt in ihren Institutionen optimale Wirksamkeit und hat nach Schelsky stets den Vorrang vor politischen oder gar religiösen, moralischen Gesellschafts- und Staats Vorstellungen.51 Stellt man die Frage nach der moralischen Richtigkeit des Rechts statt nach der Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht, so werden der Differenz Recht / Unrecht außerrechtliche Argumente untergeschoben und zu einem „Abstraktionsbrei" der ZweckIdeen und Prinzipien verrührt. 52 Eine Öffnung des Rechts für eine Beeinflussung durch metajuridische Überzeugungen, politische Glaubensvorstellungen usw., die in der Bevölkerung und im organisierten Gemeinwesen vertreten werden, führt dazu, daß das Recht von dort her in den Dienst der jeweiligen metajuridischen Absichten gestellt werde. 53 Mit anderen Worten, das Recht entscheidet letztlich nicht mehr selbst über die Klärung grundlegender Fragen, vor allem die Auslegung bestimmter rechtlicher Prinzipien, sondern überläßt dies der Ethik und der Politik. In diesem Fall wäre das Recht gezwungen, in einem weiteren Schritt die entsprechenden Antworten als außerrechtliche Vorgaben zu inkorporieren. Das ist der Weg, den die Habermassche Diskurstheorie und diejenige seiner Anhänger einschlagen, um das Recht zugunsten von Politik als Moral auszublenden, wie Schelsky treffend formuliert, und was seiner Ansicht nach zu einer Sozialphilosophie des Sein-sollenden führt, in der der Wirkungsbereich des 48

Krawietz, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? (FN 1), S. 221. 9 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 5), S. 50. so Ebd. S. 50 f. 51 Ebd., S. 51. 52 Ebd. 53 Ebd.

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

Rechts nicht mehr voll anerkannt wird. 5 4 Durch die zielgebende Formel von der „herrschaftsfreien Kommunikation" wird jede Institution und damit jede institutionelle Rationalität in ihrem normativen Geltungsanspruch von vornherein in Frage gestellt, wenn nicht gar verworfen. Der Diskurs selber sei keine Institution, sondern eine Gegeninstitution schlechthin.55 Abgelehnt wird damit von Habermas eine argumentative Auseinandersetzung, die unter Entscheidungs- und Handlungszwang steht, wie es bei der Justiz und der parlamentarischen Demokratie und ihrer Gesetzgebung der Fall ist. Nach Schelsky ist einer Rationalität, die sich nur als Reflexion des einzelnen, subjektiven Bewußtseins auf die Wahrheit und das Gute und damit auf das „Vernünftige" schlechthin begreift, die juridische Rationalität fremd, die bestimmten zwingenden Verfahrensformen folgt und ihren „Konsens" nicht in einer schließlich allen gemeinsamen „Erkenntnis als Wahrheit" oder als „moralisches Urteil" findet. 56 Denn Ziel des juridischen Argumentationsverfahrens sei das zu fällende praktische Urteil, das heißt eine „Handlungsentscheidung mit autoritativem Charakter gegenüber den Widerstrebenden". Habermas hingegen versuche mit der Betonung der herrschafts- und institutionsfreien Kommunikation „die eigentliche menschenwürdige Grundlage einer »wahren Gesellschaft 4, einer vernünftigen 4 Politik, eines schlechthin vorrangig Sein-sollenden" anzustreben. 57 Für Schelsky bedeutet dies die „Auflösung des Rechts in Wahrheitssuche44. 5 8 Diese antiinstitutionelle Gegenposition verwirft mit der angeblichen Verteidigung der Subjektivität des Individuums schlechthin jede Objektivierung, jedes Festmachen an der institutionellen Rationalität. 59 Habermas' Plädoyer für herrschaftsfreie Beziehungen erfolgt ohne Rücksicht auf die Verteidigungsmöglichkeiten der individuellen Selbstbestimmung, die das Recht gewährt. Im Anschluß an Rudolf von Ihering hebt Schelsky die Bedeutung des 54 Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 8), S. 86 ff., 88. Vgl. auch Krawietz, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? (FN 1), S. 221. 55 Jürgen Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie? Eine Auseinandersetzung mit Niklas Luhmann, in: ders. / Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie-Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt a.M. 1971, S. 142290, 201. Vgl. neuerdings zwar mit konkreterem Bezug zum Rechtssystem, aber unter Beibehaltung der wesentlichen inhaltlichen Positionen: ders., Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a. M. 1992, insbesondere S. 272 ff. Vgl. auch: ders., Law as Medium and Law as Institution, in: Gunther Teubner (Ed.), Dilemmas of Law in the Welfare State, Berlin / New York 1986, S. 203-220, 212, der hier den Institutionenbegriff im Sinne seiner kritischen Theorie für grundlegende Rechtsprinzipien und -regeln verwendet, die - nach seiner antiinstitutionellen Grundhaltung - einer außerrechtlichen Geltungsrechtfertigung bedürfen. 56 Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 8), S. 88. 57 Ebd.; vgl. hierzu auch ähnlich kritisch gegenüber Habermas Ernst Vollrath, Jürgen Habermas' fundamentalistischer Fehlschluß, in: Der Staat 22 (1983), S. 406-414, 408 f. 58 Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 8), S. 88; vgl. auch ders., Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, ungekürzte Taschenbuchausgabe München 1977, S. 169. 59 Vgl. Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 8), S. 87.

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Rechts für den einzelnen hervor, sich gegenüber herrschaftlicher institutioneller Macht - nicht zuletzt im institutionell garantierten Kampf ums Recht - mittels seiner Rechte zu behaupten.60 Ein effektiver Schutz des Individuums und seiner subjektiven Rechte ist außerhalb des Rechtssystems und der etablierten Institutionen gar nicht möglich. Hierbei ist das Rechtssystem weder darauf angewiesen, außerrechtliche Moralnormen zu berücksichtigen, noch diese bzw. deren Inhalte zu inkorporieren. 61 Rechtliche Prinzipien sind sowohl ihrer Form als auch ihrem Inhalt nach positiviertes Recht. Auch bestimmt das Recht die Inhalte seiner normativen Strukturen ausschließlich selbst, gleichgültig, ob diese die Form von Konditionalprogrammen, prinzipiellen Festlegungen und allgemeinen Wertungsgrundsätzen oder Zweckvorgaben annehmen. Das von Alexy demgegenüber angeführte Argument, es gebe in jedem Rechtssystem Rechtslücken bzw. einen Offenheitsbereich des positiven Rechts, der nur durch Inkorporation außerrechtlicher, vor allem moralischer, Maßstäbe geschlossen werden könne, 62 erscheint nicht stichhaltig. Es mag zwar sein (und ist in der Tat oft zu beobachten), daß Rechtsnormen notwendigerweise wegen der - nicht erst seit Hart geläufigen - „Porosität" normativer Rechtsstrukturen sich in inhaltlicher (sachlicher, zeitlicher, sozialer) Hinsicht als nicht hinreichend bestimmt erweisen; auch mag dies jeden Rechtsanwender vor ein Problem stellen, weil sie insoweit an einem normativen / faktischen Prämissenmangel leiden. Es fragt sich jedoch, ob man schon allein deswegen der verbreiteten, rechtstheoretisch aber sehr problematischen Façon de parier folgen sollte, der sich auch Alexy - unseres Erachtens allzu unkritisch! - anschließt, wenn er von „Rechtslükken" redet. Bei aller Ambiguität rechtssprachlicher Ausdrücke erscheint es zumindest prekär, mit Blick auf das gesamte Rechtssystem von Rechtslücken zu sprechen. Zumindest ist hier - formal, das heißt bezogen auf das System der Rechtsquellen - zwischen Lücken im Gesetz (intra bzw. praeter legem) und Lücken im Recht, also in der mehr oder weniger formalisierten Rechtsordnung oder gar im gesamten, unter Entscheidungszwang operierenden Rechtssystem zu differenzieren. Für eine normativ-realistische Betrachtungsweise, die alles Recht als normative Struktur von Gesellschaft begreift, ist die überkommene, bloß konventionelle Annahme von ,Rechtslücken4 (und die mit ihr korrespondierende Vorstellung eines ,rechtsfreien Raums1) unhaltbar. Da jedes Rechtssystem autoreferenziell

60 Rudolf von Ihering, Der Kampf ums Recht, in: ders., Der Kampf ums Recht. Ausgewählte Schriften mit einer Einleitung von Gustav Radbruch, hrsg. von Christian Rusche, Nürnberg 1965, S. 195-274, 221, 233, 237; Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 8), S. 87 und ders., Das Ihering-Modell des sozialen Wandels durch Recht. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Beitrag, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 147-186, 170 f. 61 Vgl. auch Robert S. Summers, Instrumentalism and American Legal Theory, Ithaca / London 1982, S. 176-190. 62 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (FN 2), S. 118 f. 10 Werner

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

operiert und insofern, formal betrachtet, autopoietisch geschlossen fungiert derart, daß im Rahmen der bereits etablierten Rechtsordnung fortlaufend rechtliche Operationen (ζ. B. der Verwaltung oder Justiz) an rechtliche Operationen (ζ. B. der Gesetzgebung) prozedural anschließen, wobei sie sich an der allen Operationen zugrunde liegenden Codierung rechtmäßig / rechtswidrig orientieren, kann es - normentheoretisch gesehen - wirkliche Lücken im Recht gar nicht geben. Zwar können die Gesetzesprogramme im Wege der Vorwegentscheidung nicht sämtliche möglichen Fälle erfassen. Jedoch sind im Rechtssystem institutionelle Vorkehrungen dafür getroffen, daß die vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelten Fälle sogleich rechtsnormativ entschieden werden können. Es ist somit durchaus möglich, daß die Kodifikationen bzw. einzelne Gesetze - cum grano salis verstanden - Gesetzeslücken aufweisen können. Dies führt jedoch nicht zu Lücken im Recht in dem Sinne, daß keinerlei normative Gesichtspunkte zur rechtlichen Beurteilung des Falles bereitstünden, bzw. zu einem Offenheitsbereich des Rechts. Das Rechtssystem ist - gemessen an den jeweiligen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsquellen - normativ geschlossen, aber kognitiv offen für die Beurteilung von faktischen Informationen, die ihm aus der sozialen Umwelt des Rechtssystems zugehen. Alexys Vorschlag löst das angebliche „Lükkenproblem" nicht, sondern verlagert es nur in den Bereich der Moral bzw. Rechtspolitik. Ganz offensichtlich wird von Alexy die längst obsolet gewordene begriffliche Unterscheidung von Rechtslücken nur dazu benutzt, um einem hier gar nicht angebrachten, rechtlich unzulässigen moralphilosophischen Räsonnement Tür und Tor zu öffnen. Diese Camouflage kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die von ihm postulierten, aber gar nicht nachgewiesenen »Lücken1 bzw. »Offenheitsbereiche' im Recht nur als petitio principii fungieren und dazu dienen, eine moralische Problembehandlung zu erschleichen, wo eine genuin rechtliche vonnöten ist. Ebensowenig wie das Recht kann irgendeine Moral sämtliche Einzelfälle vorwegentscheiden. Die Zukunft ist sowohl für das Recht als auch für die Moral unbekannt. Auch insoweit kann der Rückgriff auf die Moral nur in eine Sackgasse führen. Das Recht muß vielmehr in der Lage sein, mit der gegenwärtigen Zukunft adäquat umzugehen, das heißt, es wird verlangt, gerade in hochkomplexen Regelungsbereichen, wie etwa dem Umweltschutz sowie der modernen naturwissenschaftlichen Forschung, Prognosen über mögliche Entwicklungen anzustellen und dementsprechende rechtliche Vorgaben bzw. Reaktionsmöglichkeiten festzusetzen und institutionell auf Dauer zu stellen. Aufgrund der Prognoseunsicherheiten können die gesetzlichen Programme nicht unverändert beibehalten werden, sondern sie sind den zukünftigen wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen. Alexys Lückenargument beruht ferner auf einer verkürzten, unzutreffenden Charakterisierung der heutigen staatlich oder zwischen- bzw. überstaatlich organisierten Rechtssysteme. Es wird übersehen, daß das Recht selbst Vorkehrungen geschaffen hat, die einen Rückgriff auf andere normative Ordnungen nicht nur verbieten, sondern auch als obsolet erscheinen lassen. Hervorzuheben ist in

§ 8 Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts

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diesem Zusammenhang das bereits erwähnte, in allen modernen Rechtsordnungen institutionalisierte Verbot der Justizverweigerung. Da das Rechtssystem Universalkompetenz für alle Probleme in Anspruch nimmt, die sich im Rahmen der Differenz Recht / Unrecht behandeln lassen, bedarf es auch einer institutionellen Vorsorge, die es ermöglicht, daß das Rechtssystem in jedem Einzelfall entscheidungsfähig ist und bleibt. Zu diesem Zweck hält das Rechtssystem die unterschiedlichsten Gerichtsorganisationen sowie spezifische Verfahrensweisen bereit, in denen jede mögliche Rechtsfrage geklärt werden kann. 63 Komplementäres Erfordernis hierzu ist das Verbot der Justizverweigerung. 64 Dem Richter ist es nicht freigestellt, bei Problemen der Normgewinnung im Einzelfalle die Entscheidung abzulehnen, so daß mit Hilfe dieses Verbots die laufende normative Konkretisierung (und Fortschreibung) der bereits vorhandenen normativen Rechtsbestände gewährleistet wird. Im übrigen ist das Rechtssystem kognitiv offen. Es muß also Anregungen aus seiner Umwelt, beispielsweise aus der Wirtschaft, der Biologie oder Medizin, aufgreifen und normativ umsetzen. Charakteristisch für diese Umweltoffenheit ist, daß soziale Anliegen von außen an die Gerichte herangebracht werden können, die vom Rechtssystem anhand des Codes Recht / Unrecht entschieden werden sollen. Aufgrund dieser Umweltanstöße werden rechtsinterne Operationen und letztlich juristische Entscheidungen ausgelöst, die aber im Rahmen der normativen und autopoietischen Geschlossenheit des Rechtssystems erfolgen. Das Recht selegiert selbst die fallentscheidene Norm im Anschluß an die vorhandenen rechtsnormativen Prämissen. Das bedeutet, daß der Richter im Einzelfall eine Entscheidung zu treffen hat, die nur an der Differenz Recht / Unrecht orientiert sein darf und nicht an einer ab extra an das Recht herangetragenen Moral. Auch ein Rückgriff auf eine ,innere4 Moral bzw. einen ,minimalen' moralischen Inhalt der Rechtsnormen, der als solcher gleichermaßen nicht existiert, erscheint daher ausgeschlossen.

§ 8 Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts in normativistischer, Institutionen- und systemtheoretischer Perspektive 1. Reduktionismus der normativistischen Stammbaumtheorien des Rechts

Da der Rechtsbegriff und damit auch die Geltung der Rechtsnormen unabhängig von der Vielzahl der in einer multikulturellen Gesellschaft herrschenden, durchaus heterogenen Moralvorstellungen bestimmt werden muß, stellt sich im 63 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 5), S. 36 f. 64 Niklas Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: 21 (1990), S. 459-473, 467. 1*

RECHTSTHEORIE

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

Anschluß daran die Frage, welche sonstigen Kriterien für die Bestimmung der Geltungslage des Rechts maßgebend sind. Aus juristischer Perspektive bedeutet dies regelmäßig, handhabbare Prämissen ausfindig zu machen, die eine Entscheidung darüber ermöglichen, ob eine einzelne Rechtsnorm in einer tatsächlich wirksamen Rechtsordnung als geltend oder als nicht geltend zu behandeln ist. Genau genommen enthält diese Fragestellung drei Problembereiche, die in Theorie und Praxis gleichermaßen unterschieden werden müssen. Erstens ist zu fragen, ob die einschlägige Rechtsordnung als ganze gilt. Regelmäßig wirft diese Fragestellung keine besonderen Schwierigkeiten auf, was zu einer weitgehenden, aber nicht berechtigten Ausblendung dieser Thematik führt. Welche Bedeutung dieser Problematik ausnahmsweise zukommen kann, zeigt die gegenwärtige Schwierigkeit hinsichtlich der Frage der Geltung bzw. Weitergeltung des DDR-Rechts in Strafverfahren gegen Repräsentanten der untergegangenen DDR sowie in Rechtsstreitigkeiten um enteignete Grundstücke, um nur zwei Beispiele zu nennen. Zweitens ist zu prüfen, ob eine Rechtsnorm - im Sinne einer generellen Norm - gilt, und schließlich drittens, ob die generelle Norm auch für den konkret zu beurteilenden Einzelfall gilt, das heißt welche individuelle Norm verbindlich ist. Eine simplifizierende Antwort auf diese Fragen geben vor allem die Theorien, die vornehmlich auf die normative Geltung als solche1 oder die verfassungsmäßige Geltung 2 abstellen. Hierzu sind insbesondere die reinen Stammbaumtheorien zu rechnen, die die Frage nach dem geltenden Recht als bloßes Erkenntnisproblem ansehen und meinen, die Geltung einer Rechtsnorm sei unbedingt davon abhängig, daß sie sich von einer höherrangigen Norm ableiten lasse.3 Die Geltung der einzelnen Rechtsnormen wird hier also nur durch die „Abstammung", das heißt die Entstehung einer Rechtsnorm wird nur aufgrund schon geltender Rechtsnormen beurteilt und begründet. Eine Rechtsnorm gilt nur unter der Voraussetzung, daß sie den in einer höheren Norm oder in mehreren höheren Normen enthaltenen Kriterien über die Geltung niederer Normen entspricht. Die normative Geltung basiert demnach auf einem oder mehreren bzw. auf einer Kette von Deduktionsschlüssen aus einer oder auch mehreren Normen, die Geltungskriterien enthalten und in logisch aufgebauten Schlußfolgerungen als Obersätze fungieren. 4 Die Deduktion, die der Beurteilung eines konkreten Verhaltens dient, erfordert neben ι Vgl. hierzu Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6., neubearbeitete Aufl., Berlin/Heidelberg/New York/London u. a. 1991, S. 195 ff. sowie Walter Ott, Der Rechtspositivismus. Kritische Würdigung auf der Grundlage eines juristischen Pragmatismus, 2., überarbeitete und erweiterte Aufl., Berlin 1992, S. 22 f. 2 Rupert Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, Berlin / Heidelberg / New York 1966, S. 64 f. 3 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Wien 1960, S. 228 ff.; ders., Allgemeine Theorie der Normen, im Auftrag des Hans-Kelsen-Instituts herausgegeben von Kurt Ringhofer und Robert Walter, Wien 1979, S. 203-215, insbes. 205 ff. 4 Klaus F. Röhl, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit, in: Juristenzeitung 26 (1971), S. 576-580, 577 und Ott, Der Rechtspositivismus (FN 1), S. 22 f.

§ 8 Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts

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dem Obersatz ein Tatsachenurteil als Untersatz. Die Geltung einer Norm setzt also hiemach voraus, daß sie mittels eines logischen Verfahrens aus den übergeordneten Normen abgeleitet werden kann.5 Regelmäßig unterscheiden die Vertreter eines normativistisch verengten Geltungsbegriffs die juristische von der faktischen Geltung mit der Konsequenz, daß die Jurisprudenz sich ausschließlich mit der erstgenannten Form der Geltung zu beschäftigen habe.6 Denn Aussagen über die Geltung sowie über den Inhalt von Rechtsnormen seien keine Aussagen über wahrnehmbare, der Beobachtung zugängliche Fakten. Es bestehe ein eklatanter Unterschied zwischen normativer und faktischer Geltung, denn das „Sollen" lasse sich in der Sprache des „Faktischen" nicht wiedergeben, da durch das „Sollen" eine eigene Sinnsphäre konstituiert werde. 7 Dagegen sei es Aufgabe der Sozialwissenschaften, sich vornehmlich mit dem Faktischen zu beschäftigen, also mit der Frage, was geschieht bzw. was geschehen wird. Konsequent weiter gedacht, bedeutet dies, den Beobachtungsgegenstand der Sozialwissenschaften auf bloße Verhaltensweisen zu reduzieren, ohne daß die Relevanz normativen und vor allem rechtsnormativen Sinns für die Steuerung sozialen Handelns und die Koordination verschiedener Handlungsweisen Berücksichtigung finden könnte. Aber gerade die modernen Institutionen- und systemtheoretischen Forschungen belegen die untrennbare Verknüpfung von Strukturen und Prozessen, insbesondere von Rechtsnormen und Rechtsaktivitäten.8 Diese normentheoretischen Untersuchungen zeigen, daß die strikte Zweiteilung des Forschungsgegenstandes - Verhalten im Rahmen der reinen Sozialwissenschaften und Rechtsnormen im Rahmen der reinen Jurisprudenz - jeweils zu einer reduktionistischen Betrachtung führt. In Bezug auf die Rechtswissenschaften äußert sich der Reduktionismus darin, daß die Normen als eigenständige Entitäten 5 Näher hierzu: Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (FN 3), S. 203 ff. 6 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (FN 1 ), S. 196. Für eine weitergehende, differenzierte Geltungsbestimmung aus rechtspositivistischer Perspektive, die aber das tatsächliche Rechtsgeschehen nicht außer acht läßt, Norbert Hoerster, „Wirksamkeit", „Geltung" und „Gültigkeit" von Normen, in: Dorothea Mayer-Maly / Peter M. Simons (Hrsg.), Das Naturrechtsdenken heute und morgen. Gedächtnisschrift für René Marcie, Berlin 1983, S. 585-596. Vgl. auch Peter Wissmann, Rechtsnorm und reale Geltung, Diss. iur. Köln 1967. 7 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (FN 1), S. 199 sowie Adalbert Podlech, Wertungen und Werte im Recht, in: Archiv des öffentlichen Rechts 95 (1970), S. 185-223,195. Vgl. mchRobert Walter, Wirksamkeit und Geltung, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht XI (1961), S. 531-541, 532. s Helmut Schelsky, Die Soziologen und das Recht, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 77-94,78 f.; ders., Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: ebd., S. 95-146, 122 f. und Werner Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? Geltungsgrundlagen normativer Kommunikation im Bereich des Rechts, in: Werner Hoppe / Werner Krawietz / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium, Köln/Berlin/ Bonn/München 1992, S. 455-519, 468 f.

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

behandelt werden. Die Abstraktion von jeglichem operativem Handlungsbezug verstellt den Blick auf das Recht als eines sich in ständiger Entwicklung befindlichen Kommunikationssystems, in dem unter Rückgriff auf die bestehende Geltungslage fortlaufend operative Änderungen durch Ingeltungsetzen neuer Rechtsnormen - sowohl genereller als auch individueller - stattfinden. Die völlige Ausblendung der faktischen Geltung kann bei einer rechtsrealistischen Betrachtung nicht zufriedenstellen. Die Beschränkung auf die normativistische Geltung ist nur im Rahmen einer rein syllogistischen Semantik möglich und verständlich, versagt aber schon dann, wenn man die pragmatische Dimension der rechtssprachlichen Wort- und Begriffsverwendungen in die Geltungsproblematik einbezieht.

2. Geltung und institutionelles Dasein der Rechtsordnung

Aus den obigen Gründen macht Weinberger die Geltung der Rechtsordnung in einer Gesellschaft davon abhängig, daß ihr institutionelles Dasein zukommt. 9 Das Normensystem müsse Bestandteil institutioneller Tatsachen sein. Eine reale Rechtsordnung oder ein geltendes Rechtssystem beruhen für Weinberger auf der Verbindung der Normen mit beobachtbaren Tatsachen. Zu derartigen geltungsbegründenden Tatsachen seien das Normbewußtsein, das faktische Dasein der der Rechtsordnung entsprechenden Einrichtungen sowie die prinzipielle Anerkennung zu rechnen. Diese Geltungskonzeption bezieht im Gegensatz zu den rein normativistischen Geltungstheorien das tatsächliche Rechtsgeschehen mit ein, um zu zeigen, daß das Recht auf der einen Seite eine soziale Tatsache und gleichzeitig ein System normativer Gedankeninhalte ist. 10 Nur durch die Verbindung mit beobachtbaren Tatsachen sei die Rechtsordnung real und damit ein geltendes Rechtssystem.11 Die Hervorhebung der essentiellen Bedeutung der institutionellen Fakten als Voraussetzung der Geltung einer Rechtsordnung bedeutet, daß die Geltungsfrage sich nicht in einer normativistischen, auf logische Deduktionen beschränkten 9 Ota Weinberger, Norm und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts, Wien 1988, S. 131 f. Vgl. auch ders., Ontologie, Hermeneutik und der Begriff des geltenden Rechts, in: Csaba Varga / Ota Weinberger (Hrsg.), Rechtsgeltung. Ergebnisse des Ungarisch-Österreichischen Symposiums der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie 1985, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 27, Stuttgart 1986, S. 109-126, 115 f. 10 Weinberger, Norm und Institution (FN 9), S. 131. Im Ergebnis ähnlich H. J. Hommes, Sein und Sollen im Erfahrungsbereich des Rechts. Rechtsgeltung und Rechtswerte, in: Sein und Sollen im Erfahrungsbereich des Rechts. Vorträge des Weltkongresses für Rechts- und Sozialphilosophie, Mailand - Gardone Riviera, 9. IX.-13. IX. 1967. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) von Peter Schneider, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 6, Wiesbaden 1970, S. 155-185, 178 f. H Weinberger, Norm und Institution (FN 9), S. 132. Vgl. auch ders., The Theory of Legal Dynamics Reconsidered, in: Ratio Juris 4 (1991), S. 18-35, 30.

§ 8 Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts

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Problemstellung erschöpft, sondern daß die Geltung anhand des tatsächlichen Rechtsgeschehens zu beurteilen ist. Aus diesem Grunde identifiziert Weinberger die Geltung der Rechtsordnung mit ihrer Realität. Ein darüber hinausgehender Erklärungswert kommt dem Geltungsbegriff insoweit nicht zu. Diese Identifikation von Geltung und Realität ist aber nur aus der Perspektive einer normativistischen Auffassung sinnvoll, die aus der überkommenen Vorstellung resultiert, die Rechtsordnung könne - losgelöst von den Handlungen - als ein Komplex von Idealentitäten im Rahmen einer neben der Seinswelt bestehenden Sollenswelt erkannt werden. Nur unter Beibehaltung dieser Dichotomie macht die Gleichsetzung der Attribute real und geltend einen Sinn. Nicht geltende Normen wären demzufolge nicht real. Demgegenüber ist - aus rechtsrealistischer Perspektive betrachtet - jede Rechtsordnung, da sie aus einer Vielzahl rechtlicher Kommunikationen besteht, insoweit real, unabhängig davon, ob sie gilt oder nicht gilt. Real sind auch gegenwärtig vergangene und gegenwärtig zukünftige Rechtsordnungen, soweit sie in Form von Rechtskommunikationen noch / schon existieren. In diesem Sinne ist alles Recht eine erfahrbare soziale Tatsache, ob es nun gilt oder nicht. 12 Das Rechtssystem besteht eben nicht aus zwei verschiedenen, von einander hermetisch abgeschlossenen Bereichen, nämlich einerseits aus einem Normenkomplex als System normativer Gedankeninhalte und andererseits aus Handlungen als realen Entitäten. Rechtsnormen werden zwar in der Regel durch sprachlich formulierte Sätze symbolisch präsent gehalten und expliziert. 13 Dadurch werden sie jedoch nicht, wie oben dargelegt, zu Idealentitäten und auch nicht, gleichsam automatisch, zu Begriffen, die vermöge ein und desselben Wortlauts in allen konkreten Situationen einen identisch durchgehaltenen normativen Sinn vermitteln. Da sich das Rechtssystem, wie gezeigt, nur aus den realen Rechtskommunikationen konstituiert, bringt die Gleichsetzung von geltendem mit realem Recht keinen neuen Informationswert mit sich - abgesehen von der zu erhebenden, selbstverständlich relevanten Information, ob eine Rechtsnorm schon, noch oder nicht mehr gilt. Recht ist stets ein Phänomen der sozialen Realität oder, anders formuliert, ein normativ wirksames, institutionelles Faktum. Geltung ist somit eine besondere Eigenschaft bestimmter, realiter ablaufender rechtsnormativer Kommunikationen. Zur Bestimmung des Geltungsbegriffs wird im folgenden bei 12 Grundlegend hierzu: Karl Ο live er ο na, Law as Fact, Kopenhagen / London 1939, S. 127. Ebenso der deutsche Rechtsrealismus: Schelsky, Die Soziologen und das Recht (FN 8), S. 77 f.; Werner Krawietz, Welche Methode lehrt die juristische Methodenlehre? In: Juristische Schulung 10 (1970), S. 425-432, 432 und ders., Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. Eine Untersuchung zum Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung, Wien/New York 1978, S. 139. 13 Vgl. hierzu Stanley L. Paulson, Neue Grundlagen für einen Begriff der Rechtsgeltung, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie LXV (1979), S. 1 -19, der mit Blick auf die vom Gesetzgeber verkündeten Rechtssätze von einer „Geltungsvermutung" ausgeht, ebd., S. 14 ff.

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den rechtstheoretischen und -soziologischen Arbeiten Max Webers angesetzt, die für Schelskys Institutionentheorie des Rechts von grundlegender Bedeutung sind.

3. Akzeptanz von oder faktische Orientierung an rechtsnormativen Erwartungen

Ausgehend von der Einsicht, daß eine rechtsdogmatische Betrachtungsweise, die sich mit der ideellen Geltung, also lediglich mit der Bedeutung bzw. mit dem normativen Sinn sprachlicher Gebilde beschäftigt, der gesellschaftlichen Rechtswirklichkeit nicht gerecht wird, geht Weber von einem faktischen Geltungsbegriff aus. Dieser ist eingebettet in eine Theorie der tatsächlichen Zusammenhänge allen gesellschaftlichen Handelns in den unterschiedlichen Sozialsystemen. Die Rechtsordnung ist für Weber nicht ein „Kosmos logisch als »richtig4 erschließbarer Normen". 14 Vielmehr ist sie ein Komplex faktischer Bestimmungsgründe realen sozialen Handelns im Sinne genuin normativer, sozialer Verhaltenserwartungen. 1 5 Sozial etablierte Verhaltenserwartungen, die eine bestimmte Ordnung bilden, geben den Beteiligten die Möglichkeit, ihr Verhalten an ihnen wie an einer Richtschnur zu orientieren und auszurichten. Die Chance, daß dies tatsächlich geschieht, wird von Weber als „Geltung" der jeweiligen Ordnung bezeichnet.16 Die empirische Geltung einer Ordnung bestehe in der objektiven Begründetheit der Durchschnittserwartungen. Die Ordnung gelte, da die tatsächliche Orientierung an bestimmten normativen Erwartungen deshalb erfolge, weil sie für das Handeln als verbindlich angesehen werde. Im Vordergrund steht für Weber die Orientiertheit des Handelns an einer Ordnung. Hierzu rechnet er nicht nur die Befolgung im Sinne normkonformen Verhaltens, sondern durchaus auch abweichendes Verhalten; denn im Falle der Verletzung bzw. des Verstoßes gegen eine Norm richtet der Handelnde sein Verhalten regelmäßig an der Norm aus, sei es auch nur, um die Normübertretung gegenüber potentiellen Zeugen, der Polizei oder allgemein dem Rechtsstab zu verheimlichen. 17 Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, wie Krawietz mit Grund hervorhebt, daß es „nicht allein um die Orientierung an der normsatzförmig fixierten Rechtsvorschrift, sondern zugleich auch um die Orientierung an den 14

Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. revidierte Aufl., mit textkritischen Erläuterungen hrsg. von Johannes Winckelmann, 1. Halbband, Tübingen 1976, S. 181. Ebenso Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34-76, 54. 15 Hierzu Max Weber, Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Aufl., Tübingen 1951, S. 427-474, 441 ff., insbesondere S. 444. 16 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 14), S. 16. π Ebd.

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normkonformen, mit der Befolgung der Rechtsnormen einhergehenden Verhaltensweisen der Normadressaten" geht, 18 also der Rechtsgenossen und des Rechtsstabs, die kommunikativ an die generellen Gesetzesnormen anknüpfen und diese damit als geltend und wirksam bestätigen und reproduzieren. „Orientierung" bedeutet aber keine gesellschaftliche Anerkennung der Rechtsnormen. Zwar wird vor allem in den Konsenstheorien die Geltung des Rechts von einer tatsächlichen Anerkennung der Rechtsgenossen abhängig gemacht.19 Hierbei wird jedoch übersehen, daß gemeinsame, inhaltlich wirklich übereinstimmende Überzeugungen, selbst wenn diese bloß im großen und ganzen verlangt werden, in komplexen sozialen Gemeinschaften faktisch nicht erreichbar sind, da jedermann nur über eine äußerst begrenzte Aufnahmekapazität und eine dementsprechend enge Kapazität für bewußte normative Problemverarbeitung verfügt, die nicht jeder strukturellen Veränderung Aufmerksamkeit schenken kann. Ferner geht es im vorliegenden Zusammenhang auch nicht um eine besondere Form der Akzeptanz im Sinne von Anerkennungsfähigkeit oder Annehmbarkeit, die nach Dreier und Alexy ein bzw. das wesentliche Element der Rechtsgeltung ausmachen soll und nach der die Anerkennung an das Vorliegen materialer Kriterien der Richtigkeit geknüpft wird. Falls ein Rechtssystem nicht ein Minimum an ethischer Rechtfertigung bzw. Rechtfertigungsfähigkeit aufweise, wird ihm nach dieser Auffassung die Anerkennungsfähigkeit versagt. 20 Daß eine solche Vermengung ethischer und rechtlicher Anforderungen den tatsächlichen Verhältnissen in modernen Rechtsstaaten nicht gerecht wird, ist oben bereits eingehend belegt worden. Die Orientierung an Erwartungen, wie Weber sie versteht, dient nach der hier vertretenen Auffassung der normativen / faktischen Anschlußfähigkeit, nämlich der Verknüpfung von normativen Kommunikationen in Institutionen und sozialen Systemen, so daß die Möglichkeit besteht, auf bereits institutionalisierte Muster und Regeln zurückzugreifen, wodurch soziales Handeln in komplexen Gemeinschaften überhaupt erst ermöglicht und sodann auch erleichtert wird. Die konsensabhängige, zustimmungsbedürftige Ingeltungsetzung bestimmter rechtsnormati18 Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? (FN 8), S. 468; ders., Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm? Konzeptionen und Begriff des Rechts in der modernen Rechtstheorie, in: Ota Weinberger / Werner Krawietz (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, Wien /New York 1988, S. 315-369, 332. 19 Vgl. beispielsweise Hans Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, 2., durchgearbeitete und erweiterte Aufl., Einsiedeln / Zürich / Köln 1948, S. 21 \Hans Welzel, An den Grenzen des Rechts. Die Frage nach der Rechtsgeltung, Köln / Opladen 1966, S. 10 ff. und 30. Femer neuerdings Ulf rid Neumann, Theorien der Rechtsgeltung, in: Volkmar Gessner / Winfried Hassemer (Hrsg.), Gegenkultur und Recht, Baden-Baden 1985, S. 21-41, 40 f. 20 Ralf Dreier, Der Begriff des Rechts, in: ders., Recht - Staat - Vernunft. Studien zur Rechtstheorie 2, Frankfurt a. M. 1991, S. 95-119, 103 und Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, Freiburg / München 1992, S. 141 f.

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ver Erwartungen ist allenfalls in kleinen überschaubaren Rechtsgemeinschaften problemlos zu bewerkstelligen. In modernen Verfassungsstaaten hingegen ist es nahezu unmöglich, aktuellen faktischen Konsens herzustellen. Aus diesem Grunde wird bei steigender Komplexität der Gesellschaft faktischer Konsens mehr oder weniger fingiert. Es ist praktisch kaum mehr möglich, den Konsens Dritter für bestimmte Erwartungen zu erwarten. Als Ausweg aus der Diskrepanz von sozialer Komplexität einerseits und einfacheren Formen gesellschaftlicher Institutionalisierung werden spezielle, von den Motivationen und Willensvorstellungen der einzelnen unabhängige Mechanismen rechtlicher Normierung bereitgestellt. In der heutigen Gesellschaft wird die faktische Geltung durch formalisierte Verfahren auf den unterschiedlichen Organisationsstufen herbeigeführt, worauf auch Weber hinweist. 21 Die normative Ingeltungsetzung wird unabhängig vom aktuellen Konsens der Beteiligten und erlangt den Charakter einer faktischen und zugleich formalen Geltung.

4. Geltung als Ergebnis institutioneller, systemisch geführter Entscheidungsprozesse

Die Faktizität der Rechtsgeltung beruht darauf, daß sie stets von realen Operationen und normativen Entscheidungen abhängig ist. Ihre Formalität folgt aus bestimmten tatsächlichen Verfahren, die den konkreten normierenden Dispositionen und Verfügungen vorausgehen. Nach Weber wird dem modernen Recht legitime Geltung von den Handelnden durch positive Setzung zugeschrieben, wobei an die Legalität der Positivierung geglaubt wird. 2 2 Wenn Weber von dem Legalitätsglauben spricht, verläßt er nicht den sozialwissenschaftlichen Level und wechselt nicht auf eine psychologische Beobachtungsebene,23 sondern meint die tatsächliche „Fügsamkeit" gegenüber formal korrekt und in der üblichen Form zustandegekommenen rechtsnormativen Regelungen, das heißt die Regelbefolgung seitens der Adressaten bzw. Rechtsgenossen im allgemeinen. Das Webersche Geltungskonzept, welches an formalisierte Verfahren anknüpft, nimmt damit bereits den zentralen Gedanken vorweg, den Luhmann in seinem vielbeachteten Werk „Legitimation durch Verfahren" 24 aufgegriffen und ausgearbeitet hat. Die Rechtsgeltung ist nicht nur unabhängig von konsensueller Vereinbarung, sondern auch losgelöst von allen metaphysischen Ableitungen - gleichgültig, ob naturoder vernunftrechtlicher Spielart - sowie von logisierten Deduktionen, auf die aus rechtspositivistischer Sicht so gern abgestellt wird. Im folgenden werden die Konsequenzen beschrieben, die sich aus dieser rechtsrealistischen Geltungsbe21 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 14), 2. Halbband, S. 441, 503 ff. 22 Hierzu und zum folgenden Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 14), S. 19, 122 ff., 181 f. 23 Vgl. hierzu auch ebd., S. 183. 24 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1989.

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Stimmung ergeben sowohl hinsichtlich der Geltung des ausdifferenzierten Rechtssystems als ganzem (einschließlich seiner vielfältigen Teil- und Organisationssysteme) als auch im Hinblick auf die Geltung einzelner Rechtsnormen und Rechtsregeln. Für Max Weber wie auch für Helmut Schelsky bildet die Geltung eines politisch-rechtlichen Systems die Grundlage für die Herrschaft des Staates.25 Die Geltung einer Rechtsordnung zeigt sich unter anderem auch in der Kanalisierung der Macht. Institutionelle Regelbildung ersetzt andauernde Kämpfe um die Machtausübung. Die institutionalisierte Rechtsordnung bestimmt, wie Herrschaftsgewalten besetzt und verteilt werden. 26 Die Regierenden sind nicht gezwungen, ihre Macht ständig gegenüber potentiellen Gegnern behaupten zu müssen. Das Recht legalisiert und parzelliert die Machtausübung, indem es Herrschaft als Mittel der Entscheidungsfindung organisatorisch distribuiert. Erst ein Rechtssystem mit kompetenzmäßig autorisierter, institutionalisierter Herrschaftsausübung schafft durch rechtliche Entscheidungen auf allen Organisationsebenen einen weitgehenden Interessenausgleich zwischen Herrschenden und Beherrschten. Die rechtliche Ordnung ermöglicht zugleich die institutionelle Stabilität in der Zeit und deren normative Vereinbarkeit mit rechtlichen Änderungen und sozialem Wandel. Das Gelten einer Rechtsordnung zeigt sich nach Schelsky darin, daß an die Stelle des Kampfes um die Macht der „Kampf ums Recht" innerhalb der Institutionen tritt. 27 Im Unterschied zu Max Weber mißt Schelsky der Frage nach den Zwecken der Herrschaft, insbesondere der politischen Herrschaft des modernen Staates erhebliche Bedeutung zu. Aufgrund der Vielzahl der ganz heterogenen Zwecke, die staatlich organisierte Rechtssysteme verfolgen, ist es einerseits nicht möglich, sämtliche Zwecksetzungen bei einer wissenschaftlichen Beschreibung politisch-rechtlicher Ordnungen zu berücksichtigen. Andererseits ist aber eine funktionale Unterscheidung zwischen den diversen Institutionen zu beobachten. Die „Ungleichheit und Differenzierung der Grundaufträge und damit der Leitideen der verschiedenen politischen Institutionen macht eine der Arbeitsteilung entsprechende funktionale Herrschaftsteilung deutlich". 28 Aufgrund geschichtlicher Analysen und der Beobachtung moderner Rechtsstaaten diagnostiziert Schelsky folgende Grundfunktionen oder Leitideen staatlich organisierter Rechtssysteme: 1. Herstellung von Frieden und Rechtssicherheit; 2. Gewährleistung einer kollektiven Daseinsvorsorge und 3. Sicherung der Freiheit des Individuums. Diese drei Staatszwecke beruhen aufeinander und lassen sich nur in der angegebenen Reihenfolge verwirklichen. Ein Rechtssystem, wel25 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 14), S. 124 f. und Helmut Schelsky, Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, München 1977, S. 22, 33. 26 Schelsky, Die Arbeit tun die anderen (FN 25), S. 33. 27 Ebd. 28 Ebd., S. 36.

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

ches nicht an diesen Zielen orientiert ist, hat keine Chance zu bestehen. Eine Herrschaftsordnung kann zwar eine gewisse Zeit unter Mißachtung dieser grundlegenden Ziele - vor allem des dritten - bestehen. Aber auf Dauer hat ein politisches System, welches die Freiheit des Individuums rechtlich nicht gewährleistet, obwohl dies angesichts der historischen Entwicklung in diesem System tatsächlich möglich wäre, keine Aussicht auf eine stabile Entwicklung und Fortbestand, wie der Zusammenbruch der sozialistischen Rechts- und Staatsordnungen eindrucksvoll gezeigt hat. Die Geltung einer Rechtsordnung ist - jedenfalls in den modernen, staatlich organisierten Rechtssystemen - daher davon abhängig, daß die politische und rechtliche Argumentation diese grundlegenden Interessen gebührend in Rechnung stellt. Schelskys realistische Herrschaftsanalyse macht darüber hinaus deutlich, daß eine staatliche Ordnung in irgend einer Weise dem Prinzip der „balance of powers" genügen muß. Im Wege einer Arbeits- und Funktionsteilung wird die staatliche Gewalt in der Regel auf verschiedene Institutionen und Organisationen übertragen. Eine funktionierende Ordnung zeichnet sich dadurch aus, daß die Machtausübung sich nicht auf die Herrschenden beschränkt, sondern daß die Macht möglichst vielseitig verteilt wird, um soziale Prozesse der Wechselwirkung zu erzeugen, die sich gegenseitig beeinflussen, anregen und kontrollieren. 29 Die Erfüllung von Sachaufgaben der Gesellschaft ist nach Möglichkeit auf die Beherrschten und ihre Institutionen zu übertragen. Der Grundsatz der Gewaltenteilung soll in das gesamtgellschaftliche Leben verlängert werden, so daß „autonome", von der unmittelbaren staatlichen Herrschaftsgewalt weisungsfreie Institutionen und Organisationen, beispielsweise in Wirtschaft und Kultur, soziale Aufgaben wahrnehmen. Letztlich obliegt es aber dem Recht als dem alle Herrschaftsgewalten verbindenden Kommunikations- und Herrschaftsmittel, die ausdifferenzierte Machtausübung normativ zu kontrollieren und zu steuern. Mit Blick auf die einzelnen Rechtsnormen geht Schelsky von einer formalen und faktischen Geltung aus. Institutionalisierungsleistungen werden in der heutigen ausdifferenzierten Gesellschaft mittels der juridischen Verfahrensformalität erbracht. 30 Die Komplexität dieser Verfahren hat sich im Laufe der gesellschaftlichen Evolution enorm gesteigert und zwar analog der sozialen Veränderung von tribalen über stratifikatorische Gesellschaften bis hin zur funktional differenzierten Weltgesellschaft. Über das Prinzip der „Gegenseitigkeit auf Dauer" und die Zusatzstabilisierung durch einen „übermächtigen Dritten", der zunächst in einer sehr allgemeinen Form als „die anderen", dann als „ Z e u g e " und schließlich als „Publizität" auftritt, entwickelt Schelsky aus der Reziprozität von Sozialbeziehungen das „ Z e r e m o niell" als den Ursprung der Institutionen. Hierin liege die Wurzel der Formalität 29 Ebd., S. 43 f. 30 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 14), S. 48 f.

§ 8 Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts

157

des Rechts. 31 Der „Dritte" verliert die Eigenschaft eines nur passiven Adressaten und wird „zum aktiven Garanten und zur sanktionierenden Kraft für die Aufrechterhaltung der gegenseitigen Verpflichtung". 32 Diese Drittinstanz war zunächst der Clan, die Familie, der Stamm, in der modernen Gesellschaft der Staat und andere gesellschaftliche Institutionen. Durch die Einführung zeremoniellhafter formaler Verfahren werden gleichzeitig juridische Rollen institutionalisiert. Die diversen sozial etablierten, im Verfahren auch organisatorisch miteinander verknüpften Rollen - wie beispielsweise Staatsanwalt, Rechtsanwalt, Richter im Strafverfahren - bilden das entscheidende Charakteristikum rechtlicher Verfahren. Schelsky bringt die juridische Formalität zum Ausdruck, indem er ganz eindeutig zwischen dem institutionellen Rollenspiel und den sozialstrukturell im Verfahren verankerten Rollenkonflikten einerseits und der rechtssprachlich geregelten - auch auf der begrifflichen Ebene hiervon zu unterscheidenden - rechtlichen Argumentationsebene andererseits differenziert. 33 In der Tat ist die juridische Rationalität im Verfahren vor Gericht auch beim Richter „kein individuellsolitärer kognitiver Akt", sondern sie entsteht „in einem bewußt nach Regeln veranstalteten Rollenkonflikt juridischer Institutionen". Die individuellen kognitiven Vorstellungen, Motivationen, Grundsätze und Ideen der einzelnen beteiligten Rollenträger haben zwar Argumentationsfunktion und setzen insoweit eine sekundäre, spezifische Hilfsdienste leistende Rationalität und „begrifflich-geregelte Argumentationsebene" voraus. Zur juridischen Rationalität erstarkt diese jedoch „erst in dem Augenblick, wo sie unter institutionellem Führungszwang die Ebene der Argumentation abschließend überwindet". 34 Insofern bringen Rollenspiel und Rollenkonflikt in der Rechtskommunikation ein „primär voluntatives Ergebnis hervor", das heißt eine „Entscheidung imperativer und sanktionsfähiger Art". Diese spezifische Differenz zeigt sich auch in einem Rationalitätsgefälle, das zwischen der institutionalisierten Rechtspraxis und dem diese Rechtspraxis analysierenden Wissenschaftler besteht. Die in institutionalisierten Verfahren gewonnenen Bestimmungen des sozialen Handlungsfortgangs, die dem Frieden und der Rechtssicherheit dienen, seien von höherer Rationalität als das bloß subjektiv Allgemeine, wie es sich dem einzelnen darstellen mag. Förmliche Verfahren und die Verfahrensgesetze enthalten nach Schelsky die juridische Rationalität sehr viel „konzentrierter als alle sozial-materiellen Rechtsinhalte".35 Die funktionale und soziale Bedeutung der „Formalität" als prozessualer Methode gehört nach Schelsky zu den allgemeinsten Grundeinsichten und zum Kern der juridischen Rationalität. 31 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 8), S. 131. 3 2 Ebd. 33 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 14), S. 41. 34 Ebd. 35 Helmut Schelsky, Nutzen und Gefahren der sozialwissenschaftlichen Ausbildung von Juristen, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 196-214, 203 f.

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

Hierauf aufbauend kommt Schelsky zu dem Ergebnis, daß der formale Entscheidungsprozeß der Hauptgrund der Geltung von Normen bzw. Gesetzen sei. Hingegen beruht die Geltung nicht auf irgendwelchen argumentativen Deduktionen von vorausgesetzten Naturrechtsnormen, von einem ideellen Gerechtigkeitspostulat oder einer „Natur der Sache".36 Die Geltung der Gesetze, Urteile und der verwaltungsbehördlichen Entscheidungen basiert auf der juridischen Rationalität, die - wie unten noch näher zu zeigen sein wird - von Schelsky mit der griffigen Formel „Rationalität als Verfahren" bestimmt wird.

5. Verbindlichkeit der Rechtsnormen und Einzelfallentscheidung

Offen geblieben ist hierbei jedoch die Frage, ob sich die formale Geltung ausschließlich auf den Normsatz bzw. die Ingeltungsetzung der Wortnorm bezieht oder auch auf die subsistente Norm. Des weiteren ist ungeklärt, wie sich das Verhältnis von Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit darstellt. Im Zeitpunkt der Entstehung eines neu zu beurteilenden Lebensverhältnisses bzw. eines neuen konkreten Tatbestandes liegt die vom Richter erst zu produzierende, als individuell-konkrete, mit Blick auf die vorliegenden Fakten des Einzelfalls auszusprechende Norm noch nicht vor. Anknüpfungspunkt für den Entscheider ist die durch formale, genuin juridische Verfahren erlassene Wortnorm bzw. der Normsatz. Hierdurch wird es möglich festzustellen, welche Normen bzw. Normsätze formal gelten. Die formale Geltung ist jedoch nicht allein Ausfluß der staatlichen Gesetzgebungsverfahren und beschränkt sich nicht auf die gesetzlichen Wortnormen. Sämtliche rechtsnormativen Operationen bzw. Verfügungen 37 - hier verstanden als mehr oder weniger formalisierte rechtsetzende Aktivitäten - führen zur formalen Geltung der durch sie ausgesprochenen rechtlichen Erwartungen, wobei es nicht entscheidend darauf ankommt, ob die Normierung dem Gesetzgeber, dem Rechtsstab im allgemeinen, öffentlichen oder privaten Organisationen oder sogar beliebigen Personen zuzurechnen ist, sofern nur überhaupt - gesehen aus der Perspektive der Rechtsquellenlehre - ein formaler Bezug zum geltenden Recht gewahrt wird. Jede durch konkrete Entscheidung im Einzelfall geschaffene Norm gilt formal, soweit sie durch Verfahren in dem nach Regeln vorgegebenen institutionellen Zusammenspiel bzw. Gegeneinanderwirken im Vorgang der Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung erzeugt worden ist. 38 Schelsky meint hier das förmliche „Zusammen- und Entgegenwirken von Amtspersonen mit ungleichen, aufeinander bezogenen Aufträgen oder Funktionen" im Rahmen 36 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 14), S. 48. 37 Diesen Begriff benutzt neuerdings Niklas Luhmann, Die Geltung des Rechts, in: R E C H T S T H E O R I E 22 (1991), S. 273-286, 282 ff., um Operationen zu bezeichnen, die im Unterschied zu Argumentationen die Geltungslage verändern. 38 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 14), S. 38 und 48 f.

§ 8 Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts

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institutionalisierter Vorgänge. Grundlegend für den Gerichtsprozeß ist die DreiÄmter-Struktur. Im Strafprozeß wird sie durch die Rollen des Staatsanwalts, des Verteidigers und des Richters ausgefüllt, im Zivil- und Verwaltungsprozeß durch die zweier gegnerischer Anwälte und die des Richters. 39 Durch diese arbeitsteilig organisierten Handlungsprozesse wird in formaler Art und Weise die justizielle Urteilsfindung und Entscheidung ausgehandelt. Das Recht muß also stets positiv gesetzt werden, weil es nicht möglich ist, „richtiges" Recht aufgrund praktischer, bloß kognitiver Erkenntnis zu gewinnen. 40 Nur vermöge der Formalität und Positivität des Rechts ist es möglich, die vom Rechtssystem selbst geforderte Rechtssicherheit herzustellen und zu gewährleisten.41 Zwar ist alles Recht grundsätzlich kontingent. Die formale Ingeltungsetzung von Rechtsnormen bedeutet aber eine sich selbst auferlegte Beschränkung des Normsetzers. 42 Indem einer Rechtsnorm bis auf weiteres formale Geltung zugeschrieben wird, verzichtet man auf die Möglichkeit einer andersartigen Regulierung und schafft damit Orientierungs- bzw. Rechtssicherheit. Für Schelsky müssen sich Rechtsnormen insoweit „institutionell ,operationalisieren' lassen".43 Dies setzt aber voraus, daß die Geltung, die beispielsweise Rechtsnormen im Gesetzgebungsverfahren verliehen wird, in der Rechtskommunikation durch hieran anschließende juristische Entscheidungsprozesse bis hin zur richterlichen Fallentscheidung auch auf individuell-konkrete Rechtsnormen erstreckt und letzten Endes mit Rechtskraft 44 versehen werden kann. Zudem weist er auf die Wirkungen der selbstgewählten Bindung des Normierens hin. Beispielsweise entspricht es der rechtspolitischen Praxis in demokratischen Rechtsstaaten, daß bei einem Wechsel der regierenden Parteien die neuen Regierungsparteien die Gesetze, die sie als Opposition bekämpft haben, nicht wieder aufheben, weil sie dann ihre eigene Gesetzgebung auf Dauer gefährden würden. 39 Ebd., S. 36. Vgl. hierzu auch schon Alf Ross, Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis. Zugleich Prolegomena zu einer Kritik der Rechtswissenschaft, Kopenhagen / Leipzig 1933, S. 19 f. und 429 ff. Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 14), S. 52. Siehe auch Robert S. Summers, The Formal Character of Law, in: The Cambridge Law Journal 51 (1992), S. 242-262. 42 Diesen entscheidenden Gesichtspunkt läßt Teubner in seiner Beschreibung des Rechts als eines Hyperzyklus weitgehend unberücksichtigt. Er betont zu einseitig die selbstreferenziellen Systemveränderungen: Gunther Teubner, Recht als autopoietisches System, Frankfurt a. M. 1989, S. 36 ff., insbes. 53 ff. Ähnlich auch Karl-Heinz Ladeur, Perspektiven einer post-modemen Rechtstheorie. Zur Auseinandersetzung mit N. Luhmanns Konzept der „Einheit des Rechtssystems", in: R E C H T S T H E O R I E 16 (1985), S. 383427, insbesondere 422 ff. Vgl. demgegenüber: Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? (FN 8), S. 462 ff., 467 ff. 43 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 14), S. 52. 44 Vgl. hierzu bereits die Ausführungen von Adolf M er kl, Zum Problem der Rechtskraft in Justiz und Verwaltung, in: Hans Klecatsky / René Marcié / Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Ausgewählte Schriften von Hans Kelsen, Adolf Julius Merkl und Alfred Verdross, Bd. 2, Wien / Frankfurt / Zürich / Salzburg / München 1968, S. 1203-1214, insbesondere 1205. 40

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

Das Problem der Rechtssicherheit ist damit - im Rahmen der nachpositivistischen Institutionen- und Systemtheorie des Rechts - theoriebautechnisch als Folgeproblem der Kontingenz- und Geltungsfragen einzuordnen. In Abgrenzung zu Radbruch 45 vertritt Schelsky - im Anschluß an Bentham - die Auffassung, die Gewährleistung der Rechtssicherheit sei eine wesentliche Aufgabe des formalen Rechts. Sowohl für den einzelnen als auch für organisierte Sozialsysteme leistet das Recht „Lebens- und Planungszuverlässigkeit". 46 Indem geltende Normen auf diese oder ähnliche Weise als nicht kontingent behandelt werden, wird das Phänomen der Kontingenz für den Zeitraum der Geltung ausgeblendet. Formale Rechtsgeltung ist somit - Institutionen- und systemtheoretisch betrachtet - ein institutionell gewährleisteter, bis auf weiteres verfügter Kontingenzausschluß. Das Rechtssystem kann jedoch das, was gilt, auch wieder ändern, indem es Normen in den dafür vorgesehenen Verfahren die Geltung entzieht (Derogation) und sie damit aus dem Status der Geltung in den Status der Nichtgeltung transformiert. Die formale Geltungslage wird jedoch nicht nur durch Entscheidungen des Gesetzgebers und der Gerichte geändert, sondern in weitem Maße auch und gerade durch das Abschließen von Verträgen, die Gründung von Korporationen oder durch einseitig-verbindliche Erklärungen, wie z. B. das Errichten von Testamenten. Wesentlich ist jedoch hierbei, daß es sich in allen Fällen um - auch und gerade formal betrachtet - rechtswirksame Entscheidungen handeln muß, also solche, die die Geltungslage ändern, denn Geltung ermöglicht und bewirkt die Anschlußfähigkeit im Rechtssystem. Im Vollzug der Autopoiese des Rechtssystems durch formale (im Wege der Selbstformalisierung entstandene und ausgezeichnete) Operationen findet mit der Produktion und Geltungserstreckung der alten Rechtsnormen auf immer neue normative Verhaltenserwartungen zugleich eine Affirmation und Reproduktion der bislang mit Rechtsgeltung ausgestatteten alten, aber fortgeltenden normativen Erwartungen statt. Reine Fakten lösen keine Rechtsfolgen aus. Zwar werden in Rechtstexten die Rechtsfolgen regelmäßig vom Eintreten bestimmter Fakten abhängig gemacht. Aber die Änderung der Rechtslage erfordert stets noch eine rechtskommunikative, die Rechtsfolge festlegende Bezugnahme. Es ist, realistisch betrachtet, eine bloße juristische Fiktion und Simplifikation, wenn von Gesetzes wegen bestimmt wird, daß mit dem Tode des Erblassers jemand automatisch Erbe wird. Solange weder der Erbe noch sonst jemand den Erbfall thematisiert, ändert sich im Rechtssystem nichts. Erst wenn durch rechtskommunikative Feststellung des konkreten Erbfalls, insbesondere durch Erteilung eines Erbscheins, jemand als Erbe bezeichnet wird, kann von der wirklichen, ex tunc wirkenden Änderung im Sinne der obigen Rechtslage ausgegangen werden. Somit wird selbstverständlich nicht geleugnet, daß die 45

Gustav Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 2. Aufl., Göttingen 1959, S. 30 f. 4

6 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 14), S. 53.

§ 8 Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts

161

Rechte und Pflichten des Erblassers dem Erben rückwirkend auf den Todeszeitpunkt attribuiert werden können. Die Änderung der Geltungslage hat Schelsky im Rahmen seiner Untersuchungen zum bewußten Zweckhandeln ausgearbeitet, das - im Unterschied zu den Formen institutioneller Entlastung - die Rechtslage durch Rechtsgestaltungen und Rechtshandlungen modifiziert. 47 Recht ist für ihn die stets bewußte Regelung und Gestaltung sozialer Beziehungen durch freies und bewußtes Zweckhandeln.48 Institutionelle Muster, Sitten, Konventionen treten aus dem Reaktionsbereich unbewußter „Hintergrundserfüllung" in den Fokus des bewußten Zweckhandelns und werden für den Fall, daß sie thematisiert werden, zu autopoietischen Operationen und damit zu rechtsnormativen Kommunikationen. Schelskys Augenmerk ist nicht, wie dies in den älteren Institutionentheorien überwiegend der Fall war, in erster Linie auf die geltenden, das heißt bereits sozial etablierten institutionalisierten Regeln mit deren Entlastungsfunktion für das soziale Zusammenleben gerichtet, sondern vor allem auf die planende und normierende Funktion des Rechts für die Gestaltung der gesellschaftlichen Zukunft im allgemeinen und der institutionellen Zukunft im besonderen. Sein gesamtes rechtstheoretisches und rechtssoziologisches Werk abstrahiert von den überkommenen Theorieansätzen, um unterschiedliche Perspektiven in den Blick .zu nehmen, die es ermöglichen, die Bedingungen und Voraussetzungen eines sozialen Wandels mit Mitteln des Rechts aufgrund und nach Maßgabe der bewährten institutionellen Muster und Regeln zu analysieren und zu beschreiben. Bezogen auf die Geltungsproblematik rechtlicher Normierungen aller Art haben Schelskys institutionentheoretische Überlegungen folgende Konsequenzen: Die Geltungslage wird vor allem verändert durch das Inkrafttreten neuer Gesetze, das Aufheben gesetzlicher Regelungen durch das Bundesverfassungsgericht, das Festlegen der Fallnorm in gerichtlichen Entscheidungsverfahren sowie die rechtsetzenden Aktivitäten sämtlicher Rechtsadressaten. Diese regelsetzenden Aktivitäten knüpfen an die institutionalisierten rechtlichen Vorgaben an, um diesen durch zweckgerichtetes normierendes Entscheiden der jeweiligen Akteure neue, kongruent generalisierte Erwartungen hinzuzufügen. Das bloß regelgeleitete, an den etablierten institutionellen Mustern orientierte Verhalten bringt kaum Veränderungen der rechtsnormativen Erwartungen mit sich. Regelbefolgendes bzw. regelorientiertes Verhalten ist hingegen in besonderem Maße relevant für das Fortbestehen der Geltungslage und damit Ausdruck der Wirksamkeit der rechtlichen Regelungen. Auch dem institutionell gesteuerten Verhalten kommt also eine nicht zu unterschätzende Funktion zu. Gerade dieses regelorientierte Verhalten schafft die institutionelle Stabilität in allen Arten sozialer Systeme, ohne die

47

Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 8), S. 123. 4 8 Ebd., S. 122. 11 Werner

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

der gesellschaftlichen Entwicklung auf Dauer die Basis fehlen würde. Eine rechtsrealistische Behandlung der Geltungsproblematik darf die Unterscheidung zwischen generellen und individuellen Normen nicht ignorieren. Die Geltung sowohl der generellen als auch der individuellen Rechtsnorm beruht auf positiver Setzung in formalen Entscheidungsverfahren. Insbesondere für die generelle Rechtsnorm stellt sich aber das Problem der substantiellen Geltungsfrage, nämlich danach, „was" faktisch gilt. 4 9 Denn dem Programmcharakter der Wortnorm kann nicht unmittelbar die subsistente Norm entnommen werden. Da die gesetzlichen Wortnormen nur Programmcharakter haben,50 kann die subsistente Norm erst durch konkrete Entscheidungen gestaltet werden. Als Beobachter kann man zwar formal in Geltung gesetzte Rechtsnormen als solche identifizieren. Es ist aber nicht möglich vorherzubestimmen, für welche Einzelfälle sie tatsächlich verbindlich sind. Eine rechtswissenschaftliche Inhaltsanalyse der geltenden Normsätze ermöglicht für sich allein keine Aussage über die Wirkungschance der Normprogramme und kann die tatsächlichen Norminhalte nicht abschließend beschreiben, da diese nicht anhand des Programmtexts zu erkennen sind. Die gesetzlichen Wortnormen sind lediglich Anhaltspunkte, an die im Einzelfall anzuknüpfen ist. Sicherlich ist es möglich, aufgrund der Rechtssätze Prognosen über künftige Rechtsentscheidungen anzustellen. Aber der Erfolg einer solchen Prognose wird um so wahrscheinlicher, je mehr Anwendungsfälle, die kommunikativ auf die angesprochenen Wortnormen Bezug nehmen, in die Analyse einbezogen werden. Gerade Schelsky hat herausgestellt, daß die konkreten Fälle oder Tatbestände nicht ex ante einem fest abgegrenzten Bedeutungsumfang des Normsatzes zugeordnet werden können, sondern im Wege der speziellen juridischen Verfahren auf den unterschiedlichsten Systemebenen entschieden werden müssen.51 Erst die auf diese Weise ausgehandelte Fallnorm gibt zuverlässig Aufschluß über den Geltungsumfang der Rechtsnorm. Der normativ kommunizierte Sinn wird also erst ex post durch konkrete Fallentscheidungen produziert. Die tatsächlichen Fallnormen stellen sich als Rekonstruktion und Fortschreibung der der Verhaltensorientierung dienenden Aktionsnormen dar, deren substantieller Geltungsumfang damit im Fluß der laufenden Rechtskommunikationen fortwährend ausdifferenziert und im Wege der Geltungserstreckung auf immer neue Fallkonstellationen ausgedehnt wird. Das bedeutet, daß die Geltungsfrage je nach Systemreferenz unterschiedlich zu beurteilen ist. Jedes soziale System, welches rechtliche Regelungen trifft, muß die Frage entscheiden, welches die relevanten geltenden Rechtsnormen sind. In der Regel wird die Geltungsfrage nicht ausdrücklich thematisiert. 4

9 Hierzu und zum folgenden siehe Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 4. Aufl., durchgesehen und herausgegeben von Manfred Rehbinder, Berlin 1987, S. 206 f. 50 Oskar Bülow, Gesetz und Richteramt (1885), in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976, S. 107-135, 108. 51 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 14), S. 47.

§ 8 Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts

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Vielmehr wird durch Auswahl einer bestimmten Regelung eine inzidente Geltungsfestlegung getroffen, da die Bezugnahme auf nicht geltende Normsätze von vornherein nicht Bestandteil der Rechtskommunikation ist. Gerade weil die Normselektionen unter Beachtung der Systemreferenzen im jeweiligen sozialen Situationskontext in den unterschiedlichen sozialen Systemen neu konstruiert bzw. rekonstruiert werden müssen, kann erst in jedem Einzelfall eine verbindliche Regelung getroffen werden. Als Verbindlichkeit wird hier die soziale rechtsnormative Sinnfestlegung im Einzelfalle verstanden. Bis zur Fallnormentscheidung - verstanden als formalisierte Normselektion im Einzelfall - können unterschiedliche Normkonstrukte bzw. Normsuppositionen miteinander konkurrieren, die aus verschiedenen Beobachterperspektiven die Rechtskommunikation beeinflussen. Erst mit der Selektion der Fallnorm entsteht eine individuell-konkrete Aktionsnorm, die das verbindliche Verhalten festlegt. Verbindlichkeit bezieht sich daher immer auf die Selektion der Rechtsnorm im Einzelfall. Die rechtliche Verbindlichkeit der Rechtsnorm, die durch ihre formale Geltung unterstützt wird, ist unabhängig von individuellen Motivationsstrukturen. Sie beruht auf einer weitgehend formalisierten Sinnselektion, die indifferent ist gegenüber der Zustimmung oder Ablehnung einzelner Normadressaten. Sind Verbindlichkeitsansprüche demnach auf Einzelfälle bezogen, so geht es bei der Frage nach der Wirksamkeit von Rechtsnormen darum, Aussagen über den sozialen Wirkungsgrad der Normen zu machen. Es geht mithin um das Problem, in welchem Maße das Verhalten tatsächlich an der Norm orientiert wird. Die Wirksamkeit einer Rechtsnorm setzt voraus, daß Einzelfallentscheidungen sich überhaupt an der Norm orientieren, das heißt, wirklich auf sie Bezug nehmen. In der Rechtskommunikation werden rechtsnormative Sinnselektionen miteinander verkettet oder gekoppelt. 52 Die sozialen Phänomene der Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit sind somit höchst unterschiedliche Eigenschaften der Rechtsnormen, die sich aber gegenseitig beeinflussen und bedingen. Von der Verbindlichkeit und Wirksamkeit einer nicht geltenden Norm zu sprechen, macht aus der Perspektive des Rechtssystems hingegen keinen Sinn; denn Normen, die nicht rechtlich gelten, sind nicht, nicht mehr oder noch nicht Strukturelemente des Rechtssystems. Umgekehrt verhält es sich ebenso. Ohne verbindliche Entscheidungen, die für die Wirksamkeit einer Rechtsnorm unerläßlich sind, ist es bei rechtsrealistischer Betrachtung kaum angezeigt, einer Rechtsnorm noch positive Geltung zu bescheinigen. Insoweit besteht allerdings die Schwierigkeit einer empirischen Überprüfung der Unwirksamkeit als Voraussetzung des Geltungsentzugs (Derogation). 52 Vgl. hierzu Werner Krawietz, Staatliches oder gesellschaftliches Recht? Systemabhängigkeiten normativer Strukturbildung im Funktionssystem Recht, in: ders. / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 247-301, 269 ff. sowie Andreas Schemann, Strukturelle Kopplung. Zur Festlegung und normativen Bindung offener Möglichkeiten sozialen Handelns, in: ebd., S. 215-229, 224 ff.

11*

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität § 9 Vernunftmoral oder juridisch-institutionelle Rationalität in rechtlichen Entscheidungsverfahren?

Die bisherigen Ausführungen haben bereits gezeigt, daß sich Schelskys Rationalitätsbegriff von demjenigen unterscheidet, der das philosophische und geisteswissenschaftliche Denken seit der Aufklärung bestimmte. Er setzt eine theoretische Neuorientierung voraus. Herkömmlicherweise war Rationalität untrennbar mit dem Individuum verbunden. Sie wurde als Qualität des menschlichen Geistes, nämlich seines Bewußtseins und als Ergebnis seiner gedanklichen Operationen, angesehen.1 Rationalität blieb nach diesem Verständnis primär immer auf die menschliche Individualität bezogen, so „daß das Subjektive konstitutionell zu ihr gehört und niemals aus ihr abzulösen oder auszufällen ist". 2 Demgegenüber ist es Schelskys Anliegen, ein Rationalitätskonzept zu entwickeln, das - unbeschadet des individuellen Bewußtseins - an die sozialen und institutionellen Vorgänge anknüpft. Insbesondere die juridische Rationalität ist für ihn nicht Ergebnis subjektiver Denkvorgänge, sondern institutioneller, nach Regeln arbeitsteilig organisierter Prozesse.3 Sie ziele gerade nicht auf ein Denkprodukt ab, sondern es gehe hier darum, wie rechtsnormative Strukturen mit dem Ziel rechtmäßigen Handelns das soziale Geschehen beeinflussen können. Wesentliches Charakteristikum der juridischen Rationalität ist für Schelsky die Rechtssicherheit, also die Möglichkeit, sich im gegenseitigen Handeln an - freilich immer nur relativ sicheren - institutionell auf Dauer gestellten Vorgaben orientieren zu können.4 Entscheidend ist demzufolge, daß bereits rechtlich fixierte Verhaltenserwartungen tatsächlich wirksam institutionalisiert sind. Sie werden im Wege der fortlaufenden Regelbefolgung stabilisiert und können bei entsprechendem Regelungsbedarf pro futuro modifiziert und ergänzt werden. Die institutionelle Regelbildung weist eine spezifische Rationalität auf, die sich nicht nur darin zeigt, daß zwischen zwei oder mehreren Alternativen eine verbindliche Entscheidung getroffen wird. Sie kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Rechtsnorm potentiellen Adressaten als Handlungsanweisung dient, von ihnen in der normativen Kommunikation aufgenommen und verwendet wird und damit letztlich in späteren juridischen Prozessen wieder zu neuen Entscheidungen führt. 5 Schelskys Konzept der juridischen Rationalität ist somit stets an das 1 Vgl. hierzu: Lothar Rolke, Rationalität, Rationalisierung, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, Basel 1992, Spalte 52-62, 52-55. 2 Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34-76, 35. 3 Ebd.; zustimmend hierzu: Ernst-Joachim Mestmäcker, Schelskys Theorie der Institu, tionen und des Rechts, in: Recht und Institution. Helmut Schelsky-Gedächtnissymposion ( Münster 1985, hrsg. von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 19-31, 30f. 4 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 2), S. 35, 52 f. s Ebd., S. 35 f.

§ 9 Vernunftmoral oder juridisch-institutionelle Rationalität

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institutionelle kommunikative Geschehen und Prozessieren im Rechtssystem gekoppelt, das sich selbst - orientiert an den jeweiligen Erfordernissen seiner sozialen Umwelt - in einer Art dynamischem Fließgleichgewicht befindet. Die juridische Rationalität wird also nicht bloß kognitiv bestimmt und ist kein reines Denkprodukt. Auch kann sie für Schelsky nicht konsensuelles Ergebnis eines wissenschaftlichen „vernünftigen Diskurses" sein, wie dies im Rahmen der kritischen Theorie vor allem von Jürgen Habermas vertreten wird. Dessen Rationalitätskonzept geht von einem einheitlichen Rationalitätsstandard aus und nimmt eine rationale Einheit oder Identität der Wissenschaften mit der juridisch-institutionellen Praxis des Rechts an. 6 1. Vernunft versus Rationalität

Im Mittelpunkt des Rationalitätskonzepts von Habermas steht die Vorstellung, daß die Gesellschaft als ganze im kommunikativen Diskurs ihre eigene Identität bestimmen kann. Dies binde die beteiligten Subjekte an die kollektive Identität.7 Die handlungsfähigen Subjekte seien innerlich durch die Einsichtigkeit und Transparenz der Gründe für Geltungsansprüche derart engagiert, daß sich hieraus eine kollektive Identität ergebe, die jeden Teilnehmer an der Kommunikation zu überzeugen vermöge. Normregulierte Handlungen, expressive Selbstdarstellungen und evaluative Äußerungen ergänzen sich nach Habermas zu einer kommunikativen Praxis, die vor dem Hintergrund einer Lebenswelt auf die Erzielung, Erhaltung und fortlaufende Erneuerung von Konsens angelegt ist. Dabei gehe es um einen Konsens, der auf der intersubjektiven Anerkennung kritisierbarer Geltungsansprüche beruht. Die dieser Praxis innewohnende Rationalität zeige sich darin, daß sich ein kommunikativ erzieltes Einverständnis letztlich auf vernünftige Gründe stützen muß. Die Rationalität derer, die an dieser kommunikativen Praxis teilnehmen, bemesse sich daran, ob sie ihre Äußerungen auch unter geeigneten Umständen vernünftig begründen könnten.8 Hiernach müssen rationale Äußerungen in jedem Fall einer objektiven Beurteilung zugänglich sein. Jede explizite Überprüfung von kontroversen Geltungsansprüchen verlange die anspruchsvolle Form einer Kommunikation, die die Voraussetzungen vernünftiger Argumentation erfüllt. 9 Gerade Argumentationen ermöglichten ein Verhalten, welches in einem besonderen Maße rational sei, nämlich das Lernen aus expliziten Fehlern. Alle Formen der Argumentation - unabhängig davon, ob sie sich auf Fragen des Rechts und der Moral oder auf wissenschaftliche Hypothesen und 6

Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. I: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Frankfurt a. M. 1981, S. 62. Vgl. auch neuerdings ders., Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a. M. 1992, S. 272 ff. u. 277 ff. 7 Jürgen Habermas, Der philosphische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1988, S. 432. 8 Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns (FN 6), S. 37. 9 Ebd., S. 44.

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3. Abschn.: Rechtsgeltung und institutionelle Rationalität

Kunstwerke beziehen - erfordern nach Habermas dieselbe grundlegende Organisationsform der kooperativen Wahrheitssuche, die die Mittel der Eristik dem Ziel unterordne, intersubjektive Überzeugungen kraft besserer Argumente herauszubilden. 1 0 Geprägt durch die Vorstellung, daß die Gesellschaft durch den kommunikativen Diskurs ihre eigene Identität ausbildet, kommt Habermas zu dem Ergebnis, daß die Einheit der Rationalität auf der formalen Ebene der argumentativen Einlösung von Geltungsansprüchen in der Mannigfaltigkeit der eigensinnig rationalisierten Wertsphären gesichert sei. 11 Geltungsansprüche lassen sich seiner Meinung zufolge von empirischen Ansprüchen durch die Präsupposition unterscheiden, daß sie stets mit Hilfe von Argumenten eingelöst werden können. Eine differenzierte, den Aktionsbereich unterschiedlicher Funktionssysteme kennzeichnende Systemrationalität bezieht Habermas in seine Untersuchungen nicht ein, da er eingestandenermaßen von der Identität der Gesellschaft ausgeht. Aus diesem Grunde wird auch im Rahmen des Rechtssystçms keine Unterscheidung zwischen juridisch-institutioneller Rationalität und der Rationalität der Rechtswissenschaft getroffen, da beide als Sonderfall des praktischen Diskurses aufgefaßt werden. Dieses Konzept beruht auf der falschen und unrealistischen Vorstellung Habermas', mittels des kommunikativen Diskurses könne aufgrund ,guter4 bzw. vernünftiger, das heißt für jeden einsichtiger Gründe, ein annehmbarer Konsens erzielt werden, der dann die Grundlage einer gesamtgesellschaftlichen Identitätsbildung abgebe.12 In der Selbstreferenz des diskursiv ermittelten »Vernünftigen' liegt bei Habermas die Rationalität. Selbst wenn man unterstellt, daß es in bestimmten Interaktions- oder Organisationssystemen möglich ist, im Wege vernünftiger Argumentation über die Geltungsansprüche der beteiligten Personen oder Gruppen einen Konsens zu erzielen, ist jedoch zu bedenken, daß in anderen sozialen Beziehungen abweichende Geltungsansprüche postuliert werden. Da die diversen Normprojektionen wechselseitig als nicht anerkennenswert angesehen werden, ist nicht anzunehmen, daß eine der beiden Seiten bereit wäre, die jeweils andere über die guten Gründe für die Maßgeblichkeit einer bestimmten Regel befinden zu lassen. Derartige inhaltlich differierende normative Sinnfestlegungen sind nicht nur zwischen den unterschiedlichen Funktionssystemen, sondern ebenso auch innerhalb der einzelnen Funktionssysteme diagnostizierbar. Denn nicht die Gesellschaft als Ganzheit, sondern die unterschiedlichen Funktionssysteme erweisen sich als die operativen Vollzieher der Rationalität.

io Ebd., S. 62. h Ebd., S. 339. 12 Ebenso kritisch gegenüber der Diskursrationalität Ο ta Weinberger , Grundlagenprobleme des Institutionalistischen Rechtspositivismus und der Gerechtigkeitstheorie, in: Peter Koller/Werner Krawietz / Peter Strasser (Hrsg.), Institution und Recht. Grazer Internationales Symposion zu Ehren von Ota Weinberger, Berlin 1994, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 14, S. 173-284, 258 ff.

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Gerade aus diesem Grund zeigt Schelsky am Beispiel des Rechtssystems, daß die Vorstellung eines inhaltlich übereinstimmenden Rationalitätskonzepts zu verabschieden ist. Für Schelsky ist die „rationale Einheit oder Identität der Wissenschaft des Rechts mit der juridisch-institutionellen Praxis des Rechts als Gesetzgebung oder Justiz" nur „eine Illusion, eine Selbsttäuschung der Rechtswissenschaftler und der von ihnen ausgebildeteten praktischen Juristen". 13 Ein adäquates Verständnis des Rechts und seiner Rationalität setze voraus, daß die Rechtspraxis als Rechtssystem im engeren Sinne und das jeweilige Rechtswissenschaftssystem unterschieden werden, da beide ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen. 14 Die juridisch-institutionelle Rationalität kommt nach Schelsky vor allem in den diversen rechtlichen Verfahren zum Ausdruck. Besondere Bedeutung mißt er hierbei dem „institutionellen Zusammen- und Entgegenwirken von Amtspersonen mit ungleichen, aufeinander bezogenen Aufträgen oder Funktionen" bei. 15 Sehr anschaulich und treffend bringt er dieses Phänomen auf den Nenner einer „MindestDrei-Ämter-Struktur", mit deren Hilfe die juridisch-institutionelle Rationalität praktisch umgesetzt wird. Er bezieht sich damit nicht nur auf die traditionelle Rollenverteilung in den einzelnen Gerichtsverfahren, sondern beispielsweise auch auf die Drei-Ämter-Struktur im Hinblick auf das wirksame Zustandekommen von Gesetzen, wobei das Zusammenspiel von Regierung und Mehrheitsfraktion oder -koalition einerseits, von Opposition andererseits und von kontrollierender Verfassungsgerichtsbarkeit als Drittinstanz von grundlegender Bedeutung ist. Für sämtliche Verfahren im Rechtssystem ist es charakteristisch, daß sich die Rationalität - im Unterschied zur wissenschaftlichen Analyse des Rechts - nicht im Wege bloßer Deduktion oder Normanwendung zeigt, sondern vor allem in einer Entscheidung, die am Ende einer tatsächlichen Auseinandersetzung der widerstreitenden Interessen und Standpunkte steht. Die institutionalisierten Verfahrensregeln stellen die Möglichkeit sicher, sämtliche relevanten oder vermeintlich relevanten Fakten und Rechtsauffassungen vorzubringen und zu erörtern, so daß die juridische Rationalität nicht lediglich Ergebnis rein kognitiver Überlegungen des Normsetzers bzw. des Normanwenders ist. Vielmehr wird die juridische Rationalität erst in den rechtlichen Handlungsprozessen erzeugt. 16 Sie zeigt sich daher nach Schelsky insbesondere im prozessualen Kompromiß bzw. im Aushandeln der justiziellen Urteils- und Entscheidungsfindung durch eine rationale Kooperation von Richtern und Anwälten. Diese juridisch-institutionelle Praxis des Rechts bildet daher eine für sie in besonderer Weise funktionale und charakteristische Rationalität aus, die streng von der wissenschaftlich-philosophischen Rationalität und auch von der rechts13 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 2), S. 34. 14 Vgl. hierzu: Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 97 f., 104 ff., 110 ff., 112 ff. 15 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 2), S. 36. 16 Ebd., S. 47.

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wissenschaftlichen Rationalität zu unterscheiden ist. 17 Ein Einheitskonzept kommunikativer Rationalität ist somit, wie Krawietz gezeigt hat, ausgeschlossen.18 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das Habermassche Rationalitätskonzept, welches zwar von einer Pluralität unterschiedlicher Argumentationsformen, wie theoretischen und praktischen Diskursen, ausgeht, inhaltlich jedoch - immer gestützt auf gute bzw. vernünftige Gründe - auf einem einheitlichen Rationalitätsstandard basiert. 19 Ein derartiges Einheitskonzept verkennt die institutionelle Rationalität des Rechts. Die Rechtskommunikation in der juridischen Praxis ist stets von der spezifischen Systemfunktion, die auf die Produktion von Rechtsnormen gerichtet ist, sowie von einem regelmäßig herrschenden Entscheidungszwang geprägt. Hingegen besteht die Arbeit des Rechtswissenschaftlers im wesentlichen darin, die Rechtspraxis zu beschreiben, zu rekonstruieren und ihr argumentativ normative Vorschläge zu unterbreiten. Die rechtswissenschaftlichen Aussagen und Normpropositionen entstehen ohne den Zwang, entscheiden zu müssen, und sie haben - zumindest unmittelbar - keine Rechtsnormqualität. Die Rechtswissenschaft ist - im Unterschied zu den philosophischen Disziplinen - eng an die institutionelle Rechtspraxis gekoppelt. Sie ist nach Schelsky in ihrer Rationalität von dem institutionellen Handeln der juridischen Instanzen abhängig, ähnlich wie die christliche Theologie von der biblischen Offenbarung und der dogmatisierten Glaubensfeststellung der Kirchen. 20 Die Rechtswissenschaft habe keine autonome wissenschaftliche Rationalität, sondern sei ihrem Wesen nach „sekundäre Rationalisation". 21 Schelsky lehnt demnach ein Einheitskonzept, wie Habermas es vertritt, ab und differenziert zwischen der juridischinstitutionellen Rationalität des Rechts, der Rechtswissenschaft sowie der wissenschaftlich-philosophischen Rationalität. Es ist Schelsky zuzustimmen, wenn er die rechtswissenschaftliche Rationalität zwischen den beiden zuvor genannten Rationalitätspolen ansiedelt. Die Jurisprudenz als Wissenschaft ist einerseits sehr eng mit dem institutionellen rechtlichen Alltagsgeschehen verbunden, andererseits wird sie jedoch durch die Möglichkeit gekennzeichnet, die rechtsnormative Kommunikation wissenschaftlich reflektierend zu betrachten und zu beschreiben. Insbesondere die für jedes soziale System π Ebd., S. 53 f. ι® Werner Krawietz, Juridisch-institutionelle Rationalität des Rechts versus Rationalität der Wissenschaften? Zur Konkurrenz divergierender Rationalitätskonzepte in der modernen Rechtstheorie, in: R E C H T S T H E O R I E 15 (1984), S. 423-452, 440 sowie ders., Recht und Rationalität in der modernen Systemtheorie, in: ders. / Theo Mayer-Maly / Ota Weinberger (Hrsg.), Objektivierung des Rechtsdenkens. Gedächtnisschrift für limar Tammelo, Berlin 1984, S. 723-743, 735. 19 Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns (FN 6), S. 62 sowie ders., Faktizität und Geltung (FN 6), S. 277 ff. Vgl. auch Robert Alexy, A Discourse-Theoretical Conception of Practical Reason, in: Ratio Juris 5 (1992), S. 231-251, 236 f. 20 Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 2), S. 54. 21 Ebd.

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unterschiedlichen, speziellen Systemfunktionen legen es nahe, die Suche nach einem inhaltlich übereinstimmenden, ganzheitlichen Rationalitätsstandard aufzugeben. Schelsky hat sehr genau gesehen, daß die für die Entstehung und Entwicklung des Rechts wesentlichen Aktivitäten überwiegend in institutionalisierten rechtlichen Verfahren kanalisiert werden. Das Recht bedient sich dabei bestimmter Rollen und Ämter, deren Zusammenspiel eine relativ hohe Gewähr dafür bietet, daß die betroffenen konfligierenden Interessen berücksichtigt werden, bevor eine verbindliche Entscheidung getroffen wird. Die hierin zum Ausdruck gelangende, spezifisch „juridische Rationalität" will Schelsky als eine „Form institutioneller Rationalität" allerdings nicht mit dem von Luhmann verwendeten Begriff der Systemrationalität bezeichnen, obwohl in der Sache nicht anderes gemeint ist. 22 Angesichts der oben aufgezeigten Parallelen zwischen der Theorie und Soziologie des Rechts, wie sie die Systemtheorie vertritt, und der modernen, nachpositivistischen Institutionentheorie des Rechts liegt die Annahme sehr nahe, daß Schelskys Vorbehalte gegenüber Luhmann (und umgekehrt) im wesentlichen nur auf einer unterschiedlichen Akzentuierung sowie differierenden wissenschaftspolitischen und -strategischen Überlegungen beruhen. 2. Institutionen als normativ strukturierte Handlungssysteme der Gesellschaft

Wie die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigen, ist eine moderne Institutionentheorie keineswegs überflüssig geworden. Sie kann auch nicht durch die Systemtheorie ersetzt werden und alle Versuche Niklas Luhmanns, eben dies zu bewerkstelligen oder sie auch nur - im Bereich von Theorien mittlerer Reichweite - zu überbieten, müssen als gescheitert angesehen werden. Ebenso unzutreffend ist die von Röhl angeführte Kritik, es handele sich bei dem Begriff der Institution in Helmut Schelskys Theorie nur um eine längst überflüssige Façon de parier, die auf eine theoretische Präzisierung, wie sie die Systemtheorie aufweise, zugunsten einer durch Konnotationen erzeugten Anschaulichkeit verzichte. 23 Da Schelsky wechselseitig die Institutionen als System und das System als Institution bezeichne, existiere keine eigenständige Theorie der Institutionen. Mangels entsprechender Theorie könnten die Institutionen daher nur mit andersartigen Theoriekonzepten oder mittels empirischer Analysen beschrieben werden. 24 22 Ebd., S. 46. 23 Klaus F. Röhl, Institutionstheoretische Ansätze in der Rechtssoziologie und institutionelles Rechtsdenken, in: Gerhard Göhler / Kurt Lenk / Rainer Schmalz-Bruns (Hrsg.), Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, Baden-Baden 1990, S. 357-380, 367 f. Vgl. demgegenüber Wolf gang Lipp, Institution und Veranstaltung. Zur neueren Entwicklung institutionellen Bewußtseins in den Sozialwissenschaften, in: Eckart Pankoke (Hrsg.), Institution und technische Zivilisation. Symposion zum 65. Geburtstag von Johannes Chr. Papalekas, Berlin 1990, S. 31 - 50,42 f., der diagnostiziert, „daß die Institutionenlehre heute einen Zustand »zweiter Blüte4, wenn nicht der Reifung erlebt".

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Zur Durchführung derartiger Analysen müsse man den in der Institution selbst handelnden Personen, soweit solche vorhanden seien, denen, die mit der Institution in Berührung kommen, und denen, die sie nur aus der Distanz kennen, die geeigneten Fragen stellen.25 Zusammenfassend ist gegenüber diesen Einwänden Röhls festzustellen, daß der grundsätzliche Nutzen empirischer Analysen der Institutionen außer Frage steht. Jedoch können empirische Untersuchungen und Detailanalysen keineswegs die begriffliche Beschreibung, Deutung und Erklärung der jeweiligen Institutionen mit den Mitteln der Institutionentheorie ersetzen. 26 Der Erkenntnisgehalt empirischer Forschungen ist jeweils eng mit dem Gegenstand und folglich nur mit einem kleinen Ausschnitt aus der sozialen Wirklichkeit von Recht und Institution verbunden und bedarf selbst der theoretischen Deutung und Erklärung. Beispielsweise läßt eine Untersuchung über Familien keine Rückschlüsse auf andere Institutionen, wie etwa Handelsgesellschaften, zu. Da Institutionen höchst komplexe soziale Einheiten sind, deren Struktur und Funktionsweise auf subsistenten sozialen Normen, insbesondere denjenigen des Rechts, aufbauen, erfordert ihre rechtstheoretisch fundierte Beschreibung und Untersuchung - über die empirischen Forschungen einzelner Teilaspekte hinaus - entsprechende analytischbegriffliche und theoretische Differenzierungen. Schelsky selbst betont ganz eindeutig und mit Grund, daß, politisch-funktional betrachtet, von der Sozialwissenschaft die Sinn-Existenz der Institution zunächst einmal anerkannt werden müsse, weil sie die Realitätsform sozialer Gebilde sei. 27 Institutionen sind selbst 24

Röhl, Institutionstheoretische Ansätze in der Rechtssoziologie und institutionelles Rechtsdenken (FN 23), S. 378 f. 25 Daß dies nicht ausreicht, zeigt die Kritik von Horst Baier, Verkappte Sozialreligionen mit Blick auf Max Weber und Theodor Geiger, in: Urs Fazis / Jachen C. Nett (Hrsg.), Gesellschaftstheorie und Normentheorie. Symposium zum Gedenken an Theodor Geiger, Basel 1993, S. 87-105, 87. Er macht sehr treffend darauf aufmerksam, daß auch die empirische Sozialforschung nicht vermocht habe, „zum Arsenal der Selbstbegründung" der Soziologie zu avancieren, weil die Sozialempirie zu sehr „durch dieselben Kategorien und Konzepte, Theorietraditionen und Werturteilslasten wie die theoretische und allgemeine Soziologie" bestimmt werde, „nur in einer anderen verbergenden, einer forschungstechnischen und statistisch-quantifizierten Sprache". 26 Helmut Schelsky, Soziologie - wie ich sie verstand und verstehe, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 7 - 33,17 ff., der zwar die Relevanz empirischer Untersuchungen nie in Frage gestellt hat, jedoch ebenso die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Empirie und Theorie als Bedingung jeder sozialwissenschaftlichen Forschung voraussetzt. Aus diesem Grunde optiert er nicht für eine universale Gesellschaftstheorie, sondern für Theorien mittlerer Reichweite. Zu Schelskys empirisch-soziologischen Tatsachenbestimmungen im Rahmen seiner genuin soziologischen Institutionentheorie des Rechts vgl. Werner Krawietz, Über die Fachgrenzen der Soziologie hinaus: Helmut Schelskys »transzendentale* Theorie von Recht und Gesellschaft, in: Ota Weinberger/ Werner Krawietz (Hrsg.), Helmut Schelsky als Soziologe und politischer Denker. Grazer Gedächtnisschrift zum Andenken an den am 24. Februar 1984 verstorbenen Gelehrten, Stuttgart 1985, S. 12-22, 17 ff. 27 Dazu und zum folgenden: Helmut Schelsky, Der behavioristische Ansatz der Institutionenlehre (Floyd Henry Allport), in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlun-

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Teil der normativen Struktur der Gesellschaft. Diese kann aber nicht aus der empirischen Befragung oder Beobachtung einzelner Personen bzw. ihrer Handlungen erschlossen werden. Nach allem ist eine Substitution der Institutionentheorie durch die Systemtheorie weder nötig noch möglich. 28 Auch sollte man sich nicht durch die unkontrollierte Ersetzung der Institutionen- und Handlungstheorie eine Vielzahl von Folgeproblemen einhandeln, die bei einem unkontrollierten Übergang auf ein anderes Theoriedesign nicht hinreichend berücksichtigt werden, wie beispielsweise die vielfältigen Strukturprobleme normativer Verantwortungsattribution im Bereich des Rechts.29 Andererseits sind Systemtheorie und moderne Institutionentheorie durchaus in der Lage, sich wechselseitig zu ergänzen und bestehende Theoriedefizite auszugleichen.30 Röhl verkennt, daß es hier um Probleme der Theorieintegration geht. Die Beibehaltung der Institutionentheorie ermöglicht es, die normentheoretischen Defizite der Systemtheorie zu kompensieren, ohne dabei auf die kommunikationstheoretischen Vorzüge der Systemtheorie verzichten zu müssen.31 Die Analyse der Schelskyschen Institutionen- und Rechtstheorie hat ergeben, daß sie eine rechtsrealistische Normentheorie beinhaltet, die im wesentlichen auf einem modernen, schon nachpositivistischen und soziologisch fundierten Institutionenverständnis basiert. Letzteres begreift die Institutionen sowohl als normative Interaktionsmuster als auch als soziale Handlungssysteme, die mit eigener formaler /informaler Organisation ausgestattet sein können, aber nicht müssen. Obwohl Schelsky die Relevanz und Notwendigkeit der Normen, insbesondere der Rechtsnormen, durchgängig thematisiert und hervorhebt, ja sogar das Recht als den Königsweg zur normativen Ausbildung und Festlegung sozialer Verhaltenserwartungen charakterisiert, bleibt die systematische Ausarbeitung einer integen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 232-247, 244. Schelskys ironische Argumentation gegenüber dem ,Institutionenkritiker4 gilt auch mit Blick auf die obige Polemik Röhls, deren Eigenart von ihm - gleichsam antezipatorisch - persifliert wird. 28 So aber Röhl, Institutionstheoretische Ansätze in der Rechtssoziologie und institutionelles Rechtsdenken (FN 23), S. 367 f. 29 Vgl. hierzu Werner Krawietz, Prinzipien öffentlicher Moral versus Recht? In: Gerd Roellecke (Hrsg.), Öffentliche Moral. Gut und Böse in der Beobachtung durch Geschichte, Religion, Wirtschaft, Verteidigung und Recht, Heidelberg 1991, S. 21 - 68, insbesondere S. 34 ff. 30 Vgl. hierzu auch Petra Werner, Soziale Systeme als Interaktion und Organisation. Zum begrifflichen Verhältnis von Institution, Norm und Handlung, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 200-214, 212 f. 31 Hierzu eingehend Werner Krawietz, Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: ders. / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 14-42, 17 ff., 29 ff. sowie ders., Staatliches oder gesellschaftliches Recht? Systemabhängigkeiten normativer Strukturbildung im Funktionssystem Recht, in: ebd., S. 247-301, 259 ff., 270 ff.

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grierten Normen- und Rechtstheorie auf der Grundlage seiner institutionalistischen Gesellschaftstheorie naturgemäß der hierfür zuständigen Rechtstheorie überlassen. Dennoch konnte gezeigt werden, daß in Schelskys rechtstheoretischen und rechtssoziologischen Untersuchungen, in deren Mittelpunkt das - politischfunktional betrachtet, stets auch normative - Verhältnis von Institution und Handlung steht, eine Vielzahl von Elementen und Bausteinen enthalten sind, aus denen, wie dargelegt, klare und eindeutige Rückschlüsse auf seine Normentheorie des Rechts gezogen werden können. Sie ist Fundament und Bestandteil einer fächerübergreifenden Rahmentheorie sozialer Normen und des Rechts, die auf der Integration unterschiedlicher Denkansätze - vor allem aus Rechtswissenschaft, Soziologie und Philosophie - basiert. Schelskys Theorie des Rechts und der Gesellschaft zeigt - und hierin erweist sie sich gegenüber den gesellschaftsund normentheoretischen klassischen Denkansätzen von Dürkheim und Max Weber bis hin zu Parsons durchaus als ebenbürtig - insbesondere den Stellenwert sowie die Relevanz rechtsnormativer Regeln auf, die alle wesentlichen Bereiche in der modernen Gesellschaft in Form von Geboten, Verboten, Ermächtigungen und Ansprüchen strukturieren und auf diese Weise das menschliche Handeln mitbestimmen. Er hat damit eine neue, durchaus schon nachpositivistische Institutionentheorie sozialer Normen und des Rechts hinterlassen. Sie orientiert sich nicht - den tradierten etatistischen Rechtsauffassungen gesetzes- und/oder rechtspositivistischer Provenienz folgend - allein am staatlichen Recht, sondern vor allem und in erster Linie an einem sehr weitgehend staatsfreien, genuin gesellschaftlichen Recht, aus dem auch das formale staatliche Recht erwächst und in welches es eingebettet bleibt. Seine Theorie und Soziologie des Rechts knüpft somit einerseits an die Tradition des deutschen rechtsrealistischen Denkens und einer soziologischen Jurisprudenz an, geht aber andererseits weit über diese hinaus. In dem Maße, in dem dies geschieht, ist sie symptomatisch und zugleich repräsentativ für einen - längst jenseits des noch immer verbreiteten Gesetzesund Rechtspositivismus operierenden! - normativen Institutionalismus und wirkt damit zugleich richtungweisend für die zeitgenössische und zukünftige rechtstheoretische und rechtssoziologische Grundlagenforschung.

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RECHTSTHEORIE

Alexy, Robert: Rechtssystem und praktische Vernunft, in: S. 405-419.

15 (1984), S. 453-

RECHTSTHEORIE

18 (1987),

- Begriff und Geltung des Rechts, Freiburg / München 1992. - A Discourse-Theoretical Conception of Practical Reason, in: Ratio Juris 5 (1992), S. 231-251. - Zur Verteidigung eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs, in: Werner Krawietz/ Georg Henrik von Wright (Hrsg.), Öffentliche oder private Moral? Vom Geltungsgrunde und der Legitimität des Rechts. Festschrift für Ernesto Garzón Valdés, Berlin 1992, S. 85-108. Allport, Floyd Henry: Institutional Behavior. Essays toward a Re-Interpreting of Contemporary Social Organization, New York 1969. Anscombe, G. E. M.: On Brute Facts, in: Analysis 18-3 (1958), S. 69-72. Austin, John: Lectures on Jurisprudence or the Philosophy of Positive Law, fifth edition, revised and edited by Robert Campbell, two vols., London 1911. Baecker, Dirk / Luhmann, Niklas: Wege und Umwege der Soziologie. Interview im Deutschlandfunk am 3. Dezember 1989, in: R E C H T S T H E O R I E 21 (1990), S. 209-216. * Eine umfassende Übersicht über die Schriften Helmut Schelskys bietet die kritisch räsonierende von Dieter Wyduckel erstellte Bibliographie (Stand: 1. Mai 1978) in: Friedrich Kaulbach / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 791-835. Vgl. ferner als Ergänzung den Bibliographischen Anhang, erschienen in: Recht und Institution. Helmut SchelskyGedächtnissymposion Münster 1985, hrsg. von der Rechts wissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 105-117.

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Schrifttumsverzeichnis

Baier, Horst: Verkappte Sozialreligionen mit Blick auf Max Weber und Theodor Geiger, in: Urs Fazis / Jachen C. Nett (Hrsg.), Gesellschaftstheorie und Normentheorie. Symposium zum Gedenken an Theodor Geiger, Basel 1993, S. 87-105. Behrend, Jürgen: Untersuchungen zur Stufenbaulehre Adolf Merkls und Hans Kelsens, Berlin 1977. Belvisi, Francesco: La sociologia del diritto di Helmut Schelsky: agire individuale, istituzioni normative e razionalità giuridica, Dissertation im Rahmen des Corso di dottorato di ricerca in sociologia del diritto, IV Ciclo, Mailand 1992. Bentham, Jeremy: Works, published by John Bowling, Bd. I und II, Edinburgh 1843. Bergmann, Werner: Die Zeitstrukturen sozialer Systeme. Eine systemtheoretische Analyse, Berlin 1981. Berkemann, Jörg: Zur logischen Struktur von Grundrechtsnormen, in: 20 (1989), S. 451-491.

RECHTSTHEORIE

Bock, Michael: Recht ohne Maß. Die Bedeutung der Verrechtlichung für Person und Gemeinschaft, Berlin 1988. - Neues von der Kultursoziologie des Rechts? Kritische Anmerkungen zu Werner Gepharts „Kulturelle Aspekte des Rechts - Vom Klassen- zum Kulturparadigma?" In: Zeitschrift für Rechtssoziologie 12 (1991), S. 147-151. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Helmut Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1988, S. 283-299. Broekman, Jan M.: Recht und Anthropologie, Freiburg / München 1979. Brusiin, Otto: Der Mensch und sein Recht. Ausgewählte rechtstheoretische Schriften, hrsg. und eingeleitet von Urpo Kangas, Berlin 1990. Billow, Oskar: Gesetz und Richteramt (1885), in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976, S. 107-135. Bullasch, Ute: Rechtsnorm und Rechtssystem in der Normentheorie Emile Dürkheims, Frankfurt a. M. / Bern / New York / Paris 1988. Bulygin, Eugenio: Alexy und das Richtigkeitsargument, in: Aulis Aarnio / Stanley L. Paulson /Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 19-24. Bydlinski, Franz: Fundamentale Rechtsgrundsätze. Zur rechtsethischen Verfassung der Sozietät, Wien/New York 1988. - Recht, Methode und Jurisprudenz, Frankfurt a. M. 1988. - Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. ergänzte Aufl., Wien/New York 1991. - Fundamentale Rechtsgrundsätze in der Löwengrube, in: S. 199-214.

RECHTSTHEORIE

22 (1991),

- Setzungs- oder Existenzpositivismus und methodische Rechtsgewinnung, in: Peter Koller / Werner Krawietz / Peter Strasser (Hrsg.), Institution und Recht. Grazer Internationales Symposion zu Ehren von Ota Weinberger, Berlin 1994, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 14, S. 73-91.

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Schrifttumsverzeichnis

- Richtigstellung über den Rechtspositivismus, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 79 (1993), S. 416-420. Holtwick-Mainzer, Andrea: Der übermächtige Dritte. Eine rechtsvergleichende Untersuchung über den streitschlichtenden und streitentscheidenden Dritten, Berlin 1985. Hommes, H. J.: Sein und Sollen im Erfahrungsbereich des Rechts. Rechtsgeltung und Rechtswerte, in: Sein und Sollen im Erfahrungsbereich des Rechtes. Vorträge des Weltkongresses für Rechts- und Sozialphilosophie, Mailand - Gardone Riviera, 9. DC. 13. DC. 1967. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) von Peter Schneider, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 6, Wiesbaden 1970, S. 155-185. Hruschka, Joachim: Vorpositives Recht als Gegenstand und Aufgabe der Rechtswissenschaft, in: Juristenzeitung 47 (1992), S. 429-438. - Recht und Unrecht bei Norbert Hoerster, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 79 (1993), S. 421-424. Ihering, Rudolph von: Der Zweck im Recht, zweiter Bd., Leipzig 1883. - Der Kampf ums Recht, in: ders., Der Kampf ums Recht. Ausgewählte Schriften, mit einer Einleitung von Gustav Radbruch, hrsg. von Christian Rusche, Nürnberg 1965, S. 195-274. - Über die Aufgabe und Methode der Rechtsgeschichtsschreibung, in: ebd., S. 401-444. - Der Takt. Aus dem Nachlaß herausgegeben und eingeleitet von Christian Helfer, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen aus dem Jahre 1968. Philosophisch-Historische Klasse, Göttingen 1968, S. 78-97. Isay, Hermann: Rechtsnorm und Entscheidung, Neudruck der Ausgabe Berlin 1929, Aalen 1970. Jaeggi, Urs: Institution - Organisation, in: Christoph Wulf (Hrsg.), Wörterbuch der Erziehung, 5. Aufl., München/Zürich 1980, S. 308-313. Joas, Hans: Intersubjektivität bei Mead und Gehlen, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie LXV (1979), S. 105-121. J0rgensen, Stig: Vertrag und Recht. Privatrechtliche Abhandlungen, Kopenhagen 1968. - Contract as a Social Form of Life, in:

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Kant, Immanuel: Die Metaphysik der Sitten, Werkausgabe, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd. Vm, 9. Aufl., Frankfurt a. M. 1991. Kaplan, Reinhard W.: Die Mutation als Motor der Evolution, in: Hoimar v. Ditfurth (Hrsg.), Evolution Π. Ein Querschnitt der Forschung, Hamburg 1978, S. 13-28. Kargl, Walter: Handlung und Ordnung im Strafrecht. Grundlagen einer kognitiven Handlungs- und Straftheorie, Berlin 1991. - Gesellschaft ohne Subjekte oder Subjekte ohne Gesellschaft? Kritik der rechtssoziologischen Autopoiese-Kritik, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 12 (1991), S. 120-141. Kaufmann, Arthur: Analogie und „Natur der Sache". Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Typus, 2., verbesserte und durch ein Nachwort ergänzte Aufl., Heidelberg 1982.

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Kelsen, Hans: Hauptprobleme der Staatsrechtslehre. Entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, 2., um eine Vorrede vermehrte Aufl., Tübingen 1923. - Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, zweite, vollständig neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Wien 1960. - Allgemeine Theorie der Normen, im Auftrag des Hans-Kelsen-Instituts aus dem Nachlaß herausgegeben von Kurt Ringhofer und Robert Walter, Wien 1979. Kemmerling,

Andreas: Regel und Geltung im Lichte der Analyse Wittgensteins, in: 6 (1975), S. 104-131.

RECHTSTHEORIE

Kleinknecht, Theodor / Meyer, Karlheinz: Strafprozeßordnung. Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, erläutert von Theodor Kleinknecht und Karlheinz Meyer, fortgeführt von Lutz Meyer-Goßner, 41., neubearb. Aufl., München 1993. König, René: Institution, in: ders. (Hrsg.), Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 142-148. Koller, Peter: Theorie des Rechts. Eine Einführung, Wien / Köln / Weimar 1992. Koselleck, Reinhart: Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, S. 38-66. Krawietz, Werner: Das positive Recht und seine Funktion. Kategoriale und methodologische Überlegungen zu einer funktionalen Rechtstheorie, Berlin 1967. - Welche Methode lehrt die juristische Methodenlehre? In: Juristische Schulung 10 (1970), S. 425-432. - Grundnorm, in: Joachim Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel/Stuttgart 1974, Spalte 918-922. - lnteressenjurisprudenz, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basel/ Stuttgart 1976, Spalte 494-514. - Gewährt Art. 1 Abs. 1 GG dem Menschen ein Grundrecht auf Achtung und Schutz seiner Würde? In: Dieter Wilke / Harald Weber (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, München 1977, S. 245-287. - Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. Eine Untersuchung zum Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung, Wien/New York 1978. - Helmut Schelsky - ein Weg zur Soziologie des Rechts, in: Friedrich Kaulbach/ Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. ΧΠΙ - LXXVIII. - Evolution des Rechts und der Menschenrechte, in: ebd., S. 319-341. - Juristische Logik, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, Basel / Stuttgart 1980, Spalte 423-434. - Der bedrohte Konsens: An welchen Grundwerten orientiert sich die Gesellschaft? In: Edgar Lamm (Hrsg.), Frieden ohne Menschenrechte? Aspekte einer Politik für den Menschen, Aachen 1981, S. 119-147. - Recht als Regel system, Wiesbaden 1984. 12*

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- Begründung des Rechts - anthropologisch betrachtet: zur Institutionentheorie von Weinberger und Schelsky, in: ders./Helmut Schelsky/Günter Winkler/Alfred Schramm (Hrsg.), Theorie der Normen. Festgabe für Ota Weinberger zum 65. Geburtstag, Berlin 1984, S. 541-556. - Recht und Rationalität in der modernen Systemtheorie, in: ders. / Theo Mayer-Maly / Ota Weinberger (Hrsg.), Objektivierung des Rechtsdenkens. Gedächtnisschrift für limar Tammelo, Berlin 1984, S. 723-743. - Die Lehre vom Stufenbau des Rechts - Eine säkularisierte politische Theologie? In: ders. / Helmut Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 5, Berlin 1984, S. 255-271. - Rechtssystem als Institution? Über die Grundlagen von Helmut Schelskys sinnkritischer Institutionentheorie, in: Dorothea Mayer-Maly / Ota Weinberger / Michaela Strasser (Hrsg.), Recht als Sinn und Institution, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 6, Berlin 1984, S. 209-243. - Juridisch-institutionelle Rationalität des Rechts versus Rationalität der Wissenschaften? Zur Konkurrenz divergierender Rationalitätskonzepte in der modernen Rechtstheorie, in: R E C H T S T H E O R I E 15 (1984), S. 423-452. - Diskussionsbeitrag, in: Recht und Institution. Helmut Schelsky-Gedächtnissymposion Münster 1985, hrsg. von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 76-77. - Ansätze zu einem Neuen Institutionalismus in der modernen Rechtstheorie der Gegenwart, in: Juristenzeitung 40 (1985), S. 706-714. - Identität oder Einheit des Rechtssystems? Grundlagen der Rechtsordnung in rechtsund gesellschaftstheoretischer Perspektive, in: Mitsukuni Yasaki / Alois Troller / José Llompart (Hrsg.), Japanisches und europäisches Rechtsdenken - Versuch einer Synthese philosophischer Grundlagen, in: R E C H T S T H E O R I E 16 (1985), S. 233-277. - Über die Fachgrenzen der Soziologie hinaus: Helmut Schelskys »transzendentale* Theorie von Recht und Gesellschaft, in: Ota Weinberger / Werner Krawietz (Hrsg.), Helmut Schelsky als Soziologe und politischer Denker. Grazer Gedächtnisschrift zum Andenken an den am 24. Februar 1984 verstorbenen Gelehrten, Stuttgart 1985, S. 1222. - Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus im Rechtsdenken der Gegenwart, in: Horst Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1986, S. 114-148. - Recht und moderne Systemtheorie, in: Torstein Eckhoff/Lawrence M. Friedman/ Jyrki Uusitalo (Hrsg.), Vernunft und Erfahrung im Rechtsdenken der Gegenwart, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 10, Berlin 1986, S. 281-309. - Verhältnis von Macht und Recht in staatlich organisierten Rechtssystemen, in: Paul Hofmann / Ulrich Meyer-Cording / Herbert Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, Köln / Berlin / Bonn / München 1986, S. 217-235. - Zur Korrelation von Rechtsfrage und Tatfrage, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln / Berlin / Bonn / München 1986, S. 517-553.

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Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Rechts bei Ralf Dreier und Norbert Hoerster, in: R E C H T S T H E O R I E 1 8 (1987), S. 201-254. Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm? Konzeptionen und Begriff des Rechts in der modernen Rechtstheorie, in: Ota Weinberger / Werner Krawietz (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, Wien / New York 1988, S. 315-369. Der soziologische Begriff des Rechts, in: Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 157177. Legal Norms as Expectations? On Redefining the Concept of Law, in: Aulis Aarnio / Kaarlo Tuori (ed.), Law, Morality, and Discursive Rationality, Helsinki 1989, S. 109140. Prinzipien öffentlicher Moral versus Recht? In: Gerd Roellecke (Hrsg.), Öffentliche Moral. Gut und Böse in der Beobachtung durch Geschichte, Religion, Wirtschaft, Verteidigung und Recht, Heidelberg 1991, S. 21-68. Soziale Spielregeln und Recht in systemtheoretischer Perspektive, in: Dieter Müller / Danilo Ν. Basta (Hrsg.), Pravna drzava poreklo i buducnost jedne ideje. Simpozijum Beograd, 26-27. septembar 1991 (Rechtsstaat. Ursprung und Zukunft einer Idee. Tagung Belgrad, 26.-27. September 1991), Belgrad 1991, S. 125-132. Theorie und Forschungsprogramm menschlicher Rechtserfahrung - Allgemeine Rechtslehre Otto Brusiins, in: R E C H T S T H E O R I E 22 (1991), S. 1-37. What Does It Mean ,Το Follow an Institutionalized Legal Rule4? On Rereading Wittgenstein and Max Weber, in: Eugene E. Dais / Stig J0rgensen / Alice Erh-Soon Tay (Hrsg.), Konstitutionalismus versus Legalismus? Geltungsgrundlagen des Rechts im demokratischen Verfassungsstaat, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 40, Stuttgart 1991, S.7-14. Akzeptanz von Recht und Richterspruch? Geltungsgrundlagen normativer Kommunikation im Bereich des Rechts, in: Werner Hoppe / Werner Krawietz / Martin Schulte (Hrsg.), Zweites Internationales Symposium Münster 1988, Köln / Berlin / Bonn / München 1992, S. 455-519. Droit et jeu. Le point de vue de la théorie des systèmes, in: Le jeu: un paradigme pour le droit, sous la direction de François Ost et Michel van de Kerchove, Paris 1992, S. 218-235. Moral versus Legal Responsibility? Different Motives and Models for Attributing Rights and Duties, in: ders./Georg Henrik von Wright (Hrsg.), Öffentliche oder private Moral? Vom Geltungsgrunde und der Legitimität des Rechts. Festschrift für Ernesto Garzón Valdés, Berlin 1992, S. 43-55. Risiko, Recht und normative Verantwortungsattribution in rechtsethischer Perspektive, in: Volker Gerhardt / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Natur. Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach, Berlin 1992, S. 147-187. Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: ders. / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 14-42. Staatliches oder gesellschaftliches Recht? Systemabhängigkeiten normativer Strukturbildung im Funktionssystem Recht, in: ebd., S. 247-301.

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- Taking Legal Systems Seriously: Legal Norms and Principles as Expectations, in: ders. / Leopold PospiSil / Sabine Steinbrich (Hrsg.), Sprache, Symbole und Symbolverwendungen in Ethnologie, Kulturanthropologie, Religion und Recht. Festschrift für Rüdiger Schott zum 65. Geburtstag, Berlin 1993, S. 361-384. - Vorwort. Kazimierz Opaleks Rechtstheorie - in internationaler Perspektive betrachtet, in: ders. / Jerzy Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts. Festgabe für Kazimierz Opalek zum 75. Geburtstag, Berlin 1993, S. V - XX. - Recht, Institution und Politik im Lichte der Institutionentheorie. Hommage à Ota Weinberger, in: Peter Koller/Werner Krawietz / Peter Strasser (Hrsg.), Institution und Recht. Grazer Internationales Symposion zu Ehren von Ota Weinberger, Berlin 1994, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 14, S. 5-16. Kriele, Martin: Theorie der Rechtsgewinnung entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, 2., durch ein Nachwort ergänzte Aufl., Berlin 1976. - Recht und praktische Vernunft, Göttingen 1979. Lachmann, Ludwig M.: Drei Essays über Max Webers geistiges Vermächtnis, Tübingen 1973. Ladeur, Karl-Heinz: Perspektiven einer post-modernen Rechtstheorie. Zur Auseinandersetzung mit N. Luhmanns Konzept der „Einheit des Rechtssystems", in: R E C H T S T H E O RIE 16 (1985), S. 383-427. Lampe, Emst-Joachim: Grenzen des Rechtspositivismus. Eine rechtsanthropologische Untersuchung, Berlin 1988. Landers, Scott: Wittgenstein, Realism, and CLS: Undermining Rule Scepticism, in: Law and Philosophy 9 (1990), S. 177-203. Landmann, Michael: Philosophische Anthropologie. Menschliche Selbstdeutung in Geschichte und Gegenwart, 4., überarbeitete und erweiterte Aufl., Berlin /New York 1976. Larenz, Karl: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6., neu bearb. Aufl., Berlin / Heidelberg/New York u. a. 1991. Lau, Ephrem Else: Interaktion und Institution. Zur Theorie der Institution und der Institutionalisierung aus der Perspektive einer verstehend-interaktionistischen Soziologie, Berlin 1978. Leontovitsch, Victor: Die Theorie der Institution bei Maurice Hauriou, in: Roman Schnur (Hrsg.), Institution und Recht, Darmstadt 1968, S. 176-264. Lepenies, Wolf: Anthropologie und Gesellschaftskritik. Zur Kontroverse Gehlen - Habermas, in: ders. / Helmut Nolte, Kritik der Anthropologie. Marx und Freud. Gehlen und Habermas. Über Agression, 2. Aufl., München 1972, S. 77-102. Lipp, Wolfgang: Institution, Reflexion und Freiheit - Wege in Widersprüche. Helmut Schelskys Institutionenlehre, in: Horst Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1986, S. 78-95. - Institution und Veranstaltung. Zur neueren Entwicklung institutionellen Bewußtseins in den Sozialwissenschaften, in: Eckart Pankoke (Hrsg.), Institution und technische Zivilisation. Symposion zum 65. Geburtstag von Johannes Chr. Papalekas, Berlin 1990, S. 31-50.

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Lorenz, Konrad: Über die Bildung des Instinktbegriffs (1937), in: ders., Über tierisches und menschliches Verhalten. Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre. Gesammelte Abhandlungen Band I, München 1965, S. 283-342. - Psychologie und Stammesgeschichte (1954), in: ders., Über tierisches und menschliches Verhalten. Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre. Gesammelte Abhandlungen Band II, München 1965, S. 201-254. Luban, David: Smith Against the Ethicists, in: Law and Philosophy 9 (1990), S. 417-433. Lübbe, Hermann: Diskussionsbeitrag, in: Recht und Institution. Helmut Schelsky-Gedächtnissymposion Münster 1985, hrsg. von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 94-95. Luhmann, Niklas: Funktion und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964. - Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, Berlin 1965. - Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung. Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung, Berlin 1966. - Gesellschaftliche Organisation, in: Thomas Ellwein / Hans-Hermann Groothoff u. a. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliches Handbuch, Erster Band, Berlin 1969, S. 387407. - Normen in soziologischer Perspektive, in: Soziale Welt 20 (1969), S. 28-48. - Zur Funktion der „subjektiven Rechte", in: Rüdiger Lautmann / Werner Maihofer / Helmut Schelsky (Hrsg.), Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. I, Bielefeld 1970, S. 321-330. - Moderne Systemtheorien als Form gesamtgesellschaftlicher Analyse, in: Jürgen Habermas / Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung? Frankfurt a. M. 1971, S. 7-24. - Sinn als Grundbegriff der Soziologie, in: ebd., S. 25-100. - Funktion und Kausalität, in: ders., Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, Bd. 1, 3. Aufl., Opladen 1972, S. 9-30. - Positives Recht und Ideologie, in: ebd., S. 178-203. - Zweckbegriff und Systemrationalität. Über die Funktion von Zwecken in sozialen Systemen, Frankfurt a. M. 1973. - Institutionalisierung - Funktion und Mechanismus im sozialen System der Gesellschaft, in: Helmut Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, 2. Aufl., Düsseldorf 1973, S. 27-41. - Interaktion, Organisation, Gesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen 1975, S. 9-20. - Die Weltgesellschaft, in: ebd., S. 51-71. - Interpénétration - Zum Verhältnis personaler und sozialer Systeme, in: Zeitschrift für Soziologie 6 (1977), S. 62-76. - Evolution des Rechts, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981, S. 11-34. - Ausdifferenzierung des Rechtssystems, in: ebd., S. 35-51. - Die Funktion des Rechts: Erwartungssicherung oder Verhaltenssteuerung? In: ebd., S. 73-91.

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Schrifttumsverzeichnis

- Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: ebd., S. 113153. - Identitätsgebrauch in selbstsubstitutiven Ordnungen, besonders Gesellschaften, in: ders., Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Opladen 1981, S. 198-227. - Rechtssoziologie, 2. erweiterte Aufl., Opladen 1983. - Nachruf auf Helmut Schelsky, in: Jahrbuch 1984 der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Opladen 1985, S. 42-44. - Die Soziologie und der Mensch, in: Neue Sammlung. Vierteljahres-Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft 25 (1985), S. 33-41. - Die soziologische Beobachtung des Rechts, Frankfurt a. M. 1986. - Die Codierung des Rechtssystems, in:

RECHTSTHEORIE

17 (1986), S. 171-203.

- „Distinctions directrices". Über Codierung von Semantiken und Systemen, in: ders., Soziologische Aufklärung 4. Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, Opladen 1987, S. 13-31. - Was ist Kommunikation? In: Information Philosophie 1987, S. 4-16. - Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1988. - Macht, 2. durchgesehene Aufl., Stuttgart 1988. - Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 2. Aufl., Opladen 1988. - Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1988. - Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1988. - Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt? In: Hans Ulrich Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Materialität der Kommunikation, Frankfurt a. M. 1988, S. 884-905. - Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1989. - Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1990. - Ich sehe was, was Du nicht siehst, in: ders., Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven, Opladen 1990, S. 228-234. - Sthenographie, in: ders. / Umberto Maturana u. a., Beobachter. Konvergenz der Erkenntnistheorien? München 1990, S. 119-137. - Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: R E C H T S T H E O R I E 21 (1990), S. 459-473. - Über systemtheoretische Grundlagen der Gesellschaftstheorie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 38 (1990), S. 277-284. - Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, in: Rechtshistorisches Journal 9 (1990), S. 176-220. - Soziologie des Risikos, Berlin/New York 1991. - Am Ende der kritischen Soziologie, in: Zeitschrift für Soziologie 20 (1991), S. 147152. - Die Geltung des Rechts, in:

RECHTSTHEORIE

22 (1991), S. 273-286.

Schrifttumsverzeichnis

- Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft, in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, S. 93-128. - Die Universität als organisierte Organisation, in: ders., Universität als Milieu. Kleine Schriften, hrsg. von André Kieserling, Bielefeld 1992, S. 90-99. - Operational Closure and Structural Coupling: The Differentiation of the Legal System, in: Cardozo Law Review 13 (1992), S. 1419-1441. - Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993. MacCormick , Donald Neil: Das Recht als institutionelle Tatsache, in: ders. / Ota Weinberger. Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, Berlin 1985, S. 76-107. MacCormick, Donald Neil / Weinberger, Rechtspositivismus, Berlin 1985.

Ota: Grundlagen des Institutionalistischen

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186

Schrifttumsverzeichnis

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RECHTSTHEORIE

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188

Schrifttumsverzeichnis

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Schrifttumsverzeichnis

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- Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980. - Soziologie - wie ich sie verstand und verstehe, in: ebd., S. 7-33. - Die juridische Rationalität, in: ebd., S. 34-76. - Die Soziologen und das Recht, in: ebd., S. 77-94. - Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: ebd., S. 95-146. - Das Ihering-Modell des sozialen Wandels durch Recht. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Beitrag, in: ebd., S. 147-186. - Nutzen und Gefahren der sozial wissenschaftlichen Ausbildung von Juristen, in: ebd., S. 196-214. - Zur soziologischen Theorie der Institution, in: ebd., S. 215-231. - Der behavioristische Ansatz der Institutionenlehre (Floyd Henry Allport), in: ebd., S. 232-247. - Die Institutionenlehre Herbert Spencers und ihre Nachfolger, in: ebd., S. 248-261. - Die Wirtschaftswissenschaft und die Erfahrung des Wirtschaftens. Eine laienhafte Betrachtung, Wiesbaden 1980. - Thomas Hobbes. Eine politische Lehre, Berlin 1981. - Funktionäre. Gefährden sie das Gemeinwohl? Stuttgart-Degerloch 1982. - Politik und Publizität, Stuttgart-Degerloch 1983. Schemann, Andreas: Strukturelle Kopplung. Zur Festlegung und normativen Bindung offener Möglichkeiten sozialen Handelns, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 215-229.

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Schrifttumsverzeichnis

- Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Aufl., Tübingen 1951, S. 427-474. - Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5., revidierte Aufl. mit textkritischen Erläuterungen, hrsg. von Johannes Winckelmann, 1. und 2. Halbband, Tübingen 1976. Weimar, Robert: Das Rechtsgespräch, in: Werner Hoppe/Werner Krawietz / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium Münster 1988, Köln/Berlin/Bonn/München 1992, S. 283-302. Weinberger,

Ota: Intersubjektive Kommunikation, Normenlogik und Normendynamik,

i n : RECHTSTHEORIE 8 ( 1 9 7 7 ) , S.

19-40.

- Das Recht als institutionelle Tatsache. Gleichzeitig eine Überlegung über den Begriff des positiven Rechts, in: R E C H T S T H E O R I E 11 (1980), S. 427-442. - Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin 1981. - Das institutionelle Dasein des Rechts, in: Dorothea Mayer-Maly / Ota Weinberger / Michaela Strasser (Hrsg.), Recht als Sinn und Institution, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 6, Berlin 1984, S. 245-259. - Institutionentheorie und Institutionalistischer Rechtspositivismus, in: ders. / Werner Krawietz (Hrsg.), Helmut Schelsky als Soziologe und politischer Denker, Stuttgart 1985, S. 134-172. - Einleitung: Ausgangspunkte des Institutionalistischen Rechtspositivismus, in: Donald Neil MacCormick / Ota Weinberger, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, Berlin 1985, S. 11-56. - Tatsachen und Tatsachenbeschreibungen. Eine logisch-methodologische Überlegung zu einem Grundlagenproblem der Sozialwissenschaften, in: ebd., S. 108-123. - Soziologie und normative Institutionentheorie, in: Recht und Institution. Helmut Schelsky-Gedächtnissymposion Münster 1985, hrsg. von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 33-58. - Diskussionsbeitrag, in: ebd., S. 74. - Juristische Entscheidungslogik. Zur Theorie der Deutung und Anwendung des Rechts vom Standpunkt des Institutionalistischen Rechtspositivismus, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln / Berlin / Bonn / München 1986, S. 123-146. - Ontologie, Hermeneutik und der Begriff des geltenden Rechts, in: Csaba Varga / Ota Weinberger (Hrsg.), Rechtsgeltung. Ergebnisse des ungarisch-österreichischen Symposiums der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie 1985, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 27, Stuttgart 1986, S. 109-126. - Recht, Institution und Rechtspolitik. Grundprobleme der Rechtstheorie und Sozialphilosophie, Stuttgart 1987. - Bausteine des Institutionalistischen Rechtspositivismus, in: ders., Recht, Institution und Rechtspolitik. Grundprobleme der Rechtstheorie und Sozialphilosophie, Stuttgart 1987, S. 11-42. - Zur Idee einer formal-finalistischen Handlungstheorie, in: ebd., S. 43-84. - Ontologie, Hermeneutik und der Begriff des geltenden Rechts, in: ebd., S. 109-128.

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Schrifttumsverzeichnis

- Die formal-finalistische Handlungstheorie und das Strafrecht, in: ebd., S. 129-142. - Norm und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts, Wien 1988. - Rechtslogik, 2., umgearbeitete und wesentlich erweiterte Aufl., Berlin 1989. - Verfassungstheorie vom Standpunkt des neuen Institutionalismus, in: Archiv für Rechts-und Sozialphilosophie LXXVI (1990), S. 100-118. - Institutionalistische versus Reine Verfassungstheorie, in: Heinz Mayer (Hrsg.), Staatsrecht in Theorie und Praxis. Festschrift Robert Walter zum 60. Geburtstag, Wien 1991, S. 739-754. - The Theory of Legal Dynamics Reconsidered, in: Ratio Juris 4 (1991), S. 18-35. - Das Wesen der Regeln, in: Werner Krawietz / Antonio A. Martino / Kenneth I. Winston (Hrsg.), Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 11, Berlin 1991, S. 169-191. - Der normativistische Institutionalismus und die Theorie der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit als Leitidee der Demokratie, in: ders., Moral und Vernunft. Beiträge zu Ethik, Gerechtigkeitstheorie und Normenlogik, Wien / Köln/ Weimar 1992, S. 234-260. - Ontologie der Normen, vor allem der Rechtsnormen. Gegenüberstellung der Auffassungen von Franti Sek Weyr, Hans Kelsen und des Institutionalistischen Rechtspositivismus, in: R E C H T S T H E O R I E 23 (1992), S. 167-176. - Der semantische, der juristische und der soziologische Normbegriff, in: Werner Krawietz/Jerzy Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts. Festgabe für Kazimierz Opalek zum 75. Geburtstag, Berlin 1993, S. 435-453. - Grundlagenprobleme des Institutionalistischen Rechtspositivismus und der Gerechtigkeitstheorie, in: Peter Koller / Werner Krawietz / Peter Strasser (Hrsg.), Institution und Recht. Grazer Internationales Symposion zu Ehren von Ota Weinberger, Berlin 1994, R E C H T S T H E O R I E Beiheft 14, S. 173-284. Weiß, Johannes: Vernunft und Vernichtung. Zur Philosophie und Soziologie der Moderne, Opladen 1993. Welker, Michael: Einfache oder multiple doppelte Kontingenz? Minimalbedingungen der Beschreibung von Religion und emergenten Strukturen sozialer Systeme, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 355-370. Welzel, Hans: Um die finale Handlungslehre. Eine Auseinandersetzung mit ihren Kritikern, Tübingen 1949. - An den Grenzen des Rechts. Die Frage nach der Rechtsgeltung, Köln / Opladen 1966. - Kausalität und Handlung, in: ders., Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, Berlin/ New York 1975, S. 7-22. Werner, Petra: Soziale Systeme als Interaktion und Organisation. Zum begrifflichen Verhältnis von Institution, Norm und Handlung, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 200-214. Whitehead, Alfred North: Prozeß und Realität. Entwurf einer Kosmologie, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Hans Günter Holl, 2. überarbeitete Aufl., Frankfurt a. M. 1984.

Schrifttumsverzeichnis

Wiese, Alfred von: Institution, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 5. Band, Stuttgart/Tübingen/Göttingen 1956, S. 297-298. - System der Allgemeinen Soziologie als Lehre von den sozialen Prozessen und den sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungslehre), 4. Aufl., Berlin 1966. Winston, Kenneth I.: Reflections on Model Institutions, in: Werner Krawietz / Jerzy Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts. Festgabe für Kazimierz Opalek zum 75. Geburtstag, Berlin 1993, S. 455-465. Wissmann, Peter: Rechtsnorm und reale Geltung, Diss. iur. Köln 1967. Wright, Georg Henrik von: An Essay on Door-Knocking, in: RECHTSTHEORIE

19 ( 1 9 8 8 ) ,

S. 2 7 5 - 2 8 8 .

Wyduckel, Dieter: lus Publicum. Grundlagen und Entwicklung des Öffentlichen Rechts und der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1984. - Die Herkunft der Rechtsprechung aus der Iurisdictio. Ein Beitrag zur historischen Rekonstruktion der Rechtsprechungslehre, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln / Berlin / Bonn / München 1986, S. 247-270. Ziembinski, Zygmunt: Prescriptive and / or Descriptive Language in Legal Sciences, in: Werner Krawietz / Jerzy Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts. Festgabe für Kazimierz Opalek zum 75. Geburtstag, Berlin 1993, S. 85-92.

13 Werner

Personenregister Aarnio, Aulis 33, 117 Achterberg, Norbert 127 Alchourrón, Carlos E. 37 Alexy, Robert 131, 133-138, 140, 142, 146, 153, 168 Allport, Floyd Henry 65 f., 69 Anscombe, G. E. M. 16 Austin, John 9 Baier, Horst 170 Behrend, Jürgen 119 Bel visi, Francesco 75, 83, 97 Bentham, Jeremy 25 Bergmann, Werner 21 Berkemann, Jörg 107 Bock, Michael 24, 51, 63 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 88 Broekman, Jan M. 60 Brusiin, Otto 20, 31, 36, 74, 115 Bülow, Oskar 102, 118, 162 Bullasch, Ute 38 Bulygin, Eugenio 37, 133 Bydlinski, Franz 130 - 132, 134, 137 Chanos, Antonis 28 Coburn-Staege, Ursula 95 Dahrendorf, Ralf 94 De Giorgi, Raffaele 14, 127 f. Dreier, Ralf 130 f., 133 f., 137,140 f., 153 Douglas, Mary 71 Durkheim, Emile 38, 70, 172 Eckhoff, Torstein 78, 121-123 Engisch, Karl 103 Esser, Josef 101, 120 Fiedler, Wilfried 50 Fikentscher, Wolfgang 11, 102-104 Frey, Reiner 23 Friedman, Lawrence M. 114

Fuchs, Maximilian 12 f. Fuchs, Peter 80 Garzón Valdés, Ernesto 130 Gehlen, Arnold 38, 46, 49, 59 f., 85, 90 Geiger, Theodor 44, 105,107, 113 f., 116, 125, 136, 140, 162 Gephart, Werner 20 Göhler, Gerhard 66, 70 Gray, Christopher B. 11 Gromitsaris, Athanasios 27, 50, 84, 91, 100, 114 Gurvitch, Georges 13 Habermas, Jürgen 41, 53, 60, 138, 143 f., 165 f., 168 Haferkamp, Hans 93 Hare, R. M. 139 Hart, H. L. A. 9, 100, 140 Hartmann, Nicolai 33 f., 37 Hauriou, Maurice 10-12, 14, 40, 71 Hauser, Raimund 108, 119 Henkel, Heinrich 100 f. Hobbes, Thomas 44 Höffe, Otfried 84, 131 Hoerster, Norbert 9, 130 f., 136, 149 Holtwick-Mainzer, Andrea 90 Hommes, H. J. 150 Hruschka, Joachim 131 Ihering, Rudolph von 14, 26, 58, 91, 139, 144 f. Isay, Hermann 107, 114 Jaeggi, Urs 70 Joas, Hans 61 J0rgensen, Stig 32, 98 Kant, Immanuel 136 Kaplan, Reinhard W. 60

Personenregister

Kargl, Walter 24 Kaufmann, Arthur 103 Kelsen, Hans 9,17,32,101,104,106,108, 117-120, 136, 148 f. Kemmerling, Andreas 125 Kleinknecht, Theodor 94 König, René 70 f., 76 Koller, Peter 134 Koselleck, Reinhart 59 Krawietz, Werner 9, 11, 14, 18 f., 24, 26, 31, 35, 41, 43, 46, 54, 61, 63, 68 f., 72, 74,77 f., 82,84,86,92,100,102,104 f., 107 f., 110, 112 f., 115, 119-121, 125, 130, 135, 139-141, 143 f., 149, 151, 153, 159, 163, 167 f., 170 f. Kriele, Martin 102, 127, 135 Lachmann, Ludwig M. 71 Ladeur, Karl-Heinz 159 Lampe, Ernst-Joachim 50, 122 Landers, Scott 125 Landmann, Michael 60 Larenz, Karl 100 f., 103, 148 f. Lau, Ephrem Else 70, 73 Leontovitsch, Victor 10 Lepenies, Wolf 46, 60, 82 Leyhausen, Paul 49 Lipp, Wolfgang 98, 169 Lorenz, Konrad 29, 49, 62 Luban, David 137 Lübbe, Hermann 24, 100 Luhmann, Niklas 11, 19-21, 23 f., 26-28, 31, 34, 44, 46-48, 52f., 55-58, 60, 67 f., 71 f., 77, 79-81, 86-89, 91, 93, 95 f., 98-100, 104, 113, 127-129, 136, 139, 147, 154, 158, 169 MacCormick, Donald Neil 14, 16 Malinowski, Bronislaw 39 f., 47, 49, 50, 62, 90 Merkl, Adolf 119 f., 159 Merton, Robert K. 39, 86 Mestmäcker, Ernst-Joachim 30, 164 Meyer, Karlheinz 94 Montesquieu 117 Müller, Friedrich 122 Musil, Robert 95 Nawiasky, Hans 100, 153 13*

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Neumann, Ulfrid 153 Noll, Peter 129 North, Douglass C. 51 Ogorek, Regina 117 f., 127, 130, 136 Olivecrona, Karl 151 Opalek, Kazimierz 18, 37, 100, 122 Ott, Walter 119, 148 Parsons, Talcott 54, 70, 79, 172 Paulson, Stanley L. 151 Peczenik, Aleksander 37, 43 Petev, Valentin 117, 131 Plessner, Helmut 60 Podlech, Adalbert 136, 149 Poeschel, Jürgen 52 Pohlmann, Rosemarie 82 Popper, Karl R. 33 f., 37 Radbruch, Gustav 133-135, 142, 160 Radcliffe-Brown, A. R. 39 Raiser, Thomas 24, 46, 119 Rehbinder, Manfred 70 Reimann, Horst 70, 76 Renard, Georges 10 Robles, Gregorio 110 Röhl, Klaus F. 31, 46, 148, 169-171 Rolke, Lothar 164 Romano, Santi 11-14 Ross, Alf 25, 120, 159 Rotter, Frank 82 Rottleuthner, Hubert 60 Rüthers, Bernd 35 Ryffel, Hans 84, 101 Sack, Peter 12 Sadurski, Wojciech 136, 138 Schäfers, Bernhard 46, 83 Scheler, Max 60 Schelsky, Helmut 9, 13-15, 20-32, 3847,49 - 54, 56 - 63,65 - 69,71 -100, 102, 107-109, 111-116, 124, 126 f., 129, 131-133, 142-145, 147, 149, 151 f., 155-162, 164-172 Schemann, Andreas 24, 163 Schmalz-Bruns, Rainer 66 Schmidt, Frank-Hermann 62 Schmitt, Carl 40, 88 Schott, Rüdiger 54

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Personenregister

Vollrath, Emst 144

Weber, Max 14, 25 f., 43, 79, 92 f., 97 f., 109-111, 113, 152, 154 f., 172 Weimar, Robert 115 Weinberger, Ota 11, 14-21, 31-38, 4245, 66, 95, 104-108, 119, 122, 150 f., 166 Weiß, Johannes 94 Welker, Michael 27 Welzel, Hans 45, 153 Werner, Petra 171 Whitehead, Alfred North 21 Wiese, Leopold von 72 Winston, Kenneth I. 70 Wissmann, Peter 149 Wittgenstein, Ludwig 125 Wright, Georg Henrik von 19 Wyduckel, Dieter 92, 119, 173

Walter, Robert 149 Waschkuhn, Amo 66

Zapf, Wolfgang 50 Ziembinski, Zygmunt 37

Schreiber, Rupert 148 Schülein, Johann August 74 f. Schütz, Alfred 79 Searle, John 16 Siep, Ludwig 137 Smend, Rudolf 52 Smid, Stefan 56 Smith, M. B. E. 137 Spencer Brown, George 79 Stratenwerth, Günter 45 Summers, Robert S. 126, 145, 159 Sumner, William Graham 70 Sundby, Nils Kristian 78, 121-123 Teubner, Gunther 57, 159

Sachregister Aktionsnorm 100,115, 118, 136,162 f. - s. a. Norm/Rechtsnorm Akteur/Aktor 57, 161 Akzeptanz 152-154 Allgemeine Handlungsfreiheit 137 Allgemeine Rechtslehre 93,105 - s. Rechtstheorie Allgemeinverfügung 123 Amt 67,169 Amtsperson 167 Analogie 124 Analogielehre 103 Analyse, η - bestandsfunktionale 39 f., 85 - empirische 169-171 - gesellschaftsprogrammatische Funktions40, 83 f. - normative 45 - semantische 104-109 - soziologische 25,41, 45, 94 - 100 Anerkennung - intersubjektive 165 - prinzipielle 150 Ansatz - anthropologisch-funktionaler 39, 46, 61, 63, 82-84 - bestandsfunktionaler 39 f., 82 f. - individualistischer Theorie- 78 - 82 - personfunktionaler 40,46, 76, 82 - 84, 89 -94 - politisch-funktionaler 40 f., 82 - 84, 89, 170 - systemfunktionaler 39, 46 f., 61, 63, 76, 82-84, 91 f. - universalistischer Theorie- 78 - 82 Anthropologie 38,41,46, 60, 62 f., 74, 79 Antinormativismus 12 Apriorität - Rechtserkenntnis 120,136

Argumentation - moralische 139 - normative 138 f. - praktische 138 - vernünftige 165 f., 168 - s. Juristische Argumentation Aufklärung 164 Ausdifferenzierung 121, 139 Aushandeln 58 f., 115 f., 167 Auslegung 108,127 Autopoiese 55,57 - normative 35, 74, 98 Balance of powers 156 Bedürfnis, se - abgeleitete 49 - 55, 57, 59, 62 f., 77 - Folge-49, 52 f. - funktionaler Bezugsgesichtspunkt 48 - Hierarchie 51-54 - Kommunikationsthema 50,55,63 - kulturelle 29, 39,47,49 f., 62 - menschliche 29, 38 f., 47 - 49 - Selektion 49 - soziales 57 Behaviorismus 38, 65 f., 69 Behörde 100 Beobachterperspektive 163 Beobachtung 36 f., 42,110 f., 115, 120, 149 - Begriff 79 f. - exteme 44 - wissenschaftliche 68f., 75,78f., 89, 154f. - s. Fremdbeobachtung - s. Selbstbeobachtung Beweisführung 106 f. Bewußtsein 67, 79, 96, 144, 164 Bewußtseinsphilosophie 142 Bewußtseinssystem 19 f., 23 f. - s. a. System Bildung 87 Biologie 147

198

register

Brauch 42 f. Brute facts 16 Bundesverfassungsgericht 161 Case law 102 - s. a. Recht Charter 40 - s. a. Leitidee Code - binärer 87 - 89 - gut/böse 136 - Recht/Unrecht 44, 88,140, 143, 146 f. - wahr/unwahr 68 Daseinsvorsorge 155 Deduktion 102,104,118, 148,150,154 Demokratie 144 Demokratieprinzip 83,138 Differenzierung - funktionale 75, 85, 87, 89, 127, 132,156 - segmentare 89,156 - stratifikatorische 156 Diktatur 134, 137 - s. Wicked System Direktive 78 - s. a. Norm/Rechtsnorm Diskurs - herrschaftsfreier 139 - vernünftiger 139 Diskurstheorie 138,143 f., 165 Dogmatische Rechtswissenschaft 123 Drei-Ämter-Struktur 159,167 Drei-Welten-Lehre 33, 37 Dritter - übermächtiger 156 f. Einzelfall 102 - 104, 114, 116, 124 126,147 f., 158-163 Empirie 80 Endziel, e 39 - 41, 63, 83 - 85, 87 f. - s. a. Leitidee Entscheiden, juristisches - programmierendes 127 f. - programmiertes 127 f. Entscheidung, en 38, 42 f., 56, 58 f., 83, 100 - 104, 106, 108, 112 - 118, 120 - 128 f., 138, 143 f., 154 f., 157, 159f., 162- 164, 167, 169

Entscheidungskopplung 121 Entscheidungsmuster 122 Entscheidungsnorm 100, 121 - s. a. Norm/Rechtsnorm Entscheidungsverfahren 58, 121,124,126 f., 144, 154- 159, 161 f. - s. a. Verfahren Entscheidungszwang 128,168 Erfahrung 120 Erkenntnis - apriorische 136 - wissenschaftliche 136,146 - s. a. Kognitivismus/Non-Kognitivismus Ermächtigungsnorm 118 - s. a. Norm/Rechtsnorm Erwartung, en 21, 25, 27f., 95, 99, llOf., 140 - institutionalisierte 25 f., 31 f. - kognitive 27 f. - kongruent generalisierte/rechtsnormative 25, 31 f., 38, 42, 56, 59, 71 f., 74, 78, 88, 112 f., 120 f., 124, 126, 152 - 154, 158, 160 f., 164, 171 - kontrafaktische/normative 28,113 f. Erwartungserwartung 27, 72, 112 Erwartungszusammenhang 95,98, 124 Erziehung 87 Erziehungssystem 132 - s. a. System Etatismus 31 - s. a. Staat Ethik 138,143,153 Ethologie 62 Evolution 54 - 58,92 Evolutionstheorie 54, 59 f., 89 Exekutive 102, 114 - 5. a. Verwaltung Faktum - institutionelles 15,139,151 - normatives 14 f. - s. Law as fact - s. Tatsache, η Fallnorm 102 - 104, 124 - 126, 128, 147, 161 - 163 - s. a. Norm/Rechtsnorm Fallnormtheorie 103 f.

Sachregister

Fallrecht 102 - s. Case law Familie 91,128, 132,157,170 Finale Handlungslehre 45 - s. a. Handlungslehre - s. a. Handlungstheorie Folge, η - -reflexion 128

199

Geschlossenheit - operative 88 Gesellschaft 39, 68 f., 73 - 79, 81 f., 86 89, 95, 97, 150,165 f. - archaische 89-91 - Ausdifferenzierung 139, 156 - moderne/funktional differenzierte 89, 91, 93, 126, 157 - multikulturelle 147 - -Wirkung 128 - segmentare/primitive 89 f. - s. a. Rechtsfolge - stratifikatorische 156 Formalität - Struktur der 171 - prozessuale Methode 157 - s. Weltgesellschaft Forschung 146 Gesellschaftstheorie 86, 89 Fortschritt Gesetz, e 117f., 120, 122f., 139, 146, 161, - geschichtlicher 54 167 Freiheit 40,78, 88,92 f., 97,155 f. - Anwendung 102,111,114, 118 Fremdbeobachtung 96,99,141 - Begriff 100-104 Frieden 97,155,157 Funktion 48, 75, 82 - 84, 87 f., 91, 97, 100 - Gesetzesnorm 102-104 - s. a. Norm/Rechtsnorm 102,117, 155 f., 167 Gesetzespositi vismus 12 f., 137 - s. a. Ansätze - s. a. Rechtspositivismus Funktionale Äquivalenz 47 f. Gesetzgeber 101 f., 117 f., 124, 126 f., 142, Funktionssystem 121, 166 146,158,160 - s. a. System Gesetzgebung 58 f., 114, 116, 118, 121, 126 Funktionszusammenhang 69 -128, 144, 146,158 f., 167 Gesetzgebungsverfahren 58, 72, 116, 127, Gedankenentität 158 f. - normative 17 - s. a. Verfahren Geltung 28, 132 Gewalt - s. Rechtsgeltung - staatliche 156 - s. a. Verbindlichkeit Gewaltenteilung 156 - s. a. Wirksamkeit - s. Balance of powers Geltungsbegriff 136 Gewohnheit 41 f. - ethischer 130 f. Gewohnheitsrecht 42,101,118,139 - juristischer 130 - s. a. Recht - realistischer 130 Gleichheit 88 f., 137 Geltungsgrund 42,119, 136,139 Gleichsetzungslehren 103 Generalisierung 114, 123 - 125 Grundnorm 119 - zeitliche/sachliche/soziale 71 f., 126 Grundnorm-These 121 Gerechtigkeit 133 - 136, 142 f., 158 Grundrecht, e 93 f. Gericht 94, 100-104, 113-115, 117 f., 125 - als Institution 71 -128 - s. a. Recht Gerichtsorganisation 128 f., 147 Gerichtsverfahren 58, 94, 124, 127 - 129, Handeln 10,13 157, 159, 161, 167 - Anschluß- 111, 146 - s. a. Verfahren - bewußtes Zweck- 45, 57, 62 - 64, 72, Geschichte 54 76f., 85,91,97-99, 112f., 161

200

-

register

Determination 35, 77 f., 106 freies 98 gegenseitiges 164 individuelles 22 f., 38,40,74, 77 f. institutionelles 66,73, 76, 97 - 99, 168 organisiertes 30,44 f. rechtmäßiges 164 soziales 25, 38 - 40, 44 f., 63, 66, 70 - 72, 81, 84 f., 89, 97-99, 112, 152 f. Handlung, en - Einzel- 69 - gegenseitige 90 - individuelle 76, 81 - institutionelle 52,72 f., 77 - Normthema 123 - revolutionäre 58 - soziale 20, 25, 39, 44, 69, 79, 86 - Verhältnis zur Struktur 21 - zeremonielle 91 Handlungsalternativen 78 Handlungsentscheidung 144 Handlungslehre 44 f. Handlungsorientierung 152 Handlungspflicht 123 Handlungsprozeß 58,73, 108,116, 159, 167 Handlungsspielraum 92 f. Handlungssteuerung 149 Handlungstheorie 45, 78 - 82 - s. a. Institutionentheorie Hermeneutik 112 Herrschaft 89, 91 -93, 155 f. Herrschaftsgewalt 155 - s. a. Gewalt, staatliche Herrschaftsordnung 156 Hierarchie 121 - Normen-101, 117-123 - Organisations- 121 - Rechtshierarchie 117-123 - Selbsthierarchisierung 121 - s. a. Rechtsstaat - s. a. Stufenbaumodell des Rechts Holismus 78 Homo sociologicus 94 Idealentität, en 18 f., 23, 32 - 34, 36 - 38, 104 f. Idee - moralische 142 f.

- objektive 10 - politische 40 f. - Rechts- 32 - 38 - sozialer Tatbestand 10 Idée directrice 11,40 - s. a. Leitidee Ideenlehre 37 Individualismus 73 Individualität 97, 164 Individuum 29, 32, 39 f., 69, 73 - 76, 78 f., 81, 83, 85, 92 - 94, 99, 144, 155 f., 164 Information, en 88 - normative 34 - 36 - praktische 17, 34, 36 f. - selegierter Sinn 19 - theoretische 34 Instanzen- und Rollenspiel 114 Institut 70 - 72 Institution, en - Antriebsfaktoren 51 - Bedürfnissynthese der ~ 47 - Begriff 75 f., 169 - bewußtes Zweckhandeln in - 21 - 23, 28 - 30, 41 - 43, 45, 57, 62 - 64, 76 f., 91, 98 f. - Entlastungsfunktion 28 f., 32, 38, 42, 48 f., 161 - Entlastungs- und Steuerungssystem 46 49 - Entstehung 50, 60 f. - Funktion 155 f., 170 - Hierarchie 51 - 54 - Idee 10 f. - Instabilität 53 - juridische 142 f. - kongruent generalisierte Verhaltenserwartungen 71 f. - Muster 70, 72, 171 - Personen-10, 36 - s. Institutions-personnes - politische Programmierung 40 - reale 10, 36 - Rechtsordnung 12 f. - Rechtsquelle 11 f. - Sach-10, 36 - s. Institutions-choses - Schutz des Individuums 145 - Sinn-Existenz der ~ 66 f.

Sachregister

201

- soziales System 20, 24, 57 f., 72 - 78, - soziologische 54 f., 61 - 64,74 112,169-171 - Verhältnis zur Systemtheorie 20 - 24, 28, 46, 55, 71 f., 77 - 81, 86 - 89, 91, 99 f., - s. System 125,169,171 - Stabilität 25, 29f., 41, 51 f., 57,59f., 155, Institutions-choses 10 161 Institutions-personnes 10 - Steuerungsfunktion 38, 49, 52, 63, 98, Institutionsüberlastung 54 116 Institutionsverfall 54 - Struktur der ~ 170 Interaktionistische Theorie 73 f. - Struktur sozialer Systeme 70 - 72 Interaktionssystem, e 27 f., 32, 56, 73 - 75, - Typus 70 85, 89 f., 166 - Ursprung 91, 156 Interaktionstheorie 86 - s. Zeremoniell Interesse, η 90 f., 108, 156, 167,169 - Veränderbarkeit 23, 25, 41, 52 - 54, 57 Interessenkonflikt 127 60,76 f. Internationales Privatrecht 141 - Verfall 53, 55 Interpénétration 23 - Verhaltensmuster 25,49,70 f., 95 Irritation 57,128 - Verhältnis zum Handeln 21, 45, 49, 66 78, 172 - Verhältnis zum Recht 61 - 64, 77 Judikative 101,127 - Verhältnis zur Organisation 30f., 71,171 - s. Rechtsprechung - Wandel 53 f., 58-60, 76 Juridische Rationalität 115, 126 f., 132, 142 -144, 157 f., 164-169 - wissenschaftliche Beobachtung 68 f. Institutionalisierung 28 f., 42, 68, 72 f., 77, Jurisprudenz, soziologische 172 116, 123,154, 156,164 - s. a. Rechtsrealismus Institutionalismus 9 Juristische Argumentation 106 - 108, 129, 141, 144, 156 f. - s. Institutionentheorie Juristische Methodenlehre 102, 105, 108, Institutionalistischer Rechtspositivismus 14, 111, 117, 123 16-19, 33-37, 77, 104 f. Justizverweigerungsverbot 128,147 - normative Institution, en 35 f. - Realinstitution, en 35 f. - Realität der Norm 34 f. Kodifikation 146 Institutionentheorie, η Kognitivismus/Non-Kognitivismus 100 - anthropologische Voraussetzungen 46 109 49 Kommunikation, en 18 - 21, 23, 27, 54, - deskriptive 83 56 f., 69, 72, 79, 84-86, 132 - dynamische 59,75 - Anschluß- 35,146, 153, 160 - Handlungstheorie als integrierender Be- Beitrag 50 - dreistelliger Selektionsprozeß 19 standteil 45 - Element sozialer Systeme 21, 54 f., 57, 86 - klassische 77 - emergente Einheit 19 - konservative 38, 60 f., 63, 161 - normative 23, 56,69 - moderne 139, 149,169 - nachpositivistische 9, 14, 38, 58, 112, - rechtsnormative 38,44, 67, 104 - Thema 50, 55, 63 117, 125 f., 160 f., 169, 171 f. - und Verhaltenserwartungen 27 f. - naturrechtliche 9-11,71 - wissenschaftliche 80 - normativistische 24 - s. Rechtskommunikation - Realitätsbezug 85 Kommunikationsprozeß 50, 55,126 - rechtspositivistische 9, 11-14 Kommunikationssystem 58, 76 f., 99 - rechtsrealistische 69, 71 f., 77

202

Kompetenzebene 126 Kompetenznorm 122 - s. a. Norm/Rechtsnorm Komplexität 56,67 - 69,112 - gesellschaftliche 67 f., 79,121,154 - im Gerichtsverfahren 127 - im Gesetzgebungsverfahren 127 - Reduktion der ~ 67,116 Konditionalprogramm 88,139 Konflikte 91 Konkretisierung 114, 124, 147 Konkretisierungslehre 103 Konsens 28,72,165 f. - faktischer 72,154 - fingierter 154 - normativer 72,154 - sozialer 71 - unterstellter 72 Kontingenz 77,106,139,159 f. - doppelte 27 Konvention 42 f., 161 Kopplung - normative strukturelle 121 - strukturelle 23 f. Kultur 47,49 - 52, 54, 58, 60, 136,156 Law as fact 151 Law in action 126 Law in books 126 Legalität 154 Legalitätsglaube 154 Legislative 101,127 - s. Gesetzgebung Legitimation - durch Verfahren 154 Leitidee, η 11, 40f., 63, 83 - 91, 132, 139, 155 - Charter 40 - Endziel, e 39 - 41, 63, 83 - 85, 87 f. - Gegenseitigkeit auf Dauer 89 f., 115,156 - Gleichheit bei Verschiedenheit 89,92 - Idée directrice 11,40 - Integrität und Autonomie der Person gegenüber Organisationen 89, 93 f. Logik 105 -108 - deontische 37 - formale 108

register

- juristische 115,126 f., 143 - s. a. Juridische Rationalität - Normen-18,105 - 108 Lücke 101 f. - Gesetzes-145 f. - Rechts-145 f. Macht 92 f., 155 f. Machtverteilung 93 - s. Balance of powers Maxime 109-111 Medizin 147 Mensch - Endziele und Leitideen des ~en 84 - ganzer 94-96,99 - generalisierter 40 f., 79 f., 83 - Gleichheit 89 - Mängelwesen 46 f., 62 - soziales Gattungswesen 24,60,73 f., 84 - Verhältnis zu sozialen Systemen 23, 44, 76, 83, 94-99 - Wille 45 Menschenrecht, e 54 Menschenwürde 137 Mitteilung 19 Moral 43, 133,136, 138 f., 141 - 143,146 f., 165 - s. Recht und ~ Moralcode 136 Moralphilosophie 141, 146 Moralprinzip, ien 138, 140, 142 f. - s. a. Prinzip, ien Moralprogramm 136 Moraltheorie 138 Motiv 85 Muster - institutionelle 58, 63, 70, 76, 81, 91, 98, 153,161 Natur 136 Natur der Sache 142 Naturrecht 9 - 11, 71, 130, 133, 135, 138, 142, 154,158 Norm, en - Aktions- 100, 115, 118, 136,162f. - Bedeutung 109-111, 113, 115 - Befolgung 109,111 - 113, 115, 152f. - Begriff 114

Sachregister

- Bestandteil institutioneller Tatsachen 17 - Determinanten menschlichen Verhaltens 35, 78,97 - Funktion 60,113 - institutionalisierte 77 - Konkretisierung 120,147 - kontrafaktische Erwartungen 26, 28, 38, 69 - moralische 135,139, 145 - Orientierungsmaßstab für soziales Handeln 77,112 - Phänomene der institutionellen Wirklichkeit 25 - primäre 100, 115,118 - Reaktions- 90 f., 146, 157,161 - religiöse 43,139 - sekundäre 100,118 - soziale 43,72 - und Fakten 21,34 - 38,69,160 - und Handlung 21, 38, 76, 107, 151 - 5. a. Rechtsnorm, en Normadressat 56, 105, 112, 114, 122 - 125, 129, 153 f., 164 Normativismus 13, 32, 36 Normenhierarchie 101,117 - 123 - 5. a. Hierarchie Normenkontrolle 128 Normenlogik 18,105 - 108 Normentheorie 100 - analytische 26 - rechtsrealistische 171 f. - sinnkritische 77 Normprojektion 56, 58, 115,166 Normproposition 168 Normsatz 24,72 - s. Rechtssatz - s. Wortnorm Normselektion 58 f., 109,123,163 Normstrukturen 55, 69 Normsupposition, en 115, 124, 163 Objektivation 20 Öffentlichkeitsmaxime 94 Ontologie 33 f., 36 f. Operation, en 80,107 f., 140 - gedankliche 164 - rechtsnormative 158,160 f. - selbstreferenzielle 44,146 f.

203

Opposition 167 Ordnung - objektive 74 - soziale 13, 38, 68,97 Ordnungssystem - institutionelles 14 Ordre public 141 Organisation, en 28, 30 - 32, 38, 56, 69, 71, 73 - 76, 85, 87, 89, 91, 94 - 96, 121 f., 126-129, 155 f., 158, 166,171 - internationale 58, 87,121 - politische 52 - supranationale 58, 87,121 - s. Gerichtsorganisation Organisationshierarchie 121 - s. a. Hierarchie Organisationstheorie 86,126- 129 Orientierungssicherheit 122 Person 40,93-99, 122 - Einheit der ~ 44, 96 - Integrität und Autonomie der ~ 75, 89, 93 f. - Stabilität der ~ 96 f. - Verhältnis zum Recht 91 Personkonstitution 96 - 98 Politik, politisches System 74, 87, 121, 128, 143 Politikwissenschaft 70, 141 Positi vierung 140 Positivismus 11,13 - Gesetzes-12 f., 137 - Rechts- 9, 11 f., 125, 130, 133, 154 Präjudiz 102, 118,128 Praktische Philosophie 141 Prinzip, ien 85, 133,135,137 - konstitutionelle 139 f. - Moral- 138, 140, 142 f. - normative 91 - Rechts-101,137-141,145 - Vernunft-140 - s. Leitidee Prognose 128,146,162 Programm 121, 125, 127 f., 146, 162 Programmierung 88 Prozeß 72 f., 76 f., 106,115 - arbeitsteiliger 124,164 - autopoietischer 120,125

204

register

- institutioneller 164 - sozialer 96 - zirkulärer 56 •Psychologie 154 Publizität 156 Ratio decidendi 124, 128 Rationalität 115,144,164-169 - s. juridische Rationalität - s. Systemrationalität Reaktionsnorm 90 f., 146,157, 161 - s. a. Norm/Rechtsnorm Recht - anglo-amerikanisches 102 - Aufbau der Kultur mit Mitteln des ~s 58 - Begriff 130-147 - Beschreibung des ~s 109,141 - bewußtes Zweckhandeln 21 f., 29, 42, 60 -64, 77 - Case law 102 - dynamischer Aspekt 20, 76, 107 f. - dynamischer Stabilitätsfaktor 59 - Entstehung 13, 31 f., 74, 102, 107 f., 112, 168

-

Entwicklungsprozeß 126,169 Formalität des ~s 156 f., 159 f. Funktion des ~s 61, 63, 82 - 84,132 gelebte Ordnung 15 geltendes 137, 139 - 142,158 gesellschaftliche Einrichtung 15-24 gesellschaftliches 13, 32,172 Gewohnheits-42, 101, 118, 139 Handlungsbezug 150 hierarchische Schichtung des ~s 57 Inhalte 145 institutionelle Tatsache 15-24 Kampf ums -145 Kommunikationsstruktur 123 Kommunikationssystem 150 Leitideen des ~s 89,139 Machtkontrolle 156 modernes 101 objektive Ordnung 32, 60 - 63 objektives 74, 92 f. Organisation 13, 31 f. Planungsfunktion des ~s 77, 90, 161

- positives 38, 42, 72, 133 - 135, 137 140,145,159 - Setzung 154,159,162 - sozialer Prozeß 20, 151 - sozial-struktureller Aspekt 20 - soziologischer Begriff des ~s 38, 71 - sprachliche Form 37 - Sprung ins ~ 13 - staatliches 13, 31 f., 172 - subjektives 92 - 94, 145 - und Gesellschaft 131,170 - und Moral 130-147, 165 - und Unrecht 143 - Veränderung 126 Rechtsaktivität 149 Rechtsanwalt 115,129,157,159 Rechtsanwendung 100 f., 114, 117 f., 140, 145 Rechtsbeziehung 90 f. Rechtsdogmatik 111, 152 Rechtserzeugung 101, 117, 120f., 126 Rechtsethik 139, 141 Rechtsetzung 101, 120,131 Rechtsfolge, η 137, 160 Rechtsfreier Raum 145 Rechtsgeltung 130-163 Rechtsinstitut, e 35 Rechtskommunikation 18 - 21, 29, 31, 35, 38, 42, 44, 56, 58, 87, 104 - 109, 113 116, 119f., 123 - 125, 128f., 132, 140, 151,157,159- 164,168 Rechtskraft 159 Rechtskreis - angelsächsischer 102 - kontinentaleuropäischer 102, 117 Rechtslage 160 f. Rechtslücke 137 Rechtsnorm, en 100 - 116, 122, 139, 142 f., 147-149, 151, 155 - abgeleitete 107 - Anwendung 126 f., 167 - Bedeutung 104, 109, 152,162 - Bestimmtheit 145 - Direktive 78 - Entscheidungsnorm 100, 121 - Entstehung/Erzeugung 31, 72, 106 f. - Ermächtigungsnorm 118

Sachregister

- Fallnorm 102 - 104, 124 - 126, 128, 147, 161 -163 - Geltung 156-163 - generelle 101, 104 f., 107, 113, 117 - 120, 122 - 127,148, 150, 153, 158 - 163 - Gesetzesnorm 102-104 - Handlungsanweisung 164 - Idealentität 17, 32 - 34, 104 f. - individuelle 101, 104, 107f., 117 - 120, 122-126, 148,150, 158-163 - Institution 10 - institutionelle Tatsache, η 16, 20 - Kompetenznorm 122 - Orientierung an ~ 152 f. - Produktion 168 - Sanktionsnorm 35, 91, 157 - Selektion 56, 126 - Selektionskriterium 88 - semantische Differenzierungen 104-109 - soziale Fakten 104 - subsistente Norm 105, 111 - 116, 125 f., 158, 162, 170 - Veränderbarkeit 12, 106, 160 - Verhaltenserwartungen 26 - 28, 38, 42, 88, 171 - Wortnorm 38, 105, 108 f., 111, 114- 116, 125, 158, 162 - s. a. Norm, en Rechtsordnung 12, 69, 93, 100 f., 105 f., 118, 135, 137,142, 145- 147,152 - Einheit von Normen 12, 107, 150 - Geltung 148,150 f., 155 f. - institutionalisierte 155 - sozialistische 156 - Stufenbau 119 - Variabilität 97 - Verhältnis zu Rechtsnormen 12 - wirksame 148 Rechtsphilosophie - anglo-amerikanische 137 - Ideenlehre 142 Rechtspolitik 84,146 Rechtspositivismus 9, 11 f., 125, 130, 133, 154 - s. a. Positivismus Rechtspraxis 123, 129, 134,140, 148, 157 - Verhältnis zur Wissenschaft 165-168

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Rechtsprechung 117 f., 121, 126- 129, 144, 146,158 Rechtsprinzip, ien 101,137 - 141,145 - s. a. Prinzip, ien Rechtsprogramm 140,146 Rechtsquelle 11 f., 121, 146 - System der ~n 141 Rechtsquellenlehre 158 Rechtsrealismus 130, 150f., 154,162 f. - amerikanischer 126 - deutscher 125, 172 - skandinavischer 126 Rechtsregel, η 37 f., 100 f., 104 f., 109 - 116, 122, 125 f., 132 - s. a. Regel und Rechtsnorm Rechtssatz 37 f., 100 f., 103 - 109, 113, 119, 151, 158 - s. Wortnorm Rechtsschutz 129 Rechtssicherheit 56, 134 f., 142, 155, 157, 159 f., 164 Rechtssoziologie - Abgrenzung gegenüber der Anthropologie 60, 63 - Aufgabe 83 f., 109,123 - funktionale 41 - sinnkritische 77,125 - systemtheoretische 169 Rechtsstaat 92, 126,128, 132, 155,159 Rechtsstaatsprinzip 83,138 f. Rechtsstab 129, 152 f., 158 Rechtssystem - ausdifferenziertes 155 - autopoietisches System 44, 59, 98, 120 f., 139- 142, 145-147, 160 - Beobachtung 68 - Elemente 139 - Entwicklung 54 - Evolution 56 - Funktionssystem 87 f., 121 - Kommunikationsprozeß 38, 59,107 - Kommunikationssystem 107 f., 120, 129, 151,159, 165 - Kompetenzebenen des ~s 120 - Kontingenz 77 f., 159 - Normenhierarchie 121,123 - Normproduktion 127 - Normsatzssystem 106

206

-

Operation des ~ 140, 150,161 Organisationshierarchie 121,154 Peripherie 128 Rationalität 166 f. staatlich organisiertes 56,58,146,155 f. Strukturen des ~s 37 Trennung von Moral 43,132 Umwelt 128,139 f., 146 f., 165 Universalkompetenz 147 Verhältnis zu anderen Normensystemen 42 f., 141 - Zentrum 128 Rechtstheorie, η - analytische 9,15, 32, 117 - institutionalistische 69,72, 77 - Konsenstheorie 153 - moderne 122 - realistische 9, 72, 84, 108 f., 123, 125, 169,172 - soziologische 9,46, 72, 84 - Stammbaumtheorien 147-149 Rechtsverhältnis 90,92 Rechts Verordnung 101,123 Rechtswerte 108, 142 Rechtswirklichkeit 36f., 111, 119f., 128f., 150-152 Rechtswirkung 128, 160 Rechtswissenschaft 56, 93, 112, 141, 149, 166-168, 172 - s. Dogmatische Rechtswissenschaft - s. a. Wissenschaft, en Rechtswissenschaftssystem 132,167 Reduktionismus 78 - normativistischer 111,147 - 149 Regel, η 25, 109-111, 126, 132 - Befolgung 109 - 111, 129, 152 - 154, 161, 164 - generelle 100,103 f. - individuell konkrete 58,103 - institutionalisierte 36,113,124,153 - Regelmäßigkeit 109 f. - Reproduktion 112-114,125, 153, 160 - Setzung 109-112,162 - soziale 68, 74 - Spiel- 110 f. Regelbildung - institutionelle 155,164 Regelskeptizismus 104, 116 f., 125 f.

register

Regierung 158,167 Reine Rechtslehre 17, 32 Rekonstruktion 162 Religion 87, 141,143 Reproduktion 55 f., 120,125,139,153,160 Restabilisierung 55 Revolution 53,58 Reziprozität 90 - 92,156 Richter 102f., 114f., 117f., 121, 124, 126, 128 f., 134, 138,147, 157, 159 f., 167 Richterrecht 102 - s. Case law Rolle, η 36, 67, 71, 76, 94 - 98, 115, 129, 132, 157, 169 - s. Homo sociologicus Rollenkonflikt 95, 157 Rollenspiel 157 Rollentheorie 95 f. Rollenverteilung 167 - s. Drei-Ämter-Struktur Rückkopplung 56, 121, 127 Rückkopplungsschleifen 121 Sach Verhaltsprojektion 115 Sanktion 32, 35,91,157 Sanktionsnorm 35,91,157 - s. a. Norm/Rechtsnorm Satzung 101, 123 Schichtenontologie 33, 37 Schule 75 Sein und Sollen 11, 13, 15 - 17, 21, 36, 103 f., 149, 151 - Überwindung der Dichotomie 21 Selbstapriorisierung 120 Selbstbeobachtung 96, 141 Selbsthierarchisierung 121 - s. a. Hierarchie Selbstkonstitution 96 Selbstorganisation 75 Selbstreflexion 96 Selektion 55 - 58, 60, 84 - 89, 99, 126 Sinn - institutioneller 66 - 69,73 - kommunikativer 19, 67 f. - normativer 19 - prozessierter 19 - rechtsnormativer 120,149,162 - sozial konstituierter 67

Sachregister

Sinnfestlegung 59,163,166 Sinngebung 79 Sinngrenzen 55 Sinnselektion 19,67 f., 120,125 Sitte 42 f., 161 Sozialphilosophie 143 Sozialstaatsprinzip 83,138 f. Sozialwissenschaften 83, 94, 149, 154, 170 - s. a. Wissenschaft, en Soziologie 172 - Beobachtung 141 - funktionale 41 - Gegenstandsbereich der ~ 77, 86,93 - realistische 63, 71 f. Spezifizierung/Respezifizierung 114,124 f. Spielregel 110 f. - s. a. Rechtsnorm - s. a. Regel/Rechtsregel Staat 13, 52 f., 75,77, 89, 91 f., 94, 155, 157 - totalitärer 135 - s. a. Rechtsstaat - s. a. Verfassungsstaat Staatsanwalt 115, 129, 157,159 Stabilisierung 55 - 60 Statuskontrakt 97 f. Steuerung - institutionelle 22,112 f. - normative 112 Struktur, en - Änderungen 54 f., 58 - institutionalisierte 38, 55 - Norm-55 f., 70, 76, 82, 85 - rechtsnormative 59,73, 82,164 - soziale 27,70 - 73 - s. Erwartung - und Prozeß 21, 38 f., 73, 76, 149 - s. Norm und Handlung - Variation 57 - Zeit 21 Strukturtheorie des Rechts 112 Stufenbaumodell des Rechts 119 f. Subjekt 67, 78,123 - Kollektiv- 78 - s. a. Individuum Subsistente Norm 105, 111 - 116, 125 f., 158, 162,170 Subsumtion 103 f., 107,125 Syllogismus 118, 149 f.

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System, e - autopoietisches 23, 55 - Begriff 78, 86 - Bewußtseins-19 f., 23 f. - Ereignis 54 - Erziehungs- 132 - finales 40,97 - Funktion 90,168 f. - Funktions-121,166 - Grenze 44 - Handlungs- 45,77 - normatives 12,106 f., 150 - Operationen 21 - politisches 156 - psychisches 85,99 - soziales 20 f., 23 f., 32, 35, 39 f., 51-53, 55 - 57, 67, 70 - 72, 74, 76 f., 80, 83, 85 -89, 93-99, 121,152 f., 160-163,168 - s. Kommunikationssystem - und Umwelt 23, 49, 55, 77, 85, 87 f., 99, 128, 140 - s. a. Institution - s. a. Rechtssystem Systemrationalität 166,169 Systemreferenz, en 57, 69, 75, 78, 99, 141, 162 f. Systemtheorie 20, 23 f., 28, 55, 71 f., 77, 79, 82, 86, 99 f., 125,139, 149, 160,169, 171 Tarifvertrag 124 Tatbestand - gesetzlicher 137 - institutioneller 20 - prozeßrechtlicher 124,162 - sozialer 20,158,162 Tatsache, η - institutionelle 16, 34,150 - s. Faktum, institutionelles - rohe 16, 34, 160 - s. Brute facts Theorie - der Gesellschaft 82 - des menschlichen Handelns 82 - Integration der sozialwissenschaftlichen ~ ansätze 75 - 77, 81 - kritische 165 - mittlerer Reichweite 85 f., 169 - sozial wissenschaftliche -ansätze 75, 81

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register

- soziologische -bildung 86 Theorieintegration 171 f. Theorielevels 112 Tiefenpsychologie 74,79 Umweltschutz 146 Universität 75 Unrechtsstaat 134 - s. Wicked System Unterscheidung 79 Urteil 114, 116 f., 122 f., 126, 128, 138, 144, 159,167 Urteilstenor 124 Urteilsvollstreckung 124 Variation 54 - 60 Veränderung, en - gesellschaftliche 49 - 54, 58 - 60 - historische 54 - sprunghafte 54 Verantwortungsattribution 171 Verbindlichkeit 125, 140, 148, 152, 158 163 - s. a. Rechtsgeltung - s. a. Wirksamkeit Vereinte Nationen 87 Verfahren 106, 120, 154 - Entscheidungs- 58, 121, 124, 126 f., 144, 154-159, 161 f. - formalisierte 124,139, 154,157 - Gerichts- 58, 94, 124, 127 - 129, 157, 159, 161, 167 - Gesetzgebungs- 58,72,116,127,158 f. - institutionelle 56, 72, 126, 138, 169 - juridische 115, 129, 144, 147, 156 - 158, 160, 162, 164, 167, 169 - Verwaltungs- 58 Verfahrensrationalität 142 Verfahrensregeln 167 Verfassung 52 f., 57, 72, 93, 117, 120, 122, 127, 137, 139 Verfassungsgerichtsbarkeit 167 Verfassungsstaat 135,137,154 Verfassungswirklichkeit 15 Verhalten - abweichendes 113,152 - institutionalisiertes 72,111 f.

- institutionelles 76,98 - menschliches 14 f., 38,49,66,97,118 - Orientierung an Rechtsnormen 10, 34 f., 38 f., 111, 163 - regelgeleitetes 56, 109 - 111, 116, 152f., 161

- soziales 10, 15, 42, 69 f., 149 Verhaltensmuster 28,76, 78 f., 81, 95,113 Verhaltensorientierung 25, 85,109 Verhaltensregelmäßigkeit 76, 109 - 111 Verhaltenssicherheit 68 Vernunft 115, 132 - praktische 138,164 - 167 - theoretische 164 Vernunftprinzip, ien 140 - s. a. Prinzip, ien Vernunftrecht 130, 133 - 135, 138 f., 142 f., 154 - s. a. Naturrecht Verpflichtung 122 Verstehen 19 Vertrag 98,113, 122 f., 128 f., 160 Vertrags Verhandlungen 58 Verwaltung 102, 125 f., 146, 158 Verwaltungsakt 122 f. Verwaltungs verfahren 58 - s. a. Verfahren Wahrheit 68 Wandel - instabiler 53 f. - institutioneller 57

- rechtlicher 126 - sozialer 49 - 54, 56, 58 - 60, 76, 155,161 - stabiler 25, 30, 53 f., 56, 59,76 f. Weimarer Verfassung 53 Weltgesellschaft 86 f. Werte 97, 138 f., 142 - s. a. Rechtswerte Wicked System 133-135 Widerstandsrecht 135 Wirklichkeit - empirisch-analytische 66 - institutionelle 53 - sekundäre 80 - soziale 32, 67, 69, 75,78, 81 f., 85, 170 - s. a. Rechtswirklichkeit

Sachregister

Wirklichkeitsanalyse 44, 82 Wirklichkeitsbeschreibung 80 Wirklichkeitskontrolle 24 f. Wirksamkeit 133,158,161 - 163 Wirtschaftssystem 57, 75, 87, 121, 128, 141, 147, 156 Wirtschaftswissenschaft 141 - s. a. Wissenschaft, en Wissenschaft, en - Beobachtung 80,106 - normative 41, 83 - Rechts- 56, 93, 112, 141, 149, 166 - 168, 172 - Reflexionsüberschuß 80 - Sozial- 83, 94, 149, 154, 170 - soziologische und normative Analysen 45 Wissenschaftssystem 57, 68

14 Werner

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Wortnorm 38, 105, 108 f., 111, 114 - 116, 125, 158,162 - semantische Analyse 38 - s. a. Rechtsnorm Zeit 21, 54, 56, 113 f. Zeremoniell 91, 156 Zeuge 156 Ziel 97 Zukunft 146, 161 Zukunftsstabilisierung 59, 90, 116 Zwang 35 - s. a. Gewalt - s. a. Sanktion Zweck, e 89, 97, 99, 127, 155 Zweckkontrakt 97 f. Zweckmäßigkeit 142 Zweckrationalität 97, 155