Die gemeinsame Trennungssorge: Eine rechtshistorische und gesetzessystematische Betrachtung eines neuen Rechtsinstituts [1 ed.] 9783428527342, 9783428127344

Zerfallende Familien gehören immer mehr zum Bild unserer heutigen Gesellschaft. Leidtragende sind hierbei vor allem die

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Die gemeinsame Trennungssorge: Eine rechtshistorische und gesetzessystematische Betrachtung eines neuen Rechtsinstituts [1 ed.]
 9783428527342, 9783428127344

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Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 141

Die gemeinsame Trennungssorge Eine rechtshistorische und gesetzessystematische Betrachtung eines neuen Rechtsinstituts

Von

Sarah Meckling

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

SARAH MECKLING

Die gemeinsame Trennungssorge

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 141

Die gemeinsame Trennungssorge Eine rechtshistorische und gesetzessystematische Betrachtung eines neuen Rechtsinstituts

Von

Sarah Meckling

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-12734-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meine Eltern

Danksagung Hiermit möchte ich insbesondere meinem Vater und meinem Tanterl für ihre Hilfe wie geduldige und liebevolle Unterstützung während des ganzen Projektes sowie Matthias Geis für seinen partnerschaftlichen Zuspruch, Herrn Prof. Benöhr für seine wunderbare wissenschaftliche Betreuung und der Stadt Berlin für die Förderung der Arbeit durch ein NaFöG-Stipendium danken. Berlin, im Februar 2009

Sarah Meckling

Inhaltsverzeichnis Einführung

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Historischer Überblick über die Entwicklung der Elternsorge bis 1979 . . . 25 1. Die Entwicklung der gesetzlichen Erziehungszuständigkeit der Eltern . 26 a) Antike Vorbilder der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Impulse des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 . . . . . . 29 c) Impulse des BGB a.F. von 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 d) Impulse des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957 . . . . . . . . . . . . . 33 e) Impulse des SorgRG von 1979 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Entwicklung der nachehelichen Elternsorge im Überblick . . . . . . . . . . . 38 a) Gesetzlicher Zuweisungsschematismus für nacheheliche Erziehungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Einzelfallbeurteilung durch gerichtliches Ermessen und Elternvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 aa) Entwicklung des gerichtlichen Ermessensspielraums . . . . . . . . 49 bb) Entwicklung des Elternvorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Historische Erscheinungsformen der gemeinsamen Sorge und ihr Verhältnis zur Alleinsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Gesetzliche Anordnung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung 56 b) Gemeinsame Sorge aufgrund gerichtlicher Einzelfallentscheidung . 60 aa) Übertragung der gemeinsamen Sorge aufgrund gerichtlicher Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 bb) Gemeinsame Sorge aufgrund eines Elternvorschlages . . . . . . . 66 cc) Voraussetzungen und Gestaltungsansätze der gemeinsamen Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 dd) Kindeswohl im SorgeRG von 1979 und Kontroverse zum gemeinsamen Sorgerecht bei Einführung der obligatorischen Alleinsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4. Auswertung der Rechtsentwicklung mit Blick auf die äußeren Einflüsse durch gesellschaftliche Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Tendenzen aufgrund des veränderten Rollenverständnisses der Ehepartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Aus dem Wandel des Familienbegriffs abzuleitende Tendenzen . . . 93 c) Eltern-Kind-Verhältnis und die Rechtsstellung des Kindes . . . . . . 100

6

Inhaltsverzeichnis d) Das Verhältnis zwischen Staat und Familie und das sich wandelnde Interventionsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Richterrechtliche Gestaltung der gemeinsamen Scheidungssorge seit 1982 1. Aussagen und Wertentscheidungen des BVerfG-Urteils vom 3. November 1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stellungnahme des Bundesjustizministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wertung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzung der Urteilskriterien in der Praxis und gerichtliche Übertragung der gemeinsamen Sorge nach 1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Objektive Eignung der Eltern zur gemeinsamen Sorge . . . . . . . . . . aa) Erziehungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektive Maßstäbe für elterliche Kooperationsfähigkeit . . . . b) Bereitschaft der Eltern zur gemeinsamen Sorge . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konstitutiver Charakter des Elternwillens zur gemeinsamen Sorge für die Einschätzung der Kooperationsbereitschaft . . . . . . . bb) Qualifizierte Anforderungen an die Erklärung der Kooperationsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bindungswirkung des Elternvorschlages gem. § 1671 Abs. 3 a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abwägung nach Maßgabe des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliche Gewichtung des nachehelichen Kindeswohls . bb) Wandel des Kindeswohlverständnisses anhand des Bindungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Regel-Ausnahme-Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Entwicklung der Übertragung der gemeinsamen Sorge in der Praxis – empirische Erhebungen zur gemeinsamen Sorge im Überblick . . . IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform . . . . . . . . . . 1. Reformimpulse durch juristische Organisationen im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag der Bundestagsfraktion der Grünen vom 12. Dezember 1995 . . . 3. Anträge der Bundestagsfraktion der SPD vom 17. Dezember 1992 . . . und 21. Juni 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Antrag der Bundestagsfraktion der PDS vom 11. Juni 1997 . . . . . . . . 5. Regierungsentwurf vom 13. Juni 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Gesetzliche Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übergreifende Bedeutung der gesetzlichen Regelung der gemeinsamen Trennungssorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wesenskern der gemeinsamen Sorge und die Anforderungen an die Gemeinsamkeit der Rechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 114 115 116 117 119 122 123 124 130 131 133 138 142 142 144 151 156 159 162 164 167 171 174 185 192 192 195 196

Inhaltsverzeichnis 2. Funktion des Trennungssorgetatbestandes und Abgrenzung zur Alleinsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dispositiver Charakter des Gesetzes und dessen Umsetzung . . . . . . . . 4. Probleme und Gefahren aufgrund der gesetzlichen Regelung der Trennungssorge und die Folgerungen für die gesetzgeberische Intention . . a) Fehlender Gestaltungsimpuls im § 1687 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachfremde Motivation – Prozessgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sachfremde Motivation – Gestaltung des Verhältnisses zum anderen Elternteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgerungen für die gesetzgeberische Güterabwägung in § 1687 . . III. Die Tatbestandsvoraussetzungen der gemeinsamen Sorge gem. § 1687 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatbestandsvoraussetzungen der Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestehen gemeinsamer Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht nur vorübergehendes Getrenntleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Objektive und subjektive Voraussetzungen des Getrenntlebens bb) Problematik der Trennung nicht zusammenlebender Eltern . . cc) Regulative Grundaussage des Tatbestandsmerkmals der dauernden Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinsame Sorgerechtsausübung bei erheblichen Entscheidungen . . a) Bedeutung des Rechtsbegriffs der „Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kritik der unklaren Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begriff und Beurteilungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abgrenzungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenseitiges Einvernehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Annex des Auskunftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendungsbereich des § 1628 und seine Abgrenzung gegenüber §§ 1671 Abs. 1,2; 1687 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Alleinzuständigkeiten des betreuenden Elternteils im Rahmen der gemeinsamen Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Angelegenheiten des täglichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis zur gemeinschaftlichen Entscheidungszuständigkeit . . . 4. Alleinzuständigkeiten des anderen Elternteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt und Reichweite der sog. Betreuungssorge . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung des Umgangs im Geltungsbereich des § 1687 . . . . . . . . 5. Ergänzende gesetzliche Alleinentscheidungsregelungen . . . . . . . . . . . IV. Folgerungen für die Beurteilung des Kindeswohls im Rahmen der gemeinsamen Trennungssorge und der Änderungsentscheidung gem. § 1687 Abs. 2 1. Anwendungsbereich des § 1687 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7 205 215 219 220 223 227 233 237 240 240 243 244 246 249 251 253 254 256 260 262 264 265 271 272 275 279 281 281 284 289 292 293

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Inhaltsverzeichnis a) Vorgabe durch den Tatbestand des § 1687 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zu den übrigen Eingriffstatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis zu einvernehmlichen Individualabsprachen . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Kindeswohleinschätzung der gesetzlichen Trennungssorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zielsetzung der Sorgerechtsregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das in der gesetzlichen Trennungssorge verankerte Sorgerechtsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Korrespondierendes Interventionsverständnis . . . . . . . . . . . . . b) Einzelfallbezogene Kindeswohlbetrachtung und tolerierte Regelungslücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Tatsächliche Rechtspraxis des § 1687 und empirische Untersuchung zur Umsetzung des KindRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Empirische Erhebungen über die Anwendung des KindRG . . . . . . . . . 2. Ergebnisse der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ursprung der gemeinsamen Trennungssorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gestaltung der gemeinsamen Trennungssorge . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einschätzung der Beteiligten von der Sorgerechtssituation im Verhältnis der gemeinsamen Sorge zur Alleinsorge . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerung für die Beurteilung der gemeinsamen Trennungssorge . . . . VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Alternative 1: Staatliche Kontrolle unabhängig vom Einzelfall (Modell des § 1671 BGB a.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Varianten der staatlichen Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abwägung der Interventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konzeptionelle Bedenken gegen die Zwangsintervention . . . . . . . . 2. Alternative 2: Aufhebung des Sondertatbestandes der Trennungssorge a) Erforderlichkeit einer spezifischen Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweckmäßigkeit des Regelungsverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Profil und konzeptionelle Schranken der aktuellen Trennungssorgeregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungsgrenzen der gesetzlichen Trennungssorge . . . . . . . . . . . . b) Vorzüge der gesetzlichen Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1 1. Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Elterliche Sorge zur Zeit der Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dauerhaftigkeit der Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

293 294 295 297 298 298 303 307 309 312 313 316 318 323 330 336 344 345 345 348 351 354 354 356 359 359 362 364 371 371 373 373 374 376

Inhaltsverzeichnis c) Kritik am beschränkten Personenkreis der Antragsbefugnis . . . . . . 2. Inhalt des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässiger Antragsgegenstand und denkbare Konstellationen der Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhaltliche Anforderungen an den Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsnatur und Bindungswirkung des Antrags . . . . . . . . . . . bb) Gegenüberstellung der Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . cc) Folgerung für die Beurteilung der Darlegungslast . . . . . . . . . . 3. Zuständigkeit des Familiengerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Neue Interventionsgrundsätze des Antragsverfahrens . . . . . . . . . . . . . a) Ein verändertes Sorgerechtsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strukturelle Verfahrensänderung und Flexibilisierung . . . . . . . . . . c) Zielsetzung der sorgerechtlichen Bewahrung und Interventionshemmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung . . . . . . . . . . . . . 1. Einvernehmliche Übertragung gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 . . . . . . . . . . . a) Regelungsgrundsatz und zugrunde liegende Kindeswohlerwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zustimmung des Antragsgegners zur Alleinsorgeübertragung . . . . c) Das Widerspruchsrecht des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Reichweite des Widerspruchsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anforderungen an die Widerspruchsausübung . . . . . . . . . . . . cc) Widerspruch eines jüngeren Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Durchsetzung des Widerspruchsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtsfolge des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragungstatbestand des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze für den Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls . . . . . aa) Kindeswohl als genereller Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Spezifische Ausgestaltung des Kindeswohl-Maßstabs bei Trennungssorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufhebung der gemeinsamen Sorge nach Maßgabe des Kindeswohls aa) Regel-Ausnahme-Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einwände gegen die gemeinsame Sorge als Regelfall . . . . . . . cc) Argumente zugunsten einer Regelfalleinschätzung . . . . . . . . . dd) Anforderungen an die elterliche Kooperation infolge der RegelAusnahme-Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Einzelfallbeurteilung der Kooperationsfähigkeit und der Zumutbarkeit der gemeinsamen Sorge gegen den Willen eines Elternteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bestimmtheit der Konfliktlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Auseinandersetzung über die Erziehungsgestaltung . . . . .

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10

Inhaltsverzeichnis (3) Kooperationshindernis aufgrund der Partnerschaftsebene . (4) Aufhebungsgründe in der Person des Antragsgegners . . . . (5) Zusammenfassende Betrachtungen zu den Einzelfallkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Hindernisse für die gemeinsame Sorge in der Person des Kindes (1) Problemkonstellationen im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abwägung im Rahmen der Entscheidungsfindung . . . . . . . c) Übertragung der Alleinsorge auf den Antragsteller . . . . . . . . . . . . aa) Das Bindungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Förderprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kontinuitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kindeswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übertragung der Alleinsorge von Amts wegen gem. §§ 1671 Abs. 3 iVm 1666 ff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis und Schutzrichtung der §§ 1666 ff und 1671 . . . . . . . . . b) Subsidiarität der beantragten Entscheidung gem. § 1671 Abs. 3 . . . c) Anwendung des § 1666 im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusätzliche Interventionsinstrumente neben §§ 1671 Abs. 2, 1671 Abs. 3 iVm 1666 ff: das Jugendamt und der Verfahrenspfleger . . . . . . a) Verweisung auf die Beratung durch die Jugendhilfe . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsgrundlage der integrierten Jugendhilfe-Beratung . . . . . bb) Zielsetzung der Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verbindung der Interventionsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliche Anhörungs- und Hinweispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt der gerichtlichen Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . bb) Zielsetzung der Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konkrete Maßnahmen aufgrund der Anhörung . . . . . . . . . . . . c) Der Verfahrenspfleger oder „Anwalt des Kindes“ . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestellung des Verfahrenspfleger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Funktion des Verfahrenpflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Teilweise Alleinsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion der teilweisen Alleinsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spezieller Beurteilungsmaßstab der partiellen Alleinsorge . . . . . . . . . 3. Aufteilungsproblematik der partiellen Alleinsorge . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konkrete Einzelfallbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktionale Aufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitliche Aufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verhältnis der Trennungs- und Scheidungssorge zu Änderungsentscheidungen gem. § 1696 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungsspektrum der Änderungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . .

484 488 491 493 493 496 498 499 505 510 513 520 522 525 526 530 532 534 535 538 543 543 545 547 549 550 554 560 562 564 567 569 569 571 572 573

Inhaltsverzeichnis 2. Spezifischer Maßstab hinsichtlich der gemeinsamen Sorge innerhalb des § 1696 und die Wertungszusammenhänge zu § 1671 . . . . . . . . . . . . . . a) Einvernehmlicher Antrag beider Eltern zur Wiederherstellung der gemeinsamen Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streitiger Antrag auf Wiederherstellung der gemeinsamen Sorge . . c) Umstrittener Unterfall der Erstentscheidung gem. § 1672 a.F. . . . . d) Aufhebung der gemeinsamen Sorge nach einer Erstentscheidung gem. § 1671 a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verfahrensvorschriften und Überleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbund und Verselbständigung des Sorgerechtsverfahrens . . . . . . . . . 2. Die Feststellungsklage und das Feststellungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Zulässigkeit der Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Anwendungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Besondere Zulässigkeitsvoraussetzung der Dringlichkeit . . . . . . . . b) Instrumente des einstweiligen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gemeinsame Sorge als Umsetzung der Strukturmerkmale des KindRG . II. Gemeinsame Sorge als Umsetzung historischer Tendenzen durch das KindRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Priorität der gemeinsamen Sorge anhand der gesetzessystematischen Betrachtung der konkreten Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 576 577 581 585 590 591 592 595 596 598 600 602 603 605 609 610 615 619

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657

Abkürzungsverzeichnis aaO Abs. Abschn. AcP a.F. ALR AmtG Aufl. Bay BayObLG BB Bd. Beschl. BGB BGBl. BGH BGHR BldWPfl Bln. BR BR-Drucks. BT-Drucks. BVerfG BVerfGG bzw. CDU DAmtsVor Ders. DEuFamR DFGT DJ DJT DJZ DNotZ DRiZ DtZ EGBGB EGMR EheG

am anderen Ort Absatz Abschnitt Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Amtsgericht Auflage Bayern Bayrisches Oberlandesgericht Betriebsberater Band Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Blätter der Wohlfahrtspflege Berlin Bundesrat Bundesratsdrucksache Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Gesetz über das Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Christdemokratische Partei Union Deutscher Amtsvormund derselbe Deutsches und Europäisches Familienrecht Deutscher Familiengerichtstag Deutsche Justiz Deutscher Juristen Tag Deutsche Juristenzeitung Deutsche Notariatszeitschrift Deutsche Richterzeitung Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Ehegesetz

Abkürzungsverzeichnis EMRK EuGH EuGZ FamG FamRÄndG FamRZ FF FGG FN FPR FuR gem. GG GleichberG i. Brsg idF idR IPRax iSd iSe JA JFG JGG JR JugWO Jura JuS JW JZ Kap. KG KGJ KindPrax KindRG KJ KJHG KritV MDR MüKo / Bearbeiter mwN NÄG

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Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechtszeitschrift Familiengericht Familienrechtsänderungsgesetz vom 11. 08. 1961 Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Forum Familien- und Erbrecht Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Fußnote Familie, Partnerschaft, Recht Familie und Recht gemäß Grundgesetz Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts im Breisgau in der Fassung in der Regel Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts im Sinne des im engen Sinne Jugendamt Jahresbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Jugendgerichtsgesetz in der Fassung vom 11. 12. 1974 Juristische Rundschau Jugendwohlfahrt Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Kapitel Kammergericht (Berlin) Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts Kindschaftsrechtliche Praxis Kindschaftsreformgesetz Kritische Justiz Kinder- und Jugendhilfe Gesetz (SGB XIII) Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Monatsschrift für Deutsches Recht Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen Namensänderungsgesetz vom 05. 01. 1938

14 NDV NEheG NJ NJW NJWE-FER NJW-RR OLG OLG-NL OLGR OLGZ PDS RdJR RG RGBl. RGRK RGZ Rpfleger S. SorgeRG SPD StAZ UN VormGer ZfBevW ZfJ / ZBlJugR ZfRSoz ZPO ZRP ZS ZZP

Abkürzungsverzeichnis Nachrichtendienst, Deutscher Verein Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. 08. 1969 Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Familien- und Erbrecht NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Oberlandesgericht OLG-Rechtsprechung Neue Länder OLG-Report (gesondert für jedes OLG) OLG-Entscheidungen in Zivilsachen Partei Deutscher Sozialisten Rundschau zum Deutschen Jugendrecht Reichsgericht Reichsgesetzblatt Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen Der Deutsche Rechtspfleger Seite Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18. 07. 1979 Sozialdemokratische Partei Deutschland Das Standsamt (früher: Zeitschrift für Standesamtswesen) United Nations, Vereinte Nationen Vormundschaftsgericht Zentralblatt für Bevölkerung und Wohlfahrt Zentralblatt des deutschen Jugendrechts Zeitschrift für Rechtssoziologie Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat Zeitschrift für Zivilprozess

Einführung Kinder sind die Garanten der Zukunft, Träger von Hoffnung und Kontinuität. So treten sie immer stärker in das öffentliche Bewusstsein, sei es, indem man versucht, durch staatliche Maßnahmen die äußeren Lebensverhältnisse zu verbessern, damit die Geburtenraten steigen, oder indem man das Bildungswesen überprüft, um das Wissensniveau langfristig zu sichern. Doch vor allen staatlichen Maßnahmen ist das Leben und die Entwicklung eines Kindes geprägt von seinem Verhältnis zu den Eltern und seiner Einbettung in den Familienverbund. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für dieses Verhältnis hat nun der Gesetzgeber in einer großen Reform des Kindschaftsrechts neu geregelt und versucht, die vielen punktuellen Veränderungen in der Vergangenheit in ein geschlossenes Regelwerk neu zu fassen. 1 Eine wichtige Rolle spielt dabei die Regulierung der familiären Krise und der Schutz des Kindes vor den Erschütterungen im Familienleben. So hat das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16. Dezember 1997 2 vor allem eine grundlegend neue Regelung der Elternsorge nach Trennung und Scheidung eingeführt. Sie scheint ein grundlegendes Umdenken in Hinblick auf das Eltern-KindVerhältnis und die sorgerechtlichen Parameter zu vollziehen und soll daher mit der vorliegenden Arbeit hinsichtlich ihrer sorgerechtlichen Auswirkungen eingehend untersucht werden. Seit Jahrhunderten führte die Scheidung zu einer gerichtlichen Neuordnung der nachehelichen Elternsorge und ging damit von einer grundlegenden Unterscheidung zwischen ehelicher und nachehelicher Sorge aus. Durch das Reformgesetz wird nun dieser zwingende Zusammenhang zwischen der Scheidung der Eltern und ihrer sorgerechtlichen Zuständigkeit für das gemeinsame Kind aufgehoben. Denn anstelle der zuvor zwingenden gerichtlichen Gestaltung wird nun die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge durch einen gesetzlichen Tatbestand geregelt, der die Entscheidungskompetenzen nach Trennung und Scheidung unabhängig vom Einzelfall zuweist. Danach haben beide Eltern gemeinsam alle Entscheidungen 1 So setzt sich die Kindschaftsreform aus vier Gesetzen zusammen: 1. Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (Kindschaftsrechtsreformgesetz – KindRG) vom 16. 12. 1997, BGBl. I S. 2942, vgl. BT-Drucks. 13/4899 = BR-Drucks. 180/96, 2. Gesetz zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspflegschaft und Neuordnung des Rechts der Beistandschaft (BeistandschaftsG) vom 4. 12. 1997, BGBl. I S. 2846, 3. Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung der nichtehelichen Kinder (Erbrechtsgleichstellungsgesetz – ErbGleichG) vom 16. 12. 1997, BGBl. I S. 2968, 4. Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder (Kindesunterhaltsgesetz – KindUG) vom 6. 4. 1998, BGBl. I S. 666. 2 KindRG, BGBl. I S. 2942, vgl. BT-Drucks. 13/4899 = BR-Drucks. 180/96.

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in wichtigen Angelegenheiten zu treffen, während der Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, Angelegenheiten des täglichen Lebens und der andere Teil Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung allein entscheidet. Erst dort, wo ein Elternteil die Übertragung der Alleinsorge beantragt, wird wieder eine gerichtliche Einzelfallentscheidung über die Zuweisung der Trennungssorge getroffen. So entsteht eine zweistufige Regulation, bei der die gemeinsame Sorge auch nach der Trennung und Scheidung zum Bestandteil der gesetzliche Sorge wird und die Alleinsorge nur noch auf Initiative der Eltern ein gerichtlicher Regelungsgegenstand ist. Das Gesetz greift damit eines der zentralen gesellschaftspolitischen Themen der Gegenwart auf. So ist die Trennung der Eltern und das Zerbrechen des Familienverbandes nach wie vor Ausgangspunkt für großes Leid und Ausdruck des Scheiterns von Lebenskonzepten. Sie ist damit oft Folge von Verzweiflung oder wechselseitiger Verletzung der Partner. Ganz gleich wie verbreitet dieses Phänomen sein mag, es stellt einen schwierigen Umbruch im Leben eines jeden dar, der davon betroffen ist, und kann durch rechtliche Gestaltung nur unzureichend erfasst werden. So kann sich die Aufgabe des Rechts in diesem Zusammenhang nur darauf beschränken, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Betroffenen in ihrer emotionalen Verstrickung die Verarbeitung des Geschehens erleichtert und in der Gemengelage widerstreitender Interessen einen Ausgleich schafft. Hier steht vor allem das Kind als das schwächste Glied im Verbund im Vordergrund und verlangt es, durch ein interessengerechtes Sorgerecht seinen Bedürfnissen in der Familienkrise gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang richtet sich der Blick zunächst auf die Lebenswirklichkeit. Denn die äußeren Umstände und die Perspektive auf diesen Lebensbereich haben sich im Laufe der Zeit sehr verändert. So hatte die Scheidung lange Zeit den Charakter eines Ausnahmeereignisses. Die gesellschaftliche Norm sah die Ehe als Lebensform vor, so dass sich die Elternsorge vorrangig daran orientierte. Der sorgerechtliche Idealtypus war also der Eheverbund, während die Scheidungssorge gleichsam eine Notverwaltung oder Ausnahmeregulierung darstellte, die anstelle des Ideals nur eine den Bedingungen angepasste Reduktion der realisierbaren Kindesinteressen sein konnte. Doch dieses Stereotyp hat sich weit von der gesellschaftlichen Realität entfernt. Nahezu die Hälfte aller Ehen wird geschieden und es sind jährlich durchschnittlich 140.325 minderjährige Kinder von den Folgen der Elterntrennung betroffen. 3 Damit hat die Trennungs- und Scheidungssorge seit langem den Charakter eines gesellschaftlichen Rand- oder Ausnahmephänomens verloren. Sie ist vielmehr zu einem verbreiteten Element einer Erziehungsbiographie, wenn nicht sogar zum sorgerechtlichen Normalfall geworden. Damit waren auch die althergebrachten Regelungsansätze der Scheidungssorge als Ausnah3

Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 1.1., 2003; in den Jahren 1990 –2003 waren insges. 1,96 Mio. Kinder von den Folgen der Ehescheidung betroffen, vgl. ebenda.

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mefall nicht mehr geeignet, eine adäquate Lösung für diesen Lebensbereich zu bieten. Vielmehr wurde es zusehends erforderlich, die Auflösung der Elternpartnerschaft in das Sorgerecht zu integrieren und einen Ansatz zu finden, mit dem die tatsächliche Normalität in der rechtlichen Regulierung abgebildet wird. Das heißt, die bisherige Zuweisung der Familienfunktionen gerät hier auf den Prüfstand. Die Instabilität der Familienverbände und die zunehmende Bereitschaft des einzelnen, seine Individualinteressen auch auf Kosten des Verbandes durchzusetzen, beschreiben den Zustand der Familie in der Krise, von der die Sorgerechtssituation geprägt ist. 4 Erfüllt aber der Verband nach früheren Maßstäben nicht länger die Voraussetzungen für seine Aufgaben, so bedarf es neuer Konzeptionen, um die Kindeserziehung nach Maßgabe der aktuellen Lebensverhältnisse zuzuweisen. 5 Dies erfordert einen rechtlichen Anpassungsprozess an die veränderte Realität und ein Umdenken im Hinblick auf den Familienbegriff. Zwar ist das Recht nur beschränkt in der Lage, darauf Einfluss zu nehmen, wie Partnerschaften geführt und Familien gelebt werden, aber es ist gehalten, Realitäten umzusetzen und Modelle anzubieten, die den Problemen der Zeit eine adäquate Lösungsmöglichkeit bieten. „Das Familienrecht ist ein Spiegel der sozialen Wirklichkeit“ 6 heißt es von erfahrenen Familienrechtlern, und so war es als solches gehalten, die veränderte Wirklichkeit rechtlich umzusetzen. Es gab bereits vor der Gesetzesreform eine Vielzahl von Ansätzen, die versuchten, den gesellschaftlichen Wandel rechtlich umzusetzen. Der wohl wichtigste Anstoß für die Entwicklung der Trennungs- und Scheidungssorge war dabei das Urteil des BVerfG vom 3. November 1982. 7 Es hob die zwingende Vorgabe der damals geltenden Alleinsorge nach der Scheidung als verfassungswidrig auf und stellte fest, dass den Eltern zumindest dann die Fortsetzung der gemeinsame Sorge gewährt werden müsse, wenn sie dazu gewillt, geeignet und in der Lage seien und das Kindeswohl dem nicht entgegenstehe. 15 Jahre hat diese Entscheidung den Gerichten zur Grundlage ihrer Sorgerechtsübertragung gedient, bis das KindRG schließlich die gesetzliche Regelungslücke wieder schloss. Doch auch weitere Entscheidungen des BVerfG haben das Elternrecht außerhalb der Ehe deutlich gestärkt, indem etwa die gemeinsame Sorge nicht verheirateter Eltern 8 oder das Erziehungsrecht der Väter nichtehelicher Kinder 9 verfassungsrechtlich hergeleitet 4

Vgl. Frank FamRZ 2004, S. 841 (846) mwN. Vgl. Schwab FamRZ 2007, S. 1 mit einem historischen Überblick über die Entwicklung der Familie im Verhältnis zum Staat und im Rahmen rechtlicher Verankerung. 6 Vgl. Frank FamRZ 2004, S. 841 (846). 7 BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen. 8 In diesem Zusammenhang vgl. zur Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses gemeinsamer Sorge unverheirateter Eltern vgl. BVerfGE 84, S. 168 = NJW 1991, S. 1944 = FamRZ 1991, S. 913 = EuGRZ 1991, S. 244 = FuR 1991, S. 221; in Auszügen auch MDR 1991, S. 639; nach der Vorlage des AmtG Hamburg FamRZ 1988, S. 1319; zur uneingeschränkten 5

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wurden. In dem Maße, in dem darin die bisherige Zuordnung der Erziehungsverantwortung zu elterlichen Lebensformen relativiert wurde, vollzog sich durch diese Entscheidungen auch eine Öffnung des Familienbegriffs. 10 Ein weiterer Impuls ging vom Inkrafttreten des KJHG 11 aus. Darin wurden vor allem neue Ansätze zum Umgang mit dem Familienkonflikt und der Gestaltung der staatlichen Intervention verankert. Beratungsangebote wurden hier nicht mehr allein auf den Zeitpunkt der Scheidung konzentriert, sondern boten die Möglichkeit, längerfristige und am konkreten Bedarf orientierte Maßnahmen zu ergreifen. 12 Gerade im Kontrast zu den vorangegangenen Regelungsansätzen 13, die vorrangig von Eingriffscharakter geprägt waren, wird nun durch den Schwerpunkt einer freiwilligen Inanspruchnahme eine bedürfnisorientierte Hilfestellung gestärkt 14, die vor allem der Mobilisierung von Selbstheilungs- und Reorganisationskräfte der Familie dient. 15 Es wurde von dem Urteil des BVerfG von 1982 und dem KJHG als der „Doppelgeburt der gemeinsamen Sorge“ gesprochen. 16 Auch im internationalen Kontext ergeben sich Vorstöße für ein familienrechtliches Umdenken im Sorgerecht. 17 So ergaben sich zum einen im Rahmen der Anerkennung eines Erziehungsrechts des Vaters nichtehelicher Kinder vgl. BVerfG NJW 1995, S. 2155 (2156); zustimmend hierzu Salgo NJW 1995, S. 2129 (2130). 9 Vgl. zur uneingeschränkten Anerkennung Erziehungsrecht des Vaters nichtehelicher Kinde V BVerfG NJW 1995, S. 2155 (2156); zustimmend hierzu Salgo NJW 1995, S. 2129 (2130). 10 Vgl. auch BVerfG FamRZ 1987, S. 347 (zu § 1934a); dazu bereits Lutter FamRZ 1967, S. 65 (68). 11 Kinder- und Jugend-Hilfegesetz, SGB VIII, BGBl. I S. 1163 vom 28. Juni 1990. 12 Vgl. Wiesner in Wiesner / Zarbock S. 10 f.; Staudinger / Peschel-Gutzeit vor § 1626 Rz. 28; BT-Drucks. 11/5948, S. 41 ff. 13 Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 (RGBl I S. 633 sowie Änderungen des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes vom 28. August 1953) als auch das JWG von 1961 (BGBl. I S. 1205 sowie das Gesetz für die Jugendwohlfahrt in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.April 1977 (BGBl. I S. 633) und vom 25. Juli 1986 (BGBl. I S. 1142)) durch vorwiegend polizei- und ordnungsrechtliche Prägung aus, die sich des Instrumentariums der Maßnahme mit Zwangscharakter bedienten (vgl. 3. Jugendbericht des Bundesfamilienministeriums 1972, S. 31; Kaufmann ZfJ 1991, S. 18; Kühn in Gernert „Das KJHG 1993“, S. 368). 14 Zur Familiengerichtshilfe gem. § 50 KJHG, bei der es dem Jugendamt als Fachbehörde obliegt dem Familiengericht als bloßes Hilfsorgan der Rechtspflege zuzuarbeiten vgl. Kaufmann ZfJ 1991, S. 18 (19); Mörsberger in Wiesner / Zarbock S. 343 (366 ff); Müller-Alten ZfJ 1991, S. 454; BGH FamRZ 1954, S. 219; BayObLG FamRZ 1975, S. 223 ff; OLG Hamm FamRZ 1965, S. 83 ff; Kaufmann in Wiesner / Zarbock, S. 319 (331); Kunkel FamRZ 1993, S. 505; zum heutigen Ansatz vgl. BT / Drucks. 11/5948, S. 87; Rauscher NJW 1991, S. 1087 (1089). 15 Vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (450); Balloff FuR 1991, S. 63 (64); Kaufmann in Wiesner / Zarbock, S. 319 (325 f). 16 Coester FuR 1991, S. 70 (71); ders. in Proksch / Sievering, S. 47 (53).

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Konvention über die Rechte des Kindes 18 konkrete Impulse für die nacheheliche Sorgerechtsgestaltung, indem die Rechtsstellung des Kindes gestärkt wurde und ihm ein Recht zu einer persönlichen Beziehung zu beiden Eltern verlieh sowie einen allgemeinen Grundsatz der Erziehungsverantwortung beider Eltern verankerte. 19 Auch wenn die Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifizierung von ihrem Vorbehaltsrecht Gebrauch machte 20, kündigte sie gleichzeitig an, dass die elterliche Sorge im Sinne der Konvention neu geregelt werde für Kinder, deren 17

Vgl. zur Globalisierung und Staatenverflechtung im Familienrecht Brötel ZfJ 1992, S. 241; Seibert FamRZ 1995, S. 1457 (1458); zur Tendenz der familienrechtlichen Vereinheitlichung vgl. insbesondere zum Schlagwort des Europäischen Familienrechts Jayme FamRZ 1981, S. 221 (223); ders. Brühler Schriften zum Familienrecht, 4. DFGT, 1980, S. 7 (10). 18 Die UN-Kinderrechtskonvention vom 20. Nov. 1989 (BGBl. 1992 II, S. 121 = FuR 1990, S. 199 = ZfJ 1990, S. 578; vgl. darüber hinaus BT-Drucks. 12/24; 12/1535; Text auch in ZfJ 1995, S. 220; Bekanntgabe des Inkrafttretens der Konvention vom 10.71992 BGBl. II 1992, S. 990; dazu Baer FuR 1990, S. 192; Steindorff FuR 1990, S. 98; Bosche NDV 1990, S. 83), wurde von Deutschland am 26. Jan. 1990 unterzeichnet und trat am 2. Sept. 1990 nach der Ratifizierung durch 20 Mitgliedsstaaten völkerrechtlich in Kraft (vgl. Eberhardt NJ 1990, S. 59; Struck ZfJ 1990, S. 613; bis 1991 sind ihr bereits 2/3 aller Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen beigetreten, vgl. van Bueren FamLaw 1992, S. 373) und am 5. April 1992 ratifiziert (BGBl 1992 II, S. 990). Zum historischen Hintergrund vgl. auch McGoldrick, S. 133 – Die Konvention steht in einer Tradition historischer Vorläufer. So hat bereits der Völkerbund am 26. Sept. 1924 in der „Genfer Erklärung“ (BT-Drucks. 12/42, S. 29) den spezifischen Schutzauftrag gefasst, wonach das Kind in der Lage sein solle, sich sowohl materiell wie in geistiger Hinsicht in natürlicher Weise zu entwickeln“ (vgl. dazu Münning ZfJ 1992, S. 553; Freeman „The Rights and Wrongs of Children“, S. 19). Zur Konkretisierung der ursprünglich rechtsunverbindlichen Menschenrechtsdeklaration von 1948 (vgl. Davidson „Human Rights“, S. 65; Koeppel NJ 1990, S. 524; Ullmann „Scheidungsfolgen im Völkergewohnheitsrecht“; BT-Drucks. 11/6553) folgte 1959 die UN-Deklaration über die Rechte der Kinder. Diesen unverbindlichen Absichtserklärungen folgte eine rechtsverbindliche Umsetzung des Gedankens, dass die Menschheit den Kindern das Beste schulde; durch die Anerkennung der kindlichen Rechte und Freiheiten folgte der Erlass des IPBPR vom 19. Dez. 1966 (BGBl. II 1973, S. 1533; zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ebenfalls vom 19. 12. 1966, BGBl. II 1973, S. 1569; vgl. dazu Walsh im International Journal of Law and Familiy 5 (1991), S. 170). Im Anschluss an das „Internationale Jahr des Kindes“ von 1979 (kritisch dazu Freeman „The Rights and Wrongs of Children“, S. 24, der von einem bloßen Lippenbekenntnis spricht) wurde dann schließlich der Ausschuss zur Erarbeitung der Kinderkonvention – ein Organ der IPBPR – gebildet (vgl. dazu Dickmeis ZfJ 1996, S. 289 (291); Eberhardt NJ 1990, S. 59; Struck ZfJ 1990, S. 613). 19 Vgl. dazu zum einen Art. 9 Abs. 3 der Konvention: „Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes, das von einem oder beiden Eltern getrennt ist, regelmäßige persönliche Beziehung und unmittelbaren Kontakt zu beiden Elternteilen zu pflegen, soweit dies nicht mit dem Wohl des Kindes widerspricht.“ und Art. 18 Abs. 1 der Konvention: „Die Vertragsstaaten bemühen sich nach besten Kräften, die Anerkennung des Grundsatzes sicherzustellen, dass beide Elternteile gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich sind.“ 20 Vgl. Art. 51 Abs. 1 der Konvention; in der Bekanntmachung der Ratifizierung BGBl. II 1992, S. 990 f heißt es: „Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist der Auffas-

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Eltern nicht verheiratet seien, dauernd getrennt lebten oder geschieden seien. 21 Die Voraussetzungen vor allem für die Ausübung der gemeinsamen Sorge sollte dabei verbessert werden. 22 Ähnliche Impulse gingen vom Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte 23 aus. 24 Vor allem aber die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten 25 ergänzte diese Vorgaben durch Einzelfallentscheidungen 26 im Zusammenhang mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens 27, indem sich das Eltern-Kind-Versung, dass aus Art. 18 Abs. 1 des Übereinkommens nicht abgeleitet werden kann, mit dem Inkrafttreten dieser Bestimmung stehe das elterliche Sorgerecht auch bei Kindern deren Eltern keine Ehe eingegangen sind, die als verheiratete Eltern dauernd getrennt leben oder geschiedene sind, automatisch und ohne Berücksichtigung des Kindeswohls im Einzelfall beiden Eltern zu. Eine derartige Auslegung wäre unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens. Besonders im Hinblick auf die Fälle, in denen die Eltern über die gemeinsame Ausübung der Elternsorge nicht einig sind, werden Einzelfallprüfungen notwendig. Die Bundesrepublik Deutschland erklärt darum, dass die Bestimmungen des Übereinkommens auch die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts a) über die gesetzliche Vertretung Minderjähriger bei der Wahrnehmung ihrer Rechte, b) über das Sorge- und Umgangsrecht bei ehelichen Kinder und c) über die familien- und erbrechtlichen Verhältnisse nichtehelicher Kinder nicht berührt; dies gilt ungeachtet der geplanten Neuordnung des Rechts der elterlichen Sorge, deren Ausgestaltung in das Ermessen des innerstaatlichen Gesetzgebers gestellt bleibt.“ – vgl. auch BR-Drucks. 769/90, S. 54; kritisch dazu vgl. Brötel ZfJ 1992, S. 241 (242); Meixner FuR 1996, S. 14 (16); MüKo / Hinz vor § 1626 Rz. 9; Steindorff FuR 1991, S. 214, der das bundesdeutsche Vertragsverhalten als „völkerrechtswidrig“ bezeichnete; Kiehl / Salgo RdJB 1995, S. 196 (198), die von „Rechtsnichtanwendungsbefehl“ sprechen; verfassungsrechtliche Bedenken vgl. Ullmann FamRZ 1991, S. 899. 21 Zu der Absichtserklärung und der im Rahmen der ersten Rechenschaftssitzung in Aussicht gestellten Überprüfung des Ratifizierungsvorbehaltes seitens der Regierungsdelegation vgl. Gernstein ZjF 1996, S. 292 (294). 22 Vgl. BGBl. II 1992, S. 990. 23 IPBPR vom 19. 12. 1966, BGBl. 1973 II, S. 1534, trat am 23. 3. 1976 in Kraft – bis 1990 sind 92 Staaten Unterzeichner des Paktes und 50 des Protokolls. 24 Vgl. in diesem Zusammenhang Art. 23 IPBPR: „(1) Die Familie ist die natürliche Kernzelle der Gesellschaft und hat einen Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat. (.) (4) Die Vertragstaaten werden durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass die Ehegatten gleiche Rechte und Pflichten bei der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben. Für den nötigen Schutz der Kinder im Falle einer Auflösung der Ehe ist Sorge zu tragen.“; vgl. dazu auch die Entscheidung des Menschenrechtsausschuss im Hendriks Case (CCPR / C/33/D/201/1985; ZfJ 1989, S. 487, 542), wonach es bei der nachehelichen Sorgerechtübertragung gelte, die Familie zu schützen, die Wahrung gleicher Rechte und Pflichten beider Eltern nach der Ehe anzustreben und den notwendigen Schutz des Kindes zu gewährleisten. 25 BGBl. 1952 II, S. 685; die EMRK wurde am 4. November 1950 verabschiedet und ist laut Bekanntmachung v. 15. 12. 1953 (BGBl. 1954 II, S. 14) am 3. 9. 1953 in Kraft getreten; durch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert am 5. 12. 1953. 26 Zur Bindungswirkung vgl. Dickmeis ZfJ 1996, S. 289 (290); vgl. Ramm „Familienrecht“, Bd. I, S. 422 unter Bezugnahme auf den IPBPR. 27 Vgl. Art. 8 EMRK: „(1) Jedermann hat den Anspruch auf Achtung seines Privatund Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. (2) Der Eingriff einer

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hältnis als Bestandteil des geschützen Familienlebens 28 zusehends von einem restriktiven Familienbegriff auf Grundlage der Elternehe löste. 29 Damit zeigt sich in den Anstößen und Impulsen im Vorfeld der Kindschaftsreform deutlich, dass die sorgerechtliche Annäherung an die veränderten Verhältnisse vor allem durch eine Öffnung des Familienbegriffs für die Pluralität der Lebensformen und die Förderung der gemeinsamen Sorge als universelle Sorgerechtsform geprägt war. Vor diesem Hintergrund hat nun der deutsche Gesetzgeber – 18 Jahre nach der letzten Sorgerechtsreform – versucht, mit dem KindRG einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der den realen Lebensverhältnissen gerecht wird und den gesellschaftlichen Wandel angemessen umsetzt. Das Reformgesetz stellt damit das Ergebnis eines grundlegenden Überdenkens althergebrachter Maßstäbe und Regelungsansätze dar. Die für die vorliegende Arbeit zentrale Regelung der gemeinsamen Trennungs- und Scheidungssorge ist daher unvoreingenommen zu untersuchen, um ihren Inhalt, die Wertungen und Folgen vollständig erfassen zu können. Dabei stellen sich eine Reihe von grundlegenden Fragen, die die folgende Betrachtung leiten. So ist danach zu fragen, welche Bedeutung die Trennung zukünftig für das Eltern-Kind-Verhältnis haben soll und welches Gewicht den verschiedenen Interessen und Schutzgütern, sei es der Schutz des Kindes vor dem Konflikt der Eltern oder die Bereitschaft der Eltern zur sorgerechtlichen Kooperation, bei der gesetzlichen Güterabwägung zukommt. In diesem Zusammenhang gehört vor allem das Verhältnis zwischen familiärer Autonomie, also der rechtlich anerkannten Selbstbestimmung des Familienverbandes, und der staatlichen Gestaltungs- bzw. Eingriffsbefugnis bei der Auflösung der elterlichen Partnerschaft zu den grundlegenden Elementen des neuen Rechtsinstituts der gemeinsamen Trennungssorge. Vor dem Hintergrund dieser Fragestellungen sollen der Inhalt und die Grenzen der gemeinsamen Trennungssorge herausgearbeitet werden. öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Sicherheit und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung oder zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und Moral oder zum Schutz von Rechten und Freiheiten anderer notwendig ist.“ 28 Vgl. dazu E 172,/56 YB 1 (1955 –57), S. 211 – Die Kommission stellte in diesem Zusammenhang fest, dass das Kind zumindest Umgang mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil haben muss, da beide Eltern für eine ausgewogene Entwicklung des Kindes erforderlich seien; Frohwein / Peukert Art. 8 Rz. 22; Ullmann ZfJ 1988, S. 522 (525). 29 Vgl. u. a. Marckx gegen Belgien NJW 1979, S. 2449 = FamRZ 1979, S. 903 = DAVorm 1980, S. 265 = EuGRZ 1979, S. 454; Johnson gegen Irland EuGRZ 1987, S. 313; Keegan gegen Irland FamRZ 1995, S. 110 m. Anm. v. Brötel FamRZ 1995, S. 72 ff; vgl. dazu Brötel NJW 1991, S. 3119 (3121 f); ders. ZfJ 1992, S. 241 (242); Dickmeis ZfJ 1996, S. 289 (290); zur „dynamischen“ und „evolutiven“ Auslegung in der Konventionspraxis vgl. Brötel Jura 1988, S. 343 (346); zur direkten Anwendung der Maßstäbe des Art. 8 EMRK in sorgerechtlichen Entscheidungen vgl. exemplarisch OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1476 f; EuGHMR FamRZ 2006, S. 2006.

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Als übergreifender Untersuchungsgegenstand steht dabei im Vordergrund, welche Bedeutung der gemeinsamen Sorge zukünftig für die Gestaltung der Trennungsund Scheidungssorge durch das Reformgesetz zugewiesen wurde und in welchem Verhältnis sie nun zur sorgerechtlichen Alternative der Alleinsorge steht. Die Annäherung an diese Fragestellungen soll vorliegend aus einem rechtshistorischen sowie einem rechtssystematischen Blickwinkel erfolgen. Von besonderer Bedeutung ist dabei zunächst die Betrachtung der historischen Entwicklung des Sorgerechts, aus der das KindRG hervorgegangen ist. So soll zunächst im ersten Kapitel die gemeinsame Sorge im Rahmen der Rechtsentwicklung betrachtet werden. Dazu führt ein Blick bis zurück zum römischen und germanischen Recht in den Wandel des Sorgerechts auch unter Einbeziehung der gesellschaftlichen Entwicklung ein. Dabei sind es zum einen die allgemeinen Gestaltungsansätze und Parameter der ehelichen Sorge, anhand derer zunächst die Veränderungen der Rahmenbedingungen für die Elternsorge nachvollzogen werden kann. Zum anderen richtet sich das Augenmerk auf die Entwicklung der rechtlichen Gestaltung nachehelicher Sorge als Vorläufer der heutigen Trennungssorge. Hier gilt es vor allem, die sich wandelnden Regelungsansätze für die Gestaltung der Scheidungssorge, aber auch die darin angelegte Gewichtung der Interessen von Eltern und Kind herauszuarbeiten. Im Ergebnis sollen anhand dieses Überblicks historische Tendenzen – etwa bei Übertragungskriterien für die Elternsorge, dem Verhältnis von Familie und Staat in der Familienkrise oder der Reichweite des gerichtlichen Interventionsanspruchs – und ihr Einfluss auf das Reformgesetz genauer untersucht werden. Anschließend soll sich das Augenmerk speziell auf die historischen Erscheinungsformen der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung richten. Von besonderem Interessen sind in diesem Zusammenhang die Erfahrungen mit der gemeinsamen Sorge infolge der Entscheidung des BVerfG von 1982. Eine 15jährige Praxis der Gerichte mit der Übertragung gemeinsamer Sorge nach der Scheidung, mit der die Regelungslücke aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben bis zum Inkrafttreten des KindRG geschlossen worden ist, bietet eine Fülle an Erfahrungen und Regelungsansätzen, die das Reformgesetz beeinflusst hat. Erste Schlussfolgerungen aus diesen verschiedenen historischen Impulsen sollen schließlich anhand der verschiedenen Fraktions-Entwürfe für das Reformgesetz gezogen werden. Im zweiten Kapitel soll dann die gegenwärtige gesetzliche Ausgestaltung der gemeinsamen Trennungssorge untersucht werden. Hier ist vor allem der dem zugrunde liegende Gemeinsamkeitsbegriff und die Folgerung aus einer gesetzlichen Regulierung der Trennungssorge für die Kindeswohlabwägung von besonderer Bedeutung. Denn Vermeidung der gerichtlichen Intervention und die einzelfallunabhängige Moderation des elterlichen Zusammenwirkens stellen einen Kernbereich des Reformgesetzes dar und müssen daher in ihrer gesetzgeberischen Absicht genau untersucht werden. Dabei sind auch die einzelnen Tatbestandsmerkmale für die Gestaltung der Trennungssorge auf ihren konkreten Inhalt zu betrachten.

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Doch nicht nur der Tatbestand gestaltet hier die gemeinsame Sorge. Das Gesetz bietet auch flankierende gerichtliche Eingriffstatbestände zur Einzelfallgestaltung, die in die Einschätzung der gemeinsamen Trennungssorge einbezogen werden muss. Denn sie enthalten ergänzende Gestaltungsansätze, die neben den gesetzlichen Tatbestand der Trennungssorge treten und damit ihren Begriff erweitern. Doch im Wesentlichen vollzieht sich dieser Bereich der Trennungssorge in der privaten Anwendung, also außerhalb des öffentlichen Einblicks. Eine konkrete Vorstellung von der Umsetzung und Rechtsanwendung der gemeinsamen Trennungssorge soll daher anhand einer empirischen Erhebung gewonnen werden. Befragungen von betroffenen Eltern und Kindern bieten hier Anhaltspunkte für die Einschätzung der konkreten Umsetzung der Regelung und die Erfahrungen mit der Rechtsanwendung. Abschließend wird anhand der Gegenüberstellung zu denkbaren Alternativkonzeptionen die grundlegende Gewichtung der gesetzlichen Regulation des KindRG herausgearbeitet. Das dritte Kapitel untersucht vor dem Hintergrund der historischen Impulse und der Vorgaben durch die gesetzliche Trennungssorge schließlich die Regelung der gerichtlichen Alleinsorgeübertragung. Hier konzentriert sich der Blick auf die konkreten Grenzen der gemeinsamen Trennungssorge, wie sie sich in der Übertragung der Alleinsorge niederschlagen. Im Vordergrund steht in diesem Zusammenhang die übergreifende Frage, wo die Schwelle für die Alleinsorgeübertragung in der neuen Rechtlage liegt bzw. ob nun ein Bestandsschutz der gemeinsamen Sorge zu qualifizierten Anforderungen an die Rechtfertigung der Alleinsorge führt. Dabei sind Überlegungen über eine etwaige Darlegungslast des Antragstellers oder die wiederbelebte Regel-Ausnahme-Diskussion über das grundlegende Verhältnis der Sorgerechtsformen von besonderer Bedeutung. Vor allem aber ist an dieser Stelle das Kindeswohl als Entscheidungsmaßstab in seiner allgemeinen Zielrichtung aber auch den Vorgaben durch die gesetzliche Trennungssorge zu untersuchen. Dabei werden gerichtliche Kriterien der Abwägung zwischen den Sorgerechtsformen anhand der Rechtssprechungspraxis herausgearbeitet und Fallgruppen der Alleinsorgeübertragung gebildet. Betrachtungen der teilweisen Alleinsorge und prozessualer Fragen auf ihre Bedeutung für den gerichtlichen Abwägungsprozess beenden schließlich die vorliegende Untersuchung.

A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext I. Einleitung Die Verunsicherung über die Reichweite der gemeinsamen Sorge und ihre Bedeutung im Rahmen des Übertragungstatbestandes gem. § 1671 hält an. Auch nach der Einführung des Kindschaftsrechtsreformgesetzes 1 bleibt die Abgrenzung der nachehelichen Sorgerechtsformen ein zentraler Aspekt geltenden Kindschaftsrechts, der sich durch die Regelung allein nicht erschließen lässt. Denn es ist die Schnittstelle zwischen beiden Sorgerechtsformen, die sich erst im Einzelfall zeigt und deren Justierung im geltenden Recht nun genau betrachtet werden soll. Doch ist eben diese Annäherung an die sorgerechtliche Güterabwägung zwischen gemeinsamer und alleiniger Sorge historisch verankert. Sie stellt eine traditionelle Problemstellung vorangegangener Entwicklungsstadien dar. Ausgangspunkt der nun folgenden Betrachtung ist daher, dass die Annäherung an das nun normativ ausgestaltete Institut der gemeinsamen Sorge und seine Abgrenzung gegenüber der Alleinsorge erst als Folge früherer Erfahrungen vollends zu erfassen ist. Das KindRG soll daher zunächst in einen historischen Kontext gestellt und in Hinblick auf seine Ursprünge untersucht werden. Auf den ersten Blick ist dieses Reformgesetz der aktuelle Versuch, einen sachgerechten Interessenausgleich zu gestalten, der den Schutzbedürfnissen von Eltern und Kindern in der Krisensituation gerecht wird. Es ist damit zunächst ein in sich geschlossenes System von Normen, das aus sich heraus zugänglich ist. Doch beruht dies auf einer komplexen Güterabwägung und einem Wertesystem, mit denen die Zielsetzung der Erziehung und die Prioritäten konkurrierender Güter fein aufeinander abgestimmt werden. Dieses fragile Geflecht aus Fürsorgepflichten, Rechten der Eltern und Kinder zur Wahrnehmung der eigenen Interessen und dem Korrektiv staatlicher Kontrolle ist nicht spontan geschöpft und neu erdacht. Es ist historisch gewachsen und aus einer sehr langsamen Entwicklung hervorgegangen. Die Emanzipation des Bürgertums, die Emanzipation der Frau und schließlich die Emanzipation des Kindes sind wichtige historische Einflüsse, die hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Sorgerechtsverständnis der Gegenwart näher zu betrachten sind. Gleichzeitig scheint ein besonderes Maß an Zurückhaltung gegenüber Veränderung die Reformbereitschaft in diesem Rechtsbereich zu hemmen. Bewährte Regeln und Maximen werden nur gegen anhaltenden Widerstand aufgegeben 2, so dass gerade 1

Im weiteren KindRG.

II. Historische Entwicklung der Elternsorge bis 1979

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in einer Zeit, in der sich eine einschneidende Reform konsolidiert, der unsichere Blick auf Vergangenes in die Auseinandersetzung mit den aktuellen Vorschriften einfließt. Das Ziel dieser historischen Betrachtung ist es daher, die Ursprünge des heutigen Sorgerechtsverständnisses zu untersuchen. Auf diese Weise soll ein Einblick in die gegenwärtige Rechtslage eröffnet werden, anhand dessen sowohl die Hintergründe für fortbestehende Grundsätze und Regelungsansätze als auch die Gründe der durch das Reformgesetz vollzogenen Neuerungen erkennbar werden. Dazu soll die Sorgerechtsentwicklung vor allem hinsichtlich der zentralen Parameter für die nacheheliche Sorgerechtsübertragung in ihrem Wandel betrachtet werden. Im Spiegel dessen sollen die Güterabwägungen und vorrangigen Interessen der aktuellen Rechtslage transparent und für die Auslegung der geltenden Normen aufbereitet werden. Die folgende Betrachtung richtet sich dabei zunächst auf die Entwicklung des Sorgerechts im Überblick. Die Veränderung der gesetzlichen Sorge anhand der zentralen Reformschritte und der Wandel der nachehelichen Sorge werden nachgezeichnet bis zur Einführung der obligatorischen Alleinsorge nach der Scheidung durch das Sorgerechtsreformgesetz 3 von 1979. Im Anschluss daran richtet sich das Augenmerk auf die Zeit nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 4 vom 3. November 1982, durch das der gesetzliche Ausschluss der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung aufgehoben wurde. Der damit beginnende Entwicklungsabschnitt verkörpert gleichsam die Vorbereitung des KindRG, indem die auf sich gestellte Rechtsprechung und die auf zukünftige Gesetzgebung gerichtete Literatur Maßstäbe für die gemeinsame Sorge nach der Scheidung entwickelten. Der letzte Abschnitt dieses Kapitels wendet sich schließlich dem Gesetzgebungsverfahren zu, bei dem die Fraktionen des Bundestages ihre Anträge für das Reformgesetz eingebracht haben und aus denen dann das KindRG in seiner geltenden Form hervorgegangen ist.

II. Historischer Überblick über die Entwicklung der Elternsorge bis 1979 Im Spiegel gesellschaftlichen Fortschritts durchläuft das Sorgerecht Entwicklungsschritte, die erst allmählich das heutige Geflecht aus den vielfältigen Faktoren 2 In diesem Zusammenhang sei beispielhaft auf den Zeitraum von 15 Jahren zwischen 1982 und 1997 verwiesen, der erforderlich war, um das Urteil des BVerfG, mit dem die obligatorische Alleinsorge für verfassungswidrig erklärt wurde, mit dem KindRG gesetzlich umzusetzen und die gemeinsame Sorge nach Scheidung und Trennung normativ auszugestalten. 3 Im weiteren SorgeRG. 4 Im weiteren BVerfG.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

einfließender Interessen hervorbrachten. Vor allem verändern sich die Positionen der Akteure, an denen sich die Zuweisung der sorgerechtlichen Rechtsstellung orientiert. So schafft beispielsweise erst die rechtliche Gleichstellung der Frau im Sorgerecht eine eigenständige Rechtsinhaberin neben dem Vater. Später noch entwickelt sich darüber hinaus das Kind von einem Gegenstand der Verteilung elterlicher Rechte zu einem Rechtssubjekt, dem Bedürfnisse und Ansprüche zugesprochen wurden und das die elterliche Rechtsstellung an eine Fürsorgepflicht knüpfte. 5 Als die dafür Ausschlag gebenden Faktoren wurden in der rechtshistorischen Diskussion vor allem die Emanzipation der Frau und der damit verbundene, stetig eintretende Verlust der männlichen Herrschaftsstellung innerhalb der Familie 6 ebenso wie die sich daraus ergebende Labilisierung des Familienverbandes 7 und der Bedeutungswandel des Kindeswohls 8, der eine veränderte Rechtseinschätzung des Kindes innerhalb der Familie widerspiegelt, sowie schließlich der gesellschaftliche Wandel der Institution von Ehe und Familie als Grundlage einer veränderten Schutzrichtung des Sorgerechts 9 besonders hervorgehoben. 10 Die heutige gemeinsame Sorge nach der Scheidung ist aus dieser Perspektive in doppelter Hinsicht von Bedeutung. Zum einen bildet sie den bisherigen Abschluss der Rechtsentwicklung. Erfahrungen und Entwicklungsschritte der Vergangenheit sind in ihre Ausgestaltung eingeflossen, entweder durch eine bewusste Zäsur zu den bisherigen Regelungen oder durch ihre bewusste kontinuierliche Fortsetzung im Reformgesetz. Gleichzeitig aber ist die gemeinsame Sorge nach der Scheidung selbst eine historische Erscheinungsform. Sie kann daher in ihrer aktuellen Form den historischen Vorläufern gegenüber gestellt werden. Aus diesem Blickwinkel lassen sich die Charakteristiken der heutigen Fassung der gemeinsamen Sorge sowohl hinsichtlich ihrer signifikanten Abweichung von bisherigen Erscheinungsformen als auch hinsichtlich kontinuierlicher Merkmale herausarbeiten. 1. Die Entwicklung der gesetzlichen Erziehungszuständigkeit der Eltern Die Sorgerechtsgeschichte hat eine Vielzahl von Normierungen durchlaufen, von denen jede für sich genommen eine eigene Grundsatzentscheidung bei der Gestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses widerspiegelt. Der Blick richtet sich dabei 5

Vgl. dazu auch Lüderitz „Familienrecht“, 27. Aufl. 1999 Rz. 909 ff. Vgl. Simitis in der Festschrift für Müller-Freienfels, S. 579; Treitz, S. 1; Horkheimer in Simitis / Zenz I, S. 83 ff. 7 Vgl. Schwab „Familienrecht“, S. 18; Wagenit / Barth FamRZ 1996, S. 577 (578). 8 Vgl. Coester in Proksch / Sievering, S. 51. 9 Vgl. Ramm „Jugendrecht“ insb. S. 98; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“. 10 Vgl. Simitis in der Festschrift für Müller-Freienfels, S. 579, der darüber hinaus auch auf ein sich wandelndes Kräfteverhältnis zwischen Kirche und Staat verweist. 6

II. Historische Entwicklung der Elternsorge bis 1979

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zunächst auf die „gesetzliche Gewalt“, später umbenannt in „gesetzliche Sorge“, die die Zielsetzungen und Maßstäbe jedes Entwicklungsschritts für diesen Rechtsbereich festlegte. Bei dieser an die Ehe anknüpfenden, gesetzlich zugewiesenen Zuständigkeit beider Eltern zeichnen sich die Charakteristiken ab, die auch der Regelung der nachehelichen Elternzuständigkeit zugrunde lagen und darin konsequent fortgesetzt wurden. So bildete zunächst das gesetzliche Modell ehelicher Verbundenheit der Eltern die Grundlage für die allgemeine Erziehungszuständigkeit. Doch nicht nur die allgemeinen Parameter des Eltern-Kind-Verhältnisses, die auch eine Grundlage für die Übertragung der nachehelichen Elternzuständigkeit boten, sind für das Verständnis der Scheidungssorge relevant. Gleichzeitig legte die gesetzliche Gewalt bzw. Sorge auch die Reichweite der Rechtsstellungen fest, die nach der Scheidung übertragen werden konnten. Denn nur dort, wo bereits vor der Scheidung eine Rechtsstellung verliehen worden war, war sie Gegenstand einer auf die Scheidung folgenden Umgestaltung. War eine Rechtsstellung demgegenüber einem Elternteil bereits während der Ehe allein vorbehalten, so blieb sie auch über die Scheidung hinaus unberührt und entzog sich damit einer nachehelichen Veränderung. a) Antike Vorbilder der Rechtsentwicklung Die deutsche Sorgerechtsentwicklung wurde anfänglich stark beeinflusst durch die antiken Rechtsordnungen des römischen und germanischen Rechts. 11 So flossen sowohl das römische Rechtsinstitut der patria potestas 12 als auch der germanische munt 13 als Vorbilder in die erste Kodifikation ein. Beide waren durch eine weitgehend uneingeschränkte und dauerhafte Herrschaftsausübung des Vaters über das Kind charakterisiert. 14 Doch sahen beide Rechtsordnungen kein spezifisches Rechtsverhältnis vor, das die Beziehung zum Kind gesondert ausgestaltet hätte. Sie regelten vielmehr eine eigentumsähnliche Verfügungsgewalt des Vaters, die sich auf alle Mitglieder des Familienverbandes gleichermaßen erstreckte. 15 Leiteten sich die innerfamiliären Rechtsverhältnisse damit aus einer übergreifenden Stel11 Vgl. Mugdan „Die gesamten Materialien zum BGB des deutschen Reiches“, Bd. 4: Familienrecht, 1899, S. 382 f = Motive S. 388 f; Palandt / Diederichsen Einl. zu § 1297 Rz. 1. 12 Väterliche Gewalt. 13 Abgeleitet von mundium = Schutzhand. 14 Danach stand es dem Vater frei, das Kind zu töten, auszusetzen, zu verkaufen und eigenmächtig von dem Ehegatten zu scheiden; vgl. dazu in Hinblick auf die Römer Ramm „Jugendrecht“, S. 22; Köbler „Rechtsgeschichte“, S. 22, 39; zu den Germanen: Schröder „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 72; Ramm „Jugendrecht“, S. 21; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 206. 15 Vgl. Ebel / Thiel „Rechtsgeschichte“, S. 41; Planitz „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 56; zur gewillkürten Begründung des Rechtsverhältnisses durch väterliche Anerkennung des Kindes vgl. hinsichtlich der Römer: Ramm „Jugendrecht“, S. 21; hinsichtlich der Ger-

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

lung des Familienoberhaupts ab, so bildete die Familie insgesamt eine dauerhafte Einheit und einen geschlossenen Rechtskreis unter Regulierung des Vaters. 16 Die Frau hingegen wurde von der Rechtsordnung nicht als Rechtssubjekt anerkannt und war damit rechtlos dem Mann vollständig unterworfen. Sie blieb demzufolge von der Sorgerechtsausübung ausgeschlossen. Ihre Position beschränkte sich gegenüber dem Kind, außerhalb jeglicher rechtlicher Ausgestaltung, auf die tatsächliche Betreuung. 17 Auf diese Weise erschöpfte sich das rechtliche Sorgerechtsverhältnis in einer pauschalen Ermächtigung des Vaters, dessen familiärem Herrschaftsbereich das Kind einseitig zugeordnet wurde. 18 Die Ausübung dieser Rechtsstellung entzog sich damit zumindest in der Zeit des sog. Klassischen Römischen Reiches jeder staatlichen Kontrolle, so dass sowohl die Gestaltung der Erziehung als auch die Umgestaltung der Verhältnisse aufgrund der Scheidung allein dem familieninternen Diktat des Vaters unterlagen. 19 Doch trotz der grundlegenden strukturellen Übereinstimmung beider Rechtsordnungen unterscheiden sie sich signifikant hinsichtlich der Legitimation dieser väterlichen Stellung. Dies leitete sich aus dem unterschiedlichen Grundverständnis der jeweiligen Gesellschaftsordnung ab. 20 Bei den Römern rechtfertigte die patriarchale Hausmacht uneingeschränkte Machtvollkommenheit 21, mit der das Kind für die gesamte Lebensdauer des Vaters 22 wie Eigentum seiner Herrschaft unterstellt blieb. Die Germanen hingegen leiteten die väterliche Stellung aus einem manen: Planitz „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 56; Conrad „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 38. 16 Vgl. dazu RGRK-Wenz Vor § 1626 Rz. 2; Wacke FamRZ 1980, S. 205 (206). 17 Zur Rechtsstellung der Frau und Mutter, vgl. Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 158 ff. 18 Zu ersten Anzeichen der Einschränkungen väterlicher Machtvollkommenheit bei einschneidenden Züchtigungs- und Verfügungsmaßnahmen vor allem durch die Institution der Sippe vgl. zu den Römern für die Zeit der Spätantike: Köbler „Rechtsgeschichte“, S. 39; Wacke FamRZ 1980, S. 205 (206); zu den Germanen: Conrad „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 36; Köbler „Rechtsgeschichte“, S. 79; Kroeschel „Deutsche Rechtsgeschichte“, Bd. 2, S. 23; Planitz „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 52 ff; Ramm „Jugendrecht“, S. 21; Schröder „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 71. 19 Vgl. Köbler „Rechtsgeschichte“, S. 65; Wacke FamRZ 1980, S. 205 (208); Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 170. 20 Vgl. Fehr „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 42, 46. 21 Vgl. Kieper JZ 1976, S. 158 (159). 22 Die Hausgewalt konnte durch Tod des Vaters oder durch seinen Verlust von Freiheit oder Bürgerrecht enden. Im Laufe der Entwicklung kamen das Institut der adrogatio, die Freilassung, sowie zeitweise auch durch emancipatio, dem dreifachen Verkauf in die Knechtschaft hinzu, durch die ebenfalls die väterliche Hausgewalt enden konnte (vgl. Köbler „Rechtsgeschichte“, S. 23; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 159; Ebel / Thielmann „Rechtsgeschichte“, S. 41); zu diesem Themenkomplex vgl. auch Beitzke, „Familienrecht“, 24. Aufl., S. 247; Dölle „Familierecht“ Bd. I, S. 138; Wacke FamRZ 1980, S. 205 (206).

II. Historische Entwicklung der Elternsorge bis 1979

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Schutzverhältnis ab 23, das an das Schutzbedürfnis des Kindes anknüpfte und mit dessen wirtschaftlicher Unabhängigkeit erlosch. 24 Wenngleich also beide Rechtsordnungen durch das Sorgerecht weitgehend uneingeschränkte Verfügungsmacht verliehen, so klingt im germanischen Recht bereits eine Pflichtenbindung an, die zumindest auch die Kindesinteressen berücksichtigt. b) Impulse des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 25 Als Vorläufer des BGB und erster Anknüpfungspunkt einer sich vereinheitlichenden deutschen Gesetzgebung richtet sich das Augenmerk zunächst auf das ALR von 1794. 26 Bereits dieses Gesetz begann durch erste Regelungen sorgerechtlicher Pflichten das Eltern-Kind-Verhältnis näher auszugestalten und damit die elterliche Rechtsstellung inhaltlich zu bestimmen. Gleichsam in Konkretisierung des germanischen Schutzpflichtgedankens regelt § 108 ALR II 2 den Grundsatz: 23

Vgl. Planitz „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 56; unter Hinweis auf das Erfordernis einer Notlage zur Ausübung der väterlichen Verfügungsrechte vgl. Schröder „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 71 unter Hinweis auf Tacitus ann. 4, 72; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 213. 24 Vgl. Dölle „Familienrecht“, S. 139; zur rechtlichen Manifestation seitens der Töchter durch Verheiratung und seitens der Söhne durch Abschichtung vgl. Schwab „Familienrecht“ Rz. 371; Staudinger / Peschel-Gutzeit Vor § 1626 Rz. 2; RGRK / Wenz § Vor § 1626 Rz. 3; zur Teilrechtsmündigkeit 20jähriger Söhne durch Ehemündigkeit vgl. Schröder „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 76. 25 Oder auch „Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794“; im weiteren ALR. 26 Die Entstehungsgeschichte des ALR geht auf erste Vorüberlegungen von Friedrich I. zurück. Die grundlegende Reform wurde jedoch erst unter Friedrich II. 1792 als „Allgemeines Gesetzbuch für die Preußischen Staaten“ (AGB) fertiggestellt. Die Überarbeitung erfolgte aufgrund der Ereignisse der französische Revolution, die die reaktionäre und konservative Elite in Preußen stärkte, und daher wurden viele freiheitlichen Rechte und vernunftrechtliche Bestimmungen entfernt (z. B. Wohlfahrt als Staatszweck). Maßgebliches Anliegen für die Entwicklung des einheitlichen Landrechtes war der Wunsch Friedrich II., durch die Kodifizierung klares und gerechtes Recht zu schaffen. Das ALR sollte nun darüber hinaus für jedermann das Recht in verständlicher Form „nachlesbar“ machen. Beauftragt mit der Entwicklung und Ausfertigung wurden Suarez (Zivilrecht) und Klein (Strafrecht). Es trat am 1. Juni 1794, nach dem Tod Friedrichs II., in Kraft. Es ersetzte subsidiär geltende unterschiedliche Rechtsquellen wie z. B. das Römische Recht und das Sachsenrecht. Es galt seinerseits ebenso nur subsidiär, d. h. es kam nur dann zur Anwendung, wenn die lokalen Rechtsquellen keine Regelung trafen. Es sorgte daher nicht für eine umfassende Rechtseinheit im Lande. Lediglich für Gebiete ohne eigene althergebrachte Rechtsquellen wurde ein umfassendes einheitliches Recht gesetzt. Das ALR galt in den originären preußischen Gebieten – also insbesondere in den ostelbischen Provinzen mit Ausnahme der Städte, die auch hier häufig über eigene Rechtsquellen verfügten. Das ALR regelte das allgemeine Zivilrecht, Familien- und Erbrecht, Lehnensrecht, Ständerecht, Gemeinderecht, Staatsrecht, Kirchenrecht, Polizeirecht, Strafrecht und Strafvollzugsrecht in über 19.000 Paragraphen. Jeder mögliche Fall sollte exakt geregelt sein, vgl. dazu Hattenhauer „Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794“.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

„Die Aeltern sind schuldig, ihre Kinder zu künftigen brauchbaren Mitgliedern des Staates, in einer nützlichen Wissenschaft, Kunst, oder Gewerbe, vorzubereiten.“ Gleichzeitig wurden Grenzen der Erziehungskompetenzen näher bestimmt. So führte das ALR etwa das Mündigkeitsalter 27 ein und beschränkte die zulässigen Erziehungsmittel auf unschädliche Zwangsmaßnahmen, deren Überschreitung der vormundschaftsgerichtlichen Mitwirkung bedurfte. 28 Vor allem aber relativierte es das väterliche Bestimmungsrecht über die zukünftige Lebensart seiner Söhne, indem es die Berufswahl an deren Neigungen, Fähigkeiten sowie körperliche Umstände knüpfte und vorsah, dass diese bei fortdauernder gänzlicher Abneigung ab dem 14. Lebensjahr des Sohnes durch das Vormundschaftsgericht überprüft werden konnten. 29 Doch auch wenn im ALR bereits vielfach von Rechten und Pflichten beider Eltern die Rede war, so blieb die Rechtsträgerschaft wie zuvor doch auf den Vater beschränkt. Zwar gab es in Folge der Aufklärung ein zunehmendes Bewusstsein für die Lebenssituation der Frauen. So hieß es dazu bei Diderot, einem französischen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, als Charakterisierung der Rolle der Frau: „... In fast allen Ländern hat sich die Grausamkeit des bürgerlichen Gesetzes mit der Grausamkeit der Natur gegen die Frauen verbündet. Sie werden behandelt wie idiotische Kinder. Keine Art Quälerei, die der Mann bei den zivilisierten Völkern nicht straflos an der Frau begehen könnte. Die einzige Vergeltung, die sie üben kann, bringt das

27 Gem. § 163 ALR II 2 konnte das Kind mit der Erreichung des 24. Lebensjahres, der sog. Großjährigkeit, wirksame Verträge abschließen und über das eigene Vermögen verfügen (in § 163 ALR II 2 heißt es: „Nach erlangter Großjährigkeit, oder wegfallenden anderweitigen Gründen einer vormundschaftlichen Verwaltung, können Kinder über ihr freyes Vermögen eben so, als wenn sie nicht mehr unter väterlicher Gewalt wären, verfügen.“). Doch erst durch die Gründung eines eigenen Hausstandes bei Söhnen und der Verheiratung bei der Tochter kam die elterliche Gewalt vollständig zum erlöschen (vgl. §§ 210 ff, 228 ff ALR II 2). Die elterliche Zuständigkeit blieb somit weiterhin an die wirtschaftliche Abhängigkeit des Kindes gebunden (vgl. dazu Beitzke / Lüderitz FamR, S. 288). 28 Vgl. §§ 87 ff ALR II 2, dabei regelte insbesondere § 90 ALR II 2 „Sollten Aeltern ihre Kinder grausam misshandeln; oder zum Bösen verleiten; oder ihnen den nothdürftigen Unterhalt versagen: so ist das vormundschaftliche Gericht schuldig, sich der Kinder von Amts wegen anzunehmen.“ 29 Vgl. §§ 109 ff ALR II 2: „§109. Die Bestimmung der künftigen Lebensart der Söhne hängt zunächst von dem Ermessen des Vaters ab. – § 110. Er muß aber dabey auf die Neigung, Fähigkeiten, und körperlichen Umstände des Sohnes vorzüglich Rücksicht nehmen.§111. Bis nach zurückgelegtem 14. Jahre muß sich der Sohn der Anordnung des Vaters schlechterdings unterwerfen. – §112. Bey alsdann fortdauernder gänzlicher Abneigung des Sohnes gegen die von dem Vater gewählten Lebensart, muß das vormundschaftliche Gericht, mit Zuziehung eines oder zweyer am Ort befindlichen nächsten Verwandten, und der Lehrer des Sohnes, die beyderseitigen Gründe prüfen. – § 113. Das Gericht muß diejenigen Einrichtungen zu treffen bemüht sein, dass die Neigung und Fähigkeit des Sohnes, so wie dem Stande und Vermögen des Vaters gemäßeste Lebensart gewählt werde.“

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Zerwürfnis der Ehe und wird gestraft mit einer mehr oder weniger sichtbaren Verachtung, ja nach der mehr oder weniger großen Gesittung der Nation.“ 30

Jedoch die ersten Anklänge einer rechtlichen Aufwertung der Frau im Rahmen des preußischen Landrechts beschränkten sich auf eine eher symbolhafte Gleichstellung der Geschlechter innerhalb des Eheverhältnisses, die unter Gesetzesvorbehalt stand. 31 Sie fand darin Ausdruck, dass zum einen die Eheschließung an den übereinstimmenden freien Willen beider Ehegatten gebunden wurde 32 und damit den vorherigen Verfügungscharakter ablöste und zum anderen die Ehepflichten nun auf Gegenseitigkeit beruhten. 33 c) Impulse des BGB a.F. von 1900 Es entstand ein Spannungsverhältnis zwischen der voranschreitenden rechtlichen Gleichstellung der Frau und der fortbestehenden sorgerechtlichen Beschränkung der Mutter, das als Ausdruck einer Grundsatzentscheidung bereits damals sehr kontrovers diskutiert wurde. 34 Denn anders als in anderen Rechtsbereichen sollte die Emanzipation der Frau nicht in das Sorgerecht einfließen, sondern die Familie als „das unerschütterliche Bollwerk gegen die Wogen des Individualismus“ bewahrt bleiben, indem hier konkurrierende Rechtsstellungen von Mutter und Vater vermieden wurden, die den Familienverbund destabilisieren könnten. 35 30

Vgl. Diderot „Über die Frauen“, in „Erzählungen und Gespräche“ – Sammlung Dieterich im Schünemannverlag, S. 206 (209); vgl. in diesem Zusammenhang auch W.H. Riehl, Bd. 3, S. 18 f, wo es heißt: „das Weib existiert nicht für sich, sondern nur in und mit der Familie“. 31 Vgl. § 24 ALR I 1: „die Rechte beyder Geschlechter sind einander gleich, so weit nicht durch besondre Gesetze, oder rechtsgültige Willenserklärungen, Ausnahmen bestimmt worden sind.“ 32 Vgl. § 38 ALR II 1: „Ohne eine freye Einwilligung beyder Theile ist keine Ehe verbindlich.“ 33 Vgl. § 181 ALR II 1: „Zur ehelichen Treue sind beyde Ehegatten wechselseitig verpflichtet.“ 34 Exemplarisch für die lange Zeit anhaltende Debatte vgl. als Vertreter für eine konservative Bewahrung der bisherigen Familienstrukturen etwa O. Gierke „Der Entwurf zum BGB und das deutsche Recht“; dazu auch Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Planck, Bd. III S. 973 – Ansätze (so G. Planck in Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Planck, Bd I S.XLVI), denen zufolge der gesellschaftliche Wandel durch eine Umverteilung der Belastung und Verantwortung auch in das Familienleben Eingang gefunden habe, wirkten sich damit lediglich durch die grundsätzliche Anerkennung der mütterlichen Stellung aus; vgl. auch Treitz, S. 3 mwN; zur daran anknüpfenden Wertung des Art. 119 Abs. 1 S. 2 der Weimarer Reichsverfassung, die sich auf den Programmsatz beschränkte, die Gleichstellung der Geschlechter rechtlich zu fördern, vgl. Ramm „Jugendrecht“, S. 72; Treitz, S. 3; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 397. 35 Vgl. O. Gierke „Der Entwurf zum BGB und das deutsche Recht“; Planck, Bd. III S. 973; vgl. dazu auch Schwab FamRZ 2007, S. 1 (2).

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Die rechtliche Selbständigkeit der Frau wurde infolgedessen nur dort zugelassen, wo sie die familiäre Ordnung nicht beeinträchtigte. 36 Die Motive zum BGB gingen in der sorgerechtlichen Wertung nur soweit, anzuerkennen, dass die pauschale Vermutung mütterlichen Unvermögens bei der verantwortungsvollen Interessenwahrnehmung des Kindes nicht mehr gerechtfertigt war. 37 Gleichwohl blieb die Mutter von der rechtlichen Vertretung ausgeschlossen und ihr oblag es lediglich, das Kind tatsächlich zu betreuen. 38 Der Kontrollanspruch des Staates nahm damit gleichzeitig ab, da die Umsetzung der Erziehung als ein auf die Eltern übertragener Gesellschaftsauftrag aufgefasst wurde. 39 Die Intervention beschränkte sich anstelle der vielfältigen vormundschaftsgerichtlichen Eingriffstatbestände des ALR 40 nun auf einen abschließenden Katalog von Missbrauchstatbeständen und die gesetzliche Beendigung elterlicher Gewalt durch die Volljährigkeit des Kindes. 41 Die Dauer der elterlichen Gewalt hing damit nicht länger von der wirtschaftlichen Abhängigkeit ab, sondern orientierte sich an der natürlichen Entwicklung des Kindes bzw. seinem altersbedingten Bedürfnis nach elterlicher Betreuung. 42

36 Der Mangel selbstbestimmter Rechtswahrnehmung zeigt sich exemplarisch in der gerichtlichen Befugnis, Arbeitsverträge der Mutter aufzuheben, wenn diese mit ihrer Pflicht zur Beaufsichtigung und Betreuung des Kindes kollidierten, vgl. Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 322 f; vgl. § 1358 idF von 1900: „Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn er auf seinen Antrag von dem Vormundtschaftsgerichte dazu ermächtigt worden ist. Das Vormundtschaftsgericht hat die Ermächtigung zu erteilen, wenn sich ergibt, daß die Thätigkeit der Frau die ehelichen Interessen beeinträchtigen.“ 37 Vgl. Motive, Mugdan S. 391. 38 Ausdrücklich wurde zunächst die elterliche Gewalt des Vaters geregelt in §§ 1627 ff idF von 1900, so regelt § 1627: „Der Vater hat kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen“, demgegenüber heißt es in § 1634 i.d.F. von 1900: „Neben dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie nicht berechtigt (...) Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor.“ 39 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die gesetzliche Weiterentwicklung durch das Gesetz über die religiöse Kindeserziehung vom 15. 7. 1921 und das RJWG vom 29. 7. 1922, die das Kind als Rechtsträger einführten; vgl. in diesem Zusammenhang auch Schwab FamRZ 2007, S. 1 (2 f). 40 Vgl. Ausführungen unter Abschn. A.II.2.b). 41 So regelt der § 1626 i.d.F. von 1900: „Das Kind steht, solange es minderjährig ist, unter elterlichen Gewalt“, gleichzeitig heißt es in § 1666 i.d.F. von 1900: „Wird das geistige oder leibliche Wohl des Kindes dadurch gefährdet, daß der Vater das Recht der Sorge für die Person des Kindes missbraucht, das Kind vernachlässigt oder sich eines ehrenlosen oder unsittlichen Verhaltens schuldig macht, so hat das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln zu treffen.“

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d) Impulse des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957 43 Im Zuge der Diktatur der Nationalsozialisten wurden die Vorschriften des Familienrechts durch das Ehegesetz von 1938 44 aus dem BGB ausgelagert. Es war gekennzeichnet durch eine Rückbesinnung auf eine vorrangig auf die Vermehrung der Bevölkerung gerichtete Zielsetzung des Familienrechts, das überdies in Entsprechung zur Staatsform auf eine hierarchische Struktur der Familie ausgerichtet war. 45 Die familienrechtlichen Vorschriften wurden durch das Ehegesetz von 1946 46 unter Beseitigung der von der faschistischen Ideologie geprägten Regelungen 47 wieder in das BGB eingegliedert. Es folgte das GleichberG vom 18. Juni 1957 48, das die vorangegangene Entwicklung durch weitere Annäherung der Sorgerechtsstellung beider Eltern wieder aufnahm. 42 Vgl. Schwab FamR, Rz. 374 – Der Alternativvorschlag, die Auswirkung der Volljährigkeit weiterhin auf die Vertretungsmacht zu beschränken und dem Vater für die Dauer der wirtschaftlichen Abhängigkeit die Nutznießung am Kindesvermögen sowie die Vermögenssorge als finanziellen Ausgleich zu belassen, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass dieser Interessenausgleich dazu angetan sei, Eltern eine weitere Handhabe zu geben, die Emanzipation des Kindes aus eigennützigen Erwägungen zu verzögern (vgl. Motive, Mugdan S. 386). 43 Im Folgenden: GleichberG. 44 RGBl. I 1938, S. 807 ff. 45 So weist Ramm „Jugendrecht“, S. 79 darauf hin, dass Hitler in „Mein Kampf“ als unverrückbares Ziel der Mädchenerziehung das Mutterwerden propagierte und die Bevölkerungspolitik durch gezielte Kreditvergabe an kinderreiche Familien betrieben wurde (ebenda S. 84). Gleichzeitig vollzog sich im Rahmen der Verherrlichung der Jugend und der durch HJ und RAD staatlich übernommene Erziehung eine bis dahin unbekannte Form, gesellschaftliche Interessen durch direkte Einflussnahme in der Erziehungsgestaltung durchzusetzen (ebenda S. 79 f, 99). 46 Vgl. Einführung zum EheG 1946, GR 1946, Heft 28 – Kontrollratsgesetz Nr. 16, KRABl. 1946, S. 77 f. 47 Beispielhaft sei hier auf Scheidungs- und Ehenichtigkeitsvorschriften Bezug genommen, die auf die Umsetzung der Rasseideologie der Nazionalsozialisten gerichtet war, „B. Eheverbote – § 4 Blutsverschiedenheit Das Verbot von Eheschließungen zwischen Staatsangehörigen deutschen und artverwandten Blutes und Personen artfremden Blutes und die Wirkungen dieses Verbots bestimmen sich ausschließlich nach dem Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 1146) und den zu diesem Gesetz ergangenen Durchführungsverordnungen. § 5 Mangel der Ehetauglichkeit Das Verbot von Eheschließungen, die aus Gründen der Volksgesundheit unerwünscht sind, und die Wirkungen dieses Verbots bestimmen sich ausschließlich nach dem Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz) vom 18. Oktober 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 1246) und den zu diesem Gesetz ergangenen Durchführungsverordnungen.“ wie § 20 EheG 1938, worin Nichtigkeitsgründe aufgrund des Blutschutz- und Ehegesundheitsgesetzes einbezogen wurden. Danach waren solche Ehen nichtig, die entgegen dem Verbot der Eheschließung zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes oder die mit Erbkranken oder Entmündigten geschlossen wurden. 48 BGBl. I, S. 609 ff – trat am 1. Juli 1958 in Kraft.

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Im Vorfeld des GleichberG war es zu einem rechtlichen Schwebezustand gekommen, nachdem am 1. April 1953 der Verfassungsgrundsatz der Gleichberechtigung 49 in Kraft getreten war. Denn es blieb bis zur gesetzgeberischen Umsetzung zunächst der Rechtsprechung überlassen, alle dem Gleichberechtigungsgrundsatz widersprechenden Vorschriften zu ersetzen. 50 Davon waren vor allem die Beschränkung der Mutter auf die tatsächliche Personengewalt und ihr Ausschluss von der gesetzlichen Vertretungsmacht betroffen. 51 Im Ergebnis führte dies innerhalb der Übergangsphase dazu, dass die elterliche Gewalt beiden Eltern gemeinsam zustand 52, beide Eltern das Kind gemeinsam vertraten und im Falle nicht eigenständig beizulegender Meinungsverschiedenheiten das Vormundschaftsgericht zu entscheiden hatte. 53 Der Schwerpunkt der durch das GleichberG herbeigeführten Rechtsreform bestand in erster Linie in der gesetzlichen Umsetzung der Gleichstellung beider Eltern. Jedoch blieb das Gesetz weit hinter den vorangegangenen Rechtsschöpfungen der Gerichte zurück. Dem Vater wurden erneut alleinige Vertretungsmacht und alleinige Entscheidungsbefugnis bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern in Form des sog. „Stichentscheids“ eingeräumt. 54 Nur auf Antrag konnte im Einzelfall die Entscheidungsbefugnis auf die Mutter übertragen werden, wenn das Vormundschaftsgericht dies nach Maßgabe des Kindeswohls anordnete. 55 Erst durch ein Urteil des BVerfG vom 29. Juli 1959 wurden diese beiden Relikte alter Regelungsansätze für nichtig erklärt 56 und die vorausgegangene Wertung der Rechtsprechung in vollem Umfang zur anerkannten Rechtslage. 49 Vgl. Art. 3 Abs. 2, 117 GG und BVerfGE 3, S. 225f (248); zu den Zweifeln der Anwendbarkeit dieses Grundsatzes auf Recht aus der Besatzungszeit vgl. Treitz, S. 6 mwN. 50 Vgl. BVerfGE 3, S. 225 (242); BGHZ 11 Anh. 34, S. 52, 71; 20, S. 313 (320) = NJW 1956, S. 1148 = MDR 1956, S. 538; BGHZ 30, S. 306 = NJW 1959, S. 2111 = MDR 1959, S. 920; LM § 1697 BGB Nr. 2; zur Uneinheitlichkeit der gerichtlichen Wertung vgl. Staudinger / Peschel-Gutzeit Vor § 1626 Rz. 6; Beitzke „Familienrecht“, S. 248. 51 Vgl. BVerfGE 3, S. 225; BayObLGZ 1953, S. 372; vgl. auch Soergel / Strätz Vor § 1626 Rz. 3. 52 Vgl. BGHZ 20, S. 313. 53 Vgl. Soergel / Strätz Vor § 1671 a.F. Rz. 3. 54 § 1628 i.d.F. des GleichberG: „(1) Können sich die Eltern nicht einigen, so entscheidet der Vater; er hat auf die Auffassung der Mutter Rücksicht zu nehmen.“ 55 § 1628 i.d.F. des GleichberG: „(2) Das Vormundschaftsgericht kann der Mutter auf Antrag die Entscheidung einer einzelnen Angelegenheit oder einer bestimmten Art von Angelegenheiten übertragen, wenn das Verhalten des Vaters in einer Angelegenheit von besonderer Bedeutung dem Wohl des Kindes widerspricht oder wenn die ordnungsgemäße Verwaltung des Kindesvermögens dies erfordert.“; zur Rechtfertigung dieser fragwürdigen Differenzierung, unter Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit von Gleichheit und dem Erfordernis einer Autorität in der als Einheit begriffenen Familie, vgl. Utz FamRZ 1958, S. 411; Stellungnahme des BMJ in BVerfG FamRZ 1959, S. 416 (417). 56 E 10, S. 59 = NJW 1959, S. 1483 = FamRZ 1959, S. 416 = JZ 1959, S. 528 = MDR 1959, S. 840; zur Gestaltungsmöglichkeit und den Problemen einer zu starken Ausweitung

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Der damit vollzogene Schritt der Gleichstellung beider Eltern, der nun auch das „Bollwerk der Familie“ demokratischen Strukturen zugänglich machte, wies gleichzeitig dem Staat eine neue Rolle im Verhältnis zu dieser Institution zu. Das Recht der elterlichen Gewalt wurde nun zum Geflecht vielfältiger Rechtsbeziehungen, die auf Ergänzung und gleichberechtigtes Zusammenwirken beider Eltern gerichtet waren. Damit wurde die gemeinsame Ausübung der Erziehungsverantwortung der Elternteile sorgerechtlich verankert und beiden Eltern eine eigenständige Rechtsstellung verliehen. Auf diese Weise entstand jedoch gleichzeitig die Möglichkeit unüberwindlicher Meinungsverschiedenheiten, die erforderliche Entscheidungen verhinderten. Denn einerseits entstanden nun zwei unabhängige Rechtspositionen, die das gleiche umfassende Recht der Bestimmung der Sorgerechtsausübung beinhalteten, während auf der anderen Seite die bisherigen Entscheidungsmechanismen innerhalb der Familie bei Dissens, wie der sog. Stichentscheid, entfielen. Die gerichtliche Intervention beschränkte sich nun nicht mehr auf Kontrolle der elterlichen Rechtsausübung und Eingriffe bei elterlichem Versagen, sondern musste nun auch familiäre Einigungsdefizite ausgleichen. Der Staat wurde damit auch zum Schiedsrichter elterlicher Meinungsverschiedenheiten im Vorfeld von Kindesgefährdungen. Neben der bisher ordnungsrechtlichen Funktion der reinen Gefahrenabwehr wurde er nun in die Ausübung des Sorgerechts einbezogen, indem ihm die zusätzliche Aufgabe zukam, die Entscheidungsfähigkeit der Eltern zu gewährleisten. e) Impulse des SorgRG von 1979 Den letzten Entwicklungsschritt vollzog die Gesetzgebung durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18. Juli 1979, kurz Sorgerechtsreformgesetz. 57 Im Vordergrund dieser Reform stand die partnerschaftliche Ausgestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses. 58 Während also das GleichberG vor allem darauf gerichtet war, die Hierarchie zwischen den Eltern zu beseitigen, sollte nun auch die herrschaftliche Struktur im Verhältnis zum Kind abgeschafft werden. Der Begriff der „elterlichen Gewalt“ wurde durch den der „elterlichen Sorge“ ersetzt, um begrifflich den Charakter des Rechtsverhältnisses als fürsorgliche Partnerschaft terminologisch zu verankern. 59 Gleichzeitig machte das Gesetz staatlicher Intervention bei elterlicher Meinungsverschiedenheit, unter Bezugnahme auf das schwedische Modell deutlicher Interventionsbegrenzung vgl. vor allem Schwoerer NJW 1959, S. 2089 – zur Überleitung vorheriger Sorgerechtsentscheidungen vgl. KG FamRZ 1962, S. 432. 57 Im Folgenden: SorgeRG, vom 18. Juli 1979 (BGBl. I S. 1061), in Kraft getreten am 1. Januar 1980; BT-Drucks. 8/2788; vgl. dazu auch BT-Drucks. 7 /2060. 58 Vgl. BT-Drucks. 7/2060 vom 2. Mai 1974. 59 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 31, 43; Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (473); Soergel / Strätz Vor § 1626 a.F. Rz. 8 f; Schlüter „Familienrecht“, S. 178; zur dem vorausgehenden

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nun sogar inhaltliche Vorgaben für die Gestaltung der Erziehung. So wurde beispielsweise ein gesetzlicher Appell in § 1626 i.d.F. des SorgeRG aufgenommen, dass die im Laufe der Entwicklung wachsende Selbständigkeit des Kindes zu berücksichtigen sei und die Eltern das Kind je nach seiner entwicklungsbedingten Reife in die Entscheidungen über Erziehungsfragen einbeziehen sollten. 60 Darüber hinaus wurden entwürdigender Maßnahmen verboten. 61 Dies umfasste auch die Verpflichtung, Eignung und Neigung bei der Wahl von Ausbildung und Beruf zu berücksichtigen. 62 Doch anders als bisher war diese nicht nur durch eine vormundschaftsgerichtliche Entscheidung im Wege einer nachträglichen Korrektur durchzusetzen, sondern stellte nunmehr eine immanente Schranke elterlicher Befugnisse dar. 63 Vor allem aber wurde die staatliche Kontrolle über die missbräuchliche Sorgerechtsausübung verstärkt, indem der Eingriffstatbestand bei Kindeswohlgefährdung nicht mehr an ein Verschulden der Eltern geknüpft war. 64 Die staatliche Intervention verlor damit ihren Sanktionscharakter, indem sie nicht mehr auf einer bewussten Pflichtverletzung der Eltern, sondern allein auf dem objektiven Schutzbedürfnis des Kindes beruhte. 65

Kritik an der Terminologie, vgl. BGHZ 66, S. 334 = NJW 1976, S. 1540 f, worin der Begriff der Gewalt als eine wenig passende Reminiszenz an das römische Recht bezeichnet wurde. 60 Vgl. § 1626 Abs. 2 a.F.: „(2) Bei Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem, verantwortungsbewußtem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.“ 61 § 1631 Abs. 2 a. F: „Entwürdigende Erzeihungsmaßnahmen sind unzulässig.“ 62 § 1631a a.F.: „(1) In Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufes nehmen die Eltern insbesondere auf Eignung und Neigung des Kindes Rücksicht. Bestehen Zweifel, so soll der Rat eines Lehrers oder einer anderen geeigneten Person eingeholt werden.“ 63 § 1631a a.F.: „(2) Nehmen die Eltern offensichtlich keine Rücksicht auf Eignung und Neigung des Kindes und wird dadurch die Besorgnis begründet, dass die Entwicklung des Kindes nachhaltig und schwer beeinträchtigt wird, so entscheidet das Vormundschaftsgericht. Das Gericht kann erforderliche Erklärungen der Eltern ersetzen.“; vgl. dazu Soergel / Strätz Vor § 1626 Rz. 9. 64 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 33; vgl. dazu auch Staudinger / Peschel-Gutzeit vor § 1626 Rz. 19. 65 § 1666 a.F.: „(1)Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet, so hat das Vormundschaftsgericht, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Das Gericht kann auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen“; zur der dem vorangegangenen Diskussion über den zulässigen Interventionsrahmen in Hinblick auf elterliches Verschulden vgl. Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (9); Bosch FamRZ 1973, S. 507; Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (469); Hinz „Kindesschutz als Rechtsschutz und elterliches Sorgerecht“; Schmitt Glaeser DÖV 1978, S. 631.

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Die Person des Kindes rückte auf diese Weise stärker in den Vordergrund der Sorgerechtsausübung. Es wurde zusehends zum einzigen Maßstab rechtlicher Elternbefugnisse und damit von einem Objekt elterlicher Fremdbestimmung zu einem als Grundrechtsträger anerkannten Subjekt des Familienverbandes. 66 Der Gesetzgeber gab also schließlich seine Zurückhaltung gegenüber der konkreten Ausgestaltung der Erziehung auf, indem er sich nicht mehr auf allgemeine Erziehungsleitbilder des selbständigen Menschen wie etwa im Jugendwohlfahrtsrecht beschränkte 67, sondern auch deren Umsetzung ansatzweise regelte. Doch die Form dieser Vorschriften wurde vielfach als halbherzig kritisiert, da sie sich auf bloße Programmsätze mit Appellcharakter beschränkten. 68 Dabei blieb die endgültige Fassung des Gesetzes weit hinter den eingebrachten Entwürfen innerhalb des Reformprozesses 69 zurück, die darüber hinaus die Einführung einer durchsetzbaren Rechtssphäre des Kindes vorgesehen hatten. 70 Vordergründig wurde die Ablehnung durchsetzbarer Ansprüche des Kindes damit gerechtfertigt, dass das Kind mit einer ernstlichen Willensäußerung überfordert sei und damit Objekt elterlicher Indoktrination werde. 71 Ausschlaggebend war jedoch eher die 66 Vgl. die Zielsetzung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 7/2060 vom 2. Mai 1974 sowie die dem vorangegangene Wertung der Eltern-Kind-Beziehung im BVerfG FamRZ 1968, S. 578 ff. 67 Vgl. dazu § 1 Abs. 1 (R)JWG, wonach der junge Mensch zur „Selbständigkeit“ und „gesellschaftlichen Tüchtigkeit“ erzogen werden sollte (vgl. dazu Happe in Gernert „Das KJHG 1993“, S. 13 (14)); nach Inkrafttreten des KJHG 1991 gilt demgegenüber § 1 Abs. 1 KJHG „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. 68 Zur Kritik an dieser plakativen Reform ohne faktisch gewonnenen Kindesschutz: vgl. Hanisch, FamRZ 1975, S. 6 (10), der von „legislativen Perfektionismus“ und „Theaterdonner“ spricht; Henrich, „Familienrecht“ S. 213; Staudinger / Peschel-Gutzeit vor § 1626 Rz. 19; Schwendtner ZBlJugR 1980, S. 149 (153); zur Kritik innerer Wertungswidersprüche sowie folgenloser Überforderung der Eltern: vgl. Palandt / Diederichsen § 1626 Rz. 20; Schmitt-Kammler „Elternrecht und schulisches Erziehungsrecht nach dem Grundgesetz“ (1983), S. 28, FN. 64; Simon ZBlJugR 1984, S. 14 (15); Staudinger / Peschel-Gutzeit Vor § 1626 Rz. 18; vgl. auch Wacke FamRZ 1980, S. 205. 69 Nach einem am 27. 11. 1972 eingebrachten Referentenentwurf, aus dem am 2. 5. 1974 (BT-Drucks. 7/2060) ein Regierungsentwurf hervorging, wurde der demgegenüber weitgehend unveränderte SPD-Fraktionsentwurf (BT-Drucks. 8/111) am 10. 2. 1977 in den Bundestag eingebracht, zu dem im Anschluss an eine intensive parlamentarische Beratung der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages schließlich am 27. 4. 1979 seine Beschlussempfehlung (BT-Drucks. 8/2788) gab, die am 10. 5. 1979 zur Verabschiedung führte. Im Anschluss an eine Anrufung des Vermittlungsausschusses wurde das Gesetz am 18. 7. 1979 (BGBl. I, S. 1061) ausgefertigt und verkündet. 70 So sollte dem Kind eine eigenständige Position innerhalb familieninterner sowie verfahrensbezogener Entscheidungen verliehen werden, indem der Regierungsentwurf beispielsweise in § 1626 Abs. 2 vorsah, die Eltern an die Regelung eigener Angelegenheit seitens des Kindes im Rahmen seiner Beurteilungsfähigkeit zu binden und dem Kind eine Teilmündigkeit ab dem 14. Lebensjahr zu verleihen, die es befähigen sollte, bei Heilbehandlungen selbst die Einwilligung zu geben (§1626a).

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Befürchtung, dass auf diese Weise der Bestand und die innere Stabilität der Familie bedroht werden könnte, wenn dem Staat faktisch die Durchsetzung der Erziehungsansprüche des Kindes übertragen würde 72 und dies unweigerlich zu einer Verrechtlichung führte, die eine harmonische Gestaltung der Eltern-KindBeziehung behinderte. 73 Hier offenbart sich bereits der zentrale, im modernen Sorgerecht angelegte Zwiespalt zwischen rechtlicher Aufwertung des Kindes und Familienautonomie, dem die nun folgenden Betrachtungen der Scheidungssorge nachgehen. 2. Entwicklung der nachehelichen Elternsorge im Überblick Das nacheheliche Sorgerecht entwickelte sich parallel und in enger Anbindung an die gesetzliche Sorge. Denn die Regelung der Elternsorge während der Ehe schuf die Rahmenbedingen für die Scheidungssorge. Zum einen setzte sie die allgemeinen Maßstäbe und Zielsetzungen für die rechtliche Beurteilung des ElternKind-Verhältnisse fest, die auch der nachehelichen Sorge zugrunde lagen. Zum anderen bildete die gesetzliche Sorge als rechtlicher Rahmen während der ehelichen Sorgerechtsausübung ganz konkrete Anknüpfungspunkte für ihre gerichtliche Umgestaltung nach der Scheidung. So hat die Betrachtung der gesetzlichen Sorge gezeigt, dass zentrale Kriterien den historischen Wandel maßgeblich bestimmt haben. Vor allem die rechtliche Aufwertung der Frau und ihre schrittweise Gleichstellung mit dem Mann als Sorgerechtsinhaber haben zu einer grundlegenden Umverteilung der sorgerechtlichen Zuständigkeit geführt. Die Frau rückte nach und nach in eine eigene Rechtsstellung ein und schuf damit eine Konkurrenzlage innerhalb der Familie zwischen den Eltern, bei der sie neben dem Vater das Sorgerecht ausübte. Gleichzeitig veränderte sich die rechtliche Einschätzung der Familie im Ganzen. Anfangs wurde der Verband als eine rechtliche Einheit aufgefasst, die der Vater repräsentierte und intern regulierte. Das Sorgerecht beschränkte sich also darauf, dem Vater die Rechtsstellung zu verleihen, ohne den übrigen Familienmitgliedern eigene Rechte einzuräumen. Doch im Laufe der Entwicklung bezog das Recht die individuellen Interessen der einzelnen Familienmitglieder immer stärker ein und schuf ein Geflecht von Einzelbeziehungen, das jedem einzelnen eigenständige Rechte innerhalb der Einheit zuerkannte. 74 Im Ergebnis führte dies zu einer zunehmenden rechtlichen Öffnung des Familienlebens für gerichtliche Beurteilung. Das heißt, die Regulierung wurde zunehmend vom Staat übernommen, da die internen Entscheidungs- und Regulierungsmechanismen der Familie entfielen und durch 71 72 73 74

BT-Drucks. 8/2788, S. 40, 62; vgl. dazu auch RGRK-Adelmann, § 1671, Stand 1987. Lecheler FamRZ 1979, S. 5. Vgl. Schultz MDR 1980, S. 20 mwN. Vgl. Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“.

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gesetzliche bzw. gerichtliche Sorgerechtsgestaltung abgelöst wurden. 75 Dabei konzentriert sich der rechtliche Anknüpfungspunkt immer stärker auf das Kind und verlagert sich von einer an den Eltern orientierte Ermächtigung zu einer am Kind orientierten Pflichtenstellung. Darüber hinaus legte die gesetzliche Sorge, wie eingangs festgestellt, die konkreten Rechtsstellungen fest, die durch die gerichtliche Entscheidung auf das nacheheliche Sorgerecht übertragen werden konnten. Nur soweit die Eltern gleichberechtigt an der elterlichen Gewalt beteiligt waren, mussten die konkurrierenden Rechtsstellungen durch gerichtliche Entscheidung reguliert werden. Im Einzelnen befasste sich der Gegenstand der nachehelichen Sorgerechtsübertragung mit der Reichweite der mütterlichen Rechtsstellung. So beschränkte sich der Gegenstand des Sorgerechtsverfahrens nach dem ALR auf die tatsächliche Betreuung des Kindes, während die väterliche Gewalt im Übrigen unberührt blieb. 76 Auch § 1635 a.F. von 1900 77 hielt diesen Grundsatz aufrecht, indem sich die Übertragung der elterlichen Gewalt weiterhin nur auf die tatsächliche Personensorge erstreckte und Vermögenssorge sowie Vertretungsbefugnis unverändert beim Vater beließ. Eine Ausnahme galt nur dort, wo der Vater von der Ausübung aufgrund von Umständen ausgeschlossen war, die unabhängig von der Scheidung bestanden. Diese Aufteilung der elterlichen Zuständigkeit wurde bereits 1896 vielfach als unzweckmäßig angesehen. 78 Doch erst das EheG von 1938 79 sah vor, dass die im Scheidungsver75

Zu diesen Aspekten vgl. auch die vertiefte Auseinandersetzung unter Abschn. A.II.4. bei der Erörterung der Tendenzen der Sorgerechtsentwicklung. 76 Vgl. §§ 92 ff ALR II 2: „§ 92. Sind die Aeltern geschieden worden: so müssen die Kinder in der Regel nach bey dem unschuldigen Theile erzogen werden. – § 93. Ist der Vater zwar der schuldige Theil; die Ursache der Scheidung aber nicht so beschaffen, daß daraus die gegründete Besorgniß einer schlechten Erziehung entsteht: so kann er verlangen, daß ihm die Erziehung der Söhne gelassen werde. – § 94. Die Pflege der Kinder, welche das vierte Jahr noch nicht zurückgelegt haben, verbleibt, ohne Unterschied des Geschlechts, bis zur Zurücklegung dieses Alters der auch für schuldig befundenen Mutter; in so fern die vorgekommene Scheidungsursache nicht von der Verderbniß des moralischen Charakters zeugen, daß dadurch erhebliche Besorgnisse einer Vernachlässigung der Kinder begründet werde. – § 95. Ist keiner der Aeltern für dem schuldigen Theil erklärt: so werden die Kinder bis nach vollendetem Virten Jahre bey der Mutter, sodann aber bey dem Vater erzogen. – § 96. Doch kann, wenn Töchter darunter sind, der Richter die Erziehung derselben überhauptbewandten Umständen nach, der Mutter amvertrauen. 77 § 1635: „Ist die Ehe aus einem der in den §§1565 bis 1568 bestimmten Gründen geschieden, so steht, solange die geschiedenen Ehegatten leben, die Sorge für die Person des Kindes, wenn ein Ehegatte allein schuldig erklärt ist, dem anderen Ehegatten zu; sind beide Ehegatten für schuldig erklärt, so steht die Sorge für den Sohn unter 6 Jahren oder Tochter der Mutter, für den Sohn, der über 6 Jahre alt ist, dem Vater zu. Das Vormundschaftsgericht kann abweichende Anordnungen treffen, wenn eine solche aus besonderen Gründen im Interesse des Kindes geboten ist; es kann eine Anordnung aufheben, wenn sie nicht mehr erforderlich ist. Das Recht des Vaters zur Vertretung des Kindes bleibt unberührt.“ 78 Vgl. Treitz, S. 3. 79 Vom 6. Juli, RGBl 1938, S. 807 ff.

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fahren übertragene Gewalt die diesbezügliche Vertretungsmacht umschloss und der Mutter zumindest die Personensorge mit Vertretungsmacht allein übertragen werden konnte. 80 Das EheG von 1946 81 machte schließlich die gesamte elterliche Gewalt zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens und eröffnete damit erstmalig der Mutter die Möglichkeit, alleinige Trägerin uneingeschränkter nachehelicher Gewalt zu werden. 82 Das darin eingeführte Prinzip der Einheitlichkeit der elterlichen Gewalt 83 wurde als gesetzliches Gebot im GleichberG 1957 verankert 84 und schließlich im SorgeRG durch die obligatorische Alleinsorge als zwingend vorgeschrieben. Die nun folgende Betrachtung wendet sich vor diesem Hintergrund der spezifischen Entwicklung des nachehelichen Sorgerechts zu. Dabei richtet sich das Augenmerk auf den Wandel der gesetzlichen Übertragungskriterien und die Maß80 § 81 EheG 1938: („I. Ist die Ehe geschieden, so bestimmt das Vormundschaftsgericht, welchem Ehegatten die Sorge für die Person eines gemeinschaftlichen Kindes zustehen soll. Maßgebend ist, was nach der Lage der Verhältnisse dem Wohl des Kindes am besten entspricht. II. Sind mehrere Kinder vorhanden, so soll die Sorge für die Person aller Kinder dem gleichen Elternteil übertragen werden, sofern nicht eine abweichende Regelung aus besonderen Gründen gegeben ist und mit dem Wohl des Kindes vereinbar ist. III. Einem Ehegatten, der allein oder überwiegend für schuldig erklärt ist, soll die Sorge nur übertragen werden, wenn dies aus besondern Gründen dem Wohl des Kindes dient“). 81 Kontrollrats-Gesetz Nr. 16 vom 20. 2. 1946. 82 Vgl. § 74 EheG 1946: „(1) Ist die Ehe geschieden, so bestimmt das Vormundschaftsgericht, falls eine Einigung der Ehegatten nicht zustande gekommen ist, welchem von ihnen die Sorge für die Person des oder der gemeinschaftlichen Kinder zustehen soll. Die Einigung der Ehegatten ist in einem schriftlichen Vorschlag binnen einer Frist von 2 Wochen nach Rechtskraft des Scheidungsurteils dem Vormundschaftsgericht zur Genehmigung vorzulegen. (2) Ist der Vorschlag innerhalb der in Abs. 1 bestimmten Frist nicht vorgelegt worden oder findet er nicht die Billigung des Vormundschaftsgerichts, so hat dasselbe diejenige Regelung zu treffen, die dem wohlverstandenen Interesse des oder der Kinder unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse am besten entspricht. Es kann dabei auch mit dem Kind persönlich Fühlung aufnehmen. (3) Vor der Entscheidung sind die geschiedenen Ehegatten persönlich zu hören. Von einer Anhörung soll nur abgesehen werden, wenn sie unmöglich ist. (4) Einem Ehegatten, der allein oder überwiegend für schuldig erklärt worden ist, soll die Sorge nur übertragen weden, wenn dies aus besonderen Gründen dem Wohl des oder der Kinder dient“. 83 Vgl. zur gesetzlichen Bindungswirkung BGH NJW 1952, S. 139 mwN; BGH NJW 1952, S. 1254; BayObLG NJW 1952, S. 320; OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 = FamRZ 1956, S. 241; KG FamRZ 1957, S. 176. 84 Vgl. § 1671 Abs. 1, 4 i.d.F. des GleichberG: „(1) Ist die Ehe der Eltern geschieden, so bestimmt das Vormundschaftsgericht, welchem Elternteil die elterliche Gewalt über ein gemeinschaftliches Kind zustehen soll. (.) (4) Die elterliche Gewalt soll in der Regel einem Elternteil allein übertragen werden. Erfordert es das Wohl des Kindes, so kann einem Elternteil die Sorge für die Person, dem anderen die Sorge für das Vermögen des Kindes übertragen werden.“ – Danach war die in Ausnahmefällen mögliche Trennung von Personen- und Vermögenssorge nicht an allgemeinen Zweckmäßigkeitserwägungen zu messen, sondern musste nach Maßgabe des Kindeswohls geboten sein (vgl. Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (434); KG 1962, S. 462).

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stäbe der gerichtlichen Einzelfallentscheidung. Zunächst werden die Vorgaben durch das Gesetz und anschließend die Maßstäbe sowie Instrumentarien der gerichtlichen Einzelfallbewertung untersucht. a) Gesetzlicher Zuweisungsschematismus für nacheheliche Erziehungszuständigkeit Der erste Gesichtspunkt, unter dem die Entwicklung der nachehelichen Sorge zu betrachten ist, besteht in den gesetzlichen Entscheidungskriterien für die Zuweisung der Erziehungszuständigkeit. Sie veranschaulichen den Wandel der rechtlichen Perspektive, mit der die gerichtliche Intervention festgelegt und gestaltet wurde. So führte zunächst das ALR sehr formalisierte Kriterien für die Übertragung der nachehelichen Erziehungszuständigkeit ein. Es galt der Grundsatz, dass die Kinder vom unschuldigen Elternteil erzogen werden sollten. 85 Davon konnten die Gerichte im Einzelfall dahingehend abweichen, dass der Vater als schuldig geschiedener Teil zur Wahrnehmung seiner patriarchalen Interessen zumindest die Erziehung seiner Söhne verlangen konnte, wenn infolge des Scheidungsgrundes keine Besorgnis für schlechte Erziehung bestand. 86 Demgegenüber kam die Betreuung der Kinder bis zum 4. Lebensjahr durch die schuldig geschiedene Mutter nur in Betracht, sofern die Scheidungsursache nicht von der „Verderbniß des moralischen Charakters zeuge“. 87 Damit war die Scheidungsschuld sowohl Sanktionsinstrument gegen den gesellschaftlich moralischen Verstoß der Eheauflösung als auch Ausdruck eines Kindesschutzes vor gesellschaftsschädlichem Einfluss. 88 Wenn keiner der Elternteile im Rahmen der Scheidung für schuldig erklärt worden ist und sich daraus also keine besonderen Zuweisungen ergaben, regelte das Gesetz die Zuteilung der Kinder nach Alter und Geschlecht. Das Gesetz sah dazu pauschal vor, dass die Kleinkinder bis zum 4. Lebensjahr durch die Mutter und anschließend durch den Vater erzogen wurden. 89 Nur hinsichtlich der Betreuungsdauer der Töchter durch die Mutter bestand ein gewisser Ermessensspielraum seitens der Gerichte. 90 Diese Zuweisungskriterien beruhen erkennbar auf einem 85 Vgl. § 92 ALR II 2: „Sind die Aeltern geschieden worden: so müssen die Kinder der Regel nach bey dem unschuldigen Theil erzogen werden.“ 86 § 93 ALR II 2: „Ist der Vater zwar der schuldige Theil; die Ursache der Scheidung aber nicht so beschaffen, daß daraus die gegründete Besorgniß einer schlechten Erziehung entsteht: so kann er verlangen, daß ihm die Erziehung der Söhne gelassen wird.“ 87 Vgl. § 94 ALR II 2: „Die Pflege der Kinder, welche das vierte Jahr noch nicht zurückgelegt haben, verbleiben, ohne Unterschied des Geschlechts, bis zur Zurücklegung dieses Alters der auch für schuldig erklärten Mutter; in so fern die vorgekommene Scheidungsursachen nicht von der Verderbniß des moralischen Charakters zeugen, daß erhebliche Besorgnisse einer Vernachlässigung der Kinder begründet werden.“ 88 Vgl. Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 102.

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engen Rollenverständnis zwischen den Eltern und auf einem vornehmlich physisch ausgerichteten Verständnis der kindlichen Erziehungsbedürfnisse. 91 Denn nicht die psychische Bindung, sondern allgemeine, formalisierte Entwicklungsphasen des Kindes bestimmten hier den Übertragungsmaßstab. Die liebevolle Fürsorge und die überwiegend leibliche Versorgung der ersten Lebensjahre wurden der Mutter und die dann einsetzende geistig-gesellschaftliche Erziehung dem Vater zugewiesen. Blieb die Mutter damit letztlich auf die Erziehung der Kleinkinder beschränkt, so veranschaulicht dies den grundsätzlichen Erziehungsanspruch des Vaters an den ehelichen Kindern, der durch die Zuweisung der Scheidungssorge über die Ehe hinaus gesetzlich gewährleistet wurde. 92 Beide Übertragungskriterien des ALR, die Scheidungsschuld und die Verteilung der Kinder nach vorgegebenen Entwicklungsphasen, waren damit Beurteilungsmaßstäbe, die sich an den Eltern und der ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Rolle orientierten. Mit dem BGB von 1900 und gegen eine starke Gegenansicht im Gesetzgebungsprozess 93 gewann die Scheidungsschuld gegenüber der Verteilung der Kinder nach Alter und Geschlecht an Bedeutung, indem alleiniges Verschulden die Übertragung der elterlichen Gewalt grundsätzlich ausschloss. 94 Es blieb bei dem 89 Vgl. § 95 ALR II 2: „Ist keiner der Aeltern für den schuldigen Theil erklärt worden: so werden die Kinder bis nach dem vollendenten vierten Jahr bey der Mutter, sodann bey dem Vater erzogen.“ 90 Vgl. § 96 ALR II 2: „Doch kann, wenn Töchter darunter sind, der Richter die Erziehung derselben überhaupt, bewandten Umständen nach, der Mutter anvertrauen.“ 91 Vgl. dazu auch Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 102; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 337. 92 Vgl. dazu auch Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 102; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 337. 93 Diese grundsätzliche Verknüpfung der Scheidungsschuld mit der elterlichen Zuständigkeit für das Kind wird bereits in den Motiven stark kritisiert. So heißt es: „Mit der Scheidung so weitgehende Folgen zu verknüpfen, (.) führt nicht allein zu großen Härten gegen den schuldigen Gatten, zumal nicht selten die Fälle so liegen, daß derjenige Gatte, welcher vor dem Gesetze als schuldig erscheint, doch moralisch als der weniger schuldige Theil anzusehen ist, sondern kann insbesondere auch vom Standpunkt des Interesses der Kinder aus, das für die Rede stehende Frage von entscheidender Bedeutung ist, nicht als angemessen erachtet werden. (.) Aus jener Thatsache kann der Schluß nicht gezogen werden, daß der betr. Gatte auch seine Pflicht gegenüber den Kindern nicht erfüllen werde und nicht mehr geeignet sei die elterliche Gewalt auszuüben.“ (Motive, Mugdan, S. 334). 94 Vgl. § 1635 a. F.: „Ist die Ehe aus einem der in den §§1565 bis 1568 bestimmten Gründen geschieden, so steht, solange die geschiedenen Ehegatten leben, die Sorge für die Person des Kindes, wenn ein Ehegatte allein schuldig erklärt ist, dem anderen Ehegatten zu; sind beide Ehegatten für schuldig erklärt, so steht die Sorge für den Sohn unter 6 Jahren oder Tochter der Mutter, für den Sohn, der über 6 Jahre alt ist dem Vater zu. Das Vormundschaftsgericht kann abweichende Anordnungen treffen, wenn eine solche aus besonderen Gründen im Interesse des Kindes geboten ist; es kann eine Anordnung aufheben, wenn sie nicht mehr erforderlich ist. Das Recht des Vaters zur Vertretung des Kindes bleibt unberührt.“

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Grundsatz, dass die Kinder beim unschuldigen Elternteil erzogen werden sollten. Während das ALR jedoch neben dem Grundsatz, die Elternsorge „in der Regel“ dem unschuldigen Elternteil zu übertragen, auch die Ausnahmen konkret ausgestaltete und Durchbrechungen gemessen am Kindesalter für den schuldigen Elternteil stets zuließ, wenn der Scheidungsgrund keine moralischen Bedenken für die Erziehung der Kinder begründete, waren nun besondere Gründe erforderlich, die eine Sorgerechtsübertragung trotz Scheidungsschuld im Interesse des Kindes geboten. Neben den gesellschaftlich orientierten Sanktionsgedanken diente die Scheidungsschuld nun auch der Genugtuung des unschuldigen Ehegatten, indem sie zu einem Indiz für mangelnde Erziehungseignung wurde. 95 Gleichzeitig wurde die mütterliche Position gestärkt, indem ihr die Töchter nun stets und die Söhne bis zum 6. Lebensjahr übertragen wurden, wenn beide Elternteile für schuldig befunden waren. Der Vater war in diesen Fällen für die „männlichen Stammhalter“ ab dem 6. Lebensjahr zuständig. 96 Die Vertretungsmacht des Vaters für das Kind blieb hingegen von der Scheidung unberührt. Der erste deutliche Einschnitt in diesen schematischen Regelungsansatz vollzog sich durch das Ehegesetz von 1938. Mit diesem Gesetz wurde das Kindeswohl als Entscheidungsmaßstab eingeführt. 97 So ließ sich im Gesetzgebungsprozess beobachten, dass durch die vorrangige Orientierung an den Kindesinteressen eine gerichtliche Flexibilisierung der Sorgerechtsentscheidung angestrebt wurde. 98 Im Vorderungrund stand dabei eine neue Einschätzung der sorgerechtlichen Güterabwägung, derzufolge die formalisierten Kriterien der Scheidungsschuld und der nach Alter der Kinder vollzogenen Zuteilung den Bedürfnissen des Kindes nicht gerecht wurden. 99 Durch das Entscheidungskriterium des Kindeswohls sollte eine praktikable Interessenwahrnehmung für das Kind eröffnet und die Verknüpfung 95

Motive, Mugdan, S. 334. Vgl. § 1635 a.F. 97 § 81 Abs. 1 EheG v. 1938: „Ist die Ehe geschieden, so bestimmt das Vormundschaftsgericht, welchem Ehegatten die Sorge für die Person eines gemeinschaftlichen Kindes zustehen soll. Maßgebend ist, was nach der Lage der Verhältnisse dem Wohl des Kindes am besten entspricht.“ 98 Vgl. dazu auch Protokoll der Sitzung vom 1. 12. 1934, Akademie für Deutsches Recht 1933 –1945 Protokolle der Ausschüsse, S. 219 (223, 226), worin unter Hinweis auf das damalige schweizerische und skandinavische Recht, die die Sorgerechtsentscheidung nach Maßgabe des Kindesinteresses trafen, die Einführung des Kindeswohls als Entscheidungsmaßstab befürwortet wurde. In diesem Zusammenhang wurde besonders hervorgehoben, dass die Entscheidungen dieser Vergleichsrechtsordnungen sich als besonders tragfähig und lediglich geringfügig verfahrensverlängernd erwiesen (vgl. S. 220); insbesondere die zwingende Trennung von Personen- und Vermögenssorge der vorangegangenen Rechtslage wurde durch die Ausschüsse zur Vorbereitung der Familienrechtsreform zum EheG 1938 kritisiert (vgl. Akademie für Deutsches Recht 1933 –1945 Protokolle der Ausschüsse, S. 425, 560). 99 Vgl. dazu Protokoll der Sitzung vom 1. 12. 1934, Akademie für Deutsches Recht 1933 –1945 Protokolle der Ausschüsse, S. 219 (224, 225) auch unter Bezugnahme auf Fall96

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der Fürsorge sowie der emotionalen Verbundenheit des Kindes mit der Rechtsstellung der elterlichen Gewalt gekoppelt werden. 100 Innere Verbundenheit und Zuwendung wurden durch den Rechtsbegriff des Kindeswohls als besonderen Schutzgut sorgerechtlicher Entscheidungen eingeführt und damit die rechtliche Perspektive auf das Verhältnis des Kindes zu seinen Eltern im Einzelfall verlagert. 101 Die Perspektive des Verfahrens verlagerte sich dadurch auf das konkrete Kindesbedürfnis, indem die Zuweisung elterlicher Gewalt nach der Scheidung erstmalig rechtlich an die Kindesinteressen geknüpft wurde. Gleichzeitig gab das Gesetz die einzelfallunabhängige und normierte Aufteilung der Kinder als Übertragungskriterium weitgehend auf. Es sah nun eine Einheitslösung vor, wonach alle Kinder gemeinsam einem Elternteil übertragen wurden, solange keine abweichende Regelung aus besonderen Gründen geboten und mit dem Wohl der Kinder vereinbar darstellungen, bei denen die damals geltende Rechtslage zu unbefriedigenden Regelungen führte; in der Stellungnahme des NS-Gewahrverbundes zum Entwurf des Reichsjustizministeriums (Akademie für Deutsches Recht 1933 –1945 Protokolle der Ausschüsse, S. 425) sprach in diesem Zusammenhang von der unstreitigen Unzulänglichkeit, das Schiksal der Kinder von dem Verschulden der geschiedenen Eltern abhängig zu machen und befürwortete künftig, wie im Entwurf vorgesehen, die Übertragung der elterlichen Gewalt grundsätzlich nach Maßgabe des Kindeswohls zu entscheiden. Ein Aufrechterhalten des Strafund Vergeltungsgedankens im Rahmen der Scheidungsschuld wurde ausdrücklich als mit dem Kindesinteresse nicht vereinbar abgelehnt. Ähnlich auch die Stellungsnahme des Sitzungsauschusses zur Familienrechtsreform vom 1. 6. 1937, Akademie für Deutsches Recht 1933 –1945 Protokolle der Ausschüsse, S. 560; im Geleitwort des Familienrechtsausschuss an den Reichsminister der Justiz (Akademie für Deutsches Recht 1933 –1945 Protokolle der Ausschüsse, S. 743 (816 f)) hieß es schließlich: „Wem von den beiden Elternteilen nach der Scheidung der Ehe das Recht und die Pflicht zusteht für die Kinder zu sorgen, ist nach geltendem Recht starr nach dem Schuldausspruch im Scheidungsurteil mit der Maßgabe, daß das Vormundtschaftsgericht im Interesse der Kinder eine andere Regelung treffen kann. Diese enge Verknüpfung des Personensorgerechts mit dem Schuldausspruch als Grundsatz hat nicht so sehr das Interesse der Kinder als das der Ehegatten selbst im Auge. (...) Sie führen nicht selten dazu, daß unter Außerachtlassung des Kindesinteresses derjenige Elternteil die Kinder zugeteilt erhält, der (...) für die Pflege und Erziehung der Kinder weit ungeeigneter ist als der nach dem Scheidungsurteil schuldige Elternteil. (...) Der Ausschuß befürwortet daher, daß der Schuldspruch im Scheidungsurteil grundsätzlich ohne Einfluß bleiben soll auf die Übertragung des Personensorgerecht. Maßgeblich muß vielmehr sein, welcher von den beiden Elternteilen nach der Überzeugung des Gerichts für die Pflege und Erziehung der Kinder geeigneter erscheint. (...) Eine besondere Berücksichtigung wird der natürlichen Verbundenheit zwischen Mutter und Kind empfohlen.“ 100 Vgl. Protokoll der Sitzung vom 1. 12. 1934, Akademie für Deutsches Recht 1933 – 1945 Protokolle der Ausschüsse, S. 219 (220, 222, 225) wo zum einen die Trennung zwischen Fürsorge und Vertretungsmacht, als Hindernis kindeswohlgerechter Ausübung elterlicher Gewalt hervorgehoben wurde. Überdies wurde der sachfremde Charakter der Scheidungsschuld für die Feststellung der Erziehungseignung kritisiert. Sie sei lediglich im Hinblick auf die Ehe nicht aber auf das Verhältnis zu Kind aussagefähig. 101 Vgl. Protokoll der Sitzung vom 1. 12. 1934, Akademie für Deutsches Recht 1933 – 1945 Protokolle der Ausschüsse, S. 219.

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erschien. 102 Die besondere Bedeutung dieses Reformschrittes liegt vor allem darin, dass er die zeitliche Verteilung der Erziehung auf beide Eltern als gesetzliches Modell nachehelicher Sorgerechtsausübung aufgab. Anstelle dessen wurden durch die gerichtliche Konkretisierung des offenen Rechtsbegriffes des Kindeswohls die Kriterien der Bindung des Kindes und Kontinuität der Erziehungsbedingungen als psychische Schutzrichtung in die Sorgerechtsentscheidung einbezogen. 103 Darüber hinaus begann das Kindeswohl als Einzelfallkriterium auch den Maßstab der Scheidungsschuld zu verdrängen, so dass der Beurteilungsspielraum des Richters insgesamt maßgeblich erweitert wurde. 104 Darin lag ein zentraler Einschnitt des Entwicklungsprozesses, durch den die formalisierten Entscheidungskriterien allmählich durch die am Einzelfall zu konkretisierenden Kindesinteressen abgelöst wurden. Dabei entwickelte sich das Scheidungsverschulden zum bloßen Korrektiv, das die widerlegbare Vermutung fehlender Erziehungsfähigkeit eines Elternteils indizierte. 105 In der Folgezeit verlor die Scheidungsschuld weiter an Bedeutung. So wirkte sie sich auf die Übertragung der elterlichen Gewalt im Rahmen des EheG von 1946 nur noch auf den „überwiegend schuldigen“ Teil aus. 106 Grundsätzlich richtete sich die vormundschaftsgerichtliche Entscheidung jedoch bereits nach dem Kindeswohl. 107 Das GleichberG von 1957 beschränkte die Auswirkung der Scheidungsschuld dann auf die Entscheidung gegenüber dem Alleinschuldigen 108, 102 § 81 Abs. 2 EheG 1938: „Sind mehrere Kinder vorhanden, so soll die Sorge für die Person aller Kinder dem gleichen Elternteil übertragen werden, sofern nicht eine abweichende Regelung aus besonderen Gründen gegeben ist und mit dem Wohl des Kindes vereinbar ist.“; vgl. dazu auch Protokoll der Sitzung vom 1. 12. 1934, Akademie für Deutsches Recht 1933 – 1945 Protokolle der Ausschüsse, S. 219 (226). 103 Vgl. Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 135 ff. 104 § 81 Abs. 1 EheG 1938, s. o. 105 § 81 Abs. 3 EheG: „Einem Ehegatten, der allein oder überwiegend für schuldig erklärt ist, soll die Sorge nur übertragen werden, wenn dies aus besondern Gründen dem Wohl des Kindes dient.“ – vgl. dazu Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (439); BGH FamRZ 1957, S. 252 = MDR 1958, S. 25; Amtl. Begründung zum EheG 1938, DJ 1938, S. 1112. 106 § 74 Abs. 1 EheG v. 1946 „Ist die Ehe geschieden, so bestimmt das Vormundtschaftsgericht, falls eine Einigung der Ehegatten nicht zustande gekommen ist, welchem von ihnen die Sorge für die Person des oder der gemeinschaftlichen Kinder zustehen soll. Die Einigung der Ehegatten ist ein einem schriftlichen Vorschlag binnen einer Frist von 2 Wochen nach Rechtskraft des Scheidungsurteils dem Vormundtschaftsgericht zur Genehmigung vorzulegen.“ Unter Abs. 4 wird in direkter Anlehnung an die Regelung von § 81 Abs. 3 EheG von 1938 geregelt: „Einem Ehegatten, der allein oder überwiegend für schuldig erklrät worden ist, soll die Sorge nur übertragen werden, wenn dies aus besonderen Gründen dem Wohl des oder der Kinder dient.“ 107 Vgl. § 74 Abs. 2 EheG: „Ist der Vorschlag innerhalb der in Abs. 1 genannten Frist nicht erfolgt oder findet er nicht die Billigung des Vormundschaftsgerichts, so hat dasselbe diejenige Regelung zu treffen, die dem wohl verstandenen Interesse des Kindes unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse am besten entspricht. Es kann dabei auch mit den Kindern persönlich Fühlung aufnehmen.“

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bis schließlich die Scheidungsschuld als Beurteilungsmaßstab gänzlich entfiel, als das Verschuldensprinzip durch das Zerrüttungsprinzip 109 abgelöst wurde. 110 Das Scheitern der Ehe war damit nicht mehr Gegenstand gerichtlicher Verantwortungszuweisung, sondern wurde nun nach äußeren Kriterien bemessen. Das bis zu diesem Zeitpunkt unklare Verhältnis zwischen Scheidungsschuld und Kindeswohl 111 wurde durch diese scheidungsrechtliche Reform abschließend klargestellt, indem das Kindeswohl zum einzigen gesetzlichen Entscheidungsmaßstab der nachehelichen Sorgerechtsübertragung wurde. 112 Infolge der Verdrängung der gesetzlichen Zuweisung wurde das Kindeswohl gleichzeitig an das Prinzip der Einheitlichkeit elterlicher Gewalt 113 geknüpft, indem das GleichberG 1957 zunächst vorgab, dass die elterliche Gewalt in der Regel auf einen Elternteil übertragen werden solle, 114 bis schließlich das SorgeRG 1979 die obligatorische Alleinsorge zwingend vorschrieb. 115 108 So heißt es in § 1671 Abs. 3 idF des GleichberG: „Haben die Eltern innerhalb von 2 Monaten nach Rechtskraft des Scheidungsurteils keinen Vorschlag gemacht oder billigt das Vormundtschaftsgericht ihren Vorschlag nicht, so trifft es die Regelung, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse dem Wohle des Kindes am besten entspricht. Ist ein Elternteil allein für schuldig erklärt und sprechen keine schwerwiegenden Gründe dafür, ihm die elterliche Gewalt zu übertragen, so soll das Vormundtschaftsgericht sie dem schuldlosen Teil übertragen.“; vgl. dazu Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625 (626) – Zur Auseinandersetzung mit der Beibehaltung der Scheidungsschuld im Rahmen des GleichberG; Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (437 f) vgl. in Hinblick auf den Schutz des schuldlosen Elternteils: BGHZ 3, S. 52; 6, S. 342; 24, S. 181; BT-Drucks. 224, S. 63; als Indiz der Erziehungseignung: BGHZ 6, S. 342; FamRZ 1957, S. 257 = MDR 1958, S. 25; Z 24, S. 181; KG FamRZ 1958,S. 423; als notwendiger Schutz der ehelichen Institution: kritisch Treitz, S. 62. 109 Das Eherechtsänderungsgesetz vom 14. 6. 1976 (1. EheRG), BGBl. I 1421. 110 An die Stelle moralischer Verurteilung trat damit die Warn- und Schutzfunktion des Verfahrens, die sich in der Einführung des Scheidungsverbundes zeigte (vgl. MüKoZPO / Klauser § 623, Rz. 1). 111 Z. T. wurde vertreten, die Scheidungsschuld trete hinter dem Kindeswohl zurück (KG FamRZ 1958, S. 423), während es andere als einen schwerwiegenden Grund zur Abweichung von der Scheidungsschuldmaxime iSd §1671 Abs. 2 ansahen (Schwoere FamRZ 1958, S. 433 (438) und eine letzte Meinung von einem gleichrangigen Verhältnis beider Maßstäbe ausging (OLG Bremen FamRZ 1958, S. 8). 112 Vgl. dazu BayObLG FamRZ 1980, S. 482; OLG Hamm FamRZ 1980, S. 484. 113 Vgl. gesetzlichen Bindungswirkung BGH NJW 1952, S. 139 mwN; BGH NJW 1952, S. 1254; BayObLG NJW 1952, S. 320; OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 = FamRZ 1956, S. 241; KG FamRZ 1957, S. 176. 114 Vgl. § 1671 Abs. 1, 4 i.d.F. des GleichberG: „(1) Ist die Ehe der Eltern geschieden, so bestimmt das Vormundschaftsgericht, welchem Elternteil die elterliche Gewalt über ein gemeinschaftliches Kind zustehen soll. (.) (4) Die elterliche Gewalt soll in der Regel einem Elternteil allein übertragen werden. Erfordert es das Wohl des Kindes, so kann einem Elternteil die Sorge für die Person, dem anderen die Sorge für das Vermögen des Kindes übertragen werden.“ – Danach war die in Ausnahmefällen mögliche Trennung von Personen- und Vermögenssorge nicht an allgemeinen Zweckmäßigkeitserwägungen zu

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Das Kind rückte nun ins Zentrum der scheidungsbezogenen Sorgerechtserwägungen. So übernahm es schließlich der Gesetzgeber, durch das SorgeRG von 1979 die Elemente des Kindeswohls normativ auszugestalten und damit die zuvor durch die Rechtsprechung entwickelten Gesichtspunkte bei der Bestimmung des offenen Rechtsbegriffs zu vereinheitlichen. 116 Wichtiges Ziel der Reform war zunächst die prinzipielle Klarstellung, dass die gerichtliche Übertragung des Sorgerechts allein am Kindeswohl zu messen und zu orientieren sei. 117 Beispielhaft hob das Gesetz nun die Bindung des Kindes zu beiden Elternteilen und den Geschwistern ausdrücklich hervor. 118 Die wesentliche Veränderung der Sorgerechtsbeurteilung bestand vor allem in drei Zielsetzungen: Zum einen war nach ausdrücklicher Vorgabe des SorgeRG die emotionale Bindung des Kindes bei der Sorgerechtsübertragung vorrangig zu berücksichtigen. Darüber hinaus richtete sich das Kindeswohl nach dem Kontinuitäts- und dem Förderprinzip, bei denen anhand vorheriger Zuständigkeiten und zukünftiger Möglichkeiten für die Wahrnehmung der Kindesinteressen die beiden Elternpositionen gegeneinander abgewogen wurden. 119 Der Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls wurde ergänzt, indem das Kind in das Verfahren einbezogen wurde, um ihm Gelegenheit zu geben, seine eigene Einschätzung persönlich einzubringen. Die Einbeziehung einer eigenen Darstellung seiner persönlichen Bedürfnisse und seines eigenen Standpunktes wurden auf diese Weise zum Kriterium des Kindeswohls. 120 So sah die verfahrensrechtliche Vorschrift des § 50b FGG die richterliche Anhörung des Kindes nun verbindlich vor. Materiellrechtlich fand dieser Gedanke Ausdruck in der Einführung bemessen, sondern musste nach Maßgabe des Kindeswohls geboten sein (vgl. Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (434); KG 1962, S. 462). 115 So hieß es in § 1671 Abs. 4 S. 1 a.F.: „Die elterliche Gewalt ist einem Elternteil zu übertragen“. 116 § 1671 Abs. 2, 3 i.d.F. des SorgeRG: „(2) Das Gericht trifft die Regelung, die dem Wohl des Kindes am besten entspricht; hierbei sind die Bindungen des Kindes, insbesondere an seine Eltern und Geschwister, zu berücksichtigen. (3) Von einem übereinstimmenden Vorschlag der Eltern soll das Gericht nur abweichen, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist. Macht ein Kind, welches das 14. Lebensjahr vollendet hat, einen abweichenden Vorschlag, so entscheidet das Gericht nach Abs. 2“; vgl. dazu Schwab „Handbuch zum Scheidungsrecht“, S. 450 f – zum vorangegangenen Bindungsverständnis als Aspekt der Entflechtung der elterlichen Positionen anhand des Umgangsrechts vgl. BGH FamRZ 1969, S. 148; BVerfG NJW 1971, S. 1447 = FamRZ 1971, S. 421; OLG Stuttgart FamRZ 1979, S. 342. 117 Vgl. Diedrichsen NJW 1980, S. 1 (8); Belchaus ZBlJugR 1979, S. 336. 118 Vgl. § 1671 Abs. 2 a.F. 119 Vgl. dazu BayObLG FamRZ 1980, S. 482; OLG Frankfurt / M. FamRZ 1982, S. 531; OLG Köln FamRZ 1982, S. 1232; insbesondere zum Kontinuitätsmoment vgl. BTDrucks. 8/2788, S. 33, 44, 61. 120 Vgl. Staudinger / Peschel-Gutzeit vor § 1626 Rz. 17; vgl. dazu auch Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (13); Bosch FamRZ 1973, S. 507.

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des Kindeswillens 121 als Entscheidungskriterium. 122 Damit wurde der Erkenntnis Rechnung getragen, dass das Kind als Grundrechtsträger von dem Verfahren betroffen war und damit verfassungsrechtlichen Schutz in seiner Verfahrensposition genoss. 123 In der Umsetzung dieses Gedankens sah nun zum einen § 1671 Abs. 3 S. 2 a.F. die Möglichkeit vor, dass ein Kind nach der Vollendung des 14. Lebensjahres einen eigenen Sorgerechtsvorschlag einbringen konnte und damit die im Übrigen bestehende Bindungswirkung des einvernehmlichen Elternvorschlages aufhob. 124 Zum anderen wurde auch der Wille jüngerer Kinder in die gerichtliche Güterabwägung einbezogen. 125 Doch auch wenn dem Kind damit keine eigenen durchsetzbaren Rechte verliehen wurden 126, so gewann seine Position im Verfahren auf diese Weise zumindest mittelbar an Gewicht, indem seine Erklärungen bei der einzelfallgerechten Auslegung des Kindeswohls und unter dem Gesichtspunkt kindlicher Selbstbestimmung in die Sorgerechtsbeurteilung einbezogen wurden. 127 Damit verlagerte sich die rechtliche Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen des SorgeRG, indem die gerichtliche Intervention nun nicht mehr ausschließlich auf Durchsetzung des Kindeswohls durch seine Eltern abstellte, sondern auch darauf gerichtet war, das Kind selbst in die Zukunftsgestaltung einzubeziehen und an der Konfliktbewältigung der Eltern mitwirken zu lassen. 128 Die bereits anhand des gesetzlichen Sorgerechts gezeigte Entwicklung setzt sich damit im Rahmen der Scheidungssorge fort. Der Wandel der Entscheidungsmaßstäbe von formalen Kriterien zum einzelfallbezogenen Kindeswohl führte dazu, dass das Kind nicht länger ein bloßes Objekt nachehelicher Sorgerechtsübertragung und Durchsetzung elterlicher Interessen 121 Zum Kriterium des Kindeswillens vgl. weitere Ausführungen im Kap. C., Abschn. III.2.c)dd). 122 Vgl. dazu BGH NJW 1985, S. 1702= FamRZ 1985, S. 169; kritisch dazu Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (464 f). 123 Vgl. dazu schon BVerfGE 37, S. 217 = NJW 1974, S. 1609 = FamRZ 1974, S. 479; NJW 1981, S. 217 = FamRZ 1981, S. 124. 124 Vgl. dazu MüKo / Hinz § 1671 Rz. 43 ff, 61 mwN sowie weitere Verweise und Erläuterungen in Abschn. A II.3.b)bb). 125 Vgl. Oelkers FamRZ 1995, S. 1097(1100); BVerfG FamRZ 1989, S. 31 (33); Zur konkreten Einzelbewertung ohne formalistische Altersgrenzen vgl.: BayObLG FamRZ 1982, S. 958; FamRZ 1980, S. 1064; FamRZ 1976, S. 38 (40); OLG Bamberg FamRZ 1991, S. 1341 (1342); BGH FamRZ 1990, S. 392 (393); OLG Hamm FamRZ 1986, S. 714; OLG Koblenz NJW 1989, S. 2201 (2202); OLG Köln FamRZ 1972, S. 264; OLG Stuttgart NJW 1988, S. 2620; zugunsten einer Eignungsbeschränkung wohl Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 18. 126 Kritisch zu der nur halbherzigen Umsetzung der Reform Schwendtner ZBlJugR 1980, S. 149 (153). 127 Vgl. Strätz FamRZ 1975, S. 541 (547). 128 Vgl. Balloff, in: Proksch / Sievering, S. 81; MüKo / Hinz vor § 1626 Rz. 1 ff; Staudinger / Peschel-Gutzeit vor § 1626 Rz. 19; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, 6. Ausschuss, BT-Drucks. 8/2788, S. 36 (43).

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war. Vielmehr wurde es zum Subjekt der gerichtlichen Umgestaltung der Familie, an dessen Individualität sich nun sowohl der Entscheidungsmaßstab als auch Ablauf des Verfahrens ausrichtete. 129 Insgesamt vollzieht sich damit im Rahmen der gesetzlichen Entscheidungskriterien eine Verlagerung von einer gesetzlichen zu einer gerichtlichen Beurteilung. Denn die einzelfallunabhängige Regulation, die auf formalen und universellen Kriterien beruhte, wie Scheidungsschuld und Verteilung der Kinder nach Alter bzw. Geschlecht, vollzog die Güterabwägung bereits auf der Ebene des Gesetzes. Diese Maßstäbe wurden von dem offenen Rechtsbegriff des Kindeswohls abgelöst, dessen inhaltliche Konkretisierung erst anhand des Einzelfalls erfolgte. Auf diese Weise bestimmte erst das Gericht anhand eigener Ermessensausübung die individuelle Güterabwägung im Rahmen des Kindeswohls. Darin dokumentiert sich gleichzeitig die Verdrängung der Elternbelange als vorrangige Übertragungskriterien, die einem an kindlichen Bedürfnissen orientierten Blickwinkel wichen. Der Staat wurde damit schließlich zum Interessenvertreter des Kindes innerhalb des Familienkonfliktes, dessen Aufgabe sich nicht mehr darauf beschränkte, eine praktikable Umgestaltung der Lebensverhältnisse zu gewährleisten, sondern außerdem dem Kind Schutz vor den Eltern zu gewähren. b) Einzelfallbeurteilung durch gerichtliches Ermessen und Elternvorschlag Unabhängig von der Veränderung der gesetzlichen Entscheidungskriterien entwickelte sich parallel zu den Entscheidungsmaßstäben ein Gestaltungsspielraum, mit dem einzelfallgerechte Entscheidungen gefördert wurden. Sie bestanden vor allem in zwei Verfahrenselementen: dem an Ausnahmetatbestände gekoppelten gerichtlichen Ermessen bei der Anwendung der formalen Entscheidungskriterien und dem Elternvorschlag. aa) Entwicklung des gerichtlichen Ermessensspielraums Die statischen Entscheidungsmaßstäbe wurden noch vor der Einführung des Kindeswohls deutlich relativiert, indem die Gerichte im Laufe der Zeit immer mehr Spielraum bei deren Anwendung bekamen. Ausnahmetatbestände bildeten ein Korrektiv zu der gesetzlichen Universalgestaltung nachehelicher Elterngewalt und boten damit die Möglichkeit, unbillige Ergebnisse individuell anzupassen. Der gerichtliche Ermessensspielraum stellt damit einen eigenen Aspekt bei der Entwicklung der einzelfallgerechten Sorgerechtsentscheidung dar.

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Vgl. BT-Drucks. 7/2060; dazu auch Staudinger / Peschel-Gutzeit vor § 1626 Rz. 17.

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Der Spielraum für die individuelle Gestaltung der Gewaltübertragung war im Rahmen des ALR noch sehr begrenzt, da die Sorgerechtskriterien keine Flexibilität zuließen. Die beiden einzigen Ausnahmetatbestände bezogen sich, wie oben bereits angesprochen, auf die Abmilderung der Folgen der Scheidungsschuld. So sah zum einen § 93 Abs. 2 ALR vor, dass die Scheidungsschuld den Vater zumindest nicht von der Erziehung seiner Söhne ausschloss, wenn daraus keine Besorgnis einer schlechten Erziehung entstand. 130 Der Mutter konnte ebenfalls die Betreuung der Kinder bis zum 4. Lebensjahr trotz der Scheidungsschuld ausüben, wenn die Scheidungsursache keine moralischen Zweifel an ihrer Erziehungseignung aufwarfen. 131 Das gerichtliche Ermessen innerhalb des ALR diente damit vorwiegend der Sicherung väterlicher Erziehungsherrschaft. 132 Mit dem BGB a. F von 1900 trat das Kindesinteresse bei der Beschränkung des Scheidungsverschuldens in den Vordergrund. 133 Es beschränkte die Ermessensausübung der Gerichte zunächst darauf, durch eine Abweichung vom Regelfall eine Gefährdung des Kindeswohls zu verhindern. 134 Doch schon mit dem Ehegesetz von 1938 wurde dieses auf die Durchsetzung des Kindeswohls gerichtete Ermessen deutlich ausgeweitet, indem alle Entscheidungsvorgaben unter den ausdrücklichen Vorbehalt des Kindeswohls gestellt wurden. 135 In der Anlehnung an die allgemeine Zielsetzung dieser Gesetzesreform wurde auch im Hinblick auf die Folgen der Scheidungsschuld eine Abweichung im Interesse des Kindes erleichtert. Sie erforderte nur noch, dass die Eignung des schuldigen Teils ein leichtes Übergewicht gegenüber dem gesetzlich begünstigten Elternteil aufwies. 136 Gleichzeitig wurde die 130 § 93 ALR II 2: „Ist der Vater zwar der schuldige Theil: die Ursache der Scheidung aber nicht so beschaffen, daß daraus die gegründete Besorgniß einer schlechten Erziehung entsteht: so kann er verlangen, daß ihm die Erziehung der Söhne gelassen werde.“ 131 Vgl. § 96 ALR II 2: „Doch kann, wenn Töchter darunter sind, der Richter die Erziehung derselben überhaupt, die bewandten Umstände nach, der Mutter anvertrauen.“, vgl. dazu Ausführungen unter Ziff. 2.1.2. 132 Dazu auch Hinz in: Festschrift für Rebmann S. 547 (551). 133 Vgl. § 1635 S. 2 a.F.: „Das Vormundschaftsgericht kann abweichende Anordnungen treffen, wenn eine solche aus besonderen Gründen im Interesse des Kindes geboten ist; es kann eine Anordnung aufheben, wenn sie nicht mehr erforderlich ist. Das Recht des Vaters zur Vertretung des Kindes bleibt unberührt.“ 134 Vgl. OLG Colmar in OLGE 18, S. 277 –278, Beschl. v. 1. 9. 1908; BayObLG in OLGE 18, S. 278 Beschl. v. 5. 9. 1908; OLG Hamburg in OLGE 21, S. 260 Beschl. v. 25. 10. 1909; KG OLGE 30, S. 71 f (72) Beschl. v. 15. 8. 1912; KG in OLGE 10, S. 287 Beschl. v. 9. 2. 1905 hob besonders hervor, dass dabei allgemeine Erwägungen, wie sie regelmäßig bei der Scheidung vorlagen, nicht ausreichten. 135 So galt für die Aufteilung der Kinder zwischen den Eltern der Vorbehalt, dass dies mit dem Kindeswohl vereinbar sei (§ 81 Abs. 2 EheG v. 1938: „Sind mehrere Kinder vorhanden, so soll die Sorge für die Person aller Kinder dem gleichen Elternteil übertragen werden, sofern nicht eine abweichende Regelung aus besonderen Gründen gegeben ist und mit dem Wohl des Kindes vereinbar ist.“), während die Übertragung der Elternsorge auf den überwiegend schuldig geschiedenen Elternteil dem Kindeswohl dienen müsse (§ 81 Abs. 3 EheG v. 1938).

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gerichtliche Einzelfallbeurteilung aufgewertet, indem § 81 EheG 1938 die gesetzlichen Übertragungskriterien als bloße Orientierungshilfe bei der gerichtlichen Ermessensentscheidung abwertete. 137 Dieser vorangegangenen Wertung entsprach es, dass das GleichberG die gerichtliche Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben im Interesse des Kindes nach zuvor „besonderen Gründen“ 138 von „schwerwiegenden Gründen“ 139 abhängig machte. 140 Die im übrigen uneinheitliche Rechtssprechung behielt dabei die vorherige Praxis weitgehend bei und sah die Verdrängung der Scheidungsschuld vor, wenn die Kindeswohlerwägungen gewichtig genug waren, das Vorrecht des unschuldigen Elternteils hinter die Kindesinteressen zurücktreten zu lassen 141 bzw. wenn die Alleingewalt des schuldigen Elternteils nach Maßgabe des Kindeswohls „erheblich besser“ 142 war. 143 Die Scheidungsschuld blieb jedoch grund136

Vgl. KG in DR 1939, 1000 Beschl. v. 14. 4. 1939; vgl. dazu auch Treitz, S. 4. Vgl. dazu Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (437). 138 Vgl. noch § 74 Abs. 4 EheG 1946: „Einem Ehegatte, der allein oder überwiegend für schuldig erklärt worden ist, soll die Sorge nur übertragen werden, wenn dies aus besonderen Gründe dem Interesse des oder der Kinder dient“; vgl. dazu BGHZ 3, S. 52; 6, S. 342; LG Freiburg DRZ 1950, S. 207 = JR 1950, S. 691; OLG München BayJMBl. 1951, S. 41 = JZ 1951, S. 184; OLG Karlsruhe (Freiburg) ZBlJR 1955, S. 326. 139 Vgl. § 1671 Abs. 3 S. 2 i.d.F. des GleichberG: „(3)Haben die Eltern innerhalb von 2 Monaten nach Rechtskraft des Scheidungsurteils keinen Vorschlag gemacht oder billigt das Vormundschaftsgericht ihren Vorschlag nicht, so trifft es die Regelung, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse dem Wohle des Kindes am besten entspricht. Ist ein Elternteil allein für schuldig erklärt und sprechen keine schwerwiegenden Gründe dafür, ihm die elterliche Gewalt zu übertragen, so soll das Vormundschaftsgericht sie dem schuldlosen Teil übertragen.“ 140 Vgl. Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (438) mit kritischen Anmerkungen zu der gesetzgeberischen Entscheidung im Rahmen des GleichberG gegen das Alternativkonzept, demzufolge die Scheidungsschuld nur dann eingreifen sollte, wenn sie das Kindeswohl nicht beeinträchtigte. – zur vormundsgerichtlichen Überprüfbarkeit des Schuldspruchs nach Maßgabe des Kindeswohls vgl. OLG Neustadt FamRZ 1964, S. 91. 141 Vgl. BGHZ 3, S. 52 (60); BGH NJW 1952, S. 1254 spricht von davon, dass die Übertragung auf den unschuldigen Elternteil das Wohl des Kindes gefährden müsse; BGH FamRZ 1957, S. 252; KG FamRZ 1958,S. 423; BayObLG FamRZ 1964, S. 523 (524); vgl. dazu auch BGH NJW 1952, S. 139 (141) als Argument für eine einheitlichen Übertragung der Personensorge. 142 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1958, S. 424, wonach die dem Kindeswohl besser dienende Lösung nicht ausreichte; OLG Hamburg FamRZ 1959, S. 255, das sogar verlangte, dass die Übertragung auf den schuldlosen Elternteil nicht zu verantworten sei; auch trotz der Anerkennung des Vorrangs kindeswohlbezogener Erwägungen so noch BGH NJW 1976, S. 1540; vgl. auch schon BGHZ 6, S. 342; BGH NJW 1952, S. 1254, wonach eine Gefährdung des Kindeswohls bei der Sorgerechtsübertragung auf den unschuldig geschiedenen Teil anzunehmen sein müsse. 143 Zur insoweit vorgreifenden Abweichung einiger OLG, die schon in den 50er Jahren anregten, das Kindeswohl als oberste Leitlinie anzusehen und in der besseren Eignung des nichtschuldigen Teils lediglich eine widerlegbare Vermutung zu sehen, die sich bei gleicher 137

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sätzlich als moralische Sanktion für gesellschaftlichen Normverstoß bestehen, so dass etwa eine sorgerechtliche Verzichtserklärung des unschuldigen Ehegatten die Folgen der Scheidungsschuld nicht aufheben konnte. Auch wenn der individuelle Schutz des Kindes zunehmend an Bedeutung gewann, so blieb das gesellschaftliche Interesse an einer wertkonformen Erziehung und Sanktion eines verurteilten Verhaltens eine deutliche Einschränkung des Kindeswohls. 144 Erst mit der Einführung des Zerrüttungsprinzips fielen die Übertragungsformalien weg, wenngleich die innere Verknüpfung von Scheidungs- und Sorgerechtsentscheidung durch den Scheidungsverbund gem. § 623 ZPO bestehen blieb. Es wurde damit der gerichtlichen Würdigung überlassen, ob und wie die Erkenntnisse aus der Ehesache in die sorgerechtliche Güterabwägung einbezogen wurden. 145 bb) Entwicklung des Elternvorschlags Der Elternvorschlag als die zweite Form verfahrensimmanenter Einzelfallgestaltung und Korrektur gesetzlicher Vorgaben stellt eine Gegenbewegung zum gerichtlichen Ermessen dar. Er führt ein Element der Privatisierung der nachehelichen Sorgerechtsgestaltung ein. Denn während der zunehmende Einblick der Gerichte in die Bedingungen des Einzelfalls eine deutliche Verrechtlichung nachehelicher Sorge verkörpert, stellt der Elternvorschlag demgegenüber eine Autorisierung der Eltern zu einer selbständigen Lösung dar. 146 Damit wurde ein Element in der nachehelichen Sorge repräsentiert, das neben der gesetzlichen oder gerichtlichen Wertung des Staates auch die Einschätzung der Eltern in die Güterabwägung einbezog. Im Zentrum der Rechtsentwicklung steht hier der Wandel des Verhältnisses zwischen der gerichtlichen und der elterlichen Wertung, das sich vor allem unter dem Gesichtspunkt der Bindungswirkung des Elternvorschlages veränderte. Der Elternvorschlag blieb zunächst über eine lange Zeit der Rechtsentwicklung gesetzlich ungeregelt. In den gesetzgeberischen Vorüberlegungen zum ALR wurde der Vorrang elterlicher Übereinkunft 147 gegenüber einer gesetzeskonformen Regelung mit der Begründung bereits anerkannt, dass die Eltern über das Kind das nächste Recht haben, „das solange fortwährt, als dadurch keine Gefahr für Eignung beider Elternteile auswirkt, vgl. Müller-Freienfels JZ 1959, S. 339 ff; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 103. 144 Vgl. dazu Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 102; KG FamRZ 1958, S. 423; vermittelnd noch BGH FamRZ 1957, S. 252 (253). 145 BT-Drucks. 7/4361, S. 24. 146 Zu diesem Aspekt der Verrechtlichung der Sorgerechtsverhältnisse vgl. auch Frank FamRZ 2004, S. 841 (842 f). 147 Aufgrund der direkten Verknüpfung des Elternvorschlags und der Sorgerechtsübertragung beschränkte sich hier die elterliche Gestaltungsfreiheit auf die tatsächliche Betreuung.

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seine Erziehung bestehe“. 148 Doch blieb dieser Grundsatz in der Praxis zunächst unbeachtet und kam erstmals 1888 zur Anwendung, als ein Urteil des Reichsgerichts eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung der Eltern im Falle der Scheidung für wirksam erklärte. 149 Erst im EheG 1946 wurde der Elternvorschlag normativ als vorrangiges Entscheidungskriterium dahingehend ausgestaltet, dass eine von gesetzlichen Vorgaben abweichende Zuteilung der gesamten Personengewalt durch einen schriftlichen Vorschlag binnen 2 Wochen nach Rechtskraft des Scheidungsurteils dem Vormundschaftsgericht zur Genehmigung vorgelegt werden konnte. 150 Die gerichtliche Beurteilung wurde also auf den Fall beschränkt, dass eine eigenständige Lösung der Eltern nicht zustandekam. Ihrer Rechtsnatur nach war die elterliche Absprache jedoch zunächst formal den Gerichten gegenüber unverbindlich und stellte einen bloßen Beweis des ersten Anscheins für die Zweckmäßigkeit einer solchen Vereinbarung dar 151, wenngleich ihr bei Kindeswohlverträglichkeit in aller Regel zu folgen war. 152 Damit beschränkte sich die gerichtliche Wahrnehmung kindlicher Interessen sowie die Anwendung der Gesetzesschematismen schon an dieser Stelle faktisch auf die Fälle, in denen die Eltern die Frist versäumten oder ihr Vorschlag keine Billigung fand. 153 Doch auch wenn gem. § 1671 BGB i.d.F. des GleichberG 154 die Elternabsprache das Gericht zu binden begann, soweit sie dem Kindeswohl entsprach 155, blieb ihr 148 Vgl. Bornemann „Systematische Darstellung des Preußischen Civilrechts mit Benutzung der Materialien des ALR“, Band 5 1847, S. 284; Hinz in: Festschrift für Rebmann S. 547 (551 f). 149 Vgl. RGZ 21, S. 160 (161 f); vgl. dazu auch Hinz in: Festschrift für Rebmann S. 547 (555), der im Bezug auf dieses Urteil darauf hinweist, dass es, indem es das Kindeswohl zum Entscheidungsmaßstab erhebt, zum einen die Gewaltübertragung an den Pflichtcharakter des Erziehungsrechts aber auch die Eignung als Voraussetzung der Erziehungszuständigkeit hervorhebt und somit der Wertung des § 1671 Abs. 3 i.d.F. des SorgeRG vorgreift. 150 § 74 Abs. 1 EheG: „Ist die Ehe geschieden, so bestimmt das Vormundschaftsgericht, falls eine Einigung der Ehegatten nicht zustande gekommen ist, welchem von ihnen die elterliche Sorge für die Person des Kindes zustehen soll. Die Einigung der Ehegatten ist in schriftlicher Form binnen zwei Wochen nach der Rechtskraft des Scheidungsurteils dem Vormundschaftsgericht zur Genehmigung vorzulegen.“; vgl. dazu OLG Frankfurt FamRZ 1955, S. 146. 151 Vgl. BGHZ 1, S. 215 (216). 152 Vgl. Treitz, S. 5; zur Bindungswirkung vgl. KG FamRZ 1958, S. 423. 153 Vgl. § 74 Abs. 2 S. 1 EheG 1946. 154 Vgl. § 1671 Abs. 2 i.d.F. des GleichberG: „Von einem gemeinsamen Vorschlag der Eltern soll das Vormundschaftsgericht nur abweichen, wenn dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist.“ 155 Eine gerichtliche Abweichung setzte seither triftige, das Kindeswohl nachhaltig beeinflussende Gründe voraus – vgl. BayObLGZ 1962, S. 387 = FamRZ 1963, S. 141; KG FamRZ 1958, S. 423; zur Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625 (626); zur weitergehenden Beschränkung staatlicher Abweichung im Rahmen des EheRG auf die Fälle, in denen es das Kindeswohl erforderte vgl. kritische Anmerkungen von Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (13).

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Einfluss auf die Entscheidung und ihr Verhältnis zur gerichtlichen Ermessensausübung weiterhin unklar. 156 Dies veranschaulicht die umstrittene Beurteilung der Antragsfrist. Maßgeblich war in diesem Zusammenhang die Frage, ob es sich dabei um eine Ausschlussfrist handelte oder ob diese Frist lediglich dazu diente, den zügigen Ablauf der Entscheidungsfindung zu gewährleisten, nach deren Verstreichen die Eltern Gefahr liefen, mit ihrem Vorschlag nicht mehr berücksichtigt zu werden. 157 Fasste man die Einbeziehung der Eltern als ein bloßes Zugeständnis der Rechtspflege auf, so wurde der gesetzte Zeitraum als abschließend angesehen. 158 Sah man darin hingegen eine gesetzliche Konkretisierung des scheidungsunabhängigen, verfassungsrechtlich geschützten Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG, so blieb der Vorrang elterlicher Absprachen über die Frist hinaus bestehen und gebot, sie solange wie möglich in die Entscheidung einzubeziehen. 159 Die Gesetzesentwicklung stellte schließlich klar, dass die Scheidungsintervention allein zum Ausgleich familiärer Defizite diente und daher durch einen sachgerechten Elternvorschlag verdrängt wurde. 160 So förderte das GleichG den Elternvorschlag zunächst, indem das schriftliche Formerfordernis entfiel, und nun anstelle einer Einigung nurmehr zwei konforme Elternaussagen vorliegen mussten 161 und sich die Antragsfrist auf 2 Monate verlängerte 162, bis schließlich das SorgeRG die Fristenbindung vollends aufhob. Im Ergebnis veranschaulicht diese zunehmende Bedeutung des Elternvorschlages eine zentrale Verlagerung der Sorgerechtsentscheidung und das Hinzutreten 156

Vgl. Strätz FamRZ 1975, S. 541 (542). Zum Meinungsstreit vgl. vor allem Schwoerer, JZ 1951, S. 709 ff; zur Rechtnatur der Absprache vgl. KG FamRZ 1958, S. 423; OLG Köln FamRZ 1964, S. 524; Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (437). 158 Dabei wird vor allem auf die Fassung des § 74 Abs. 1 EheG 1946 Bezug genommen, worin der Rechtsschutzgedanke ausdrücklich ausgestaltet war (dazu schon BGHZ 1, S. 214 = NJW 1951, S. 440; OLG Frankfurt FamRZ 1955, S. 146 – so OLG Neustadt FamRZ 1961, S. 535 Nr. 198; Beitzke „Familienrecht“, 12. Aufl. § 29 III 3 (S. 169); Lehmann „Deutsches Familienrecht“, 3. Aufl. § 29 I 2 (S. 180). 159 Vgl. vor allem BGH NJW 1966, S. 349f mwN; BGH NJW 55, S. 146; Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (436). 160 Vgl. Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (436). 161 Vgl. hierzu auch die Diskussion aufgrund der terminologischen Umstellung vom „gemeinsamen Vorschlag“ zum „übereinstimmenden Vorschlag“ im Rahmen des SorgeRG, die z. T. dahingehend interpretiert wurde, dass elterliche Kooperation nun vollends als Kriterium der Elternabsprache entfiel, damit aber auch ihre vertragsähnliche Bindungswirkung, so dass jeder Elternteil seine Einwilligung bis zur letzten Tatsachenverhandlung frei widerrufen könne (MüKo / Hinz § 1671 Rz. 54), während die überwiegende Meinung die gegenseitige Bindungswirkung weiterhin auch in Hinblick auf übereinstimmende Vorschläge annahm (BGHZ 33, S. 54 (57) = NJW 1960, S. 1719 = FamRZ 1960, S. 397; zustimmend BayObLG FamRZ 1967, S. 402 f; KG FamRZ 1968, S. 264f mwN); zur gerichtlichen Überprüfbarkeit der Vertragsgrundlage vgl. OLG Köln FamRZ 1964, S. 524. 162 Vgl. dazu Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (436). 157

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neuer Elemente. Denn der Elternvorschlag stellt die eigenständige Gestaltung der Familienkrise durch die Betroffenen selbst in den Vordergrund und verleiht ihr rechtlichen Schutz. Anstelle gerichtlicher Wertung nehmen die Eltern eine eigene Einschätzung des Kindeswohls vor und üben darin ihre fortbestehende Erziehungsverantwortung unmittelbar aus. 163 Auf diese Weise wird die Kontinuität fortbestehender Elternpflichten über die Scheidung hinaus betont und die Zäsur der Sorgerechtsübertragung relativiert. Damit werden Elternschaft und Partnerschaft partiell entflochten, indem die Eltern über ihre Trennung hinaus die Gestaltung der Erziehung für die Zukunft durch eine einvernehmliche Planung gemeinsam vornehmen. Das heißt, die Grundannahme des nachehelichen Sorgerechts, dass mit der Partnerschaft auch die Fähigkeit zur gemeinsamen Erziehungsverantwortung endet, wurde hier durchbrochen. Das elterliche Einvernehmen lässt die staatliche Intervention auf diese Weise subsidiär werden. Gleichzeitig wird mit dem Elternvorschlag auch der allgemeine Wandel des Eltern-Kind-Verhältnisses auf der Ebene der nachehelichen Sorge aufgegriffen, indem mit ihm der Fürsorgegedanke stärker einfließt. 164 Er verkörpert eine verfassungsrechtlich verankerte Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse durch die Eltern, mit der sie vor staatlichen Organen am besten beurteilen könnten, was dem Wohl des Kindes im konkreten Einzelfall dient. 165 Diese elterliche Bestimmungsprärogative begrenzt den staatlichen Eingriff und verleiht der Familienautonomie größeres Gewicht. 166 3. Historische Erscheinungsformen der gemeinsamen Sorge und ihr Verhältnis zur Alleinsorge Vor dem Hintergrund dieses Überblicks über die allgemeine Sorgerechtsentwicklung wendet sich nun die Betrachtung den Erscheinungsformen der gemeinsamen Sorge in der Rechtsentwicklung zu. Denn sie ist nicht allein das Produkt eines langen Entwicklungsprozesses, bei dem sie aus einem Wandel der sorgerechtlichen Parameter hervorgegangen ist, sondern ist gleichzeitig selbst Bestandteil vergangener Entwicklungsschritte. 167 So stellt sich die gemeinsame Sorge im Rückblick nicht nur als moderne Sorgerechtskonzeption, sondern auch als eine Vorstufe der obligatorischen Alleinsorge dar. In der Betrachtung ihrer historischen Formen werden sowohl allgemeine Charakteristika der gemeinsamen Sorge als auch ihre Besonderheit in der aktuellen 163 Vgl. zum sorgerechtlichen Charakter des Elternvorschlages auch Kropholler NJW 1984, S. 271; Müller / Lempp ZfJ 1989, S. 269; Palandt / Diederichsen, 52.Aufl., § 1671 Rz. 21. 164 Vgl. Strätz FamRZ 1975, S. 542. 165 Vgl. dazu im historischen Kontext Schwoerer JZ 1951, S. 709. 166 Vgl. Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (119). 167 Anders jedoch Kaltenborn FamRZ 1983, S. 905 f, der als Gegner nachehelicher gemeinsamer Sorge diese als historische ohne Beispiel wertet.

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Rechtslage erkennbar. Denn einerseits wird auf diese Sorgerechtsform erneut zurückgegriffen und damit an ehemalige Erfahrungen bzw. Einschätzungen angeknüpft. Andererseits wird auch im Wandel des Sorgerechtsverständnisses deutlich, wie sich die Gewichtung der gemeinsamen Sorge im Vergleich zu früherer Anwendungen verändert hat. In der nun folgenden Betrachtung der gemeinsamen Sorge sind zwei grundlegende Etappen rechtlicher Ausgestaltung zu unterscheiden. Im ersten Abschnitt ist die gemeinsame Sorge die Folge gesetzlicher Zuweisung sorgerechtlicher Funktion. Im zweiten Abschnitt beruht die Übertragung der gemeinsamen Sorge auf der Einzelfallgestaltung der Gerichte und stellt sich damit als eine am Kindeswohl orientierte Güterabwägung dar. Beide Erscheinungsformen bilden Anknüpfungspunkte für die aktuelle Diskussion über die gemeinsame Sorge nach Trennung und Scheidung seit ihrer Wiedereinführung durch das Urteil des BVerfG von 1982. a) Gesetzliche Anordnung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung Die ursprüngliche Form der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung wurde durch das Gesetz unmittelbar gestaltet und war die Folge der formalen Verteilung der nachehelichen Elternzuständigkeit. Denn solange die Mutter zeitlich und inhaltlich in der Ausübung der nachehelichen Sorge beschränkt blieb, trat neben ihre Zuständigkeit stets die Rechtsstellung des Vaters. Für die Entwicklung dieser gesetzlich angeordneten gemeinsamen Sorge richtet sich das Augenmerk daher auf die mütterliche Rechtsstellung. Im ALR beschränkte sich ihr Anteil an der nachehelichen Sorge auf die tatsächliche Betreuung der Kinder bis zum 4. Lebensjahr, so dass die rechtliche Position des Vaters durch die Scheidung unberührt blieb. 168 Für die Dauer der Kindesbetreuung durch die Mutter war die nacheheliche Erziehung beider Eltern eng verknüpft, da alle sorgerechtlichen Entscheidungen und jedes Auftreten für das Kind dem Vater vorbehalten blieb und ihn damit auch in die alltägliche Erziehung einband. Auch § 1635 BGB a.F. von 1900 169 wies der Mutter nur die tatsächliche Personensorge zu und beließ Vermögenssorge sowie Vertretungsbefugnis automatisch beim Vater. Erst mit dem Ehegesetz von 1938 170 konnten nach der Scheidung sowohl Einzelbereiche als auch die Personensorge im Ganzen mit Vertretungsmacht auf die Mutter übertragen werden. 171 Gleichzeitig wurde durch dieses Gesetz die Aufteilung der Kinder unter den Eltern nach Alter und Geschlecht aufgehoben und die einheitliche Übertragung der Personensorge verbindlich eingeführt. 172 Mit 168 169 170 171 172

Vgl. §§ 92 ff ALR II 2, vgl. oben unter Abschn. A.II.1.e). § 1635 a.F., vgl. unter Abschn. A.II.1.e). Vom 6. Juli, RGBl 1938, S. 807 ff. Vgl. § 81 EheG v. 1938, vgl. unter Abschn. A.II.1.e). § 81 Abs. 1 EheG.

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dem Ehegesetz von 1946 173 konnte die Mutter schließlich Inhaberin der gesamten elterlichen Gewalt werden. 174 Das darin eingeführte Prinzip der Einheitlichkeit der elterlichen Gewalt 175 wurde als gesetzliches Gebot im GleichberG 1957 zunächst weiter verankert, indem vorgeschrieben wurde, dass die elterliche Gewalt in der Regel einem Elternteil übertragen werden solle, 176 und schließlich im SorgeRG 1979 durch die obligatorische Alleinsorge zwingend vorgeschrieben. 177 Die gesetzlich-formalisierte Zuweisung der Erziehungsbeiträge verteilte die gemeinsame Sorge zunächst nach zeitlichen und funktionalen Teilungsgesichtspunkten. So wurde zum einen durch die Aufteilung der Kinder je nach Alter eine zeitliche Verteilung der Elternverantwortung geschaffen, die sich an den Entwicklungsphasen der Kinder orientierte. Gleichzeitig ergab sich eine funktionale Verteilung aufgrund der rechtlichen Beschränkung der Mutter. Solange sie auf die Aufsicht der Kinder beschränkt war, folgte das Zusammenwirken beider Eltern aus der erforderlichen Ergänzung, die zunächst mit der gesamten Rechtsposition und später zumindest mit der gesamten Vertretungsmacht und Vermögenssorge durch den Vater ausgefüllt wurde. In Anknüpfung an ein darin verankertes Rollenverständnis, wies das Gesetz der Mutter die interne Fürsorge und dem Vater die nach außen gerichtete Wahrnehmung der Kindesinteressen in Form der Vermögenssorge und der rechtlichen Stellvertretung zu. Diese gesetzliche Verteilung der Erziehungsaufgaben ist gerade aus heutiger Sicht von einem sehr statischen Verständnis geprägt. Sie ist in verschiedener Hinsicht Ausdruck des Rollenverständnisses der jeweiligen Rechtsordnungen. Dabei stellt sich die gemeinsame Sorge in dieser Ausprägung im Ergebnis vor allem als eine Sicherstellung der väterlichen Herrschaftsstellung dar. 178 Denn zumindest soweit die Mutter von der Elternsorge ausgeschlossen war, blieb die Rechtsstellung allein dem Vater vorbehalten und entzog sich damit einer individuellen Zuweisung im Zuge der Scheidung. Der Kern der elterlichen Gewalt beschränkte sich damit von vornherein auf den Vater und stellte ihm eine zentrale Position bei der Gestaltung der Kindeserziehung als vorrangiger Entscheidungsträger sicher. Vor allem die auf die Söhne gerichtete zeitliche Aufteilung der Elternzuständigkeit, wie 173

Kontrollrats-Gesetz Nr. 16 vom 20. 2. 1946. Vgl. § 74 EheG 1946, vgl. unter Abschn. A.II.1.e). 175 Vgl. gesetzlichen Bindungswirkung BGH NJW 1952, S. 139 mwN; BGH NJW 1952, S. 1254; BayObLG NJW 1952, S. 320; OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 = FamRZ 1956, S. 241; KG FamRZ 1957, S. 176. 176 Vgl. § 1671 Abs. 1, 4 i.d.F. des GleichberG – Danach war die in Ausnahmefällen mögliche Trennung von Personen- und Vermögenssorge nicht an allgemeinen Zweckmäßigkeitserwägungen zu bemessen, sondern musste nach Maßgabe des Kindeswohls geboten sein (vgl. Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (434); KG 1962, S. 462). 177 So hieß es in § 1671 Abs. 4 S. 1 a.F.: „Die elterliche Gewalt ist einem Elternteil zu übertragen.“ 178 Vgl. Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 102. 174

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sie bis 1938 galt, verlieh dem Vater die dazu erforderliche Kontrollkompetenz. Wie schon in den römischen und germanischen Rechtsordnungen wurde damit zum zentralen Kriterium der nachehelichen Sorgerechtsgestaltung, den Fortbestand der gesellschaftlichen Stellung des Vaters sicherzustellen 179, indem die Kinder in dem Alter, in dem der Schwerpunkt auf der Ausbildung und gesellschaftlicher Sozialisation lag, dem Einfluss der Mutter vollständig entzogen wurden. Das Sorgerecht war damit vorrangig an den väterlichen Interessen ausgerichtet. Im Rahmen der nachehelichen Sorge blieb die Mutter auf diese Weise dem Vater als Familienoberhaupt über die Scheidung hinaus untergeordnet. Die gemeinsame Sorge war in dieser Form – zugespitzt formuliert – Ausdruck ihrer rechtlichen Beschränkung und Kontrolle durch den Vater. 180 So ging der gesetzliche Teilungsmodus nicht nur zu Lasten der Mutter und beschränkte sie auf ein Minimum erzieherischer Mitwirkung. Gleichzeitig wurde sie während ihrer Zuständigkeit für die Kinder auch noch durch die Vertretungsmacht oder angrenzende Kompetenzen des Vaters kontrolliert. Zumindest solange ihr die Vertretungsmacht vorenthalten war, standen ihre erzieherischen Entscheidungen stets unter dem Vorbehalt väterlicher Billigung. Das erzieherische Zusammenwirken war demnach durch eine aus dem Eheleben abgeleitete Beherrschungsform, nicht aber durch kindesorientierte Kooperation unter den Eltern geprägt. 181 Dies verdeutlicht darüber hinaus, dass die statische Zuweisung der Elternsorge durch das Gesetz allein an den Eltern orientiert war, die keine Berücksichtigung der Kindesinteressen vorsah. 182 Zum einen beruhte die Vorrangstellung des Vaters nicht auf seiner konkreten Eignung zur Erziehung der Kinder, sondern war auf eine allgemeine gesellschaftliche Privilegierung zurückzuführen. 183 Es waren damit allein theoretische Erwägungen, die zu der gesetzlichen Aufgabenverteilung führten. Zum anderen wurden auch keine spezifischen Anforderungen an das Elternverhältnis gestellt. Die Konfliktanfälligkeit des Elternverhältnisses nach der Scheidung wurde als Belastung der gemeinsamen Erziehung nicht berücksichtigt, indem die gesetzlich verordnete Verflechtung der elterlichen Zuständigkeiten unabhängig von der Beziehung der Eltern im Einzelfall vorgesehen waren. Maßgeblich war daher nicht die bewusste Entscheidung zu einer fortgesetzten Erziehungsverantwortung und Kooperation. Das heißt, nicht die Verflechtung der beiden 179 Vgl. zum römischen Recht: Köbler „Rechtsgeschichte“, S. 40; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 174; Ramm „Jugendrecht“, S. 21; zum germanischen Recht: Köbler „Rechtsgeschichte“, S. 79; Conrad „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 35; Planitz „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 54; Schröder „Deutsche Rechtsgeschichte“, S. 330 mwN. 180 Vgl. dazu Neuhaus FamRZ 1980, S. 1089; Schwab „Handbuch des Scheidungsrechts“ Teil III, Rz. 114. 181 Vgl. dazu Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120). 182 Vgl. Treitz, S. 2; Gernhuber FamRZ 1962, S. 89, (90). 183 Vgl. Treitz, S. 2.

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Rechtsstellungen stand im Vordergrund. Die gemeinsame Sorge teilte vielmehr das Rechtsverhältnis zum Kind in voneinander abstrahierte Bereiche unter den Eltern auf und gab der Sorgerechtsform auf diese Weise eine Prägung kompetenzieller Abgrenzung und Konkurrenz. Statt „gemeinsamer Sorge“ könnte insoweit auch von „geteilter Sorge“ gesprochen werden. Vor diesem Hintergrund wird die spätere Alleinsorge zunächst zum Sinnbild der Befreiung der Frau von der Entrechtung und Kontrolle durch den geschiedenen Ehemann und der einzelfallgerechten Abwägung zwischen der jeweiligen Erziehungseignung beider Eltern. Doch treten an dieser Form der gemeinsamen Sorge Charakteristiken hervor, die auch für die aktuelle Beurteilung fortwirken. Zunächst beruht die gesetzlichformalisierte Zuweisung der gemeinsamen Sorge auf der grundsätzlichen Annahme, dass die elterliche Verantwortung von der Scheidung unberührt bleibt. Darin ist eine kategorische Unterscheidung der Scheidungsfolgen zwischen Elternschaft und Partnerschaft angelegt. Schon in den Motiven zum BGB a. F. Erwägungen zum Eltern-Kind-Verhältnis wie folgt zusammengefasst: „Da durch die Scheidung nur die rechtlichen Wirkungen der Ehe als solche aufhören, so ergibt sich von selbst, daß, soweit das Gesetz keine abweichenden Bestimmungen enthält, die rechtlichen Beziehungen zwischen den Eltern und Kindern, sowie zwischen den Eltern in Ansehung der Kinder nicht berührt werden; denn jene Beziehungen sind nicht Wirkungen der bestehenden Ehe, sondern der in der Ehe erfolgten Zeugung oder der vorher erfolgten Zeugung und der nachfolgenden Ehe.“ 184

Damit knüpfte die gesetzliche Zuweisung der gemeinsamen Sorge an eine Fortsetzung und Bewahrung der Erziehungsbeiträge vor der Scheidung an. Gleichzeitig veranschaulicht die Funktionsverteilung, wenn auch in sehr formalisierter Form, die Annahme, dass beide Eltern für die Erziehung der Kinder unentbehrlich sind. Dieses Ergänzungsverhältnis wurde weniger an der fortbestehenden Eignung der Eltern zur gemeinsamen Erziehung der Kinder gemessen, sondern es wurden ihre nach traditionellem Rollenverständnis erforderlichen Erziehungsbeiträge einfach nur koordiniert. Denn die Erziehungsbeiträge beider Eltern wurden nicht von einer gerichtlichen Würdigung abhängig gemacht, sondern in Fortsetzung der bisherigen Erziehungseignung modifiziert zugewiesen. Ein darüber hinausgehender Eingriff in die Rechtsstellung setzte hingegen einen konkreten Anhaltspunkt elterlicher Defizite voraus, der sich aus der Beurteilung der Scheidungsschuld oder der scheidungsunabhängigen Entziehung der Gewalt ergeben konnte. 185 Ein weiterer Aspekt, der für die heutige Herangehensweise an die gemeinsame Sorge zu berücksichtigen ist, beruht auf dem hohen Maß an Eigenverantwortung für die Gestaltung der gemeinsamen Sorge, das den Eltern durch diese historische Erscheinungsform 184

Motive, Mugdan, S. 333. Zu den engen Voraussetzungen einzelfallbezogener Abweichung vgl. KG in OLGE 10, S. 287 (288) Beschl. v. 9. 2. 1905; OLG Comar in OLGE 18, S. 277 (278) Beschl. v. 1. 9. 1908; OLG Hamburg OLGE 21, S. 260 Beschl. v. 25. 10. 1909. 185

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abverlangt wurde. Allein aufgrund der gemeinsamen Zuständigkeit wurde von den Eltern verlangt, dass sie die Erziehung koordinieren. Auch wenn der Vater durch seinen Stichentscheid und die dominante Sorgerechtsstellung die Entscheidungsfähigkeit sicherstellte, so ging dem gleichzeitig die gesetzliche Order voraus, die Elternverantwortung von der Entflechtung der Lebensbereiche auszunehmen und mutete damit den Eltern weit mehr zu als die folgenden Rechtsordnungen, die die Elternsorge zur Vermeidung von Konflikten auf einen Elternteil konzentrierten. b) Gemeinsame Sorge aufgrund gerichtlicher Einzelfallentscheidung Eine weitere Erscheinungsform der gemeinsamen Sorge ergab sich aus der Entwicklung der sorgerechtlichen Einzelfallbeurteilung. Das Kindeswohl löste die gesetzlichen Vorgaben für eine formalisierte Sorgerechtsgestaltung nach der Scheidung zunehmend ab und verlagerte den Entscheidungsmaßstab auf die individuelle Einzelfallgestaltung. Zur Konkretisierung der dabei entscheidenden Kindesinteressen waren die Gerichte berufen. Dabei war jedoch, wie in den voranstehenden Ausführungen gezeigt, diese Aufwertung des Kindeswohls zum schließlich einzigen Maßstab für die nacheheliche Sorgerechtsübertragung gleichzeitig mit einer Konzentration der Erziehungszuständigkeit auf einen Elternteil verbunden. Die einheitliche und alleinige Ausübung der Scheidungssorge wurde zum zentralen Bestandteil der Kindeswohleinschätzung. Doch gab es während dieser Entwicklung auch Bestrebungen, die gemeinsame Sorge in die einzelfallgerechte Übertragung des nachehelichen Sorgerechts einzubeziehen. Die darauf gerichtete Debatte begleitet die gesamte Sorgerechtsentwicklung, bis sie schließlich mit der Einführung der obligatorischen Alleinsorge durch das SorgeRG v. 1979 zunächst ein Ende fand. Der historische Rückblick richtet sich daher nun auf die Beurteilung der gemeinsamen Sorge im Rahmen des gerichtlichen Ermessens und auf den rechtlichen Spielraum im Rahmen des Elternvorschlages. Anschließend geht die Betrachtung auf die konkrete Gestaltung der gemeinsamen Sorge in dieser historischen Erscheinungsform und endet mit der Gegenüberstellung der Positionen zu dieser Sorgerechtsform im Vorfeld der SorgeRG v. 1979. aa) Übertragung der gemeinsamen Sorge aufgrund gerichtlicher Ermessensentscheidung Die Einführung des Kindeswohls als zentrales Entscheidungskriterium übertrug es den Gerichten, anhand der konkreten Bedingungen die Elternsorge nach Maßgabe der Kindesinteressen individuell zu gestalten. Dabei entstand die Frage, ob trotz der im Gesetz für die Bereiche der Ermessensausübung grundsätzlich vorgesehenen einseitigen Übertragung der Elternsorge die gemeinsame Sorge ebenfalls vom richterlichen Ermessensspielraum umfasst war.

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Unproblematisch war die Einbeziehung der gemeinsamen Sorge in die gerichtliche Ermessensausübung, solange die gesetzliche Zuteilung der einzelnen Funktionsbereiche beide Eltern ohnehin in die nacheheliche Sorge einband. Die Aufteilung der elterlichen Gewalten gehörte hier noch zum selbstverständlichen und strukturbestimmenden Element nachehelicher Sorgerechtsgestaltung. So wurde die über die gesetzliche Aufteilung hinausgehende Untergliederung der Personensorge in Einzelzuständigkeiten oder ihre zeitlich befristete Überlassung zunächst unmittelbar aus der sorgerechtlichen Übertragungsvorschrift des § 1635 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. abgeleitet, der zufolge das Vormundschaftsgericht von der formalistischen Zuweisung abweichende Anordnungen treffen konnte, wenn dies im Interesse des Kindes geboten erschien. 186 Je stärker die gesetzliche Übertragungsvorgabe jedoch seit 1938 auf die Konzentration der elterlichen Gewalt auf einen Elternteil abstellte, desto umstrittener wurde die gerichtliche Abweichung zugunsten einzelfallorientierter Verteilung nachehelichen Sorgerechts und damit die Zulässigkeit der gemeinsamen Sorge insgesamt. Der erste Einschnitt vollzog sich zunächst mit § 81 EheG 1938, mit dem die Vereinheitlichung der Sorgerechtsübertragung eingeleitet wurde. Danach wurde die Personensorge für alle Kinder einheitlich vorgesehen und die sorgerechtliche Rechtsstellung mit der Vertretungsmacht verknüpft. Die Nachfolgevorschrift des § 74 EheG 1946 führte schließlich die Übertragung der elterlichen Gewalt als Ganzes ein. 187 Diese Reformen wurden vielfach als eine grundsätzliche Abkehr des Gesetzgebers von der bisherigen Kompetenzverteilung kraft Gesetzes aufgefasst, mit der nun eine Aufteilung der Zuständigkeit generell abgeschafft werden sollte. 188 Dies folge – dieser Auffassung – nach auch aus gesetzessystematischen Erwägungen, da die Einheit des väterlichen Personensorgerechts während der Ehe, abgesehen von der Nebensorge der Mutter, nur aufgrund einer Kindeswohlgefährdung iSd § 1666 BGB beschränkt werden könne. Für die nacheheliche Sorge müsse dieser Grundsatz entsprechend gelten, da sie sich unmittelbar aus der gesetzlichen Sorge ableite, so dass die nacheheliche Sorge ebenfalls als ein unteilbares Ganzes in § 81 EheG 1938 und § 74 EheG 1946 anzusehen sei. 189 Das bedeute in der Konsequenz, dass abweichende Einzelanordnungen der Gerichte somit gleichermaßen allenfalls unter den engen Voraussetzungen der allgemeinen Vorschrift des § 1666 BGB zulässig wären. 190 Dieser Auffassung zufolge bestand 186 So OLG München JFG 14, S. 455 (457) (vom 12. 06. 1942); RGZ 129, S. 20 (vom 5. 5. 1930); offen gelassen bei BGH NJW 1952, S. 139 (140). 187 Vgl. dazu im Überblick BGHZ 3, S. 220 = NJW 1952, S. 139; vgl. auch OLG Hamburg NJW 1956, S. 995. 188 Vgl. BGH NJW 1952, S. 139 (140); BGH NJW 1952, S. 1254; BGHZ 3, S. 220; OLG Hamm FamRZ 1958, S. 145. 189 Vgl. BGH NJW 1952, S. 139; BGH NJW 1952, S. 1254; OLG Tübingen DRZ 50, S. 88; a. A. OLG Hamm JMBl. NRW 1951, S. 13; OLG Neustadt DR I 164, 46 d; KG FamRZ 1957, S. 176.

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das gerichtliche Ermessen also allenfalls in einer stärkeren Vereinheitlichung der Sorgerechtsübertragung anstelle der gesetzlichen Zuweisung und damit in einer weitergehenden Konzentration sorgerechtlicher Kompentenz bei einem Elternteil. Dagegen wurde eingewandt, dass selbst wenn § 81 EheG 1938 die Unteilbarkeit der übertragbaren Personensorge grundsätzlich eingeführt hätte 191, demgegenüber jedenfalls durch § 74 Abs. 2 EheG 1946 klargestellt worden sei, dass vorrangig die Regelung zu treffen sei, die dem Interesse des Kindes am besten entspreche. 192 Auf diese Weise habe der Gesetzgeber die gerichtliche Entscheidung von restriktiven Vorgaben frei stellen und zugunsten einer kindesgerechten Lösung flexibilisieren wollen. 193 Die Vorschrift bringe insoweit zum Ausdruck, dass die Aufspaltung der Personensorge nur in Ausnahmefällen dem Kindeswohl diene. Denn die einheitliche Erziehung und das harmonische Zusammenwirken beider Eltern, wie es dem Konzept der gemeinsamen Sorge während der Ehe zugrunde liege, sei nach der Scheidung durch das angespannte Verhältnis der Eltern nach der Trennung oftmals behindert und drohe, das Kind zum Gegenstand dauernder Auseinandersetzung der Eltern zu machen. 194 Doch erfordere gerade der auf umfassende Durchsetzung des Kindeswohls gerichtete Entscheidungsmaßstab auch die Zulässigkeit der gemeinsamen Sorge, um etwa bei tatsächlichen oder rechtlichen Hindernissen einer ungeteilten Sorgerechtsübertragung individuelle Gestaltungsmöglichkeiten im Interesse des Kindes zu erhalten. 195 Ergänzend wurde auf die sachgerechte Folge für die Berücksichtigung der Scheidungsschuld verwiesen, da die gemeinsame Sorge einen geringeren Eingriff in das Vorrecht des unschuldig geschiedenen Elternteils darstelle als eine vollständige Übertragung auf den anderen Teil gem. § 74 Abs. 4 EheG 1946 196 nach Maßgabe des Kindeswohls. 197 Die gemeinsame Sorge wurde 190 Vgl. BGH NJW 1952, S. 139 (140); ähnlich auch eine spätere Entscheidung des BayObLG NJW 1963, S. 590; kritisch dazu Schoerer, NJW 1952, S. 284 (285). 191 A. A. Rexroth JW 1938, S. 2095; OLG München Bayer. JMBl 51, S. 41; wohl auch KG JFG 22, S. 218. 192 Vgl. v. Godin „Ehegesetz“ § 74 Anm. 9a E; a. A. BGH NJW 1952, S. 139 (140), der darauf hinweist, dass das EheG von 1938 im Wesentlichen die Grundlage des EheG von 1946 darstellte und die Novellierung nur der Aussonderung nationalsozialistischer Ideologie gedient habe, so dass davon auszugehen sei, der Gesetzgeber hätte eine derartige inhaltliche Abweichung, die leichtere Eingriffsmöglichkeiten eröffnen sollte, deutlicher zum Ausdruck gebracht. 193 Vgl. v. Godin aaO; BayObLG NJW 1952, S. 320. 194 Vgl. Imlau DRiZ 47, S. 395. 195 Vgl. BayObLGZ 52, S. 12 = NJW 1952, S. 320; a. A. Hoffmann-Stephan „Ehegesetz“, § 74 Anm. 4C. 196 Vgl. § 74 Abs. 4 EheG 1946: „Einem Ehegatten, der allein oder überwiegend für schuldig erklärt worden ist, soll die Sorge nur übertragen werden, wenn dies aus besonderen Gründen dem Wohl des oder der Kinder dient.“ 197 A. A. BGH NJW 1952, S. 139 (141), der darauf hinwies, dass diese Vorschrift die Abweichung von der Scheidungsschuld gerade an besondere Gründe des Kindeswohls

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damit unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit befürwortet und sollte als Ausnahme zur prophylaktischen Vermeidung einer Gefährdung des Kindes durch den Elternkonflikt dienen. Die Diskussion über die gemeinsame Sorge nahm im nun anschließenden Zeitraum aufgrund des Wortlauts von § 1671 Abs. 3 idF des GleichberG von 1957 noch an Bedeutung zu. 198 Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Kindeswohl trat zunehmend in den Vordergrund. Ausgangspunkt war dabei das umstrittene Verhältnis zwischen § 1671 Abs. 3 Satz 1, demzufolge die elterliche Sorge in der Regel auf einen Elternteil übertragen werden sollte, und Satz 2, der eine Aufteilung der elterlichen Gewalt in Personen- und Vermögenssorge vorsah, wenn dies nach dem Kindesinteresse geboten war. Die überwiegende Auffassung ging davon aus, dass der Wortlaut des Gesetzes die gemeinsame Sorge grundsätzlich ausschloss. 199 Allein die gesetzlich vorgesehene Aufteilung der Personen- und Vermögenssorge sei eine zulässige Ausnahme und konkretisiere daher die einzig zulässige Form der nachehelichen Sorgerechtsverteilung zwischen den Eltern. 200 Das Gesetz trage damit der Tatsache Rechnung, dass die gemeinsame Sorge nach der Scheidung dem Kindeswohl regelmäßig nicht diene. 201 Neben der hohen Konfliktanfälligkeit und ihrer unausweichlichen Entfremdung 202 folge dies auch aus knüpfe, so dass eine Umgehung der einseitigen Zuweisung des Sorgerechts durch die Aufteilung der Einzelzuständigkeiten gerade nicht dem Kindeswohl entspreche. Im Übrigen sei das Vorrecht des unschuldig Geschiedenen auf die ungeteilte Sorgerechtsbefugnis gerichtet und erlaube keine Teilung. 198 Vgl. Knöpfle NJW 1983, S. 905 (906). 199 Vgl. BayObLGZ 1960, S. 133 (135), 412 (414); BayObLG FamRZ 1964, S. 523; abweichend noch BayObLGZ 1952, S. 139; BayObLGZ 1952, S. 12 = NJW 1952, S. 320; LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (mit Aussetzung gem. Art. 100 GG wegen eines verfassungswidrigen Verbotes der gemeinsamen Sorge); KG (15. ZS) FamRZ 1979, S. 539; a. A. KG (18. ZS) FamRZ 1979, S. 340. 200 Vgl. OLG Hamburg NJW 1956, S. 959 = FamRZ 1956, S. 241 = ZBlJR 1956, S. 106; OLG Hamm FamRZ 1958, S. 145; LG Tübingen FamRZ 1960, S. 121; LG Stade MDR 1960, S. 147; OLG Celle NJW 1960, S. 151 = ZBlJR 1959, S. 324; OLG Stuttgart FamRZ 1960, S. 365; OLG Bremen FamRZ 1961, S. 534; OLG Frankfurt NJW 1962, S. 920 = FamRZ 1962, S. 171; BayObLG NJW 1963, S. 590; dass. FamRZ 1964, S. 523 = MDR 1964, S. 922; OLG Neustadt FamRZ 1964, S. 91 (92); LG Mannheim FamRZ 1967, S. 492; LG München FamRZ 1972, S. 72; LG München I FamRZ 1972, S. 539; LG Köln FamRZ 1974, S. 99; LG Bremen FamRZ 1977, S. 402(403); KG FamRZ 1979, S. 539; Dieckmann AcP 178 (1978), S. 304; Dittmann ZBlJR 1977, S. 187; Kaltenborn FamRZ 1983, S. 905; Knöpfle NJW 1983, S. 905 (906); verfassungsrechtliche Bedenken entstanden aufgrund dieser Einschätzung dabei vor allem für Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21 f); dies. FamRZ 1977, S. 371; LG Bremen FamRZ 1977, S. 402; AG Königstein FamRZ 1980, S. 483; KG FamRZ 1980, S. 821 = NJW 1980, S. 2419; AmtG Bergisch-Gladbach FamRZ 1980, S. 1156; Krüger / Breeztke / Nowack GleichbG, Art. 8 I Ziff. 8 Anm. 5. 201 Vgl. LG Stade MDR 1960, S. 147; BayObLG FamRZ 1964, S. 523; dass. FamRZ 1976, S. 38; LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); KG FamRZ 1979, S. 539 (540); Strätz FamRZ 1975, S. 541 (543); zu den Voraussetzung der Trennung von Personen- und Vermögenssorge vgl. KG FamRZ 1962, S. 432.

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praktischen Erwägungen, da die einheitlich zu fällenden Entscheidungen aufgrund räumlicher Distanz oftmals nicht im Kindesinteresse getroffen werden könnten. 203 Das gerichtliche Ermessen bei der Sorgerechtsübertragung diene lediglich dazu, die starren Bande der Scheidungsschuld zu lösen, um die freie Elternwahl nach Maßgabe des Kindeswohls zu eröffnen, nicht aber eine gerichtliche Willkür bei der Sorgerechtsgestaltung zu ermöglichen. 204 Soweit die Eltern gewillt seien, die Erziehungsverantwortung gemeinsam zu tragen, vermögen sie dies auch im Rahmen privatautonomer Absprachen. 205 Die zunehmend verbreitete Gegenansicht befürwortete hingegen die Zulässigkeit der gemeinsamen Sorge außerhalb des Gesetzesformalismus. 206 Vorwiegend wurde darauf abgestellt, dass die sorgerechtliche Aufteilungsvorgabe des § 1671 Abs. 3 S. 2 a.F. einen gesetzlichen Beispielsfall darstelle. 207 Die Vorschrift knüpfe mit ihrem bewusst vage formulierten Wortlaut an § 74 EheG 1946 an, durch den die Verdrängung gesetzlicher Formalismen begonnen habe. Darüber hinaus sei die Alleinsorge in der Regel vorgesehen, so dass dies Ausnahmen jedenfalls zulasse und diese beschränkten sich nicht allein auf § 1671 Abs. 4 S. 2. 208 Daraus folge, dass die sorgerechtliche Entscheidung allein am Einzelfall auszurichten sei und 202

Vgl. OLG Bremen FamRZ 1961, S. 534. Vgl. LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); Weber FamRZ 1975, S. 401 (402); a. A. LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (62). 204 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1962, S. 920; LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100), unter Ausschluss der ungeteilten gemeinsamen Ausübung elterlicher Sorge. 205 Vgl. LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100). 206 So LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185; AG Tübingen DAVorm 1976, S. 424; LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60; OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266; KG FamRZ 1979, S. 340 (341); OLG Hamburg FamRZ 1979, S. 540; Schwoerer FamRZ 1960, S. 122; Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625; Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20; Göppinger „Vereinbarungen anlässlich der Elternscheidung“, 3. Aufl. 1978, Rz. 618; Schwab „Handbuch des Scheidungsrechts“ 1977, S. 75 f; Treitz „Die Verteilung der elterlichen Gewalt bei der Auflösung der Elternehe und bei dauerndem Getrenntleben der Eltern“, S. 74; Knieper JZ 1976, S. 158; Fehmel FamRZ 1979, S. 380 (381), der in diesem Zusammenhang von einer eindeutigen Trendwende in der Beurteilung der gemeinsamen Sorge durch Praxis und Lehre sprach, was durch veröffentlichte Entscheidungen Bestätigung fand; a. A. BTDrucks. 8/2788, S. 63; vgl. aber auch LG Bremen FamRZ 1977, S. 402, das § 1671 idF GleichberG für verfassungswidrig erachtete, da es die gemeinsame Sorge nicht zulasse. 207 Vgl. OLG Stuttgart NJW 1958, S. 1972; OLG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186); AmtsG Tübingen DAVorm 1976, S. 426; OLG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (61); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 = NJW 1977, S. 1416; OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266; SchH OLG, SchlHA 1978, S. 170 = DAVorm 1978, S. 796; KG FamRZ 1979, S. 340; OLG Hamburg FamRZ 1979, S. 540 = DAVorm 1979, S. 299; AmtsG Schöneberg und AmtsG Recklinghausen FamRZ 1979, S. 342; wohl auch BGH FamRZ 1979, S. 113; Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625 (627); Schwoerer FamRZ 1958, S. 433; aus der Rückschau vgl. auch Balloff in: Proksch / Sievering S. 83; Magnus RdJR 1988, S. 158. 208 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186); LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (61 f); KG FamRZ 1979, S. 340. 203

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damit eine abschließend detaillierte Ausgestaltung unsachgemäß und systemwidrig erscheine, so dass auch die gemeinsame Sorge als zulässige Sorgerechtsform gerichtlich erwogen werden könne. 209 Überdies wurde nun bereits argumentiert, dass es insbesondere unter Bezugnahme auf die Wertung des Art. 6 Abs. 2 GG sogar geboten sei, das Sorgerecht gegebenenfalls einheitlich bei beiden Eltern zu belassen, wenn dies ausnahmsweise dem Wohl des Kindes am besten entspreche. 210 Auch wenn der staatliche Schutz der Ehe mit der Scheidung ende, so gelte dies nicht auch für die Familie, deren Bindungen fortbestünden. 211 Dieser Blickwinkel dokumentiert eine zentrale Veränderung der Diskussion. Denn bis dahin war die Anwendung des gemeinsamen Sorgerechts vor allem an pragmatische Erwägungen geknüpft, indem sie zur Überwindung faktischer oder rechtlicher Hindernisse für die Belassung der Sorgerechtsstellung herangezogen wurde. Nun trat hingegen die elterliche Gemeinschaftlichkeit nachehelicher Sorgerechtsausübung als ein eigenständiger Aspekt der Kindeswohlerwägung hinzu. Dabei stehe es den Gerichten auch frei, auf die durch gemeinsame Sorge im Einzelfall gegebenenfalls sogar befriedende Lösung hinzuwirken. 212 Daran knüpfte auch eine insoweit vermittelnde Ansicht an, die zwar von einer abschließenden Vorgabe gemeinsamer Sorge durch Aufteilung der Vermögensund Personensorge im Rahmen gerichtlicher Anordnung ausging, eine entsprechende Einschränkung für den Elternvorschlag hingegen nicht vorsah. 213 Ein Ausschluss der gemeinsamen Sorge könne nur aufgrund teleologischer Reduktion angenommen werden, wenn etwa die Fortsetzung der Sorge durch beide Eltern dem Kindeswohl widerspräche, was aber zumindest bei übereinstimmendem Willen der Eltern zu diesem Sorgerechtsmodell nicht grundsätzlich angenommen werden könne. 214 209 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185; LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (62); Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625 (627) unter Bezugnahme auf die gesetzgeberische Wertung in BT-Drucks. II (1953) /224, S. 62 f. 210 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186); LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (62); kritisch dazu Evans-von Krbek FamRZ 1977, S. 371, die, trotz grundsätzlicher Befürwortung des Ergebnisses, diesen Auslegungsansatz aufgrund des eindeutigen Wortlauts mangels bestehender Unsicherheit für ausgeschlossen hielt, so dass der direkte Rekurs auf das Verfassungsrecht an der einfachgesetzlichen Konkretisierung des § 1671 a.F. vorbei eine unzulässige Rechtsfortbildung darstelle; so auch LG Bremen FamRZ 1977, S. 402; a. A. KG FamRZ 1980, S. 821 (823). 211 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186). 212 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186). 213 Vgl. Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (434); ähnliche Wertung schon BGH FamRZ 1952, S. 139 = JZ 1952, S. 34; vgl. dazu auch LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (62); vermittelnd zunächst Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21), später aber dies. ablehnend in FamRZ 1977, S. 371. 214 Vgl. Schwoerer in der kritischen Anm. zu LG Tübingen FamRZ 1960, S. 122; a. A. OLG Bremen FamRZ 1961, S. 534 f.

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Dieser Meinungsstreit wurde schließlich durch den Gesetzgeber entschieden, indem er im SorgeRG von 1979 den gerichtlichen Ermessensspielraum eliminierte und die Alleinsorge zwingend als nacheheliche Sorgerechtsform festlegte. Da weiterhin die Möglichkeit der Spaltung zwischen Personen- und Vermögenssorge vorgesehen blieb, schloss sich der Gesetzgeber der zuvor h.M. an und regelte allein diese Funktionsspaltung als zulässige Form der gemeinsamen Sorge. bb) Gemeinsame Sorge aufgrund eines Elternvorschlages Die zentrale Fragestellung zur nachehelichen gemeinsamen Sorge seit dem EheG v. 1938 bestand darin, ob der Elternvorschlag im Einklang mit den jeweiligen gesetzlichen Vorgaben stehen musste oder ob ihm über das gerichtliche Ermessen hinausgehende Gestaltungsfreiheit eröffnet wurde. 215 Die überwiegende Auffassung lehnte eine erweiterte Gestaltbarkeit ab, da der Elternvorschlag die damals vormundschaftsgerichtliche Entscheidung ersetzen solle und insoweit nur auf solche Regelungen gerichtet sein könne, die das Gericht auch selbst anordnen dürfe. 216 Die Regelung des Elternvorschlages in § 1671 Abs. 2 a.F. habe insoweit keine eigenständige Stellung. 217 Die Gegenauffassung sah die Gesetzesvorgaben als dispositiv an und ließ sowohl elterliche Individualabsprachen zu, die durch eine Art Verzichtserklärung des im Übrigen Sorgeberechtigten einen Teilbereich der Personensorge auf den anderen Elternteil übertrug, als auch solche, die eine einseitige Übertragung der Elternsorge auf einen Elternteil vertraglich ausschlossen. 218 Zur Begründung wurde vor allem darauf hingewiesen, dass der Elternvorschlag gesetzlich gerade nur durch das Kindeswohl begrenzt sei. 219 Eine darüber hinaus gehende Einschränkung der Gestaltungsfreiheit könne sich danach allenfalls aus der zugrunde liegenden gesetzlichen Sorge und ihren Schranken, nicht aber aus der nachehelichen Übertragung ergeben. 220 Dies entspreche auch der Funktion des Elternvorschlages, als Fortsetzung der gemeinsamen Verantwortung für das Kind eine gemeinsame 215 Vgl. grundlegend OLG Frankfurt FamRZ 1955, S. 146; OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 = FamRZ 1956, S. 241; LG Stade MDR 1960, S. 147. 216 So OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 241 = NJW 1956, S. 995 = ZBlJR 1956, S. 106; OLG Celle NJW 1960, S. 151 = NdsPfl 1960, S. 12 = ZBlJR 1959, S. 324; OLG Stuttgart FamRZ 1960, S. 365; OLG Bremen FamRZ 1961, S. 534; OLG Frankfurt NJW 1962, S. 920 (921); OLG Neustadt FamRZ 1964, S. 91; BayObLG FamRZ 1964, S. 523; LG München I FamRZ 1972, S. 378; LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); dass. FamRZ 1977, S. 62; OLG München FamRZ 1978, S. 620; KG FamRZ 1979, S. 539. 217 Vgl. KG FamRZ 1979, S. 539 (540); ähnlich auch schon OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 f; OLG Stuttgart FamRZ 1960, S. 365. 218 Bereits ausdrücklich offen gelassen von BGH NJW 1952, S. 139 (140); vgl. i.Ü statt vieler Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 mwN; a. A. OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 = FamRZ 1956, S. 241; BGH FamRZ 1957, S. 252 = MDR 1958, S. 25. 219 Vgl. § 1671 Abs. 1 idF des GleichberG von 1957.

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Entscheidung herbeizuführen, der sich das Gesetz demnach auch nicht entgegenstellen dürfe. 221 Die Gleichberechtigung habe gerade den Grundsatz ausgewogener Rechtsstellungen beider Elternteile hervorgebracht, so dass der Ausschluss eines Elternteils nur aufgrund konkreter Umstände zu rechtfertigen sei. 222 Die einseitige Lösung dürfe daher nicht zum Selbstzweck werden. 223 Nur durch eine erhebliche Gestaltungsfreiheit der elterlichen Eigenregulierung sei gewährleistet, dass das Gebot des geringsten staatlichen Eingriffs gewahrt bleibe. 224 Der danach unter der Maßgabe des Kindeswohls zu respektierende Elternwillen umfasse daher auch die gemeinsame elterliche Gewalt, wenn es an entgegenstehenden Hinweisen fehle. 225 Der gemeinsame Vorschlag setze noch dazu die Vermutung außer Kraft, dass zwischen den Eltern Spannungen bestünden, vor denen es das Kind zu schützen gelte. 226 Ein pauschaler Ausschluss des gemeinsamen Sorgerechts führe damit zu verfassungsrechtlichen Bedenken, da das scheidungsunabhängig geschützte Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG nur aufgrund des Wächteramtes zum Schutz des Kindes beschränkt werden dürfe. 227 Ein rein vorsorglicher Ausschluss eines Elternteils könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Eltern für die Dauer ihres Einvernehmens die Erziehungsverantwortung durch privatautonome Absprachen gemeinsam ausüben könnten. Dieses nach der Ehe fortbestehende Recht solle bereits aus psychologischen Erwägungen heraus auch rechtliche Anerkennung erfahren, da der Mangel an rechtlicher Durchsetzbarkeit eine wesentliche Bedeutung für die tatsächliche Ausübung elterlicher Verantwortung habe. 228 220 Vgl. Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (435) vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass demzufolge eine Aufteilung von Sorge und Vertretungsmacht unzulässig sei; ders. in Anm. zu LG Tübingen FamRZ 1960, S. 121 (122 f); so bereits bei früherer Rechtslage OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 241 = NJW 1956, S. 995. 221 Vgl. Anm. Schwoerer zu LG Tübingen FamRZ 1960, S. 121 (123); AmtG Tübingen DAVorm 1976, S. 424. 222 Vgl. dazu auch LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404). 223 Vgl. KG FamRZ 1980, S. 821 = NJW 1980, S. 2419 unter Hinweis auf BVerfG FamRZ 1958, S. 272 = NJW 1958, S. 865 (Ausführungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). 224 Vgl. Schwoerer, Anm. zu OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 242; ders. FamRZ 1958, S. 433 (435). 225 Vgl. auch BGH FamRZ 1979, S. 113, demzufolge die elterliche Sorge den Eltern nach der Scheidung, auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, jedenfalls dann nicht gemeinsam belassen oder übertragen werden könne, wenn dies dem Wohl des Kindes widerspreche, da dies nach der Rechtsprechung des BVerfG (FamRZ 1968, S. 578; E 71, S. 421) die oberste Richtschnur für die zutreffende Regelung sei; vgl. auch Erman / M. Ronke § 1671 Rz. 41 (7. Aufl. 1981). 226 Vgl. LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (62); AmtG Tübingen DAVorm 1976, S. 424. 227 Vgl. Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21 f); dies. FamRZ 1977, S. 371; LG Bremen FamRZ 1977, S. 402; AG Königstein FamRZ 1980, S. 483; LG Bremen FamRZ 1977, S. 402; BGH FamRZ 1979, S. 113; AG Königstein FamRZ 1980, S. 483; KG FamRZ 1980, S. 821 = NJW 1980, S. 2419; AmtG Bergisch-Gladbach FamRZ 1980, S. 1156. 228 Vgl. Schwoerer, Anm. zu OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 242; LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404); KG FamRZ 1979, S. 340 (341).

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Dem wurde entgegengehalten, dass man durch eine vertragliche Absprache die Wirkung der Scheidung nicht aufheben könne. 229 Die Grundlage der gemeinsamen Sorge sei die Familie und die werde durch die Scheidung endgültig aufgelöst. 230 Die Natur der Scheidung als grundlegende Neuordnung der Lebensverhältnisse schließe damit auch eine teilweise Fortsetzung in Einzelbereichen aus. 231 Ein solcher Regelungsansatz sei vor allem erforderlich, um nach Maßgabe des Kindeswohls klare Lebensverhältnisse und Rechtssicherheit für das Kind zu gewährleisten. 232 Nur auf diese Weise könne die staatliche Intervention hinreichend begrenzt und die fortbestehende Familienautonomie angemessen gewährleistet werden. 233 Dies gelte umso mehr, als die elterlichen Absprachen nicht selten für den Fall, dass untereinander eine Einigung in Einzelfragen nicht erzielt werden könne, vorsähen, dass das Vormundschaftsgericht zur Entscheidung zu berufen sei. 234 Damit würde sich die lediglich wachende Funktion dieser Institution umkehren und zu einem dauernden Bestandteil der Erziehung werden. 235 Angesichts des hohen Konfliktpotentials sowie dem daraus folgenden Schwebezustand dauernder Staatsintervention sei die gemeinsame Sorge regelmäßig nicht im Interesse des Kindes und stelle noch dazu ein zweifelhaftes Übergehen der Scheidungsschuld dar, die ebenfalls einen Aspekt kindgerechter Sorgerechtsübertragung ausmache. 236

229 Vgl. OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 = FamRZ 1956, S. 241 = ZBlJR 1956, S. 106, das zwar die Aufteilung einzelner Teilbereiche zulassen will, aber die unbestimmte gemeinsame Ausübung ausschließt; so auch LG Stade MDR 1960, S. 147; OLG Bremen FamRZ 1961, S. 534; vgl. auch OLG Celle NJW 1960, S. 151 (152) = ZBlJR 1959, S. 324. 230 Vgl. OLG Hamburg aaO; LG Tübingen FamRZ 1960, S. 121 (122); LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100). 231 Vgl. OLG Hamburg aaO; OLG Celle NJW 1960, S. 151 (152); zur Unzulässigkeit gemeinsamer Fortsetzung der Vermögenssorge, als Verstoß gegen das Alleinvertretungsprinzip vgl. OLG Bremen FamRZ 1961, S. 534. 232 Vgl. LG Stade MDR 1960, S. 147 = DAVorm. XXXII, S. 188. 233 Vgl. OLG Hamburg NJW 1956, S. 995; LG Stade MDR 1960, S. 147. 234 Vgl. etwa BayObLG FamRZ 1964, S. 523; OLG Hamburg NJW 1956, S. 995; vgl. auch OLG Neustadt FamRZ 1964, S. 91, das zu dem entsprechenden Ergebnis kam hinsichtlich einer einseitigen Sorgerechtsübertragung mit der Einschränkung, in wichtigen Entscheidungen den nichtsorgeberechtigten Elternteil einzubeziehen, also einem Verzicht auf die Alleinentscheidungsbefugnis, und bei Uneinigkeit das Vormundschaftsgericht anzurufen; ähnlich auch OLG Hamm FamRZ 1958, S. 145, wonach eine Absprache dauernd getrennt lebender Eltern, die sich auf den Aufenthalt des Kindes beschränkte, unzulässig war. 235 Vgl. OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 241. 236 Vgl. BayObLG FamRZ 1964, S. 523, das eine solche Absprache für unwirksam erklärt.

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cc) Voraussetzungen und Gestaltungsansätze der gemeinsamen Sorge Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung über die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung bestand auch erhebliche Unsicherheit darüber, wie die gerichtliche Übertragung im Einzelnen gestaltet werden sollte. Die Voraussetzungen und die Legitimation im Einzelfall fanden vor allem in diesen Gestaltungsansätzen ihren Ausdruck. Während die Aufteilung der Aufgabenbereiche durch die gerichtliche Entscheidung an praktische Gegebenheiten anknüpfte, bedurfte die einheitliche Belassung des Sorgerechts bei beiden Eltern einer umfassenden Güterabwägung. In Anlehnung an die ursprünglich gesetzliche Verteilung der Zuständigkeitsbereiche standen zunächst weiterhin zeitliche und funktionale Sorgerechtszuweisungen im Vordergrund der Erwägungen. Sie dienten vor allem dazu, Übertragungshindernisse zu überwinden, die der gesetzlich vorgesehenen Sorgerechtsübertragung entgegenstanden. Die gemeinsame Sorge war also darauf gerichtet, die den gesetzlich vorgesehenen Elternteil begünstigende Rechtsstellung durchzusetzen, indem dessen Defizite oder persönliche Beschränkungen durch den anderen Elternteil gezielt ausgeglichen wurden. 237 So diente die Aufteilung der Personensorge unter Durchbrechung des mit dem Ehegesetz 1938 eingeführten Grundsatzes der einheitlichen Personensorgeübertragung vor allem dazu eine differenzierte Sorgerechtslösung in Hinblick auf die Scheidungsschuld zu eröffnen. 238 Auf diese Weise konnte der nach sorgerechtlichen Kriterien vorzugswürdige Elternteil trotz seiner Belastung durch Scheidungsschuld zumindest teilweise an der Elternsorge beteiligt werden. 239 Dem wurde entgegengesetzt, dass es sich bei den in diesem Zusammenhang auftretenden Fallgruppen der Trennung von tatsächlicher Sorge durch die Mutter und der Vertretung in persönlichen Angelegenheiten durch den Vater nicht um Formen der geteilten Sorge, sondern lediglich vormundschaftsgerichtliche Einzelanordnungen handelte, die sich allein nach § 1666 BGB beurteilten. 240 Ebenfalls als gezielte Form der Ergänzung und des Ausgleichs von vorübergehenden Sorgerechtshindernissen entwickelten sich differenzierte Ausgestaltungen 237 Dagegen vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 63; OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 241; LG Stade MDR 1960, S. 147; BayObLG FamRZ 1964, S. 523 unter Hinweis auf die fehlende Rechtsklarheit; zum Bestimmungsrecht der Schulbildung vgl. BGH NJW 1952, S. 139. 238 Vgl. BayObLG NJW 1952, S. 320; ablehnend LG Stade MDR 1960, S. 147; Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (434); vgl. aber auch OLG Bremen FamRZ 1961, S. 534 zu gemeinsamer Ausübung der Vermögenssorge. 239 Vgl. BayObLG NJW 1963, S. 590 f, das die geteilte Sorgerechtsübertragung unter Bezugnahme § 1666 a.F. annahm; vgl. jedoch auch BayObLG FamRZ 1964, S. 523. 240 Vgl. KG DR 1940, S. 2166 (2167); BGH NJW 1952, S. 139 (140); zu den Voraussetzung der Trennung von Personen- und Vermögenssorge vgl. KG FamRZ 1962, S. 432; kritisch dazu Schoerer, NJW 1952, S. 284 (285); Treitz, S. 22.

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der zeitlichen Aufteilung des Sorgerechts. 241 Von den drei grundlegenden Regelungsansätzen bestand der erste in der Überbrückung eines vorübergehenden Hindernisses in der Person des vorzugswürdigen Elternteils bzw. der vorübergehenden Mutterbindung für Kleinkinder; die zweite Form war auf eine nur vorläufige Sorgerechtsübertragung gerichtet, die später durch eine erneute gerichtliche Würdigung überprüft werden sollte, und schließlich die dritte, die mittels zeitlicher Aufteilung beide Eltern in die Kindeserziehung einbeziehen sollte. 242 Dieser zeitlichen Aufteilung der Elternzuständigkeit wurde entgegengehalten, auch sie widerspreche dem Einheitsgrundsatz nachehelicher Sorge 243, während die Befürworter in diesem Zusammenhang auf die Einheitlichkeit der jeweiligen Ausübung hinwiesen, die somit im Einklang mit dem Grundsatz der Unteilbarkeit der Personensorge stehe. 244 Darüber hinaus richtete sich die Auseinandersetzung auf die konkreten Ausgestaltungen und die darin zum Ausdruck kommende Funktion der gemeinsamen Sorge. So war die erste Übertragungsform der gemeinsamen Sorge aufgrund der tatsächlichen Hindernisse letztlich eine aufgeschobene Alleinsorge und es wurde dahingehend kritisiert, dass der einseitige Übertragungsakt durch Einzelanordnung des Vormundschaftsgerichts gezielt modifiziert und im Nachhinein jederzeit geändert werden könne. 245 Es fehle also an der gebotenen Verknüpfung der beiden Rechtsstellungen. Im Übrigen stehe es dem berechtigten Elternteil frei, auch unabhängig von der gerichtlichen Anordnung die Ausübung der Sorge vorläufig dem anderen zu überlassen, so dass es insoweit jedenfalls einer gemeinsamen Rechtsstellung nicht bedürfe. 246 Demgegenüber wurde nach anderer Auffassung 241 Ablehnend BGH NJW 1952, S. 1254; KG FamRZ 1957, S. 176; LG Stuttgart ZBl. 1958, S. 258; BayObLG FamRZ 1962, S. 165 f; dass. FamRZ 1965, S. 51 (52); OLG Frankfurt / M. NJW 1962, S. 920 (921); Dölle „Familienrecht“, Bd. I, S. 292. 242 Vgl. zu diesem Themenkomplex vor allen Schwoerer NJW 1952, S. 284, 1254; ders. FamRZ 1958, S. 433; vgl. auch BayObLG FamRZ 1962, S. 165 (167 f) hinsichtlich der Argumentation des erstinstanzlichen Gerichts. 243 So BGH NJW 1952, S. 1254; KG FamRZ 1957, S. 176; OLG Frankfurt NJW 1962, S. 920 = FamRZ 1962, S. 171; BayObLG FamRZ 1962, S. 165 (167 f); a. A. OLG Frankfurt FamRZ 1955, S. 146. 244 Vgl. OLG Hamm JMBlNRW 1951, 13. Beschl. v. 13. 9. 1950; OLG Saarbrücken SaarlRZ 1954, S. 43 (44); OLG Frankfurt FamRZ 1955, S. 146; Gernhuber „Familinrecht“, S. 645; Lange JZ 1965, S. 425 (433); Schwoerer NJW 1952, S. 285, 1254; ders. FamRZ 1958, S. 433 (435); Treitz, S. 21. 245 Vgl. BGH NJW 1952, S. 139; KG FamRZ 1957, S. 176 jeweils unter Hinweis auf § 74 Abs. 4 EheG v. 1946. 246 Vgl. BGH NJW 1952, S. 1254 (1255); KG FamRZ 1957, S. 176; OLG Frankfurt / M. NJW 1962, S. 920 = FamRZ 1962, S. 171; BayObLG FamRZ 1962, S. 165 (167); a. A. OLG Frankfurt / M. FamRZ 1955, S. 146; OLG Köln FamRZ 1977, S. 62, das eine Elternabsprache jedoch für unzulässig hielt, die auf eine einseitige Sorgerechtsübertragung gerichtet war, bei der dem anderen Teil auf unbeschränkte Zeit jedoch die Ausübung überlassen werden sollte.

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die Funktion der gemeinsamen Sorge in dieser Fallkonstellation gerade im Schutz des nur vorläufig Berechtigten gesehen, den es davor zu bewahren gelte, der rechtlich unklaren aufschiebenden oder auflösenden Bedingung der zeitlichen Begrenzung ausgesetzt zu sein, mit der ihm das Kind jederzeit willkürlich entzogen werden könne. 247 Die beiden weiteren Formen der zeitlichen Sorgerechtsaufteilung hingegen ließen bereits einen weniger pragmatischen Ansatz erkennen. Sie folgten bereits aus dem grundlegenden Wandel, mit dem das Kindeswohl zunehmend die sorgerechtliche Abwägung bestimmte und sich damit auch auf die Beurteilung der gemeinsamen Sorge auswirkte. Anstelle der funktionalen Verteilung gewann die Integration beider Eltern in die nacheheliche Kindeserziehung an Bedeutung und stellte die kindeswohlorientierte Kooperation stärker in den Vordergrund. Dabei wurde insbesondere unter Bezugnahme auf das Kindeswohl gegen zeitliche Aufteilung der Elternverantwortung geltend gemacht, dass sie dem Kontinuitätsprinzip 248 widerspreche, das gerade eine nachhaltige und dauerhafte Einflussnahme des sorgeberechtigten Elternteils erfordere. 249 Es gelte, im scheidungsbedingten Umbruch zukünftig stabile Lebensumstände zu schaffen, bei denen weitere persönliche und sachliche Veränderungen des kindlichen Umfelds zu vermeiden seien. 250 Der damit verbundene Wechsel der Bezugspersonen stelle eine unvertretbare Härte dar. 251 Die häufig uneinheitliche Einflussnahme beider Elternteile störe die kontinuierliche Entwicklung des Kindes und mache es zum Objekt elterlicher Rivalität. So würden langfristige Entschlüsse durch die Unsicherheit hinsichtlich der späteren Entscheidungen des anderen Elternteils gehemmt. 252 Noch dazu seien die zukünftigen Lebensumstände des Kindes nicht so weit vorherzusehen, dass man im Vorfeld bestimmen könne, zu welchem Zeitpunkt es dem Kind nicht schade, wenn das Sorgerecht von einem Elternteil auf den anderen übergehe. 253 Daher sei anstelle der Übertragung der gemeinsamen

247 Vgl. Schwoerer NJW 1952, S. 284; Treitz, S. 21 unter Hinweis auf die kindeswohlgerechte Schaffung klarer Orientierung im zukünftigen Entwicklungsgang; vgl. auch OLG Saarbrücken SaarRZ 1954, S. 43 = FamRZ 1955, S. 145. 248 Vgl. zum Begriff des Kontinuitätsprinzips auch weitere Ausführungen in Kap. C., Abschn. III.2.c)cc). 249 Vgl. KG FamRZ 1957, S. 176 (177); OLG Frankfurt NJW 1962, S. 920 = FamRZ 1962, S. 171; BayObLG NJW 1962, S. 165; Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 309. 250 Vgl. KG FamRZ 1957, S. 176; BayObLG FamRZ 1980, S. 482. 251 Vgl. KG aaO, S. 177. 252 Vgl. OLG Frankfurt NJW 1962, S. 920 = FamRZ 1962, S. 171 unter besonderem Hinweis auf die diesbezüglichen Missbrauchsmöglichkeiten in Hinblick auf die sachwidrige Austragung elterlicher Konflikte; Dölle „Familienrecht“, Bd. I, S. 289. 253 Vgl. OLG Frankfurt NJW 1962, S. 920 = FamRZ 1962, S. 171; Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 311.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Elternsorge eine einseitige Zuständigkeit unter späterer Änderung der Sorgerechtsentscheidung 254 mit entsprechender Einzelfallwürdigung vorzuziehen. 255 Dem wurde entgegen gehalten, dass ein solcher Ansatz dem Gedanken gemeinsamer Teilhabe an der Kindeserziehung widerspreche und die Eltern in ein kindeswohlwidriges Konkurrenzverhältnis dränge. 256 Gegenüber der Erstentscheidung unterliege die nachträgliche Änderung der Sorgerechtsentscheidung gem. § 1696 erhöhten Anforderungen, die anstelle des wohlverstandenen Interesses ein Versagen des sorgeberechtigten Elternteils oder die drohende Verwahrlosung des Kindes voraussetzten. 257 Demgegenüber sei die vorsorgliche Bestimmung des Sorgerechtsübergangs als wesensgleiches Minus in der gerichtlichen Änderungsbefugnis enthalten. 258 Der spätere Übergang könne unter Umständen gerade die Vorbedingung der Elternabsprache sein. So sei die beiderseitige Rechtsstellung dazu geeignet, elterliche Konflikte zu vermeiden, das Kind auf diese Weise effektiv zu schützen und ihm das erzieherische Engagement beider Eltern zu bewahren, ohne die Rechtsstellung eines Teils zu schwächen. 259 Eine insoweit zurückhaltende Gestaltung stellte die von vornherein vorgesehene Befristung der Sorgerechtsübertragung dar, mit der die Eltern vereinbaren, eine erneute Entscheidung durch das Vormundschaftsgericht zu erwirken, sofern sie sich nach Ablauf der Frist über die Sorgerechtsausübung nicht einig geworden sind. 260 Diesem Gestaltungsansatz kam jedoch praktisch keine größere Bedeutung zu, da er als Grundlage der gemeinsamen Sorge aus Mangel an Rechtssicherheit von der Rechtssprechung weitgehend abgelehnt wurde. 261 Ähnlich wie über die zeitliche Aufteilung wurde auch die funktionale Zuweisung von Einzelzuständigkeiten im Rahmen der gemeinsamen Sorge diskutiert. 262 254

Zunächst auf der Rechtsgrundlage des § 74 Abs. 6 EheG v. 1946 und später gem. § 1696 ab der Fassung des GleichberG. 255 Vgl. BGH NJW 1952, S. 1254; KG FamRZ 1957, S. 176; OLG Frankfurt NJW 1962, S. 920 = FamRZ 1962, S. 171; BayObLG FamRZ 1962, S. 165 (166). 256 Vgl. Schwoerer NJW 1952, S. 1254; ders. FamRZ 1958, S. 433 (435). 257 Insoweit bestätigend BayObLG FamRZ 1962, S. 165 (166). 258 Vgl. Gernhuber „Familienrecht“, S. 858 f; Treitz, S. 21. 259 Vgl. Schwoerer NJW 1952, S. 284 (286). 260 Vgl. BayObLG NJW 1952, S. 320; BayObLGZ 1961, S. 383 (387) = FamRZ 1962, S. 165; OLG Frankfurt NJW 1962, S. 920 = FamRZ 1962, S. 171; OLG Hamm ZBlJR 1963, S. 258; BayObLG FamRZ 1965, S. 51. 261 Vgl. dazu BayObLG 1965, S. 51; Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 310. 262 Gegen die Verteilung der Pflichten und Rechte der Personensorge auf beide Eltern vgl. OLG Tübingen DRZ 1950, S. 88; a. A. zu § 1635 a.F. OLG München JFG 14 (aus dem Jahr 1936), S. 455 (457); RGZ 129, S. 20; zu § 81 EheG: KG JFG 22, S. 218 (im Jahre 1941); Rexroth JR 1938, S. 2095; OLG Hamm JMBl. NRW 51, S. 13; OLG Neustadt DR I (164) 46 d).

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Erste Anknüpfungspunkte orientierten sich direkt an gesetzlichen Vorgängerregulierungen, indem etwa dem Vater die Vertretungsmacht und der Mutter die tatsächliche Ausübung der Personensorge übertragen wurde. 263 Die isolierte Personensorgeübertragung zur Bestimmung über den Schulbesuch wurde unter Hinweis auf die Einheitlichkeit der Personensorge bereits als mit § 74 Abs. 1 EheG v. 1946 unvereinbar angesehen. 264 Allein durch die eindeutige Zuständigkeit eines Elternteils könne gewährleistet werden, dass das Kind nicht als Streitobjekt zwischen die Eltern gerate. 265 Gleichermaßen wurde überwiegend abgelehnt, einem Elternteil die Personensorge vollständig und dem anderen Teil lediglich die Befugnis zu übertragen, an wesentlichen Entscheidungen mitzuwirken. 266 Die Gegenauffassung verwies hingegen auf den Wortlaut des § 74 EheG v. 1946, worin die Sorgerechtsentscheidung allein am Kindesinteresse zu messen sei, während noch § 81 EheG von 1938 die Übertragung der Personensorge auf den einen oder anderen Elternteil als Ganzes ausdrücklich vorsah. 267 Auch nach Inkrafttreten des GleichberG von 1957 sprach sich die überwiegende Auffassung gegen die Funktionsaufteilung aus. Die Übertragung von Einzelbefugnissen der Personensorge wie die Entscheidungskompetenz im Rahmen der religiösen Erziehung wurden dabei auf Anordnungen gem. § 1666 beschränkt. 268 Sogar die gesetzlich vorgesehene Aufteilung zwischen Personen- und Vermögenssorge wurde hier eng ausgelegt, indem eine gemeinsame Wahrnehmung der Vermögenssorge aufgrund des Alleinvertretungsprinzips ausgeschlossen sein sollte. 269 Doch zeichnete sich bereits durch die veränderte Ausrichtung auf elterliches Zusammenwirken eine grundlegende Trendwende im Verständnis von der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung ab. 270 Im Laufe der Entwicklung gewann die gemeinschaftliche Ausübung der nachehelichen Sorge durch beide Eltern gegenüber der Zuständigkeitsverteilung an Bedeutung. War die Entwicklung des nachehelichen Sorgerechts insgesamt von der Vereinheitlichung elterlicher Kompetenzen geprägt, beeinflusste dies auch die Voraussetzungen und die Gestaltung der gemeinsamen Sorge. Die Qualität des Zusammenwirkens im Rahmen der gemeinsamen Sorgerechtsausübung selbst wurde in die Kindeswohlerwägungen 263

Vgl. Rexroth JW 1938, S. 2095; KG DJ 1944, S. 323; BayObLG NJW 1952, S. 320. Vgl. OLG Hamburg NJW 1956, S. 995; OLG Hamm FamRZ 1958, S. 145; vgl. auch BGH NJW 1952, S. 139 ff = BGHZ 3, S. 26 mit historischem Überblick; ähnlich Imlau DRZ 1947, S. 395; a. A. BayObLG NJW 1952, S. 320. 265 Vgl. BayObLG NJW 1952, S. 320, das dennoch in Einzelfällen von diesem Grundsatz Ausnahmen zulassen will. 266 Vgl. OLG Hamburg NJW 1956, S. 995. 267 Vgl. von Godin „EheG“, 2. Aufl. § 74 Anm. 4C. 268 Vgl. BayObLG NJW 1963, S. 590. 269 Vgl. OLG Bremen FamRZ 1961, S. 534; KG FamRZ 1962, S. 432 (433). 270 Vgl. Treitz, S. 21; ablehnend OLG Hamburg NJW 1956, S. 995; OLG Hamm FamRZ 1958, S. 145, unter Bezugnahme auf § 1672 aF; LG Stade MDR 1960, S. 147. 264

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einbezogen. 271 Dabei wurde bereits z.Z. des GleichberG auf der Grundlage einer Elterneinigung vereinbart, dass beide Eltern die wesentlichen Erziehungsund Ausbildungsentscheidungen gemeinsam zu treffen hätten und bei Fehlschlagen der Einigung das Vormundschaftsgericht abschließend entscheiden sollte. 272 Insbesondere der Regelungsautomatismus und die zwingende Verbindung von Scheidung und Sorgerechtsbestimmung wurden nun auf diese Weise relativiert. 273 Die Gegner lehnten dies unter Verweis auf das verfassungsrechtlich verankerte Wächteramt gem. Art. 6 Abs. 2 GG ab, wonach staatliche Intervention umfassend sein müsse, so dass vorsorglich für den Fall elterlicher Uneinigkeit eindeutige Verhältnisse bestehen müssten. 274 Die Möglichkeit der Eltern, außergerichtlich Regelungen über gemeinsame Verantwortung zu treffen, bleibe davon unberührt. Die Sorgerechtsgestaltung sei demzufolge nur für den Konfliktfall maßgeblich. Andere sahen demgegenüber die kindeswohlgemäße Fortsetzung beider elterlicher Rechtsstellungen zusehends als eine rechtlich anzuerkennende Sorgerechtsübertragung an, die dem Staat eine abweichende Reglementierung verwehre. 275 Betrachtet man dabei die konkreten Anforderung an die Übertragung der gemeinsamen Sorge als einheitliche Position beider Eltern, so finden sich vor dem Inkrafttreten des SorgeRG von 1979 nur wenig konkrete Anhaltspunkte. So hieß es etwa, dass die Übertragung der gemeinsamen Sorge voraussetze, dass der Entschluss der Eltern zur gemeinsamen Ausübung der Elternsorge nach der Scheidung durch besondere Gründe zum Wohl des Kindes begründet sei. 276 Entscheidender Maßstab sei danach, dass die Sorgerechtsübertragung, die den fortbestehenden Bindungen der Familie gerecht werde und der vornehmlichen Aufgabe des Rechtes entspreche, eine befriedende und allen Interessenlagen entsprechende Entscheidung gewährleiste. 277 Der in dieser zentralen Entscheidung des LG Mannheim von 1970 278 hervorgehobene Maßstab war dabei vor allem die friedliche Gesinnung der Eltern, die in jenem Einzelfall neben der Bereitschaft zum Abschluss der

271 Exemplarisch dazu vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404); OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267); KG FamRZ 1980, S. 821 (823); so auch schon Schwoerer, Anm. zu OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 242; Lempp FamRZ 1972, S. 315; ders. bereits NJW 1964, S. 440. 272 Vgl. dazu die abschlägige Entscheidung des OLG Neustadt FamRZ 1964, S. 91. 273 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267); KG 1979, S. 340; Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (473), der in diesem Zusammenhang von einem Wertungswiderspruch spricht; Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625 (627). 274 Vgl. LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); Weber FamRZ 1975, S. 401; ähnlich auch schon LG Stade MDR 1960, S. 147; a. A. KG FamRZ 1979, S. 340 (341). 275 Vgl. KG FamRZ 1980, S. 821 (823); kritisch dazu Evans-von Krbek FamRZ 1977, S. 371; LG Bremen FamRZ 1977, S. 402. 276 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185. 277 AaO S. 186. 278 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186).

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gütlichen Einigung zugunsten der gemeinsamen Sorge auch durch die Fortsetzung eines gemeinsamen Unternehmens zum Ausdruck kam. In der Folgezeit blieb es zunächst dabei, dass die Gerichte auf den besonderen Ausnahmecharakter der gemeinsamen Sorge abstellten. Jedoch wurden die Anforderungen an das Kindeswohl weniger strikt gefasst. So stellte das LG Wiesbaden 279 darauf ab, dass die gemeinsame Sorge eingeräumt werden könne, wenn ein darauf gerichteter gemeinsamer Vorschlag der Eltern nicht dem Kindeswohl entgegenstehe und die Sorgerechtsabsprache dem Kindeswohl am besten entspreche. 280 Im dort zugrunde liegenden Sachverhalt wiesen die Eltern bereits eine lange Zeit kooperativen Verhaltens nach der Trennung bei Entscheidungen bezüglich der Kinder nach. 281 Die Mutter sollte in der konkreten Ausführung die alltäglichen Entscheidungen allein und wichtige Entscheidungen mit dem Vater gemeinsam treffen, wie es bereits während der Ehe aufgrund des im Ausland berufstätigen Vaters bereits erfolgreich praktiziert worden sei. Das Gericht sah hier auch ausdrücklich kein Hindernis für die Sorgerechtsübertragung in der räumlichen Distanz, da telefonische Rücksprache in Eilfällen stets möglich sei und überdies wichtige Entscheidungen überwiegend nicht überraschend aufträten und daher eine langfristige Absprache ermöglichten. Die durch abnehmende Bindung zunehmende Gefahr von Meinungsverschiedenheiten sei nicht pauschal zu bewerten und die Übereinstimmung sei dort zu schützen, wo sie zu erreichen sei. 282 Dem OLG Düsseldorf zufolge wurde die gemeinsame Sorge übertragen, nachdem der gemeinsame Vorschlag der Eltern auch vom zuständigen Jugendamt befürwortet worden war und nach Auffassung des Gerichtes unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse dem Kindeswohl am besten diente. 283 Die sonstige Vermutung bestehender Spannungen sei vor diesem Hintergrund widerlegt. Dem schloss sich das LG Bremen 284 in seiner Vorlage an das BVerfG zur Überprüfung der verfassungsmäßigen Vereinbarkeit des § 1671 gem. Art. 100 GG an und forderte, dass das Gesetz zumindest dann eine Ausnahme vorsehen müsse, wenn die vorhandene 279 LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60; ebenso OLG Hamburg FamRZ 1979, S. 540 = DAVorm 1979, S. 299. 280 Vgl. auch OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267). 281 Der Vater hatte auch während der Ehe in der Woche in einer anderen Stadt gewohnt und war nur über das Wochenende mit der Familie zusammen gewesen. Beide hatten ein durch das Jugendamt bestätigtes gemeinsames Interesse an dem Wohlergehen und Fortkommen ihrer Kinder. 282 LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (62). 283 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267) – Es führt im Einzelnen aus, dass wenn wie im vorliegenden Fall kein Streit bestehe und die Eltern gewillt seien, im Interesse der Kinder so zusammenleben, äußerlich der also Anschein der früheren ehelichen Gemeinsamkeit aufrechterhalten werde, die gemeinsame Verantwortung beider Eltern geeignet sei, zukünftigen Spannungen entgegenzuwirken und dem Zerfall der Familie Einhalt zu gebieten. 284 LG Bremen FamRZ 1977, S. 402.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Einigkeit der Eltern eine kindeswohlgerechte Ausübung erwarten lasse, wobei räumliche Distanz zufrieden stellend durch technische Kommunikationsmittel ausgeglichen werden könne. 285 Eine Überlastung der Vormundschaftsgerichte durch Einzelfallentscheidungen sei nicht zu befürchten, weil bei dauernder Uneinigkeit die Voraussetzungen grundsätzlich einvernehmlicher Rechtsausübung nicht gegeben seien. 286 Das KG 287 blieb in den Anforderungen an die Verhältnisse noch zurückhaltender. So sah es für die Übertragung der gemeinsamen Sorge als ausreichend an, wenn die Eltern dies einvernehmlich vorschlagen und eine solche Regelung dem Kindeswohl entspreche. Es führte dazu aus, dass nur für den Konfliktfall, wenn die gemeinsame Wahrnehmung der Erziehungsverantwortung nicht mehr möglich sei, die gerichtliche Gestaltung der nachehelichen Sorge vorgesehen sei. Liege aber kein Konfliktfall vor und seien sich die Eltern über die gemeinsame Wahrnehmung ihrer Elternverantwortung über die Scheidung hinaus einig, so bedürfe es der Übertragung der Elternsorge auf nur einen Elternteil nicht. 288 Die Anforderungen seien bereits deswegen gering, da eine Abweichung vom Elternvorschlag gesetzlich nur dann vorgesehen sei, wenn er dem Wohl des Kindes erkennbar zuwiderlaufe. Gleichzeitig wies das KG jedoch auf den Ausnahmecharakter der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung hin und schloss sich der Literaturmeinung 289 an, dass mit erheblicher Skepsis gegenüber der Tragfähigkeit die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten einer vorsichtigen gerichtlichen Prüfung zu unterziehen seien, wobei allerdings berücksichtigt werden müsse, dass das Kind beide Eltern brauche. Im konkreten Einzelfall hob das KG hervor, dass die Beteiligten bereits durch ihre Berufe (Pfarrer und Sozialpädagogin) günstige Voraussetzungen mitbrächten, um mit der schwierigen Aufgabe zurecht zu kommen. Abschließend kann angesichts der geringen Zahl bekannter Urteile wohl nicht von einer gefestigten Rechtsprechung gesprochen werden. Übereinstimmung lässt sich jedoch zumindest darin erkennen, dass vor dem SorgeRG von 1979 die gemeinsame Sorge nach der Scheidung stets an einen einvernehmlichen Elternvorschlag geknüpft wurde, der die elterliche Bereitschaft zur gemeinschaftlichen Ausübung der Elternverantwortung dokumentierte. Die Beurteilung des Kindeswohls blieb vage und uneinheitlich. Während zunächst für erforderlich gehalten wurde, dass das Kindeswohl die gemeinsame Sorgerechtsübertragung gebiete 290, genügte es 285

Anders wohl BGH FamRZ 1979, S. 113. Vgl. LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404). 287 Vgl. KG (18. ZS) FamRZ 1979, S. 340. 288 Vgl. KG FamRZ 1979, S. 340; vgl. auch die weitgehend identische Entscheidungsbegründung des OLG Hamburg FamRZ 1979, S. 540 = DAVorm 1979, S. 299. 289 Vgl. Schwab „Handbuch des Scheidungsrechts“ 1977, S. 75 f; Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 f. 290 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185. 286

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nachfolgenden Gerichten, dass sie dem Kindeswohl am besten diene oder sogar ihm lediglich entspreche. 291 In der konkreten Güterabwägung stellten die Gerichte dabei vor allem auf die Praktikabilität der Entscheidungsfindung und die Entkräftung der Konfliktvermutung ab. Von herausragender Bedeutung erwiesen sich dabei bereits verfügbare Erfahrungen der Eltern mit gemeinsamer Ausübung der Erziehungsverantwortung nach ihrer Partnerschaft. Ein wiederkehrendes Argument gegen die Vermutung kindeswohlgefährdender Elternauseinandersetzungen wurde daraus abgeleitet, dass die Eltern in ungewöhnlicher Weise Lebensbereiche vereint fortsetzten, sei es die gemeinsame Fortführung eines Unternehmens 292 oder das weitere Zusammenleben 293. Hindernisse durch räumliche Distanz wurden jedenfalls in dieser Entwicklungsphase ausdrücklich für gering erachtet. 294 Diese Gesichtspunkte boten bereits Anknüpfungspunkte für die spätere Wiedereinführung der gemeinsamen Sorge durch das Urteil des BVerfG nach 1982. dd) Kindeswohl im SorgeRG von 1979 und Kontroverse zum gemeinsamen Sorgerecht bei Einführung der obligatorischen Alleinsorge Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzungen über Zulässigkeit und Gestaltungsansätze der gemeinsamen Sorge hat der Gesetzgeber schließlich die gemeinsame Sorge nach der Scheidung durch das SorgeRG von 1979 ausgeschlossen und die Alleinsorge als einzige Sorgerechtsform verbindlich vorgeschrieben. 295 Diese Gesetzesreform entschied damit bewusst einen anhaltenden Meinungsstreit. Dieser Abschluss der Debatte führte zu einer transparenten Verlagerung bzw. Klarstellung der Parameter, an denen die nacheheliche Sorge nun bemessen werden sollte. Diese Parameter des SorgeRG sollen nun anhand zentraler Kriterien der Güterabwägung veranschaulicht werden, indem die zuvor konkurrierenden Rechtsauffassungen im Vorfeld der Reform gegenübergestellt werden. Das Augenmerk richtet sich hier auf die Beurteilung des Kindeswohls, die Funktion der Familie nach der Scheidung und schließlich die regulative Rolle des Staates im Familienkonflikt. Im Vordergrund der Auseinandersetzung über die Vertretbarkeit der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung stand die Bewertung des Kindeswohls. So machten 291 Vgl. LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (62); OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267); KG (18. ZS) FamRZ 1979, S. 340; OLG Hamburg FamRZ 1979, S. 540 = DAVorm 1979, S. 299. 292 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185. 293 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267). 294 Vgl. LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60; LG Bremen FamRZ 1977, S. 402. 295 Vgl. BVerfG FamRZ 1980, S. 767 als eine erste Bestätigung der §§ 1671, 1672 idF. des SorgeRG; a. A. KG FamRZ 1980, S. 821.

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die Befürworter der gemeinsamen Sorge vor allem geltend, dass das Kind für eine ausgewogene Entwicklung seiner Persönlichkeit grundsätzlich beide Elternteile als Bezugspersonen brauche. 296 Dem stehe es entgegen, einen Elternteil ohne konkreten Anlass aus der Pflicht gegenüber dem Kind zu entlassen. Dabei sei auch die tief greifende psychologische Wirkung dieser rein formalen Entrechtung eines Elternteils zu berücksichtigen, die eine ausgewogene und gleichwertige Erziehung des Kindes durch beide Eltern behindere. 297 So diene die gemeinsame Sorge nach der Scheidung dazu, die entfremdende und hemmende „Besuchseinstellung“ des Umgangsrechts zu vermeiden. 298 Insoweit verbiete es sich, stets gleichwertige Erziehungsbeiträge zur Voraussetzung der gemeinschaftlichen Übertragung zu machen, da neben der erheblichen Bedeutung der Ergänzung und Arbeitsteilung beidseitiger Erziehungsausübung auch die rechtliche Bestätigung fortbestehender Verantwortung in die Beurteilung einfließen müsse. 299 Nur durch eine dahingehend flexible und entschematisierte Sichtweise werde man dem Kindeswohl als einzelfallorientiertem Kriterium gerecht, das vor allem darauf gerichtet sei, die bestehenden Bindungen und die elterlichen Erziehungspotentiale maximal auszuschöpfen. 300 Dem wurde durch die Gegenauffassung – und den Reformgesetzgeber von 1979 – entgegengehalten, dass das Kind im elterlichen Konfliktpotential nur durch eindeutige Zuordnung zu einem Elternteil davor zu schützen sei, als Gegenstand machtorientierter Auseinandersetzung zwischen die Eltern zu geraten. 301 Die unvermeidliche Lockerung der Bindung zwischen den Eltern untereinander und dem Kind zum nicht betreuenden Elternteil würden die Entscheidungen zur Durchsetzung des Kindeswohls behindern und überdies ginge im Laufe der Zeit sowohl die informative als affektive Grundlage der Entscheidungen verloren. 302 Zudem 296

Vgl. LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404) KG FamRZ 1979, S. 340 (341); Evansvon Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21); Fehmel FamRZ 1979, S. 380 unter Bezugnahme auf amerikanische Forschungsergebnisse; ders. FamRZ 1980, S. 758 (760); Lempp FamRZ 1972, S. 315; ders. bereits NJW 1964, S. 440. 297 Vgl. LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404); Schwoerer, Anm. zu OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 242. 298 Vgl. Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21); kritisch dazu Weber FamRZ 1975, S. 401. 299 Vgl. Schwoerer, Anm. zu OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 242; KG FamRZ 1979, S. 341; Evans-von Krbek aaO. 300 Vgl. Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625 (627). 301 Vgl. LG Stade MDR 1960, S. 147; OLG Bremen FamRZ 1961, S. 534; vgl. auch Beitzke FamRZ 1958, S. 7 (10) unter Hinweis auf die bloße Ausübungsbeschränkung bei fortbestehender Rechtsposition des nichtsorgeberechtigten Elternteils; Strätz FamRZ 1975, S. 541, der überdies auf die Möglichkeit des Kindes zum Ausspielen der Eltern gegeneinander hinweist. 302 Vgl. OLG Bremen FamRZ 1961, S. 534; vgl. dazu BGH FamRZ 1979, S. 113; Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 311.

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trügen die äußeren Umstände räumlicher Trennung maßgeblich dazu bei, dass sich die Entscheidungen verzögerten und eine bedürfnisorientierte Wahrnehmung der Kindesinteressen nicht ausreichend sichergestellt werden könne. 303 Über diese Praktikabilitätserwägungen hinaus sei die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge über die Scheidung hinaus mit der psychischen Dimension des Kindeswohls nicht vereinbar, da das Kind aufgrund der tiefgreifenden trennungsbedingten Verunsicherung ein elementares Bedürfnis nach abschließender Klärung der Verhältnisse habe, dem die nur vage Gestalt der gemeinsamen Sorge nicht entspreche. 304 Dies werde durch die Ausgleichsfunktion staatlicher Stellen bei elterlichen Meinungsverschiedenheiten noch erschwert, da deren dauernde Präsenz im intimen Lebensbereich der Familie das Kind zu verunsichern drohe. 305 Die gemeinsame Sorge sei daher mit dem Kindeswohl grundsätzlich nicht vereinbar. Gab das Gesetz schließlich die Alleinsorge verbindlich vor, so legte es auf diese Weise den Schwerpunkt des Kindeswohls auf den Schutz vor dem durch die Scheidung begründeten Konflikt der Eltern. Eine gerichtliche Einzelfallentscheidung wurde als unzureichend erachtet und stattdessen eine einseitige Zuordnung des Kindes, die zwischen konkurrierenden Elternpositionen bzw. Kindesbindungen abwog, für erforderlich gehalten. 306 Damit entschied sich der Gesetzgeber zwischen zwei grundlegenden Kindeswohlkonzeptionen zugunsten einer durch Gesetz verbindlich bestimmten Rechtssicherheit und gegen eine auf gerichtlichem Ermessen beruhende Flexibilisierung der rechtlichen Beurteilung. 307 Angesichts der scheidungstypischen Konfliktlage sei es geboten, seitens des Staates von vornherein eindeutige Verhältnisse und automatisch eintretende Rechtsklarheit durch die Übertragung nachehelicher Alleinsorge zu schaffen. 308 Damit richtete sich das Verfahren auf eine grundlegende Neuordnung der Lebensverhältnisse und eine abschließende und durch den Staat kontrollierte Auflösung der Familie. 309 Der gesetzlichen Ausgestaltung der Alleinsorge wurde demnach verbindliche Priorität für das Kindeswohl eingeräumt, um so das Kind vor dem scheidungsimmanenten Konfliktpotential der Eltern zu schützen und damit die Scheidung zum Anlass 303

Vgl. LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); a. A. LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60

(62). 304 Vgl. OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 = FamRZ 1956, S. 241; LG Stade MDR 1960, S. 147; BayObLG FamRZ 1964, S. 523; OLG Hamm FamRZ 1980, S. 485 (486); Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 310; vgl. auch Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120) unter Berufung auf die Hauptbezugsperson des Kindes. 305 Vgl. LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); Weber FamRZ 1975, S. 401. 306 Befürwortend Strätz FamRZ 1975, S. 541. 307 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1977, S. 266 (267). 308 Vgl. schon LG Stade MDR 1960, S. 147; LG Köln FamRZ 1974, S. 99(100); Dittmann ZfJ 1977, S. 187 (191); Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (13); Bosch, Anm. zu LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186). 309 Vgl. OLG Hamburg NJW 1956, S. 995; dazu schließlich BT-Drucks. 8/2788, S. 63.

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einer umfassenden Zäsur zu nehmen, die auch den vorsorglichen Ausschluss eines Elternteils von der Erziehungsverantwortung rechtfertige. 310 Damit ist die Thematik der Funktion der Familie nach der Scheidung eng verbunden. Die Befürworter gemeinsamer Sorge stellten eine maximale Kontinuität der Erziehungsfunktion in den Vordergrund der Kindeswohlgewichtung. Die Entflechtung von Elternschaft und Partnerschaft auf der Grundlage differenzierter Beurteilung der familiären Einzelbeziehungen trage dazu bei, die entsprechenden Verbandsfunktionen voneinander zu unterscheiden und die elterliche Erziehungsfunktion unabhängig von der Ehe fortzusetzen. 311 Eine Unterscheidung zwischen nachehelicher und ehelicher Sorgerechtsausübung sei auch deshalb zweifelhaft, weil während der Ehe eine ausgewogene und dauernd abgestimmte Erziehungsteilnahme beider Eltern nicht die Regel sei. 312 So gäbe es auch keinen Erfahrungsgrundsatz, demzufolge nur verheiratete Eltern ein Kind gemeinsam erziehen könnten. 313 Vielmehr verlange die Gleichberechtigung der Eltern von ihnen ein erhöhtes Maß an Kooperations- und Einigungsbereitschaft. 314 Ein im Elternverhältnis angelegtes Erfordernis einer einseitigen Übertragung könne sich daher nur aus dem Einzelfall ergeben, insbesondere da die Gefahr eines Missbrauchs des Sorgerechts für den elterlichen Machtkampf mit dem zunehmenden Alter des Kindes stetig abnehme. 315 Ein Vorteil des gemeinsamen Sorgerechts sei es, mit Hilfe dieser Sorgerechtsform dem Zerfall des Verbandes entgegenzuwirken. 316 Demgegenüber wurde von der Gegenauffassung vertreten, dass die Funktionsbereiche der Familie gerade an die Ehe geknüpft seien, die durch die Scheidung abschließend beseitigt werde. 317 Das durch die Partnerschaftsbeendigung bestehende Konfliktpotential gebiete insoweit, auch die sorgerechtlichen Beziehungen grundlegend neu zu regeln und zur Schaffung eindeutiger Zuständigkeiten auf 310

Vgl. auch Strätz FamRZ 1975, S. 541. Vgl. LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404). 312 Vgl. Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21). 313 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404); OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267); KG FamRZ 1980, S. 821 (823); so schon Schwoerer, Anm. zu OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 242; Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625 (626). 314 Vgl. LG Bremen FamRZ 1977, S. 402; Schwoerer aaO. 315 Vgl. Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625 (627); Lempp NJW 1963, S. 1660; ders. NJW 1964, S. 441; a. A. OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 = FamRZ 1965, S. 241; OLG Neustadt FamRZ 1974, S. 91. 316 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267); Schmitt Glaeser DOV 1978, S. 629 (632), der im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf des SorgeRG von einer „Zielprojektion, die auf die Zerstörung der Familie gerichtet ist“, spricht. 317 Vgl. OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 = FamRZ 1956, S. 241; LG Tübingen FamRZ 1960, S. 121 (122); vgl. dazu auch LG Stade MDR 1960, S. 147; OLG Celle NJW 1960, S. 151 (152); Strätz FamRZ 1975, S. 541; Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (13). 311

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einen Elternteil zu übertragen. 318 Andernfalls würde die eigentliche Entscheidung über die Sorgerechtsausübung nur aufgeschoben und biete den Eltern durch die Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts nur die Gelegenheit, dem diesbezüglichen Konflikt vorerst aus dem Weg zu gehen. 319 Der natürliche Impuls der Kontaktvermeidung beider Eltern drohe, zur Verschleppung wichtiger, aber gemeinschaftlich zu treffender Entscheidung zu führen, und sei mit einer verantwortungsvollen Wahrnehmung des Erziehungsauftrags unvereinbar. 320 Eine davon abweichende Einschätzung des Elternverhältnisses widerspräche im Übrigen dem Nachweis der Zerrüttung der Ehe. 321 Schließlich widerspreche auch die unausweichliche Entfremdung der Eltern einem auf die Fortsetzung des Familienverbandes gerichteten Bestreben. 322 Dem grundsätzlichen Einschnitt der Scheidung für die elterliche Funktionswahrnehmung sei sorgerechtlich durch vollständige Auflösung und Neuverteilung der Funktionen zu begegnen. 323 Die Gegenüberstellung der beiden Sorgerechtsformen stellte damit schließlich auch das grundlegende Verhältnis von Familie und Staat im Familienkonflikt und die daraus folgende regulative Rolle des Staates bei der scheidungsbedingten Sorgerechtsübertragung zur Debatte. Familienautonomie und staatliche Eingriffsbefugnis im Rahmen des Wächteramtes wurden erneut abgewogen. So wurde bereits in der Vorbereitung zum SorgeRG die verfassungsrechtliche Diskussion über das Verhältnis der wächteramtlichen Schutzfunktion gegenüber dem elterlichen Erziehungsrecht als autonomem und staatsfreiem Recht begonnen. Die Befürworter der gemeinsamen Sorge haben gefordert, sie in Ausnahmefällen zumindest dort zu belassen, wo dies im Einzelfall der Durchsetzung des Kindeswohls diene. 324 Es sei eine auf Übertragung der Alleinsorge gerichtete Intervention zum Schutz des Kindes nicht erforderlich, wenn die Eltern in der Lage seien, sich friedlich über die gemeinsame Erziehungsausübung zu einigen. 325 318 Vgl. LG Stade MDR 1960, S. 147; Dittmann ZfJ 1977, S. 187 (191); LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); a. A. KG FamRZ 1979, S. 340 (341). 319 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 63; Dieckmann AcP 178 (1978), S. 289 (304). 320 Vgl. OLG Hamburg NJW 1956, S. 995 = FamRZ 1965, S. 241; OLG Neustadt FamRZ 1974, S. 91; Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120). 321 Vgl. Dieckmann AcP 178 (1978), S. 289 (304). 322 Vgl. OLG Bremen FamRZ 1961, S. 1961, S. 534; LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); a. A. LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (62). 323 Vgl. etwa BayObLG FamRZ 1964, S. 523; dass. FamRZ 1965, S. 51; vgl. auch OLG Neustadt FamRZ 1964, S. 91; OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 241; LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); dazu auch Weber FamRZ 1975, S. 401. 324 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186); LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (62); Evans-von Krbek FamRZ 1977, S. 371; Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (473); ders. FamRZ 1981, S. 1 (9); Fehmel FamRZ 1979, S. 380; ders. FamRZ 1981, S. 17. 325 Vgl. LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (61); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404); vgl. dazu auch schon Schwoerer, Anm. zu OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 242;

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Dem entspreche auch die rechtliche Aufwertung des Elternvorschlags zur Konkretisierung des Kindeswohls, der es zuwiderliefe, diese wesentliche Möglichkeit eigenständiger Regulierung von vornherein auszuschließen. 326 Dies gelte umso mehr, als ein entsprechender Vorschlag beider Eltern die Vermutung außer Kraft setze, dass zwischen ihnen scheidungsbedingte Spannungen bestünden, die es rechtlich auszugleichen gelte. 327 Die Alleinsorge diene insoweit allein der Verhütung von Konflikten. 328 Eine gegen den Willen der Eltern und im Widerspruch zu einzelfallbezogenen Kindeswohlerwägungen erfolgende Zuordnung des Kindes zu einem Elternteil laufe daher mit seiner Schutzrichtung ins Leere und mindere das Ansehen der Rechtspflege, indem sie bestehende Einigkeit labilisiere und die fortgesetzte Elternverantwortung unterlaufe. 329 Daher sei eine gerichtliche Abweichung vom Elternvorschlag auch im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG unzulässig, wenn das konkrete Kindesinteresse dem nicht entgegenstünde, da der diesbezügliche wächteramtliche Schutzauftrag nur den geringsten erforderlichen Eingriff rechtfertige. 330 Doch setzte sich demgegenüber die Auffassung durch, die Auflösung der Familie berufe den Staat zu einer kontrollierten Neuordnung der Verhältnisse. 331 Die darüber hinausgehende Bereitschaft zur gemeinschaftlichen Ausübung der Elternverantwortung werde durch die privatautonomen Gestaltungsmöglichkeiten ausreichend berücksichtigt. 332 Die Alleinsorgeübertragung sei bei kooperierenden Eltern eine reine Vorsorge für die Fälle der Meinungsverschiedenheiten oder für ders., Anm. LG Tübingen FamRZ 1960, S. 121 (122); vgl. auch übersichtliche Darstellung über die mehrheitlich dementsprechenden Sachverständigen-Gutachten im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum SorgeRG bei Röchling ZfJ 1992, S. 417 (419 f), 516; dazu auch Fehmel FamRZ 1979, S. 380 (381). 326 Vgl. Fehmel FamRZ 1979, S. 380 (381). 327 Vgl. LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60(62); Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21 f). 328 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186); AmtG Tübingen DAVorm 1976, S. 424; OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267); KG 1979, S. 340; Treitz, S. 25. 329 Vgl. LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60; OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267); KG 1979, S. 340; Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (473), der in diesem Zusammenhang von einem Wertungswiderspruch spricht; Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625 (627); vgl. auch Fthenakis in Remschmidt „Kinderpsychiatrie und Familienrecht“, S. 36 ff. 330 Vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 20 (22); LG Wiesbaden FamRZ 1977, S. 60 (62); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402; LG Bremen FamRZ 1977, S. 402; OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267); AG Königstein FamRZ 1980, S. 483; BGH FamRZ 1979, S. 113; KG FamRZ 1980, S. 821 = NJW 1980, S. 2419; AmtG Bergisch-Gladbach FamRZ 1980, S. 1156; Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21 f); dies. FamRZ 1977, S. 371; vgl. dazu auch Schwoerer, Anm. zu OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 242; a. A. OLG Stuttgart FamRZ 1960, S. 365; BT-Drucks. 8/2788, S. 63; Belchaus ZBlJugR 1979, S. 325 (363); Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (13); Dieckmann AcP 178(1978), S, 289 (304); Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (473); Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (122); ders. „Das Kind im Rechtsstreit der Eltern“, S. 57; Krumme ZBlJugR 1980, S. 85 f. 331 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 63.

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den Fall, dass ein Elternteil durch räumliche Entfernung an seiner Sorgerechtsausübung gehindert sei. 333 Würde man es stattdessen bei der gemeinsamen Sorge belassen, so wären die Gerichte für jede konkrete Einzelentscheidung berufen und schon die verfahrensbedingte Verzögerung der Entscheidung führe zu einer das Kindeswohl gefährdende Handlungsunfähigkeit der Sorgeberechtigten. Diese prophylaktische Kindeswohlgewichtung stehe in Einklang mit dem verfassungsrechtlich in Art. 6 Abs. 2 GG verankerten Wächteramt 334, da nur auf diese Weise eine auf Dauer tragfähige Sorgerechtsentscheidung gewährleistet sei. 335 Es handele sich daher bei der Übertragung der Alleinsorge um den geringsten Eingriff, da die staatliche Einflussnahme durch das scheidungsbedingte Übertragungsverfahren abschließend begrenzt sei, während die gemeinsame Sorge aufgrund ihrer latenten Instabilität dauernde Mitwirkung des Staates an der Erziehungsausübung befürchten lasse. 336 Dies waren die zentralen Gesichtspunkte, von denen die neue Rechtslage nach Inkrafttreten des SorgeRG von 1979 bestimmt war. Gleichzeitig sollte auch hier die Diskussion wieder anknüpfen, als das BVerfG mit seinem Urteil vom 3. Nov. 1982 337 die Verfassungswidrigkeit der obligatorischen Alleinsorge feststellte. Diese Diskussion war damit ein Vorbote für die Wiedereinführung der gemeinsamen Sorge, an die die näheren Betrachtungen im Abschn. 3 dieses Kapitels anknüpfen werden. 4. Auswertung der Rechtsentwicklung mit Blick auf die äußeren Einflüsse durch gesellschaftliche Veränderungen Die vorstehende Sorgerechtsentwicklung steht in einem engen Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Wandel, der nun näher betrachtet und auf seine konkreten Folgerungen für die Auslegung des Reformgesetzes hin untersucht werden soll. Diese Betrachtung ist vor allem auf den Gesichtspunkt eines Annäherungsprozes332

Vgl. Weber FamRZ 1975, S. 401. Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1962, S. 920; LG Köln FamRZ 1974, S. 99 (100); BTDrucks. 8/2788, S. 63 f; Dieckmann AcP 1978, S. 289 (304); Weber FamRZ 1975, S. 401; a. A. KG FamRZ 1979, S. 340 (341). 334 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 63; Belchaus ZBlJugR 1979, S. 325 (363); Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (13); Dieckmann AcP 178(1978), S, 289 (304); Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (473); Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (122); ders. „Das Kind im Rechtsstreit der Eltern“, S. 57; Krumme ZBlJugR 1980, S. 85 f. 335 Insoweit bestätigend bereits BVerfGE 31, S. 194 = FamRZ 1971, S. 421, worin festgestellt wurde, dass dem GG nicht zu entnehmen sei, wie der Gesetzgeber die Rechte und Pflichten der Eltern im Falle ihrer Scheidung zu verteilen habe; vgl. auch Beitzke FamRZ 1958, S. 7 (10). 336 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 63 f; so auch schon OLG Hamburg NJW 1956, S. 995. 337 Vgl. BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen. 333

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ses zwischen sorgerechtlichen Zielvorstellungen und sich wandelnden Realitäten gerichtet. Im Vordergrund steht die Überlegung, dass die rechtliche Gestaltung in einer engen Wechselwirkung zu den zu regelnden Verhältnissen steht. Denn einerseits prägt das Recht die Lebensumstände, indem es die Bedingungen für die Ausübung familiärer Beziehungen setzt und damit selbst die gesellschaftliche Wirklichkeit beeinflusst. Andererseits dient das Recht dazu, die Realität zu erfassen und den sich verändernden Fragen angemessen zu begegnen. Die Regelung des Sorgerechts ist also sowohl Ursprung als auch Folge der sich wandelnden sozialen Verhältnisse. Mit Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse und sich wandelnde Realitäten erlangt man wichtige Anhaltspunkte für die Gewichtung der einzelnen sorgerechtlichen Entwicklungsphasen. Dies schafft Einblick in das Verhältnis von Sorgerecht und Lebensbedingungen und die Schwerpunkte der alten Rechtslage. Als Anknüpfungspunkte der Betrachtungen dienen das sich wandelnde Rollenverständnis zwischen Mann und Frau, die Entwicklung des Familienverständnisses und des Eltern-Kind-Verhältnisses sowie schließlich das Verhältnis zwischen Familie und Staat, das das Interventionsverständnis im Sorgerechtsverfahren beeinflusst. Aus jedem dieser Einzelaspekte werden die konkreten Tendenzen für die Interpretation des KindRG abgeleitet. a) Tendenzen aufgrund des veränderten Rollenverständnisses der Ehepartner Der zentrale Impuls für die Sorgerechtsentwicklung folgt aus dem sich wandelnden Rollenverständnis von Mann und Frau. So stellen sich im Rückblick die verschiedenen Ansätze zur Sorgerechtsgestaltung als Wandel gesellschaftlicher Realitäten und sorgerechtlicher Wertungen dar. 338 Ausgangspunkt ist die rechtliche Aufwertung der Mutter innerhalb der Familie. 339 Sie ist Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen Umbruchs, der – wenngleich verzögert – auch die Struktur der Familie erfasste. 340 Die Gleichstellung der Frau und die Frauenemanzipation wirkten sich unmittelbar auf die Sorgerechtsentwicklung aus. Sie heben die ursprünglich strenge Trennung zwischen Innen und Außen, der häuslichen Zurückgezogenheit der Frau und der öffentlichen Repräsentation der Familie durch den Mann auf. 341 War vor 338 Vgl. Gernhuber FamRZ 1962, S. 89 (90); vgl. zum Zusammenhang vom ElternKind-Verhältnis und der Staatsordnung auch „Die Gespräche des Konfuzius“, Buch I, Kap. 2, 7; Buch II, Kap. 5 – 8; Buch XII, Kap. 11. 339 Vgl. bereits Ausführungen dieses Kap. unter Abschn. II.1. 340 Vgl. zur weitgehenden Resistenz gegen gesellschaftliche Veränderung der „natürlichen Ordnung“ innerhalb der Familie vgl. Simitis in Simitis / Zenz „Seminar: Familie und Familienrecht“, S. 15.

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dem Inkrafttreten des BGB Ende des 19. Jahrhunderts die zunächst auf das Proletariat beschränkte Berufstätigkeit der Frau nur Folge wirtschaftlicher Not gewesen, so schuf sie mit Einzug in bürgerliche Schichten schließlich ein Selbstbewusstsein der Frau, das ihrer familieninternen Unterordnung die Grundlage entzog. 342 An die Stelle des patriarchalischen Grundverständnisses, wonach der Mann als Treuhänder der Rechte aller Familienmitglieder fungiert hatte, trat zusehends die Gleichstellung der Partner als interne Familienstruktur. 343 Gleichzeitig stand nun die traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter, die dem Mann die Erwerbstätigkeit außerhalb der Familie und der Frau den häuslichen Bereich sowie die Betreuung der Kinder zuwies, durch die Berufstätigkeit der Frau in Frage und es brach die formalisierte Funktionszuweisung auf. 344 Infolge dieses Hervortretens der Frau aus dem häuslichen Umfeld und der damit verbundenen auch rechtlich relevanten Außenwirkung, sei es durch erforderliche Vertragsabschlüsse oder Haftungsproblematiken, rückte sie in der Konsequenz allmählich zur eigenständigen Rechtsträgerin auf und wurde dadurch bei der Folgengestaltung der Scheidung zu einer Konkurrentin um die nacheheliche Sorgerechtsstellung. 345 Die nacheheliche Elternsorge wurde erst im Zuge dieser mütterlichen Gleichstellung zusehends zum Gegenstand eines Verteilungskampfes konkurrierender Elternteile. Denn erst in dem Maße, in dem die Eltern als potentielle Rechtsinhaber nebeneinander traten, waren Gesetz und Gerichte berufen, die Elternsorge aufgrund der Scheidung zuzuweisen. 346 Je differenzierter die Einzelpositionen demzufolge gegenübergestellt werden konnten, desto mehr einzelfallbezogene Prüfungskompetenz fiel den Gerichten zu. Bis zur endgültigen Angleichung der Elternpositionen durch das GleichberG von 1957 beschränkte sich die Scheidungssorge auf die Reichweite der mütterlichen Rechtsstellung, während die einseitige Rechtsstellung des Vaters, die ihm einzelne Teilbereiche der Elternsorge ausschließlich zuwies, durch die Scheidung nicht betroffen war und damit die Fortsetzung seiner bereits mit der ehelichen Elterngewalt eingeräumten Vorrechte gewährleistete. 347 So eröffnete erst die elterliche Gleichstellung eine umfassende 341

Vgl. Struck in Wiesner / Zarbock, S. 79 (81); Schwab FamRZ 2007, S. 1(2). Vgl. dazu Dölle „Familienrecht“, I § 2 II, 3; Dörner „Industrialisierung und Familienrecht“, S. 68; Schlüter „Familienrecht“, S. 2; Simitis in Simitis / Zenz „Seminar: Familie und Familienrecht“, S. 15 ff; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 272. 343 Vgl. Schwab FamRZ 1995, S. 513 (515); Hermann FamRZ 1994, S. 1001 (1006); vgl. auch Wagenitz / Barth FamRZ 1996, S. 577 (580) zur Kritik des formalen gesetzlichen Anpassungsprozeß, der sich im Zuge der Änderung des § 1356 a.F. von der Pflicht zur Haustätigkeit hin zur beidseitigen Berechtigung zur Erwerbstätigkeit der Ehegatten verdeutlicht. 344 Vgl. Luthin FamRZ 1984, S. 114 (115). 345 Vgl. Quambusch ZfJ 1988, S. 315 (319 f). 346 Vgl. dazu Ausführungen dieses Kap. unter Abschn. II.2. 347 So standen die Sicherstellung der Rechtsnachfolge und die Gestaltung der auf Bildung gerichteten Erziehung im Vordergrund der väterlichen Vorrangstellung. Als letzter 342

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Beurteilung der nachehelichen Sorge und rückte die grundlegende Neuordnung der Lebensverhältnisse in den Vordergrund der gerichtlichen Intervention. 348 Gleichsam als Folge oder Gegenreaktion zu der zuvor patriarchal geprägten Verflechtung der nachehelichen Elternstellungen entwickelte sich nun im Zuge der Konkurrenz der Eltern die Entflechtung der Sorgerechtsausübung zur zunehmenden Konzentration auf einen Elternteil zum zentralen Element der nachehelichen Sorge. 349 Die Alleinsorge der Mutter verkörpert damit im historischen Kontext die Befreiung der Frau von patriarchalen Herrschaftsansprüchen. Mit dieser rechtlichen Aufwertung der Mutter war zugleich eine Verlagerung der sorgerechtlichen Maßstäbe verbunden, indem sie den Wert des durch die Mutter repräsentierten affektiven und fürsorglichen Erziehungsbeitrags erhöhte. 350 Die traditionelle Rollenverteilung hatte ihr stets die Betreuung der Kinder zugewiesen, ohne dass dies ursprünglich an die eigenständige Rechtsstellung geknüpft war. 351 Durch die rechtliche Anerkennung dieses Erziehungsanteils, wie sie in der Verleihung der sorgerechtlichen Rechtsstellung auf die Mutter zum Ausdruck kam, vollzog sich eine Verlagerung der sorgerechtlichen Perspektive auf die emotionale Seite des Sorgerechtsverhältnisses. War die Sorgerechtsstellung zuvor in erster Linie auf die väterliche Interessenwahrnehmung an der Sicherstellung der Rechtsnachfolge und die Zuweisung der Kinder zum Schutzraum seiner Sphäre gerichtet, so war sie nunmehr vorrangig auf die tatsächliche Ausübung der Erziehungsverantwortung gerichtet. Erst mit der mütterlichen Rechtsstellung traten die konkrete Umsetzung der Erziehung, die tatsächlichen Zuständigkeiten und das gelebte Eltern-Kind-Verhältnis anstelle formaler Zuordnung in den Vordergrund der Scheidungssorge. 352 Diese Entwicklungstendenz bot einen wichtigen Anknüpfungspunkt, um die durch Formalisierung gekennzeichneten gesetzlichen Übertragungskriterien nach Scheidungsschuld und Alter bzw. Geschlecht der Kinder aufzugeben und durch eine wertende Einzelfallprüfung der emotionalen Bindung zum Kind abzulösen. 353 Im Ergebnis führte diese Emotionalisierung der Elternsorge zum „Wandel der Extreme“ 354, bei dem das ursprüngliche Vaterprimat durch das Mutterprimat abAusläufer dieser Domäne wies der sog. „Stichentscheid“ gem. § 1628 i.d.F. des GleichberG bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern die Entscheidungsbefugnis dem Vater zu, vgl. dazu Abschn. A.II.1.d). 348 Vgl. Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 102; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 337. 349 Vgl. Ramm „Jugendrecht“, S. 28. 350 Vgl. Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 114; Wacke FamRZ 1980, S. 205. 351 Zur Kopplung der sorgerechtlichen Position der Mutter und ihrer gesellschaftlichen Anerkennung vgl. auch Dörner „Industrialisierung und Familienrecht“, S. 28. 352 Vgl. Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 104 f; vgl. dazu auch KG FamRZ 1957, S. 176 (177). 353 Vgl. dazu Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (437 ff).

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gelöst wurde und den Vater unter Hinweis auf die vorrangige Bindung der Mutter zum Kind faktisch weitgehend von der nachehelichen Sorge ausschloss. 355 Diese Entwicklung wurde durch psychologische Forschungen gestärkt, die sich auf die durch Betreuung geschaffene Mutter-Kind-Bindung stützten. Für die Beziehung zum Kleinkind leitete sich dies aus der „tender-years-doctrine“ amerikanischen Ursprungs ab, nach der das Kind unter sieben Jahren vor allem der Mutter bedürfe. 356 Danach galt die Rechtsvermutung, dass die Mutter für die Kleinkindeserziehung geeigneter war, solange der Vater nicht das Gegenteil glaubhaft machen konnte. 357 Hinzu kamen psychoanalytische Ansätze der 50er und 60er Jahre, nach der die Mutter für das Kleinkind die primäre, wenn nicht sogar die einzige Bezugsperson darstellte, während die Beziehung zum Vater bis zur ödipalen Phase nur durch die Mutter vermittelt werde. 358 Für ältere Kinder galt die Bindungstheorie 359, die sich im Rahmen der Hospitalismusforschung entwickelte und von der Bindung an eine primäre Bezugsperson ausging. 360 Das Kind entwickelte dieser Einschätzung zufolge nach der frühkindlichen Phase zu einem der Elternteile eine vorrangige Bindung. Danach wurde zwar die Bedeutung der Vater-Kind-Beziehung nicht grundsätzlich bestritten. Jedoch müsse die Bindungsoption des Kindes durch Betreuung eines Elternteils in der Realität umgesetzt werden. 361 Bei der Scheidung 354 So Neuhaus FamRZ 1980, S. 1089; abweichend Arntzen „Elterliche Sorge und Umgang mit Kindern – ein Grundriss der forensischen Familienpsychologie“, S. 16; dazu auch Luthin FamRZ 1996, S. 1190. 355 Vgl. dazu Ell ZfJ 1988, S. 436 (437); Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 114; Fehmel FamRZ 1979, S. 380; zu den wirtschaftlich oftmals verheerenden Folgen dieser einseitigen Zuständigkeit vgl. Dickmeis ZfJ 1993, S. 1 (3); Napp-Peters „Scheidung und Kindeswohl“, S. 13 (17), spricht in diesem Zusammenhang von rund 40% der Kinder, die mit dem alleinerziehenden Elternteil an der Armutsgrenze leben; ähnlich auch Offe „Scheidung und Kindeswohl“, S. 25 (41); Nave-Herz FamRZ 1995, S. 102; dies. „EinEltern-Familien – Soziale Randgruppe oder neues familiales Selbstverständnis“, S. 67 hat in einer Studie ermittelt, dass nur die Hälfte aller alleinerziehenden Mütter regelmäßig Unterhalt erhalten, während von den nicht erwerbstätigen Frauen über 70% von Sozialhilfe leben; vgl. dazu auch Dickmeis ZfJ 1993, S. 1 (6); Zenz 59. DJT, 1992, Referat M9 (M23). 356 Vgl. dazu mit kritischen Anmerkungen Fthenakis in Remschmidt „Kinderpsychiatrie und Familienrecht“, S. 55 (56 ff); Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 103 jeweils mwN; vgl. dazu auch Ell ZfJ 1988, S. 436 zu dem historischen Ansatz der automatischbiologischen Symbiose zwischen Mutter und Kind, der zu einer entsprechenden exklusiven Dual-Union zwischen beiden führt. 357 Vgl. dazu Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 105. 358 Vgl. Fthenakis „Väter“ Bd. 1, S. 25 ff; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 105; zur Kritik einer zum Ideal stilisierten Mutter-Kind-Symbiose vgl. Brötel NJW 1991, S. 3120 (3122), der von einem Mutter-Mythos spricht; Ell ZfJ 1988, S. 436 (437); Reeken DAVorm 1996, S. 671 (673); Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 115. 359 Vgl. Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 44, 81 f; Klußmann „Das Kind im Rechtsstreit der Erwachsenen“, S. 169 ff; Lempp ZfJ 1984, S. 305 (308); ders. FamRZ 1984, S. 741 (742 f). 360 Vgl. Klußmann „Das Kind im Rechtsstreit der Erwachsenen“, S. 29; vermittelnd auch Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (10).

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seien vor allem eindeutige Verhältnisse durch die Alleinsorge der Bezugsperson zu schaffen. 362 Dabei stehe die regelmäßig zur Mutter aufgebaute frühkindlich erworbene Bindung im Vordergrund der Beurteilung. 363 Ansätze von Naturgesetzmäßigkeit, deren normative Kraft genetisch-biologischer Gegebenheiten die mütterliche Rolle gleichsam unanfechtbar und unüberprüfbar machte 364, sowie der irreversible Charakter der frühkindlichen Bindung zur Mutter führten damit letztlich zu einem Exklusivitäts-Postulat der Mutter-Kind-Beziehung. 365 Wenngleich das Mutterprimat de jure nicht bestand und mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot auch kaum in Einklang zu bringen war 366, so entsprach es doch der faktisch Sorgerechtspraxis 367 zumindest seit dem GleichberG von 1957 bis hinein in die Zeit der obligatorischen Alleinsorge infolge des SorgRG von 1979. 368 Diese einseitige Begünstigung der Mutter wurde zunehmend zum Gegenstand der Kritik. 369 Ausgangspunkt war zunächst eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bindungsbegriff. 370 Es wurde geltend gemacht, dass trotz der engen Bin361

Vgl. Lempp FamRZ 1984, S. 741 (743). Vgl. kritische Anm. von Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (668) mwN. 363 Vgl. Lempp FamRZ 1984, S. 741 (742). 364 Vgl. Klußmann „Das Kind im Rechtstreit der Erwachsenen“, S. 21; kritisch Ell ZfJ 188, S. 436 (438), der auf die unüberprüfte synonyme Verwendung von „Bindung“ und „Mutter“ hinweist; Limbach ZfRSoz 1988, S. 155 (157); Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 169f warnt davor, soziologische und psychologische Erkenntnisse innerhalb der Rechtsfindung absolut zu setzten. 365 Zur kritische Schlussfolgerung vgl. Fthenakis 5. FGT, Brühler Schriften zum Familienrecht, 1984, S. 33 (41); ders. in Remschmidt „Kinderpsychiatrie und Familienrecht“, S. 55 (57); ders. FamRZ 1985, S. 662 (663). 366 Vgl. BVerfGE 55, S. 171 (184); mit zust. Anm. Coester NJW 1981, S. 961 (962); OLG München FamRZ 1979, S. 70 (71); OLG Celle FamRZ 1984, S. 1035; noch a. A. KG FamRZ 1978, S. 829 (830); zum Erfordernis sachlicher Grundlagen anstelle des Verweises auf bloßen Geschlechterunterschied vgl. Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 220 mwN; Diederichsen NJW 1980, S. 1 (9) spricht in diesem Zusammenhang von der Durchsetzung der umgekehrten Gleichberechtigung. 367 Zur statistischen gerichtlichen Übertragungspraxis vor der Einführung der gemeinsamen Sorge durch das Urteil des BVerfG von 1982 (dazu weitere Ausführungen in diesem Kap., Abschn. III., vgl. Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 25 ff; dies. „Studie“, S. 9; die Quote der Alleinsorge von Vätern lag noch 1996 im Vorfeld der Gesetzesreform im Bundesdurchschnitt auf 8, 29 % (BR-Drucks. 180/96, S. 47). 368 Vgl. Furstenberg / Cherlin „Geteilte Familien“, S. 163 f; Reeken DAVorm 1996, S. 671 (673); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (453). 369 Vgl. Schwenzer FamRZ 1985, S. 1202 (1209) stellt in diesem Zusammenhang bereits fest, dass das auf „Natürlichkeit beruhende engere Verhältnis zwischen Mutter und Kind nicht allein in der Psychologie überwunden sei, sondern bereits in verschiedenen Bereichen des Familienrechts einfließe; vgl. auch Brötel NJW 1991, S. 3120 (3122); Ell ZfJ 1988, S. 436 (437); Reeken DAVorm 1996, S. 671 (673); Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 115. 370 Vgl. hierzu auch weitere Ausführungen Kap. C., Abschn. III.2.c)aa). 362

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dung des Kleinkindes an die Mutter durch Schwangerschaft und Geburt 371 kein Erfahrungssatz bestehe, demzufolge die Mutter besser in der Lage sei, Kinder zu betreuen. 372 Noch dazu relativierte die zunehmende Berufstätigkeit der Mutter die traditionelle Rollenzuweisung und entzog der stereotypen und einseitigen Bindungszuweisung ihre Grundlage. 373 Die darin angelegte Eindimensionalität stehe der Erfassung der tatsächlichen Bindungen in ihrer Vielschichtigkeit sowie dem anzustrebenden Erhalt beider Eltern-Kind-Beziehungen entgegen. 374 Gerade das Nebeneinander der kindlichen Bindungen zu beiden Eltern sei von großer Bedeutung. In Ergänzung zur quantitativen Beurteilung, wonach die Bindung sich vor allem nach der Betreuungsdauer richte, wurden nun qualitative Maßstäbe wie emotionale Intensität der Beziehung zum Kind stärker hinzugezogen. 375 Auch die Bedeutung des Vaters als männliche Bezugsperson für die ausgewogene Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung des Kindes wurde zunehmend betont. 376 Diese Aufwertung der väterlichen Position forderte stärker eine Kontinuität nach dem Modell der gesetzlichen Sorge, mit der anstelle der einseitigen Zuordnung elterlicher Sorge die Fortsetzung beider Eltern-Kind-Beziehungen über die Scheidung hinaus befürwortet wurde. 377

371

Vgl. dazu BVerfG FamRZ 1991, S. 913 (915) = NJW 1991, S. 1944 = DAVorm 1991, S. 425 = Rpfleger 1991, S. 310. 372 Vgl. OLG Celle FamRZ 1984, S. 1035 (1036); Oelkers FamRZ 1995, S. 1097 (1101). 373 Vgl. Rummel ZfJ 1997, S. 202 (206); Struck in Wiesner / Zarbock, S. 79 (81). 374 Vgl. Brötel NJW 1991, S. 3120 (3122); Fthenakis Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. FGT, S. 33 (50). 375 Vgl. Ell ZfJ 1982, S. 76 ff; ders. ZfJ 1988, S. 436 (437); vgl. auch Müller-Alten ZfJ 1989, S. 443 (446), der darauf hinweist, dass die bisherige Geringschätzung des Vaters aus der quantitativen Beurteilung der Bindung, der alleinigen Sorge maßgeblichen Vorschub geleistet hat. 376 Zur Bedeutung der Väter für die kindliche Entwicklung grundlegend Fthenakis „Väter“ Bd. 2; Fthenakis / Niesel / Kunze „Ehescheidung“, S. 3 ff, 54 ff; Nave-Herz FuR 1992, S. 102 (104); Ell ZfJ 1988, S. 436 (438 f) fasst die neue Bewertung der Erziehungsbeiträge auf folgende Aspekte zusammen: (1) der Vater stellt eine notwendige Ergänzung für die ausgewogene Erziehung des Kindes dar und bildet mit der Mutter eine Wirkungseinheit für die Vermittlung von Rationalität und Emotionalität; (2) Einseitigkeit und pädagogische Eigensinnigkeiten eines Erziehungsberechtigten sind durch das Zusammenwirken zweier Charakterprofile auszugleichen; (3) kognitive Leistungsfähigkeit des Kindes nimmt durch väterliche Erziehungsbeiträge zu; (4) die Übernahme von moralischen Wertmaßstäben wird insbesondere bei Jungen durch den Vater vermittelt; (5) für die Geschlechtsrollenentwicklung ist die Repräsentation beider Pole innerhalb der Erziehung bedeutend; kritisch zu der Tendenz einer Vateridealisierung vgl. demgegenüber Heiliger FamRZ 1992, S. 1006 (1007); Lempp FamRZ 1984, S. 741 (743). 377 Vgl. Fthenakis in Remschmidt „Kinderpsychiatrie und Familienrecht“, S. 55 (64, 69), der auf Untersuchungen verweist, die die Bedeutung des väterlichen Einflusses auf die kognitive Entwicklung des Kindes hervorheben; vgl. auch Lakies ZfJ 1989, S. 162 (163); Magnus RdJR 1988, S. 158 (166).

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Daraus entwickelte sich eine aus der Benachteiligung hervorgehende VaterBewegung. 378 Sie stützte sich zunächst auf die zunehmend verbreitete Vaterforschung 379, wonach die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung nicht geschlechtsspezifisch bestimmt sei. 380 Das Kind weise keinerlei Präferenz für Vater oder Mutter in den ersten zwei Lebensjahren auf und verändere sein Bindungsverhalten im Laufe der Entwicklung. 381 Darüber hinaus seien Väter – gegenteilig lautender Stereotype zum Trotz – für die Betreuung von Kleinkindern sehr wohl geeignet 382 und zunehmend auch bereit, sich verstärkt im Bereich der Kindeserziehung zu engagieren, soweit ihnen im Rahmen der Lebensgestaltung beruflich und seitens der Mutter Raum dazu gegeben werde. 383 Ein Bild des „neuen Vaters“ und des sich wandelnden Selbstverständnisses der Väter wurde versucht in die Sorgerechtsbeurteilung einzuführen 384, mit dem sich der Widerspruch zwischen Fürsorge und Männlichkeitsbild relativierte 385. Vor diesem Hintergrund schienen zumindest die naturgesetzliche Vorrangstellung der Mutter und die statische Einschätzung der Bindung überholt zu sein. 386 Dem Versuch, das sorgerechtliche Mutterprimat als bloße Umsetzung der familieninternen Rollenverteilung zu rechtfertigen, deren 378 Vgl. dazu Schwenzer FamRZ 1985, S. 1202 (1203); Ullmann FamRZ 1987, S. 434 (436), unter Hinweis auf die damit verbundene Verletzung der Menschenrechte. 379 Zu den verschiedenen Fragestellungen dieser Forschungsrichtung vgl. vor allem Fthenakis in Remschmidt „Kinderpsychiatrie und Familienrecht“, S. 55 (59 ff). 380 Vgl. Brötel NJW 1991, S. 3120 (3123); Ell ZfJ 1988, S. 436 (437). 381 Vgl. Fthenakis in Remschmidt „Kinderpsyhatrie und Familienrecht, S. 55 (64). 382 Vgl. Fthenakis / Niesel / Kunz „Ehescheidung“, S. 27 ff; Schwenzer FamRZ 1985, S. 1202 (1211). 383 Vgl. Fthenakis Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. FGT, S. 33 (50); zur trennungsbedingten Änderung der Eignung zugunsten des Vaters vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1994, S. 920; anders laut amerikanischer Studien, die eine nur geringe Veränderung tatsächlicher Mitwirkung an Haushalt und Kindesbetreuung feststellen konnten vgl. Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (3); im Ergebnis ebenso Lempp FamRZ 1984, S. 741 (743) unter Bezugnahme auf eine baden-württembergische Studie, wonach 27% der Frauen bestätigten, dass ihr Mann / Partner häufig im Haushalt half, während weniger als die Hälfte der Männer dies nur gelegentlich taten; zu ähnlichen Ergebnissen kam eine „Brigitte“-Studie von Metz-Göckel / Müller, „Der Mann“ 1986 zu dem weiterhin zurückhaltenden väterlichen Zuwendungsverhalten gegenüber den Kindern vgl. auch Bernhard / Schlaffer „Sag mir, wo die Väter sind“. 384 Vgl. Ell ZfJ 1988, S. 436; Nave-Herz FuR 1995, S. 102 (104); Rummel ZfJ 1997, S. 202 (206); Struck in Wiesner / Zarbock, S. 79 (81); kritisch zum veränderten VaterBewusstsein vgl. Furstenberg / Cherlin „Geteilte Familie“; Heiliger, FamRZ 1992, S. 1006 mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen zur Kritik an der Vaterbewegung; Lakis ZfJ 1989, S. 162 (164 mwN); Suess / Scheuerer-Englisch / Grossmann FPR 1999, S. 148 (153). 385 Vgl. Fthenakis in Remschmidt „Kinderpsychiatrie und Familienrecht“, S. 55 (68), wonach die im Haushalt tätigen Väter auch von den Kindern nicht als weniger männlich erlebt wurden als traditionell handelnde, mit Hinweisen auf entgegenlautende Thesen. 386 Gegen einen naturgegebenen Vorteil der Mutter vgl. BVerfG 1981, S. 124 (126) = NJW 1981, S. 217; OLG Frankfurt FamRZ 1990, S. 550 = DAVorm 1990, S. 565; OLG Karlsruhe FamRZ 1992, S. 1465 (1466 f); OLG Celle FamRZ 1992, S. 465; FamRZ 1984,

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Voraussetzungen die Eltern während der Ehe geschaffen hätten und anlässlich der Scheidung nicht einfach wieder rückgängig machen könnten 387, wurde durch die Vater-Bewegung entgegengehalten, dass die Mütter zunehmend berufstätig seien und daher eine genaue Einzelfallprüfung der konkreten Familienverhältnisse erforderlich sei. 388 Die von den Vätern ausgehenden Impulse veranschaulichten vor allem deshalb einen wichtigen Entwicklungsschritt des Sorgerechts, weil sie nicht erneut auf Verdrängung, sondern auf Koexistenz der elterlichen Rechtsstellungen gerichtet waren. Nicht die Vorrangstellung oder der Kontrollanspruch eines Elternteils war nun die Grundlage des Nebeneinanders der Sorgerechtsstellungen, wie sie die Alleinsorge zum Instrumentarium der Frauenbefreiung vorangetrieben hatte. Die Bedeutung beider Eltern für die Kindesentwicklung und das elementare Bedürfnis jedes Elternteils nach Erziehungsmitwirkung rückten vielmehr in den Vordergrund der Erwägungen und stellte die Priorität der Alleinsorge in Frage. Die Trennung von Elternschaft und Partnerschaft bekam damit eine zusätzliche Ebene, indem es nun denkbar wurde, die gemeinsame Sorge anstelle kategorischer Trennung der Lebensbereiche durch gegenseitige Gewährung fortgesetzter Einflussnahme und Überschneidung der elterlichen Sphären auszuüben. Anknüpfend an die historische Erfahrung befürchteten die Kritiker, dass dieser moderne Vorstoß der Väter allein dazu diente, die patriarchalen Strukturen und die früheren Machtverhältnisse wieder herzustellen. 389 Vor allem wurde darauf verwiesen, dass sich keine grundlegende Verhaltensänderung der Väter im häuslichen Bereich 390 oder bei der Beantragung der nachehelichen Sorge 391 in Statistiken zeige, wodurch die vermeintliche „neue Väterlichkeit“ zur bloßen Theorie S. 1035 (1036); AmtGer Landshut FamRZ 1990, S. 1025; für eine stärkere Berücksichtigung der Chancengleichheit im Sorgerecht vgl. auch Oelkers FamRZ 1996, S. 1097 (1101); Lakies ZfJ 1989, S. 162 (163), der von einer Überbetonung der Mutterrolle bei Abwesenheit des Vaters spricht. 387 Vgl. Fehmel FamRZ 1983, S. 971 (972). 388 Vgl. Arntzen „Elterliche Sorge und Umgang mit Kindern – ein Grundriss der forensischen Familienpsychologie“, S. 16, der die anhaltende Bevorzugung der Mutter bei Kindern bis zu 7 Jahren auf ihre stärkere Verfügbarkeit für die Betreuung zurückführt. 389 Vgl. Lakis ZfJ 1989, S. 162 (164 mwN); Heiliger, FamRZ 1992, S. 1006 mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen zur Kritik an der Vaterbewegung; Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451); Schwab „Handbuch des Scheidungsrechts“ Teil III, Rz. 114. 390 Vgl. Lempp FamRZ 1984, S. 741 (743) unter Bezugnahme auf eine baden-württembergische Studie, wonach 27% der Frauen bestätigten, dass ihr Mann / Partner häufig im Haushalt helfe, während weniger als die Hälfte der Männer dies nur gelegentlich tun; zum ähnlichen Ergebnissen kam eine „Brigitte“-Studie von Metz-Göckel / Müller, „Der Mann“, S. 1986 zu der weiterhin zurückhaltenden väterlichen Zuwendung gegenüber den Kindern vgl. auch Bernhard / Schlaffer „Sag mir, wo die Väter sind“. 391 So beschränkte sich die Quote der Alleinsorge gem. § 1671 aF. 1996 im Vorfeld der Gesetzesreform auf Väter im Bundesdurchschnitt auf 8, 29% (BR-Drucks. 180/96, S. 47), wenngleich der Gesamtanteil der Vater-Kind-Familien in getrenntlebenden und

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werde. 392 Diese Einschätzung wurde demgegenüber von den Interessenvertretern der Väter als zu statisch zurückgewiesen. Der rein quantitative Beurteilungsmaßstab berücksichtige die existentiellen Bedürfnisse nach Nähe und Anteilnahme an der Entwicklung des Kindes nur unzureichend, die auch ohne unmittelbare Mitwirkungsnachweise schützenswürdig seien. 393 Im Übrigen rechtfertige auch eine wachsende Minderheit ein Überdenken der bisherigen Praxis. 394 Zum anderen richte sich diese Argumentation gegen die Integration der Väter und orientiere sich wieder allein an einer auf die Eltern und ihr Verhältnis zueinander gerichteten Beurteilungsgrundlage. Auf diese Weise werde der Geschlechterkampf und nicht die Verteilung der Erziehungsverantwortung bzw. das Bedürfnis des Kindes hier in den Vordergrund gerückt. Der historische Wandel habe die Gleichstellung der Eltern als Grundmaxime eingeführt und sie damit bei Trennung und Scheidung in eine Konkurrenz zum Wohl des Kindes gesetzt. Treten die Eltern nun dennoch nebeneinander, so folge dies nicht mehr aus der Dominanz eines Teils, sondern aus der Ergänzung beiderseitiger Erziehungsbeiträge zum Nutzen des Kindes. 395 Das Verhältnis der Eltern sei daher für die Sorgerechtsübertragung nur relevant, soweit geschiedenen Familien von 15% im Jahre 1979 bereits als deutliche Veränderung in der gerichtlichen Praxis gewertet wurde (vgl. Salgo / Zenz „Diskriminierung der Frau im Recht der Eltern-Kind-Beziehung“, S. 21). Jedenfalls haben Umfragen ergeben, dass 88% der Väter, die kein Sorgerecht haben, zufrieden sind mit der sorgerechtlichen Lösung, wie 86% aller Eltern (vgl. Heiliger unter Hinweis auf eine Untersuchung des Münchner Allgemeinen Sozialdienstes); vgl. aber auch Arntzen „Elterliche Sorge und Umgang mit Kindern – Ein Grundriss der forensischen Familienpsychologie“, S. 16; vgl. auch Luthin FamRZ 1996, S. 1190 f. 392 Vgl. insgesamt diesbezügliche Studie hinsichtlich vergleichbaren Verhaltens in Amerika (Kalifornien) bei Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (3); zur Kritik vgl. auch Furstenberg / Cherlin „Geteilte Familie“; Suess / Scheuerer-Englisch / Grossmann FPR 1999, S. 148 (153). 393 Vgl. Dieckmann AcP 178 (1978), S. 299; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (879); zu den Hindernissen der Nachweise erzieherischen Engagements sowohl bei der richterlichen und gesellschaftlichen Voreingenommenheit vgl. schon Gernhuber FamRZ 1973, S. 229 (244); Finger ZfJ 1987, S. 194 spricht in diesem Zusammenhang von der Resignation und dem Zurückschrecken der Väter vor den von Außen vorgegebenen „Sachzwängen“; Fthenakis Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. FGT, S. 33 (39 f, 44) spricht in diesem Zusammenhang von „self-fulfilling-prophecy“; Allgemeiner Sozialdienst München 1992, S. 12; Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 55; kritisch Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (5). 394 Vgl. Schwenzer FamRZ 1985, S. 1202 (1204); so auch schon Simitis StAZ 1970, S. 255 (263); vgl. dazu auch Troje „Gestohlene Liebe – Zum Problem der Rettung der Ehe“, S. 25; unter Hinweis auf die Ermutigung zur Verhältensänderung vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (448); Michalski FamRZ 1992, S. 131; Müller-Alten ZfJ 1989, S. 443 (446); Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (871); Rauscher NJW 1991, S. 1087 (1090); bestätigend Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (6, 13 etwas zurückhaltender); Moch ZfJ 1994, S. 401 (405); kritisch hingegen Salgo FamRZ 1996, S. 449 (450). 395 Vgl. Fthenakis in Remschmidt „Kinderpsychiatrie und Familienrecht“, S. 55 (68), wonach die im Haushalt tätigen Väter auch von den Kindern nicht als weniger männlich erlebt wurden als traditionell handelnde, mit Hinweisen auf entgegenlautende Thesen.

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es sich auf das Kindeswohl auswirke, während die Scheidungssorge nicht zweckentfremdet zur Beeinträchtigung des ehemaligen Partners zu instrumentalisieren sei. 396 Maßgeblich sei also nicht mehr in erster Linie die historisch motivierte Vermeidung von Unterdrückung, sondern die Maximierung der Kindesinteressen. Gleichberechtigung als das Ergebnis der Rechtsentwicklung erfordere auch gegenüber dem Vater eine unvoreingenommene Einschätzung. 397 Hinzu komme, dass die in der Alleinsorge angelegte Konkurrenzsituation die Konfrontation der Eltern zusätzlich erhöhe, während die Einbeziehung beider Eltern in vielen Fällen zur Entspannung der Konfliktlage führen könne. 398 Damit kann abschließend zumindest festgestellt werden, dass die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Männern und Frauen einen signifikanten Entwicklungsschritt der gemeinsamen Sorge bewirkt hat, indem sie die Einschätzung des elterlichen Zusammenwirkens erweiterte. Im Laufe der Entwicklung entstand dabei eine integrative Form fortgesetzter gemeinsamer Elternverantwortung, bei der die Einzelzuständigkeiten nicht auf die Abgegrenzung der Machtbereiche, sondern auf Kooperation im Interesse des Kindes gerichtet sind. War die gemeinsame Sorge ursprünglich Ausdruck von fortgesetzter familiärer Dominanz des Mannes nach der Scheidung, indem sie ihm mittels der gemeinsamen Sorgerechtsstellung Gelegenheit gab, die Lebensführung und Kindeserziehung der Frau zu kontrollieren, so wurde die rechtliche Emanzipation und schließlich die Alleinsorge zum Symbol der familiären Befreiung der Frau. Zentrales Charakteristikum der ursprünglichen Form gemeinsamer Rechtsausübung war daher vor allem die gesetzlich verordnete Form, die ohne Zustimmung der Frau zentrale Bestandteile des Sorgerechts durch Gesetz auf den Vater übertrug bzw. bei ihm beließ. Demgegenüber eröffnet die rechtliche Gleichstellung der Frau einen wirksamen Schutz vor dieser Bevormundung durch das Sorgerecht. Die historische Erfahrung aus der gemeinsamen Sorge als eine Möglichkeit einer vom Kindesinteresse unabhängigen Kontrolle eines Elternteiles über den anderen ist daher noch heute für die Beurteilung dieser Sorgerechtsform relevant. Jedoch rechtfertigt die deutliche Stärkung der mütterlichen Sorgerechtsposition im Laufe der Zeit nicht länger, die väterliche Position zwingend als Kontrollfunktion zu deklassieren. Gleichberechtigte Rechtsstellungen erlauben nun vielmehr eine unvoreingenommene Prüfung kooperativer Sorgerechtsmodelle. b) Aus dem Wandel des Familienbegriffs abzuleitende Tendenzen Auch das Verständnis der Familie als Ganzes hat die Maßstäbe der Sorgerechtsbeurteilung verändert. Denn in Anlehnung an das Rollenverhältnis wandelte 396 Vgl. Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 221 mwN; Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (671); vgl. auch Lempp FamRZ 1984, S. 741 (743). 397 Vgl. Salgo / Zenz S. 63. 398 Vgl. Fehmel FamRZ 1979, S. 380 (381); Neuhaus FamRZ 1980, S. 1089.

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sich die gesamte interne Struktur der Familie. War sie unter der väterlichen Herrschaft eine in sich geschlossene Einheit gewesen, die nach der umfassenden Ermächtigung des Familienoberhauptes weitgehend außerhalb von Öffentlichkeit und staatlichem Zugriff stand, so erforderte die allmähliche sorgerechtliche Gleichstellung von Mutter und Vater ein externes Korrektiv. 399 Die Familie wurde zum Treffpunkt von Einzelrechten und damit zum Gegenstand gerichtlichen Ausgleichs. 400 Darüber hinaus führt eine sich verändernde Vorstellung und Erwartung von den Familienverhältnissen zu neuen Voraussetzungen für das Zusammenleben. So traten die Liebesbeziehung und das persönliche Glück zusehends in den Vordergrund. 401 Der Familie wurde zur Leidens- und Gefühlsgemeinschaft, bei der die emotionale Bindung der Familienmitglieder in den Vordergrund des Zusammenhalts rückte. 402 Dies löste das bisherige Verständnis von einer Produktionsund Zweckgemeinschaft ab, die den Familienverband durch soziale Absicherung, Arbeitsteilung und wirtschaftliche Einheit zusammenhielt. 403 Dadurch entstand eine Trennung von Innen und Außen, also vom Beruf und dem Privatleben 404, wodurch die Familie sich zum Ort der Selbstverwirklichung, des privaten Rückzuges und der Kompensation beruflich begründeter Entbehrung entwickelte. 405 Die Funktion des „Bollwerkes“ 406 gegen gesellschaftliche Umbrüche und für die Bewahrung alter Strukturen konnte die Familie in ihrer bisherigen Form nun nicht mehr leisten. 407

399 Vgl. BVerfG FamRZ 1959, S. 416 (421); Schwab FamRZ 1995, S. 513 (514); ders. FamRZ 2007, S. 1 ff; Simitis in Festschr. für Müller-Freienfels, S. 579 (585). 400 Vgl. BVerfG FamRZ 1959, S. 416 (421); Schwab FamRZ 1995, S. 513 (514); ders. FamRZ 2006, S. 1 (2); Braun ZfJ 1992, S. 564; vgl. dazu auch kritische Einschätzung Frank FamRZ 2004, S. 841 ff. 401 Vgl. dazu Kaltenborn ZfJ 1988, S. 64; Kaufmann FamRZ 1995, S. 129 (130); vgl. dazu in Hinblick auf die historische Entwicklung der Betrachtung dieses Erscheinungsbildes Schwab „Familienrecht“, S. 18; Schlüter „Familienrecht“, S. 2; Wagenitz / Barth FamRZ 1996, S. 577 (578). 402 Vgl. Dörner „Industrialisierung und Familienrecht“, S. 24, 70; Horkheimer in Simitis / Zenz I, S. 83 (88), der von einem Wandel zur Konsumtionsgemeinschaft spricht; Schelsky „Wandlung der Deutschen Familie in der Gegenwart“, S. 19; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 297. 403 Vgl. AK-BGB / Münder vor § 1626 Rz. 3 f; Dörner „Industrialisierung und Familienrecht“, S. 21. 404 Zum Begriff der Familie als Intimreservat vgl. Dörner „Industrialisierung und Familienrecht“, S. 21, 80; Gernhuber FamRZ 1962, S. 89 (90); Ramm „Jugendrecht“, S. 50; Schwab „Familienrecht“, Rz. 372; Zenz StAZ 1973, S. 257; kritisch hinsichtlich des damit verbundenen Stabilitätsverlustes noch Utz FamRZ 1958, S. 411. 405 Zur „Verinnerlichung der Familie“ vgl. Dux „Geschlecht und Gesellschaft – warum lieben wir“, S. 97; Schelsky „Wandlung der Deutschen Familie in der Gegenwart“, S. 19. 406 Vgl. O. Gierke „Der Entwurf zum BGB und das deutsche Recht“; Planck, Bd. III S. 973; Schab FamRZ 2007, S. 1 (2 f); vgl. dazu bereits Abschn. A.II.1.c).

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Damit sank jedoch auch die Bereitschaft des Einzelnen sich mit dem Verband zu identifizieren, so dass das individuelle Interesse in Widerstreit mit dem Interesse des Verbandes zu treten begann. 408 Denn durch das mit der privaten Innerlichkeit geschaffene Verständnis der Familie wurden die hierarchischen Strukturen aufgelöst. 409 Neben die rechtliche trat damit auch eine emotionale Labilisierung des Verbandes. 410 Beides schwächte die innere Stabilität und berief den Staat zur Kompensation der entstehenden Defizite. 411 Die Folge war eine Verrechtlichung der Familie, die sowohl in der zunehmenden Normendichte als auch zunehmenden Regelungsbedarf bestand, der sich aus der erhöhten Konfliktanfälligkeit ergab. 412 Waren die internen Entscheidungsmechanismen mit dem Verlust der Autorität und Machtvollkommenheit des Vaters entfallen, so wurde die Familie zum gesetzlich und gerichtlich regulierten Lebensbereich. 413 Ausgangspunkt dieser staatlichen Regulierung war zunächst ein rigider Familienbegriff, der sich allein an sittlichen Kategorien des 19. Jahrhunderts orientierte und die Ehe zum universellen Anknüpfungspunkt familiärer Rechte machte. 414 So wurde die Rechtsgestaltung zum Instrumentarium der politischen Intervention 415, 407 Hatte die Aufklärung als rechtstheoretische Grundlage für die in der väterlichen Herrschaftsstellung angelegten Unterwerfung der Frau unter ihren Ehemann noch dessen überlegene Vernunft angeführt, so stellte der Idealismus diese Beziehungsstruktur auf das Fundament einer selbsterwählten Unterwerfung der grundsätzlich gleichrangigen Frau, bei der das Ausgleichsbedürfnis des Mannes, nach seinem Wirken in der Außenwelt „ruhige Anschauung und empfindende Sittlichkeit“ (Hegel zitiert nach Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 307) in der Familie zu finden, der Frau die familiäre Aufgabe sozialen Verharrens zuwies. – vgl. dazu auch Ramm „Jugendrecht“, S. 27; Schwab „Familienrecht“, Rz. 370; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 299 ff. 408 Vgl. Simitis in Simitis / Zenz „Seminar: Familie und Familienrecht“, S. 15 (39). 409 Vgl. Schwabe „Familienrecht“, Rz. 373. 410 Vgl. Dickmeis ZfJ 1993, S. 1 f; Rummel ZfJ 1997, S. 202 (206); a. A. Dörner „Industrialisierung und Familienrecht“, S. 24, 70 und Moch ZfJ 1994, S. 401 (403) ziehen demgegenüber den Schluss, dass gerade im Rahmen zunehmender Individualisierung der Lebensgestaltung die Familie als Sinn stiftende Institution an Bedeutung gewinnt, indem sie die erschwerte Orientierung des einzelnen kompensiert; dazu auch Dux „Geschlecht und Gesellschaft – warum lieben wir“, S. 97. 411 Vgl. sehr anschaulich Frank FamRZ 2004, S. 841 ff. 412 Vgl. Münder RdJB 1984, S. 199; ders. ZfJ 1988, S. 10 (11); Schwab „Familienrecht“, Rz. 373; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 104; Simitis in Festschrift für Müller-Freienfels, S. 579; Wagenitz / Barth FamRZ 1996, S. 577 (578). 413 Vgl. Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 397; Simitis aaO, S. 579 (586); Schwab FamRZ 2007, S. 1 (2 f). 414 Vgl. Hattenhauer FamRZ 1994, S. 225 (229); Schwab FamRZ 1981, S. 1151 (1155); Wagenitz / Barth FamRZ 1996, S. 577 (578). 415 Vgl. Dörner „Industrialisierung und Familienrecht“, S. 59; Gernhuber FamRZ 1962, S. 89 (90); Horkheimer in Simitis / Zenz I, S. 83 (86 f); Ramm „Jugendrecht“, S. 28; Schwabe „Familienrecht“, Rz. 369; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 336; dazu auch Becker FamRZ 1961, S. 104 (105).

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die durch gezielte Förderung der Institution der Ehe gesellschaftliche Homogenität und Zukunftssicherung durch Vorgabe einheitlicher Wertvorstellungen verfolgte. 416 Als in sich geschlossene Einheit bildete der Eheverbund einen der staatlichen Reglementierung weitgehend entzogenen Lebensbereich, auf den der Staat vor allem die wirtschaftliche und fürsorgliche Erziehungszuständigkeit übertrug, soweit die Ausübung die Gefährdungsschwelle nicht überschritt. 417 Dementsprechend wurde durch das Scheidungsrecht nicht-gesellschaftskonformes Verhalten sanktioniert und als Mittel der Abschreckung indirekt zur Bestandssicherung eingesetzt. 418 Wesentlicher Bestandteil davon war das nacheheliche Sorgerecht. Gleich einer Trophäe wurde es lange Zeit dem Elternteil übertragen, dem aus der Scheidung kein Vorwurf gemacht wurde, zuerst, weil er schuldlos geschieden, später, weil zumindest sein scheidungsbezogener Verstoß nicht auf die Erziehung auszustrahlen drohte. 419 Die Scheidungssorge war damit Sinnbild gesellschaftlicher Rehabilitation. 416 Vgl. Erichsen „Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt“, S. 39; Henrich in Festschr. für Müller-Freienfels, S. 289 (298 f) unter Bezugnahme auf mittelalterliche Denker, die die Ehe als „die wahre Quelle und Ursprung des Staates“ bezeichneten, sowie auf Augustinus, nach dem die Familie Ausgangspunkt oder Teil des Staates ist, demzufolge der häusliche Frieden den bürgerlichen begründet und die geordnete Eintracht von Befehlen und Gehorchen der Hausgenossen auf den entsprechenden Zusammenhalt der Bürger einwirkt; Schwab FamRZ 2007, S. 1 (2 mwN); vgl. dazu auch Simitis in Simitis / Zenz „Seminar: Familie und Familienrecht“, S. 15 ff unter Hinweis auf die mit der Familie assoziierte sittliche Ordnung; Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 235; Rummel Zfj 1997, S. 202 (204); vgl. dazu auch BVerfGE 24, S. 119 (144), das ein legitimes Interesse der Gemeinschaft als grundlegende Inhaltsbestimmung der Kindeserziehung anerkennt; vgl. auch Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (447), die in diesem Zusammenhang von einem speziellen Kooperations- und Solidaritätsverhältnis sprechen. 417 Zur Garantenfunktion der Wertekontinuität über die Generationen und der gesellschaftlichen Leitbilder bzw. der sittlichen Grundordnung sowie der Wahrung der für das Gemeinwohl wesentlichen Faktoren der Kindeserziehung, um Zukunft und Kontinuität sicherzustellen, vgl. BVerfGE 10, S. 59 (60); Gernhuber FamRZ 1962, S. 89 (90); Goode in Simitis / Zenz „Seminar: Familie und Familienrecht“, S. 64 ff; Horkheimer in Simitis / Zenz, S. 83; Quambusch ZfJ 1988, S. 315 (317); Simitis in Simitis / Zenz „Seminar: Familie und Familienrecht“, S. 15 ff; Wagenitz / Barth FamRZ 1996, S. 577 (578) unter Hinweis auf Savigny in der Darstellung der in den Preußischen Gesetzen über die Ehescheidung unternommenen Reform. 418 Die historische Entwicklung hat zwei gegenläufige Erscheinungsformen dieser Instrumentalisierung der Scheidungsregulierung hervorgebracht. So wurden in Staatskrisen, insbesondere wenn aufgrund von Kriegszeiten die Populationspolitik in den Vordergrund trat, die Scheidungsanforderungen gelockert, um eine weitere nachwuchsfördernde Bindung zu begünstigen. Demgegenüber herrschten in den anderen Phasen restriktivere Scheidungstatbestände vor, durch die vor allem Stabilität der Verhältnisse und Bestandsförderung gefördert werden sollte, vgl. Neuhaus Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 1981, S. 37 (40). – Zur Legitimation der Scheidungsintervention aufgrund des Verständnisses der Ehe als göttliche Institution vgl. Müller-Freienfels ZfJ 1989, S. 443 (444); Schwab FamRZ 2007, S. 1 ff.

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Doch diese enge familienrechtliche Ausrichtung begann spätestens Ende der 60er Jahre die Realität nicht mehr angemessen zu erfassen. 420 Das Verständnis von der Familie veränderte sich durch gesellschaftlichen Wandel, der Erscheinungsund Wertungsvielfalt hervorbrachte. 421 Weder vermochte die einseitige Ausrichtung des Familienrechts auf die Ehe eine Verbreitung der rechtlich diskriminierten nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu verhindern. 422 Noch konnte die Auflösung der Ehen durch Scheidung länger als Ausnahmfall gewichtet werden. 423 419 Vgl. zur gesellschaftspolitischen Instrumentalisierung der Übertragung elterlicher Gewalt auch Dörner „Industrialisierung und Familienrecht“, S. 53. 420 Zum sozialen Wandel vgl. Baer ZRP 1989, S. 344; Börgers FuR 1990, S. 141 (144); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452); Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 156 ff. 421 Allgemein zur Problematik sich uneinheitlich entwickelnder Familienbegriffe vgl. Jayme 4. DFGT 1980, S. 7 (12, 18); beispielsweise wurde einer Befragung zufolge von 71% der Bevölkerung Kinder und ihre Eltern als Familie aufgefasst, während 21% auch Ehepaare ohne Kinder mit diesem Begriff belegen (vgl. Nave-Herz, Familiäre Lebensformen in der BRD, in: 40 Jahre BRD – Zur Zukunft von Familie und Kindheit, Beiträge zum Mainzer Kongress vom 16. / 17. 03. 1989, hrsg. vom BMJFFG, August 1980, S. 49. Dieses noch vorherrschende Bild der Familie, bestehend aus Eltern und Kindern, entspricht jedoch nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Nur 36,2% aller deutscher Haushalte stimmen damit überein, 22,4% bestehen aus Ehepartnern ohne Kinder, 1, 9 Mio. Haushalte mit alleinerziehenden Elternteilen konnten gezählt werden. Der Anteil der Ein-PersonenHaushalte nimmt einen immer größeren Teil ein (34,9%) (vgl. Familie heute – Strukturen, Verläufe und Einstellungen, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 1990, S. 15, 17); vgl. dazu Struck in Wiesner / Zarbock S. 79 (80); vgl. jedoch auch zu der sehr zögerlichen Umsetzung gesellschaftlichen Wandels durch das Familienrecht Frank FamRZ 2004, S. 841 ff. 422 In dem Zeitraum von 1972 bis 1982 hat allein die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften um 277% zugenommen. Parallel dazu haben sich gleichzeitig die demographischen Merkmale der in dieser Familienform lebenden Menschen verändert. Waren 1972 44% der Frauen und 52% der Männer älter als 55 Jahre, so ist der Anteil im Jahre 1982 insgesamt auf 16% gesunken. Demgegenüber stieg der Anteil der unter 36jährigen von 29% im Jahre 1972 auf 66% 1982. Fast bei der Hälfte aller Paare war 1972 mindestens ein Partner verwitwet und nur in ca. 30% waren beide Partner ledig, während 1982 ca. 2/3 aller nichtehelichen Lebensgemeinschaften aus ledigen Partnern bestanden (vgl. BMJFG „Nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland“ (1985), S. 147 f; vgl. auch 5. Familienbericht. Familien und Familienpolitik im vereinten Deutschland – Zukunft des Humanvermögens“ in BT-Drucks. 12 /7560, S. 34 ff). Im Ergebnis kann man aus dieser Veränderung ableiten, dass die nichteheliche Lebensgemeinschaft von einer vorwiegend nicht auf Reproduktion gerichteten Familienform, die ggf. die Folge von Bewahrung von Versorgungsansprüchen aus vorangegangenen Verbindungen war, zu einer bewusst gewählten Lebensform wurde, die sich auf alle Lebensphasen erstreckte. Eine Befragung über die Anerkennung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft als Lebensform ergab, dass etwa 50% der Bevölkerung sie als Alternative zur Ehe gutheißen, wobei die Quote bei Jüngeren (14 –30 Jährigen) sogar bei 70 –80% lag (vgl. EMNID-Informationen, 33. Jg., 1981, Nr. 4). Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass nur 4% der nichtehelichen Partner innerhalb ihres Haushalts gemeinsame Kinder aufzogen, während 25% der Kinder in diesen Haushalten aus früheren Beziehungen stammten (vgl. Nichteheliche Lebensgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland, Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Bd. 170 (1985), S. 25 ff).

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Beide Erscheinungsformen entwickelten sich zu Normalitäten, die als alternative Erscheinungsformen familiärer Strukturen die bisherige Gesetzesvermutung widerlegten, dass die Ehe den gesellschaftlichen Regelfall repräsentierte. Hinzu kam, dass durch die gesellschaftliche Akzeptanz der verschiedenen familiären Lebensformen sich auch die damit verbundenen Wertvorstellungen veränderten. 424 Solidarität und dauerhafter Zusammenhalt wurden nun zusehends auch in der Form der nichtehelichen Lebensgemeinschaft gelebt und waren nicht länger Domäne der Ehe. Dieses Auseinanderdriften von Rechtskonzeption und Realität schuf eine spürbare Regelungslücke, die der Vielfalt und Dynamisierung der Familienverhältnisse nicht entsprach. 425 Die erhöhte gesellschaftliche Akzeptanz von familiärer Dynamik und Gestaltenvielfalt wirkte sich schließlich auch auf die Beurteilung von Trennung und Scheidung aus. Auch wenn die Scheidungssituation von emotionaler Betroffenheit und Verletztheit geprägt bleibt, wurde durch geminderten gesellschaftlichen Druck das Abbrechen der Partnerschaft und das Alleinleben entstigmatisiert, so dass es zu einer gesellschaftlich tolerierten Form der Austragung und Bewältigung familiärer Konflikte wurde. 426 Dies führte dazu, dass die emotionale Belastung des Scheidungsverfahrens stark abgenommen hat und die Bereitschaft der Beteiligten zu konstruktiver Entflechtung bzw. in die Zukunft 423

So haben sich die Scheidungsquoten im Zeitraum zwischen 1965 und 1994 fast verdoppelt: Wurden 1965 85.287 Scheidungen vollzogen, so waren es 1994 166.052 Scheidungsfälle (Statistisches Bundesamt – Wirtschaft und Statistik 12/1995, S. 887). Moch ZfJ 1994, S. 401 stellt fest, dass sich die Scheidungswahrscheinlichkeit im Zeitraum zwischen 1970 und 1990 um 60% erhöht hat. 424 So ergaben Studien, dass die Einschätzung von Werten und Voraussetzungen einer partnerschaftlichen Beziehung mit denen der Ehe überwiegend übereinstimmen, vgl. BMJFG „Nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland“, S. 36 ff; so ergab laut BMJFG „Nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland“, S. 57, Tab. 8, dass etwa nur 3% der in einer nichtehelichen Gemeinschaft Lebenden die Vorstellung äußerten, dass der Partner in einer finanziellen Krise selbst zurechtkommen müsse; vgl. im Ergebnis auch Apelt / Franzkowiak / Liepmann „Diagniose partnerschaftlichen Verhaltens“, S. 139; Dmoch „Partnerberatung“, S. 190 ff. 425 Zur gebotenen Flexibilisierung und Einzelfallbetrachtung, um der Vielfalt der Lebenskonzeptionen gerecht zu werden vgl. Huvalé ZfJ 1980, S. 560 (564); Kaltenborn ZfJ 1988, S. 64; Kaufmann in Herlth u. a. „Abschied von der Normalfamilie? Partnerschaft kontra Elternschaft“, S. 52; Lakies ZfJ 1989, S. 162 (163); Magnus RdJR 1988, S. 158 (164); Meixner FuR 1991, S. 14 (15); Müller-Freienfels in der Festschr. für Gernhuber, S. 737 (778); Neuhaus ZfJ 1981, S. 37 (38); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452); Schwab FamRZ 1995, S. 513; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“ S. 363; Simitis in der Festschr. für Müller-Freienfels, S. 579 (587 f); ders. in Simitis / Zenz „Seminar: Familie und Familienrecht“, S. 15 (18, 50); Wagenitz / Barth FamRZ 1996, S. 577 (579); vgl. auch Seibert FamRZ 1995, S. 1457 (1458 f) unter besonderem Hinweis auf die Orientierung verfassungsrechtlich verankerter Werte an der sozialen Wirklichkeit anstelle eines starren Verhaftens an dem ursprünglichen Willen des Verfassungsgebers. 426 Vgl. dazu Kalternborn ZfJ 1988, S. 64 (65) mwN.

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orientierte gemeinsame Verantwortungsgestaltung nicht mehr in gleicher Weise durch gegenseitige Kränkungen behindert wird. 427 Die Entspannung des Elternverhältnisses ließ mehr Raum für Erziehungsfragen und erhöhte die Bereitschaft, sich in Hinblick auf sorgerechtliche Zuständigkeit kooperativ zu verhalten. 428 Diese Tendenz zeigte sich vor allem in den steigenden Zahlen einvernehmlicher Sorgerechtsregelungen gem. § 1671 Abs. 3 a.F. 429 Diese Entwicklung des Familienverständnisses lassen spezifische Charakteristika des KindRG erkennen. 430 So sieht zum einen § 1626a vor, dass die Eltern eines nichtehelichen Kindes durch einvernehmliche Sorgerechtserklärung die gemeinsame Sorge erlangen können. Zum anderen knüpft sowohl die gemeinsame Trennungs- und Scheidungssorge gem. § 1687 als auch die Übertragung der Alleinsorge gem. § 1671 nicht an die rechtliche Beurteilung des Verhältnisses der Eltern, sondern allein an die gemeinsame Sorge des Kindes vor Trennung und Scheidung an. 431 Damit verlagert sich das Sorgerecht von Institutionsschutz der Ehe auf die Bewahrung der ihr historisch zugewiesenen Familienfunktion. An die Stelle der rechtlichen Ausgestaltung eines engen Familienbegriffs und die gezielte Förderung einer Familienform tritt stärker die Funktionszuweisung. 432 Das heißt, indem die Elternsorge nicht mehr an den Status des Elternverhältnisses zwingend anknüpft, wird der Familienbegriff geöffnet und neben der Ehe auch die nichteheliche sowie die nacheheliche Familie einbezogen. 433 Damit wird die Partnerschaft 427 Vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (58); Magnus RdJR 1988, S. 158 (166); vgl. zu bestätigenden amerikanischen Studien Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (4); Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 118; a. A. Lempp FamRZ 1984, S. 741 (742), der sich scheidenden Eltern die Fähigkeit zum Konsens pauschal abspricht; ders. ZfJ 1984, S. 305 hält damit die „creative divorce“ und „creative post-divorce-parenting“ auf die deutsche Rechtslage zumindest noch nicht für anwendbar. 428 Eine etwas andere Sichtweise legt die Studie von Müller / Lempp ZfJ 1989, S. 269 (270) nahe, wonach die äußeren Zwänge sowie sachfremde Erwägungen der Eltern durch Schuldgefühle, Racheimpulse und die Ausübung von Durchsetzungsvermögen als bestimmende Faktoren im Entscheidungsprozess für die einvernehmliche Lösung hervorgehoben wurden. 429 Vgl. Coester FamRZ 1992, S. 617 (624); Rauscher NJW 1991, S. 1087; Salgo FamRZ 1996, S. 449 (453); Studie von Müller / Lempp ZfJ 1989, S. 269 spricht sogar von 90% gemeinsamen Vorschläge. 430 Vgl. Schwab FamRZ 2007, S. 1 (3 f). 431 Vgl. weitere Ausführungen in Kap. B. Abschn. II. 2., III. 432 Für tatsächliche Funktionswahrnehmung anstelle von institutionalisiertem Formverständnis vgl. Neuhaus Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 1981, S. 37 (38). 433 Zur Verlagerung der Sorgerechtsgewichtung auf Funktionswahrung durch Anpassung der Rechtsstellungen an die veränderten Lebensverhältnisse vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 169 (172); Fthenakis Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1986, S. 174; Napp-Peters „Scheidungsfamilien“, S. 14; Nave-Herz „Kontinuität und Wandel in der Bedeutung von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland“, S. 88; Proksch

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und Elternschaft rechtlich entflochten und das ermöglicht eine nach den Einzelbeziehungen differenzierte Funktionszuweisung. 434 Darin liegt die Aufwertung der Funktion gegenüber der Form, denn die gesellschaftlich auf die Familie übertragene Aufgabe kann nun durch die verschiedenen Verbandsformen wahrgenommen werden. Wird durch die Ehe eine Kindeserziehung im gesellschaftlichen Querschnitt nicht mehr hinreichend gewährleistet, so reagiert das Sorgerecht mit einer radikalen Öffnung des Familienbegriffes. Die dadurch gewonnene Anpassungsfähigkeit des Verbandes im Hinblick auf seinen Erziehungsauftrag führt jedoch zu einer stärker an die Elternschaft geknüpften Pflichtenbindung. Die Funktionszuweisung an die nicht- und nacheheliche Familie unterstellt die Funktionsfähigkeit und vereinheitlicht die Maßstäbe. Die gemeinsame Erziehungsverantwortung der Eltern wird über Trennung und Scheidung hinaus gestärkt. c) Eltern-Kind-Verhältnis und die Rechtsstellung des Kindes Mit dieser durch die zunehmenden Tolerierung der Scheidung entstehende Anfälligkeit des Familienverbandes und der damit verbundenen Flexibilisierung der Funktionszuweisung nimmt die Bedeutung der Einzelbeziehungen innerhalb der Familie zu. Anstelle eines einheitlichen Verbandes, der ursprünglich aufgrund seiner Geschlossenheit auch eine Rechtseinheit bildete, trat die einzelne Rechtsstellung jedes Familienmitgliedes stärker in den Vordergrund der rechtlichen Betrachtung. Diese Entflechtung der Familie in ihre Einzelbeziehungen führte zu einem sich nachhaltig wandelnden Verständnis des Eltern-Kind-Verhältnisses. Die unmittelbare Auswirkung auf die Beurteilung der nachehelichen Sorge spiegelt sich vor allem an der Entwicklung des Kindeswohls als Entscheidungsmaßstab wider. Er veranschaulicht die stetige Aufwertung des Kindes zum zentralen Richtwert der Sorgerechtsübertragung. Dieser Prozess ist dadurch gekennzeichnet, dass das Kind von einem Objekt elterlicher Rechtsansprüche zum Subjekt gerichtlicher Gestaltung wird, dessen Persönlichkeit und Bedürftigkeit das Kernstück der sorgerechtlichen Rechtsbeziehung bildet und damit in den Vordergrund der gerichtlichen Abwägung tritt. 435 Dem liegt zunächst ein grundlegender Wandel im Verständnis des Rechtsverhältnisses zugrunde, wie es sich anhand der gesetzlichen Sorge beobachten lässt. Die Rechtsentwicklung durchläuft in diesem Zusammenhang die Entdeckung des Kindes als eigenständige Persönlichkeit. 436 So besteht ein wesentlicher Entwickin Proksch / Sievering S. 66; vgl. dazu auch kritische Anmerkungen von Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (446). 434 Vgl. Simitis in der Festschrift für Müller-Freienfels, S. 579 (585). 435 Vgl. Staudinger / Peschel-Gutzeit vor § 1626 Rz. 17; Gernhuber FamRZ 1962, S. 89. 436 Vgl. Ariès „Geschichte der Kindheit“, S. 209 aus dem Blickwinkel eines gesamthistorischen Phänomens; vgl. dazu auch Gernhuber FamRZ 1962, S. 89.

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lungsschritt der Rechts- und Sozialgeschichte, beginnend mit der Aufklärung, darin, die Kindheit als einen Lebensabschnitt eigener Art mit spezifischen Anforderungen und elementaren Bedürfnissen zu erkennen. 437 Das Recht beginnt, die alltagsbezogenen Fürsorgepflichten im Rahmen der elterlichen Gewalt auszugestalten und insbesondere die Grenzen der elterlichen Rechtsstellung durch staatliche Eingriffstatbestände sicherzustellen. Es lässt sich von einer Verrechtlichung des Eltern-Kind-Verhältnisses reden, soweit diese Beziehung zunehmend rechtlich ausgestaltet wurde. So entstand eine enge Wechselwirkung zwischen der Einschätzung des Kindes und der Sorgerechtsgestaltung. Beginnend mit der eigentumsähnlichen Rechtsstellung wurde das Sorgerecht zunächst als natürlich empfundene Dispositionsbefugnis über das Kind verstanden. 438 Für die nacheheliche Gewalt folgte daraus eine formalisierte Zuteilung, die das Kind neben anderen „Gütern“ zum Gegenstand eines umfassenden Aufteilungsprozesses machte und sich allein an den Herrschaftsverhältnissen zwischen den Eltern orientierte. 439 Anspruchsdenken bestimmte also die Verteilung der Zuständigkeit für das Kind und machte die rechtliche Gestaltung der Eltern-KindBeziehung zum bloßen Annex der Neuordnung ihrer Verhältnisse. 440 Erst die bereits angesprochene Emotionalisierung des Sorgerechts, wie sie in der rechtlichen Aufwertung der Mutter ihren Ausdruck fand, verdrängte die Herrschaftsansprüche und stellte die reale Betreuung in den Vordergrund der Rechtsbeziehung. 441 Zum Gegenstand der rechtlichen Beurteilung wurden nun die konkreten Bedürfnisse 437 In einem groben Überblick kann man die Entwicklung wie folgt zusammen fassen: Bis ins Mittelalter kannte man keine Differenzierung zwischen Erwachsenen und Kindern, wobei die Erziehung durch die hohe Kindersterblichkeit weitgehend pragmatisch geprägt war. Aufkommende Frömmigkeit und fortschreitende Aufklärung erkennen in der Erziehung zunehmend die gestalterische Anforderung eines in der Unschuld des Kindes liegenden prägungsfähigen Potentials bzw. der Vermittlung von moralischen Werten, woraus sich im Laufe des 19. Jahrhunderts der diskriminierende Ansatz entwickelte, die Unbedarftheit des Kindes als Dummheit aufzufassen, die es durch Disziplinierung und Unterdrückung des Bösen zu überwinden galt. Erst im Zuge der Industrialisierung tritt neben dieses vorwiegend auf die Beseitigung kindlicher Eigenart gerichtete Erziehungsverständnis die Schutzbedürftigkeit des Kindes als Element elterlicher Einflussnahme (vgl. dazu Ariès „Geschichte der Kindheit“, insb. S. 97 ff, 189 ff, 210; Freeman „The Rights and Wrongs of Children“, S. 8 ff; Ramm „Jugendrecht“, S. 26). 438 Vgl. RGZ 122, S. 24; RG JW 1929, S. 870, wonach das Recht der Eltern am Besitz des Kindes zuerkannt wurde; vgl. dazu Gernhuber FamRZ 1962, S. 89; Raiser JZ 1961, S. 464 (467). 439 Vgl. dazu auch Ariès „Geschichte der Kindheit“, S. 209; Ramm „Jugendrecht“, S. 25; zum dem zugrunde liegenden naturrechtlichen Ansatz vgl. kritische Anm. Quambusch ZfJ 1988, S. 315; vgl. auch Schwab „Jugendrecht“ S. 49. 440 Vgl. Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 416, die den Wandel der Sorgerechtsstellung von einer anspruchsgeprägten Interessenwahrnehmung zur kindesorientierten Verantwortung als einen Hauptaspekt der Sorgerechtsentwicklung herausstellt. 441 Vgl. auch Freeman „The Rights and Wrongs of Children“, S. 14 f; Ramm „Jugendrecht“, S. 68; Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (434).

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und Empfindungen des Kindes, so dass sich der Fokus der Scheidungssorge von Eltern- auf Kindesinteressen verlagerte. 442 Anstelle formalistischer Kriterien definierten nun psychische und soziale Belange die sorgerechtliche Beziehung. 443 Die Beiträge zur Förderung der Kindesinteressen wurden nach und nach zum einzigen Maßstab, anhand derer die Eltern verglichen und an denen die nacheheliche Zuständigkeit bemessen wurde. 444 Aus diesem Verständnis des Eltern-Kind-Verhältnisses entwickelten sich neue Parameter der Rechtsbeziehung. Der Übertragungsmaßstab der nachehelichen Sorge verlagerte sich von einer eltern- auf eine allein kindesorientierte Wertung. 445 So waren vor allem die gesetzlichen Zuteilungskriterien Ausdruck eines in erster Linie auf die Eltern ausgerichteten Anspruchsdenkens. 446 Je mehr jedoch das Kind und seine tatsächlichen Bedürfnisse für die Beurteilung des Eltern-Kind-Verhältnisses an Bedeutung gewannen, desto stärker verlagerte sich die Sorgerechtsübertragung auf eine gerichtliche Einzelfallprüfung. 447 Dies veranschaulicht der sich allmählich durchsetzende Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls, der die formalen Zuweisungskriterien im Laufe der Zeit verdrängte. 448 Zentrale Parameter waren nun die tatsächliche Bindung, Erziehungsbereitschaft und -eignung des Sorgeberechtigten. 449 Die Eltern-Kind-Beziehung wurde auf diese Weise entformalisiert und mittels des auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffs einer umfassenden gerichtlichen Prüfung unterworfen. 450 Zeigte sich also die Verrechtlichung der ehelichen Sorge in normativen Vorgaben für die Ausübung der elterlichen Erziehungskompetenz, bestand sie hier in gerichtlicher Einzelfallprüfung. Damit verändert sich auch die Schutzrichtung des Sorgerechtsverfahrens. Zum einen wurde der Staat nun berufen, die Kindesinteressen gegen die Eltern durch 442

Vgl. KG FamRZ 1958,S. 423; Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (437) hinsichtlich des Begriffswandels vom „wohlverstandenen Interesse des Kindes“ gem. § 74 EheG v. 1938 zu dem „Wohl des Kindes“ gem. § 1671 Abs. 3 S. 1 i.d.F. des GleichberG. 443 Vgl. Hahnzog FamZR 1971, S. 334 (337); Schwab „Familienrecht“, Rz. 372; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 102; Wacke FamRZ 1980, S. 205. 444 Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang auch der proklamierte Erziehungsauftrag des SorgeRG, wonach allein die Erziehung zur Eigenständigkeit und Selbstbestimmung die Legitimation der Sorgerechtsstellung ist, vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 31; Ramm „Jugendrecht“, S. 69; Schwab „Familienrecht“, Rz. 374. 445 Vgl. Becker FamRZ 1961, S. 104; Gernhuber FamRZ 1962, S. 89. 446 Vgl. Gernhuber FamRZ 1962, S. 89. 447 Vgl. jedoch kritische Anm. von Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (437) in Hinblick auf die erneuten Aufteilungskriterien für die Kinder im Rahmen des GleichberG. 448 Vgl. Beitzke, ZBlJR 1975, S. 121 (124); Strätz FamRZ 1975, S. 541 (542). 449 Vgl. Hahnzog FamRZ 1971, S. 334 (337); Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 104 f; Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (439); BGH FamRZ 1957, S. 252 = MDR 1958, S. 25; vgl. dazu auch KG FamRZ 1957, S. 176 (177). 450 Vgl. schon Gernhuber FamRZ 1962, S. 89.

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eine umfassende Einzelfallprüfung durchzusetzen. Mit der Orientierung an den tatsächlichen Bedürfnissen des Kindes wurde die Scheidung als eine potentielle Gefährdung des Kindes angesehen, die zunächst die Eltern in ihrer bisherigen Rechtsstellung disqualifizierte oder doch zumindest der staatlichen Kontrolle unterstellte. 451 Diese Gefährdungsvermutung berief den Staat zum direkten Eingriff in die Gestaltung der nachehelichen Familienverhältnisse und übertrug ihm die Interessenwahrnehmung des Kindes in der Familienkrise. 452 Die Scheidung unterbrach damit das Beziehungsgeflecht und unterstellte eine potentielle Interessenkonkurrenz zwischen Eltern und Kind. 453 Zum anderen vollzog sich eine Gegenbewegung: Der Einzelfallbezug stärkte die Eltern, indem der übereinstimmende Elternvorschlag den Staat von der Konkretisierung des Kindeswohls ausschloss. 454 Die familiäre Eigenständigkeit bei der Konfliktbewältigung entwickelte sich zu einem Bestandteil des Kindeswohls, bei dem der Schutzraum einer Privatheit des ElternKind-Verhältnisses staatliche Kontrolle zurückzudrängen beginnt. 455 Im Kriterium des Kindeswohls entstand damit gleichermaßen ein staatlicher Kontrollanspruch und das Gebot staatlicher Zurückhaltung als ein der Sorgerechtsentwicklung immanentes Spannungsverhältnis. Betrachtet man diese Entwicklungstendenzen in ihrer Ausstrahlung auf das heutige Verständnis der Trennungssorge und die Gewichtung der Sorgerechtsformen, so leiten sich daraus weitere Einschränkungen der Alleinsorgeübertragung ab. Ausgangspunkt der Überlegung ist in diesem Zusammenhang zunächst die Individualisierung der Familienbeziehungen, das heißt ihre Verselbständigung innerhalb des Verbandes. 456 Diese grundlegende Weichenstellung der Sorgerechtsentwicklung erweist sich im Nachhinein in mehrfacher Hinsicht als richtungsweisend. So hatte der Wandel von einer einheitlichen Beurteilung der Familie unter Herrschaft des Vaters hin zu einem rechtlichen Netz nebeneinander bestehender Einzelbeziehungen dazu geführt, dass nun die verschiedenen Rechtsbeziehungen differenziert nach ihren individuellen Ausprägungen beurteilt werden können. Die Eltern-KindBeziehung bekommt auf diese Weise ein selbständiges Gewicht. 457 Das hat zur Folge, dass diese Rechtsbeziehung sich von dem Elternverhältnis abkoppelt, in 451 Zur Verrechtlichung der Eltern-Kind-Beziehung vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 33; Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (464). 452 Vgl. BayObLG NJW 1952, S. 320; OLG Frankfurt FamRZ 1962, S. 920; Gernhuber FamRZ 1962, S. 89; Imlau DRZ 47, S. 395; Klußmann, FamRZ 1982, S. 118; Raiser JZ 1961, S. 467, der schon von der Selbstbehauptung des Kindes gegenüber Eltern und Staat spricht; Strätz FamRZ 1979, S. 541; kritisch dazu Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (12). 453 Kritisch dazu Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (462); befürwortend Bosch, Anm. zu LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186). 454 Kritisch dazu Strätz FamRZ 1975, S. 541 (543); vgl. auch LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185. 455 Vgl. Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970). 456 Vgl. dazu Schwab FamRZ 1995, S. 513 (514); ders. FamRZ 2007, S. 1 (3 f); Braun ZfJ 1992, S. 564; Frank FamRZ 2004, S. 841 (846).

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ihrer Fortsetzung unabhängig zu beurteilen ist und dabei der Einzelbeitrag jedes Elternteils für die Entwicklung Kindes aufgewertet wird. Für den gerichtlichen Abwägungsprozess bei Trennung und Scheidung bedeutet dies zunächst in der Konsequenz eine grundlegende Entflechtung von Partnerschaft und Elternschaft. 458 So war die Sorgerechtsentwicklung zur Alleinsorge zunächst davon geprägt, dass die Auflösung der Ehe der Eltern zur Umgestaltung aller Familienbeziehungen führte, indem die Scheidung auch den Sorgerechtszusammenhang durchbrach und damit die Krise der Partnerschaft automatisch die Familie als Ganzes erfasste. 459 Die Verselbständigung des Sorgerechts und die Betonung eines eigenständigen Schicksals jeder Rechtsbeziehung führen demgegenüber zur Aufwertung der Kontinuität und Bewahrung des einzelnen ElternKind-Verhältnisses. 460 Denn die Zäsur im Elternverhältnis kann bei diesem Blickwinkel nur von Bedeutung sein, soweit sie sich tatsächlich auf die Beziehung zum Kind auswirkt. Daraus folgt auch eine stärkere sorgerechtliche Pflichtenbindung gegenüber dem Kind, da die Erziehungsverantwortung unverändert fortwirkt. 461 Die Elternsorge ist demzufolge auch von den Einflüssen des Geschlechterkampfes und der Emanzipationsbewegung zu lösen. Denn bei einer beziehungsspezifischen Gewichtung ist nicht die mittelbare Auswirkung auf das Elternverhältnis, sondern allein die Umsetzung der Kindesinteressen zulässiger Beurteilungsmaßstab. Erst mit diesem Schritt wird sich der Wandel des Eltern-Kind-Verhältnisses vom ursprünglichen Anspruchsdenken, worin Sorgerecht als Anrecht der Eltern auf das Kind bestand, zur treuhänderischen Pflichtenstellung wirklich vollziehen. Bei konsequenter Anwendung dieser aus der Sorgerechtsentwicklung hervorgegangenen Maximen auf die aktuelle Trennungssorge folgt daraus ein strenger Maßstab für die Einbeziehung des Elternverhältnisses in die Sorgerechtsgestaltung. Im Ergebnis bedeutet dies letztlich eine qualifizierte Anforderung für die Übertragung der Alleinsorge. Denn jeder Einzelaspekt rechtfertigt es, die Grenzen der Zumutbarkeit für die elterliche Kooperation zu erweitern und die Eltern stärker zu fordern. Zwar ging die Alleinsorge zunächst selbst aus der Entwicklung hervor, indem als Ausdruck einer radikalen Entflechtung der familiären Einzelbeziehungen Einwirkungen aus der elterlichen Beziehungsebene im Vorfeld vermieden wurden. 462 Die Aufwertung der einzelnen Eltern-Kind-Beziehung schuf daher 457 Vgl. dazu Belchaus ZBlJugR 1979, S. 336; Diedrichsen NJW 1980, S. 1 (8); Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 102; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 337; Strätz FamRZ 1975, S. 541 (547). 458 Moch ZfJ 1994, S. 401 (402) mwN; hingegen Dieckmann AcP 178 (1978), S. 298 (306) hält eine solche Unterscheidung für unmöglich. 459 Kritisch zu diesem entwicklungsbestimmenden Gleichsetzungsgedanken, MüllerFreienfels JZ 1959, S. 339 (343). 460 Vgl. dazu auch schon OLG Frankfurt FamRZ 1962, S. 920; Mugdan S. 382; Wacke FamRZ 1980, S. 205 (206). 461 Vgl. dazu auch schon Schwoerer FamZ 1958, S. 433 (437).

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zunächst ein Konkurrenzverhältnis, in dem die beiden Einzelbeiträge alternativ nebeneinander gestellt wurden. Vor dem Hintergrund der gemeinsamen gesetzlichen Trennungssorge bekommt die Individualisierung der Eltern-Kind-Beziehung eine veränderte Gewichtung. Die Einzelbeziehungen werden in der Trennungssituation nicht mehr in Konkurrenz zueinander gestellt, sondern in ihrer Bedeutung und im Fortbestand über die Trennung und Scheidung hinaus nebeneinander sorgerechtlichem Schutz unterstellt. Das Bewahren beider Beziehungen ist nun die Folge aus der Emanzipation des Kindes und der rechtlichen Verselbständigung seiner Rechtsbeziehungen. Das heißt, dass die Ausübung des elterlichen Antragsrechts zunächst auch als eigene Interessenwahrnehmung anzusehen ist und es damit der kritischen Überprüfung unterliegt, ob die damit implizierte Konfliktlage der Eltern tatsächlich auf die Sorgerechtsebene ausstrahlt. d) Das Verhältnis zwischen Staat und Familie und das sich wandelnde Interventionsverständnis Als Folge dieser vorstehenden Veränderungen entwickelte sich ein neues Interventionsverständnis. Der Blick auf die Entwicklung der Lebensverhältnisse hat gezeigt, dass sich die Veränderung der Familie und der familiären Beziehungen auf die nacheheliche Sorge auswirkten. Die veränderten Realitäten schufen Konflikte, die nur durch daran angepasste Beurteilungsmaßstäbe angemessen erfasst werden konnten. Doch führte dieser Wandel der tatsächlichen Verhältnisse nicht nur zu veränderten Sorgerechtsmaßstäben. Sie veränderte auch die Intervention des Staates im Familienkonflikt insgesamt und veränderte damit das Verhältnis zwischen Staat und Familie grundlegend. Ausgangspunkt der Betrachtung sind vor allem drei im vorangegangenen Abschnitt herausgearbeitete Gesichtspunkte, durch die neue Anforderungen an die staatliche Gestaltung der Familienbeziehungen gestellt wurden. Der erste beruht auf der Labilisierung des Verbandes. Sowohl die hohen Erwartungen der Eheleute an die Partnerschaft als auch die Entstigmatisierung der Scheidung haben den Familienverband konfliktanfälliger gemacht und beriefen den Staat zur Beilegung der daraus hervorgehenden Konfrontation. Hinzu kam als zweiter Aspekt, dass der Verband die eigene Regulationsfähigkeit verlor, indem die Gleichberechtigung der Eltern einerseits die familieninternen Entscheidungsmechanismen schwächte und andererseits den Interessenkonflikt durch die Begründung zweier konkurrierender Rechtspositionen entstehen ließ. Die ursprüngliche Entscheidungsmacht des Vaters musste durch staatliche Regulation ersetzt werden. 463 Daraus folgte 462 Kritisch dazu bereits LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404); KG FamRZ 1979, S. 340 (341); Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21); Lempp FamRZ 1972, S. 315; ders. bereits NJW 1964, S. 440. 463 Vgl. Schwab FamRZ 2007, S. 1(2).

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schließlich der dritte Aspekt, der auf der Zunahme der Komplexität der familiären Rechtsbeziehungen beruht. Anstelle der ursprünglichen eindimensional geprägten Beziehungen, die sich über die Rechtsstellung des Vaters definierten und über seine Rechtsstellung vereinheitlichten, trat ein komplexes Beziehungs- und Interessengeflecht, bei dem die Einzelrechte der Familienmitglieder an Bedeutung gewannen und sich die Einzelbeziehungen verselbständigten. 464 Dies führte zu individualisierten Interessen, die nun von rechtlichen Positionen erfasst und gerichtlicher Regulierung zugänglich wurden. Diese Aspekte haben das Verhältnis zwischen Staat und Familie tiefgreifend verändert. Die Grundsätze der elterlichen Gewalt und später der gesetzlichen Sorge waren durch alle Entwicklungsphasen dieses Verhältnisses weitgehend durch staatliche Abstinenz und Autonomie der Familie geprägt, erst in der Machtvollkommenheit des Vaters und später in privatautonomer Ausübung der Fürsorgepflicht. Kindeserziehung war folglich stets erst einmal als unkontrollierte Privatangelegenheit der natürlichen Eltern anerkannt 465, die staatliche Vorgaben für die Gestaltung des Familienlebens sowie der Erziehung ausschloss. 466 Auch war die Erziehung stets ihrer Natur nach rechtlicher Kategorisierung schwer zugänglich, da sie sich häufig irrational vollzieht und aufgrund der natürlichen Ungleichheit der Menschen individuell geprägt wird. 467 Eine zunehmende Lebensvielfalt und der Wertepluralismus in den Familien konnten darüber hinaus immer weniger durch verbindliche Maßstäbe erfasst werden. 468 Daher entwickelte sich die Grundmaxime der gesetzlichen Sorge, dass regelmäßig zu unterstellen ist, dass die Eltern im Interesse des Kindes handeln und am besten beurteilen können, was dazu erforderlich ist. 469 464 Vgl. Schwab „Familienrecht“, S. 199/Rz. 373; ders. FamRZ 2007, S. 1; Simitis in Festschrift für Müller-Freienfels, S. 579. 465 Zur weitgehenden Beschränkung der sorgerechtlichen Gestaltung des Rechtsverhältnisses zu Kind anhand der gesetzlichen Sorge vgl. weitere Ausführungen in diesem Kap., Abschnitte II.1.a)–c). 466 Vgl. Simitis in der Festschr. für Müller-Freienfels, S. 579 (581); vgl. dazu auch BVerfGE 24, S. 119 (144); 31, S. 194 (204); 47, S. 46 (70); 56, S. 363 (381); 59, S. 360 (385); BGHZ 66, 334 (337) = NJW 1976, S. 1540 f; Böckenförde in Essener Gespräche, S. 54 (74); Erichsen „Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt“, S. 27; Ossenbühl „Das elterliche Erziehungsrecht im Sinne des GG“, S. 46; Wiesner ZRP 1979, S. 285 (286). 467 Vgl. Ramm „Jugendrecht“ S. 19. 468 Vgl. Quambusch ZfJ 1988, S. 315 (317); Rummel RdJR 1992, S. 358 (362) auch unter Hinweis darauf, dass Erziehungsfunktion ihrer Natur nach nur außerhalb wertender Kontrolle zu erfüllen ist, da Kontrolle das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kind zerstört; so auch Schwab „Handbuch des Scheidungsrechts“, S. 449. 469 Vgl. BVerfGE 60, S. 79 (94); siehe auch BVerfGE 34, S. 165 (184); Erichsen „Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt“, S. 51 f; zum elterlichen Privileg der Kindeswohlbestimmung vgl. BVerfGE 59, S. 360 (376); 61, S. 358 (371); ebenso BGHZ 66, S. 334 (337; Lüderitz AcP 178 (1978), S. 263 (267); Ossenbühl FamRZ 1977, S. 553 (554) oder 533 (534).

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Dieses durchgehend liberalistische Familienverständnis beschränkt die staatliche Intervention auf nachtwächterstaatliche Funktionen. 470 Sie erschöpft sich darin, im Sorgerecht die historisch entwickelten Minimalstandards der Kindeserziehung zu gewährleisten und den Rechtsfrieden zu wahren. 471 Diese auch in der Verfassung in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verankerte wächteramtliche Schutzfunktion 472 beschränkt staatliche Eingriffe und gestaltende Maßnahmen allein auf den Schutz des Kindes, wenn die Eltern die Verpflichtung aus dem Erziehungsrecht nicht erfüllen und sich als inkompetent bei der Abwendung von Kindesgefährdung erweisen. 473 In den Grenzen des erzieherischen Ermessens kommt dem Staat grundsätzlich keine Entscheidungsbefugnis zu. 474 Die Zielsetzung staatlicher Mitwirkung an der Erziehungsgestaltung ist damit prinzipiell auf die Wiederherstellung elterlicher Autonomie gerichtet. 475 Die Intervention war daher in allen Entwicklungsphasen an konkrete Eingriffstatbestände geknüpft, die auf die Kompensation konkreter familiärer Defizite gerichtet war und die elterliche Rechtsstellung grundsätzlich unberührt ließ. 476 Der Übertragungstatbestand der nachehelichen Gewalt bzw. Sorge war nach der Einführung des Kindeswohls als Entscheidungsmaßstab als spezieller Gefahrentatbestand ausgestaltet und basierte durchgehend auf der Annahme eines durch die Scheidung begründeten Regelungsbedarfs. 477 Die Scheidungsintervention bis zum KindRG basierte daher auf der Grundüberlegung, dass die Scheidung die Grundlage der Elternsorge zunächst aufhob und als Zäsur eine erneute Zuordnung der Zuständigkeiten erforderte. 478 Die Elternsorge wurde damit in einen zwingenden Zusammenhang mit der Auflösung der Partnerschaft gestellt und vereinheitlichte auf diese Weise die Regulierung der verschiedenen Familienbe470 Vgl. Rummel RdJR 1992, S. 358 (360), der das Prinzip des Liberalismus als das Legitimationsmodell für das Sorgerecht bezeichnet. 471 Vgl. BVerfG NJW 1971, S. 1447 (1448); NJW 1981, S. 217 (218); NJW 1981, S. 1771 (1773); FamRZ 1982, S. 1179 (1182). 472 Vgl. BVerfG FamRZ 1994, S. 223 (224) = NJW RR 1994, S. 1208 (1209) = DAVorm 1994, S. 524. 473 Vgl. BVerfGE 61, S. 358 (374); BVerfG FamRZ 1981, S. 745 (749 f); vgl. auch OLG Bamberg NJW 199, S. 1684; OLG Hamm FamRZ 1989, S. 398 (399); Erichsen „Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt“, S. 51; Oelkers FamRZ 1995, S. 1097 (1098). 474 Vgl. Erichsen „Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt“, S. 53. 475 Vgl. Erichsen „Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt“, S. 57 ff. 476 Vgl. Gernhuber FamRZ 1973, S. 229 (232); Erichsen „Elternrecht-KindeswohlStaatsgewalt“, S. 44; zum darin verankerten Susidiaritätsprinzip vgl. Becker FamRZ 1961, S. 104 (105); Böckenförde in Essener Gesprächen S. 54 (75 f); Dickmeis ZfJ 1993, S. 1 (8); aaO Erichsen, S. 29; Treitz „Die Verteilung der elterlichen Gewalt bei Auflösung der Elternehe und bei dauerndem Getrenntleben der Eltern“ S. 25. 477 Zum lex specialis-Charakter des § 1671 a.F. gegenüber § 1666 a.F. vgl. etwa BayObLG NJW 1963, S. 590. 478 Kritische Anm. dazu vgl. Rummel RdJR 1992, S. 358 (367).

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ziehungen. 479 Nacheheliche Sorge wurde demnach als aliud, einer Elternsorge eigener Art, gestaltet, bei der das Ende der Partnerschaft auch die Grundlage gemeinsamer Elternverantwortung aufhob. 480 Doch verlagerte sich innerhalb dieser Prämisse im Laufe der Entwicklung sehr stark die Akzentuierung der Neuordnung. Die gesetzlichen Zuweisungskriterien wie die Scheidungsschuld oder Geschlecht und Alter der Kinder formalisierten den Zuweisungsprozess und stellten sich in erster Linie als eine Entflechtung einer zuvor einheitlichen Rechtsgesamtheit dar. Der Eingriff in die Funktionsausübung der Familie durch die Sorgerechtsgestaltung beruhte auf verallgemeinerten Wertungen und bewahrte auf diese Weise gegenüber dem Einzelfall weitgehend Neutralität. 481 Indem diese verallgemeinerten Maßstäbe allmählich durch die Entscheidungskriterien des Kindeswohls und des Elternvorschlages abgelöst wurden und an die Stelle der Gesetzeswertung nun eine Beurteilung der Gerichte trat, gab der Staat die Neutralität auf und verlagerte die Sorgerechtübertragung auf eine Einzelfallentscheidung. In diesem Prozess kommt der sich langsam durchsetzenden Alleinsorge besondere Bedeutung zu. Sie veranschaulicht, wie sich das Verständnis des Regelungsbedarfs und des auf die Scheidung bezogenen Gefahrentatbestandes wandelt. Denn durch die zunehmend einseitige Zuweisung des Sorgerechts stand nicht mehr die Koordination der elterlichen Zuständigkeiten, sondern die vollkommene Auflösung eines Erziehungszusammenhangs im Vordergrund der Intervention. Die Intervention zielte daher nicht mehr vorrangig auf die Organisation der Erziehung nach Maßgabe gesellschaftlicher Wertvorstellungen, sondern auf die Vermeidung von Konflikten zwischen den Eltern. 482 Parallel zur Entwicklung des Kindeswohls zum einzigen Entscheidungsmaßstab der nachehelichen Sorgerechtsübertragung vollzieht sich damit eine fundamentale Umgewichtung von der Durchsetzung gesellschaftlicher Zielvorstellungen durch die staatliche Sorgerechtsgestaltung hin zu einer defensiven prophylaktischen Schutzmaßnahme. Hatte auch zuvor die Scheidung den Staat pauschal zur Gestaltung der nachehelichen Gewalt berufen, so beruhte dies mit der Einführung der Alleinsorge auf der allgemeinen Annahme, dass die Eltern wegen der Scheidung nicht mehr in der Lage sind, die Belange des Kindes interessengerecht zu regeln. 483 Aufgrund dieser durch die Scheidung 479 Kritisch zu diesem entwicklungsbestimmenden Gleichsetzungsgedanken, MüllerFreienfels JZ 1959, S. 339 (343). 480 Kritisch zu diesem Ansatz bereits nach alter Rechtslage Schwab „Handbuch des Scheidungsrechts“, S. 449. 481 Vgl. Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 102. 482 Kritisch bezüglich der vorwiegend an den Eltern orientierten Beurteilung vgl. Rummel ZfJ 1997, S. 202 (207). 483 Vgl. Coester EuGRZ 1982, S. 256 (257); Müller-Freienfels ZfJ 1989, S. 443 (444); zum Ausschlussverhältnis zwischen staatlicher und elterlicher Entscheidungskompetenz vgl. Rummel RdJR 1992, S. 358 (361).

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begründeten Kindeswohlgefährdung 484 war die Intervention vorrangig darauf gerichtet, zu verhindern, dass das Kind zum Opfer elterlicher Auseinandersetzungen wurde. Die im Verhältnis zur Familie gebotene Zurückhaltung bestand nun nicht mehr in der standardisierten Sorgerechtszuweisung, sondern in der Zielsetzung, eine abschließende Regelung zu treffen und späteren Ausgleichs- und Konfliktregulationen vorzubeugen. 485 Anhand dieser Entwicklung der staatlichen Sorgerechtsintervention lassen sich verschiedene Charakteristika bzw. Tendenzen ableiten, die für die Gewichtung des KindRG Anhaltspunkte bieten können. Als erstes Merkmal der sich verändernden Intervention lässt sich die Entmoralisierung der nachehelichen Sorge hervorheben. Denn indem die Scheidungsschuld als Übertragungskriterium Bedeutung einbüßte bis sie schließlich vollends entfiel, verlor die nacheheliche Sorge die unmittelbare Funktion eines Sanktionsmittels für gesellschaftlich missbilligtes Verhalten. 486 Diese ursprüngliche Instrumentalisierung des Sorgerechts hatte das Augenmerk auf die Beziehung der Eltern gerichtet und die Kindesinteressen ihr untergeordnet. Nachdem nun die Scheidungsschuld als verbindliche moralische Kategorie nicht mehr die Erziehungseignung der Eltern festlegte, konnte sich die Beurteilung der nachehelichen Sorge stärker der unmittelbaren Betrachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses zuwenden. Das Sorgerecht verlagerte sich von einer an den Eltern gemessenen auf eine stärker an der Person des Kindes orientierte Beurteilung. Der dadurch geschaffene Gestaltungsraum bot die Möglichkeit zu differenzierterer Betrachtung. Dies wurde durch einen allgemeinen Öffnungsprozess bei der Entscheidungsfindung ergänzt, wie er durch das Entscheidungskriterium des Kindeswohls symbolisiert wird. 484 Diese gesetzliche Vermutung der Kindeswohlgefährdung legitimiert die staatliche Scheidungsintervention, während demgegenüber bei der Ermittlung der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, bei dem das Gericht den Sachverhalt in eigener Verantwortung aufklären muss gem. §§ 621a Abs. 1 S. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO; 12 FGG, vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1992, S. 206 (208); OLG Oldenburg FamRZ 1992, S. 192 f. 485 Kritische Anmerkungen zu dem vorrangig an den Eltern orientierten Blickwinkel ohne Durchsetzung der Kindesinteressen vgl. Rummel ZfJ 1997, S. 202 (207). 486 Vgl. Neuhaus Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 1981, S. 37 (40); die Instrumentalisierung des Sorgerechts zum Sanktionsinstrument war jedoch einem historischen Wandel unterworfen. Dies wird veranschaulicht durch die sich wandelnden Scheidungstatbestände, die zunächst laut §§ 696 ff ALR II 1 die Auflösung der Ehe am Zweck der staatlich erstrebten Reproduktionssicherung ausrichtete und die Scheidung u. a. bei „Ekel, Raserey und dem gänzlichen, unheilbaren Unvermögen zur Leistung ehelicher Pflichten“ zuließ (Dörner „Industrialisierung und Familienrecht“, S. 53). Durch §§ 1564 ff a.F. wird die moralische Stabilisierungswirkung der Ehe gesetzlich verankert, indem auch ehr- und sittenloses Verhalten in den abschließenden Katalog hinreichender Scheidungsgründe aufgenommen wurde. Bereits mit den §§ 50 –53 EheG 1938 finden sich dann erste Ansätze des Zerrüttungsprinzips, die es nach dreijähriger Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der eigenen Beurteilung der Beteiligten überließen, die Ehe für gescheitert anzusehen. Doch erst mit der Einführung des Zerrüttungsprinzips durch das EheRG entzieht sich der Grund der Eheauflösung der staatlichen Beurteilung.

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Ein Element davon war die Entschematisierung und die Flexibilisierung der Sorgerechtsbeurteilung. 487 Anders als die vorherigen, äußerlich zu bestimmenden Übertragungskriterien konkretisierte sich das Kindeswohl erst anhand des Einzelfalls, indem die Vielfalt der das Kindesinteresse beeinflussenden Faktoren nun innerhalb dieses Entscheidungsmaßstabes abgewogen werden konnten. 488 Dahinter stand der zunehmende Anspruch, den konkreten Umständen des Einzelfalls im Interesse des Einzelfalls gerecht zu werden. Das Kindesinteresse war also nicht länger eine einheitliche Größe, die sich auf die formalisierte Zuteilung beschränkte, sondern richtete sich nach den konkreten Möglichkeiten des Einzelfalls. Die darin angelegte Maxime der Interessenmaximierung illustriert den zentralen Wechsel des gerichtlichen Blickwinkels auf die nacheheliche Sorge im Laufe der Rechtsentwicklung. Das Kind rückt in das Zentrum der Entscheidung und wird als schutzbedürftiges Opfer der Familienkrise anerkannt, zu dessen Sachwalter nun der Staat berufen ist. Das erweiterte Spektrum durch die rechtliche Aufwertung der Mutter, die damit verbundene Aufwertung der realen Fürsorgeverhältnisse für die Rechtsstellung und schließlich die sich entwickelnde Vielfalt der Lebenssachverhalte machten eine differenzierte Güterabwägung erforderlich, die nur noch durch Gerichte und nicht mehr durch universell anwendbare Gesetze geleistet werden konnte. 489 Im Ergebnis führt dieser sorgerechtliche Gestaltungsspielraum zu einer Individualisierung der sorgerechtlichen Beurteilung. 490 Auch wenn die Grundannahme, dass aufgrund der Scheidung ein regelungsbedürftiger Konflikt besteht und die Eltern nicht mehr zur gemeinsamen Wahrnehmung der Erziehungsaufgaben geeignet sind, auf einer pauschalen Verallgemeinerung beruht, so öffnet sich die Beurteilung zumindest innerhalb des Verfahrens den Besonderheiten des Einzelfalls. Indem der Anspruch an die Einzelfallgerechtigkeit der nachehelichen Sorgerechtsübertragung deutlich zunahm, vollzog sich gleichzeitig auch eine Verrechtlichung bzw. Entprivatisierung dieses Lebensbereiches. 491 Der Mitwirkung des Staates an der Gestaltung der Familienbeziehungen und der Beilegung des Konfliktes kam immer stärkere Bedeutung zu. Sowohl die oben ausgeführte zunehmende Konfliktanfälligkeit als auch die zunehmend rechtliche Differenzierung zwischen den familiären Einzelbeziehungen steigerten den Regelungsbedarf. 492 Die Ord487 Vgl. dazu auch Münder RdJB 1984, S. 199; ders. ZfJ 1988, S. 10 (11); Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 104. 488 Vgl. weitere Ausführungen zum Kindeswohlbegriff im Kap. C., Abschn. III.2. 489 Vgl. Quambusch ZfJ 1988, S. 315 (317); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452). 490 Vgl. Schwab FamRZ 2007, S. 1 (2). 491 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 33; Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (464). 492 Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (468). Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (9); Bosch FamRZ 1973, S. 507; Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (466 f); Hinz „Kindesschutz als Rechtsschutz und elterliches Sorgerecht“; Schmitt Glaeser DÖV 1978, S. 631.

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nung des Familienlebens wird immer stärker in rechtliche Kategorien gefasst und überdies durch den Staat gestaltet. Dieser Aspekt ist daher in drei Ausprägungen zu unterteilen. Zum einen in die tatsächliche Verrechtlichung, die in der zunehmenden Bedeutung der rechtlichen Gestaltung für die Funktionsfähigkeit der Familie besteht, da die Familie konfliktanfälliger wird und gleichzeitig immer weniger in der Lage ist, aus eigener Kraft Lösungen zu finden. Zum anderen entsteht eine normative Verrechtlichung indem das gesetzliche Instrumentarium die Erfassbarkeit und Regelungsdichte der Lebenssachverhalte immer stärker verfeinert. Neben dem umfassenden Regelungsanspruch des Kindeswohls sind dafür die konkurrierenden Rechtsstellungen und damit die Entflechtung der elterlichen Erziehungsgesamtheit sowie das Entfallen des sog. „Stichentscheides“ als familieninternes Regularium beispielsweise genannt. Die beginnende Emanzipation des Kindes vervielfältigte die gegeneinander auszugleichenden Interessen, die die Familienverhältnisse immer stärker zu einem Konglomerat verschiedener Ansprüche machten. Schließlich zeigt sich eine verfahrensbezogene Verrechtlichung, die man in dem umfassenden Anspruch auf den Einblick in die Familienbelange erkennen kann. 493 Der Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls setzt zumindest theoretisch eine vollständige Aufdeckung der Beziehungsstrukturen voraus, durch die die Privatsphäre im Sorgerechtsverfahren dem gerichtlichen Zugriff preisgegeben wird. 494 Die bisherige Autonomie und die Anerkennung der Familie als ein grundsätzlich dem Staat nicht zugänglicher Lebensbereich, wie es sich letztlich noch in den formalen Entscheidungskriterien niederschlug, werden damit zumindest für die Scheidungssorge aufgegeben. Doch zeichnete sich auch allmählich eine Gegenbewegung zu diesem expansiven staatlichen Zugriff ab, indem die Reprivatisierung der nachehelichen Sorge und Rufe nach staatlicher Zurückhaltung an Gewicht gewannen. 495 Zwar bringt die Verrechtlichung des Familienkonflikts zunächst die Überzeugung zum Ausdruck, dass die Amtsermittlung die Gerichte in die Lage versetzt, den Einzelfall umfassend zu würdigen und damit die Entscheidungsunfähigkeit der Eltern zu kompensieren. Jedoch entwickelten sich zunehmend Zweifel an diesem hohen Anspruch an die staatliche Kompetenz. 496 Der nur punktuelle Einblick in die 493

Vgl. auch Frank FamRZ 2004, S. 841 (846); Schwab FamRZ 2007, S. 1 (3 f). Vgl. Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (468); Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (9); Bosch FamRZ 1973, S. 507; Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (466 f); Hinz „Kindesschutz als Rechtsschutz und elterliches Sorgerecht“; Schmitt Glaeser DÖV 1978, S. 631. 495 Insbesondere unter Hinweis darauf, dass der Staat nur die äußeren Voraussetzungen schaffen könne, die Umsetzung jedoch den Eltern überlassen bleibe vgl. Coester 6. DFGT, 1986, S. 35 (36); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 31; vgl. unter Bezugnahme auf das Reformbedarf Lakies ZfJ 1989, S. 162 (insb. 168); Schwenzer FamRZ 1992, S. 122; Wagenitz / Barth FamRZ 1996, S. 577 (582). 496 Potentiale eigenständiger Regulierung der nachehelichen Sorge durch die Eltern von rd. 85% vgl. BT-Drucks. 7/650, S. 242; Coester FamRZ 1992, S. 617 (624); Ell ZfJ 494

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Familienverhältnisse böte eine unzureichende Grundlage für die erforderliche Prognoseentscheidung und gewährleiste aufgrund der damit ausgeübten Fremdbestimmung nicht hinreichend, dass die Gerichte die beste Lösung für die individuelle Familie fänden. 497 Der staatliche Regelungsanspruch vernachlässige die große Abhängigkeit der Gerichte von der Kooperation der Betroffenen. Dies setze sich auch nach der Entscheidung fort, da die Akzeptanz der Betroffenen gegenüber der Entscheidung als zunehmend bedeutend angesehen wurde. Insbesondere die offene Konkurrenz der Eltern um das nacheheliche Sorgerecht im Verfahren drohe, die Konfrontation zu verstärken, und stelle damit noch eine weitere Belastung für eine Neuordnung dar. 498 Im Übrigen suggerierten die rechtlichen Maßstäbe eine Trennungsschärfe zwischen den betroffenen Interessen, die aber durch Wechselwirkung des komplexen Beziehungsnetzes tatsächlich nicht bestehe. Der Doppelcharakter des Kindeswohls, einerseits der Schutzauftrag des Staates bei Interessenverletzungen durch die Eltern und andererseits der Schutz des Kindes vor staatlichen Eingriffen, gewann auf diese Weise an Tragweite für den Entscheidungsprozess. 499 Ausdruck dessen ist die zunehmende Bedeutung des Elternvorschlages und das Bemühen der Gerichte, eine eigene Lösung der Eltern zu begünstigen. 500 Die Stabilität durch Selbstbestimmung anstelle autoritärer Vorgaben entwickelte sich zum zentralen Ziel der staatlichen Intervention. Darin ist ein grundlegender und für die weitere Entwicklung ausschlaggebender Wandel des Interventionsverständnisses von Kontrolle zur Hilfestellung eingeleitet. Im Vordergrund steht nicht allein die Beseitigung eines sorgerechtlichen Schwebezustands durch hoheitliche Zuständigkeitsübertragung oder autoritären Eingriff in die Rechtsstellung der durch die Scheidung disqualifizierten Eltern. Die veränderte Zielsetzung beginnt, die Familienkrise als einen Anpassungsprozess zu begreifen und das starre Verständnis der Scheidung als eine Zäsur bzw. grundlegende Neuordnung aufzugeben. 501 Die eindringlichste Ausprägung dieses Entwicklungsschrittes ist der oben ausgeführte Bindungsstreit 502, der die Nachscheidungsfamilie als Kontinuum einführte. Auch bei der Auslegung des Kindeswohls gewinnen 1988, S. 436 (440), der eine darüber hinausgehende Einigungsquote von 10% im Laufe des Verfahrens konstatiert; Rauscher NJW 1991, S. 1087; Salgo FamRZ 1996, S. 449 (453); Strätz FamRZ 1975, S. 541 (542); kritisch hingegen Jopt ZfJ 1990, S. 285 (286), der eine reale Einigungsquote von 18% annimmt, während die übrigen Fälle lediglich das Produkt einer auf dem Mutterprimat beruhenden und durch sanften Druck erzielten Einigungen darstellen. 497 Kritisch dazu bereits Weber FamRZ 1975, S. 401 (402). 498 Vgl. Coester FamRZ 1992, S. 617 (624); Ell ZfJ 1988, S. 436 (440); Jopt ZfJ 1990, S. 285 (286); Strätz FamRZ 1975, S. 541 (542). 499 Vgl. Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (462 f). 500 Kritisch dazu Strätz FamRZ 1975, S. 541 (543); vgl. auch LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185. 501 Vgl. Dickmeis ZfJ 1993, S. 1 (11). 502 Vgl. dazu weitere Ausführungen in Kap. C., Abschn. III.2.c).

II. Historische Entwicklung der Elternsorge bis 1979

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dynamische Gesichtspunkte an Bedeutung, die zum einen den nach der Scheidung eintretenden Entspannungseffekt im Elternverhältnis 503 und zum anderen die zentrale Bedeutung beider Eltern für die gesunde Persönlichkeitsentwicklung des Kindes hervorheben. 504 Gerade indem die Interessenwahrnehmung für das Kind in der Rechtsentwicklung immer gewichtiger wurde, richtete sich der Blick damit auf tragfähige Kooperationsformen für die Eltern. 505 Vorerst führte dies jedoch nur zu der Erkenntnis, dass durch die nacheheliche Sorgerechtsgestaltung und das Umgangsrecht das Kind im Regelfall einen Elternteil als Bezugsperson verlor, was dem erklärten Ziel der Minimierung von Scheidungsfolgen widersprach. Vor diesem Hintergrund wird die Intervention zunehmend auch als Mittel angesehen, um die Verständigung zwischen den Eltern zu fördern. Zielsetzung der Intervention war demnach keine rein ergebnisorientierte Verhandlung, sondern auch ein emotionaler Befriedungsversuch. 506 Zusammenfassend lässt sich die Entwicklung als Entstehung einer Sorgerechtsskepsis verstehen, bei welcher der zunehmende Anspruch an die staatliche Regulation gleichzeitig auch die engen Grenzen der staatlichen Beurteilungs- und Gestaltungsfähigkeit aufgewiesen hat. So waren schon in der Geltungszeit der alten Rechtslage Zweifel angelegt, dass die Alleinsorgeübertragung als universelles Lösungsmodell angemessen ist. Vor allem aber entstand die Einsicht, dass der Schutz des Kindes vor den langfristigen Scheidungsfolgen wie dem Verlust eines Elternteils oder der Opferposition im Konflikt zwischen den Eltern nur durch die Familienmitglieder selbst geleistet werden kann. In der bestehenden Wechselwirkung zwischen Familienautonomie und staatlichem Gestaltungsanspruch war damit bereits ein Grundstein für einen Rückzug des Staates und die Refunktionalisierung der Familie angelegt. 507 503

Vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (58). Vgl. in diesem Zusammenhang schon Weber FamRZ 1975, S. 401 (402); Oelkers FamRZ 1995, S. 1097 (1098). 505 Vgl. BVerfGE 31, S. 194 (205) = NJW 1971, S. 1447f = FamRZ 1971, S. 421 (424); FamRZ 1982, S. 1179 (1182); vgl. BVerfG NJW 1981, S. 217 (218); 61, S. 358 (373). 506 Anhaltspunkte für diesen Wandel des Interventionsverständnisses bieten eine Vielzahl von BVerfG-Entscheidungen: vgl. BVerfGE 61, S. 358 vom 3. 11. 1982 zur gemeinsamen Sorge nach der Scheidung; Beschl. vom 31. 1. 1986 zur Notwendigkeit sachgerechter Kindesvertretung im gerichtlichen Verfahren (DAVorm. 1989, S. 789 = ZfJ 1989, S. 149; Urteil vom 31. 1. 1989 zum Recht des Kindes auf die eigene Abstammung (DAVorm. 1989, S. 269 = ZfJ 1989, S. 421; Beschl. vom 7. 5. 1991 zur Gleichberechtigung der Geschlechter im Ehenamensrecht (NJW 1991, S. 1602 = FamRZ 1991, S. 535); Beschl. vom 7. 5. 1991 zur gemeinsamen elterlichen Sorge auch bei nichtehelicher Kindschaft (NJW 1991, S. 1944 = FamRZ 1991, S. 913 = ZfJ 1991, S. 421); Beschl. vom 4. 7. 1991 zum Familiennamen des Kindes bei fehlendem gemeinsamen Familiennamen der Eltern (vgl. auch schon BGH NJW 1990, S. 634); Beschl. vom 5. 11. 1991 zur Herstellung eines einheitlichen Instanzenzuges bei Unterhaltsstreitigkeiten ehelicher und unehelicher Kinder (DAVorm. 1992, S. 1). 507 Vgl. Erichsen „Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt“, S. 57 ff; Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970). 504

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

III. Richterrechtliche Gestaltung der gemeinsamen Scheidungssorge seit 1982 Ein weiterer, sehr wichtiger Anknüpfungspunkt der historischen Betrachtung für die Auslegung des KindRG ist die jüngste Vergangenheit der nachehelichen Sorge. Denn der gesetzgeberische Entscheidungsprozess war in besonderer Weise geprägt durch die Erfahrungen und Probleme im Sorgerecht, die während des Gesetzgebungsprozesses bestanden. Die aktuelle Regelung wird mit Blick auf diese Entwicklungsphase als Entscheidung zwischen verschiedenen Strömungen erkennbar und lässt damit Rückschlüsse auf die Zielsetzung des KindRG zu. Mit dem Urteil des BVerfG vom 3. November 1982 begann ein neuer Abschnitt der Rechtsentwicklung, der den sorgerechtliche Reformprozess einleitete. Darin wurde die Vorschrift des § 1671 Abs. 4 a.F. für verfassungswidrig erklärt, soweit darin die Alleinsorge als einzige nacheheliche Sorgerechtform zwingend festgeschrieben war. Außerhalb der gesetzlichen Regelung wurde damit die Übertragung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung eingeführt. Die dadurch entstandene Regelungslücke wurde nach und nach durch die richterliche Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Kriterien in der gerichtlichen Praxis geschlossen. Der mit diesem Urteil verbundene Impuls des BVerfG ist mit seinen weitreichenden Konsequenzen mehr als bloß eine formale Korrektur gesetzgeberischer Gewichtung. Es stellt einen grundlegenden Umbruch dar. Die Scheidungssorge wird hierdurch zum Ausgangspunkt einer übergreifenden Neubewertung und Überprüfung bisheriger Sorgerechtsmaßstäbe, die das heutige Erscheinungsbild der gemeinsamen Sorge prägen. So sind darin bereits im Vorfeld der Reform Elemente einer stärkeren Individualisierung der sorgerechtlichen Güterabwägung und eines damit verbundenen Rückzugs des Staates aus der nachehelichen Sorgerechtsgestaltung angelegt. Beides veranschaulicht schon hier den Wertewandel, mit der Tendenz die bisherige Konfliktvermutung bei Scheidung zu relativieren, die für die Auslegung des KindRG und das Verhältnis gemeinsamer und alleiniger Sorge von besonderer Bedeutung ist. Im folgenden Abschnitt soll daher die richterrechtlich geprägte Rechtslage vor dem KindRG nach den rechtlichen Maßstäben für die gemeinsame Sorge sowie den Ansätzen für die Abwägung zwischen alleiniger und gemeinsamer Sorge dargestellt werden. Zunächst richtet sich das Augenmerk dabei auf die Entscheidung des BVerfG, seine sorgerechtliche Abwägung und die darin ausgeführten Kriterien für die Übertragung der gemeinsamen Sorge. Anhand dieser Merkmale sind dann die Umsetzung der Übertragungspraxis und die konkrete Ausgestaltung der gemeinsamen Sorge bis zum Inkrafttreten des Reformgesetzes zu untersuchen.

III. Richterrechtliche Gestaltung der Scheidungssorge seit 1982

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1. Aussagen und Wertentscheidungen des BVerfG-Urteils vom 3. November 1982 508 Die Entscheidung des BVerfG vom 3. November 1982 ist für die Sorgerechtsentwicklung bis zum KindRG von besonderer Bedeutung, weil sie in diesem Zeitraum die einzigen formalen Anhaltspunkte für die Beurteilung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung geboten hat. Die dort entwickelten Entscheidungsmaßstäbe wurden daher gleich einem Normersatz von der Praxis aufgegriffen und dienten dazu, die entstandene Regelungslücke zu schließen. Damit bildet diese Entscheidung die Grundlage der zukünftigen Rechtssprechung. Der Leitsatz der Entscheidung lautet: „Die Regelung des § 1671 Abs. 4 S. 1 BGB, wonach ein gemeinsames Sorgerecht geschiedener Ehegatten für ihre Kinder selbst dann ausgeschlossen ist, wenn sie willens und geeignet sind, die Elternverantwortung zum Wohl des Kindes weiterhin zusammen zu tragen, verletzt das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG.“

Allein unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten 509 war demnach der gesetzliche Ausschluss der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung und die zwingende Vorgabe der Alleinsorge jedenfalls dann mit dem Elternrecht gem. Art. 6 Abs. 2 GG 510 nicht vereinbar, wenn: 1. beide Eltern erziehungsfähig sind, 2. die Eltern beiderseits gewillt und in der Lage sind, die elterliche Verantwortung nach der Scheidung weiterhin gemeinsam zu tragen 508 BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen. 509 Das BVerfG verweist ausdrücklich darauf, dass dem Gesetzgeber ein darüber hinaus gehender Gestaltungsspielraum bei der normativen Ausgestaltung freistehe, vgl. BVerfGE 61, S. 358 (380); vgl. kritische Stimmen im Rahmen des Normersatzes durch die Entscheidung auch Kropholler JR 1984, S. 89 (96), der in diesem Zusammenhang hervorhebt, dass das BVerfG kein „Supergesetzgeber“ ist; ebenso Finger ZfJ 1987, S. 194; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 169; Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 25; dies. „Die gemeinsame Sorge geschiedener Eltern in der Rechtspraxis“, S. 9; Seibert FamRZ 1995, S. 1457 (1458), geht in diesem Zusammenhang besonders auf die „Einschätzungsprärogative“ des Gesetzgebers und die bloße Rahmenfunktion der Verfassung ein, die eine abschließende rechtliche Beurteilung bzw. Ersetzung gar nicht zulässt; Ullmann „Elterliche Sorge und Menschenrecht“, S. 24; ders. ZfJ 1988, S. 522 (526); demgegenüber Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416, denen zufolge der Handlungsanleitung des BVerfG „persuasive authority“ innewohnt; vgl. dazu auch Salgo NJW 1995, S. 2129; ders. KritV 1994, S. 369. 510 Zur darüber hinaus geltend gemachten Grundrechtsverletzung auf der Grundlage des Institutionsschutzes der Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG, vgl. BVerfGE 61, S. 358 (367); BVerfGE 80, S. 90 unter Verweis auf BVerfGE 18, S. 105 f, wonach die Gemeinschaft von Eltern und Kindern von der Schutzbedürftigkeit des Kindes durch beide Eltern bestimmt ist; vgl. auch Leibholz / Rinck / Hesselberger, Art. 6 Rz. 60; Röchling ZfJ 1992, S. 417 (418). Zur Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gem. Art. 3 GG in Hinblick auf die verschiedenen Sorgerechtsformen vgl. Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (761).

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

3. und im Übrigen keine Gründe vorliegen, die im Interesse des Kindeswohls die Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil angezeigt erscheinen lassen. 511 Diese Entscheidung stellt einen wichtigen Einschnitt der Sorgerechtsentwicklung dar und dokumentiert die Gegenüberstellung alter und neuer Sorgerechtsbeurteilung. Denn der automatische Eingriff in die bestehenden Sorgerechtsstellungen bei Scheidung der Eltern – unabhängig von einem konkreten Regelungsbedarf im Einzelfall – als universeller Interventionsansatz wird eingeschränkt. Das heißt, nicht mehr eine pauschale Einschätzung der Trennungs- und Scheidungssituation, sondern allein die konkrete Beurteilung des Einzelfalls legitimiert es, einem Elternteil durch die Übertragung der Alleinsorge seine Rechtsstellung zu entziehen. Dabei führt das BVerfG eine veränderte Güterabwägung in die Scheidungssorge ein, indem es den Schutz des Kindes vor den Scheidungswirkungen von der bisher vorrangigen Vermeidung des Elternkonfliktes zumindest partiell auf die Kontinuität der Rechtsverhältnisse verlagert. a) Stellungnahme des Bundesjustizministers Die obligatorische Alleinsorge nach der Scheidung wurde durch die Regelung des § 1671 Abs. 4 S. 1 BGB idF des SorgeRG vom 18. Juli 1979 512 eingeführt. 513 In einem Abwägungsprozess wurde darin die fortgesetzte emotionale Bindung des Kindes zu beiden Eltern gegenüber der Klarheit rechtlicher Verhältnisse für nachrangig erachtet. 514 Dieses Ergebnis rechtfertigte sich nach Auffassung des Bundesjustizministers sowohl durch die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit bei der Regulierung der nachehelichen Sorge als auch durch Kindeswohlerwägungen. Bei dem vorrangigen Auftrag, zur Wahrung des dauerhaften Rechtsfrieden beizutragen, habe der Gesetzgeber den sorgerechtlichen Interessenausgleich zwischen dem Kindeswohl und der Elternverantwortung angemessen erfüllt, indem er den typischen Lebenssachverhalt einer elterlichen Konfliktlage bei der Scheidung zugrunde gelegt habe. Der dabei gesetzgeberische Gestaltungsspielraum werde auch nicht durch das elterliche Erziehungsrecht beschränkt, da es nicht selbst Regelungsgegenstand sei. Inhalt der Regelung sei lediglich der Ausgleich der gleichberechtigt fortbestehenden Elternpositionen untereinander, deren grundsätzlichem Vorrang vor Staatsintervention durch die Priorität des Elternvorschlages ausreichend Rechnung getragen werde. 515 511

BVerfGE 61, S. 358, 374. BGBl. I, S. 1061. 513 Damit wurde die Fassung des GleichberG (BGBl. I, S. 609 ff vom 18. Juni 1958) zugunsten erhöhter Rechtsklarheit abgelöst, das noch vorgesehen hatte, dass die nacheheliche Sorge in der Regel einem Elternteil zu übertragen war. 514 BT-Drucks. 8/2788, S. 63; kritisch „Zur Sache – Themen parlamentarischer Beratung 1/78, Elterliche Sorge“, vor allem S. 45 f, 107 f, 125 f. 515 BVerfGE 61, S. 358 (369). 512

III. Richterrechtliche Gestaltung der Scheidungssorge seit 1982

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Eine grundlegende Abweichung von der gesetzlichen Sorge erscheine erforderlich, da durch die scheidungsbedingte Auflösung der Familiengemeinschaft die gemeinsame Sorge einen wesentlichen Stabilitätsfaktor verliere, so dass deren Fortsetzung auf Dauer nicht tragfähig erscheine. 516 Dem elementaren Kindesinteresse nach schneller, dauerhafter und eindeutiger Klärung der Rechtslage stehe die Übertragung gemeinsamer Sorge demzufolge in zweierlei Hinsicht entgegen, indem es einerseits eine unerträgliche Ausdehnung des Verfahrens durch intensive Nachforschungen über die Familienverhältnisse nach sich ziehe und andererseits eine rechtzeitige Änderung unsachgemäßer Sorgerechtsübertragung nicht hinreichend gewährleistet werden könne. Darüber hinaus drohe auch durch die ausnahmsweise gewährte gemeinsame Sorge eine Sogwirkung, so dass die zu erwartenden Anträge mangels effektiver Kontrollmöglichkeiten und gerichtlicher Überlastung voraussichtlich zur Aushöhlung bestehender Gesetzeswertung und zu einem unzureichenden Schutz kindlicher Interessen führe. 517 Insbesondere sachfremde Motivation der Eltern könne auf diese Weise nicht hinlänglich ausgeschlossen werden. 518 Ein wirksamer Ausschluss der Kindeswohlgefährdung rechtfertige es daher, die Eltern in den wenigen Fällen kindeswohlgemäßer Fortsetzung gemeinsamer Sorge nach der Scheidung auf eine privatautonome Ausgestaltung zu verweisen. 519 Im Vordergrund der Güterabwägung des SorgeRG stand also vor allem die Überzeugung von einer hohen Wahrscheinlichkeit der Kindeswohlgefährdung durch die Elternscheidung. Daraus leitete sich ein hoher Kontrollanspruch staatlicher Stellen ab. Nacheheliche Sorgerechtübertragung hing demgemäß von einer aktiven und nachgewiesenen Wahrung der Interessen des Kindes ab. Die fehlende Prognostizierbarkeit der gemeinsamen Sorge durch die Vielfalt einfließender Faktoren stand im Widerspruch zu diesem Regelungsverständnis. b) Wertung des BVerfG Die in der Rechtslage des SorgeRG verankerte präventive Beurteilung des Kindeswohls wird vom BVerfG zurückgewiesen. Ausgangspunkt der verfassungsgerichtlichen Einschätzung ist das Fortbestehen der Rechtsstellung beider Eltern gem. Art 6 Abs. 2 GG über die Scheidung hinaus, so dass ein über das Erforderliche hinausgehender Eingriff gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße. 520 Dem könne nur eine Regelung entsprechen, die auch den denkba516 517 518

BVerfGE 61, S. 358 (370). Vgl. Lempp „Gerichtliche Kindes- und Jugendpsychiatrie“, S. 15. Unter Bezugnahme auf BT-Drucks. 8/2788, S. 63; Klußmann, FamRZ 1982, S. 118

(122). 519 520

BVerfGE 61, S. 358 (379); vgl. auch BT-Drucks. 8/2788, S. 63. Vgl. auch BVerfGE 31, S. 194 (205); BVerfGE 61, S. 358 (363).

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

ren Fall kindeswohlgemäßer gemeinsamer Sorge berücksichtige. Eine pauschale Einschätzung der Kindesinteressen rechtfertige keinen Eingriff. Darüber hinaus erklärte das BVerfG die Bewahrung der verschiedenen ElternKind-Beziehungen durch rechtliche Kontinuität nun zu einer Zielsetzung der nachehelichen Sorge. Die für das Wohl des Kindes elementare Eltern-Kind-Bindung stelle die Grundlage elterlichen Erziehungsrechts dar und deren Bewahrung stehe daher im Zentrum des Sorgerechtsverfahrens. Ein kindeswohlorientierter Eingriff bei der Elternscheidung beschränke sich daher auf den konkreten Regelungsbedarf zum Ausgleich innerhalb des Familienkonflikts. Bestehe hingegen kein solcher Schlichtungsbedarf zwischen kollidierenden Interessen, wirke die Autonomie des Erziehungsrechts fort. 521 Dem werde durch den rechtlichen Schematismus, der zwingend Alleinsorge vorgebe, zu wenig Rechnung getragen und es fehle der erforderliche Raum für richterlichen Einzelfallbezug. Demgegenüber forciere die alleinige Sorge bereits im Verfahren eine dem Kindeswohl zuwiderlaufende rechtliche Auseinandersetzung zwischen den Eltern, bei der sie gegen ihren Willen in eine Konkurrenzsituation getrieben würden. 522 Damit gab das Gericht vor allem den umfassenden Kontrollanspruch auf, der der obligatorischen Alleinsorge als Regelungsansatz zugrunde gelegen hatte. Denn indem es Fallkonstellationen anerkannte, bei denen die Scheidung nicht zwingend zur Umverteilung elterlicher Verantwortung durch Übertragung der Alleinsorge führen musste, stärkte es die familiäre Autonomie und beschränkte staatliche Regelungskompetenz auf konkreten Bedarf. Auch wenn eine verbleibende Unsicherheit gerichtlicher Einschätzung nicht ausgeschlossen werden könne, so das BverfG, sei dies nicht für die gemeinsame Sorge charakteristisch, wie auch die Regelung des § 1696 BGB zeige. Der Kontinuitätsbegriff, wie er der obligatorischen Alleinsorge zugrunde liege und demzufolge durch den Ausschluss eines Elternteils von der nachehelichen Sorge dauerhafte Stabilität geschaffen werden solle, orientiere sich vielmehr zu einseitig an der unbestimmbaren Zukunft und vernachlässige den bedeutsamen Faktor der Aufrechterhaltung bestehender Verhältnisse. 523 Nicht allein die dauerhafte Stabilität und künftige Kontinuität, sondern u.U. auch „Kontinuität auf Zeit“ könne im Einzelfall dem Interesse des Kindeswohls entsprechen. 524 Weder die Möglichkeit unsachgemäßer Motivation der Eltern noch das Risiko einer ausgeweiteten Verfahrensdauer 525 oder die Überforderung der Gerichte 521

BVerfGE 61, S. 358 (374); vgl. auch Knöpfel NJW 1983, S. 905. AaO. S. 365. 523 Vgl. BVerfGE 55, S. 171 (179). 524 BVerfGE 61, S. 358 (376); vgl. auch Sachverständigenbeurteilung seitens Baer in „Zur Sache – Themen der parlamentarischen Beratung – elterliche Sorge“, S. 84 f, 87 – hier löst sich das Gericht in bahnbrechender Weise von der bisherigen sorgerechtlichen Doktrin, die die Rechtssicherheit als oberste Maxime der Übertragung elterlicher Sorge deklarierte. An deren Stelle tritt nun die Flexibilisierung und Anlehnung an die individuellen Bedürfnisse des Kindes (vgl. dazu Röchling ZfJ 1992, S. 417 (418)). 522

III. Richterrechtliche Gestaltung der Scheidungssorge seit 1982

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durch eine etwaige Sogwirkung der gemeinsamen Sorge stehe dieser Öffnung des nachehelichen Sorgerechtsbegriffs entgegen. Denn es handele sich hierbei nicht um spezifische Charakteristika der gemeinsamen Sorge. Diese könnten allein durch sachgerechte und sorgfältige Einzelfallprüfung, nicht aber durch ein pauschales gesetzliches Verbot ausgeschlossen werden. 526 Dabei stehe es dem Gesetzgeber frei, durch gezielte Begrenzungen das Verhältnis der gemeinsamen zur alleinigen Sorge näher zu bestimmen und durch einschränkende Voraussetzungen Aushöhlung und Missbrauch auszuschließen. 527 Mit dieser Gewichtung der fortbestehenden Sorgerechtsstellung sowie dem Bewahren der Eltern-Kind-Beziehungen veränderte das BVerfG die nacheheliche Sorge nachhaltig. 528 Anstelle der stereotypen Rechtsklarheit durch eine einseitige Sorgerechtszuweisung und eine grundlegende Neuordnung tritt nun ein verstärktes Anknüpfen an bestehende Verhältnisse. Indem damit die grundlegende Unterscheidung zwischen gesetzlicher und nachehelicher Sorge aufgehoben wurde, relativierte sich der scheidungsspezifische Gefahrentatbestand einerseits und stärkte sich andererseits die elterliche Erziehungsautonomie über die Scheidung hinaus. 529 Auch wenn das BVerfG in diesem Zusammenhang die Ausübung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung maßgeblich an das Einvernehmen der Eltern knüpfte, so richtete sich die Entscheidung auch gegen jeden Schematismus in der Kindeswohleinschätzung, wie sie etwa in der bloßen Antragstellung auf Alleinsorge zu sehen wäre. Mit diesen wesentlichen Elementen als Vorboten des KindRG wird die für die anschließende Praxis bedeutsame Konzeption der Nachscheidungsfamilie geschaffen, deren Verbundzuständigkeit von der Auflösung der Elternpartnerschaft gelöst wird. 2. Umsetzung der Urteilskriterien in der Praxis und gerichtliche Übertragung der gemeinsamen Sorge nach 1982 Die Rechtspraxis war mit der Umsetzung der durch das BVerfG geschaffenen Rechtsrealität lange Zeit auf sich gestellt und hat sich zunächst stark an 525 So etwa Lempp NJW 1972, S. 315 (317); dieser Einwand konnte durch Tatsachenerhebung nicht bestätigt werden, vgl. Oelkers / Kasten / Oelkers FamRZ 1994, S. 1080 (1082), wobei sich die durchschnittliche Verfahrensdauer auf 11,7 Monate für die Übertragung der gemeinsamen Sorge belief und die Gerichte keinen zusätzlichen Ermittlungsaufwand speziell für diese Sorgerechtsform betrieben. 526 Insbesondere gegen die Berücksichtigung fehlerhaften Richterverhaltens, wegen Überlastung, BVerfGE 61, S. 358 (378); vgl. auch BVerfGE 37, S. 217 (232); BGHZ 60, S. 68 (83). 527 BVerfGE 61, S. 358 (381). 528 Vgl. Coester in Proksch / Sievering S. 51 f. 529 Vgl. dazu Nave-Herz „Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland“, S. 88.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

den dortigen Vorgaben orientiert. Erst im Laufe der 15 Jahre, die zwischen der Aufhebung der obligatorischen Alleinsorge und der Einführung des KindRG verstrichen sind, bildete sich allmählich eine differenzierte Rechtssprechung heraus. 530 Der Zeitablauf ließ die normative Lücke zunehmend natürlich erscheinen. Auch die prognostizierte Sogwirkung unüberschaubarer Beauftragungen gemeinsamen Sorgerechts oder die befürchteten Missbrauchstendenzen blieben aus, so dass sich auch daraus kein gesetzlicher Handlungsbedarf ableitete. 531 Hinzu kam, dass eine veränderte Scheidungswirklichkeit eine stärkere Verknüpfung zwischen gesetzlicher und nachehelicher Sorge nahe legte, indem einerseits eine höhere Einigungsbereitschaft erkennbar wurde und anderseits die zunehmende Verbreitung den bisherigen Ausnahmecharakter der nachehelichen Sorge in Frage stellte. 532 Jedoch blieb der Scheidungsverbund zunächst unangefochten. Die nacheheliche Sorge blieb damit an einen Übertragungsakt gebunden und löste die nacheheliche Sorge von der zuvor bestehenden Elternverantwortung. 533 Dabei entwickelte sich eine Vielfalt von Einzelkriterien 534 und brachte nun eine uneinheitliche Praxis hervor, die sehr unterschiedliche Gewichtungen und Strömungen bei der Regelung der nachehelichen Sorge aufwies. 535 Gleichwohl führte dieser Rechtsprechungspluralismus dazu, dass eine gesetzliche Ausgestaltung zum

530 Vgl. Peschel-Gutzeit FuR 1995, S. 85 unter kritischem Hinweis auf das bestehende Richterrecht; a. A. Finger DRiZ 1985, S. 91 (94), demzufolge alle Richter ihre Entscheidung über die gemeinsame Sorge im Wesentlichen auf die Kriterien des BVerfG beschränken. 531 Vgl. Limbach „Studie“, S. 51 f zu den Erklärungsansätzen der ausgebliebenen Sogwirkung; vgl. auch die Untersuchung des Münchner Allgemeinen Sozialdienstes („Hilfe und Unterstützung für Kinder und Eltern – Betroffene antworten dem ASD“, 1992), wonach 88% der Väter, die kein Sorgerecht haben, zufrieden sind mit der Lösung; dazu auch Heiliger FamRZ 1992, S. 1006 Fn. 1. 532 So ist von einer derzeitig sorgerechtlichen Einigungsquote von 85% auszugehen, vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 36; Coester FamRZ 1992, S. 617 (624); Rauscher NJW 1991, S. 1087; Salgo FamRZ 1996, S. 449 (453); vgl. dazu auch Hennig / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 11; Nave-Herz „Zeitgeschichtlicher Bedeutungswandel von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland“ in Nave-Herz / Marefka „Handbuch der Familien- und Jugendforschung“, S. 215. 533 Zum konstitutiven Charakter der Sorgerechtsübertragung für die nacheheliche Elternstellung vgl. BayObLG FamRZ 1968, S. 267 (268); MüKo / Hinz § 1671 a.F. Rz. 15; ders. ZfJ 1984, S. 529 (533); Staudinger / Coester § 1671 a. F. Rz. 37; zur Gegenüberstellung von Übertragung der Rechtsmacht gem. § 1671 und der Reichweite der Rechtsstellung gem. §§ 1626 ff vgl. Hinz ZfJ 1984, S. 529 (533); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 74 f; Müller-Alten ZfJ 1989, S. 443 (444); Schmitt Glaeser „Das elterliche Erziehungsrecht in der staatlichen Reglementierung“, S. 14, 33, 42, 58 f; ders. DÖV 1978, S. 629 (634), der davon spricht, dass die staatliche Kompetenz sich auf das „ob“, nicht aber auf das „wie“ erstrecke. 534 Vgl. dazu Limbach „Studie“, S. 35, die auf den stereotypen Umgang der Gerichte mit der Übertragung der gemeinsamen Sorge und die einzelfallunabhängigen „Textbausteine der Urteilsbegründung“ aufmerksam macht.

III. Richterrechtliche Gestaltung der Scheidungssorge seit 1982

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Teil für überflüssig erachtet wurde 536 oder jedenfalls als nicht sachdienlich, da die Übertragungskriterien einer abschließenden Regelung nicht zugänglich seien. 537 Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die gesamte Phase dieses rechtlichen Schwebezustandes von einer grundlegenden Unsicherheit darüber geprägt blieb, was gemeinsame Sorge nach der Scheidung beinhaltete und was sie voraussetzte. 538 Dies zeigt sich zum einen an der nur sehr zaghaften Verbreitung, die sich lange Zeit auf 1 –2% aller Sorgerechtsfälle beschränkte und erst mit dauernder Praxis bis 1995 im Bundesdurchschnitt auf 17, 07% stieg. 539 Erst allmählich zeichnete sich eine zunehmende Akzeptanz seitens der Betroffenen ab. 540 Zum anderen kam die Verunsicherung der Richter in der äußerlichen Tatsache zum Ausdruck, dass sie Verantwortung an Sachverständige delegierten und typisierte Kriterien für Entscheidungen entwickelten. 541 Die Einstellung der Rechtspflegeorgane, insbesondere das persönliche Verständnis der Richter von der Bedeutung dieses Sorgerechtsmodells, bestimmte demzufolge die rechtliche Wirklichkeit. 542

535 Vgl. Peschel-Gutzeit FuR 1995, S. 85 unter kritischem Hinweis auf das bestehende Richterrecht; vgl. zum uneinheitlichen Konzept der gemeinsamen Sorge: Coester EuGRZ 1982, S. 256 (260); Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 119. 536 Vgl. Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907) unter Hinweis auf Prot. d. 129. BT vom 24. 11. 1982, S. 7971; Luthin S. 30; kritisch Dörr NJW 1989, S. 690 (692); a. A. Finger DRiZ 1985, S. 91 (94); Kropholler JR 1984, S. 89 (96); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 25 ff; dieselbe „Studie“, S. 9; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416; Staudinger-Coester § 1671 Rz. 170. 537 Vgl. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907 ff). 538 Vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445; vgl. hierzu auch schon Coester EuGRZ 1982, S. 256 (263); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (419). 539 Vgl. Limbach „Studie“, S. 18 – So hat etwa diese Studie ergeben, dass bis 1988 nur 1,3% aller mit Sorgerechtsentscheidungen verbundenen Scheidungsurteile zugunsten der gemeinsamen Sorge ausfielen; Finger (DRiZ 1985, S. 91 sowie DRiZ 1988, S. 12 (13)) spricht von 1% aller getroffener Sorgerechtsregelungen; ähnlich Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416; neuere Studien sprechen von einem Anteil von 6% während des Jahres 1991 und 9% in 1992 (vgl. Oelkers / Kasten / Oelkers FamRZ 1994, S. 1080 (1083)); BRDrucks. 180/96, S. 47 spricht sogar von durchschnittlich ca. 17%, bei der die Höchstquote im Saarland 23,99% und die Niedrigstquote in Mecklenburg-Vorpommern bei 5,8% liegen; vgl. dazu auch Reeken DAVorm 1996, S. 671 (674); Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“ mit einer Erhebung in Bayern und Baden-Württemberg vom März 1994. 540 Vgl. Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 89, wonach 61,7% der befragten Eltern die gemeinsame Sorge für die vorzugswürdige Sorgerechtsform hielten, 7,4% sie für grundsätzlich schlechter als die Alleinsorge ansahen, während 26,6% ein gleichwertiges Verhältnis zwischen ihnen annahm. 541 Zur Problematik vermeintlichen Messbarkeit der elterlichen Eignung durch Sachverständigengutachten vgl. Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 60 f unter Hinweis auf AG Arnsberg FamRZ 1986, S. 1145 ff; befürwortend Beres DAVorm 1983, S. 16 (18); Puls ZfJ 1984, S. 8 ff; vgl. auch Limbach „Studie“, S. 33 f, wonach sich in 50% der Übertragungen der gemeinsamen Sorge das Jugendamt zuvor dafür ausgesprochen hat.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Dabei wurde vielfach eine anhaltende Voreingenommenheit der Rechtsprechung gegen die gemeinsame Sorge diagnostiziert. 543 Der Blick auf die Sorgerechtspraxis veranschaulicht daher die Vielfalt der Herangehensweisen an die nacheheliche gemeinsame Sorge, zwischen denen das KindRG abgewogen und entschieden hat. Die folgenden Betrachtungen wenden sich nun im Einzelnen der Rechtssprechung und der rechtlichen Einschätzung dieser Entwicklungsphase anhand der Entscheidungskriterien des BVerfG zu, also zunächst auf Beurteilung der objektiven und subjektiven Eignung der Eltern und schließlich die spezifische Kindeswohlabwägung für die Übertragung der gemeinsamen Sorge. a) Objektive Eignung der Eltern zur gemeinsamen Sorge Am Kriterium der objektiven Eignung der Eltern zur gemeinsamen Sorge verdeutlicht sich der Zwiespalt der gerichtlichen Beurteilungsmaßstäbe, der sich aus dem Charakter der Dauerentscheidung gegenüber dem hohen Prognoserisiko, der Zielsetzung einer das Kind schonenden, schnellen Entscheidung gegenüber den umfassenden Ermittlungserfordernissen für eine sorgfältige Entscheidung und schließlich der aus der Erziehungsautonomie hergeleiteten elterlichen Gestaltungsfreiheit gegenüber dem gerichtlichen Kontrollanspruch ergibt. 544 Aber insbesondere die nur sehr begrenzten Möglichkeiten der Einsichtnahme in die konkreten Verhältnisse stehen dem Anspruch auf eine umfassende Beurteilung der Scheidungssorge entgegen. Diese allgemeine Problematik hat seit der Einführung der nachehelichen gemeinsamen Sorge durch das Urteil des BVerfG an Bedeutung gewonnen, da die Entscheidung mit den zusätzlichen Gestaltungsmöglichkeiten eine differenzierte Einschätzung der Gerichte verlangt. 545 Die konkrete Beurteilung der objektiven Eignung der Eltern richtet sich nach den äußeren Verhältnissen für die Ausübung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der individuellen Erziehungsfähigkeit jedes einzelnen Elternteils und der kollektiven Kooperationsfähigkeit beider im Verhältnis zueinander. 546 542 Vgl. Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (871); ders. FamRZ 1997, S. 321; PeschelGutzeit FuR 1995, S. 85 spricht von Richterrecht das an die Stelle gesetzten Rechts getreten ist; in diesem Zusammenhang ist auf das starke Gefälle zwischen den einzelnen Bundesländern hinzuweisen (23,6% im Saarland und 5,8% in Mecklenburg-Vorpommern, vgl. Reeken DAVorm 1996, S. 671 (674)), dabei fällt besonders auf, dass die Verbreitung der gemeinsamen Sorge in den neuen Bundesländern durchgängig weit hinter den alten Bundesländern zurückbleibt. 543 Vgl. Reeken DAVorm 1996, S. 671 (674); kritisch dazu Luthin FamRZ 1996, S. 1190. 544 Vgl. Arntzen FamRZ 1986, S. 1145 (1146); Dieckmann NJW 1981, S. 668 (669); Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); Luthin „Gemeisames Sorgerecht geschiedener Eltern“, S. 73; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130). 545 Vgl. Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 99; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 177. 546 Vgl. dazu auch Kropholler JR 1984, S. 89 (94).

III. Richterrechtliche Gestaltung der Scheidungssorge seit 1982

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aa) Erziehungsfähigkeit Die von dem einzelnen Elternteil geforderte Erziehungsfähigkeit setzte in diesem Zusammenhang wie bei alleiniger Sorge die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit voraus, die gesamte Verantwortung für das Kind zu tragen. 547 Wie bei der gegenwärtigen Rechtslage durfte auch bei der vorherigen die elterliche Sorge demzufolge weder ruhen oder entzogen, noch durch permanente faktische Abwesenheit praktisch ausgeschlossen sein. 548 In diesem Zusammenhang wurde bereits diskutiert, ob auch in der nachehelichen Sorge eine Kompensation der bei einem Elternteil auftretenden Einschränkung der Erziehungsfähigkeit durch die gezielte Verteilung der Zuständigkeiten zulässig wäre. Entgegen der heutigen, weniger dogmatischen Einschätzung 549 wurde überwiegend davon ausgegangen, dass hier Maßstäbe anzusetzen seien, die den Anforderungen der Alleinsorge entsprechen, da die gemeinsame Sorge umfassend nebeneinander stehende Berechtigungen beiden Elternteile verleihe. 550 Dies erfordere sowohl das Gebot der Einheitlichkeit der Sorgerechtsübertragung als auch die Gleichwertigkeit der verschiedenen Sorgerechtsformen. 551 Nur eine höhere Anforderung an die individuellen Sorgerechtsfähigkeiten jedes Elternteils im Rahmen des gemeinsamen Sorgerechts verbiete sich aufgrund des verfassungsrechtlich geschützten Elternrechts. 552 An dieser Stelle wird deutlich, dass die Übertragung der gemeinsamen Sorge während des SorgeRG wesentlich durch das fortbestehende Verständnis der Alleinsorge als dominante nacheheliche Sorgerechtsform geprägt wurde. Eine individuelle Qualifikation der Eltern stand hier im Vordergrund der Beurteilung. Nacheheliche und gesetzliche Sorge wurden damit unterschiedlichen Maßstäben unterworfen. Vor diesem Hintergrund wird bereits eine zentrale Gewichtung des KindRG deutlich, die in der Anbindung der Trennungs- und Scheidungssorge an die gesetzliche Sorge besteht. Sie ermöglicht eine Ergänzung und Verknüpfung der Erziehungsfähigkeit beider Eltern und zieht sich damit aus der akribischen Nachweispflicht über die Einzelbeiträge zurück. 547 Vgl. Lempp ZfJ 1984, S. 305 (306); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (420); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 69. 548 Vgl. §§ 1673; 1674; 1666 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; 1666a Abs. 2; 1667 Abs. 5; 1640 Abs. 4; 1680 a.F.; dazu Waltern FamRZ 1991, S. 765; Erman / Michalski § 1626 Rz. 7. 549 Vgl. dazu auch Kap. B., Abschn. III.1.a) und Kap. C., Abschn. II.1.a). 550 Vgl. Palandt / Diederichs 52.Aufl., § 1671 Rz. 7; OLG Hamburg FamRZ 1985, S. 1284; OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 509. 551 Vgl. Kropholler JR 1984, S. 89 (90); Hinz ZfJ 1984, S. 529 (533); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 69; Oelker FamRZ 1995, S. 1097 (1101); KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057); a. A. Fthenakis in: Remschmidt (Hg) „Kinderpsychatrie und Familienrecht“, S. 36 (51); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 177; OLG Bamberg FamRZ 1988, S. 752 (753). 552 Vgl. Klenner FamRZ 1989, S. 804 (808); Lempp FamRZ 1986, S. 530 f; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 71.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

bb) Objektive Maßstäbe für elterliche Kooperationsfähigkeit Die Kooperationsfähigkeit der Eltern war auch nach der Rechtslage vor dem KindRG ein rechtlicher Maßstab, aus dem sich die objektive Eignung der Eltern zum Zusammenwirken nach der Scheidung ergab. Dies bezeichnet die Einschätzung, ob Eltern sowohl innerlich als auch äußerlich in der Lage sind, über die Partnerschaft hinaus bei der Umsetzung der Kindesinteressen miteinander zu kooperieren. Neben die innere Bereitschaft der Eltern trat hier ein Kriterium, bei dem die äußeren Grundvoraussetzungen einer kindeswohlgerechten Ausübung der gemeinsamen Sorge festzustellen waren. An dieser Stelle versuchten die Gerichte, griffige Kriterien zu entwickeln, die eine trennscharfe Unterscheidung zwischen der alleinigen und der gemeinsamen Sorge ermöglichten. Dabei wurde vor allem unterschieden zwischen Anforderungen, die an die Person der Eltern und ihr Verhalten zu stellen waren und äußerlichen Anforderungen an die Umsetzung des Zusammenwirkens. Hinsichtlich der persönlichen Eigenschaften der Eltern wurde zunächst in der Auswertung des BVerfG-Urteils immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die gemeinsame Sorge aufgrund besonderer Anforderungen an das Elternverhalten ein gehobenes intellektuelles Niveau erfordere. 553 So hatten sich die Elternpaare, die an der Verfassungsbeschwerde beteiligt waren, durch eine überdurchschnittlich hohe Berufsqualifikation ausgezeichnet. 554 Daraus wurde eine Gesetzmäßigkeit abzuleiten versucht, dass die erhöhte Belastung des Elternverhältnisses durch die Scheidung 555 eine besondere Fähigkeit erfordere, die gemeinsame Elternverantwortung von partnerschaftlichen Konflikten und Enttäuschungen zu abstrahieren. 556 Jedoch setzte sich diese Einschätzung in der Praxis nicht durch. Zum einen wurde die anfängliche Übertragungspraxis auf überdurchschnittlich qualifizierte Eltern 557 553

Vgl. Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 56 f. Vgl. BVerfGE 61, S. 358 (381), deren Ausgangsverfahren sich folgendermaßen zusammen setzten: Diplom Mineraloge / Ägyptologin; Studienrat / Lehrerin; Rechtsanwalt / Prokuristin; Prokurist / Kantorist. 555 Zur Verhärtung der Fronten aus Angst, Unsicherheit und rechtlicher Uninformiertheit, vgl. Balloff / Walter FuR 1991, S. 63 f; Coester Brühler Schriften, 6. DFGT 1986, S. 35 (48); ders. FuR 1991, S. 70 (72). 556 Insbesondere unter Hinweis auf die hohen Anforderungen an das vernunftsgesteuerte Verhalten vgl. Finger DRiZ 1985, S. 91 (94); Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 56; ähnlich Coester EuGRZ 1982, S. 256 (261), der überdurchschnittlich ausgeprägtes Verantwortungsbewußtsein sowie ein hohes Maß an Disziplin bei ständig neuer Akzentuierung der „Gemeinsamkeiten“ auf dem ehelichen Restgebiet elterlicher Sorge für maßgeblich erachtet; vgl. auch Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (872). 557 Vgl. dazu Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (448 f); Coester EuGRZ 1982, S. 256 (261) unter Bezugnahme auf amerikanische Gerichtspraxis; Finger DRiZ 1985, S. 91 (94); Kropholler JR 1984, S. 89 (92, 94); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (418, 420); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 178 – hervorzuheben ist jedoch Limbach „Studie“, 554

III. Richterrechtliche Gestaltung der Scheidungssorge seit 1982

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durch spätere Studien nicht bestätigt, die insoweit eine signifikante Tendenzwende feststellten. 558 Daraus wurde abgeleitet, dass das Potential geeigneter Eltern in den ersten Jahren aufgrund von Informationsdefiziten 559 und erheblichen Widerständen der Rechtspflegeorgane 560 nicht ausgeschöpft worden war. Zum anderen könne vom empirischen Normalfall nicht auf einen zwingend normativen Regelungstyp geschlossen werden. 561 Eine Abstraktion zwischen Partner- und Elternebene erfordere vor intellektueller Auseinandersetzung in erster Linie ernsthafte Bemühungen der Eltern und äußere sich in Funktionalität und Verständigungsfähigkeit im Einzelfall. 562 Anstelle der elitären Einschätzung ist daher die eindeutige Kindesorientierung der Eltern in den Vordergrund der Beurteilung ihrer Kooperationsfähigkeit gerückt worden. Einzelfallbezogene Anhaltspunkte konnten dabei (1) die Fähigkeit, persönliche Differenzen aus der Kindeserziehung auszuklammern; (2) Achtung für den anderen Elternteil als Erzieher; (3) Ähnlichkeit der Erziehungsstile; (4) Toleranz und schließlich (5) ein hohes Maß an Flexibilität sein. 563 Zweifel an einer S. 27, 29, die 19% Elternpaaren mit mindestens einem Lehrer, 44% mit mindestens einem Akademiker gegenüber einer Entsprechung von 4% in der Bevölkerung ermittelte; vgl. auch KG FamRZ 1980, S. 821; FamRZ 1983, S. 1055. 558 Vgl. dazu vor allem Oelkers / Kasten / Oelkers FamRZ 1994, S. 1080 (1081), bei deren Hamburger Studie über 178 Akten sich folgende Zusammensetzung der Elternschaft ergab: 53% der Mütter und 47% der Väter waren Angestellte; 10% der Mütter und 20,3% der Väter gehörten der Gruppe der Arbeiter an; 17% der Mütter waren Hausfrauen; selbständig waren 0,8% der Mütter und 9,3% der Väter tätig; 9,4% der Mütter und 10,2% der Väter waren Beamte, bei einem hohen Anteil von Lehrern; 3,1% der Eltern waren arbeitslos. Daraus lässt sich die These schichtenspezifischer Zuordnung dieses Sorgerechtsmodells nicht aufrecht erhalten; vgl. auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 77, wonach 83% der Eltern mit gemeinsamer Sorge Erwerbstätig waren, 9,6% nicht, 6,4% arbeitslos und 1,1% ohne Angaben sind. 559 Vgl. einerseits Fthenakis FamRZ 1988, S. 578 (579, 580) die davon ausgehen das 50% der scheidungswilligen Eltern keine Kenntnis von der rechtlichen Möglichkeit der gemeinsamen Sorge haben; 100%ige Informiertheit unterstellen Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (449); Finger DRiZ 1988, S. 12; Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (870); Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (579) ging noch von 90 –95% aus; zum möglichen Einigungspotential vgl. Coester EuGRZ 1982, S. 256 (261); Fthenakis FamRZ 1988, S. 578 (580); Ollmann (FamRZ 1993, S. 869 (870)) spricht von einem Einigungspotential von 25% zugunsten der gemeinsamen Sorge; Napp-Peters („Scheidungsfamilien“ 1988, S. 35 ff) hingegen veranschlagt 27% als möglichen Anteil der gemeinsamen Sorge, die vor allem durch gezielte Beratung freizusetzen seien. 560 Vgl. Michalski FamRZ 1992, S. 128 (135); vgl. dazu Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 83, wonach 21% der Eltern die Alleinsorge, 29% die gemeinsame Sorge als vorzugswürdige Sorgerechtsform nahe gelegt worden ist, 28% wurden die Sorgerechtsmodelle als gleichwertig dargestellt und 17% erhielten darüber keine Information. 561 Vgl. Coester EuGRZ 1982, S. 256 (261); Fehmel FamRZ 1980, S. 758; Fthenakis FamRZ 1988, S. 578 (579); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 62. 562 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 178; Michalski FamRZ 19992, S. 128 (135).

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

solchen Grundlage ergaben sich aus starken persönlichen Spannungen 564 oder offenkundig unausgewogenen Machtverhältnissen zwischen den Eltern 565 sowie beim Fehlen eines grundsätzlichen Konsenses bei der Erziehungskonzeption 566, insbesondere wenn dies zum Scheitern der Ehe geführt hatte. 567 Jedoch galt es, schematische Beurteilungen zu vermeiden, da diese Indizien sich auf den Einzelfall unterschiedlich auswirken konnten, so dass vor allem ein gesamtheitlicher Eindruck maßgeblich war. Hier werden bereits die Maßstäbe der Kooperation angelegt, die auch weiterhin die aktuelle Rechtsprechung bestimmen. 568 Doch sind die Anforderungen gegenüber diesem Vorbild gesunken. Der hier erkennbare Maßstab orientiert sich an einem Harmonieverständnis, das aus der gesetzlichen Sorge abgeleitet wird. Der eheliche Kooperationsbegriff wird gleichsam hinsichtlich der Sorgerechtsausübung isoliert und auf die Scheidungssorge übertragen. Damit stehen die Verflechtung der beiderseitigen Sorgerechtsstellungen und das Zusammenwirken der Eltern im Vordergrund der gemeinsamen Sorge. Im Kontrast verdeutlicht dies eine signifikante Entwicklung des KindRG, die trotz ähnlicher Anknüpfungspunkte der Kooperation eine neue Bedeutung zuweist. Ausgangspunkt ist dabei zunächst der Perspektivwechsel der gerichtlichen Sorgerechtsprüfung. Sie ist nicht mehr auf den Nachweis einer über die Trennung hinausreichenden Harmonie gerichtet, die der ehelichen Sorgerechtsausübung vergleichbar ist. Nun beschränkt sich der rechtliche Maßstab darauf, gegenseitige Behinderung zu vemeiden und eine Funktionsgarantie des Sorgerechts sicherzustellen. Damit vollzieht sich durch das 563 Vgl. Kropholler JR 1984, S. 89 (93) auf der Grundlage einer amerikanischen Studie von Steinman („The experience of children in a joint-custody arrangement: a report of a study“ in American Journal of Orthopsych. 1981, S. 403 ff; ders. U.C. Davis L. Rev. 16 (1983), S. 745 ff); vgl. auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 88, wonach 83% der befragten Eltern das Akzeptieren des ehemaligen Partners als Elternteil als wesentliche Voraussetzung der gemeinsamen Sorge auffassten; S. 93, wonach die Eltern ihre Beziehung zum anderen Elternteil in 31,9% als kooperativ, 21,3% als freundschaftlich, 11,7% als harmonisch, 36,2% als sachlich und schließlich 37,2% als distanziert beurteilten. 564 Vgl. Soergel / Strätz § 1671 Rz. 19; Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 107, unter Hinweis auf fortwährende Auseinandersetzungen in der Vergangenheit; OLG Hamm FamRZ 1988, S. 753 (754); KG FamRZ 1989, S. 654. 565 Vgl. Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 64; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 178; OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89 (90). 566 Vgl. Kropholler JR 1984, S. 89 (94); Luthin „Gemeinsames Sorgerechts nach der Scheidung“, S. 66; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130); OLG Hamm FamRZ 1988, S. 753 (754); OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759); vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89 (90). Demgegenüber relativierend unter Hinweis auf die üblichen familieninternen Auseinandersetzungen Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 108; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 83. 567 Vgl. Fthenakis, in Remschmidt (Hg) „Kinderpsychatrie und Familienrecht“, S. 36 (51). 568 Vgl. dazu auch die Ausführungen im Kap. B., Abschn. III.2.b).

III. Richterrechtliche Gestaltung der Scheidungssorge seit 1982

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KindRG ein Wandel von einem von Einheitlichkeit geprägten Sorgerechtsbegriff zu einer Verselbständigung der einzelnen Rechtsstellungen. Dies verlagert den Kooperationsbegriff von einem elterlichen Zusammenwirken zu einer stärkeren Koordination der Einzelbeiträge und passt damit die sorgerechtliche Anforderung – anders als zuvor – an die Trennungssituation an. Wegen der anhaltenden Unsicherheit wurden verschiedene äußerliche Anforderungen an ein elterliches Zusammenwirken entwickelt, mit denen die Übertragung gemeinsamer Sorge objektiv messbar werden sollte. Einen ersten Anknüpfungspunkt für die Kooperationsfähigkeit bot hier vor allem die räumliche Nähe der Wohnorte beider Eltern. Die grundsätzliche Frage, worin die Kooperation der Eltern besteht und welche tatsächlichen Voraussetzungen kooperatives Handeln erfordert, wurde hier anhand der erforderlichen Verfügbarkeit jedes Elternteils diskutiert. In Anknüpfung an die bereits dargestellte Orientierung an ehelicher Sorgerechtsausübung wurde teilweise gefordert, dass alle aktuellen Erziehungsfragen abgestimmt werden und beide Eltern einen ausgewogenen Wissensstand über die Lebenssituation des Kindes pflegen sollten. 569 Räumliche Nähe der Wohnorte war demnach für die gemeinsame Sorge unverzichtbar. 570 Jedoch setzte sich diese Einschätzung in der Praxis nicht durch 571 und 569

Zu hohen Anforderungen an das äußere Zusammenwirken nach der Scheidung vgl. Fehmel FamRZ 1980, S. 758; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908), der sogar soweit geht, die gemeinsame Kindeserziehung an gemeinschaftliche Lebensführung zu knüpfen.; Lempp ZfJ 1984, S. 305 (306, 308); Luthin „Gemeinsames Sorgerecht geschiedener Eltern“, S. 60; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (418); OLG Frankfurt / M. FamRZ 1983, S. 758; a. A. Fthenakis FamRZ 1988, S. 578 (579); Celle FamRZ 1985, S. 527; vgl. auch OLG Stuttgart FamRZ 1991, S. 1220 (1221), wonach die Eltern als eine Einheit gegenüber dem Kind auftreten sollen; zur Gefahr der Entfremdung des nicht betreuenden Elternteils im allgemeinen vgl. Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131); Röchling ZFJ 1992, S. 516 (517). 570 Vgl. Fehmel FamRZ 1980, S. 758; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (306, 308), der insoweit die erforderliche konkrete Fähigkeit von einer bloß abstrakten Fähigkeit zur Erziehung unterscheidet; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht geschiedener Eltern“, S. 60; OLG Frankfurt / M. FamRZ 1983, S. 758; a. A. Fthenakis FamRZ 1988, S. 578 (579), der die Anforderungen in Hinblick auf das Alter des Kindes differenzieren will; ders. in Remschmidt (Hg) „Kinderpsychiatrie und Familienrecht“, S. 36 (43); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 71; Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 7; OLG Celle FamRZ 1985, S. 527, bei dem eine Distanz zwischen Cuxhaven und Mannheim als für die Ausübung der gemeinsamen Sorge unschädlich eingestuft worden ist, angesichts regelmäßiger Ferienaufenthalte und häufiger Telefonkontakte – vgl. auch entsprechende frühere Bewertungen LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404) – differenzierte Einschätzung bei erheblicher Entfernung vgl. Göppinger Rz. 618. 571 Jedoch ergibt sich bei Limbach „Studie“, S. 25 in Hinblick auf die Praxis ein deutlicher Schwerpunkt der gerichtlichen Übertragung der gemeinsamen Sorge bei räumlicher Nähe. Demnach ist die Distanz der Elternpaare nur bei 14% mehr als 50 km, bei 21% bis zu 50 km und 55% leben in der selben Gemeinde oder Bezirk; bestätigend Henning / StehleRemer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 91, wonach ca. 64% der Eltern in einer Distanz unter 30 km voneinander lebten; zur faktischen Regel der räumlichen Nähe

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

wurde als ein zu formaler Kooperationsbegriff 572 und eine unzulässige Beschränkung der elterlichen Gestaltungsfreiheit abgelehnt. 573 Stattdessen entwickelte sich eine pragmatische Öffnung des Beurteilungsmaßstabes, indem die Bedeutung der nachehelichen Kooperation stärker auf psychologische Unterstützung und Fortsetzung bestehenden Verantwortungsbewusstseins gegenüber dem Kind verlagert wurde. 574 Die damit verbundenen praktischen Voraussetzungen wurden auf diese Weise vorrangig auf psychologische Präsenz und Aufrechterhaltung beider Bezugspersonen gerichtet. 575 In Übereinstimmung mit der heutigen Rechtslage wurde das erforderliche Maß tatsächlicher Einflussnahme daher durch zeitlich großzügig bemessenen Umgang des nicht betreuenden Elternteils und seine Mitwirkung bei wichtigen Erziehungsentscheidungen als ausreichend erachtet. 576 Ein weiterer Aspekt messbarer Kooperation bestand in der nachweisbaren positiven Erfahrung vor der Scheidung. Ein eher feministisch geprägter Ansatz richtete sich danach, ob bereits während der Ehe partnerschaftliche Arbeitsteilung bei familiären Pflichten erfolgreich praktiziert worden war. 577 Dies blieb jedoch ein eher marginales Indiz, da etwa durch Berufstätigkeit vorgegebene Rollenzuweisungen keine zuverlässigen Schlüsse auf das Verantwortungsgefühl zuließen 578 der Antragsteller gemeinsamen Sorgerechts vgl. Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (418). 572 Vgl. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120 f); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131). 573 Vgl. Dietzen FamRZ 1987, S. 239; Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (759); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 71; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 179. 574 Vgl. Coester Brühler Schriften zum Familienrecht,6.DFGT, 1985, S. 35 (37) mwN; ders. FuR 1991, S. 70 (73); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (58); Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (671); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 a.F. Rz. 84; Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (871); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (135); so auch OLG Celle FamRZ 1985, S. 527; KG FamRZ 1983, S. 1055 (1058); AG Arnsberg FamRZ 1986, S. 1145 (1149); zur Besonderheit sorgerechtlicher Entscheidung in Hinblick auf die Zwangsvollstreckung und die Problematik der Durchsetzung von Umgangsrecht vgl. Dörr NJW 1989, S. 690 (693 f). 575 Zur Entwicklung von Mindeststandards vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 84; Lempp ZfJ 1984, S. 305 (306); Staudinger / Coester § 1671 a.F. Rz. 179; Hinz ZfJ 1984, S. 529 (534). 576 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 84; Lempp ZfJ 1984, S. 305 (306); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 179; Hinz ZfJ 1984, S. 529 (534); a. A. Kropholler NJW 1983, S. 905 (908). 577 Vgl. G. A. Erler „Die Barberei der Bitterkeit“ in: Freibeuter, Heft 29, 1986, S. 58 ff; Limbach „Studie“, S. 57, derzufolge die Richterumfrage ergab, dass 29,9% der Richter diese Fragestellung für entscheidungsrelevant erachten, sie aber stets für ergänzungsbedürftig halten. 578 Vgl. dazu das Ergebnis einer US-amerikanische Studie Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (2 f) – bei der jedoch darauf hingewiesen wurde, dass diese Zuständigkeiten auch mit einem Rollenverständnis traditioneller Art koinzidierten. Väter seien in Hinblick auf sorgerechtliche Zuständigkeit noch stärker durch die Vorstellung althergebrachter Verfügungsrechte über das Kind als durch positive Einstellung gegenüber der Aufgabe der

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und die Sorgerechtsübertragung zum nachehelichen Sanktionsinstrumentarium für eheliche Pflichtvernachlässigung zu werden drohe. 579 Größeres Gewicht wurde daher dem elterlichen Verhalten während der Trennungszeit beigemessen, da es auch die individuelle Anpassung an die innerfamiliär veränderten Umstände in die Erwägungen einbezog. 580 So wurde es als deutliche Verringerung des richterlichen Prognoserisikos und der einzelfallgerechten Einschätzung zum zentralen Entscheidungsmaßstab in der Praxis entwickelt. 581 Schließlich wurde der Einfluss von begleitender Beratung auf die Beurteilung elterlicher Kooperationsfähigkeit kontrovers eingeschätzt. Wenngleich eine stabile Zusammenarbeit voraussetzt, dass die Eltern zu einer eigenständigen Gestaltung der gemeinsamen Erziehung in der Lage sind, wurde auch nach der alten Rechtslage die Einigung durch eine außergerichtliche Beratung nicht als ein Indiz fehlender Kooperationsfähigkeit angesehen, da der Gesetzgeber deren Einbeziehung in den elterlichen Entscheidungsprozess durch ein staatliches Angebot zur außergerichtlichen Einigung und der gezielten Hilfeleistung bei scheidungsbedingten Barrieren ausdrücklich vorsieht. 582 Die sorgfältige Auseinandersetzung unter professioneller Leitung ließ problematische Fragestellungen frühzeitig erkennen und prägte ein umfassendes Problembewusstsein bei den Eltern. 583 Zweifel an der elterliKindesbetreuung motiviert. Zwar seien danach lediglich 30% der Mütter vor der Scheidung ausschließlich im Haushalt tätig gewesen. Die übrigen gingen jedoch ganz überwiegend einer Teilzeitbeschäftigung nach. Nur in 10% der Fälle war die Mutter die Hauptverdienerin der Familie. 579 Vgl. Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 63. 580 Unter Hinweis auf die vorrangige Entscheidungserheblichkeit AG Arnsberg FamRZ 1986, S. 1145; Coester „Kindeswohl“, S. 318; ders. EuGRZ 1982, S. 256 (263), der sich für eine obligatorische Übertragungsvoraussetzung einer mindestens einjährigen Praxis gemeinsamer Sorge während der Trennungsphase einsetzt; Hinz ZfJ 1984, S. 529 (536); Puls ZfJ 1984, S. 8 (13); vgl. aber auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 80, wonach unabhängig von dem folgenden Sorgerechtsmodell die Eltern von gegenseitiger Wut oder Verletztheit während der Trennungszeit sprachen, während die Antragsteller der gemeinsamen Sorge mit 19 (zu 11 der Alleinsorge) Befragten bemüht waren, miteinander fair umzugehen. 581 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger §1671 Rz. 83; Göppinger Rz. 618; Kropholler JR 19984, S. 89 (95); Knöpfel NJW 1983, S. S. 905 (908); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (308); Limbach „Studie“, S. 57; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (418); Magnus RdJR 1988, S. 158 (166); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (134); Neuhaus FamRZ 1980, S. 1090; Palandt / Diederich § 1671 Rz. 7; LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (403); OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266; OLG Schleswig DAVorm 1978, S. 716; KG FamRZ 1979, S. 340; vgl. dazu auch schon BVerfGE 61, S. 358 (367). 582 Vgl. § 17 KJHG; BT-Drucks. 11/5948, S. 58; Luthin „Gemeinsames Sorgerechts nach der Scheidung“, S. 58; Röchling ZfJ 1992, S. 557 (561); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 178; BT-Drucks. 11/5948, S. 58. 583 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 178; Coester FuR 1991, S. 70 (72); Fthenakis Archiv für soziale Arbeit 1986, S. 174; Prestien RdJB 1988, S. 431 (437 f); Proksch FamRZ 1989, S. 916 (918).

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chen Fähigkeit zum erzieherischen Zusammenwirken entstand hingegen dort, wo die Kooperation nur auf der Grundlage dauernder staatlicher Betreuung möglich erschien. Wie bei der aktuellen Diskussion über die Anwendung des § 1628 zur Gewährleistung der elterlichen Kooperation 584 wurde hier die erforderliche Stabilität als nicht angemessen gewährleistet erachtet. 585 b) Bereitschaft der Eltern zur gemeinsamen Sorge Der Schwerpunkt der früheren Beurteilung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung lag auf der Kooperationsbereitschaft der Eltern. Die subjektive Eignung der Eltern stand im Vordergrund der gerichtlichen Einschätzung und machte den einvernehmlichen Elternvorschlag gem. § 1671 Abs. 3 a.F. zur gemeinsamen Sorgerechtübertragung zu deren konstitutiver Voraussetzung. 586 Darin spiegelt sich die grundlegende Gewichtung der ehemaligen Rechtslage wider. Ausgangspunkt war die Annahme, dass mit der Beendigung der Partnerschaft auch die Grundlage einer gemeinsamen Sorgerechtsausübung entfalle. So ging man davon aus, dass während der Ehe eine Erziehungskongruenz und Harmonie bestehe, die für die gemeinsame Rechtsstellung erforderlich sei. Nach der Ehe müsse für diese Verknüpfung ein erkennbarer Willensakt an deren Stelle treten, der die Vermutung unüberwindlicher, scheidungsbedingter Konfrontation und Kindeswohlgefährdung widerlege. 587 Erst durch die damit zum Ausdruck gebrachte Bereitschaft könne die im Interesse des Kindes erforderliche Einheitlichkeit und Gemeinschaftlichkeit der Rechtsausübung gewährleistet werden. 588 Mit Blick auf die gegenwärtige Rechtslage vollzieht sich in Hinblick auf dieses Entscheidungskriterium ein grundlegender Wandel der Sorgerechtsgewichtung durch das KindRG. Denn zumindest durch die gesetzliche Gestaltung der Trennungssorge, die an die Stelle der gerichtlichen Einzelfallprüfung tritt, ist der Nachweis der subjektiven Motivation für die gemeinschaftliche Sorgerechtsausübung nicht mehr erforderlich, weil der Trennungssorgetatbestand nur an die äußeren Lebensbedingungen anknüpft. Indem die zwingende Unterscheidung zwischen ehelicher und nachehelicher Sorge aufgegeben wurde, weil eine Umgestaltung der Sorge wegen der Trennung erst auf Antrag eines Elternteils erfolgt, folgt die 584

Vgl. dazu auch Kap. B., Abschn. III.2.d). Vgl. Luthin „Gemeinsames Sorgerechts nach der Scheidung“, S. 58 f; Schütz ZfJ 1987, S. 189 (193). 586 Vgl. Limbach „Die gemeinsame Sorge geschiedener Eltern in der Rechtspraxis“, S. 15, dies. „Gemeinsame Sorge geschiedener Eltern“ 26 ff. 587 Vgl. OLG Hamburg NJW-RR 1986, S. 754 = FamRZ 1985, S. 1284; OLG Hamm FamRZ 1988, S. 753. 588 Vgl. Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 26; Kropholler NJW 1983, S. 905 (908); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 68. 585

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Legitimation der gemeinsamen Rechtsstellung also nicht mehr in erster Linie der inneren Bereitschaft der Eltern zur Kooperation, sondern der aus Kooperationspflicht im Rahmen der bestehenden Sorgerechtsstellung. Dies hat grundlegende Folgen für die Sorgerechtsprüfung insgesamt. Zunächst dient die elterliche Kooperationsbereitschaft nicht mehr der Widerlegung einer pauschal angenommenen Kindeswohlgefährdung. In Anknüpfung an die gesetzliche Sorge wird damit die Verantwortung für die Kompensation der mit der Trennung entstehenden Kooperationshindernisse den Eltern zugewiesen. Der wächteramtliche Kontrollanspruch verlagert sich von einem Gestaltungs- zu einem Überleitungsauftrag. aa) Konstitutiver Charakter des Elternwillens zur gemeinsamen Sorge für die Einschätzung der Kooperationsbereitschaft Im Zentrum der weiteren Betrachtung steht, welche Schlüsse aus der früheren Rechtslage für die gemeinsame Sorge gegen den Willen der Eltern gezogen werden können. Bereits vor dem KindRG wurde intensiv diskutiert, ob eine Übertragung der gemeinsamen Sorge möglich ist, wenn der Richter zu der Überzeugung gelangt, dass die Eltern trotz ihrer Vorbehalte dazu geeignet sind. 589 Im Vordergrund stand dabei die Frage, ob die gerichtliche Befassung der gemeinsamen Sorge nur auf Initiative der Eltern oder im Rahmen der allgemeinen Kindeswohlgestaltung eröffnet war. 590 Der Zwiespalt bestand darin, dass zwar einerseits die Übertragung der nachehelichen Sorge einen umfassenden Gestaltungsauftrag der Gerichte zur Umsetzung des Kindeswohls beinhaltete, der grundsätzlich auch Vorgaben gegen den Willen der Eltern erlaubte. Insbesondere stand der grundsätzlichen Wertung zufolge dabei die elterliche Erziehungsverantwor589

Für eine mögliche Übertragung gegen den erklärten Willen der Eltern vgl. OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 509 (510); AG Groß-Gerau FamRZ 1993, S. 462 (463) = DAVorm 1993, S. 200; dass. FamRZ 1994, S. 922 = NJW-RR 1994, S. 70 = DAVorm 1993, S. 952 (953); OLG Hamburg FamRZ 1985, S. 184; dass. FamRZ 1987, S. 89; OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89; einschränkend Staudinger / Coester (§ 1671 Rz. 173), der richterliche Anordnungen befürwortet, wenn ein auf gemeinsame Sorge gerichteter Vorschlag des Kindes oder unabhängig von der Beantragung alleiniger Sorge grundsätzliche Bereitschaft zur gemeinsamen Sorge besteht; vgl. auch Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59) der aus der Förderlichkeit für das Kindeswohl eine prinzipielle Vorrangigkeit der gemeinsamen Sorge ableitet und sich dafür ausspricht, den Prüfungsmaßstab auf § 1666 und den Rechtfertigungszwang bei Anträgen auf Alleinsorgeübertragung einzuführen; unentschieden BVerfGE 61, S. 358 (378, 381), das die richterliche Eigenständigkeit in der Beurteilung der Sachlage betont. 590 Zugunsten einer innovativen Prüfungskompetenz seitens des Richters, vgl. BVerfGE 61, S. 358 (378, 381); OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89; OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 509; Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (665, 668)), insbesondere unter Hinweis auf Erkenntnisse über die positive Wirkung der Fortsetzung gemeinsamer Sorge auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes; gegen eine eigenständige Initiative der Gerichte: Hinz ZfJ 1984, S. 529 (531, 533); MüKo / Hinz § 1671 a.F. Rz. 70; Johannsen / Henrich / Jaeger 2. Aufl. § 1671 Rz. 80.

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tung nicht zur Disposition. 591 Jedoch könne die für das Kindeswohl maßgebliche Kooperationsbereitschaft der Eltern durch ein gerichtliches Diktat nicht ausreichend sichergestellt werden. 592 Daher ging die überwiegende Auffassung nach der alten Rechtslage davon aus, dass die gemeinsame Sorge jedenfalls nicht gegen den erklärten Willen eines Elternteils übertragen werden konnte. 593 Die staatliche Intervention beschränkte sich somit außerhalb des Elternvorschlags darauf, während des Verfahrens unter Abbau des Streitpotentials auf elterliche Übereinstimmung zugunsten gemeinsamer Sorge hinzuwirken und gegebenenfalls durch das Aussetzen des Verfahrens fachkundige Beratung nahe zu legen. 594 Konnten die elterlichen Vorbehalte und Hemmungen nicht bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung abgebaut werden, wurde hingegen von der Übertragung der gemeinsamen Sorge nach Maßgabe des Kindeswohls abgesehen. 595

591

Vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); AG Groß-Gerau FamRZ 1993, S. 462 (463) = DAVorm 1993, S. 200; dass. FamRZ 1994, S. 922 = NJW-RR 1994, S. 70 = DAVorm 1993, S. 952 (953); OLG Hamburg FamRZ 1985, S. 184; dass. FamRZ 1987, S. 89; OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89. 592 Vgl. OLG Bamberg FamRZ 1991, S. 590; dass. 1987, S. 509 (511); eingeschränkt dass. FamRZ 1987, S. 752; Kropholler NJW 1984, S. 271 (274); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 68; Palandt / Diederichsen § 1671, Rz. 6; Schütz ZfJ 1987, S. 189 (194). 593 Vgl. Dörr NJW 1989, S. 690 (691); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (883); Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Knöpfel NJW 1983, S. 905; Kropholler JR 1984, S. 89; ders. NJW 1984, S. 271 (274); Heiliger FamRZ 1992, S. 1008 (1010); Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (871); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 6; Röchling ZfJ 1992, S. 417 (418); Staudinger / Coester § 1671, Rz. 41; BGH NJW 1993, S. 126 = FuR 1993, S. 42 = FamRZ 1993, S. 314; OLG Bamberg FamRZ 1991, S. 590 = NJW-RR 1991, S. 580; NJW-RR 1988, S. 1225 = FamRZ 1988, S. 752; NJW-RR 1987, S. 1034 = FamRZ 1987, S. 509 (510); OLG Celle FamRZ 1992, S. 465 (466); OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, S. 392; = DAVorm 1993, S. 950; FamRZ 1987, S. 89; OLG Frankfurt FamRZ 1993, S. 1352 = NJW-RR 1994, S. 388; AG Gerau FamRZ 1993, S. 462 = DAVorm 1993, S. 200; Hamburg FamRZ 1985, S. 1284; AG Mannheim FamRZ 1994, S. 923 (924); OLG München FamRZ 1991, S. 1343 (1344); OLG Stuttgart FamRZ 1991, S. 1220 (1221); KG FamRZ 1989, S. 654; dass. FamRZ 1988, S. 752; dass. FamRZ 1987, S. 511; OLH Hamm FamRZ 1988, S. 753; a. A. OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89; OLG Hamburg FamRZ 1985, S. 1284; vgl. auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 88, wonach 74,5% der befragten Eltern den gemeinsamen Wunsch zur gemeinsamen Sorge als wesentliche Voraussetzung für diese Sorgerechtsform auffassten; vgl. aber auch Reeken DAVorm 1996, S. 671 (673 f), der im 2. HJ 1994 eine abweichende Entwicklung bei Rspr. der 2. Instanz feststellte. Vgl. zu diesem Themenbereich auch Limbach „Die gemeinsame Sorge geschiedener Eltern in der Rechtspraxis“, S. 15, dies. „Gemeinsame Sorge geschiedener Eltern“ 27 ff. 594 Vgl. Kropholler JR 1984, S. 89 (94); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (419); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 68; Röchling ZfJ 1992, S. 557; OLG Bamberg FamRZ 1988, S. 752; Studie von Oelkers / Kasten / Oelkers FamRZ 1994, S. 1080 (1082) ergab jedoch eine auf 1,2% beschränkte Quote gerichticher Anregung zur gemeinsamen Sorge. 595 Vgl. Schwab „Handbuch“ Teil III., Rz. 95; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (135); BGH NJW 1993, S. 126 = FuR 1993, S. 42 = FamRZ 1993, S. 314; BGH NJW 1993, S. 314;

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Diese Einschätzung findet sich auch noch in der aktuellen Rechtslage. Jedoch erscheint dies gerade bei der Gegenüberstellung mit der vorangegangenen Rechtslage zweifelhaft. Denn der Ausgangspunkt der alten Rechtslage beruhte darauf, dass die Übertragung der gemeinsamen Sorge einer zusätzlichen Legitimation bedurfte, da sie gegenüber der Alleinsorge zusätzliche Risiken mit sich brachte. Diese dem SorgeRG zugrunde liegende Prämisse war durch das Urteil des BVerfG nicht aufgehoben worden. Die allgemeine Kindeswohlabwägung war damit weiterhin vorrangig auf die Umgehung des nach der Scheidung unvermeidlichen Elternkonflikts gerichtet, so dass die gemeinschaftliche Sorgerechtsausübung beider Eltern an qualifizierte Anforderungen geknüpft wurde. Diese Wertung wurde aber durch das KindRG aufgehoben, indem die gemeinsame Sorge gem. § 1687 nun grundsätzlich unabhängig von der inneren Haltung der Eltern fortgesetzt wird. 596 Bedarf die gemeinsame Sorge aber nicht mehr des qualifizierten Nachweises, so wird der bisherige Zwiespalt zumindest teilweise aufgehoben, der bislang einer gerichtlichen Übertragung gegen den Willen der Eltern entgegenstand. Zum einen kann der Verweigerung des Willens nicht dieselbe Bedeutung beigemessen werden, wenn umgekehrt der erklärte Wille nicht mehr konstitutiv ist. Denn die gesetzliche Gestaltung der Trennungssorge nimmt stets in Kauf, dass gemeinsame Sorge ungeachtet innerer Vorbehalte bestehen bleibt, weil sie durch den Tatbestand nicht ausgeschlossen werden kann. Zum anderen hat sich der gerichtliche Gestaltungsauftrag vor dem Hintergrund eines vereinheitlichten Kindeswohlbegriffs für die gesamte Trennungssorge verlagert. Hat also im Rahmen der gesetzlichen Trennungssorge die Konfliktvermeidung gegenüber der Bewahrung beider Eltern an Bedeutung verloren, indem die Konfliktanfälligkeit nach der Trennung die Eltern nicht länger für die gemeinsame Sorgerechtsausübung disqualifiziert, muss dies auch für die Kindeswohlgewichtung im Rahmen des Antragsverfahren gelten. Eine gegenüber der vorherigen Rechtslage erhöhte Förderungspflicht der gemeinsamen Sorge durch die Gerichte auch gegen den Willen der Eltern erscheint schon vor diesem historischen Vergleich denkbar. bb) Qualifizierte Anforderungen an die Erklärung der Kooperationsbereitschaft Doch über die bloße Erklärung eines übereinstimmenden Willens beider Eltern zur Fortsetzung der gemeinsamen Sorge hinaus haben sich qualifizierte Maßstäbe in der Praxis herausgebildet. Eine zusätzliche Indikation der Tragfähigkeit und Zuverlässigkeit der Kooperationsbereitschaft bestanden zunächst im Verhalten während des Scheidungsverfahrens und im Umgang mit den damit verbundenen Rechtsfragen wie etwa dem Scheidungsmodus, Unterhalt oder dem Verbleib des OLG Celle FamRZ 1992, S. 465 (466); OLG Frankfurt FamRZ 1993, S. 1352 = NJW-RR 1994, S. 388 f; OLG München FamRZ 1991, S. 1343 (1344). 596 Vgl. dazu weitere Ausführungen im Kap. B., Abschn. II.4.b).

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Hausrats. 597 In der Praxis erwies es sich, dass eine hohe Einigungsfähigkeit der Antragsteller gemeinsamer Sorge auch bezüglich der scheidungsbedingten Regelungsbereiche bestand. 598 Jedoch beschränkte sich dieses Kriterium auf eine bloße Indizwirkung, da sich das Scheidungsverhalten nicht selten als das Produkt sowohl strategischer Intervention durch Anwälte und Jugendämter als auch als Ausdruck von Gleichgültigkeit erwies. 599 Größere Bedeutung hatte die Beurteilung des sog. Sorgerechtsplans, durch den die Eltern die zukünftige Sorgerechtsgestaltung im Rahmen ihres Entscheidungsvorschlages näher erläuterten. 600 Auf diese Weise sollte das Gericht die Möglichkeit bekommen, gleichermaßen Ernsthaftigkeit und Tragfähigkeit der Absprache zu überprüfen. 601 Insbesondere die darin zum Ausdruck kommende konkrete Vorstellung der Eltern vom gemeinsamen Sorgerecht sollte dem Richter zur gezielten Intervention und Aufklärung dienen. Gleichzeitig wurden die Ausführungen auf Anhaltspunkte für bewusste oder unbewusste Scheineinigkeit untersucht, die zu einer kindeswohlwidrigen Ausübung der gemeinsamen Sorge führen könnten. 602

597 Vgl. Limbach „Studie“, S. 3: danach wurden von 617 untersuchten Scheidungsverfahren 46% einverständig geschieden gem. §§ 1565 Abs. 1 iVm 1566 Abs. 2 a.F. Auch in Scheidungsverbund und -folgesachen wie Umgangsrecht, Kindes- und Ehegattenunterhalt sowie der Verteilung von Hausrat bzw. Wohnung und schließlich der Klärung der Güterrechtsansprüche war das Konsensniveau außerordentlich hoch. In 95 – 98% der Fälle musste keine richterliche Entscheidung ergehen. 598 Vgl. Limbach „Studie“, S. 14, wonach sich 46% der Eltern einvernehmlich scheiden ließen und in 71% der Fälle es nur eines einzigen Verhandlungstermins bedurfte; vgl. auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 81, wonach sich 11 Eltern gemeinsamer Sorge (GS) gegenüber 18 Eltern mit Alleinsorge (AL) über den Unterhalt stritten, 8 GS und 11 (AS) über Kinder stritten, 7 (GS) und 11(AS) über das Vermögen stritten und schließlich 3 (GS) und 4 (AS) über die Wohnung stritten. 599 Vgl. zur anwaltlichen und richterlichen „Entschärfungsstrategie im Scheidungsprozeß“ Caesar-Wolf / Eidmann „Zur relativen Autonomie der Rechtspraxis – am Beispiel der Scheidungsgerichtsbarkeit“ in W. Hassemer u. a. (Hg) „Juristenausbildung zwischen Experiment und Tradition“ (1986), S. 193 (211); Limbach „Studie“, S. 31; Neuhaus FamRZ 1980, S. 1089 unter Bezugnahme auf amerikanische Rechtspraxis. 600 Vgl. Oelkers / Kasten FamRZ 1993, S. 18 (20); Limbach „Studien“, S. 15, wonach 91% der Gerichte die Kooperationsfähigkeit am übereinstimmenden Elternvorschlag bemaßen. 601 Vgl. Coester FuR 1991, S. 70 (72); Finger DRiZ 1985, S. 91 (95); Hinz ZfJ 1984, S. 529 (536); Johannsen / Henrich / Jaeger 2. Aufl. § 1671 a.F. Rz. 83; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler JR 1984, S. 89 (95); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (308); Limbach „Studie“, S. 33; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, s. 416 (418); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 7; Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 109; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 176; KG FamRZ 1983, S. 648; AG Arnsberg FamR 1986, S. 1145 (1148); vgl. auch Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1, unter Bezugnahme auf die hohen Anforderungen des kalifornischen Rechts an die genauen Ausführungen zur Sorgerechtsgestaltung.

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Angesichts dieser besonderen Bedeutung des eigenen Planungsaktes der Eltern wurde in diesem Zusammenhang diskutiert, ob eine auf Kompromiss beruhende Absprache ausreichende Stabilität vermittelt. 603 Dies bezog sich vor allem auf die Frage, inwieweit Einflüsse durch Jugendämter oder Rechtsanwälte die bestehenden Widerstände zeitweise überdecken, während die weiterhin fehlende eigene Überzeugung der Eltern eine bedrohliche Labilität der Sorgerechtsabsprache vermuten lässt. 604 Diese auf authentische Anträge beschränkte Position vermochte sich jedoch in der Praxis nicht durchzusetzen. Mit Recht wurde darauf verwiesen, dass die in der Planung unter Beweis gestellte Kompromissbereitschaft gerade ein wesentliches Element elterlicher Kooperation darstellte. 605 Ein weiterer umstrittener Aspekt bei der Beurteilung des Sorgerechtsplans war, welche konzeptionelle Regelungsdichte geboten erschien. Befürworter einer detaillierten Planungspflicht machten geltend, dass das Gericht auf diese Weise einen Eindruck von der tatsächlichen Übereinstimmung beider Elternteile in Hinblick auf Erziehungsziele und -umsetzung gewinne. 606 Vor allem könne das bestehende Prognoserisiko durch eine zukunftsgerichtete Planung der Eltern beschränkt und auftretende Defizite bereits im Vorfeld gezielt ausgeglichen werden. 607 Doch 602 Im Vordergrund standen hier vor allem unausgeglichene Machtverhältnisse zwischen den Eheleuten, scheidungstaktische Überlegungen und sonstige sachfremde Motivation, vgl. Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 65; Finger DRiZ 1988, S. 12 (16), dessen Studie ergab, dass innerhalb der Richterschaft derartige Motivationen zur gemeinsamen Sorge für sehr verbreitet erachtet werden. 603 Im Rahmen der terminologischen Diskussion, inwieweit der begriffliche Wandel durch das 1. EheRG vom „gemeinsamen Vorschlag“ zu einem „übereinstimmenden Vorschlag“ der Eltern bereits eine Minderung der gesetzlichen Anforderungen an deren Zusammenwirken eingeleitet hat, vgl. Göppinger Rz. 606 mwN; mit Hinweisen auf amerikanische Rechtserfahrungen mit Kompromissabsprachen vgl. Coester EuGRZ 1982, S. 256 (263); vgl. auch Kropholler JR 1984, S. 89 (94). 604 Vgl. Fingern FamRZ 1988, S. 12 (16), demzufolge viele Richter der Überzeugung sind, dass die meisten Eltern nicht auf eigenen Antrieb, sondern allein aufgrund gezielter Einflussnahme von Rechtsanwälten und Jugendämtern das gemeinsame Sorgerecht beantragen (dazu kritische Anmerkungen von Luthin FamRZ 1985, S. 565 f); so auch Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (871). Demgegenüber hat die Hamburger Studie von Oelkers / Kasten / Oelkers FamRZ 1994, S. 1080 (1082) ergeben, dass 77,5% der Anträge auf gemeinsame Sorge von den Eltern selbst ausgingen und nur in 21,3% die Initiative von den Jugendämtern und in 1,2% der Fälle die Initiative von den Gerichten ursächlich war; vgl. auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 82, wonach unabhängig vom Sorgerechtsmodell 63,8% durch die Rechtsanwälte und 41,5% durch unabhängige Einschätzung die Auswahl der Sorgerechtsgestaltung trafen. Nur 8,5% führten ihre Entscheidung auf ein Beratungsgespräch mit dem Jugendamt zurück. 605 Vgl. dazu Dörr NJW 1989, S. 690 (691). 606 Vgl. Coester EuGRZ 1982, S. 256 (262), der die begrenzte Kontrollmöglichkeit des Richters durch einen aussagefähigen Elternvorschlag kompensieren zu wollen scheint. 607 Vgl. dazu Coester „Kindeswohl“, S. 319; Göppinger Rz. 619; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 83; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler JR 1984, S. 89 (95);

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wurde letztlich trotz dieser Vorzüge eine Planungspflicht in der Praxis abgelehnt. 608 Der durch die Scheidung bestehende Schwebezustand und die nur vage vorherzusehenden Entwicklungstendenzen widersprächen einer umfassenden Regelung. 609 Voreiliger Regelungszwang behindere möglicherweise die Anpassung der gemeinsamen Sorgerechtsausübung an berufliche Umstellung, Wohnraumgestaltung sowie allmählich gesammelte Erfahrungen mit der günstigsten Form der Aufgabenverteilung. 610 Überdies seien detaillierte Entwürfe und Sorgerechtspläne mit dem gesetzlichen Modell der gemeinschaftlichen Erziehung nicht vereinbar. 611 Es sei daher vorzuziehen, den Eltern einen Entwicklungsspielraum einzuräumen und die Gestaltung der gemeinsamen Sorge dem autonomen und dynamischen Prozess zu überlassen. 612 Zweifel an der Kooperationsfähigkeit wurden demnach nur angenommen, wenn die Eltern jegliche Konkretisierung verweigerten. 613 Diese Wertung wurde weitgehend vom KindRG übernommen. Beide Aspekte veranschaulichen, dass bereits in der ehemaligen Rechtspraxis sich eine Zurückhaltung bei der gerichtlichen Kontrolle abzeichnete. An die Stelle eines auf Planungssicherheit gerichteten Kontrollanspruchs dominiert Flexibilität und eine an der gesetzlichen Sorge orientierte Dynamik der Rechtszuständigkeiten. Damit haben sich im Reformgesetz die Kräfte durchgesetzt, die hinsichtlich der Trennungs- und Scheidungssorge zunehmend eine nur begrenzte gerichtliche Regulierbarkeit der Elternsorge in die rechtlichen Beurteilungsmaßstäbe zugrunde legten. Flexibilität, Anpassungs- bzw. Auslegungsfähigkeit und staatliche Zurückhaltung waren in diesen Einschätzungen als sorgerechtliches Prinzip angelegt, wie sie jetzt das KindRG prägen.

Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 65; dies. in „Studie“, S. 32; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (419); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (134); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 68; Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 109; Strempel S. 14; OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759). 608 Vgl. Kropholler JR 1984, S. 89 (95); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 65 f; Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 109; wohl a. A. Göppinger Rz. 618, der als obligatorische Bestandteile des Elternvorschlages ansieht: den Aufenthalt des Kindes, das Besuchsrecht, die Unterhaltsregelung, den Entscheidungsvorrang des betreuenden Elternteils und Regelungen für die Fälle, in denen die Eltern keine Einigkeit erzielen können; so auch Cal. Civ. Code § 4600 (b) (1) (vgl. dazu Coester EuGRZ 1982, S. 256, 258 Fn. 35; Kropholler JR 1984, S. 89). 609 Vgl. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler NJW 1984, S. 271; Magnus RdJB 1988, S. 158 (165); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (134); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 68. 610 Vgl. Jopt FamRZ 1987, S. 881. 611 Vgl. Dietzen FamRZ 1987, S. 239; Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (759); Jopt FamRZ 1987, S. 881; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler NJW 1984, S. 271; Magnus RdJB 1988, S. 158 (165); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (134); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 68. 612 Vgl. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (909). 613 Vgl. Coester EuGRZ 1982, S. 256 (260); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 82; Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 109.

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Der Schwerpunkt der gerichtlichen Einschätzung von subjektiver Erziehungseignung richtete sich schließlich vor allem auf die Kindeswohlgefährdung durch sachwidrige Anträge, solche also, die auf andere als auf das Kind bezogene Erwägungen zurückzuführen waren. So wurde wiederholt befürchtet, dass von der gemeinsamen Sorge eine zusätzliche Gefährdung der Kindesinteressen ausgehen könne, wenn die Eltern aus prozesstaktischen Überlegungen oder aufgrund gegenseitiger Willensbeeinflussung die Sorgerechtsform wählten. In diesen Fällen sei die Tragfähigkeit der gemeinsamen Sorgerechtsausübung nur unzureichend gewährleistet, da anstelle der Kindeswohlerwägungen allein etwa die Verfahrensbeschleunigung bzw. der Vorteil bei Unterhaltverhandlungen oder Zwang und Drohung innerhalb eines unausgewogenen Elternverhältnisses die Grundlage des Elternvorschlages sei. 614 Die rechtliche Bedeutung dieser spezifischen Gefahren sachwidriger Motivationen bei gemeinsamer Sorge wurde jedoch durchaus uneinheitlich beurteilt. Von den Kritikern dieser Sorgerechtsform wurde daraus abgeleitet, dass solange ein Missbrauch nicht auszuschließen sei, das Kindesinteresse einer Übertragung entgegenstehe. 615 Der daraus folgende umfassende Kontrollanspruch führte dazu, dass die gerichtliche Prognoseentscheidung maßgeblich auf die subjektive Motivation und die Beweggründe für die Wahl der Sorgerechtsform abstellte. Die Kritiker verwiesen darauf, dass diese uneingeschränkte Bedeutung der sachwidrigen Motivation weder der Vielschichtigkeit der familiären Entscheidungsprozesse noch den oftmals unbewussten Einflüssen gerecht werde. 616 Überdies fordere dies unangemessenen Einblick in die Intimsphäre der Eltern, der auch durch das Kindeswohl nicht gerechtfertigt sei. 617 Denn die damit angestrebte Prognosesicherheit sei auf diese Weise nicht gewährleistet. In der Gegenüberstellung zum KindRG weist das Reformgesetz an dieser Stelle eine weitere zentrale Umbewertung der Kindeswohlgewichtung auf. So bestand in der vorausgegangenen Rechtspraxis ein Konsens darüber, dass sachwidrige Motivation grundsätzlich ein beachtliches Hindernis für die gemeinsame Sorge614 Vgl. Baecker in „Zur Sache“, S. 88; Coester FuR 1991, S. 70 (73); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (58); Fehmel FamRZ 1979, S. 380 (760); Finger DRiZ 1988, S. 12 (16); Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Klußmann FamRZ 1982, S 118 (122); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906); Kropholler JR 1984, S. 89 (95); Lempp FamRZ 1984, S. 741 (744); Limbach „gemeinsame Sorge“, S. 26; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130); Puls ZfJ 1984, S. 8 (13); ders. in Remschmidt (Hg) „Kinderpsychatrie und Familienrecht“, S. 18 (25); Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 19; vgl. auch BT-Drucks. 8/2788, S. 63; kritisch dazu Schwenzer 59. DJT 1992, S. A 64 (A 77) – zu den Einzelheiten der Diskussion vgl. nähere Ausführungen der einzelnen Fallkonstellationen im Kap. B., Abschn. II.4. 615 Vgl. Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906). 616 Vgl. Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130) unter Hinweis auf die sachwidrigen Motivationen, die auch bei der Alleinsorgeübertragung eine Rolle spielen können. 617 Vgl. Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59) auch unter dem Aspekt der grundsätzlich außerrechtlichen Beurteilung des Familienkonflikts.

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rechtsübertragung darstellte. 618 Allein die Frage, ob bereits die nicht zu entkräftenden Anhaltspunkte für eine auch sachwidrige Motivation zur Zurückweisung der gemeinsamen Sorge ausreichten, wurde unterschiedlich beurteilt. Demgegenüber macht das Reformgesetz einen bedeutenden Schritt. Es objektiviert den Beurteilungsmaßstab, indem es zunächst durch die gesetzliche Regulierung der Trennungssorge keinen Raum für die Beurteilung elterlicher Gesinnung lässt. Die Motivation ist für die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge und die Legitimation der Rechtsstellung ohne Bedeutung, solange sie nicht zu einer konkreten Kindeswohlgefährdung gem. § 1666 führt. Der Entschluss der Eltern zur gemeinsamen Sorge manifestiert sich allein im Ausbleiben eines Sorgerechtsantrags auf Übertragung der Alleinsorge. Das heißt, die fortgesetzte Elternverantwortung nach der Trennung ist nicht länger von der inneren Haltung, sondern primär von der tatsächlichen Ausübung der Erziehungsverantwortung bestimmt. Damit gibt der Staat einen erheblichen Teil seines bisherigen Kontrollanspruchs auf. In der Schlussfolgerung für die Entscheidung gem. § 1671 bedeutet dies, dass auch hier die Objektivierung der Kindeswohlbeurteilung berücksichtigt werden muss. Soweit sich die innere Haltung nicht auf das Erziehungsverhalten auszuwirken droht, bieten daher sachwidrige Erwägungen keine hinreichende Grundlage mehr für die Übertragung der Alleinsorge. cc) Bindungswirkung des Elternvorschlages gem. § 1671 Abs. 3 a.F. Von zentraler Bedeutung war die Beurteilung der Bindungswirkung des Elternvorschlags für die Gewichtung der gemeinsamen Sorge nach der alten Rechtslage. In diesem Zusammenhang war vor allem umstritten, ob bereits der Elternvorschlag oder erst die Überzeugung des Richters von der Eignung der Eltern zur Übertragung der gemeinsamen Sorge führe. 619 Gem. § 1671 Abs. 3 a.F. sollte das Gericht 618

Vgl. dazu bereits zur relativierenden Einschätzung Palandt / Diederichsen 52 Aufl., § 1671 Rz. 21. 619 Die in diesem Zusammenhang geführte Diskussion über die Bindungswirkung des Vorschlages zwischen den Eltern hat sich bereits in der alten Rechtslage zugunsten einer freien Widerrufbarkeit entschieden. Die früher h.M. fasste die zwischen den Eltern getroffene Vereinbarung als bindenden Vertrag auf, der lediglich durch Aufhebungsvertrag, Anfechtung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage gelöst werden konnte (so BGHZ 1, S. 214 (217); 33, S. 54 (57) = NJW 1960, S. 1719 (1720) = FamRZ 1960, S. 397; OLG Düsseldorf FamRZ 1983, S. 293 (294); OLG Stuttgart FamRZ 1981, S. 704 f = NJW 1981, S. 1743; OLG Hamm FamRZ 1985, S. 637 m. Anm. v. Luthin; Gernhuber § 56 II 4, 5; noch immer Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 23; einschränkend OLG Hamm FamRZ 1989, S. 654 f; wohl auch Dörr NJW 1989, S. 690 (691)), die sich schließlich durchsetzende h.M. lehnte eine vertragliche Bindung unter Hinweis auf den Schutzzweck des § 1671 Abs. 3 a.F. iVm Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ab und hielt den einseitigen Widerruf für uneingeschränkt zulässig (so AK-BGB / Münder § 1671 Rz. 28 f; Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 298 ff; Göppinger „Vereinbarungen anlässlich der Ehescheidung“ Rz. 606; Johannsen / Henrich / Jaeger 2. Aufl. § 1671 Rz. 58; Kropholler NJW 1984, S. 271 (272 f); Luthin FamRZ 1985,

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von einem übereinstimmenden Vorschlag der Eltern zur Regelung der nachehelichen Sorge nur abweichen, wenn es zum Wohle des Kindes erforderlich war. Dieser Ausläufer verbleibender Erziehungsautonomie brachte ein grundlegendes Zugeständnis zum Ausdruck, das innerhalb des KindRG an Bedeutung gewonnen hat und nach welchem die Eltern grundsätzlich auch im Partnerschaftskonflikt besser in der Lage sind, eine den Kindesinteressen entsprechende Regelung der nachehelichen Sorge zu treffen als staatliche Stellen. 620 Auf diese Weise relativierte sich der sorgerechtliche Gestaltungsanspruch des Staates bei der Scheidung und führte bei elterlichem Einvernehmen zu einem kontrollierten Dispositionsakt. In Hinblick auf die gemeinsame Sorge wurde diese Bindung der Gerichte an den Elternvorschlag von einer starken Mindermeinung deutlich eingeschränkt. 621 Die Abwägung zwischen der Bindungswirkung des § 1671 Abs. 3 a.F. und dem gerichtlichen Gestaltungsauftrag zur wächteramtlichen Durchsetzung des Kindeswohls gem. § 1671 Abs. 2 BGB sei hier anders zu treffen als bei der Alleinsorge. 622 Die Regelungsautonomie rechtfertige sich allein durch die persönliche Einschätzbarkeit der eigenen, individuellen Verantwortungsbereitschaft. 623 Insbesondere wegen der zusätzlichen Störanfälligkeit und Labilität bestehe bei der gemeinsamen Sorge hingegen eine erhöhte Eingriffs- und Kontrollpflicht im Rahmen der wächteramtlichen Schutzfunktion. 624 Auch sei dies erforderlich, um die Gefahr S. 638 f; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 54; Schwab „Handbuch des Scheidungfsrechts“, S. 470 ff, 472; Soergel / Strätz § 1671 Rz. 17; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 146 f; Treitz S. 35 (40 ff mwN); OLG Bamberg FamRZ 1991, S. 590 = NJW RR 1991, S. 580 – der BGH hat diese Frage bislang offen gelassen, vgl. FamRZ 1993, S. 314 = DAVorm 1992, S. 1335 (1338); ders. FamRZ 1990, S. 392 = NJW-RR 1990, S. 258; KG FamRZ 1958, S. 423; OLG Zweibrück NJW-RR 1986, S. 1330 = FamRZ 1986, S. 1038). 620 Vgl. BVerfG FamRZ 1981, S. 124 f; dass. FamRZ 1982, S. 1179. 621 Vgl. Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 67 ff; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 166; Limbach „Studie“, S. 55, danach haben 50,7% der Richter eine Bindungswirkung nach Maßgabe des § 1671 Abs. 3 a.F. auch für die gemeinsame Sorge angenommen, während 48,8% ihre Entscheidung davon abhängig machen, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht. 622 Vgl. dazu Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 67 ff; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 166. 623 Vgl. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); kritisch dazu Hinz ZfJ 1984, S. 529 (534); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130). 624 Vgl. AG Arnsberg FamRZ 1985, S. 424 (425); dass. FamRZ 1986, S. 1145; Bergerfurth, S. 116; Finger DRiZ 1985, S. 91 (95); Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler JR 1984, S. 89 (94); ders. NJW 1983, S. 271 (274); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (307); Luthin FamRZ 1983, S. 648 als Anm. zu KG FamRZ 1983, S. 420, 648; Magnus RdJB 1988, S. 158 (164); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 6; Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17 (19); Schütz ZfJ 1984, S. 189; KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057); wohl auch Puls ZfJ 1984, S. 8 (12 f) trotz grundsätzlicher Befürwortung der gemeinsamen Sorge als für das Kindeswohl vorzugswürdigen Sorgerechtsform; kritisch Normann FamRZ 1988, S. 568 (570); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131); OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89.

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einer Aushöhlung der gesetzlichen Grundsatzentscheidung zugunsten der Alleinsorge auszuschließen. 625 Die Übertragung der gemeinsamen Sorge müsste danach für das Kindeswohl erforderlich sein, so dass das Gericht nicht an den diesbezüglichen Elternvorschlag gebunden sei. 626 Daraus wurde abgeleitet, dass zusätzlich zur Bereitschaftserklärung der Eltern – gleich einem 4. Tatbestandsmerkmal – auch der Richter im Einzelfall zu der Überzeugung gelangen muss, dass die Eltern tatsächlich in der Lage sind, im Hinblick auf die Pflege und Erziehung des Kindes einvernehmlich zu handeln. 627 Diese Beschränkung der gemeinsamen Sorge wurde jedoch überwiegend abgelehnt. Eine Differenzierung der Bindungswirkung gem. § 1671 Abs. 3 a.F. sei unzulässig, da es sich um die Konkretisierung verfassungsrechtlich geschützter Positionen handele. 628 Noch dazu genieße der Vorschlag besonderen Schutz, da er nicht auf einen Eingriff in die bestehende Rechtsposition gerichtet sei, sondern 625 Vgl. BVerfGE 61, S. 358 (378, 381); Frankfurt / M. FamRZ 1983, S. 759; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907); Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 29; Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 7; kritisch dazu OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89; Hinz ZfJ 1984, S. 529 (531); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 64; Normann FamRZ 1988, S. 568 (570); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131); Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 94; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 164 unter Abgrenzung einer insoweit undifferenzierten Betrachtungsweise bei Soergel / Strätz § 1671 Rz. 19; Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (446, 448). Zu der damit eng verknüpften Auffassung, dass die gemeinsame Sorge der Ausnahmefall sei und daher signifikant von dem „normalen“ Scheidungsfall abweichen müsse vgl. AG Arnsberg FamRZ 1985, S. 424; KG FamRZ 1989, S. 654; Gießen JZ 1983, S. 301 (302); Kropholler NJW 1984, S. 271 (274); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (137); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 6; Soergel / Strätz § 1671 Rz. 19; a. A. KG FamRZ 1983, S. 1055; AG Charlottenburg FamRZ 1983, S. 420; Dörr NJW 1989, S. 690 (692); Fehmel FamRZ 1983, S. 972; Hinz ZfJ 1984, S. 529 (537); ders. in MüKo § 1671 Rz. 64; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (879); Röchling ZfJ 1992, S. 417 (418). 626 Vgl. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 6; a. A. AG Charlottenburg FamRZ 1983, S. 420; KG FamRZ 1983, S. 648. 627 Befürworter der richterlichen Überzeugungsbildung als ein viertes Kriterium der Übertragung gemeinsamer Sorge, neben subjektiver und objektiver Elterneignung sowie Kindeswohl, vgl. OLG Celle NJW 1985, S. 923 = FamRZ 1985, S. 527; KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057); OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759); Dörr NJW 1989, S. 690 (691 f); Finger DRiZ 1985, S. 91 f; ders. DRiZ 1988, S. 12; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907 f); Kropholler JR 1984, S. 89 (94); Luthin FamRZ 1983, S. 648 f; ders. abweichend „Gemeinsame Sorge nach der Scheidung“, S. 29; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (129); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 7; Puls ZfJ 1984, S. 8 (12); Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 124; für die Überzeugung der Richterschaft vgl. Limbach „Studie“, S. 55 f; kritisch dazu Müko / Hinz § 1671 Rz. 72; Hinz ZfJ 1984, S. 529 (533); Johannsen / Henrich / Jaeger 2. Aufl. § 1671 Rz. 80; Schwab „Handbuch“ III, Rz. 92; a. A. BGH NJW 1993, S. 126 = FuR 1993, S. 42 = FamRZ 1993, S. 314 mwN; Coester FuR 1991, S. 70 (72); Henning / StehleRemer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 31. 628 Vgl. dazu Diederichsen NJW 1980, S. 8; Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 59; Göppinger „Vereinbarungen anläßlich der Ehescheidung“ Rz. 606; Müller-Altern ZfJ 1989, S. 443 (444), der die umfassende Einschränkung gerichtlicher Interventionskompetenz gem.

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das Bestehende bewahre. 629 Ein übereinstimmender Vorschlag indiziere dabei unabhängig von der Sorgerechtsform, dass die Eltern ihre fortbestehende Verantwortung für das Kind weiterhin sachgerecht wahrnehmen, so dass wächteramtliche Kontrollkompetenz zurücktrete. 630 Der Eingriff in die Familienautonomie sei nur gerechtfertigt, wenn die Selbstheilungskräfte der Familie versagen. 631 Eigene Lösungen der Beteiligten seien regelmäßig vorzugswürdig, da sie im Vergleich zu gerichtlichen Vorgaben größere Akzeptanz und Tragfähigkeit finden. 632 Insbesondere sei eine pauschale Missbrauchsvermutung unzulässig 633, so dass der Elternvorschlag zugunsten der gemeinsamen Sorge verbindlich sei, sofern dem keine Interessen des Kindes entgegenstehen. 634 Die damit gebotene staatliche Zurückhaltung entkräfte überdies die Befürchtung der Gegenauffassung, dass die gemeinsame Sorge eine zusätzliche Kindeswohlbelastung begründe, da sie aufgrund umfangreicher Prüfungserfordernisse das Verfahren verlängere. 635 § 1671 Abs. 3 a.F. aus dessen lex specialis Charakter gegenüber § 1666 a.F. ableitet; gegen eine Angleichung der Maßstäbe der §§ 1666, 1671 a.F. vgl. auch Finger RdJR 1988, S. 177 (181). 629 Vgl. Hinz ZfJ 1984, S. 529 (534). 630 Vgl. Fehmel FamRZ 1983, S. 971 (972); Kaltenborn FamRZ 1983, S. 758 (759); z. T. wird daraus bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt die gemeinsame Sorge als Regelfall aufgefaßt: vgl. KG FamRZ 1983, S. 1055; AG Charlottenburg FamRZ 1983, S. 420; Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (58); Dörr NJW 1989, S. 690 (692); Fehmel FamRZ 1983, S. 972; Hinz ZfJ 1984, S. 529 (531, 537); ders. in MüKo § 1671 Rz. 64; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (879); kritisch dazu Schütz ZfJ 1987, S. 189 (191 f). 631 Vgl. Coester FuR 1991, S. 70 (71); Hinz ZfJ 1984, S. 529 (533); Röchling ZfJ 1992, S. 417 (418). 632 Vgl. Michalski FamRZ 1992, S. 128(131); unter Bezugnahme auf das Kindeswohl vgl. auch Hinz ZfJ 1984, S. 529 (534); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 73; Oelkers / Kasten FamRZ 1993, S. 18 (19); Normann FamRZ 1988, S. 568 (570); im Ergebnis auch Kropholler JR 1984, S. 89 (95); a. A. Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17. 633 Vgl. Kaltenborn FamRZ 1983, S. 758 (759 f); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 29; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (136); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 73; Staudinger / Coester § 1671 a.F. Rz. 167. 634 So auch AG (Charlottenburg) Berlin FamRZ 1983, S. 420; KG FamRZ S. 698, 1055 (1057); Fehmel FamRZ 1983, S. 971 (972); Hinz ZfJ 1984, S. 529 (534); Kropholler JZ 1984, S. 89 (94); Liddle-Haas, S. 30 f; Limbach „Studie“, S. 35; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 65 ff; ders. FamRZ 19983, S. 420 (421); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (418); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 63; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (136); Oekers / Kasten FamRZ 1993, S. 18 (20); Schwab „Handbuch“ Teil III, Rz. 93; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 167; Strempel „Gemeinsame Sorge geschiedener Eltern“, S. 15. 635 So jedoch Lempp NJW 1972, S. 315 (317); Röchling ZfJ 1992, S. 516 (519); vgl. dazu kritische Anmerkungen von Dickmeis ZfJ 1991, S. 164 (165, 167); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (418); überdies konnte durch Tatsachenstudien diese These nicht bestätigt werden, vgl. Oelkers / Kasten / Oelkers FamRZ 1994, S. 1080 (1082), wobei sich die durchschnittliche Verfahrensdauer auf 11,7 Monate für die Übertragung der gemeinsamen Sorge belief und die Gerichte keinen zusätzlichen sorgerechtsformspezifischen Ermittlungs-

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

In diesem Aspekt kristallisiert sich bereits die Neubewertung des Verhältnisses von elterlicher Erziehungsautonomie und gerichtlichem Gestaltungs- und Kontrollanspruch heraus, wie sie das KindRG bestimmt. Das kritische Hinterfragen der staatlichen Eingriffskompetenz in die Erziehungsautonomie, wo es an konkreten Anhaltspunkten für ein Regelungsbedürfnis fehlt, wurde mit dem Reformgesetz konsequent aufgegriffen und umgesetzt. Nicht allein die gesetzliche Vorgabe der gemeinsamen Sorge in § 1687, sondern auch die zwingend vorgegebene Alleinsorgeübertragung bei einem einvernehmlichen Antrag gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 greift diese Überlegungen auf. Das elterliche Einvernehmen verdrängt nun den staatlichen Kontrollanspruch vollständig dort, wo es keine konkreten Anhaltspunkte eines entgegenstehenden Kindesinteresses gibt. c) Abwägung nach Maßgabe des Kindeswohls Im Vordergrund der gerichtlichen Sorgerechtsübertragung steht das Kindeswohl als Entscheidungsmaßstab. Die Einschätzung der nachehelichen Kindesinteressen hat sich bereits durch die Einführung der gemeinsamen Sorge signifikant verändert. Die daraus abzuleitenden Impulse führten einen Sorgerechtswandel ein, der für das Verständnis des KindRG von großer Bedeutung ist. Dabei bildete das Kindeswohl in Anlehnung an das BVerfG Urteil neben der subjektiven und objektiven Eignung der Eltern, die bereits selbst eine Umsetzung der Kindesinteressen darstellen, gleichsam ein übergeordnetes Korrektiv, an dem die gemeinsame Sorge an den konkreten Bedürfnissen des Kindes überprüft wurde. 636 aa) Grundsätzliche Gewichtung des nachehelichen Kindeswohls Die frühere Rechtslage ist geprägt von einer grundlegenden Unterscheidung zwischen gesetzlicher und nachehelicher Sorge. Die Ausgangsvorschrift des § 1671 Abs. 4 S. 1 i.d.F. des SorgRG v. 1979 637 beruht demzufolge auf einem scheidungsspezifischen Kindeswohlbegriff, wonach die Elternscheidung regelmäßig als Gefährdung des Kindeswohls galt, welche den Staat in seiner wächteramtlichen Schutzpflicht berief und die Eltern in Hinblick auf das Erziehungsrecht zurückdrängte. 638 Im Vordergrund stand dabei die Annahme, dass die Eltern aufgrund des situationstypischen Konfliktes nicht in der Lage seien, die Kindesinteressen aufwand betrieben; Limbach „Studie“, S. 35 weist auf die sogar als unsorgfältig erachtete Kürze und Standardisierung der gerichtlichen Beurteilung hin. 636 Dieser Aufbau ist in das Konzept des §1671 Abs. 2 Nr. 2 nun auch für die Übertragung der Alleinsorge eingeflossen, indem nach der Gegenüberstellung der Sorgerechtsformen zunächst die Alleinsorge in der konkreten Form am Kindeswohl überprüft und schließlich das Gesamtergebnis zum Kindeswohl ins Verhältnis gesetzt wird, vgl. Kap. C., Abschn. III.2. 637 Zum Schwerpunkt der Reform und einem Überblick zum diesbezüglichen Gesamtkonzept vgl. Belchau ZfJ 1979, S. 325 (u. a. 329 f).

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einvernehmlich wahrzunehmen, sondern das Kind durch ihre Auseinandersetzungen in seiner Entwicklung bedrohen. 639 An die Stelle der Annahme harmonischen Zusammenwirkens, wie es bei der gesetzlichen Sorge während der Ehe unterstellt wurde, trat eine pauschale Vermutung innerfamiliärer Interessenkonflikte zwischen Eltern und Kind. 640 Die Konfliktvermeidung durch die Übertragung der Alleinsorge war daher die vorrangige Zielsetzung der gerichtlichen Intervention und verlieh der Abwägung der Kindesinteressen etwas Statisches. 641 Die gemeinsame Rechtsstellung der Eltern beruhte demzufolge auf einer Konsensund Harmonievermutung, die zunächst mit der Scheidung unvereinbar schien. 642 Diese spezifische Beurteilung des nachehelichen Kindeswohls wurde bereits durch die verfassungsgerichtliche Ermöglichung der gemeinsamen Sorge teilweise relativiert. 643 Die vorherige Betonung der Zäsur und Neuordnung durch die zwingende Alleinsorge wurde durch die Einführung der gemeinsamen Sorge und durch einen erweiterten Kindeswohlbegriff abgelöst, innerhalb dessen zwischen Bewahren und Entflechten der Rechtsstellungen anhand des Einzelfalls abgewogen werden konnte. 644 Insbesondere führte die Scheidung seither nicht mehr uneingeschränkt dazu, dass der Schutz des Kindes durch die Eltern, wie es das Prinzip der gesetzlichen Sorge vorsieht, abgelöst wurde durch einen staatlichen Schutz des Kindes vor den Eltern. Die erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten beließen nun mehr Gestaltungsbefugnis in der Familie. Die gerichtliche Sorgerechtsgestaltung innerhalb des Kindeswohlmaßstabes richtete sich also anstelle einer einzelfallunabhängigen Gefahrenprävention, wie sie der obligatorischen Alleinsorge zugrunde gelegen hatte, stärker auf das konkrete Regelungsbedürfnis des Einzelfalls und vollzog damit schon eine deutliche Annäherung an die Grundsätze der gesetzlichen Sorge. 645 638

Vgl. BVerfGE 61, S. 358 (378, 381); Frankfurt / M. FamRZ 1983, S. 759; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907); Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 29; kritisch dazu schon Coester EuGRZ 1982, S. 256 (257); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); Dietzen FamRZ 1987, S. 239; Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (759). 639 Vgl. Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (121); Kropholler NJW 1983, S. 905 (908). 640 Vgl. Lempp „Gerichtliche Kindes- und Jugendpsychiatrie“, S. 15; zur Prämisse gemeinsamer Sorgerechtsausübung aufgrund einer dauernden Absprache der Eltern und ausgewogener Kenntnis beider Eltern über die Entwicklung des Kindes aus dem alltäglichen Kontakt vgl. Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 135 f; Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 2 mwN; Schlüter „Familienrecht“, S. 181 f. 641 BT-Drucks. 8/2788, S. 63; „Zur Sache – Themen parlamentarischer Beratung 1/78, Elterliche Sorge“, S. 50. 642 Vgl. Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 135 f; Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 2 mwN; Schlüter „Familienrecht“, S. 181 f. 643 Zur historischen Entwicklung des Kindeswohls vgl. auch Abschnitt II.2.b)aa) und II.3.b)aa) dieses Kap. 644 Vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (451); Dörr NJW 1989, S. 690 (692); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132).

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Diese Umgewichtung ist unmittelbar relevant für veränderte Wertmaßstäbe im KindRG, die sich bereits in der strukturellen Umgestaltung der Trennungs- und Scheidungssorge niederschlägt. So bleibt durch die Aufhebung des Scheidungsverbundes zunächst die Zuständigkeit für die Kindeswohlumsetzung auch über die Trennung und Scheidung hinaus bei den sorgeberechtigten Eltern. Die zuvor als erforderlich erachtete Entflechtung der elterlichen Rechtsstellung durch die Alleinsorge, um den Elternkonflikt zu vermeiden, wird nun auf die Gestaltung der gemeinsamen Sorge verlagert. Das heißt, das statische Verständnis der gemeinsamen Sorge, wie es sich zuvor nur an der Ehe orientierte, wird aufgebrochen und einer flexibleren, den Umständen angepassten Ausübung zugänglich gemacht. 646 Dies veranschaulicht bereits anhand der historischen Betrachtung, dass der Konflikt als maßgeblicher Gesichtspunkt der Trennungssorge an rechtlichem Gewicht verloren hat. Einerseits wird das Konfliktpotential nicht mehr als vorrangige Gefährdung des Kindes angesehen, die eine präventive Maßnahme rechtfertigt. Andererseits verlagert sich der Umgang mit dem Trennungskonflikt von einer radikalen Vermeidung zu einer Konfliktgestaltung, bei der die Folgen des bestehenden Konfliktes beschränkt werden. bb) Wandel des Kindeswohlverständnisses anhand des Bindungsprinzips Der Wandel im Verständnis des Kindeswohls und die spezifische Gewichtung durch das KindRG werden besonders deutlich anhand der sorgerechtlichen Beurteilung der Bindungen des Kindes. Sie bildet eines der zentralen Kriterien, die von der Rechtsprechung zur Kindeswohlbestimmung im Einzelfall entwickelt wurden. Dazu gehören im Übrigen vor allem das Förderungs- und Kontinuitätsprinzip sowie die Berücksichtigung des Kindeswillens, die ebenfalls über die Kindschaftsrechtsreform hinaus weiter gelten. 647 Jedoch hat sich die Einführung der gemeinsamen Sorge vor allem auf die Einschätzung der Eltern-Kind-Bindung ausgewirkt.

645 Vgl. BGH FamRZ 1990, S. 392 (393); BGH NJW 1985, S. 1702 (1703); BGH NJW 1985, S. 1702 = FamRZ 1985, S. 169; OLG Bamberg FamRZ 1988, S. 750 (751); Hinz ZfJ 1984, S. 529; Lempp FamRZ 1986, S. 530 (531); Lüderitz FamRZ 1975, S. 605 (609); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 28; Standinger / Coester § 1671 Rz. 67. 646 Vgl. dazu im Einzelnen die Ausführungen über den Kindeswohlbegriff im Rahmen der gesetzlichen Trennungs- und Scheidungssorge gem. § 1687, Kap. B., Abschn. II.1. und 4. sowie IV. 647 Zur Konkretisierung der Prinzipien in entscheidungsbezogene Fragestellungen Oelkers (FamRZ 1995, S. 1097(1099)); vgl. dazu BGH FamRZ 1990, S. 392 (393) = NJW-RR 1990, S. 258 = DAVorm 1990, S. 155; BGH FamRZ 1985, S. 169 = NJW 1985, S. 1702; BGH FamRZ 1978, S. 405 (407) – zur Abwägung von Förderung und Kontinuität vgl. etwa OLG Hamm 1994, S. 918; vgl. weitere Ausführungen zu diesen Kriterien in Kap. C., Abschn. III.2.c).

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Das SorgeRG von 1979 war erklärtermaßen an die Aufwertung der Rechtsstellung des Kindes gerichtet. 648 Insbesondere die Partnerschaftlichkeit zwischen Eltern und Kindern sowie eine der zunehmenden Reife des Kindes angemessene Selbstbestimmung standen im Zentrum der Reform. 649 Seine Interessenwahrnehmung im Familienkonflikt blieb jedoch auf mittelbare Instrumentarien wie Entscheidungsmaßstäbe und Appelle an die Eltern beschränkt. 650 Für die Entscheidung über die nacheheliche Sorge wurde in diesem Zusammenhang die Bindung des Kindes zu den Personen seines familiären Umfeldes als Element des Kindeswohls ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen. 651 Doch führte die gemeinsame Sorge dazu, dass die Bedeutung dieses Beurteilungsmaßstabes unterschiedlich gewichtet wurde. Der sich daraus entwickelnde sog. Bindungsstreit bildete den Mittelpunkt einer grundsätzlichen Kontroverse über die gemeinsame und alleinige Sorge als nacheheliche Sorgerechtsformen. Das Augenmerk wendet sich in diesem Zusammenhang daher zunächst auf den Begriff der Bindung und den Inhalt des sog. Bindungsstreits. Die Bindung stellt das emotionale Verhältnis des Kindes zu den Eltern in den Vordergrund und macht damit die subjektive Perspektive des Kindes zum vorrangigen Maßstab der Entscheidung. 652 Das Kind verlor mit der Betonung dieses Kriteriums zusehends seine Stellung als Objekt elterlicher Disposition und rückte in seiner persönlichen Betroffenheit und Emotionalität in den Mittelpunkt der gerichtlichen Beurteilung. 653 Jedoch beschränkte sich dieses Kriterium bei Inkrafttreten des SorgeRG im Rahmen der zwingend vorgegebenen Alleinsorge lediglich auf den 648 Vgl. dazu etwa den Regierungsentwurf BT-Drucks. 7 /2060, S. 1, 13, wonach das Kind nicht länger „Objekt elterlicher Fremdbestimmung“ sein solle. 649 Exemplarisch dafür die Umbenennung von „elterlicher Gewalt“ zu „elterlicher Sorge“ gem. § 1626. 650 Zur gesetzlichen Förderung von Erziehungsmaximen nach dem Menschenbild der Verfassung vgl. BVerfG FamRZ 1968, S. 578 (584); FamRZ 1974, S. 595 (597); BTDrucks. 8/2788, S. 33 f; §§ 1 Abs. 1, 8 Nr. 2, 10; 21 Abs. 1 KJHG; umfassender Rechtsqualität noch im Reg.Entw. BT-Drucks. 7/2060, S. 16; Belchaus ZfJ 1979, S. 325 (330) spricht von „Leitbildcharakter“, der in der Praxis trotz fehlender unmittelbarer Rechtsfolge, den Auslegungsansatz und die Bewertungsgrundlage bietet. Zum Diskussionsstand über die Frage, in welchem Umfang staatliche Vorlagen für Erziehungsgestaltung und -methoden überhaupt zulässig sind, insbesondere in Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG vgl. Schmitt Glaeser „Das elterliche Erziehungsrecht in der staatlichen Reglementierung“ (1980), S. 14, 33, 42, 58 f; ders. DÖV 1978, S. 629 (634); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 87. Zur eingeschränkten Prüfungskompetenz des Richters in Hinblick auf die konkurrierenden Erziehungskonzeptionen der Eltern, die sich auf die Vertretbarkeit beschränkt, vgl. OLG Hamm FamRZ 1989, S. 654 (655); OLG Frankfurt FamRZ 1978, S. 261 (262); AG Stuttgart FamRZ 1981, S. 597; OLG Koblenz NJW 1989, S. 2201 (2202). 651 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 33, 40, 61 f; kritisch Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 151, der in diesem Zusammenhang hervorhebt, dass die explizite Konkretisierung des Kindeswohls im Bereich des Sorgerechts durch das Kriterium der Bindung gem. § 1671 Abs. 2 a.F. inhaltlich keine Neuerung, wohl aber rechtliche Verwirrung verursacht hat. 652 Vgl. Lempp ZfJ 1984, S. 305 (307).

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Vergleich der Eltern. Die Bindung war von der Rechtssystematik daher zunächst ein Kriterium, durch das der vorzugswürdige Elternteil zu ermitteln war. Durch die gemeinsame Sorge schlossen nun die verschiedenen Bindungen einander nicht mehr aus, sondern eröffnete sich eine Vielfalt von Anknüpfungspunkten, die stärker auf Ergänzung abstellte und damit der Bedeutung des Bindungskriteriums unterschiedliche Gewichtungsmöglichkeiten gab. Dies führte zu einer Kontroverse zweier Bindungsbegriffe – dem sog. Bindungsstreit –, bei der sich auf der Schwelle eines veränderten Sorgerechtsverständnisses auch die Sorgerechtsformen konkurrierend gegenüberstanden. Die erste Position war die Bindungstheorie. Sie beruht auf der Überlegung, dass die Familie durch die Scheidung der Eltern endgültig aufgelöst wird, woran das Schicksal der Eltern-Kind-Beziehung untrennbar geknüpft ist. 654 Das Sorgerechtsverfahren hat demzufolge die Funktion, die Familienverhältnisse grundlegend neu zu ordnen, und ist daher, anknüpfend an die Hospitalismusforschung, auf die Ermittlung der Hauptbezugsperson des Kindes gerichtet, die sich vor allem quantitativ durch Präsenz und faktische Betreuung bestimmen lässt. 655 Der unvermeidbare Bruch zu vorangegangenen Lebensverhältnissen ist unter Berücksichtigung kindlichen Zeitempfindens und dessen Trennungsangst schnell und eindeutig zu vollziehen und beschränkt den rechtlich schützenswürdigen Bindungsanspruch des Kindes auf einen Elternteil. 656 Auf diese Weise wird vor allem Sicherheit 653

Vgl. BVerfG NJW 1981, S. 217 (218) = FamRZ 1981, S. 124 (126); BVerfG FamRZ 1981, S. 745 (749 f); BVerfGE 37, S. 217 (252); OLG Bamberg NJW 1995, S. 1684; OLG Hamm FamRZ 1989, S. 398 (399); Ell ZfJ 1986, S. 289 (294); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 39; Lempp FamRZ 1984, S. 741 (742, 744); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 100; zu der Bedeutung des betroffenen Persönlichkeitsrechts im Zivilrecht vgl. Geis JZ 1991, S. 112; Jarass NJW 1989, S. 857 (859); Störmer Jura 1991, S. 17 (18). 654 Vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (446); Dieckmann NJW 1981, S. 668; Lempp FamRZ 1984. 741 (743); ders. ZfJ 1984, S. 1984, S. 169; ders. ZfKinder-JugPsych. 13 (1985), S. 43; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht geschiedener Eltern“, S. 53 f; Schmidt-Glaeser „Das elterliche Erziehungsrecht“, S. 22; Lempp „Die Ehescheidung und das Kind – Ein Ratgeber für Eltern“, S. 8 fasst das diesbezügliche Problem dahingehend zusammen: „ein Kind dessen Eltern sich scheiden lassen, hat zwar noch einen Vater und eine Mutter, aber keine Eltern mehr“. 655 So Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (448); Ell ZfJ 1980, S. 319 (320); ders. ZfJ 1982, S. 76, der sich jedoch von der Orientierung am zeitlichen Betreuungsmaßstab distanziert und die Bedeutung der emotionalen Intensität der Beziehung hervorhebt; Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 33 ff; Kaltenborn ZfJ 1989, S. 60 (67); ders. FamRZ 1987, S. 990 (997); Koechel FamRZ 1986, S. 637 (641); Klußmann „Das Kind im Rechtstreit der Erwachsenen“, S. 21, 29, 44 f, 48; ders. FamRZ 1982, S. 118 (120); Lempp FamRZ 1984, S. 741 ff – wonach anhand von Kinderbefragungen die geringere tatsächliche Bedeutung des Vaters bei der ehelichen Kindeserziehung ausgewiesen wird (S. 743); ders. ZfJ 1984, S. 305 (306 f); ders. „Ehescheidung“, S. 8 ff; vgl. auch Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (10), die in diesem Zusammenhang von der Rechtfertigung eines verkappten Mutterbonus sprechen. Der nichtsorgeberechtigte Elternteil wird dabei z. T. sogar als Störenfried bei der Neubegründung von Familienstabilität aufgefasst.

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und Klarheit der zukünftigen Sorgerechtsverhältnisse betont. 657 Nur auf diese Weise lasse sich der Loyalitätskonflikt und die emotionale Überforderung des Kindes wirksam vermeiden. 658 Die gemeinsame Sorge wird aus diesem Grund für den Regelfall abgelehnt, insbesondere wegen der unzureichenden Eindeutigkeit künftiger Lebensverhältnisse und der zeitlichen Verzögerung der unvermeidlichen Neuregelung nachehelicher Sorgerechtsverteilung. 659 Der stärker systemanalytisch orientierte Ansatz lehnt dieses statische Allesoder-Nichts-Denken ab 660, denn die Familie sei eine sich wandelnde Einheit, deren vielfältiges Beziehungsnetz auch über die Scheidung hinaus fortbestehe. 661 Die Scheidung löse lediglich die elterliche Partnerschaft auf, während der Ver656 Vgl. Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 35; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906); vgl. dazu auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 21 mwN. 657 So BMJ BT-Drucks. 8/2788, S. 61; Heiliger FamRZ 1992, S. 1006 (1008); Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (122); Lempp FamRZ 1984, S. 741 (744); Röchling ZfJ 1992, S. 516 (517); kritisch dazu Jopt FamRZ 1987, S. 875 (879). 658 Vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (453); Finger DRiZ 1985, S. 96; Heiliger FamRZ 1992, S. 1008 (1009); Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120); Kropholler JR 1984, S. 95; Jopt ZfJ 1990, S. 288; Lempp „Ehescheidung und das Kind“, S. 37; ders. ZfJ 1984, S. 305 (307); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 39; Luthin „Gemeinsamens Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 55 f; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132, 135); Oelkers / Kasten FamRZ 1993, S. 18 (20); Röchling ZfJ 1992, S. 516 (522); Wallerstein / Blanklee „Gewinner und Verlierer“, S. 315; zu den Problem der Kindesanhörung vgl. auch Magnus RdJR 1988, S. 158 (165). 659 Zu den Rechtstatsachenstudien, dass wegen der hohen Anforderungen an die Reife des Kindes die gemeinsame Sorge vorzugsweise für ältere Kinder übertragen wurde, vgl. Limbach „Studie“, S. 23: darin wird festgestellt, dass nur 22% der Anträge zur gemeinsamen Sorge sich auf Kinder bis zu 6 Jahren, 36% auf Kinder zwischen 7 – 12 Jahren und 42% auf Kinder zwischen 13 – 17 Jahren beziehen. Dazu auch Heiliger FamRZ 1992, S. 1006 (1009); Bestätigung erfährt dieses Ergebnis durch weitere Studien, vgl. Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (417 f); Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (451). 660 Vgl. dazu auch schon Salgo FamRZ 1996, S. 449; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876), der das Kindeswohl unter den Prämissen der Bindungstheorie als eine quasi-statische Zustandsgröße kritisiert, die dem Netzwerk einzigartiger Eltern-Kindbeziehungen nicht gerecht wird. 661 Vgl. Ell ZBlJR 1982, S. 76 ff; Diedrichsen NJW 1980, S. 2419 (2421), der bereits in Hinblick auf die verfassungsrechtliche Diskussion zum § 1671 Abs. 4 a.F. auf die Differenzierung zwischen der personalen Zweierebene und dem fortbestehend Gemeinsamen in der Person des Kindes hinwies; Fthenakis ArchfSozArb 1986, S. 174 ff; ders. Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT (1984), S. 33 f; ders. in Remschmidt (Hg) „Kinderpsychiatrie und Familienrecht“, S. 55 ff; ders. „Väter“, Bd. 1, S. 210 f, Bd. 2, S. 55 f; ders. „Ehescheidung“, S. 221; ders. FamRZ 1985, S. 662 (665); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876 f); Magnus RdJB 1988, S. 158 (164), der gleichzeitig den Gedanken dadurch vervollständigt, dass die Scheidung kein auf die Ehegatten beschränkter Trennungsvorgang sei, sondern auch Einfluss auf die übrigen Familienverbindungen habe; Proksch FamRZ 1989, S. 916 (918); Puls ZfJ 1984, S. 8(11); Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 153 ff; Simitis in Goldstein / Freud / Solnit „Diesseits des Kindeswohls“ S. 169 (179 f, 194); a. A. Lempp „Die

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bund im Übrigen im Wege der Anpassung an die veränderten Lebensverhältnisse in eine Nachscheidungsfamilie übergehe. 662 Die kontinuitäts- und an Erhaltung orientierte Sorgerechtskonzeption sei daher in erster Linie auf den maximalen Erhalt verfügbarer Bindungen gerichtet, um die scheidungsbedingte Gefährdung des Kindes durch den Verlust von bisherigen Bezugspersonen zu verhindern. 663 Ausgangspunkt der sorgerechtlichen Kindeswohlbeurteilung müsse vor allem die psychologische Erkenntnis sein, dass das Kind grundsätzlich beide Eltern brauche, 664 wohingegen die Alleinsorge häufig zu Kontaktabbrüchen führe. 665 Sowohl der lebendige Wandel menschlicher Beziehungen als auch die im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung sich verlagernden Bedürfnisse und Orientierungen des Kindes verböten eine eindimensionale Betrachtungsweise. 666 Doch auch wenn eine umfassende Einschätzung des Beziehungsgefüges den Richter im Einzelfall regelmäßig überfordere 667, sei das Sorgerechtsverfahren vorrangig auf die Reorganisation der Familie zu richten. 668 An die Stelle eines pauschal vermuteten Regelungs- und Neuordnungsbedarfs trete damit eine bedürfnisorientierte UmgeEhescheidung und das Kind – Ein Ratgeber für Eltern“, der die Nachscheidungseltern als qualitativ minderwertige „Elterntrümmer“ bezeichnet. 662 Vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 172; Napp-Peters „Scheidungsfamilien“, S. 14; Fthnakis u. a. „Ehescheidung“, S. 221; Nave-Herz „Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland“, S. 88; kritisch dazu Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (446). 663 Vgl. Coester in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 6. DFGT (1985), S. 35 (45 ff); ders. „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 138; ders. in Proksch / Sievering, S. 51; Fehmel FamRz 1980, S. 758 (760); Fthenakis in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT, S. 33 (38 f); Limbach ZfRSoz 1988, S. 155 (160); Magnus FamRZ 1988, S. 518 (162 f); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 103 spricht von einem sorgerechtlichen Optimierungsgebot.; BVerfG NJW 1982, S. 983; NJW 1981, S. 217 (218); FamRZ 1971, S. 421 (424); Jayme Brühler Schriften zum Familienrecht, 4. DFGT, 1980, S. 7 (15); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876); Magnus RdJR 1988, S. 158; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132). 664 Vgl. LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404) KG FamRZ 1979, S. 340 (341); OLG Celle FamRZ 1984, S. 1035 (1036; dass. FamRZ 1985, S. 527; OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 509 (510); dass. FamRZ 1988, S. 752; Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21); Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); ders. FamRZ 1979, S. 380 unter Bezugnahme auf amerikanische Forschungsergebnisse; Lempp FamRZ 1972, S. 315; ders. bereits NJW 1964, S. 440. 665 Vgl. Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 55, denen zufolge 38% der Kinder unter gemeinsamer Sorge gegenüber 8,5% der Kinder unter Alleinsorge mehr als 4 Tage im Monat Kontakt zu dem nichtbetreuenden Elternteil haben. – Zur Behinderung der gemeinschaftlichen Anpassung aufgrund der hierarchischen Struktur der Alleinsorge vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (451); Dörr NJW 1989, S. 690 (692); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132). 666 Vgl. Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (879); Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 153. 667 So Fthenakis in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT (1983), S. 33 (38); vgl. dazu auch Puls ZfJ 1984, S. 8 (13); anders Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (419).

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staltung bei ganzheitlicher Betrachtung des Familienkonfliktes. 669 Einschränkend wurde jedoch darauf abgestellt, ob das Kind eine grundsätzliche Bereitschaft erkennen lasse, zu beiden Eltern regelmäßigen Kontakt zu pflegen. 670 Infolge des Bindungsstreites und der Einführung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung entwickelte sich ein neuer Bindungsbegriff, der eine veränderte Kindeswohlgewichtung verkörperte und einen wichtigen Grundstein für die Wertung des KindRG legte. Zum einen verlagerte sich der Beurteilungsmaßstab für die Sorgerechtsübertragung. Neben dem quantitativ geprägten Ansatz, wie er die Ermittlung einer Hauptbezugsperson bei Alleinsorge bestimmte, konnten nun verstärkt auch qualitative Gesichtspunkte einfließen, die sich nicht vorrangig auf die Betreuung des Kindes konzentrierten. 671 Zwar knüpften die Vertreter der Bindungstheorie weiterhin auch bei der Beurteilung der gemeinsamen Sorge an die Intensität der Betreuung an und forderten daher für ihre Übertragung eine sachlich sowie zeitlich ausgewogene Mitwirkung an der Kindeserziehung. 672 Nur so könnten die erforderlichen Kenntnisse für eine pflichtgemäße Sorgerechtsausübung gewährleistet werden, wie sie bei bestehender Elternehe durch den gemeinsamen Alltag zu unterstellen seien. 673 Andernfalls sei zu befürchten, dass mangels tatsächlicher Bindung das Kindeswohl durch verzögerte oder unsachgemäße Entscheidungen gefährdet werde. 674 Jedoch setzte sich zusehends eine weniger dogmatische Beurteilung schützenswerter Beziehungen und ihrer Fortsetzbarkeit nach der Scheidung durch und löste allmählich das Denken ab, das 668 Vgl. Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (665 ff); Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 15; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (878, 881 f); Limbach ZfRSoz 1988, S. 155 (158); Proksch in Proksch / Sievering, S. 69; a. A. Lempp FamRZ 1984, S. 741 (742, 744). 669 Die grundsätzliche Übereinstimmung beider Ansätze im Abwägungsprozess zwischen Kindesschutz und Bindungserhalt bei unterschiedlicher Gewichtung macht deutlich, dass es hier nicht um eine Konfrontation sich ausschließender, sondern sich ergänzender Gesichtspunkte handelt (vgl. Coester Brühler Schriften zum Familienrecht, 6. DFGT (1985), S. 35 (45); Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (669); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 103, 105. 670 Vgl. Lempp ZBlJugR 1984, S. 305 (308); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 7. 671 Vgl. dazu Dietzen FamRZ 1987, S. 239; Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); Jopt FamRZ 1983, S. 875 (876). 672 Vgl. Lehr ZFJ 1975, S. 413; Lempp ZfJ 1984, S. 305 (306 f), demzufolge die Bindungen nicht gleichwertig sein müssen, jedenfalls aber bereits angelegt, nicht erst aufgebaut werden können; relativierend auch Staudinger / Coester § 1671 Rz. 91 und Jopt FamRZ 1987, S. 875 (877); OLG Frankfurt / M. FamRZ 1982, S. 531 (532); in Hinblick dementsprechende amerikanische Regelungsansätze vgl. Limbach „Studie“, S. 78 f. 673 Vgl. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906). 674 Vgl. Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (121); Kropholler NJW 1983, S. 905 (908); in der Praxis wird dieser Befürchtung jedoch nicht durch die Ausgewogenheit der Elternbelastung begegnet, die ohnedies nicht überprüft werden könnte, sondern indem dem betreuenden Elternteil weitreichende Entscheidungsvollmachten eingeräumt werden (vgl. Limbach „Studie“, S. 79).

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noch von den Prinzipien der obligatorischen Alleinsorge geprägt war. Damit trat der Fortbestand verschiedener Beziehungen in den Vordergrund und löste die an selektive Leistungsnachweise geknüpfte Beurteilung durch einen stärker auf Vielfalt des familiären Beziehungsgeflechtes gerichteten Blickwinkel ab. Dies war der Beginn einer Perspektivumkehr, indem nicht mehr die gerichtliche Bewertung der einzelnen Beziehung und ihre Fortsetzungswürdigkeit, sondern die Grundannahme der Schutzwürdigkeit jeder individuellen Beziehung galt. 675 Damit war zum anderen eine veränderte Zielsetzung der sorgerechtlichen Intervention verbunden. An Stelle der wertenden Zuweisung der Sorgerechtsstellung trat das Bewahren bestehender Strukturen in den Vordergrund. Darin war bereits auch die veränderte Funktion des Sorgerechtsverfahrens angelegt. Denn die Intervention war damit nicht mehr uneingeschränkt auf die Neuordnung der Struktur, sondern auch auf die Förderung eines Anpassungsprozesses gerichtet. Dominierte zuvor der Kontrollanspruch des Staates, so führte die Erweiterung des Bindungsbegriffs stärker zur Hilfestellung dabei, die Bindungen und ihre Fortsetzung miteinander zu vereinbaren. Dies hatte schließlich zur Folge, dass ein insgesamt stärker defensiver Beurteilungsansatz das Verfahren prägte und aufgrund der erweiterten Vielfalt eine Flexibilisierung der sorgerechtlichen Gestaltung eintrat. 676 Bei wertender Betrachtung bedeutet dies, dass durch die damit verbundene Entflechtung von Kindesbetreuung und nachehelicher Sorgerechtsstellung nun auch der psychologischen Dimension der Rechtsstellung mehr Bedeutung beigemessen wurde. Neben der reinen Rechts- und Pflichtenerfüllung sollte das gemeinsame Sorgerecht unter dem Blickwinkel der fortbestehenden Bindungen auch das Bewusstsein jedes Elternteiles fördern, nach der Scheidung weiterhin für das Kind verantwortlich zu sein. 677 Anstelle der engen Vorgaben zwingend ausgewogener Belastung beider Eltern entwickelte daher die gerichtliche Praxis den Ansatz, die äußere Umsetzung bestehender Bindungen weitgehend der individuellen Gestaltung zu überlassen, sofern dem nichtbetreuenden Elternteil zumindest die 675

Vgl. Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131); zur Vereinheitlichung von ehelicher und nachehelicher Sorge in diesem Zusammenhang vgl. Dietzen FamRZ 1987, S. 239. 676 Vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59), der hier die Stärkung der Familienautonomie hervorhebt. 677 Vgl. Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 41f mwN, wobei zu diesem Zweck eine Differenzierung zwischen der normativen gemeinsamen Sorge, gemeinsamer Versorgung und gemeinsamer elterlichen Verantwortung gemacht wird; vgl. hierzu in kindespsychologischer Sicht Artzen „Elterliche Sorge und persönlicher Umgang mit dem Kind aus gerichtspsychologischer Sicht“, S. 3; Ell „Trennung“, S. 86 f; ders. ZfJ 1986, S. 289 (294); ders. ZfJ 1982, S. 76 f; Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (671) spricht in diesem Zusammenhang von dem „zweigeteilten Kind“; ders. Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT (1984), S. 33 (39); Lempp FamRZ 1984, S. 741 (742); ders. NJW 1972, S. 315 (316) mit dem Hinweis, dass Bindung nicht unter Zwang, sondern nur durch freiwillige und eigenständige Lebensgestaltung bestehen kann; Limbach „Studie“, S. 25 f, 78; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 108; OLG Frankfurt DAVorm 1979, S. 130 (132); KG FamRZ 1983, S. 1159 (1160).

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Einbeziehung in wichtige Erziehungsfragen und ein großzügiger Umgang mit dem Kind gewährt wurde. 678 In dieser Diskussion wurde die grundlegende Unterscheidung eingeleitet zwischen der Partnerschaft und der Elternschaft, wie das KindRG sie nun beschreibt. 679 Das Schicksal der Ehe und Partnerschaft wird hier von der Erziehungsverantwortung entkoppelt, indem nicht die Harmonie zwischen den Eltern, sondern ihre Verantwortung aufgrund der bestehenden Bindungen in den Vordergrund der gerichtlichen Beurteilung tritt. So wurde die Vermutung fortbestehender Bindungen des Kindes zu beiden Eltern zur Grundprämisse der gesetzlichen Trennungssorge gem. § 1687. Das heißt, dass sich der Gesetzgeber gegen die Einschätzung der Bindungstheorie entschieden hat und den systemanalytischen Ansatz sogar noch erweiterte, indem er nicht nur die Vielfalt der Bindungen zum eigenständigen Schutzzweck der Trennungssorge erhoben hat, sondern darüber hinaus die gesetzliche Vermutung einführte, dass die bestehenden Bindungen für eine fortgesetzte gemeinsame Sorge grundsätzlich ausreicht. Ging also der vormalige Ansatz zunächst so weit, dass auch nach der Scheidung mehrere Bindungen nebeneinander fortbestehen konnten und nicht notwendig an eine ausgewogene Erziehungsausübung gebunden waren, so zeigt das KindRG vor diesem Hintergrund die Steigerung, dass der Bestand der Bindungen auch in der Familienkrise grundsätzlich nicht durch den Staat zu überprüfen ist. Das heißt, dass das familiäre Beziehungsgeflecht nicht nur anpassungsfähig, sondern vom gesetzlichen Tatbestand der Trennungssorge zunächst als unaufgelöst eingestuft wird. Dies legt zumindest die Grundannahme nahe, dass das Bewahren der Eltern-Kind-Beziehung zur zentralen Maxime des neuen Sorgerechts geworden ist, aus der sich eine qualifizierte Anforderung an die Übertragung der Alleinsorge im Umkehrschluss ableiten lässt. cc) Regel-Ausnahme-Diskussion Von diesem Bindungsstreit und den daraus folgenden kontroversen Auffassungen zur Bedeutung der gemeinsamen Sorge ging die bis heute anhaltende RegelAusnahme-Diskussion aus. 680 Sie war von vornherein darauf gerichtet, den Sorgerechtsformen ein hierarchisches Verhältnis und damit eine verbindliche Wertung für die gerichtliche Abwägung zuzuweisen. 681 Im Wesentlichen standen sich dabei 678

Vgl. Hinz ZfJ 1984, S. 529 (535); a. A. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906). Vgl. dazu bereits Jopt FamRZ 1987, S. 875 (880), demzufolge die Trennung der Eltern der letzte Versuch sei, die Familie von ihrer Fehlfunktionalität zu befreien; NaveHerz „Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik“, S. 88. 680 Vgl. zur aktuellen Diskussion weitere Ausführungen Kap. C., Abschn. III.2.b)aa). 681 Zu der bemerkenswerten Zurückhaltung zu dieser Einschätzung vgl. Limbach „Die gemeinsame Sorge geschiedener Eltern in der Rechtspraxis“, S. 38. 679

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

drei Lager gegenüber, die diskutierten, ob die gemeinsame Sorge nach der Scheidung die Ausnahme bleiben müsse 682, ob sie als gleichberechtigte Sorgerechtsform neben die Alleinsorge trete 683 oder ob sie gar als Regelfall 684 einzustufen sei. Ausgangspunkt der Regel-Ausnahme-Diskussion waren zunächst einmal grundlegend unterschiedliche Einschätzungen über die Zielsetzung der sorgerechtlichen Scheidungsintervention, wie sie sich aus dem Bindungsstreit entwickelt hatten. Die Skeptiker gegenüber der gemeinsamen Sorge stellten eine fundamentale Neuordnung der Elternsorge durch die Scheidung in den Vordergrund der Erwägungen. Im Gegensatz dazu betonten die Befürworter eines zumindest gleichwertigen Stellenwertes beider Sorgerechtsformen vorrangig die Bewahrung bestehender Rechtsverhältnisse und eine Relativierung der sorgerechtlichen Zäsur. Beide Prämissen beruhten auf grundlegenden Einschätzungen der Scheidung für die Kindeswohlbeurteilung. Die Gegner der gemeinsamen Sorge gingen davon aus, dass das Kindeswohl im Rahmen der Scheidungssorge durch die am wenigsten schädliche Alternative verwirklicht werde. 685 Da sich also ein Schaden der Scheidungswaisen nicht vermeiden ließe, sei diejenige Sorgerechtsform vorzugswürdig, die das geringste Risikopotential in sich berge. Die Alleinsorge stelle in der Regel die effektivste Begrenzung der Gefahrenquellen dar. Nur bei einer signifikanten Ab682 Skeptiker gegenüber der gemeinsamen Sorge: Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445; Dieckmann NJW 1981, S. 668 (670); Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“; Heiliger FamRZ 1992, S. 1006; Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (122); Lempp FamRZ 1984, S. 741 (744); Rassek „Begriff und Bestimmung des Kindeswohls als Maßstab bei der Sorgerechtsregelung nach §§ 1671, 1672“, S. 56; Schmidt-Rätsch FamRZ 1983, S. 17 (19); Schütz ZfJ S. 189. 683 Vgl. Diederichsen NJW 1980, S. 1(11); Fehmel FamRZ 1983, S. 971 (973); ders. bereits FamRZ 1981, S. 116 f; Johannsen / Henrich / Jaeger 2. Aufl. § 1671 Rz. 79; Limbach „Gemeinsame Sorge geschiedener Eltern“; Luthin FamRZ 1984, S. 114 (117); ders. „Gemeinsamens Sorgerecht nach der Scheidung“; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (137); Normann FamRZ 1988, S. 568 (570); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (450); so wohl auch im Ergebnis Coester, der zunächst das Urteil des BVerfG „im Prinzip“ begrüßte (vgl. „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 313), aber der gemeinsame Sorge wegen seiner Vielzahl von Gefahren- und Fehlerquellen mit Vorbehalten gegenüberstand (vgl. EuGRZ 1982, S. 256 (264)), bis er sich schließlich zusehens für die Gebotenheit der gemeinsamen Sorge aussprach (vgl. Brühler Schriften des Familienrechts Bd. 4 zum 6. DFGT 1985, S. 35 (41)). 684 Für die Regelfalleinschätzung vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (60); ders. ZfJ 1989 S. 169 (173); Fthenakis in Remschmidt (Hg) „Kinderpsychatrie und Familienrecht“, S. 36; Hinz in Speck / Peterander / Innerhofer „Kindertherapie“, S. 189 (197); ders. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 4 f, 63 ff; Jopt FamRZ 1987 S. 875; Knöpfle NJW 1983, S. 905 (909); Kropholler JR 1984, S. 89 (97); Magnus RdJB 1988, S. 158 (169); Schwab „Handbuch des Scheidungsrechts“ 2. Aufl. (1989), Teil 3 Rz. 88; Schwenzer FamRZ 1983, S. 974 (976); dies. „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 118; Troje „Gestohlene Liebe – Zum Problem der Rettung der Ehe“, S. 25 f; AG Charlottenburg FamRZ 1983, S. 420; KG FamRZ 1983, S. 648; OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 509. 685 Vgl. Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“; Heiliger FamRZ 1992, S. 1006 (1007); Schütz ZfJ 1987, S. 189; a. A. Jopt FamRZ 1987, S. 875 (881).

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weichung des Einzelfalls vom Normalfall komme demzufolge gemeinsame Sorge in Betracht. 686 Diesem minimalistischen Ansatz gegenüber waren die Argumente zugunsten des Vorzuges gemeinsamer Sorge vor allem auf die Maximierung der Kindesinteressen innerhalb der veränderten Scheidungsverhältnisse gerichtet. 687 Nicht die scheidungsbedingte Beschränkung der Kindesinteressen, sondern ihre uneingeschränkte Umsetzung im Rahmen der veränderten Verhältnisse müsse im Zentrum der gerichtlichen Erwägungen stehen. Auf diese Weise war die RegelAusnahme-Diskussion im Wesentlichen geprägt durch das Abwägen zwischen defensivem Schutz und offensiver Durchsetzung der durch die Scheidung bedrohten Kindesinteressen. Hinter diesen Positionen zum Regelungsgegenstand stand letztlich eine damit neuerlich angestoßene Auseinandersetzung über den Inhalt des wächteramtlichen Schutzauftrages. Das Urteil des BVerfG hatte die Konzeption einer präventiven Gefahrenabwehr mittels obligatorischer Alleinsorge zumindest teilweise in Frage gestellt. Die Funktion des Staates bei der Gestaltung der Scheidungssorge musste nun von neuem bestimmt werden. Dabei wurde die weiterhin bestehende Priorität der Alleinsorge damit begründet, dass keine Fakten erkennbar seien, die es vorteilhaft oder überlegen erscheinen ließen, wenn die gemeinsame Sorge zum Regelfall würde. 688 Vor allem die Labilität der gemeinsamen Sorge, besondere Störanfälligkeit und ihre Prognoseunsicherheit mache sie für einen sorgerechtlichen Regelfall untauglich. 689 Nur unter eingeschränkten Bedingungen gelinge die gemeinsame 686

Vgl. AG Arnsberg FamRZ 1985, S. 424; KG FamRZ 1989, S. 654; Gießen JZ 1983, S. 301 (302); Kropholler NJW 1984, S. 271 (274); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (137); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 6; Soergel / Strätz § 1671 Rz. 19; a. A. KG FamRZ 1983, S. 1055; AG Charlottenburg FamRZ 1983, S. 420; Dörr NJW 1989, S. 690 (692); Fehmel FamRZ 1983, S. 972; Hinz ZfJ 1984, S. 529 (537); ders. in MüKo / Hinz § 1671 Rz. 64; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (879); Röchling ZfJ 1992, S. 417 (418). 687 Vgl. Jopt FamRZ 1987, S. 875 (881). 688 Vgl. vielfach unter Bezug auf amerikanische Studien Balloff / Walter FamRZ 1990, 445; Heiliger FamRZ 1992, S. 1006; Maccoy / Mnookin FamRZ 1995, S. 1; Schütz ZfJ 1987, S. 189. 689 Vgl. Bergerfurth, S. 116; Dörr NJW 1989, S. 690 (691 f); Finger DRiZ 1985, S. 91 (95); Johannsen / Henrich / Jaeger 2. Aufl. § 1671 Rz. 79; Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler JR 1984, S. 89 (94); ders. NJW 1983, S. 271 (274); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (307); Luthin FamRZ 1983, S. 648 als Anm. zu KG FamRZ 1983, S. 420, 648; ders. abweichend „Gemeinsame Sorge nach der Scheidung“, S. 29; Magnus RdJB 1988, S. 158 (164); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416; Palandt / Diederichsen 48. Aufl. § 1671 Rz. 6; wohl auch Puls ZfJ 1984, S. 8 (12 f) trotz grundsätzlicher Befürwortung der gemeinsamen Sorge als für das Kindeswohl vorzugswürdigen Sorgerechtsform; Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17 (19); Schütz ZfJ 1984, S. 189; KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057); OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759); AG Arnsberg FamRZ 1985, S. 424 (425); dass. FamRZ 1986, S. 1145; für die Überzeugung der Richterschaft vgl. auch Limbach „Studie“, S. 55 f; kritisch Normann FamRZ 1988, S. 568 (570); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131); Schwab „Handbuch“ III, Rz. 92; OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Sorge, da sie sowohl zusätzliche ökonomische als auch psychische Belastungen der Beteiligten schaffe. 690 Im Rahmen des wächteramtlichen Schutzauftrages folge daraus vielmehr eine erhöhte Eingriffs- und Kontrollkompetenz des Staates. Darüber hinaus behindere die allgemeine Harmonisierung der Scheidung, wie sie die gemeinsame Sorge anstrebe, gleichzeitig die Funktionsfähigkeit der später entstehenden Ersatzfamilie und perpetuiere daher die Nachscheidungsfamilie auf der Grundlage eines zweifelhaften biologischen Sorgerechtsansatzes. 691 Mit einer stärker frauenrechtlichen Argumentation wurde gewarnt vor der Verabsolutierung und Idealisierung der Vaterrolle, die nicht mit der Realität übereinstimme. Hauptmotiv sei hier das Wiederaufleben eines Verfügungsrechts, das sachwidrig und konfliktvertiefend wirke. 692 Demgegenüber wurde von der Gegenauffassung zunächst aus der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ein Vorrang der gemeinsamen Sorge abgeleitet. 693 Das Urteil habe gezeigt, dass ein Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur gerechtfertigt sei, wenn es die konkreten Bedingungen zum Schutz des Kindes erforderten. 694 Grundsätzlich bestehe die Erziehungseignung der Eltern auch über die Scheidung hinaus fort, die nicht zuletzt aus einem anhaltenden, nicht begründungsbedürftigen Streben nach Erziehungspartizipation hervorgehe. 695 Entscheidend sei allein die Durchsetzung der Kindesinteressen, die im Rahmen der Scheidung stärker von den Elterninteressen zu unterscheiden seien. Das Kindeswohl sei vor allem auf Kontinuität gerichtet, die maßgeblich durch das Beziehungsgeflecht der verschiedenen Eltern-KindBeziehungen charakterisiert sei. Daher sei die gerichtliche Konkretisierung des Kindeswohls nicht in erster Linie auf eine selektive Suchanweisung, sondern auf ein Gestaltungsprinzip gerichtet. Das heiße, die Gerichte seien vorrangig dazu verpflichtet, die Bedingungen zu schaffen, die für eine psychisch gesunde Entwicklung des Kindes erforderlich seien und diese bestünden vorzügswürdigerweise in der gemeinsamen Sorge, da diese dem Kind den Verlust eines Elternteils erspare. 696 Hinzu komme, dass sie der dynamischen Entwicklung des menschlichen Beziehungsgeflechts und den sich wandelnden Bedürfnissen des Kindes in seiner Bezugnahme am besten entsprächen. 690

Vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445; Heiliger FamRZ 1992, S. 1006 (1009). Vgl. Schütz ZfJ 1987, S. 189 (192). 692 Vgl. Heiliger FamRZ 1992, S. 1006 (1009). 693 So Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 64; AG Chalottenburg FamRZ 1983, S. 420; vgl. dazu auch Dörr NJW 1989, S. 690 (692); KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057). 694 Vgl. dazu Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59 f); Hinz ZfJ 1984, S. 529 (537); ders. „Kindesschutz als Rechtsschutz und elterliches Sorgerecht“, S. 11 ff; BayObLG NJW 1963, S. 590. 695 Vgl. Dieckmann AcP 178, S. 299; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (879). 696 Vgl. die hier zusammengefaßten drei Postulate der Sorgerechtsentscheidung bei Jopt FamRZ 1990, S. 875 (877). 691

III. Richterrechtliche Gestaltung der Scheidungssorge seit 1982

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Im Ergebnis folgerte diese Auffassung, dass sich das gerichtliche Ermessen bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Übertragung der gemeinsamen Sorge auf Null reduziere. 697 Teilweise wurde daraus noch darüber hinaus eine direkte Pflicht der Gerichte zur Förderung der gemeinsamen Sorge im Sorgerechtsverfahren abgeleitet. 698 Im Laufe der Zeit ging man sogar noch weiter und löste sich von den konkreten Verhältnissen während des Scheidungsverfahrens. So wurde zusehends darauf abgestellt, dass die Funktion der Sorgerechtsübertragung auf die Förderung der Elternverantwortung zu richten und die gemeinsame Sorge zu ermöglichen sei. Aufgabe des Staates sei es also, mittels der Sorgerechtsübertragung die Realität zu verändern und zu inszenieren. 699 Die gemeinsame Sorge sei mithin ein Mittel der aktiven Sozialpolitik. 700 Betrachtet man die aktuelle Rechtslage vor dem Hintergrund dieser Kontroverse, so tritt die Gesetzesfassung in ihrer Akzentuierung besonders deutlich hervor. Es greift weitgehend die Wertung der Befürworter der gemeinsamen Sorge auf und geht sogar noch über sie hinaus. Denn die Forderung nach gezielter Förderung der gemeinsamen Sorge als Regelfall oder gleichwertiger Sorgerechtsform neben der Alleinsorge ließ zunächst die Legitimation der sorgerechtlichen Scheidungsintervention unangefochten. Die Argumente waren vorrangig auf den Bruch mit der alten Dominanz der Alleinsorge gerichtet. Die Reform erweist sich damit als eine grundlegende Verlagerung des Wächteramtsverständnisses von präventivem Schutzauftrag zu defensiver Korrektur konkreter Defizite. Die fortbestehende Pflicht der Eltern zur Wahrnehmung der Kindesinteressen tritt in den Vordergrund und verdrängt die an die Scheidung geknüpfte Einschränkung der als durchsetzbar geltenden Elemente des Kindeswohls. Diese durch die gesetzliche Regulierung der Trennungssorge erhöhte Eigenverantwortung der Eltern muss vor diesem Hintergrund auch als Grundparameter in die Beurteilung der Antragsverfahren einfließen. Der umfassende gerichtliche Kontrollanspruch und die Beschränkung der sorgerechtlichen Pflichtenbindung, wie ihn die Gegner der heutigen Regelfalleinschätzung vertreten 701, erscheint mit der Prolongierung der 697 So Johannsen / Henrich / Jaeger „Eherecht“ § 1671 Rz. 81; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (137) MüKo / Hinz § 1671 Rz. 63, 67; Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 93; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 165; OLG Bamberg FamRZ 1988, S. 752 (753); dass. FamRZ 1987, S. 509 (510); AG Charlottenburg FamRZ 1983, S. 420; KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057). 698 Vgl. dazu Jopt FamRZ 1987, S. 875; Limbach „Studie“, S. 10. 699 Vgl. Salgo FamRZ 1996, S. 445 (450); in Ansätzen auch schon Jopt FamRZ 1987, S. 875 (880), der mit dem Bild eines Sprinters, der seine Leistung unter Beweis stellen soll, während er einen Gips trägt, darauf hinweist, dass im Scheidungsverfahren noch nicht die Belastbarkeit und Entwicklungsfähigkeit der Eltern ausgeschöpft wird; aA. Schütz, ZfJ 1987, S. 189 (193) der dabei dauernde Unterstützung für die Eltern für erforderlich erachtet und diesen Paternalismus nicht für unvereinbar mit der Selbstbestimmung der Eltern hält. 700 Vgl. Salgo FamRZ 1996, S. 445 (450). 701 Vgl. zu der heutigen Diskussion weitere Ausführungen Kap. C., Abschn. III.2.b)aa).

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

gesetzlichen gemeinsamen Sorge nicht vereinbar. Die Gewichtung der abzuwägenden Gefahren hat sich angesichts dieser Vorläufer eindeutig von einer primären Scheidungsgefährdung durch Konflikt zum Verlust eines Elternteils verlagert. d) Entwicklung der Übertragung der gemeinsamen Sorge in der Praxis – empirische Erhebungen zur gemeinsamen Sorge im Überblick Einen weiteren Anknüpfungspunkt des Gesetzgebers für die Einschätzung der Trennungs- und Scheidungssorge bot sich durch die Entwicklung der Rechtspraxis. 702 Während die anhaltende Diskussion in der Literatur sich der bestehenden Unsicherheit über das Verhältnis der Sorgerechtsformen durch theoretische Erwägungen annäherte, griffen verschiedene Tatsachenstudien die Problematik auf der empirischen Ebene auf. So wurde zunächst Anfang der 80er Jahre untersucht, wie sich die Zuweisung der Alleinsorge im Vorfeld der BVerfG-Entscheidung von 1982 verteilt hatte. Zum Zeitpunkt der Entscheidung konnte man von ca. 80% der Sorgerechtsübertragung auf die Mutter und 15% auf den Vater ausgehen. 703 Müller-Alten 704 hatte bei einer Untersuchung von 110 Scheidungsfällen im Jahre 1980 festgestellt, dass in 82,7% aller Fälle die Mutter das Sorgerecht zugesprochen bekommen hatte und nur in 12,7% der Fälle der Vater. In 3,6% erfolgte die Zuweisung der elterlichen Sorge teilweise auf die Mutter und auf den Vater. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Untersuchung von Caesar-Wolf, Eidmann und Willenbach 705, derzufolge die Elternsorge bei 114 Verfahren 79% der Mutter und 14% dem Vater für alle Kinder zugesprochen wurden, während in 4% die Kinder aufgeteilt und 3% einem Vormund übertragen wurden. Von besonderer Bedeutung waren darüber hinaus die Studien, die sich auf die Verbreitung und Umsetzung der gemeinsamen Sorge aufgrund der durch das BVerfG aufgestellten Kriterien in der Rechtspraxis richteten. So führte eine der ersten Tatsachenstudien von Prof. Limbach 706 über die gemeinsame Sorge nach der Scheidung zu dem Ergebnis, dass sich die Übertragung dieser Sorgerechtsform im Untersuchungszeitraum von 1983 bis 1985 auf lediglich 2% aller Sorgerechtsfälle beschränkte. 707 Dabei wurde jedoch deutlich, dass erhebliche regionale Unterschiede bestanden. Innerhalb der Bundesländer lag das Spektrum zwischen Bremen mit 2% und Saarland mit 0,87%. Stärker divergierten darüber hinaus die einzelnen Gerichtsbezirke, so dass am oberen Rand des Spektrums AG München 702

Vgl. BR-Drucks. 180/96, S. 46 ff = BT-Drucks. 13/4899, S. 36 ff. Vgl. BR-Drucks. 180/96, S. 46 = BT-Drucks. 13/4899, S. 36. 704 „Ehescheidung und Scheidungsverträge“, 1984. 705 Vgl. Zeitschrift für Rechtssoziologie 1983, S. 202 f. 706 Vgl. Limbach „Die gemeinsame Sorge geschiedener Eltern in der Rechtspraxis“ – Bundesanzeiger, 1989. 707 AaO, S. 14. 703

III. Richterrechtliche Gestaltung der Scheidungssorge seit 1982

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in 5,71% und Bielefeld in 3,61% aller Sorgerechtsfällen die gemeinsame Sorge übertrugen, während AG Köln nur 0,63% und AG Hannover 0,66% am unteren Rand auswiesen. 708 Darüber hinaus ergab sich aus der Studie, dass entgegen einer vielfach in der Literatur vertretenen Auffassung sich die gemeinsame Sorge nicht als instabile Sorgerechtsform erwies und nur in 1,6% der Fälle anschließend zu einer Änderungsentscheidung führten. 709 Eine weitere Umfrage Fingers an hessischen Familiengerichten 710 bestätigt, dass die Einführung der gemeinsamen Sorge durch das BVerfG-Entscheid ohne nachhaltige Wirkung für die Rechtspraxis blieb. 711 Im Einzelnen haben 28 von 36 befragten Gerichten Stellung genommen zur Verbreitung der gemeinsamen Sorge und gaben an, dass durchschnittlich lediglich rund 1% der betroffenen Eltern einen Antrag auf beiderseitige Sorgerechtsübertragung stellte, wobei an einzelnen Gerichten zumindest 2% oder 5% diese Sorgerechtsform anstrebten. Im Ergebnis führte nach der Auswertung der Fragebögen 1% aller Sorgerechtsfälle zur Übertragung der gemeinsamen Sorge, wobei eine direkte Befragung einzelner Richter auf nur 0,3 –0,4% kam. Die Richter erwiesen sich auch hier als im hohen Maße skeptisch gegen die gemeinsame Sorge und damit als eigenes Hindernis zur Übertragung, indem sie darauf hinwiesen, dass das BVerfG durch seine Entscheidung falsche Hoffnungen geweckt habe und die Harmonie sowie Kooperationsbereitschaft der Eltern in der Regel vorgetäuscht sei. 712 In einer erneuten Nachfrage nach 3 Jahren bestätigte sich zwar die zurückhaltende Haltung der Richterinnen und Richter gegenüber der gemeinsamen Sorge, deutete aber bereits auf eine reale Steigerungsrate der Übertragungsfälle auf 2% und eine Zunahme der Antragszahlen hin. Änderungsanträge zu Gunsten der Alleinsorge beschränkte sich auf einen Richter, während die übrigen 26 Richter keinen Änderungsantrag zu entscheiden hatten. Eine ähnliche Umfrage beim Familiengericht Hamburg-Mitte wurde 1984 von Magnus und Dietrich 713 vorgenommen. Auch hier bestand ein Anteil der gemeinsamen Sorge von 2% am Gesamtvolumen aller Sorgerechtsentscheidungen. In 20 der 708 Vgl. aaO, S. 20 – In diesem Zusammenhang wies die Studie jedoch darauf hin, dass die geringe Verbreitung auch darauf zurück geführt werden könne, dass die Richterinnen und Richter den an der gemeinsamen Sorge interessierten Eltern diese Sorgerechtsform ausredeten, weil sie diese persönlich für unpraktikabel hielten, vgl. Limbach, „Gemeinsame Sorge geschiedener Eltern – juristische Studiengesellschaft 1988, S. 24; dies. „Die gemeinsame Sorge geschiedener Eltern in der Rechtspraxis“, S. 22. 709 Vgl. Limbach „Die gemeinsame Sorge geschiedener Eltern in der Rechtspraxis“, S. 44, wodurch ausdrücklich die vom Bochumer Institut kolportierte Änderungsquote von 85% diskreditiert wurde. 710 Vgl. Finger DRiZ 1985, S. 91; ders. DRiZ 1988, S. 12. 711 Vgl. Finger DRiZ 1985, S. 91 (92). 712 Vgl. Finger DRiZ 1985, S. 91(94,95). 713 Vgl. FamRZ 1986, S. 416.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

26 untersuchten Fälle beruhte die Übertragung der gemeinsamen Sorge auf einem Vorschlag beider Eltern, während sich die Betroffenen der übrigen 6 Fälle erst im Laufe des Verfahrens zur gemeinsamen Sorge entschlossen und zuvor Alleinsorge beantragt hatten. Signifikant erschien für die Familien denen die gemeinsame Sorge übertragen wurde, zum einen die besondere Häufigkeit der Berufstätigkeit der Mutter (19 von 26) und die Tatsache, dass sich die Sorgerechtsentscheidung überwiegend auf ein Kind beschränkte. Alle Antragsteller hatten die gemeinsame Sorge bereits im Vorfeld der Scheidung mindestens ein Jahr praktiziert. Auch in dieser Umfrage gestanden die Richterinnen und Richter unumwunden, dass sie der gemeinsamen Sorge skeptisch gegenüberstanden, eine Absprache der Eltern außerhalb der Sorgerechtszuweisung bevorzugten und die Kindeswohlumsetzung durch dieses Sorgerechtsarrangement für nicht zuverlässig überprüfbar hielten. Oelkers, Karsten und Oelkers 714 ermittelten in einer Untersuchung am Amtsgericht Hamburg-Mitte 1992 eine Quote der gemeinsamen Sorge von 9%, wobei besonders deutlich wurde, dass sich die Übertragung gemeinsamer Sorge auf keine bestimmte Schicht beschränkte, wenngleich sich ein deutliches Übergewicht bei den Angestellten ergab. Die Berufstätigkeit der betroffenen Mütter lag auch bei dieser Umfrage bei 83%. Die Initiative für das Sorgerechtsmodell ging in 77,5% der Fälle von den Eltern aus, in 21,3% vom Jugendamt und nur in 1,2% vom Gericht. In 85% lebte das Kind bei einem Elternteil und hatte möglichst intensive Verbindung zum anderen Elternteil. Nur in 11% entschieden sich die Eltern für das Wechselmodell, bei dem das Kind abwechselnd bei den einzelnen Elternteilen wohnte. Eine Vergleichsstudie aus Freiburg von Stehle-Remer und Henning 715 von 1994 ergab bereits eine Quote der gemeinsamen Sorge für Baden-Württemberg von 12,3% und für Bayern von 9,48% für das Jahr 1992. 716 Eine spezifische soziale Struktur der Eltern war hier ebenfalls nicht feststellbar und gleichzeitig zeigte sich auch mit 83% eine hohe Quote berufstätiger Mütter. 717 Die überwiegende Zahl der Fälle (64,9%) betraf mehrere Kinder, während nur 35,1% der betroffenen Kinder Einzelkinder waren. Anstoß für die gemeinsame Sorge ging zu 63,8% von den Rechtsanwälten, zu 41,5% von der Initiative der Eltern und zu 29,8% vom Jugendamt aus. 718 Als Motivation der befragten Eltern zu Gunsten der gemeinsamen Sorge dominierten mit 33% kindesorientierte Gründe, wonach die Eltern dem Kind die Beziehung zu beiden Eltern bewahren wollten. 719 65% der Eltern gaben 714 715

Vgl. FamRZ 1994, S. 1080. Diplomarbeit am Psychologischen Institut der Albert-Ludwig-Universität, März

1994. 716

Vgl. Stehle-Remer / Henning, S. 118. Vgl. Stehle-Remer / Henning, S. 77. 718 Vgl. Stehle-Remer / Henning, S. 82, wobei 1/3 der befragten Eltern nicht über die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge aufgeklärt worden war. 717

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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an, die gemeinsame Sorge aufgrund eines gemeinsamen Wunsches ausgesucht zu haben, während 32% angaben, der Ehemann habe dieses Sorgerechtsmodell gewünscht. 720 Auf Befragung gaben 55% der Väter bei gemeinsamer Sorge an, hohes Interesse an ihren Kindernzu haben, während dies Väter bei Alleinsorge ohne Sorgerecht nur knapp 30% angaben. 721 Schließlich wurde im Vorfeld des Reformgesetzes eine Sondererhebung im Zeitraum Juli 1994 bis Juni 1995 eingeleitet, worin sich die kontinuierlich steigende Tendenz der gemeinsamen Sorge bestätigte. 722 Bundesweit bestand nun eine Quote 17,07%, während in 74,64% die Alleinsorge der Mutter und in 8,29% dem Vater übertragen wurde. Als führende Bundesländer lagen Baden-Württemberg mit 23,03% sowie Saarland mit 23,99% am oberen Rand des Spektrums und Thüringen mit 7,04% sowie Mecklenburg-Vorpommern mit 5,82% am unteren Rand.

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform 15 Jahre hielt der gesetzliche Schwebezustand an, bis die Regelungslücke, die mit der Aufhebung des § 1671 Abs. 4 durch das BVerfG entstanden war, durch das Reformgesetz geschlossen wurde. In einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren hatten die verschiedenen Fraktionen umfangreiche Entwürfe eingebracht, die alle auf eine umfassende Reform des Kindschaftsrechts gerichtet waren. Diese Gesetzesreform sollte einen Umbruch des Familienrechts einleiten, die durch ein einheitlich überarbeitetes Gesetz widersprüchliche Regelungsansätze beseitigte und den Vorwurf eines überalterten Flickwerkes endgültig ausräumen sollte. Ausgangspunkt war die allgemeine Erkenntnis, dass in diesem Rechtsbereich ein erheblicher Reformbedarf bestand. Vor allem vier Aspekte wurden in diesem Zusammenhang von allen Fraktionen hervorgehoben 723: Der erste bestand in der einschneidenden sozialen Veränderung für Familien und der zunehmenden Zahl davon betroffener Kinder 724, die durch steigende Scheidungszahlen 725 und 719 Darüber hinaus waren ebenfalls häufig verbreitete Argumente die enge Bindung der Eltern zum Kind so wie der Verweis auf die bereits eingespielte Teilung der Elternverantwortung während der Trennungszeit, vgl. Stehle-Remer / Henning S. 84. 720 Vgl. Stehle-Remer / Henning, S. 85. 721 Vgl. Stehle-Remer / Henning, S. 98. 722 Vgl. BR-Drucks.180/96, S. 47 = BT-Drucks. 13/4899, S. 37. 723 Vgl. SPD-Antrag BT-Drucks. 12/4024, S. 1, 10 sowie BT-Drucks. 13/1752, S. 1 f, 11; Antrag der Grünen BT-Drucks. 13/3341, S. 1; Antrag der PDS BT-Drucks. 13/7899, S. 1; Regierungsentwurf BR-Drucks. 180/96, S. 39 = BT-Drucks. 13/4899, S. 29. 724 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 35 f = BR-Drucks. 180/96, S. 45 f. 725 Vgl. dazu vor allem BT-Drucks. 13/4899 S. 36 = BR-Drucks. 180/96, S. 46; PDSAntrag BT-Drucks. 13/7899, S. 2.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

die zunehmende Verbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften 726 eingetreten war. 727 Man war sich einig, dass diese veränderte Realität durch die geltenden Vorschriften in ihrer einseitigen Ausrichtung auf die Familienform der Ehe nicht mehr hinreichend erfasst wurde und eine Öffnung des gesetzlichen Familienverständnisses verlangte. Ein weiterer Aspekt für einen akuten Handlungsbedarf bestand in den aus den zahlreichen Entscheidungen des BVerfG 728 folgenden Vorgaben, die sich über Jahre angesammelt hatten und gesetzlich umzusetzen waren. 729 Der dritte Aspekt bezog sich auf die rechtliche Uneinheitlichkeit, die durch die Deutsche Einheit eingetreten war. 730 Denn einzelne Rechtsbereiche des Kindschaftsrechts wurden von der Einführung des BGB im Beitrittsgebiet 731 durch die Überleitungsvorschriften gem. Art. 234 EGBGB ausgenommen. 732 Schließlich bezogen sich alle Fraktionsentwürfe auf die Anstöße aus internationalen Konventionen. 733 Vor allem die Konvention zum Schutz der Rechte der Kinder der Vereinten Nationen von 1989 734, kurz UN-Kinderkonvention, war von besonderer Bedeutung. Sie ist darauf gerichtet, die Rechtsstellung des Kindes zu stärken und seine rechtliche

726

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 37 f = BR-Drucks. 180/96, S. 47 f. Vgl. SPD-Antrag BT-Drucks. 12/4024, S. 10 sowie BT-Drucks. 13/1752, S. 10 f; PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 1; Regierungsentwurf BR-Drucks. 180/96, S. 45 ff = BT-Drucks. 13/4899, S. 35 ff. 728 Hier ist vor allem auf die Aufhebung der obligatorischen Alleinsorge gem. § 1671 Abs. 4 (BVerfGE 61, S. 358), auf die Einführung der gemeinsamen Sorge nichtverheirateter Eltern, auf die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Ehelicherklärung gem. § 1723 (BVerfGE 84, S. 168) und auf die Feststellung des Rechtes des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung (BVerfGE 79, S. 256) sowie auf die verfassungsrechtlich zu beanstandende Befristung des Rechts der Ehelichkeitsanfechtung (BVerfGE 90, S. 263) hinzuweisen. 729 Vgl. Regierungsentwurf BR-Drucks. 180/96, S. 29, 56 = BT-Drucks. 13/4899, S. 39,46; PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 1 f; vgl. dazu auch Salgo KritV 1994, S. 262. 730 Vgl. Regierungsentwurf BR-Drucks. 180/96, S. 39, 52 = BT-Drucks. 13/4899, S. 29, 42; PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 1. 731 Vgl. Einigungsvertrag iVm Art. 230 EGBGB; vgl. dazu auch zum Einigungsvertrag BT-Drucks. 11/7817, S. 36. 732 Insbesondere galt die Amtspflegschaft für die nichtehelichen Kinder der ehemaligen DDR; ebenso bestanden erbrechtliche Sonderbestimmungen für nichteheliche Kinder, vgl. Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB. 733 Vgl. etwa den Antrag der Grünen Fraktion BT-Drucks. 13/3341, S. 7 f; PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 1. 734 Die UN-Kinderrechtskonvention vom 20. Nov. 1989 (BGBl. 1992 II, S. 121; abgedruckt in FuR 1990, S. 199 = ZfJ 1990, S. 578; vgl. darüber hinaus BT-Drucks. 12/24; 12/1535; Text auch in ZfJ 1995, S. 220), wurde von Deutschland am 26. Jan. 1990 unterzeichnet und trat am 2. Sept. 1990 nach der Ratifizierung von 20 Mitgliedsstaaten völkerrechtlich in Kraft, (vgl. Eberhardt NJ 1990, S. 59; Struck ZfJ 1990, S. 613; nachdem ihr bis 1991 bereits 2/3 aller Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen beigetreten waren (vgl. van Bueren FamLaw 1992, S. 373) konnte sie am 5. April 1992 ratifiziert werden (BGBl 1992 II, S. 990). 727

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

161

Eigenständigkeit zu fördern. 735 Als völkerrechtlicher Vertrag galt sie zunächst nur verbindlich zwischen den Staaten 736 und bedurfte der gesetzlichen Umsetzung auf nationaler Ebene. 737

735 Vgl. McGoldrick, S. 133 – Die Konvention steht in einer Tradition historischer Vorläufer. So hat bereits der Völkerbund am 26. Sept. 1924 in der „Genfer Erklärung“ (BTDrucks. 12/42, S. 29) den spezifischen Schutzauftrag des Staates festgelegt, wonach das Kind in der Lage sein solle, „sich sowohl materiell wie in geistiger Hinsicht in natürlicher Weise zu entwickeln“ (vgl. dazu Münning ZfJ 1992, S. 553; Freeman „The Rights and Wrongs of Children“, S. 19). Zur Konkretisierung der ursprünglich rechtlich unverbindlichen Menschenrechtsdeklaration von 1948 (vgl. Davidson „Human Rights“, S. 65; Koeppel NJ 1990, S. 524; Ullmann „Scheidungsfolgen im Völkergewohnheitsrecht“; BT-Drucks. 11/ 6553) folgte 1959 die UN-Deklaration über die Rechte der Kinder. Diesen unverbindlichen Absichtserklärungen folgte eine rechtsverbindliche Umsetzung des Gedankens, dass die Menschheit den Kindern das Beste schulde, durch die Anerkennung kindlicher Rechte und Freiheiten im Erlass des IPBPR vom 19. Dez. 1966 (BGBl. II 1973, S. 1533; zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ebenfalls vom 19. 12. 1966, BGBl. II 1973, S. 1569; vgl. dazu Walsh im International Journal of Law and Familiy 5 (1991), S. 170). Im Anschluss an das „Internationale Jahr des Kindes“ von 1979 (kritisch dazu Freeman „The Rights and Wrongs of Children“, S. 24, der von einem bloßen Lippenbekenntnisse spricht) wurde dann schließlich der Ausschuss zur Erarbeitung der Kinderkonvention – ein Organ der IPBPR – gebildet (vgl. dazu Dickmeis ZfJ 1996, S. 289 (291); Eberhardt NJ 1990, S. 59; Struck ZfJ 1990, S. 613). 736 Gem. Art. 44 der Kinderkonvention besteht ein Prüfungs- und Kontrollmechanismus, demzufolge zunächst 2 Jahre nach Inkrafttreten und später alle 5 Jahre die Pflicht zu einzelstaatlicher Berichterstattung über Umsetzungsmaßnahmen besteht (kritische Bemerkungen zur Schwäche des Reporting-systems, das von der Bereitschaft der Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Fristeneinhaltung wie auch inhaltliche Adäquatheit abhängt, vgl. Ghandhi / Macnamee International Journal of Law and Family 6 (1992), S. 104 (106)). Das Druckmittel zur Durchsetzung dieser Berichterstattung beschränkt sich auf politische Kontrolle im Rahmen der Veröffentlichungspflicht jedes Staates (Dickmeis ZfJ 1996, S. 289 (290); Gernstein ZfJ 1996, S. 527; ders. ZfJ 1996, S. 292; ders. ZfJ 1995, S. 527). Die Auswertung erfolgt durch eine jährlich tagende Expertenrunde, die in einer öffentlichen Sitzung mit Vertretern der jeweiligen Regierung diskutiert und Empfehlungen für die weitere Umsetzung der Konvention erarbeitet (vgl. Davidson „Human Rights“, S. 95; Gerstein ZfJ 1995, S. 527 (529)). 737 Die Bundesregierung hat jedoch die Bindungswirkung für die nationale Rechtslage durch ausdrücklichen Vorbehalt im Anhang ausgeschlossen. In der Bekanntmachung der Ratifizierung BGBl. II 1992, S. 990 f heißt es: „Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist der Auffassung, dass aus Art. 18 Abs. 1 des Übereinkommens nicht abgeleite werden kann, mit dem Inkrafttreten dieser Bestimmung stehe das elterliche Sorgerecht auch bei Kindern deren Eltern keine Ehe eingegangen sind, die als verheiratete Eltern dauernd getrennt leben oder geschiedene sind, automatisch und ohne Berücksichtigung des Kindeswohls im Einzelfall beiden Eltern zu. Ein derartige Auslegung wäre unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens. Besonders im Hinblick auf die Fälle, in denen die Eltern über die gemeinsame Ausübung der nicht einig sind, sind Einzelfallprüfungen notwendig. Die Bundesrepublik Deutschland erklärt darum, dass die Bestimmungen des Übereinkommens auch die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts a. über die gesetzliche Vertretung Minderjähriger bei der Wahrnehmung ihrer Rechte, b. über das Sorge- und Umgangsrecht bei ehelichen Kinder und c. über die familien- und erbrechtlichen Verhältnisse

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Vor diesem Hintergrund haben die Fraktionen umfassende Entwürfe erarbeitet. Ein wesentlicher Aspekt der Reformbewegung war die gemeinsame Sorge nach Trennung und Scheidung. Die weitere Betrachtung soll sich nun zunächst auf die Impulse juristischer Organisationen aus Kirche und Gesellschaft richten, wie sie im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens erste Impulse für die Gesetzentwürfe boten. Anschließend richtet sich das Augenmerk auf die verschiedenen Anträge der Fraktion der Grünen, der SPD, PDS sowie der damaligen Regierungskoalition aus CDU / FDP und ihre jeweilige spezifische Gewichtung im Reformprozess. Auf der Basis dieser Gegenüberstellung soll schließlich die besondere Ausrichtung des Regierungsentwurfes herausgearbeitet werden, die später in die Auslegung der Vorschriften für die Trennungs- und Scheidungssorge einfließt. 1. Reformimpulse durch juristische Organisationen im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens Nachdem das BVerfG 1982 die Entscheidung über die Einführung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung grundsätzlich getroffen hatte, konzentrierte sich die Diskussion über die Reform auf die Frage, wie die gesetzliche Regelung ausgestaltet werden soll. Erste Impulse gingen dabei im Vorfeld der Reform von Interessenverbänden und juristischen Institutionen aus, wonach sich bereits die zentralen Grundkonzeptionen herauskristallisierten, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens abzuwägen waren. 738 Einem materiellrechtlichen Ansatz zufolge sollte die Voraussetzungen für die gemeinsame Sorge nach der Scheidung ausdrücklich gesetzlich ausgestaltet werden. Ein verfahrensrechtlich orientierter Ansatz stellt hingegen den Zwangsverbund zur Disposition und überlegt, eine gerichtliche Entscheidung über die gemeinsame elterliche Sorge auch ohne Antrag eines Elternteils oder des Jugendamtes zuzulassen. Zentrales Element war die Einschätzung des Sorgerechtsplanes und die Frage, inwieweit die Übertragung der gemeinsamen Sorge in Zukunft davon abhängig gemacht werden sollte, dass dezidierte Absprachen über die Gestaltung der gemeinsamen Rechtsausübung vorgelegt würden. Interessenverbände mit einer Ausrichtung auf allein erziehende Mütter tendierten zu einer restriktiven Regelung, die sich auf die Beseitigung der Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelung beschränken sollte, während Verbände mit Ausrichtungen auf Väter darauf abstellten, den Zwangsverbund nichtehelicher Kinder nicht berührt; dies gilt ungeachtet der geplanten Neuordnung des Rechts der elterlichen Sorge, deren Ausgestaltung in das Ermessen des innerstaatlichen Gesetzgebers gestellt bleibt.“ – vgl. auch BR-Drucks. 769/90, S. 54; vgl. auch schon Ausführungen der Einführungen in diesem Zusammenhang; kritisch dazu vgl. Brötel ZfJ 1992, S. 241 (242); Meixner FuR 1996, S. 14 (16); MüKo / Hinz vor § 1626 Rz. 9; Steindorff FuR 1991, S. 214, der das bundesdeutsche Vertragsverhalten als „völkerrechtswidrig“ bezeichnete; Kiehl / Salgo RdJB 1995, S. 196 (198), die von „Rechtsnichtanwendungsbefehl“ sprechen; verfassungsrechtliche Bedenken vgl. Ullmann FamRZ 1991, S. 899. 738 Vgl. BR-Drucks. 180/96, S. 70 f = BT-Drucks.13/4899, S. 60 f.

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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aufzuheben und die Übertragung der Alleinsorge von dem Nachweis abhängig zu machen, dass die Fortführung der gemeinsamen Sorge zur Kindeswohlgefährdung führte. Neben generellen Stellungnahmen zum Reformbedarf erarbeiteten verschiedene Gremien konkrete Vorschläge für die Gesetzgebung. So hat der 59. Juristentag 1992 in Hannover in der Abteilung A (Familienrecht) unter der Leitung von Frau Prof. Schwenzer diskutiert „Empfiehlt es sich, das Kindschaftsrecht neu zu regeln?“ 739 Insbesondere nach Maßgabe des internationalen Rechtsvergleichs und der Vereinheitlichung nichtehelicher, ehelicher und nachehelicher Sorge sprach sich die Arbeitsgruppe des Juristentages für die Abschaffung des Zwangsverbundes und die Einführung eines Antragsmodells aus. Die Vorlage eines Sorgerechtsplans wurde nicht vorgesehen. Zur entsprechenden Wertung kam der Deutsche Juristinnenbund in seinem 1992 veröffentlichten Thesenpapier zur Reform des Kindschaftsrechts. 740 Als Antragsberechtigte im Verfahren der Alleinsorgeübertragung wurden darin Eltern und Kinder genannt. Der 7. Deutsche Familiengerichtstag 1987 741 hat zunächst angeregt, die elterliche Sorge bei Scheidung nur auf Antrag oder in Anlehnung an § 1672 a.F. 742 in dringenden Fällen von Amts wegen zu regeln. 743 Da die Erziehung verfassungsrechtlich vorrangig den Eltern obliege, bedürfe es bei staatlichen Eingriffen einer Legitimation, die bei Scheidung jedoch nicht automatisch bestehe, da die Eltern während der Trennungszeit im Vorfeld der Scheidung das Sorgerecht gemeinsam fortsetzen. Die Konfliktanfälligkeit des Verhältnisses zwischen den Eltern unterscheide sich während der Trennungszeit nicht signifikant gegenüber der Zeit nach der Scheidung, so dass eine besondere Legitimation bei Scheidung nicht erkennbar sei. Insbesondere sei nicht nachgewiesen, dass die Scheidung eine generelle und allgemeine Einschränkung der erzieherischen Kompetenz der Eltern darstelle. Dieses Prinzip werde zwar in der Trennungssorgeregelung, nicht aber in der Scheidungssorge berücksichtigt, bei der unsachgemäß eine Unfähigkeit der Familie zur eigenen Regelung unterstellt werde. Allerdings solle bei Einführung des Antragsverfahrens eine geeignete Einrichtung zur Verfügung stehen, die eine Krisenbewältigung und die Stärkung der Eigenverantwortung der Familie fördere. Die Mehrheit des Arbeitskreises befürwortete dazu die Beibehaltung 739 Schwenzer, Gutachten zum Familienrecht, „Elterliche Sorge“ Verhandlungen des 59. DJT 1992, S. A 64; dies. FamRZ 1992, S. 1275. 740 Vgl. FamRZ 1992, S. 912. 741 Vgl. den Tagungsbericht ZfJ 1988, S. 24; FamRZ 1988, S. 468. 742 § 1672 a.F.: „Leben Eltern nicht nur vorübergehend getrennt, so gilt § 1671 Abs. 1 S. 5 entsprechend. Das Gericht entscheidet auf Antrag eines Elternteils; es entscheidet von Amts wegen, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden.“ 743 59. Deutscher Juristentag Tagungsbericht ZfJ 1988, S. 24 (28 f); FamRZ 1988, S. 468 (471).

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eines „Rumpfverfahrens“ im Verbund, das ohne Zwang zu einer Entscheidung die Berücksichtigung der Kindesinteressen sicherstelle. Diese Einschätzung wurde mit Thesen zur Reform des Kindschaftsrechts durch den Deutschen Familiengerichtstag e.V. 744 später überarbeitet. Danach solle der Begriff der elterlichen Sorge in „elterliche Verantwortung“ umbenannt werden. Hinsichtlich der Scheidung solle das Gesetz eine flexible Regelung ohne Präferenz für eine Sorgerechtsform schaffen und durch die Erhaltung der Mitverantwortung beider Eltern dem resignativen Rückzug eines Elternteiles vorgebeugt werden. Es wurde jedoch das „reine Antragsmodell“ abgelehnt. Von gerichtlicher Intervention solle jedoch abgesehen werden können, wenn die Eltern eine einvernehmliche Regelung für die künftige Ausübung der Elternverantwortung vorlegten. 745 Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge sprach sich ebenfalls gegen eine vollständige Abschaffung des Scheidungsverbundes aus. 746 Zwar sei es wünschenswert, die Loslösung der Sorgerechtsentscheidung aus dem Entscheidungsverbund zu erleichtern und die Elternkompetenz zu stärken. Jedoch werde auf diese Weise der Zugang vieler betroffener Elternteile zu Hilfsinstitutionen in unsachgemäßer Weise erschwert. 747 Der Charakter der staatlichen Intervention müsse sich hingegen ändern, von einer Eingriffs- zu einer Leistungs- und Hilfeintervention. 748 2. Antrag der Bundestagsfraktion der Grünen vom 12. Dezember 1995 749 Der Antrag der Bundestagsfraktion der Grünen vom 12. Dezember 1995 machte vor allem die Stärkung der Rechte des Kindes zum Ausgangspunkt der Reform des Kindschaftsrechts. Anstelle der bisherigen Einschätzung, das „Wohl des Kindes“ als ein Recht der Eltern anzusehen oder von einer Identität zwischen Staats- und Kindesinteressen auszugehen, sollten die Regelungen nun aus einer am Kind orientierten Warte gefasst werden. 750 Es sei nicht mehr zeitgemäß, das Kind als „Objekt der Rechtsfürsorge“ aufzufassen, dem keine eigenen Interessenund Schutzräume zugestanden werden. Die Schwerpunkte des Reformgesetzes lagen daher neben der Neuregelung der nachehelichen Sorge auf der Regelung eines Verbotes der Gewalt gegen Kinder, der Gleichstellung nichtehelicher und 744

FamRZ 1993, S. 1164. FamRZ 1993, S. 1164 (1166); schließlich nach dem Referentenentwurf vgl. auch Stellungnahme des Deutschen Familiengerichtstages e.V. FamRZ 1997, S. 337. 746 Vgl. NDV 1992, S. 148 ff, 309 ff. 747 Vgl. NDV 1992, S. 309 (312). 748 Vgl. NDV 1992, S. 309 (314). 749 BT-Drucks. 13/3341. 750 AaO, S. 1 f. 745

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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ehelicher Kinder und dabei im Speziellen auf der Einführung der Alleinsorge für Väter nichtehelicher Kinder, der Regelung eines eigenen Umgangsrechtes des Kindes sowie schließlich der Einführung des „Anwalts des Kindes“ als parteilicher Interessenvertreter in Konflikten mit den Eltern. 751 Der Regelungsvorschlag dieses Gesetzesentwurfes für die Neuregelung der nachehelichen Sorge blieb dem bisherigen Regelungsansatz am weitesten verhaftet, indem die scheidungsbedingte Sorgerechtsübertragung nach Maßgabe der kindeswohlorientierten Einzelfallprüfung des Familiengerichts aufrechterhalten wurde. § 1671 sollte demnach wie folgt gefasst werden: „(1) Wird die Ehe der Eltern geschieden, entscheidet das Familiengericht über die elterliche Sorge für ein gemeinsames Kind. Das Gericht trifft die Regelung, die dem Wohl des Kindes insbesondere unter Berücksichtigung seiner Bindungen an seine Eltern und Geschwister am besten entspricht. (2) Von einem übereinstimmenden Antrag der Eltern soll das Gericht nur dann abweichen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Auf die gemeinsame elterliche Sorge erkennt das Gericht nur dann, wenn ein entsprechender übereinstimmender Antrag der Eltern gestellt wurde. Stellt das Kind einen abweichenden Antrag, entscheidet das Gericht nach Abs. 1. (3) Abs. 1 gilt entsprechend, wenn ein nichtverheirateter Elternteil, welcher mit dem anderen Elternteil die gemeinsame Sorge innehat, oder das Kind einen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge stellt.“

In der Begründung zum Entwurf stützte sich die Fraktion dabei auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG 752, das in seinen Abwägungen zur gemeinsamen Sorge nach der Scheidung weiterhin auf den Entscheidungsverbund zwischen der Scheidung und der nachehelichen Sorgerechtsübertragung abgestellt hatte. So heißt es in der Erläuterung der Grünen, „daß sich eine Entscheidung aus rein tatsächlichen Gründen, nämlich der endgültigen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft, selbst dann auf die Eltern-Kind-Beziehung auswirkt, wenn diese weiterhin ihrer gemeinsamen Elternverantwortung nachkommen. Allein aufgrund der faktischen Folgen für das Kind hat das (Bundesverfassungs-)Gericht die Entscheidung über das Sorgerecht im Verbundsverfahren ausdrücklich ohne Beschränkung auf Konfliktfälle für verfassungsgemäß erklärt.“ 753 Daher wurde die Einführung eines reinen Antragsverfahrens ausdrücklich abgelehnt, da dies eine unsachgemäße Beschränkung des staatlichen Wächteramtes bedeute, bei dem sich der eigenständige staatliche Schutz der Kindesinteressen ohne elterliche An-

751

Vgl. dazu den Katalog BT-Drucks. 13/3341, S. 2. Vgl. BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen. 753 Vgl. BT-Drucks. 13/3341, S. 8. 752

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tragstellung auf die Eingriffskompetenz der Kindeswohlgefährdung nach § 1666 beschränke. Zur Rechtfertigung des fortbestehenden Scheidungsverbundes wurden verschiedene Gesichtspunkte ausgeführt. Zum einen sei die staatliche Pflicht zum Schutz der Kindesinteressen in Art. 1 Abs. 1 S. 1, Art. 2 S. 1 und Art. 6 GG verankert. Die Ablehnung des Verbundsverfahrens und die Forderung nach einem Antragsverfahren werde dem Schutzbedürfnis des Kindes bei der Scheidung nicht gerecht und stilisiere die staatliche Untätigkeit zum Regelungsmodell hoch, indem die Betroffenen ohne gerichtliche Hilfe bei der Umgestaltung der Erziehungsverantwortung sich selbst überlassen blieben. 754 Die Bereitschaft zur fortgesetzten gemeinsamen Sorge sei nicht der Regelfall 755 und solle daher durch einen entsprechenden Antrag zum Ausdruck kommen. In dreiviertel aller Sorgerechtsfälle übernehmen die Mütter die Alleinsorge und dies sei vielfach eine bewusste Entscheidung für eine Übernahme der alleinigen Verantwortung, die nicht zuletzt auf Erfahrungen mit der Kindesbetreuung während der Partnerschaft beruhe. Die Gesetzgebung könne gegen diese Realität nicht eine nur theoretisch wünschbare Konstellation zur Regelungsgrundlage machen, solange faktisch die geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung in der Familie noch verankert sei. 756 Damit beschränkte sich der Reformvorschlag der Grünen Bundestagsfraktion weitgehend auf die Streichung derjenigen Formulierung der bisherigen Regelung, die sich auf die verfassungswidrige Festlegung der Alleinsorge als einzige nacheheliche Sorgerechtsform bezog. Eine Scheidungsintervention wurde weiterhin unabhängig vom konkreten Konflikt für notwendig erachtet, so dass die Scheidung weiterhin den Staat zur pauschal kontrollierenden Durchsetzung der Kindesinteressen und Mitwirkung an der Umgestaltung der Familienverhältnisse berief. Die gemeinsame Sorge setzte danach einen übereinstimmenden Antrag beider Eltern voraus und knüpfte die Fortsetzung der bisherigen Erziehungsverantwortung an eine ausdrückliche Bereitschaftsbekundung. Damit wurde die Übertragungspraxis seit 1982 weitgehend im Entwurf fixiert und schloss zur Beendigung der anhaltenden Rechtsdebatte die Übertragung der gemeinsamen Sorge nun gegen oder sogar ohne den ausdrücklichen Willen eines Elternteils aus. Gleichzeitig sollte jedoch die Bedeutung des übereinstimmenden Elternvorschlages gestärkt werden. So heißt es in der Einzelbegründung des Entwurfes: „Wird ein übereinstimmender Antrag auf weitere gemeinsame Sorge gestellt, sieht der vorliegende Entwurf in der vorbehaltlosen Anerkennung der Mündigkeit der 754

Vgl. BT-Drucks. 13/3341, S. 9. Hier führt die Begründung der Grünen weiter aus, dass in Baden-Württemberg und Saarland nach statistischen Erhebungen für das zweite Halbjahr von 1994 23,1 bzw. 23,6% aller Eltern nach der Scheidung die gemeinsame Sorge weiterhin tragen wollen, was für die Bestimmung als Regelfall nicht ausreiche. 756 Vgl. BT-Drucks. 13/3341, S. 9. 755

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Eltern weitere Anforderungen an diese, wie beispielsweise das Vorlegen eines detaillierten Sorgerechtsplans nicht vor.“ 757 Jedoch wurde eine Priorität einzelner Anträge ausdrücklich vermieden, um zu verhindern, „dass der Elternteil – in aller Regel die Mutter –, der einen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge stellt, in eine rechtlich exponierte Stellung mit entsprechend erhöhten Begründungserfordernissen gedrängt wird.“ 758 Sowohl die Aufwertung des Verfahrenspflegers als Interessenvertreter des Kindes als auch die Einführung eines eigenen Umgangsrechts des Kindes veranschaulichen eine Reformausrichtung, die neben einer stärkeren Rückbeziehung auf die elterliche Autonomie auch die Verselbständigung des Kindes gegenüber den Eltern förderte. 759 3. Anträge der Bundestagsfraktion der SPD vom 17. Dezember 1992 760 und 21. Juni 1995 761 Die SPD-Fraktion des Bundestages hat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zwei Anträge zur Reform des Kindschaftsrechts eingebracht, den ersten am 17. Dezember 1992 und den zweiten am 21. Juni 1995. Sie veranschaulichen dabei einen Umdenkungsprozess der SPD-Fraktion. War sie mit dem ersten Entwurf Vorreiterin und Initiatorin der Reformbestrebungen, so bezog sie im 2. Entwurf stärker die Impulse aus der Diskussion zwischen den Fraktionen in ihre Gestaltungsansätze ein. Beide Entwürfe stellten, wie wie auch der Entwurf der Grünen-Fraktion, die stärkere Orientierung des Kindschaftsrechts an der Kindesposition in das Zentrum der Reform. Dabei hieß es, die bisherige Rechtslage sei in unsachgemäßer Weise auf die Rechte der Eltern untereinander ausgerichtet. Stattdessen sei das Kind als eine Rechtspersönlichkeit stärker in den Mittelpunkt zu stellen. 762 Zur Veranschaulichung sollte die Terminologie verändert und die „elterliche Sorge“ in „elterliche Verantwortung“ umbenannt werden. 763 Ein zweiter zentraler Aspekt der Anträge der SPD-Fraktion bestand in einer deutlichen Aufwertung der außergerichtlichen Staatsintervention, wodurch die Zielrichtung des Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) aufgegriffen werden sollte. 764 Anstelle staatlicher Bevormundung sollte

757

Vgl. BT-Drucks. 13/3341, S. 14. Vgl. BT-Drucks. 13/3341, S. 14. 759 AaO, S. 16; zu den darüber hinaus gehenden eigenen Antragsrechten des Kindes vgl. DFGT FamRZ 1993, S. 1164 (1165); Baer ZfJ 1996, S. 123; Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1996, S. 1187 (1188, Fn. 8). 760 BT-Drucks. 12/4024. 761 BT-Drucks. 13/1752. 762 Vgl. BT-Drucks. 12/4024, S. 1 f; BT-Drucks. 13/1752, S. 1. 763 Vgl. BT-Drucks. 12/4024, S. 11; BT-Drucks. 13/1752, S. 13. 758

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

nun die Intervention vorrangig auf die eigene Regelung der Konfliktsituation durch die Betroffenen unter gezielter Unterstützung staatlicher Stellen gerichtet sein. 765 Insgesamt ergab sich daraus ein umfassender Katalog von Reformthemen, die sich im Wesentlichen auf die Gleichstellung der ehelichen und nichtehelichen Kinder, die Stärkung der Elternverantwortung nach der Trennung sowie das Recht des Kindes auf den Schutz gewachsener Beziehungen und schließlich die Verbesserung des Schutzes von Kindern vor Gewalt und seelischen Verletzungen richteten. 766 Verfahrensrechtlich sollten dabei die obligatorischen gerichtlichen Entscheidungen im Familienkonflikt abgeschafft werden – mit Ausnahme der Fälle von Kindeswohlgefährdung – und die Inanspruchnahme von Beratungen im Familienkonflikt gefördert sowie Verfahrens- und Vollstreckungsregeln im Kindschaftsrecht grundlegend überprüft werden. 767 Die Regelung der nachehelichen Sorge war im SPD-Konzept einerseits durch eine Aufwertung der Elternautonomie und eine Abkehr von formalisierter Intervention im Rahmen der Scheidung geprägt. Jedoch sollte andererseits eine modifizierte Form des Scheidungsverbundes aufrechterhalten bleiben, um die Kindeswohlgefährdung durch unsachgemäße oder unterlassene Planung der Eltern wirksam vermeiden zu können. Nur im Wege dieser obligatorischen Kontrolle der nachehelichen Sorgerechtsgestaltung könne den Anforderungen des staatlichen Wächteramtes genügt werden. Die Ausgestaltung dieser Tendenz wurde in den zwei Anträgen etwas abweichend geregelt. So hieß es zunächst übereinstimmend unter Ziffer 15 der beiden Entwürfe: „Leben die Eltern mit gemeinsamer elterlicher Verantwortung nicht nur vorübergehend getrennt, so ist der Elternteil, der das Kind in seinem Haushalt allein oder überwiegend betreut, berechtigt, Entscheidungen, die im Zusammenleben mit Kindern regelmäßig vorkommen (Wirkungskreise: Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Angelegenheiten der Erziehung und Ausbildung), für das Kind zu treffen und Ansprüche aus Rechtsgeschäften geltend zu machen. Dulden darüber hinausgehende Entscheidungen zur Wahrung des Kindeswohls keinen Aufschub, so kann sie der allein erziehende Elternteil ebenfalls treffen; der andere Elternteil ist unverzüglich zu informieren.

764 So hat das KJHG bereits einen dahingehenden Anstoß für ein verändertes Interventionsverständnis gegeben, das sich stärker an einer auf konkrete Bedürfnisse gerichtete Hilfestellung bei der eigenständigen Bewältigung orientiert; vgl. dazu SPD-Antrag BTDrucks. 13 /1752, S. 2, worin die Interventionsform des KJHG zum Modell herangezogen wird; so auch Baer ZfJ 1996, S. 123. 765 Vgl. BT-Drucks. 12/4024, S. 1, 7; BT-Drucks. 13/1752, S. 2, 5. 766 Im Katalog des BT-Drucks. 13/1752, S. 2 sind noch weitere Einzelaspekte aufgeführt: Sicherung des Unterhalts für Kinder; Rechtsfürsorge für minderjährige Kinder; Recht auf Kenntnis der Abstammung; Klärung der familienrechtlichen Zuordnung von Kindern bei Anwendung von Technik der Fortpflanzungsmedizin. 767 Vgl. die Kataloge der Regelungsfelder BT-Drucks. 13/1752, S. 2; BT-Drucks. 12/ 4024, S. 2.

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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Auf Antrag kann festgestellt werden, welcher Elternteil das Kind überwiegend in seinem Haushalt betreut.“ Unterschiedlich regelte dann Ziff 17 der jeweiligen Anträge die Zusammenfassung der §§ 1671, 1672 a.F. Während der erste Antrag die gerichtliche Übertragung der Alleinsorge wie folgt zurückhaltend fasste: „Das Familiengericht weist einem getrennt lebenden Elternteil auf dessen Antrag oder von Amts wegen dann die alleinige Ausübung der elterlichen Verantwortung zu, wenn dies zur Wahrung des Kindeswohls angezeigt ist und Hilfe, insb. Beratungsangebote gem. § 17 KJHG, nicht dazu beitragen können, die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Verantwortung zu ermöglichen.“ 768

Im Verfahrensrecht war demgemäß ein Antragsverfahren geregelt 769, das jedoch ergänzt wurde durch eine Pflicht, vor Ausspruch der Scheidung einen einvernehmlichen Sorgerechtsplan vorzulegen. 770 Die obligatorische Intervention bei der Scheidung verlagerte sich damit gezielt von einer gerichtlichen Gestaltungsbefugnis der bisherigen Rechtslage zu einer Kontrolle einer eigenständigen Sorgerechtsregulierung der Eltern. Dabei wurde hervorgehoben, dass die Intervention nicht selten erst zur Auseinandersetzung führe und 90% der von der Scheidung betroffenen Eltern über die zukünftige Gestaltung der Elternsorge einig sei, so dass keine Notwendigkeit für die staatliche Intervention bestehe. 771 Die staatliche Eingriffsbefugnis beschränkte sich daher nach diesem Entwurf auf die Fälle, in denen die Eltern ihre Gestaltungsverantwortung selbst nicht wahrnahmen. 772 768

Vgl. BT-Drucks. 12/4024, S. 5. Unter Ziff. 27der BT-Drucks. 12/4024, S. 6 hieß es: „Leben Eltern mit gemeinsamer elterlicher Verantwortung nicht nur vorübergehend getrennt, werden oder sind sie geschieden, so entscheidet auf Antrag von Mutter, Vater oder Kind das Gericht – darüber, wer von den Eltern das Kind ganz oder überwiegend betreut, – über den Umfang des Kontaktrechts – über die Zuweisung der elterlichen Verantwortung an einen Elternteil allein. Über die Zuweisung der elterlichen Verantwortung an einen Elternteil allein entscheidet es dann von Amts wegen, wenn es offenkundig zum Wohl des Kindes erforderlich ist.“ 770 Unter Ziff. 28 der BT-Drucks. 12/4024, S. 7 hieß es: „Die hier genannten Verfahren sind Familiensachen und sind, wenn zwischen den Eltern ein Scheidungsverfahren anhängig ist, im Verbund zu entscheiden. (...) Wird von verheirateten Eltern minderjähriger Kinder eine einverständige Scheidung beantragt, so haben sie gemäß §630 ZPO dem Gericht ihr Einverständnis über den weiteren Aufenthalt, die weitere Betreuung des Kindes sowie das Kontaktrecht des Elternteils darzulegen, der das Kind betreut. Haben die Eltern die Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung und Betreuung ihrer minderjährigen Kinder einvernehmlich geregelt, so ist der Inhalt der Regelung im Scheidungsurteil festzustellen.“ 771 Vgl. BT-Drucks. 12/4024, S. 12. 772 So hieß es in der Begründung der BT-Drucks. 12/4024, S. 12 f: „Bei elterlicher Einigkeit kann nicht unterstellt werden, dass Eltern bei ihrer Trennung grundsätzlich nicht mehr die vorrangige Kompetenz zur Konfliktregelung besitzen und das staatliche Wächteramt immer auf den Plan gerufen ist, wenn die elterliche Lebensgemeinschaft aufgelöst wird. (...) Dies spricht dafür, die Regelung der Elternverantwortung bei Scheidung weitgehend aus der staatlichen Zwangsaufsicht zu entlassen. (...) Eine völlige Abschaffung der 769

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Dagegen hieß es in der jüngeren Fassung: „Leben die Eltern mit gemeinsamer elterlicher Verantwortung nicht nur vorübergehend getrennt, so regeln sie gemeinsam unter Berücksichtigung der Bindungen und Entwicklungsinteressen des Kindes, wo das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben soll, wie sein weiterer Umgang mit dem getrennt lebenden Elternteil gepflegt wird und welche Beiträge die Eltern zur Pflege, Erziehung und Versorgung des Kindes erbringen werden. Stellen Eltern hinsichtlich der elterlichen Verantwortung übereinstimmende Anträge an das Familiengericht, so soll das Gericht dem Antrag folgen, wenn dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Beantragt nur ein Elternteil die Zuweisung der alleinigen Ausübung der elterlichen Verantwortung, so ist diesem Antrag zu entsprechen, wenn dies zur Wahrnehmung des Kindeswohls angezeigt ist. Das Jugendamt hat den Eltern gem. § 17 KJHG Beratung und Hilfe zur weiteren Wahrnehmung ihrer elterlichen Verantwortung anzubieten.“ 773

Anders als noch im vorangegangenen Entwurf wurde nun der Entscheidungsverbund stärker betont. So hielt der jüngere Antrag in der Begründung weiterhin daran fest, dass die kindeswohlgerechte Ausübung der Elternverantwortung eine staatliche Intervention verdrängen sollte. 774 Die Elternautonomie sei nach Maßgabe der verfassungsrechtlich geschützten Priorität der Eltern gem. Art. 6 Abs. 2 GG gesetzlich zu verankern, die ihnen bei der Gestaltung der Kindeserziehung gewährleiste, da die Eltern in ihrer Verbundenheit zum Kind dessen Entwicklungsinteressen tatsächlich umsetzten. 775 Verfahrensrechtlich wurde der sog. Zwangsverbund daher grundsätzlich abgelehnt, da er das verfassungsrechtlich gewährleistete Abwehrrecht der Eltern gegenüber staatlichen Institutionen verletze. Demnach könne der Staat nur auf Antrag oder bei drohender Kindeswohlgefährdung durch die gerichtliche Entscheidung intervenieren. 776 Anders als noch bei dem Entwurf der Grünen wurde damit zumindest die bisherige Gefährdungsvermutung bei Scheidung eingeschränkt, die davor den Staat zum Schutz des Kindes in der Scheidung berufen hatte. Jedoch war die Aufhebung dieser Gefährdungsvermutung an den Nachweis einer selbständigen Verantwortungswahrnehmung und damit an eine kontrollierbare Legitimation gebunden. Anstelle der Betonung des Antragsverfahrens stand nun die Bindungswirkung der übereinstimmenden Antragstellung im Vordergrund, Staatsintervention ist jedoch im Interesse des Kindeswohls nicht geboten. Damit Konflikte scheuende, aber einigungsunfähige Eltern sich nicht von ihrer Verantwortung gegenüber dem Kind lossagen können, ist ein auf Kontrollfunktion beschränktes staatliches Wächteramt notwendig. Um eine elterliche Entschlusslosigkeit und / oder Kindeswohlgefährdung offen zu legen, sollen sie ihren Vorschlag über die Weiterbetreuung des Kindes sowie das Kontaktrecht darlegen.“ 773 Vgl. BT-Drucks. 13/1752, S. 5. 774 Vgl. BT-Drucks. 13/1752, S. 15. 775 Vgl. BT-Drucks. 13/1752, S. 15. 776 Vgl. BT-Drucks. 13/1752, S. 18 f.

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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die an die Tradition des gerichtlich geprüften Elternvorschlages erinnerte. Schon im materiellrechtlichen Tatbestand wurde dieser Antrag unter die gerichtliche Prüfungskompetenz nach Maßgabe des Kindeswohls gestellt, während zuvor im ersten Entwurf die Annahme der verantwortungsgemäßen Gestaltung der nachehelichen Sorge betont worden war. Die Prüfungskompetenz von Amts wegen war an Anhaltspunkte für die Gefährdung des Kindeswohls geknüpft. Die Feststellung des Sorgerechtsplans war damit eine Formalie, wohingegen sie im 2. Entwurf als Legitimierung der elterlichen Selbständigkeit diente. Darin wird gleichsam eine Umkehr der Prioritäten von Elternautonomie und staatlicher Kontrolle deutlich. So wurde der 2. Antrag durch einen Katalog von Aspekten ergänzt, die durch den gerichtlich zu prüfenden Sorgerechtsplan geregelt werden müssten. Im Vergleich wurde damit erneut die Gewährleistung der Kindesinteressen nach der Elterntrennung und -scheidung durch staatliche Kontrolle über die Eltern sicherzustellen versucht. Das heißt, dass auch der SPD-Antrag weiterhin an der Gefährdungsvermutung bei Scheidung festhalten wollte, indem die zuvor stärker hervorgehobene Subsidiarität der staatlichen Gestaltung deutlich relativiert wurde. 4. Antrag der Bundestagsfraktion der PDS vom 11. Juni 1997 777 Auch die PDS stellte mit ihrem Gesetzesantrag vom 11. Juni 1997 vorrangig auf eine Stärkung der Rechte des Kindes, eine stärkere Berücksichtigung seiner Bedürfnisse und die Anerkennung seiner Stellung als Rechtssubjekt ab. In Hinblick auf die Ausgestaltung des Sorgerechts sollte die Reform daher vor allem darauf gerichtet sein, die subjektiven Rechte des ehelichen und nichtehelichen Kindes gleichermaßen in diesem Rechtsbereich zu stärken, zu denen sowohl der Schutz gewachsener Beziehungen als auch der Schutz vor dem Elternkonflikt gehört. 778 Gleichzeitig sollte das Kindeswohl gefördert werden, indem das Bedürfnis des Kindes nach gewachsenen, stabilen und kontinuierlichen Lebensbedingungen berücksichtigt und somit die soziale Eltern-Kind-Beziehung in den Vordergrund der rechtlichen Beurteilung gestellt werden sollten. In der Umsetzung hieß das, die Übertragung der elterlichen Rechtsstellung gegenüber dem Kind gleichzeitig an eine reale Teilhabe an der Betreuung und Übernahme praktischer Verantwortung zu knüpfen. Der traditionelle Doppelcharakter der Rechtsverhältnisse zum Kind als Pflichtrechte wurde damit im PDS-Entwurf durch systematische Verknüpfung der Rechtsstellungen zu einer praktischen Verantwortungsausübung weiterentwickelt. Die gemeinsame Sorge nach der Scheidung wurde demzufolge durch den Antrag der PDS distanziert bewertet. So wurde unter Hinweis auf amerikanische 777

Vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899. Vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 1 (die Seitenangaben richten sich nach der Seitenformatierung der Ausführung des Antrages im Internet; http://dip.bundestag.de /btd/13/078/1307899.asc). 778

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Studien darauf verwiesen, dass die gemeinsame Sorge nur dann dem Kindeswohl entspreche, wenn die Eltern sich freiwillig für diese Sorgerechtsform entschieden und über die notwendige Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit verfügten. 779 Die gesetzliche Regelung des Sorgerechts für Eltern nach Trennung und Scheidung müsse daher grundsätzlich ohne Bevorzugung einer bestimmten Sorgerechtsform erfolgen. 780 Neben der gemeinsamen und der alleinigen Sorge seien dabei auch Mischformen zuzulassen. So heißt es zur Regelung der nachehelichen Elternsorge im Antrag: „Wird die Ehe der Eltern geschieden, entscheidet das Familiengericht über die elterliche Sorge für ein gemeinsames Kind. Die Eltern sind gehalten, dem Gericht einen einvernehmlichen Vorschlag zur nachehelichen Sorgerechtsgestaltung zu unterbreiten. Die Gerichte haben diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn dieser dem Kindeswohl nicht widerspricht. Gelingt es den Eltern nicht, einen einvernehmlichen Sorgerechtsvorschlag zu unterbreiten, trifft das Gericht auf Grundlage der vorliegenden Anträge die Reglung, die dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Sorgerechts gegen den Willen eines Elternteils ist auszuschließen. Die vorstehende Regelung gilt entsprechend für nichtverheiratete Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht, die eine Abänderung desselben beantragen. Können sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit der gemeinsamen Sorge nicht einigen, so hat das Gericht in den Fällen, in denen nur ein Elternteil in häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind lebt, dem betreuenden Elternteil Entscheidungsvorrang einzuräumen, soweit dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. ... Es sind die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen für das gemeinsame Sorgerecht nichtverheirateter und geschiedener Eltern, das in einer Vielfalt von konkreten Formen bis hin zu einer wirklich partnerschaftlichen Teilung der täglichen Sorge ausgeübt wird, zu schaffen. Insbesondere sind Anpassungen notwendig im Melderechtsrahmengesetz, Bundeskindergeldgesetz, in der Steuergesetzgebung, im Unterhalts- und Sozialhilferecht. ... Ab dem 14. Lebensjahr erhält das Kind ein eigenes Antragsrecht in allen es selbst betreffenden Fragen der Abstammung, des Sorge- und Umgangsrechts.“

In der Begründung des Entwurfes werden die angestrebten Parameter der nachehelichen Sorge weiter ausgeführt. So solle das Gesetz vor allem die individuelle Gestaltung der Elternsorge ohne gesetzliche Vorgewichtung gewährleisten, um der Vielfalt der Lebensformen mit einem pluralistischen Regelungsangebot gerecht zu werden. Der Verzicht auf einen gesetzlichen Regelfall und sorgerechtliche Zwischenformen sei erforderlich, damit sich die Eltern uneingeschränkt darüber verständigen könnten, wie im Einzelfall die Kompetenzen zu verteilen sind. Die779 780

Vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 2, 6. Vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 3, 6.

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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se Gleichwertigkeit der Sorgerechtsformen ermögliche es, dass die jeweilige Scheidungsfamilie ein ihren individuellen Gegebenheiten adäquates Sorgerechtsarrangement selbst finden könne und die gerichtlichen Antragserfordernisse für alle Sorgerechtsformen gleich seien. 781 Dabei solle die jeweilige Sorgerechtsform eine Einheit zwischen Personenbeziehung und der Rechtsstellung herstellen, so dass etwa Obhut und Entscheidungsbefugnisse miteinander korrelierten. Mit diesem zentralen Aspekt des Entwurfes sollte der einseitigen Begünstigung eines Elternteils entgegengewirkt werden, bei der ein mit Betreuung einseitig belasteter Elternteil gleichzeitig in seinen Rechten durch den anderen Elternteil beschränkt und kontrolliert werde. 782 Tatsächliche Sorge sei der entscheidende Maßstab für die Übertragung von Entscheidungszuständigkeit. 783 Dabei wird als erklärtes Ziel der Reform die gewünschte Veränderung hin zur gleichberechtigten Teilnahme beider Elternteile an der Pflege und Erziehung des Kindes hervorgehoben. 784 In verfahrensrechtlicher Hinsicht hielt der Entwurf aufgrund seines Schwerpunktes auf individueller Gestaltung der nachehelichen Sorge uneingeschränkt am bisherigen Zwangsverbund fest. 785 Der Vorrang des einvernehmlichen Elternvorschlages griff die Bindungswirkung des § 1671 Abs. 3 a.F. auf und hielt damit an der bestehenden Konzeption gerichtlicher Kontrolle über die Gestaltung nachehelicher Sorge fest. 786 Mehr noch als bisher postulierte die PDS-Fraktion eine Einzelfallgestaltung, bei der innerhalb des gerichtlich begleiteten Prozesses eine individuelle Abwägung anhand der konkreten Lebensverhältnisse stattfinden sollte. Anders als die übrigen Reformansätze vertrat dieser Entwurf eine uneingeschränkte Fortschreibung des staatlichen Gestaltungsanspruchs und wies die im 781

Vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 6. Vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 6. 783 Diese enge Kopplung zwischen realer Ausübung der Elternverantwortung und Reichweite der Rechtsstellung kann als ein übergreifender Maßstab des Gesetzentwurfs an mehreren Stellen beobachtet werden. So sollte zum einen die Reichweite der gemeinsamen Sorge auch an der Intensität der Teilnahme an der Obhut bemessen werden (vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 6); darüber hinaus sollte bei der Entscheidung nach § 1628 über Meinungsverschiedenheiten bei der Ausübung der gemeinsamen Sorge auch die Betreuung als Kriterium dafür maßgeblich sein, welchem Elternteil die Alleinentscheidungsbefugnis zugesprochen wird (vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 3, 7); ein entsprechender Maßstab zeigt sich bei der Übertragung des Umgangsrechts und der Übertragung des Sorgerechts an Mitsorgeberechtigte, bei der einem Dritten, der mit dem Kind und dem Alleinsorgeberechtigten zusammenlebt, die Teilhabe an der elterlichen Verantwortung aufgrund seiner realen Beziehung zum Kind übertragen werden kann (vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 3, 7). 784 Vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 6. 785 Vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 6. 786 Vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 6, danach sollte das Gericht von einem gemeinsam gestellten Antrag der Eltern auf Übertragung der alleinigen oder gemeinsamen Sorge nur dann abweichen, wenn begründete Zweifel vorliegen, dass die gewünschte Sorgerechtsregelung dem Kindeswohl entspricht. 782

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

übrigen dominante Stärkung der Elternautonomie jenseits des Vorschlagsrechts zurück. 787 5. Regierungsentwurf vom 13. Juni 1996 788 Schließlich richtet sich das Augenmerk auf den Regierungsentwurf der damalige CDU-FDP-Koalition, der die Grundlage des Reformgesetzes darstellt und in seinen Reformansätzen teilweise weit über die übrigen Fraktionsanträge hinausging. 789 Er erklärte zunächst als vorrangige Ziele des Gesetzesvorhabens, die Rechte des Kindes zu verbessern, die Rechtsposition der Eltern vor unnötigen staatlichen Eingriffen zu schützen sowie den rechtlichen Unterschied zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern soweit wie möglich abzubauen und schließlich das geltende Recht einfach und überschaubar zu gestalten. 790 Diese Aspekte leitete er vor allem aus einer gründlichen Bestandsaufnahme der bisherigen Rechtslage 791 und einer genauen Untersuchung der realen Verhältnisse 792 ab, bei der die steigende Zahl der Scheidungen und der davon betroffenen Kinder 793 sowie die Entwicklung der Verteilung der Sorgerechtsformen 794 analysiert wurden. Als alternative Regelungskonzepte wurden Rechtslage und Praxis in ausländischen Rechtsordnungen herangezogen und zur Vorbereitung der Reform des BGB untersucht. 795 Vor diesem Hintergrund entwickelte der Entwurf eine zweistufige Regelung, wie sie in Ansätzen auch bei dem Entwurf der SPD vorgesehen war, bei der zunächst eine gesetzliche Regelung der Zuständigkeit der Eltern bei gemeinsamer Sorge nach Trennung und Scheidung getroffen wurde und parallel dazu ein Antragsverfahren für die Übertragung der Alleinsorge geregelt war. So sah § 1687 des Entwurfes vor: 787 Vgl. dazu auch PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 5, wonach auch die Übertragung der gemeinsamen Sorge für nichtverheiratete Eltern an eine gerichtliche Einzelfallprüfung gebunden werden sollte. 788 Vgl. BT-Drucks. 13/4899 = BR-Drucks. 180/96 vom 22.März 1996. 789 Zu den Veränderungen im Rahmen des Vermittlungsausschusses vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschuss BT-Drucks. 13/8511. 790 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 29 = BR-Drucks. 180/96, S. 39. 791 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 30 ff, 38 ff = BR-Drucks. 180/96, S. 40 ff, 48 ff. 792 Neben der Untersuchung der nachehelichen Sorge wurde auch Tatsachenforschung einbezogen, die die Lebensverhältnisse der nichtehelichen Kinder untersuchte vgl. BTDrucks. 13/4899, S. 50 = BR-Drucks. 180/96, S. 60. 793 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 35 ff = BR-Drucks. 180/96, S. 45 ff; vgl. dazu auch weitere Ausführungen in diesem Kap. unter Kap. A. Abschn. II. 4. b), c). 794 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 36 f = BR-Drucks. 180/96, S. 46 f; vgl. dazu auch weitere Ausführungen Kap. A. unter Kap. A. Abschn. II. 2., 3. 795 Zur rechtsvergleichenden Betrachtung des Regierungsentwurfs vgl. BT-Drucks. 13/ 4899, S. 42 ff = BR-Drucks. 180/96, S. 52 ff.

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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(1) „Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so ist bei grundsätzlichen Entscheidungen ihr gegenseitiges Einvernehmen erforderlich. Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Der andere Elternteil hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung, solange sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung bei ihm aufhält. § 1629 Abs. 1 S. 4 und § 1684 Abs. 2 S. 1 gelten entsprechend. (2) Das Familiengericht kann die Befugnisse nach Abs. 1 S. 2 und 3 einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.“

§ 1671 wurde wie folgt gefasst: (1) „Leben die Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. (2) Dem Antrag ist stattzugeben soweit 1. der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, dass das Kind das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat und der Übertragung widerspricht, oder 2. zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. 3. Dem Antrag ist nicht stattzugeben, soweit die elterliche Sorge auf Grund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muß.“

Mit dieser Konzeption löste sich der Regierungsentwurf grundlegend vom bisherigen Verständnis der Trennungs- und Scheidungssorge, indem er die obligatorische Scheidungsintervention aufhob. 796 Die Gestaltung der nachehelichen Sorge sollte demnach nicht mehr den Gerichten vorbehalten sein, soweit es sich um die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge handelte. 797 Anstelle des bisherigen sog. „Zwangsverbundes“, bei dem die gerichtliche Entscheidung über die Elternsorge im Rahmen des Scheidungsverfahrens zwingend vorgegeben gewesen war, wurde nun ein Antragsverfahren eingeführt. 798 Zu einem Verfahren über die elterliche Sorge sollte es danach nur noch kommen, wenn ein Elternteil einen Antrag 796 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61 = BR-Drucks. 180/96, S. 71; vgl. dazu Walter FuR 1995, S. 1538 (1544). 797 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 108. 798 Verfahrensrechtliche Sondervorschriften für den Fall der Anhängigkeit des Scheidungsverfahrens zum Zeitpunkt des Sorgerechtsverfahrens ergeben sich aus §§ 621 Abs. 1 Nr. 1, 623 ff ZPO des Entwurfes – so regelt § 621 Abs. 1 Nr. 1 Entwurf der ZPO die Zuständigkeit des Familiengerichts für Familiensachen, die „die elterliche Sorge für ein Kind, soweit nach den Bürgerlichem Gesetzbuch hierfür das Familiengericht zuständig ist.“ § 623 Abs. 2 Nr. 1 Entwurf der ZPO sieht vor, „Folgesachen sind auch rechtzeitig von einem Ehegatten anhängig gemachte Familiensachen nach Nr. 1: § 621 Abs. 2 Nr. 1 im Fall eines Antrags nach § 1671 Abs. 1 Bürgerlichen Gesetzbuchs“ (vgl. BT-Drucks. 13/4899, in der Fassung aus dem Internet unter http: //dip.bundestag.de/btd/13/048/1304899.asc, S. 17 f). In den Erläuterungen heißt es dazu: „Die Änderung in § 623 tragen im Wesentlichen dem

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

auf die Zuweisung der Alleinsorge stellt. 799 Nur die Übertragung der Alleinsorge blieb damit als Eingriffstatbestand an die gerichtliche Übertragung geknüpft. Dazu führt der Entwurf aus, dass die Legitimation eines Zwangsverfahrens mit dem Wegfall der obligatorischen Alleinsorge aufgehoben worden sei. 800 Denn früher habe sich die zwingende Koppelung der gerichtlichen Sorgerechtsübertragung aus der gesetzlich vorgegebenen Alleinsorgeübertragung ergeben, da der Entzug einer Rechtsstellung nach unserer Rechtsordnung notwendig eine Gerichtsentscheidung voraussetze. Darüber hinaus habe die Erfahrung gezeigt, dass der Zwang, über das Kind ein Verfahren führen zu müssen, zu einer Konfliktverschärfung führe. Ein Antragsverfahren solle diese Gefahr nun entgegenwirken. 801 Im übrigen löse der Entwurf den bisherigen gesetzlichen Widerspruch auf, dass die Scheidung an eine zwangsweise Intervention geknüpft worden sei, während es für die besonders konfliktbeladene Zeit unmittelbar nach der Trennung nur auf Antrag zum Verfahren komme. Durch die Einführung des Antragsverfahrens sollte damit die Scheidung nicht länger als ein eigenständiger Gefahrentatbestand ausgestaltet werden, der den Staat aufgrund der spezifischen Situation zum Schutz des Kindes berief. 802 So Umstand Rechnung, dass künftig – vom amtswegigen Verfahren zur Entziehung der Sorge abgesehen – nur auf Antrag eines Ehegatten über die Übertragung der elterlichen Sorge entschieden wird (§ 1671 Abs. 1 E-BGB). (...) S. 1 regelt künftig, welche Sorge-, Umgangsund Herausgabeverfahren in den Verhandlungs- und Entscheidungsverbund fallen. Für den Bereich der Sorge werden die Folgerungen daraus gezogen, dass eine Entscheidung über die Sorge nicht mehr von Amts wegen für den Fall der Scheidung zu treffen ist, sondern nur auf Antrag nach § 1671 Abs. 1 E-BGB getroffen wird, sofern nicht von Amts wegen aus Gründen der Kindeswohlgefährdung eine Regelung der Sorge notwendig ist. (...) S. 2 sieht vor, dass das Gericht auf Antrag eines Ehegatten eine Abtrennung der in Satz 1 aufgeführten Folgesachen von der Scheidungssache vornimmt. (...) Mit der Möglichkeit der Abtrennung der Sorgerechtsverfahren von der Scheidungssache kann auch künftig bereits für die Zeit der Trennung eine Entscheidung in der Hauptsache erreicht werden. Entsprechend dem § 1671 BGB-E zugrunde liegenden Rechtsgedanken wird in der Zukunft eine weiter amtswegige Sorgerechtsentscheidung durch das Gericht bei Ausspruch der Scheidung entbehrlich, so dass die vor der Scheidung getroffene Hauptsacheentscheidung über die Scheidung hinaus fortgilt. (...) In den Verbund einbezogen werden in Zukunft die Sorgerechtsregelungen auch dann, wenn das Gericht in einem auf Antrag eine Elternteils eingeleitete Sorgeverfahren mit einer Übertragung der Sorge oder eines Teils der Sorge auf einen Vormund oder Pfleger wegen der Gefährdung des Kindeswohls eine vom Antrag abweichende Regelung der Sorge treffen will. Satz 2 schafft für das Gericht die Möglichkeit, in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens die Familiensache, deren Gegenstand die Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils der Sorge für eine gemeinschaftliches Kind auf einen Elternteil, einen Vormund oder Pfleger wegen Kindeswohlgefährdung ist, von der Ehesache abzutrennen.“ (vgl. BT-Drucks. 13/4899, in der Fassung aus dem Internet unter http://dip.bundestag.de/btd/13/048/1304899.asc, S. 162 ff). 799 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61 = BR-Drucks. 180/96, S. 71. 800 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 = BR-Drucks. 180/96, S. 72. 801 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 = BR-Drucks. 180/96, S. 72. 802 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 108.

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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wurde im Entwurf ausdrücklich klargestellt, „dass die Trennung als solche kein Anlass ist, die allgemeine Eingriffsschwelle herabzusenken, solange Eltern selbst keinen Antrag auf Alleinsorge stellen.“ 803 Die gemeinsame Sorge sollte also der gerichtlichen Kontrolle in Hinblick auf Scheidung und Trennung entzogen werden. Die scheidungsspezifische Intervention wurde stattdessen an die Initiative eines Elternteils gebunden und verdrängte damit das Spektrum staatlichen Eingriffs von Amts wegen auf den allgemeinen Gefahrentatbestand des § 1666. 804 Auf verfahrensrechtlicher Ebene wurde gleichzeitig die Zuständigkeit des Familiengerichts auch für Kindeswohlgefährdungen eingeführt. Diese Vereinheitlichung der sachlichen Zuständigkeit trug dem näheren Zusammenrücken der Eingriffstatbestände Rechnung. So sollte die bisherige Zuständigkeitsspaltung aufgehoben und eine einheitliche Entscheidungsbefugnis für §§ 1666, 1671 gewährleistet werden, so dass nun auch Erkenntnisse aus dem Antragsverfahren unmittelbar zur amtswegigen Gefahrenabwehr im selben Verfahren führen konnten und nicht mehr an das Vormundschaftsgericht verwiesen werden mussten. 805 Mit der Einführung des Antragsverfahrens hob der Entwurf auch die bisherige Unterscheidung zwischen Trennungssorge als eine ihrer Konzeption nach vorübergehende Regelung eines Schwebezustandes bis zur Scheidung und Scheidungssorge auf. 806 Das vereinheitlichte Verfahren der Trennungs- und Scheidungssorge lehnte sich dabei an die bisherige Vorschrift des § 1672 a.F. 807 an und machte ihn als Sondertatbestand überflüssig. 808 Der Entwurf hebt damit nicht nur den verfahrensrechtlichen Zusammenhang der Elternsorge zur Scheidung teilweise auf. Gleichzeitig ermöglicht diese Herangehensweise eine Gleichbehandlung zwischen den Eltern ehelicher und nichtehelicher Kinder, indem die Scheidung als Tatbestandsmerkmal in den Hintergrund rückt und stattdessen die bestehende gemeinsame Sorge vor der Trennung eine einheitliche Beurteilung eröffnet. 809 Der rechtliche Ansatzpunkt war demnach nicht mehr der Status der Eltern untereinander, sondern die Beziehung der Eltern zu ihrem Kind. Damit suchte der Regierungsentwurf einen Kompromiss zu finden, bei dem vermieden wurde, die verheirateten Eltern gegenüber den unverheirateten zu benachteiligen und sie im Rahmen der Auflösung ihrer Partnerschaft erhöhter 803

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 108. Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61, 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 71, 108. 805 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 108. 806 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 108. 807 So lautet der Wortlaut des § 1672 a.F.: „Elterliche Sorge bei Getrenntleben der Eltern – Leben die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt, so gilt § 1671 Abs. 1 bis 5 entsprechend. Das Gericht entscheidet auf Antrag eines Elternteils; es entscheidet von Amts wegen, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden.“ 808 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61 f, 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 71 f, 108. 809 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 108. 804

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

staatlicher Kontrolle zu unterwerfen. 810 Dies war eine Konsequenz aus der Einführung der gemeinsamen Sorge für nichteheliche Kinder, die es erforderte, einen ausgewogenen Schutz des Kindes in beiden Familienmodellen zu finden. Mit der Verknüpfung von § 1687 und § 1671 führte der Entwurf der Bundesregierung ein Nebeneinander von gesetzlicher Regulierung und gerichtlicher Gestaltung der Scheidungssorge ein. Anders als bei der vergleichbaren Konzeption des ersten SPD-Entwurfs wurde auf diese Weise die gemeinsame Sorge vollständig aus der Scheidungsintervention ausgenommen. 811 Anstelle der bisherigen staatlichen Kontrolle durch die Gerichte wies der Tatbestand des § 1687 selbst die Zuständigkeiten den beiden Elternteilen zu. Anders als durch die bisherige Übertragung der nachehelichen Sorge, stellt § 1687 dabei also lediglich eine modifizierte Form der gesetzlichen Sorge dar. 812 Denn nicht ein erneuter Übertragungsakt, sondern allein die bestehende Rechtsstellung beider Eltern vor der Trennung bilden die Grundlage der Zuständigkeitsverteilung. Auf diese Weise verankerte der Regierungsentwurf den Ansatz, durch die gemeinsame Sorge sorgerechtliche Kontinuität zu betonen und den Eltern mehr Eigenverantwortlichkeit bei der Erziehungsgestaltung über die Trennung der Partnerschaft hinaus zu verleihen. 813 In der Konsequenz heißt dies, dass allein die Bereitschaft zur weiterhin gemeinsam ausgeübten Elternverantwortung ausreichen sollte, um die fortbestehende Sorgerechtsstellung beider Eltern zu legitimieren. Ausdruck dieser Bereitschaft bestand im Verzicht auf die Eröffnung des Antragsverfahrens, indem keiner der Elternteile die Alleinsorge begehrte. Im Ergebnis wurde damit die Grundlage geschaffen, die Zäsur der Trennung und Scheidung für die Sorgerechtsgestaltung zu relativieren und die Überwindung des familiären Umbruchs in die Verantwortung der Eltern im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Erziehungsfreiheit zu stellen. 814 Anknüpfungspunkt der spezifischen Zuständigkeitsverteilung war nach den Ausführungen des Entwurfes, dass auch bei der gemeinsamen Sorge ein Elternteil 810 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64 = BR-Drucks. 180/96, S. 74; vgl. dazu auch die Ausführungen des Regierungsentwurfes gegen die verschiedenen Vorschläge, die Übertragung der gemeinsamen Sorge unverheirateter Eltern einer gerichtlichen Kontrolle zu unterstellen und verschiedene Konstellationen auszuschließen, BT-Drucks. 13/4899, S. 59 = BR-Drucks. 180/96, S. 68. 811 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61 = BR-Drucks. 180/96, S. 71. 812 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 58 = BR-Drucks. 180/96, S. 68. 813 Dieses Grundprinzip zeigt sich auch bei der Erläuterung zur Übertragung gemeinsamer Sorge auf nicht miteinander verheiratete Eltern. Hier lehnt der Regierungsentwurf ausdrücklich die gerichtliche Einzelfallprüfung der Sorgerechtsübertragung, wie die SPD in ihrem Entwurf gefordert hatte, mit der Begründung ab: „Sie ist Ausdruck eines nicht gerechtfertigten Misstrauens gegen diejenigen Mütter und Väter, welche die elterliche Verantwortung teilen wollen.“, vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 59 = BR-Drucks. 180/96, S. 69. 814 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 108.

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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die alleinige Entscheidungsbefugnis für Angelegenheiten des täglichen Lebens erhalten sollte, solange er das Kind mit Einverständnis des anderen Elternteils allein betreut. 815 Diese gesetzliche Ausgestaltung knüpft an das in der bisherigen Praxis überwiegende Betreuungs- bzw. Eingliederungsmodell als gesetzlichem Prototyp der gemeinsamen Sorge an. 816 Der Grundsatz bei gemeinsamer Sorge, dass die Eltern sie in gemeinsamem Einvernehmen zum Wohl des Kindes gem. § 1627 ausüben, setze voraus, dass sich die Eltern grundsätzlich über alle das Kind betreffende Angelegenheiten des täglichen Lebens verständigen. „Leben die Eltern getrennt, so hätte dies gerade für den betreuenden Elternteil bei den Angelegenheiten des täglichen Lebens, die praktisch im Vordergrund stehen, eine erhebliche Erschwernis zur Folge. Der Zwang zur ständigen Kommunikation mit dem andern Elternteil würde auch die Gefahr in sich bergen, dass es durch Streitigkeiten über vergleichsweise unwichtige Fragen zu Konflikten kommt, die das Funktionieren der gemeinsamen Sorge insgesamt gefährden könnte. Die alleinige Entscheidungsbefugnis des allein betreuenden Elternteils für Angelegenheiten des täglichen Lebens ist daher eine wichtige Ergänzung der gemeinsamen Sorge bei getrennt lebenden Eltern.“ 817 Durch die gesetzliche Gestaltung der gemeinsamen Trennungsund Scheidungssorge fand der Regierungsentwurf einen Kompromiss zwischen der Erweiterung der elterlichen Autonomie und der Prävention im wächteramtlichen Schutzauftrag. Die situationsspezifische Konfliktanfälligkeit der Eltern, die nach der vorherigen Rechtslage eine Vermutung der Gefährdung des Kindes begründet und früher sogar die obligatorische Alleinsorgeübertragung gerechtfertigt hatte, wurde nun durch gezielte Aufgabenzuteilung und pragmatische Entflechtung der elterlichen Lebensbereiche entkräftet. Im Rahmen der Erläuterung von Zielsetzung und Regelungsinhalt setzte sich der Entwurf intensiv mit den Alternativen auseinander. 818 Im Zentrum steht der Vorwurf, mit der Aufhebung des Zwangsverbundes entziehe sich der Staat der erforderlichen Fürsorge für die betroffenen Interessen. Denn es bestehe die Befürchtung, dass die Kindesinteressen durch die fehlende staatliche Kontrolle nicht ausreichend geschützt werden. 819 Der Entwurf warnt hingegen davor, die Fallkonstellation zu überschätzen, in der die gemeinsame Sorge fortgesetzt werde, 815

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 58 = BR-Drucks. 180/96, S. 68. Vgl. aaO, S. 36, mit dem Hinweis auf statistische Verbreitung des Eigliederungsmodells von 85%. 817 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 58 = BR-Drucks. 180/96, S. 68; befürwortend Rummel ZfJ 1997, S. 202 (214) als eine gebotene Flexibilisierung der Sorgerechtsbeurteilung. 818 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61 = BR-Drucks. 180/96, S. 71. 819 Vgl. Wallerstein / Blakeslee „Gewinner und Verlierer“, S. 303 f; Napp-Peters „Familie nach der Scheidung“, S. 140 ff; Zum konkreten Einwand, das spezifische Gefahrpotential für das Kind völlig unberücksichtigt zu lassen, vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1996, S. 1187 (1188). vgl. auch Baer ZfJ 1996, S. 123; Lossen FuR 1997, S. 100, die auf das ungelöste Spannungsverhältnis zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Kindes und dem Erziehungsrecht der Eltern hinweist; DFGT FamRZ 1997, S. 337 spricht insoweit von einer 816

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

obwohl die Gerichte anhand der Einzelfallprüfung die Alleinsorge übertragen hätten. Wenn die Eltern einvernehmlich die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge beschlossen hätten, so sei auch innerhalb des Zwangsverbundes aufgrund der Privilegierung des Elternvorschlages vom Gericht davon nur abgewichen worden, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich gewesen sei. 820 Außerdem müsse man berücksichtigen, dass in der besonders konfliktträchtigen Zeit der Trennung auch nach alter Rechtslage in den weitaus meisten Fällen gemeinsame Sorge bestanden habe, ohne dass dadurch das Kindeswohl gefährdet worden sei. Soweit Gefahren vorgelegen hätten sei ein Antrag auf Übertragung der Alleinsorge gestellt worden oder zu einer einstweiligen Anordnung gekommen. 821 Auch sei nicht erkennbar, dass die zunehmende Zahl der Übertragungen gemeinsamer Sorge nach der Scheidung in der bisherigen Rechtspraxis zu Kindeswohlgefährdungen geführt habe. Diese Erfahrung werde durch ausländische Rechtsordnungen bestätigt und es gebe keine kindespsychologische Erkenntnis, wonach die gemeinsame Sorge nach der Scheidung zu einer Kindeswohlgefährdung führen könne. 822 Ein weiterer Einwand unter Hinweis auf die staatliche Fürsorgepflicht durch den Zwangsverbund galt der Überforderung der Antragsteller. Dem hielt der Entwurf entgegen, dass die Befürchtung, vielen Elternteilen fehle es am erforderlichen Selbstbewusstsein, um im Rahmen eines Antragsverfahrens die Alleinsorge zu beanspruchen, in vergleichbaren Verfahrenskonstellationen völlig unberücksichtigt bleibe. Denn alle übrigen Regelungsgegenstände im Scheidungsverfahren seien ebenfalls antragsbedürftig. 823 Wenn Mütter typischerweise nicht selbstbewusst genug wären, Anträge zu stellen, so müsste auch in Hinblick auf die anderen Verfahrensgegenstände ein Zwangsverbund eingeführt werden. Das würde jedoch von niemandem gefordert. Auch das für besonders stark eingeschätzte Argument gegen die Aufhebung des Zwangsverbundes, die Beziehung geschiedener Eltern sei in der Regel so von Spannungen belastet, dass sie trotz guten Willens auf längere Zeit nicht in der Lage seien, die Elternsorge gemeinsam auszuüben, wies der Entwurf zurück. Zwar sei es für viele Betroffene nach der Scheidung schwer, ihre persönlichen Gefühle zueinander von der Eltern-Kind-Beziehung zu trennen. Jedoch würden die Anforderungen an die Ausübung der gemeinsamen Elternverantwortung oftmals überschätzt. 824 Gemeinsame Sorge verlange keine dauernden Besprechungen und Eltern- anstatt der Kindsrechtsreform; Rummel ZfJ 1997, S. 202 (207); zum ähnlichen Einwand der hochstilisierten Passivität vgl. Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452). 820 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 f = BR-Drucks. 180/96, S. 73 f. 821 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64 = BR-Drucks. 180/96, S. 74. 822 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64 = BR-Drucks. 180/96, S. 74. 823 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 = BR-Drucks. 180/96, S. 72. 824 Zur dem entgegenstehenden Auffassung einer emotionalen Überforderung der Eltern mit der nachehelichen Kooperation vgl. Napp-Peters „Die Familie nach der Schiedung“,

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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Entscheidungen. Die meisten zentralen Entscheidungen seien bereits während der Trennungszeit gefallen und in vielen zukünftigen Entscheidungen wie der Wahl von Schule oder Arztbehandlung lägen in der Regel äußere Sachzwänge vor, die einen Streit der Eltern von vornherein unwahrscheinlich werden ließen. 825 Zum anderen trage auch die Alleinentscheidungsbefugnis des betreuenden Elternteils zur Konfliktvermeidung bei. 826 Die Pflicht zur Erstellung eines Sorgerechtsplans bei Scheidung, wie ihn der SPD-Entwurf als alternatives Kontrollinstrumentarium vorgesehen hatte, um sicherzugehen, dass die Eltern kindeswohlgerecht ihre Erziehungsverantwortung wahrnähmen, wurde vom Regierungsentwurf ausdrücklich abgelehnt. 827 In Fällen, in denen die gemeinsame Sorge während der Trennungszeit einigermaßen funktioniere, werde ihre Ausübung durch die Pflicht zur schriftlichen Niederlegung gestört und biete Anlass zum Streit. Auch könne der Sorgerechtsplan in der scheinbaren Endgültigkeit dazu führen, dass die Eltern nach der Scheidung nicht flexibel genug seien, auf geänderte Situationen zu reagieren. 828 Hinzu komme, dass die an die Scheidung gekoppelte Planungspflicht bei gemeinsamer Sorge eine Schlechterstellung der Eltern ehelicher Kinder darstelle, da in Ermangelung einer entsprechenden Zäsur, Eltern nichtehelicher Kinder keiner entsprechenden Kontrolle unterzogen werden könnten. 829 Demgegenüber sah es der Regierungsentwurf nicht als eine Verschärfung des Konfliktes an, dass der Antragsteller im Antragsverfahren darzulegen habe, dass der andere Elternteil nicht kooperationsbereit oder erziehungsfähig sei. Im Falle der Beibehaltung des Zwangsverbundes setze die streitige Übertragung der Alleinsorge ebenfalls voraus, dass der Alleinsorgeberechtigte geltend mache, besser für

S. 150; Salgo FamRZ 1995, S. 2195 (2196); zur rollenbedingter Kooperationsunfähigkeit trotz veränderter gesetzgeberischer Gewichtung vgl. Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (13). 825 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 f = BR-Drucks. 180/96, S. 72 f. 826 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = BR-Drucks. 180/96, S. 73 – insoweit auch unter Berufung auf den 59. DJT von 1992, FamRZ 1992, S. 1275, vgl. dazu auch Ausführungen zum DFGT FamRZ 1993, S. 1164. 827 Damit wandte sich der Entwurf gegen die Auffassung, die im SPD-Entwurf dominierte, dass eine gerichtliche Intervention gewährleiste, dass sich die Eltern mit ihrer situationsbedingten Verantwortung auseinandersetzten und nicht in erster Linie auf eine Dominanz der Sorgerechtsgestaltung durch die Gerichte gerichtet sei, vgl. Losse FuR 1997, S. 100 (101) – zum Hinweis auf das erhebliche Einigungspotential im Rahmen der Gerichtsverhandlung vgl. darüber hinaus Coester FamRZ 1992, S. 617 (624); Rauscher NJW 1991, S. 1087; Salgo FamRZ 1996, S. 449 (453), die jeweils darauf hinweisen, dass in 85% der Scheidungsfälle dem Gericht einvernehmliche Lösungen unterbreitet und in weiteren 10% eine Einigung im Laufe des Verfahrens erzielt werde. 828 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64 = BR-Drucks. 180/96, S. 74. 829 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64 = BR-Drucks. 180/96, S. 74.

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

die Erziehung geeignet zu sein und dass eine gemeinsame Sorge nicht in Betracht komme. 830 Doch auch wenn die gemeinsame Sorge durch die Aufhebung des Zwangsverbundes danach einer gerichtlichen Kontrolle nicht unterliegen sollte, so stellte der Entwurf ausdrücklich fest, dass die Regelung des Antragsverfahrens nicht dahingehend auszulegen sei, dass die gemeinsame Sorge in Zukunft den gesetzlichen Regelfall darstelle und die Alleinsorge einen Ausnahmetatbestand. 831 Das zukünftige Verhältnis der beiden Sorgerechtsformen hänge im Wesentlichen von dem Verhalten der Eltern ab. 832 Es solle auch keine gesetzliche Vermutung begründet werden, dass die gemeinsame Sorge im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung sei. 833 Damit entfalle jegliche (formelle) Beweislast des Antragstellers hinsichtlich der Untauglichkeit der gemeinsamen Sorge, insbesondere schon deshalb, weil eine solche Beweislast im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wegen des dort vorgegebenen Amtsermittlungsgrundsatzes nicht bestehe. Es obliege daher den erkennenden Gerichten, zu ermitteln, ob die Voraussetzungen für die Übertragung der Alleinsorge vorlägen. 834 Damit trage der Entwurf einerseits der Tatsache Rechnung, dass es für die betroffenen Kinder das Beste sei, wenn sich die Eltern auch nach der Scheidung einvernehmlich um deren Angelegenheiten kümmerten. Für dieses Einvernehmen biete die gemeinsame Sorge die besten Rahmenbedingungen. Andererseits lasse sich die elterliche Gemeinsamkeit nicht verordnen. Überdies fehle es an Erkenntnissen, dass eine der möglichen nachehelichen Sorgerechtsformen dem Kindeswohl prinzipiell besser diene. 835 In der Gesamtheit erweist sich damit der Regierungsentwurf als der tiefgreifendste Reformansatz zur Trennungs- und Scheidungssorge innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens. Er wurde in der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses 836 unverändert übernommen 837 und schließlich am 16. Dezember 1997 verabschiedet. Er trat am 1. Juli 1998 in Kraft. Anhand des Entwurfs lassen sich 830

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 = BR-Drucks. 180/96, S. 72. Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61, 63 = BR-Drucks. 180/96, S. 71, 73. 832 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61,73 = BR-Drucks. 180/96, S. 71, 73. 833 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = BR-Drucks. 180/96, S. 73. 834 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = BR-Drucks. 180/96, S. 73. 835 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = BR-Drucks. 180/96, S. 73 mit einem kurzen historischen Überblick über die Strömungen ab den 70er Jahren beginnend mit der Bindungstheorie zu Gunsten der Alleinsorgeübertragung, die von einer vorrangigen Bindungsperson des Kindes ausgeht, über den Ansatz der Nachscheidungsfamilien zu Gunsten der gemeinsamen Sorge zu jüngsten Studien, die die positive Wirkung der gemeinsamen Sorge relativierten. 836 Vgl. BT-Drucks. 13/8511vom 12. September 1997. 837 Der Bundesrat hatte in seiner Stellungsnahme im Rahmen der 696. Sitzung am 3. Mai 1996 (vgl. BT-Drucks. 13/4877, Anlage 2 Ziff. 23) in Hinblick auf die Trennungs831

IV. Wertungsansätze der Entwürfe zur Kindschaftsrechtsreform

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bereits die wesentlichen Elemente der Reform ausmachen, mit denen eine grundlegende Zäsur in diesem Rechtsbereich eintrat. Vor allem wird die Bedeutung der Elternverantwortung bei Trennung und Scheidung verlagert, indem die Kontinuität der gesetzlichen Sorge nun nurmehr durch einen Antrag auf die Übertragung der Alleinsorge, nicht aber länger durch die Scheidung unterbrochen wird. Bis zu dieser von den Eltern eigenmächtig herbeigeführten Zäsur obliegt es nun ihnen allein, die Gestaltung und Anpassung der Lebensverhältnisse des Kindes nach der Auflösung der Familie durchzuführen. Der Gesetzgeber beschränkt sich hier auf eine durch das Gesetz unmittelbar eintretende Modifizierung der Zuständigkeiten, der lediglich grundlegende Entscheidungen der Eltern über Aufenthaltsbestimmung des Kindes und seine Betreuung vorausgehen muss. Damit erweitert die Reform die Erziehungsverantwortung im Rahmen der gesetzlichen Sorge um die eigenständige Gestaltung und Bewältigung des nachehelichen Sorgerechts. Dem liegt eine grundlegende Umgewichtung des Verhältnisses zwischen Staat und Familie und damit gleichzeitig auch eine Verlagerung der Parameter des Kindeswohls zugrunde. Denn der Eigenständigkeit und Autonomie der Familie wird mehr Bedeutung beigemessen, indem die Intervention der Gerichte solange vermieden werden soll, bis ein konkreter Anlass, ein Alleinsorgeantrag oder die konkrete Gefährdung des betroffenen Kindes, den staatlichen Eingriff in die Familiensphäre legitimiert. 838 Der Schutzauftrag durch das staatliche Wächteramt über das Wohl des Kindes wird damit auf die stärkere Wahrung der familiären Integrität und Schutz des Privatraumes vor der staatlichen Intervention verlagert. Der Kindeswohlbegriff vollzieht darin einen Wandel der Güterabwägung, der über die Partnerschaft hinaus den Eltern Eignung und Priorität in der Wahrnehmung der Kindesinteressen einräumt. Unter Hinweis auf die Konfliktanfälligkeit, und Scheidungssorge lediglich für die Gestaltung des § 1687 idF des Regierungsentwurfes folgenden Änderungsvorschlag unterbreitet: „Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so hat der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung. Hiervon ausgenommen sind Entscheidungen in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung wie Schullaufbahn, Berufswahl und Wahl des religiösen Bekenntnisses.“ Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Akzeptanz zu Gunsten der gemeinsamen Trennungssorge vor allem von der großzügigen Gestaltung der Alleinentscheidungbefugnis abhängen würde, so dass diese Zuständigkeite im Vordergrund der Regelung stehen sollte. Im Rahmen des Vermittlungsausschusses bestanden die vom Bundesrat entsandten Mitglieder nicht auf die Änderung und schlossen sich uneingeschränkt dem Regierungsentwurf an; vgl. dazu auch weitere Ausführungen unter Kap. B., Abschn. III.3. 838 Zum Aspekt der Stärkung der Parteienherrschaft im Verfahren der Trennungs- und Scheidungssorge vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 16, § 623 E-ZPO: „(1) Soweit in Familiensachen des § 621 Abs. 1 Nr. 5 bis 9. eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist und von einem Ehegatten rechtzeitig begehrt wird, ist hierüber gleichzeitig und zusammen mit der Scheidungssache zu verhandeln und, sofern dem Scheidungsantrag stattgegeben wird, zu entscheiden (Folgesache).“; kritisch dazu Rummel ZfJ 1997, S. 202 (203).

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

wenn einer der Elternteile eine Partnerschaft oder Ehe mit einer anderen Person hat, führt der Regierungsentwurf aus: „... es wäre jedenfalls verfehlt, das Interesse des Kindes an einer von der gemeinsamen Sorge getragenen Beziehung zu beiden Eltern geringer einzustufen als das Interesse eines Ehegatten an einer rechtlich möglichst schwach ausgestalteten Beziehung des anderen Ehegatten zu seinem Kind.“ 839 Die Übertragung oder Bewahrung der sorgerechtlichen Rechtsstellung wird damit gezielt eingesetzt, um die Bindung der Eltern-Kind-Beziehung zu stabilisieren und zu fördern. Das heißt, die Gewähr einer rechtlich geschützten Sorgerechtsposition dient auch dazu, den nicht betreuenden Elternteil zur Wahrnehmung seiner Verantwortung zu ermutigen und es ihm zu ersparen, in der Position des Bittstellers dem betreuenden Elternteil unterworfen zu sein. 840 Der Verlust der elterlichen Sorge wirke demotivierend mit der Folge, dass bisher mehr als die Hälfte aller geschiedenen Väter ein Jahr nach der Scheidung keinerlei Kontakt mehr zu dem Kind habe. 841 Die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge biete deshalb eine höhere Chance, dass das Kind den Kontakt zu beiden Eltern behalte. 842 Gleichwohl solle das Kind kein eigenes Antragsrecht erhalten. 843 Auch während der Ehe könne das Kind das sorgerechtliche Band zwischen den Eltern nicht lösen und nach der Ehe solle es daher allein den Eltern vorbehalten sein, zu entscheiden, ob sie nach der Ehe die Elternverantwortung weiterhin gemeinsam ausüben wollten. Zum Schutz des Kindes reiche es hingegen aus, das es bei Kindeswohlgefährdung eine Anregung der Jugendämter zur gerichtlichen Prüfung geben könne, ob den Eltern die elterliche Sorge gem. § 1666 entzogen werde. 844 Das Kindeswohl wird damit gegenüber dem historisch zunächst stetig gewachsenen Schutzauftrag des Staates gleichsam reprivatisiert und in die Zuständigkeit der Privatsphäre zurückgeführt. Der Staat zieht sich damit auf den konkreten Bedarf zur Schlichtung akuter Interessenkonflikte zurück. Anstelle des zeitlich fixierten Eingriffs wird nun die Trennungs- und Scheidungsintervention zu einem zeitlich offenen Interventionsangebot, das die Eltern in Anspruch nehmen können, wenn sie mit der 839

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 59 = BR-Drucks. 180/96, S. 69. Zur dem gegenüberstehenden Frage, inwieweit das Gesetz dazu geeignet ist, sozialpolitisch angestrebte Realitäten zu schaffen oder inwieweit allein bestehende Realitäten die Grundlage von gesetzgeberisch zulässigen Erwägung sein müssen vgl. Antrag der Grünen BT-Drucks. 13/3341, S. 9; Salgo FamRZ 1996, S. 449 (450); zur Tendenz in der Rechtspolitik typisierte Spannungsverhältnisse zu entschärfen vgl. Zenz 59. DJT, 1992, Referat M9/S. 15 ff. 841 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 = BR-Drucks. 180/96, S. 72; vgl. dazu auch DFGT FamRZ 1993, S. 1164 (1165), unter Hinweis auf die psychische und soziale Verbesserung der kindlichen Lebenssituation, die im Wesentlichen auf einer Vorbeugung resignativen Rückzugs eines Elternteils beruht; so auch Rummel ZfJ 1997, S. 202 (203). 842 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 = BR-Drucks. 180/96, S. 72. 843 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64, 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 74, 108. 844 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64 = BR-Drucks. 180/96, S. 74. 840

V. Zusammenfassung

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Option eigenständiger Sorgerechtsentscheidung nicht zurecht kommen. Die zeitliche Kopplung an den Trennungskonflikt wird damit aufgehoben und gleichsam durch ein Interventionsangebot bei gemeinsamer Sorge ohne Partnerschaft ersetzt. Diese Aspekte sind nun in der folgenden Betrachtung zu untersuchen und ihre rechtlich konkrete Auswirkung und Bedeutung zu ermitteln. Insbesondere vor dem Hintergrund der historischen Einflüsse soll darin Inhalt und Reichweite der gemeinsamen Sorge nach der neuen Rechtslage sowie die Abgrenzung der gemeinsamen Sorge von der Alleinsorge untersucht werden.

V. Zusammenfassung Im historischen Überblick haben sich einzelne Faktoren für die Entwicklung des Sorgerechts als besonders bedeutsam erwiesen, die nun einen ersten Zugang zur aktuellen Rechtslage bieten können. Neben den sich wandelnden Maßstäben des ehelichen und nachehelichen Sorgerechts sind vor allem die Folgen eines stetigen gesellschaftlichen Wandels und schließlich die Wertung der Rechtsprechung seit 1982 bei der Übertragung der gemeinsamen Sorge infolge des Urteils vom BVerfG prägend für das heutige Sorgerechtsverständnis geworden. Die Umsetzung dieser Impulse findet sich in unterschiedlicher Form in den Entwürfen, die während des Gesetzgebungsprozesses von den Bundestagsfraktionen eingebracht wurden. Im Vergleich zueinander veranschaulichen sie unterschiedliche Ansätze zur Verwertung der historischen Erfahrungen und stellen gleichzeitig erste spezifische Gewichtungen des nun geltenden Rechts dar. Im Ergebnis lassen sich daraus im Einzelnen zentrale Elemente der Rechtsentwicklung zusammenfassen. Einer der wichtigsten Einflüsse auf die eheliche Elternsorge, die die Rahmenbedingungen des gesamten Regelungsbereiches vorgibt, war dabei der Wandel von einer einseitigen Vormachtstellung des Vaters zu einer rechtlichen Gleichstellung beider Eltern. War also zunächst die Familie im Rahmen einer autoritären Ägide dem Diktat des Vaters unterstellt, so führte erst eine allmähliche Erweiterung der Rechtsfähigkeit der Frau zu einer rechtlichen Ausgestaltung der elterlichen Aufgaben. Denn das damit neu begründete Nebeneinander der elterlichen Rechtsstellungen führte eine Konkurrenz zwischen den Eltern ein, die für diesen Lebensbereich erst rechtliche Regulation und Interessenausgleich im Konfliktfall erforderlich machte. Parallel dazu rückten die Interessen des Kindes und die Grenzen der elterlichen Kompetenzen sowohl zeitlich als auch in ihrer Reichweite in das Zentrum der rechtlichen Wertung. Damit vollzog sich im Laufe der Rechtsentwicklung als grundlegender Parameter des Sorgerechts eine Verrechtlichung der Familienbeziehung, die gleichzeitig die tatsächliche und rechtliche Zuständigkeit für das Kind einander annähert. Denn die traditionell der Mutter zugewiesene Rolle der Betreuung wurde auf diese Weise erst im Laufe der Zeit mit der Sorgerechtsstellung verknüpft. Dies war verbunden mit einer grund-

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

legenden Veränderung im Verständnis des Rechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kind, indem es sich von einem eigentumsähnlichen zu einem Fürsorgeverhältnis wandelte. Das Kind wurde im Zuge dessen von einem Objekt rechtlicher Zuordnung allmählich zum Rechtsträger, dessen Rechtsschutz als eigenständiges Rechtssubjekt auf seine Bedürfnisse in der Verbundenheit zu seinen Eltern gerichtet war. Die Zielsetzung des Sorgerechts verlagerte sich dabei von einer ursprünglich eigentumsähnlichen Zuweisung der Kinder zu den Elternteilen, die sich in erster Linie an den Interessen der Eltern orientierte, hin zum Schutz und der Interessendurchsetzung des Kindes. Diese Priorität im Familienkonflikt zu Gunsten des Kindes fand schließlich Ausdruck im verfassungsrechtlich verankerten wächteramtlichen Schutzauftrags des Staates gegenüber dem Kind. In diesem Kontext entwickelte sich die nacheheliche Sorge, die immer nur soweit im Rahmen der Scheidung zu übertragen war, wie die Mutter als Rechtsträger der gesetzlichen Sorge dem Vater als Konkurrentin gegenüberstand. Demgegenüber blieb der Sorgerechtsbereich, der dem Vater eine alleinige Zuständigkeit zuwies, von der Scheidung unberührt. Die ersten Ansätze der Übertragung nachehelicher Sorge bestanden in gesetzlichen Zuweisungskriterien, wonach die Kinder nach Alter und Geschlecht sowie unter Berücksichtigung der Scheidungsschuld zugewiesen wurden. In der Entsprechung der patriarchalen Prägung blieben lange Zeit die Vermögenssorge und die Erziehung der heranwachsenden Kinder dem Vater vorbehalten. Diese statischen Vorgaben wurden im Laufe der Zeit von dem ausfüllungsbedürftigen Entscheidungskriterium des Kindeswohls abgelöst, bis es mit der Einführung des Zerrüttungsprinzips anstelle des Schuldprinzips 1976 zum einzigen Entscheidungsmaßstab wurde. Damit vollzog die Übertragung der nachehelichen Sorge im Rahmen der Verrechtlichung der Familienbeziehungen einen Wandel von einer weitgehend statischen gesetzlichen Zuweisung zu einer gerichtlichen Ermessensentscheidung im Einzelfall. Mit dem Kindeswohl trat gleichzeitig eine stärkere Orientierung der Sorgerechtsübertragung an den Interessen des Kindes ein. Die gesetzlichen Kriterien, mit denen die Kinder nach Alter, Geschlecht und Scheidungsschuld zugewiesen wurden, orientierte sich in erster Linie an den Eltern und ihrer gesellschaftlich zugewiesenen Funktion im Rahmen der Kindeserziehung. Insbesondere der väterliche Anspruch auf die Erziehung der Söhne lässt die vermögensähnliche Zuweisung erkennen. Demgegenüber führt das Kindeswohl die rechtliche Anerkennung des Kindes als Persönlichkeit ein. Als offener Rechtsbegriff konkretisierte sich das Kindeswohl in der Praxis vor allem durch Elemente wie die emotionale Bindung des Kindes, die Maximierung seiner Förderung und die Kontinuität der Lebensverhältnisse. Dabei vollzieht sich gleichsam eine Emotionalisierung der Sorgerechtsübertragung, indem die bestehenden Beziehungen und die psychische Unterstützung des Kindes in seiner weiteren Entwicklung in den Vordergrund der sorgerechtlichen Erwägungen gestellt wurden. Diese Tendenz war jedoch zunächst verbunden mit einer Vereinheitlichung und Konzentration der sorgerechtlichen

V. Zusammenfassung

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Zuständigkeit auf einen Elternteil, wobei vor allem der Schutz des Kindes vor drohenden Konflikten der Eltern und die Gewähr für Rechtssicherheit angestrebt wurden. Doch neben dieser einzelfallbezogenen Beurteilung durch die Gerichte und damit der umfassenden Gestaltungsprärogative des Staates bei der Neuordnung der nachehelichen Sorge entwickelt sich eine immer stärker werdende Rückbesinnung auf die Selbstheilungskräfte der Familie. So wurde als Instrumentarium der familiären Selbstbestimmung der Elternvorschlag immer bedeutender, indem die Rechtsentwicklung eine kontinuierlich zunehmende Bindung der Gerichte an die einvernehmliche Sorgerechtgestaltung durch die Eltern erkennen lässt. Parallel dazu traten neben die gerichtliche Intervention auch außergerichtliche Angebote durch Beratungsstellen und Jugendämter, um den Betroffenen außerhalb der prozessualen Konfrontation die Möglichkeit zu Erarbeitung einer eigenen Lösung zu bieten. Diese rechtlichen Tendenzen stehen in einem engen Zusammenhang mit gesellschaftlichen Tendenzen, die erheblichen Einfluss auf das Sorgerechtsverständnis und die Verfahrensgestaltung nahmen. Im Einzelnen hat sich dabei vor allem die Emanzipation der Frau in der Gesellschaft ausgewirkt, die sowohl in der sich verändernden Sorgerechtsstellung der Mutter als auch im Wandel des Rollenverständnisses zwischen den Ehepartnern zum Ausdruck kam. Infolge dessen veränderte sich auch der Familienbegriff, indem die Strukturen immer weniger von Herrschaftsstrukturen und immer stärker durch den Rechtsschutz jedes einzelnen Familienmitglieds geprägt wurden. Damit eng verknüpft war die Zielsetzung bzw. Funktion der Familie im Vorstellungsbild der Betroffenen, indem sie sich von einer sozialen Versorgungseinheit zu einer Quelle individuellen Glücksanspruchs wandelte. Das heißt, die Verrechtlichung der Familienbeziehungen war begleitet von einer Labilisierung des Verbandes durch die zunehmende Bedeutung der Einzelinteressen und durch erhöhte Erwartungen an das Zusammenleben. Die Lebensformen standen im Zuge dessen immer stärker zur Disposition und stellten damit auch die einseitig auf eheliche Partnerschaften ausgerichteten, rechtlichen Regelungsansätze zunehmend in Frage. Ein ähnlicher Wandel ließ sich erkennen am Verständnis des Eltern-KindVerhältnisses, das sich von einer weitgehend außerhalb der Öffentlichkeit den Erziehenden überlassenen Beziehung zu einem gesellschaftlichen Auftrag mit konkreten Erwartungen wandelte. Die rechtliche Emotionalisierung erwies sich damit als Antwort auf eine gesellschaftliche „Entdeckung des Kindes“. Diese verschiedenen Elemente haben sich bei als Ausgangspunkte für einen grundlegenden Wandel des Verhältnisses zwischen Familie und Staat und damit des Interventionsverständnisses erwiesen. Die wesentlichen Tendenzen für die Rechtsentwicklung lassen sich daher zusammenfassen als eine Entmoralisierung des Sorgerechts, die Entschematisierung bzw. Flexibilisierung des rechtlichen Ansatzes, eine Verrechtlichung bzw. Entprivatisierung der Familienbeziehung, ihre

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Individualisierung und schließlich als Gegenbewegung eine Reprivatisierung des Rechtsverhältnisses. Vor diesem Hintergrund sorgerechtlicher und gesellschaftlicher Entwicklung lässt der historische Überblick auch hinsichtlich der gemeinsamen Sorge als nacheheliche Sorgerechtsform einen signifikanten Wandel erkennen. So war die gemeinsame Sorge zunächst die unmittelbare Folge der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung, die sich zum einen aus der beschränkten Rechtsfähigkeit der Mutter und zum anderen aus der zeitlichen Aufteilung der Kinder nach Alter und Geschlecht ergab. Damit bestand die gemeinsame Sorge in erster Linie in einer zeitlichen oder funktionalen Verteilung der Einzelzuständigkeit zwischen den Eltern und stellt insoweit eine Form „aufgeteilter Sorge“ dar. Als spezifische Charakteristika lassen sich hier vor allem hervorheben, dass einerseits die gemeinsame Erziehungsverantwortung unabhängig von den Umständen des Einzelfalls universell gesetzlich angeordnet war, so dass nach der Scheidung ein Kooperationszwang der Eltern gesetzlich verankert wurde. Das Zusammenwirken und die beiderseitige Beteiligung der Eltern an der Kindeserziehung wurde also als eine rechtliche Selbstverständlichkeit aufgefasst, die weder durch Bereitschaft noch Nachweis der Fähigkeit zur Kooperation beschränkt wurde. Andererseits stand diese statische Sorgerechtsgestaltung im Widerspruch zur parallel sich dazu entwickelnden Einzelfallgestaltung und zum Bemühen um die optimale Umsetzung der individuellen Kindesinteressen. Sie war vielmehr Ausdruck einer väterlichen Erziehungsdomäne, die ihm das Vorrecht hinsichtlich der Heranwachsenden aber auch die Vertretungsmacht – anfangs für das gesamte Sorgerecht und später nurmehr für die Vermögenssorge – verlieh. Diese vom Einzelfall unabhängig gewährleisteten Kompetenzen dienten der Kontrolle des Vaters über die tatsächliche Betreuung durch die Mutter, so dass im Zuge der Emanzipation nicht umsonst Alleinsorge als Form der Befreiung der Mütter aufgefasst wurde. Demgegenüber entwickelte sich im Rahmen der zunehmenden Einzelfallgestaltung der nachehelichen Sorge bereits früh die zweite historische Erscheinungsform der gemeinsamen Sorge, die als Vorläufer der heutigen Regelung verstanden werden kann. Zwar war die zunehmende Bedeutung des Kindeswohls als sorgerechtlichem Entscheidungsmaßstab in erster Linie mit einer Konzentration der sorgerechtlichen Zuständigkeit nach der Scheidung auf einen Elternteil verbunden. Jedoch entwickelten sich Ansätze zur Fortsetzung der gemeinsamen Erziehungsverantwortung im Zuge gerichtlicher Ermessensausübung, indem man zum einen die zeitliche Aufteilung zur Überbrückung von Hindernissen bei der Sorgerechtsausübung erweiterte. Aber auch Argumente der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs bei übereinstimmender Bereitschaft beider Eltern und der eingeschränkten Regelungskompetenz des Staates, wo die familiären Selbstheilungskräfte funktionierten, wurden bereits gegen die Regelung des GleichberG von 1957 eingewandt, wonach „in der Regel“ die Alleinsorge vorgesehen war. Dagegen richtete sich die zunehmende Auffassung, dass das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und nachhalti-

V. Zusammenfassung

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ger Vermeidung von elterlichen Konflikten zum Schutz des Kindes die Aufhebung der gemeinsamen Sorge erfordere. Nachdem die durch das SorgeRG von 1979 eingeführte obligatorische Alleinsorge durch das BVerfG mit Urteil vom 3. November 1982 aufgehoben wurde, knüpfte die Diskussion direkt an diese frühere Kontroverse an. Das Urteil hatte entschieden, dass nach Maßgabe des Erziehungsrechtes zumindest dort die Alleinsorge gesetzlich nicht zwingend vorgegeben werden könne, wo die Eltern gewillt und in der Lage seien, die Erziehungsverantwortung auch nach der Scheidung gemeinsam auszuüben und dem keine Kindesinteressen entgegenstünden. Gegen die in das SorgeRG eingeflossene gesetzgeberische Einschätzung einer Instabilität gemeinsamer Sorge ging das Gericht sogar so weit, dass die nur vorübergehende Bewahrung gemeinsamer Elternsorge im Einzelfall dem Kindeswohl dienen könne, und wertete damit die rechtliche Verankerung beider Eltern-Kind-Beziehungen gegenüber einer prophylaktischen Konfliktvermeidung deutlich auf. Infolge dieses Urteils war nun die Rechtsprechung berufen, die eingetretene Regelungslücke unter Anwendung der im Urteil ausgewiesenen Kriterien zu schließen. Diese Vorläufer der Gesetzesreform sollten 15 Jahre anhalten und statten den Gesetzgeber mit einer Fülle von Einschätzungen und Erfahrungen in Vorbereitung auf das Gesetz aus. Die Rechtsanwendung hat sich als sehr uneinheitlich erwiesen. Anhaltende Unsicherheit führte lange Zeit zu einer zaghaften Anwendung des Rechtsinstituts der gemeinsamen Sorge und zeigte eine sehr starke Abweichung nach den einzelnen Bundesländern mit besonderem Schwerpunkt in Großstädten wie Berlin und Hamburg. Bis 1995 steigerte sich die durchschnittliche Verbreitung allmählich bundesweit auf 17,07%. Der Schwerpunkt gerichtlicher Beurteilung lag auf der objektiven und subjektiven Eignung der Eltern zur Fortsetzung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung. Vielfach wurden sehr strenge Anforderungen an die objektiven Voraussetzungen in der Person der Eltern gestellt. Zum einen wurde die Erziehungsfähigkeit anders als bei gesetzlicher Sorge sehr streng bewertet, indem beide Eltern hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit und persönlichen Eignung nach den Maßstäben der Alleinsorge beurteilt wurden, ohne dass etwa Ergänzungen zwischen den Eltern oder Kompensationen einzelner Defizite anerkannt wurden. Vorwiegend in der ersten Zeit wurden darüber hinaus überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten der Beteiligten verlangt mit der Begründung, diese Sorgerechtsform erfordere in besonderem Maße Abstraktionsvermögen der Beteiligten hinsichtlich des Partnerschaftsverhältnisses und der Ausübung elterlichen Verantwortung. Erst im Laufe der Rechtspraxis und empirischen Erhebung nahm diese Einschätzung einer elitären Sorgerechtsform deutlich ab. Als Schwerpunkt entwickelte sich daher die Kooperationsfähigkeit der Eltern als entscheidendes Kriterium. Hier wurden zunächst eheähnliche Maßstäbe angelegt, indem die Gerichte sowohl räumliche Nähe der Wohnorte der Eltern als auch permanente Abstimmung für erforderlich hielten. Demgegenüber konzentrierte sich später der

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A. Die gemeinsame Sorge im historischen Kontext

Fokus vorwiegend auf einen Nachweis tragfähigen Zusammenwirkens während der Ehe und der Trennungszeit. Zunehmende Bedeutung kam jedoch der subjektiven Eignung der Eltern, also ihrer Bereitschaft zur gemeinsamen Fortsetzung der Erziehungsverantwortung, zu. So galt es, die noch fortbestehende Überzeugung, dass mit der Ehe die „Erziehungskongruenz“ ende, zu widerlegen. Dabei stand der einvernehmliche Elternvorschlag im Vordergrund. Es wurden jedoch sehr unterschiedliche Anforderungen an die Regelungsdichte des Sorgerechtsplans der Eltern gestellt, indem teilweise umfassende Funktionsverteilungen verlangt wurden, während andere Auffassungen davor warnten, dass ein voreiliger Regelungszwang die spätere Anpassungsfähigkeit der Sorgerechtsausübung an die Lebensverhältnisse sehr erschweren könne. Besondere Bedeutung hatte in diesem Zusammenhang die Zielsetzung der Verfahren, sachfremde Motivationen der Eltern bei der Beantragung der gemeinsamen Sorge, etwa psychologische oder wirtschaftliche Bedrohung, Prozesstaktik oder Bestreben fortbestehenden Einflusses auf den ehemaligen Ehegatten, auszuschließen. Demgegenüber wurde nur teilweise die Möglichkeit einer Übertragung der gemeinsamen Sorge gegen den Willen der Eltern anerkannt. Im Mittelpunkt stand anhaltend die Regel-Ausnahme-Diskussion über das Verhältnis und die Rangfolge der Sorgerechtsformen, die in die folgende Betrachtung als noch immer aktuell einfließen kann. Mit Blick auf diese Entwicklung haben sowohl gesellschaftliche Interessengruppen als auch die Fraktionen des Deutschen Bundestages versucht, durch Gesetzentwürfe die historischen Tendenzen und die verfügbaren Erfahrungen mit der gerichtlichen Anwendung der gemeinsamen Sorge umzusetzen. Dabei sind sehr unterschiedliche Ansätze zum Ausdruck gekommen, die gerade im Vergleich die spezifische Gewichtung des Reformgesetzes verdeutlicht. So sah beispielsweise der Gesetzentwurf der Grünen-Fraktion die Fortsetzung des Scheidungsverbundes vor, wobei die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung lediglich einen einvernehmlichen Antrag vorsah, während nicht verheirateten Eltern mit gemeinsamer Sorge bei Trennung ein Antragrecht zur Übertragung der Alleinsorge eingeräumt werden sollte. Die SPD-Fraktion sah in ihrem ersten Entwurf von 1992 die Aufhebung des Scheidungsverbundes und die gesetzliche Zuteilung einer Alleinentscheidungsbefugnis des vorwiegend betreuenden Elternteils für Alltagssorge sowie die Übertragung der Alleinsorge auf Antrag oder von Amts wegen vor. Der spätere Entwurf von 1995 sah demgegenüber vor, dass die Gerichte zumindest eine einvernehmliche Entscheidung der Eltern über die Gestaltung des nachehelichen Sorgerechts kontrollierten. Die PDS-Fraktion schließlich verblieb weitgehend im gerichtlichen Scheidungsverbund nach altem Vorbild, wonach die nacheheliche Sorge nach Maßgabe des Kindeswohls auch bei elterlichem Einvernehmen durch die Gerichte zu prüfen war. Alle Entwürfe stellen insoweit Herangehensweisen dar, die in der Vergangenheit gesammelten Erfahrungen und gesellschaftliche Veränderungen in einer neuen Regelung umzusetzen.

V. Zusammenfassung

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Das KindRG ist nun vor diesem Hintergrund entstanden und bildet damit das Resultat einer langen Entwicklung. Dieser historische Rahmen soll daher nun die Grundlage sein für die folgende Betrachtung der heutigen Rechtslage der gemeinsamen Trennungssorge.

B. Gesetzliche Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG I. Einleitung Das KindRG ist am 1. 7. 1998 in Kraft getreten 1 und hat die Regelungslücke geschlossen, die durch die Aufhebung der obligatorischen Alleinsorge nach der Scheidung durch das Urteil des BVerfG im November 1982 entstanden ist. Die gemeinsame Sorge wird nun in eine gesetzliche Systematik eingebettet, die eine richterliche Rechtsfortbildung der vorangegangenen 15 Jahre ablöst. Dabei führt das Reformgesetz das Konzept einer zweistufigen Trennungs- und Scheidungssorge ein. Auf erster Stufe regelt das Gesetz nun unmittelbar eine Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung, mit der die Eltern nach ihrer Trennung die bestehende gemeinsame Sorge fortsetzen. Erst auf zweiter Stufe ist eine gerichtliche Regulierung des Sorgerechts vorgesehen, wenn ein Elternteil aufgrund der Trennung oder Scheidung die Übertragung der Alleinsorge beantragt. Die gemeinsame Sorge ist auf diese Weise nun als Sorgerechtsform nach Trennung und Scheidung gesetzlich vorgesehen. Sie hat damit eine universelle Erscheinungsform bekommen, die unabhängig vom Einzelfall und ohne Mitwirkung des Staates an ihrer Umsetzung eingreift. Vor dem historischen Hintergrund ist an dieser Stelle zu untersuchen, welche Gewichtung und Gestalt das Reformgesetz der gemeinsamen Sorge durch die gesetzliche Ausgestaltung verliehen hat und welcher Wandel damit vollzogen wurde. Ausgangspunkt ist der Tatbestand der gesetzlichen Trennungs- und Scheidungssorge gem. § 1687. Die Regelung der gemeinsamen Sorge sieht dabei vor: „(1) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so ist bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von besonderer Bedeutung ist, ihr gegenseitiges Einvernehmen erforderlich. Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Solange sich das Kind mit Einwilligung dieses Elternteils oder auf Grund einer 1

Vgl. Art. 17 § 1 KindRG.

I. Einleitung

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gerichtlichen Entscheidung bei dem anderen Elternteil aufhält, hat dieser die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung. (...) (2) Das Familiengericht kann die Befugnisse nach Abs. 1 Satz 2 und 4 einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.“

Der Tatbestand des § 1687 regelt damit nun auf gesetzlicher Ebene die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge nach Trennung und Scheidung durch eine konkrete Zuweisung von Zuständigkeiten. Er erfasst gleichermaßen die Personen- wie die Vermögenssorge. 2 Diese umfassende gemeinsame Sorge wird damit zu dem gesetzlichen Prototyp, mit dem die Trennungs- und Scheidungssorge zunächst universell auf gesetzlicher Ebene gestaltet wird. Das heißt, nicht die individuelle Beschaffenheit des Einzelfalls, sondern eine pauschale Güterabwägung für die Gesamtheit aller denkbaren Fallkonstellationen weist den Eltern nun sorgerechtliche Zuständigkeiten zu. Damit wird in all jenen Fällen, in denen die Eltern ihre gemeinsame Sorge nach der Trennung fortsetzen, nun also nicht mehr gerichtlich überprüft, ob sie geeignet oder gewillt sind, die Erziehungsverantwortung einvernehmlich auszuüben. In Fortsetzung der gesetzlichen Sorge gem. §§ 1626 sind beide Eltern in Folge der gesetzlichen Regulierung bis zu gegenteiligen Anhaltspunkten – sei es durch eine konkrete Kindeswohlgefährdung oder den Antrag auf Übertragung der Alleinsorge – berufen, die Kindesinteressen eigenständig wahrzunehmen. Das heißt, im Rahmen der gemeinsamen Sorge können die Eltern die Überleitung nach Trennung Scheidung autonom vollziehen und sind – anders als zuvor –, solange sie die Elternverantwortung also gemeinsam fortsetzen, allein zuständig für die Wahrnehmung der Kindesinteressen in der Familienkrise. Die gemeinsame Trennungssorge kann man damit als ein zentrales Element eines Systemwechsels verstehen, das hinsichtlich seiner Aussage und Auswirkung genau untersucht werden muss. Diese Vorüberlegung wirft für die nachfolgende Betrachtung eine Reihe von Fragen auf, die sich aus der Einführung eines Trennungssorgetatbestandes und einer automatischen Fortsetzung der gesetzlichen Sorge nach der Scheidung ergeben. Dabei sind zwei Blickwinkel für das Verständnis der aktuellen Rechtslage von besonderer Bedeutung. Zum einen bietet der Tatbestand der gemeinsamen Trennungssorge einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die Gesamtkonzeption der Reform. Denn als gesetzliches Regulierungselement fügt sich der Tatbestand in ein Stufenverhältnis von gesetzlicher und gerichtlicher Trennungssorgegestaltung, bei dem bereits grundlegende Reformansätze zum Ausdruck kommen. Zentrale Fragen nach dem grundlegenden Regelungsansatz, der gesetzgeberischen Güterabwägung zwischen den konkurrierenden Interessen und dem Verhältnis der Trennungssorge zur gesetzlichen Sorge gem. §§ 1626 ff stehen hier im Vordergrund. Unter Rückbeziehung auf die rechtshistorischen Erkenntnisse sollen dabei 2

Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 5.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

erste Charakteristika herausgearbeitet werden, die die gemeinsame Trennungssorge im Spannungsfeld zwischen staatlichem Wächteramt und familiärer Autonomie bestimmen. Eine zweite Ebene der Betrachtung des § 1687 richtet sich auf die konkrete Ausgestaltung der gemeinsamen Sorge. So führt das Gesetz konkrete Tatbestandsmerkmale ein, mit denen eine bestimmte Form der gemeinsamen Trennungssorge normativ vorgegeben wird. Die gemeinsame Sorgerechtsausübung wird auf diese Weise reguliert durch Zuständigkeitsbereiche beider Eltern, die ihr Zusammenwirken anhand von Funktions- und Kompetenzzuweisung gestalten. Hier sind insbesondere die drei Bereiche der jeweiligen Einzelzuständigkeit jedes Elternteils sowie der gemeinsamen Zuständigkeit auf ihren konkreten Regelungsgehalt bzw. die Reichweite der einzelnen Tatbestandsmerkmale zu untersuchen. Neben der Konkretisierung dieser offenen Rechtsbegriffe des Tatbestandes, bilden sich daran auch erste Anhaltspunkte für die Abgrenzung zur Alleinsorge und das Verhältnis zwischen der gesetzlichen Regulierung durch § 1687 und der gerichtlichen Einzelfallgestaltung gem. § 1671 3 heraus. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist, ob der Tatbestand der gemeinsamen Trennungssorge als Ausdruck eines übergreifenden Kindeswohlverständnisses interpretiert werden kann. Insbesondere die Gewichtung zwischen dem Schutz vor regelmäßig mit der Elterntrennung verbundenen Konflikten und der Bewahrung beider Eltern als Bezugspersonen für das Kind wird hier angelegt und kann als wichtiges Element für die Gesamtwertung des KindRG herangezogen werden. Von diesen beiden Elementen und den darin verankerten Fragestellungen ist die folgende Darstellung geleitet. Im Einzelnen richtet sich dabei das Augenmerk im ersten Abschnitt des folgenden Kapitels auf die grundlegende Bedeutung der gesetzlichen Gestaltung von Trennungs- und Scheidungssorge. In diesem Zusammenhang soll untersucht werden, von welchem Begriff der gemeinsamen Sorge das Gesetz in § 1687 ausgeht, worin die Funktion des Tatbestandes von § 1687 besteht und schließlich welche Problemen mit der gesetzlichen Normierung verbunden sind, woraus erste Folgerung für die gesetzliche Güterabwägung für die Trennungssorge gezogen werden können. Der zweite Abschnitt wendet sich dann der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung der Trennungs- und Scheidungssorge und den darin vorgesehenen Tatbestandsvoraussetzungen des § 1687 Abs. 1 zu. Im Anschluss wird die Änderungsentscheidung gem. § 1687 Abs. 2, sein Verhältnis zu anderen sorgerechtlichen Eingriffstatbeständen sowie der Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls vor dem Hintergrund der Kindeswohleinschätzung des § 1687 insgesamt untersucht. Im letzten Abschnitt werden schließlich erste empirische Erkenntnisse über die Rechtspraxis der gemeinsamen Sorge anhand eines Forschungsauftrages vom Bundesministerium der Justiz dargestellt und die gel-

3

Vgl. detaillierte Darstellung im Kap. C.

II. Gesetzliche Regelung der gemeinsamen Trennungssorge

195

tende Rechtslage zur kritischen Auseinandersetzung den Alternativkonzeptionen gegenübergestellt.

II. Übergreifende Bedeutung der gesetzlichen Regelung der gemeinsamen Trennungssorge Ausgangspunkt der Beurteilung der Trennungs- und Scheidungssorge ist die universelle Fassung des § 1687, mit der die gemeinsame elterliche Sorge nach Trennung und Scheidung fortgesetzt wird. Vor dem Hintergrund des facettenreichen Wandels dieses Rechtsinstitutes im Laufe der Rechtsentwicklung verleiht ihm das KindRG nun eine ausdrückliche gesetzliche Gestalt. Die gemeinsame Trennungssorge ist nun weder das Produkt gesetzlich vorgesehener Einzelzuständigkeiten von Vater und Mutter nach der Scheidung, mit denen die Kindschaftssorge zu Beginn der Entwicklung in seinen Bestandteilen trennscharf aufgeteilt wurde, noch folgt sie im Einzelfall aus der gerichtlichen Kindeswohlabwägung bei der Übertragung der Scheidungssorge, wie sie sich in ihren einzelnen Erscheinungsformen im Rahmen der historischen Betrachtung zuletzt dargestellt hat. Stattdessen leitet das Gesetz die Elternsorge aus der gesetzlichen Sorge vor der Trennung unmittelbar ab und beschränkt sich darauf, die Ausübung der fortgesetzten Rechtsstellungen der Eltern zu konkretisieren. Damit verzichtet das Gesetz nunmehr auf einen gesonderten Übertragungsakt und schafft einen neuen gesetzlichen Begriff der gemeinsamen Sorge nach Trennung und Scheidung. Mutet der Tatbestand der gemeinsamen Sorge zunächst so einfach und selbstverständlich an, erscheint er bei näherer Betrachtung als ein tief greifender Einschnitt in die Regulierung der Trennungs- und Scheidungssorge. Denn diese Vorschrift schafft eine universelle – also vom Einzelfall losgelöste – Sorgerechtsgestaltung, indem sie den Eltern aufgrund der Auflösung ihrer Partnerschaft konkrete sorgerechtliche Zuständigkeiten zuweist. Das Gesetz übernimmt damit eine konkrete Ausgestaltung der Sorgerechtsausübung, die zuvor der gerichtlichen Entscheidung vorbehalten war. Auf diese Weise entsteht eine Krisenregulation, die das Sorgerecht in dieser Form bisher nicht kannte. Denn auch das Antragsmodell der früheren Trennungssorge gem. § 1672 a.F. beschränkte sich darauf, den Betroffenen bei Regelungsbedarf die Möglichkeit zu eröffnen, das Gericht anzurufen. Eine situationsspezifische Regelung außerhalb der gerichtlichen Intervention bestand nicht, so dass sich das Sorgerechtsverhältnis im Übrigen uneingeschränkt nach dem allgemeinen Sorgerecht gem. §§ 1626 ff richtete. Die gemeinsame Trennungssorge in der Gestalt des § 1687 weist damit eine Doppelnatur auf, indem sie einerseits an bestehende Elternsorge nach allgemeinen Regelungen der gesetzlichen Sorge gem. §§ 1626 ff anknüpft und gleichzeitig die gemeinsame Sorgerechtsausübung nach der Trennung modifiziert, indem sie diese unter Ansehung auf die Besonderheiten der konkreten Lebensumstände

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

spezifisch regelt. 4 Damit verzichtet das Gesetz zwar auf eine staatlich kontrollierte Sorgerechtsübertragung anlässlich der Elterntrennung und erweitert die gesetzliche Sorge über die Elterntrennung hinaus als einzelfallunabhängige, universelle Einheitswertung. Aber gleichwohl lebt die bisherige Bedeutung der Scheidung eingeschränkt wieder auf, indem das trennungsbezogene Sorgerecht auch weiterhin ein Sonderbereich bleibt. Auf diese Weise entsteht ein Nebeneinander rechtlicher Wertungen, das für die Trennungssorge zum spezifischen Charakteristikum wird. Es wird gleichermaßen die partnerschaftliche Sorge fortgesetzt als auch die sorgerechtliche Trennungsregulation „mit anderen Mitteln“ eingeführt. Vor dem Hintergrund dieses spezifischen Charakteristikums der gemeinsamen Trennungssorge soll in der folgenden Betrachtung nun die Funktion und die übergreifende sorgerechtliche Wertung des § 1687 untersucht werden. Dabei richtet sich das Augenmerk zunächst auf die grundsätzliche Vorstellung von gemeinsamer Sorge nach der Trennung, wie sie durch die gesetzliche Ausgestaltung zum Ausdruck kommt. In diesem Zusammenhang soll die dem zugrunde liegende Vorstellung der gemeinsamen Rechtsausübung kritisch betrachtet und das Verhältnis zur gesetzlichen Sorge gem. §§ 1626 ff herausgearbeitet werden. Anhand des daraus hervorgehenden Leitbildes der gemeinsamen Sorge – insbesondere des Gemeinsamkeitsbegriffs – ergibt sich die Funktion und der konkrete Regelungsansatz, wie sie der Gesetzgeber in § 1687 angelegt hat. In diesem Zusammenhang sollen insbesondere die Möglichkeit abweichender Gestaltung der gemeinsamen Sorge durch die Eltern sowie die spezifischen Probleme und Gefahren, die sich aus der gesetzlichen Regulation der Trennungssorge ergeben, untersucht werden. 1. Wesenskern der gemeinsamen Sorge und die Anforderungen an die Gemeinsamkeit der Rechtsausübung Der § 1687 trifft eine spezifische Regelung der gemeinsamen Sorge für die Fallkonstellation, in der die Eltern ihre Erziehungsverantwortung auch nach Trennung und Scheidung gemeinschaftlich ausüben. Damit entsteht ein auf die Trennungssituation zugeschnittener Begriff der Gemeinsamkeit. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, welche Anforderungen an die gemeinsame Ausübung der Erziehungsverantwortung zu stellen sind. In welchem Maße müssen die beiden Rechtsstellungen bzw. Erziehungsbeiträge miteinander verflochten sein, um als gemeinsame Ausübung gewertet zu werden, und wo liegt die Schwelle zur Alleinsorge? Die gemeinsame Trennungssorge gem. § 1687 muss dabei den Zwiespalt zwischen der Entflechtung der Lebensbereiche beider Eltern und ihrer fortbestehenden gemeinsamen Sorgerechtsstellung durch sachgerechte Anforderungen an die elterliche Gemeinsamkeit lösen. 4

Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 5; OLG Bamberg FamRZ 1999 S. 803; vgl. dazu auch schon Belchaus ZfJ 1979, S. 328 f.

II. Gesetzliche Regelung der gemeinsamen Trennungssorge

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Daher stellt sich zunächst die Frage, was die sorgerechtliche Gemeinsamkeit im Wesentlichen ausmacht. Denn erst anhand dieser begrifflichen Bestimmung kann der Regelungsgehalt des § 1687 erfasst werden, so dass klar hervorgeht, ob der Tatbestand einen eigenen Gemeinsamkeitsbegriff schafft oder den Maßstab der §§ 1626 ff aufgreift und gesetzlich umsetzt. Die Sorgerechtsentwicklung hat eine Vielzahl von Ansätzen hervorgebracht, die den offenen Begriff der Gemeinsamkeit elterlicher Erziehungsverantwortung im Zusammenhang mit der Scheidung konkretisierten. 5 Ein Element bestand zunächst in der zeitlichen und der funktionalen Aufteilung der Erziehungszuständigkeit. 6 Im Vordergrund stand dabei ein Gemeinsamkeitsbegriff, der auf eine trennscharfe Aufteilung der Zuständigkeiten beider Eltern gerichtet war. Nicht die Verflechtung beider Rechtsstellungen, sondern die Ergänzung ihrer Einzelbeiträge zu einem Ganzen bildete dabei die Gemeinsamkeit. Durch die Zuweisung einzelner Funktionsbereiche oder der gesamten Elternsorge für bestimmte Zeitabschnitte wurden vor allem eine flexible Gestaltung und ein Vermeiden der statischen Zuweisung der elterlichen Sorge angestrebt. 7 Denn auf diese Weise sollte auf die sich wandelnden Verhältnisse und die veränderten Bedürfnissen des Kindes im Rahmen seiner Entwicklung durch gemeinsame Sorge reagiert werden, indem die Eltern bedarfsgerecht eingesetzt werden konnten. 8 Bedenken ergaben sich in Hinblick auf die hinreichende Prognostizierbarkeit 9 sowie die Kontinuität und Stabilität der Lebensverhältnisse des Kindes. 10 Vor allem aber fehlte es bei diesem Ansatz an Kooperation und Einigungsbereitschaft zwischen den Eltern, wodurch die künstliche Aufspaltung der Belange des Kindes die Einheitlichkeit seiner Erziehung zu vernachlässigen drohte. 11

5

Vgl. dazu im Einzelnen die weiteren Ausführungen in Kap. A., Abschn. II.3., insb. Abschn. II.3.b)cc). 6 Vgl. dazu §§ 92 ff ALR II 2, § 1635 a.F. von 1900, § 81 EheG v. 1938, § 74 EheG 1946 im Rahmen der gesetzlichen Zuweisung von Einzelzuständigkeiten, vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. A., Abschn. II.3.; im Bereich der gerichtlichen Einzelfallentscheidung vgl. vor allen Schwoerer NJW 1952, S. 284, 1254; ders. FamRZ 1958, S. 433; vgl. auch BayObLG FamRZ 1962, S. 165 (167 f). 7 Befürwortend als geringster Eingriff in das Elternrecht: OLG Stuttgart FamRZ 1982, S. 1235; KG FamRZ 1984, S. 1143; vgl. auch positive Beurteilung von Treitz S. 20 ff; vgl. darüber hinaus schon Schwoerer NJW 1952, S. 284, 1254; ders. FamRZ 1958, S. 433; dazu auch OLG Köln FamRZ 1977, S. 62 – hier wird überwiegend auf die Überbrückung vorübergehender Hindernisse in der Person des bevorzugten Elternteils abgestellt. 8 Vgl. Kropholler NJW 1984, S. 271 (275); Schwoerer NJW 1952, S. 285 f, 1254. 9 Vgl. Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 311; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 42. 10 Vgl. dazu schon BGH NJW 1952, S. 1254; KG FamRZ 1957, S. 176 OLG Frankfurt NJW 1962, S. 920; a. A. OLG Frankfurt FamRZ 1955, S. 146. 11 Vgl. Kropholler NJW 1984, S. 271 (276); vgl. dazu jedoch Knöpfel NJW 1983, S. 903 (909).

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Im Laufe der Rechtsentwicklung rückte demgegenüber die Qualität des Zusammenwirkens beider Eltern im Rahmen der gemeinsamen Sorgerechtsausübung stärker in den Vordergrund. 12 Jedoch blieb trotz dieser veränderten Gewichtung der gemeinsamen Rechtsausübung anerkannt, dass die Entflechtung der elterlichen Lebensbereiche aufgrund der Scheidung eine Funktionsaufteilung erforderlich machte. 13 Die Verknüpfung der elterlichen Rechtsausübung nach der Scheidung wurde also weiterhin gegenüber der gesetzlichen Sorge durch die Lebensbedingungen als nur beschränkt durchsetzbar angesehen. So entstand eine Form gemeinsamer nachehelicher Sorge, bei der die Rechtspositionen uneingeschränkt auf beide Elternteile übertragen wurden und die konkrete Ausübung einer individuellen Absprache vorbehalten blieb. Es haben sich in der Praxis dafür drei Modelle 14 herausgebildet, in denen die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern im Vorfeld des KindRG organisiert wurde. 15 Zum einen entstand das sog. Nestmodell, bei dem das Kind einen konstanten Lebensmittelpunkt hat, während die Eltern abwechselnd das Kind betreuen. 16 Eine weitere Erscheinungsform stellt das sog. Wechsel- bzw. Pendelmodell oder die alternierende Sorge dar. 17 12 Exemplarisch dazu vgl. LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404); OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266 (267); KG FamRZ 1980, S. 821 (823); so auch schon Schwoerer, Anm. zu OLG Hamburg FamRZ 1956, S. 242; Lempp FamRZ 1972, S. 315; ders. bereits NJW 1964, S. 440. 13 Im Wesentlichen wurde dabei jedoch zunächst auf den Teilungsmodus von Personenund Vermögenssorge gem. § 1671 Abs. 4 S. 2 a.F. abgestellt. 14 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 3 zu den alternativen Kindesbetreuungsmodellen; vgl. auch AG Hannover FamRZ 2001, S. 846. 15 Vgl. dazu bereits im Überblick: Oelkers FamRZ 1994, S. 1082; Oelkers / Kasten FamRZ 1993, S. 18 (20); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1687 Rz. 7; Schütz ZBlJugR 1987, S. 189 (190); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 42; AG Hannover FamRZ 2001, S. 846; historisch grundlegend bereits Lüderitz / Lenzen FamRZ 1971, S. 625; LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185; vgl. die Darstellung der amerikanischen Praxis Coester EuGRZ 1982, S. 256 (258); Fehmel FamRZ 1979, S. 380; Henning / StehleRemer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 44 ff; Kropholler JR 1984, S. 89 (91); Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (965); Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1; Neuhaus FamRZ 1980, S. 1089 jeweils insbesondere der Unterscheidung von „joint legal custody“ und „joint physical custody“. 16 Vgl. Coester EuGRZ 1982, S. 256 (261); Napp-Peters „Scheidungsfamilien“, S. 14; Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (871); BGH NJW 1972, S. 1254; KG FamRZ 1975, S. 176; OLG Frankfurt / M. FamRZ 1962, S. 171, 172; OLG Hamm FamRZ 1964, S. 577; OLG Stuttgart Justiz 1974, S. 128; OLG Köln FamRZ 1977, S. 62; zu den spezifischen Gefahren der Bindungsverluste und Entwurzelung des Kindes vgl. Wallerstein / Blanklee „Gewinner und Verlierer“, S. 315; Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120); Lempp „Ehescheidung und das Kind“, S. 37; vgl. dazu auch Kropholler JR 1984, S. 95; Finger DRiZ 1985, S. 96; Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 39; Jopt ZfJ 1990, S. 288; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132, 135); Oelkers / Kasten FamRZ 1993, S. 18 (20); Luthin „Gemeinsamens Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 55 f; Tatsachenstudien nach alter Rechtslage: Oelkers / Kasten / Oelkers FamRZ 1994, S. 1080 (1082), wonach kein einziger Fall des Nestmodells und 11% mit Wechselmodell auftraten; vgl. aber auch Limbach „Die gemeinsame Sorge

II. Gesetzliche Regelung der gemeinsamen Trennungssorge

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Das Kind lebt dabei abwechselnd in den Wohnungen der Eltern und hat bei beiden eine fest installierte Lebenssphäre und damit ein wechselndes Zuhause. Je größer die Entfernung zwischen den Elternhaushalten, desto länger sind bei dieser Gestaltungsform die einzelnen Perioden der Betreuung. 18 Das vorwiegend ausgeübte Modell bestand im sog. Residenz- bzw. Eingliederungsmodell, bei dem das Kind dauerhaft mit einem Elternteil zusammenlebt und stetigen Kontakt mit dem anderen Teil pflegt, der an den wesentlichen Entscheidungen beteiligt wird. 19 Der Tatbestand des § 1687 hat dabei dieses Eingliederungsmodell nun als Universalform der gesetzlichen Trennungssorge herausgegriffen und macht es zur Grundlage der Regelung. 20 Damit greift § 1687 einen Begriff der Gemeinsamkeit auf, der den Eltern im Rahmen ihrer tatsächlichen Betreuung bzw. im Rahmen des Umgangs jeweils eine alleinige Kompetenz zuweist und die Gemeinsamkeit im Sinne einer Verflechtung ihrer Rechtsausübung auf Abstimmung wichtiger Entscheidungen beschränkt. Dieser Gemeinsamkeitsbegriff soll nun kritisch untersucht werden. Denn die gesetzliche Gestaltung der gemeinsamen Trennungssorge hat eine Kontroverse darüber hervorgerufen, ob die darin vorgesehene Aufgabenverteilung zwischen den Eltern sorgerechtlichen Mindestanforderungen an Gemeinsamkeit genügt. So wird diskutiert, welche Mindestanforderungen an die Verflechtungen der elterlichen Erziehungsbeiträge und an die Mitwirkung jedes einzelnen Elternteils zu stellen sind. Im Vordergrund steht dabei, welche Aufteilung der Einzelfunktionen im Rahmen der gemeinsamen Sorge möglich ist, ohne den inneren Zusammenhang der Erziehung des Kindes zu gefährden. 21 geschiedener Eltern in der Rechtspraxis – eine Rechtstatsachenstudie“, S. 14, wonach nur 3% der Arrangements gemeinsamer Sorge auf einem alternierenden Modell beruhen. 17 Vgl. KG FamRZ 2006, S. 1626; AG Landstuhl FamRZ 1997, S. 102; zur aktuellen Rechtslage vgl. AG Hannover FamRZ 2001, S. 846; dass. FamRZ 2002, S. 563; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Celle FamRZ 2002, S. 121, wonach die Kindeswohlverträglichkeit wechselnder Lebensmittelpunkte nur in Ausnahmefällen anzunehmen sei. 18 Vgl. Lüderitz „Familienrecht“ Rz. 908. 19 Vgl. Oelkers / Kasten / Oelkers FamRZ 1994, S. 1080 (1082), demzufolge keinen einzigen Fall des Nestmodells und 11% mit dem Wechselmodell auftraten; vgl. aber auch Limbach „Die gemeinsame Sorge geschiedener Eltern in der Rechtspraxis – eine Rechtstatsachenstudie“, S. 14, wonach nur 3% der Arrangements gemeinsamer Sorge auf einem alternierenden Modell beruhen; BGH FamRZ 1990, S. 392 = NJW-RR 1990, S. 258; BGH FamRZ 1985, S. 169; OLG Hamburg FamRZ 1982, S. 532 (533). 20 Vgl. Wend FPR 1999, S. 137 (139); zu den Erkenntnissen der entwicklungspsychologisch vorteilhaften Auswirkung dieser Gestaltung der gemeinsamen Sorge vgl. AG Hannover FamRZ 2001, S. 846 (847); kritisch Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146; zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen vgl. weitere Ausführungen unter Abschn. III. 21 Die amtliche Begründung stellt in diesem Zusammenhang heraus: „die Anforderungen, welche die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge an die geschiedenen Eltern stellt, werden aber oft überschätzt. Gemeinsame Sorge verlangt keine dauernden Besprechungen und Entscheidungen“ (vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62).

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Die Kritik an der gesetzlichen Trennungssorge richtet sich zum einen auf die geringen Anforderungen an die Teilnahme des nichtbetreuenden Elternteils an der Erziehungsveranwortung und zum anderen auf die Aufteilung der Elternsorge in Einzelzuständigkeiten. So wird in Hinblick auf den ersten Aspekt die Frage aufgeworfen, ob die Sorgerechtsstellung durch reale Teilnahme an der Erziehungsverantwortung legitimiert werden muss und welcher Einblick in die Lebensverhältnisse des Kindes vorauszusetzen ist, um Entscheidungen für das Kind treffen zu können. Es sei zu befürchten, dass die Ausgestaltung des § 1687 den Begriff und die rechtliche Bedeutung der gemeinsamen Sorge verarmt und irreführend verkürzt. 22 Ausgehend von einem arbeitsteiligen Charakter der gemeinsamen Sorge müsse die Gemeinsamkeit vorrangig als eine ausgewogene Verteilung der praktizierten Verantwortung verstanden werden. 23 Die überwiegende Belastung eines Elternteils durch die alltägliche Betreuung stünde demnach in einem deutlichen Missverhältnis zum Zwang zur Teilung der Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich wesentlicher Entscheidungen. 24 Die Folge könnte ein Artefakt sein, wodurch das Eltern-Kind-Verhältnis künstlich auf die Entscheidungsvorgänge reduziert werde. 25 Eine Unterscheidung zur Alleinsorge erscheint dabei fast graduell. 26 Gleichzeitig drohe auf diese Weise eine Zerstückelung der sorgerechtlichen Einheit und der zusammenhängenden Lebenssachverhalte. 27 In diesem 22

Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457(470); ders. DNotZ 1998, S. 437; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1380; Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200); Oelkers FPR 1999, S. 132 (136); ders. FuR 1999, S. 349 (350); Rehberg FuR 1998, S. 1047 f; Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451); KG FamRZ 2000, S. 505; vgl. dazu auch Born FamRZ 2000, S. 396 (399); Johannsen / Henrichs / Jaeger § 1671 Rz. 35, 734; Willutzki KindPrax 1998, S. 8 (11). 23 So PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 6; unter Bezugnahme auf die Gefahr des Missbrauchs zur Einflussnahme auf die Lebensgestaltung des ehemaligen Lebenspartners vgl. Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451); dazu auch schon Coester FuR 1991, S. 70 (73); Fehmel FamRZ 1979, S. 380 (760); Finger DRiZ 1988, S. 12 (16); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130); Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 19; kritisch dazu Schwenzer 59. DJT 1992, S. A 64 (A 77); im Hinblick auf die vorangegangene Diskussion über die Befreiung der Frau durch die Möglichkeit der Alleinsorge als Durchbrechung patriarchaler Strukturen vgl. auch Heiliger FamRZ 1992, S. 1006 (1009). 24 Vgl. PDS-Antrag BT-Drucks. 13/7899, S. 6. 25 So Schwab FamRZ 1998, S. 457(470). 26 So vor allem die Kritik von Schwab, FamRZ 1998, S. 457 (463). 27 Vgl. BGHZ 3, S. 220; BGHZ 78, S. 108 (112); BayObLGZ 62, S. 409; dass. FamRZ 1976, S. 43; OLG Hamm FamRZ 1979, S. 177; dass. FamRZ 1976, S. 284; dass. FamRZ 1971, S. 177; OLG Zweibrück FamRZ 1983, S. 1055; einschränkend OLG Stuttgart FamRZ 1982, S. 1235; OLG Karlsruhe FamRZ 1984, S. 91; als vormundschaftsgerichtliche Maßnahme nach Maßgabe der §§ 1666, 1628 Abs. 2 a.F. befürworten: BGHZ 78, S. 108 (113) = NJW 1981, S. 126 (127) = FamRZ 1980, S. 1107 (1108); zum Zustimmungsrecht bei der Wohnsitzwahl und dem Recht das Zeugnis zu überprüfen: München FamRZ 1978, S. 620; anderes gilt im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die partielle Übertragung der Personensorge auf einen Vormund oder Pfleger zur Abwehr von Kindeswohlgefährdung, vgl. BGH NJW-RR 1986, S. 1264 (1265); vgl. dazu Dörr NJW 1989, S. 690 (692).

II. Gesetzliche Regelung der gemeinsamen Trennungssorge

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Zusammenhang wird auch auf die Tradition der bisherigen Scheidungssorge verwiesen, derzufolge die Personensorge als unteilbares Ganzes aufgefasst worden war. 28 Unzureichende Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche sowie die Gefahr für die Rechtssicherheit legt es zunächst nahe, dass die Eltern für eine funktionelle Aufgabenverteilung innerhalb der Personensorge die umfassende Verflechtung beider Sorgerechtspositionen sicherstellen müssen. 29 Für die Gliederung des § 1687 in drei Sorgerechtsbereiche, wie sie sich aus der alltäglichen Betreuung, dem Umgang des nichtbetreuenden Elternteils 30 sowie die gemeinsame Entscheidungszuständigkeit beider Eltern in wichtigen Fragen ergibt, hat sich die durch Schwab 31 geprägte Bezeichnung der „gespaltenen Sorge“ herauskristallisiert. 32 Dies sei Ausdruck von Leblosigkeit wie auch Theorielastigkeit der Trennungssorge und werde den Anforderung an die einheitliche Rechtsstellung beider Elternteile nicht gerecht, indem es die kindlichen Lebensbereiche in Teilaspekte künstlich auseinander reiße. Der Kern der einvernehmlichen und gemeinschaftlichen Sorgerechtsausübung beider Eltern zusammen ist tatsächlich auf die gemeinsame Entscheidung in wesentlichen Angelegenheiten beschränkt 33, während sich die gemeinsame Trennungssorge im Übrigen aus Einzelzuständigkeiten zusammensetzt. Damit sei – so die Kritik – letztlich ein aliud zur gesetzlichen

28

Vgl. BGHZ 3, S. 220; BGHZ 78, S. 108 (112); BayObLGZ 62, S. 409; dass. FamRZ 1976, S. 43; OLG Hamm FamRZ 1979, S. 177; dass. FamRZ 1976, S. 284; dass. FamRZ 1971, S. 177; OLG Zweibrück FamRZ 1983, S. 1055; einschränkend OLG Stuttgart FamRZ 1982, S. 1235; OLG Karlsruhe FamRZ 1984, S. 91; als vormundschaftsgerichtliche Maßnahme nach Maßgabe der §§ 1666, 1628 Abs. 2 a.F. befürworten: BGHZ 78, S. 108 (113) = NJW 1981, S. 126 (127) = FamRZ 1980, S. 1107 (1108); zum Zustimmungsrecht bei der Wohnsitzwahl und dem Recht das Zeugnis zu überprüfen: München FamRZ 1978, S. 620; anderes gilt im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die partielle Übertragung der Personensorge auf einen Vormund oder Pfleger zur Abwehr von Kindeswohlgefährdung, vgl. BGH NJW-RR 1986, S. 1264 (1265); vgl. dazu Dörr NJW 1989, S. 690 (692). 29 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 63; BT-Drucks. 7 /2060, S. 32; Erman / Rönke § 1671 Rz. 44. 30 Vgl. zum besonderen Stellenwert OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 111. 31 Vgl. FamRZ 1998, S. 457 (468); ders. DNotZ 1998, S. 441. 32 Er macht geltend, dass ab dem Zeitpunkt, von dem an die Eltern dauernd getrennt leben, von einer gemeinsamen Pflege und vielfach auch von gemeinsamer Erziehung nicht mehr die Rede sein könne. Diese Kriterien beinhalteten eine konkrete Ebene bei der Gestaltung des Alltags. Erziehung sei nicht, wie sich der Gesetzgeber vorgestellt habe, die juristische Festlegung von Erziehungsprinzipien, sondern das wirkliche Leben. Die Erziehung ereigne sich in einer stetigen Abfolge von Begegnungen, Situationen und Reaktionen. Vor allem beschränke sie sich nicht auf das bloße Herausheben einzelner Entscheidungsmomente. Sie beruhe vielmehr auf einem auf Gegenseitigkeit fußenden persönlichen Verhältnis, das vor allem im Alltag gelebt werde. Damit sei die gemeinsame Sorge der getrenntlebenden Eltern ein aliud gegenüber der eigentlichen gemeinsamen Elternsorge. 33 Vgl. dazu weitere Ausführungen, Abschn. B.III.2.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Sorge entstanden, das mit dem Grundgedanken der gemeinsamen Sorge nichts mehr zu tun habe. Diese Kritik erscheint jedoch bei näherer Betrachtung zweifelhaft. So scheint zum einen die Mindestanforderung an die Teilnahme jedes einzelnen Elternteils an der Elternverantwortung auf der Überzeugung zu beruhen, dass sich Rechte und Entscheidungsbefugnis der Eltern aus ihrer Pflichterfüllung durch Betreuung ableite. Dieser von Elterninteressen geleitete Blickwinkel, wie er im historischen Rückblick genauer betrachtet wurde, wird dem Charakter des Sorgerechts als Pflichtrecht nicht gerecht. Denn die Entscheidungskompetenz wäre demzufolge als ein aus der Mühe der konkreten Fürsorge abgeleitetes Recht und damit als verdiente Begünstigung des betreuenden Elternteils anzusehen. Die Entscheidungsbefugnis ist aber keine Belohnung für die Betreuungsleistung, sondern originärer Bestandteil der Elternverantwortung. 34 So umfasst das Pflichtrecht der Eltern, für die Erhaltung, Förderung und Entwicklung des Kindes zu sorgen und es zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu erziehen. 35 Daraus resultiert eine Vielzahl von konkreten Einzelbefugnissen, die nicht abschließend aufgezählt werden können und die zudem in ihrer Vielfalt nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. 36 Anstelle dieser Korrelation von Entscheidungsbefugnis und Betreuungsengagement im Sinn eines LeistungsGegenleistungs-Verhältnisses erscheint es daher sinnvoll, den Schwerpunkt der Gemeinsamkeit stärker auf die Ergänzung der Positionen zu legen. Vor allem aber beruht die Kritik an einer unzureichenden Gemeinsamkeit bei der gesetzlichen Trennungssorge auf dem Vorwurf, damit werde die sorgerechtlich angelegte Verflechtung der elterlichen Erziehungsbeiträge sachwidrig verkürzt. Es erscheint jedoch zweifelhaft, dass die gesetzliche Sorge gem. §§ 1626 ff tatsächlich eine weitergehende Verknüpfung der Erziehungsbeiträge und Anteilnahme jedes Elternteils zwingend vorsieht. Zwar ist der grundlegende Begriff des Eltern-KindVerhältnisses durch die elterliche Sorge, also die Fürsorge beider Eltern für das Kind, charakterisiert. 37 Dabei ist deren gesetzliche Umsetzung gem. §§ 1626 ff zunächst von der Vorstellung geprägt, dass die einvernehmliche Erziehungsverantwortung grundsätzlich auf der partnerschaftlichen Verbindung der Eltern beruht. Diese innere Verbundenheit der Eltern und die daraus folgende Verknüpfung ihrer Lebensbereiche erscheinen zunächst als die wesentliche Basis für die Koordinati34

Vgl. Palandt / Diederichsen § 1626 Rz. 10 ff, § 1627 Rz.1. Vgl. MüKo / Huber § 1631 Rz,2; ders. § 1626 Rz. 32; Gernhuber / Coester-Waltjen § 62, I 1; OLG München FamRZ 1999, S. 1007; AG Fürstenfeldbruck FamRZ 2002, S. 117. 36 Vgl. dazu MüKo / Huber § 1626 Rz. 32; Dölle II § 92 I1. 37 Als philosophisch geprägter Begriff besagt das Wort der Sorge (lat. cura) „ängstliches Bemühen“, „hingebender Einsatz“ und gehört in psychologischer Hinsicht zu den gerichteten Gefühlen und ist eine Art Vorkehrung für die Begegnung in der Zukunft, vgl. Hoffmeister „Wörterbuch der Philosophischen Begriffe“ S. 566 zum Begriff der Sorge unter weiterer Verweisung auf Heidegger „Sein und Zeit“ §§ 39 ff. 35

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on der beiden umfassenden Rechtsstellungen der Eltern. Die Gemeinsamkeit der Rechtsausübung wird demzufolge assoziiert mit alltäglichem Zusammensein mit dem Kind und einem regelmäßigen Austausch der Eltern über die Ausübung ihrer Erziehungsverantwortung. Die Sorgerechtsausübung ist damit letztlich Bestandteil einer harmonischen Realisierung eines übereinstimmenden Lebenskonzeptes. Jedoch fragt sich, ob dieses Ideal geeignet ist, als sorgerechtlicher Maßstab zu dienen und ob es die Realität gemeinsam ausgeübter Elternsorge überhaupt angemessen widerspiegelt. Stattdessen muss das Leitbild der gemeinsamen Sorgerechtsausübung überprüft werden, wie es die gesetzliche Sorge gem. §§ 1626 ff prägt. Denn an die Sorgerechtsausübung der Eltern nach der Trennung können keine höheren Anforderungen gestellt werden als während der Zeit ihrer Partnerschaft. So weist § 1626 Abs. 1 S. 1 zwar jedem Elternteil gleichrangig und gleichberechtigt eine selbständige elterliche Sorge mit den dazugehörigen Rechten und Pflichten zu. 38 Damit ist auch jeder Elternteil Inhaber der Gesamtheit 39 der aus der Sorgerechtsstellung abzuleitenden Pflichtenstellung. 40 Obgleich aber das so gezeichnete Leitbild der gesetzlichen Sorge 41 zunächst die umfassende Versorgung des Kindes durch beide Eltern suggeriert, steht bei der Ausübung der Elternsorge das gegenseitige Einvernehmen im Vordergrund. Eine gemeinschaftliche Ausübung ist dabei aber gerade nicht erforderlich und wäre bei alltäglichen Fürsorge- und Erziehungsmaßnahmen lebensfremd. 42 Insbesondere, wenn man die traditionelle Rollenverteilung berücksichtigt, die der Frau vorwiegend den häuslichen Bereich und damit die Kinderbetreuung zuwies, während der Mann durch seine Berufstätigkeit für die wirtschaftliche Grundlage des Familienverbandes sorgte 43, ist eine Prämisse des Gesetzes zu Gunsten einer ausgewogenen Beteiligung an der Kinderversorgung nicht erkennbar. 44 38 Zur Meinungsverschiedenheit darüber, ob es sich bei dem gemeinsamen Sorgerecht um eine einheitliche Rechtsstellung oder um zwei selbständige Rechte handelt vgl. Gernhuber / Coester-Waltjen § 57 I 2; Staudinger / Peschel-Gutzeit §1626 Rz. 34; OLG Schleswig FamRZ 1965, S. 224 (226). 39 Unter besonderem Hinweis auf die identische Pflichtenstellung von Vater und Mutter vgl. Staudinger / Peschel-Gutzeit § 1627 Rz. 2, einschränkend auch MüKo / Huber § 1626 Rz. 18. 40 Vgl. Erman / Michalski § 1627 Rz. 1; MüKo / Huber § 1626 Rz. 18; Soergel / Strätz § 1627 Rz. 3. 41 So wird das Leitbild gem. § 1627 neben dem Element der gleichrangigen und gleichberechtigten Sorgerechtsstellung jedes Elternteils auch mit der Grundprämisse charakterisiert, dass die Ausübung der Elternsorge durch beide Eltern grundsätzlich dem Kindeswohl dient und dass die eigenverantwortliche Ausübung der elterlichen Sorge Vorrang vor staatlichen Eingriffen hat (vgl. MüKo / Huber § 1627 Rz. 2). 42 Vgl. Erman / Michalski § 1627 Rz. 1; MüKo / Huber § 1627 Rz. 5, 7; Staudinger / Peschel-Gutzeit § 1627 Rz. 11; Siebert NJW 1955, S. 1 (2). 43 Vgl. Struck in Wiesner / Zarbock, S. 79 (81); Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 102; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 337.

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Im Zentrum der sorgerechtlichen Gemeinsamkeit nach Maßgabe der §§ 1626 ff steht demgegenüber die einvernehmliche Willensbildung, die lediglich ein elterliches Zusammenwirken in wichtigen Angelegenheiten voraussetzt. 45 Solange die Eltern jedoch insoweit abgestimmt sind, wird das Einvernehmen jenseits dessen für jeden Elternteil die Befugnis einschließen, die Entscheidungen des täglichen Lebens allein zu treffen. 46 Das heißt, dass auch im Rahmen der gemeinsamen Sorge während der Partnerschaft in Anlehnung an die Lebensrealität von einer starken Funktionsteilung ausgegangen wird, ohne dem nicht vorwiegend betreuenden Elternteil seine umfassende Sorgerechtsstellung oder Entscheidungsbefugnis in Angelegenheiten des Kindes abzusprechen. Auch die im Rahmen der Partnerschaft oftmals unterstellte Kompensation der eigenen Erfahrungen mit dem Kind durch intensiven Austausch der Eltern ist eine im Gesetz nicht verankerte Annahme. Vielmehr wird deutlich, dass der gesetzliche Gemeinsamkeitsbegriff der §§ 1626 ff jenseits der Teilnahme beider Eltern an wichtigen Entscheidungen keine verbindlichen Vorgaben trifft. 47 Die Gestaltung der gemeinsamen Sorge ist den Eltern im Rahmen ihrer Erziehungsautonomie in den Grenzen der Kindeswohlgefährdung gem. § 1666 selbst überlassen. 48 Das heißt, das Sorgerecht sieht weder eine weitergehende Gemeinsamkeit vor, noch ist eine aktive Beteiligung an der Elternfürsorge zur Legitimation der Rechtsstellung geregelt. Im Ergebnis folgt daraus, dass die Gemeinsamkeit und Funktionsverteilung der elterlichen Verantwortung kein sorgerechtlicher Regelungsbereich ist, sondern eine durch die Eltern frei und individuell zu konkretisierende Erziehungsgestaltung darstellt. Im Rahmen des gleichrangigen Sorgerechts beider Eltern ist rechtlich nur die Gewährleistung der umfänglichen Fürsorge durch Abstimmung einer tragfähigen Funktionsteilung gefordert. Für die Regelung der Trennungssorge folgt daraus, dass die in § 1687 vorgesehenen Funktionsverteilungen den Anforderungen bei gesetzlicher Sorge entsprechen. 49 Sie bestimmt also weder die Reduktion eines sorgerechtlichen Gemeinsamkeitsbegriffs noch trifft sie eine Aussage darüber, worin die angemessene Ausübung des umfänglichen Sorgerechts jedes Elternteils bestehen soll. 50 Dies bleibt in der Fortsetzung der bestehenden Rechtsstellung eine den Eltern vorbehaltene Konkretisierung. 51 Stattdessen trifft § 1687 eine 44

Vgl. dazu Kap. A., Abschn. II.1. Vgl. Erman / Michalski § 1627 Rz. 3; MüKo / Huber § 1627 Rz. 6; Palandt / Diederichsen § 1627 Rz. 1; Soergel / Stätz § 1627 Rz. 5. 46 Vgl. MüKo / Huber § 1627 Rz. 7; Soergel / Strätz § 1627 Rz. 5; Siebert NJW 1955, S. 1 (2). 47 Vgl. MüKo / Huber § 1627 Rz. 5 mwN. 48 Vgl. ähnliche Wertung zum Gesamtcharakter des Reformgesetzes OLG Dresden FamRZ 2002, S. 632. 49 Zur allgemeinen Überschätzung der Anforderungen an gemeinsame Sorge vgl. BTDrucks. 13/4899, S. 62. 50 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1687 Rz. 1. 45

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Funktionsverteilung, die in der gesetzlichen Sorge vorgesehene Absprache der Eltern durch eine Zweifelsregelung ersetzt. Regelungsinhalt der Trennungssorge gem. § 1687 ist also keine Gestaltung der Rechtsstellungen, sondern eine bloße Kompensation der durch die Trennung ggf. beeinträchtigten Einigungsfähigkeit der Eltern und durch die neuen Verhältnisse der Betroffenen bestehenden Koordinierungshindernisse. Der Gemeinsamkeitsbegriff des § 1687 stimmt mit dem der §§ 1626 ff überein. 2. Funktion des Trennungssorgetatbestandes und Abgrenzung zur Alleinsorge Dieser Aspekt der Kompensation von Koordinationshindernissen lenkt das Augenmerk auf die Funktion des Tatbestandes der Trennungs- und Scheidungssorge. Einerseits erweist sich also die gemeinsame Trennungssorge als keine eigene Form der Elternsorge, sondern eine spezifische Ausgestaltung der gesetzlichen Sorge. Das heißt, dass die gesetzliche Sorge beider Eltern uneingeschränkt bestehen bleibt und die Eltern damit zunächst einmal auch die darin angelegte umfassende Gestaltungsfreiheit bei ihrer Sorgerechtsausübung genießen. 52 Andererseits regelt das Reformgesetz einen spezifischen Trennungssorgetatbestand, der den besonderen Anforderungen in dieser Lebenssituation gerecht werden soll. In diesem Zwiespalt kommt ein veränderter gesetzlicher Wertungsansatz gegenüber dem bisherigen Gefahrentatbestand der Scheidung gem. § 1671 aF zum Ausdruck 53, der Anhaltspunkte für Regelungsinhalt und Regelungsfunktion des § 1687 bietet. Die Gewichtung der wächteramtlichen Schutzfunktion des Staates hat sich demzufolge verlagert. Zwar steckt in diesem Regelungsansatz die gesetzgeberische Entscheidung, die Trennungssorge zum Bestandteil einer einheitlichen gesetzlichen Sorge zu machen. 54 Die gemeinsame Sorge soll also der gerichtlichen Kontrolle in Hinblick auf Scheidung und Trennung entzogen und auf den allgemeinen Gefahrentatbestand des § 1666 beschränkt werden. 55 Eine individuelle Prüfung der Kindesinteressen und deren Umsetzung durch ein Gericht finden 51

Vgl. auch OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 (1043). Zur Verlagerung des Regelungsansatzes vgl. auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 1 f. 53 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 108, dort heißt es ausdrücklich, „dass die Trennung als solche kein Anlass ist, die allgemeine Eingriffsschwelle herabzusenken, solange Eltern selbst keinen Antrag auf Alleinsorge stellen.“ 54 Der Gesetzgeber hat sich jedoch gegen eine Bevorzugung der gemeinsamen Sorge ausdrücklich verwahrt vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61, 63 = BR-Drucks. 180/96, S. 71, 73. 55 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61, 98 = BR-Drucks. 180/96, S. 71, 108; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1671 Rz. 1; zur Beschränkung der amtswegigen Folgesachen vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 1; zur Kritik an der „Verengung des legislatorischen Ansatzes vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (465 f). 52

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damit anlässlich der Familienkrise nicht mehr statt. Gleichzeitig bleibt jedoch die spezifische Regulierung der Trennungssorge nach wie vor bestehen, indem eine gesetzliche Regulierung die Verteilung der Funktionsbereiche der Eltern innerhalb ihrer fortbestehenden Rechtsstellungen gestaltet. Damit rücken die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Sorge und die Sicherstellung einer Verknüpfung der einzelnen Rechtspositionen in den Vordergrund staatlicher Einflussnahme. Ohne also die Rechtsstellungen selbst zu gestalten, entwirft das Gesetz ein Modell der Ausübung der gemeinsamen Erziehungszuständigkeit. Die normative Gestaltung des § 1687 ersetzt demnach die in § 1627 vorgesehene einvernehmliche Absprache der Eltern über die Verteilung ihrer Sorgerechtsbeiträge. 56 Ausgangspunkt der Regelung bleibt also die Annahme einer besonderen Konfliktanfälligkeit des Elternverhältnisses aufgrund der Trennung. Der bisher als Gefährdungspotential für das Kind eingeschätzte Mangel an Kooperationsbereitschaft der Eltern wird nun unmittelbar ausgeglichen, indem die Absprache zwischen den Eltern durch eine pauschalierte Regelung ersetzt wird. Der Gesetzgeber gleicht die Trennungsbelastung nun durch eine Art Einigungssubstitut bzw. einen Planersatz aus, so dass sich seine wächteramtliche Wahrnehmung der Kindesinteressen auf die bloße Beseitigung von Funktionshindernissen beschränkt. Im Vordergrund steht dabei eine kindeswohlorientierte Anpassung der Elternsorge an die trennungsbedingte Veränderung der Lebensverhältnisse. Vor allem der mit der Umbruchsituation verbundenen Verunsicherung und Angst, von den Anforderungen an die gemeinsame Fortsetzung der Elternverantwortung überfordert zu sein, soll abgeholfen werden. 57 Gleichzeitig wird die Handlungsfähigkeit gewährleistet, indem das Gesetz die äußerlichen Ausübungshindernisse mindert und die Konfliktanfälligkeit der Trennungssorge eingrenzt, indem sich die gemeinsame Sorgerechtsausübung auf den wesentlichen Kernbereich konzentriert. 58 Soweit also die Eltern keine abweichende Abrede über ihr sorgerechtliches Zusammenwirken treffen, legt § 1687 somit eine verbindliche Funktionsverteilung fest, die nur im Einvernehmen geändert werden kann. 59 Der gesetzliche Einigungs56 Vgl. Palandt / Diederichsen, 62. Aufl. § 1687, Rz. 4, wonach die gemeinsame Sorge die Eltern verpflichtet, sie in gegenseitigem Einvernehmen auszuüben und sich bei Meinungsverschiedenheiten zu einigen. 57 Vgl. dazu die Begründung des RegE, BT-Drucks. 13/4899, S. 107; vgl. auch Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 173. 58 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 58; 13/8511, S. 67; Johannsen / Henrich / Jager 3. Auflage § 1687 Rz.1. 59 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 (1043); Weitergehend wird sogar teilweise davon gesprochen, dass es in der Zuständigkeitszuordnung eine gemeinsame Entscheidungsbefugnis nur für Angelegenheiten geben soll, deren Regelung für das Kind bedeutsam ist. Diese Formulierung legte es nahe, dass eine darüber hinausgehende Rechtsstellung des Elternteils bei dem das Kind nicht lebt auch nicht bestehen soll. – vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 56; zur Disposition über die gesetzliche zugewiesenen Kompetenz vgl. auch den folgenden Abschnitt.

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ersatz stellt damit einen Auffangtatbestand für den Zweifelsfall dar, der anhand der typischen Lebenssituation nach der Trennung eine Regelung des kleinsten gemeinsamen Nenners trifft. 60 Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie die geringsten Anforderungen an die konkrete Ausgestaltung der Lebensverhältnisse stellt, indem sie ein Minimum an gemeinsamer Sorgerechtsausübung beider Eltern und alleinige Kompetenz im Rahmen der Betreuung des Kindes bzw. im Umgang anweist. 61 Minimale Anforderungen und Praktikabilität bestimmen auf diese Weise nun die gesetzliche Vorgabe für die gemeinsame Sorge nach der Trennung. Daraus lassen sich auch zentrale Elemente der Zielsetzung der Vorschrift ableiten. Dabei ist zunächst der Regelungsgegenstand genauer zu betrachten. Aufgrund der spezifischen äußeren Bedingungen sind hier gegenüber der allgemeinen gesetzlichen Sorge zusätzliche Regelungsaspekte einzubeziehen und ein sehr viel komplexerer Interessenausgleich vorzunehmen. So ist zum einen das Bestreben der Eltern, nach der Trennung eine voneinander unabhängige Lebensgestaltung auszuüben, in Einklang zu bringen mit der Fortsetzung der Elternsorge. Die Bereitschaft zur permanenten und engmaschigen Verknüpfung der Erziehungsbeiträge ist in den meisten Fällen gegenüber der Zeit der Partnerschaft deutlich vermindert. Eltern- und Partnerschaftsebene lösen sich voneinander ab mit der Folge, dass das Sorgerecht nicht mehr vom Paar einheitlich, sondern durch die Eltern als Einzelpersonen gesondert ausgeübt wird. 62 Damit tritt neben die Eltern-KindEbene regulativ auch der Interessenausgleich zwischen den Eltern. Anders als bei der gemeinsamen Sorge während der elterlichen Partnerschaft ist durch die Regulierung des Sorgerechts nicht nur die Rechtsstellung der Eltern zum Kind zu bestimmen, sondern auch noch das Verhältnis der Eltern untereinander. Zum anderen tritt eine erhöhte Krisen- und Konfliktanfälligkeit der Trennungslage hinzu. Die sorgerechtliche Gestaltungsfreiheit der Eltern steht damit einem erhöhten Schutzbedürfnis des Kindes gegenüber. Das rechtliche Geflecht der Trennungsfamilie wird daher komplexer und differenzierter und hat Kindesinteressen und Elterninteressen stärker zu unterscheiden und rechtlich auszugestalten. Die demzufolge erforderliche Harmonisierung der verschiedenen Interessen kann entweder durch eine stärker qualitative oder eine quantitative Gewichtung umgesetzt werden. Das heißt, man stellt entweder eine optimale Ausnutzung des erzieherischen Potentials beider Eltern im Einzelfall in den Vordergrund oder eine möglichst risikofreie breite Anwendbarkeit auf die „gewöhnliche“ Trennungsfamilie. Die aktuelle Rechtslage hat letzteres vorgezogen und die damit verbundene qualitative Zurückhaltung in Kauf genommen. Daraus folgt, dass die Vorschrift in 60

Kritisch Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146. Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 43. 62 Im Ansatz so auch schon AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500), unter Hinweis auf die zusehends geringe Bedeutung der Kontakte bei der Ausübung der gemeinsamen Trennungssorge. 61

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erster Linie auf den Schutz des Kindes und nicht auf die Optimierung der Kindesinteressen gerichtet ist, wie sie die gerichtliche Prüfung gem. § 1671 a.F. prägte. Die Reduktion der „typischen“ Gefährdungslage bei Trennung steht im Vordergrund, so dass § 1687 ein Minimalstandard die gemeinsame Sorge regelt 63, der sich nicht am sorgerechtlichen Ideal, sondern an den Mindestanforderungen orientiert. Die rechtlichen Vorgaben werden also daran dem orientiert, was nach Maßgabe des standardisierten „normalen“ Trennungsfalls für die gemeinsame Rechtsausübung erwartet werden kann. Damit verkörpert der Rechtsbegriff der Trennungssorge keine statische Kategorie, sondern eine nach den Umständen variabel zu definierende Grundstruktur. Bei dieser universellen Sorgerechtsgestaltung standen drei Überlegungen im Vordergrund: (a) Es soll gewährleistet werden, dass der Elternteil, bei dem das Kind lebt, sich nicht ständigen Auseinandersetzungen mit dem anderen Elternteil über Detailfragen ausgesetzt sieht. (b) Die konfliktmindernde Alleinentscheidungsbefugnis soll andererseits nicht so weit gehen, dass die gemeinsame Sorge zu einer leeren Hülle wird. (c) Der Umfang der Alleinsorgebefugnis soll möglichst klar geregelt sein. 64 Die gemeinsame Trennungssorge stellt sich daher im Wesentlichen als ein Kompromiss zwischen einer Verselbständigung und einer Verknüpfung der beiden elterlichen Rechtsstellungen dar. Im Spannungsverhältnis dieser beiden Gegenströmungen ist die gesetzliche Trennungssorge auf das Bewahren der Eltern-Kind-Beziehung gerichtet. 65 Dabei lassen sich in der Regelung des § 1687 gleichermaßen Elemente der Minimierung und Maximierung ausmachen. So kann ein universelles Gesetz zunächst nur eingeschränkt gestalten und muss daher den erfassbaren und äußerlich gestaltbaren Bestandteil dieses Regelungsbereiches herausgreifen, indem es die spezifischen Risiken der Trennung reguliert und die Mindestvoraussetzung der gemeinsamen Sorgerechtsausübung bestimmt. Die Regelung bekommt damit einen defensiv flankierenden Charakter, der darauf gerichtet ist, die Wesenhaftigkeit der gemeinsamen Sorge auch in der durchschnittlichen Trennungslage zu gewährleisten. Die Funktion der gesetzlichen Ausgestaltung greift dort ein, wo die Veränderung der Lebensverhältnisse den Zusammenhang der Erziehungsbeiträge in Frage stellt. Im Vordergrund stehen dabei weiterhin die zentralen Grundelemente der gemeinsamen Sorge, die einerseits aus der Maximierung der elterlichen Erziehungsmitwirkung und andererseits aus einer Minimierung der staatlichen Regulation der Elternsorge bestehen. 63 Vgl. dazu bereits oben angestellte Überlegungen zum Wesenskern der gemeinsamen Sorge im Abschn. II.1. 64 Vgl. BT-Drucks. 13 /8511 S. 67; Johannsen / Heinrich / Jaeger § 1687 Rz. 1; Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 3. 65 Vgl. dazu auch OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 f; OLG München FamRZ 1999, S. 1007; AG Fürstenfeldbruck FamRZ 2002, S. 117; gegen den Vorrang der gemeinsamen Sorge vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61, 63 = BR-Drucks. 180/96, S. 71, 73.

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Beides findet sich in der Trennungssorge als prägende Elemente wieder. Im Rahmen des Minimierungsansatzes wird über die Trennung hinaus eine inhaltliche Gewichtung der Sorgerechtsausübung vermieden. Das Gesetz beschränkt sich auf eine äußerliche Koordination der Einzelpositionen, indem es lediglich das drohende Auseinanderstreben der elterlichen Positionen auszugleichen versucht. Es greift daher weniger in die Substanz der Rechtsstellung ein, sondern konkretisiert den Pflichtgehalt, zu dem die Eltern die Sorge mindestens ausüben müssen. Die spezifische Gewichtung der gemeinsamen Sorge in diesem Zusammenhang stellt also eine punktuelle Gestaltungsprophylaxe dar, ohne zu einer verbindlichen Gestaltungsform zu werden. Dieses bewusst breite Spektrum entspricht einer der gemeinsamen Sorge innewohnenden Variabilität und Flexibilität. 66 Aus dieser Minimierung des rechtlichen Eingriffs folgt damit eine Maximierung der Sorgerechtsbewahrung, indem die gesetzliche Sorge und Elternverantwortung über die Trennung hinaus ungeteilt fortgesetzt wird. 67 Das Ausschöpfen der verfügbaren Potentiale konzentriert sich nun nicht mehr auf den Einzelfall anhand qualitativer Merkmale, sondern wird erweitert auf die Gesamtheit aller sorgerechtlichen Konstellationen. Der Schwerpunkt liegt damit auf einem breiten Bewahren der Eltern-Kind-Beziehung. Gegenüber dem vorherigen Recht wird nun die Rechtsbeziehung stärker an die natürliche Beziehung angebunden, indem nach der reformierten Rechtslage auch nach der Trennung von einer Anpassungsfähigkeit der gemeinsamen Elternverantwortung ausgegangen wird. Es bestehen daher keine besonderen Anforderungen an die Fortsetzung der Trennungs- und Scheidungssorge mehr, sondern in den Grenzen des § 1666 richtet sich die Sorgerechtseignung gem. §§ 1626 ff nach den individuellen Möglichkeiten und Gegebenheiten der Eltern. 68 Die gemeinsame Sorge ist daher in den Grenzen des gesetzlichen Tatbestands diejenige Kindesbetreuung, die den Beteiligten und bei den konkreten Umständen möglich ist. 69 Das Gesetz beschränkt sich insoweit weitgehend auf das „Ob“ und nur sehr begrenzt auf das „Wie“ der Rechtsausübung. 70 Dieser breite Begriff der gemeinsamen Trennungssorge führt zurück zu der bereits angesprochenen Kritik, wonach sich die gemeinsame Sorge in der Form des § 1687 von der Alleinsorge kaum unterscheide und im Grunde eine bloße 66

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann, S. 45. Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 2; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (465 f), der von einer Begünstigung der gemeinsamen Sorge nach Trennung und Scheidung spricht; vgl. dazu auch Pötz-Neuburger Streit 1999, S. 147; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 39; OLG Bamberg ZfJ 1999, S. 393. 68 Zum Prinzip der Gestaltungsfreiheit und die an den Möglichkeit der Eltern zu orientierenden Anforderungen der Sorgerechtsausübung vgl. Palandt / Diederichsen Einf.v. § 1626 Rz. 3; § 1626 Rz. 1 f mwN. 69 Vgl. auch § 1697a a.F. 70 Vgl. Schmitt Glaeser „Das elterliche Erziehungsrecht“, S. 59; differenziert dazu MüKo / Hinz § 1626 Rz. 59. 67

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„Alleinsorge mit anderen Mitteln“ darstelle. 71 Damit wird sowohl die weitreichende alleinige Kompetenz des betreuenden Elternteil, bei dem das Kind lebt, als auch die begrenzte Teilhabe des nichtbetreuenden Elternteils auf Umgang und Mitwirkung an Entscheidungen in wichtigen Angelegenheiten kritisiert und als unzureichende Verknüpfung gemeinsamer Rechtsausübung angesehen. Dieser Ansatz soll hier nochmals aufgegriffen werden, um die Gegenüberstellung der beiden Sorgerechtsformen genauer zu betrachten. Denn als Mindestanforderung an die Verknüpfung der beiden Elternpositionen bestimmt der § 1687 die Abgrenzung zur Alleinsorge und damit die Schwelle von gemeinsamer zur alleinigen Sorge. Der insoweit die gemeinsame Sorge legitimierende „Überschuss“ des § 1687 gegenüber der Alleinsorge ist daher kritisch zu prüfen. So charakterisiert die Alleinsorge vor allem der vollständige Entzug der Elternsorge bei einem Elternteil. Nur ein Elternteil behält die Rechte und Pflichten aus §§ 1626 ff, während der andere Elternteil alle Maßnahmen und Entscheidungen aus der Rechtsstellung des Sorgeberechtigten ableitet. Das heißt, dass der nicht betreuende Elternteil keine eigenständige Entscheidungsbefugnis besitzt, sondern in Vertretung für das Kind nur aufgrund der Vertretungsbefugnis des Sorgeberechtigten handeln kann bzw. an wichtigen Entscheidungen nur aufgrund dessen freiwilliger Einbeziehung mitwirkt. Eine Einschränkung gilt lediglich, wenn sich das Kind mit Einwilligung eines Sorgeberechtigten bei den nichtsorgeberechtigten Elternteil aufhält, dann gilt gem. § 1687a die Befugnis des § 1687 Abs. 1 S. 4,5 entsprechend. Das heißt, dass der Elternteil damit für die Zeit des rechtmäßigen Kontaktes die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens erlangt. Im Übrigen treten an die Stelle der ehemaligen Rechtsstellung ein Umgangsrecht gem. § 1684 72 und ein Auskunftsrecht gem. § 1686 als „Restrechte“. 73 Beide Befugnisse sind nicht darauf gerichtet, das Kind zu erziehen oder die Sorgerechtsausübung des Sorgeberechtigten zu kontrollieren, sondern dienen lediglich der persönlichen Begegnung bzw. der passiven Anteilnahme. 74 So ist das Umgangsrecht in erster Linie eine Befugnis, das Kind in regelmäßigen Abständen zu sehen und zu sprechen 75, und soll dem Umgangsberechtigten die 71

Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463). Zur Ausgestaltung als Recht des Kindes vgl. MüKo / Finger § 1684 Rz. 4 auch unter Einbeziehung der Bezüge zu Art. 9 Abs. 3 UN-Kinderkonvention; Coester FamRZ 1991, S. 253 (261); zum besonderen Schutz eines weitreichenden und flexiblen Umgangs vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 111. 73 Vgl. MüKo / Finger § 1684, Rz. 2; Palandt / Diederichsen § 1684 Rz. 4; vgl. dazu auch OLG Naumburg FamRZ 2001, S. 513; OLG Kolblenz FamRZ 2002, S. 980; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Hamm FamRZ 2003, S. 1583. 74 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1684 Rz. 2; zum Verhältnis von Auskunftsrecht und Umgangsrecht vgl. § 1686, Rz. 1; OLG Brandenburg FamRZ 2000, S. 1106; zur alten Begrifflichkeit als „Besuchsrecht“ oder „Verkehrsrecht“ vgl. Palandt / Diederichsen 52. Aufl. § 1634 Rz. 1. 75 Vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 414. 72

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Möglichkeit geben, sich von der Entwicklung und dem Wohlergehen des Kindes zu überzeugen und die zwischen ihnen bestehenden Bande zu pflegen. 76 Auch wenn die Umgangsberechtigung einen selbständigen Anspruch darstellt 77, so hat der Sorgeberechtigte hinsichtlich der Erziehung und des Schutzes des Kindes Vorrang 78 und kann dem Umgangsberechtigten Vorgaben bzw. Verbote erteilen. 79 Abweichende Zuständigkeitsverteilung ist nur möglich durch Ermächtigung seitens des Sorgeberechtigten oder unter den engen Voraussetzungen des § 1696. Fragt man vor diesem Hintergrund nach der Abgrenzung gegenüber der gemeinsamen Trennungssorge, ist ihr rechtliches „Mehr“ gegenüber der Alleinsorge genauer zu betrachten. 80 Dabei können sachliche und psychologische Erwägungen unterschieden werden, die sich aus dem Moment des Bewahrens zweier Sorgerechtspositionen ergeben. 81 So gewährt die gemeinsame Trennungssorge zum einen, dass dem nur vorübergehend betreuenden Elternteil die Mitwirkung an den wesentlichen Entscheidungen erhalten bleibt. 82 Damit ist sein Kontakt zum Kind nicht den restriktiven Regeln des Umgangsrechts unterworfen, denn als Bestandteil der Sorgerechtsposition wird der Kontakt im Verhältnis zum anderen Elternteil deutlich aufgewertet, da er nicht als bloßes Restrecht über den bevorrechtigten Sorgeberechtigten vermittelt wird 83, sondern sich aus der eigenen Erziehungsverantwortung ableitet. 84 Als unverzichtbare Voraussetzung für 76 Vgl. BVerfG FamRZ 2002, S. 809 = NJW 2002, S. 1863 f = FF 2002, S. 92; OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 111; MüKo / Finger § 1684 Rz. 5; Palandt / Diederichsen, 62. Aufl. § 1684 Rz. 2 mwN; vgl. dazu auch schon BGH NJW 1969, S. 422. 77 Vgl. bereits BGH NJW 1969, S. 422; zum selbständigen Schutz des Umgangsrecht als Bestandteil des verfassungsrechtlich geschützten Elternrechts vgl. BVerfG FamRZ 1983, S. 872. 78 Vgl. MüKo / Finger § 1684, Rz. 5; Palandt / Diederichsen § 1684, Rz. 4 mwN. 79 Zur beiderseitigen Wohlverhaltensklausel gem. § 1684 Abs. 2 vgl. MüKo / Finger § 1684 Rz. 16 ff. 80 Zum systemanalytisch orientierten Ansatz, der ein statisches Alles-oder-Nichts-Denken ablehnt, vgl. auch schon Salgo FamRZ 1996, S. 449; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876), der das Kindeswohl unter den Prämissen der Bindungstheorie als eine quasi-statische Zustandsgröße kritisiert, die dem Netzwerk einzigartiger Eltern-Kindbeziehungen nicht gerecht wird. 81 Coester in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 6. DFGT (1985), S. 35 (45 ff); ders. „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 138; ders. in Proksch / Sievering, S. 51; Fehmel FamRz 1980, S. 758 (760); Fthenakis in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 5.DFGT, S. 33 (38 f); Limbach ZfRSoz 1988, S. 155 (160); Magnus FamRZ 1988, S. 518 (162 f); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 103 spricht von einem sorgerechtlichen Optimierungsgebot; BVerfG NJW 1982, S. 983; NJW 1981, S. 217 (218); FamRZ 1971, S. 421 (424); Jayme Brühler Schriften zum Familienrecht, 4. DFGT, 1980, S. 7 (15); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876); Magnus RdJR 1988, S. 158; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132). 82 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 5; vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/4899, S. 62. 83 Vgl. dazu Schwab „Familienrecht“ Rz. 525, der in diesem Zusammenhang von einem bloßen „latenten Grundverhältnis“ spricht.

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die Mitbestimmung ist der Umgang damit Bestandteil der Sorgerechtspflicht und daher nicht Ausdruck einer auf Passivität beschränkten Rechtsstellung. 85 Denn auch wenn sich dieser Kontakt nach den Regeln des Umgangsrechts richtet 86, so eröffnet das Sorgerecht dabei die zusätzliche Kompetenz der Einflussnahme auf die kindliche Entwicklung. 87 Gleichzeitig werden den Maßstäben des § 1627 entsprechend zwei gleichwertige Rechtsstellungen bewahrt, so dass das Potential beider Elternteile eine flexible Gestaltung der Sorgerechtsausübung ermöglicht, um direkt auf veränderte Umstände oder sich wandelnde Bedürfnisse des Kindes im Laufe seiner Entwicklung reagieren zu können, ohne auf die hohen Anforderungen an Änderungsentscheidungen gem. § 1696 beschränkt zu sein. 88 Dies bewahrt auch das auf Ergänzung gerichtete Erziehungskonzept der gesetzlichen Sorge, bei der vor allem für wichtige Entscheidungen das Zusammenwirken von zwei Voten im Zuge eines Korrektivs eine ausgewogene Wahrnehmung der Kindesinteressen begünstigt werden soll. 89 Die gegenseitige Kontrolle und der Austausch beider Elternteile sollen gewährleisten, dass ein differenzierter Entscheidungsprozess durch gemeinsamen Austauch begünstigt wird und sich männliche sowie weibliche Einflüsse bei der Entscheidungsfindung ergänzen. 90 Zum anderen muss bei der Unterscheidung der Sorgerechtsformen die psychologische Wirkung der sorgerechtlichen Rechtsstellung des nichtbetreuenden Elternteils einbezogen werden. Von Bedeutung ist dabei einerseits, dass dessen Position gegenüber dem bloßen Umgangsrecht rechtlich aufgewertet wird. 91 So 84 Vgl. dazu OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 111; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 598; AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200; Staudinger / Rauscher 13. Aufl. § 1684 Rz. 200; Schwab / Motzer „Handbuch zum Scheidungsrecht“ 4. Aufl. III Rz. 235, 241; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz.5. 85 Vgl. zur besonderen Stärkung der Rechtsposition des Sorgeberechtigten in der Wahrnehmung seines Umgangs mit dem Kind OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 f. 86 Anders noch nach altem Recht, bei dem Umgangsrecht und Sorgerecht in einem Alternativverhältnis zueinander standen, vgl. § 1634 a.F.; zur aktuellen Verknüpfung vgl. BTDrucks. 13/4899, S. 105; dazu auch MüKo / Finger § 1684 Rz. 5. 87 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1684 Rz. 2. 88 Vgl. Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (879); Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 153; zu den Voraussetzungen der Änderungsentscheidung gem. § 1696 und dem Verhältnis dieser Vorschrift gegenüber § 1671 vgl. die ausführliche Darstellung im Kap. C., Abschn. V. 89 Vgl. AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 (1202). 90 Vgl. dazu auch Ausführungen zur Leitbildfunktion des § 1627, demzufolge die gemeinsame und einvernehmliche Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht in MüKo / Huber § 1627 Rz. 2; Staudinger / Peschel-Gutzeit § 1627 Rz. 3; zum Korrektivcharakter des elterlichen Zusammenwirkens vgl. auch schon OLG Nürnberg FamRZ 1963, S. 367 (368); Gernhuber FamRZ 1962, S. 89 (95). 91 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 f.

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hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass in den meisten Scheidungsfällen bei Übertragung der Alleinsorge nach Ablauf eines Jahres die Umgangsberechtigten von der Wahrnehmung ihrer Befugnis abgesehen haben. 92 Als maßgeblich erwies sich dabei, dass sie sich vielfach überflüssig und zurückgestellt fühlten, so dass sie das Gefühl entwickelten, keinen eigenen Raum in der nun neu zu formierenden Familie beanspruchen zu können. 93 Wenngleich amerikanische Studien zu dem Ergebnis kamen, dass die Übertragung gemeinsamen Sorgerechts keine Auswirkungen auf das Verhalten des nichtbetreuenden Elternteils aufweise 94, verzeichnen deutsche Studien eine deutliche Steigerung der Ausübung des Umgangsrechts im Rahmen der gemeinsamen Sorge. 95 Diese Wirkung ist aber nicht auf den Umgangsberechtigten beschränkt. So hob bereits das BVerfG 1982 96 die Bedeutung der vollwertigen Rechtsstellung für den betreuenden Elternteil hervor, da das gemeinsame Sorgerecht diesen auch in seinem Verhalten beeinflusse, indem dessen Absprachebereitschaft und die Anerkennung des nichtbetreuenden Elternteils deutlich zunähmen. Doch auch wenn die unmittelbare Veränderung des Elternverhaltens durch die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge nicht als bewiesen gelten kann, könnte ihr darüber hinaus ein Appellcharakter zukommen, der das Bewusstsein der Eltern in Trennung und Scheidung längerfristig beeinflusst. 97 Ausgangspunkt ist dabei die rechtliche Verankerung einer Erziehungsverantwortung, die unabhängig von der Partnerschaft der Eltern fortbesteht. 98 Dies dokumentiert einen veränderten 92 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61, worin unter Bezugnahme auf empirische Untersuchungen festgestellt wird, dass bei Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter mehr als die Hälfte der geschiedenen Väter keinen Kontakt mehr zum Kind habe, da der Verlust des Sorgerechts auf sie oft demotivierend wirke. Mit der Fortsetzung der gemeinsamen Sorge erhöhe sich die Chance, dass das Kind Kontakt zu beiden Eltern behalte; vgl. dazu auch Kostka FamRZ 2004, S. 1924 f mwN. 93 Zur Behinderung der gemeinschaftlichen Anpassung aufgrund der hierarchischen Struktur der Alleinsorge vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (451); Dörr NJW 1989, S. 690 (692); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132). 94 Vgl. Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 ff; Furstenberg / Cherlin „Geteilte Familien“, S. 165 ff; vgl. dazu auch Kostka FamRZ 2004, S. 1924 f mwN. 95 Vgl. Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 55, denen zufolge 38% der Kinder unter gemeinsamer Sorge gegenüber 8,5% der Kinder unter Alleinsorge mehr als 4 Tage im Monat Kontakt zu dem nichtbetreuenden Elternteil haben. 96 BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen. 97 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61= BR-Drucks. 180/96, S. 71. 98 Zur Trennung von Partnerschaft und Elternschaft vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 76; OLG Zweibrücken NJW 1999, S. 3786; OLG München FamRZ 1999, S. 1006; vgl. darüber hinaus Ell ZBlJR 1982, S. 76 ff; Diedrichsen NJW 1980, S. 2419 (2421), der bereits in Hinblick auf die verfassungsrechtliche Diskussion zum § 1671 Abs. 4 a.F. auf die Differenzierung zwischen der personalen Zweierebene und dem fortbestehend Gemeinsamen in der Person des Kindes hinwies; Fthenakis ArchfSozArb 1986, S. 174 ff;

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rechtlichen Ansatz, wonach sich der Einschnitt durch die Trennung zunächst auf das Verhältnis zwischen den Eltern beschränkt, während die übrigen Beziehungen auch unter den veränderten Lebensverhältnisse bestehen bleiben. 99 Damit wird ein rechtliches Modell geschaffen, das transparent an die sorgerechtliche Kindeswohlbeurteilung und an die psychologische Erkenntnis anknüpft, dass das Kind grundsätzlich beide Eltern brauche. 100 So wird zumindest das Bewusstsein der eigenen Erforderlichkeit durch die fortbestehende Rechtsstellung gefördert. Dem wird entgegen gehalten, dass sich die Gemeinsamkeit der Eltern nicht verordnen lasse, was letztlich gegen die Beeinflussung des Verhaltens durch die gesetzliche Gewichtung spricht. 101 Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die frühere Rechtslage lange Zeit durch die gerichtliche Sorgerechtsübertragung bei Scheidung eine umfassende Zäsur für alle Beziehungen der Familie suggerierte und damit die Beziehung zum Kind in einen direkten Zusammenhang zur Auflösung der Partnerschaft stellte. Diese Koppelung wurde durch das Reformgesetz aufgehoben, so dass das gesetzliche Leitbild nun uneingeschränkte Zuständigkeit beider Eltern auch in dieser Situation vorsieht. Obgleich dies nicht zwingend zum Fortbestand der gemeinsamen Sorge führt, vermittelt sich darin ein Verständnis von Elternverantwortung, mit dem sich die Eltern nun auseinandersetzen müssen. Gesetzliche Erwartung und Notwendigkeit einer persönlichen Entscheidung wird die Betroffenen zur Auseinandersetzung mit ihrer Erziehungszuständigkeit zwingen und daher das Bewusstsein der Betroffenen beeinflussen. Diese erweiterte Eigenverantwortung, die das Reformgesetz den Eltern damit zuweist, birgt je-

ders. Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT (1984), S. 33 f; ders. in Remschmidt (Hg) „Kinderpsychiatrie und Familienrecht“, S. 55 ff; ders. „Väter“, Bd. 1, S. 210 f, Bd. 2, S. 55 f; ders. „Ehescheidung“, S. 221; ders. FamRZ 1985, S. 662 (665); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876 f); Magnus RdJB 1988, S. 158 (164), der gleichzeitig den Gedanken hinzufügt, dass die Scheidung kein auf die Ehegatten beschränkter Trennungsvorgang sei, sondern auch Einfluss auf die übrigen Familienverbindungen habe; Proksch FamRZ 1989, S. 916 (918); Puls ZfJ 1984, S. 8(11); Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 153 ff; Simitis in Goldstein / Freud / Solnit „Diesseits des Kindeswohls“ S. 169 (179 f, 194); a. A. Lempp „Die Ehescheidung und das Kind – Ein Ratgeber für Eltern“, der die Nachscheidungseltern als qualitativ minderwertige „Elterntrümmer“ bezeichnet. 99 Vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 172; Napp-Peters „Scheidungsfamilien“, S. 14; Fthnakis u. a. „Ehescheidung“, S. 221; Nave-Herz „Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland“, S. 88; kritisch dazu Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (446). 100 Vgl. LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404) KG FamRZ 1979, S. 340 (341); OLG Celle FamRZ 1984, S. 1035 (1036; dass. FamRZ 1985, S. 527; OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 509 (510); dass. FamRZ 1988, S. 752; Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21); Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); ders. FamRZ 1979, S. 380 unter Bezugnahme auf amerikanische Forschungsergebnisse; Lempp FamRZ 1972, S. 315; ders. bereits NJW 1964, S. 440. 101 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463); BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = BRDrucks. 180/96, S. 73.

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doch auch Gefahren, die in den folgenden Abschnitten genauer untersucht werden sollen. 3. Dispositiver Charakter des Gesetzes und dessen Umsetzung Ist die gesetzliche Trennungssorge also ein Mindeststandard, der im Zweifelsfall Einzelkompetenzen für die Ausübung der gemeinsame Sorge nach Trennung und Scheidung zuweist, so eröffnet sie im Umkehrschluss weiteren Gestaltungsspielraum. 102 Die Vorschrift des § 1687 ist disponibel 103 – wie bereits die vorangehenden Ausführungen gezeigt haben – die für den Trennungstatbestand eine praktikable Aufgabenverteilung vorsieht, ohne die fortbestehende Rechtsposition der Eltern im Rahmen der gesetzlichen Sorge zu verändern. 104 Damit handelt es sich bei der gesetzlichen Trennungssorge also um einen Auffangtatbestand, der eine standardisierte Form der gemeinsamen Sorge für den Trennungsfall bereitstellt. 105 Sie kann daher durch eine Individualabsprache der Eltern in Ausübung ihrer beiderseitig umfassenden Rechtsstellungen außer Kraft gesetzt werden, soweit ihre abweichende Gestaltung den unabdingbaren Kernbereich der gemeinsamen Sorge nicht berührt. 106 Insbesondere kann auch ein Elternteil ermächtigt werden, Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung allein zu entscheiden. 107 Es gelten also auch weiterhin für die inhaltliche Bestimmung der Elternpflichten die §§ 1626 ff. 108 Die 102 Zur Gestaltung der ergänzenden Alleinentscheidungsbefugnisse neben den Zuweisungen des § 1687 vgl. weitere Ausführungen, Abschn. III.5. sowie Abschn. IV.1.b) bezüglich des Verhältnisses zwischen Individualabsprachen der Eltern und der gerichtlichen Intervention gem. § 1687 Abs. 2. 103 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 (1043); etwas abweichend MüKo / Finger, 4. Aufl. §1687 Rz.6. 104 Etwas abweichend MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 6, der ausführt, dass § 1687 nicht disponibel sei, da die Eltern die „Erheblichkeitsgrenze“ gemeinschaftlicher Entscheidungszuständigkeit nicht eigenständig festlegen könnten, gewährt jedoch im Übrigen die Möglichkeit, Vollmachten abweichend von der Regelung des § 1687 zu erteilen. 105 Vgl. Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146. 106 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 6; Runge FPR 1999, S. 142 (143); Wend FPR 1999, S. 137 (139); OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 (1043); im Ergebnis so auch MüKo / Finger, 4. Aufl. §1687 Rz. 6, der zwar ausführt, dass § 1687 nicht dispositiv sei, so dass Eltern nicht verbindlich festlegen könnten, wann die Erheblichkeitsgrenze erreicht sei, schließt aber die Bevollmächtigung eines Elternteils über die Grenze hinaus für die gemeinsamen Zuständigkeiten nicht aus; die Grenze der abweichenden Vereinbarung richtet sich nach der Kindeswohlgefährdung gem. § 1666; vgl. auch OLG Dresden FamRZ 2002, S. 973. 107 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. §1687 Rz. 11; hinsichtlich der Parallelproblematik des § 1629 vgl. MüKo / Hinz § 1629 Rz. 11 f; Gernhuber / Coester-Waltjen § 58 III 2. 108 Vgl. ausdrückliche Feststellung BT-Drucks. 13/4899, S. 107; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 173.

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Trennung führt also nicht zu einer gesetzlichen Inhaltbestimmung des Elternrechts, sondern zu einer Konkretisierung der Aufgabenverteilung, die in der Form der gesetzlichen Ausgestaltung durch einen Verzicht auf eigenständige Regulierung gekennzeichnet ist. 109 Dieser bereits angesprochene „Planersatz“ durch das Gesetz lebt daher nur dort auf, wo keine anderweitige Vereinbarung von den Eltern getroffen wird, und ist damit Ausdruck einer negativen Ausübung sorgerechtlicher Gestaltungsfreiheit. 110 Dies folgt zum einen aus dem Regelungszweck des § 1687 Abs. 1, wonach die wächteramtlich orientierte Gestaltung auf die Kompensation des elterlichen Defizits gerichtet ist, um das Kindeswohl in der Krisensituation sicherzustellen. 111 Wenn hingegen keine Kompensation erforderlich ist, so steht es den Eltern frei, über ihre Rechtsstellung in der von gesetzlicher Sorge gem. §§ 1626 ff eröffneten Weise zu verfügen. 112 Als Minimalstandard legt der § 1687 Abs. 1 damit lediglich fest, welche gemeinsame Ausübung elterlicher Verantwortung nicht unterschritten werden darf, um eine verbindliche Grenze gegenüber der Alleinsorge vorzugeben. Zum anderen knüpft die Regelung an die erhebliche Gestaltungsfreiheit der Eltern im Rahmen des Elternvorschlages gem. § 1671 Abs. 3 S. 1 a. F an. Denn bereits nach alter Rechtslage durfte das Gericht von der individuellen Sorgerechtsgestaltung der Eltern nur abweichen, wenn es für das Kindeswohl erforderlich war. 113 Hinter diese Gestaltungsfreiheit des damals gerichtlich kontrollierten Dispositionsakts 114 kann die gesetzliche Trennungssorge nicht zurückfallen. 115 Als dritter Aspekt ergibt sich die Disposition aus systematischen Erwägungen. Die 109 Dem stehen auch Bedenken hinsichtlich der Rechtssicherheit nicht entgegen (vgl. zur Parallelproblematik bei gemeinsame Sorge für ein nichteheliches Kind aufgrund von Sorgerechtserklärungen Lipp FamRZ 1998, S. 65 (70)). Zwar hat der Rechtsverkehr grundsätzlich ein Interesse daran, die Reichweite elterlicher Handlungsbefugnis abschätzen zu können, und die von § 1687 abweichende elterliche Absprache kann im Rahmen ihrer Außenwirkung insoweit zur Verunsicherung führen. Dies kann jedoch hinreichend durch Nachfragen zur Vertretungsbefugnis oder einen entsprechenden Nachweis durch den anderen Elternteil beseitigt werden. Überschreitet ein Elternteil dennoch seine Befugnisse, so bleiben dem Rechtsverkehr alle Kompensationsmöglichkeiten des Vertretungsrechts gem. §§ 164 ff. Auch das Interesse beider Eltern an einem berechenbaren Einfluss des jeweils anderen Teils auf die eigene Lebensführung wird durch die Disposition der Trennungssorge nicht gestört, da bereits die Verweigerung zu einer abweichenden Absprache die gemeinsame Sorge auf das gesetzliche Maß des Zusammenwirkens beschränkt. 110 Zu vertraglichen Absprachen über die Ausübung der Elternsorge vgl. auch KoritzDohrmann FPR 1997, S. 253 ff; OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 (1043). 111 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 58; 13/8511, S. 67; Johannsen / Henrich / Jager 3. Auflage § 1687 Rz.1. 112 Eingeschränkt hingegen Hammer FamRZ 2005, S. 1209 (1211), der die Alleinentscheidungsbefugnis offenbar für indisponibel erachtet. 113 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1989, S. 654 (656); BayObLG FamRZ 1979, S. 36 f; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 48. 114 Vgl. Gernhuber „Familienrecht“ § 56 III 1.

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Rechtsstellung der Eltern muss uneingeschränkt fortbestehen, weil zum einen jeder Elternteil alle Funktionen wahrnehmen oder übernehmen kann, und zum andern weil durch die Aufhebung des Trennungstatbestandes die alte Rechtsstellung auflebt, ohne dass es eine Rückübertragungsbestimmung gäbe. 116 Nur so bleibt die erforderliche Gestaltbarkeit auch für die Zukunft bewahrt und bietet die angestrebte Flexibilität des elterlichen Zusammenwirkens, wie sie die gesetzliche Sorge anstrebt. In der Rechtsfolge kommt der Ausübung der Dispositionsbefugnis andererseits nur eine beschränkte Bindungswirkung zu und bewahrt auf diese Weise weiterhin die Gestaltungsfreiheit der Eltern. 117 Die einvernehmliche Übertragung zusätzlicher Einzelkompetenzen ist in Anlehnung an § 1629 einseitig widerruflich. 118 Zwar ist die Absprache die rechtsrelevante Grundlage der Sorgerechtsgestaltung, so dass nach vertraglichen Grundsätzen für eine spätere Abweichung ein einvernehmlicher Aufhebungs- oder Änderungsvertrag erforderlich wäre. 119 Dies widerspräche jedoch dem Ursprung der Absprachekompetenz, denn die Selbstbestimmungsbefugnis der Eltern beruht auf der Vermutung, dass bei elterlichem Einvernehmen dem Kindeswohl am besten entsprochen wird. 120 Für die Geltung der Absprache geht es also nicht in erster Linie um den Schutz der Rechtsstellung eines Elternteils aufgrund seines Vertrauens in den Bestand der Absprache, son115

Vgl. dazu auch Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146 (147), die in ihren Vereinbarungsentwürfen eine wechselseitige Bevollmächtigung in Angelegenheiten des täglichen Lebens vorsieht. 116 Hier sei auf den Streit zurzeit der alten Rechtslage verwiesen, ob die Entziehung der elterlichen Sorge deren Substanz oder nur deren Ausübung (sog. Substanztheorie) betrifft, vgl. Gernhuber „Famienrecht“ § 56 II 1; BayObLG FamRZ 1962, S. 165 (167); MüKo / Hinz § 1626 Rz. 12, 15; § 1671 Rz. 15. 117 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 65, der zumindest im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts von einer Bindungswirkung ausgeht; so auch OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 f; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 39; zur Bindungswirkung von Verträgen der Eltern über den künftigen Aufenthalt des Kindes vgl. Schwab DNotZ 1998, S. 437 (447). 118 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1687 Rz. 11; Dies lehnt sich weitgehend an die Diskussion über die Bindungswirkung des Elternvorschlages gem. § 1671 Abs. 3 S. 1 a.F. an. Dort hatte sich die h.M. herausgebildet, wonach die Absprache der Eltern bis zum Ende der mündlichen Verhandlung einseitig frei widerruflich war, zum diesbezüglichen Meinungsstand vgl. MüKo / Hinz, 3 Aufl. § 1671 a.F. Rz. 54 f. 119 Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Vertragsgrundsätze auf das gesamte Familienrecht nur beschränkt zur Anwedung kommen. Nicht das Prinzip „pacta sunt servanda“, sondern das Gebot der Rücksichtnahme bestimmt die Beurteilung der Absprachen, wobei das zugrunde liegende Einvernehmen schon weitgehend des rechtsgeschäftlichen Bindungswillens entbehrt (vgl. Schwab „Familienrecht“, 8. Aufl. 1995, Rz. 102). So ergibt sich die Bindungswirkung insbesondere in Hinblick auf die sorgerechtlichen Absprachen nur mittelbar, nämlich vorwiegend aus der Verbindlichkeit des Kindeswohls (Schwab aaO, Rz. 455). 120 Vgl. allerdings auch OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 f.

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dern um die Umsetzung der Kindesinteressen. Wenn die Übereinstimmung der Eltern entfällt, weil ein Beteiligter nicht mehr an der Absprache festhält, so drohte bei vertraglicher Bindungswirkung eine kindeswohlgefährdende Konfrontation, die mit der Dispositionsmöglichkeit nicht beabsichtigt ist. 121 Überdies behinderte eine solche Bindungswirkung die Absprachebereitschaft der Eltern und führte zu einer Schwerfälligkeit der Anpassung an veränderte Umstände. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Individualabsprache gerichtlich kaum durchsetzbar ist. 122 Doch trotz der einseitigen Widerruflichkeit und der nur beschränkten Durchsetzbarkeit wirkt sich die Dispositionsmöglichkeit auf die Rechtslage nachhaltig aus. Zentral sind hier der Rechtsgrund der elterlichen Gestaltungsfreiheit und die über Trennung und Scheidung hinaus fortbestehende Erziehungsautonomie. Denn bei der Ausübung der elterlichen Dispositionsbefugnis leitet sich die Erweiterung einer Elternstellung direkt aus der jeweiligen eigene Sorgerechtsstellung, also direkt aus §§ 1626 ff ab. Die Eltern aktivieren daher gleichsam Bestandteile der bestehenden Rechtsstellung im Rahmen der gesetzlichen Sorge, indem sie die beschränkte Funktionszuweisung des § 1687 erweitern. Das bedeutet, dass der begünstigte Elternteil, dessen sorgerechtliche Mitwirkungsbefugnis über die des § 1687 hinausgeht, nicht aus abgeleitetem, sondern aus eigenem Recht handelt. Dies hat verschiedene Auswirkungen. Zum einen besteht keine Pflicht zur Offenkundigkeit gem. §§ 164 ff für den begünstigten Elternteil. Zum anderen obliegt dem anderen keine Aufsichtspflicht aufgrund seiner fortbestehenden einseitigen Elternverantwortung, sondern allein die gem. § 1627 bestehende Parallelpflicht. 121

So wohl auch Johannsen / Henrich / Jaeger § 1687 Rz. 11. Das Gesetz sieht insoweit kein spezifisches Instrumentarium vor, so dass gegebenenfalls auf die Eingriffstatbestände für die gesetzliche Sorge im Allgemeinen zurückgegriffen werden müsste. Denkbar sind zwei verfahrensrechtliche Ansätze. Zum einen kann eine Gestaltungsklage nach Maßgabe des § 1628 angestrengt werden, innerhalb derer inzident geprüft wird, ob die beanspruchte Alleinentscheidungsbefugnis Bestandteil einer gemeinsamen Zuständigkeit ist (vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 34 zur Anwendung des § 1628 a.F. bei der gerichtlichen Zuordnung einzelner Erziehungsfragen zu den einzelnen Entscheidungskompetenzen). Diese Vorgehensweise ist jedoch nicht zweckmäßig, wenn der Antragsteller gerade die gemeinsame Ausübung eines Erziehungsbereiches anstrebt. Diese Problematik stellt sich angesichts der uneingeschränkten Gemeinsamkeit in der Weise während der Elternpartnerschaft nicht. Für diesen Fall kommt dann lediglich eine Klage in Betracht, gerichtet auf die Feststellung, dass die gemeinsame Zuständigkeit aufgrund einer Individualabsprache und in Abweichung von § 1687 eine konkrete Angelegenheit umfasst. Die Spezialformen der Feststellungsklagen des § 640 Abs. 2 Nr. 1, 3 ZPO (vgl. Zöller / Philippi § 640 Rz. 5) entfallen, da sie nicht Streitigkeiten unter den Eltern über die elterliche Sorge umfassen (vgl. Zöller / Philippi § 640 Rz. 28) Es bedarf daher eines Rückgriffs auf die allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO, deren feststellungsfähiges Rechtsverhältnis die elterliche Sorge sein kann (vgl. Zöller / Philippi § 256 Rz. 4), soweit ein Feststellungsinteresse konkret nachgewiesen werden kann (Insoweit entfällt der Vorteil der speziellen Feststellungsklagen gem. § 640 ZPO, bei denen das Feststellungsinteresse nicht nachgewiesen werden muss, vgl. BGH FamRZ 1973, S. 26; Zöller / Philippi § 640, Rz. 6). 122

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Vor allem aber wird eine rechtliche Hierarchie zwischen den Eltern vermieden, indem nicht ein Elternteil dem anderen Befugnisse verleiht, sondern jeder Teil aus seiner eigenen Elternverantwortung heraus handelt. 4. Probleme und Gefahren aufgrund der gesetzlichen Regelung der Trennungssorge und die Folgerungen für die gesetzgeberische Intention Diese offene Gestaltungskompetenz der Eltern schafft spezifische Gefahren. Ausgangspunkt sind die geringen äußeren Anforderungen an die gemeinsame Trennungssorge. So werden die äußeren Rahmenbedingungen kaum zu Hindernissen der gesetzmäßigen Fortsetzung der Elternverantwortung führen. Damit rückt bei kritischer Betrachtung des Trennungssorgetatbestandes das Verhältnis der Eltern stärker in den Vordergrund und wirft Probleme auf bei der sachgerechten Abgrenzung zwischen den Sorgerechtsformen der gemeinsamen und alleinigen Sorge, die als Schwächen der gesetzlichen Regulierung genauer zu prüfen sind. Denn die subjektive Entschließung und Motivation zur gemeinsamen Sorge entziehen sich der rechtlichen Kontrolle innerhalb der gemeinsamen Trennungssorge. 123 So hat das Gesetz zwar den Eltern die Koordination ihrer Erziehungsbeiträge weitgehend abgenommen und ihre Rechtsstellungen größtenteils entflochten, so dass verbleibende Konfliktpotentiale deutlich vermindert werden. Jedoch erfordert die gemeinsame Sorge in zwei Punkten weiterhin Kooperation der Eltern, zum einen bei Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten und zum andern bei der Koordination des Umgangs. Dies stellt Anforderungen an das Elternverhältnis, die durch die gesetzliche Gestaltung der Trennungssorge nicht gewährleistet werden können. Denn indem die normative Regulierung unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls eingreift, bezieht sie das konkrete Kooperationsverhältnis der Eltern in die Wertung nicht ein. Insbesondere ist die Fortsetzung der gesetzlichen Sorge beider Eltern nicht an eine Demonstration ihres Einvernehmens oder eine Erklärung über ihre zukünftige Sorgerechtsgestaltung gekoppelt. 124 Die Elternkooperation ist mithin zunächst keine spezifische gesetzliche Voraussetzung der gemeinsamen Sorge nach der Trennung. 125 Zugespitzt lässt sich sagen, es 123 Zur besonderen Bedeutung der subjektiven Motivation der Eltern für die Übertragung der gemeinsamen Sorge nach früherer Rechtslage vgl. Limbach „gemeinsame Sorge“, S. 26; Puls ZfJ 1984, S. 8 (13). 124 Insbesondere zur Erörterung über die Voraussetzung eines Sorgerechtsplans zur Ausübung der gemeinsamen Trennungssorge im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens vgl. Kap. A., Abschn. IV.1. –4. sowie die Einschätzung der Rechtssprechung zum Sorgerechtsplan vor Inkrafttreten des KindRG Kap. A., Abschn. III.2. 125 Zur besonderen Bedeutung des Nachweises von Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit nach der alten Rechtslage vgl. Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 26; Kropholler NJW 1983, S. 905 (908); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 68.

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handelt sich um eine konsensfreie gemeinsame Trennungssorge. Erst eine von der gesetzlichen Vorgabe abweichende Form gemeinsamer Sorge ist an einen entsprechenden Konsens geknüpft. Im Ergebnis bedeutetet dies, dass sich die Vermutung von Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft aus den allgemeinen Vorschriften der gesetzlichen Sorge ableitet und gem. § 1627 zur Pflicht elterlicher Verantwortung gehört, ohne dass die besonderen Hindernisse der Trennungssituation dabei ins Gewicht fallen. Dies lässt die Wahrung des Kindeswohls durch die gesetzliche Trennungssorge unter verschiedenen Gesichtspunkten problematisch erscheinen. 126 Denn die gesetzliche Überleitung zur Trennungssorge birgt hier die Gefahr einer sachwidrigen Ausnutzung des normativen Automatismus. 127 Ohne jegliche Kontrolle des elterlichen Entscheidungsvorgangs verliert die Sorgerechtsgestaltung an Gewähr für die subjektive Entschlossenheit und sorgerechtliche Motivationslage. 128 Die normative Regulierung birgt das besondere Risiko, dass die Eltern zur gemeinsamen Ausübung der Elternverantwortung ungeeignet sind und lediglich aus sachwidrigen Erwägungen davon absehen, einen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge zu stellen. Die konkreten Auswirkungen dieses normativen Ansatzes der gesetzlichen Trennungssorge und seiner fehlenden Berücksichtigung der subjektiven Beweggründe der Eltern zur Fortsetzung der gemeinsamen Sorge sind im Folgenden unter verschiedenen Gesichtspunkten näher zu betrachten. a) Fehlender Gestaltungsimpuls im § 1687 Zunächst fällt auf, dass das Gesetz auf einen bewussten Akt der Entscheidung der Eltern zu Gunsten einer über die Partnerschaft hinausgehenden gemeinsamen Sorge verzichtet. Das heißt, auch ohne bestehenden Konsens zwischen den Eltern bis hin zu vollends fehlendem Bewusstsein über die fortbestehende gemeinsame Elternverantwortung gilt die gemeinsame Trennungssorge. 129 Die Rechtsfolge 126 Zur vehementen Diskussion über sachfremde Motivation für gemeinsamen Sorge in der alten Rechtslage vgl. auch Kap. A., Abschn. III.2. 127 Vgl. dazu insbesondere Rehberg FuR 1998, S. 65 (66 f); Oelkers FRP 1999, S. 132 (134); zu diesem Themenkomplex nach alter Rechtslage vgl. auch Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (122); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130). 128 So wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich der von der SPD-Fraktion unterbreitete Vorschlag abgelehnt, die gemeinsame Sorge für nichteheliche Kinder nur nach Prüfung des Einzelfalls durch das Familiengericht zuzulassen, vgl. BRDrucks. 180/96, S. 69; vgl. zu dieser Problematik auch Bosch FamRZ 1991, S. 1121 (1126). 129 Vgl. dazu Coester „Kindeswohl“, S. 319; Göppinger Rz. 619; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 83; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler JR 1984, S. 89 (95); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 65; dies. in „Studie“, S. 32; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (419); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (134); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 68; Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 109; Strempel S. 14; OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759).

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der gesetzlichen Trennungssorge tritt damit ohne Akt subjektiver Entschließung oder Willensbekundung der Eltern ein. Der Gestaltungsakt und die bewusste Entscheidung zur Sorgerechtsgestaltung können jedoch bereits ein wichtiger Bestandteil der Elternverantwortung sein, durch den spätere Spannungen vermieden werden. 130 Die gesetzliche Sorgerechtsregulierung regt demgegenüber keine bewusste Auseinandersetzung mit der zukünftigen Sorgerechtsgestaltung und den Herausforderungen des Umbruchs an. 131 Das Reformgesetz verdrängt damit den subjektiven Entschluss der Eltern zur gemeinsamen Sorge zunächst vollständig aus der sorgerechtlichen Bewertung. 132 Es fehlt innerhalb der gesetzlichen Regulierung ein Anknüpfungspunkt für die subjektiven Beweggründe wie vormals für die gerichtliche Übertragung im Rahmen des einvernehmlichen Sorgerechtsantrags, so dass sich die gemeinsame Trennungssorge vollständig auf objektive Kriterien stützt. Diese grundlegende Veränderung der sorgerechtlichen Güterabwägung ist eine der zentralen Auswirkungen, die sich aus der Annäherung an die Grundsätze der §§ 1626 ff und der neu eingeführten trennungsunabhängigen Eignungsvermutung ergibt. Die Eltern müssen ihre Erziehungseignung und Verantwortungsbereitschaft nicht mehr positiv nachweisen. Das Gesetz nimmt vielmehr wie bei der allgemeinen Elternsorge eine stärker pragmatische Stellung ein, die sich allein an der tatsächlichen Ausübung orientiert. 133 Mit dieser Vereinheitlichung der Beurteilungsmaßstäbe vollzieht sich ein grundlegender Wandel von einer „Gesinnungssorge“ zu einer ergebnis- oder umsetzungsorientierten Elternsorge. In Ermangelung eines Manifestationsaktes einer bewussten Entscheidung in der Wahrnehmung der Kindesinteressen entsteht vor allem die Ungewissheit, ob die Eltern erforderlichenfalls einen Alleinsorgeantrag gem. § 1671 stellen. Vor allem 130

Vgl. dazu bereits Coester FuR 1991, S. 70 (72); Finger DRiZ 1985, S. 91 (95); Hinz ZfJ 1984, S. 529 (536); Johannsen / Henrich / Jaeger 2. Aufl. § 1671 a.F. Rz. 83; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler JR 1984, S. 89 (95); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (308); Limbach „Studie“, S. 33; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, s. 416 (418); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 7; Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 109; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 176; KG FamRZ 1983, S. 648; AG Arnsberg FamRZ 1986, S. 1145 (1148); vgl. auch Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1, unter Bezugnahme auf die hohen Anforderungen kalifornischen Rechts an die genauen Ausführungen zur Sorgerechtsgestaltung. 131 Insbesondere zur Problematik der Scheineinigkeit hinsichtlich unausgeglichener Machtverhältnisse zwischen den Eheleuten, scheidungstaktische Überlegungen und sonstige sachfremde Motivation, vgl. Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 65; Finger DRiZ 1988, S. 12 (16), dessen Studie ergab, dass innerhalb der Richterschaft derartige Motivationen zur gemeinsamen Sorge für sehr verbreitet erachtet werden. 132 Vgl. Rehberg FuR 1998, S. 65 (66). 133 Man bedenke die oft zweckfremde Motivation ein Kind zu bekommen, sei es um eine Partnerschaft zu stabilisieren, einen Partner an sich zu binden oder im Kind einen Besitzstand zu bilden. All diese wenig kindesorientierten oder verantwortungsvollen Beweggründe werden traditionell bei der Anerkennung der Elternsorge unberücksichtigt gelassen. Die Rechtsstellung wird allein an der verantwortungsvollen Ausübung gemessen.

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aber stellt sich die Frage, inwieweit auf eine bewusste Entscheidung bei der Trennungssorge gem. § 1687 verzichtet werden kann bzw. ob die Vernachlässigung der subjektiven Beweggründe mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Die Kritik richtet sich in diesem Zusammenhang zunächst auf das Fehlen eines gesetzlichen Impulses zu Beginn der Trennungssorge, mit dem die Eltern zur eigenständigen und bewussten Gestaltung der gemeinsamen Sorge angehalten werden. 134 Sie wendet sich vor allem gegen den Wortlaut des § 1687, der nicht hinreichend auf die bestehende Gestaltungsfreiheit im Rahmen der gemeinsamen Trennungssorge hinweise. In dem Maße, in dem die Eltern keine eigene Gestaltungsfreiheit erkennten, fänden weder Abwägungen der individuellen Bedingungen noch eine bewusste Einzelfallgestaltung statt. 135 Ohne einen solchen Hinweis auf die Disponibilität sei zumindest zu befürchten, dass durch Unkenntnis und Unsicherheit der Eltern die gemeinsame Sorge unzutreffend als gesetzlich beschränkt erscheine. 136 Diese missverständliche Vorgabe der Sorgerechtsgestaltung verkürze die elterliche Rechtsstellung und weise dem Tatbestand eine entmündigende und einzelfallwidrige Dimension zu. 137 Auch wenn das sog. „Eingliederungsmodell“, wie es der Regelung zugrunde liege, bisherigen Erfahrungswerten zufolge vorwiegend bei der Ausübung der gemeinsamen Sorge praktiziert worden sei, rechtfertige dies nicht die normative Begrenzung. 138 Es vertiefe sich damit der Effekt der sorgerechtlichen Spaltung. Diese Perpetuierungswirkung erscheine schon deshalb widersinnig, da es sich bei der Tatbestandsgestaltung nicht um ein angestrebtes Ziel, sondern um einen bloßen Reflex auf die typische Trennungssituation handele. Daraus ergebe sich, dass eine enge und unflexible Tatbestandsgestaltung entstehe, die das Spektrum der gemeinsamen Trennungssorge unnötig verkürze und eine individuelle Gestaltung behindere. 139 Diese Kritik scheint jedoch die Eigenständigkeit der Eltern zu unterschätzen und die Regelungsfunktion des Trennungssorgetatbestandes zu weit zu fassen. Denn bereits die Vorschriften der §§ 1626 ff – die nun durch die gesetzlichen Trennungssorge über Trennung und Scheidung hinaus weiter gelten – beruhen auf der Grundprämisse, dass die Eltern die Ausübung der Elternsorge frei gestalten. So wird in Hinblick auf die gesetzliche Sorge und deren gesetzliche Ausgestaltung kaum zu behaupten sein, dass die Wahrnehmung der Elternverantwortung durch unzureichende Regelungsdichte behindert werde. Ebenso wenig wird davon ausgegangen, dass die Eltern in der Gestaltung ihres Zusammenwirkens bei allgemeiner 134

Vgl. Wend FPR 1999, S. 137 (140 f); Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146. Vgl. Wend FPR 1999, S. 137 (140 f). 136 Zu der darüber hinaus gehende Kritik an der unklaren Zuständigkeit durch die Tatbestandsmerkmale vgl. auch Kap. B., Abschn. III.2. 137 Vgl. Wend FPR 1999, S. 137 (140 f); Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146. 138 Vgl. Wend FPR 1999, S. 137. 139 Vgl. Bode FamRZ 1999, S. 1400 (1402). 135

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gesetzlicher Sorge immer erst in den gesetzlichen Bestimmungen prüfen, ob ihre beabsichtigte Funktionsverteilung zulässig ist. Vielmehr kann angenommen werden, dass sich die Eltern aufgrund des Fortbestandes ihres Sorgerechts auch ihrer fortbestehenden Erziehungsautonomie bewusst sind, wie sie im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Sorge selbstverständlich ausgeübt wird. Erst wenn dieses Einvernehmen nicht besteht, wird auf die gesetzliche Regulierung zurückgegriffen, so dass die Regelungsfunktion des § 1687 im Zweifel zur Konfliktregulierung herangezogen werden wird. Auch wenn es nützlich gewesen wäre, auf den Charakter der Vorschrift als Regelungsersatz hinzuweisen, bleibt es daher zweifelhaft, ob sich die Eltern dadurch von einer eigenständigen Regelung abhalten lassen, soweit ihre Beziehung eine solche zulässt. Demnach muss wohl nicht davon ausgegangen werden, dass bestehende Potentiale zur weitergehenden Gemeinsamkeit oder praktikable Abweichungen vom gesetzlichen Modell aufgrund der Gesetzesfassung unterlassen werden. b) Sachfremde Motivation – Prozessgestaltung Problematischer erscheint demgegenüber ein weiterer Aspekt, der in der Möglichkeit sachfremder Instrumentalisierung der gesetzlichen Trennungssorge durch die Eltern besteht. 140 So kann der gesetzliche Automatismus der Trennungssorge für Motive ausgenutzt werden, die unabhängig von kindesbezogenen Erwägungen persönliche Interessen der Eltern verfolgen. 141 Die Kritik richtet sich in diesem Zusammenhang vor allem auf die Frage, inwieweit der Staat durch diese gesetzliche Sorgerechtsregulierung mit § 1687 dem wächteramtlichen Schutzauftrag gegenüber dem Kind genügt. 142 Das Reformgesetz ist insoweit Ausdruck einer Gefahrenabwägung, die jeglicher Missbrauchsgefahr grundsätzlich nur mit der pauschalen Regelung des § 1687 Abs. 1 begegnet. 143 Die am Einzelfall orientierte Gefahrenabwehr beschränkt sich auf den allgemeinen Eingriffstatbestand des § 1666 und damit auf eine akute Gefährdung des Kindeswohls. So verzichtet das Gesetz nach der Trennung auf eine konkrete Kontrolle einer kindeswohlgerechten Anpassung der Elternsorge an die veränderten Lebensverhältnisse und beschränkt sich auf eine pauschale Kompetenzverteilung. Weder eine kritische Auseinander140 Zur Einschätzung der sachfremden Motivation für die Kindeswohlgefährdung nach alter Rechtslage vgl. Limbach „gemeinsame Sorge“, S. 26; Puls ZfJ 1984, W. 8 (13). 141 Vgl. Rehberg FuR 1998, S. 65 (66); Oelkers FRP 1999, S. 132 (134); zu den allgemeinen Kindeswohlgefahren durch die gemeinsame Trennungssorge und dem gebotenen Übergang zur Alleinsorge vgl. Kap. C. 142 Zum Vorwurf, dass diese Regulierung dem wächteramtlichen Schutzauftrag nicht entspricht vgl. Rehberg FuR 1998, S. 65 (66); Oelkers FRP 1999, S. 132 (134); ähnlich auch der Deutsche Familiengerichtstag, FamRZ 1997, S. 337, wonach es sich um eine Elternund nicht um eine Kindschaftsrechtsreform handele. 143 Vgl. zur Kritik einer unsachgemäßen Verkürzung der wächteramtlichen Schutzfunktion auch weitere Ausführungen in Kap. C., Abschn. III.4.

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setzung der Eltern mit der Auswirkung der Trennung auf die Lebensverhältnisse des Kindes noch die kindeswohlgerechte Motivation der Eltern zur Fortsetzung der gemeinsamen Sorge werden also staatlich begleitet. Betrachtet man dazu die Kritik, so wird der alt hergebrachten Argumentation zufolge vertreten, dass solche zweckentfremdenden und missbräuchlichen Beweggründe destabilisierend wirkten und das Kind zu einem bloßen Objekt bzw. Werkzeug elterlicher Interessen machten. 144 Hinzu komme, dass daraus zumindest das Indiz dafür folge, dass die Eltern nicht geeignet seien, die gemeinsame Sorge kindeswohlgerecht auszuüben. Nicht das Kindesinteresse, sondern verantwortungslose Eigeninteressen lägen hier der Elternsorge zugrunde und statteten die gemeinschaftliche Position nicht mit der erforderlichen Tragfähigkeit und Zuverlässigkeit aus. 145 Instrumentalisiert ein Elternteil die Sorgerechtsstellung, die ihm das Gesetz gem. § 1687 zuweist, lediglich zur Erreichung eines Nebeneffektes, so fehle es an einem ernsten Bekenntnis zur fortbestehenden Erziehungsverantwortung. Dem Kindeswohl drohe auf diese Weise die Gefahr eines unreflektierten Verantwortungsvakuums. 146 Es stellt sich daher die Frage, ob die gesetzliche Regulierung diesem Gefahrenpotential gemeinsamer Trennungssorge gerecht wird. Dazu sind die verschiedenen Fallkonstellationen näher zu betrachten. 147

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Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906); a. A. vgl. Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130) unter Hinweis auf die sachwidrigen Motivationen, die auch bei der Alleinsorgeübertragung eine Rolle spielen können. 145 Vgl. KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057); OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759); Dörr NJW 1989, S. 690 (691 f); Finger DRiZ 1985, S. 91 f; Johannsen / Henrich / Jaeger „Eherecht“ 2. Aufl. § 1671 Rz. 79; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907 f); Kropholler JR 1984, S. 89 (94); Luthin FamRZ 1983, S. 648 f; ders. abweichend „Gemeinsame Sorge nach der Scheidung“, S. 29; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (129); Puls ZfJ 1984, S. 8 (12); Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 124; für die Überzeugung der Richterschaft vgl. Limbach „Studie“, S. 55 f; a. A. Müko / Hinz § 1671 Rz. 72; ders. ZfJ 1984, S. 529 (533); Schwab „Handbuch“ III, Rz. 92. 146 Zur besonderen Labilität der gemeinsamen Sorge, die eine besondere Vermeidung von subjektiven Störfaktoren erfordern vgl. Bergerfurth, S. 116; Dörr NJW 1989, S. 690 (691 f); Finger DRiZ 1985, S. 91 (95); Johannsen / Henrich / Jaeger 2. Aufl. § 1671 Rz. 79; Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler JR 1984, S. 89 (94); ders. NJW 1983, S. 271 (274); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (307); Luthin FamRZ 1983, S. 648 als Anm. zu KG FamRZ 1983, S. 420, 648; ders. abweichend „Gemeinsame Sorge nach der Scheidung“, S. 29; Magnus RdJB 1988, S. 158 (164); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416; Palandt / Diederichsen 48. Aufl. § 1671 Rz. 6; wohl auch Puls ZfJ 1984, S. 8 (12 f) trotz grundsätzlicher Befürwortung der gemeinsamen Sorge als für das Kindeswohl vorzugswürdigen Sorgerechtsform; Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17 (19); Schütz ZfJ 1984, S. 189; KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057); OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759); AG Arnsberg FamRZ 1985, S. 424 (425); dass. FamRZ 1986, S. 1145; für die Überzeugung der Richterschaft vgl. auch Limbach „Studie“, S. 55 f; kritisch Normann FamRZ 1988, S. 568 (570); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131); Schwab „Handbuch“ III, Rz. 92; OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89.

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Der zweckwidrige Verzicht auf einen Alleinsorgeantrag gem. § 1671 kann aus sehr unterschiedlichen sachfremden Erwägungen folgen. Die vordergründigste Erscheinungsform ist dabei zunächst die bloße Vermeidung des sorgerechtlichen Verfahrens. 148 Zwar kann die gemeinsame Sorge nicht länger zur Beschleunigung des Scheidungsverfahrens dienen, da das obligatorische Sorgerechtsverfahren mit der Abschaffung des sog. Zwangsverbundes 149 entfallen ist. 150 Selbst wenn der Sorgerechtsantrag mit dem Scheidungsbegehren eingereicht wird und damit im Verbund entschieden werden kann, so steht es den Parteien frei, der Verfahrensverbindung durch entsprechenden Antrag entgegenzuwirken. Zu einer Vereinfachung des Verfahrens trägt gleichwohl eine vollständige Vermeidung des Antrags bei. 151 Zwei Motivationen sind jedoch vor allem denkbar, die auch weiterhin zur sachfremd gelenkten Sorgerechtsgestaltung im Rahmen der Prozessgestaltung führen könnten. Die erste beruht auf einer sachfremden Verquickung der unabhängigen Sachbereiche im Zuge der Trennung. Die Situation bei Antragstellung erfordert oftmals eine Vielzahl von Absprachen, die sachwidrig miteinander verknüpft werden, sei es die Auflösung des gemeinsamen Haushalts, die Überlassung des Hauses, die Zahlung von Unterhalt. 152 Erpresserisches Verhalten der einen Seite oder auch nur voreilig devotes Verhalten der anderen kann etwa die Regulierung dieser Annexbereiche verknüpfen. 153 Der andere Aspekt in diesem Zusammenhang besteht darin, dass die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens bei den Betroffenen Angst auslösen kann. 154 Die Ungewissheit des Ausgangs und die Befürchtung, sich durch den provozierten Einblick staatlicher Autoritäten selbst zu diskreditieren, 147 Vgl. für den Überblick vor allem AG Arnsberg FamRZ 1986, S. 1145; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 66a. 148 Vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423). 149 Bereits kritisch zu dieser obligatorischen Verknüpfung von Scheidungs- und Sorgerechtsverfahren vgl. Salgo FamRZ 1996, S. 449; Schwenzer 59. DJT 1992, S. A 64 (A77). 150 Vgl. für die vorherige Rechtslage Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906); Kropholler JR 1984, S. 89 (95); Lempp FamRZ 1984, S. 741 (744); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130); Puls in Remschmidt „Kinderpsychatrie und Familienrecht“, S. 18 (25); Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 19; vgl. auch BT-Drucks. 8/ 2788, S. 63. 151 Vgl. Rehberg FuR 1998, S. 65 (67), der vor allem darauf abstellt, dass die Betroffenen langwierige Sorgerechtsverfahren zugunsten einer zügigen Scheidung vermeiden und daher Scheineinigkeit bei Nachfrage des Gerichtes vortäuschen werden. 152 Zu den Erfahrungen aus der vorherigen Rechtslage vgl. dazu Limbach „Studie“, S. 3, danach wurden von 617 untersuchten Scheidungsverfahren 46% einverständig geschieden gem. §§ 1565 Abs. 1 iVm 1566 Abs. 2 a.F. Auch in Scheidungsverbund und -folgesachen, wie Umgangsrecht, Kindes- und Ehegattenunterhalt sowie der Verteilung von Hausrat bzw. Wohnung und schließlich der Klärung der Güterrechtsansprüche war das Konsensniveau außerordentlich hoch. In 95 –98% der Fälle musste keine richterliche Entscheidung ergehen. 153 Vgl. Klußmann FamRZ 1982, S 118 (122); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130). 154 Vgl. Lempp FamRZ 1984, S. 741 (744); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (58).

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

mögen einige Eltern abhalten, das Verfahren aus eigenem Antrieb zu eröffnen. Das staatliche Eindringen in das private Familienleben kann als Bedrohung empfunden werden. Nicht die denkbare Hilfe in der Krisensituation, sondern vorrangig die Kontrolle und die dabei befürchtete Entdeckung eventueller Unzulänglichkeit steht hier im Vordergrund. Überdenkt man jedoch diese Motive, sich der Intervention zu entziehen, so zeigt sich, dass sie nicht zwingend im Widerspruch zum Kindeswohl stehen. Es besteht keine Verpflichtung, sich der Überprüfung preiszugeben. 155 Die diesbezüglichen Bedenken der Gegner der gemeinsamen Sorge knüpfen an einen staatlichen Kontrollanspruch an, der spätestens durch das KindRG zumindest nachhaltig in Frage gestellt wurde. 156 Die Bewahrung der Privatsphäre ist grundsätzlich kein unzulässiger Handlungs- oder Unterlassensantrieb. Außerhalb des Gefahrentatbestandes besteht gerade keine Verpflichtung, die staatliche Krisenregulation in Anspruch zu nehmen. Solange die tatsächliche Wahrnehmung der Elternverantwortung den sorgerechtlichen Anforderungen entspricht, besteht für die subsidiäre Wächteramtsfunktion kaum Raum. Hier muss man sich grundsätzlich vor Augen führen, dass die Elternverantwortung in erster Linie eine Frage der Umsetzung und nicht der inneren Haltung ist. Nur so kann die grundrechtsrelevante Abgrenzung von Eltern- und Staatszuständigkeiten befriedigend vollzogen werden. Dies wird auch mit Blick auf § 1671 deutlich, der nicht mehr als ein den staatlichen Gestaltungsanspruch dokumentierender Eingriffstatbestand ausgestaltet ist, sondern als staatliches Angebot für den Fall, dass eine eigenständige Regelung nicht getroffen werden kann. Damit trägt die Reform der grundlegenden Einsicht über die nur relative Gestaltbarkeit der Trennungssorge Rechnung. 157 Zum einen handelt es sich um eine Gemengelage, deren multifaktorielle Entscheidungsfindung nicht mit statischen Maßstäben erfasst werden kann. 158 Schon die Bedeutung des subjektiven Antriebs für die Umsetzung des Kindeswohls erscheint zweifelhaft. So sind kaum Fälle denkbar, in denen sich die subjektive Motivationslage mit Eindeutigkeit feststellen lässt. Ein diffuses Konglomerat aus gemischten Empfindungen und unterschwelligen bzw. unbewussten Abwägungen liegt der Elternentscheidung zugrunde. Durch die Fortschreibung der gesetzlichen 155 Grundlegend anders Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906), die aus der Tatsache, dass die sachwidrig motivierte gemeinsame Sorge nicht ausgeschlossen werden kann, die Folgerung zogen, diese Sorgerechtsform insgesamt in Frage zu stellen. 156 Bereits im Rahmen der vorherigen Rechtslage wurde für eine Wahrung der Intimsphäre der Eltern nachhaltig argumentiert vgl. Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59) auch unter dem Aspekt der grundsätzlich außerrechtlichen Beurteilung des Familienkonflikts. 157 Vgl. schon Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130). 158 Vgl. Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130) unter Hinweis auf die sachwidrigen Motivationen, die auch bei der Alleinsorgeübertragung eine Rolle spielen können.

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Sorge über die Trennung hinaus hat das Gesetz diese persönliche Güterabwägung in den Privatbereich verlagert. Eine staatliche Überprüfung gewährte hier nicht notwendig eine überlegene Auswertung, fehlten doch oftmals der erforderliche Einblick und die Möglichkeit, eine angemessene Einschätzung auch für die zukünftigen Auswirkungen zu treffen. 159 Vor allem aber ist von Bedeutung, dass die erste Fortsetzung des gemeinsamen Sorgerechts die Eltern nicht verbindlich festlegt. Selbst wenn zunächst die gebotene Sorgerechtsregulierung hinausgeschoben wird, gewährleistet die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung zunächst die Minimalregulierung. Darüber hinaus schneiden sich die Eltern durch eine vorläufige Entscheidungsverzögerung nicht die Möglichkeit ab, bei auftretenden Schwierigkeiten eine gerichtliche Regulierung einzuleiten. Dadurch entsteht sogar der Vorteil, dass die Intervention zielgerichtet auf die bestehenden Streitigkeiten ausgerichtet werden kann und sich nicht in vage pauschalen Unterstellungen gegenüber der elterlichen Aufrichtigkeit verliert. Auf diese Weise kann vor allem die mit der Überwindung erster Verunsicherung eintretende Entspannung genutzt werden und zur Vermeidung voreiliger Intervention führen. 160 c) Sachfremde Motivation – Gestaltung des Verhältnisses zum anderen Elternteil Schwerwiegender erscheint demgegenüber ein weiteres sachfremdes Motivbündel bei der Beibehaltung der gemeinsamen Sorge, das im emotionalen Verhältnis der Eltern untereinander besteht. 161 In diesem Zusammenhang orientieren sich die Eltern an den mittelbaren Folgen der gemeinsamen Sorge für die Beziehung zum ehemaligen Partner. Die Elternsorge wird dabei entweder als Möglichkeit der 159 Unter Hinweis auf das unlösbare Prognoserisiko gegen die Übertragung der gemeinsamen Sorge nach vorheriger Rechtslage KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057); OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759); Dörr NJW 1989, S. 690 (691 f); Finger DRiZ 1985, S. 91 f; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907 f); Kropholler JR 1984, S. 89 (94); Luthin FamRZ 1983, S. 648 f; ders. abweichend „Gemeinsame Sorge nach der Scheidung“, S. 29; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (129); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 7; Puls ZfJ 1984, S. 8 (12); Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 124; für die Überzeugung der Richterschaft vgl. Limbach „Studie“, S. 55 f; kritisch dazu Müko / Hinz § 1671 Rz. 72; Hinz ZfJ 1984, S. 529 (533); Schwab „Handbuch“ III, Rz. 92. 160 Vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/4899, S. 64, worin auf die nun bevorzugte Möglichkeit eingegangen wird, auf die Situationsänderung flexibel reagieren zu können; vgl. auch Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (58), der die Erfahrung der Scheidungsforschung hervorhebt, derzufolge sich im Anschluss an eine Umgewöhnungsphase an die neue Lebenssituation idR angepasstes Verhalten zeigt; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (881), der zur Verdeutlichung vorzeitiger Beurteilung der Lebensverhältnisse das Bild eines Sprinters heranzieht, dessen Leistungsfähigkeit untersucht werden soll, während sein Bein wegen eines Bruchs im Gips liegt; vgl. dazu auch OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 f. 161 Vgl. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906); dazu auch KG FamRZ 1989, S. 654.

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Konfliktvermeidung oder als Mittel der Einflussnahme auf die Lebensgestaltung des früheren Partners missbraucht. 162 Harmonisierungsbedürfnisse oder Verlustangst lenken hier die sorgerechtliche Gestaltung. Das unsachgemäße Haften an alten Rechtspositionen und die Vermeidung einer gegebenenfalls erforderlichen Anpassung an die neuen Lebensverhältnisse droht damit, den unvermeidlichen Klärungsakt über die zukünftigen Lebensbedingungen des Kindes lediglich zu verzögern oder das Kind gar einem permanenten Kampfpotential der Eltern schutzlos auszusetzen. 163 Die Auswirkungen auf das Kindeswohl bestehen grundsätzlich in der unsachgemäßen Verschiebung des Fokus auf die Elternbeziehung. So hat sich in Hinblick auf die Harmonisierung bereits in der alten Rechtslage gezeigt, dass der Konfrontation durch einen Alleinsorgeantrag ausgewichen wurde, um den Konflikt nicht offen austragen zu müssen, sei es, um den anderen Elternteil nicht zu kränken, oder aus der Erwägung heraus, selbst nicht in die Schusslinie der gegnerischen Erwiderung zu geraten. 164 Das Sorgerecht wird auf diese Weise zur Entspannung der Elternbeziehung instrumentalisiert. Dabei droht sich die Konfliktanlage auf die Ausübung zu verlagern. 165 Durch die Vermeidung des Konflikts sind die Eltern in ihrem Verhalten unvorbereitet und unkoordiniert. 166 Die Ausübung der gemeinsamen Elternverantwortung wird gleichsam dem Zufall überlassen und die Eltern vertrauen darauf, dass sich die erforderliche Abstimmung aus den Umständen ergeben wird. Es droht eine willkürliche und uneinheitliche Gestaltung der Trennungssorge. Das Risiko der gesetzlichen Regulierung besteht hier darin, dass die Voraussetzungen der gemeinsamen Sorgerechtsausübung nicht überprüft und der bewusste Vorgang der Anpassung seitens der Eltern äußerlich nicht abgerufen wird. 167 Die 162

Vgl. Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451); dazu auch schon Coester FuR 1991, S. 70 (73); Fehmel FamRZ 1979, S. 380 (760); Finger DRiZ 1988, S. 12 (16); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130); Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 19; kritisch dazu Schwenzer 59. DJT 1992, S. A 64 (A 77). 163 Vgl. Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970 f); Baecker in „Zur Sache“, S. 88. 164 Vgl. Dörr NJW 1989, S. 690 (691 f); Finger DRiZ 1985, S. 91 (95); Johannsen / Henrich / Jaeger 2. Aufl. § 1671 Rz. 79; Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler JR 1984, S. 89 (94); ders. NJW 1983, S. 271 (274); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (307); Luthin FamRZ 1983, S. 648 als Anm. zu KG FamRZ 1983, S. 420, 648. 165 Zur Gefahr der Konfliktverschleppung vgl. auch Salgo FamRZ 1996, S. 1996, S. 449, der daher für das Erfordernis eines Sorgerechtsplans eintritt; bestätigend auch Rehberg FuR 1998, S. 65 (67); Lossen FuR 1997, S. 100 (103). 166 Vgl. dazu auch schon Dörr NJW 1989, S. 690 (691 f); Finger DRiZ 1985, S. 91 f; Johannsen / Henrich / Jaeger „Eherecht“ 2. Aufl. § 1671 Rz. 79; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907 f); Kropholler JR 1984, S. 89 (94); Luthin FamRZ 1983, S. 648 f; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (129); Puls ZfJ 1984, S. 8 (12); Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 124.

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Weigerung der Eltern, sich mit der Gestaltung der Trennungssorge auseinanderzusetzen, steht der gebotenen bewussten Wahrnehmung der Elternverantwortung entgegen. 168 Insbesondere, wenn das Verhalten auf Schuldgefühle gegenüber dem Kind oder dem ehemaligen Partner zurückzuführen ist, werden weder die eigene Kapazität noch das tatsächliche Interesse des Kindes unter den konkreten Umständen hinreichend berücksichtigt und es tritt die Gefahr der Überforderung ein. 169 Eine ähnliche Wertung ergibt sich für Fälle, in denen nach der gescheiterten Partnerschaft das Sorgerecht als Mittel dazu dient, die Lebensführung des anderen zu kontrollieren und sich auf diese Weise in dessen Gestaltung einzumischen. 170 Hinzu kommt, dass die Elternsorge hier als Druckmittel gegen den ehemaligen Partner funktionalisiert und damit das Kindesinteresse bei der Sorgerechtsausübung dauerhaft hintangestellt werden kann. 171 Damit hängt der grundsätzliche Themenkomplex zusammen, dass ein unausgewogenes Verhältnis zwischen den Eltern den Entscheidungsprozess prägt und ein Elternteil mit Drohung oder anderweitiger Ausnutzung von Abhängigkeiten dazu bestimmt wird, den beabsichtigten Antrag auf Übertragung der Alleinsorge nicht zu stellen. 172 Nicht die Kindesinteressen, sondern lediglich die Durchsetzung der egoistischen Interessen eines Elternteils prägt hier die Sorgerechtsausübung. Die Zwangsausübung eines Elternteils aufgrund psychischer, wirtschaftlicher oder physischer Unterlegenheit des 167 Vgl. auch weitere Ausführungen zur Gefahr einer besonderen Hemmung der gerichtlichen Überprüfung durch das Antragsverfahren Kap. C., Abschn. II.2.b)cc) sowie Abschn. III.2.b). 168 Vgl. dazu auch bereits Coester „Kindeswohl“, S. 319; Göppinger Rz. 619; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 83; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler JR 1984, S. 89 (95); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 65; dies. in „Studie“, S. 32; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (419); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (134); MüKo / Hinz 2. Aufl. § 1671 Rz. 68; Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 109; Strempel S. 14; OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759). 169 Vgl. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906), der von dem illusionären Glauben spricht, alles könne somit beim Alten bleiben; vgl. auch KG FamRZ 1989, S. 654. 170 Vgl. Coester FuR 1991, S. 70 (73); Fehmel FamRZ 1979, S. 380 (760); Finger DRiZ 1988, S. 12 (16); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130); Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 19; kritisch dazu Schwenzer 59. DJT 1992, S. A 64 (A 77). 171 Insbesondere Frauenverbände haben in diesem Zusammenhang geltend gemacht, dass es sich dabei um eine Verschlechterung der idR betreuenden Mütter handele. Vor allem sei zu befürchten, dass sich der nicht betreuende Vater gleichermaßen unverantwortlich verhielte, aber in Anspruch nehme, der Mutter in ihre Erziehung hinein zu reden; kritische Anmerkungen dazu vgl. Willutzki RPfleger 1997, S. 336 (337 f), mit Hinweis auf die insoweit entlastende Regelung der Alltagssorge. Er spricht sich dabei für eine nachhaltige Abkehr von dem bisherigen Alles-oder-Nichts-Prinzip aus. 172 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Diskussion, inwieweit das Antragsmodell den schwächeren Partner von der Wahrnehmung seiner Interessen abhalten wird, weil er nun gezwungen ist, durch Antragstellung seine Einschätzung aktiv durchzusetzen, vgl. dazu weitere Ausführungen Kap. C.

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anderen kann zu einer kindeswohlwidrigen Scheineinigkeit mit unzureichender Tragfähigkeit führen. 173 Dabei drohen die gescheiterten Ehestrukturen sich in der Sorgerechtsvereinbarung fortzusetzen. Es kann zu einer Perpetuierung der elterlichen Auseinandersetzungen kommen, die in der nachehelichen Sorge zu Lasten des Kindes ausgetragen werden. 174 Es erscheint jedoch fraglich, ob diese Gefahren der objektivierten Regulierung der gesetzlichen Trennungssorge entgegenstehen. Ein Aspekt ist dabei, wie die Risikofaktoren für das Kindeswohl in der Gesamtabwägung zu gewichten sind. So ist zum einen zu berücksichtigen, dass die sachwidrige Motivation der Eltern auch dem Kindeswohl dienen kann. In diesem Sinne sind verschiedene Argumente anzuführen. So kann die innere Disposition einen zusätzlichen Ansporn bieten, die gemeinsame Sorgerechtsausübung intensiv zu gestalten. Auch kann man die Eltern schon aus menschlicher Erwägung nicht verpflichten, irrationale und egoistische Beweggründe auszuschließen. In diesem stark emotional geprägten Lebensbereich würde dies anderenfalls zu einem unrealisierbaren, formalistischfunktionalen Ansatz führen. Im Übrigen stand die Beziehung der Eltern vor der Trennung im Zentrum der sorgerechtlichen Gestaltung und kann nicht plötzlich als Gestaltungselement vollends tabuisiert werden. Die Mittel und Impulse, die dazu führen, dass die Eltern ihre Aufmerksamkeit auf ihre Rechtsstellung richten, kann hier nicht ausschlaggebend sein. Das Ergebnis muss danach beurteilt werden, wie es sich auf das Kind tatsächlich auswirkt. Besitzstandsdenken oder einen Konflikt umgehende Regelungsvermeidung können sich auch dann stabilisierend auswirken, wenn eine Eskalation des Elternkonflikts aus Eigeninteresse eines Elternteils vermieden wird. Darüber hinaus bietet die gesetzliche Regelung für beide Tendenzen der partnerbezogenen Handlungsmotivation einen gezielten Ausgleich. Zum einen wird der Bestrebung der übergriffigen Einflussnahme des nichtbetreuenden Elternteils gesetzlich entgegengewirkt durch eine klare Begrenzung der gemeinsamen Zuständigkeitsbereiche. Zum anderen wird die Vermeidung einer konfrontativen Gestaltung durch eine ausreichende Sorgerechtsgestaltung aufgefangen und eröffnet ein praktikables Zusammenwirken. Doch auch dort, wo der gesetzliche Rahmen durch erpresserischen Druck übertreten wird, gilt es, eine Abwägung zwischen Eltern- und Kindesinteressen zu treffen. Die Wahrung des Kindeswohls darf nicht vorrangig darauf gerichtet sein, einen Elternteil vor den Übergriffen des anderen zu schützen. 175 Auch wenn sich 173 Vgl. Klußmann FamRZ 1982, S 118 (122); Finger DRiZ 1988, S. 12 (16); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 65; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130). 174 Vgl. Lempp FamRZ 1984, S. 741 (744); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (58); kritisch dazu Michalski, der darauf hinweist, dass nur in 30% aller Scheidungen das Kind Streitthema war. 175 Zwar hat das Sorgerecht insbesondere im historischen Rückblick auch Schutzfunktionen entwickelt, die sich auf den Schutz der Eltern richtet (vgl. statt vieler Schwenzer „Vom

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diese Zurückstellung der Elterninteressen im Einzelfall auf das Wohl des Kindes unmittelbar auswirken und sich als eine akute Gefährdung erweisen mag, so stellt sie doch kein allgemeines Strukturmerkmal dar. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Eltern in der Lage sind, ihre eigenen Interessen selbst wahrzunehmen – gleichsam als ein Ausläufer der Rechtsordnung auf der Grundlage der Privatautonomie. Die Selbständigkeit beider Interessenbereiche ist die Prämisse, die bei der gesetzlichen Sorgerechtsstellung stets unterstellt werden muss. Denn nur auf dieser Grundlage rechtfertigt es sich überhaupt, den Eltern die Interessenwahrnehmung für ihr Kind zu übertragen. Der Verweis auf Rechtsmittel für die Entflechtung der Rechtsstellungen erscheint daher zumutbar, so dass das Elternverhältnis nicht durch eine Gestaltung des Eltern-Kind-Verhältnis mittelbar zu regulieren ist. Stellte man hingegen die Gefährdung der Elternsorge durch Manipulation der Eltern untereinander voran, so müsste dies zu einer umfassenden Staatskontrolle im Bereich der gesamten gesetzlichen Sorge führen, die den entmündigenden Schutz des einzelnen vor sich selbst bewirkte. Der darin angelegte Zwiespalt zwischen Schutz und Freiheit hängt überdies nicht spezifisch mit der Trennung zusammen. Nicht erst die ultimative Familienkrise führt zu solchen Erpressungsstrukturen. Vielmehr mag sie bereits den partnerschaftlichen Umgang geprägt haben, der einer Einflussnahme von außen nicht zugänglich ist. Die Trennung stellt sich insoweit hinsichtlich der staatlichen Regulierung als ein willkürlicher Zeitpunkt dar. Überdies ist es nicht die Schutzrichtung des Sorgerechts, die interne Gleichberechtigung und die demokratische Struktur der Entscheidungsfindung zu gewährleisten. Die sorgerechtliche Beurteilung ist repressiv konzipiert und damit die staatliche Intervention subsidiär. Erst wo sich diese Problematik auf das Sorgerecht kindeswohlrelevant auswirkt und ein Elternteil durch die Abhängigkeiten gleichsam seine Verantwortungsfähigkeit einbüßt, erscheint ein Eingriff mit sorgerechtlichen Instrumentarien geboten. Demzufolge erscheint eine Verdachtsintervention durch präventive Kontrolle nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgebotes nicht gerechtfertigt und ein Rückgriff auf den Maßstab des § 1666 angemessen. 176 Nur so kann dem privatStatus zur Realbeziehung“, S. 102 ff; Weber „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“, S. 335 ff). Im Vordergrund steht dabei der Schutz der Mutter vor der patriarchalen Dominanz des Vaters, indem seine Vorrangstellung abgebaut und die Bewahrung der Mutter vor mittels des Sorgerechts ausgeübter Bevormundung durch den Vater zum Maßstab der Sorgerechtsgestaltung wurde. Das Sorgerecht wurde dabei zur Plattform der Gleichberechtigungsbewegung. Dieser Prozess scheint nun jedoch zumindest in Hinblick auf das Sorgerecht als abgeschlossen betrachtet werden zu können. Die Perspektive hat sich deutlich von den Eltern auf das Kind verlagert und seine Belange aufgewertet. Der Schutz der Elternpositionen ist nachrangig. Vor diesem Hintergrund erscheint es zusätzlich zweifelhaft, ob die sachwidrige Einflussnahme als solche bereits die Grundlage der gemeinsamen Sorge in Frage stellt; vgl. dazu ausführliche Darstellung im Kap. A., Abschn. III.2.b)bb). 176 Für einen gezielten Ausgleich durch therapeutische Behandlung oder Beratung vgl. Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59) auch unter

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autonomen Charakter des Sorgerechts einerseits sachgemäß entsprochen werden und andererseits die Kindesgefährdung anhand des konkreten Einzelfalls gezielt verfolgt werden. Soweit dem die Befürchtung entgegensteht, dass es an Kenntnis staatlicher Stellen oft fehlen wird, so gilt dieser Gesichtspunkt sowohl für präventive als auch repressive Maßnahmen und vermag der gesetzlichen Trennungssorge nicht entgegenzustehen. Demzufolge erscheint das Instrumentarium der gezielten Hilfestellung durch Beratung und Unterstützungsmaßnahem angemessen, um den Familienmitgliedern die Gelegenheit zu geben, die Hindernisse der kindesbezogenen Sorgerechtsausübung zu beseitigen. 177 Anstelle von Kontrolle greifen diese Interventionsformen zeitlich flexibel und bedürfnisgerecht nach der jeweiligen Situation ein 178, werden im Zusammenhang mit der Scheidung durch gezielte Information der Gerichte forciert 179 und tragen der Tatsache Rechnung, dass die dem Aspekt der grundsätzlich außerrechtlichen Beurteilung des Familienkonflikts; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187. 177 So stellte das am 1. 1. 1991 in Kraft getretene KJHG (Das Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendrechts vom 26. 6. 1990, BGBl. I S. 1163) einen Leistungskatalog auf, der gegenüber dem in den Ursprüngen polizeirechtlich strukturierte JWG anstelle von Eingriffstatbeständen stärker auf Hilfestellung aufstellt (Coester FuR 1991, S. 70 (71); 3. Jugendbericht des Bundesfamilienministeriums 1972, S. 31; Kaufmann ZfJ 1991, S. 18; Kiehl ZRP 1990, S. 94; Kühn in Gernert „Das KJHG 1993“, S. 368; Proksch Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1989, S. 71, 75; ders. in Proksch / Sievering, S. 61 (67); Späth in Wiesner / Zarbock, S. 91 (104); zusammenfassend zu der Novellierungsdebate vor dem Hintergrund veränderter Verhältnisse und zunehmenden Regelungsbedarfs, BR- Drucks. 287 /8; vgl. dazu auch Kaufmann in Wiesner / Zarbock S. 319 (322 ff). Darin kam bereits eine Veränderung des staatlichen Interventionsverständnisses von Kontrolle hin zu einer Hilfestellung zur Selbsthilfe zum Ausdruck. Nicht die Ersetzung der familiären Kräfte durch staatliche Autorität, sondern die fachkundig angeleitete Motivation der Selbstheilungskräfte werden hier als Instrumentarien in der Familienkrise gefördert (Balloff FuR 1991, S. 63 (64); Coester in Proksch / Sievering, S. 52; ders. FuR 1991, S. 70 (72); ders. FamRZ 1992, S. 617 (619); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); Fthenakis, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1986, S. 174 (177); ders. FamRZ 1985, S. 662 (665); Kaufmann in Wiesner / Zarbock, S. 319 (325 f); Kiehl ZRP 1990, S. 94; Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (870); Proksch NDV 1992, S. 317 (319); ders. Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1989, S. 71 (79); Späth in Wiesner / Zarbock S. 91; Wiesner in Wiesner / Zarbock S. 10 f.; Reg. Entwurf zum KJHG, BR- Drucks. 503/89 S. 65; vgl. auch BT- Drucks. 11/5948, S. 58; BVerfG FamRZ 1982, S. 1179 (1182). So formuliert § 16 Abs. 1 KJHG einen allgemeinen Leistungsanspruch, wonach „Mütter, Väter, andere Erziehungsberechtigte und junge Menschen (...) Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden“ sollen. Dazu gehören insbesondere Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie, wie Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung des Kindes (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 KJHG). 178 Vgl. § 17 Abs. 2 KJHG, wonach für die Trennung und Scheidung das spezifische Instrumentarium zur Verfügung gestellt wird, die Eltern unter angemessener Beteilung der betroffenen Kinder bei der Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge durch die Jugendhilfe zu unterstützen. 179 Vgl. § 17 Abs. 3 KJHG, wonach die Gerichte die Rechtshängigkeit von Scheidungssachen, sofern gemeinschaftliche minderjährige Kinder vorhanden sind, die Namen und

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Wirksamkeit der staatlichen Maßnahmen in erheblichem Maße abhängig ist von der Bereitschaft der Betroffenen zur Transparenz. d) Folgerungen für die gesetzgeberische Güterabwägung in § 1687 Betrachtet man diese bestehenden Möglichkeiten sachwidriger Motivationen im Rahmen der geltenden Rechtslage, so lassen sich daraus bereits wichtige Elemente der gesetzgeberischen Güterabwägung ableiten. So wird zunächst deutlich, dass die subjektive Ebene durch die pauschale Regulierung ausgeblendet wird. Weder die kindeswohlbezogene Motivation noch die innere Auseinandersetzung mit der zukünftigen Sorgerechtsgestaltung sind demnach Voraussetzungen für die gemeinsame Trennungssorge. Damit geht der Gesetzgeber zum einen bewusst die Gefahr ein, dass durch sachwidrige Motivation entweder eine Fortsetzung der gemeinsamen Sorge eingeleitet wird, die nicht von Erziehungsverantwortung getragen ist und durch Instabilität, Konflikt und Verantwortungsdefizite das Kind gefährden kann. 180 Zum anderen droht, dass in Vermeidung des Sorgerechtsverfahrens eine verdeckte, faktische Alleinsorge ohne gerichtliche Mitwirkung entsteht, die dem Kindeswohl nicht am besten entspricht. Im Verhältnis zu den historischen Ansätzen ergeben sich daraus erste Anhaltspunkte für die reformgesetzliche Wertung. Im Einzelnen lassen sich die in Kapitel 1 herausgearbeiteten Etappen des sorgerechtlichen Interventionsansatzes an dieser Stelle nochmals wie folgt rekapitulieren: So erwies sich anfänglich die vorrangig gesetzlich ausgestaltete Zuweisung der Erziehungsfunktionen nach der Scheidung als Ausdruck einer autoritären Regulierung des Staates. Denn die Scheidungsschuld sowie die rechtliche Unterordnung der Mutter unterwarf die nacheheliche Erziehungsgestaltung weitergehend rigiden Erziehungsvorgaben, die den Eltern für eine eigene Sorgerechtsgestaltung wenig Raum ließen. 181 Diese einzelfallunabhängige Regulierung wurde später zunehmend vom einzelfallorientierten Kriterium des Kindeswohls abgelöst, welches dem Gericht übertrug, anhand der konkreten Umstände nach eigenem Ermessen das Sorgerecht schließlich auf einen Elternteil zu übertragen. 182 Es blieb jedoch im Wesentlichen Sache des Gerichts, die Interessen des Kindes im Rahmen seiner Entscheidungshoheit wahrzunehmen. Zwar wurden im Laufe der Zeit immer stärker die Einschätzungen der Eltern verbindlich in die gerichtliche Beurteilung einbezogen, so dass die Gerichte von einem übereinstimmenden Anschrift der Parteien dem Jugendamt mitteilen, damit diese die Eltern über das Leistungsangebot der Jugendhilfe unterrichtet. 180 Vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfG FamRZ 1995, S. 86 (87); Hammer FamRZ 2005, S. 1209 (1210). 181 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung in Kap.A., Abschn. II.2.a). 182 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung in Kap. A., Abschn. II.2.b).

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Vorschlag der Eltern nur abweichen konnten, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich war. 183 Hier wurden also bereits erste Bestrebungen deutlich, der im Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geschützten Erziehungsautonomie und -verantwortung auch bei Scheidungssorge stärker Rechnung zu tragen. 184 So war es zuletzt das BVerfG im Jahre 1982 185, das aufgrund dieser verfassungsrechtlich geschützten Elternposition entschied, dass das Recht den Eltern nicht grundsätzlich verwehren dürfe, die gemeinsame Sorge nach der Scheidung fortzusetzen, wenn sie dies wollen, fähig dazu seien und dies dem Kindeswohl nicht widerspreche. Doch auch wenn dieser Vorstoß die Selbstbestimmung der Familien nach der Scheidung stärkte, so blieb es bis zum KindRG bei dem nahezu umfassenden Kontrollanspruch des Staates bei der Übertragung von Scheidungssorge. 186 Denn auch wenn die Eltern immer stärkeren Einfluss auf die gerichtliche Beurteilung nehmen konnten, so blieben sie im vollen Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterworfen und mussten ihre sorgerechtlichen Vorschläge durch Nachweis ihrer Erziehungseignung legitimieren. 187 Eines der zentralen Kriterien der Kindeswohlbeurteilung blieb die subjektive Einstellung der Eltern zum Sorgerecht. Anhand dieser kurzen Zusammenfassung wird deutlich, dass die sorgerechtliche Entwicklung bis zum KindRG jedenfalls von einem grundlegenden Gestaltungsanspruch des Staates über die Scheidungssorge geprägt war. Die erneute Übertragung des Sorgerechts im Rahmen der Scheidung unterbrach die Elternverantwortung und reduzierte sie auf eine Pflicht zum Bemühen um eine einvernehmliche Regelung der nachehelichen Sorge. Dabei war das Gericht berufen, die in der Scheidung angelegte Gefährdung des Kindes durch die Eltern abzuwenden. Dieser universelle Kontrollanspruch geht jedoch von zwei Prämissen aus: Zum einen wird vermutet, dass das Gericht in der Lage ist, sich einen Einblick in die konkreten Verhältnisse zu verschaffen und so über die sorgerechtliche Fähigkeit sowie die tatsächlichen Möglichkeiten jedes Elternteils die beste Umsetzung des Kindeswohls zu erkennen und die durch die Scheidung begründete Gefahr zu beseitigen. Auf diese Weise wird letztlich die gerichtliche Einschätzung als der elterlichen überlegen beurteilt. Zum anderen wird unterstellt, dass sich die nachehelichen Verhältnisse gegenüber der partnerschaftlichen Elternsorge so signifikant unterscheiden, dass eine neuerliche Übertragung erforderlich ist.

183

§ 1671 Abs. 3 S. 1 a.F.; vgl. hierzu die ausführliche Darstellung im Kap. A., Abschn. II.2.b)bb). 184 Vgl. dazu auch Kropholler NJW 1984, S. 271. 185 BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen; vgl. dazu weitere Ausführungen hinsichtlich der Entscheidung und darin enthaltene Wertung im Kap. A., Abschn. III.1. 186 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung im Kap. A., Abschn. III.2. 187 Vgl. zum Wandel des Interventionsansatzes im Laufe der Rechtsentwicklung die weiteren Ausführungen in Kap. A., Abschn. II.4.d).

II. Gesetzliche Regelung der gemeinsamen Trennungssorge

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Stellt man diese historische Wertung der aktuellen Rechtslage gegenüber, so zeichnet sich die Wertung der Trennungs- und Scheidungssorge ab. Der historisch gewachsene Gestaltungsanspruch des Staates, der die Scheidungssorge durch obligatorische Neugestaltung unter gerichtliche Kontrolle gestellt hatte, tritt zurück und wird ersetzt durch einen gesetzlichen Auffangtatbestand, durch den die Funktionsverteilung zwischen den Eltern universell geregelt wird. Erst zusätzliche Faktoren wie Kindeswohlgefährdung § 1666 oder ein Alleinsorgeantrag gem. § 1671 lösen einen direkten Eingriff zur Regulierung des Einzelfalls aus. Im historischen Kontext erweist sich der Regelungsansatz des § 1687 folglich als Rückzug aus der Organisation der Trennungsfamilie. Dies bedeutet gleichzeitig eine inhaltliche Gewichtung der Trennungs- und Scheidungssorge. Denn indem der Staat seinen universellen Kontroll- und Gestaltungsanspruch aufgibt, fällt dieser Bereich an die Eltern zurück und erweitert insoweit ihre Sorgerechtsstellung. Das heißt zunächst, dass sich, wie oben im Zusammenhang mit der Begriffsbestimmung der gemeinsamen Sorge bereits gezeigt 188, eine einheitliche gesetzliche Sorge entwickelt, die durch das Entfallen der gerichtlichen Zäsur zur Kontinuität der Elternverantwortung führt. 189 Indem nun von der Erziehungseignung beider Eltern ausgegangen wird, wenn keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen, richtet sich die Fortsetzung auch nicht mehr konstitutiv nach der Bereitschaft der Eltern, sondern knüpft auch in diesem sachlichen Zusammenhang an ihre natürliche Berufenheit an, wie sie der gesetzlichen Sorge gem. §§ 1626 ff zu Grunde liegt. 190 Daraus folgt, dass die Gestaltung der Trennungssorge und die Überwindung der mit der Trennung zusammenhängenden Schwierigkeiten zuerst in die Zuständigkeit der Eltern selbst fällt und Bestandteil der gemeinsamen Sorge bildet. 191 Sind sie durch diese Zuständigkeit aufgrund ihrer individuellen Bedingungen überfordert, so wird es nun gleichsam zum Element der Elternverantwortung, den Staat entweder durch Beratungsstellen oder Gerichte zur Wahrnehmung der Kindesinteressen anzurufen. Diese Verlagerung der Aufgabenbereiche vom Staat auf die Eltern hat erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis des Kindeswohls. Ausgangspunkt ist dabei der oben bereits angesprochene Wandel der Gefahreneinschätzung bei Trennung und Scheidung. Die Scheidung wird durch Aufhebung des Scheidungsverbundes nicht mehr als eine zwingende Kindeswohlgefährdung eingestuft, die den Staat im Rahmen des Wächteramtes zur Intervention beruft. Eine prophylaktische Gerichtskontrolle wird nicht länger für erforderlich erachtet, um die Kindesinteressen bei Trennung und Scheidung sachgerecht wahrzunehmen. Das Kindeswohl liegt 188

Vgl. Abschn. II.1. Vgl. dazu auch die obigen Ausführungen zum Begriff gemeinsamen Rechtsstellung unter Abschn. II.1. 190 Vgl. MüKo / Huber Vor § 1626 Rz. 15; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 f. 191 Vgl. MüKo / Huber Vor § 1626 Rz. 15. 189

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

daher, soweit keine zusätzlichen Faktoren wie Sorgerechtsantrag oder konkrete Kindesgefährdung hinzutreten, im Rahmen der gesetzlichen Trennungssorge im Interpretationsprimat der Eltern. So wird die Wahrnehmung der Kindesinteressen wieder in die Familie zurück verlagert und damit gleichsam reprivatisiert. 192 Der bisherige Vorrang der gerichtlichen Einschätzung der Kindesinteressen in der Familienkrise wird auf diese Weise aufgehoben und zur defensiven Regulierung. Das heißt, dass bereits durch die bloße Tatsache einer gesetzlichen Fortschreibung der Elternsorge bei Trennung und Scheidung eine Güterabwägung zum Ausdruck kommt, die der Vermeidung der staatlichen Intervention im allgemeinen Scheidungsfall erst einmal den Vorrang gibt und damit der Schutz der Privatheit in Ansehung auf das Kind an Gewicht gewonnen hat. 193 Der Auffangtatbestand des § 1687 stellt dabei sehr anschaulich eine besondere Zurückhaltung der Gestaltungsabsicht des Gesetzgebers unter Beweis. Darin kommt eine Stärkung der Elternverantwortung, eine Priorität von familieninterner Regulation und Erhaltung bestehender Verantwortungen zum Ausdruck, die für den Rechtsbegriff in diesem Rechtsbereich von erheblicher Bedeutung ist. Schließt der Gesetzgeber dabei auch die Motivation der Eltern als Entscheidungsmoment für die gemeinsame Trennungs- und Scheidungssorge aus, so vollzieht er eine grundlegende Abkehr vom historisch gewachsenen Beurteilungsmaßstab. Denn ohne den Legitimationsdruck des bisherigen Sorgerechtsverfahrens wird die Erziehungseignung auch in der Familienkrise nun nicht mehr an der inneren Haltung festgemacht, sondern knüpft an die natürliche Berufenheit der Eltern an. 194 So wird auch die gesetzliche Trennungs- und Scheidungssorge „verobjektiviert“ und das Kindeswohl allein nach den äußeren Umständen reguliert. Bereits hier zeigt sich eine Umgewichtung, die im Rahmen eines einheitlichen Verständnisses dieses zentralen Rechtsbegriffs auch im Zusammenhang mit der Bewertung des Alleinsorgeantrages berücksichtigt werden muss und auf die an späterer Stelle zurückzukommen sein wird. Für das Interventionsverständnis im Rahmen des KindRG lassen sich daher aus der Einführung eines gesetzlichen Trennungssorgetatbestandes bereits einzelne Aspekte herausarbeiten. So zeigt sich an der einzelfallunabhängigen Regulierung der Trennungs- und Scheidungssorge eine Veränderung des wächteramtlichen Schutzauftrages, mit dem die elterliche Autonomie und die staatliche Intervention zur Wahrnehmung der Kindesinteressen ins Verhältnis gesetzt werden. Dabei wird 192 Vgl. dazu auch MüKo / Huber Vor § 1626 Rz. 15; zur Reichweite der elterlichen Verantwortung vgl. in diesem Zusammenhang auch MüKo / Huber § 1626 Rz. 13; Gernhuber / Coester-Waltjen § 57 III 1. 193 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 f. 194 In diesem Zusammenhang vgl. zur Unverzichtbarkeit des Sorgerechts auch RGZ 60, S. 266 (268); BayObLG FamRZ 1976, S. 232, 2340; Staudinger / Peschel-Gutzeit § 1626 Rz. 25; Soegel / Strätz § 1626, Rz. 6.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

237

die Subsidiarität der familiengerichtlichen Entscheidung gesetzlich verankert. 195 Durch die Vereinheitlichung der gesetzlichen Sorge und ihrer Fortschreibung über die Trennung hinaus findet eine Reprivatisierung der Trennungssorge statt. Nicht die Kontrolle der Eltern, sondern ihre Eigenverantwortlichkeit bei der Überwindung der trennungsbedingten Hindernisse bildet nun den ersten Ansatzpunkt zum Umgang mit der Familienkrise. 196 Damit wird der Grundsatz, dass die Eltern am besten in der Lage sind, die Kindesinteressen zu erkennen und umzusetzen, auf die Trennungs- und Scheidungssituation erweitert. Das heißt, eine Konkurrenz zwischen den Eltern wie zwischen Eltern und Gerichten wird vermieden und stärker auf die Kooperation der Eltern untereinander bzw. im Falle auftretender Defizite mit staatlichen Stellen abgestellt. Dabei findet durch die universelle Regulation auf Gesetzesebene auch eine Verobjektivierung der Staatsintervention statt, die nicht die innere Motivationslage, sondern die faktische Ausübung der Elternverantwortung in den Vordergrund stellt.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen der gemeinsamen Sorge gem. § 1687 Abs. 1 Vor dem Hintergrund dieser übergreifenden Wertungsansätze richtet sich das Augenmerk nun auf die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen, mit denen das oben ausgeführte gesetzliche Konzept konkretisiert wird. Die Umsetzung beruht in erster Linie darauf, gemeinschaftliche Ausübung der Sorge durch eine gesetzliche Aufgabenverteilung zu strukturieren. Dabei versucht das Gesetz, der Faktizität der Trennung gerecht zu werden, die sich sowohl aus der emotionalen Anspannung als auch aus den äußeren Verhältnissen ergibt. 197 Systematisch bedeutet das, dass zwar grundsätzlich das Gebot der Einvernehmlichkeit gemäß § 1627 weiter gilt, aber in seiner Ausrichtung an die spezifischen Bedingungen der Trennung angepasst wird. 198 Der Zweck ist darauf gerichtet, einen praktikablen Kompromiss zu finden, um dem Kind mit dem rechtlichen Band der gemeinsamen Sorge beide Eltern als Bezugspersonen zu erhalten und die gemeinsame Sorge zugleich möglichst konfliktfrei zu gestalten. 199 Die vorrangige Funktion dieser Regelung ist die Regulation der Trennungsproblematik, die bislang den Staat im Wächteramt zur Scheidungsintervention berufen hat. Zwar geht die reformierte Rechtslage, wie oben dargestellt, nicht mehr 195

Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 f. Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 f. 197 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 44. 198 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 107; vgl. dazu auch OLG Frankfurt FamRZ 199, S. 392; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492. 199 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 3; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 44. 196

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

davon aus, dass die Trennungssorge staatlich gestaltet werden muss, aber sieht gleichwohl eine dispositive Regelung für die Fälle vor, in denen eine eigenständige Aufgabenverteilung versagt. Ausgangspunkt ist also weiterhin das im Elternverhältnis angelegte Konfliktpotential, das die treuhänderische Wahrnehmung der Kindesinteressen behindert. Wurde darin aber vor Inkrafttreten des KindRG eine Kindeswohlgefährdung gesehen, die eine einzelfallbezogene Gerichtsprüfung erforderte, so tritt nun an deren Stelle eine generalisierte gesetzliche Regulierung. 200 Damit wird die Trennungsregulation auf eine zum Regelfall erhobene Fallkonstellation reduziert, die durch standardisierte äußerliche Organisation lediglich am reibungslosen Ablauf eines als problematisch angesehenen Umbruchs orientiert ist. Regelt die allgemeine gesetzliche Sorge gem. §§ 1626 ff vor allem eine inhaltliche Bestimmung der Rechtsstellung, so ist die Regelung der Trennungssorge vorrangig mit der praktischen Umsetzung durch gezielte Aufgabenverteilung befasst. Auf diese Weise entsteht ein Minimalkonzept, das unabhängig von den konkreten Umständen eine praktikable Sorgerechtsgestaltung ermöglicht mit dem Ziel, die Praktikabilität zu erhöhen, die Konfliktregulierung zwischen den Eltern zu erleichtern und den Missbrauch sorgerechtlicher Kompetenzen einzuschränken. 201 Dies verlagert den Schwerpunkt auf eine organisatorische Anleitung zur Handhabung des Krisenfalls, während auf eine inhaltliche Gestaltung verzichtet wurde. Betrachtet man den Tatbestand zunächst als Ganzes, so wird deutlich, dass die gesetzliche Erscheinungsform der gemeinsamen Trennungssorge auf ein konkretes Modell der Lebensgestaltung abstellt. 202 Das Gesetz geht davon aus, dass das Kind bei einem Elternteil dauerhaft lebt und zum anderen Elternteil regelmäßigen Umgang pflegt. Es knüpft damit an das sog. „Eingliederungsmodell“ bzw. „Residenzmodell“ an, das die bisherige Rechtspraxis dominiert hat 203, und greift damit für die formalisierte Gestaltung den zu erwartenden Regelfall heraus. 204 Die Entscheidungsfindung in wesentlichen Angelegenheiten wird auf diese Weise zum 200 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 16 f; kritisch zu diesem Reformansatz vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1996, S. 1187 (1190); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (450); Rehberg FuR 1998, S. 65 (67); Johannsen / Henrichs / Jaeger § 1671 Rz. 7; befürwortend hingegen Fthenakis FPR 1998, S. 84 (90). 201 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 58; 13/8511, S. 67; Johannsen / Henrich / Jager 3. Auflage § 1687 Rz.1. 202 Vgl. mit kritische Stellungnahmen Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146; Wend FPR 1999, S. 137 (139). 203 Vgl. dazu auch Palandt / Diederichsen, 62. Aufl. § 1687 Rz. 3 mit einer diffenzierteren Einschätzung, wonach die Alleinentscheidungsbefugnis des betreuenden Elternteils an das Residenzmodell anknüpfe, während die Entscheidungsbefugnis des nichtbetreuenden Elternteils an das Wechsel-, Doppelresidenz- und Nestmodell anknüpfe, vgl. dazu auch OLG Zweibück FamRZ 2001, S. 639; kritisch Rakete-Dombek, Forum Familien- und Erbrecht 2002, S. 16.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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zentralen Merkmal der gemeinschaftlichen Rechtsstellung. Im Übrigen ist die spezifische Ausgestaltung der Trennungssorge durch das Entflechten der rechtlichen Zuständigkeiten gekennzeichnet. Daraus ergibt sich die Einordnung der elterlichen Rechtsstellungen in gemeinsame und einseitige Zuständigkeiten. Die Kompetenzen der Eltern werden voneinander abgegrenzt und verselbständigt. Die Einheitlichkeit des partnerschaftlichen Sorgerechts wird auf diese Weise in Individualzuständigkeiten aufgegliedert und zu einer tragfähigen und einzelfallunabhängige Sorgerechtsgestaltung zusammengefügt. An die Stelle des Einheitsprinzips 205, wonach die Eltern grundsätzlich alle Entscheidungen gemeinschaftlich zu treffen haben, wird bei der Trennung die gemeinschaftliche Zuständigkeit ausdrücklich beschränkt. 206 Das Grundprinzip der Gesamtvertretung wird damit für Trennung und Scheidung aufgegeben und lässt die gemeinsame Sorge in diesem Sorgerechtsbereich zu etwas formal qualitativ anderem werden als vor der Trennung. 207 Diese Abgrenzung der Elternpositionen und die Unterscheidung zwischen Gemeinschafts- und Einzelzuständigkeiten macht die Besonderheit der Trennungssorge aus. Durch die gesetzliche Entflechtung der elterlichen Zuständigkeiten tritt eine Stärkung der individuellen Rechtsstellungen ein. Gleichzeitig reguliert das Gesetz den Kern der Gemeinsamkeit beider Rechtsstellungen, wie er gem. §§ 1626 ff wegen der Vermutung partnerschaftlicher Verbundenheit den Eltern selbst überlassen bleibt. 208 Die Gemeinsamkeit der elterlichen Rechtsstellung setzt sich damit aus zwei Komponenten zusammen. Sie ist zum einen gekennzeichnet durch eine bloße Gleichzeitigkeit der beiderseitigen Elternsorge, die als unabhängige Rechte nebeneinander bestehen. Erst in zweiter Linie richtet sich der Begriff in diesem Zusammenhang auf ein einheitlichkooperatives und auf einander bezogenes Wahrnehmen der Elternverantwortung. Vor diesem Hintergrund wendet sich die nun folgende Betrachtung nun den einzelnen Tatbestandsmerkmalen zu und untersucht im Einzelnen, wann der Trennungssorgetatbestand zur Anwendung kommt und welche Bedeutung den drei Sorgerechtsbereichen, bestehend aus dem gemeinsamen Entscheidungsbereich beider und den jeweiligen Alleinzuständigkeiten der Elternteile im unmittelbaren Kontakt mit dem Kind, zukommt. 204 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1687 Rz. 7; Lüderitz „Familienrecht“ Rz. 908; Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 19; kritisch dazu Wend FPR 1999, S. 137 (139). 205 Vgl. § 1627 a.F. 206 Bisher war eine Aufteilung der Zuständigkeiten nur rechtmäßig, wenn es das Kindeswohl im Einzelfall zwingend geboten hat; vgl. dazu BT-Drucks. 8 /2788, S. 63; Kropholler NJW 1984, S. 271 (275); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 8; KG FamRZ 1962, S. 434; in Hinblick auf eine spätere Anordnung gem. § 1666 a.F. vgl. BayObLG FamRZ 1963, S. 192. 207 Vgl. Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146 – an dieser Stelle sei jedoch nochmals auf die Ausführungen unter Abschn. B.II.1. verwiesen, worin deutlich gemacht wurde, dass die arbeitsteilige Einzelzuständigkeit gleichermaßen der gesetzmäßigen Realität der partnerschaftlichen Elternsorge gem. §§ 1626 ff entspricht. 208 Vgl. dazu auch Ausführungen unter Abschn. B.II.1.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

1. Tatbestandsvoraussetzungen der Trennung Die Sonderregelung der Trennungssorge knüpft an einen einheitlichen Tatbestand an. Nicht mehr die endgültige rechtliche Auflösung der Partnerschaft durch die Scheidung, sondern Umsetzung der Entscheidung der Betroffenen bzw. die tatsächliche Partnerschaftsauflösung ist nun der sorgerechtliche Anknüpfungspunkt. Der Trennungssorgetatbestand setzt voraus, dass die Eltern, denen die Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt leben. Dieser Trennungsbegriff stellt einerseits die Grundvoraussetzung für eine besondere Modifikation der gesetzlichen Sorge dar, die sich sowohl in der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung nach der Trennung als auch im Antragsverfahren zur Übertragung der Alleinsorge niederschlägt. Denn darin manifestiert sich das spezifische Regelungsbedürfnis, das sowohl die gesetzliche Gestaltung in § 1687 Abs. 1 als auch die gerichtliche Einzelfallbeurteilung gem. § 1671 legitimiert. 209 Auf der anderen Seite begrenzt der Tatbestand die Reichweite der Trennungssorge und weist ihr eine inhaltlich bestimmte Kontur zu. Sobald die Eltern wieder die Lebensgemeinschaft aufnehmen, lebt automatisch die uneingeschränkte gemeinsame Sorge wieder auf. 210 a) Bestehen gemeinsamer Sorge Anknüpfungspunkt ist zunächst also das Bestehen der gemeinsamen Sorge, bevor sich die Eltern getrennt haben. Die Trennungssorge ist keine eigenständige Rechtsgrundlage. Sie beruht vielmehr auf einer bestehenden Rechtslage, die sie aufgrund der konkreten Lebenssituation normativ spezifisch gewichtet. Indirekt stellt dieser Ausgangspunkt der Rechtsgestaltung klar, dass Ursprung und Quelle der elterlichen Rechtsstellung die fortwährende Sorge gem. §§ 1626 ff bleibt. 211 Damit verlängert sich die sorgerechtliche Pflichtenstellung beider Eltern unabhängig von der Regelungsmodifizierung des § 1687 Abs. 1 über die Trennung hinaus und wird in der bestehenden Form auf diesen Sorgerechtsbereich übergeleitet. 212 So stellt das Gesetz klar, dass für das Sorgerecht keine unmittelbare Rechtsfolge an Trennung und Scheidung geknüpft ist. Die elterliche Sorge besteht also grundsätzlich in der Form weiter, in der sie bis zur Trennung der verheirateten oder nicht verheirateten Eltern bzw. bis zu ihrer Scheidung bestand. 213 Die konkrete Grundlage der bestehenden gemeinsamen Sorge ist für die Gestaltung der Trennungssorge damit irrelevant. 214 Die Trennungssorge beruht auf 209

Vgl. aber auch § 1672 a.F. Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (470). 211 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 5; dazu auch OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; OLG Karlruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042). 212 Vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Karlsruhe EzFamR 1999, S. 66 (68). 213 Vgl. OLG Nürnberg FamRZ 1998, S. 314. 210

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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einem vereinheitlichten Gesamtkonzept, das sich allein an bestehenden Rechtspositionen orientiert. 215 Entscheidend ist daher nurmehr, dass die Eltern zum Zeitpunkt der Trennung das Sorgerecht gemeinsam ausüben, ohne danach zu differenzieren, auf welcher Grundlage die Sorgerechtsstellung entstanden ist. 216 Von der Trennungssorge erfasst werden folglich alle Eltern, die (a) bei der Geburt des Kindes verheiratet waren gem. § 1626, (b) nach der Geburt heirateten, gem. § 1719 a.F. 217 iVm § 1626 bzw. § 1626a Abs. 1 Nr. 2, (c) die gemeinsame Sorge kraft übereinstimmender, auf die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge gerichteter Willenserklärungen erlangten, gem. § 1626a Abs. 1 218 oder (d) aufgrund einer Übertragung gem. §§ 1671 a.F. nach der Scheidung behalten haben. 219

214

Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 16. Vgl. dazu den Regierungsentwurf BT-Drucks. 13/4899, S. 61 f, der die Einheitlichkeit der Regelung für die gemeinsame Sorge als Reformziel besonders hervorhebt; vgl. in diesem Zusammenhang auch Solomon FamRZ 2004, S. 1409 ff zur Neuregelung der „EUVerordnung 2201/2003 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen sowie die Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und die Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000“, Brüssel IIa, (abgedruckt in FamRZ 2004, S. 1443) mit gemeinschaftsrechtlichem Verfahrensrecht in Fragen der elterlichen Verantwortung, die Sorgerechtsentscheidungen nicht länger als Annex zu Ehesachen regelt, sondern vom Status der Elternbeziehung loslöst. 216 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 16. 217 Dieser Sorgerechtstatbestand der nachträglichen Legitimation des nichtehelichen Kindes durch Heirat der Eltern, durch den das nichteheliche Kind im Nachhinein wie ein eheliches zu behandeln war, wurde jedoch mit dem KindRG abgeschafft und gilt nurmehr für die bereits abgeschlossenen Lebenssachverhalte. Ohne diesen bisherigen Statuswandel wurde die gesetzliche Erteilung der gemeinsamen Sorge durch spätere Heirat nun von § 1626a Abs. 1 Nr. 2 abgelöst. 218 Zu den spezifischen Sorgerechtsbestimmungen der Elternsorge nichtehelicher Kinder vgl. Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (212 ff); Lipp FamRZ 1998, S. 65 (69 ff); v. Renesse FPR 1998, S. 59; Weychart ZfJ 1999, S. 268 f; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 673 (Zur Entstehung der Sorgerechtserklärung); vgl. dazu auch BVerfG FamRZ 2003, S. 285 zur Annahme des Gesetzgebers, dass die real gemeinsam erziehenden Eltern außerhalb der Ehe von dem rechtlichen Instrumentarium der Sorgerechtserklärung Gebrauch machen, sowie zur hinreichenden Gewähr des Elternrechts seitens der Väter nichtehelicher Kinder durch dieses Rechtsinstitut; dass. FamRZ 2003, S. 358 mit Anm. von Henrich FamRZ 2003, S. 359; dass. FamRZ 2003, S. 1447; dass. FamRZ 2004, S. 87 mit kritischer Anm. von Coester; so auch BGH FamRZ 2001, S. 907; hierzu auch Motzer FamRZ 2001, S. 1034; vgl. zu verfassungsrechtlichen Bedenken AG Groß-Gerau FamRZ 2000, S. 631; AG Korbach FamRZ 2000, S. 629; OLG Stuttgart FamRZ 2000, S. 632; Schumann FamRZ 2000, S. 389 (393); Finger FamRZ 2000, S. 1204; zur Ersetzung der Willenserklärung der Mutter vgl. AG Frankfurt / M. FamRZ 2005, S. 428; OLG Koblenz FamRZ 2006, S. 56; zu den Übergangsbestimmungen vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2005, S. 831. 215

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Die Elternehe und die einvernehmliche Erklärung vor dem Familiengericht werden als Grundlage der Erziehungsverantwortung einander gleichgesetzt. 220 Wird demnach grundsätzlich davon ausgegangen, dass die sorgeberechtigten Eltern auch nach der Trennung zur gemeinsamen Sorgerechtsausübung geeignet sind, so muss die Grundlage dieser gesetzlichen Vermutung aufgrund der Rechtsstellung jedoch bis zur Trennung fortbestehen. Die Eignungsvermutung gem. §§ 1626, 1626a wirkt demnach nur fort, sofern keinem der Elternteile das Sorgerecht unabhängig von der Umbruchsituation gem. § 1666 entzogen worden ist. 221 Entsprechendes gilt für die ruhende Elternsorge für die Dauer des Ruhezustandes. 222 Demgegenüber ergibt sich aus der tatsächlichen Verhinderung ihrer Ausübung noch kein grundsätzliches Hindernis für die gemeinsame Trennungssorge, sofern die Ausübung durch Bevollmächtigung des betreuenden Elternteils gewährleistet ist. 223 Darüber hinaus kommen als weiterer Anwendungsbereich die Sondererscheinungen der gemeinsamen Sorge in Betracht, die sich aus dem Rechtsübergang in die reformierte Rechtslage ergeben. Die Trennungssorge erfasst daher uneingeschränkt auch die Sorgerechtsfälle, die sich im Rahmen des bisherigen Sorgerechts aus einer gerichtlichen Entscheidung ableiten. Wurde also den Eltern im Rahmen der § 1671 Abs. 4 a.F. bzw. § 1696 die gemeinsame Sorge übertragen, so richtet sich die zukünftige Ausübung der gemeinschaftlichen Rechtsstellung nach § 1687 Abs. 1. Angesichts der vielfach erstellten Sorgerechtspläne 224 wird jedoch regel219 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 16; als später Sieg des FGB der DDR vgl. Hinz FPR 1998, S. 76 (77). 220 Gleichzeitig bleibt es bei der Einschränkung der nichtehelichen Sorge, wenn insb. die Mutter einer sorgerechtlichen Einbeziehung des Vaters nicht zustimmt. Kommt es nicht zur Sorgerechtserklärung gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 1, so bleibt es wie bisher bei der Alleinsorge der Mutter. Der Gesetzgeber hat also nach wie vor die unterstellte Unzuverlässigkeit des Vaters im Rahmen nichtehelicher Kindschaft und das Schutzbedürfnis für vorrangig erachtet. Demgegenüber werden verfassungsrechtliche Bedenken laut, die auch hier eine gemeinsame Sorge kraft Gesetzes fordern, die auf Antrag der Mutter für die Fälle des situationsspezifischen Schutzbedürfnisses aufgehoben werden kann, vgl. Finger ZfJ 2000, S. 183 (185 f). Ein weiterer Ansatz stellt darauf ab, dass zumindest bei dauerhaftem Zusammenleben der Eltern mit dem Kind die Mutter die Zustimmung zur gemeinsamen Sorge nicht verweigern darf, vgl. Vorlage des AG Korbach vor dem BVerfG NJW 2000, S. 384. 221 Vgl. Lüderitz „Familienrecht“, Rz. 919. 222 Vgl. dazu auch OLG Nürnberg FamRZ 2006, S. 878, demzufolge die Elternsorge nicht zum Ruhen komme durch einen einjährigen Aufenthalt eines US-Soldaten im Irak, da dieser Auslandseinsatz zeitlich befristet und überschaubar sei und die US-Armee über ausreichend Kommunikationsmöglichkeiten verfüge. 223 Vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2006, S. 878; vgl. auch Gernhuber / Coester-Waltjen Familienrecht § 65II2; so bereits Michalski FamRZ 1992, S. 128 (136); Luhin „Gemeinsame Sorge nach der Scheidung“ S. 77; Kropholler JR 1984, S. 89 (97); eine abweichende Einschätzung ergibt sich demgegenüber für die Beurteilung im Rahmen des Übertragungstatbestandes, vgl. Abschn. B.II.1.

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mäßig davon auszugehen sein, dass eine solche privatrechtliche Absprache der Anwendung des § 1687 Abs. 1 entgegenstehen wird. 225 b) Nicht nur vorübergehendes Getrenntleben Der weitere Anknüpfungspunkt der gesetzlichen Gestaltung des § 1687 Abs. 1 besteht darin, dass die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben. Das Gesetz greift damit den Tatbestand des § 1672 a.F. auf und richtet sich daher wie bisher nach der Legaldefinition des § 1567. 226 Demzufolge leben die Eltern getrennt, „wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt.“ Das Getrenntleben setzt sich damit aus objektiven und subjektiven Elementen zusammen. 227 Dabei sind im Wesentlichen drei Kriterien zu unterscheiden: 228 (a) Eine häusliche Gemeinschaft darf zwischen den Eltern nicht mehr bestehen; (b) ein Elternteil (oder beide) will erkennbar die häusliche Gemeinschaft nicht mehr herstellen; (c) ein Elternteil (oder beide) will die häusliche Gemeinschaft deshalb nicht wieder herstellen, weil er die Lebensgemeinschaft ablehnt. 229 Die objektiven Elemente der Trennung beruhen danach auf einer Trennungsmanifestation und subjektiv auf der Trennungsabsicht, die sich aus der Ablehnung der häuslichen Gemeinschaft und dem Motiv der Ablehnung dieser Partnerschaft zusammensetzt. Alle drei Elemente müssen gegeben sein, um festzustellen, dass die Eltern getrennt leben, so dass trotz des subjektiven Schwerpunkts der Vorschrift die Willensrichtung nicht allein entscheidend ist. 230

224 Zu den bisherigen Anforderungen der Übertragung der gemeinsamen Sorge vgl. Kap. A., Abschn. III. 225 Zu denken wäre in diesem Zusammenhang an eine analoge Anwendung des § 1628, bei dem durch eine gerichtliche Entscheidung die Zuständigkeiten bei der Ausübung gemeinsamer Sorge spezifisch zugewiesen werden kann. 226 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 15; Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 17; Motzer FamRZ 1999, S. 1001; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 11; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 40. 227 Zur Bedeutung der Trennungsvereinbarung vgl. OLG Hamm FamRZ 1980, S. 488. 228 Vgl. Schwab FamRZ 1976, S. 491 (500); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1567 Rz. 8; MüKo / Wolf § 1567 Rz. 14; Oelkers ZfJ 1999, S. 263. 229 Zur Abgrenzung zum vorangegangenen Begriff der „Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft“, der sich nur auf die Trennung und den Wunsch, nicht mehr mit dem anderen Teil zusammenzuleben beschränkte vgl. OLG München FamRZ 1978, S. 596; MüKo / Wolf § 1567 Rz. 14 mwN. 230 A. A. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); zur alten Rechtslage vgl. exemplarisch OLG Köln FamRZ 1982, S. 807.

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aa) Objektive und subjektive Voraussetzungen des Getrenntlebens Die objektive Voraussetzung des Nichtbestehens einer häuslichen Gemeinschaft wird sehr weit gefasst und richtet sich nach den individuellen Umständen des Einzelfalls. 231 Maßgeblich ist, dass die Eltern nach außen die Absicht dokumentieren, auf Dauer getrennt zu leben. 232 Ob eine Trennung innerhalb derselben Wohnung in diesem Zusammenhang ausreicht 233, war im Rahmen des § 1672 a.F. umstritten. 234 Bei funktionsgerechter Auslegung dürfte es im Einzelfall genügen, die Lebensbereiche trotz weiteren Zusammenlebens innerhalb derselben Wohnung im Rahmen der räumlichen Möglichkeiten gegeneinander abzugrenzen. 235 Es sind hier keine Anwendungsprobleme ersichtlich. 236 Auch bei einer auf den Scheidungstatbestand bezogenen Trennung gem. § 1567 Abs. 1 S. 2, die innerhalb derselben Wohnung vollzogen wird, kann die gemeinsame Sorge nach Maßgabe des § 1687 ausgeübt werden, während ein Antrag nach § 1671 als Indiz für bestehenden Regelungsbedarf ausreicht. 237 Andererseits ist eine Entfremdung der Eltern nicht erforderlich. 238 Die äußere Handlung stellt dabei einen Realakt dar, bei dem es auf ein Recht zum Getrenntleben nicht ankommt. 239 Jedoch muss sich ein Elternteil, der die eheliche Wohnung mit dem gemeinsamen Kind verlassen will, das Aufenthaltsbestimmungsrecht gem. § 1628 übertragen lassen. 240 231

Vgl. im Überblick der Rechtsprobleme und Kasuistik MüKo / Wolf § 1567 Rz. 24 ff. Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 11; vgl. dazu auch schon OLG Koblenz FamRZ 1990, S. 550 (551); OLG Saarbrücken FamRZ 1989, S. 30; OLG Hamburg FamRZ 1988, S. 523; OLG Köln FamRZ 1982, S. 807; Oelkers FuR 1999, S. 349. 233 Vgl. § 1567 Abs. 1 S. 2; demgegenüber bleibt § 1567 Abs. 2 ohne Bedeutung, da die Vorschrift auf das Scheidungsverfahren hin konzipiert ist, vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 11. 234 Vgl. befürwortend KG FamRZ 1991, S. 1342, ablehnend hingegen OLG Hamm FamRZ 1991, S. 216. 235 Vgl. § 1567 Abs. 1 S. 2 a.F.; erläuternd MüKo / Wolf 2. Aufl. § 1567 Rz. 26, wonach in diesem Zusammenhang die Trennung erfordert, dass kein gemeinsamer Haushalt geführt werden und keine Wesentlichen Beziehungen zwischen den Eltern bestehen, vgl. dazu schon BGH NJW 1979, S. 1360; vgl. in diesem Zusammenhang auch § 1361b zum Anspruch der Überlassung der Ehewohnung oder eines Teils zur Realisierung des Trennungswunsches. 236 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 11; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1671 10; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); zur Bemessung des Unterhalts bei gemeinsamer Trennungssorge innerhalb der selben Wohnung vgl. OLG Hamburg FamRZ 2001, S. 1235. 237 Vgl. Lüderitz „Familienrecht“ Rz. 923. 238 Vgl. MüKo / Wolf § 1567 Rz. 16. 239 Zu beachten ist aber § 1353 Abs. 2 a.F.; zu der Problematik der Pflicht zur ehelichen Gemeinschaft gem. § 1353 Abs. 1 S. 2 a.F. und der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft vgl. in diesem Zusammenhang Erman / Dieckmann § 1567 Rz. 6; OLG Zweibrück FamRZ 1984, S. 478 (479). 240 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64, 98; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 154; Oelkers FuR 1999, S. 349; Reinecke FPR 1998, S. 140; Schwab 232

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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Bei dieser Entscheidung muss besonders berücksichtigt werden, dass daraus der berechtigte Elternteil gem. § 1687 Abs. 1 S. 2 die Angelegenheiten des täglichen Lebens allein entscheiden kann. 241 § 1671 ist hier mangels bereits bestehender Trennung nicht anwendbar. 242 Zu diesen äußeren Anhaltspunkten tritt die subjektive Verankerung. Die in der Trennungsabsicht bestehende Willensrichtung muss sowohl die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft bewusst umfassen, um eine bloße Zufallstrennung tatbestandlich auszuschließen, als auch die Wiederherstellung der Gemeinschaft ablehnen. 243 Eine entsprechende Mitteilung an den anderen Teil ist nicht erforderlich. 244 Angesichts der geringen Anforderungen an die äußere Umsetzung kommt dieser subjektiven Seite des Trennungstatbestandes besondere Bedeutung zu. 245 Diese § 1567 entsprechende Trennung muss für den sorgerechtlichen Tatbestand des § 1687 nach der Vorstellung der Eltern überdies nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft sein. 246 Die Anforderungen an dieses Kriterium erscheinen zunächst problematisch. Zum einen ist die Vorstellung der Eltern kaum gerichtlich nachprüfbar. Man hat auf das Tatbestandsmerkmal dennoch nicht verzichtet, um auszuschließen, dass eine nur vorübergehend beabsichtigte Trennung zu einer Destabilisierung oder Neuordnung der Elternsorge führen kann. 247 Eine Regelungslücke entsteht überdies aufgrund der Notordnung des § 1629 nicht, der auch für Trennungssituationen außerhalb des § 1687 maßgeblich ist. 248 Zum anderen sind die zeitlichen Anforderungen an die Dauerhaftigkeit der Trennung vage. Dabei ist bereits zweifelhaft, ob die Trennung fortdauert, wenn die Eltern zum Versöhnungsversuch über kürzere Zeit im Sinne des § 1567 in einer Wohnung zuFamRZ 1999, S. 457 (461); Zöller / Philippi § 621 Rz. 29, insb. auch zu der Diskussion über eine Analogie zum KindRG, da der Gesetzgeber offenbar „vergessen“ habe die diesbezügliche Zuständigkeit auf das Familiengericht zu übertragen; AG Bad Iburg FamRZ 2000, S. 1036; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 39 (40); OLG Karlsruhe FamRZ 2001, S. 1634; zu der im Übrigen anwendbaren Kriterien der Kindesentführung vgl. insbesondere zu den diesbezüglichen internationalen Abkommen Weber NJW 2000, S. 267; zum eingeschränkten Anspruch auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach längerfristiger Praxis des Wechselmodells vgl. AG Hannover FamRZ 2001, S. 846. 241 Vgl. OLG München NJW 2000, S. 368. 242 Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 132 (134). 243 Vgl. Erman / Dieckmann § 1567 Rz. 11. 244 Vgl. BT-Druchs. 7/650, S. 114. 245 Vgl. Palandt / Diedrichsen § 1671 Rz. 10. 246 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 17. 247 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64 – Im Vordergrund stand dabei vor allem, zu verhindern, dass eine nur vorübergehende Trennung zur Übertragung der Alleinsorge führt. Das Prinzip der gemeinsamen Sorge darf nur bei der trennungsspezifischen Krisensituation durchbrochen werden. Darüber hinaus kann sich aber auch die gesetzliche Regulierung destabilisierend auswirken, da sie in die Gestaltungsautonomie der Eltern eingreift. 248 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 96; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 142.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

sammenleben. 249 Für den gesetzlichen Trennungssorgetatbestand wirft dies zwar nicht unmittelbare Anwendungsschwierigkeiten auf, da die Entscheidung flexibel auf die aktuellen Bedingungen abstellen könnte. Zu bedenken ist jedoch, dass es sich bei der Trennung um einen Grundtatbestand handelt, wie er auch der gerichtlichen Intervention gem. § 1671 zugrunde liegt. Um eine bestandsfähige Situationseinschätzung zu ermöglichen, ohne dabei die Versöhnung der Eltern zu behindern 250, besteht daher Einigkeit darüber, dass der § 1567 Abs. 2 im Rahmen der §§ 1671 ff keine Anwendung findet. 251 Daneben hängt die Dauerhaftigkeit der Trennung nicht von äußerlichen Maßstäben ab. In erster Linie wird auf das subjektive Moment, der in der Trennung umgesetzten Absichtserklärung abgestellt. Die Willensrichtung und deren Interpretation durch die Betroffenen sind entscheidend. 252 In zeitlicher Hinsicht ist weniger der tatsächlich andauernde Vollzug als vielmehr die beabsichtigte Dauerhaftigkeit maßgeblich. Denn entsprechend wird auch eine Mindestdauer weder für die Rechtsfolge des § 1687 noch im Vorfeld des Antrags gem. § 1671 gefordert. 253 bb) Problematik der Trennung nicht zusammenlebender Eltern Problematisch erscheint an dem Tatbestandsmerkmal der Trennung, dass es das vorausgehende Zusammenleben der Eltern impliziert. Der Ausdruck des Getrenntlebens schließt das Begriffselement der Trennung ein, die auf eine zielgerichtete Veränderung bestehender Bedingungen und damit vorheriges „Nicht-GetrenntSein“ abstellt. 254 Der Ausdruck „Getrenntleben“ verbindet sich also ohne weiteres mit der Vorstellung, dass die Eltern zuvor mit ihrem Kind in einer Ehe bzw. einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammengelebt haben. Bei einer derart engen Wortlautauslegung entstünde jedoch eine Regelungslücke für Eltern, die dauernd getrennt leben, ohne in vorheriger Lebensgemeinschaft gelebt zu haben. Aus § 1626a ergibt sich jedoch, dass die gemeinsame Sorge nicht voraussetzt, dass 249

Vgl. Palandt / Diederichsen § 1567 Rz. 9. Vgl. BT-Drucks. 7/650, S. 114. 251 Klarstellend in Hinblick auf die Unanwendbarkeit des § 1567 Abs. 2 a.F. vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461). 252 Zunächst erscheint diese subjektive Prägung der Dauerhaftigkeit problematisch in Hinblick auf die Scheidungsvoraussetzungen. Denn danach sollen die Ehegatten innerhalb des Trennungsjahres Gelegenheit dazu haben, ihren einschneidenden Entschluss der Trennung zu überdenken. Rechtliche Konsequenzen sollen in dieser Zeit gerade vermieden werden, um keine der Revidierung hinderlichen Tatsachen entgegenzustellen. Im Bereich der gesetzlichen Trennungssorge entstehen insoweit jedoch keine Widersprüche, da die Rechtsfolge entfällt, wenn der Tatbestand der Trennung nicht mehr gegeben ist. 253 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); vgl. aber auch Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 40, der hervorhebt, dass der bloße Wunsch eines Elternteils, sich vom Partner zu trennen, nicht ausreicht. 254 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 19. 250

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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die Eltern in einer Partnerschaft oder häuslichen Gemeinschaft leben. 255 Gegen die enge Auslegung spricht zudem, dass die Eltern, die nach einvernehmlicher Sorgerechtserklärung die gemeinsame Sorge ausüben, bei einer späteren Veränderung des Elternverhältnisses auf die Instrumentarien des § 1666 beschränkt blieben, da weder § 1671 noch § 1687 auf ihr gemeinschaftsloses Verhältnis Anwendung finden könnten. 256 Sachgerecht erscheint es daher, unter Hinweis darauf, dass der § 1687 an die Stelle des bisherigen § 1671 a.F. getreten ist, anstelle der bisherigen rechtlichen Trennung nunmehr lediglich eine tatsächliche Trennung zu setzen, die von vorherigen Umständen unabhängig ist. 257 Dafür sind drei weitere Argumente vorzubringen, die sich sowohl auf rechtshistorische als systematische Erwägungen stützen lassen. Zum einen erscheint die Verwendung des Begriffs „Getrenntleben“ als eine nachvollziehbare Nachlässigkeit des Gesetzgebers. Er hat einfach den Wortlaut des § 1672 a. F übernommen. Dieser Tatbestand bezog sich aber auf Eltern, die statt die Scheidung zu betreiben, getrennt lebten. Aufgrund der in § 1353 konstatierten Pflicht zur ehelichen Gemeinschaft konnte dabei von einer vorherigen Lebensgemeinschaft ausgegangen werden. Durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs der gemeinsamen Sorge gem. § 1626a ist dieser Annahme jedoch der Boden entzogen. Die Rückbeziehung auf den Wortlaut des §1672 a.F. erweist sich daher als verfehlt und korrekturbedürftig. 258 Zum anderen legt auch die systematische Betrachtung eine erweiterte Anwendung des § 1687 auf Fälle nahe, in denen die Eltern nie zusammengelebt haben. Als Grundtatbestand der Trennungssorge ist die Beurteilung des Trennungsbegriffs hier im Gesamtzusammenhang des Rechtsbereichs, insbesondere unter Berücksichtigung der Antragsbefugnis für Alleinsorgeübertragung, einheitlich zu betrachten. Und drittes hielt man im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses entgegen anders lautender Vorschläge an dem Merkmal des dauernden Getrenntlebens 255 So hat der Regierungsentwurf in Übereinstimmung mit der Arbeitsgruppe „Nichtehelichenrecht“ dazu entschlossen, die gemeinsame Sorge unverheirateter Eltern allein von deren übereinstimmenden Erklärung abhängig zu machen, die elterliche Verantwortung gemeinsam ausüben zu wollen. Dabei wurde ausdrücklich ausgeführt: „Die gewählte Lösung setzt nicht voraus, dass die Eltern zusammenleben. Die Eltern können beispielsweise gute Gründe haben, gerade im Interesse des Kindes die Suche nach einer familiengerechten Wohnung nicht übereilt zu betreiben. Dies sollte der gemeinsamen Sorge nicht entgegenstehen.“, vgl. BR-Drucks. 180/96, S. 68; BT-Drucks. 13/4899, S. 58 f = Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 38; befürwortend auch der Rechtsausschuss BT-Drucks. 13/8511, S. 65 f; vgl. dazu auch Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (206); Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1379). 256 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 6; vgl. zu dieser Argumentation auch Diederichsen NJW 1998, S. 1986 FN 101. 257 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 19; vgl. dazu auch schon entsprechende Kritik an der alten Rechtslage Magnus RdJR 1988, S. 158 (160). 258 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 19.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

fest, um auszuschließen, dass vorübergehende Trennung zum Anlass genommen wird, in die gemeinschaftliche Sorgerechtsstellung beider Eltern einzugreifen. 259 Im Vordergrund stand dabei vor allem das Bestreben, einen Alleinsorgeantrag gem. § 1671 aufgrund nur vorübergehender Umstände zu verhindern, weil dadurch die Aufgabe des Prinzips der einheitlichen gesetzlichen Sorge nicht zu rechtfertigen war. In der Gesamtbetrachtung ergeben sich überdies verfassungsrechtliche Bedenken, wenn man die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern, die nie zusammengelebt haben, aus dem Tatbestand der Trennungssorge ausgrenzte. Insbesondere unter Bezugnahme auf den Tatbestand des § 1672 wird hervorgehoben, dass unterschiedliche sorgerechtliche Maßstäbe für die Kinder zusammenlebender und nicht zusammenlebender Eltern mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbar erscheinen. 260 Die Beschränkung der staatlichen Eingriffskompetenz auf den Tatbestand des § 1666 stufte den Interessenschutz der betroffenen Kinder gegenüber den differenzierten Instrumentarien der §§ 1671 ff a.F. deutlich zurück. Die anstelle dieser Eingriffstatbestände getretene gesetzliche Kompensation gem. §§ 1671, 1687 den vor der Trennung nicht zusammenlebenden Eltern vorzuenthalten, wäre mit dem wächteramtlichen Schutzauftrag nicht vereinbar. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass die Reform durch die Vereinheitlichung des gemeinsamen Sorgerechts gerade die rechtliche Differenzierung zwischen der Sorgerechtsausübung ehelicher und nichtehelicher Kinder beseitigen wollte. 261 Kein Anhaltspunkt ist dafür erkennbar, dass mit der Trennung als Tatbestandsmerkmal ein neues Differenzierungskriterium eingeführt werden sollte, das die bisherige sorgerechtliche Diskriminierung an anderer Stelle fortsetzt. Man muss daher davon ausgehen, dass der Gesetzgeber eine solche Konsequenz dieses Tatbestandsmerkmals nicht beabsichtigt hat. Schließlich führt auch ein Blick auf die bisherige Rechtslage zu keinem anderen Ergebnis. Die Problematik der Trennung ohne vorheriges Zusammenleben ist der Praxis nicht vollends fremd. So gab es schon immer Fälle, in denen es auch nach einer Eheschließung nie zu einer häuslichen Gemeinschaft gekommen ist. Dabei wurde darauf abgestellt, dass durch eine äußerlich erkennbare Handlung der Wille erkennbar wird, dass der eine Ehegatte die häusliche Gemeinschaft deshalb auch zukünftig nicht herstellen will, weil er sie bewusst ablehnt. 262 Der bisherige Tatbestand des § 1672 a.F. mit dem übernommenen Wortlaut hat diese Problematik daher bereits mittels einer teleologischen Reduktion gelöst. Durch die Übernahme 259

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98. Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461), der zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten allein auf die subjektiven Kriterien abstellen will; a. A. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 10. 261 Vgl. BT 13/4899, S. 29, 64; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann, S. 38 ff. 262 Vgl. schon BGHZ 38, S. 266; dazu auch Erman / Dieckmann § 1567 Rz. 14. 260

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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des Wortlautes kann daher auch darauf geschlossen werden, dass der Gesetzgeber an diese Praxis anknüpfen wollte. Es erscheint daher letztlich als bloßes Scheinproblem, wenn die gemeinsame Sorge außerhalb der Lebensgemeinschaft gem. § 1626a als Regelungslücke gesehen wird. cc) Regulative Grundaussage des Tatbestandsmerkmals der dauernden Trennung Der Grundtatbestand ist überdies auf eine weitergehende Aussage für die Regulierung der Trennungssorge hin zu betrachten. Im Wesentlichen sind zwei Elemente hervorzuheben, die dazu regulative Ansätze bieten. Der erste Aspekt beruht darauf, dass sich die rechtliche Herangehensweise von der Scheidung auf die Trennung vorverlagert hat. 263 Darin kommt ein verändertes Verständnis des sorgerechtlichen Gefahrentatbestandes zum Ausdruck, der die reformierte Trennungssorge bestimmt. Wo die bisherige Rechtslage gem. § 1672 a.F. nur in Ausnahmefällen davon ausging, dass ein unmittelbares sorgerechtliches Regelungsbedürfnis bei der Trennung bestehe und dies einen vorübergehenden Charakter bis zur endgültigen Regelung im Scheidungszusammenhang hatte, knüpft das Gesetz daran nun stets automatisch an. Der Begriff der Trennung vollzieht damit einen einschneidenden Wandel. 264 Sie ist nicht länger ein bloßes Vorstadium der Scheidung, das sich als rechtliches Nebenprodukt aus der Trennungsfrist gem. § 1566 ableitet. 265 Durch die Aufhebung des Scheidungsverbundes besteht keine Notwendigkeit mehr, die verschiedenen aufeinanderfolgenden Phasen zwischen Trennung und Scheidung voneinander zu unterscheiden. 266 Die Scheidung wandelt sich vom Haupttatbestand zu einer untergeordneten Fallkonstellation. Das heißt, dass der Regelungsansatz anstelle der verzögerten Anknüpfung an die rechtlichen Auswirkungen der Scheidung nunmehr auf die tatsächlichen Ereignisse abstellt, aus denen sich die faktischen Veränderungen der Lebensverhältnisse ergeben. 267 Darin lassen sich sorgerechtliche Einschätzungen der Trennung erkennen, die signifikant von der vorherigen Rechtslage und dem Schwerpunkt einer scheidungsbezogenen Sorgerechtsintervention abweichen. Zum einen verwirklicht sich bereits in der Trennung im vollen Umfang die Gefahr, die der Regulierung bedarf. Nicht 263 Vgl. dazu Wend FPR 1999, S. 137 (138); vgl. auch OLG Hamm FamRZ 1999, S. 393 (394), das darauf hinweist, dass die Trennungssorge nunmehr zeitlich unbeschränkt wirke und daher an Bedeutung zugenommen habe. 264 Vgl. OLG Oldenburg FamRZ 2000, S. 1596 (1597). 265 Vgl. Firsching / Graba „Familienrecht“, Rz. 1164. 266 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 4; BT-Drucks. 13/4899, S. 63 f. 267 Zur maßgeblichen Bedeutung der Elterntrennung und der Kritik an der alten Rechtslage über die verzögerte Sorgerechtsintervention bei der Scheidung, wenn die Betroffenen bereits eigenständig eine Lösung zur Überwindung der eigentlichen Krise erzielt haben vgl. schon Soergel / Strätz § 1671 Rz. 2; Wend FPR 1999, S. 137 (138).

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

erst die Entscheidung, die Partnerschaft endgültig durch die Scheidung aufzulösen, führt zu sorgerechtlichen Konsequenzen. 268 Vielmehr besteht bereits in der ersten Entflechtung der Lebensbereiche ein regelungsbedürftiger Lebenskonflikt, der die gemeinsame Verwirklichung der Erziehungsverantwortung destabilisiert. 269 So wird vermutet, dass Eltern, die dauernd getrennt leben, kaum Neigung, Zeit und Gelegenheit zu dem für die Ausübung der gemeinsamen Sorge erforderlichen Kontakt finden und deshalb in der Mehrzahl der Fälle auch das notwendige Einverständnis untereinander nicht zustande bringen, so dass mal der eine Elternteil in der Suche nach mehr Gemeinsamkeit, mal der andere durch die davon ausgehende Störung frustriert wird. 270 Sowohl die äußere Gemeinsamkeit – durch örtliche Nähe und regelmäßige Verständigung – als auch die innere Gemeinsamkeit durch emotionale Verbundenheit wird schon durch die Trennung gestört. 271 Auf diese Weise liegt dem Tatbestand ein veränderter Konfliktbegriff zugrunde, der stärker auf die spontane Verunsicherung durch den familiären Umbruch und auf den aktuellen Bedarf nach einer praktischen Neuorientierung abstellt. Dies führt gleichzeitig zu einem stärker auf das Kind bezogenen Blickwinkel. Denn der sorgerechtliche Maßstab knüpft auf diese Weise an die für das Kind unmittelbar erfahrbare Umbruchsituation an und erstreckt damit den Schutz auch auf die nach der alten Rechtslage unreglementierte Übergangsphase. Indem sich nämlich der Tatbestand von äußerlichen rechtlichen Maßstäben der Scheidung löst, verselbständigt sich die Trennungssorge zu einem unabhängigen Regelungsbereich, der sich damit stärker an den tatsächlichen Verhältnissen orientiert. Der Gesetzgeber reagiert damit auf die seit langem vorgebrachte Kritik, die eigentliche Kindeswohlgefährdung beruhe auf der Trennung der Eltern und nicht erst in der zeitlich oftmals willkürlich vollzogenen Scheidung, bei der sich die Verhältnisse bereits weitgehend gefestigt hätten. 272 Die Scheidung wird nicht mehr als ein spezifischer Gefahrentatbestand für das Kind gesehen. Sie ist als ein formaler Affirmationsakt nach den Erkenntnissen von Verhaltensforschern für das Kind kein bedeutsames Ereignis. 273 Eng verknüpft mit diesem Gesichtspunkt ist der zweite Aspekt, unter dem das Trennungsmerkmal auf eine veränderte Gewichtung hin zu betrachten ist. So erweitert der Begriff der Trennung gleichzeitig den damit verbundenen Ge268

Befürwortend Büttner FamRZ 1998, S. 585 (593), der hervorhebt, dass der einheitliche Gegenstand von Scheidungs- und Trennungssorge nun angemessen beurteilt wird. 269 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 f; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 44. 270 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 2. 271 Vgl. Lüderitz „Familienrecht“, Rz. 906. 272 Vgl. Wend FPR 1999, S. 137 (138); vgl. schon Soergel / Strätz § 1671 Rz. 2. 273 Vgl. Fthenakis FPR 1998, S. 84; ders. in „Ehescheidung“; Furstenberg / Cherlin in „Geteilte Familien“; Lempp, FamRZ 1986, S. 530; ders. ZfJ 1984, S. 305; Lidle-Haas, „Das Kind im Sorgerechtsverfahren bei Scheidung“.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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fahrentatbestand, indem er die sorgerechtliche Gestaltung vereinheitlicht. Die Unterscheidung nach den Rahmenbedingungen der vorhergehenden Sorgerechtsausübung wird aufgegeben, so dass die Ausgangslage der gemeinsamen Sorge keine Rolle mehr spielt. Vielmehr wird die Trennung zu einem einheitlichen Einschnitt für die Elternsorge und bezieht damit Fallkonstellationen außerhalb der Ehe ein. Auch insoweit verstärkt sich der Bezug zu den realen Verhältnissen, denn nicht der rechtliche Status, sondern die tatsächliche Eltern-Kind-Beziehung wird auf diese Weise zum Regelungsgegenstand. Das verdeutlicht vor allem, dass das Gesetz nicht mehr den besonderen Krisenschutz hinsichtlich der Elterntrennung auf den ehelichen Kontext beschränkt. Die Trennung wird damit im Ganzen zu einem eigenständigen und bestimmten Rechtsbegriff, der jede Form dauerhafter Partnerschaftsbeendigung erfasst und die darin gegebene unterschiedslose Belastung des Kindes in den Vordergrund der Regelung stellt. 2. Gemeinsame Sorgerechtsausübung bei erheblichen Entscheidungen Nach der Trennung der Eltern ist „bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ihr gegenseitiges Einvernehmen erforderlich“. Die dadurch geschaffene Rechtsposition wird auch als das „Mitsorgerecht des nicht-betreuenden Elternteils“ bezeichnet. 274 Mit dieser Sequenz bestimmt das Gesetz den Kernbereich der gemeinsamen Zuständigkeit der Eltern. Das Zusammenwirken beider Teile wird auf diese Weise zum ausdrücklichen Regelungsgegenstand und stellt die zentrale Besonderheit der Trennungssorge dar. 275 Die sorgerechtliche Überschneidung der beiden Elternpositionen wird konkretisiert und sie bestimmt auf diese Weise sowohl das Mindestmaß als auch eine Begrenzung elterlicher Kooperation. 276 Diese vorwiegend quantitative Beurteilung der gemeinschaftlichen Bindung richtet sich auf die sachliche wie 274

Vgl. Runge FPR 1999, S. 142 (143). Vgl. MüKo / Finger, 4. Aufl. §1687 Rz. 3, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass Eltern nach dem gesetzlichen Leitbild während des Zusammenlebens ihre Entscheidungen für die Kinder in gegenseitiger Absprache treffen und dies nun auch nach ihrer Trennung so sein soll, soweit sie die gemeinsame Sorge fortsetzen. 276 Darin zeigt sich eine der einschneidendsten Entscheidungen der Reform. In ihrem Vorfeld wurden vielfach quantitativ gleiche Beiträge der Eltern bei der Ausübung der gemeinsamen Sorge gefordert, um äquivalente Bindung beider Eltern zu gewährleisten (vgl. Ell ZfJ 1980, S. 319 (320); ders. ZfJ 1982, S. 76, der sich jedoch von der Orientierung am zeitlichen Betreuungsmaßstab distanziert und die Bedeutung der emotionalen Intensität der Beziehung hervorhebt; Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 33 ff; Kaltenborn ZfJ 1989, S. 60 (67); ders. FamRZ 1987, S. 990 (997); Koechel FamRZ 1986, S. 637 (641); Klußmann „Das Kind im Rechtstreit der Erwachsenen“, S. 21, 29, 44 f, 48; ders. FamRZ 1982, S. 118 (120); Lempp FamRZ 1984, S. 741 ff – wonach anhand von Kinderbefragungen die geringere tatsächliche Bedeutung des Vaters bei der ehelichen Kindeserziehung ausgewiesen wird (S. 743); ders. ZfJ 1984, S. 305 (306 f); ders. „Ehescheidung“, S. 8 ff; vgl. auch Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (10), die in diesem 275

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

auch auf die zeitliche Aufteilung der Kindesbetreuung. 277 Dem liegt vor allem die Überlegung des Gesetzgebers zugrunde, dass das Funktionieren der gemeinsamen Sorge nicht durch den Zwang zur ständigen Kommunikation gefährdet werden und das Potential gegenseitiger Absprachebereitschaft sich nicht an unwichtigen Fragen aufreiben soll. 278 Die inhaltliche Verdichtung der gemeinsamen Aufgaben stellt einen praktikablen Kompromiss dar, einerseits das rechtliche Band der Eltern durch die gemeinsame Sorge zu erhalten und andererseits deren Ausübung möglichst konfliktfrei zu gestalten. 279 Der Grundgedanke der Funktionsaufteilung ist bereits in der Sorgerechtsgestaltung der §§ 1627, 1629 angelegt. 280 Die Gemeinsamkeit der Rechtsstellung beruht auf der Prämisse, dass die Eltern eine praktikable Arbeitsteilung treffen, die in erster Linie auf der Verwirklichung übereinstimmender Erziehungsgrundsätze und Grundsatzentscheidungen beruht. 281 Nicht gemeinschaftliche Ausübung der Elternsorge, sondern ihre Ausübung in gegenseitigem Einvernehmen ist dazu notwendig. 282 Die gemeinsame Sorge ist daher von ihrer Struktur her bereits durch die zwei Elemente der Eigenverantwortlichkeit und des Einvernehmens geprägt, die parallel bestehen und in Einklang gebracht werden müssen.

Zusammenhang von der Rechtfertigung eines verkappten Mutterbonus sprechen). Anderenfalls, so wurde befürchtet, werde die faktisch fehlende Bindung zu verzögerten oder unsachgemäßen Entscheidungen führen (vgl. Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (121); Kropholler NJW 1983, S. 905 (908); a. A. Limbach „Studie“, S. 79). Im Gegensatz dazu hat sich in dieser gesetzlichen Gewichtung die Einsicht durchgesetzt, dass nach der Trennung keine zusätzlichen Anforderungen an die Bindungsausübung gelten können (Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 71; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 179). 277 Vgl. Lehr ZFJ 1975, S. 413; siehe auch Lempp ZfJ 1984, S. 305 (306 f), demzufolge die Bindungen nicht gleichwertig sein müssen, jedenfalls aber bereits angelegt, nicht erst aufgebaut werden können; relativierend auch Staudinger / Coester § 1671 Rz. 91 und Jopt FamRZ 1987, S. 875 (877); OLG Frankfurt / M. FamRZ 1982, S. 531 (532); in Hinblick auf dementsprechende amerikanische Regelungsansätze vgl. Limbach „Studie“, S. 78 f; zu den daraus abgeleiteten Anforderungen an die Bedingungen für gemeinsame Sorge in der alten Rechtslage vgl. darüber hinaus Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906). 278 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 60; zustimmend auch Sorgerechtskommission des Deutschen Familiengerichtstages FamRZ 1997, S. 337 (341); Hinz FPR 1998, S. 76 (78); Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Auflage § 1687 Rz. 1; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 3; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1380). 279 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 3. 280 Vgl. Erman / Michalski § 1687 Rz. 2; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Auflage § 1687 Rz. 1 betont in diesem Zusammenhang, dass diese im Übrigen geltenden Vorschriften durch den § 1687 gezielt ergänzt werden, um die gemeinsame Sorgerechtsausübung zu erleichtern; vgl. dazu auch bereits nach Maßgabe der bisherigen Rechtslage Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17 (19). 281 Vgl. Lüderitz „Familienrecht“, Rz. 920; MüKo / Hinz § 1627 Rz. 5. 282 Vgl. RGRK / Wenz § 1627 Rz. 6; Staudinger / Donau § 1627 Rz. 15.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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Im Rahmen des § 1627 hat sich dabei herausgebildet, dass bei der Willensbildung elterliches Zusammenwirken in gemeinsamer Beratung und Entscheidung vor allem in allen wichtigen Angelegenheiten geboten sei. 283 Wichtige Angelegenheiten in diesem Kontext sind solche, bei denen einmal beschlossene Maßnahmen nicht oder nur sehr schwer rückgängig gemacht werden können. 284 Diesen Grundgedanken greift das Gesetz in § 1687 unmittelbar auf. 285 Doch anstelle allgemeiner Grundsätze der gesetzlichen Sorge, die es grundsätzlich der eigenverantwortlichen Gestaltung der Eltern überlässt, auf welche Weise sie ihre gemeinsame Verantwortung wahrnehmen, übernimmt es bei der gesetzlichen Trennungssorge der Gesetzgeber, die Aufgabenbereiche ausdrücklich zuzuweisen. a) Bedeutung des Rechtsbegriffs der „Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung“ Der Regierungsentwurf hatte ursprünglich das gegenseitige Einverständnis „bei grundsätzlichen Entscheidungen“ vorgesehen. 286 Am Ende hat sich jedoch der Rechtsausschuss mit seiner den Wortlaut des § 1628 aufgreifenden Formulierung „Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung“ durchgesetzt. 287 Nach der amtlichen Begründung 288 sind darunter solche Entscheidungen zu verstehen, „die grundsätzlicher Natur sind und die bei gemeinsamer Sorge von beiden Eltern entschieden werden müssen. Hierzu zählen insbesondere die Grundsatzentscheidungen auf dem Gebiet der tatsächlichen Betreuung, der Bestimmung des Aufenthalts, der schulischen und religiösen Erziehung, der beruflichen Ausbildung sowie der medizinischen Versorgung des Kindes“. In allen diesen Fällen gilt § 1627. Danach müssen die Eltern die Sorge im gegenseitigen Einvernehmen zum 283

Vgl. Soergel / Strätz § 1627 Rz. 5; Staudinger / Donau § 1627 Rz. 14; OLG Köln FamRZ 1999, S. 249 (250) = DAVorm 1999, S. 243 (244); OLG München FamRZ 1999, S. 111 (112) = DAVorm 1999, S. 240. 284 Vgl. MüKo / Huber 4. Aufl. § 1627 Rz. 6, der als Beispiele anführt: Schul- und Berufswahl, religiöse Erziehung, Aufenthaltbestimmung, Entscheidung über Operationen; Palandt / Diederichsen, 62. Aufl. § 1687 Rz. 7 auch mit weiteren Beispielen. 285 Vgl. OLG Bamberg NJW 1999, S. 1873 (1874); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 3, der darüber hinaus das Element hinzu nimmt, dass es sich um Entscheidungen handelt, die selten vorkommen. 286 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 58, 107 bzw. 13/8511, S 74 sowie Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 172; vgl. dazu auch Palandt / Diederichsen, 62. Aufl. § 1687 Rz. 6. 287 Vgl. BT-Drucks. 13/8511, S. 67, 74 f; vgl. dazu auch Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1687 Rz. 3, der in diesem Zusammenhang für die Begriffswahl drei Vorteile hervorhebt: (a) zum einen wird die Beurteilung nicht abstrakt, sondern mit Blick auf seine Bedeutung für das Kind gefasst und trägt damit zu einer Stärkung der Rechtsstellung des Kindes bei. (b) Die Rechtslage kann unmittelbar an die Rechtssprechung und Lit. zu § 1628 anknüpfen. (c) Jeder Elternteil kann die Beurteilung gem. § 1628 überprüfen lassen. 288 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 107.

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Wohl des Kindes ausüben und bei Scheitern des Einvernehmens eine gerichtliche Entscheidung nach § 1628 herbeiführen. 289 aa) Kritik der unklaren Zuständigkeit 290 Der Gesetzgeber hat die gesetzliche Regulierung durch offene Rechtsbegriffe gelöst, die durch Rechtsprechung und Praxis zu konkretisieren sind. Auf diese Weise kann die Norm flexibel auf verschiedene Lebensverhältnisse wie auch auf sich wandelnde Lebensgewohnheiten reagieren, ohne eine veränderte Normierung vornehmen zu müssen. Dies wird besonders deutlich anhand der Bestimmung der gemeinsamen Zuständigkeit beider Eltern. Je weiter jedoch die begriffliche Auslegungsfähigkeit des Tatbestandes gefasst ist, desto schwieriger gestaltet sich die Abgrenzung bei den verschiedenen Entscheidungsbefugnissen. So hatte auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf in der 696. Sitzung am 3. Mai 1996 291 vorgeschlagen, die Alleinentscheidungsbefugnis des betreuenden Elternteils gesetzlich Auszugestalten und als Gesetzestext vorgeschlagen: „Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so hat der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung. Hiervon ausgenommen sind Entscheidungen in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung wie Schullaufbahn, Berufswahl und Wahl des religiösen Bekenntnisses.“

Zur Begründung wurde in diesem Zusammenhang ausgeführt, „Die Akzeptanz der Neuordnung des Sorgerechts nach Trennung und Scheidung, insbesondere das Fortbestehen der gemeinsamen elterlichen Sorge, hängt wesentlich von der Ausgestaltung der Alleinentscheidungsbefugnis des Elternteils, bei dem das Kind lebt und das damit die größte Verantwortung trägt, im Verhältnis zum anderen Elternteil ab. Die Regelungen in § 1687 BGB-E sind deshalb auf den Umfang dieser Alleinentscheidungsbefugnis zu konzentrieren. Ziel soll es dabei sein, dem überwiegend verantwortlichen Elternteil ausreichende Sicherheit bei der Gestaltung des Erziehungsalltags zu geben und zugleich konfliktträchtige Absprachen und Einigungsprozesse mit dem anderen Elternteil gering zu halten. Die Alleinentscheidungsbefugnis soll daher alle Angelegenheiten der elterlichen Sorge umfassen, soweit sie nicht von grundsätzlicher Bedeutung sind. Mit der Wahl dieser Formulierung entfallen Auslegungsschwierigkei-

289 Vgl. Palandt / Diederichsen, 62. Aufl. § 1687 Rz. 4; vgl. dazu auch Hinz FPR 1998, S. 76 (78); OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 186 = NJW-RR 2001, S. 506; OLG Köln FamRZ 2005, S. 644; zu den Grenzen der begleitenden Sorgerechtsgestaltung durch gerichtliche Einzelentscheidungen vgl. OLG Hamm FamRZ 2002, S. 1208; dass. FamRZ 2003, S. 172. 290 Vgl. in diesem Zusammenhang die vorangegangenen Ausführungen in Kap. C., Abschn. II.4.a). 291 Vgl. BT-Drucks. 13/4877, Anlage 2 Ziff. 23.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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ten bei dem Begriff ‚Angelegenheiten des täglichen Lebens‘; ‚Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung‘ werden hinsichtlich ihrer Tragweite durch die genannten Regelbeispiele angedeutet.“

Daran schließt sich die Kritik an hinsichtlich der Unklarheit der Zuständigkeiten, die im Tatbestand des § 1687 angelegt sei. 292 So wird geltend gemacht, dass die Regelung in Grenzbereichen keine befriedigende Abgrenzungsschärfe gewährleiste. 293 Erst durch die Vorgabe der unklaren Entscheidungskompetenzen entstünden große Abgrenzungsschwierigkeiten, so dass die normative Regulation selbst Streitigkeiten provoziere. 294 Die auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffe trieben die Eltern gleichsam in zweierlei Hinsicht in einen Kompetenzkonflikt und verursachten damit eine regelungsspezifische Instabilität. 295 Zum einen entstünden durch diese unscharfe Zuständigkeitsaufteilung Auseinandersetzungen über die Reichweite der „Angelegenheiten des täglichen Lebens“. Zum anderen drohe Aufgabenverteilung erneut zum Gegenstand gerichtlicher Verfahren zu werden, indem die Reichweite der Alleinentscheidungsbefugnis gem. § 1687 Abs. 2 angegriffen werde. Dies trage weder zu der angestrebten Konfliktvermeidung bei, die gerade durch klare Aufgabenzuweisung bewirkt werden soll, noch entspreche es dem pragmatischen Anspruch gesetzlicher Trennungssorge, da in den Grauzonen der Kompetenzüberschneidungen die erforderliche Gewissheit nicht durch die Norm, sondern erst durch eine versichernde Rücksprache hergestellt werden könne. 296 Jedoch erweist sich die in der Kritik anklingende Alternativlösung auch in der Abgrenzung der Zuständigkeiten nicht als überlegen. Vielmehr offenbart sich darin eine dem Regelungsgegenstand selbst anhaftende Eigenschaft. Die Vorschrift muss einen hinreichend regelungsdichten Ersatz für eine elterliche Absprache bieten. Das heißt, sie muss gleichermaßen die Vielfalt der regelungsbedürftigen Lebensbereiche vollständig erfassen und eine hinreichende Trennschärfe der Bereiche gewährleisten. Dies erfordert dehnbare und anpassungsfähige Rechtsbegriffe, die in den Übergangsbereichen wiederum zwischen den einzelnen Entscheidungsbefugnissen Grauzonen entstehen lassen. Eine Alternative wäre insoweit 292

Vgl. Bode FamRZ 1999, S. 1400 (1402). Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4; Palandt / Diederichsen, 62. Aufl. § 1687 Rz. 6; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1380; a. A. Greßmann Rz. 252, wonach durch die Regelung keine Grauzonen entstehen; ebenso Johannsen / Henrich / Jaeger Eherecht, 4. Aufl. § 1687 Rz. 7. 294 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (468); a. A. Hinz FPR 1998, S. 76 (78), der diese Kritik für voreilig hält und darauf verweist, dass die Belastung der gemeinsamen Sorge mit dauernden Kommunikationserfordernissen wichtiger sei. 295 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (468). 296 In diesem Zusammenhang weist Palandt / Diederichsen, 62. Aufl. § 1687 Rz. 6 darauf hin, dass insb. etwa in der Pubatät jedes Alltagsproblem unversehends ins Grundsätzliche umschlagen kann und damit von erheblicher Bedeutung für das Kind wird; so auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4. 293

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eine katalogartige Erfassung einzelner Rubriken. 297 Doch verlöre die Vorschrift auf diese Weise deutlich an Regelungsflexibilität, ohne dass eine weit größere Trennungsschärfe gewonnen wäre. Vorzugswürdig erscheint hier die vom Gesetz gewählte Auslegungsfähigkeit, die sich durch die Rechtsprechung im Laufe der Zeit verdichtet ohne jedoch ungewöhnliche Konstellationen auszuschließen. Darüber hinaus rechtfertigt sich die Kompetenzaufteilung aus der zugrunde liegenden Güterabwägung. In der Zuweisung der Einzelzuständigkeiten stehen sich unmittelbar zweierlei Konfliktpotentiale gegenüber, die zueinander in einer direkten Wechselbeziehung stehen. Das ursprüngliche Konfliktpotential folgt aus der erforderlichen Koordination der Eltern. Die dazu erforderliche Absprache birgt insbesondere im zeitlichen Zusammenhang mit der Trennung die Gefahr, zum Austragungsort der partnerschaftlichen Spannungen zu werden. Beugt man dem durch normativen Abspracheersatz vor, so ergeben sich daraus unausweichlich die ausgewiesenen normativen Grauzonen. Stellt man die Gefahrenpotentiale beider Varianten ins Verhältnis, so ergibt sich eine sachgerechte Güterabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die eigenen Konfliktrisiken der gesetzlichen Regulation treten hinter der damit verhinderten Gefahr zurück, die sich aus der anderenfalls drohenden Koordinationsmangel ergäbe. Die gesetzliche Trennungssorge legitimiert sich daher als Konfliktreduktion, die denkbare Kompetenzstreitigkeiten auf die wenigen Bereiche der unscharfen Kompetenzabgrenzung beschränkt. bb) Begriff und Beurteilungsmaßstab Während der Grundgedanke unmittelbar einsichtig ist, ergeben sich dennoch deutliche Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Konkretisierung des Rechtsbegriffs der bedeutsamen Angelegenheiten. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass die sorgerechtliche Gemeinsamkeit sich nicht mehr aus der äußerlichen Lebensgestaltung ergibt. 298 Die Entscheidungsfindung der Eltern bei der gemeinsamen Wahrnehmung des Sorgerechts muss daher forciert werden. Dies erfordert einen überschaubaren und praktikablen Radius, der mit der sonst voneinander abgerückten Lebensführung beider Eltern vereinbar ist. 299 Hieraus können aber keine ausreichenden Anhaltspunkte für den konkreten Einzelfall abgeleitet werden. In Annäherung an § 1627 sowie im Rückgriff auf die „grundsätzlichen Entscheidungen“ des Regierungsentwurfs wird begrifflich eine besondere Bedeutung angenommen bei Angelegenheiten, die nicht häufig vorkommen und schwer abzuändernde Auswir297 Vgl. hierzu als denkbares Beispiel den bereits angeführten Vorschlag des BR, der die Mitentscheidungsbefugnis des Elternteils, bei dem das Kind nicht lebt, katalogartig auflistete. 298 Vgl. dazu auch Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 4 ff. 299 Vgl. dazu Hinz FPR 1998, S. 76 (78).

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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kungen auf die Entwicklung des Kindes haben. 300 Dazu gehören insbesondere solche Entscheidungen, die nur mit erheblichem Aufwand abzuändern sind und sich daher im Ergebnis als endgültig erweisen. 301 Diese Entscheidungen sollen von vornherein von den Eltern gemeinsam getroffen werden. 302 Damit wird letztlich der Erziehungsbereich beschrieben, der Ausdruck eines übergreifenden Erziehungskonzepts ist und in dem die Eltern voneinander abhängig sind. Ihre fortbestehende Einzelverantwortung für das Kind setzt voraus, dass nicht ein Elternteil allein die Rahmenbedingungen der Zukunft bestimmt. In den Erziehungsfragen, in denen also der Einzelkontakt jedes Sorgeberechtigten keine eigenständige Einflussnahme gewährleistet, die Maßnahme insofern „Fernwirkung“ entfaltet, besteht eine gemeinsame Verantwortung. Die Einschätzung der einzelnen Erziehungsfragen muss sich nach einer objektivierten Betrachtung eines vernünftig urteilenden Beobachters richten. 303 Die subjektive Einschätzung des individuellen Elternteils kann hingegen nicht entscheidend sein. Zwar ist die Erziehungsgestaltung grundsätzlich durch die subjektive Beurteilung des Sorgeberechtigten geprägt. Dennoch eignet sie sich hier nicht zum Beurteilungsmaßstab, da es nicht von der subjektiven Beurteilung abhängen kann, ob ein Elternteil bestimmte Erziehungsfragen für wesentlich und nachhaltig hält und deshalb bereit ist, den anderen Elternteil einzubeziehen. Auch eine subjektive Individualisierung, die die Betonung auf die Bedeutsamkeit „für das Kind“ legt, erscheint als Abgrenzungskriterium zu willkürlich. 304 Der objektive Beurteilungsmaßstab folgt aus der Schutzrichtung der Vorschrift. 305 Sie ist zum einen darauf gerichtet, beiden Elternteilen die Wahrnehmung ihrer Rechtsstellung zu gewährleisten, ohne dass sie dabei durch die Sorgerechtsausübung des anderen Teils beeinträchtigt werden. Zum anderen dient das Zusammenwirken der Eltern in wesentlichen Angelegenheiten dem Schutz der Kindesinteressen. Je wichtiger die Entscheidung ist, desto sorgfältiger muss sie abgewogen und gefällt werden. Die Einbeziehung beider Eltern bei irreversiblen Maßnahmen soll sicherstellen, dass der Abwägungsprozess unter Ausschöpfung der verfügbaren Ressourcen erfolgt. Im Vordergrund steht daher ein direkter Interessenausgleich unter den Beteilig300

Vgl. MüKo / Hinz § 1627 Rz. 5; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 6. Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 6; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 47, der den Sinn und Zweck der Vorschrift darin sieht, zu verhindern, dass der andere Elternteil ständig vor vollendete Tatsachen gestellt wird. 302 Vgl. FamRefK / Rogner S. 12. 303 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 5; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 6 f auch unter Hinweis auf die wandelnde Bedeutung von Einzelfragen im Laufe der Entwicklung des Kindes. 304 Vgl. vor allem Palandt / Diederichsen § 1627 Rz. 4, der insbesondere befürchtet, das Kind könne die Eltern auf diese Weise gegeneinander auszuspielen versuchen, um einem Konflikt mit dem betreuenden Elternteil entgegenzuwirken, eine wie ich meine etwas weitgehende Unterstellung der Kindespsychologie. 305 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz.4. 301

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ten. Dem kann nur ein objektiver Maßstab entsprechen, während eine subjektive Beurteilung einer Disposition über Rechtsinteressen Dritter gleichkäme. Als auslegungsbedürftiger Begriff ist die „Angelegenheit von erheblicher Bedeutung“ einer objektivierten Sichtweise wiederum nur begrenzt zugänglich. 306 Mit Rücksicht darauf hatte der Bundesrat zunächst vorgeschlagen, die alleinige Entscheidungszuständigkeit des betreuenden Elternteils nur durch folgenden Satz zu beschränken 307: „Hiervon ausgenommen sind Entscheidungen in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung wie Schullaufbahn, Berufswahl und Wahl des religiösen Bekenntnisses“. 308 Angelehnt an diese Auswahl wurden Kataloge entwickelt, die bedeutende Angelegenheiten der Sorgerechtsausübung konkretisieren. 309 Dabei kristallisieren sich einzelne Bereiche heraus, die zwar nicht als abschließend angesehen werden können, aber bereits erkennbare Konturen aufweisen. 310 So sind Themenbereiche hervorzuheben, die Grundsatzentscheidungen auf dem Gebiet der tatsächlichen Betreuung – sei es die Regelung des Sorgerechtsmodells 311 und des Umgangs 312 – oder des dauernden Aufenthaltes-, Aufenthaltbestimmungsrechts 313, Wohnortwechsels 314, längerer Auslandsaufenthalte 315 insb. bei Kleinkindern 316, Schulweg, Wahl der Schule 317, Wechsel der Schule 318, grundsätzliche Fragen 306 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (470); Soiné FF 2000, S. 44; kritisch dazu auch schon Willutzki RPfleger 1997, S. 336; vgl. auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4 zum Wandel der Bedeutung einzelner Fragestellungen im Laufe der Entwicklung des Kindes; dazu auch OLG München FamRZ 2000, S. 368. 307 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 154 Nr. 23; dazu auch Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 48; ebenfalls zugunsten der Bundesratsfassung spricht sich Willutzki RPfleger 1997, S. 336 (338) aus, unter Hinweis auf die im Übrigen nicht zu gewährleistende Rechtssicherheit. 308 Die Bundesregierung hat den Vorschlag verworfen, da er nach ihrer Auffassung den Gedanken der gemeinsamen Sorge zu weit in den Hintergrund dränge, vgl. dazu Willutzki Rpfl 1997, S. 336 (338). 309 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1687 Rz. 4; zur Parall-Thematik im Rahmen des § 1628 vgl. Erman / Michalski § 1628 Rz. 12; Müko / Hinz § 1628 Rz. 11. 310 Vgl. zu den einschlägigen Einzelentscheidungen der bisherigen Rspr. OLG Köln FamRZ 1999, S. 249 = NJW 1999, S. 295 (Erheblichkeit einer Reise nach Ägypten mit einem 3 jährigen Kind); zum Katalog zentraler Entscheidungsfelder vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 8; Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 8 f; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469). 311 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 6. 312 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 6; OLG Dresden FamRZ 2005, S. 1275 = NJW-RR 2005, S. 373 = OLGR 2005, S. 232 (zum Umgang mit Bezugspersonen, sprich Großeltern); AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200; insbesondere mit dem nichtbetreuenden Elternteil vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 8; zum Vorrang der Vorschrift § 1684 in diesem Zusammenhang vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469) sowie OLG Nürnberg EzFamRaktuell 1999, S. 116; zum Umgangsverbot mit Dritten vgl. Soiné FF 2000, S. 45. 313 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 8; vgl. auch zur Bestimmung des bisherigen Aufenthaltsorts des Kindes OLG Schlewig FamRZ 2000, S. 1426 f.

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der Berufsausbildung 319, Berufswahl 320, medizinische oder operative Eingriffe 321, insbesondere wenn sie mit einem unerheblichen Risiko oder Nebenwirkungen verbunden sind 322 sowie religiöse Erziehung 323, Status- bzw. Namensfragen 324 und 314 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 7 mwN auch zum Auswandern ins Ausland; dazu ebenfalls MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 8; zur Abwägung bei bevorstehender Auswanderung und der voraussichtlichen Beschränkung des Umgangs des nichtbetreuenden Elternteils vgl. insb. OLG Nürnberg FamRZ 2000, S. 1603 ff. 315 Vgl. AG Heidenheim FamRZ 2003, S. 1404 über die erhebliche Bedeutung einer Sprachreise nach Großbritannien während des Irakkrieges aufgrund bestehender Gefahr von Terroranschlägen; AG Rosenheim FamRZ 2004, S. 49 f bei einer Reise auf die Philippinen; OLG Köln FamRZ 2005, S. 644 zu einer Reise nach Katar. 316 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 8; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 7; vgl. aber auch OLG Köln NJW 1999, S. 295; OLG Naumburg EzFamRaktuell 2000, S. 2; OLG Karlsruhe FamRZ 2002, S. 1272, das einen Urlaub in Ägypten als Frage der Alltagssorge einstuft, der nur unter dem Gesichtspunkt der Kindeswohlgefährdung gem. § 1666 zu beurteilen ist. 317 Vgl. zur Schulart Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469); Greßmann Rz. 249 f; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 7; vgl. dazu auch BVerfG FamRZ 2003, S. 511; zur Wahl der Kindertagesstätte vgl. OLG Brandenburg JAmt 2005, 1275 = NJW-RR 2005, S. 373 = OLGR 2005, S. 232. 318 Vgl. OLG München FamRZ 1999, S. 111 f = MDR 1998, S. 1353; OLG Dresden FamRZ 2003, S. 1489; AG Lemgo FamRZ 2004, S. 49; vgl. aber auch OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 673 zu allen mit dem Schulbesuch verbundene Regelungen; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 7 auch unter Bezug zum Wechsel des Kindes in eine Heim oder ein Internat; vgl. dazu auch OLG Hamburg FamRZ 2001, S. 1008; Soiné FF 2000, S. 44. 319 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 8. 320 Nicht aber Wahl der Schulfächer, vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469). 321 Vgl. Greßmann Rz. 249; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1687 Rz. 5; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 7; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469); OLG Brandenburg NJW 2000, S. 2361; OLG Bamberg FamRZ 2003, S. 1403; KG FamRZ 2006, S. 142 (zu Impfung); vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG München FamRZ 2000, S. 1042, dass die hypothetische Erforderlichkeit einer Bluttransfusion des Kindes und die Verweigerung der Zustimmung eines Elternteils aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas keine Aufhebung der gemeinsamen Sorge rechtfertigt. 322 Nicht hingegen Notfälle, vgl. § 1629 Abs. 1 S. 4 a.F. 323 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 8; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 7; nicht jedoch der Zeitpunkt der Taufe, vgl. dazu AG Lübeck FamRZ 2003, S. 549, dass. FamRZ 2003, S. 1035 mit kritischen Anm. von Söpper zur widersprüchlichen Argumentation; vgl. auch OLG Schleswig FamRZ 2003, S. 1948, das es bei fehlender Einigung zwischen den Eltern über die Religionszugehörigkeit für vorzugswürdig erachtet, die Entscheidung bei Religionsmündigkeit dem Kind zu überlassen, anstelle der Übertragung von Alleinsorge, dazu kritische Anm. von Ewers FamRZ 2004, S. 394 f; im Ergebnis ähnlich BGH FamRZ 2005, S. 1167; zur einseitigen Mitgliedschaft bei den Zeugen Jehovas vgl. AG Osnabrück FamRZ 2005, S. 645. 324 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 8 mwN; vgl. dazu auch OLG Dresden OLGR 2004, S. 380; LG Münster StAZ 2001, S. 14; AG Düsseldorf StAZ 2000, S. 21 OLG Stuttgart StAZ 2001, S. 68; OLG Hamm StAZ 2000, S. 373; BayObLG StAZ 2001, S. 206.

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schließlich Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen 325 sowie Grundsätze der Vermögenssorge 326 betreffen sind genannt worden. 327 Im Einzelfall spielt darüber hinaus vor allem das Alter des Kindes und damit die nachhaltige Wirkung von Einzelentscheidungen für das Kind eine wesentliche Rolle. 328 Die Eltern sind in diesen Bereichen vor allem zu den erforderlichen Grundentscheidungen gemeinsam berufen. 329 Dabei sind es in erster Linie die Rahmenbedingungen, die in die gemeinsame Zuständigkeit fallen, während die Umsetzung im Einzelnen zur Alleinzuständigkeit gehört. 330 Abgesehen von diesen Einzelbereichen sind beide Elternteile an die gemeinsam vereinbarten Erziehungsgrundsätze gebunden. Damit fließt die gemeinschaftliche Kompetenz in die Alltagssorge ein, da sich die grundsätzlichen Prinzipien erst in einer Fülle von Einzelmaßnahmen manifestieren. 331 cc) Abgrenzungsproblematik Trotz dieser pragmatischen Herangehensweise lassen sich die Abgrenzungsschwierigkeiten zur Alleinzuständigkeit nicht völlig beseitigen. 332 Drei Kernprobleme sind bei der Klassifizierung bedeutsamer Entscheidungen hervorzuheben. Sie beruhen zum einen darauf, dass die Unabänderlichkeit oder die nachhaltigen Auswirkungen einer Entscheidung oftmals erst im Nachhinein erkennbar werden. Als Beispiel lässt sich hier der medizinische Eingriff denken, bei dem sich ein sehr geringes Risiko verwirklicht. Daneben erlangen manche Maßnahmen erst durch wiederholte Praxis eine fundamentale Bedeutung für die Gesamterziehung, während jede dieser Einzelmaßnahmen über eine Alltagsangelegenheit nicht hinausreicht. Hier sind etwa kleine Übertretungen des Kindes vorstellbar, die jedoch auf Dauer zu persönlichen Fehlentwicklungen führen können. 333 Beide Aspekte machen deutlich, dass sich die Tragweite von aktuellen Entscheidungen nicht ob325

Vgl. in diesem Zusammenhang auch AG Lüdenscheid FamRZ 2002, S. 1207. Vgl. insoweit differenzierend Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 6; zur Erbausschlagung vgl. OLG Hamm FamRZ 2003, S. 172. 327 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 173 zu BTDrucks. 13/4899, S. 107; vgl. vor allem instruierender Überblick Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 48 ff. 328 Vgl. OLG Naumburg FamRZ 2000, S. 1241 f, hinsichtlich einer mehrstündigen Flugreise mit einem Kind unter 2 Jahren. 329 Zur konkreten Umsetzung vgl. weitere Ausführungen Abschn. B.III.2.b). 330 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 107; Hinz FPR 1998, S. 76 (78); Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 8; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469). 331 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 48. 332 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (470); Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1380), die eine klare begriffliche Abgrenzung für unmöglich halten; zustimmend Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 4; a. A. Greßmann Rz. 252, der keine Grauzonen erkennt. 326

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jektiv bestimmen lässt. Allein die Ex-ante-Sicht kann maßgeblich sein und muss dann, wenn sich die unvorhersehbaren Folgen auswirken, als gemeinschaftlicher Entscheidungsbereich akut behandelt werden. 334 Dies führt schließlich auch zum dritten Problemkreis, der die Relativität der objektiven Einschätzung der Lebensbereiche betrifft. Die Bewertung der Angelegenheiten nach ihrer Bedeutung ist bereits ihrer Natur nach ein subjektiver Erziehungsbestandteil. Sie ist nicht allgemeingültig zu gewichten, sondern ist sowohl durch die Einschätzung des Kindes in seiner individuellen Beschaffenheit als auch durch persönliche Prioritäten jedes Elternteils geprägt. 335 Vor allem die Berücksichtigung besonderer Interessen eines Elternteils an einzelnen Themenbereichen außerhalb dieses Kanons ist sorgfältig zu erwägen. Auf der einen Seite ist der Gesichtpunkt der Rechtssicherheit zu berücksichtigen, der eine universelle Begrifflichkeit verlangt. Andererseits ist gerade in Hinblick auf Kontinuität auch auf die Wertigkeit im Einzelfall zu achten. So kann der Ausschluss eines Elternteils aus einem Lebensbereich des Kindes, den er schon während des Zusammenlebens als seine spezielle Zuständigkeit angesehen hat, unbillig sein. Angemessen erscheint daher eine individuell-objektive Beurteilung, die neben allgemeiner Bedeutsamkeit auch die Erziehungsgewichtung des Einzelfalls im Rahmen vernünftiger Motivation einbezieht. 336 Die gemeinsame Erziehungskonzeption im Einzelfall ist daher für die Einschätzung der Bedeutsamkeit einer Erziehungsmaßnahme ergänzend hinzuzuziehen. Dies lässt sich gesetzessystematisch aus dem beiderseitigen Wohlverhaltensgebot ableiten, das auch die gegenseitige Respektierung der persönlichen Schwerpunkte beinhaltet. 337 Angesichts dieser möglicherweise problematischen Klassifizierung der einzelnen Lebens- und Entscheidungsbereiche muss im strittigen Einzelfall das Familiengericht gem. § 1628 entscheiden, wie die Kompetenzverteilung zu gestalten ist. Der 333 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 4, der darauf hinweist, dass in der Erziehung eines Kindes und insbesondere von Heranwachsenden fast unversehens praktisch jedes Entscheidungsproblem schnell aus einer Alltagssorge in den Bereich des Grundsätzlichen umschlagen kann. 334 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 11. 335 Zum Wandel einzelner Thematiken im Laufe der Entwicklung des Kindes vgl. auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 6. 336 Ähnlich wohl Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 4, der neben der objektiven Beurteilung auch die von den Eltern gemeinsam entwickelten Erziehungsvorstellungen einbeziehen will. 337 Vgl. § 1684 Abs. 2 S. 1 – der Gesetzgeber hat aus der Gefahr, den Konflikt, der zum Scheitern der Partnerschaft geführt hat, auf das Kind zu projizieren, eine über die Umgangsproblematik im engen Sinne hinausgehende „Wohlverhaltensvorschrift“ mit der Verpflichtung beider Eltern zur wechselseitigen Loyalität gemacht, vgl. BT-Drucks. 8/ 2788, S. 41, 54, vgl. dazu auch Palandt / Diederichsen, 62. Aufl. § 1684, Rz. 7, MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1684 Rz. 16 ff; OLG Stuttgart FamRZ 2001, S. 932; zur Gestaltung des Umgangsrechts vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 111.

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nicht betreuende Elternteil kann auf diese Weise seine Mitentscheidungsbefugnis durchsetzen. Dabei besteht die Möglichkeit, die alleinige Entscheidungsbefugnis auf diesen zu übertragen und in der Umkehrung dem betreuenden Elternteil die Handlungsbefugnis zu entziehen. 338 b) Gegenseitiges Einvernehmen Bei Entscheidungen von besonderer Bedeutung ist das gegenseitige Einvernehmen beider Eltern erforderlich. 339 Damit greift das Gesetz die grundsätzliche Sorgerechtskonzeption des § 1627 unmittelbar auf. 340 Es betont die darin verankerte und charakteristische Ausübungsbindung, in der Vater und Mutter als Inhaber gleichrangiger und gleichgerichteter Parallelrechte sind. 341 Der Begriff erschöpft sich nicht in der bloßen Vorgabe eines übereinstimmenden Votums und der Einstimmigkeit der elterlichen Beschlussfassung. Anknüpfungspunkt ist gerade kein statischer Zustand, sondern vielmehr ein dynamischer Entscheidungsprozess und eine Umgangsform bei Meinungsverschiedenheiten. Einvernehmen ist „herzustellen“. Ein Einigungsbestreben wird damit vorgegeben und das Kooperationserfordernis zur Handlungsvorgabe. 342 Hier ist ein Rückgriff auf den § 1627 S. 2 geboten. Danach haben die Eltern bei Streit die Pflicht, sich zu einigen, was nach der Trennung noch an Bedeutung gewinnt. 343 Diese Aussage ist wohl kaum so banal, wie sie auf den erster Blick erscheinen mag 344, bringt sie doch eine zentrale Aussage über Grundfragen der Ausübung der gemeinsamen Sorge zum Ausdruck. 345 Jeder Elternteil muss auch der Ansicht des anderen Rechnung tra338 Vgl. Runge FPR 1999, S. 142 (145), die in diesem Zusammenhang ein Extrembeispiel wählt: Sollte der allein oder überwiegend betreuende Elternteil bei gemeinsamer Sorge ohne das Einverständnis des anderen Elternteils auswandern, liegt ein Entführungsfall gem. Art. 3a i.V. m. 5a HKiEntÜ (vom 25. 10. 1980, BGBl. 1990 II, S. 207) vor; dazu auch BVerfG FamRZ 1997, S. 1269; ders. FamRZ 2005, S. 1657; OLG Karlsruhe FamRZ 2006, S. 1699; OLG München FamRZ 2005, S. 1002; OLG Karlsruhe FamRZ 2006, S. 1403; Schulz FamRZ 2003, S. 336 ff; zur verfahrensrechtlichen Ergänzung der „EU-Verordnung 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und die Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000“, Brüssel IIa (abgedruckt in FamRZ 2004, S. 1443), vgl. Busch / Rökel FamRZ 2004, S. 1338 f; Coester-Waltjen FamRZ 2005, S. 241 ff; Solomon FamRZ 2004, S. 1409 ff; zum Problem der Europäisierung des Familienrechts vgl. Pintens FamRZ 2003, S. 329. 339 Zu den Besonderheiten und der Problematik rechtlicher Bindungswirkung der Elternvereinbarung vgl. Hammer FamRZ 2005, S. 1209. 340 Vgl. dazu Oekers § 1 Rz. 278. 341 Vgl. MüKo / Hinz § 1627 Rz. 5; Gernhuber „Familienrecht“ § 49 I 2; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492. 342 Zur grundsätzlichen Verpflichtung der Eltern zur Konsensbildung vgl. auch OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 564. 343 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 1; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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gen und das Leitprinzip des Kindeswohls seiner Entscheidung darüber zugrunde legen, welche Ansicht den Vorrang verdient oder welcher Kompromiss möglich ist. 346 Die Anerkennung der Sichtweise des anderen Elternteils als Bestandteil des Entscheidungsprozesses wird damit gleichsam zum Bestandteil der eigenen Elternverantwortung. Die Einigung muss keine Detailfragen umfassen. Die Eltern müssen sich lediglich über die Rahmenbedingungen verständigen. 347 Das Einvernehmen kann dabei vorweg für konkrete oder gattungsmäßig bestimmte Angelegenheiten hergestellt werden 348 oder sich an einem aktuellen Vorgang bilden. 349 In der Umsetzung kann es in der Beibehaltung der gemeinsamen Entscheidungsfindung bestehen oder auf die Ermächtigung eines Elternteils zur Alleinentscheidung hinauslaufen. 350 Dabei versteht der Gesetzgeber unter Einvernehmen keine vertragliche Fixierung, sondern ein Einverständnis über die Grundrichtung. 351 Es kann im Einzelfall auch in der Zuweisung der Sachentscheidung in die Zuständigkeit eines Elternteils bestehen. 352 Im Übrigen vollzieht sich das Prinzip der Gesamtvertretung im Wege der wechselseitigen Ermächtigung, durch die jeder Elternteil autorisiert wird, allein für das Kind zu handeln. 353 Die Einigung der Eltern hat lediglich dann rechtsgeschäftlichen Charakter, wenn damit eine Willenserklärung des Kindes vorbereitet wird. 354 Doch obgleich sich das Einvernehmensgebot des § 1627 durch § 1687 auf einen hervorgehobenen Erziehungsbereich verdichtet, erfährt das Einvernehmen nach der Trennung eine Aufwertung. Während bei der elterlichen Partnerschaft zurück344 Vgl. Gernhuber „Familienrecht“ § 50 II 2, der in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, dass es sich bei § 1627 S. 2 a.F. um eine der trivialsten Aussagen des BGBs handele. 345 Vgl. MüKo / Hinz § 1627 Rz. 14. 346 Vgl. MüKo / Hinz § 1627 Rz. 14; Erman / Michalski § 1627 Rz. 10. 347 Vgl. dazu auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 6, 11. 348 Zu der erheblichen Bedeutung von Elternvereinbarung unter Anleitung von Familienrichtern, Jugendämtern, Mediatoren und Verfahrenspflegern vgl. Hammer FamRZ 2005, S. 1209; laut forsa-Studie im Auftrag des BMFSFJ von 2002, S. 55 f einigen sich 80% über eine Regelung des Sorgerechts nach der Trennung. 349 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 8. 350 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 8, der darauf hinweist, dass es keiner vertraglichen Fixierung oder ausdrücklichen Vereinbarung über sämtliche Einzelheiten bedarf. Maßgeblich ist hier vor allem der Inhalt der elterlichen Absprache, so dass es erforderlich sein kann, dass der nichtbetreuende Elternteil in eine Entscheidung nochmals eingeschaltet werden muss, etwa wenn zuvor nicht bekannte Risiken aufgetreten sind. 351 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 11; Oelkers § 1 Rz. 271; Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 11; Wend FPR 1999, S. 137 (139). 352 Vgl. Gernhuber „Familienrecht“ § 50 II 1; MüKo / Hinz § 1627 Rz. 6. 353 Vgl. MüKo / Hinz § 1629 Rz. 11. 354 Vgl. MüKo / Hinz § 1627 Rz. 8.

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haltend darauf verwiesen wird, dass gemeinsame Entscheidungsfindung durch Zusammenwirken bei wichtigen Angelegenheiten „geboten“ sei 355, ist sie dem Wortlaut des § 1687 nach „erforderlich“. Der partnerschaftliche Grundkonsens zwischen den Eltern wird nach der Trennung also nicht mehr vermutet und daher die gemeinsame Abstimmung als rechtliche Vorgabe verbindlich festgelegt. 356 Diesen Bereich sollen die Eltern gemeinsam wahrnehmen und nicht delegieren. 357 Der Einigungsprozess rückt damit stärker in den Vorgrund der gesetzlichen Regelung. Bei gravierenden Ausfällen sind Maßnahmen gem. § 1666 denkbar. 358 c) Annex des Auskunftsrechts Neben die unmittelbare Pflicht zur gemeinsamen Entscheidung treten weitere Annexpflichten, die eine Ausübung der gemeinsamen Zuständigkeit voraussetzen. Die Verpflichtung der Eltern zu einem gemeinsamen Handeln im Innen- als auch im Außenverhältnis 359 bedeutet zum einen, dass der betreuende Elternteil den anderen davon informieren muss, wenn eine bedeutsame Entscheidung zu treffen ist. 360 Wegen seines alltäglichen Kontakts mit dem Kind obliegt es ihm im besonderen Maße, den anderen zu integrieren und dessen Ausübung der „Mitsorge“ sicherzustellen. In diesem Zusammenhang entsteht eine über den bloßen Auskunftsanspruch gem. § 1686 hinausgehende positive Informationspflicht für den Elternteil, bei dem das Kind lebt. 361 Hinz 362 denkt in diesem Zusammenhang an die analoge Anwendung der Wohlverhaltensklausel gem. § 1684 Abs. 2. Gleichzeitig bekommt der geregelte Auskunftsanspruch in Bezug auf die gemeinsame Entscheidungszuständigkeit eine besondere Bedeutung. 363

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Vgl. MüKo / Hinz § 1627 Rz. 6; Soergel / Strätz § 1627 Rz. 5; Staudinger / Donau § 1627 Rz. 14. 356 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 4. 357 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 8, unzulässig sind demnach Absprachen, wonach der betreuende Elternteil in diesen Fragen von erheblicher Bedeutung freie Hand haben soll, vgl. dazu auch OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 639; OLG Dresden FamRZ 2002, S. 973. 358 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 11. 359 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469). 360 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. §1687 Rz. 2. 361 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469); OLG Nürnberg FamRZ 2001, S. 513; zu den Grenzen des Auskunftsrechts vgl. OLG Koblenz FamRZ 2002, S. 980, wonach keine Pflicht zur Vorlage eines Tagebuchs seitens des betreuenden Elternteils besteht. 362 Vgl. Hinz FPR 1998, S. 76 (78). 363 Dieses Recht gewinnt dort zusätzliche Bedeutung, wo ein regelmäßiger Besuchskontakt nicht stattfindet, so dass eine umgekehrte Korrelation zwischen dem selbst ausgeübten Besuchsrecht und dem Auskunftsrecht entsteht (vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 70; so auch schon BayObLG FamRZ 1983, S. 1169 (1170)).

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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Gem. § 1686 kann jeder Elternteil beim anderen Elternteil bei berechtigtem Interesse Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes 364 verlangen, soweit dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. 365 Das berechtigte Interesse besteht in diesem Zusammenhang gerade in der Ausübung der gemeinsamen Sorge. 366 Es ist jedoch hervorzuheben, dass der Auskunftsanspruch nicht einen von dem Auskunftsberechtigten vernachlässigten Umgang ersetzt. Das heißt, dass dem nicht betreuenden Elternteil nicht freisteht, statt eines regelmäßigen Besuchskontakts 367, sich mit schriftlichen oder telefonischen Informationen über das Befinden des Kindes zufrieden zu geben. 368 Neben der Vorbereitung wichtiger Entscheidungen ist das berechtigte Interesse im Rahmen der gemeinsamen Sorge auch dann anzunehmen, wenn Informationen des betreuenden Elternteils erforderlich sind, um den Besuchskontakt im Sinne des Kindes zu gestalten und vorzubereiten. 369 Im Gegenzug ist der andere Elternteil im Innenverhältnis gehalten, an der gebotenen Entscheidungsfindung mitzuwirken und eine am Kindeswohl orientierte Lösung voranzutreiben. Im Außenverhältnis gilt uneingeschränkt gem. § 1629 der Gesamtvertretungsgrundsatz. Dennoch ist auch in diesem Lebensbereich keine beiderseitige Präsenz erforderlich, vielmehr kann nach gegenseitiger Ermächtigung auch bei rechtsgeschäftlicher Vertretung das Auftreten eines Elternteils ausreichen. 370 d) Anwendungsbereich des § 1628 und seine Abgrenzung gegenüber §§ 1671 Abs. 1,2; 1687 Abs. 2 Können sich die Eltern trotz intensiver Bemühungen in Einzelfragen nicht einigen, so kann das Familiengericht gem. § 1628 auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem der beiden übertragen, sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht. 371 Ohne die Rechtsstellungen der Eltern umzugestalten, kann auf diese Weise ein konkreter Konflikt gerichtlich beigelegt werden. Das heißt, dass die staatliche Intervention gem. § 1628 im Rahmen der uneingeschränkt fortbestehen364 Zum Inhalt der persönlichen Verhältnisse Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 72. 365 Dieser Anspruch richtet sich ausschließlich gegen den anderen Elternteil. Zwar nicht aufgrund des § 1686, wohl aber aufgrund der gemeinsamen Sorge kann der betreuende Elternteil verpflichtet sein, Dritte von ihrer Schweigepflicht gegenüber dem anderen Elternteil zu entbinden (vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 70; siehe dazu auch OLG Hamm FamRZ 1995, S. 1288 (1290)). 366 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469). 367 Vgl. in diesem Zusammenhang § 1626 Abs. 3 a.F. 368 Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 71. 369 Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 71. 370 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469). 371 Wichtigste Änderung der Vorschrift beruht auf der Änderung der funktionalen Zuständigkeit, die sich vom Vormundschaftsgericht auf das Familiengericht verlagert hat.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

den Aufgabenverteilung in der gesetzlichen Trennungssorge gem. § 1687 Abs. 1 durch eine konkrete Einzelfallentscheidung eingreift. Die Antragsbefugnis für eine gerichtliche Einzelfallentscheidung gem. § 1628 ist damit ein Instrumentarium der Sorgerechtsausübung innerhalb des § 1687 Abs. 1. § 1628 regelt die gemeinsame Sorge uneingeschränkt und findet auch auf die Trennungssorge Anwendung. 372 Der Anwendungsbereich erstreckt sich auf die Fälle, in denen sich sorgeberechtigte Eltern über eine Angelegenheit oder eine bestimmte Art von Angelegenheiten nicht einigen können. 373 Die gesetzliche Einschränkung auf Regelungen von erheblicher Bedeutung wirkt sich auf die gesetzliche Form der Trennungssorge nicht aus, da sie sich aufgrund des deckungsgleichen Tatbestandsmerkmals auf den gesamten Bereich der gemeinsamen Zuständigkeit erstreckt. 374 Durch die Gerichtsentscheidung wird dabei nicht die Zustimmung des widerstrebenden Elternteils ersetzt, sondern eine punktuelle sorgerechtliche Alleinzuständigkeit übertragen. 375 Das heißt, dass das Gericht keine inhaltliche Entscheidung trifft, sondern lediglich einen Elternteil zum einseitigen Handeln ermächtigt, ohne dabei letzten Endes dessen Entscheidungsfreiheit einschränken zu können. 376 Diese übertragene Befugnis beschränkt sich dann nicht nur auf das Innenverhältnis, sondern wirkt sich auf das Außenverhältnis aus, indem es dem Antragsteller auch diesbezügliche alleinige Vertretungsmacht verleiht. 377 Diese Konfliktentscheidungsnorm 378 ist darauf gerichtet, eine sorgerechtliche Handlungsunfähigkeit zu vermeiden. Als gerichtliches Korrektiv dient sie zur Erleichterung der gemeinsamen Sorge, indem Bereiche ausgelagert werden, in denen die Eltern zu keinem übereinstimmenden Entschluss kommen können. Demzufolge kann auf dieser Grundlage auch – anders als im Rahmen des § 1671 379 – die Entscheidungsbefugnis demjenigen übertragen werden, der selbst keinen Antrag gestellt hat. 380 Also im Gegensatz zur Umgestaltung der sorgerechtlichen Auf372 Vgl. Erman / Michalski § 1687 Rz. 2; BGH FamRZ 2005, S. 1167 f auch unter ausdrücklichen Hinweis darauf, dass dieser Eingriff als milderes Mittel dem des § 1671 vorzuziehen ist; AG Lemgo FamRZ 2004, S. 49. 373 Vgl. BGH FamRZ 2005, S. 1167; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 186 f; OLG Hamm FamRZ 2003, S. 172; AG Lemgo FamRZ 2004, S. 49; AG Rosenheim FamRZ 2004, S. 49 f. 374 Zur begrifflichen Übereinstimmung mit § 1687 vgl. auch BT-Drucks. 13/4899, S. 107; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 56. 375 Vgl. OLG Köln FamRZ 2005, S. 644; zur Anwendung im einstweiligen Rechtsschutz vgl. OLG Hamm FamRZ 2003, S. 172. 376 Vgl. BVerfG FamRZ 2003, S. 511; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 60; zur Wirksamkeit der Entscheidung durch Zustellung beim Antragsteller vgl. OLG Hamm FamRZ 2003, S. 172 (173); KG FamRZ 2006, S. 142. 377 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (467). 378 Vgl. im Einzelnen MüKo / Hinz § 1628 Rz. 3 ff. 379 Vgl. dazu genauere Ausführungen in Kap. C., Abschn. II.2.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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gabenzuweisung durch §§ 1687 Abs. 2 und 1671 bleiben die Rechtsstellungen der Eltern im Rahmen der gemeinsamen Trennungssorge durch eine gerichtliche Entscheidung gem. § 1628 unberührt. 381 Das Gericht ersetzt damit lediglich die konkrete Entscheidung der Eltern in einer wichtigen Angelegenheit, die sie selbst nicht einvernehmlich treffen konnten. 382 Damit wird zunächst für die normative Bestimmung der gemeinsamen Sorge deutlich, dass eine punktuelle Unfähigkeit zur Einigung noch nicht ihre rechtliche Grundlage erschüttert. 383 § 1628 trägt vielmehr dazu bei, dass der Anwendungsbereich der gemeinsamen Sorge erweitert wird, indem isolierbare Hindernisse durch flexible Gestaltung von Inhalt und Reichweite der Rechtsstellungen ausgeräumt werden. 384 Soweit durch eine punktuelle Regelung das Hindernis der gemeinsamen Sorgerechtsausübung auszuräumen ist, ist die Anordnung gem. § 1628 vorzugswürdig gegenüber dem Eingriff in Rechtsstellungen und dem Entzug von sorgerechtlicher Kompetenz eines Elternteils. 385 So hat der BGH in diesem Zusammenhang festgestellt, dass, wenn beide Instrumentarien – die Einzelfallentscheidung unter Aufrechterhaltung der bestehenden Sorgerechte und der teilweise Entzug sorgerechtlicher Positionen – gleichermaßen geeignet sind, das Hindernis der gemeinsamen Sorgerechtsausübung zu beseitigen, die Übertragung der Einzelentscheidung gem. § 1628 als milderes Mittel nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzugswürdig ist. 386 Problematisch bleiben hingegen die Grenzfälle, die eine inhaltliche Abgrenzung zwischen den §§ 1628 und 1671 erfordern. 387 Die Alleinzuständigkeit kann 380

Vgl. Schwab / Motzer, „Handbuch des Scheidungsrechts“ 4. Aufl., Abschn. III Rz. 56. Vgl. dazu weitere Ausführungen unter Abschn. IV.1.b) dieses Kapitels. 382 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1058 f, wonach für die Abgrenzung zwischen § 1628 und § 1671 maßgeblich ist, ob die Entscheidung bereits auf eine bevorstehende Umsetzung gerichtet ist oder in der Zukunft in nicht hinreichend bestimmter Weise zum Einsatz kommt. 383 Vgl. BGH FamRZ 2005, S. 1167. 384 Vgl. OLG München NJW 2000, S. 368 (369). 385 Vgl. BGH FamRZ 2005, S. 1167; OLG München FamRZ 1999, S. 1006 (1007), wonach eine Auseinandersetzung über das Aufenthaltsbestimmungsrechts keine Übertragung der Alleinsorge rechtfertigt; entsprechend auch OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); zur Aushöhlung der gemeinsamen Sorge durch Auswanderung des Kindes mit dem einen Elternteil in die USA vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2000, S. 1603 ff. 386 Vgl. BGH FamRZ 2005, S. 1167; vgl. auch zur besonderen Bedeutung der Verhältnismäßigkeit des sorgerechtlichen Eingriffs infolge des KindRG OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 258; AG Holzminden FamRZ 2002, S. 560 f; zur ausreichenden Regelung gem. § 1629 vgl. OLG Naumburg FamRZ 2005 S. 1275. 387 Vgl. zum ungeklärten Verhältnis der Anwendungsbereiche von § 1628 und § 1671 OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 186; vgl. dazu auch Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 58, mit ausdrücklichem Hinweis darauf, dass sich die Vorschriften in ihrer praktischen Anwendung sehr nahe gerückt sind, indem zum einen 381

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sich sowohl als eine teilweise Alleinsorge im Sinne des § 1671 Abs. 1 als auch als eine Entscheidung in einer bestimmten Art von Angelegenheiten gem. § 1628 darstellen. In der Gegenüberstellung ist § 1628 vorwiegend darauf gerichtet, die gemeinsame Sorge bei inhaltlichen Korrekturen im Wesentlichen zu bewahren, also den Schwerpunkt auf eine Regulation innerhalb der gemeinsamen Sorgerechtsform zu legen. 388 § 1628 ist also darauf gerichtet, für eine konkrete Situation die Entscheidungsbefugnis zuzuteilen. 389 Demgegenüber bewirkt der § 1671, ganze Lebensbereiche, in denen alle denkbaren Entscheidungen bis zur Volljährigkeit des Kindes anfallen, auf einen Elternteil zu übertragen. 390 Die Sorgerechtsübertragung stellt damit eine zukünftige Konfliktvermeidung in den Vordergrund und beruht auf übergreifenden, abstrakten Abwägungen. Die Anwendungsbereiche des § 1671 und des § 1628 können sich jedoch bei partiellen Sorgerechtsregelungen überlappen. 391 Beide Verfahrensarten haben im Falle des Erfolges dasselbe Ergebnis und dieselbe Rechtsfolge. Wird der Alleinsorgeantrag zurückgewiesen, so können die Eltern die Obhut und Gestaltung der gemeinsamen Sorge im Einzelnen durch Anträge gem. § 1628 beeinflussen. 392 Es besteht also zunächst kein ausdrückliches Ausschlussverhältnis. Maßgeblich ist daher, in welchem Verhältnis die beiden Vorschriften zueinander stehen. Bei der Einschätzung dieses Verhältnisses sind zunächst zwei Aspekte abzuwägen. Auf der einen Seite ist der Eingriff gemäß § 1628 geringer. 393 Die gleichberechtigten und gleichrangigen Positionen bleiben durch die gerichtliche Entscheidung grundsätzlich unberührt. Nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergibt sich daher zunächst ein Vorzug für die Intervention gem. § 1628, der ein darüber hinausgehendes Regelungsbedürfnis rechtfertigen muss. 394 Dies wird überdies durch die Anforderungen an die Intervention bestätigt. Die Hürde des § 1671 ist daher höher gegenüber der des § 1628. 395 Denn die strittige Übertragung der Alleinsorge gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 muss sowohl hinsichtlich der (teilweisen) Aufhebung der gemeinsamen Sorge als auch in Bezug auf die die gerichtliche Zuständigkeit gleichermaßen beim Familiengericht liegt und zum anderen nun auch nach § 1671 die Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge möglich ist; zur Abgrenzung vgl. AG Holzminden FamRZ 2002, S. 560 f; unter Relativierung des Unterschiedes aufgrund deutlicher Annäherung der beiden Tatbestände vgl. OLG Bamberg FamRZ 2003, S. 1403. 388 Im Ansatz so auch OLG München FamRZ 1999, S. 1006 f. 389 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“ S. 155. 390 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 18. 391 Vgl. OLG Bamberg FamRZ 2003, S. 1403. 392 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (465). 393 Vgl. BGH FamRZ 2005, S. 1167. 394 Zur besonderen Bedeutung der Verhältnismäßigkeit des sorgerechtlichen Eingriffs infolge des KindRG vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 258; AG Holzminden FamRZ 2002, S. 560 f. 395 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (467).

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Übertragung der Alleinsorge dem Kindeswohl am besten entsprechen 396, während gem. § 1628 allein die einseitige Entscheidungsbefugnis dem Kindeswohl überdies nur in einfacher Form Rechnung tragen muss, wobei jedoch beide Maßnahmen einer Änderungsentscheidung gem. § 1696 zugänglich sind. Andererseits versteht der Gesetzgeber den § 1628 nicht als ein Instrumentarium der Sorgerechtsregulierung, auch wenn sie im Einzelfall als eine solche erscheinen kann. Eine Sperrwirkung gem. § 1671 Abs. 3 397 kann deshalb nicht damit begründet werden, dass eine von § 1671 abweichende Entscheidung gem. § 1628 getroffen werden müsste. Es ist also trotz des normativen Gefälles denkbar und zulässig, dass Verfahren mit Anträgen gem. § 1671 und § 1628 im isolierten Verfahren miteinander verbunden werden. 398 Lediglich ein Verbund im Scheidungsverfahren ist nicht denkbar. Selbst wenn man die Entscheidung nach § 1628 als eine Angelegenheit der elterlichen Sorge betrachten wollte, so steht einem solchem Verbund die Einschränkung des § 623 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO entgegen, der eine Verbindung nur „im Falle eines Antrags nach § 1671 Abs. 1 BGB“ vorsieht. 399 Gesetzesunmittelbare Vorgaben sind daher für die Bestimmung des Verhältnisses nicht ersichtlich. So haben sich Bestrebungen entwickelt, die zwischen den Interventionsformen nach funktionalen Kriterien unterscheiden, indem sie den Vorschriften bestimmte Regelungsgegenstände zuweisen. Aus der amtlichen Begründung zum Gesetzentwurf ergeben sich insoweit Hinweise auf eine Normenkonkurrenz. Denn es heißt dort, dass die Sorge für alle in diesem Bereich denkbaren Entscheidungen bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Kindes nach § 1671 Abs. 1 übertragen wird, während die Maßnahmen gem. § 1628 „eine konkrete Situation bezogene Zuteilung der Entscheidungsbefugnis“ beträfen. 400 Entsprechend wurde in der Literatur der Versuch unternommen, das Tatbestandsmerkmal der bestimmten Art von Angelegenheiten iSd § 1628 dahingehend einzuschränken, dass es sich um einen mit bestimmten Lebensverhältnissen zusammenhängenden Fragekomplex handele. 401 Danach wäre beispielsweise die Entscheidung über ein konkretes Ausbildungsverhältnis gem. § 1628 zu treffen, während gem. § 1671 die Zuständigkeit für Ausbildungsfragen insgesamt zu beurteilen wäre. Dieser an konkreten Situationen orientierte Bezug versagt aber bei all jenen Fragen, die sich in einer Maßnahme mit Dauerwirkung erschöpfen. 402 Die amtliche 396

Vgl. weitere Ausführungen in Kap. C., Abschn. III.2. Dort wird geregelt: „Dem Antrag (auf Alleinsorgeübertragung) ist nicht stattzugeben, soweit die elterliche Sorge auf Grund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss.“ 398 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (467). 399 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (467). 400 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 154 f. 401 Vgl. MüKo / Hinz § 1628 Rz. 9. 397

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Begründung stellt auf das Zeitargument der Dauerhaftigkeit der Entscheidung ab. Dies ist als Abgrenzungskriterium ebenfalls nur bedingt tragfähig, da auch die Entscheidung gem. § 1671 jederzeit durch eine Änderungsentscheidung gem. § 1696 abweichend geregelt werden kann. Eine andere Differenzierung stellt darauf ab, dass eine Streitentscheidung gem. § 1628 sich allein darauf richten kann, eine Angelegenheit als eine solche des § 1687 Abs. 1 S. 1 oder S. 2 zu qualifizieren. 403 § 1671 wäre dann die vorrangige Vorschrift, der alle inhaltlichen Gestaltungen des Sorgerechts unterworfen sind. Für eine solche Abgrenzung der Anwendungsbereiche besteht im Gesetz jedoch kein Anhaltspunkt und sie erscheint, wenn auch praktikabel, so doch willkürlich. Insbesondere ist dabei zu berücksichtigen, dass mit der Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis gem. § 1628 regelmäßig eine konkrete inhaltliche Entscheidung verbunden sein wird. Alle Differenzierungsversuche führen zu Abgrenzungsschwierigkeiten und können willkürliche Ergebnisse nicht wirksam ausschließen. Ihre Kriterien geben aber Orientierungshilfen. Um die Grenzfälle sachgerecht zu beurteilen, kommt es darauf an, die Zielsetzung der Abgrenzung zu verdeutlichen. Im Vordergrund steht, dass der Regelungszweck des § 1671 durch die Anwendung des § 1628 nicht ausgehöhlt werden darf. Zwingend ergibt sich daraus zunächst, dass gem. § 1628 jedenfalls nicht alle Sorgerechtsangelegenheiten auf einen Elternteil übertragen werden können. Dies würde dem Bestimmtheitserfordernis des § 1628 widersprechen. 404 Die Einzelzuständigkeit muss sich vielmehr auf einen begrenzten Bereich beziehen und dieser muss, sofern er über eine Einzelentscheidung hinausgeht, in den Folgeentscheidungen zur Zeit der gerichtlichen Beurteilung bereits absehbar sein. 405 Das bedeutet, dass die gemeinsame Sorge grundsätzlich unberührt bleiben muss und eine Entscheidung gem. § 1628 keine größeren Sorgerechtsbereiche auslagern kann. Droht aufgrund der besonderen Bedeutsamkeit der Einzelfrage für die Sorgerechtsgestaltung gleichwohl eine Umgehung der Maßstäbe des § 1671, so ist dies bei der Beurteilung des Kindeswohls auszugleichen. Je weitreichender die Einzelzuständigkeit in die Ausgewogenheit der Elternpositionen eingreift, desto strenger ist sie zu beurteilen. Auf diese Weise gleichen sich die Maßstäbe an, so dass eine abweichende Beurteilung auf der Rechtsfolgenseite vermieden werden kann. Die Abgrenzungsschwierigkeiten können auf diese Weise umgangen werden.

402 403 404

Vgl. kritische Anmerkungen von Schwab FamRZ 1998, S. 457 (467). Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 4. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 8/2788,

S. 46. 405

Vgl. MüKo / Hinz § 1628 Rz. 9; so auch schon OLG Hamm FamRZ 1966, S. 209 f.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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3. Alleinzuständigkeiten des betreuenden Elternteils im Rahmen der gemeinsamen Sorge Neben der gemeinsamen Zuständigkeit der Eltern für bedeutsame Angelegenheiten sieht § 1687 Abs. 1 vor, dass der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, die Befugnis hat, allein über Angelegenheit des täglichen Lebens zu entscheiden. 406 Das Gesetz gibt hier das formale Grundprinzip der Gesamtvertretung in der gesetzlichen Sorge auf, ohne jedoch die fortbestehende elterliche Gesamtverantwortung aufzuheben. 407 Genau durch diese Sonderregulierung unterscheidet sich die gemeinsame Elternsorge nach Trennung und Scheidung von der allgemeinen gesetzlichen Sorge gem. §§ 1626 ff. 408 Die Alltagszuständigkeit knüpft unmittelbar an die bereits erwähnten Praktikabilitätserwägungen an. 409 So ist die gesetzliche Funktionszuweisung an den spezifischen Bedingungen der Trennungssorge orientiert. 410 Die Trennung der Eltern ist regelmäßig damit verbunden, dass nicht beide Eltern alltäglich präsent sind. Die sorgerechtliche Handlungsfähigkeit wird angesichts dessen gewährleistet, indem der überwiegend verfügbare Elternteil spontan und ohne zermürbende Detailabsprachen auf die Anforderungen des Alltags einseitig reagieren kann. 411 Dies leitet sich aus einem systematischen Grundgedanken ab, der bereits in der allgemeinen Sorgerechtsregulierung des § 1627 angelegt ist. 412 Danach geht man

406 MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4 spricht in diesem Zusammenhang von der „konfliktvermeidenden Alleinentscheidungsbefugnis“; vgl. dazu auch Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 3; Oelkers § 1 Rz. 278 f; zur fehlenden Alleinvertretungsbefugnis gem. § 1629 bei alternierenden Betreuung im Rahmen des Wechselmodells vgl. OLG München FamRZ 2003, S. 1316. 407 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4; zur tatsächlichen Relativierung des gesetzlichen Unterschiedes vgl. weitere Ausführungen Kap. B., Abschn. II.1. sowie 3. 408 Vgl. Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146, die darin auch einen erheblichen qualitativen Unterschied sieht. 409 Vgl. FamRefK / Rogner S. 17; vgl. dazu auch Hinz FPR 1998, S. 76 (80), der die realitätsnah-praktikable und lebensnahe Gestaltung des Reformgesetzes lobt. 410 So hat der Rechtsausschuss (vgl. BT-Drucks. 13/8511, S. 67) drei Anforderungen entwickelt, an denen sich die Alleinentscheidungsbefugnis messen lassen muss. 1. Es muss gewährleistet sein, dass der Elternteil, bei dem das Kind lebt, sich nicht ständigen Auseinandersetzungen über Detailfragen mit dem anderen Elternteil ausgesetzt sieht. 2. Die konfliktvermeidende Alleinentscheidungsbefugnis darf jedoch andererseits nicht so weit gehen, dass die gemeinsame elterliche Sorge zu einer leeren Hülse wird. 3. Der Umfang der Alleinentscheidungsbefugnis sollte möglichst klar geregelt werden. 411 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 58, 63, 107; FamRefK / Rogner S. 17; Hammer FamRZ 2005, S. 1209 (1211); Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1687 Rz. 1; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 45, der insbesondere die Vermeidung gegenseitiger Blockade bei der Alltagssorgegestaltung hervorhebt.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

von einer Alleinvertretungsmacht jedes Elternteils im Rahmen der Geschäfte des täglichen Lebens aus, die auf der rechtlichen Konstruktion einer stillschweigenden Ermächtigung beruht. 413 Die gemeinschaftliche Entscheidungsfindung wäre bei alltäglichen Fürsorge- und Erziehungsfragen lebensfremd. 414 Das dauernde Zusammenwirken ist unrealistisch und entspricht nicht den Umständen des Alltags. 415 Die Ermächtigung wird vor dem Hintergrund eines übergreifenden Grundkonsenses aus der Übereinkunft über die Aufteilung der sorgerechtlichen Zuständigkeiten gesehen. 416 Da bei der Trennungssorge dieser Grundkonsens nicht mehr uneingeschränkt unterstellt werden kann, wird dem betreuenden Elternteil gesetzlich die Alleinbefugnis verliehen, um entsprechenden Einigungsdefiziten vorzubeugen. 417 a) Gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes Die alleinige Alltagsbefugnis ist an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes geknüpft. 418 Dieser örtliche Bezug setzt einen Aufenthalt von nicht geringer Dauer und den Schwerpunkt seiner Bindungen an den betreffenden Ort bzw. den Daseinsmittelpunkt voraus. 419 Der Begriff entspricht der Obhut gem. § 1629 Abs. 2 412

Vgl. in diesem Zusammenhang auch Oelkers § 1 Rz. 278 f. Vgl. MüKo / Hinz § 1629 Rz. 13; ders. § 1627 Rz. 6 insoweit warnend vor zu extensiver Teilung der Elternpflichten im Rahmen einer stillschweigenden Aufgabenverteilung. 414 Vgl. MüKo / Hinz § 1627 Rz. 6; Siebert NJW 1955, S. 1 (2). 415 Vgl. MüKo / Hinz § 1627 Rz. 6, der ein Postulat der gemeinsamen Entscheidungsfindung bei alltäglichen Fürsorge- und Erziehungsmaßnahmen als lebensfremd bezeichnet; vgl. auch schon entsprechend Siebert NJW 1955, S. 1(2). 416 Vgl. Firsching / Graba „Familienrecht“, 6. Aufl. 1998, Rz. 796 unter der Bezeichnung der „Theorie der Aufgabenverteilung“. 417 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 58; 13/8511, S. 67; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Auflage § 1687 Rz.1. 418 Vgl. zum Begriff Palandt / Heinrichs 62. Aufl. § 7 Rz. 3 mwN und Palandt / Diederichsen § 1629 Rz. 31; zum besonderen Fall wechselnder Betreuung durch beide Eltern (sog. Wechsel- oder Nestmodell, vgl. OLG Rostock FamRZ 2001, S. 642; OLG Stuttgart FamRZ 2003, S. 959; OLG München FamRZ 2003, S. 1316; zur Kindeswohlverträglichkeit des Wechselmodells vgl. positive bzw. neutrale Einschätzung bei OLG Dresden FamRZ 2005, S. 125 f; AG Hannover FamRZ 2001, S. 846; Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (450); zur negativen Einschätzung vgl. OLG München FamRZ 2002, S. 1210; zur Bemessung des Unterhaltsanspruchs bei striktem Wechselmodell durch quotale Zuordnung nach Maßgabe des jeweiligen Einkommens vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2001, S. 1235; KG FamRZ 2003, S. 53. 419 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 112; vgl. auch Art. 3 Abs. 1a des Haagener Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKiEntÜ vom 25. 10. 1980, BGBl. 1990 II, S. 207) und dazu Schulz FamRZ 2003, S. 336 ff; OLG Schleswig FamRZ 2000, S. 1426; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1428; dass. FamRZ 2003, S. 956; dass. FamRZ 2005, S. 1004; dass. FamRZ 2006, S. 1699 f; OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1607; OLG Stuttgart FamRZ 2003, S. 959; OLG München FamRZ 2005, S. 1002; AG Saarbrücken FamRZ 2002, S. 45; AG Nürnberg FamRZ 413

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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S. 2. 420 Um sie zu begründen, muss dieser Aufenthalt rechtmäßig 421 sein. 422 Das heißt, er muss entweder auf der Einwilligung des anderen Elternteils oder einer gerichtlichen Entscheidung beruhen. 423 Grundlage ist demnach eine rechtmäßige Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. 424 Das vom Gesetz zugrunde gelegte „Eingliederungsmodell“ erfordert daher eine Zuordnung des Kindes zu einem Elternteil. Erst diese Zuordnung verleiht die einseitige Sorgerechtskompetenz. Die 2004, S. 725; zu den darin bestehenden Anforderungen an die tatsächliche Sorgerechtsausübung vgl. OLG Rostock FamRZ 2002, S. 46; dass. FamRZ 2003, S. 959; dazu auch AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 398; OLG Dresden FamRZ 2003, S. 468; unter Ausschluss gleichwertiger Aufteilung der Betreuung im Rahmen des Wechselmodells vgl. OLG Hamburg FamRZ 2001, S. 1235; KG FamRZ 2003, S. 53; KG KG-Report 1997, S. 190; OLG München FamRZ 2003, S. 248. 420 Vgl. zur begrifflichen Identität BT-Drucks. 13/4899, S. 61; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Auflage § 1687 Rz. 7; OLG Hamburg FamRZ 2001, S. 1235; zum Fortbestehen des Obhutsverhältnisses über einen längeren Urlaubsaufenthalt hinaus vgl. OLG Köln FamRZ 2005, S. 1852. 421 Gem. Art. 21 EGBGB richtet sich das Rechtsverhältnis zwischen einem Kind und seinen Eltern nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies entspricht den früheren Vorgaben des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. 10. 1961 (BGBl. 1971 II, S. 217), das durch das Kindesschutzübereinkommen abgelöst wurde (vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 9); vgl. in diesem Zusammenhang auch „EU-Verordnung 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und die Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000“, Brüssel IIa und dazu Solomon FamRZ 2004, S. 1409; Coester-Waltjen FamRZ 2005, S. 241; zur Zuständigkeit bei Kindesentführung anhand der verschiedenen internationalen Abkommen vgl. auch Schulz FamRZ 2003, S. 336 anhand eines tragischen deutsch-französischen Sorgerechtsfalls Tiemann. / . Lanceline, DEuFamR 1999, S. 55. 422 Vgl. dazu OLG Karlsruhe FamRZ 2001, S. 1636, wonach es für die Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht ohne Bedeutung sein soll, wenn ein Elternteil eigenmächtig den Lebensmittelpunkt des Kindes verändert hat. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass es sich bei dieser Entscheidung nicht um ein Sanktionsinstrument elterlichen Fehlverhaltens, sondern allein um eine Umsetzung des Kindeswohls handelt; vgl. in diesem Zusammenhang auch AG Saarbrücken, FamRZ 2002, S. 45 bezüglich des Wechsels eines ursprünglich rechtmäßigen Aufenthaltsbestimmungsrechts, das seine Wirkung verliert, wenn in der Zwischenzeit das Kind bei dem anderen Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt bezogen hat. 423 Vgl. § 1687 Abs. 1 S. 2; zu den weiteren Möglichkeiten der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch den Entzug dieses Rechts beim anderen Elternteil gem. §§ 1666 und 1671, 1672 Abs. 2 vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 10; OLG Köln FamRZ 2006, S. 1625; zum Anspruch der Herausgabe des Kindes nach einseitig illegitimer Verbringung durch einen Elternteil aus der ehelichen Wohnung gem. § 1632 und dem gebotenen Schutz des Kindes vor voreiligen Kurzschlussaktionen eines Elternteils vgl. AG Bad Iburg FamRZ 2000, S. 1036 f; zur Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht im einstweiligen Rechtsschutz vgl. OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1478 f. 424 Zur nachträgliche (konkludenten) Genehmigung der Aufenthaltbestimmung durch den Mitsorgeberechtigten vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2006, S. 1699.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Einwilligung deckt damit gleichsam die Alleinentscheidungsbefugnis und ersetzt den Grundkonsens während des Zusammenlebens, indem die einseitige Sorgerechtsausübung rechtlich verselbständigt wird. 425 Das Aufenthaltsbestimmungsrecht steht innerhalb der gemeinsamen Sorge beiden Eltern zu und ist wegen der weitreichenden Folgen eine bedeutende Angelegenheit, die sie gemeinschaftlich entscheiden müssen. 426 Können sie darüber kein Einvernehmen erzielen, so kann ein Elternteil das Kind nur aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung vom bisherigen Aufenthaltsort entfernen. Diese Entscheidung wird voraussichtlich nicht vorrangig auf §§ 1671, 1672 Abs. 1 beruhen, da sie nicht die Aufhebung der gemeinsamen Sorge, sondern ihre Regulierung zum Gegenstand hat. 427 Denkbar ist lediglich, dass das Aufenthaltbestimmungsrecht im Zuge teilweiser Alleinsorge übertragen wird. Begrenzend wirken in diesem Zusammenhang jedoch die eher unflexible Rechtsgestaltung und die strengen Anforderungen an die Übertragung der Alleinsorge. Ebenfalls denkbar, aber nur in Grenzfällen einschlägig, ist eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gem. § 1666. Eine nur auf den Aufenthalt beschränkte Kindeswohlgefährdung wird es nur in Ausnahmefällen geben und dort, wo sie gegeben ist, regelmäßig auch eine Belassung der gemeinsamen Sorge insgesamt in Frage stellen. Der Regelfall der einseitigen Aufenthaltbestimmung wird auf § 1628 zu stützen sein. 428 Soweit Bedenken gegen das Aufenthaltsbestimmungsrecht aus der erheblichen Reichweite der Alltagszuständigkeit hergeleitet werden, ist dem 425

Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1607, wo ausdrücklich hervorgehoben wird, dass Art. 3a HKiEntÜ (Haagener Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl. 1990 II, S. 207) auch das sog. Mitsorgerecht des nichtbetreuenden Elternteils bei der gemeinsamen Sorge und dessen Recht der Aufenthaltsbestimmung schützt; ähnlich auch OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 643; OLG Hamm FamRZ 2004, S. 723; vgl. dazu auch OLG Rostock FamRZ 2001, S. 642; dass. FamRZ 2003, S. 959; OLG Karlsruhe FamRZ 2003, S. 956; vgl. in diesem Zusammenhang zu den ergänzenden Bestimmungen der EU-Verordnung Brüssel IIa (abgedruckt in FamRZ 2004, S. 1443) Busch / Rökel FamRZ 2004, S. 1338 f; Solomon FamRZ 2004, S. 1409 ff; CoesterWaltjen FamRZ 2005, S. 241. 426 Vgl. OLG Schleswig FamRZ 2000, S. 1426 mit dem besonderen Hinweis, dass dem Aufenthaltsbestimmungsrecht umso entscheidenderes Gewicht zukommt, je jünger das Kind ist; zur eingeschränkten Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, das nicht den Wegzug umfasst vgl. OLG München FamRZ 2003, S. 1493. 427 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 20, der diese Entscheidungsgrundlagen weitgehend ausschließt; anderes jedoch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 3; AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); OLG Dresden FamRZ 2000, S. 501; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1597; OLG München NJW 2000, S. 368; dass. FamRZ 2003, S. 1493; OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041; dass. FamRZ 2006, S. 1625; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, S. 1634; OLG Frankfurt FamRZ 2001, S. 1636; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 564; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 567; OLG Schleswig FamRZ 2003, S. 1494. 428 A. A. jedoch AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); OLG Dresden FamRZ 2000, S. 501; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1597; OLG München NJW 2000, S. 368; OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, S. 1634; OLG Frankfurt FamRZ

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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jedoch entgegenzuhalten, dass die gesetzliche Folge des Aufenthalts nicht Bestandteil des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist, sondern allein einen rechtlichen Reflex bildet. 429 Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist bisher im BGB nicht geregelt. Es finden sich jedoch parallele Regelungen im IPR. 430 Daneben ergeben sich aus der Regelung der Obhut gem. § 1629 Abs. 2 S. 2 und der Betreuung des Kindes gem. § 1573 Abs. 5, 1578 Abs. 1 S. 2, 3 weitere Orientierungshilfen. 431 So stellt die Obhut auf die tatsächlichen Verhältnisse ab. 432 Das Kind befindet sich in der Obhut desjenigen Elternteils, der für das Kind sorgt und sich um dessen Unterhalt kümmert, gleichgültig, ob er mit dem Kind zusammenlebt, ob er die Wohnung mit dem anderen Elternteil teilt oder ob das Kind bei Dritten untergebracht hat. 433 Der Aufenthalt des Kindes ist somit ein am Einzelfall orientierter auslegungsfähiger Rechtsbegriff, der sich vorrangig auf den Schwerpunkt der faktisch ausgeübten Elterverantwortung bezieht. 434 b) Angelegenheiten des täglichen Lebens Die Reichweite der Alleinentscheidungsbefugnis erstreckt sich auf die Angelegenheiten des täglichen Lebens. 435 Die sich daraus ableitende Kompetenz wird zusehends mit dem durch Willutzki geprägten Begriff der Alltagssorge 436 be2001, S. 1636; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 564; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 567; vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459); Bode FamRZ 1999, S. 1400. 429 Zu den Regelungsalternativen gem. § 1666 und §§ 1671, 1672 vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 14. 430 Vgl. Art. 19 Abs. 2 EGBGB, wonach es heißt: „Sind die Eltern nicht verheiratet, so unterliegen Verpflichtungen des Vaters gegenüber der Mutter auf Grund der Schwangerschaft dem Recht des Staates, in dem die Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ 431 Maßgeblich ist danach, bei wem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge liegt, wer die elementaren Lebensbedürfnisse des Kindes wie Pflege, Verköstigung, Kleidung, ordnende Gestaltung des Tagesablaufs und ständig abrufbare emotionale Zuwendung befriedigt und sichert (OLG Frankfurt FamRZ 1992, S. 575; OLG Stuttgart NJW-RR 1996, S. 67 = FamRZ 1995, S. 1168); vgl. kritische Anmerkungen zur uneinheitlichen Terminologie des Sorgerechts Schwab FamRZ 1998, S. 457 (468). 432 Vgl. MüKo / Hinz § 1629 Rz. 36, demzufolge der im Übrigen dem Familienrecht fremde Begriff der Obhut aus § 51 Abs 2 JWG (vgl. jetzt § 42 SGB VIII) entlehnt ist. 433 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1988, S. 1092; zur zeitlichen Begrenzung vgl. aber auch OLG Hamm FamRZ 1990, S. 890 f; Diederichsen NJW 1986, S. 1462 (1464); zur besonderen Nachweispflicht der vorwiegenden Ausübung der tatsächlichen Fürsorge bei getrenntlebenden Eltern innerhalb einer Wohnung vgl. OLG Hamburg FamRZ 2001, S. 1235; KG FamRZ 2003, S. 53; KG KG-Report 1997, S. 190; OLG München FamRZ 2003, S. 248. 434 So reicht es aus, wenn ein Elternteil das Kind überwiegend betreut und versorgt und sein Anteil an der Betreuung den des anderen Elternteils geringfügig übersteigt, vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2001, S. 1235; vgl. dazu auch OLG Frankfurt / M. FamRZ 2006, S. 883. 435 Vgl. OLG Nürnberg EzFamR aktuell 1999, S. 115 (116).

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schrieben. Als Kehrseite steht sie der gemeinsamen Kompetenz des Abs. 1 S. 1 spiegelbildlich gegenüber. 437 Das Gesetz gibt für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs eine Legaldefinition in § 1687 Abs. 1 S. 3. 438 Danach unterliegen der Alltagssorge – in der Umkehrung der gemeinschaftlichen Zuständigkeit – idR solche Angelegenheiten, die „häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben.“ 439 Die Alltäglichkeit setzt sich dabei also aus zwei Elementen zusammen, aus der Häufigkeit der Maßnahme und ihrer Abänderlichkeit. 440 Das bedeutet, Angelegenheiten des alltäglichen Lebens sind häufig vorkommende Situationen, die eine elterliche Entscheidung erfordern und deren Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes ohne größeren Aufwand abänderbar sind. 441 Als reziproke Erscheinung zu den Angelegenheiten von besonderer Bedeutung ergeben sich für die Alltagsangelegenheiten dieselben bereits oben dargestellten Abgrenzungsschwierigkeiten. 442 Auch hier geht das Bestreben dahin, die Lösung in Katalogen denkbarer Grenzfälle zu suchen. 443 Eine Besonderheit gilt hinsichtlich der Vermögenssorge, denn der 436

Vgl. Willutzki Rpfleger 1997, S. 336 (338); ders. KindPrax 1998, S. 10. Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“ III, Rz. 48, 56; Lipp / Wagenitz § 1687 Rz. 2; zu einer dritten Kategorie der Alltagssorge und einem dagegen möglichen Vetorecht des nichtbetreuenden Elternteils vgl. AG Lübeck FamRZ 2003, S. 549, sowie kritische Anm. von Söpper FamRZ 2003, S. 1035 f. 438 Sie ist zurückzuführen auf einen Vorschlag des Rechtsausschusses, vgl. BTDrucks. 13/8511, S. 74 f. 439 In der Begründung des Regierungsentwurfes heißt es dazu erläuternd: „Dies betrifft vor allem die praktisch im Vordergrund stehenden Fragen der täglichen Betreuung des Kindes, aber auch Fragen, die im schulischen Leben und in der Berufsausbildung des Kindes vorkommen. Auch Entscheidungen, die im Rahmen der gewöhnlichen medizinischen Versorgung des Kindes zu treffen sind, sollen allein dem genannten Elternteil obliegen.“ (vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 74 f; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 174). 440 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1687 Rz. 5; Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 21; vgl. auch BT-Drucks. 13/4899, S. 75, wo von einer positiven und einer negativen Komponente der Definition gesprochen wird – d. h. positiv ist festzustellen, dass die Angelegenheit häufig vorkommt, und als negative Komponente muss ausgeschlossen sein, dass die Entscheidung Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes hat; ähnlich BTDrucks. 13/8511, S. 75. 441 Vgl. FamRefK / Rogner, 17; vgl. auch Palandt / Diederichsen Aufl. 62, § 1687 Rz. 11, wonach beispielhaft Entscheidungen im Bereich der Personensorge wie: Schulalltag, Essensfragen, Bestimmung der Schlafenszeit, Routineerlaubnisse zur Freizeitgestaltung, Fernsehkonsum, Besuch von Badeanstalt und Diskothek; Umgang mit Freunden, die gewöhnliche medizinische Betreuung (Kinderkrankheiten, Polypenoperation usw.), Beantragung von Personalpapieren für Auslandsferien; sowie bei Vermögenssorge: Taschengeld, Verwaltung kleiner Geldgeschenke, Zustimmung nach § 110; ähnlich auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 12 mit einzelnen Fallbeispielen und weiteren Nachweisen. 442 Vgl. die Ausführungen Kap. B., Abschn. III.2.a)cc). 443 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 107; FamRefK / Rogner, S. 18; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1687 Rz. 7; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469). 437

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Elternteil, bei dem sich das Kind in der Regel aufhält, hat gleichzeitig gem. § 1629 Abs. 3 die Prozessstandschaft für Unterhaltsstreitigkeiten. 444 Dem Gesetz lässt sich nicht entnehmen, wie weit die sorgerechtliche Selbständigkeit der Alleinentscheidungsbefugnis geht. 445 Aus dem Regelungskontext sowie dem Sinn und Zweck der Norm ergibt sich, dass die Befugnisse des § 1687 Rechtshandlungen einschließlich des Alleinvertretungsrechtes und alle tatsächlichen Regelungen der Sorgerechtsangelegenheiten umfassen. 446 Dabei fällt ins Gewicht, dass die Alleinentscheidungsbefugnis ohne rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit keine sinnvolle Entlastung für die elterliche Zusammenarbeit innerhalb der Trennungssorge bewirken könnte. Die sorgerechtliche Handlungsfähigkeit würde vielmehr vollends an Substanz verlieren, wenn man sie an eine Bevollmächtigung oder Mitwirkung des anderen Elternteils knüpfte, etwa in der Form einer aus § 1687 abzuleitenden Mitwirkungspflicht. 447 Zwar findet die Befugnis nach § 1687 Abs. 1 S. 2 anders als die Alleinentscheidung gem. § 1628, bei der Regelung der Alleinvertretung gem. § 1629 Abs. 1 keine Erwähnung. 448 Jedoch führt die amtliche Begründung aus, dass die Einräumung einer Alleinentscheidungsbefugnis nicht ausreiche. 449 Daraus lässt sich im Umkehrschluss entnehmen, dass jedenfalls die einseitige Vertretungsmacht des betreuenden Elternteils gegeben sein soll. 450 Falls man hingegen die Befugnis aus § 1687 Abs. 1 S. 2, 3 nicht bereits als einen Fall der alleinigen „Ausübung“ des Sorgerechts ansieht, ist eine analoge Anwendung des § 1629 Abs. 1 S. 3 geboten. 451 Im Bereich seiner Alleinsorgebefugnis ist der betreuende Elternteil daher berechtigt, für das Kind Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens abzuschließen und Ansprüche daraus geltend zu machen. 452 Hierzu gehört auch die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes gegenüber dem anderen Elternteil. 453 444

Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 3 mwN; zu Unterhaltshöhe bzw. Kürzung für den sonst zu leistenden Unterhalt vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, S. 74; zu Krankenversicherung und Haushaltsfreibeträgen vgl. Breithaupt Streit 1999, S. 119 (129); Schwab / Motzer Handbuch des Scheidungsrechts 4. Aufl. III § 1671 Rz. 63 f. 445 Zur Problematik der inhaltlichen Bestimmung auch schon Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451). 446 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 107; Erman / Michalski § 1687 Rz. 2; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Auflage § 1687 Rz. 2; Koritz FPR 2000, S. 243; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 9. 447 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 8. 448 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (470), der darauf hinweist, dass aus dieser gesetzlichen Widersprüchlichkeit insbesondere für die Einwilligungsbefugnis erhebliche Unsicherheit entstehen kann. 449 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 107. 450 So im Ergebnis Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 52; so auch Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 9. 451 Vgl. Walter FamRZ 1995, S. 1542; FamRefK / Rogner, S. 21. 452 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 26.

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Der andere Elternteil wird also von der Mitwirkungsbefugnis ausgeschlossen, soweit sich beide Eltern nicht einvernehmlich über eine andere Aufgabenverteilung einigen. 454 An die Stelle der vorherigen aktiven Sorgerechtsposition tritt nun das Auskunftsrecht gem. § 1686. 455 Dies führt seitens des betreuenden Elternteils zu einer Annexpflicht, aus der er dem anderen Elternteil auf berechtigte Nachfrage über seine Ausübung der Alltagssorge Rechenschaft bzw. Information geben muss. Die Grenze der Alleinentscheidungssorge ist jedoch anzunehmen, wenn die gemeinsame Zuständigkeit ausgehöhlt wird, so dass sich tatsächlich keine Mitwirkungsbefugnis des anderen Elternteils mehr ableitet. 456 Jedoch wird zur Wahrung der Funktionsfähigkeit allgemein vertreten, dass Zweifelsfälle zugunsten des betreuenden Elternteils entschieden werden, da sein Verhalten für das Kind im Alltag maßgeblich ist und damit das Kind nicht in Ungewissheit gerät. 457 Überschreitet der betreuende Elternteil seine Kompetenzen aus der Alltagssorge ohne die erforderliche Mitwirkung des anderen Elternteils, so finden wohl auch weiterhin die Vorschriften über das Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht gem. §§ 177 ff entsprechende Anwendung. Damit ist eine von der Alleinentscheidungsbefugnis nicht gedeckte Erklärung des alleinhandelnden Elternteils schwebend unwirksam und kann nach Maßgabe des §177 durch den anderen Elternteil genehmigt werden. Findet keine Heilung statt, so ist der handelnde Elternteil an seine Erklärung gem. §§ 177, 178 gebunden und haftet nach § 179. 458 Gegenüber dem übergangenen Elternteil ist der handelnde Elternteil gegebenenfalls zur Rücknahme der pflichtwidrigen Maßnahme verpflichtet. Denn die abredewidrige oder eigenmächtige Entscheidung stellt sich gegenüber dem anderen Elternteil als Pflichtverletzung dar. 459 Dies heißt jedoch nicht, dass diese Exzessmaßnahme gleichzeitig eine Pflichtverletzung gegenüber dem Kind darstellen muss. 460 Dies ist erst dann gegeben, wenn die Grenze des § 1666 überschritten ist, wenngleich die beidseitige Interessenwahrnehmung der Eltern mittelbar auch zum Schutz des Kindes und einer ausgewogenen Erziehungsausübung dient. 461

453 Vgl. LG München FamRZ 1999, S. 875, das ausdrücklich die Bestellung eines Ergänzungspflegers nicht für geboten erachtet. 454 Zur Gefahr der extensiven Wahrnehmung durch den betreuenden Elternteil, um den anderen zu verdrängen vgl. kritische Anmerkungen von Salzgeber FPR 1998, S. 80 (82). 455 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (470). 456 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4; OLG München NJW 2000‚ S. 368; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1380); Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469). 457 Vgl. OLG Köln NJW 1999, S. 295; OLG Naumburg EzFamRaktuell 2000, S. 2; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz.4. 458 Vgl. zur alten Rechtslage MüKo / Hinz 3. Aufl. § 1629 Rz. 15. 459 Vgl. MüKo / Hinz § 1627 Rz. 11. 460 Vgl. MüKo / Hinz § 1627 Rz. 11; Soergel / Strätz § 1627 Rz. 8. 461 Ebenda.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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Der andere Elternteil kann in den Fällen der Kompetenzüberschreitung des betreuenden Elternteils das Familiengericht anrufen, um seine Mitwirkungsbefugnis an der Sorgerechtsausübung durchzusetzen. 462 Sofern die Entscheidung von ihrer Art her rückgängig gemacht werden kann, kann gem. § 1628 beantragt werden, die Entscheidung über die strittige Angelegenheit einem Elternteil zu übertragen. Kommt eine Rückgängigmachung nicht in Betracht, wohl aber von der Art der Angelegenheit her eine Wiederholung, kann der andere Elternteil beim Familiengericht in einer entsprechenden Anwendung der §§ 1628, 1687 Abs. 2 eine feststellende Entscheidung beantragen, dass die Notwendigkeit des gegenseitigen Einvernehmens bei der Regelung der Angelegenheit ausgesprochen wird. Dies folgt daraus, dass, wenn das Familiengericht gem. § 1687 Abs. 2 Alleinbefugnisse beschränken kann, es erst recht dazu in der Lage sein muss, auch gegen Überschreitung dieser Befugnisse geeignete Maßnahmen zu ergreifen. 463 c) Verhältnis zur gemeinschaftlichen Entscheidungszuständigkeit Das Verhältnis von Alleinentscheidungsbefugnis zur gemeinsamen Zuständigkeit bestimmt die zentrale Gewichtung der gesetzlichen Trennungssorge. Darin spiegelt sich die gesetzliche Konzeption wider, nach der die gemeinsame Rechtsstellung in gemeinschaftliche Elternverantwortung und eigenständige Einzelpositionen entflochten wird. So ist zunächst festzustellen, dass die alltagsbezogene Einzelzuständigkeit sowohl normativ als auch quantitativ im Vordergrund der Trennungssorge steht. 464 Daraus lässt sich jedoch noch nicht deren Vorrang in Zweifelsfällen ableiten. Problematisch ist hierbei die gesetzliche Zuweisung der Sorgerechtsbereiche durch eine restriktive Funktionsaufteilung. Entgegen dem ersten Eindruck aufgrund des Gesetzeswortlauts wurde bereits deutlich, dass diese Lebensbereiche nicht eindeutig gegeneinander abzugrenzen sind. 465 Damit entsteht die Schwierigkeit, dass die Sorgerechtskompetenzen zueinander ins Verhältnis gesetzt werden müssen und ggf. ein Vorrang zwischen den Zuständigkeitsbereichen zu finden ist. Hier setzt die zentrale Kritik an der Struktur der Funktionsbereiche an. Sie greift vor allem an, dass beide Kompetenzen bzw. Sorgerechtsbereiche gesetzlich positiv beschrieben sind. 466 So wird sogar teilweise die Ansicht vertreten, dass die 462

Vgl. hierzu im Überblick Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1687 Rz.6. Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1687 Rz.6. 464 Vgl. dazu auch OLG Nürnberg FuR 1999, S. 334. 465 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4; Palandt / Diederichsen, 62. Aufl. § 1687 Rz. 6; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1380; a. A. Greßmann Rz. 252, wonach durch die Regelung keine Grauzonen entstehen. 466 Vgl. OLG Nürnberg aaO, das hervorhebt, dass die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge dem anderen Elternteil keine erweiterte Möglichkeit einräumt, sich gegen den Willen des betreuenden Elternteils in Belange des Kindes einzumischen. 463

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Gegenüberstellung der alltäglichen und der wesentlichen Entscheidungen unzureichend sei und nicht das gesamte Spektrum der elterlichen Sorge abdecke. 467 Dem Wortlaut zufolge besteht hingegen ein eindeutiges „Entweder-Oder-Verhältnis“. 468 Daran knüpfen weitere Kritiker die Auffassung, dass nicht nach Bereichen der Lebensführung unterschieden werden könne, sondern innerhalb dieser vage abzustufen sei. 469 Das Leben des Kindes werde auf diese Weise künstlich aufgespalten und dies werde der Ganzheitlichkeit nicht gerecht. Hinzu komme der grundlegende Irrtum des Gesetzgebers, dass eine sachgerechte Unterscheidung zu treffen sei durch den Gegensatz zwischen „Täglichem“ und „erheblicher Bedeutung“. 470 Das darin liegende Erfordernis eines dritten Bereichs vermag jedoch wenig zu überzeugen, da die Unterscheidung in wichtige und unbedeutende alltägliche Angelegenheiten grundsätzlich umfassend ist. Beachtenswert an der Kritik ist hingegen, dass eine Lücke dadurch entstehen kann, dass die positiven Definitionen beider Bereiche nicht aneinander anschließen. Diese Problematik kann allein durch eine tatbestandsimmanente Hierarchie zwischen den beiden Bereichen und dem Vorrang einer Kategorie im Zweifelsfall wirksam ausgeglichen werden. Zu diesem Zweck müssen die Sorgerechtsbereiche im übergreifenden Kontext der Trennungssorge betrachtet werden. Innerhalb der abstrakten Abgrenzung der sorgerechtlichen Lebensbereiche streitet zugunsten der alleinigen Zuständigkeit die Praktikabilität und zugunsten der gemeinschaftlichen Entscheidungsbefugnis die gemeinsame Elternverantwortung. Beide Kriterien sind gleichermaßen wichtige Elemente der Sorgerechtsausübung und reflektieren die gesetzliche Zielsetzung. Man muss sich jedoch vor Augen führen, dass sich die Einräumung der Alltagszuständigkeit gleichzeitig als eine Beschränkung der korrespondierenden Elternposition auswirkt. Diese Abhängigkeit der Rechtsstellungen voneinander ist bei der rechtlichen Gewichtung der Zuständigkeitsbereiche zu berücksichtigen. Die Auslegung der Alltagssorge muss deshalb restriktiv gehandhabt werden. 471 Diese Überlegungen führen zunächst dazu, in Grenzfällen von einer ungeschriebenen Zweifelsregelung auszugehen, die gemeinsame Zuständigkeit annimmt. 472 Andererseits darf dem betreuenden Elternteil nicht dauernd die Unsicherheit aufgebürdet werden, durch die alltägliche Ausübung der Elternverantwortung 467

Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (468); ders. DNotZ 1998, S. 437 (441 f). Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S 67. 469 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (468 f) mit einer beispielhaften Gegenüberstellung der einzelnen Zuständigkeitszuordnungen; vgl. in diesem Zusammenhang auch Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 6. 470 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (469). 471 A. A. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4, der vor allem darauf abstellt, dass das Verhalten des betreuenden Elternteils für das Kind maßgeblich ist, weil beide ständig zusammenleben, so dass dieser Elternteil Unterstützung finden sollte und das Kind nicht in Ungewissheit gerät. 472 Vgl. dazu auch Hinz FPR 1998, S. 76 (78). 468

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seine Kompetenzen zu überschreiten. 473 Als praktikabler Kompromiss zwischen den beiden berechtigten Interessen, bei dem die alltägliche Handlungsfähigkeit gewährleistet und einem Aushöhlen der gemeinsamen Zuständigkeit entgegengewirkt wird, könnte hier in der analogen Anwendung der Wohlverhaltensklausel gem. § 1684 Abs. 2 BGB bestehen und dem Notvertretungsrecht gem. § 1629 Abs. 1 S. 4 BGB, was auch in § 1687 Abs. 1 S. 4 BGB vorgesehen ist. 474 In diesen Grenzen ist im Zweifel eine Alltagsentscheidung anzunehmen, sofern kein bewusster Missbrauch und Aushöhlung der unantastbaren Gemeinschaftszuständigkeit erkennbar ist. 475 Bedenken wegen einer nachhaltigen Erschwernis in der Sorgerechtsausübung sind dabei wohl nicht begründet. Das Gesetz trägt dem Erfordernis einer unverzüglichen Sorgerechtsmaßnahme bereits innerhalb der sorgerechtlichen Grundvorschriften der §§ 1626 ff Rechnung. So ist die Handlungsfähigkeit eines Elternteils vor allem gewahrt durch Notvertretung gem. § 1629. In Not- und Eilfällen bedarf es nicht einmal der Annahme einer stillschweigenden Ermächtigung. 476 4. Alleinzuständigkeiten des anderen Elternteils Zugunsten des Elternteils, bei dem das Kind nicht dauernd lebt, regelt der § 1687 Abs. 1 S. 4 eine einseitige Entscheidungsbefugnis für Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung für die Zeit, in der sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils bzw. auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung bei ihm aufhält. 477 Als Pendant zur Alltagssorge wird damit der selbständige Sorgerechtsanteil des anderen Elternteils bestimmt und gleichzeitig eine Gestaltung seines Umgangs mit dem Kind vorgenommen. a) Inhalt und Reichweite der sog. Betreuungssorge Die Reichweite der sog. Betreuungssorge ist gesetzlich nur sehr unscharf geregelt. 478 Zunächst kommt sie genau wie die Alltagssorge nur für den rechtmäßigen 473 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4; OLG Köln, NJW 1999, S. 295; OLG Naumburg EzFamRaktuell 2000, S. 2. 474 Vgl. Hinz FPR 1998, S. 76 (78). 475 So auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 4; OLG Köln, NJW 1999, S. 295; OLG Naumburg EzFamRaktuell 2000, S. 2. 476 Vgl. Hinz FPR 1998, S. 76 (78); vgl. dazu im Übrigen Näheres im folgenden Abschnitt der außertatbestandlichen Kompetenzen. 477 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687, der betont dass es sich bei dieser Rechtsstellung um eine wichtige Ergänzung bei Besuchskontakt handelt. 478 Zur grundsätzlich restriktiven Vorstellung des Gesetzgebers von der Kompetenz vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 108; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Auflage § 1687 Rz.1.

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Kontakt zur Anwendung. Steht auch sie grundsätzlich in der gemeinschaftlichen Zuständigkeit beider Eltern gem. §§ 1627, 1629, so kann nur die privatautonome Absprache der Rechtsträger oder die gerichtliche Übertragung sie zu einer einseitigen Kompetenz werden lassen. Darüber hinaus gelten §§ 1629 Abs. 1 S. 4 und 1684 Abs. 2 S. 1 entsprechend und eröffnen uneingeschränkte Handlungsbefugnis, sofern akuter Handlungsbedarf z. B. zur Abwendung von Gefahr im Verzuge besteht, und die Verpflichtung, alle Handlungen zu unterlassen, die zur Beeinträchtigung der Sorgerechtsausübung des anderen Elternteils führten. 479 Notvertretungsrechte ergeben sich nach den allgemeinen Regeln. 480 Problematisch ist aber, worin grundsätzlich die Angelegenheiten tatsächlicher Betreuung des Kindes bestehen. Regelungsgegenstand ist zunächst das Innenverhältnis, das sich jedoch auch auf das Außenverhältnis auswirkt, um die Handlungsmöglichkeit zu eröffnen. 481 Als „Alltagsphantasie“ der amtlichen Begründung 482 sollen davon vor allem solche Fragen betroffen sein, wie was das Kind zu essen bekommt oder wann es zu Bett geht. 483 Der Kreis dieser Befugnisse erscheint damit sehr eng gespannt. Daraus wird auch gefolgert, dass eine gesetzliche Alleinvertretungsbefugnis von dieser Entscheidungskompetenz nicht erfasst ist. 484 Zu erwägen ist allenfalls, ob in der Einwilligung des anderen Elternteils eine konkludente Bevollmächtigung des kurzfristig die Obhut ausübenden Elternteils liegt. Die Unsicherheit bei der Einschätzung der Betreuungssorge zeigt sich in der Gegenüberstellung zur Alltagssorge. 485 Während nach der gesetzgeberischen Erläuterung die Betreuung einen eng begrenzten Entscheidungsradius bezeichnet, kann daraus eine eindeutige Abgrenzung zu Angelegenheiten des täglichen Lebens kaum abgeleitet werden. Grundsätzlich ist zu erwarten, dass die begrenzte Dauer der Betreuung die Bedeutung der Betreuungssorge rein faktisch einschränkt und hinter die Alltagssorge zurücktreten lässt. Diese Erwartung genügt jedoch für die Annahme einer gesetzesunmittelbaren Trennschärfe nicht. Zwar wird sie zunächst durch den Gesetzeswortlaut nahe gelegt. Zum einen wird durch den Bezug zur tatsächlichen Betreuung die daraus abzuleitende Entscheidungsbefugnis auf das faktisch gebotene Minimum beschränkt. Lediglich die Entscheidungen, die zur Ausübung der Betreuung erforderlich sind und sich damit unmittelbar aus der konkreten Betreuungssituation ergeben, sind davon erfasst. 486 Zum anderen hebt die 479 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 1; zu § 1684 vgl. darüber hinaus OLG Brandenburg NJWE-FER 1998, S. 223. 480 Vgl. auch § 1629 Abs. 1 S. 3; vgl. dazu auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 1. 481 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 1, 14. 482 So Schwab FamRZ 1998, S. 457 (470). 483 Vgl. BT-Drucks. 1374899, S. 108; FamRefK / Rogner, S. 23. 484 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (470); a. A. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 30. 485 Vgl. dazu auch OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 639 (641).

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gesetzliche Differenzierung eine Unterscheidung der elterlichen Positionen hervor und führt Kompetenzen für die Trennungssorge ein, die auf konkrete Funktionen begrenzt sind. Mit dieser Aufgabenverteilung dient die Vorschrift des § 1687 Abs. 1 dazu, die Funktionsbereiche der Eltern deutlich gegeneinander abzugrenzen und damit die Tragfähigkeit der gemeinsamen Sorge zu stärken. Dahinter steht der Gedanke, stabile Verhältnisse gerade durch kontinuierliche Erziehungszuständigkeiten zu schaffen. Auf diese Weise wird die Rechtssicherheit und Dauerhaftigkeit der Entscheidungen gefördert, indem die Entscheidungsbefugnis über Detailfragen in die Hand eines Elternteils gelegt wird. Eine entsprechende inhaltliche Beschränkung der Betreuungssorge wird auch darin erkennbar, dass der Umgangsberechtigte im Rahmen der tatsächlichen Betreuung gem. § 1687a die gleiche Entscheidungsbefugnis haben soll. Die Kompetenzen innerhalb der Betreuung sind damit kein Ausfluss der Sorgerechtsposition. 487 Vielmehr ergibt sich der Vorrang der Position des Sorgeberechtigten zunächst aus seiner Berechtigung zur Alltagssorge. Auf der anderen Seite erscheint ein derart restriktives Verständnis der Betreuungssorge in mehrfacher Hinsicht nicht vollends gerecht zu werden. So ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Betreuung eine variable Größe ist. Daraus folgt, dass die Reichweite der bei der tatsächlichen Betreuung anfallenden Entscheidungen davon abhängt, in welchem Umfang und für welche Dauer der Elternteil sie ausübt. 488 Je größer ihr Anteil an der Gesamtbetreuung ist, desto weitreichender gestaltet sich zwangsläufig auch die Kompetenz während der Betreuungssorge. So wird bei einer langfristigen Reise des Umgangsberechtigten mit dem Kind, ohne die Sorgerechtsverteilung im Übrigen in Frage zu stellen, eine der Alltagssorge entsprechende Handlungsreichweite erforderlich werden. 489 Hinzu kommt eine teleologische Überlegung. Eine zu enge Einschätzung der Betreuungssorge als bloße Legitimation der beim Umgang erforderlichen Maßnahmen wird dem Grundcharakter der gemeinsamen Sorge nicht gerecht. Beide Eltern sind grundsätzlich gleichrangige Sorgeberechtigte und tragen somit auch umfassende elterliche Verantwortung. Die Aufteilung der Elternsorge in Einzelzuständigkeiten ist vor allem auf Praktikabilitätserwägungen zurückzuführen. Die Abwesenheit eines Elternteils soll durch eine Einzelzuständigkeit des anderen ausgeglichen werden. Während der Betreuung steht der Sorgerechtsausübung indessen nichts entgegen. Gerade gegenüber der Kompetenz aus § 1687a iVm § 1687 bedarf es insoweit einer teleologisch orientierten Reduktion unter Berücksichtigung der gemeinsamen Sorge. Nur wenn man die Funktionszuweisung als einen Schutz des Elternteils sehen wollte, der die Alltagssorge ausübt, macht eine weitergehende Beschränkung der 486 487 488 489

Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 12 f. So wohl Schwab FamRZ 1998, S. 457 (470). Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 639 (641). Vgl. dazu auch Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 28.

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Betreuungssorge einen Sinn. Die inhaltliche Beschränkung der sorgerechtlichen Entscheidungsbefugnis unter diesem Gesichtspunkt droht jedoch den Schwerpunkt ohne Not zu weit auf das Verhältnis der Eltern zueinander zu verlagern. Soweit im Einzelfall schützenswert Elterninteressen gegeben sind, kann § 1671 Schutz gewähren. Darüber hinaus bleibt durch die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge die einzelne Rechtsstellung uneingeschränkt bestehen und kann durch einen Wechsel der Rollen jederzeit dazu führen, dass der vormals betreuende Elternteil die Alltagssorge ausübt. 490 Ist er also grundsätzlich potentieller Träger dieser Befugnis, so kann sie ihm durch die rein äußerliche Funktionszuweisung nicht genommen werden. Angesichts dieser Überlegungen folgt aus der Betreuungssorge keine inhaltliche Beschränkung des ausübenden Elternteils auf unvermeidbare und tatsächliche Maßnahmen während der Obhut, sprich auf eine „beschnittene“ Elternsorge. Das Erfordernis, einerseits Kontinuität und Stringenz der Alltagssorge zu wahren und andererseits der sorgerechtlichen Position des betreuenden Elternteils gerecht zu werden, rechtfertigt eine derart weitergehende Begrenzung nicht. Zwar muss gewährleistet sein, dass der umgangsberechtigte Elternteil die Betreuung nicht missbrauchen kann, um etwa Maßnahmen des anderen rückgängig zu machen oder dessen Alltagssorge zu unterlaufen. Es geht insoweit aber lediglich um eine spezifische Ausgestaltung der Wohlverhaltensklausel gem. § 1684 Abs. 2. Daher wäre bei einer Handlung des betreuenden Elternteils, die in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner aktuellen Aufsichtshandlung steht, eine inhaltliche Beschränkung der sorgerechtlichen Kompetenz unsachgemäß. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Bezug zur „tatsächlichen Betreuung“. Er dient in erster Linie der Unterscheidung von der Sorgerechtsausübung im Kontext des Lebensmittelpunktes. Überdies erscheint es inkonsequent, zu argumentieren, dass die Entscheidungsbefugnis in Bezug auf die Alltagsangelegenheiten sinnentleert wäre, wenn sie nicht auch die Alleinvertretungsmacht einbeziehe, andererseits aber eine entsprechende Wertung für die Betreuungssorge abzulehnen. 491 Damit unterscheidet sich die Betreuungssorge von der Alltagssorge nach dem Anwendungsbereich und ist daher im Hinblick auf eine konkrete Sorgerechtsituation beschränkt. Innerhalb dieses Kontextes bestehen hingegen die gleichen Kompetenzen für beide Eltern. 492 b) Bedeutung des Umgangs im Geltungsbereich des § 1687 Die Umsetzung der Betreuungssorge hängt wesentlich davon ab, dass der Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, regelmäßigen Kontakt zu ihm pflegt. 493 Dies gebietet besondere Beachtung des Verhältnisses von Sorgerecht und Umgangs490 491 492

Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 12. Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 12. So auch Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1687 Rz. 13.

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recht. 494 Zweck und Inhalt des Umgangsrechts ist es, dem berechtigten Elternteil die Möglichkeit zu geben, sich laufend von der Entwicklung und dem Wohlergehen seines Kindes zu überzeugen und die zwischen ihnen bestehenden Bande zu pflegen, d. h. einer Entfremdung vorzubeugen und dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen. 495 Dabei ist zunächst festzuhalten, dass das Umgangsrecht grundsätzlich im Sorgerecht aufgeht und nicht als spezielle Rechtsstellung parallel besteht. Das Recht zum Umgang gem. § 1684 ist Bestandteil des natürlichen Elternrechts 496 und ist daher von der Personensorge unabhängig. 497 Das Umgangsrecht war daher bisher quasi ein Restrecht, das bei dem Verlust des Sorgerechts einem Elternteil in Anknüpfung an seine bisherige Rechtsstellung zugestanden wurde. 498 Der Sorgeberechtigte als solcher benötigt es grundsätzlich nicht, da er aufgrund seiner Rechtsstellung jederzeit Zugang zum Kind hat. 499 Der Kontakt ist damit zunächst eine Voraussetzung für die ureigentliche sorgerechtliche Pflicht zur Fürsorge und Kontrolle. 500 Dies wurzelt in den Prinzipien der partnerschaftlichen Sorge, die von einer einheitlichen und ungeteilten Ausübung ausgehen. 501

493 Vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 111; AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 (1203); OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 978; bereits im Vorfeld der Reform wurde im Zusammenhang mit der gemeinsamen Sorge ein extensives Umgangsrechts des Elternteils gefordert, mit dem das Kind nicht zusammenlebt, vgl. Hinz ZfJ 1984, S. 529 (535); a. A. Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906). 494 Vgl. Finger FuR 2006, S. 299 mit einem Überblick über die Rechtspraxis der Umgangsregelung. 495 Vgl. BVerfG NJW 2002, S. 1863 f; dass. FamRZ 2007, S. 105. 496 Vgl. BVerfG NJW 1993, S. 2671; dass. FamRZ 2007, S. 105 (106) zum Maßstab des Kindeswohls im Zusammenhang mit der Umgangsentscheidung; zur Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit eines dahingehenden Verzichts vgl. BGH NJW 1984, S. 1951; zu der besonderen Ausgestaltung als authentischem Recht des Kindes und Bezugnahme auf Art. 9 UN-Kinderkonvention vgl. Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (264); Kohler ZfJ 1999, S. 128 (131), der auch auf das Erfordernis hinweist, dem Kind die eigene Rechtsstellung ins Bewusstsein zu bringen. 497 Vgl. Niepmann MDR 1999, S. 653 (654); OLG Bamberg MDR 1998, S. 1167; OLG Braunschweig FamRZ 1999, S. 185; AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 (1201); auch schon BGH NJW 1981, S. 2067; zur Ableitung von einem natürlichen Elternrecht vgl. schon Beitzke FamRZ 1958, S. 10. 498 Vgl. dazu KG FamRZ 1989, S. 656; RGZ 153, S. 238; a. A. Simon FamRZ 1972, S. 485, der darin lediglich bleibenden Ausdruck einer persönlichen Verbundenheit zwischen Eltern und Kind sieht. 499 Vgl. Lüderitz „Familienrecht“ Rz. 941; zur Besonderheit der Trennungssorge vgl. auch AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 (1201), das bei der Zuweisung des Umgangsrechtes die gemeinsame Sorge insoweit berücksichtigt, als der nichtsorgeberechtigte Elternteil kein Recht zur Erziehung des Kindes im Rahmen seines Umgangs hat. 500 Vgl. Lüderitz „Familienrecht“ Rz. 867; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 235, 241. 501 Zur besonderen Betonung der Eigenständigkeit des Umgangsrechts im Rahmen des KindRG vgl. Staudinger / Rauscher, 13. Aufl. § 1684, Rz. 200.

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Demgegenüber hat das Sorgerecht auch schon in der Zeit vor der Reform nicht verkannt, dass die rechtliche Zuordnung der Elternsorge mit der faktischen Sorge nicht übereinstimmen muss. 502 Auch dort hat bei getrennt lebenden Eltern das Bedürfnis nach besonderem Rechtsschutz für den Kontakt bestanden, der nicht die vollständige Rechtsstellung, also die Herausgabe des Kindes, sondern zumindest den Zugang vorsah. 503 Das neue Kindschaftsrecht weitet diese sorgerechtlichen Konstellationen deutlich aus und schafft damit die Notwendigkeit, den Kontakt auch innerhalb bestehenden Sorgerechts zu regulieren. 504 Gleichsam als Kehrseite der Alltagssorge des betreuenden Elternteils hat der nichtbetreuende Elternteil ein Umgangsrecht. 505 Im Zuge dessen hat sich der Begriff des Umgangs flexibilisiert und erweitert. 506 Anders als der nichtsorgeberechtigte Umgangsberechtigte umfasst in diesem Zusammenhang der Umgang auch die Befugnis, das Kind zu erziehen. 507 Über den unmittelbaren Kontakt hinaus wird in dem Schutzbereich nun auch Post und Telekommunikation erfasst und geschützt. 508 Darin spiegelt sich eine Aufwertung des Umgangsrechts wider, die in der Gestaltung als Anspruch des Kindes 509 und der rechtlichen Verselbständigung gegenüber der Sorgerechtsstellung besteht. Flankierend ist der betreuende Elternteil durch die Wohlverhaltensklausel gem. § 1684 Abs. 2 nun sogar zur aktiven Förderung der Umgangsbereitschaft des Kindes verpflichtet. 510 Als wesentliche Angelegenheit der Kindeserziehung ist die Umgangsgestaltung grundsätzlich einvernehmlich zu treffen. 511 Vor allem aber eröffnet das 502

Vgl. Lüderitz „Familienrecht“ Rz. 867. Vgl. BGH FamRZ 1980, S. 131; vgl. dazu § 1634 Abs. 4 a.F. 504 Vgl. dazu Willutzki FPR 1998, S. 94 (97) unter Bezugnahme auf das gerichtliche Umgangsvermittlungsverfahren nach § 52a FGG; zur anteiligen Übernahme erheblichen Aufwandes aufgrund von unterschiedlichen Wohnorten vgl. BVerfG FamRZ 2002, S. 809; zur Überwindung der Schwierigkeiten von Absprachen zwischen den Eltern durch eine detaillierte Gestaltung durch die Gerichte vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 111. 505 Vgl. OLG Bamberg NJW 1999, S. 1873 (1874). 506 Vgl. OLG Bamberg FamRZ 2000, S. 43. 507 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1684 Rz. 2. 508 Vgl. Motzer FamRZ 2000, S. 925. 509 Vgl. dazu BT-Drucks. 13/4899, S. 74; Motzer FamRZ 2000, S. 925 (926); Rahm / Künkel / Schneider „Handbuch des Familiengerichtsverfahrens III B 1077; zur diesbezüglichen Bedeutung des Kindeswillens bei der Beurteilung des Umgangsrechts vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1998, S. 1460; OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 617; BayObLG FamRZ 1998, S. 1040 (1042); OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 951 (954); AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 (1201); OLG Köln FamRZ 2004, S. 52; OLG Brandenburg FamRZ 2005, S. 293; OLG Köln FamRZ 2005, S. 295; OLG Stuttgart FamRZ 2006, S. 1060. 510 Vgl. OLG Braunschweig FamRZ 1999, S. 185; OLG Thüringen FuR 2000, S. 121 (122); OLG Karlsruhe OLG-Report 2000, S. 160 (161); OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 111; OLG Stuttgart FamRZ 2006, S. 1060; KG FamRZ 2006, S. 878 ff; zu Beispielsfällen für Verstöße vgl. Motzer FamRZ 2000, S. 925 (926); OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); zur beidseitigen Wohlverhaltens- bzw. Loyalitätspflicht vgl. AG Saar503

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Verfahrensrecht ein eigenständiges Vermittlungsverfahren gem. § 52a FGG, das eine gezielte Durchsetzung und zurückhaltende Intervention ermöglicht. 512 Entscheidender Maßstab für die Zuweisung des Umgangsrechts gem. § 1687 Abs. 3 ist die Kindeswohlmaxime des § 1697 a, wonach das Kindesinteresse anhand der Möglichkeiten und tatsächlichen Gegebenheiten so weit wie möglich umzusetzen ist. 513 Dem trägt zunächst die Regelung des § 1626 Abs. 3 Rechnung. Darin wird für die Ausübung des Sorgrechts ausdrücklich hervorgehoben, dass zum Kindeswohl der Umgang des Kindes mit beiden Eltern gehört. 514 Vor allem aber verzichtet die Umgangsregelung des § 1684 vollständig darauf, das Umgangsrecht an den Verlust der Elternsorge zu knüpfen. Das Umgangsrecht tritt damit als ein selbständiges Recht neben die Sorge und wird zu einem universellen Rechtsgedanken, der einen eigenen Schutz genießt. 515 Dies trägt nicht zuletzt der Tatsache Rechnung, dass sich aus der Struktur der Trennungssorge eine besondere Bedeutung des Kontaktes zwischen dem Kind und dem zeitweise betreuenden Elternteil ergibt. 516 Der Umgang kann auf diese Weise gegenüber dem Elternteil gesondert durchgesetzt werden, brücken FamRZ 2003, S. 1200 (1201); vgl. dazu auch OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042, wonach dementsprechend etwa das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht deshalb auf einen Elternteil übertragen werden darf, damit er die von ihm einseitig verursachten Konflikte über die Umgangsregelung einseitig entscheiden kann. 511 Vgl. dazu im Überblick Oelkers / Oelkers FPR 2000, S. 250. 512 Vor allem ist in Hinblick auf dieses Antragsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz der Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit durchbrochen. Die Gründe der Umgangsstörung werden im Rahmen des Verfahrens nicht untersucht. Zielsetzung ist allein eine einvernehmliche Vereinbarung der Eltern über eine vollstreckbare Umgangsregelung durch die Vermittlung des Gerichts (vgl. OLG Zweibrück FamRZ 2000, S. 299; BT-Drucks. 13/ 4899, S. 66; Motzer FamRZ 2000, S. 925 (930)). 513 Vgl. KG ZfJ 1999, S. 395 (396); AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 (1201); vgl. in diesem Zusammenhang zur Schadensersatzpflicht eines Elternteils in Höhe der entstandenen Kosten bei Verhinderung gerichtlich zugesprochenen Umgangs BGH FamRZ 2002, S. 1099; kritische Anm. dazu Schwab FamRZ 2002, S. 1298 ff unter dem Gesichtspunkt der „Verschuldrechtlichung“ der familienrechtlichen Pflichten. 514 In der Begründung (BT-Drucks. 13/4899, S. 93; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 135) wird unter besonderer Bezugnahme auf die nichteheliche Sorge hervorgehoben, dass § 1626 Abs. 3 zwar kein durchsetzbares Umgangsrecht des Kindes regelt. Die Vereitelung des Umgangs kann aber in besonders gelagerten Fällen Anlass für gerichtliche Maßnahmen nach § 1666 bis hin zum Entzug der elterlichen Sorge geben; vgl. dazu auch OLG Rostock FamRZ 2006, S. 1623; kritisch zum Umgangsrecht des Kindes gem. § 1684 Palandt / Diederichsen § 1684 Rz. 6. 515 Vgl. BayObLG FamRZ 1999, S. 316; zum besonderen Vermittlungsverfahren in allen das Umgangsrecht betreffenden Fragen vgl. § 52a FGG, dazu Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (264). 516 Dies ist daher im Scheidungsverfahren auch durch die Anhörung der Eltern durch das Gericht besonders zu beachten. Fürchtet der Richter, der realisierte Umgang gefährde das Recht des Kindes auf Kontakt, so wird er ein Verfahren zur Regelung des Umgangs einleiten,

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

der die Obhut des Kindes ausübt. 517 Anders als beim bloßen Umgangsrecht eines Elternteils, das sich nicht aus dem Sorgerecht ableitet 518, setzt das gemeinsame Sorgerecht den regelmäßigen Umgang als für die Sorgerechtsausübung notwendig voraus. Insbesondere die gemeinschaftliche Entscheidungszuständigkeit für bedeutsame Angelegenheiten gebietet es, dass sich jeder Elternteil einen eigenen Eindruck von Entwicklung und aktuellen Bedürfnissen des Kindes verschafft. 519 Auch wenn das Auskunftsrecht des betreuenden Elternteils gem. § 1686 das Informationsgefälle der Eltern kompensieren soll, so kann dies nur als Ergänzung, aber nicht als Ersatz für den eigenen Kontakt dienen. Nicht allein diese Notwendigkeit des Kontaktes legt die Anwendung der Umgangsvorschriften auf die Betreuungssituation nahe. Zu den durch die Trennung geschaffenen Verhältnissen kommt die typische Konfliktlage des Umgangs hinzu, unabhängig von der bestehenden Sorge. So ist auch bei der gemeinsamen Elternverantwortung in der Kontaktregulierung ein Interessenausgleich zwischen den Eltern zu schaffen. Auf der einen Seite muss gewährleistet sein, dass der umgangsberechtigte Elternteil den Kontakt herstellen kann, ggf. eben gegen den Willen des anderen, und dass andererseits der gewöhnlich betreuende Elternteil in seiner privaten Lebensgestaltung nicht durch die Ausübung des Umgang behindert wird. 520 So muss der gewöhnlich Betreuende nicht nur zur Umgangsgewährung angehalten, sondern auch vor dem übermäßigen Eindringen des anderen Elternteils geschützt werden. 521 Dies kann jedoch allein dort eingefordert werden, wo ein begründeter Anschein eines Missbrauchs entsteht. Denn grundsätzlich besteht das sorgerechtliche Kontaktrecht uneingeschränkt, lässt sich doch die Elternverantwortung allein über Kontakt ausüben. Überdies darf es nicht zu einer Befugnis des betreuenden Elternteils werden, den Kontakt zuzuweisen. Dies stünde bereits im Widerspruch zu der grundsätzlich bestehenden Gleichstellung der Eltern. Im Regelfall wird sich dieser Konflikt jedoch durch die sorgerechtliche Absprache lösen. 522

vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (424); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 235, 241. 517 Zu den diesbezüglichen Abwägungen der Rechtsprechung vgl. Motzer FamRZ 2000, S. 925 (926); OLG Rostock FamRZ 2006, S. 1623. 518 Vgl. allerdings BVerfGE 64, S. 180 = NJW 1983, S. 2491, wonach das Umgangsrecht den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz genießt, wie das Sorgerecht. 519 Vgl. AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 (1201); OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 978. 520 Zur positiven Pflicht zur Förderung des Umgangs mit dem Kind durch den betreuenden Elternteil mit dem anderen Elternteil vgl. OLG Rostock FamRZ 2006, S. 1623. 521 Vgl. dazu jedoch auch BVerfG FamRZ 2005, S. 429, wonach es dem Elternteil, mit dem das Kind zusammenlebt, zuzumuten ist, dass der Umgang in dessen Wohnung stattfindet, wenn das Kind nicht transportfähig ist. 522 Zur Konkretisierung durch das Gericht vgl. AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 ff.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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Anders als beim Sorgerecht handelt es sich bei dem Umgangsrecht nicht um eine gemeinschaftliche Rechtsstellung, sondern um ein Individualrecht in dem Sinne, dass es jedem Elternteil für sich allein zusteht, unabhängig davon, ob den Eltern die Sorge gemeinsam zusteht oder nicht. 523 Die Umgangsberechtigung ergibt sich bereits aus § 1626 Abs. 3 sowie daraus, dass § 1684 Abs. 1 das Umgangsrecht im Grundsatz nicht auf den Elternteil beschränkt, dem die Personensorge entzogen ist. 524 Für den Sorgeberechtigten bzw. -verpflichteten besteht „Umgangspflicht“, weil das Kind altersgemäße Fürsorge und „Erziehung“ benötigt, die nur in unmittelbarem Kontakt vermittelt werden kann. 525 Die Form des Umgangs bleibt der individuellen Gestaltung überlassen und umfasst jeden direkten und indirekten Kontakt. 526 Häufigkeit und Dauer richten sich nach dem Kindeswohl und sind durch einzelfallgerechte Absprache zu bestimmen. 527 Aufgrund der Personensorge kommt noch ein ausdrücklicher Herausgabeanspruch hinzu, sobald die Vorenthaltung des Kindes auch gegenüber einem der beiden Elternteile widerrechtlich ist. 528 Der Umgang ist als Bestandteil der Trennungssorge trotz beidseitiger Anwendbarkeit in erster Linie prägend für die Betreuungssorge des Elternteils, bei dem das Kind nicht lebt. Er fundiert die Durchsetzung der sorgerechtlichen Position. Die Grenze ist bei der Durchsetzung des Umgangs lediglich dort zu ziehen, wo er einen Konflikt offenbart, der die Grundlage für die gemeinsame Elternverantwortung insgesamt zu erschüttert droht. 529 5. Ergänzende gesetzliche Alleinentscheidungsregelungen Unabhängig von der konkreten Funktion innerhalb der Trennungssorge enthält das Gesetz weitere Rechtsgrundlagen für individuelle Entscheidungsbefugnisse. So sieht es verschiedene Möglichkeiten vor, durch die von der restriktiven Zuständigkeitsverteilung des § 1687 Abs. 1 punktuell und einzelfallbezogen abgewichen werden kann. Dabei lassen sich gesetzliche und gewillkürte Abweichungen unterscheiden. Von besonderer Bedeutung ist hier zunächst die ausdrückliche Regelung des § 1687 Abs. 1 S. 5 iVm § 1629 Abs. 1 S. 4. 530 Im Rahmen der dort vorgesehenen Notvertretung ist jeder Elternteil bei Gefahr im Verzuge dazu berechtigt, alle 523

Vgl. Palandt / Diederichsen § 1684 Rz. 15. Vgl. demgegenüber § 1634 a.F. 525 Demgegenüber besteht die Pflicht ohne Sorgerecht nicht, wenngleich sich der Umgangsberechtigte um das Kind „kümmern“ müsse, vgl. Lüderitz „Familienrecht“ Rz. 868; vgl. dazu auch OLG Stuttgart FamRZ 2006, S. 1060. 526 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1684, Rz. 26. 527 Zur möglichst häufigen Gewährung des Kontaktes zu jedem Elternteil vgl. AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 (1201) mwN; dazu auch BVerfG FamRZ 2007, S. 105 f. 528 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 96 f. 529 Vgl. dazu Ausführungen zu § 1671 in Kap. C. 530 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Auflage § 1687 Rz. 1; Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 32, der darauf hinweist, dass die Verweisung auf §1629 im Rahmen des § 1687 524

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind. In Fällen, in denen die Umstände eine unverzügliche Maßnahme verlangen, um einen Schaden wirksam abwenden zu können, ist der anwesende Elternteil also kraft kindeswohlbezogenen Eilbedürfnisses und seiner realen Präsenz zur alleinigen Entscheidung befugt. 531 So bedarf es hier auch nicht der Annahme, dass der Elternteil vom anderen dazu stillschweigend ermächtigt wurde. 532 Diese nun gesetzlich erfasste Notfall-Sorge stützte sich zuvor entweder auf die tatsächliche Verhinderung eines Elternteils gem. § 1678 Abs. 1 oder auf die allgemeinen Grundsätze gem. §§ 744 Abs. 2, 1454, 2038 Abs. 1 S. 2. 533 Die Reichweite dieser situationsbedingten Alleinzuständigkeit ist inhaltlich grundsätzlich nicht beschränkt. Um jedoch die übrigen Sorgerechtszuständigkeiten nicht auszuhöhlen, legitimiert diese Befugnis nur die Maßnahmen, die erforderlich sind, um die drohende Gefahr abzuwenden. 534 Innerhalb dieser Befugnis tritt an die Stelle der Zuständigkeit gem. § 1687 oder der Mitwirkungspflicht des anderen Elternteils die Pflicht des handelnden Elternteils, den anderen unverzüglich zu unterrichten. Hinzu kommen zwei Vertretungsbefugnisse, die sich nicht aus der Trennungssorge, sondern direkt aus den allgemeinen Sorgerechtsgrundsätzen ergeben. Die erste besteht in der Befugnis desjenigen Elternteils, der die Obhut über das Kind ausübt, die Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend zu machen gem. § 1629 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1. Es handelt sich dabei um eine inhaltliche Ergänzung der Alltagssorge, indem diese Angelegenheit von besonderer Bedeutung aus der gemeinschaftlichen Entscheidungsbefugnis ausgegliedert wird. Insoweit handelt es sich nur bedingt um eine eigenständige Vertretungsmacht, also eine beschränkte Mitentscheidungsbefugnis des Elternteils, bei dem das Kind nicht lebt. Die zweite gesetzliche Befugniserweiterung der Sorgerechtsgrundsätze beruht auf der Empfangsberechtigung für Willenserklärungen gegenüber dem Kind gem. § 1629 Abs. 1 S. 1 2. Hs. Diese Ermächtigung ist jedoch mit Blick auf die Trennungssorge einschränkend auszulegen. Die einseitige Empfangsberechtigung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gesamtvertretungsprinzip. Damit beschränkt sich die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes auf die gemeinsamen Zuständigkeiten für Angelegenheiten von besonderer Bedeutung. Im Übrigen ist jeder Elternteil im Rahmen seiner Einzelbefugnisse als Ausfluss seiner Vertretungsmacht allein empfangsberechtigt. Das gleiche gilt bei der Erfüllung einer nicht erforderlich war, weil die Notvertretung so allgemein formuliert sei, dass sie ohnehin auf die Trennungssorge Anwendung gefunden hätte. 531 Vgl. Schwab / Motzer, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 46. 532 Vgl. MüKo / Hinz § 1629 Rz. 14. 533 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 96; Mühlens / Kichmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 142; vgl. aber auch schon zur bisherigen Rechtslage Gernhuber FamRZ 1962, S. 89 (96); Erman / Michalski § 1627 Rz. 9; MüKo / Hinz § 1627 Rz. 10. 534 Vgl. die entsprechende Wertung bei § 2038 sowie § 744: BGHZ 6, S. 76 (83); Erman / Schlüter § 2038 Rz. 6, § 744 Rz. 7.

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen gem. § 1687 Abs. 1

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öffentlich-rechtlichen Pflicht, bei der die Wahrnehmung der Kindesinteressen keinen Entscheidungsspielraum zulässt. 535 Schließlich ist noch die gewillkürte Bevollmächtigung eines Elternteils zu nennen, wodurch die einseitige Entscheidungsbefugnis über die Funktionszuweisung des § 1687 hinaus erweitert werden kann. 536 Deren Zulässigkeit leitet sich unmittelbar aus den sorgerechtlichen Grundsätzen des § 1627 ab. 537 Sie kann sich sowohl auf die Bereiche der gemeinsamen Zuständigkeit als auch auf Alleinentscheidungsbefugnisse beziehen. Der Grundsatz der elterlichen Gesamtvertretung innerhalb der gemeinsamen Sorge schließt zunächst nicht aus, dass sich die Eltern zur einseitigen Handlung bevollmächtigen. 538 Die ursprünglich gemeinsame Zuständigkeit wird dann kraft rechtsgeschäftlicher Ermächtigung zu einer Einzelzuständigkeit, die auf den anderen Elternteil wie auf einen Dritten übertragen wird. Insbesondere steht keiner der beiden Ermächtigungen zur Ausübung dieser Vertretung etwa ein unverzichtbarer, höchstpersönlicher und unübertragbarer Charakter der Elternsorge entgegen. 539 Die eigene Pflicht des bevollmächtigenden Elternteils wird lediglich zu einer Aufsichts- und Auswahlpflicht. Entschließt er sich hingegen, dennoch selbst zu handeln, bleibt seine sorgerechtliche Befugnis bestehen, da vorliegend die allgemeinen Vertretungsregeln gem. §§ 164 ff zur Anwendung kommen. Anders als bei der einvernehmlichen Individualgestaltung der gemeinsamen Sorge werden auf diese Weise die Zuständigkeiten des § 1687 Abs. 1 zugrunde gelegt und lediglich in Hinblick auf den Einzelfall modifiziert. Alle drei Formen dieser Alleinzuständigkeiten außerhalb des § 1687 sind unmittelbarer Ausdruck von Variabilität der Trennungssorge und von der grundsätzlich uneingeschränkt fortbestehenden Elternverantwortung. Anknüpfend an konkreten Handlungs- bzw. Fürsorgebedarf und tatsächliche Präsenz, bestehen sie in Alleinentscheidungsrechten, die sich erst aus den konkreten Lebenssituationen ergeben. Insoweit stellen sie gerade keine spezifischen Zuständigkeiten der Trennungssorge dar, sondern gelten für das gesamte Spektrum der gemeinsamen Sorge. Auf diese 535

Vgl. MüKo / Hinz § 1626 Rz. 10; Soergel / Strätz § 1626 Rz. 7. Vgl. weitere Ausführungen Abschn. B.II.3. unter dem Gesichtspunkt der Dispositionsbefugnis der Eltern bei der eigenständigen Gestaltung der gemeinsamen Trennungssorge sowie Abschn. B.II.4.a) bezüglich der Kritik an fehlenden gesetzlichen Hinweisen auf die Gestaltungsfreiheit. 537 Vgl. dazu obige Ausführungen zu § 1627, Abschn. B.II.1. 538 Es handelt sich dabei nicht um eine Bevollmächtigung, in der der handelnde Elternteil sowohl im Namen des Kindes und des anderen Elternteils als mittelbarer Untervertreter auftritt, sondern um eine der Gesamtvertretung analog § 125 Abs. 2 S. 2 HGB verwandte Rechtskonstruktion (vgl. BGH NJW-RR 1986, S. 778). Diese Ermächtigung erweitert die Gesamtvertretungsmacht des Ermächtigten punktuell zur Einzelvertretungsmacht (vgl. BGHZ 64, S. 72 (75) = NJW 1975, S. 1117); vgl. dazu auch MüKo / Hinz § 1629 Rz. 11. 539 Vgl. MüKo / Hinz § 1626 Rz. 8 mwN, § 1627 Rz. 4; Gießen „Familienrecht“, 2. Aufl., Rz. 659; Hammer FamRZ 2005, S. 1209 ff; Lüderitz „Familienrecht“ Rz. 810. 536

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Weise werden die trennungsspezifischen Kompetenzen ein Stück weit relativiert. Damit wird auch deutlich, dass es nicht allein die gesetzliche Konzeption der trennungsspezifischen gemeinsamen Sorge ist, die die Mitwirkung jedes Elternteils bestimmt. Die statische Funktionszuweisung wird bedarfsgerecht ergänzt bzw. flexibilisiert und die in der Restriktion elterlicher Zuständigkeit angelegten Regelungslücken werden mit übergreifenden Sorgerechtsgrundsätzen geschlossen. Für die Trennungssorge wird dabei vor allem betont, dass die Elternverantwortung grundsätzlich nach der Trennung fortbesteht und jeder Elternteil auch weiterhin außerhalb der ihm zugewiesenen Funktion bei Bedarf uneingeschränkt autorisiert bleibt. 540 Ein einheitlicher Sorgerechtsbegriff fließt hier ein und vereinheitlicht die rechtliche Wertung innerhalb der bedarfsgerechten Korrektur der Einzelzuständigkeiten.

IV. Folgerungen für die Beurteilung des Kindeswohls im Rahmen der gemeinsamen Trennungssorge und der Änderungsentscheidung gem. § 1687 Abs. 2 Die gesetzliche Regulierung der gemeinsamen Sorge durch § 1687 Abs. 1 kann durch gerichtliche Entscheidung korrigiert werden. Gem. § 1687 Abs. 2 gilt insoweit, dass das Familiengericht 541 die Befugnisse nach Abs. 1 S. 2 und 4 einschränken oder ausschließen kann, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Damit wird die Grundwertung des Abs. 1 in zweierlei Hinsicht relativiert. Zu einen wird die Gestaltung der gemeinsamen Sorge nach der Trennung zum gerichtlichen Entscheidungsgegenstand und durchbricht damit die Vorverlagerung der Trennungssorge auf die gesetzliche Ebene. Neben die normative Regulierung tritt damit eine ergänzende staatliche Interventionsform, die eine individuelle Gestaltung anhand des Einzelfalls eröffnet. Zum anderen wird der im Tatbestand unterstellte Kindeswohlbegriff der einzelfallbezogenen Überprüfung unterzogen. Diese beiden Aspekte lenken das Augenmerk auf den Anwendungsbereich des § 1687 Abs. 2 im Verhältnis zum gesetzlichen Grundtatbestand und auf den Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls bei der Gestaltung der gemeinsamen Sorge.

540

Vgl. dazu auch OLG Rostock FamRZ 1999, S. 1599. Vgl. Zöller / Philippi § 621 Rz. 33k, der hervorhebt, dass die Beschränkung der Entscheidungsbefugnis des täglichen Lebens gem. § 14 Abs. 1 Nr. 16 RPflG analog der Entscheidung des Richters vorbehalten bleiben soll. Weitere Ausführungen zur Vereinheitlichung der familiengerichtlichen Zuständigkeit vgl. auch Kap. C., Abschn. II.3. 541

IV. Beurteilung des Kindeswohls gem. § 1687 Abs. 2

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1. Anwendungsbereich des § 1687 Abs. 2 Die gemeinsame Trennungssorge ist in ein rechtliches Geflecht eingefügt, von dem die gerichtliche Gestaltung der gemeinsamen Sorge einen Bestandteil ausmacht. Der Anwendungsbereich des § 1687 Abs. 2 ist daher zu deuten aus seinem Verhältnis zu der gesetzlichen Regulierung der gemeinsamen Sorge gem. § 1687 Abs. 1, zu den übrigen Eingriffstatbeständen innerhalb der Trennungssorge sowie zu der einvernehmlichen Individualgestaltung durch die Eltern. a) Vorgabe durch den Tatbestand des § 1687 Abs. 1 § 1687 Abs. 2 führt einen gerichtlichen Eingriffstatbestand ein, der sich spezifisch auf die Gestaltung der gemeinsamen Sorge richtet. Die Reichweite dieser gerichtlichen Interventionsbefugnis ist daher geprägt durch sein Verhältnis zu dem Tatbestand, der die gemeinsame Sorge gesetzlich-universell reguliert. Dieses Verhältnis ist auf den ersten Blick zunächst durch einen Wertungswiderspruch bestimmt, indem die gesetzliche Regulierung durch gerichtliche Gestaltung der gemeinsamen Sorge durchbrochen wird. Denn der Tatbestand der Trennungssorge ist vorrangig darauf gerichtet, die Rechtsstellung der gesetzlichen Sorge fortzusetzen. Diese trennungsbezogene Regulierung beschränkt sich auf flankierende Maßnahmen, die gerade einen familieneigenen Anpassungsprozess durch standardisierte Umverteilung der Funktionen unterstützen. Auf diese Weise wird die gemeinsame Sorge zunächst außerhalb gerichtlicher Kontrolle gestellt und damit in erster Linie von einer Konzeption der Trennungssorge geprägt, die auf staatlicher Zurückhaltung beruht. Der zugrunde liegende typisierte Trennungsfall droht jedoch wegen seiner Verallgemeinerung im Einzelfall Regelungslücken aufweisen. Der gesetzlichen Grundkonzeption wird ein Eingriffstatbestand in Form eines gezielten Korrektivs der gesetzlichen Vorgabe an die Seite gestellt. Regelungsgegenstand der gerichtlichen Einzelfallprüfung sind die Entscheidungsbefugnisse der Alltags- sowie der Betreuungssorge. 542 Damit wird deutlich, dass sich die gerichtliche Prüfung innerhalb der gemeinsamen Sorge allein auf die Einzelzuständigkeiten richtet. Nur sollen diese Entscheidungsbefugnisse mithin nicht schrankenlos gewährt werden, sondern sind einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich. 543 Im Umkehrschluss ergibt daraus, dass die gemeinschaftliche Zuständigkeit nicht über den gesetzlichen Rahmen hinaus beschränkbar ist. Sie wird auf diese Weise in der Fassung des § 1687 Abs. 1 zu einem gesetzlich vorge542 Nach dem Wortlaut des Gesetzes könnte das Gericht hingegen nicht das Alleinvertretungsrecht gem. § 1629 Abs. 1 S. 4 einschränken oder ausschließen. § 1687 Abs. 2 verweist insoweit nicht auf § 1687 Abs. 1 S. 5. 543 Vgl. BT-Drucks. 13/8511, S. 75; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 174.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

gebenen Minimalstandard und verleiht der gemeinsamen Sorge in der aktuellen Rechtslage eindeutige Konturen. Unterhalb der Schwelle der gemeinsamen Entscheidung bedeutsamer Angelegenheit beginnt damit die Alleinsorge. Variable der gemeinsamen Sorge ist damit allein die trennungsbedingte Aufspaltung der Elternverantwortung. Nur die dem zugrunde liegende Praktikabilitätspriorität, die gerade den Unterschied zur partnerschaftlichen Sorge gem. §§ 1626 ff ausmacht, ist demnach innerhalb der Schranken der gemeinsamen Sorge justitiabel. Diese Einzelzuständigkeiten können eingeschränkt und ausgeschlossen werden. Daraus folgt, dass sich die gerichtliche Prüfungskompetenz innerhalb der gemeinsamen Trennungssorge darauf beschränkt, die gesetzlich verliehene Individualkompetenz aufzuheben, also der bisherigen gemeinsamen Zuständigkeit erneut hinzuzufügen. Dies ergibt sich zwingend aus dem Wortlaut. Denn hebt man die gesetzliche Gestaltung von § 1687 Abs. 1 auf, die darin besteht, aus der uneingeschränkten Zuständigkeit beider Eltern einzelne Sorgerechtsbereiche aus funktionaler Erwägung einem Elternteil zuzuweisen, so lebt die ursprüngliche Gemeinschaftlichkeit wieder auf. Da sich der Eingriffstatbestand ausdrücklich nur auf Aufhebung und Beschränkung bezieht, entfällt also eine Übertragung der Einzelzuständigkeit von einem Elternteil auf den anderen. Die gerichtliche Gestaltbarkeit im Rahmen des § 1687 Abs. 2 besteht daher allein in der Erweiterung der gemeinschaftlichen Zuständigkeit. b) Verhältnis zu den übrigen Eingriffstatbeständen Mit der vorstehenden Überlegung wird auch das Verhältnis zu den übrigen Eingriffstatbeständen der Trennungssorge bestimmt. Ist § 1687 Abs. 2 auf die Ausweitung der gemeinsamen Zuständigkeiten gerichtet, so handelt es sich insoweit um das unmittelbare Gegenstück zur Übertragung von Einzelzuständigkeiten gem. §§ 1628, 1671. Darüber hinaus besteht für den Grenzfall, bei dem es um die Feststellung der Reichweite der Einzelzuständigkeiten geht, ein Vorrang für § 1628. 544 Gegenüber der Änderungsentscheidung gem. § 1696 besteht ebenfalls ein Ausschlussverhältnis, da die gerichtliche Gestaltung gem. § 1687 Abs. 2 sich ausschließlich auf die Änderung einer gesetzlichen Vorgabe beschränkt, während der § 1696 gerichtliche Entscheidungen abändert. Dem Gefahrentatbestand des § 1666 gegenüber nimmt § 1687 Abs. 2 schließlich die Funktion eines Sondertatbestandes ein, der unterhalb der Schwelle des § 1666 wirksam wird. Dies ergibt sich aus der niedrigeren Eingriffsschwelle des § 1687 Abs. 2 gegenüber § 1666. 545 Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang lediglich die rechtliche Wirkungsdauer der Entscheidung gem. § 1687 Abs. 2. Anders als bei anderen 544 545

Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687, Rz. 34. Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687, Rz. 34.

IV. Beurteilung des Kindeswohls gem. § 1687 Abs. 2

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Eingriffstatbeständen wird darin keine Sorgerechtsstellung übertragen, sondern die Funktionszuweisung umgestaltet. Vor wie nach der Entscheidung besteht eine uneingeschränkte gemeinsame Sorge, so dass die Rechtsstellungen also grundsätzlich unberührt bleiben. Die Entscheidung ist mithin darauf gerichtet, die tatbestandliche Prägung zu modifizieren und die gesetzliche Gewichtung teilweise aufzuheben. Damit ist die Rechtswirkung der Entscheidung an den Tatbestand des § 1687 Abs. 1 geknüpft. Dabei gilt, wie bereits gezeigt, dass die uneingeschränkte gemeinsame Sorge auflebt, sobald die Eltern das Zusammenleben wieder aufnehmen. 546 Gleiches muss für die Entscheidungen gem. § 1687 Abs. 2 gelten. 547 Wenn die Trennungssorge kraft Gesetzes wieder entfällt, weil ihre Voraussetzungen entfallen, so kann auch eine von der Regel abweichende Ausgestaltung nicht bestehen bleiben. Dies verdeutlicht die eingeschränkt rechtsgestaltende Wirkung der Entscheidung gem. § 1687 Abs. 2, deren Verbindlichkeiten anderenfalls nicht vom nachträglichen Verhalten der Betroffenen abhängen könnten. 548 Die Rechtswirkung ist an den Bestand der Trennung gebunden, so dass für Änderungsentscheidungen gem. § 1696 in den Fällen Raum ist, in denen die Trennung fortbesteht. c) Verhältnis zu einvernehmlichen Individualabsprachen Die Reichweite der Anwendung des § 1687 Abs. 2 hängt schließlich noch wesentlich davon ab, in welchem Verhältnis die gerichtliche Gestaltung der gemeinsamen Sorge zu der elterlichen Individualabsprache 549 über die gemeinschaftlichen Zuständigkeitsbereiche steht. Es ist zu fragen, ob § 1687 Abs. 2 abschließend regelt, inwieweit von der gesetzlichen Gestaltung zugunsten einer Erweiterung der gemeinsamen Zuständigkeit abgewichen werden kann. Nehme man das an, so müssten sich die Eltern auch bei einer einvernehmlichen Erweiterung der gemeinschaftlichen Sorgerechtsausübung an den Maßstäben des § 1687 Abs. 2 messen lassen. Eine solche Auslegung knüpfte unmittelbar an die bisherige Scheidungsintervention an. Das durch gemeinschaftliche Zuständigkeit erhöhte Konfliktpotential wäre über den gesetzlichen Rahmen erneut nach dem Vorbild des § 1671 a.F. an eine gerichtliche Einzelfallprüfung gebunden.

546

Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (470). Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (470). 548 Anders ist es unstreitig jedenfalls bei einem Urteil, das die Alleinsorge überträgt. Unabhängig davon, ob die Eltern also nach der Übertragung der Alleinsorge die Trennung wieder rückgängig machen, bleibt zunächst die Alleinsorge bestehen. Eine Anpassung an die bestehende Situation kann daher nur mehr über eine Änderungsentscheidung gem. § 1696 erreicht werden; vgl. dazu Schwab FamRZ 1998, S. 457 (471). 549 Zur allgemeinen Problematik der Disponibilität Aufgabenverteilung innerhalb der gemeinsamen Trennungssorge vgl. Abschn. B.II.3. 547

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Diese Auslegung ist aus mehreren Überlegungen nicht vertretbar. Der Wortlaut des Gesetzes schließt sie zwar nicht aus. Sie stünde jedoch zum einen in untragbarem Widerspruch zur Grundsatzwertung. Die gemeinsame Sorge und damit die Einbeziehung beider Eltern über die Trennung hinaus wurde durch die Reform grundsätzlich als für das Kindeswohl förderlich eingeschätzt. Wollte man nun darauf abstellen, dass jede über das Mindestmaß hinausgehende Form des Zusammenwirkens demgegenüber für das Kindeswohl erforderlich sein müsse, so kehrte sich diese Wertung um. Die Eltern müssten die Notwendigkeit erweiterter Gemeinsamkeit nachweisen. Wo jedoch elterliches Einvernehmen besteht, macht ein solches Erfordernis keinen Sinn. Es könnte lediglich unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit argumentiert werden, dass die gesetzliche Regelung verbindliche Formen haben müsse. Doch auch dieses Argument vermag nicht zu überzeugen, da die gemeinsame Zuständigkeit die prinzipielle Sorgerechtsgestaltung auch innerhalb der Trennungssorge ist. Zum anderen wäre dieses Hindernis gemeinsamer Elternverantwortung wohl kaum mit dem verfassungsrechtlich verankerten Elternrecht vereinbar. Die Regelung des § 1687 Abs. 1 käme einer Inhaltsbestimmung des Elternrechts gleich. Die Trennung führte dann dazu, dass die Reichweite der Elternstellung unnachgiebig festgelegt und im Rahmen der Betreuungssorge begrenzt würde. Der durch die Reform geschaffenen Rechtslage liegt aber das Prinzip zugrunde, dass die bestehende Rechtsstellung über die Trennung hinaus fortbesteht. Selbst nach der alten Rechtslage war anerkannt, dass eine einzelfallgerechte Gestaltbarkeit für die trennungsbedingte Sorge maßgeblich ist. Dies fand schon darin Ausdruck, dass vom einvernehmlichen Elternvorschlag nur abgewichen werden konnte, wo dies für das Kindeswohl erforderlich war. 550 Hinter diesen Standard fiele eine Regelung zurück, die jede weitergehende Kooperation der Eltern unter die rechtlichen Hürden stellte, für das Kindeswohl erforderlich zu sein. Die der gesetzlichen Regulierung zugrunde liegende Praktikabilität der gemeinsamen Sorge hat keinen Eigenwert, wo sie nicht erforderlich ist, und rechtfertigt daher auch keine Einschränkung der Grundkonstellation. Dies wird auch durch gesetzessystematische Erwägungen bestärkt. In der Begründung des Regierungsentwurfs wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit der Sorgerechtsstellung vor allem die Pflicht zum elterlichen Einvernehmen gem. § 1627 fortwirkt. 551 Die Einschränkung gemeinschaftlicher Entscheidungsbereiche dient allein dazu, diese Pflicht nicht zu überfordern. 552 Diese Zielsetzung steht einer freien Erweiterung des Einvernehmens der Eltern gerade nicht entgegen. Demgegenüber würde ein restriktiver Umgang mit der Gestaltung der Trennungssorge Konflikte zwischen den Eltern vermehren. Ähnlich der bisherigen 550 551 552

Vgl. § 1671 Abs. 3 S. 1 a.F. BT-Drucks. 13/4899, S. 58; 13/8511, S. 67. Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 107.

IV. Beurteilung des Kindeswohls gem. § 1687 Abs. 2

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Scheidungsintervention verstärkt es das Konfliktpotential bei der Entscheidung darüber, bei welchem Elternteil das Kind seinen dauernden Aufenthalt haben soll. Das wurde mit der Reform gerade nicht beabsichtigt. Die Regelung sollte keine Verhärtung der Fronten bewirken, sondern die Überleitung in der krisenhaften Umbruchsituation stabilisieren und erleichtern. Schließlich ist noch anzuführen, dass den Maßstab des § 1671 die Übertragung der Alleinsorge davon abhängig macht, dass sie dem Kindeswohl am meisten dient. Es kann deshalb nicht richtig sein, gleichsam hinter dem Maßstab für eine Ausweitung der Ausübung bestehender Rechtsstellungen zurückzufallen, was systematisch völlig sinnwidrig wäre. Die Vorschrift des § 1687 Abs. 2 ist daher einschränkend zu lesen. Das Gericht kann auch gegen den Willen eines oder beider Sorgeberechtigten die Einzelentscheidungsbefugnisse einschränken oder ausschließen. Der eigenständigen Regulierung einer weitergehenden Gemeinsamkeit der Erziehungszuständigkeit steht das Gesetz jedoch nicht entgegen. 2. Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls Die gerichtliche Entscheidung gem. § 1687 Abs. 2 richtet sich danach, ob die Aufhebung oder Einschränkung der Alleinentscheidungsbefugnisse zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Die Formulierung knüpft direkt an die bisherige Regelung des § 1671 Abs. 3 S. 1 a.F. an. 553 Es kann deshalb auf die diesbezügliche Auslegung zurückgegriffen werden. 554 Danach muss für die von der gesetzlichen Wertung abweichende Entscheidung ein triftiger, das Kindeswohl derart nachhaltig berührender Grund bestehen, dass ohne die Abweichung eine ungünstige Entwicklung des Kindes zu befürchten wäre. 555 Solche triftigen Gründe liegen nicht schon dann vor, wenn die gerichtliche Korrektur dem Kind dienlich wäre oder seinem Wohl am besten entspräche. 556 Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus. Das gesetzgeberische Ermessen in Hinblick auf das Kindeswohl soll hier nicht willkürlich durch das gerichtliche Ermessen ersetzt werden können. Die gesetzlich vorgegebene Abwägung erfolgt daher in einer Gegenüberstellung der gesetzlichen Universalwertung des Kindeswohls, wie es im Tatbestand der Trennungssorge zum Ausdruck kommt, und den spezifischen Regelungserfordernissen des Einzelfalls zur Abkehr eines nachhaltigen Gefährdungspotentials.

553 Dort hieß es: „Von einem übereinstimmenden Vorschlag der Eltern soll das Gericht nur abweichen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.“ 554 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 34. 555 Vgl. KG FamRZ 1958, S. 423; BayObLG FamRZ 1976, S. 36 (38); BGH NJW 1979, S. 113; OLG Düsseldorf FamRZ 1983, S. 293 f; Erman / Michalski § 1671 Rz. 37. 556 Vgl. BGHZ 33, S. 54 (58) = NJW 1960, S. 1719; BayObLG FamRZ 1976, S. 36 (38); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 59 mwN.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

a) Grundsätzliche Kindeswohleinschätzung der gesetzlichen Trennungssorge Der erste Anhaltspunkt für die Beurteilung des Kindeswohls im Rahmen der gemeinsamen Trennungssorge ergibt sich aus der gesetzlichen Ausgestaltung. So bringt der § 1687 Abs. 1 eine universelle Einschätzung des Kindeswohls zum Ausdruck, die dem gesamten Sorgerechtsbereich als Modell vorangestellt wird. 557 Auch als sorgerechtlicher Entscheidungsmaßstab, der gerade die gesetzliche Regulierung durchbricht, wird er zunächst von dieser gesetzgeberischen Wertung geprägt. Diese Gesetzeswertung wägt die Kindesinteressen in Hinblick auf die durch die Trennung veränderten Lebensbedingungen ab und setzt ihre verschiedenen Implikationen zueinander ins Verhältnis. Der unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls wird damit in Ansehung der Trennung zunächst universell gewichtet. Auf diese Weise spiegelt der Tatbestand des Abs. 1 die grundlegende Veränderung des sorgerechtlichen Regelungsansatzes insgesamt wider, der auch bei der Einzelfallentscheidung als Güterabwägung zwischen verschiedenen Elementen der Kindesinteressen zu berücksichtigen ist. aa) Zielsetzung der Sorgerechtsregulierung Das auf die Elterntrennung bezogene Kindeswohl ist von einem immanenten Zwiespalt geprägt. Der Schutz des Kindes vor dem in der Trennung zum Ausdruck kommenden Elternkonflikt und die Bewahrung der bestehenden Eltern-Kind-Beziehungen sind als gegenläufige Elemente miteinander in Einklang zu bringen. 558 Die bisherige Rechtslage ging von der Prämisse aus, dass die Beendigung der elterlichen Partnerschaft in der Regel der gemeinsamen Elternsorge die Grundlage entzieht. Die Scheidung wurde damit als eine typisierte Kindeswohlgefährdung aufgefasst und begründete einen Spezialtatbestand zu § 1666. 559 Dieser Ansatz wurde durch das KindRG aufgegeben. Der im Zerbrechen der elterlichen Partnerschaft angelegte Konflikt verliert den Charakter einer einzelfallunabhängigen Bedrohung des Kindes, die eine grundlegende Neuordnung der Elternsorge erfor557 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1999, S. 801 (802) unter Bezugnahme auf die fortgeltende Wertung des § 1626. 558 Insbesondere zum sog. „Resilience-Konzept“, bei dem neben der Belastung auch die Resourcen und die Veranlagung des Kindes den kindlichen Bewältigungsprozess bestimmt werden, vgl. Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (161); Suess / Scheuer-Englisch / Grossmann FPR 1999, S. 148 (151). 559 Hier sei exemplarisch auf die in den siebziger Jahren verbreitete Überzeugung verwiesen, dass vor allem eine konfliktfreie Erziehung für das Kindeswohl von besonderer Bedeutung sei, vgl. Lempp „Die Ehescheidung und das Kind“, S. 19, 30; BT-Drucks. 13/ 4899, S. 63; vgl. auch Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (161) mit dem Hinweis darauf, dass die Gefahren des Einzelfalls nicht ohne die genauere Betrachtung der Ressourcen möglich ist.

IV. Beurteilung des Kindeswohls gem. § 1687 Abs. 2

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dert. 560 Das rechtliche Element der Konfliktvermeidung beschränkt sich nunmehr darauf, durch organisatorische Umgestaltung die Sorgerechtsausübung an die Lebensverhältnisse anzupassen und dabei die gemeinsame Zuständigkeit auf die sorgerechtlichen Kernbereiche zu konzentrieren. Anstelle der Konfliktvermeidung rückt auf diese Weise stärker die Bewahrung der Eltern-Kind-Beziehung in den Vordergrund der Trennungssorge. 561 Darin kommen weiterreichende veränderte Prioritäten und einschneidende Umgewichtungen innerhalb der Beurteilung des Kindeswohls zum Ausdruck. Die Bewahrung der bestehenden Beziehungen legt den Schwerpunkt auf das Element der Kontinuität. 562 Die gemeinsame Sorge wird zumindest im Rahmen der gesetzlichen Regulierung zur vorgesehenen Sorgerechtsform und veranschaulicht damit einen grundlegenden Wandel im Verständnis von der Scheidungsproblematik. 563 So heißt es beispielsweise in einem Urteil des OLG München 564: „Jedes Kind hat von Geburt an ein unveräußerliches Recht auf die gelebte Beziehung zu beiden Eltern. Diese Eltern-Kind-Beziehung dauert ein Leben lang und endet nicht mit der Trennung der Eltern. 565 Das Eltern-Kind-Verhältnis ist die Basis für eine gesunde körperliche, seelische und intellektuelle Entwicklung des Kindes. Eine positive Entwicklung der Beziehung zu beiden Eltern hat günstige Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl, die eigene Beziehungsfähigkeit, auf die Lebenszufriedenheit und die Lebensqualität des Kindes. 566 In diesem Sinne sind die Vorzüge der gemeinsamen elterlichen Sorge gegenüber der Alleinsorge gerade darin zu sehen, dass die Bindungen des Kindes zu beiden Eltern besser aufrechterhalten und gepflegt werden und dass das Verantwortungsgefühl und damit die Verantwortungsbereitschaft beider Eltern gegenüber dem Kind erhalten bleiben und gestärkt werden können, wodurch sich die Chancen vergrößern, dass das Kind trotz der Trennung zwei in jeder Hinsicht vollwertige Elternteile behält.“ 567 560

Vgl. Zöller / Philippi § 621 R. 26. Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 2; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (465 f); OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 1047; dies greift in besonderer Weise den Gedanken der Sorgerechtsreform von 1979 auf, wonach die „elterliche Gewalt“ in „elterliche Sorge“ gewandelt wurde, um den Fürsorge- und Pflichtencharakter der Elternverantwortung hervorzuheben. Soweit im Rahmen der Reformüberlegungen erwogen worden war, anstelle der „elterlichen Sorge“ nunmehr die „elterliche Verantwortung“ einzuführen, so wurde dies schließlich verworfen, da im Rahmen der Alleinsorge die Elternverantwortung des anderen Elternteils nicht enden soll, vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann S. 132. 562 Im Ansatz so auch OLG Bamberg FuR 1999, S. 365 (367); vgl. in diesem Zusammenhang auch den weitreichenden Schutz der Familienbeziehungen im Rahmen der EMRK EuGHMR FamRZ 2002, S. 381 (382). 563 Vgl. Liermann FamRZ 1999, S. 809 mit Anm. zu Urteil des KG FamRZ 1999, S. 808. 564 Vgl. OLG München FamRZ 1999, S. 1006 f. 565 Vgl. Liermann FamRZ 1999, S. 809. 566 Vgl. BVerfG FamRZ 1999, S. 85 = NJW 1999, S. 631; AG Groß-Gerau FamRZ 1998, S. 500 f. 567 Vgl. dazu auch Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003 (1004); OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 1047; AG Fürstenfeldbruck FamRZ 2002, S. 117. 561

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Dies trägt vor allem auch der Tatsache Rechnung, dass die bisherige Erfahrung gezeigt hat, dass das Kind in über 50% aller Fälle der Alleinsorge 568 bereits im Laufe des ersten Jahres nach der Scheidung den Kontakt zum nichtsorgeberechtigten Elternteil verliert. 569 Es ist nun die Überleitung der bestehenden Elternsorge und nicht die Zäsur in den Sorgerechtsverhältnissen, die im Vordergrund der Sorgerechtsregulierung steht. 570 Die Beurteilung ist damit nicht mehr auf eine punktuelle Einschätzung des Kindeswohls gerichtet, die allein auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung abstellt. 571 Stattdessen bekommt die Trennungssorge einen dynamischeren Charakter als bisher, indem ein stärkerer Zusammenhang zwischen den Sorgerechtsphasen hergestellt wird. 572 So gilt der Konflikt nicht mehr als anhaltend dominantes Charakteristikum. Der Anpassungsprozess und damit auch die potentielle Anpassungsfähigkeit werden in die Kindeswohlbeurteilung einbezogen. 573 Anstelle eines „De“-organisationsmodells der Scheidungsfamilie wird nun das „Re“-organisationsmodell als leitendes Paradigma eingeführt. 574 Das in der Trennung angelegte Konfliktpotential, das vielfach erst mit Zeitablauf abnimmt, ist dem Kind daher nach aktueller Kindeswohleinschätzung grundsätzlich zumutbar. 575 Die Wertung nähert sich damit der partnerschaftlichen Sorge an, so dass der trennungsbedingte Konflikt in der grundsätzlichen Pflicht der Eltern aufgeht, Gefahren und Krisen vom Kind abzuwenden. 576 Dies legt den Schwerpunkt der trennungsspezifischen Sorgerechtsgestaltung auf die Funktionalität der Trennungssorge. Das Gesetz stellt lediglich die Handlungsfähigkeit sicher, indem es die Aufgabenverteilung an die Trennungssituation anpasst. Eine inhaltliche 568 Zur besonderen Problematik im Zusammenhang mit der ausländerrechtlichen Verbindung und ausgewiesenen Eltern vgl. Mach-Hour FamRZ 2000, S. 1341. 569 Vgl. AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322); unter Hinweis auf die entsprechende Belastung wie bei Verlust eines Elternteils durch Tod vgl. Jopt „Im Namen des Kindes“, S. 26. 570 Zum konzeptionellen Familienbild des KindRG vgl. Fthenakis FÜR 1998, S. 84 ff. 571 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Kritik zur bisherigen Rechtslage von Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876), der forderte, das Kindeswohl im Rahmen des Scheidungsverfahrens zu einer quasi-statischen Zustandgröße festzuschreiben. 572 Vgl. etwa OLG Bamberg EzFamR 1999, S. 178 f. 573 Vgl. dazu auch OLG Karlsruhe FamRZ 1999, S. 801 = EzFamR 1999, S. 66; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1600; OLG Nürnberg EzFamR 1999, S. 116; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 f; ähnlich auch AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); im Ergebnis so auch OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; AG Burgwedel FamRZ 2002, S. 631; vgl. dazu auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 71; kritisch dazu Born FamRZ 2000, S. 396 (397). 574 Vgl. Fthenakis FPR 1998, S. 84; ähnlich auch Liermann FamRZ 1999, S. 809; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042). 575 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; vgl. dazu auch Jopt ZfJ 1990, S. 285; ders. ZfJ 1996, S. 210; Fthenakis FPR 1998, S. 84. 576 Vgl. dazu kritische Anmerkungen von Oelkers FPR 1999, S. 132 (136).

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Abwandlung der Kindesinteressen sieht die Trennungssorge hingegen nicht mehr vor. Das Kindeswohl als Verhaltens- und Beurteilungsmaßstab wird also nicht beschränkt, sondern seine Akzentuierung nur stärker auf die Funktionszuweisung innerhalb der bestehenden Elternsorge verlagert. 577 Diese Abkehr von der früheren Gewichtung der Scheidungssorge richtet sich umgekehrt aber auch gegen Kindeswohlgefährdungen, die erst durch den damaligen Regelungsansatz erzeugt wurden. So wurde der Bewahrung bestehender Eltern-Kind-Beziehungen bereits teilweise durch die Verfahrensstruktur entgegen gewirkt. Der Zwang über die Zuordnung des Kindes ein Verfahren führen zu müssen, polarisiert zum einen vielfach die Elternpositionen und belastet damit eine Kooperation der Eltern über die Trennung hinaus. 578 Der Konflikt wird unter Umständen verschärft und mindert die Möglichkeit, zwischen den Parteien zu vermitteln. 579 Zum anderen hat die frühere Praxis vor Inkrafttreten des KindRG gezeigt, dass die Alleinsorge das Kind dem anderen Elternteil entfremdet. So wird erwartet, dass die Aufhebung des obligatorischen Scheidungsverbundes die Chancen erhöht, den Kontakt des Kindes zu beiden Eltern aufrecht zu erhalten. 580 Schließlich ist die reformierte Trennungssorge die Konsequenz aus einem zuvor bestehenden Wertungswiderspruch, die Scheidung nicht aber die Trennung der gerichtlichen Prüfung zu unterwerfen. Die eigentliche Belastung für das Kind entziehe sich einer Intervention, da staatliche Stellen nicht zwingend Kenntnis von der Elterntrennung erlangen. 581 Das gesetzliche Grundkonzept beruht daher nunmehr auf zwei Erwägungen. Zum einen ist es für das betroffene Kind das Beste, wenn sich die Eltern auch nach der Scheidung einvernehmlich um seine Angelegenheiten kümmern. Die gemeinsame Sorge bietet für ein solches Einvernehmen einen begünstigenden Rahmen. 582 Zum anderen wird durch das gemeinsame Sorgerecht dem Kind am wenigsten das Gefühl vermittelt, dass es einen Elternteil verliert. 583 So bleibt ihm allein schon erspart, sich zwischen den Eltern im Rahmen der Alleinsorgeübertragung entscheiden zu müssen. 577

Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 9. Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 f; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 42, 44 f; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 69 f. 579 Vgl. Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (209). 580 Vgl. auch OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 1047. 581 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 42. 582 Vgl. bereit die Wertung des BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen zur gemeinsamen Sorge nach der Scheidung. 583 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 43 f; bereits im Vorfeld der Reform vgl. Artzen „Elternliche Sorge und persönlicher Umgang mit dem Kind aus gerichtspsychologischer Sicht“, S. 3; Ell „Trennung“, S. 86 f; ders. ZfJ 1986, S. 289 (294); ders. ZfJ 1982, S. 76 f; Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (671) spricht in diesem Zusammenhang von dem „zweigeteilten Kind“; ders. Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT (1984), S. 33 (39); Johannsen / Henrich / Jaeger 578

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Damit wird deutlich, dass die gesetzliche Umgewichtung darauf abzielt, das Verantwortungsbewusstsein der Eltern zu stärken und die gemeinsame Sorge zum Leitbild eines solchen Verantwortungsbewusstseins zu machen. 584 So regt die fortbestehende Sorgerechtsposition im Bewusstsein der Elternverantwortung dazu an, weniger Gewicht auf den Konflikt in der partnerschaftlichen Ebene zu legen. 585 Das Gesetz zielt auf diese Weise auf die Prägung des Bewusstseins, die sich aus der Pflichtenstellung ergibt. 586 Neben der reinen Rechts- und Pflichtenerfüllung soll das gemeinsame Sorgerecht die fortbestehenden Bindungen vor allem durch das Bewusstsein jedes Elternteiles fördern, auch nach der Scheidung oder Trennung für das Kind verantwortlich zu sein. 587 Diese bewusstseinsprägende Komponente soll dazu beitragen, dass es den Eltern gelingt zwischen ihrer Partnerschaft und der Elternverantwortung zu unterscheiden. 588 Damit ist die gesetzliche Kindeswohlbeurteilung weniger eine grundsätzliche Umwertung des trennungsbezogenen Kindeswohls als vor allem eine abweichende Risikoabwägung.

§ 1671 Rz. 84 f; Lempp FamRZ 1984, S. 741 (742); ders. NJW 1972, S. 315 (316) mit dem Hinweis, dass Bindung nicht unter Zwang, sondern nur durch freiwillige und eigenständige Lebensgestaltung bestehen kann; Limbach „Studie“, S. 25 f, 78; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 108; BVerfG FamRZ 1982, S. 1179 (1183); OLG Frankfurt DAVorm 1979, S. 130 (132); KG FamRZ 1983, S. 1159 (1160); OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 1047; dass. FamRZ 1988, S. 752. 584 Vgl. Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003 (1005); KG FuR 2000, S. 269; entsprechende Wertung im Zusammenhang mit der gemeinsamen Sorge nichtverheirateter Eltern vgl. BVerfG FamRZ 2003, S. 286; zurückhaltend Salzgeber FPR 1998, S. 80, der darauf verweist, dass Recht zwar öffentliches Bewusstsein schaffe, aber nicht jede Rechtsvorschrift sich meinungsbildend auf das öffentliche Leben auswirke; Befürworter dieses Ansatzes in der Diskussion während der alten Rechtslage Coester FamRZ 1992, S. 621; Dörr NJW 1991, S. 690 (692); Jopt ZfJ 1990, S. 287; Kaufmann ZfJ 1991, S. 20; Ollmann FamRZ 1994, S. 869 (871); Rauscher NJW 1991, S. 1090; Röchling ZfJ 1992, S. 516 (522); Wallerstein / Blankeslee „Gewinner und Verlierer“, S. 304; vgl. dagegen kritische Einschätzung der psychischen und verhaltensbeeinflussenden Auswirkung des Rechts Heiliger FamRZ 1992, S. 1011; Salgo / Zenz „Diskriminierung der Frau im Recht der ElternKind-Beziehung“ S. 72; Zweigert JuS 1967, S. 243. 585 Vgl. OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047. 586 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63, 68 = Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 42; KG FuR 2000, S. 269; dazu aber auch schon Henning / StehleRemer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 41f mwN; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1381). 587 So auch KG FamRZ 2000, S. 502 (503); vgl. in diesem Zusammenhang auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 41f mwN, wobei zwischen normativer gemeinsamer Sorge, gemeinsamer Versorgung und gemeinsamer elterlichen Verantwortung differenziert wird. 588 Zur Trennung von Partnerschaft und Elternschaft vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 76; OLG Zweibrücken NJW 1999, S. 3786; OLG München FamRZ 1999, S. 1006; AG Offenbach KindPrax 1999, S. 98.

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bb) Das in der gesetzlichen Trennungssorge verankerte Sorgerechtsverständnis In den erörterten Zielvorgaben kommt in Hinblick auf die Trennungssorge ein grundlegend verändertes Sorgerechtsverständnis zum Ausdruck. Im Rahmen einer fortwirkenden Elternverantwortung beurteilt sich das Sorgerecht nach einem einheitlichen Kindeswohlbegriff, dessen Parameter und Zielsetzungen sich zunächst durch die Trennung der Eltern nicht verändern. Vor der Reform schien demgegenüber nach der Trennung der Eltern das Kindeswohl nur noch eingeschränkt durchsetzbar, so dass ein trennungsspezifisch reduzierter Maßstab realisierbarer Kindesinteressen zur Anwendung kam. 589 Anknüpfungspunkt der sorgerechtlichen Beurteilung war dabei das scheidungsspezifische Schutzbedürfnis des Kindes vor dem Elternkonflikt und die Annahme fehlender Kooperationsfähigkeit der Eltern nach der Scheidung. Nur innerhalb dieses modifizierten Kindeswohlbegriffs richtete sich die Sorgerechtsentscheidung auf eine gerichtliche Maximierung der Kindesinteressen. 590 Kindes- und Elterninteressen wurden auf diese Weise grundsätzlich in ein konkurrierendes Verhältnis gesetzt. Denn die zwingende gerichtliche Intervention im Rahmen der Scheidung unterstellte eine unzureichende Wahrnehmung der Kindesinteressen durch die Eltern und schützte damit das Kind gegen elterliche Verantwortungsdefizite. 591 Erst die einzelfallbezogene Widerlegung dieser Annahme ermöglichte den Rückgriff auf Elemente der gesetzlichen Sorge durch die Übertragung der gemeinsamen Elternsorge. Demgegenüber führt das Reformgesetz einen erweiterten Kindeswohlbegriff ein. Durch die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge über die Trennung hinaus wird das Sorgerechtsverständnis vereinheitlicht, ohne wegen der veränderten Ausübungsbedingungen automatisch zu differenzieren. Die Trennungssorge wird damit grundsätzlich der partnerschaftlichen Sorge gleichgesetzt und ist damit auf die Bewahrung bestehender Standards gerichtet. 592 Das Ideal der Kindeserziehung dient nun uneingeschränkt auch zur Orientierung bei der Sorgerechtsgestaltung nach der Elterntrennung und bezieht die allgemeinen Erkenntnisse über die Erziehung und Bedürfnisse des Kindes direkt ein. 593 Damit wird die Trennungssorge zur „gesetzlichen Sorge mit anderen Mitteln“, die vorwiegend darauf gerichtet ist, gegenüber der vorherigen Sorgerechtsausübung die Veränderung auf ein Minimum zu beschränken.

589 Vgl. dazu weitere Ausführungen zum Wandel des Sorgerechts- und Interventionsverständnisses im Rahmen der historischen Betrachtung im Kap. A., Abschn. II.4. 590 So schon in der vorangegangenen Diskussion Jopt FamRZ 1987, S. 875 (882). 591 Sinngemäß so auch KG FuR 2000, S. 269. 592 Vgl. Liermann FamRZ 1999, S. 809. 593 Im Ergebnis so auch OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 1047.

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Daraus ergeben sich unmittelbar inhaltliche Vorgaben. Zunächst beschränkt sich die rechtliche Auswirkung der Trennung darauf, die Sorgerechtsausübung an die veränderten Lebensbedingungen durch zurückhaltende Korrekturen der Entscheidungszuständigkeiten anzupassen. Damit wird die Trennungssorge als spezifischer Sorgerechtsabschnitt mit einschneidender Umgestaltung der Zuständigkeiten von einem konkreten Nachweis abhängig gemacht. Solange konkrete Anhaltspunkte einer Kindeswohlgefährdung fehlen, beschränkt sich die rechtliche Anpassung an die veränderten Familienverhältnisse auf eine gesetzliche Modifikation bestehender Rechtsstellungen. 594 Dieser defensive Charakter der Durchsetzung des Kindeswohls ist von zentraler Bedeutung. Er veranschaulicht die Rückverlagerung des Sorgerechts in die Familie als privaten, außergerichtlichen Belang. Die Gestaltung außer- und nachehelicher Sorge bleibt jetzt nicht mehr den Gerichten vorbehalten. Vielmehr wird eine familienautonome Gestaltung für das Kindesinteresse als Universallösung eingeführt. 595 Damit lebt der allgemeine sorgerechtliche Grundsatz auf, demzufolge die Eltern in ihrer inneren Verbundenheit am besten wissen, was dem Wohl ihres Kindes am besten dient. 596 Gegenüber der gerichtlichen Fremdbestimmung basiert hier die Tragfähigkeit der Sorgerechtsgestaltung auf einem Akt der familiären Selbstbestimmung und vermeidet damit Zwang, indem zunächst elterliches Einvernehmen begünstigt wird. 597 Diese Gewichtung erweitert die sorgerechtliche Elternverantwortung. 598 Denn indem nun die Entmündigung der Eltern in der Familienkrise entfällt, verpflichtet sie das fortbestehende Sorgerecht gegenüber dem Kind, seine Interessen unabhängig von ihrer persönlichen Betroffenheit wahrzunehmen und die Trennungssituation kindeswohlgerecht umzusetzen. 599 Durch diese Verlagerung der Auslegungs- und Gestaltungsbefugnis von den Gerichten auf die 594

Eine ähnliche Wertung ergibt sich auch aus der Regelung der Elternsorge nichtehelicher Kinder. So beruht die Grundlage der gemeinsamen Sorge trotz der gesetzlich unterstellten Krisenhaftigkeit allein auf den Willen der Elternteile. Wie die Anerkennung hat diese einvernehmliche Sorgerechtserklärung keinen Empfänger, beschränkt sich also nicht allein auf eine vertragliche Absprache der Eltern, sondern ist ein inhaltlich vom Gericht nicht zu überprüfender Akt, der direkte Sorgerechtsgestaltung bewirkt; vgl. Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1379). 595 Vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (588); Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufll. § 1671 Rz. 8 ff; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 59; Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 67 f; vgl. dazu auch im Vorfeld der Reform Coester FamRZ 1996, S. 1181 (1183). 596 Vgl. BVerfG FamRZ 1981, S. 124 f; dass. FamRZ 1982, S. 1179; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 68 mwN. 597 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 133; vgl. dazu auch OLG Dresden FamRZ 2002, S. 632. 598 Vgl. OLG Rostock FamRZ 1999, S. 1599; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 8. 599 Vgl. auch schon Jopt FamRZ 1987, S. 875 (877), der ausführte: „dass jedes Verwirklichungsbemühen der Rechtsmaxime Kindeswohl untrennbar mit dem Fortbestand der nachehelichen Elternschaft verbunden“ sei.

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Eltern vollzieht sich gleichsam eine Reprivatisierung des Kindeswohls. 600 Die Familienautonomie wird wie bei der gesetzlichen Sorge, welche staatliche Intervention zur Wahrung der familiären Privatsphäre vermeidet, zu einem immanenten Kindeswohlbestandteil. 601 Für den durchschnittlichen Trennungsfall bringt das Gesetz damit eine grundlegende Abwägung zum Ausdruck. Trotz der regelmäßig vorhandenen Spannungen und Konfliktpotentiale zwischen den Eltern werden die grundlegenden Werte der gesetzlichen Sorge auch auf die Trennungssorge angewandt. 602 Hier sind insbesondere zwei Gesichtspunkte hervorzuheben. Zum einen legt die Bewahrung der gemeinsamen Sorge einen erziehungskonzeptionellen Schwerpunkt. Das heißt, dass die wechselseitige Ergänzung der Eltern, die Vielfalt der Einflüsse und die Pluralität der Erziehungsfaktoren als ein besonders schützenswertes Gut des Kindeswohls hervorgehoben werden. 603 Dahinter steht der psychologische Gedanke, dass jedes Kind von Geburt an ein unveräußerliches Recht auf die gelebte Beziehung zu beiden Eltern hat und beide Eltern braucht. 604 Diese Eltern-KindBeziehungen dauern ein Leben lang und enden nicht mit der Trennung der Eltern. Das Eltern-Kind-Verhältnis ist die Basis für eine gesunde körperliche, seelische und intellektuelle Entwicklung des Kindes. 605 Nur eine positive Beziehung zu beiden Eltern hat eine günstige Auswirkung auf das Selbstwertgefühl und Beziehungsfähigkeit des Kindes. 606 Die Vorzüge der gemeinsamen Sorge gegenüber der Alleinsorge liegen darin, dass die Bindungen des Kindes zu beiden Eltern besser aufrechterhalten und gepflegt werden. 607 Das Verantwortungsgefühl und damit die Verantwortungsbe600

Kritisch dazu Salgo FamRZ 1996, S. 449 (450). Vgl. aber auch die kritischen Anmerkungen Staudiger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 12 f zu den insoweit systemwidrigen Einschränkungen der Reform, wodurch die Stärkung der Elternautonomie als halb- und engherzig durchgeführt erscheint; ebenso Coester DEuFamR 1999, S. 3 (10); billigend hingegen Lipp FamRZ 1998, S. 65 (71); OLG Dresden FamRZ 2002, S. 632; vgl. hierzu auch schon Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59). 602 Zur Abwägung in Hinblick auf die spezifischen Gefahren der Trennungssorge, wie sachwidrige Erwägungen bei der Entscheidung zugunsten der gemeinsamen Sorge, vgl. Abschn. B.II.4. 603 Vgl. AG Groß-Gerau FamRZ 1998, S. 500 (501); AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 f. 604 Vgl. LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404) KG FamRZ 1979, S. 340 (341); OLG Celle FamRZ 1984, S. 1035 (1036; dass. FamRZ 1985, S. 527; OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 509 (510); dass. FamRZ 1988, S. 752; Evans-von Krbek FamRZ 1975, S. 20 (21); Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); ders. FamRZ 1979, S. 380 unter Bezugnahme auf amerikanische Forschungsergebnisse; Lempp FamRZ 1972, S. 315; ders. bereits NJW 1964, S. 440. 605 Vgl. BVerfG FamRZ 1999, S. 85 = NJW 1999, S. 613. 606 Vgl. OLG München NJW 2000, S. 368; vgl. in diesem Zusammenhang auch entsprechende Wertung des BVerfG FamRZ 2003, S. 285 (286). 601

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

reitschaft beider Eltern gegenüber dem Kind bleiben auf diese Weise erhalten und werden gestärkt, wodurch sich die Chance vergrößert, dass das Kind trotz der Trennung zwei in jeder Hinsicht vollwertige Elternteile behält. 608 Die mit der alleinige Sorge häufig verbundenen Kontaktabbrüche zwischen dem Kind und dem nichtsorgeberechtigten Elternteil 609 geben Anlass zur Annahme, dass ein rechtlich verankertes Konkurrenzverhältnis der Elternpositionen grundsätzlich nicht dazu geeignet ist, dem gesetzlichen Ziel zu entsprechen, das Gefüge der bestehenden Einzelbeziehungen zu erhalten. 610 Eine einmalige Entscheidung zugunsten eines Elternteils wird sowohl der komplexen Verknüpfung innerfamiliärer Bande als auch dem dynamischen Charakter emotionaler Beziehungen nicht gerecht. 611 Denn nicht allein der lebendige Wandel menschlicher Beziehungen, auch die im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung sich verlagernden Bedürfnisse und Orientierungen des Kindes verbieten eine statische Betrachtungsweise. 612 Dies deutet auf den zweiten Aspekt der Kindeswohlgewichtung hin. Durch die Wahrung des bei beiden Eltern verfügbaren Potentials behält die Elternsorge eine Flexibilität, die ihnen sorgerechtliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. 613 Statische Verhältnis607 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61 f; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 5; auch OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047; vgl. dazu auch bereits die Ausführungen BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen. 608 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann S. 44; OLG München NJW 2000, S. 368 (369); Johannsen / Heinrich / Jaeger „Eherecht“, 3. Aufl., § 1671 Rz. 34; vgl. aber auch im Rahmen der alten Rechtslage: OLG Bamberg FamRZ 1988, S. 752; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 63, 65 f; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 162. 609 Vgl. Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 55, denen zufolge 38% der Kinder unter gemeinsamer Sorge gegenüber 8,5% der Kinder unter Alleinsorge mehr als 4 Tage im Monat Kontakt zu dem nichtbetreuenden Elternteil haben. 610 Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (451); Dörr NJW 1989, S. 690 (692); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132); entsprechend auch OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042) unter Hinweis auf den Fortbestand des Familienverbandes nach der Scheidung. 611 Vgl. bereits in der Kritik zur Bindungstheorie Ell ZBlJR 1982, S. 76 ff; Diedrichsen NJW 1980, S. 2419 (2421), der bereits in Hinblick auf die verfassungsrechtliche Diskussion zu § 1671 Abs. 4 auf die Differenzierung zwischen der personalen Zweierebene und dem fortbestehend Gemeinsamen in der Person des Kindes hinwies; Fthenakis ArchfSozArb 1986, S. 174 ff; ders. Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT (1984), S. 33 f; ders. in Remschmidt (Hg) „Kinderpsychiatrie“, S. 55 ff; ders. „Väter“, Bd. 1, S. 210 f, Bd. 2, S. 55 f; ders. FamRZ 1985, S. 662 (665); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (877); Magnus RdJB 1988, S. 158 (164), der gleichzeitig den Gedanken dadurch vervollständigt, dass die Scheidung kein auf die Ehegatten beschränkter Trennungsvorgang sei, sondern auch Einfluss auf die übrigen Familienverbindungen habe; Proksch FamRZ 1989, S. 916 (918); Puls ZfJ 1984, S. 8(11); Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 153 ff; Simitis in Goldstein / Freud / Solnit „Diesseits des Kindeswohls“ S. 169 (179 f, 194); weitere Darstellung des damit verbundenen sog. Bindungsstreits vgl. Kap. C., Abschn. III.2.c). 612 Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (879); Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 153; Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (160) (aus psychotherapeutischer Sicht).

IV. Beurteilung des Kindeswohls gem. § 1687 Abs. 2

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se werden vermieden, so dass grundsätzlich auf die veränderten Anforderungen im Laufe der Entwicklung des Kindes flexibel reagiert werden kann. Denn das Aufrechterhalten der bestehenden Zuständigkeiten macht die Elternsorge anpassungsfähig, so dass sie den sich wandelnden kindlichen Bedürfnissen entsprechen kann. cc) Korrespondierendes Interventionsverständnis Aus dem mit der Reform erreichten Wandel des Kindeswohlbegriffs folgt schließlich auch ein sich verlagerndes Verständnis der gerichtlichen Intervention. Als Kehrseite zur Aufwertung der familiären Eigenständigkeit wird nun die gerichtliche Zurückhaltung zum Element der Trennungssorge. Die gesetzliche Gestaltung der Trennungssorge hat den gerichtlichen Eingriff auf konkretes Regelungsbedürfnis verdrängt. Damit wird die gerichtliche Regulation dieses Sorgerechtsbereiches subsidiär. Die Trennung allein legitimiert nicht länger den staatlichen Eingriff in die Familienautonomie, sondern wird erst durch eine einzelfallbezogene Beeinträchtigung der Kindesinteressen gerechtfertigt. 614 Darin verankert sich ein neuer Begriff der Einzelfallgerechtigkeit bei der Elterntrennung. 615 In der Zeit vor dem KindRG wurde das individuelle Kindeswohl an eine Einzelfallprüfung der Gerichte geknüpft. Die Durchsetzung einzelfallgerechten Kindeswohls wurde durch die Reform der individuellen Gestaltung innerhalb der Familie belassen. Die einzelfallgerechte Intervention ist nunmehr auf regelungsbedürftige Fälle begrenzt. 616 An die Stelle des standardisierten Eingriffstatbestandes für gerichtliche Individualgestaltung tritt nun eine Regulierung, bei der die Intervention sich am einzelfallbezogenen Regelungsbedarf im akuten Konflikt orientiert. Das sorgerechtliche Verfahren gleicht sich damit anderen zivilrechtlichen Streitigkeiten an. 617 Daraus lässt sich eine weitere Prämisse des reformierten Kindeswohlbegriffs ableiten. Die Intervention soll als eine das Kind verunsichernde Bedrohung eigener Art vermieden werden. 618 Daraus ergibt sich eine Wechselwirkung zwischen der Ausweitung der Elternverantwortung und der Verdrängung der gerichtlichen 613

Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 185. Ähnlich auch Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 8. 615 Grundsätzlich erfordert es der Kindeswohlbegriff, angesichts der inhaltlichen Unklarheit anhand der Person des Kindes und der Gesamtsituation einen Lebensplan für das Kind zu machen, an welchem das Verhalten der Eltern zu messen ist, vgl. dazu im Überblick Lempp NJW 1963, S. 1659; ders. ZfJ 1979, S. 49; Schwörer NJW 1964, S. 5. 616 So wurde bereits im Vorfeld der Reform darauf hingewiesen, dass die gemeinsame Sorge die gerichtliche Intervention durch Anlehnung an die gesetzliche Sorge zurückdrängt, vgl. Dietzen FamRZ 1987, S. 239. 617 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 41. 614

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Intervention. 619 Einerseits bewirkt die Aufwertung der elterlichen Eigenständigkeit, dass die Gerichte nicht mehr grundsätzlich zur sorgerechtlichen Gestaltung des Familienumbruchs berufen sind. 620 Die eigenständige Regulierung wird gegenüber der gerichtlich kontrollierten Gestaltung zunächst bevorzugt. 621 Andererseits wird die Elternposition aufgewertet, indem sich ihr mit dem Zurückdrängen der Gerichte aus den Familien auch mehr Freiraum bietet. Dieser Umwertung liegt vor allem der Schutz des Kindes vor der staatlichen Intervention zugrunde. 622 Die Prioritäten des Kindeswohls werden damit gegenüber der vorangegangenen Rechtslage signifikant verlagert. Anstelle des Schutzes durch die Gerichte vor den Eltern tritt demzufolge nun vorrangig der Schutz des Kindes durch die familiäre Eigenständigkeit vor der Verunsicherung staatlich autoritärer Einwirkung von außen. In der Abwägung der trennungsbedingten Gefahren, die sich aus dem unkontrollierten Konflikt und aus der extensiven Intervention ergeben, wird nun die der staatlichen Einwirkung auf die Familie von außen als schwerwiegender eingeschätzt. 623 Hier wirkt sich zum einen aus, dass ein Verfahren über die Sorgerechtsübertragung vielfach einen Konflikt der Parteien erfahrungsgemäß steigert und zu einer irreversiblen Verhärtung der Fronten mit der Behinderung zukünftiger Koopera618 Vgl. zu dem zugrunde liegenden Grundsatz, die Beeinträchtigungen und Belastungen des Kindes so gering wie möglich zu halten schon OLG Düsseldorf FamRZ 1995, S. 1511 =NJW-RR 1996, S. 390; OLG Stuttgart FamRZ 1991, S. 1220. 619 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 67, der darauf verweist, dass die Leistungsfähigkeit des Staates bei der Umsetzung des Kindeswohls herkömmlich weit überschätzt worden ist; jedenfalls gerichtliche Intervention gegenüber elterlichen Einigkeit kaum geeignet sind, die Kindessituation real zu verbessern. 620 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 8 f; Coester FamRZ 1996, S. 1181 (1183). 621 Vgl. dazu auch § 52 FGG, wonach auch während des Verfahrens das Gericht „so schnell wie möglich und in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Beteiligten hinwirken“ soll. In den Erläuterungen zum Regierungsentwurf (BT-Drucks. 13/4899, S. 133 = Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 328) heißt es: „Im Interesse der von entsprechenden Verfahren in erster Linie betroffenen Kinder hat eine Lösung des Konflikts durch Verständigung der Elternteile eine besonders große Bedeutung. Die Kinder sind häufig auch durch die Gerichtsverfahren erheblichen Belastungen ausgesetzt, so durch die richterliche Anhörung sowie die mit dem Sachverständigen, die durch die Zeitdauer eines solchen Verfahrens und eventuelle Wiederholungen entsprechender Verfahrenshandlungen in der nächsten Instanz noch verstärkt werden können. Die Belastungen können fortbestehen, wenn strittige ergangene Entscheidungen später mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Die gerichtliche, aber auch die außergerichtliche Streitbeilegung, wie sie das Ziel der Beratung durch die Beratungsstellen außerhalb des Gerichts darstellt, lässt zugleich eine Entlastung des Gerichtes von häufig aufwendigen und rechtsmittelträchtigen Verfahren erwarten.“ 622 Vgl. speziell zu der Kindesbelastung durch das Sachverständigengutachten Fegert FPR 1997, S. 67 ff, der in dem Spannungsverhältnis zwischen der Kindeswohlorientiertheit des Verfahrens und der damit geschaffenen Belastung des Kindes „einen blinden Fleck“ des Kindeswohls sieht. 623 Im Ergebnis so auch Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 8.

IV. Beurteilung des Kindeswohls gem. § 1687 Abs. 2

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tion führt. 624 So entsteht darin eine Situation, welche die Parteien zum Kampf um das Kind provoziert, sei es, dass sie sich vor der staatlichen Autorität zur Legitimation ihrer eigenen Stellung berufen sehen oder dass sie innerhalb der Phase emotionaler Betroffenheit im Verfahren eine Möglichkeit sehen, sich am ehemaligen Partner zu rächen. 625 Neben der damit einhergehenden mittelbaren Auswirkung auf das Kind stellt die Intervention unmittelbar eine starke Verunsicherung des Kindes dar, das weder deren Rechtfertigung noch die sich daraus ergebenden Folgen einordnen kann. 626 Familiäre Eigenständigkeit verdrängt jetzt die staatliche Fremdbestimmung. 627 Der gerichtliche Schutz vor den Eltern wird damit zwar verkürzt, aber dem Schutz des Kindes durch die Eltern auch nach der Trennung Vorrang eingeräumt. Damit werden sowohl den Eltern als auch dem Gericht neue Rollen zugewiesen. Anstelle einer prophylaktischen Konfliktvermeidung wird nun das Gericht erst zur Beilegung eines akuten und konkreten Konfliktes berufen. 628 Dies knüpft an den Gedanken der Flexibilisierung der Trennungssorge an. Die autoritäre Übertragung der Sorge durch das Gericht erschwert oftmals einen unvoreingenommenen Anpassungsprozess. 629 Auch wenn § 1696 stets eine Änderung der hoheitlichen Entscheidung bei einschneidenden Veränderungen ermöglicht, haben sich die gerichtlichen Vorgaben bereits bei der Sorgerechtsausübung in der Vergangenheit ausgewirkt und erschweren eine Umgestaltung. Hinzu kommt, dass eine prophylaktisch Intervention auf Prognoseentscheidungen beruht, die durch die verbindliche Funktionszuweisung kaum den wandelnden Bedürfnissen im Laufe der Entwicklung des Kindes gerecht werden kann. Erst der akute Konflikt rechtfertigt eine solche Einschränkung und gibt nunmehr die gebotenen Anhaltspunkte für eine angemessene Regulierung, die nicht auf ungesicherten Vermutungen basiert. b) Einzelfallbezogene Kindeswohlbetrachtung und tolerierte Regelungslücken Vor dem Hintergrund dieses Kindeswohlverständnisses hat sich die Ausrichtung des wächteramtlichen Schutzauftrages verändert. 630 Die Ausübung der staatlichen Wächteramtsfunktion ist also nicht mehr in erster Linie auf eine aktive Durch624

Vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/4899, S. 62 f. Vgl. auch die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 13/4899, S. 74. 626 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 67. 627 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 68; ders. FamRZ 1996, S. 1181 (1184), der von Förderunge der Elternkompetenz anstelle gerichtlich verordneter Ersatzlösungen spricht. 628 Im Ansatz so auch OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042). 629 Vgl. ähnliche Argumentation gegen die Pflicht zur Erstellung eines Sorgerechtsplan: BT-Drucks. 13/4899, S. 64 = Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 45. 625

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

setzung des Kindeswohls gerichtet, sondern beschränkt sich auf verschiedene Instrumentarien der repressiven Korrektur. Im Übrigen obliegt es dem Staat im Vorfeld, den verfassungsrechtlich verankerten Schutzauftrag durch gesetzliche Rechtsgestaltung wahrzunehmen. Die Eingriffsinstrumentarien sind dann auf die wirksame Wahrnehmung einzelner Schutzbereiche des Kindeswohls gerichtet, die sich anhand des Einzelfalls als abweichend und regelungsbedürftig herausstellen. Dabei ist § 1687 Abs. 2 darauf gerichtet, diejenige Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden, die sich aus der Aufteilung der elterlichen Sorge in Einzelzuständigkeiten ergibt. Der Eingriffstatbestand ist also das unmittelbare Pendant zur tatbestandlichen Regulierung und ist damit dort auf Ausgleich gerichtet, wo sich die standardisierten Praktikabilitätserwägungen als unsachgemäß erweisen. Dabei ist der gerichtliche Entscheidungsspielraum eng abgesteckt. So ist allein die Übertragung einer Einzelzuständigkeit in eine gemeinschaftliche Entscheidungszuständigkeit vom Eingriffstatbestand des § 1687 Abs. 2 erfasst. Eine Übertragung der Alleinzuständigkeit auf den anderen Elternteil richtet sich demgegenüber direkt nach § 1671. Hier steht nicht die Aufhebung der alleinigen Befugnis im Vordergrund, sondern die Übertragung einer teilweisen Alleinsorge als Umgewichtung der Funktionsaufteilung außerhalb des Bereichs der gemeinsamen Sorge. 631 Der Eingriffstatbestand setzt damit unmittelbar den wächteramtlichen Auftrag der Gerichte um, eine dem Einzelfall gerecht werdende Regelung der Trennungssorge sicherzustellen. Demgemäß wird das Gericht, wenn eine Korrektur des gesetzlichen Trennungstatbestands für das Kindeswohl als erforderlich erweist, nicht nur aufgrund eines Antrags, sondern auch von Amts wegen tätig. Dabei richtet es das Augenmerk auf den besonderen Schutzbereich, der insbesondere der Tatsache Rechnung trägt, dass gerade die Spaltung der Zuständigkeit trotz der Praktikabilitätserwägungen im Einzelfall dem Kindeswohl nicht dienlich sein kann. Dann entspricht die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl nur durch eine Annäherung an die partnerschaftliche Sorgerechtskonzeption. Zur konkreten Einschätzung des Kindeswohls sind sowohl die Zielsetzungen des § 1687 Abs. 1 als auch die allgemeine Entscheidungsvorgabe gem. § 1697a zu berücksichtigen. 632 Zusammengefasst heißt dies, dass die Erweiterung der gemeinsamen Entscheidungsbereiche auf die Bewahrung der intakten Beziehung des Kindes zu beiden Eltern, die Vermeidung tief greifender Eingriffe in die sorgerechtliche Rechtsstellung und auf die optimale Nutzung der Gegebenheiten und Möglichkeiten für die Umsetzung der Bedürfnisse des Kindes gerichtet sein soll. 633 630 Kritisch zur Aufhebung des Zwangsverbundes vgl. Lossen FuR 1997, S. 100, die darauf hinweist, dass auf diese Weise das zu wenig beachtete Entfallen des Verhandlungsverbundes dazu führe, dass die Interessen des Kindes nicht in das Verfahren eingebracht werden können. 631 Zum damit verbundenen abgestuften Eingriffsverhältnis im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vgl. BVerfG FamRZ 2004, S. 1015. 632 Vgl. dazu auch KG ZfJ 1999, S. 395.

IV. Beurteilung des Kindeswohls gem. § 1687 Abs. 2

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An einigen zentralen Fallkonstellationen sei der Anwendungsbereich des § 1687 Abs. 2 verdeutlicht. Eine trennungsbedingte Beschränkung der gemeinsamen Zuständigkeit kann mit dem Kindeswohl im Einzelfall aus Gründen nicht vereinbar sein, die sowohl in der Person des Kindes, eines Elternteils oder dem Verhältnis zwischen den Eltern begründet liegen. In Hinblick auf die Person des Kindes sind im Wesentlichen zwei Konstellationen denkbar. Zum einen ist eine besondere Bindung des Kindes zu einem Elternteil ein Gesichtspunkt, der eine Ausweitung seiner Mitwirkung an der Erziehung erforderlich machen kann. So ist es das kindliche Sicherheitsbedürfnis und die Gewissheit einer weitreichenden beidseitigen Entscheidungsfindung, die sowohl das Wohlbefinden des Kindes als auch seine Akzeptanz für Erziehungsmaßnahmen bestimmen. Hier muss überdies berücksichtigt werden, dass vielfach nur auf diese Weise eine kindliche Gegenreaktion verhindert werden kann, mit der sich das Kind vom punktuell unzuständigen Elternteil abwendet, weil es sich vernachlässigt oder gar verlassen glaubt. Diese Überlegung berücksichtigt, dass die gemeinsame Sorge in erster Linie dazu geeignet ist, das Verlustgefühl des Kindes zu verhindern und daher maßgeblich dessen Fürsorgebedürfnis abzudecken. Ähnliche Gesichtspunkte können sich auswirken, wenn das Kind schwer erziehbar ist oder altersbedingt einseitige Entscheidungen gegenüber dem Kind erschwert durchsetzbar sind. Dies leitet zu einem Kriterium in der Person eines Elternteils über. So kann ein Sorgeberechtigter etwa mit der Einzelzuständigkeit überfordert sein, ohne dass dies etwa die Sorgerechtsstellung iSd § 1674 Abs. 1 in Frage stellt. Nicht die Person des Sorgeberechtigten, sondern die besonderen Anforderungen im Verhältnis zum Kind führen zu Defiziten und Schwächen eines Elternteils, die eine Ergänzung und den Rückhalt des anderen Elternteils erfordern können. Auch eine defizitäre persönliche Konstitution eines Teils, die noch keine unmittelbare Kindesgefährdung darstellt, wohl aber eine Fehlentwicklung befürchten lässt, kann die Mitwirkung des anderen Elternteils nahe legen. In solchen Fällen führt die der gesetzlichen Trennungssorge zugrunde liegende Praktikabilität zu einer sachwidrigen Gewichtung. Mit Blick auf die grundsätzliche Zielsetzung, die beiderseitige Elternverantwortung zu bewahren, ist die Einbeziehung des zunächst unzuständigen Elternteils das mildere Mittel gegenüber der ihm anderenfalls zu übertragenden (teilweisen) Alleinsorge. 634 Jedoch genügt es in diesem Zusammenhang wohl nicht, dass der gesetzlich unzuständige Elternteil 633 Vgl. auch AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (323); zur Nutzung der Potentiale zweier gleichermaßen eingeschränkt geeigneter Eltern durch gezielte Ergänzung ihrer Möglichkeiten vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 185. 634 Vgl. OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 258; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; OLG München FamRZ 1999, S. 111 (112); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 393 (394); vgl. dazu auch Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1105); OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 567; ähnlich auch OLG Bamberg MDR 1999, S. 615; zur Verhältnismäßigkeit der Eingriffe durch die teilweise Alleinsorge vgl. auch Bode FamRZ 1999, S. 1400; BVerfG FamRZ 2004, S. 1015; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 184 f.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

dem anderen lediglich überlegen ist. Es geht nicht um die bloße Optimierung der elterlichen Ressourcen, sondern um ein unverzichtbares Ausgleichsbedürfnis, sei es aufgrund emotionaler Instabilität, intellektueller Mankos oder körperlicher Handikaps. Schließlich ergibt sich eine dritte Kategorie aus den äußeren Umständen und dem Verhältnis der Eltern untereinander. Sowohl vorherige Praxis der Zuständigkeiten als auch die enge faktische Verzahnung der Erziehungsbeiträge kann die Wahrung der Kontinuität und der Einheit der Erziehungsgestaltung davon abhängig machen, dass die gemeinsame Zuständigkeit fortgesetzt wird. Eine konsequente Trennung der einzelnen Sorgerechtsbereiche ist in diesen Fällen weder praktikabel noch unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls vertretbar. Zu diesem Ergebnis kann man auch kommen, wenn die Erweiterung der gemeinsamen Entscheidungszuständigkeit einen Kompetenzkonflikt zwischen den Eltern beseitigt oder ihm vorbeugt. Dabei ergibt sich die Kindeswohlerwägung nicht direkt aus der Sorgerechtsausübung selbst, sondern aus der Prognose, dass die Be- und Abgrenzung der gemeinsamen Zuständigkeit zu Auseinandersetzungen führen wird. Wenn es in diesen Fällen zuverlässige Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine über den gesetzlichen Rahmen hinausgehende Kooperation diesem gegenüber weniger Konflikte erwarten lässt, so kann zumindest dann die Erweiterung des gemeinschaftlichen Sorgerechtsbereiches erforderlich sein, wenn die zu erwartende Auseinandersetzung voraussichtlich eine Belastungen des Kindeswohls nach sich ziehen würde.

V. Tatsächliche Rechtspraxis des § 1687 und empirische Untersuchung zur Umsetzung des KindRG Die Vorschrift des § 1687, mit der die gemeinsame Sorge als gesetzliche Sorgerechtsform bei Trennung und Scheidung eingeführt wurde, ist nun seit 1998 in Kraft. Neben der rechtlichen Einschätzung des Tatbestandes beginnt sich damit auch eine neue Sorgerechtsrealität abzuzeichnen, die Anhaltspunkte für die tatsächliche Auswirkung der gesetzlichen Trennungssorge auf die Sorgerechtspraxis geben kann. Denn erst im Rahmen der konkreten Anwendung der gesetzlichen Trennungssorge gem. § 1687 lässt sich erkennen, in welcher Weise diese Norm tatsächlich auf die Praxis Einfluss nimmt. Dies liegt vor allem auch daran, dass die rechtliche Auseinandersetzung mit den Tatbestandsmerkmalen des § 1687 in Literatur und Rechtsprechung zunächst am Konflikt orientiert ist, während sich die konfliktfreie Anwendung der Beurteilung entzieht. Erst die Rechtsanwendung außerhalb der gerichtlichen Regulierung vervollständigt damit den Einblick und lässt Aufschlüsse über das Verhältnis zwischen der Alleinsorge und der gemeinsamen Sorge sowie zwischen der reibungslosen Regulierung der gemeinsamen Trennungssorge durch das Gesetz und ihre gescheiterten Anwendungsbereiche zu. Vor diesem Hintergrund erst lässt sich ermessen, ob die Vorschrift den Rechts-

V. Rechtspraxis des § 1687 und Untersuchung zur Umsetzung

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bereich sinnvoll erfasst, den Regelungsbedürfnissen der Betroffenen gerecht wird und inwieweit die gesetzliche Vorschrift das Verhalten der Betroffenen gegenüber früherer Anwendung der gemeinsamen Sorge verändert hat. Den zentralen Anknüpfungspunkt zu diesen Fragestellungen bietet eine empirische Erhebung von Proksch, welcher im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz unter dem Titel „Begleitforschung zur Umsetzung des Neuregelung zur Reform des Kindschaftsrechts“ zunächst im Mai 2000 und Juli 2001 Zwischenberichte und später im März 2002 einen Schlussbericht erstellt hat. 635 So sollte nach dem Forschungsvorhaben des Bundesministeriums der Justiz im Anschluss an das Inkrafttreten des KindRG festgestellt werden, welche Erfahrungen in der Praxis mit der Neuregelung gesammelt und welche langfristigen Auswirkungen der gemeinsamen Sorge nach Trennung der Eltern sich abzeichnen. 636 Auf diese Weise sollte geprüft werden, ob eine Weiterentwicklung des Reformgesetzes erforderlich ist. 637 Das Augenmerk richtete sich dabei auf die Lebenslagen der Kinder nach Trennung und Scheidung unter psychischsozialen bzw. ökonomischen Gesichtspunkten sowie die Auswirkung der gemeinsamen Sorgerechtsausübung auf deren Entwicklung und Wohlergehen. 638 Dabei steht im Vordergrund der folgenden Betrachtung, welchen Stellenwert die gemeinsame Sorge in der heutigen Umsetzung der Trennungs- und Scheidungssorge einnimmt und in welchem Verhältnis die gesetzliche Regulierung nun zum Antragsverfahren gem. § 1671 bzw. der Übertragung der Alleinsorge steht. 1. Empirische Erhebungen über die Anwendung des KindRG Ausgangspunkt der Studie war die Grundprämisse, dass Kinder, deren Eltern nach der Scheidung kooperieren können, am wenigsten Probleme haben, die Scheidungsfolgen zu bewältigen, wobei die gemeinsame Sorge die dazu geeigneten Rahmenbedingungen schaffe. 639 Der nationalen und internationalen Forschung zufolge entlaste die gemeinsame Sorge das Scheidungsverfahren und fördere das Kindeswohl, indem die Kommunikation und Kooperation der Eltern nach der 635 Vgl. auch im Internet unter http://www.bmj.bund.de/media/archive/203.pdf bzw. /204.pdf für den ersten Zwischenbericht Mai 2000 (im Folgenden: Begleitforschung Zwischenbericht 1/I und II) bzw. 201.pdf sowie 202.pdf für den 2. Zwischenbericht in Juli 2001(im Folgenden: Begleitforschung Zwischenbericht 2/I und II) sowie schließlich 200.pdf für den Abschlussbericht 2002 (im Folgenden: Begleitforschung Abschlussbericht). 636 Vgl. dazu Motzer FamRZ 2004, S. 1145. 637 Vgl. Kostka, FamRZ 2004, S. 1924. 638 Vgl. Kostka, FamRZ 2004, S. 1924. 639 Vgl. Proksch Begleitforschung Zwischenbericht 1/II, S. 39, 46, 129; vgl. in diesem Zusammenhang die kritischen Anmerkungen Kostka, FamRZ 2004, S. 1924 f auch unter Verweis auf abweichende Einschätzungen der gemeinsamen Trennungssorge mwN; vgl. auch Furstenberg / Cherlin S. 72; Maccoby / Mnookin, FamRZ 1995, S. 1 f.

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Scheidung verbessert werde. 640 In der Konsequenz stelle das KindRG die Aufrechterhaltung und Förderung des Eltern-Kind-Verhältnisses in den Vordergrund der Abwägung der Kindesinteressen und führe daher ein Umgangsrecht des Kindes mit jedem Elternteil ein. 641 Auf diese Weise solle die Erkenntnis rechtlich umgesetzt werden, dass Kinder, die geringen oder keinen Kontakt zum nichtbetreuenden Elternteil pflegen, gegenüber den Kindern mit regelmäßigem Kontakt zu beiden Eltern deutlich mehr Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen aufweisen. 642 Die vorliegende Begleitforschung zur Anwendung des KindRG basiert auf einer flächendeckenden Befragung aller Eltern 643, deren Ehe im 1. Quartal 1999 in Deutschland rechtskräftig geschieden wurde. 644 So fanden im Jahre 1999 insgesamt 92.962 Scheidungen von Eltern mit gemeinsamen Kindern statt und im Jahre 2000 87.630, wobei im ersten Jahr davon 47.615 oder 51,22% keinen Sorgerechtsantrag stellten, während es im Folgejahr es 60.771 oder 69,35% waren. 645 Die Rückläufe der Fragebögen lagen bezüglich der ersten Befragung bei 20,2% und bezüglich der zweiten Befragung bei 43,7%. 646 Anwendungsbereiche im Rahmen von Trennungen nicht verheirateter Eltern wurden in diesem Zusammenhang also nicht berücksichtigt, so dass sich die Auswertungen auf nacheheliche Trennungssorge beschränken. Die Befragung teilte sich in drei Abschnitte. So wurden die Beteiligten 8 –10 Monate nach der Scheidung das erste Mal befragt. 647 Mit diesem Zeitpunkt sollte gewährleistet werden, dass die Betroffenen bereits eine gewisse Distanz zum Scheidungsereignis finden konnten und dadurch in der Lage waren, die Situation reflektieren sowie bereits erste Erfahrungen mit der neuen Lebenssituation sammeln zu können. Eine zweite Welle der Befragung derselben Eltern fand dann ca. 24 Monate nach der Scheidung statt, um erste Gewöhnungseffekte abschätzen 640

Vgl. Proksch Begleitforschung Zwischenbericht 1/II, S. 130. Vgl. Proksch Begleitforschung Zwischenbericht 1/II, S. 79. 642 Vgl. Proksch Begleitforschung Zwischenbericht 1/II, S. 88, sowie ders. Begleitforschung Zwischenbericht 2/II, S. 107 sowie ders. Begleitforschung Abschlussbericht, S. 139. 643 Insgesamt nahmen 7.008 Eltern (erste Befragung) und 4.373 Eltern (zweite Befragung) sowie 809 Richterinnen und Richter, 904 Rechtsanwälte und 301 Jugendämter an der Erhebung teil, vgl. Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 10. 644 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 3. 645 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 14. 646 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 176; vgl. dazu auch Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 8; Inwieweit sich bereits aufgrund des Kriteriums der Mitwirkungsbereitschaft eine spezifische Auswahl der Teilnehmer ergibt kann m.E. nicht ausgeschlossen werden. Dies wird jedoch bei der Beurteilung der Studienergebnisse nicht weiter problematisiert. 647 Der Zeitraum der ersten Welle lag zwischen November 1999 bis Februar 2000. 641

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zu können. 648 Darin sollte vor allem ermittelt werden, ob sich seit der 1. Befragung Veränderungen eingestellt haben, neue Tendenzen erkennbar oder alte bestätigt wurden. Desweiteren sollte festgestellt werden, ob und welche Entlastungen der Justiz, Jugendämtern oder Betroffenen erkennbar sind, wie die Beratungsmöglichkeiten in diesem Zusammenhang angenommen wurden und wie letztere zur Konfliktbewältigung beitragen konnten. 649 Schließlich wurden in einer dritten qualitativen Zusatz-Befragung im Rahmen eines individuellen Interviews einzelne Teilnehmer 650 konzentriert auf ihre Einschätzung angesprochen. Die Interviews wurden anhand eines Leitfadens vorstrukturiert und betrafen im Wesentlichen den Partnerschaftsverlauf und das Empfinden bei Trennung und Scheidung, Konflikte sowie Konfliktregelungen, insbesondere die getroffene rechtliche Regelung zu Umgang, Sorge und Unterhalt, die subjektiven Belastungen und Situation des Kindes gegenüber dem anderen Elternteil sowie schließlich die Erfahrung mit Gerichten und Jugendhilfe. Zusätzlich wurden Experten ab Juli 2001 zu ihren Erfahrungen befragt. Inhaltlich richtete sich die Untersuchung vorwiegend auf drei Themenkomplexe. 651 Der erste bezog sich auf die tatsächliche Lebenslage der betroffenen Kinder und Eltern, insbesondere ihre psychologische und ökonomische Situation nach Trennung und Scheidung, ihr persönliches Krisenempfinden und die spezifischen Probleme infolge der Trennung. Der zweite Themenkomplex betraf die Gestaltung des Sorgerechts, die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Sorgerechtsform und die nachträgliche Einschätzung dieser Entscheidung. Hier wurden Beweggründe und Auswirkungen der gemeinsamen bzw. der alleinigen Sorge untersucht und verglichen. Als Anknüpfungspunkte dienten die konkrete Umsetzung von Entscheidungsprozessen, die Unterscheidung von Alleinzuständigkeiten und wesentlichen Entscheidungen im Rahmen der gemeinsamen Sorge sowie die Beurteilung der bestehenden Kontakte und Erziehungsmitwirkung aus der Sicht beider Eltern. In dem dritten Themenkomplex richtete sich der Blick auf die Verfahrensgestaltung. So wurde geprüft, ob Kinder und Eltern während des Scheidungsprozesses beteiligt wurden, welche Bedeutung der Beratung im Zusammenhang mit der Sorgerechtsgestaltung zukam und welche Erfahrungen in der Praxis (Familiengerichte, Rechtsanwälte, Jugendämter und Beratungsstellen) mit der Anwendung der neuen Regelungen des KindRG gemacht wurden.

648

Der Zeitraum der zweiten Befragung fand ab März bis 15. April 2001 statt. Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S. 5. 650 Je 25 Mütter, Väter und Kinder. 651 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S. 4, Abschlussbericht 2002Gesamtergebnis, S. 3. 649

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2. Ergebnisse der Studie Die Begleitstudie hat als erste Erhebung seit dem Inkrafttreten des KindRG erste Anhaltspunkte für die konkrete Rechtsanwendung gegeben. Demnach erreichte die gemeinsame Sorge im Jahre 2000 im Bundesdurchschnitt eine Verteilung von 69,35%. 652 Unter Berücksichtigung der gerichtlichen Übertragungen der gemeinsamen Sorge ergab sich für dieses Jahr sogar 75,54%. 653 Gegenüber der letzten justizstatistischen Erhebung für den Zeitraum vom 1. Juli 1994 bis 30. Juni 1995 über die Lage nach alter Rechtslage, die eine Verbreitung der gemeinsamen Sorge von 17,07% auswies, führt dies zu einer Steigerung von 442%. 654 Damit hat sich die gemeinsame Trennungssorge als die überwiegend übliche Sorgerechtsform nach neuer Rechtslage durchgesetzt. Im Zweifel entscheiden sich die Eltern demnach für die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge, auch wenn sie dies nicht als die optimale nacheheliche Gestaltung der elterlichen Verantwortung ansehen. 655 Das heißt, die Mehrzahl der betroffenen Eltern erkennen diese Sorgerechtsform zumindest als die bessere Alternative an, innerhalb derer sie als Eltern miteinander zu einer zufriedenstellenden Regelung in Bezug auf ihr Kind finden. Als Profil für die Teilnehmer ergaben sich folgende Charakteristiken: Zunächst setzte sich die Mitwirkung zu 64% aus Eltern mit gemeinsamer und zu 34,2% aus Eltern mit Alleinsorge zusammen. 656 Die betroffenen Eltern hatten ein Durchschnittsalter von 37,0 Jahren, wobei die Väter regelmäßig älter waren als die Mütter. 657 Dabei wiesen die Eltern, die sich für die gemeinsame Sorgerechtsform entschieden, ein durchschnittlich etwas höheres Alter aus als bei Alleinsorge. 658 Dies mag zum Teil auch daran liegen, dass die Quote bei Alleinsorge für eine kürzere Ehezeit von 3 bis 7 Jahren höher lag, während sich die Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht häufiger als bei Alleinsorge erst nach 16 bis 25 Jahren scheiden 652 So stieg der Anteil an gemeinsamer Sorge von 1999 51,22% auf 69,35% im Jahr 2000, was eine steigende Akzeptanz der Betroffenen für die gesetzliche Sorgerechtsregulierung anzeigt, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 218; dazu auch Motzer FamRZ 2004, S. 1145. 653 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 6; vgl. auch Zwischenbericht II (2001), S. 14, 177, wonach der entsprechende Wert im Jahre 1999 bei 70,10% lag; vgl. dazu auch Motzer FamRZ 2004, S. 1145. 654 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 6. 655 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 6. 656 Hier waren es 61,1% Mütter und 38,5% Väter mit gemeinsamer Sorge sowie 69,4% Mütter und 30,3% Väter mit Alleinsorge, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 13. 657 Die Scheidungseltern in den alten Bundesländern sind mit 37,2 Jahren etwas älter als in den neuen Bundesländern mit durchschnittlich 35,8 Jahren, was offenbar auch geringerem Alter bei der Eheschließung zusammenhängt, bei der die Beteiligten durchschnittlich 3 Jahre jünger waren als in den alten Bundesländern, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 28; ders. erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 20. 658 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 28.

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ließen. 659 Schließlich zeigte sich eine geringfügige Abweichung zu Gunsten der Alleinsorge bei den Eltern, die nicht zum ersten Mal verheiratet waren. 660 Demgegenüber zeigte sich eine höhere Bereitschaft zur neuen Partnerschaft innerhalb eines Jahres seit der Scheidung bei Eltern mit gemeinsamer Sorge. 661 Die durchschnittliche Zahl der gemeinsamen Kinder aus der geschiedenen Ehe betrug 1,8. 662 Die betroffenen Kinder 663 waren 2001 durchschnittlich 11,4 Jahre (das erste) bzw. 10,1 Jahre alt (das zweite Kind). 664 Dabei zeigt sich, dass auch nach der Gesetzesreform der Lebensmittelpunkt der Kinder insgesamt ganz überwiegend bei ihren Müttern lag und sie von diesen auch überwiegend betreut wurden. 665 85,2% der ersten Kinder 666 und 87,2% der zweiten Kinder 667 lebten bei der Mutter, 10,7% der ersten 668 und 9,4% der zweiten Kinder 669 lebten beim Vater. 670 Die ungleiche Belastung erwies sich vielfach als Folge der Rollenverteilung 659 Durchschnittliche Ehedauer der Eltern mit gemeinsamer Sorge lag bei Vätern bei 12,9 und bei Müttern bei 12,7 Jahren, demgegenüber mit Alleinsorge bei den Vätern bei 12,7 und den Müttern bei 11,8 Jahren, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 29; dazu kritische Anm. von Kostka FamRZ 2004, S. 1924 (1926), wonach daraus abgeleitet werden könne, dass die Ausgangssituation der Beteiligten sehr viel schwerer war, was jedoch von der Untersuchung völlig unberücksichtigt blieb. 660 So gaben 89,5% der Eltern in gemeinsamer Sorge an, dass es sich bei der geschiedenen Ehe um ihre erste handelte, während dies bei Alleinsorge nur 83,8% der Eltern angaben, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 28; vgl. hierzu auch kritische Anm. von Kostka FamRZ 2004, S. 1924 (1926). 661 So bestand bei Eltern eine neue Partnerschaft bei gemeinsamer Sorge zu 61,5% und bei Alleinsorge zu 56,8%, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 29 f. Eine weitere Unterscheidung ergibt sich hinsichtlich der Tatsache, ob ein Elternteil die Kinder betreut. Danach ergab sich in beiden Sorgerechtsformen eine höhere Bereitschaft zur erneuten Bindung seitens der Eltern, die ohne die Kinder lebten, wobei hier im Vergleich der Sorgerechtsformen die Eltern in gemeinsamer Sorge deutlich höher lagen als die Eltern in Alleinsorge, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 30. 662 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 22; vgl. auch Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 17. 663 Davon waren 48,2% Mädchen und 51,6% Jungen, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 21. 664 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 22. 665 Die Übertragung der Alleinsorge erging aus allen Sorgerechtsfällen in 1999 zu 2,8% auf den Vater (2001: 3,0%) und zu 31,0% auf die Mutter (2001: 32,5%), vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 22. 666 Davon entfielen 82,2% aus gemeinsamer Sorge und 91,9% aus Alleinsorge, Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 25 f. 667 Davon entfielen 83,9% auf gemeinsame Sorge und 94,8% aus Alleinsorge, Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 25 f. 668 Dies entspricht einer Quote von 12,5% bei gemeinsamer Sorge und 6,5% bei Alleinsorge, Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 25 f. 669 Dies entspricht einer Quote von 11,7% bei gemeinsamer Sorge und 3,7% bei Alleinsorge, Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 25 f.

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aus den Zeiten der Ehe oder beruhte auf dem ausdrücklichen Wunsch der Mütter, die alltägliche Betreuung zu übernehmen, obgleich die Väter eine gleichwertige Betreuungsmöglichkeit boten. 671 Es kam im Untersuchungszeitraum nicht zu erheblichen Veränderungen der ursprünglichen Sorgerechtsregelungen. 672 So wurde im Rahmen der Alleinsorge insgesamt bei 1,4% für das erste Kind und 1,3% für das zweite Kind eine Sorgerechtsveränderung gewünscht, während sich dies hinsichtlich der gemeinsamen Sorge auf 0,2% bzw. 0,3% beschränkte. 673 Die tatsächlich vollzogenen Veränderungen waren geringer und bestanden zu 0,5% im bloßen Wechsel des Elternteils bei fortbestehender Alleinsorge, einem Wechsel von gemeinsamer Sorge zur Alleinsorge der Mutter in Höhe von 0,4% und 0,0% auf den Vater, sowie einem Wechsel von Alleinsorge der Mutter auf gemeinsame Sorge in Höhe von 0,2% und 0,1% bei vorheriger Alleinsorge des Vaters. 674 Vor dem Hintergrund dieser äußeren Verhältnisse ergaben sich erste Anhaltpunkte für die Einschätzung der gesetzlichen Trennungssorge in der Praxis. Ziel der Untersuchung war es insbesondere, Informationen über die tatsächliche Lebenslage der Kinder innerhalb der jeweiligen Sorgerechtsformen, die langfristigen Auswirkungen der gemeinsamen Sorge oder der Alleinsorge und schließlich die Erfahrungen der Praxis über die Anwendung des neuen Kindschaftsrechts zu bekommen. 675 Auf diese Weise sollten vor allem die Wechselwirkung zwischen der Gesetzesreform und dem Verhalten der Betroffenen sowie die unmittelbaren Auswirkungen auf die psychosoziale bzw. ökonomische Situation des Kindes ermittelt werden. Die folgende Auswertung konzentriert sich auf den Ursprung der Wahl der Sorgerechtsform, die konkrete Ausgestaltung des elterlichen Zusammenwirkens und schließlich die Zufriedenheit der Beteiligten mit der Sorgerechtssituation. a) Ursprung der gemeinsamen Trennungssorge Zunächst richtet sich das Augenmerk auf die Entscheidungsfindung der Eltern hinsichtlich der gewählten Sorgerechtsform. Denn durch die Gesetzesreform und die darin eingeführte Erweiterung der gesetzlichen Sorge nach Trennung und Scheidung gibt die Wahl der gemeinsamen Trennungssorge noch keine Auskunft über die Motivation der Eltern. Anhand der Befragung ist daher für die gemeinsame Sorge zugespitzt vor allem danach zu fragen, ob die Fortsetzung der gemeinsamen Elternverantwortung das Ergebnis einer bewussten Entscheidung 670 671 672 673 674 675

Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 179. Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 179. Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 23. Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 24. Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 24. Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S.9.

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oder etwa der bloße rechtliche Reflex aufgrund der veränderten Rechtslage war. Einer der Schwerpunkte des Vorhabens bestand daher darin, den Entscheidungsprozess der Betroffenen hinsichtlich der Sorgerechtsform und ihrer Ausgestaltung nachzuvollziehen. 676 Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang, welche äußeren Einflüsse auf die Eltern bestanden und inwieweit die spätere Sorgerechtsform auf die Einflussnahme zurückzuführen war. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt ist dabei zunächst die Kenntnis der Rechtslage. So erwiesen sich die Eltern mit gemeinsamer Sorge durchschnittlich besser informiert als die Eltern mit Alleinsorge. 677 Die Kenntnis bezog sich jedoch überwiegend auf § 1671 und das damit eingeführte Antragsverfahren, während die gesetzliche Ausgestaltung der Trennungssorge gem. § 1687 deutlich seltener bekannt war. 678 Die Akzeptanz dieser Neuregelung war generell recht hoch und wurde besonders positiv von Vätern innerhalb der gemeinsamen Sorge gewertet. 679 Angesichts dieses Kenntnisstandes lässt sich zunächst vermuten, dass die gemeinsame Sorge demzufolge in der Regel kein zufälliges Produkt eines gesetzlichen Automatismus, sondern vorwiegend die Folge einer bewussten Entscheidung darstellt. Darüber hinaus weist die erhebliche Verbreitung der gemeinsamen Sorge darauf hin, dass sich diese Sorgerechtsform nicht auf die Elternpaare beschränkt, die sich trotz der Scheidung besonders gut verstehen. 680 Einen Anknüpfungspunkt bietet in diesem Zusammenhang auch die Einschätzung der betroffenen Eltern über den Grund der Trennung. Bei beiden Sorgerechtsformen wurde insbesondere seitens der Mütter als Ursache für die Scheidung „Streit / Konflikt“ angegeben, ohne dass dies offenbar wesentlichen Ausschlag für die Wahl der Elternsorge gab. 681 Dieses 676

Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S.9. Kenntnis über den neuen § 1671 hatten insgesamt 89% aller Eltern. Dies traf auf Eltern mit gemeinsamer Sorge bei 92,8% zu, während bei den Eltern mit Alleinsorge ein signifikanter Unterschied bestand bei den Sorgerechtsinhabern (81,9% der Väter, 90,4% der Mütter) und den Nichtsorgeberechtigten (71,7% der Väter, 70,1% der Mütter). Keine Kenntnis von der Regelung hatten Alleinsorgeberechtigten bei den Vätern in Höhe von 13,4% und bei den Müttern in Höhe von 6,4%, vgl. dazu Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 76, 194. 678 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 87, 198; ders. erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 66 ff, 143. 679 Gut oder sehr gut werteten im Rahmen der Alleinsorge die Vorschrift des § 1671 22,2% der Mütter und 49,6% der Väter, während bei gemeinsamer Sorge 39,7% der Mütter und 76,3% (!) der Väter eine positive Einschätzung abgaben, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 77. 680 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 6. 681 Die vier wichtigsten Gründe für Trennung und Scheidung liegen übereinstimmend bei beiden Sorgerechtsformen im Auseinanderleben der Partner, einem neuen Partner, Streit / Konflikt sowie schließlich in Fehlverhalten durch Gewalt oder Untreue. Das Auseinanderleben wurde bei gemeinsamer Sorge von Vätern mit 65,4% und Müttern 64,4%, 677

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Kriterium lag bei Alleinsorge geringfügig höher als bei gemeinsamer Sorge. Das heißt, dass zumindest keine zwingende Harmonie der Eltern im Vorfeld der gemeinsamen Sorge als Voraussetzung der Wahl dieser Sorgerechtsform angenommen worden ist. Ein signifikanter Unterschied der Trennungsgründe bestand lediglich seitens der Mütter bei Alleinsorge, die mit einem deutlich höheren Prozentsatz das Fehlverhalten, also Untreue oder Gewalt des Ehepartners, als Trennungsgrund angaben. In der Folge lässt sich daraus zunächst schließen, dass die gemeinsame Sorge kein Sonderphänomen ausgesuchter Eltern darstellt. Dies wird auch bestätig durch die Tatsache, dass keine signifikanten soziodemographische Besonderheiten oder Präferenzen bei Bildung bzw. Einkommen auftraten. 682 So weisen zwar die Eltern mit gemeinsamer Sorge einen geringfügig höheren Bildungsstand auf. 683 Jedoch lässt sich daraus kein hinreichender Anhaltspunkt eines Elitemodells ableiten, da alle Bildungsgruppen annähernd gleichstark in beiden Sorgerechtsformen vertreten sind. 684 Die breite Akzeptanz der Sorgerechtsregelungen und fehlende spezifische Charakteristika bei gemeinsamer Sorge deuteten damit auf eine verbreitete Bereitschaft zur gemeinsamen Sorge hin, auch wenn diese Sorgerechtsform nicht als optimal angesehen wurde. Dies zeigt zumindest, dass die gesetzliche Regelung die Möglichkeit der Beibehaltung ohne allzu große Erwartungen gefördert hat. Zeigte sich demnach an der Befragung zunächst, dass sich die äußeren Bedingungen der Betroffenen hinsichtlich der Sorgerechtsform nicht signifikant voneinander unterschieden, stellte sich die Frage, worin die Beweggründe im Übrigen bei Alleinsorge bei Vätern mit 59,3% und Müttern mit 50,3% angegeben. Neuer Partner war bei gemeinsamer Sorge für 47,5% der Väter und 41,5% der Mütter ausschlaggebend, bei Alleinsorge zu 40,1% bzw. 34,9%. Streit und Konflikt waren bei gemeinsamer Sorge für 45,0% der Väter und 56,8% der Mütter maßgeblich, bei Alleinsorge entsprechend mit 51,2% bzw. 59,6%. Schließlich war Fehlverhalten durch Gewalt und Untreue bei gemeinsamer Sorge für Väter zu 13,3% und bei Müttern zu 30,4% entscheidend, demgegenüber bei Alleinsorge zu 18,8% bzw. 48,3%, vgl. Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 41 ff. 682 Vgl. Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 22, wonach 28,7% der Eltern mit gemeinsamer Sorge über Hochschulreife verfügen gegenüber 23,0% bei Alleinsorge, während 30,0% der Eltern mit gemeinsamer Sorge einen Hauptschulabschluss haben und 34.9% bei Alleinsorge. 683 So verfügten von den betroffenen Eltern über einen Haupt- und Realschulabschluss bei gemeinsamer Sorge 68,6% und bei Alleinsorge 72,7%, bei Hochschulreife lag dies bei 28,7% bzw. 23,0%. Hinsichtlich der Berufsausbildung verfügten über keinen Abschluss bei gemeinsamer Sorge 9,9% bzw. bei Alleinsorge 13,6%, über eine abgeschlossene Lehre 59,5% bzw. 62,3%, über einen Meister-Abschluss 8,4% bzw. 6,8% und schließlich über einen Hochschulabschluss 18,3% bzw. 12,0%, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 31 f. 684 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 180; kritisch dazu Kostka FamRZ 2004, S. 1924 (1926).

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für die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge oder der Beantragung der Alleinsorge bestanden. So war der vorrangig angegebene Beweggrund der Befragten für die Wahl der gemeinsamen Sorge, dass Vater und Mutter gemeinsam für das Kind verantwortlich bleiben sollen, gefolgt von der Einschätzung, dass der Kontakt zu beiden Eltern im Interesse des Kindes liege, während deutlich weniger Beteiligte gute Erfahrungen aus der Ehezeit und den Wunsch des Kindes als Motiv ihrer Sorgerechtswahl angaben. 685 Dabei fiel auf, dass gerade die nichtbetreuenden Elternteile höhere Quoten bei der Angabe dieser konstruktiven Beweggründe gegenüber den Angaben des betreuenden Elternteils erreichten. Teilweise oder vollständige Alleinzuständigkeiten wurden demgegenüber darauf zurückgeführt, dass die Eltern sich nicht einigen konnten 686, während ein insbesondere bei den Müttern höherer Prozentsatz auf viel Streit 687 oder einfach auf „es sei besser so“ 688 verwies. 689 Damit zeigt sich, dass sich die Entscheidung zu Gunsten der gemeinsamen Sorge stärker am Verhältnis der Eltern zum Kind orientiert, während die Alleinsorge vor allem durch das Verhältnis der Eltern untereinander und deren verhärteten Konflikt bestimmt ist. 690 Befragt nach den äußeren Rahmenbedingungen der elterlichen Sorgerechtsabsprache trafen 52,2% der Eltern mit gemeinsamer Sorge ihre Regelung außerhalb der Gerichte, 14,0% durch gerichtliche Entscheidung nach einem Alleinsorgeantrag, 19,1% aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs und 21,9% durch eine außergerichtliche Vereinbarung sowie schließlich 7,2% durch Mediation. 691 Dem685 Die angestrebte Verantwortung von Vater und Mutter wurden von den betreuenden Eltern mit 71,6% (Vater) bzw. 65,2% (Mütter), bei nichtbetreuenden Eltern 89,9% bzw. 88,2% angegeben. Kontakt im Kindesinteresse gaben die betreuenden Eltern mit 70,5% bzw. 68,8% und die nicht betreuenden Eltern mit 83,7% bzw. 84,6% an. Gute Erfahrungen aus der Ehezeit spielten bei betreuenden Eltern bei 18,6% bzw. 14,2% und bei nichtbetreuenden Eltern mit 30,6% bzw. 26,2% eine Rolle. Der Wunsch des Kindes war bei betreuenden Eltern zu 14,4% bzw. 8,0% und bei nichtbetreuenden zu 11,2% bzw. 15,9% ausschlaggebend, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 79. 686 Dies gaben 20,5% der Mütter und 39,6% der Väter an. 687 Dies gaben 28,9% der Mütter und 12,5% der Väter an. 688 Dies gaben 28,9% der Mütter und 34,0% der Väter an. 689 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 79. 690 So wurde in diesem Zusammenhang vorrangig angegeben, die Eltern hätten zu viel Streit / könnten nicht miteinander reden, bei betreuenden Eltern die Väter mit 30,7% und die Mütter mit 42,5%, bei den nichtbetreuenden Elternteilen die Väter mit 18,7% und die Mütter mit 37,3%. Als weiteren Grund für die Alleinsorge wurde Gewalt unter den Eltern angegeben, bei den betreuenden Elternteilen zu 5,5% bzw. 26,2% und bei den nichtbetreuenden Elternteilen mit 3,3% bzw. 14,9%. Schlechte Erfahrungen während der Ehezeit gaben bei den betreuenden Elternteilen die Väter mit 25,2% und die Mütter mit 39,0% an, entsprechend bei nichtbetreuenden Elternteilen 8,5% und 14,9%. Der Wunsch des Kindes war maßgeblich bei betreuenden Elternteilen für 27,6% bzw. 18,5% und bei nichtbetreuenden Elternteilen zu 3,9% bzw. 10,4% (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 80).

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gegenüber basieren allein 75,6% der Alleinsorgeregelung auf einem streitigen Sorgerechtsverfahren mit gerichtlicher Entscheidung. 692 Diese unterschiedlichen Einigungspotentiale bezüglich der Sorgerechtsformen zeigen eine gewisse Korrelation zur Einigung über die Scheidung 693, die bei Eltern mit gemeinsamer Sorge zu 76,0% und bei solchen mit Alleinsorge zu 60,4% außergerichtlich erzielt wurden, wobei die Absprachen bei Eltern mit gemeinsamer Sorge überwiegend eigenständig und bei Eltern mit Alleinsorge mit Hilfe von Anwälten erzielt wurden. 694 Diese Regelungsbereitschaft steht offenbar im Zusammenhang mit dem Scheidungsgeschehen, da sich die Wahrnehmungen der Gerichtsverhandlung bei den Eltern der beiden Sorgerechtsformen signifikant unterschieden. Während ein höherer Prozentsatz der Eltern mit Alleinsorge die Gerichtsverhandlung als den Ärger erhöhend empfand, wurde sie von Eltern mit gemeinsamer Sorge deutlich häufiger als nicht gespannt empfunden. 695 Doch auch außergerichtliche Hilfestellung durch Beratungsstellen unterschied sich bei den Sorgerechtsformen. 696 Im Ergebnis lässt sich damit zunächst festhalten, dass bei einer weitgehend vergleichbaren Einschätzung der Beweggründe für die Trennung und Scheidung bzw. der damit verbundenen Konfliktlage für Eltern beider Sorgerechtsforme bei der gemeinsamen Sorge den Eltern eine weniger angespannte Absprache der Elternsorge gelingt, die stärker am Kind orientiert wird und sich in einem entspannteren Verlauf des Scheidungsverfahrens fortsetzt. Auch wenn man daraus nicht zwingend schlussfolgern kann, dass die Regelung der gemeinsamen Sorge zur Entspannung des Elternverhältnisses insgesamt führt, so lässt sich zumindest vermuten, dass die Bereitschaft zur gütlichen Absprache den gesamten Lebenskomplex erfasst und deeskalierend wirkt. Äußere Hilfe bzw. das Delegieren der 691

Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 78, 195 f. Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 78, 195 f. 693 So stellen Eltern mit Alleinsorge häufiger als bei gemeinsamer Sorge im Rahmen der Scheidung streitige Anträge, insbesondere Mütter in Alleinsorge ergriffen häufiger die einseitige Initiative der Scheidung, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 184. 694 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 185. 695 So gaben Eltern mit gemeinsamer Sorge zu 20,1% an, dass das Gerichtsverfahren ihren Ärger erhöht habe, während dies 73,7% verneinten, demgegenüber bejahten die Frage bei Alleinsorge 29,7% und verneinten 63,6%. Das Gerichtsverfahren als gespannt nahmen bei gemeinsamer Sorge 36,3% wahr, als nicht gespannt 56,9%, während bei Alleinsorge 43,5% dies bestätigten und 48,0% die Spannung verneinten (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 168). In diesem Zusammenhang mag auch die Konfrontation durch gegnerische Anwälte gestärkt worden sein. So zeigte sich bereits zu Beginn der Befragung, dass Eltern mit Alleinsorge deutlich häufiger von eigenen Anwälten vertreten wurden, während sich Eltern mit gemeinsamer Sorge häufiger einen Anwalt teilten, vgl. Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 33 f. 696 Während zu Beginn Eltern mit gemeinsamer Sorge häufiger die Möglichkeit der Beratung in Anspruch nahmen, was allerdings bei der zweiten Befragung deutlich unter das Niveau der Alleinsorge sank, empfanden dies die Eltern mit Alleinsorge als weitaus größere Unterstützung, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 158 ff. 692

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Entscheidungen an Dritte ist demnach bei gemeinsamer Sorge weniger erforderlich. 697 Ob dies jedoch darauf zurückzuführen ist, dass die Eltern mit gemeinsamer Sorge von vornherein ein höheres Maß an Einigungsfähigkeit besitzen als Eltern mit Alleinsorge oder ob die Regelung der gemeinsamen Sorge zur Entspannung des Elternverhältnisses direkt beiträgt, kann nicht abschließend beurteilt werden. Lediglich die erhebliche Verbreitung der gemeinsamen Sorge lässt in diesem Zusammenhang vermuten, dass nicht nur die persönlichen Eigenschaften der Klientel für gemeinsame Sorge entscheidend sind, sondern auch das Verhaltens der Betroffenen durch die Wahl der Sorgerechtsform beeinflusst wird. b) Gestaltung der gemeinsamen Trennungssorge Zudem ist danach zu fragen, wie die Umsetzung der gemeinsamen Sorge funktioniert und wie die Zusammenarbeit der Eltern im Rahmen ihrer gemeinsamen Erziehungsverantwortung in der Praxis tatsächlich stattfindet. So versuchte die Befragung dafür Anhaltspunkte zu erlangen, wie sich die sorgerechtlichen Entscheidungsprozesse vollziehen, welche Kommunikationsstrukturen zwischen den Eltern bestehen und auf welche Weise die aufkommenden Konflikte bewältigt werden. Das Augenmerk richtet sich in diesem Zusammenhang zunächst auf die gemeinsamen Entscheidungen in wichtigen Angelegenheiten. Dabei zeigte die Befragung bezüglich der Thematiken, die von diesem abzustimmenden Bereich erfasst sind, dass die nichtbetreuenden Elternteile allen Einzelthemen mehr Bedeutung beimaßen als die betreuenden Elternteile, während umgekehrt der alltägliche Charakter bei den übrigen Bereichen stärker von den betreuenden Elternteilen angenommen wurde. 698 Im Vergleich zu Eltern in Alleinsorge maßen jedoch Väter und Mütter bei gemeinsamer Sorge gleichermaßen den verschiedenen Themenbereichen durchschnittlich größere Bedeutung zu. 699 Die Anerkennung des Abstimmungsbedarfes wurde dabei also auf hohem Niveau von beiden Elternteilen anerkannt. Als Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung wurden hier Entscheidungen über Schule 700, Berufsausbildung 701, Gesundheit 702, Aufenthalt 703, Umgang 704, Erziehung 705, Vermögen 706 und Sportarten 707 angesprochen. Die tatsächlich vollzogene 697 Vgl. zum Einigungspotential außerhalb gerichtlicher Verhandlungen Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 38 f. 698 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 88 f. 699 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 88 f. 700 Den bedeutsamen Charakter und das Abstimmungserfordernis bejahten bei gemeinsamer Sorge bei den Betreuenden 39,8% der Väter und 38,8% der Mütter, bei Eltern ohne die Kinder 59,0% bzw. 59,0%. 701 Den bedeutsamen Charakter und das Abstimmungserfordernis bejahten von den Betreuenden 55,3% der Väter und 48,4% der Mütter, bei Eltern ohne die Kinder 70,3% bzw. 70,3%.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Abstimmung in diesen Bereichen lag dementsprechend bei der gemeinsamen Sorge auch deutlich höher als zwischen Eltern bei Alleinsorge. 708 Die regelmäßige Beteiligung des nichtbetreuenden Elternteils wurde insgesamt bei gemeinsamer Sorge von 48,9% der Väter und 64,6% der Mütter bejaht, während dies bei Alleinsorge nur von 19,1% bzw. 46,2% angegeben wurde. 709 Die gemeinsame Sorge führt damit real zu einer stärkeren Einbindung des nichtbetreuenden Elternteils in die Entscheidungen über wichtige Erziehungsfragen, so dass sich die Vermutung einer rein formalen Rechtsstellung ohne tatsächliche Auswirkung, wie sie die Kritik an der gesetzlichen Trennungssorge aufgebracht hatte, in der Rechtspraxis nicht bestätigt hat. Dieses Bild bestätigt sich auch bei der Beurteilung der allgemeinen Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den Eltern. So erwies sich die gegenseitige Information über Belange des Kindes bei gemeinsamer Sorge als sehr viel übergreifender als bei Eltern mit Alleinsorge. 710 So gaben zumindest 16,8% der Eltern 702 Den bedeutsamen Charakter und das Abstimmungserfordernis bejahten von den Betreuenden 60,2% der Väter und 54,2% der Mütter, bei Eltern ohne die Kinder 75,1% bzw. 73,3%. 703 Den bedeutsamen Charakter und das Abstimmungserfordernis bejahten von den Betreuenden 51,1% der Väter und 51,8% der Mütter, bei Eltern ohne die Kinder 58,8% bzw. 62,1%. 704 Den bedeutsamen Charakter und das Abstimmungserfordernis bejahten von den Betreuenden 39,8% der Väter und 40,9% der Mütter, bei Eltern ohne die Kinder 53,2% bzw. 59,0%. 705 Den bedeutsamen Charakter und das Abstimmungserfordernis bejahten von den Betreuenden 40,2% der Väter und 42,6% der Mütter, bei Eltern ohne die Kinder 58,8% bzw. 66,2%. 706 Den bedeutsamen Charakter und das Abstimmungserfordernis bejahten von den Betreuenden 49,6% der Väter und 44,2% der Mütter, bei Eltern ohne die Kinder 56,1% bzw. 60,5%. 707 Den bedeutsamen Charakter und das Abstimmungserfordernis bejahten von den Betreuenden 49,2% der Väter und 46,7% der Mütter, bei Eltern ohne die Kinder 60,3% bzw. 65,68%. 708 So fand die Abstimmung über die Schulausbildung bei gemeinsamer Sorge in 53,0% und bei Alleinsorge in 19,4% der Fälle statt, bei Berufsausbildung in 12,0% bzw. 4,6%, bei Gesundheit in 56,0 bzw. 27,0%, bei Aufenthalt in 25,5% bzw. 12,5%, bei Erziehungsfragen in 27,3% bzw. 10,7%, bei Vermögen in 18,7% bzw. 6,8% und bei gefährlichen Sportarten in 13,3% bzw. 5,2% statt, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 89. 709 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 90 – demgegenüber wurde keinerlei Beteiligung des nichtbetreuenden Elternteils in gemeinsamer Sorge bei Vätern von 17,6% und Mütter von 5,6% angegeben, während das entsprechend bei Alleinsorge in 52,5% bzw. 6,6% galt. 710 So wurde etwa der Austausch bei Krankheit des Kindes in gemeinsamer Sorge seitens der betreuenden Elternteile von Vätern mit 60,9% und Müttern mit 58,4%, bei nichtbetreuenden Elternteilen seitens der Väter mit 59,5% und bei Müttern mit 50,7% angegeben. Bei Alleinsorge wurde hier entsprechend die Information bei 26,4% bzw. 29,2%

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in gemeinsamer Sorge an, über so ziemlich alles zu sprechen, während zumindest 59,3% ausschließlich Dinge besprachen, die das Kind betrafen. 711 Die Wahrnehmung hinsichtlich der verschiedenen Gesichtpunkte wich bei betreuenden und nichtbetreuenden Elternteilen hier nicht wesentlich voneinander ab, so dass sich eine realistische Abbildung der Sorgerechtsausübung vermuten lässt. Über die Art der Abstimmung gab die Mehrzahl von 52,9% der Eltern mit gemeinsamer Sorge an, dass sie in Form eines Kurzgespräches stattfindet, während sogar 31,7% ausführliche Gespräche für die Abstimmung führten. 712 Für die Häufigkeit der Abstimmung gaben 59,6% der Eltern mit gemeinsamer Sorge an, dass sie sich immer dann abstimmten, wenn ein Problem anstand, 22,9% nahmen die Abstimmung immer bei der Übergabe des Kindes im Zusammenhang mit Kontakt des nichtbetreuenden Elternteils vor. Gar keine Abstimmung fand im Rahmen der gemeinsamen Sorge nur bei 18,6% statt, während dies bei Alleinsorge in 51,5% der Fall war. 713 Die Befragung weist auf eine pragmatische Umsetzung der gemeinsamen Ausübung der Elternverantwortung hin, die sich in einer praktikablen Form der Zusammenarbeit niederschlägt. Insgesamt wurde die Zusammenarbeit von den Eltern mit gemeinsamer Sorge deutlich besser beurteilt als von Eltern mit Alleinsorge. So wurde die Beziehung zum anderen Elternteil bei der 2. Befragung von 42,2% der Eltern mit gemeinsamer Sorge gegenüber 22,5% bei Alleinsorge als gut bezeichnet. 714 Die Möglichkeit, sich zum Zeitpunkt der Befragung über Belange des Kindes zu verständigen, wurde von 43,0% der Eltern mit gemeinsamer Sorge und 23,5% bei Alleinsorge als „gut“ bezeichnet, während „überhaupt nicht gut“ 14,9% bei gemeinsamer Sorge, aber 42,4% bei Alleinsorge angaben. 715 Die Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil insgesamt wurde von 39,6% der Eltern mit gemeinsamer Sorge als gut eingeschätzt 716, Unterstützung empfanden bei den Vätern 12,5% und bei den sowie 31,2% bzw. 11,8% angegeben. Ein ähnliches Verhältnis ergab sich bei den Angaben über Schulverlauf, Noten, Berufsausbildung, Ferien und Wohnortwechsel, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 132. 711 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 68, 191 ff, wonach bei Alleinsorge nur in 7,6% ziemlich alles und in 33,7% nur Dinge das Kind betreffend ausgetauscht wurden. 712 Bei der Gegenüberstellung der Sorgerechtsformen zeigt sich folgendes Bild: Ausführliche Gespräche zur Abstimmung mit dem anderen Elternteil fanden bei gemeinsamer Sorge in 31,7% und bei Alleinsorge in 11,6% der Fälle statt. Kurzgespräche wurden bei gemeinsamer Sorge von 52,9% und bei Alleinsorge von 26,4% angegeben. Gespräche mit dem Kind wurden dazu bei der gemeinsamen Sorge in 19,8% und bei Alleinsorge in 7,9% geführt. Gespräche mit der Beratungsstelle waren bei gemeinsamer Sorge in 2,8% und bei Alleinsorge 2,1% die Grundlage. Gar keine Gespräche wurden bei gemeinsamer Sorge in 17,1% und bei Alleinsorge 49,7% geführt, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 91, 199. 713 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 91, 199. 714 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 192. 715 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 69, 192.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Müttern 18,8%. 717 Die positive Einschätzung im Rahmen der gemeinsamen Sorge hatte dabei im Laufe der Befragungen zunehmende Tendenz. 718 Die gemeinsame Verantwortung für das Kind wurde im Rahmen der gemeinsamen Sorge übereinstimmend sowohl von den betreuenden als auch von den nichtbetreuenden Eltern als überwiegend positiv bewertet. 719 Dies zeigt, dass zwar ein erheblicher Teil der Eltern in gemeinsamer Sorge die Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil kritisch beurteilt, denn über die Hälfte der Eltern haben Schwierigkeiten in der Abstimmung und beurteilen die Zusammenarbeit nicht als gut. Jedoch stellt sich die Beurteilung der Eltern in gemeinsamer Sorge insgesamt als deutlich positiver dar als bei Alleinsorge. Die gemeinsame Rechtsausübung wirkt sich demnach signifikant auf die Kooperation der Eltern aus, indem sich nahezu doppelt so viele Eltern eine gute Zusammenarbeit attestieren. Ungeachtet der Schwierigkeiten bei der Ausübung der gemeinsamen Sorge lag die erklärte Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem andern Elternteil bis zur Volljährigkeit des Kindes bei 74,5%. 720 Ein weiterer Gesichtspunkt für die Einschätzung der gesetzlichen Trennungssorge besteht in der Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Eltern bei der Ausübung ihrer gemeinsamen Zuständigkeit sowie die verbindliche Regelung von Einzelbereichen. 721 So wiesen die Eltern mit gemeinsamer Sorge einen deutlich höheren Prozentsatz bei der Bewältigung von Streitigkeiten durch Gespräche miteinander oder gemeinsamen Gesprächen unter Einbeziehung des Kindes auf als die mit Alleinsorge. 722 Demgegenüber nahmen die Eltern bei Alleinsorge häufiger staatliche Stellen zur Regulierung der Auseinandersetzung in Anspruch oder 716

Bei Alleinsorge galt dies nur für 18,4%, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001),

S. 67. 717 Dies wurde bei Vätern mit Alleinsorge nur von 6,3% und bei Müttern mit Alleinsorge nur von 5,8% empfunden, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 71. 718 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 67, 192 – so wurde vor allem die Bewertung der Zusammenarbeit als schlecht bei der ersten Befragung für gemeinsame Sorge von 61,0% der Vätern und 55,3% der Müttern angegeben, während dies bei der 2. Befragung nur noch 20% der Väter und 17,6% der Mütter angaben, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 69. 719 So gaben bei gemeinsamer Sorge seitens der betreuenden Elternteile 57,6% der Väter und 52,1% der Mütter sowie seitens der nichtbetreuenden Elternteile 93,5% der Väter und 87,2% der Mütter eine positive Einschätzung der gemeinsamen Verantwortung ab, während etwa 74,2% der Mütter mit Alleinsorge keine Verantwortung seitens der nichtsorgeberechtigten Väter annahmen, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 72, 193. 720 Bei Alleinsorge waren nur 45,8% dazu bereit, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 192. 721 Vgl. kritisch dazu Kostka FamRZ 2004, S. 1924 (1929), wo darauf hingewiesen wird, dass der Umstand der kontinuierlichen Streitigkeiten auch im Rahmen der gemeinsamen Sorge überhaupt nicht berücksichtigt werde, sondern letztlich künstlich durch die Form der Verarbeitung aufgewertet werde.

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ließen die Streitigkeiten ungeklärt. 723 Doch auch die Bereitschaft zur verbindlichen Regelung einzelner Bereiche im Vorfeld war bei Eltern mit gemeinsamer Sorge stärker ausgeprägt. Dies zeigte sich zum einen an Absprachen über den Kindesunterhalt. 724 So wurde häufiger im Zusammenhang mit gemeinsamer Sorge bereits im Vorfeld der Scheidung eine Unterhaltsregelung getroffen, die überwiegend durch außergerichtliche Einigungen erfolgte, während es bei Alleinsorge mit dem höchsten Prozentsatz zu Gerichtsentscheidungen kam. 725 Dabei erweist sich die Armutssituation der verschiedenen Sorgerechtsformen durchaus vergleichbar, gleichwohl bekamen die unterhaltsberechtigten Mütter (86,7%) und Väter (40,5%) mit gemeinsamer Sorge deutlich öfter Kindesunterhalt als die unterhaltsberechtigten Mütter (67,1%) und Väter (29,7 %) mit Alleinsorge. 726 Ähnlich stellte sich das Bild bei Regelungen über den Kontakt des nichtbetreuenden Elternteils mit dem gemeinsamen Kind dar. So regelten überdurchschnittlich viele Eltern mit gemeinsamer Sorge den Umgang und taten dies ganz überwiegend im Rahmen einer außergerichtlichen Vereinbarung. 727 In beiden Bereichen erwiesen sich die Absprachen als tragfähiger und die Beteiligten als zuverlässiger bei bestehender gemeinsamer Sorge gegenüber entsprechenden Regelungen bei Alleinsorge. 728

722

So legten 65,5% der Eltern in gemeinsamer Sorge ihre Auseinandersetzungen durch ein gemeinsames Gespräch bei (bei Alleinsorge nur 31,3%) und 32,7% durch ein Gespräch beider Eltern mit dem Kind (11,1% bei Alleinsorge), vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 70, 92, 193. 723 So gaben 37,8% der Eltern in Alleinsorge an, dass ihre Streitigkeiten gar nicht geklärt werden, während dies nur für 13,3% der Eltern bei gemeinsamer Sorge galt, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 92, 193. 724 Vgl. Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 103 ff. 725 Eine außergerichtliche Einigung über den Unterhalt wurde bei gemeinsamer Sorge in 31,8% und bei Alleinsorge in 16,3% geschlossen, durch Mediation in gemeinsamer Sorge 6,3% und 7,7% bei Alleinsorge, durch Vergleich vor Gericht bei gemeinsamer Sorge 7,8% und bei Alleinsorge in 9,2% sowie schließlich durch gerichtliche Entscheidung in gemeinsamer Sorge bei 23,9% und bei Alleinsorge in 36,1%, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 140, 195. 726 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 10. 727 So trafen 73,5% der Eltern in gemeinsamer Sorge und 71,8% in Alleinsorge eine Umgangsregelung, jedoch erfolgte dies bei gemeinsamer Sorge in 57,2% (bzw. in der zweiten Befragung sogar in 70,6%) außergerichtlich, während bei Alleinsorge dies nur 39,3% (bzw. 44,4%) erreichten und 29,1% (bzw. 34,8%) eine gerichtliche Entscheidung darüber fällen ließen, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 101 f. 728 So erfolgte die Unterhaltszahlung nach Angabe der Betroffenen regelmäßig zu 71,2% bei gemeinsamer Sorge und nur 53,6% bei Alleinsorge (Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 143), und die Regelung über den Umgang wurde bei gemeinsamer Sorge in 74,4% und bei Alleinsorge bei 56,7% eingehalten (Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 105); kritisch in diesem Zusammenhang Kostka FamRZ 2004, S. 1924 (1931) unter Hinweis auf die Erhöhung der gerichtlichen Umgangsverfahren sowohl bei alleiniger als auch bei gemeinsamer Sorge.

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Von besonderer Bedeutung sind zum einen der Umgang des nichtbetreuenden Elternteils mit dem gemeinsamen Kind und zum anderen die Beurteilung des daraus folgenden Kontaktes. Denn hier zeigen sich Anhaltspunkte, ob die mit der Gesetzesreform angestrebte Entflechtung der Partnerschafts- und Elternebene durch die gemeinsame Sorge eintritt und sich eine etwaige Entlastung des ElternKind-Verhältnisses vom Konflikt zwischen den Eltern abzeichnet. So wurde gerade die besondere Bedeutung der Beziehung zu beiden Eltern für das Kind hervorgehoben, um die Trennungssituation ohne Schäden zu verarbeiten. Die Befragung bestätigte nun, dass die gemeinsame Sorge zu sehr viel häufigerem und regelmäßigerem Kontakt des Kindes zum nichtbetreuenden Elternteil führt. 729 So hatten im ersten Jahr nach der Scheidung bei gemeinsamer Sorge 30,6% der Väter und 30,8% der Mütter mindestens einmal in der Woche Kontakt zu ihrem Kind, während dies bei Alleinsorge nur 13,1% der Väter und 4,5% der Mütter aufwiesen. 730 Vor allem die langfristige Gestaltung des Kontaktes entwickelte sich im Rahmen der gemeinsamen Sorge signifikant günstiger als bei Alleinsorge. Bei den nichtbetreuenden Müttern und Vätern mit gemeinsamer Sorge hatten 2001 22,6% der Väter und 21,7% der Mütter mindestens einmal in der Woche Kontakt zum Kind, wobei zu beachten ist, dass die Zahl der Eltern mit gemeinsamer Sorge erheblich anstieg, die ihre Kinder „jederzeit nach Absprache“ besuchen konnten. 731 Demgegenüber bestand in 2001 bei Alleinsorge nur bei 10,3% der Väter und 5,9% der Mütter mindestens wöchentlicher Kontakt. 732 Insgesamt ließ sich bei Alleinsorge die deutliche Tendenz zum Reduzieren des Umgangs mit dem Kind erkennen, während sich der Kontakt bei gemeinsamer Sorge eher stabilisierte. 733 Darüber hinaus erweist sich die gemeinsame Sorge als ein wirksames Mittel gegen den Kontaktabbruch des Kindes zu einem Elternteil. So stieg im Rahmen der Alleinsorge zwischen 1999 und 2001 die Rate des seltenen Kontaktes oder gar des Kontaktabbruchs bei Vätern von 31,2% auf 39,2% und bei Müttern von 28,3% auf 35,3%. 734 Im Vergleich dazu erwies sich die gemeinsame Sorge als eher stabil. Im 729 Dies spiegelt sich auch in der Einschätzung der Betroffenen über die ausreichende Gestaltung des Kontaktes für das Kind und den Elternteil wider. So nahmen die nichtbetreuenden Eltern bei gemeinsamer Sorge den eigenen Kontakt für sich und das Kind eher als ausreichend, demgegenüber in Alleinsorge als nicht ausreichend wahr. Diese Einschätzung wurde auch bei gemeinsamer Sorge von einer signifikant höheren Zahl der betreuenden Elternteile geteilt (58,1% der Väter und 37,4% der Mütter gegenüber 43,2% der Väter und 17,5% der Mütter bei Alleinsorge, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 58 f, 188, 206 f. 730 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 203; ders. erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 148 f. 731 Bei Vätern von 25,6% auf 37,9% und Müttern von 22,6% auf 29,4%. 732 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 203. 733 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 204 f. 734 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 203.

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Zeitraum von 1999 bis 2001 kam es bei Vätern von 6,4% zu 8,0% und bei Müttern von 9,7% zu 10,1% zu seltenen bis keinen Kontakten. Betrachtet man insgesamt die Zahl der trennungsbedingten Kontaktabbrüche der Eltern zu ihren Kindern, so lag die Gesamtzahl für Alleinsorge bei 41,0% und bei gemeinsamer Sorge bei 10,4%. 735 Auch zeichneten sich Unterschiede hinsichtlich der Beweggründe bei Kontaktabbrüchen ab. Während sich bei Alleinsorge die Intervention des andern Elternteils oder die Ablehnung des Kindes stärker auswirkte, lag die Zahl der Abbrüche bei gemeinsamer Sorge höher bei äußerer Entfremdung wegen der zeitlichen und räumlichen Situation. 736 Insgesamt zeigt sich im Rahmen der gemeinsamen Sorge ein Vertrauen zum Fortbestehen beider Eltern-KindBeziehungen, während bei Alleinsorge der nichtsorgeberechtigte Elternteil in erheblichem Maße Angst vor dem Kontaktabbruch zu seinem Kind artikuliert. 737 Die gemeinsame Sorge schafft damit offenbar Rahmenbedingungen, die für die Beteiligten die Möglichkeit bietet, stabile Kontaktstrukturen aufzubauen und die Beziehung zum anderen Elternteil nicht zu behindern. Im Übrigen wirkt sich die gemeinsame Trennungssorge auch positiv auf die Überwindung der Trennungsfolgen über die Sorgerechtsauübung hinaus aus. So weichen die Angaben zu der Belastung durch die Trennung bei den Sorgerechtsformen voneinander ab. Beispielsweise wird die Bedeutung der finanziellen Situation insbesondere bei Müttern sowohl in der betreuenden als auch der nichtbetreuenden Funktion bei gemeinsamer Sorge als geringer eingestuft. Die Auseinandersetzung mit dem Expartner wird insgesamt weniger als Belastung empfunden, wobei sich jedoch generell ein sehr ähnliches Bild der tatsächlichen Belastungssituation bei der Ausübung beider Sorgerechtsformen bietet. 738 Bei der Auswirkung der Scheidung auf den beruflichen Alltag wird dies vor allem von betreuenden Elternteilen in gemeinsamer Sorge positiv bewertet. 739 735

Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 203 f, 219. So gaben die Eltern zur Begründung des Kontaktabbruchs die zeitliche und räumliche Situation bei gemeinsamer Sorge in 70,1% und bei Alleinsorge in 62,1% der Fälle an, Einfluss des anderen Elternteils bei gemeinsamer Sorge 55,8% und Alleinsorge 71,1% sowie Ablehnung des Kontakts durch das Kind bei gemeinsamer Sorge 8,7% und bei Alleinsorge 17,3% (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 53, 187). 737 So gaben vor allem 70,8% der betroffenen Väter an, Angst zu haben, den Kontakt zum Kind zu verlieren (entsprechend bei gemeinsamen Sorge nur 56,5%). Ausdrücklich keine Angst hatten bei gemeinsamer Sorge 50,1% und bei Alleinsorge 34,3% der Eltern (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 52, 187; ders. erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 43 f, 139 f). 738 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 54. 739 So wurde eine berufliche Auswirkung der gemeinsamen Sorge für betreuende Elternteile von 60,0% der Väter und 49,5% der Mütter sowie bei nichtbetreuenden Elternteilen von 51,0% der Väter und 56,5% der Mütter bejaht. Demgegenüber wurde dies von alleinsorgeberechtigten Vätern zu 43,4% und Müttern zu 46,5% bei umgangsberechtigten Vätern zu 51,2% und Müttern zu 58,8% bejaht (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 50). 736

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Hinzu kommt offenbar eine interessante Auswirkung der gemeinsamen Sorge gegen den Willen der Eltern, die insbesondere in der Diskussion um das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen den Sorgerechtsformen und die Folgen einer aufoktroyierten gemeinsamen Elternverantwortung eine Rolle gespielt hat. 740 In den Ergebnissen wiesen in diesem Zusammenhang die Eltern, die aufgrund einer abweisenden Entscheidung der Gerichte die gemeinsame Sorge fortführten eine sehr ähnlich Verhaltensweise auf wie Eltern mit freiwilliger gemeinsamer Sorge und unterschieden sich ähnlich signifikant von den Einschätzungen der Eltern mit Alleinsorge. Zumindest lässt diese Erkenntnis darauf schließen, dass nicht nur die Bereitschaft, sondern auch die Ausübung bzw. Anforderungen an die Sorgerechtsausübung das Verhalten der Eltern und ihre Einschätzung beeinflussen. Dies muss zumindest behutsam als Widerlegung der häufigen Vorbehalte gegen unfreiwillige gemeinsame Sorge gewertet werden. So wirkt sich die unfreiwillige gemeinsame Sorge zumindest in solchen Fällen nicht dauerhaft konfliktverschärfend aus, bei denen das Gericht den Alleinsorgeantrag wegen einer fehlenden Konfliktlage zwischen den Eltern zurückgeweisen hat. Diese Fallkonstellation nimmt im Gegenteil an der konstruktiven Wirkung der gemeinsamen Sorgerechtsausübung teil. Ingesamt kann im Hinblick auf die konkrete Ausübung der gemeinsamen Trennungssorge festgestellt werden, dass die Erziehungsverantwortung bei gemeinsamer Sorge tatsächlich gemeinschaftlich ausgeübt wird und es nicht zu einer erkennbaren Ballung verdeckter Alleinsorge kommt. Vielmehr scheint die gemeinsame Sorge Rahmenbedingungen für die nacheheliche Sorgerechtsausübung zu schaffen, in der die Eltern zumindest nach Ablauf einer ersten Gewöhnung zu praktikablen Abstimmungs- und Kooperationsstrukturen finden. Eine Steigerung der Konflikte bei gemeinsamer Sorge lassen sich jedenfalls nicht feststellen. Im Gegenteil, offenbar schafft die gemeinsame Sorge die Voraussetzung dafür, dass besser als im Rahmen der Alleinsorge beide Eltern ihre eigenständige und gelebte Beziehung zum Kind aufrechterhalten können. c) Einschätzung der Beteiligten von der Sorgerechtssituation im Verhältnis der gemeinsamen Sorge zur Alleinsorge Schließlich ist die eigene Beurteilung aller Betroffene insbesondere hinsichtlich ihrer Zufriedenheit mit der Sorgerechtssituation und ihrer Einschätzung vom Zusammenwirken zu betrachten. Hier spiegeln sich neben der allgemeinen Wahrnehmung der Sorgerechtsform vor allem Anhaltspunkte für die Auswirkungen der gesetzlichen Trennungssorge auf das Kindeswohl wider. Die Wechselwirkung des elterlichen Zusammenwirkens auf Verhalten und Empfindung des Kindes standen dabei im Vordergrund der Befragung. So sind an dieser Stelle damit erste Parameter auszumachen, ob durch die gemeinsame Ausübung der Elternsorge 740

Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 218.

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eine Situation entsteht, die das Verhalten der Eltern untereinander beeinflusst, die Wahrnehmung der Lebenssituation verändert und auf diese Weise den Kindern die Verarbeitung der Familienkrise erleichtert. Betrachtet man zunächst die generelle Einschätzung der Sorgerechtsform so ergibt sich eine deutliche Unterscheidung zwischen gemeinsamer und alleiniger Sorge, insbesondere, wenn man hinsichtlich der Wahrnehmung betreuender und nichtbetreuender Elternteile differenziert. So wirkt sich die jeweilige Position des Elternteils offenbar sehr auf seine Wahrnehmung aus. 741 Auf die Frage, ob die Entscheidung für die gewählte Sorgerechtsform richtig war 742, zeichnet sich dabei seitens der betreuenden Elternteile im Rahmen der Alleinsorge der höchste Zuspruch ab, demgegenüber bei den nichtsorgeberechtigten Elternteile der geringste und gleichzeitig die höchste Quote der Ablehnung. 743 Vergleicht man dies mit der Einschätzung bei gemeinsamer Sorge, so tritt neben das sehr hohe Niveau der positiven Einschätzung durch die betreuenden Elternteile ein diese noch übersteigender Zuspruch seitens der nichtbetreuenden Eltern, wobei hier die Väter zu den höchsten Quoten kommen. 744 Zugespitzt gesagt, wird die Alleinsorge vor allem von den sorgeberechtigten Müttern und bei gemeinsamer Sorge von den nichtbetreuenden Vätern besonders bejaht. Jedoch vermittelt die gemeinsame Sorge dabei ungeachtet der Abweichungen in den verschiedenen Rollen ein ausgewogeneres Bild hinsichtlich der Befindlichkeit der Eltern insgesamt, so dass die kollektive Zufriedenheit hier deutlich höher lag. Es kann zumindest überlegt werden, ob demgegenüber diese hohe Bejahung der Sorgeberechtigten bei Alleinsorge hier auch Ausdruck von fortbestehendem Konflikt, unveränderter Konfrontation der Eltern oder gar Stagnation des Elternverhältnisses ist, wenn man sie im Kontext mit der hohen Verdrängung des anderen Elternteils aus dem Einflussbereich des Kindes und der reduzierten Kommunikationsstruktur betrachtet, wie sie sich im vorangegangenen Abschnitt gezeigt hat.

741 Vgl. in diesem Zusammenhang kritische Anm. von Kostka FamRZ 2004, S. 1924 (1928), wo darauf hingewiesen wird, dass die Relevanz dieser Zufriedenheit für das Kind zweifelhaft erscheine. 742 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 82; ders. erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 145. 743 Eine positive Bewertung der Sorgerechtswahl gaben bei Alleinsorge 81,9% der sorgeberechtigten Väter und 96,5% der Mütter, 37,3% der umgangsberechtigten Väter und 47,7% der Mütter an. Demgegenüber wurde eine negative Beurteilung von 10,2% der sorgeberechtigten Väter und 0,6% der Mütter abgegeben, während diese Beurteilung von 32,0% der umgangsberechtigten Väter und 32,8% der Mütter kam. 744 Im Rahmen der gemeinsamen Sorge wurde die Sorgerechtswahl von 70,1% der betreuenden Väter und 60,5% der betreuenden Mütter, seitens der nichtbetreuenden Elternteile von 86,9% der Väter und 77,3% der Mütter positiv beurteilt. Eine negative Einschätzung kam demgegenüber von 18,9% der Väter und 22,1% der Mütter in der betreuenden Funktion und seitens der nichtbetreuenden Elternteile in 3,4% bzw. 9,7% der Fälle.

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Diese Einschätzungen bestätigen sich auch in der Angabe zur allgemeinen Zufriedenheit hinsichtlich des Lebensstandards 745 und der Situation nach der Scheidung. 746 In beiden Aspekten zeichnete sich im Rahmen der gemeinsamen Sorge zudem im Laufe der Zeit eine höhere Steigerung der positiven Bewertung ab, die auf eine konstruktive Auswirkung der gemeinsamen Sorge auf die elterliche Einschätzung der Lebenssituation mit weiterem Sorgerechtsverlauf hinweist. 747 Dabei zeichnet sich eine Korrelation zur zuvor ausgeführten Zuverlässigkeit der Unterhaltszahlungen und dem Gefühl der Unterstützung durch den anderen Elternteil ab. 748 Dies bestätigt auch die geringe Veränderung der Sorgerechtsform, die bereits angesprochen worden ist, wobei berücksichtigt werden muss, dass die Anforderungen bei der Änderung gem. § 1696 für bestehende Alleinsorge deutlich höher liegen als bei einer erstmaligen Sorgerechtsübertragung gem. § 1671, die jederzeit im Rahmen der gemeinsamen Sorge beantragt werden kann, ungeachtet der Dauer des bereits praktizierten § 1687. Vor diesem Hintergrund richtet sich das Augenmerk nun auf die Auswirkung der gemeinsamen Sorge auf das Kind. Ausgangspunkt der Befragung war die sozialwissenschaftliche Forschung über die Frage, ob Kinder die Trennung ihrer Eltern umso besser bewältigen, je stärker ihre Eltern miteinander kooperieren und je früher sie zu Einvernehmen in den das Kind betreffende Fragen zurückfinden. Schwerpunkt war hier der in der Literatur noch immer strittige Aspekt, ob die konfliktfreie Erziehung am ehesten durch gemeinsame oder alleinige Sor745

Bezüglich der Beurteilung des Lebensstandards waren Eltern in gemeinsamer Sorge zufrieden oder sehr zufrieden bei der ersten Befragung 42,2%, bei der zweiten 48,7%, während dies bei Alleinsorge in der ersten Befragung 33,3% und in der zweiten 36,8% waren (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 38 f, 183 f; ders. erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 29). 746 So erklärten sich 42,2% der Eltern in gemeinsamer Sorge zufrieden oder sehr zufrieden mit der Situation, hingegen bei Alleinsorge 34,3%. Dabei zeichneten sich auch in diesem Zusammenhang bei der Entwicklung im Zeitraum zwischen den Befragungen gemessen an den betreuenden bzw. nichtbetreuenden Aufgabenbereichen der Eltern signifikante Unterschiede ab. So erklärten sich von den betreuenden Elternteilen 50,7% (zweite Befragung 47,1%) Väter und 45,1% (49,1%) bei gemeinsamer Sorge für zufrieden, demgegenüber nur 13,7 (15,5%) bzw. 17,7% (13,7%) für unzufrieden. Bei Alleinsorge waren 52,9% (37,8%) der Väter und 34,5% (50,9%) der Mütter zufrieden, wobei hier der geschlechtliche signifikante Unterschied der Entwicklung ins Auge sticht. Demgegenüber zeichnet sich eine deutliche Zunahme der Zufriedenheit bei der gemeinsamen Sorge seitens der nichtbetreuenden Elternteile ab, die bei Alleinsorge so nicht besteht. Im Einzelnen waren 37,2% (bei der zweiten Befragung 45,7%) der Väter und 42,3% (59,4%) der Mütter sehr zufrieden, während dies bei der Alleinsorge 28,9% (33,2%) der Väter und 25,5% (sogar nur 11,8%!) der Mütter bei Alleinsorge waren (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 38 ff). 747 Vgl. Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 114 f; hierzu kritisch Kostka FamRZ 2004, S. 1924 (1927) unter Hinweis auf die durchschnittlich besseren Vermögensverhältnisse. 748 Vgl. Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 105 f.

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ge erreicht werden kann. 749 Zunächst konnte anhand der Reaktionen der Kinder auf die Trennung festgestellt werden, dass ursprünglich kein signifikanter Unterschied zwischen den Sorgerechtsformen bestand. 750 So dominierten bei beiden Fallkonstellationen als charakteristische Ausdrucksformen kindlichen Leids Aggressionen 751, schlechte Schulleistungen 752, psychische Veränderungen 753 und die Angst, einen Elternteil zu verlieren. Dabei fiel auf, dass die Verlustangst bei Kindern in gemeinsamer Sorge deutlich stärker ausgeprägt war 754, während die Quote der Gleichgültigkeit 755 bei den Kindern mit Alleinsorge höher lag. 756 Äußerlich zeigt sich zumindest, dass die Schulbildung der betroffenen Kinder sich bei gemeinsamer Sorge etwas vorteilhafter erwies und sie häufiger zum Gymnasium gingen als Kinder in Alleinsorge. 757 Demgegenüber unterschieden sich jedoch je nach Sorgerechtsform die Einschätzungen der Eltern von den Gefühlen der Kinder. Bei Alleinsorge stellten sowohl seitens der Sorgeberechtigten als auch der Umgangsberechtigten deutlich mehr Eltern fest, dass ihre Kinder unter der Trennung litten als bei gemeinsamer Sorge. 758 Demgegenüber dominierte die Einschätzung bei gemeinsamer Sorge, dass das Kind zwar leide, aber gut damit zurechtkomme. 759 Anhaltspunkte für die 749

Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 75 verweist in diesem Zusammenhang vor allem auf US-Studien, die in diesem Zusammenhang Zweifel aufwarfen, ob gemeinsame Sorge tatsächlich zu mehr Kontakt zum Kind, pünktlicherer Unterhaltszahlungen und geringeren Konflikten bei der Ausübung von Elternverantwortung nach der Trennung und Scheidung führe, was im vorangegangenen Abschnitt bereits positiv in der vorliegenden Begleitstudie festgestellt werden konnte. 750 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 55. 751 Aggressionen wurden bei Eltern mit gemeinsamer Sorge von 20,9% und bei Alleinsorge von 22,0% angegeben. 752 Schlechte Schulleistungen gaben Eltern in gemeinsamer Sorge zu 24,1% und in Alleinsoge 23,7% an. 753 Psychische Veränderungen nahmen die Eltern bei gemeinsamer Sorge zu 32,4% und bei Alleinsorge zu 32,7% zur Kenntnis. 754 Diese Einschätzung lag bei gemeinsamer Sorge bei 47,5%, während Eltern mit Alleinsorge dies nur zu 37,0% angaben. 755 Die Trennung sei dem Kind egal sagten 8,3% bei gemeinsamer Sorge und 10,8% bei Alleinsorge. 756 Vgl. dazu auch Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 45 f. 757 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 27; vgl. dazu auch Proksch erster Zwischenbericht I, Teil 2 (2000), S. 19. 758 So gaben seitens des betreuenden Elternteils bei Alleinsorge 12,6% der Väter und 5,4% der Mütter, bei gemeinsamer Sorge demgegenüber 6,4% bzw. 5,3% dies an, während seitens der nichtbetreuenden Elternteile bei Alleinsorge 20,6% der Väter und 17,9% der Mütter, bei gemeinsamer Sorge 13,2% bzw. 13,8% dies angaben (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 61, 188). 759 So nahmen seitens der Betreuenden 32,2% der Väter und 19,4% der Mütter, bei den Nichtbetreuenden 29,3% bzw. 21,0% dies an, während bei Alleinsorge bei den Sorgebe-

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dem zugrunde liegenden Verhaltensunterschiede der Eltern gegenüber dem Kind bestanden in der Bereitschaft der Eltern, mit dem Kind über die Trennung offen zu reden. 760 Sie lag bei betreuenden wie nichtbetreuenden Eltern in gemeinsamer Sorge deutlich höher als bei Alleinsorge und lässt konkrete Hilfestellung der Eltern bzw. geringere Vermeidung der Auseinandersetzung mit dem schmerzlichen Thema vermuten. Die Beurteilung des Verhältnisses zum Kind fiel demgemäß auch bei beiden Teilen der gemeinsamen Sorge deutlich besser aus. 761 Hier eröffnet sich zumindest ein äußerlicher Zusammenhang zum geringeren Anteil der Kontaktverweigerungen bei Kindern in gemeinsamer Sorge. Die Zufriedenheit des Kindes wurde vor diesem Hintergrund bei gemeinsamer Sorge insgesamt von den Eltern als besser eingeschätzt als bei Alleinsorge. Während jedoch die betreuenden bzw. sorgeberechtigten Eltern sowohl bei gemeinsamer als auch alleiniger Sorge in absoluter Mehrheit das Kind als zufrieden oder sehr zufrieden einschätzten 762, war dies bei den nichtbetreuenden Eltern nur in gemeinsamer Sorge der Fall. 763 In diesem Zusammenhang wurden die Eltern auch gefragt, wie ihr Gefühl war, wenn das Kind sich beim anderen Elternteil aufhielt. Hier war die absolute Mehrheit der Eltern bei gemeinsamer Sorge, sowohl seitens der betreuenden wie der nichtbetreuenden Seite froh über den Kontakt. 764 Diese Tendenz baute sich bei der zweiten Befragung vor allem seitens der nichtbetreuenden Elternteile noch deutlich aus. 765 Die darin anklingende Bindungstoleranz kann zumindest als Erleichterung für das Kind und eine Minderung der Loyalitätsproblematik vermutet werden. Die positive Einschätzung vom Sorgerechtsbeitrag des anderen Elternteils war schließlich auch begleitet von einer ausgewogenen und hohen Zufriedenheit der Eltern mit der Ausübung der gemeinsamen Sorge, während sich die Zufriedenheit bei Alleinsorge im Wesentlichen auf den sorgerechtigten 26,0% der Väter und 12,2% der Mütter, seitens der Umgangsberechtigten 24,3% bzw. 17,9% dies angaben (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 61, 188). 760 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 62. 761 Bei den Eltern, die mit dem Kind zusammenleben, beurteilen ihr Verhältnis zum Kind mit sehr gut bei Alleinsorge 78,7% der Väter und 82,8% der Mütter, bei gemeinsamer Sorge 84,1% bzw. 82,2%. Aber vor allem der nichtbetreuende Elternteile gab diese Einschätzung bei Alleinsorge in 48,8% bzw. 49,3%, demgegenüber aber bei gemeinsamer Sorge in 73,6% bzw. 64,6% der Fälle an (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 63, 190). 762 Bei gemeinsamer Sorge waren dies 76,9% der Väter und 67,7%der Mütter, bei Alleinsorge 77,2 bzw. 85,8% (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 84 f). 763 Bei gemeinsamer Sorge gaben dies 67,1% der Väter und 60,5% der Mütter an, bei Alleinsorge nur 34,2% bzw. 34,3% (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 86). 764 Bei der ersten Befragung gaben von Eltern in gemeinsamer Sorge 63,5% der Mütter und 64,4% der Väter, während bei Alleinsorge dies nur 32,9 bzw. 33,9% angaben (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 64 f). 765 Während sich bei der ersten Befragung von den nichtbetreuenden Eltern als froh über den Kontakt 60,5% der Väter und 50,3% der Mütter erklärten, waren es bei der zweiten Befragung 67,4% bzw. 55,1% (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 65).

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berechtigten Teil beschränkte. 766 So bestanden abweichende Beurteilungen beider Elternteile hinsichtlich der Sorgerechtsform bei Alleinsorge in Höhe von 59,7% und bei gemeinsamer Sorge von 13,1% der Fälle. 767 Die Zufriedenheit erweist sich dabei als eine weitgehend geschlechtsunabhängige Einschätzung. Maßgeblich sind vielmehr, bei wem das Kind lebt, und der Kontakt zum Kind. Der nacheheliche Kontakt von Müttern und Vätern zu ihren gemeinschaftlichen Kindern erweist sich als zentrales Moment für das subjektive Wohlbefinden der Eltern und damit auch ihres Verhaltens untereinander. 768 Ebenfalls unabhängig ist die Beurteilung von Einkommens- und Bildungsgruppen. Ein Element der Zufriedenheit ist auch die ökonomische Situation. 769 Hier spielen jedoch verschiedene Aspekte eine Rolle. Zum einen hat sich gezeigt, dass bei gemeinsamer Sorge die Unterhaltszahlungen regelmäßiger und zuverlässiger, sogar geringfügig höher geleistet werden. Hinzu kommt aber auch die subjektive Wahrnehmung der Beteiligten. Schließlich kommt aber auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Mütter bei Berufstätigkeit hinzu, die häufig auch zu einer deutlichen Verbesserung der ökonomischen Situation nach der Scheidung beiträgt. 770 Insgesamt zeichnet sich eine Verknüpfung ab zwischen der gegenseitigen Akzeptanz der Eltern im Hinblick auf das Verhältnis zum Kind, dem Wohlbefinden des Kindes bzw. seiner Verarbeitung der Trennungssituation und schließlich der Zufriedenheit aller Beteiligten mit der Sorgerechtssituation. Unter den Voraussetzungen der gemeinsamen Sorge entwickeln die Eltern offenbar ein Verhalten, bei dem sie dem anderen Elternteil mehr Raum für seinen Erziehungsbeitrag geben können, so dass sowohl die Eltern als auch das Kind eine Zufriedenheit mit der Sorgerechtssituation erlangen, die wiederum das Verhältnis aller Beteiligten zueinander verbessert. Zwar beseitigt die gemeinsame Sorge auf diese Weise nicht die 766 So erklärten sich 87,6% der alleinsorgeberechtigten Mütter für zufrieden oder sehr zufrieden mit der Elternsorge, während dies nur für 27,9% bei den umgangsberechtigten Vätern galt. Demgegenüber waren nur 3,5% der alleinsorgeberechtigten Mütter mit dieser Sorgerechtsform unzufrieden oder sehr unzufrieden, demgegenüber jedoch 48,5% der Väter. Demgegenüber zeigt sich bei gemeinsamer Sorge ein ausgewogeneres Bild, indem 48,6% der betreuenden Mütter und 61,7% der nichtbetreuenden Väter zufrieden oder sehr zufrieden mit der gemeinsamen Sorge sind, während sich 26,5% der betreuenden Mütter und 15,2% der nichtbetreuenden Väter als unzufrieden oder sehr unzufrieden zeigten (vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 10; Zwischenbericht II (2001), S. 84 f). 767 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 10. 768 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 11. 769 Mit der Unterhaltszahlung zufrieden oder sehr zufrieden erklärten sich 45,5% der Eltern in gemeinsamer Sorge und nur 32,4% in Alleinsorge, während deren Unzufriedenheit mit 38,8% diejenigen der Eltern in gemeinsamen Sorge mit 24,8% deutlich überstieg (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 145). Den Unterhalt als „ausreichend“ empfanden 44,2% bei gemeinsamer Sorge und 28,5% bei Alleinsorge. 770 Bei gemeinsamer Sorge waren 67,0% und bei Alleinsorge 52,4% der Mütter berufstätig (vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 35, 181).

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Folgen und Belastungen der Elterntrennung, aber sie bietet Rahmenbedingungen, in denen mehr Menschen als bei Alleinsorge einen konstruktiven Umgang finden, der die Umstellung auf die veränderte Lebenssituation langfristig zu erleichtern scheint. Die Betroffenen können ihre Bedürfnisse offenbar besser umsetzen in dieser Aufgabenverteilung. 3. Folgerung für die Beurteilung der gemeinsamen Trennungssorge Aus den verschiedenen Elementen ergibt sich ein Gesamteindruck, der zu einer positiven Einschätzung der Gesetzeslage und der Gestaltung der gemeinsamen Trennungssorge durch die Vorschrift des § 1687 führt. Vor diesem Hintergrund sollen nun die Folgerungen der Ergebnisse aus der Befragung der Eltern und ihren Erfahrungen näher betrachtet werden. Zunächst hat die Untersuchung bestätigt, dass Trennung und Scheidung für Eltern und Kinder ein Krisenereignis ist 771, das alle Beteiligten einem erheblichen Stress aussetzt, ökonomische Schwierigkeiten verursacht und zunächst einheitlich zu erheblichen negativen Emotionen bzw. Reaktionen Anlass gibt. 772 Es fehlt an eingeübten Verhaltens- und Regelungsmustern, was regelmäßig zu Verunsicherung und Überforderungen aller Betroffenen führt. Dabei wurde im Rahmen der Untersuchung deutlich, dass sich unabhängig von der gewählten Sorgerechtsform das Empfinden hinsichtlich der Krisensituation sehr einheitlich darstellte. 773 In der Trennungszeit müssen also die ehemaligen Ehegatten emotionale Distanz erreichen und neue Kommunikationsstrukturen finden. Dieser Zeitraum hat sich als entscheidend für die Entlastung oder Belastung des Kindes durch Trennung und Scheidung erwiesen. 774 Ungelöste Beziehungskonflikte auf Paarebene überdauern deshalb häufig die Scheidung und belasten die elterliche Beziehung. Die Konflikte auf Umgangs- oder Unterhaltsebene erweisen sich häufig als Folgen ungelöster Beziehungskonflikte dieser Paarebene. Die Entwicklung und Sicherung konstruktiver Kooperation, Kommunikation und Konfliktbearbeitungsstrategien im Rahmen der Trennung und Scheidung kommt daher eine Schlüsselrolle für die

771 So gaben alle beteiligten Eltern an, dass es sich bei der Scheidung um ein „sehr einschneidendes Ereignis“ gehandelt habe, wobei dies für Väter mehr (65,5%) und für Mütter weniger (53,2%) galt, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 186. 772 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 3, 14; Zwischenbericht I, S. 12. 773 Das heißt, dass die Betroffenen zumindest nicht aufgrund von unterschiedlichen Ausgangssituationen ihre Wahl hinsichtlich der Sorgerechtsform treffen. Es kann daher vermutet werden, dass die unterschiedlichen Entwicklungen im Rahmen der Sorgerechtsformen jedenfalls auch durch die verschiedenen Gestaltungen der Elternverantwortung beeinflusst wurden. 774 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 4.

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Gestaltung einer zufrieden stellenden nachehelichen Elternschaft zum Wohle des Kindes zu. Übergreifend kam dabei die Studie zu dem Ergebnis, dass der rechtliche Rahmen eine befriedigende Gestaltung der nachehelichen Elternverantwortung zum Wohl des betroffenen Kindes strukturell positiv beeinflusst. 775 Gerade die gemeinsame Sorge sei dabei hinsichtlich der besondern Anforderungen an die trennungsbedingte Konfliktsituation sehr geeignet, günstige Rahmenbedingungen für eine interessengerechte Organisation der Sorgerechtsausübung zu schaffen. 776 In diesem Zusammenhang werden einzelne zentrale Maßstäbe hervorgehoben, die für diese Beurteilung heranzuziehen sind. 777 So werde die Kommunikation und Kooperation der Eltern durch die gemeinsame Sorgerechtsausübung positiv beeinflusst. Dies mindere das Konfliktniveau zwischen den Eltern, sowohl durch die Vermeidung von Erstarrung als auch durch die Umgehung von Konfrontation und Konkurrenz. Gerichtliche Auseinandersetzung werde vermieden und die Motivation der Eltern zur eigenständigen Regelung gefördert. Im Ergebnis führe dies dazu, dass der Kontakt der Eltern und anderer nahe stehenden Personen zum Kind stärker aufrecht erhalten sowie zufrieden stellende finanzielle Arrangements getroffen 778 und das Kindeswohl auf diese Weise gefördert werde. 779 Dies galt sowohl für Eltern, die sich einvernehmlich zur Fortsetzung der gemeinsamen Elternverantwortung entschieden hatten, als auch für diejenigen, deren streitiger Antrag auf Alleinsorgeübertragung abgewiesen worden war. 780 775 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S. 12; Abschlussbericht 2002Gesamtergebnis, S. 5, 14; Zwischenbericht II (2001), S. 220. 776 Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 220. 777 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 14. 778 So erklärten 76,6% der Mütter mit gemeinsamem Sorgerecht, dass der Kindesunterhalt regelmäßig gezahlt werde, während dies bei Alleinsorge nur von 58,1% der betroffenen Mütter angegeben wurde. Mit der Unterhaltsregelung zufrieden oder sehr zufrieden erklärten sich bei der gemeinsamen Sorge 41,9% und bei Alleinsorge 28,5%. Demgegenüber zeigten sich Mütter über die Unterhaltsregelung unzufrieden oder sehr unzufrieden bei gemeinsamem Sorgerecht 29,3% und bei Alleinsorge 46,1% (vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 8). Zum Zusammenhang zwischen der Verringerung der belastenden Wirkung des Scheidungsgeschehen durch Zufriedenheit mit der Lebenssituation und die Verbesserung der beruflichen Situation der Mütter vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 9. 779 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S. 12; Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 9; vgl. auch Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 8 worin die kausale Verknüpfung direkt hergestellt wird. Indem die Eltern einvernehmlich zu Handeln genötigt sind, trägt dies zur Konfliktentschärfung und Konfliktentlastung bei, wodurch die Eltern eine deutlich bessere Beziehung zueinander etablieren können als bei der Alleinsorge. Die gemeinsame Sorge führt damit zu einem qualitativ und quantitativ besseren Umgangskontakt des Kindes zum nicht betreuenden Elternteil sowie zufrieden stellenden Unterhaltsregelungen. 780 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 5.

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Dabei wird ein enger Zusammenhang zwischen den äußeren Anforderungen an die Ausübung der gemeinsamen Sorge und der sich dabei einstellenden nachweislichen Entspannung des Elternverhältnisses hergestellt. 781 Zusammengefasst stellt sich die gemeinsame Sorge demnach als eine Anleitung zu veränderten Verhaltensmustern dar, die durch ihre äußeren Anforderungen den Eltern die Gelegenheit gibt, den erforderlichen Anpassungsprozess zur gemeinsamen Wahrnehmung der Kindesinteressen zu vollziehen. So führe der regelmäßige Kontakt der Eltern dazu, dass sie stärker mit einander kommunizieren und kooperieren und sie dadurch die Fähigkeit zu überwiegend konsensualen Regelungen entwickeln. Denn in dem Maße, in dem die Eltern in der Lage sind, ihre Kommunikation und Kooperation „diskursiv“ zu erhalten und zu gestalten, bei Unstimmigkeiten, Konflikten, Problemen offen darüber zu sprechen und ernsthaft eine einvernehmliche Lösung zu suchen, können die Trennungs- und Scheidungskonflikte konstruktiv bewältigt werden. 782 Auf diese Weise können die Eltern eine deutlich bessere Beziehung zueinander gestalten als die Eltern im Rahmen der Alleinsorge und überwiegend quantitativ und qualitativ besseren Kontakt zwischen ihnen und ihrem Kind etablieren. Indem also die Eltern eine veränderte Ebene ihres Umgangs im Rahmen der gemeinsamen Erziehungsverantwortung praktizieren, trägt dies offenbar zur nachehelichen Konfliktentschärfung bei, die gleichsam als Entkrampfung ihrer Beziehung sich unmittelbar positiv auf die Verarbeitung der Krise seitens des Kindes und seiner Lebenssituation auswirkt. 783 Ein wichtiges Element ist dabei die wechselseitige Akzeptanz und der gegenseitige Respekt der Eltern gegenüber der Erziehungsverantwortung sowie Elternrolle zum Kind. 784 Dies wird im Einzelnen auf die Besonderheiten des Trennungskonfliktes zurückgeführt. So komme dem Trennungsprozess selbst und der Entwicklung von Konfliktbearbeitungsstrategien in der ersten Zeit nach der Trennung eine Schlüsselrolle für die Möglichkeit einer zufrieden stellenden nachehelichen Elternschaft zu. 785 Die gemeinsame Sorge begünstige hier die Krisenbewältigung der Beteiligten, indem sie Konfliktverschärfung vermeide und die Möglichkeit eigenverantwortlicher Konfliktregelungen unterstütze. Dabei sei die Abstimmung selbst bereits ein Schritt zur Bewältigung und Entspannung, so dass es sich als wichtig erwiesen habe, den Eltern grundsätzlich die eigenverantwortliche Konfliktregelung nicht abzunehmen. 786 Diese eigenverantwortliche Gestaltung der nachehelichen Elternschaft im Rahmen des KindRG fördere offenbar die Kommunikation und 781

Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S. 12. Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 4, der in diesem Zusammenhang auch auf die besonderen Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern hinweist, wenn die Eltern Kontakt zueinander ablehnen und sich feindselig begegnen. 783 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S. 12. 784 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 4 f. 785 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S. 13. 786 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S. 13. 782

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Kooperation der Eltern und verhindere gleichzeitig das Erstarren von Positionen des „Rechthabens“ und vermeide neuerliche gegenseitige Verletzungen, die einer Bewältigung der Krise entgegenstehen. 787 Den Eltern wird erspart, den eigenen Rechtsstandpunkt vehement verteidigen und sich in Konkurrenz zum anderen Elternteil profilieren zu müssen. 788 Gleichzeitig führe der gesetzliche Rahmen dazu, dass auch die nicht betreuenden Elternteile selbstbewusst die Mitwirkung einfordern, so dass sich die Eltern nicht von einander zurückziehen können. 789 Das heißt, dass die gesetzliche Gestaltung der Trennungssorge auf das Bewusstsein und das Verhalten der Beteiligten direkten Einfluss nimmt und offenbar dazu beiträgt, dass die rechtliche Elternverantwortung auch tatsächlich ausgeübt wird. Demgegenüber behindere das gerichtliche Verfahren zu Elternsorge und Umgang im Rahmen der Alleinsorge die Entwicklung neuer Beziehungsstrukturen. Denn das Verhältnis der Eltern aufgrund der gescheiterten Partnerschaft werde durch das streitige Sorgerechtsverfahren und gegenseitige Verdrängungsbestrebungen aus bisherigen Rechtsstellungen im Hinblick auf die Elternschaft perpetuiert. Die aus der Partnerschaft resultierenden Wunden werden im Zusammenhang mit der Sorgerechtsgestaltung immer von neuem aufgerissen und behindern das Erlernen neuer Kommunikationsformen im Hinblick auf die fortbestehende Erziehungsverantwortung. 790 Dabei scheint das hierarchische Verhältnis zwischen Sorgerechtsinhaber und Nicht-Sorgerechtsinhaber in erheblichem Maße die Konkurrenzsituation zu fördern und den Anpassungsprozess an die neue Lebenssituation zu behindern. 791 Dies zeigt sich auch an einer hohen Zufriedenheit mit der Sorgerechtsform seitens der Sorgeberechtigten und einer sehr geringen Zufriedenheit der Elternteile, mit denen das Kind nicht zusammenlebt. 792 Dies führt im Ergebnis bei der Ausübung der Alleinsorge in einem hohen Maße zur Ausgrenzung des umgangsberechtigten Elternteils und häufig letztlich zu Kontaktabbrüchen des Kindes und dieses Elternteils.

787 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Überblick S. 13; Zwischenbericht II (2001), S. 221. 788 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S.5. 789 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 9. 790 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 10. 791 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 10. 792 So erklärten sich 87,6% der alleinsorgeberechtigten Mütter für zufrieden oder sehr zufrieden mit der Elternsorge, während dies nur für 27,9% bei den umgangsberechtigten Vätern galt. Demgegenüber waren nur 3,5% der alleinsorgeberechtigten Mütter mit dieser Sorgerechtsform unzufrieden oder sehr unzufrieden, demgegenüber jedoch 48,5% der Väter. Demgegenüber zeigt sich bei gemeinsamer Sorge ein ausgewogeneres Bild, indem 48,6% der betreuenden Mütter und 61,7% der nichtbetreuenden Väter zufrieden oder sehr zufrieden mit der gemeinsamen Sorge sind, während sich 26,5% der betreuenden Mütter und 15,2% der nichtbetreuenden Väter als unzufrieden oder sehr unzufrieden zeigten (vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 10).

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Der Unterschied der Kommunikation und Kooperation der Eltern wird dabei anhand einzelner Aspekte hinsichtlich der Sorgerechtsformen gegenübergestellt. So würden Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht zu 66,8% ihre Streitigkeiten im gemeinsamen Gespräch beilegen. Bei Eltern, die aufgrund einer gerichtlichen Zurückweisung des Alleinsorgeantrages die gemeinsame Sorge ausüben, gilt dies immer noch für 48,7%, während Eltern, bei denen nur ein Elternteil das Sorgerecht ausübt, die Auseinandersetzung nur bei 34,9% im gemeinsamen Gespräch austragen. Ähnlich erweist es sich bei der Regelung des Umgangs, die sich bei Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht zu 68,2% außergerichtlich und 14,8% durch gerichtliche Entscheidung ergeben, während bei Alleinsorge 43,4% eine außergerichtliche Umgangsregelung treffen und 35,2% eine Gerichtsentscheidung dazu benötigen. 793 Diese in der Alleinsorge verbreiteten Kommunikationsdefizite schlagen unmittelbar auf das Kind durch und führen in einem erheblichen Maße zu Kontaktabbrüchen. So gaben 34,0% der Umgangsberechtigten bei bestehender Alleinsorge an, nach 2 Jahren keinen Kontakt mehr zum Kind zu haben sowie 16% nur selten, während dies bei gerichtlich verordneter gemeinsamer Sorge durch Antragsabweisung nur bei 9,2% lag. 794 Als Begründung für die Kontaktabbrüche wurde angegeben, dass der andere Elternteil den Kontakt verhindere oder ihn nicht wolle. In diesem Zusammenhang wird jedoch auch die Bedeutung der Kommunikationsfähigkeit für beide Sorgerechtsformen hervorgehoben. Dies widerlegt die Bedenken gegen die gemeinsame Sorge als Regelfall, diese Sorgerechtsform und die Gemeinsamkeit der Eltern lasse sich nicht verordnen, während die Alleinsorge als eine adäquate Entlastung der Beteiligten vom ungewünschten Kontakt anzusehen sei. Denn die Regelungen des Unterhalts und des Umgangs erweisen sich im Vergleich bei der Alleinsorge als erheblich aufwendiger als die Abstimmung der wesentlichen Angelegenheiten bei der gemeinsamen Sorge. 795 Die Annahme, gemeinsame Sorge erfordere eine besondere Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft, wurde nicht bestätigt. 796 Während die gemeinsame Sorge die Kommunikation der Eltern miteinander fördere, werde sie im Rahmen der Alleinsorge oft behindert durch die Verhärtung der Fronten zwischen ihnen. 797 Denn gerade für die Eltern, die nach Alleinsorge strebten, bleibe der partnerschaftlich Konflikt 793

Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 7. Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 7. 795 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 7. 796 So gaben 24,0% der Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht, aber auch 15,2% der Eltern bei Alleinsorge an, sich über Angelegenheiten von wesentlicher Bedeutung zu streiten. Während sich aber 65% der Eltern mit gemeinsamer Sorge bzw. 48,7% mit erzwungener gemeinsamen Sorge aufgrund einer gerichtlichen Ablehnung des Alleinsorgeantrages über die Streitigkeit im gemeinsamen Gesprächen verständigen, so gelingt dies bei Eltern in Alleinsorge nur bei 29,5 % (vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 8). 797 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 6. 794

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für ihre nacheheliche Beziehung sowie das vorrangige Bemühen um Ausgrenzung des anderen Elternteils bestimmend, was oft durch die gerichtliche Sorgerechtsentscheidung noch verstärkt wird. 798 Der konfliktmildernde Einfluss der gemeinsamen Sorge hat sich in Hinblick auf die Vermeidung von gerichtlichen Auseinandersetzungen als nachhaltig erwiesen. Also nicht nur die erste Vermeidung der sorgerechtlichen Konfrontation erleichtert die Anpassung der Eltern an die veränderten Lebensverhältnisse in der gemeinsamen Elternverantwortung. Die damit gewonnene Entspannung des Elternverhältnisses führt auch dazu, dass sich die strittigen Folgesachen sowie isolierte Sorgerechtsverfahren nicht nur vor, sondern auch nach der Scheidung reduziert haben. 799 Vor allem aber blieb die Befürchtung, die gesetzliche Regulierung der gemeinsamen Trennungssorge führe zu unkontrollierbarer Konfliktverschleppung, die sich in einer Flut von Einzelentscheidungen niederschlage und dauernde Ausgleichsleistungen des Staates aufgrund des anhaltenden Einigungsdefizits der Eltern erfordere, unbestätigt. Die Quote der Inanspruchnahme gerichtlicher Streitigkeiten fällt bei der gemeinsamen Sorge signifikant geringer aus als bei Alleinsorge. 800 Neben der deutlichen Begünstigung der Kommunikations- und Kooperationsstrukturen durch die gemeinsame Sorge hat die Studie jedoch auch herausgearbeitet, dass sich unterstützende Aktivität bei der Förderung der Eltern-KindBeziehungen durch Familiengerichte, Anwälte und Beratungsstellen als erforderlich erwiesen habe. 801 So trage zwar die Aufhebung des Zwangsverbundes deutlich zur Konfliktentschärfung im Rahmen der Scheidung bei, ohne nennenswert zu einer Erhöhung der Umgangsauseinandersetzungen zu führen. 802 Auch wurde von den Experten der Praxis aus Familiengerichten, Jugendämtern und der Anwaltschaft einhellig von der Einführung der Pflicht zur Erstellung eines Sorgerechtsplans in Fällen abgeraten, in denen kein Sorgerechtsantrag bei Scheidung gestellt wird. 803 Aber im Rahmen der gezielten Unterstützung in Konfliktfällen hat sich die staatliche Hilfestellung als Erleichterung erwiesen. So generiert die Stärkung der Elternautonomie und daraus folgende Entscheidungsautonomie in vielen Fällen zunächst Beratungsnachfrage. 804 Durch die Beratungsintervention könne die Kommunikationsfähigkeit und die Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Konfliktregelung nachhaltig gefördert werden, auch da die Eltern gezielt motiviert 798

Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 6. Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 8. 800 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 9. 801 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 5. 802 Vgl.Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 5. 803 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 5. 804 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 11, der darauf hinwies, dass dies auch ein erklärtes Ziel des Gesetzgebers war. 799

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

werden könnten, die Konflikte selbständig zu lösen, anstatt sie zur „Fremdbestimmung“ an Dritte zu delegieren. 805 In der praktischen Umsetzung wies die Studie noch Defizite der Beratungsangebote auf. 806 Der Schwerpunkt des akuten Beratungsbedarfes besteht jedoch vorrangig bei Eltern in Alleinsorge aufgrund strittiger Gerichtsentscheidungen. 807 Die Begleitstudie kam demnach zu dem Ergebnis, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Änderung der Neuregelung vorgenommen werden solle. 808 Ebenso wurde abgelehnt eine Pflicht zum Erstellen eines Sorgerechtsplans einzuführen für die Fälle, in denen die Eltern bei der Scheidung keinen Sorgerechtsantrag stellen. 809 Stattdessen solle die strukturell positive Wirkung der neuen Regelungen durch einen gezielten Ausbau der Beratungsmöglichkeiten gestützt und gefördert werden. Dies könnte etwa auch durch eine kostenrechtliche Begünstigung der Mediation erreicht werden. Die Begrenzung der Prozesskostenhilfe nur im Hinblick auf Gerichtsverfahren wurde als schwerwiegende Inkonsequenz kritisiert. Das Beratungsangebot soll gezielt ausgebaut werden. 810 Damit haben sich zentrale Zielsetzungen der Gesetzesreform und ihre Annahmen hinsichtlich der Wirkungen gemeinsamer Sorge durch diese vorliegende Begleitforschung in wesentlichen Punkten bestätigt. Insbesondere die Wechselwirkung zwischen der Sorgerechtsform und der Entspannung des Elternverhältnisses, die Förderung der Kooperations- und Kommunikationsstrukturen und die Verbesserung der Voraussetzung für das Kind, um die Beziehung zu beiden Eltern fortzusetzen, finden sich in der Realität wieder. Dem wurde jedoch entgegengehalten, dass die Grundprämisse der Untersuchung und die damit verbundene Vermutung, die gemeinsame Sorge diene dem Kindeswohl, nicht ausreichend berücksichtige, dass Tatsachenstudien national wie international erhebliche Zweifel an der universellen Anwendbarkeit der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung ergeben haben. 811 Im Grunde liegt darin der allgemeine Vorwurf, dass die Perspektive der Befragung bereits diese Wertung begünstigt hat. Es kann natürlich vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass die Reaktionen der Eltern und deren persönliche Erfahrungen im Laufe der Sorgerechtsausübung 805

Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 11. Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 12. 807 So wurde von Gerichten, Jugendämtern und Rechtsanwälten der Bedarf einhellig als größer für die Alleinsorge gegenüber der gemeinsamen Sorge ausgewiesen. Dabei bezeichneten 74,9% der erstinstanzlichen und 67,2% der zweitinstanzlichen Richter den Beratungsbedarf bei Eltern mit Alleinsorge aufgrund der strittigen Gerichtsentscheidung als sehr hoch oder hoch (Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 12). 808 Vgl. Proksch Begleitstudie-Schlussbericht (Gesamtergebnis), S. 16. 809 Vgl. Proksch Begleitstudie-Schlussbericht (Gesamtergebnis), S. 16. 810 Vgl. Proksch Abschlussbericht 2002-Gesamtergebnis, S. 16. 811 Vgl. Kostka FamRZ 2004, S. 1924 (1925) mwN. 806

V. Rechtspraxis des § 1687 und Untersuchung zur Umsetzung

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bereits durch ihre persönlichen Umstände geprägt waren, also nicht in erster Linie auf die Sorgerechtsform, sondern auf die Protagonisten und ihre persönlichen Fähigkeiten zurückzuführen war. Auch bleibt unklar, welche Gruppe an den Befragungen teilgenommen hat und inwieweit diese Teilnehmer u.U. nicht repräsentativ waren, etwa weil ein Ausschnitt besonders engagierter Eltern überproportional darin enthalten war. Es erscheint aber zweifelhaft, ob diese Überlegungen dazu führen, die Aussage der Untersuchung zu erschüttern. So bieten zunächst bereits die äußeren Eigenschaften der Eltern mit gemeinsamer Sorge jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass eine homogene Gruppe oder spezifische Prädispositionen der Eltern zu verzerrten Ergebnissen der Befragung geführt haben könnten. Im Gegenteil, Einkommen, Bildung und Berufsgruppen, vor allem aber die erhebliche Zahl der Eltern mit gemeinsamer Sorge lassen eher vermuten, dass die Ergebnisse ohne signifikante Begünstigung der Befragten gegenüber denen mit Alleinsorge in die Trennungssorge gestartet sind. 812 Zumindest kann man jedoch sagen – auch wenn die Weiterentwicklung durch die beteiligten Personen und ihre Wahl beeinflusst gewesen sein mag –, dass sich die negativen Befürchtungen hinsichtlich der Entwicklung innerhalb der gemeinsamen Sorge jedenfalls nicht realisiert haben. So konnten keine Anhaltspunkte für verdeckte Alleinsorge, Überforderung der Eltern durch die gemeinsame Elternverantwortung trotz Konfliktanfälligkeit ihres Verhältnisses oder besondere Belastung der Kinder durch dauernde Auseinandersetzungen der Eltern im Rahmen ihrer Abstimmungen ausgemacht werden. Insbesondere eine Erhöhung der Umgangskonflikte, wie ursprünglich bei der Einführung des § 1687 vorhergesagt, hat sich nicht bestätigt. 813 Gleiches gilt für die Befürchtung, dass die Regelung § 1671 verstärkt zu isolierten Verfahren von Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht auf Übertragung der Alleinsorge vor und nach der Scheidung bzw. die Neuregelung der elterlichen Sorge zu erhöhten Umgangskonflikten bei den Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht führen würde. 814 Hinzu kommt, dass auch die positive Voreingenommenheit offenbar die Wertung der Beteiligten nicht beeinflusst hat, denn die Befragung zeigte jedenfalls anhand der Verbesserung der Beurteilung im Laufe der Erhebung, dass die Sorgerechtsausübung sich positive auswirkte, unabhängig davon mit welcher Einschätzung die Eltern begonnen hatten. Das heißt, im Rahmen der gemeinsamen Sorge verliert das Sorgerecht zusehends den Charakter eines Austragungsortes für die elterliche Auseinandersetzung aufgrund der gescheiterten Beziehung. Die gesetzliche Förderung der elterlichen Zusammenarbeit begünstigt also offenbar die Trennung zwischen Partnerschafts- und Elternebene. Dieses Element ist von erheblicher Bedeutung für die kooperative Wahrnehmung der Kindesinteressen. 812 813 814

Kritisch dazu Kostka FamRZ 2004, S. 1924 (1926). Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 178. Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 23, 178, 218.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Es lässt sich also tatsächlich vermuten, dass das Bewusstsein der Beteiligten durch die Aufrechterhaltung der Sorgerechtsposition verändert wird. Das bestätigt die Einschätzung, dass die psychologische Wirkung der Rechtsstellung des nichtbetreuenden Elternteils eine erhebliche Rolle spielt und für die aktive Teilnahme an der Elternverantwortung von großer Bedeutung ist. Die erhoffte Verhaltenssteuerung hat sich an den genannten Elementen niedergeschlagen. 815 Ein besonderer Anknüpfungspunkt für die bewusstseinsprägende Wirkung ist, dass auch die unfreiwillige gemeinsame Sorge tendenziell an den allgemeinen Einflüssen der gemeinsamen Sorge teilnimmt, indem sie auch die Erfahrungen und Entwicklungen der Sorgerechtsausübung aufweist und sich signifikant von den Ausprägungen der Alleinsorge unterscheidet. So sind die Betroffenen gezwungen, eine Elternschaft zu praktizieren, die einerseits einer grundsätzlich gleichen Rechts- und Pflichtenposition beider Eltern entspricht, andererseits der veränderten Lebenssituation Rechnung trägt. 816 Das heißt, dass die Beeinflussung nicht zwingend an die innere Haltung der Eltern geknüpft war, sondern durch die äußeren Verhältnisse geschaffen wurde. Dies entkräftet überdies die Vermutung, dass bereits die Auswahl und die Klientel der gemeinsamen Sorge maßgeblich sind für die sorgerechtliche Entwicklung. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang regelmäßige der Kontakt sowohl zwischen Eltern und Kind also auch zwischen den Eltern untereinander. Die Eltern bekommen Gelegenheit, Konsensarbeit zu üben und zu leisten. 817

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen Vor dem Hintergrund des voranstehenden Überblicks soll nun versucht werden, durch die Gegenüberstellung denkbarer Regelungsalternativen zu geltenden Regelung des § 1687 Charakteristika und grundsätzliche Gewichtung der gesetzlichen Trennungssorge herauszuarbeiten. Der gesetzgeberische Güterabwägungsprozess wird auf diese Weise anschaulich und lässt Zielsetzungen sowie Motive des § 1687 erkennen. So verdeutlicht die Betrachtung einerseits die spezifische Gewichtung der reformierten Rechtslage, indem sie vor dem Hintergrund der dahinter zurückgetretenen Alternativen die gesetzliche Priorität herausstellt. Andererseits schafft diese Gegenüberstellung der Regelungsmöglichkeiten die Voraussetzung dafür, die gesetzliche Trennungssorge in ihrer bestehenden Form als ein Gesamtkonzept besser zu erkennen. Denn aus dieser stärker konzeptionellen Perspektive wird die Kritik nicht auf Einzelaspekte beschränkt, sondern in einen Gesamtzusammenhang gestellt, in dem der komplexe Abwägungsprozess deutlich wird. Die gesetzliche Regulierung wird auf diese Weise hinsichtlich der ihr zugrunde lie815 816 817

Vgl. Kostka FamRZ 2004, S. 1924. Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 218. Vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 218.

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen

345

genden Grundsatzentscheidung und den Fundamenten dieses Regelungsansatzes erkennbar. Schon die bloße Verlagerung der Krisenintervention auf die normative Ebene bringt ein verändertes Verhältnis von Staat und Familie, ein Kindeswohlverständnis und eine Eingriffsschwelle in die sorgerechtliche Position hervor, die neue Abwägungen zwischen den verschiedenen Schutzgütern voraussetzt. Die gesetzliche Regulierung der gemeinsamen Trennungssorge steht zwei grundlegenden Modellen gegenüber. So stellt die geltende Rechtslage einen Kompromiss aus zwei Elementen dar, der Fortsetzung der gesetzlichen Sorge, wenngleich in Hinblick auf die Trennung modifiziert, und der Möglichkeit einer gerichtlichen Einzelfallentscheidung. Die Alternativkonzeptionen setzen jeweils die einfließenden Bestandteile der aktuellen Rechtslage in einseitiger Form um. Die Modelle bestehen daher zum einen in der staatlich kontrollierten einzelfallbezogenen Gestaltung der Elternsorge nach altem Vorbild und zum anderen im vollständigen Verzicht auf einen vom Rechtsstreit unabhängigen Sondertatbestand der Trennungssorge. 1. Alternative 1: Staatliche Kontrolle unabhängig vom Einzelfall (Modell des § 1671 BGB a.F.) Vergleicht man die denkbaren Möglichkeiten der Regulierung von Trennungsund Scheidungssorge, so steht die nun geltende universelle Regulierung durch Gesetz zunächst der gerichtlichen Einzelfallregulierung gegenüber. Die geltende Regelung erweist sich demgegnüber als der Verzicht auf einen unmittelbaren staatlichen Zugriff, indem die Umgestaltung der gemeinsamen Sorge bei Trennung und Scheidung durch eine gesetzliche Regelung getroffen wird. Die Alternative besteht demgegenüber darin, unabhängig von einem konkreten Regelungsbedürfnis der Betroffenen das Sorgerecht nach der Trennung anhand des Einzelfalls durch staatliche Institutionen umzugestalten und den Anpassungsprozess der Familie an die veränderte Situation dadurch zu kontrollieren. Der Grundgedanke entspricht der dem KindRG vorangegangenen Rechtslage. Durch den Zwangsverbund der Sorgerechtsentscheidung 818 wird nach einem solchen Modell jeder Scheidungsfall einer individuellen Prüfung durch die Gerichte unterzogen. Die sorgerechtliche Überleitung erfolgt damit unter staatlicher Kontrolle und knüpft an eine rechtlich zwingende Zäsur an, in der die Elternsorge aufgrund der Familienkrise neu zugewiesen und übertragen wird. a) Varianten der staatlichen Intervention Sähe man eine einzelfallbezogene Intervention für die Trennungssorge vor, so kommen verschiedene Möglichkeiten der Interventionsgestaltung in Betracht. 818

Vgl. §§ 621, 623 ZPO a.F.

346

B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Angelehnt an die vorherige Rechtslage ist dabei zunächst eine gerichtliche Sorgerechtsübertragung denkbar. 819 Alternativ wäre aber auch eine Intervention in Form einer Zwangsberatung möglich, die sowohl auf die Gestaltung der gemeinsamen Sorge als auch die Vorbereitung eines Alleinsorgeantrags gerichtet sein könnte. 820 Dabei müsste berücksichtigt werden, dass die Trennung nicht – wie die Scheidung – automatisch zur Eröffnung eines Gerichtsverfahrens führt, so dass erforderlich wäre, die Trennung auf andere Weise zu erfassen. Dies wäre durch Meldepflicht oder Amtshilfe der Einwohnermeldeämter in Fällen, in denen gemeinsame Wohnsitze mit Kindern aufgelöst werden, vorstellbar. 821 Nur auf dieser Grundlage wäre die einheitliche Regulierung von ehelicher und nichtehelicher Sorge in einem Modell einer Einzelfallintervention bei Trennung und Scheidung umzusetzen. Demgegenüber erscheint die Fortsetzung des Zwangsverbundes bei Elternscheidung und eine gesetzliche Regulierung bei nichtehelicher Sorge verfassungsrechtlich und rechtssystematisch nicht tragbar. Es bedeutete eine Benachteiligung der Träger ehelicher Sorge, die dadurch gegenüber den sorgeberechtigten Eltern nichtehelicher Kinder einer geringeren Eingriffsschwelle ausgesetzt wären. Gleichzeitig wäre der verfassungsrechtliche Auftrag der Vereinheitlichung ehelicher und nichtehelicher Elternsorge erneut durchbrochen. Darüber hinaus wären verschiedene Zielsetzungen der Interventionen im Rahmen dieses Modells der Einzelfallregulierung denkbar. So kann die Intervention entweder auf die vorrangige Förderung eines Sorgerechtsmodells oder aber auf eine neutrale Gegenüberstellung der alternativen Formen gerichtet sein. Hier steht die Beurteilung des Zweifelsfalls im non liquet im Vordergrund. Die zwingende Einzelfallgestaltung der Trennung- und Scheidungssorge beruht auf der Überzeugung, dass gemeinsame Sorge nach der Trennung eine potentielle Gefährdung des Kindes bewirkt, die durch staatliche Intervention ausgeschlossen werden muss. Der Zweifelsfall bei der kindeswohlbezogenen Abwägung zwischen den 819 So Gesetzesentwurf der Fraktion der Grünen vom 12. 12. 1996, BT-Drucks. 13/3341, S. 8; befürwortend auch Losse FuR 1997, S. 100 (101); Rummel ZfJ 1997, S. 202 (203). 820 Vgl. Rummel ZfJ 1997, S. 202 (207); Antrag der SPD-Fraktion vom 21. 6. 1996, BT-Drucks. 13 /1752, S. 2 ff, worin die Interventionsform des KJHG zum Modell herangezogen wird und in erster Linie auf die Vorlage eines Sorgerechtsplanes abgestellt wird; so auch Baer ZfJ 1996, S. 123 vgl. aber auch mit weniger dezidierter Planungspflicht im Entwurf der SPD v. 17. Dez. 1992, BT-Drucks. 12/4024, S. 7; zur entsprechenden Absage an das „reine Antragsmodell“ vgl. DFGT FamRZ 1993, S. 1164 (1166); ebenso Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1996, S. 1187 (1189); jedenfalls unter Hinweis auf das nachweislich hohe Einigungspotential, das institutionell ausgenutzt werden kann vgl. Coester FamRZ 1992, S. 617 (624); Rauscher NJW 1991, S. 1087; Salgo FamRZ 1996, S. 449 (453), die darauf hinweisen, dass in 85% der Scheidungsfälle nach der vorherigen Rechtslage dem Gericht einvernehmliche Lösungen unterbreitet und in weiteren 10% eine Einigung im Laufe des Verfahrens erzielt würden. 821 Vgl. v. Renesse FPR 1998, S. 59 (60), die auch ausdrücklich darauf hinweist, dass die Kenntnisnahme von der Elterntrennung kein Hindernis für die obligatorische Sorgerechtsintervention darstellt, ohne jedoch auf die konkrete Umsetzung einzugehen.

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen

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Sorgerechtsformen kann deshalb nur zur Alleinsorge führen. Die Gleichstellung der Sorgerechtsformen im Rahmen dieses Interventionsmodelles bedeutet damit faktisch eine Aufwertung der Alleinsorge. Der damit angestrebte Schutz des Kindes vor dem trennungsspezifischen Elternkonflikt erscheint jedoch nicht überzeugend und lässt erhebliche Schwächen dieses Regelungsmodells erkennen. Zum einen hat die Erfahrung gezeigt, dass ein gerichtliches Verfahren über das Sorgerecht die Konfrontation der Eltern fördern und zumindest mittelbar zur Verhärtung der Fronten beitragen kann. 822 Überdies vermag die gerichtliche Sorgerechtsgestaltung die Konfliktanfälligkeit im Verhältnis der Eltern nicht zu beseitigen, sondern verlagert Auseinandersetzungen auf die Umgangsregulierung, bei der die Situation durch das hierarchische Gefälle zwischen den Eltern aufgrund der Sorgerechtsübertragung auf einen Teil sogar noch erschwert sein könnte. 823 Schließlich verkürzt dieser Ansatz voreilig den sorgerechtlichen Gestaltungsspielraum und die möglichen Beiträge der Eltern zum Kindeswohl. 824 Der vielfach vorübergehende Konflikt wird zum Anlass genommen, um einen Elternteil aus der Verantwortung weitgehend zu entlassen. 825 Auch wenn der gerichtlichen Entscheidung die Bedingungen des Einzelfalls zugrunde liegen, so vermag sie nur beschränkt eine langfristige Prognose zu liefern. 826 Dies wird überdies dadurch verstärkt, dass der Zeitpunkt der Intervention festgelegt ist und daher eine bloße Konfliktprophylaxe darstellt, bei der zukünftig vermutete Konflikte zu Lasten der Kindesinteressen vermieden werden, indem das Kind eine sorgeberechtigte Bezugsperson verliert. In der Gegenüberstellung erscheint die gemeinsame Sorge demgegenüber als Zielvorgabe oder Leitbild der Intervention vorzugswürdiger. 827 Durch gezielte 822

Balloff / Walter FuR 1991, S. 63 f; Coester Brühler Schriften, 6. DFGT 1986, S. 35 (48); ders. FuR 1991, S. 70 (72). 823 Vgl. zur Behinderung der gemeinschaftlichen Anpassung aufgrund der hierarchischen Struktur der Alleinsorge Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (451); Dörr NJW 1989, S. 690 (692); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132); im Übrigen oben nähere Ausführungen Abschn. B.IV.2. 824 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64; vgl. auch Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (58); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (881). 825 Zum Problem des Kontaktabbruchs bei nachehelicher Sorge vgl. Henning / StehleRemer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 55. 826 Vgl. Coester EuGRZ 1982, S. 256 (263); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (419); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 83; Göppinger Rz. 618; Kropholler JR 19984, S. 89 (95); Knöpfel NJW 1983, s. S. 905 (908); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (308); Limbach „Studie“, S. 57; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (418); Magnus RdJR 1988, S. 158 (166); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (134); Neuhaus FamRZ 1980, S. 1090; LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (403); OLG Düsseldorf FamRZ 1978, S. 266; OLG Schleswig DAVorm 1978, S. 716; KG FamRZ 1979, S. 340. 827 Vgl. dazu im Kap. C., Abschn. III.2.b)aa) zum Regel-Ausnahme-Verhältnis der Sorgerechtsformen.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Hilfestellung kann versucht werden, das Erziehungsideal der gesetzlichen Sorge in Form der Erziehung des Kindes durch beide Eltern aufrechtzuerhalten, ohne durch eine allgemeine Gefahrenvermutung voreilige Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Gleichzeitig öffnet dies eine abgestufte Herangehensweise an den Trennungskonflikt und eine differenzierte sorgerechtliche Einzelfallintervention. Durch die Einzelfallbeurteilung können zunächst die Hindernisse der gemeinsamen Sorge durch individuelle Maßnahmen ausgeräumt werden, etwa indem durch Maßnahmen im Vorfeld der Sorgerechtsausübung der Anlass für Konflikte ausgeräumt wird. Diese Überlegungen sind bereits in den Gesetzgebungsprozess eingeflossen, indem erörtert wurde, ob die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge von der Erstellung eines Sorgerechtsplans abhängen sollte. 828 Der sorgerechtliche Anpassungsprozess wäre damit weiterhin an einen institutionell kontrollierten, bewussten Entschluss der Eltern geknüpft. Der Vorteil dieses Interventionsansatzes besteht darin, dass die Eltern zum Zeitpunkt der größten Verunsicherung – zu Beginn der Trennung – gezielt unterstützt werden können. In sachkundiger Betreuung können die Eltern gezielt auf Schwierigkeiten und Regelungserfordernisse hingewiesen werden. Anders als die gesetzliche Regulierung, die den unvorbereiteten und indifferenten Übergang mit der Trennungssituation nicht ausschließen kann, ist einzelfallgerechte Hilfestellung nach Maß möglich. Beschränkt auf eine Beratung ohne verbindliche Sorgerechtsgestaltung, kann noch dazu die aktuelle Krisensituation punktuell stabilisiert werden, ohne hingegen eine selbständige Gestaltung der Eltern für die Zukunft zu behindern. b) Abwägung der Interventionswirkung Doch auch wenn diese gezielte einzelfallbezogene Unterstützungsmaßnahme zunächst sachgerecht erscheint, so muss ihre Wirkung im Gesamtkontext betrachtet werden. So ist die Intervention kein neutrales Ereignis, sondern wirkt sich als eine eigenständige Belastung für die Betroffenen aus. Es muss daher sorgsam abgewogen werden, zwischen den bei der Intervention in Kauf genommenen Belastungen und der damit erzielten Situationsverbesserung. Schon die Vorgabe einer zwingenden Intervention durch den Staat zur Gestaltung der Trennungssorge gibt ein ganz grundsätzliches Verständnis von der Trennungssorge als Regelungsgegenstand vor. Die obligatorische Einzelfallbetreuung der Trennungssorge unterstellt, dass die Elterntrennung im durchschnittlichen Regelfall zu einer Kindeswohlgefährdung führt, so dass eine am konkreten Bedarf orientierte Intervention nicht ausreicht. Erst diese Annahme legitimiert einen einzelfallunabhängigen Eingriffstatbestand 828 Vgl. dazu den SPD- Entwurf BT-Drucks. 13/1752, S. 5 Nr. 17; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Kropholler NJW 1984, S. 271; Magnus RdJB 1988, S. 158 (165); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (134); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 68; Oelkers FamRZ 1995, S. 1097; OLG Hamm MRD 1995, S. 287; befürwortend Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452); kritisch Jopt FamRZ 1987, S. 881.

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen

349

nach dem Vorbild des § 1671 a.F., durch den die Eltern ihres verfassungsrechtlich geschützten Erziehungsprimats punktuell enthoben werden. Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Trennung bislang die Gefahrenschwelle gem. § 1672 a.F. nicht überschritten hat und die gerichtliche Intervention nur auf Antrag zur Gestaltung der Elternsorge führte. Eine entsprechende Vorverlagerung der obligatorischen Intervention im Zuge der vereinheitlichenden Sorgerechtsgestaltung bedarf daher einer besonderen Rechtfertigung. Im Vordergrund steht dabei der Schutz des Kindes vor dem trennungsbedingten Elternkonflikt und dem durch mangelnde Kooperationsfähigkeit der Eltern eintretenden Entscheidungsvakuum. 829 Dieses Konfliktpotential wird als Disqualifizierung der Eltern aufgefasst, die den Staat zur Übernahme der krisengemäßen Umgestaltung beruft. Das staatliche Krisenmanagement geht dabei von der Prämisse aus, die Trennungssorge sei ein nachhaltig anders geartetes Sorgerecht als die gesetzliche Sorge oder erfordere zumindest eine deutliche Zäsur in der Sorgerechtsgestaltung. Damit ergibt sich ein auf die Partnerschaft der Eltern ausgerichtetes Leistungsvermögen, das der Sorgerechtseinschätzung zugrunde gelegt wird. Diese Gewichtung verdient jedoch gegenüber der gesetzlichen Regulierung nicht den Vorzug. Die Bedenken richten sich vor allem auf die statische Struktur dieses Interventionsansatzes, die von einem sehr engen Kindeswohlbegriff ausgeht. 830 Zwar bewirkt die Trennung der Eltern eine Verunsicherung aller Beteiligten, die sich zu Lasten des schwächsten Familienteils, des Kindes, auswirken kann. Verlustangst, Desorientierung und das Gefühl, dem Konflikt der Eltern ausgeliefert zu sein, wird dem Kind nicht erspart werden können. Man muss sich jedoch vor Augen halten, dass die Regulierung das menschliche Leid, das sie nach sich zieht, nicht ungeschehen machen kann. Das sachgerechte Ziel kann deshalb nur sein, zu verhindern, dass das Kind zum Opfer des Konflikts mit Langzeitfolgen wird. Der Beurteilungsmaßstab orientiert sich dabei jedoch angesichts der verfassungsrechtlich gebotenen Eingriffsschwelle am Gefährdungsbegriff des § 1666. So stehen sich die mit der fortgesetzten gemeinsamen Sorge drohenden Gefahren bzw. die Kompensation elterlicher Verantwortungsdefizite einerseits und die tatsächlichen staatlichen Gestaltungsmöglichkeiten andererseits einander gegenüber. Die staatliche Regulierung ist, auch wenn sie den Anspruch auf Objektivität erheben kann, durch einschneidende Nachteile gekennzeichnet. Dies folgt einmal aus ihrer autoritären oder inquisitorischen Struktur. Die staatlichen Institutionen 829 Kritsch dazu bereits Coester EuGRZ 1982, S. 256 (257); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); Dietzen FamRZ 1987, S. 239; Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (759). 830 BT-Drucks. 8/2788, S. 63; „Zur Sache – Themen parlamentarischer Beratung 1/78, Elterliche Sorge“, S. 50; Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); vgl. dazu auch den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, BT-Drucks. 12/4024, S. 12, BT-Drucks. 13/1752, S. 15.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

verfügen als Außenstehende zwangsläufig nur über einen eingeschränkten Einblick, den sie zur Grundlage ihrer Beurteilung machen müssen. Dieser Aspekt wird noch verstärkt durch den punktuellen Einblick – einer Momentaufnahme –, der auf dem Höhepunkt der Familienkrise stattfindet und damit eine umfassende Einschätzung erschwert. Die gerichtliche Gestaltung beruht auf einer davon ausgehenden Prognoseentscheidung. Doch dieses in die Zukunft gerichtete Urteil droht vorzugreifen, weil die Verhältnisse vielfach noch nicht zur Ruhe gekommen oder absehbar sind, so dass eine Extremsituation innerhalb eines Schwebezustandes zum Maßstab einer langfristigen Planung wird. 831 Sie perpetuiert die Trennungssituation, die sich durch oftmals ungeklärte Verhältnisse auszeichnet. Auf diese Weise bekommt die staatliche Beurteilung bereits etwas Willkürliches. Der unter Umständen voreilige Regelungszwang, dem die Beteiligten aufgrund der obligatorischen frühen Staatsintervention ausgesetzt sind, begründet also einen Faktor für unangemessene und den konkreten Umständen nicht entsprechenden Regelungen. Dies entzieht der Einzelfallgestaltung jedoch ihre Legitimation, weil die beanspruchte, individuell sachgerechte Umsetzung des Kindeswohls nicht geleistet werden kann. Selbst wenn der Übergang in die veränderten Sorgerechtsbedingungen auf diese Weise erleichtert werden könnte, so wirkt er sich doch auf Dauer deflexibilisierend aus. Den sich regelmäßig verändernden Koordinaten wie Entspannung des Elternverhältnisses, neuen Lebensverhältnissen und sich altersbedingt wandelnden Kindesbedürfnissen können demgegenüber besser durch eine stetige Aktualisierung der Sorgerechtsausübung entsprochen werden als durch eine gerichtliche Prognose. Erschwerend wirkt sich dabei aus, dass die Intervention auf den erforderlichen und das Kindeswohl begünstigenden Aspekt der Bewältigung der Konfliktsituation einen eher nachteiligen Einfluss ausübt. Nicht genug also, dass die institutionelle Gestaltung die Gegebenheiten nur begrenzt gerecht werden kann, droht sie diese noch zudem zu behindern. In der Durchsetzung oder bei der bloßen Sicherung der eigenen Positionen stehen sich die Eltern zumindest tendenziell konkurrierend gegenüber. Staatliche Intervention trägt daher auch dazu bei, zu polarisieren und den Konflikt zu stärken. Gegen diesen Interventionsansatz sprechen nicht nur die Belastung des Kindes durch das Verfahren und die Verhärtung der elterlichen Streitpositionen. Er steht auch im Widerspruch zu der allgemeinen Sorgerechtsgewichtung der §§ 1626, die das Kind den familiären Konflikten in den Grenzen der konkreten Kindeswohlgefährdung gem. § 1666 aussetzt. Das unterstellt sowohl eine grundsätzlich auch im Familienkonflikt bestehende Entscheidungsfähigkeit der Eltern als auch eine dem Kind zumutbare Konfliktlage. Besteht also grundsätzlich eine sorgerechtliche Konflikttoleranz, so lässt sich ein Vorrang der Konfliktvermeidung nur rechtfertigen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass eine besondere Konfliktlage in der Trennungsfamilie eine unzumutbare Konfliktsteigerung be831

Vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (58); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (881).

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen

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wirkt. 832 Diese Einschätzung muss sich auf eine differenzierte Güterabwägung stützen. Hier fällt zunächst ins Auge, dass die obligatorische Intervention nicht geeignet ist, die sie bestehende Konfliktlage tatsächlich zu vermeiden, da sie diese auf das Umgangsrecht zu verlagern droht. Zum anderen hängt eine gezielte Kindeswohlumsetzung von hinreichend bestimmbaren Verhältnissen ab, die einen gewissen Vorlauf zum Verfahren voraussetzen. Stabilisiert sich dabei jedoch die Sorgerechtslage, so erscheint die Intervention mangels Gefahrenlage nicht gerechtfertigt. Dieser Einwand mag für die Interventionsform der Beratung nur bedingt gelten. Sie ist weniger auf eine bevormundende Rechtsgestaltung als vielmehr auf die gezielte Unterstützung der selbständigen Gestaltung der Eltern gerichtet. Doch bleiben wesentliche Elemente der interventionstypischen Fremdbestimmung bestehen. So wird auch bei der Beratung eine Zeit vorgegeben, in der die Eltern die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen und unabhängig von persönlichen Erfahrungen mit der neuen Situation zur Detail-Absprache treffen sollen. Daraus folgen ähnliche Behinderungen des Anpassungsprozesses wie durch die gerichtliche Intervention. Zum einen droht die gut gemeinte Hilfestellung zu einer voreiligen Pflicht zur Rechenschaft zu werden. Je unklarer die Vorstellungen der Eltern von der zukünftigen Sorgerechtsgestaltung sind, desto stärker sind sie der Vorgabe durch die Beratungsstelle ausgesetzt. Das voreilige Drängen zu Absprachen durch die Beratungsstellen erhöht jedoch ebenso wie das Gerichtsverfahren die Verunsicherung der Betroffenen. Ungewollt gewinnt auf diese Weise die Entmündigung der Eltern und die Betonung der unterstellten Überforderung an Bedeutung. Damit bleibt es gleichzeitig auch bei dem Charakter einer staatlichen Zwangsintervention, die vor allem die innere Einstellung der Betroffenen im Umgang mit dieser staatlichen Maßnahme prägen wird. Der Widerspruchsgeist oder doch zumindest das Zurückweichen vor staatlicher Autorität wird hier eher mobilisiert als abgebaut. Selbst wenn auf diese Weise eine Elterngruppe motiviert werden könnte, die anderenfalls eine Inanspruchnahme ablehnt oder aus Indifferenz keine Eigeninitiative aufbrächte, so erscheint die destruktive Wirkung des Zwangscharakters doch zumindest bedenkenswert. c) Konzeptionelle Bedenken gegen die Zwangsintervention Neben diesen praktischen Bedenken treten noch Vorbehalte aus grundsätzlichen Überlegungen hinzu. So erscheint zunächst das Verhältnis der Eltern- und Kindesinteressen durch die Trennung unangemessen gewichtet. Die Elternposition gerät in den Vordergrund. Die Auflösung der Partnerschaft erschüttert die sorgerechtliche Pflichtenverteilung. Daher erscheint es sachgerecht und erfor832

Zu diesem Aspekt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe vgl. auch Abschn. B.IV.2.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

derlich, die Pflichtenstellung an die Leistungsfähigkeit innerhalb der konkreten Lebensumstände anzupassen. Nur diese realistische Konsolidierung bietet eine tragfähige Grundlage sorgerechtlicher Aufgabenzuweisung. Eine „planmäßige“ Überforderung der Eltern führte zu einer Kindeswohlgefährdung. Insoweit dient die Trennungssorge sachgerecht der Entlastung der Eltern in der Krise, die ihre Erziehungsverantwortung in der persönlichen Bedrängnis nicht ungemindert wahrnehmen können. Dennoch müssen dabei die allgemeingültigen Strukturvorgaben des Sorgerechts konsequent erhalten und angewendet werden. Zum einen entstehen dabei Spannungen im Verhältnis von Staat und Familie. So folgt die gesetzliche Sorge dem verfassungsrechtlichen Grundsatz, dass die Elternschaft und die Kindeserziehung keiner staatlichen Eignungskontrolle unterstellt sind. Es gilt, dass die Eltern in den Grenzen der Kindeswohlgefährdung nach Maßgabe des § 1666 im Rahmen ihrer Möglichkeiten und nach ihrer Überzeugung in der Gestaltung der Kindeserziehung frei sind. Damit beruht die Elternsorge grundsätzlich auf der Anerkennung und dem Schutz der familiären Privatsphäre. Dies nimmt also das Risiko in Kauf, dass sich die Eltern im Einzelfall als ungeeignet erweisen, den Kindesinteressen gerecht zu werden. Knüpft man im Gegensatz dazu die Trennung zwangsweise an eine gerichtliche Intervention, werden in dieser Lebenssituation umgekehrt grundsätzlich ein elterliches Defizit und eine Kindesgefährdung unterstellt, die als nahezu paternalistische Intervention das grundlegende Kräfteverhältnis stören. Die Intervention stellt sich daher als eine Entmündigung der Eltern in der ihnen als Naturrecht zugewiesenen Stellung gegenüber ihrem Kind dar. Bevor man aber das Elternrecht vom Einzelfall unabhängig dem staatlichen Eingriff aussetzt, müssen zuverlässige Anhaltspunkte einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Kindeswohlgefährdung bestehen. 833 Nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist hier entscheidend, ob das mildere Mittel der Bedarfsintervention einen effektiven Schutz der Kindesinteressen gewährleistet. Das hängt zunächst davon ab, ob man zuverlässig davon ausgehen kann, dass die überforderten Eltern staatliche Maßnahmen in Anspruch nehmen. Doch muss man auch bei der Trennungssorge den nur beschränkten Schutzanspruch des Staates berücksichtigen. So rechtfertigt die bloße Trennung noch nicht, dass staatliche Stellen die Zuständigkeit des Kindesschutzes vollständig an sich ziehen und die Familie vollständig verdrängen. Allenfalls das Interventionsangebot, nicht aber die Zugriffsschwelle kann sich aufgrund der trennungsbedingten Krise verändern. Insbesondere ist hier zu berücksichtigen, dass die Trennung als Ausdruck der Krise – anders als die Scheidung – tatsächlich 833 Allein die Tatsache, dass es auch außerhalb der Trennung eine Reihe einschneidender Kindeswohlgefährdungen gibt, bei denen ein Einschreiten allein an eine konkrete Gefährdung geknüpft wird, vermag hier in diesem Zusammenhang noch nicht zu überzeugen. Anders als bei Trennungsbelastung können andere Gefährdungen kaum erfasst werden. Es fehlt bei den meisten an einer allgemeingültigen Einschätzung, um sie in einen gesetzlichen Gefahrentatbestand fassen zu können.

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen

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nicht zwingend dauerhaft sein muss. Schon insoweit erscheint die prophylaktische Staatskontrolle bei der Elterntrennung als zweifelhaftes Mittel. Hinzu kommt aber noch, dass die staatsfreie Erziehung selbst ein schützenswertes Kindeswohlelement ist. Die Intervention fügt einen zusätzlichen Faktor der Verunsicherung und damit der Kindeswohlbelastung hinzu. Der einzelfallunabhängige Eingriff erscheint gerade in der Gegenüberstellung der Kindeswohlbelastungen weitgehend unverhältnismäßig. So ist zunächst bei einem offenen Interessenkonflikt damit zu rechnen, dass staatliche Stellen zur Beilegung des Konfliktes angerufen werden. Die durch die obligatorische Intervention erfasste Gefährdung besteht also vor allem in der Indifferenz und der meist anfänglich unstrukturierten Sorgerechtsausübung. 834 Fraglich ist dabei jedoch, ob die Intervention der staatlichen Institutionen angesichts der oben ausgeführten verfahrensimmanenten Hemmnisse eine sachgerechte Handhabung dieser Schwierigkeiten hinreichend gewährleisten kann. Dazu kommt, dass sorgfältig zu prüfen ist, wann diese Indifferenzen in eine Kindeswohlgefährdung umschlagen. Eine pauschale Annahme einer Gefahr überzeugt hier nicht, insbesondere da für die Verarbeitung der neuen Lebensverhältnisse den Eltern Zeit gegeben werden muss, sich mit den neuen Umständen vertraut zu machen. So stellt sich ernsthaft die Anschlussfrage, warum man in Hinblick auf diese Problematik nicht abwarten will, ob eine konkrete Gefährdung eintritt. Nur auf diese Weise kann verhindert werden, dass ein Anpassungsprozess voreilig abgeschnitten und die kindeswohlgerechte Privatsphäre unnötig verletzt wird. Der zweite Aspekt gegen die obligatorische Einzelgestaltung besteht in der unsachgemäßen Verschiebung der Sorgerechtsperspektive. Der partnerschaftliche Konflikt verkürzt die elterliche Pflichtenstellung innerhalb der Trennungssorge. Denn die sorgerechtliche Zäsur durch eine Zwangsintervention unterbricht den Verantwortungszusammenhang. Die grundsätzlich von der konkreten Situation unabhängige Erziehungsverantwortung wird mit der Trennungsintervention durch den Staat punktuell übernommen und damit neben der entmündigenden Entlastung gleichzeitig auch die Pflichtenstellung relativiert. Auf diese Weise orientiert sich die elterliche Sorgerechtsstellung am Verhältnis der Eltern zueinander. Der Auflösungsprozess, also die Bestrebung, die persönlichen Lebensbereiche von einander abzulösen, entflicht gleichzeitig auch die Elternrollen. Im Ergebnis führt dies aber dazu, dass die Sorgerechtsreichweite sich nicht mehr in erster Linie nach den Kindesinteressen richtet. Die eingeschränkte Bereitschaft der Eltern, wie sie in der Trennungssituation unterstellt wird, wird zum Maßstab der sorgerechtlichen Pflicht. Zugespitzt formuliert, fügt sich die Durchsetzung der Kindesinteressen in die von den Elterninteressen vorgegebenen Spielräume. Gemessen am Pflichten834 Vgl. in diesem Zusammenhang die weiteren Ausführungen zu den Gefahren der sachfremden Motivation bei der Fortsetzung der gemeinsamen Trennungssorge in Abschn. B.II.4.c).

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

charakter des Sorgerechts erscheint die Perspektive jedoch unzweckmäßig. Nicht die Verantwortungsbereitschaft, sondern nur die elterliche Fähigkeit kann hier maßgeblich sein, wenn man die Priorität der Kindesinteressen ernst nimmt. 2. Alternative 2: Aufhebung des Sondertatbestandes der Trennungssorge Die zweite Alternative zur geltenden Regelung der gesetzlichen Trennungssorge bestünde darin, vollständig auf einen Sondertatbestand zu verzichten. Die gemeinsame Sorge würde zu einer einheitlichen Form gesetzlicher Sorge unabhängig von den familiären Lebensumständen. Dies käme einem vollständigen Rückzug des Staates aus der Sorgerechtsgestaltung anlässlich der Trennung gleich. Die Teilnahme staatlicher Institutionen beschränkte sich allein auf die gerichtlichen Verfahren im konkreten Konfliktfall. Die rechtliche Grundkonzeption wäre dann, die ElternKind-Beziehung von der Trennung rechtlich unberührt zu belassen. Die Elternsorge würde sich nach einer einheitlichen Pflichtenstellung der Eltern gem. § 1626 richten, ohne in Hinblick auf die Umstände der der Sorgerechtsausübung zu unterscheiden, und sich damit an dem in der Ehe verkörperten Erziehungsideal der dauernden Teilnahme und beidseitigen Fürsorge orientieren. Vorrangiger Anknüpfungspunkt und Zielsetzung wäre dann eine fortbestehende Elternverantwortung, die den Bestand der rechtlichen Eltern-Kind-Beziehung vollständig bewahrt. Die Trennung würde damit eingereiht in den allgemeinen wächteramtlichen Schutzauftrag und verpflichtete die Eltern innerhalb ihrer gemeinsamen Verantwortung, einen kindeswohlgerechten Übergang der Sorgerechtsausübung sicherzustellen. Die Schutzrichtung dieses Regelungsansatzes richtete sich demnach vorrangig auf die Stärkung der verfassungsrechtlich verankerten Elternstellung im Verhältnis zum Staat. Die Einschätzung des Kindeswohlbegriffs konzentrierte sich auf die Ausrichtung der allgemeinen gesetzlichen Sorge und betonte damit familiäre Autonomie und sorgerechtliche Gestaltungsfreiheit. a) Erforderlichkeit einer spezifischen Regulierung Bei einer ersten Gegenüberstellung der Elternsorge vor und nach der Trennung erscheint eine gesetzliche Regulierung, wie oben bereits ausgeführt, zunächst nicht erforderlich. Zum einen verfügen bereits die §§ 1626 ff über die nötigen Instrumentarien für die Gestaltung der Trennungssorge. Die spezifische Kompetenzverteilung der Kindschaftsrechtsreform geht daher bereits in den verfügbaren Elementen der gesetzlichen Sorge auf. So hat die genauere Betrachtung des § 1627 gezeigt, dass auch während der Ehe die Beiträge der Eltern weder notwendig ausgewogen noch stets abgestimmt sind. 835 Die familiäre Funktionsverteilung weist 835

Vgl. dazu weitere Ausführungen Kap. B., Abschn. II.1.

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen

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regelmäßig einem Elternteil den Schwerpunkt der Kindeserziehung durch die tägliche Betreuung zu. Im Zuge dessen handelt er faktisch in den alltäglichen Angelegenheiten allein und stützt sich auf die konkludente Bevollmächtigung des anderen Elternteils. Doch ist in diesem Zusammenhang erneut zu bedenken, dass die Regelung des § 1687 Abs. 1 nicht nur der Organisation des Sorgerechts, sondern auch der Umgehung einer Absprache dient, um die damit entstehenden Konflikte zu vermeiden. Betrachtet man aber darüber hinaus die Regelung der Trennungssorge gem. § 1672 a.F., wird auch deutlich, dass die sich in der Trennung manifestierende Familienkrise bisher ebenfalls an einem einheitlichen Begriff gemeinsamen Sorgerechts orientierte. 836 Weder die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft noch die aktuelle Konfliktlage der nicht nur vorübergehenden Trennung wurden dabei zum Anlass genommen, die sorgerechtlichen Kompetenzen umzugestalten. Insbesondere die innere Bereitschaft der Eltern und ihre Fähigkeit zur Kooperation wurden unterstellt und insoweit der Sorge in der Partnerschaft gesetzlich zunächst gleichgesetzt. Die umfassende gemeinsame Verantwortung war dabei vom Bestand der Partnerschaft vollständig unabhängig. Diese formale Betrachtung wird den Anforderungen an die rechtliche Gestaltung der Trennungssorge jedoch nicht gerecht. So ist schon die Parallele zu § 1672 a.F. nur bedingt vertretbar. Denn die Vorschrift knüpft an einen Trennungsbegriff an, der eine Übergangszeit charakterisiert. Sie beruht in erster Linie auf einer durch die Scheidung vorgegebenen Phase, die zur Versöhnung bzw. Überprüfung des Trennungsentschlusses der Eltern dient. Damit sind rechtlich vorgegebene Konsequenzen wie die Umgestaltung des Sorgerechts unvertretbar. 837 Auch wenn die Trennung nach damaligen Maßstäben nicht befristet war, beruhte die Bewertung auf der Annahme, dass längerfristige Auswirkungen durch die Scheidungsintervention ausreichend berücksichtigt würden. Auf diese Weise sollten zwei regelungsspezifische Elemente ausgewogen erfasst werden. Durch das abrufbare Instrumentarium des § 1672 a.F. sollte der Einsicht Rechnung getragen werden, dass bereits die Trennung den eigentlich krisenhaften Einschnitt der Sorgerechtsausübung darstellt. 838 Gleichzeitig sollte eine voreilige Sorgerechtsentscheidung die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht behindern, indem der staatliche Eingriff das Zerwürfnis der Eltern vertiefte. 839 Die wenigen Fälle, in denen die Trennung einen Dauerzustand bildete, wurden als systemwidrige 836

Vgl. v. Renesse FPR 1998, S. 59 (60). Vgl. BT-Drucks. 7/4361, S. 24. 838 Vgl. OLG Köln FamRZ 1980, S. 929 (930); Beschlußfassung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) – BT-Drucks. 8/2788, S. 64; Staudinger / Coester § 1672 Rz. 1; Schwab „Familienrecht“, Rz. 518. 839 Vgl. Staudinger / Coester § 1672 Rz. 1; zur verfassungsrechtlichen Beurteilung vgl. auch BVerfG FamRZ 1982, S. 23. 837

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Ausnahmen in Kauf genommen. Betrachtet man demgegenüber nun den von der Scheidung losgelösten Trennungsbegriff der heutigen Rechtslage 840, so wird deutlich, dass die Trennung nunmehr als ein anhaltendes Phänomen aufgefasst wird. Es handelt sich nicht länger um einen Interimszustand, dessen Konsequenz lediglich verzögert wird. Die Trennung selbst ist der abschließende Maßstab der Rechtslage, der die Scheidung als Unterfall einschließt. Nicht die Trennung der ehemaligen Rechtslage, sondern die Scheidung ist die rechtliche Entsprechung zur heutigen Trennungssorge. b) Zweckmäßigkeit des Regelungsverzichts So stellt sich die Frage, ob das uneingeschränkte Fortbestehen der Elternsorge über die Trennung hinaus, dem Ziel der trennungsunabhängigen Erweiterung der elterlichen Verantwortung tatsächlich dienen würde. Vordergründig betonte ein solcher Ansatz, dass sich die Zuständigkeit der Eltern durch die Scheidung nicht ändert. Er unterstellt also damit ein vergleichbares Engagement bei der Erziehungsgestaltung. Den das Bewusstsein prägenden Aufforderungscharakter des Gesetzes würde man auf diese Weise maximal ausschöpfen, indem der Appell zur ungeminderten Elternverantwortung in dem Vordergrund gestellt wird. Die Tragfähigkeit eines solchen Regelungsansatzes setzt jedoch voraus, dass ungeachtet der äußeren Veränderung der Lebensverhältnisse die Bewahrung der bestehenden Beziehungen tatsächlich begünstigt wird. Dies funktioniert nur so weit, als der rechtliche Handlungsdruck mit einer entsprechenden Handlungsfähigkeit korrespondiert. Fehlt es daran jedoch und werden die Betroffenen durch die Verhaltensvorgabe überfordert, so schreckt die Regelung ab, verliert ihren Einfluss oder provoziert sogar eine Gegenbewegung. Die Sorgerechtsregulierung muss deshalb in einem engen Bezug zu den tatsächlichen Lebensverhältnissen stehen. Nur der schmale Grat zwischen dem idealen Erziehungsrahmen und dem Regelungsbedürfnis wird die Lebensgestaltung der Betroffenen tatsächlich prägen. Akzeptanz und Umsetzbarkeit sind bei der Konzipierung der Trennungssorge daher sorgfältig zu prüfen. Gegen den vollständigen Verzicht auf einen Sondertatbestand spricht hiernach zunächst das Regelungsbedürfnis, das sich aus dem Elternverhältnis ergibt. Die Belastbarkeit der Eltern ist vor allem durch die konkreten Verhältnisse geprägt. Der Zwiespalt zwischen der Loslösung vom ehemaligen Partner und der fortwirkenden Gemeinsamkeit der Kindeserziehung bestimmt die Sorgerechtssituation. Damit unterscheidet sie sich signifikant von der Partnerschaft, bei der die gemeinsame Verantwortung Ausdruck der gemeinsamen Lebenskonzeption ist. Bleiben die Eltern also dem ehemaligen Partner und der in der Beziehung regelmäßig erlittenen Kränkung uneingeschränkt ausgesetzt, ist dies eine zusätzliche Belastung, 840

Vgl. dazu die obigen Ausführungen unter Abschnitt B.III.1.b)bb).

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen

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die grundsätzlich keine Entsprechung in der Ehe hat. Wenn nun das Leistungsvermögen eines Elternteils im Umgang mit dem anderen überschritten wird, kann es die erforderliche Bereitschaft hemmen, die Verantwortung für das Kind weiterhin gemeinsam zu tragen und persönliche Widerstände zu überwinden. Es droht dabei entweder eine indirekte Förderung der Alleinsorgeanträge oder eine regelungslose Konfliktverschleppung. Das Leistungsvermögen ist naturgemäß nicht statisch zu bestimmen. Die Beurteilungsmaßstäbe gehen hier weit auseinander. Soll also die gemeinsame Trennungssorge für solche Ehepaare nicht ausgeschossen werden, die zu einer eigenständigen Absprache nicht in der Lage sind, so muss das Gesetz ein Absprachen-Sublimat anbieten. Denn je breiter das angestrebte Spektrum gemeinsamer Sorge ist, desto mehr muss die Vorschrift den hemmenden Realitäten Rechnung tragen. Noch nachhaltiger sind die Bedenken, die sich in Hinblick auf die Anforderungen des Kindeswohls ergeben. Dieser Ausschlag gebende Entscheidungsmaßstab setzt sich zusammen aus der positiven Bestimmung bzw. Durchsetzung der Kindesinteressen und der effektiven Abwehr drohender Gefahren. Die Vereinheitlichung der gesetzlichen Sorge betont die universellen Kindesinteressen an einer ausgewogenen Erziehung durch beide Eltern. Der erforderliche trennungsspezifische Schutz wird hingegen nicht gewährt. Maßgeblich ist daher, ob man die Trennung der Eltern als einen Lebenssachverhalt auffasst, der sich von der partnerschaftlichen Sorge signifikant unterscheidet und damit eine gesonderte gesetzliche Wertung verlangt. In diesem Zusammenhang sind drei Gesichtpunkte hervorzuheben. Zum einen ist die reibungslose Sorgerechtsausübung zu gewährleisten. Auch wenn oben gezeigt wurde, dass die eheliche Sorge die erforderlichen Instrumentarien umfasst, um die fehlende Präsenz eines Elternteils zu kompensieren, so setzt die Anwendung eine tragfähige Absprache der Eltern voraus. Die kann aber gerade angesichts der trennungsbedingten Spannung zwischen den Eltern nicht ohne weiteres angenommen werden. Die rechtliche Gewähr eines geordneten Anpassungsprozesses ist damit im Rahmen des Schutzauftrages durch den Staat wahrzunehmen. Die verbindlichen Vorgaben macht dabei das verfassungsrechtliche Wächteramt, das der Gefahrenabwägung enge Grenzen zuweist. Daraus ergibt sich sowohl die Grenze bzw. Schwelle für staatliche Eingriffe in familiäre Erziehungsgestaltung als auch die positive Handlungspflicht, die sich im Sorgerecht direkt umsetzt. 841 Die Gefährdung des Kindes ist danach die Grenze der Zurückhaltung des Staates und verpflichtet ihn dazu, wirksame Schutzmaßnahmen vorzusehen. 842 Zur 841 Vgl. Staudinger / Coester § 1666 Rz. 2; Erichsen / Reuter, S. 30; BVerfGE 55, S. 171 (181), zum Schutz der Elternrechte; zur direkten Umsetzung im Kindeswohl als Eingrifflegitimation, Entscheidungsmaßstab und verfahrensleitendem Prinzip, vgl. Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 135 ff; vgl. dazu auch Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (158).

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Rechtfertigung der staatlichen Kontrolle über das Elternrecht beruft man sich auf die Pflichtengebundenheit des Elternrechts. 843 Der Pflichtgehalt des Rechts stehe der Rechtsmacht zumindest in nichts nach. 844 Das Elternrecht müsse sich permanent von den Kindesinteressen her legitimieren. 845 Damit hat die sorgerechtliche Eltern-Kind-Beziehung eine besondere Struktur. Elterliche Rechte können dem Kind gegenüber direkt durchgesetzt werden. 846 Gerade diese stellten jedoch hohe Anforderungen an die Ausübung der elterlichen Rechtsstellung. Es ist ein komplexer Abwägungsvorgang, der einen Kompromiss aller betroffenen Interessen und Rechte darstellt. 847 Insoweit setzt das Kindeswohl jedoch zuverlässige Rechtssicherheit für die Wahrnehmung der kindlichen Interessen voraus. Entfällt der Anknüpfungspunkt des Gerichtsverfahrens im Rahmen des Zwangsverbundes, so verlagert sich diese Funktion auf die normative Ebene. Eine Kompetenzabgrenzung erscheint hier ein tragfähigeres Konzept zu bieten als die in der trennungsbedingten Verunsicherung erforderliche allmähliche Anpassung. Das Gesetz bietet insoweit eine sachgerechte Überbrückung des Schwebezustandes, in dem die Beteiligten selbst noch keine tragfähige Absprache gefunden haben. In diesem Zusammenhang ist noch einmal besonders hervorzuheben, dass die gesetzliche Regulierung gem. § 1687 disponibel ist. Erst dort, wo keine einzelfallgerechte Absprache eingreift, greift sie als Auffangkonzeption ein. Wo diese gesetzliche Regulation hingegen nicht besteht, beschränkt sich die Auffangwirkung auf den Gefahrentatbestand des § 1666. Hinzu kommt die unmittelbare Auswirkung der elterlichen Spannungen auf das Kind. Die wächteramtliche Schutzfunktion des Staates ist als eine Überforderung des Kindes mit rechtlichen Mitteln so weit wie möglich zu vermeiden. Durch die Kompetenzverteilung anhand eines gesetzlich unterstellen Regelfalls wird einer Auseinandersetzung über die Reichweite der jeweiligen Einflussnahme jedes Elternteils vorgebeugt, die sich zu Lasten den Kindes auswirken könnte. Die Einschränkung des Mitwirkungsrechts muss sich der nichtbetreuende Elternteil gerade aus diesen Aspekten des Kindeswohls gefallen lassen. Denn das Entwicklungsinteresse des Kindes wäre beeinträchtigt, müsste es den Elternteil, bei dem es lebt, in einer Vielzahl von Fragen inkompetent und abhängig erleben. 848 Da die elterliche Sorge dem Kindeswohl zu dienen hat, ist ihre trennungsbedingte Ein842 Vgl. Staudinger / Coester § 1666, Rz. 20, 64; im letzten Standort spricht er von der Demarkationslinie zwischen elterlichem Erziehungsprimat und staatlichem Wächteramt. 843 Vgl. Lüderitz „Familienrecht“ Rz. 800, der in diesem Zusammenhang auf die Sittenund Sittlichkeitsbindung der elterlichen Gewalt schon im 19. Jh. verweist, vgl. dazu auch Savigny „System des heutigen römschen Rechts“, 1850, S. 350; Motive IV S. 724. 844 Vgl. Gernhuber „Familienrecht“, § 2 II 6. 845 Golstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, 1974, S. 108. 846 Vgl. Lüderitz „Familienrecht“ Rz. 802. 847 Vgl. Staudinger / Coester § 1666 Rz. 64. 848 Vgl. v. Renesse FPR 1998, S. 59 (60).

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen

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schränkung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig. 849 Schließlich ist noch die problematische Folge für die gerichtliche Intervention anzuführen. Indem man durch die undifferenzierte Sorge nach oben ausgeführter Erkenntnis eine Vielzahl von Eltern überfordern wird, würde sich auf diese Weise die angemessene Sorgerechtsregulierung auf die Gerichte verlagern. Wenn das Gesetz dem Regelungsbedarf bei elterlichem Durchschnitt nicht gerecht wird, werden die Gerichte die bestehende Lücke füllen müssen. Die außergerichtliche Regulierung soll aber gerade die familiäre Eigenständigkeit und den eigenverantwortlichen Anpassungsprozess ermöglichen. 3. Profil und konzeptionelle Schranken der aktuellen Trennungssorgeregelung In der Gegenüberstellung mit diesen denkbaren Regulierungsalternativen gewinnt die reformierte Trennungssorge an Konturen, da sie vor diesem Hintergrund stärker als Ergebnis eines konzeptionellen Abwägungsprozesses in Erscheinung tritt. Ein übergreifendes Regelungsverständnis mit seinen Vorzügen und Schwächen bzw. Zugeständnissen im Rahmen einer umfassenden Güterabwägung tritt deutlicher hervor. Dabei entsteht eine enge Verknüpfung zwischen angestrebten Vorzügen und den hingenommenen Nachteilen der bestehenden Regelungsform. Sie löst die isolierte Betrachtungsweise von Regelungslücken und Zielsetzungen ab, die letztlich der Kritik zugrunde liegt. Vielmehr verschmelzen die einzelnen konkurrierenden Konzeptionen notwendig zur Einheit von zwingend verknüpften Vor- und Nachteilen, die sich aus der vorrangigen Zielsetzung des Einzelmodells ergibt. Keines der Regelungsmodelle vermag alle Problematiken und Regelungsbedürfnisse gleichzeitig zu erfassen. So stellt sich die geltende Regelungsform des § 1687 als ein Kompromiss zwischen beiden Alternativkonzeptionen dar, dessen Defizite sich aus der Verbindung beider Zielelemente rechtfertigen. a) Regelungsgrenzen der gesetzlichen Trennungssorge So verdeutlicht der Vergleich mit den Alternativkonzeptionen auch die Grenzen einer gesetzlichen Trennungsregulation. Jede Alternative in ihrer eigenen Gewichtung der Konfliktlage veranschaulicht gleichzeitig eine charakteristische Schwäche des § 1687 BGB, die sich aus der Abweichung zur Alternativkonzeption ergibt. Betrachtet man zuerst die tatbestandliche Trennungssorge gegenüber der Einzelfallregulierung, so ergeben sich vor allem zwei Gesichtspunkte, die sich als Zugeständnisse erweisen. Zum einen verkörpert die gesetzliche Regulierung eine Einschränkung des aktiven und gestaltenden Kinder-Schutzes. 850 Sie geht in höherem Maße als der institutionelle Zugriff das Risiko ein, dass das Kind etwaigen 849

Vgl. v. Renesse FPR 1998, S. 59 (61).

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

Konflikten der Eltern oder ihrer mangelnden Handlungsfähigkeit preisgegeben wird. Erst bei tatsächlichem Ausbruch des elterlichen Konfliktes oder der akuten Überschreitung der Gefährdungsgrenzen des § 1666 wird nunmehr der Staat in die einzelfallbezogene Gestaltung der Trennungssorge einbezogen. Gegenüber den bisherigen Maßstäben erscheint dies als eine punktuelle Rückstellung des wächteramtlichen Kindesschutzes. Denn nicht die Vermeidung, sondern erst die repressive Regulierung des Konfliktes ist nun Gegenstand der staatlichen Intervention. Zum anderen kommt hinzu, dass die „Qualitätskontrolle“ über die gemeinsame Sorge zurückgestellt wird. 851 Indem eine gesetzliche Regulierung an einer universellen Anwendbarkeit der Maßstäbe orientiert ist, steht nicht die Optimierung und damit die gezielte Durchsetzung der Kindesinteressen im Vordergrund. Die gemeinsame Sorge wird zu einem dehnbaren Begriff, der sich in das einfügt, was unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls möglich ist. Die sorgerechtlichen Standards weichen gleichsam vor den Realitäten zurück. Beide Einbußen bei der Umsetzung des Kindeswohls sind zentrale Regelungsdefizite der gesetzlichen Trennungssorge. Der bloße Hinweis darauf, dass auch in anderen Rechtsstreitigkeiten erst die aktuelle Auseinandersetzung zum Anlass genommen wird, den Staat zur Krisenintervention zu berufen, gilt in diesem Zusammenhang nur bedingt. Schon das staatliche Wächteramt steht einer uneingeschränkten Gleichstellung des Sorgerechts mit dem gewöhnlichen Rechtsstreit entgegen. Jedoch gilt es, die eindimensionale Schutzvorstellung der vergangenen Rechtslage zu relativieren. Der Schutz des Kindeswohls erfolgt gleichermaßen durch die Intervention der staatlichen Stellen vor den Eltern als auch durch die Eltern im Schutz vor staatlichem Eindringen. Im Kindeswohl ist damit das trennungsspezifische Dilemma angelegt, beide Schutzrichtungen miteinander zu vereinbaren. So haben die obigen Ausführungen deutlich gemacht, dass die staatliche Aufsicht bzw. der aktive Schutz des Kindes durch Institutionen und die Förderung der familiären Eigenverantwortlichkeit einander weitgehend ausschließen. Die beiden Bereiche müssen abgegrenzt werden. Die bisherige Priorität für einen staatlichen Schutz im Rahmen der Trennungssorge verkürzt den Kindeswohlbegriff auf Krisenprophylaxe und stellt die allgemeinen Kindesinteressen hintan. Doch vor allem beruht das bisherige Verständnis in zweierlei Hinsicht auf einer sehr einseitigen und wenig sachgerechten Gewichtung. So werden die Funktion des Staates bei der Umsetzung des Kindeswohls verzerrt und die Erwartungen 850 Vgl. Gesetzesantrag der Grünen-Fraktion BT-Drucks. 13/3341, S. 8 sowie den Gesetzesantrag der SPD-Fraktion BT-Drucks. 12/4024, S. 12; zu weiteren Ausführungen in diesem Zusammenhang vgl. Kap. A., Abschn. IV.2. und 3. 851 Zu den bisherigen Voraussetzungen der Übertragung der gemeinsamen Sorge vgl. statt vieler Coester EuGRZ 1982, S. 256; Limbach „Gemeinsame Sorge“; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (419); weitere Ausführungen dazu in Kap. C.

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen

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an die Gestaltungsmöglichkeiten vollends überhöht. Insbesondere kann die trennungsbedingte Beeinträchtigung der Kindesinteressen nicht kompensiert werden durch staatliche Regulation. Es ist auch nicht die Aufgabe des Rechts, die Sorgerechtsausübung zu gestalten, sondern allein die Grenzüberschreitung der Kindeswohlgefährdung zu bewachen. 852 Die Familie ist prinzipiell ein staatsfreier Raum, der durch die Trennung nicht automatisch aufgegeben wird. 853 Ist aber die Wächteramtsfunktion demzufolge per se eine repressive Funktion 854, so kann sich ein darüber hinaus reichender präventiver Eingriff nur aus einer signifikanten Besonderheit der Trennungssituation nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergeben. Die einzelfallunabhängige Intervention unterstellt aber nach den obigen Ausführungen eine nicht verifizierte Gefahrenlage, so dass dieser Interventionsansatz nicht das mildeste Mittel der Regulation darstellt. Hinzu kommt, dass die Sonderregulierung von der Illusion ausgeht, die Abstimmung, Präsenz und Krisenbewältigung in der Ehe seien selbstverständlich gegeben. Erkennt man aber an, dass das familieninterne Primat der Erziehungsgestaltung stets mit der Gefahr der Elternüberforderung und Krisenanfälligkeit menschlichen Zusammenlebens belastet ist, so erscheint der spezifische Schutzbegriff der Trennungssorge nicht mehr zwingend. Wenn also die gesetzliche Trennungssorge keinen sicheren Schutz des Kindes vor den trennungsbedingten Gefahren gewährleistet, so erweist sich dies weniger als ein Mangel der Trennungssorge als vielmehr ein dem elterlichen Sorgerecht selbst anhaftendes Charakteristikum. Betrachtet man demgegenüber die gesetzliche Trennungssorge im Verhältnis zum vollkommenen Verzicht auf eine gesonderte Trennungsregulierung, so erweist sie sich umgekehrt als eine hinderliche Begrenzung der elterlichen Gestaltungsfreiheit. Vorbehalte, die sich gegen die bisherige Intervention richten, finden in eingeschränkter Weise auch Anwendung auf eine gesetzliche Rechtsgestaltung. Denn auch die normative Vorgabe greift einer eigenständigen Absprache der Eltern vor. Die sich daraus ableitenden Nachteile folgen vor allem daraus, dass 852

BVerfGE 7, S. 320 (324); KG NJW 1980, S. 2419 (2420); vgl. auch Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (759); MüKo / Hinz § 1626 Rz. 12 mwN; kritisch Schwoerer FamRZ 1958, S. 41 f; ders. FamRZ 1959, S. 367, der auf die faktische Übereinstimmung von Ausübungsbeschränkungen und Rechtsentzug hinweist. 853 BVerfGE 59, S. 360 (376); E 60, S. 79 (88); E 74, S. 102 (124); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (403) mwN; Beitzke Festschr. für Lehmann, S. 493 (507) unter Hinweis auf Art. 120 WRV; Hansmann FamRZ 1962, S. 452 (453); Maunz / Dürig / Maunz Art. 6 Rz. 22; RGRK / Wenz § 1626 Rz. 22. 854 BVerfGE 7, S. 320 (323 f); E 24, S. 119 (144); E 60, S. 79; E 61, S. 358 (364); BGHZ 73, S. 131 (138); KG NJW 1980, S. 2419 (2420); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (403); Coester EuGRZ 1982, S. 256; ders. FuR 1991, S. 70 (71 f); Diederichsen NJW 1980, S. 2420; Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (759); Hinz „Kinderschutz als Rechtsschutz und elterliches Sorgerecht“, S. 45 ff; MüKo / Hinz § 1626 Rz. 9; RGRK / Wenz § 1626 Rz. 28 f; Schmitt Glaeser „Das elterliche Erziehungsrecht in der staatlichen Reglementierung“ S. 42. BVerfGE 7, S. 320 (324); KG NJW 1980, S. 2419 (2420); vgl. auch Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (759); MüKo / Hinz § 1626 Rz. 12 mwN.

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

sich die Eltern vorschnell dem Gesetz anschließen. Zum einen kann es bewirken, dass sich die Eltern nicht mehr bewusst mit der Planung der Sorgerechtsausübung auseinandersetzen. 855 Damit droht eine unreflektierte Anwendung, bei der sich die Betroffenen weder mit den besonderen Schwierigkeiten der Situation beschäftigen, noch die eigene Planungsfreiheit hinreichend zur Kenntnis nehmen. So ist zu befürchten, dass die Eltern sich weder über ein Kooperationsmodell abstimmen, noch die Gestaltungsspielräume für ihre gemeinsame Ausübung der Elternsorge bewusst auszuschöpfen versuchen. Denn indem das Gesetz durch eine einheitliche Sorge auf einen speziellen Trennungssorgebegriff verzichtet, wird die Anpassung der Elternsorge an die veränderte Lebenslage und die spezifischen Hindernisse für die Betroffenen rechtlich ignoriert. Auf diese Weise wird die Appellwirkung an die Eltern, ihre Elternverantwortung unabhängig von der Auflösung der Partnerschaft wahrzunehmen, eingeschränkt. Damit drohten der Einzelfallbezug noch stärker als durch die gesetzliche Trennungssorge verkürzt und die möglichst optimale Gestaltung der Eltersorge unter den konkreten Bedingungen rechtlich nicht gefördert zu werden. Dabei muss der Schutz der individuellen Ausschöpfung gemeinsamer Erziehungspotentiale zurücktreten hinter der vorrangigen Bestrebung, auch weniger privilegierten Kindern beide Eltern zu bewahren und erst bei konkreter Kindeswohlgefährdung gem. § 1666 abzuweichen. b) Vorzüge der gesetzlichen Gestaltung Neben den Grenzen der Leistungsfähigkeit werden in der Gegenüberstellung der konzeptionellen Alternativen auch die besonderen Vorzüge der gesetzlichen Regulierung deutlich. Als tragfähiger Kompromiss aus beiden Strömungen, der staatlichen Einzelfallgestaltung der Trennungssorge und dem vollständigen Verzicht einer speziellen Regelung der gemeinsamen Trennungssorge, vereint § 1687 Abs. 1 sowohl das Element einer gezielten Stärkung der sorgerechtlichen Eigenverantwortung als auch das der direkten Kompensation der Überforderung der Eltern durch die Krise. 856 Anstelle einer trennungsspezifischen Sorgerechtsform, die eigenen Maßstäben unterliegt, knüpft die normative Regulierung direkt an die einheitlichen Zielsetzungen der gesetzlichen Sorge an. Damit steht die schonende Anpassung der fortbestehenden Maßstäbe an die veränderten Verhältnisse im Vordergrund. Steigt damit die Bedeutung der Überleitung und Bewahrung der Rechtsbeziehungen, so orientiert sich die gesetzliche Perspektive nun stärker am Erziehungsideal, das den §§ 1626 ff zugrunde liegt. Der Verlust an situationsspezifischem Kindes-Schutz korrespondiert damit unmittelbar mit einem stärkeren Rückbezug auf Kindesinteressen nach allgemeinen Maßstäben. Dies symbolisiert 855 Kritisch zu diesem Gesichtspunkt vgl. Wend FPR 1999, S. 137 (140), der darauf hinweist, dass keiner der beteiligten Eltern Kenntnis von der Situation hat, in der sich das Kind befindet. 856 Vgl. dazu auch OLG München NJW 2000, S. 368.

VI. Gegenüberstellung der Regelungsalternativen

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einen sorgerechtlichen Umbruch, der die in der gemeinsamen Sorge repräsentierten Kindesinteressen wie Kontinuität und Vielfalt der Erziehungseinflüsse aufwertet. Diese gesetzliche Sorge mit anderen Mitteln trägt damit zur Verbreiterung fortbestehender und sich anpassender Elternverantwortung bei. Wenngleich dies zunächst auf der Grundlage eines zurückhaltenden Gesetzesstandards erfolgt, so werden die bestehenden Positionen auch unter Berücksichtigung langfristiger Entwicklungen aufrechterhalten. Dieser Perspektivwandel veranschaulicht die zentralen Vorzüge der Sorgerechtsregulierung. Zum einen wird eine verbindliche und für Veränderungen hinderliche Rechtsgestaltung vermieden. Auf diese Weise bewahren die fortbestehenden Rechtspositionen eine Flexibilität. Zukünftige und eventuell unvorhersehbare Veränderungen bleiben einer direkten Umsetzung bei der Sorgerechtsausübung zugänglich und erlauben den Betroffenen, die sorgerechtlichen Absprachen den aktuellen Bedingungen kontinuierlich anzupassen. Diese Flexibilität beruht aber auch nicht auf einer vollständigen Regelungslosigkeit, die schwerwiegende Gefahren der Überforderung und Regelungslücken schaffen würde. Vielmehr führt die minimalisierte Gesetzesregulierung ein flexibilisiertes Interventionsverständnis ein. Der Rückzug des Staates auf die am Bedarf orientierte Sorgerechtsgestaltung schafft erst den Rahmen für eine abgestufte und am Einzelfall orientierte Intervention. Es entsteht ein differenziertes Instrumentarium, durch das die elterlichen Defizite gezielt mit staatlichen Maßnahmen ausgeglichen werden. Entsprechend dem Grad der Bedürftigkeit passt sich die Gestaltung der staatlichen Mitwirkung an die konkreten Verhältnisse an. Besteht etwa kein Bedarf, so ist die subsidiäre Regulation durch eigenverantwortliche Absprache verdängt und lebt erst dort auf, wo Unsicherheit oder Einigungsunfähigkeit eine Kompensation erfordern. Je nach Ausmaß der elterlichen Auseinandersetzung schließen sich einer akuten Konfliktregulierung außergerichtliche Beratung, Antragsverfahren gem. § 1671 und schließlich die Intervention von Amts wegen gem. §§ 1666 ff (iVm 1671 Abs. 3) an. Demgegenüber weisen die Alternativkonzeptionen einen restriktiven Interventionsbegriff auf. Sie unterscheiden sich lediglich in der Eingriffsschwelle, werden aber beide von einer rechtlich fixierten gerichtlichen Zuständigkeit bestimmt – sei es durch den Tatbestand der Trennung oder den der Kindeswohlgefährdung. Die gezielte Nutzung der Selbstheilungskräfte wird gleichermaßen unberücksichtigt gelassen. Aus dieser rechtlichen Flexibilisierung durch eine gesetzliche Trennungssorge folgt schließlich eine Erweiterung der Einzelfallgerechtigkeit. 857 Zwar wird zunächst der Einzelfallbezug durch die universelle Gesetzesregulierung beschränkt. Unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls vereinheitlicht das Gesetz da857

Vgl. dazu auch OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042).

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

mit die Umsetzung der gemeinsamen Sorge nach der Trennung. Jedoch beschränkt dies die Reichweite der Rechtsstellungen nur dort, wo die Betroffenen selbst keine andere Vereinbarung treffen und daher anderenfalls Regelungslücken bestünden, so dass diese Wirkung der Vorschrift letztlich von der Entscheidung der Betroffenen selbst abhängt. Demgegenüber beschränkte die vorherige Rechtslage nach dem SorgeRG die Einzelfallgerechtigkeit auf die individuelle Gestaltung der Sorgerechtsübertragung, während die Interventionsform vom Einzelfall unabhängig vorgegeben war. Die Individualisierung auf der Ebene der Intervention erweitert den Einzelfallbezug hier unter zwei Gesichtspunkten. Zum einen fördert die Disponibilität eine stärkere Individualgestaltung der Elternsorge nach der Trennung im Vorfeld gerichtlicher Intervention, indem es zunächst die eigenständigen Absprachen erleichtert. Damit erweitert sich das Spektrum, mit denen die Umstände des Einzelfalls umgesetzt werden, indem eine ergänzende Verflechtung von familieneigener und staatlicher Gestaltung entsteht. Zum anderen individualisiert sich auch die Form der Intervention. Neben der gerichtlichen Intervention gewinnt die Beratung an Bedeutung für die sorgerechtliche Herangehensweise an den Trennungskonflikt. Die Intervention misst sich an den Einzelfallgegebenheiten, so dass ein abgestuftes Verhältnis zwischen der Lebenswirklichkeit und den Eingriffstatbeständen entsteht. Staatliche Befugnisse stehen in einer unmittelbaren Wechselbeziehung zu den konkreten Regelungserfordernissen. Die Effizienz der Intervention und situationsgerechter Konfliktbewältigung verdrängt einen pauschalen Regelungsanspruch. Dies hat auch die indirekte Folge, dass sich der bisherige Eingriffscharakter der Intervention stärker von einer hoheitlichen Kontrolle auf eine bedarfsgerechte Hilfestellung verlagert. Die Akzeptanz der staatlichen Mitwirkung wird zumindest begünstigt, wenn sie maßvoll auf Ausgleich der bestehenden Insuffizienzen gerichtet und an Eigeninitiative wie den Antrag auf Alleinsorgeübertragung oder die Inanspruchnahme des Beratungsangebots geknüpft ist. Nicht hoheitlicher Selbstzweck, sondern gezielte Hilfestellung wird durch diesen Ansatz deutlich betont und verändert das Verhältnis der Betroffenen zu den intervenierenden Stellen.

VII. Zusammenfassung Die Einführung des § 1687 hat die Bedeutung der gemeinsamen Sorge für die Regulation der Trennungs- und Scheidungssorge nachhaltig verändert. An die Stelle einer zwingenden gerichtlichen Einzelfallbeurteilung ist nun eine gesetzliche Regulation getreten, die für die Fortsetzung der gesetzlichen Sorge standardisiert eine spezifische Zuständigkeitsverteilung für die Trennung vorsieht. Der Tatbestand hat die gemeinsame Sorge damit zu einem universalen Modell für den Trennungsfall gestaltet und zeigt in Hinblick auf die verschiedenen Gesichtspunkte, unter denen er in diesem Kapitel betrachtet worden ist, dass die breite Anwendbarkeit dieser Sorgerechtsform auf unterschiedliche Weise gefördert wird.

VII. Zusammenfassung

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Diese Öffnung und Vereinfachung der gemeinsamen Trennungssorge hat sich bereits anhand des Begriffs der gemeinsamen Sorge gezeigt, wie ihn der Tatbestand des § 1687 ins Gesetz einführt. So sieht das Reformgesetz für die aktuelle Rechtslage ein grundlegend verändertes Konzept für die Regulation der Trennungsund Scheidungssorge vor, indem die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge nicht mehr durch gerichtliche Kontrolle und Übertragung zugewiesen, sondern nur noch auf gesetzlicher Ebene moderiert wird. Auf diese Weise wird die besondere Belastung der Trennungssituation nicht durch Prüfung der Rechtsstellung, sondern durch die Veränderung der äußeren Bedingungen sorgerechtlich umgesetzt. Damit bleibt die bestehende Sorge erhalten und allein das „Wie“ der Sorgerechtsausübung wird durch gesetzliche Funktionszuweisung reguliert. Unabhängig von den Umständen des Einzelfalls eröffnet der Tatbestand generell die gemeinsame Trennungssorge. Das heißt, das Gesetz geht zunächst grundsätzlich davon aus, dass die Eltern unabhängig von der Trennung und Auflösung ihrer Partnerschaft in der Lage sind, die Elternverantwortung gemeinsam auszuüben, solange keine abweichenden Anhaltspunkte gegeben sind. Darin kommt ein tief greifender Umdenkungsprozess zum Ausdruck. Der Ausgangspunkt besteht darin, dass die Trennungssorge nun ein unmittelbarer Bestandteil der gesetzlichen Sorge gem. §§ 1626 ff ist. Damit beendet das KindRG die historisch gewachsene Unterscheidung zwischen ehelicher und nachehelicher Elternsorge und schafft zunächst im Rahmen der gemeinsamen Sorge die Zäsur zwischen den Sorgerechtsbereichen ab. Die Trennungssorge hat damit keine eigenen spezifischen Maßstäbe mehr, sondern knüpft direkt an die allgemeine Elternverantwortung an, wonach die Eltern im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Wahrnehmung der Kindesinteressen verpflichtet sind. Der Staat zieht sich also zunächst aus der aktiven Wahrnehmung der Kindesinteressen zurück, indem er auf die individuelle Einflussnahme im Anpassungsprozess an die neuen Lebensverhältnisse verzichtet. In diesem Zusammenhang hat die Betrachtung des allgemeinen Regelungsansatzes in § 1687 gezeigt, dass der Gesetzgeber dabei sehenden Auges die Regelungslücken in Kauf genommen hat, die subjektive Bereitschaft und die am Kind orientierte Entschließung zur gemeinsamen Rechtsausübung auf diese Weise nicht gewährleisten zu können. Als Elemente der Öffnung der gemeinsamen Sorge lassen sich daher erst einmal die Reduzierung des wächteramtlichen Schutzauftrages bei Trennung und Scheidung sowie die Verobjektivierung der Trennungssorge hervorheben. In Anlehnung an die allgemeine Elternsorge steht nun die tatsächliche Pflichtausübung und nicht mehr die innere Haltung zur Rechtsstellung im Vordergrund. Dadurch rückt die Organisation des elterlichen Zusammenwirkens in das Zentrum der gesetzlichen Regulierung. Das dem zugrunde liegende Konzept konzentriert sich auf die äußere Vermeidung von Konflikten. Hier lassen sich anhand des Grundbegriffes der gemeinsamen Trennungssorge vorrangig drei Aspekte hervorheben. Zum einen ist ein wesentliches Element der Deeskalation, die Aufteilung

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

der Trennungssorge, die auf eine Entflechtung der Elternpositionen gerichtet ist. So wird die allgemeine Gesamtvertretung durch die klare Zuweisung von Einzelzuständigkeit modifiziert, so dass jeder Elternteil im Rahmen der alltäglichen Sorge eigenständig handeln kann. Gleichzeitig wird damit erreicht, dass die Eltern bei der Umgestaltung der gemeinsamen Sorge keine einvernehmliche Regelung treffen müssen, indem das Gesetz eine Pauschalregelung ohne individuelle Absprache der Beteiligten bereithält. Auf diese Weise wird durch Vermeidung von Kooperationserfordernissen sowohl iSd §§ 1626, 1627 hinsichtlich der Funktionsverteilung als auch gem. § 1671 a.F. hinsichtlich des Erfordernisses eines einvernehmlichen Elternvorschlages der äußere Anlass zum Konflikt reduziert. Zum anderen wird die Koordination der Rechtsausübung auf ein Minimum begrenzt, indem die gemeinsamen Zuständigkeiten sich auf wichtige, irreversible Entscheidungen beschränken. Schließlich besteht ein dritter Aspekt der Konfliktvermeidung darin, dass durch die gesetzliche Regulierung im Rahmen des fortbestehenden Sorgerechts auch die Konfrontation durch ein gerichtliches Sorgerechtsverfahren umgangen werden kann. Das heißt, dass der Trennungstatbestand zunächst in erster Linie auf die Vermeidung von Hindernissen für die Ausübung gemeinsamer Elternverantwortung gerichtet ist. Ausgangspunkt der Regelung ist damit, die äußeren Anforderungen an die Ausübung der gemeinsamen Trennungssorge zu senken, um der besonderen Belastung durch die Trennungssituation Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Konkretisierung einer Aufgabenverteilung durch das Gesetz als eine defensive Intervention. Denn die Regelung beschränkt sich auf einen Minimalstandard der elterlichen Kooperation, sofern die Beteiligten keine eigene Absprache treffen und damit auf den gesetzlichen Planungsersatz zurückgreifen. Damit beschränkt sich der gesetzliche Ansatz auf einen Auffangtatbestand, während ein Eingriff in die Rechtsstellung vermieden wird. Das heißt, dass unabhängig von dieser Auffangregel das gesamte Spektrum des Sorgerechts erhalten bleibt und die Eltern in freier Verfügung im Rahmen weitergehender Möglichkeiten die Elternverantwortung je nach individueller Fähigkeit stärker verflechten können. Auf diese Weise ermöglicht der gesetzliche Regelungsansatz eine differenzierte Anpassungsfähigkeit der gemeinsamen Trennungssorge, die sowohl den unterschiedlichen Fähigkeiten zur Kooperation bei den Elternteilen als auch den sich wandelnden Verhältnissen bzw. Bedürfnissen des Kindes Rechnung trägt. Erst der Bedarf zur Trennungsregulation führt also auf diese Weise zur Anwendung der Sorgerechtsgestaltung hinsichtlich der spezifischen Umstände der Trennung, so dass durch § 1687 ein sehr breites Spektrum der Gestaltung gemeinsamer Trennungssorge eröffnet wird, ohne die Flexibilität an staatliche Intervention zu knüpfen. Diese breite Anwendbarkeit schlägt sich auch anhand der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 1687 nieder. So erweitert bereits der gesetzliche Anknüpfungspunkt an die Trennungssituation den Geltungsbereich gegenüber der vorherigen

VII. Zusammenfassung

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Scheidungsregulation. Zum einen knüpft die Regelung nun an die tatsächliche Veränderung der Lebensverhältnisse an. Das heißt, dass der Zeitpunkt der Regulation gegenüber der Scheidungsintervention vorverlagert wird und nicht erst bei der Auflösung der Elternehe eingreift. Auf diese Weise lässt sich die rechtliche Einflussnahme gleichzeitig auf den konkreten Bedarf beschränken, indem mit der Aufhebung der Trennung auch die Wirkung der spezialgesetzlichen Sorgerechtsgestaltung entfällt, so dass flexible Anpassung an die äußeren Umstände ohne staatliche Mitwirkung gewährleistet ist. Zum anderen löst sich das Gesetz im Rahmen der Trennungsregulation von der Unterscheidung nach Maßgabe des Elternverhältnisses und dem damit verbundenen Status. Das Gesetz knüpft allein an das vereinheitlichende Kriterium einer gemeinsamen Elternsorge vor der Trennung an und bezieht dadurch neben der Trennungssorge verheirateter Eltern auch die der unverheirateten in den Anwendungsbereich ein. Beide Elemente spiegeln eine universelle Regulierung der Elternverantwortung wider, die das Verhältnis der Eltern und ihren Status in den Hintergrund gegenüber vorangegangenen Regelungsansätzen verlagern. Darüber hinaus erweist sich auch die Verwendung offener Rechtsbegriffe als ein Aspekt, der zur breiten Anwendbarkeit des Tatbestandes beiträgt. Denn zum einen wird die Flexibilität der gemeinsamen Trennungssorge dadurch gefördert, dass sich die Kriterien anhand derer sich die gemeinsamen und individuellen Zuständigkeiten bestimmen – wie alltägliche und wichtige Entscheidungen – erst anhand des Einzelfalls konkretisieren. Auf diese Weise gewährleistet der Trennungssorgetatbestand bedürfnisgerechte Regulierung für das breite Spektrum denkbarer Konstellationen als auch eine Anpassungsfähigkeit für die Entwicklung im Rahmen der Rechtsanwendung. Gleichzeitig werden die Zuständigkeiten nicht statisch bestimmt, so dass die Reichweite der Sorgerechtsausübung – insbesondere beim nicht betreuenden Elternteil anhand der Intensität seiner Betreuungsmitwirkung – flexibel bestimmbar ist. Das heißt, dass sowohl die unterschiedlichen Erscheinungsformen als auch der Wandel jedes einzelnen Falles im Laufe seiner Entwicklung durch den gesetzlichen Tatbestand angemessen berücksichtigt werden können, ohne eine individuelle Regulierung durch die Gerichte erforderlich zu machen. Im Übrigen sieht das Gesetz Instrumente wie Notverwaltung gem. §§ 1687 iVm 1629, Bevollmächtigung und individuelle Übertragung von Einzelzuständigkeiten gem. § 1687 Abs. 2 vor, um die Anwendungshindernisse im Rahmen der gesetzlichen Sorge gezielt zu beseitigen. Dies führt noch zu einem weiteren erheblichen Aspekt, der als Element einer breiten Anwendbarkeit der gemeinsamen Sorge zu berücksichtigen ist. Die Regulation ergänzt den gesetzlichen Trennungstatbestand gezielt um die Instrumente einer isolierten Beseitigung von Ausübungshindernissen, ohne die Rechtsstellungen beider Eltern anzurühren. Auf diese Weise wird die gesetzliche Deeskalation des Trennungskonfliktes bei der gemeinsamen Sorgerechtsausübung ergänzt durch gerichtliche Eingriffsmöglichkeiten, die bestehende Konflikte unter Vermeidung

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

der Alleinsorgeübertragung bedarfsgerecht beilegen. Das heißt, dass die gemeinsame Trennungssorge neben der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung ein differenziertes Regulativ im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Sorge anbietet, um mit gezielter Hilfestellung des Staates die gemeinsame Sorge aufrechtzuerhalten. Und auch dort, wo die Gerichte im Rahmen einer Ersetzung der einvernehmlichen Entscheidung einem Elternteil die Alleinentscheidungsbefugnis zugewiesen haben, bleiben die Sorgerechtsstellungen bestehen, so dass eine einvernehmliche Abweichung im Rahmen gemeinsamer Sorge möglich bleibt. Diese Flexibilisierung und Erweiterung der gesetzlichen Trennungssorgeregulierung ließ damit in den Betrachtungen des Kapitels einen veränderten Kindeswohlbegriff als übergeordneten Maßstab erkennen. Der Ausgangspunkt für die signifikante Veränderung gegenüber vorangegangener Beurteilung der Kindesinteressen besteht darin, dass die Elternstellung auch bei Trennung und Scheidung keiner neuerlichen Legitimation bedarf. Indem also die gesetzliche Sorge grundsätzlich von der Auflösung der Elternpartnerschaft unberührt bleibt, hat der Gesetzgeber den historisch gewachsenen Gefahrentatbestand der Scheidungssorge aufgegeben. Anstelle einer gerichtlichen Durchsetzung der Kindesinteressen gegen die Eltern wird es nun im Rahmen der gesetzlichen Sorge den Eltern überlassen, die Interessen ihres Kindes in der Familienkrise wahrzunehmen. Darin kommt durch die universelle Regulierung des Trennungssorgetatbestandes eine grundlegende Gewichtung des Kindeswohls zum Ausdruck. So erschüttern die Trennung und Scheidung nicht mehr die Eignungsvermutung der gesetzlichen Sorge, derzufolge die Eltern aufgrund ihrer natürlichen Bindung zur autonomen Umsetzung der Kindesinteressen berufen sind. Der Schwerpunkt der Sorgerechtsregulierung verlagert sich damit stärker auf die Wahrung der Kontinuität der Elternverantwortung und verleiht dem Element der Bewahrung sorgerechtlicher Potentiale den Vorrang vor prophylaktischer Konfliktvermeidung, wie sie die historische Scheidungssorge prägte. Daraus lässt sich zweierlei ableiten. So wird zunächst der negative Einfluss der überflüssigen Intervention vermieden und dabei sogar in Kauf genommen, dass die gemeinsame Sorge auch dort fortgesetzt wird, wo sie bei gerichtlicher Abwägung nach früheren Maßstäben dem Kindeswohl nicht am besten entspricht. Auf diese Weise wird gleichzeitig die Krise im Rahmen der Trennung weitgehend allgemeinen Sorgerechtshindernissen gleichgestellt, die bei allgemeiner gesetzlicher Sorge bestehen. Das heißt in der Konsequenz für die Risikoabwägung im Rahmen des § 1687, dass dem Kind bei durchschnittlicher Trennungskrise der Konflikt der Eltern zumutbar ist und in der Güterabwägung gegenüber der Bewahrung beider Eltern als Sorgeberechtigten geringer ins Gewicht fällt. Darüber hinaus wird die Unterscheidung der Kindesinteressen bei Partnerschaft und Scheidung aufgegeben und damit ein einheitliches Verständnis der Eltern-Kind-Beziehung unabhängig von der Elternbeziehung geschaffen. Auf diese Weise werden Elternschaft und Partnerschaft für die rechtliche Beurteilung der Familie voneinander entkoppelt.

VII. Zusammenfassung

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Daraus leiten sich grundlegende Wertungen ab, die in die rechtliche Systematik der Trennungssorgeregulierung einfließen. So verlagert sich der Regulationsansatz gegenüber der historischen Scheidungsintervention auf eine deutliche Förderung der Bewahrung gemeinsamer Sorge durch Minimalstandards im Rahmen des gesetzlichen Trennungstatbestandes zur Maximierung der Anwendungsfälle. Dies führt vor allem zu einem veränderten Verhältnis zwischen Eltern und Staat im Rahmen der Familienkrise und demzufolge zu einem grundlegenden Wandel des Interventionsverständnisses. So verliert der Staat die Eingriffsbefugnis zunächst grundsätzlich im Zusammenhang mit der Auflösung Elternpartnerschaft, indem er die Vermutung der Kindeswohlgefährdung im Rahmen der Scheidung für die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge aufgibt. Solange also die gemeinsame Elternverantwortung fortbesteht, wird eine gerichtliche Intervention vermieden. Gleichzeitig setzt sich damit die Eignungsvermutung der Eltern im Rahmen der gesetzlichen Sorge fort und verlagert auf diese Weise die Priorität der Wahrnehmung der Kindesinteressen vom Staat auf sie. Das heißt, dass sich die Erziehungsautonomie der Eltern insoweit erweitert und die staatliche Regulation sich auf defensive Instrumentarien, wie den gesetzlichen Koordinationsersatz und die Intervention im Bedarfsfall, bei konkreter Kindeswohlgefährdung oder Alleinsorgeantrag beschränkt. Die gemeinsame Elternsorge wird in diesem Zusammenhang gleichsam reprivatisiert und führt zu einer Emanzipation der Eltern von staatlicher Kontrolle. Die objektive Regulation der Elternverantwortung anhand der rein äußerlichen Aufgabenzuweisung entzieht damit die innere Motivation der gerichtlichen Prüfung. Mit diesem staatlichen Rückzug aus der aktiven Krisengestaltung greift der Gesetzgeber damit ein wichtiges Element der Rechtsentwicklung auf und setzt es konsequent fort. Denn, wie der Rückblick in die Rechtsgeschichte gezeigt hat, war ein prägendes Element der Sorgerechtsentwicklung die kontinuierliche Förderung der Eigenverantwortung der Eltern im Zuge des Elternvorschlages und die Priorität eigenverantwortlicher Lösungen in der Krisenbewältigung. Dies war die Folge aus der Erkenntnis, dass durch die punktuelle Intervention der Gerichte nur ein beschränkter Einblick in die Familienrealität gewährleistet werden kann und die Dauerhaftigkeit der einzelfallgerechten Sorgerechtslösung maßgeblich von der Bereitschaft der Eltern zu ihrer Umsetzung abhängt. So wird dieser Ansatz dahingehend weiterentwickelt, dass nun im Rahmen der Fortsetzung gemeinsamer Sorge außerstaatlich die Möglichkeit zur autonomen Regulierung gegeben wird. Erst, wo diese scheitert und die Entziehung von Rechtspositionen erfordert, also dort, wo das Einvernehmen nicht gefunden werden kann, korrigiert das Gericht die elterlichen Defizite. Im Ausblick auf das folgende Kapitel sind diese Erkenntnisse über § 1687 schließlich auf ihre Bedeutung in der Gesetzessystematik und im Verhältnis zwischen § 1687 und § 1671 zu betrachten. Zum einen hat sich die psychologische Hürde für die Alleinsorgeübertragung durch die Einführung des Stufenmodells der §§ 1687, 1671 erhöht. Ausgangspunkt ist in diesem Zusammenhang ein si-

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B. Regulierung und Begriff der gemeinsamen Sorge im KindRG

gnifikanter Perspektivwechsel im Rahmen der Fortsetzung der gesetzlichen Sorge über die Trennung und Scheidung hinaus. Nicht die dokumentierte Bereitschaft der Eltern für eine neuerliche Zuweisung der Erziehungsverantwortung im Scheidungsverfahren und damit deren freie Entscheidung, sondern die allgemein bestehende Fürsorgepflicht der Eltern gegenüber dem Kind ist nun Ausgangspunkt der Trennungssorgeregulation. Auf diese Weise formuliert das Gesetz mittelbar eine Eignungsvermutung, der die Eltern widersprechen müssen. Dies dokumentiert eine Umkehr bisheriger Gewichtung der Sorgerechtsgestaltung. Auch wenn der gesetzliche Trennungssorgetatbestand nicht als Vorgabe verstanden werden muss, ergibt daraus sich dennoch rein psychologisch eine Beeinflussung der Eltern in der eigenen Güterabwägung zwischen den Sorgerechtsformen. Gleichzeitig erfordert erst die Abweichung von dem gesetzlich vorgegebenen Sorgerechtsmodell eigene Initiative. Nicht die Einleitung des Sorgerechtsverfahrens und die Vermutung einer fehlenden gemeinsamen Erziehungsbereitschaft und -fähigkeit, sondern erst die eigene Anrufung der Gerichte löst die gemeinsame Elternverantwortung auf. Auch wenn man keinen Vorrang einer Sorgerechtsform annimmt, so vermittelt die gesetzliche Annahme eine Bewusstseinsbeeinflussung, indem die Betroffenen sich der gesetzlichen Vermutung widersetzen müssen. Hinzu kommt, dass die Überwindung zur eigenen Verfahrenseröffnung und die damit verbundene unvorhersehbare Beurteilung der familieninternen Belange durch die Gerichte die Hemmschwelle zum Alleinsorgeantrag erhöht. Zum anderen führt die Regulierung verschiedene Eingriffsstufen und Möglichkeiten zur rechtlichen Beilegung von Konflikten bei der Trennung ein und verändert damit die Beurteilungsansätze für die Erforderlichkeit von Sorgerechtsentziehung. Denn je differenzierter das Interventionsinstrumentarium ist, desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung für den rechtlichen Eingriff. Auch wenn der Gesetzgeber die gemeinsame Sorge durch das Stufenmodell der Sorgerechtsgestaltung nicht als Regelfall ausgestaltet hat, hat er dennoch eine grundsätzliche Vermutung für die Erziehungseignung beider Eltern über die Trennung hinaus eingeführt. Anders als das historisch gewachsene Modell einer zwingenden Zäsur und Neuübertragung der Elternsorge im Zusammenhang mit der Scheidung bleibt nun die Elternrechtsstellung grundsätzlich von der Trennung unberührt. Das heißt, dass die Alleinsorge auf diese Weise nicht länger eine Übertragungsform neben anderen, sondern eine direkte Entziehung bestehender Rechte beinhaltet. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs für die Alleinsorge ist daher neu zu überdenken. Je geringer die Anforderungen für die Ausübung gemeinsamer Sorge sind, desto schwieriger erscheint es, die Alleinsorgeübertragung zu rechtfertigen. Darüber hinaus enthält die gesetzliche Trennungssorge immanente Kindeswohlabwägungen, die zunächst unabhängig vom Einzelfall die widerstreitenden Interessen und Güter für die typische Trennungssituation zueinander ins Verhältnis setzen. Diese Kindeswohlerwägungen sind auch bei der Beurteilung des Alleinsorgeantrages zu berücksichtigen und in Hinblick auf ihren Einfluss bei der Güterabwägung im Rahmen des § 1671 kritisch zu bedenken.

C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge I. Einleitung Die eigentliche Grenze der gemeinsamen Sorge manifestiert sich bei der Übertragung der Alleinsorge. Bei diesem Vorgang wird die gesetzliche Ausgestaltung der Elternsorge im Einzelfall darauf überprüft, ob der Grundsatz der sorgerechtlichen Verantwortung beider Eltern aufgrund der tatsächlichen Umstände durchbrochen werden soll. So regelt der reformierte § 1671 die konkreten Voraussetzungen, unter denen die Gerichte im Fall der Trennung einem Elternteil die Sorge allein übertragen. So heißt es dort: „Getrenntleben bei gemeinsamer elterlicher Sorge (1) Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. (2) Dem Antrag ist stattzugeben, soweit 1. der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, dass das Kind das 14.Lebensjahr vollendet hat und der Übertragung widerspricht, oder 2. zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. (3) Dem Antrag ist nicht stattzugeben, soweit die elterliche Sorge auf Grund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss.“

Durch die Übertragungstatbestände werden die Maßstäbe festgelegt, mit denen die Sorgerechtsformen einander wertend gegenüberzustellen sind. Auf diese Weise entsteht eine enge Verflechtung zwischen der gesetzlichen und der gerichtlichen Wertung. Ausgangspunkt ist die konkrete Umsetzung des Kindeswohls durch die gesetzliche Trennungssorge. Der gesetzliche Vorrang der gemeinsamen Sorge durch die normative Ausgestaltung wird begrenzt durch den Vorrang der Alleinsorge nach Maßgabe des § 1671 im Einzelfall. Es gibt also auch nach der Kindschaftsrechtsreform weiterhin einen Übertragungstatbestand, der die Elterntrennung zum Anlass und zur Legitimation einer sorgerechtlichen Umgestaltung nimmt. Damit bleibt der Trennungskonflikt zwischen den Eltern zunächst einmal ein Lebenssachverhalt, für den ein situationsspezifisches Verfahren außerhalb der allgemeinen Instrumentarien der gesetzlichen Sorge vorgesehen ist. Der Tatbestand des § 1671 knüpft damit zunächst an den Grundgedanken der Scheidungsintervention nach altem Vorbild an. Also auch wenn die gesetzliche Regulierung des § 1687 zum Ausdruck bringt, dass das Konfliktpotential bei der Trennung nicht mehr zu einer automatischen Kin-

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

deswohlgefährdungsvermutung führt, so erkennt doch der Sondertatbestand des § 1671 weiterhin an, dass diese Familienkrise einen spezifischen Regelungsbedarf begründet oder zumindest begründen kann. 1 Neben den gesetzlichen Gestaltungsansatz innerhalb der gemeinsamen Sorge tritt also nach wie vor die gerichtliche Einzelfallprüfung. Jedoch hat sich der Übertragungstatbestand der Trennungssorge durch das Reformgesetz trotz aller Kontinuität grundlegend verändert. Die auf die Trennung bezogene gerichtliche Intervention tritt neben eine gesetzliche, einzelfallunabhängige Pauschalregulierung. Es entsteht ein Ergänzungsverhältnis zwischen den beiden Regulationsformen, also der gesetzlichen Regelfallbeurteilung und der gerichtlichen Einzelfallbeurteilung. Hinzu kommt, dass sich die Trennungsintervention insgesamt sehr verändert hat. So ist es nicht mehr der Zwangscharakter des Scheidungsverbundes, der die gerichtliche Einschätzung der Trennungssorge prägt. An dessen Stelle ist ein Antragsverfahren getreten, das von einer autoritären Gestaltungshoheit zu einem Leistungsangebot des Staates wird, indem die Betroffenen über die Verfahrenseröffnung selbständig verfügen können. Dieses Zusammenspiel der gesetzlichen und der gerichtlichen Regulierung haben die Beurteilung der Trennungssorge und damit auch das Verhältnis der Sorgerechtsformen zueinander nachhaltig verändert. So werden einesteils enttäuschte Stimmen laut, die beschwichtigend vor der Überdramatisierung der Rechtslage warnen. Insbesondere vor dem Hintergrund der pragmatisch reduzierten gemeinsamen Trennungssorge, mit der § 1687 die gesetzliche Sorge an die spezifischen Realitäten nach der Trennung anpasse, reduziere sich die Übertragung der Alleinsorge auf eine sehr übersichtliche Frage: „Muß der betreuende Elternteil mit dem anderen Elternteil über dessen Umgangsbefugnis hinaus grundsätzliche Entscheidungen der elterlichen Sorge besprechen und abstimmen, oder hat es mit dessen Umgangsrecht sein Bewenden?“ 2 Dies erscheint als eine inhaltlich-pragmatische Verkürzung, wenngleich sie die komplexe Fragestellung, auf ihre konkrete Bedeutung reduziert,plastisch veranschaulicht. Doch auch die alte Bewertung, die sich auf die bisherige Rechtslage stützt, muss kritisch hinterfragt werden. Nur zu leicht droht die Diskussion an Althergebrachtes anzuknüpfen und die Eigenheit des neuen Gesetzes zu übersehen, alte Kategorien in die Reform hineinzulesen und sie über den Umbruchsvorgang hinweg zu retten. Im Vordergrund bleibt die Annäherung an den Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls. Vor dem Hintergrund der bereits in der gesetzlichen Trennungssorge des § 1687 angelegten Wertungen ist hier eine vorsichtige Konkretisierung dieses Rechtsbegriffs geboten. Sie ist gebunden an eine stete Kopplung zwischen tatbe1 Zu den konkreten Auswirkungen der Trennung und Scheidung auf das Verhalten und die Persönlichkeitsentwicklung aus psychologischer Sicht vgl. Suess / Scheuerer-Englisch / Grossmann FPR 1999, S. 148 ff. 2 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 99.

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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standlicher Einzelbetrachtung und systematischer Gesamtbetrachtung, will man dem Vorwurf des „alten Weines in neuen Schläuchen“ 3 zumindest begegnen. Das Augenmerk richtet sich zunächst auf die allgemeinen Voraussetzungen des Antragsverfahrens und untersucht im Anschluss dessen Vorwertung für die Beurteilung der Sorgerechtsprüfung. Darauf folgt die Betrachtung der einzelnen Übertragungstatbestände des § 1671 Abs. 2, 3 und wendet sich schließlich der besonderen Wertung bei teilweiser Alleinsorge und der Sorgerechtsbeurteilung im Änderungsverfahren zu.

II. Allgemeine Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1 Kernstück der sorgerechtlichen Kindschaftsrechtsreform ist die in der Einführung eines allgemeinen Antragsverfahrens für die Trennungs- und Scheidungssorge. Es ist nun nicht mehr die Lebenssituation der Elternscheidung, an die sich die gerichtliche Intervention automatisch anschließt. Stattdessen sind es die Eltern selbst, die durch den Antrag ein trennungs- und scheidungsspezifisches Verfahren eröffnen, um das Sorgerecht nach der Trennung gerichtlich überprüfen zu lassen. Bereits durch diese Veränderung der verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen vollzieht sich eine durchgreifende Akzentverschiebung. So wird der Scheidungsverbund aufgehoben, der bisher die Auflösung der elterlichen Partnerschaft und die sorgerechtliche Neugestaltung zwingend miteinander verflochten hat. Die Beendigung der Elternehe hebt damit nicht mehr allein die Grundlage der gemeinsamen Sorgerechtsposition auf. Ausgangspunkt ist folglich nicht länger eine pauschale Kindeswohlgefährdung, sondern eine an Bedarf und Regelungsinteresse der Eltern orientierte Intervention. Dabei greift das Reformgesetz zurück auf das Modell des bisherigen Ausnahmetatbestandes der Trennungssorge gem. § 1672 a. F. und macht es zum umfassenden Prinzip der nachpartnerschaftlichen Sorgerechtsregulierung. Eine zulässige Antragstellung ist Voraussetzung dafür, dass die materielle Sorgerechtslage gerichtlich wird. Die nachfolgende Betrachtung richtet sich in diesem Zusammenhang zunächst auf die diesbezüglichen Zulässigkeitsvoraussetzungen wie die Antragsbefugnis sowie den Gegenstand der familiengerichtlichen Zuständigkeit, und setzt sich dann mit den darin enthaltenen Änderungen des Interventionsverständnisses auseinander. 1. Antragsbefugnis Ausgangspunkt ist die Antragsbefugnis. Die Eröffnung des Antragsverfahrens erweist sich als ein Privileg des Sorgeberechtigten. Maßgeblich sind daher die 3

Vgl. Liermann FamRZ 1999, S. 809; dazu auch Bode FamRZ 1999, S. 1400.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

persönlichen Voraussetzungen in der Person des Antragstellers. 4 Die Antragsvoraussetzungen entsprechen dem Trennungstatbestand des § 1687 Abs. 1. 5 Damit ist auch bei der Antragstellung zur Übertragung der Alleinsorge nach der Trennung erforderlich, dass die Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt leben. Die Antragsbefugnis erweist sich gleichsam als eine Annexkompetenz des Sorgerechts. Das gerichtliche Trennungssorgeverfahren wird damit zur „Sorgerechtsausübung mit anderen Mitteln“, indem die Eltern ihre Verantwortung durch die Anrufung des Gerichtes zum Ausgleich der eigenen Einigungsdefizite ausüben. a) Elterliche Sorge zur Zeit der Antragstellung Das Gesetz räumt allein den sorgeberechtigten Elternteilen ein Antragsrecht ein. 6 Die trennungssorgerechtliche Antragsbefugnis beruht damit auf einer bestehenden Rechtsstellung, in deren Ausübung die Gerichte zur Sorgerechtsgestaltung einbezogen werden. Der Antrag erweist sich als eine Form der Delegierung der elterlichen Kindeswohlbestimmung bzw. eine freiwillige Preisgabe der sorgerechtlichen Gestaltungsprärogative von den Eltern auf die Gerichte. Ausschlaggebend ist die auf Dauer angelegte Rechtsbeziehung, die unter Ausschluss Dritter einen besonderen Schutz vor Eingriffen des Staates genießt. 7 Dabei ist nur die aktuelle Rechtsstellung von Bedeutung, ohne dass nach ihrem Ursprung differenziert wird. Die Elternstellung kann dabei sowohl auf leiblicher Abstammung – ehelicher wie nichtehelicher – als auch auf Adoption beruhen. 8 Jedoch beschränkt sich die daraus abgeleitete Antragsbefugnis zwingend auf die Reichweite der gemeinsamen Rechtsstellung. 9 Besteht die gemeinsame Sorge also nur noch partiell, so ist die Entscheidungsmöglichkeit nach § 1671 auf den gemein4

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98= BR-Drucks. 180/96, S. 108. Vgl. dazu nähere Ausführungen in Kap. A., Abschn. II.1. 6 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 58; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1671 Rz. 11. 7 In diesem Zusammenhang wirkt sich in besonderer Weise die Gleichsetzung der ehelichen und nichtehelichen Sorge beider Eltern aus. Die Eltern stehen sich unabhängig vom Status ihrer Partnerschaft gleichberechtigt gegenüber. Durch die Sorgerechtserklärung gem. § 1626a Abs. 1 wird die Tragfähigkeit der gemeinsamen Erziehungsverantwortung der gesetzlichen Vermutung in Hinblick auf die Ehe gleichgesetzt (vgl. dazu auch Mühlens / Kirchmeier / Greßmann S. 136). Während vor allem die Mutter damit die Sorgerechtsposition des Vaters anerkennt, unterwirft sie sich der sorgerechtlichen Gleichstellung bzw. dem Bestandsschutz beider Elternstellungen. Demgegenüber knüpft § 1672 Abs. 1 im Rahmen der nichtehelichen Elternsorge an die Alleinsorge der Mutter gem. § 1626a an. Die Alleinsorge des Vaters hängt dabei von der Zustimmung der Mutter ab. Zu den dazu bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. Finger ZfJ 2000, S. 183; AG Korbach NJW 2000, S. 384. 8 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 15. 5

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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sam verbleibenden Restbestand beschränkt. 10 Im Übrigen bleibt die bestehende Alleinzuständigkeit unberührt. 11 Die Rechtsstellung muss originär sein und kann nicht bereits auf einer gerichtlichen Entscheidung beruhen. Wurde den Eltern die gemeinsame Sorge also aufgrund einer Entscheidung gem. § 1671 a.F. übertragen, so genießt sie Bestandsschutz und kann allein gem. § 1696 aufgehoben werden. 12 Gleiches muss wohl auch gelten für Entscheidungen gem. § 1672 a.F. 13 Vollständig ausgeschlossen werden von der Elterneigenschaft zum einen die Pflegeeltern, deren Rechtsstellung sich ausschließlich nach § 1688 richtet. 14 Zum anderen endet die Antragsbefugnis mit den allgemeinen Voraussetzungen der Elternsorge. Werden demgegenüber die Kinder im Laufe des Verfahrens volljährig oder stirbt ein Elternteil vor der Entscheidung 15, so tritt Erledigung ein. Ein weiteres Hindernis für die Antragsbefugnis ergibt sich aus rechtlichen und tatsächlichen Sorgerechtsstörungen. So fehlt es an der gemeinsamen Sorge, wenn bereits im Vorfeld des Antrages dem Antragsteller die elterliche Sorge gem. § 1666 entzogen worden ist. 16 Ruht die Elternsorge oder ist ein Elternteil an der tatsächliche Ausübung der Elternsorge gehindert, so kann der in seiner Sorgerechtsausübung beschränkte Elternteil nicht die Alleinsorgeübertragung auf sich beantragen. Hier fehlt es an dem erforderlichen realen Fortsetzungsbezug der elterlichen Rechtsstellung. 17 Eine Einschränkung gilt hingegen, wenn der Wegfall der Behinderung etwa durch Erlangung der Volljährigkeit bevorsteht. 18 Hier kann 9 Soweit dem Antragssteller bereits teilweise Alleinsorgebefugnisse übertragen worden sind, bedarf es im Rahmen der Trennungssorge keiner Konsolidierung und es entfällt das diesbezügliche Regelungsbedürfnis. 10 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Abschn. III Rz. 79, der überdies den § 1671 uneingeschränkt für anwendbar erachtet, wenn eine frühere Sorgerechtsentscheidung durch eine Änderungsentscheidung gem. § 1696 aufgehoben worden ist und die gemeinsame Sorge wiederbesteht. 11 Zum Erfordernis einer vollumfänglichen Ausübung der Elternsorge durch jeden Elternteil, soweit sich die gemeinsame Zuständigkeit erstreckt, vgl. Lempp ZfJ 1984, S. 305 (306); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (420); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 69. 12 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 34. 13 Zu dem die für die Praxis an Bedeutung verlierende, aber sehr umstrittene Fallkonstellation der Erstentscheidung gem. § 1672 a.F. vgl. detaillierte Ausführungen unter Abschn. C.V.II.2. dieses Kapitels. 14 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 15. 15 In diesem Fall kommt nur noch eine Entscheidung gem. § 1680 in Betracht, vgl. dazu Erman / Michalski § 1671 Rz. 13. 16 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 13; Erman / Michalski § 1671 Rz. 18; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 31. 17 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 17; zur alten Rechtslage so auch Maßfelder DNotZ 1957, S. 371. 18 Vgl. Gernhuber / Coester-Waltjen Familienrecht § 65 II 2; KG FamRZ 1968, S. 262; a. A. Erman / Michalski aaO.

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nur die materielle Güterabwägung maßgeblich sein. Demgegenüber steht dem Antrag des betreuenden Elternteils kein Antragshindernis entgegen, da bei Ruhen der Sorge seitens des Antragsgegners die Sorgerechtssubstanz grundsätzlich weiterhin beiden Eltern zusteht. Es besteht daher Raum, neben der tatsächlichen Ausübung auch die Rechtsstellung durch das beantragte Gestaltungsurteil auf den betreuenden Elternteil zu konzentrieren. 19 b) Dauerhaftigkeit der Trennung Eine gerichtliche Entscheidung über das Sorgerecht setzt voraus, dass die Trennung nicht nur vorübergehend besteht. 20 Wegen der wortgleichen Fassung zur Trennungsdauer in § 1671 und § 1687 stellt sich die Frage, ob für das Antragsrecht gem. § 1671 zusätzliche Anhaltspunkte gegenüber dem Tatbestand des § 1687 erforderlich sind. Denn anders als bei der gesetzlichen Regulierung entfällt die Wirkung der gerichtlichen Trennungssorge nicht schon durch die tatsächliche Situationsänderung. Vielmehr bewirkt der Antrag eine rechtsgestaltende Entscheidung, die über das Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen hinaus die Rechtsverhältnisse bestimmt. Die Wirkung der Entscheidung ist in der Folge nurmehr durch eine Änderungsentscheidung gem. § 1696 aufzuheben. 21 Das Antragsverfahren hat daher grundsätzlich nachhaltige und dauerhafte Wirkung. Dabei ist es die Trennung der Eltern, die ein tatbestandsspezifisches Rechtsschutzbedürfnis schafft. 22 Hier wirkt sich erneut das bereits angesprochene Spannungsverhältnis zwischen der Möglichkeit einer Regelung der Trennungssorge und der zeitlichen Verzögerung der Scheidung für die Dauer des Trennungsjahres aus. 23 So ist die gesetzlich vorgesehene Trennungszeit im Vorfeld der Scheidung eine institutionalisierte Phase, in der den Beteiligten die Gelegenheit gegeben werden soll, ihren Entschluss erneut zu überdenken, ohne durch verbindliche Rechtsfolgen an der Rückkehr in den alten Zustand behindert zu werden. Demzufolge wurde nach bisheriger Rechtlage vermieden, Folgesachen verbindlich zu regeln und damit Tatsachen zu schaffen, die eine Versöhnung behindern könnten. 24

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Vgl. Staudinger / Coester (Bearb.2000) § 1671 Rz. 36. Kritisch zur Übertragung des „Getrenntlebens“ auf nichteheliche Lebensgemeinschaften als Eingriffsvoraussetzungen Diederichsen NJW 1998, S. 1957. 21 Hiervon ausgenommen ist vor allem der Fall der nachträglichen Heirat der Eltern, vgl. § 1626a Abs. 1 Nr. 2. 22 Vgl. Erman / Michalski § 1671 RZ. 15; zur alten Rechtslage ebenso OLG Saarbrücken FamRZ 1989, S. 530; OLG Nürnberg FamRZ 1995, S. 371; OLG Thüringen FamRZ 1997, S. 573; a. A. AG Kerpen FamRZ 1995, S. 953. 23 Vgl. Kap. B., Abschn. II.4. 24 Vgl. hierzu vor allem § 1672 a.F., der als Ausnahmetatbestand eine vorläufige Sorgerechtsregelung im Laufe der Trennungszeit vorsah. Diese Sorgerechtsregulierung hatte den 20

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Dieser reformimmanente Widerspruch ist jedoch hinzunehmen und darf nicht zur tatbestandlichen Verkürzung führen. Vielmehr ist er Ausdruck einer Güterabwägung innerhalb des Kindeswohls. Denn eine dementsprechende Tatbestandsauslegung widerspräche der grundlegenden Entflechtung von Scheidung und Elternsorge, wie sie die Reform kennzeichnet. Anknüpfungspunkt der Kindeswohlprüfung ist allein die tatsächliche Lebenssituation und ihre subjektive Einschätzung durch die Beteiligten. Die gesetzlichen Schutzvorschriften, die auf die Bewahrung der Ehe gerichtet sind, können in diesem Zusammenhang nicht zu einer Beschränkung des sorgerechtlichen Kindesschutzes führen. Maßgeblich ist daher allein der trennungsbedingte Regelungsbedarf, ohne an die Dauer der Elterntrennung weitere Anforderungen zu stellen. Die Nachhaltigkeit des trennungsbedingten Regelungsbedarfs fließt somit nicht in die formellen Voraussetzungen ein, sondern bleibt der materiellen Abwägung des Kindeswohls vorbehalten. 25 Hier ist vor allem zu berücksichtigen, ob eine ausstehende Versöhnung und die unzureichend gefestigten Bedingungen der Trennung der Übertragung der Alleinsorge entgegenstehen. c) Kritik am beschränkten Personenkreis der Antragsbefugnis Das Antragsrecht wird auf die sorgeberechtigten Eltern beschränkt. Dies lässt nur einen eingeschränkten Radius des Antragsverfahrens zu und verdeutlicht damit die Zielsetzung staatlicher Zurückhaltung innerhalb der Trennungssorge. Die Begrenzung der Antragsbefugnis auf die sorgeberechtigten Eltern ist auf starke Kritik gestoßen. 26 Weder dem betroffenen Kind noch dem Jugendamt wurde ein eigenes Antragsrecht eingeräumt. 27 Auf diese Weise bleibt deren sorgerechtliche EigeniniCharakter einer Zwischenregelung, die allein der Überbrückung bis zur Übertragung der nachehelichen Sorge diente, vgl. dazu MüKo / Hinz § 1672 Rz. 9. 25 Erman / Michalski § 1671 Rz. 15 schließt hier im Umkehrschluss, dass das tatbestandliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn die trennungsbedingte Sondersituation offenbar nicht gegeben ist. Dies kann vor allem dann der Fall sein, wenn alle Sorgerechtsangelegenheiten von den Eltern einvernehmlich vorgenommen werden und nicht zu erkennen ist, dass sich dies ändern wird (so nach alter Rechtslage OLG Bamberg FamRZ 1997, S. 104). Die Argumentation lehnt sich zu stark an die bisherige Rechtslage zur Trennungssorge und den vorwiegend prophylaktischen Charakter im Vorfeld der Scheidung an. Unter stärkerer Berücksichtigung des Langzeitcharakters der Entscheidung greift sie jedoch einer materiellen Tatbestandsprüfung unsachgemäß vor und ist als Entscheidungskriterium daher erst bei der Abwägung der gemeinsamen und alleinigen Sorge nach Maßgabe des Kindeswohls und nicht im Rahmen der Zulässigkeit abschließend zu berücksichtigen. 26 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 23; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); Willutzki RPfleger 1997, S. 336. 27 Vgl. hierzu BT-Drucks. 13/4899, S. 98; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Abschn. III Rz. 77; Zöller / Philippi § 621 Rz. 33e; OLG Köln EzFamR aktuell 1999, S. 21 (22); kritisch dazu Willutzki Rpfleger 1997, S. 338; Kritiker des fehlenden Antragsrechts des Kindes: Baer ZfJ 1996, S. 123; Bergmann / Gutdeutsch FamRZ

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tiative auf den Tatbestand der Kindeswohlgefährdung beschränkt. Im spezifischen Trennungssorgeverfahren können sie als Beteiligte lediglich mittelbar auf den Verfahrensverlauf Einfluss nehmen, indem sie gerichtliche Maßnahmen von Amts wegen gem. § 1666 anregen oder auf die Beurteilung des Erziehungsbeitrages jedes Elternteils einwirken. 28 Die Kritik knüpft nun vor allem daran an, dass dieser Handlungsspielraum erst entsteht, wenn das Sorgerechtsverfahren eröffnet ist. 29 Die trennungsbezogene Überprüfung hänge auf diese Weise allein von dem Konfliktbewusstsein und der Änderungsbereitschaft der Eltern ab. Aber das Bedürfnis des Kindes nach einer Regelung der Elternsorge müsse mit dem der Eltern nicht immer identisch sein. 30 Dadurch entstehe ein normimmanenter Wertungswiderspruch gegenüber dem Widerspruchsrecht des Kindes gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1. Denn zwar könne das Kind innerhalb des Verfahrens allein aufgrund der eigenen Einschätzung eine gerichtliche Kindeswohlprüfung gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 auslösen, während es im Vorfeld des Verfahrens auf die Intervention nach Maßgabe des § 1666 verwiesen sei. 31 Der Schutz des Kindes werde auf diese Weise nur unzulänglich sichergestellt. Insbesondere angesichts der kindesorientierten Perspektive der neuen Rechtslage handele es sich bei diesem Tatbestandsmerkmal um eine unsachgemäß einseitige Privilegierung der Eltern. 32 Gerade wenn es die Eltern aus Gleichgültigkeit versäumten, einen Antrag auf die Übertragung der Alleinsorge zu stellen, erfordere es das Interesse des Kindes, eine gerichtliche Eingriffsschwelle danach auszurichten. 33 Dieser Kritik kann jedoch nicht gefolgt werden. Sie knüpft an einen staatlichen Kontrollanspruch nach bisherigem Vorbild an, der die Trennungssorge als einen sorgerechtlichen Sonderfall mit erhöhter gerichtlicher Eingriffslegitimation ein1996, S. 1187 (1188); Tauche FuR 1996, S. 213 (216); Verfechter des Kindesantragsrechts im Vorfeld der Reform Coester FamRZ 1992, S. 617 (624); DFGT FamRZ 1993, S. 1164 (1165); Schwenzer Gutachten zum 59. Deutschen Juristentag 1992, S. A 77. 28 Vgl. Firsching / Grapa „Familienrecht“ 6. Aufl. 1998, Rz. 827. 29 Kritiker der Abschaffung der obligatorischen Anhörung des Kindes auch im Scheidungsverfahrens ohne Sorgerechtsantrag vgl. Balloff ZfJ 1996, S. 266 (269); Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1996, S. 1187 (1188 f); Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. ZfJ 1996, S. 509; DFGT 1996, S. 337 (339); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 7; Tauche FuR 1996, S. 213 (216). 30 Insoweit zustimmend auch BT-Drucks. 13/4899, S. 64, wo jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass dies auch für die elterliche Sorge während der Ehe gelte. Im Rahmen der gesetzlichen Sorge sei es aber grundsätzlich Sache der Eltern, darüber zu entscheiden, ob sie an der Sorgerechtsform festhalten oder eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen wollen. 31 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 23; Willutzki Rechtspfeger 1997, S. 336 (338); vgl. dazu weitere Ausführungen unter Abschn. C.III.1. 32 Vgl. Willutzki Rechtspfleger 1997, S. 336 (338). 33 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 23.

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stuft. Dies wird aber der Zielsetzung der Sorgerechtsreform nicht gerecht. Die Trennungssorge in ihrer reformierten Form wird zum modifizierten Bestandteil der gesetzlichen Sorge. 34 Auf diese Weise unterliegt die Elternverantwortung keiner positiven Nachweispflicht mehr, sondern dient in erster Linie der Beilegung eines trennungsspezifischen Kompetenzkonflikts zwischen den Eltern. Der Antrag ist daher ein selbst gewählter Ausgleich der situationsbedingten Defizite, der nur der Verfügung der Rechtsträger freistehen kann. Dies verdeutlicht und bestätigt die sorgerechtliche Anbindung der Antragsbefugnis. So soll grundsätzlich die Intervention des Staates auf den allgemeinen Gefahrentatbestand beschränkt werden. Nur soweit die Eltern selbst in Ausübung ihrer Erziehungsverantwortung eine Umgestaltung für erforderlich halten, wird die zusätzliche gerichtliche Intervention legitimiert. Der Eingriffstatbestand des § 1671 erweist sich damit in erster Linie als eine Hilfestellung für die Eltern. Die Begrenzung der Antragsberechtigung erscheint vor diesem Hintergrund sachgerecht. Der Gesetzgeber hat sich dabei von der Überlegung leiten lassen, dass die allgemeine Eingriffsschwelle nicht gesenkt werden soll, solange die Eltern selbst keinen Antrag gestellt haben. 35 Als hoheitlicher Eingriff gegen den Willen der Eltern richtet sich die Eingriffsschwelle nach den allgemeinen Grundsätzen, also der Kindeswohlgefährdung des § 1666. Wollte man demgegenüber etwa dem Jugendamt ein eigenständiges Antragsrecht einräumen, lebte der staatliche Gestaltungsanspruch in veränderter Form wieder auf und widerspräche dem elementaren Grundgedanken der gesetzlichen Sorge von einer eigenverantwortlichen Krisenregulierung der Familie. 2. Inhalt des Antrags Von Bedeutung sind vor allem die inhaltlichen Anforderungen an den Sorgerechtsantrag. Mit der Reform ist eine enge Verflechtung zwischen dem Inhalt des Antrags und der Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens entstanden. 36 Dieser Blickwinkel hat im Wesentlichen zwei Dimensionen. Die erste knüpft zunächst an 34 Im Gesetzentwurf heißt es dazu ausdrücklich, dass man das Kind auch während der Ehe nicht mit Hilfe des Gerichtes durchschneiden kann. Die insoweit geltenden Maßstäbe des § 1666 gelten gleichermaßen für die Trennungssorge, vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64. 35 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98; kritisch dazu Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 23. 36 Dieser neue Grundsatz wurde auch auf bereits am 1. 7. 1998 anhängige Verfahren ausgedehnt. Gem. Art. 15 § 2 Abs. 4 KindRG ist eine am 1. 7. 1998 anhängige sorgerechtliche Folgesache als in der Hauptsache als erledigt anzusehen, wenn nicht bis zum Ablauf von 3 Monaten nach dem 1. 7. 1998 ein Elternteil beantragt hat, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil davon allein überträgt. Diese Voraussetzung kann auch erfüllt sein, wenn ein eindeutiger Antrag auf Alleinsorge vor dem Inkrafttreten des Reformgesetzes gestellt worden ist (vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 146). Im Scheidungsverbund anhängige Verfahren sollen jedoch auch dann fortgesetzt werden, wenn der Antrag auf Übertragung der Alleinsorge bereits vor dem Stichtag gestellt worden ist (vgl. AG Solingen

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die formalen Möglichkeiten an und gibt Aufschluss darüber, auf welche gerichtliche Rechtsgestaltung der Antrag gerichtet werden kann. Der Antrag bestimmt den Verfahrensgegenstand und die innerhalb des Verfahrens denkbaren Konstellationen der zu überprüfenden Sorgerechtsstellungen. In der zweiten Dimension stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, welche Beitragspflicht sich daraus mittelbar für die Parteien ergibt, an der Entscheidungsgrundlage des Gerichtes mitzuwirken. Dies betrifft die zentrale Frage, ob der Antragssteller eine Pflicht zur substantiierten Darlegung hat oder ob sich sein Verfahrensbeitrag auf einen bloßen Impuls zur Einzelfallprüfung des Kindeswohls beschränkt. a) Zulässiger Antragsgegenstand und denkbare Konstellationen der Antragstellung Der Antrag ist dem Wortlaut des § 1671 Abs. 1 zufolge darauf zu richten, die elterliche Sorge ganz oder teilweise auf den Antragsteller zu übertragen. Auf diese Weise bestimmt er schon in der Verfahrenseinleitung sowohl die Person als auch die Reichweite der zu übertragenden Sorgerechtsstellung. Doch selbst wenn das Gesetz zunächst auf einen einzigen Antrag abstellt 37, können auch mehrere Anträge nebeneinander das Verfahren bestimmen und seinen Gegenstand entsprechend erweitern. 38 Denn nur auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass die notwendig gegenüberstehenden Kindeswohleinschätzungen der Eltern in gebotener Weise zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. 39 Dies entspricht im Wesentlichen dem Antrag gem. §§ 1672, 1628 a.F. 40 Der Antragsinhalt ist daher am Wohl des Kindes bzw. an der Abwehr von Gefährdungen des Kindeswohls oder -vermögens ausrichten. 41 Jedoch sind verschiedene Beschränkungen zulässig und beachtlich. Wie bereits der Wortlaut der Vorschrift klarstellt, kann ein Antrag auf eine Entscheidung über die Vermögens- oder Personensorge bzw. die Übertragung eines Teilbereiches der Elternsorge lediglich FamRZ 1999, S. 183; zustimmend Reinecke FPR 1999, S. 167 (173)). Die Übergangskorrektur soll nur für die Fallkonstellationen gelten, die aus der gerichtlichen Regulation herausgenommen werden sollten. 37 Vgl. dazu kritische Ausführungen in Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 6. 38 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 5; Schwab „Handbuch des Familienrechts“ / Motzer, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 77 spricht demgemäß davon, dass man die Vorschrift des § 1671 Abs. 1 so lesen muss, dass der Antrag mindestens eines Elternteils das Verfahren eröffnet. 39 Die alternative Gesetzesauslegung, bei der das Verfahren auf einen Antrag beschränkt wäre, widerspricht schon dem Wortlaut der Vorschrift insoweit, als sie jedem sorgeberechtigten Elternteil das Antragsrecht einräumt, da die Anträge zumindest soweit sie sich widersprechen, gegeneinander abzuwägen sind. 40 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“ S. 154; BTDrucks. 13/4899, S. 98 f. 41 Vgl. OLG Celle 1984, S. 1035; MüKo / Hinz § 1672 Rz. 4.

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begründet sein 42, sofern nicht das Kindeswohl im Einzelfall eine umfassende und einheitliche Regelung erfordert. 43 Soweit der Antrag sich auf einen Teil beschränkt, bleibt der übrige Teil der gemeinsamen Sorge unberührt. 44 Darüber hinaus kann sich das Entscheidungsbegehren auf eines oder einige von mehreren Kindern beschränken. 45 Denn soweit die Verfahrenseröffnung der Entschließung der Eltern überlassen ist, muss diese Möglichkeit auch hinsichtlich jedes Kindes gelten. Doch auch die Person des Antragstellers schränkt die Prüfungsreichweite der Gerichte ein. Denn eine Übertragung der Alleinsorge gem. § 1671 ist nur auf denjenigen Elternteil möglich, der einen diesbezüglichen Antrag gestellt hat. 46 Dies führt zu der Befürchtung, auf Grund der neuen Rechtslage könne eine dem Kindeswohl dienliche Regelung daran scheitern, dass es am Antrag des besser geeigneten Elternteils fehlt. 47 Dieser Ansatz vermag jedoch aus zwei Überlegungen nicht zu überzeugen. Zum einen stellen erfahrungsgemäß in strittigen Sorgerechtsverfahren regelmäßig beide Elternteile einen Antrag. 48 Zum anderen kann das Verfahren idR auch darauf gerichtet sein, dass der an der gemeinsamen Sorge festhaltende Elternteil zumindest hilfsweise beantragt, die Alleinsorge auf ihn zu übertragen. Hier steht es dem Gericht frei, durch einen entsprechenden Hinweis dem Antragsgegner zusätzlich Gelegenheit zur Antragstellung zu geben. 49 Der nachträgliche Antrag kann nach Maßgabe des § 623 Abs. 4 ZPO spätestens bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden. 50 Das Antragserfordernis 42 Etwa zum partiellen Streit über das Aufenthaltsbestimmungsrechts vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 39 f; OLG München FamRZ 1999, S. 111. 43 So auch schon OLG Hamm FamRZ 1976, S. 284; KG FamRZ 1973, S. 151; anderes gilt hier gegenüber der vorangegangenen Rechtslage jedoch insoweit, als die bisherige h.M. eine Aufteilung der Personensorge in Einzelbereiche strikt abgelehnt hat, vgl. MüKo / Hinz § 1672 Rz. 4; ausführliche Betrachtungen der teilweisen Alleinsorge vgl. Abschn. C.IV. 44 Vgl. Motzer FamRZ 1999, S. 1101; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“ 4. Aufl. III Rz. 111; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 59. 45 Vgl. dazu bereits OLG Hamm FamRZ 1976, S. 284; BayObLG MDR 1960, S. 673 = FamRZ 1960, S. 503; MüKo / Hinz § 1672 Rz. 4. 46 Vgl. OLG Celle FamRZ 1489 (1490); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 60; anderes galt nach der bisherigen Rechtlage im Rahmen des § 1672 a.F. Hier hinderte das Begehren des Antragstellers, die elterliche Sorge auf ihn zu übertragen, die Gerichte nicht daran, diese dem anderen Teil zuzuweisen, auch wenn dieser keinen eigenen Antrag gestellt hatte (vgl. MüKo / Hinz §1672 Rz. 4; OLG Hamm FamRZ 1976, S. 286; OLG Celle FamRZ 1978, S. 622). Diese ergab sich aus dem nun weggefallenen Verweis auf die umfassende Prüfungskompetenz der Familiengerichte im Rahmen des § 1671 a.F. 47 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 35; Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1996, S. 1187 (1190); Rehberg FuR 1998, S. 65 (67); Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462). 48 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 44. 49 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 43; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Abschn. III Rz. 77. 50 Vgl. Zöller / Philippi § 623 Rz. 5.

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wird daher voraussichtlich kein Hindernis bei der Abwägung der Sorgerechtsübertragung darstellen. 51 Doch auch dessen ungeachtet kommt hinzu, dass unterhalb der Schwelle der §§ 1666 ff kein Zwang zur Alleinsorge bestehen soll. Stellt der eher geeignete Elternteil keinen Antrag auf Alleinsorgeübertragung, so kann er im Rahmen der gemeinsamen Sorge an der Gestaltung des Kindeswohls beteiligt bleiben, so dass die Bindung des Gerichtes an die Reichweite der Anträge keine kindeswohlwidrige Beschränkung schafft. 52 Die Einschränkung der Sorgerechtsübertragung auf den Antragsteller selbst wirkt sich umgekehrt auch als eine Einschränkung der zulässigen Antragstellung aus. So gilt das zwingende Prinzip eines eigennützigen Antrags. Der Antragsteller kann nur die Übertragung der gesamten oder teilweisen Alleinsorge auf sich selbst, nicht aber auf den anderen Elternteil beantragen. 53 Das Gericht darf einem fremdnützigen Antrag selbst dann nicht stattgeben, wenn es eine solche Regelung nach Maßgabe des Kindeswohls für geboten erachtet. 54 Dies führt dazu, dass letztlich nur einander widersprechende Anträge gestellt werden können. 55 Diese Einschränkung wird deshalb kritisiert, da sie die damit zum Ausdruck kommende Solidarität des Antragstellers unterlaufe. 56 Vor allem aber habe das die wenig wün51 Vgl. auch BT-Drucks. 13/4899, S. 64 mit dem darüber hinaus gehenden Hinweis, dass innerhalb des Zwangsverbundes die Trennungssorge ebenfalls an einen Elternantrag geknüpft war; befürwortend ebenfalls Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 17, Fn. 26. 52 Vgl. OLG Celle FamRZ 2003, S. 1489 (1490). 53 Vgl. Oelkers FuR 1999, S. 349; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 60. 54 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 24. 55 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (460); Motzer FamRZ 1999, S. 1101; Johannsen / Henrich / Jaeger „Eherecht“, 3. Aufl. 1998, § 1671 Rz. 20; a. A. FamRefK / Rogner 1998, § 1671 Rz. 42 – vgl. dazu auch OLG Karlsruhe, FamRZ 1999, S. 801 (802), das eine Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil auch ohne dessen Antrag für zulässig hält, zumindest wenn die Voraussetzungen des § 1666 gegeben sind; kritisch dazu auch Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 23. 56 Im Rahmen der verfahrensrechtlichen Umstellung hat sich daraus auch noch ein Problem in Hinblick auf die Postulationsfähigkeit ergeben. So war bislang üblich und hinreichend, dass sich ein Ehegatte durch einen Anwalt im Verfahren vertreten ließ und den erforderlichen Antrag gestellt hat. Handelt es sich jedoch innerhalb der neuen Rechtslage um eine Folgensache für die nach wie vor Anwaltszwang besteht, so kann nun nicht mehr allein der Antragsteller die Sorgerechtsübertragung auf den Antragsgegner beantragen. Zwar ist dem Gesetzgebungsprozess nicht zu entnehmen, dass die verfahrensimmanente Einigung der Eltern durch Anwaltszwang erschwert werden sollte. Insbesondere widerspricht dies dem Grundsatz, gem. §§ 17 KJHG, 613 ZPO gerichtliche und außergerichtliche Einigung der Eltern zu fördern. Doch lässt sich keine gesetzliche Konstruktion bilden, die hier den Anwaltszwang des Antragstellers relativiert. So wird die Beschränkung des Antrags auf eine materiell-rechtliche Willenserklärung dem Doppelcharakter des Antrags nicht gerecht. Ebenso wenig vermag der Hinweis auf das nur begrenzte Verfahren von Amts wegen, auf den der Anwaltszwang zurückzuführen ist, zu einem anderen Ergebnis führen. Die Umgehung

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schenswerte Konsequenz, dass die gemeinsame Sorge bestehen bleibe, obgleich der antragstellende Elternteil dies gerade nicht will und gegebenenfalls ein Gegenantrag oder die Verweigerung der Zustimmung die Sorgerechtsübertragung nahe legen würde. 57 Demgegenüber müsse jedoch nach der neuen Rechtslage unterhalb der Schwelle des § 1666 eine Übertragung mangels Antrags unterbleiben. 58 Erst wenn die Gefährdung des Kindeswohls durch die Elternsorge eines Elterteils zu befürchten ist, kann die Alleinsorge auch gegen den Willen des anderen Elternteils auf diesen übertragen werden. 59 Diese Kritik lässt jedoch wesentliche Grundsätze des Sorgerechts außer Acht und vermag daher nicht zu überzeugen. So erscheint die Beschränkung auf konstruktive Anträge geboten. Anderenfalls könnte das Trennungssorgeverfahren zu einem sorgerechtlichen Vakuum führen, bei dem nicht die gebotene Wahrnehmung der Elternverantwortung, sondern deren Zurückweisung in den Vordergrund rückt. Diese Ausrichtung ist hingegen mit der Grundsatzwertung des § 1626 nicht vereinbar, wonach grundsätzlich eine Pflicht zur elterlichen Sorge besteht. Die elterliche Sorge ist auch nach der Trennung von einem Elternteil nicht durch Verzicht abzulegen. Die zwingende Verknüpfung zwischen einem Antrag zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge und einer verantwortungsvollen Gegenkonzeption, die den Anforderungen an eine fortgesetzte Elternverantwortung entspricht, erscheint demgemäß sachgerecht. Denkbar ist hingegen, einen solchen „altruistischen“ Antrag auf Übertragung der Alleinsorge auf den anderen Elternteil durch Umdeutung als Zustimmung zum Antrag des anderen Elternteils zu werten. 60 Die Reihenfolge und Bezeichnung dieser Prozesshandlung steht dem also nicht entgegen, sofern sich der Antragsteller nicht erkennbar bei Vorliegen eines zulässigen Antrags von seiner vorangegangenen Erklärung distanziert.

des Anwaltszwangs beschränkt sich daher auf die Abtrennung der Folgesache, durch die sie zur selbständigen Familiensache iSd §§ 78 Abs. 2 Nr. 3, 623 Abs. 2 S. 4 ZPO wird; vgl. zu dieser Problematik Schüller FamRZ 1998, S. 1287 f; Büttner FamRZ 1998, S. 585 (591 f); Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 283; Bumiller / Winkler § 64 Anm. 3 c. 57 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 24. 58 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 107; OLG Karlsruhe ZfJ 1999, S. 352 (353); kritisch dazu Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1996, S. 1187 (1190); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (450); Rehberg FuR 1998, S. 65 (67); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 7; AG Reinbach FamRZ 2000, S. 511. 59 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1999, S. 801 (802) = EzFamR 1999, S. 66 (67) = FuR 1999, S. 223 = FPR 1999, S. 181, wo der Vater im Verfahren einen ursprünglich gestellten Sorgerechtsantrag unter Hinweis auf seine zu befürchtende Überforderung zurückgenommen hatte. 60 Zurückhaltend Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 23; zu den Voraussetzungen der Umdeutung vgl. BGH NJW 1994, S. 1538 mwN; Baumbach / Hartmann Grundz. § 128 Rz. 52 mwN.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Außerhalb des Antrags kann das Gericht nur gem. §§ 1666 ff und damit in einem Verfahren von Amts wegen entscheiden. 61 Dies gilt gleichermaßen für die auf den Antragsteller bezogene als auch für die inhaltliche Beschränkung des Verfahrensgegenstandes durch den Antrag. So kann das Verfahren auf nicht beantragte Sorgerechtsbestandteile nur erweitert werden, soweit auch sie bei gemeinsamer Sorgerechtsausübung eine Kindeswohlgefährdung begründen. Gleiches gilt für die Sorgerechtsübertragung auf den Antragsgegner gegen dessen Willen. Kommt es nicht zum Antrag des besser geeigneten Elternteils, so kann eine Sorgerechtsübertragung unabhängig vom Antrag lediglich nach Maßgabe des § 1666 erfolgen. 62 Umgekehrt schließt der Antrag jedoch nicht aus, dass die Gerichte den Lebenssachverhalt auf Kindeswohlgefährdung untersuchen und innerhalb des Antragsverfahrens eine Entscheidung von Amts wegen treffen. 63 Der Antragsteller setzt sich demnach der Gefahr aus, dass er durch seinen Antrag „Geister ruft“, die zu einer Alleinsorgeübertragung auf den anderen Elternteil führen, ohne insoweit auf den beschränkten Antragsinhalt verweisen zu können. b) Inhaltliche Anforderungen an den Antrag Zunächst hat der Antrag die Funktion, den Verfahrensgegenstand zu bestimmen. Er muss daher die Reichweite der beantragten Alleinsorge nach den allgemeinen Grundsätzen der Bestimmtheitserfordernisse bezeichnen. Hier ist also sowohl die angestrebte Einzelkompetenz bei teilweiser Alleinsorge als auch die elterliche Sorge in Ansehung auf jedes der betroffenen Kinder zu bezeichnen. Über jedes Kind muss eine gesonderte Entscheidung ergehen, so dass jedes Kind als eigenständiger Verfahrensgegenstand im Sorgerechtsantrag gesondert ausgewiesen sein muss. 64 Davon zu unterscheiden ist die inhaltliche Substantiierung. Vor dem Hintergrund dieser Verfahrensgestaltung durch den Antrag schließt sich hier die Frage an, ob und wieweit sich aus diesem Gestaltungsrecht des Antragstellers auch eine Pflicht ergibt. So ist zu prüfen, ob die Antragsbefugnis in ihrer Kehrseite inhaltliche Mindestanforderungen und Darlegungslasten des Antragstellers im Rahmen seines Antrages begründet. Dies hängt im Wesentlichen davon ab, welchen verfahrensrechtlichen Charakter man dem Alleinsorgeantrag beimisst. Wäre er nur Impuls und reiner Auslöser einer gerichtlichen Einzelfallprüfung, so bestünde zumindest keine Pflicht zur inhaltlichen Antragsgestaltung. Die Eltern wären aufgrund ihres Antrages also nicht verpflichtet, einen Beitrag für die Entscheidungsfindung 61

Vgl. dazu Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 20. Vgl. AG Rheinbach FamRZ 2000, S. 511; OLG Karlsruhe ZfJ 1999, S. 352. 63 Vgl. AG Reinbach FamRZ 2000, S. 511; vgl. auch weitergehende Ausführungen im Abschn. C.III.3.a). 64 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 44; zur alten Rechtslage vgl. auch BayObLG Z 60, S. 618; OLG Nürnberg FamRZ 1986, S. 1247. 62

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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in Form eines schlüssigen Antrags zu leisten. Hätte der Antrag hingegen den Charakter einer verbindlichen Verfahrensvorgabe und sollte er Ausdruck von Verfahrensherrschaft sein, so folgte daraus auch die Pflicht zu einem substantiierten Parteivortrag. Dabei stehen sich vor allem die Einflüsse der Dispositionsmaxime bzw. der Parteienherrschaft einerseits und die des Amtsermittlungsgrundsatzes andererseits gegenüber. Dieser Gesichtspunkt hat weitreichende Folgen, da er das spezifische Verhältnis des Gerichtes zu den Parteien neu justiert. Ihre Kompetenzen bei der Verfahrensgestaltung und damit das neu geschaffene Verhältnis zwischen Familienautonomie und hoheitlichen Sorgerechtsgestaltung werden hier gegeneinander abgegrenzt. Gleichzeitig leitet sich daraus auch eine erste Gewichtung der materiellen Rechtslage ab. Denn soweit der Antrag mit einer Darlegungspflicht verbunden wäre, würde damit eine Parteienherrschaft angelegt sein. Dies würde zum einen den gerichtlichen Prüfungsradius in Annäherung an das allgemeine Zivilrechtsverfahren beschränken. Der bisherige uneingeschränkte Amtsermittlungsgrundsatz der Familiengerichte steht damit auf dem Prüfstand. Zum anderen führte die Darlegungspflicht der Parteien zu einer engen Anbindung an die gesetzliche Wertungsvorgabe des § 1687, indem die gesetzliche Prämisse zu widerlegen wäre. Auf diese Weise wäre eine erste Gewichtung des Zweifelsfalls im non liquet angelegt und damit das Verhältnis zwischen der gesetzlichen Sorgerechtsgestaltung des § 1687 und des § 1671 andererseits geprägt. Der Antrag begründete in diesem Fall also eine erste Hürde für die Übertragung der Alleinsorge und die Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechts beider Eltern. Anhaltspunkte ergeben sich in diesem Zusammenhang vor allem aus der Rechtsnatur des Antrags und den einschlägigen Verfahrensgrundsätzen. aa) Rechtsnatur und Bindungswirkung des Antrags Erste Anhaltspunkte für die Beurteilung des erforderlichen Antragsinhalts ergeben sich aus der Betrachtung seiner Rechtsnatur. Der Antrag ist eine zunächst materielle Voraussetzung für die Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil. 65 Hier sind zwei grundlegende Eigenschaften des Antrags – einmal die des Verfahrensaktes und die des Sachantrages – zu unterscheiden. 66 Als Verfahrensakt leitet er das Verfahren ein und hat dabei vor allem die Indizfunktion, der zufolge die latente Konfliktanfälligkeit bei Elterntrennung sich zur Vermutung eines konkreten Regelungsbedürfnisses verdichtet. 67 Ein darüber hinausgehendes 65 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 22; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Abschn. III Rz. 77. 66 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 22. 67 Vgl. OLG Köln FamRZ 1980, S. 929 führt schon in diesem Zusammenhang im Umkehrschluss aus: solange die Eltern während der Trennung keinen Antrag auf die Eröffnung

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Rechtsschutzbedürfnis ist demgemäß nicht erforderlich. 68 Besondere inhaltliche Anforderungen ergeben sich daraus noch nicht, da sich die prozessuale Gestaltung unmittelbar aus der Antragstellung selbst ableitet. Als Prozesshandlung ist der Antrag weder widerruflich noch anfechtbar, sondern kann allenfalls zurückgenommen werden analog § 269 ZPO. 69 Inhaltliche Anforderungen können sich hingegen aus der Eigenschaft als Sachantrag ergeben, durch den die Partei Inhalt, Gegenstand und Wirkung der angestrebten Entscheidung konkretisiert. 70 Er enthält insoweit die konkludente Erklärung, für das Kind die Alleinsorge übernehmen zu wollen. 71 Diese Funktion des Antrags ist umstritten. 72 So wird teilweise vertreten, die elterliche Einleitungsmaßnahme beschränke sich auf einen reinen Verfahrensantrag, also ein Gesuch an das Gericht, tätig zu werden. 73 In Anlehnung an das Antragsverfahren gem. § 1672 a.F. handele es sich also lediglich um eine Verfahrenseinleitungsvoraussetzung. 74 Dies vermag jedoch unter zwei Gesichtspunkten nicht zu überzeugen. Zum einen hat das Reformgesetz eine signifikante Umgewichtung in Hinblick auf die Antragsgestaltung vorgenommen. So eröffnete § 1672 S. 1 a.F. 75 unter Verweis auf § 1671 a.F. eine umfassende Sorgerechtsprüfung, ohne dass dabei inhaltliche Bedes Sorgerechtsverfahrens stellen, kann angenommen werden, dass zwischen ihnen keine erheblichen Meinungsverschiedenheiten bestehen und daher auch keine Regelung zum Wohl des Kindes erforderlich ist. 68 Vgl. schon zur alten Rechtslage in Hinblick auf die Vorläufervorschrift des § 1672 a.F. MüKo / Hinz § 1672 Rz. 5; ähnlich auch OLG Hamm FamRZ 1986, S. 1039, demzufolge sich das Regelungsbedürfnis bereits aus dem Antrag ergibt; einschränkend OLG Köln FamRZ 1980, S. 929 (930), wenn unwidersprochen im Sorgerechtsverfahren vorgetragen wird, dass während der bisherigen Trennungsdauer alle die elterliche Sorge betreffenden Fragen einvernehmlich geregelt worden seien und dieses Einvernehmen auch für die Zukunft hinreichend sicher gewährleistet ist. 69 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 29; zur alten Rechtslage so auch schon OLG Düsseldorf FamRZ 1980, S. 349. 70 Rosenberg / Schwab „ZPO“, S. 376. 71 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 29, der hier einen Vergleich mit § 1626a anstellt. 72 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger „Eherecht“, 3. Aufl. 1998, § 1671 Rz. 20; Schüller FamRZ 1998, S. 1287 (1288); ablehnend FamRefK / Rogner § 1671 Rz. 42 (demzufolge sogar eine Übertragung der Elternsorge unabhängig von einem Antrag möglich ist); ebenfalls ablehnend Oelkers FuR 1999, S. 349, der hier nur von einem Verfahrensantrag ausgeht. 73 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 20; Oelkers FuR 1999, S. 349, der demzufolge auch davon ausgeht, dass einer förmliche Zustellung des Antrags nicht erforderlich sei. 74 Zur bisherigen Rechtslage vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1983, S. 938 f; OLG Celle FamRZ 1978, S. 622; OLG Frankfurt / M. FamRZ 1979, S. 177; MüKo / Hinz § 1672 Rz. 4. 75 § 1672 a.F. lautet: „Leben die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt, so gilt § 1671 Abs. 1 bis 5 entsprechend. Das Gericht entscheidet auf Antrag eines Elternteils; es entscheidet von Amts wegen, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden.“

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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schränkungen oder Gestaltungsmöglichkeiten vorgesehen waren. 76 Demgegenüber sieht die aktuelle Rechtslage eine differenzierte Antragsgestaltung vor, so dass die Gleichstellung der beiden Antragsverfahren unsachgemäß erscheint. 77 Hinzu kommt ein damit eng verknüpfter Gesichtspunkt. Anders als die frühere Rechtslage hat der Antrag sowohl durch die Möglichkeit der inhaltlichen Beschränkung als auch durch den eigennützigen Charakter eine den Verfahrensinhalt bestimmende Funktion. Jenseits dieses Antrags bleibt die gerichtliche Prüfungskompetenz auf die Eingriffsvoraussetzungen der §§ 1666 ff begrenzt. 78 Ausschlag gebend für die Beurteilung des Sachantragscharakters ist letztlich diese Bindungswirkung, die der Antrag für die gerichtliche Entscheidung hat. 79 Durch den Gestaltungsund Verfügungscharakter ist der Alleinsorgeantrag also grundsätzlich auch als Sachantrag einzuschätzen, der zunächst zumindest den Verfahrensgegenstand hinreichend bestimmen muss. Das heißt aber auch, dass, soweit die Voraussetzungen des § 1671 gegeben sind, das Familiengericht dem Antrag stattgeben muss und weder davon abweichen noch über ihn hinausreichen darf. 80 bb) Gegenüberstellung der Verfahrensgrundsätze Ob weitergehende inhaltliche Anforderungen an den Antrag zu stellen sind, richtet sich nach den Verfahrensgrundsätze. So stehen sich im reformierten Sorgerechtsverfahren nun der traditionell familiengerichtliche Amtsermittlungsgrundsatz und die durch den Antrag einfließende Dispositionsmaxime gegenüber. Die Dispositonsmaxime beruht auf der Überlegung, dass sich die Parteien freiwillig der staatlichen Beurteilung unterwerfen und deshalb über Reichweite und Gegenstand der Intervention auch während des Verfahrens bestimmen. 81 Dagegen geht der Untersuchungsgrundsatz davon aus, dass eine typisierte Konfliktlage dem 76 Zum Meinungsstreit darüber, ob die Gerichte demzufolge auch verpflichtet waren, eine gestaltende Entscheidung nach Maßgabe des § 1671 zu erlassen, vgl. OLG Koblenz 1990, S. 550; OLG Hamm FamRZ 1986, S. 1039; a. A. MüKo / Hinz § 1672 a.F. Rz. 5 mwN, der demgegenüber davon ausging, dass der trennungssorgebezogene Antrag zurückgewiesen werden konnte, mit dem Hinweis, dass eine Änderung des bestehenden Zustands nicht dem Kindeswohl entspricht. 77 Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 132. 78 Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 132 (135); OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 39 f. 79 Vgl. zur bisherigen Rechtslage im Rahmen der Antragsverfahren gem. § 1672 a.F. ablehnend OLG Düsseldorf FamRZ 1983, S. 938; vgl. auch OLG Hamm FamRZ 1976, S. 284; OLG Köln NJW 1973, S. 193; MüKo / Hinz § 1672 a.F. Rz. 4, wonach der Antragsteller zumindest die Gerichte nicht daran hindern konnte, die Sorge auf den anderen Elternteil zu übertragen. 80 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 20. 81 In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die unmittelbar aus dem Gesetz hervorgehenden Elemente der Disposition hinzuweisen wie die eingeschränkte gerichtliche Beurteilung bei elterlicher Einigung gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 sowie die direkte Einschränkung des Entscheidungsspielraums, derzufolge ein Elternteil keinen Alleinsorgeantrag stellt

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Staat einen umfassenden Schutzauftrag erteilt. Das Verhältnis beider Strukturelemente legt das Verhältnis von Gericht und Parteien fest, indem es die Reichweite von Wächteramt und Familienautonomie bestimmt. Zum einen sind am reformierten Sorgerechtsverfahren Züge einer Disposition über den Verfahrensgegenstand festzustellen, die auf eine Wirkung als Parteienherrschaft im Verfahren zu untersuchen sind. Grundsätzlich ist zunächst festzustellen, dass gegenüber dem zuvor geltenden Zwangsverbund nun durch die Reform Elemente des allgemeinen Zivilprozesses in das familienrechtliche Verfahren einfließen. So werden die Gerichte von den Parteien auf eigene Initiative angerufen, deren Antragsbefugnis sich aus einer fortbestehenden Sorgerechtsstellung ableitet und damit anders als zuvor nicht erst gerichtlich übertragen werden muss. Eingriffslegitimation der Gerichte ist also nicht mehr eine pauschale gesetzliche Eingriffsbefugnis aufgrund der Scheidung, sondern ein von den Parteien erklärter Regelungsbedarf. 82 Das heißt, dass nun wie bei allgemeinen Zivilprozessen allein die Unfähigkeit der Parteien zu einer privatautonomen Beilegung der Konfliktlage dazu führt, den Staat als Schlichter in die Trennungssorgegestaltung einzubeziehen. Demgegenüber bleibt die Reichweite eigenmächtiger staatlicher Eingriffsmaßnahmen und daraus folgenden Prüfungskompetenzen auf den allgemeinen Gefahrentatbestand der §§ 1666 ff beschränkt. 83 Werden also die Gerichte zur Regelung der außerstaatlichen Rechtssphäre angerufen, obliegt es den Parteien nach allgemeinen Grundsätzen zumindest die Grundlage der beanspruchten Rechtstellung darzulegen. 84 Hinzu kommt, dass bereits die gesetzliche Regelung des § 1687 den Konflikt des Verfahrens für den typisierten Durchschnittsfall reguliert. Der Antrag suggeriert also über die Aussage, dass ein familieninterner Ausgleich fehlgeschlagen ist, gleichzeitig auch, dass der vorliegende Konfliktfall von dem gesetzlich regulierten Fall signifikant abweicht und daher einer Einzelfallentscheidung bedarf. Der Regelungsbedarf wird somit erst durch den Antrag nachvollziehbar. 85 Einem sich daraus ableitenden Erläuterungsgebot steht auch nicht entgegen, dass der Antrag die in diesem Tatbestand zugrunde gelegte Kindeswohlabwägung des § 1687 automatisch außer Kraft setzt. 86 Denn auch die gesetzliche Regulierung und das Gericht unterhalb der Schwelle des § 1666 nur die Alleinsorge des antragstellenden Elternteils prüfen kann. 82 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 8 f. 83 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64; damit kommt auch der allgemeine Grundsatz zur Anwendung: „Wo kein Kläger, da kein Richter“, der das Zivilverfahren charakterisiert; kritisch dazu Rehberg FuR 1998, S. 65 (66) unter Hinweis auf die Problematik, dass der Staat keinen hinreichenden Zugriff für die Durchsetzung der Kindesinteressen habe. 84 Vgl. etwa OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 (1037); OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f. 85 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 72; OLG München NJW 2000, S. 368; Oelkers § 1 Rz. 214 mwN.

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integriert in ihre Wertung eine entsprechende Konfliktlage. 87 Der im Antrag zum Ausdruck kommende akute Konflikt der Eltern widerlegt daher noch nicht zwingend die gesetzliche Einschätzung. Dies wird auch darin bestätigt, dass die dem § 1687 zugrunde liegende Eignungsvermutung der Eltern nicht schon durch das Antragsverfahren erschüttert wird. 88 Denn anderenfalls zöge der Antrag stets eine umfassende Sorgerechtsprüfung nach sich, da an die Stelle der weggefallenen gesetzlichen eine umfassende gerichtliche Beurteilung treten müsste. Dem steht nach geltendem Recht bereits entgegen, dass eine Übertragung auf den Antragsgegner ohne dessen eigenen Antrag nicht möglich ist. 89 Schließlich folgt die Einbeziehung der Dispositionsmaxime auch aus dem neuerlich erforderlichen Schutz des Antragsgegners. Denn dieser hat durch die gesetzliche Fortsetzung der Trennungssorge eine fortbestehende Rechtsstellung, die erst durch den Antragsteller der rechtlichen Überprüfung preisgegeben wird. 90 So wird auf diese Weise sein grundsätzlich bestehender Schutz vor staatlichen Eingriffen unterhalb der Schwelle der Kindeswohlgefährdung aufgehoben. Hier treffen damit gleichsam zweierlei schützenswerte Rechtsgüter im Rahmen der Sorgerechtswahrnehmung aufeinander, die durch die Gewichtung der Dispositionsmaxime ausgeglichen werden können. Während der Antragsteller einerseits eine einzelfallgerechte Kindeswohlumsetzung geltend macht, stört er gleichzeitig die ungestörte Fortsetzung der bestehenden Elternsorge des anderen und schafft Verunsicherung. An dieser Stelle kann die Darlegungslast vor allem der Vermeidung eines leichtfertigen oder missbräuchlichen Umgangs mit dem Antragsverfahren dienen. 91 Denn insoweit führt die Dispositionsmaxime zum Rechtfertigungscharakter des Antrages. So erscheint es auch im familiengerichtlichen Verfahren dort angemessen, wo schützenswerte Rechtspositionen eines Dritten – hier des anderen Elternteils oder des Kindes – betroffen sind, eine Begründung des Antrages zu verlangen. 86 Zur impliziten Kindeswohlabwägung innerhalb des § 1687 vgl. weitere Ausführungen in Kap. A., Abschn. II.2. 87 Vgl. Bode FamRZ 1999, S. 1400 (1402); Oelkers FuR 1999, S. 132 (133). 88 Vgl. Oelkers FuR 1999, S. 132 (136); Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1103); Niepmann MDR 1998, S. 566; v. Renesse FPR 1998, S. 59 (60); OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 564; OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38 (39), wonach ein bloßes Unbehagen mit der Fortsetzung gemeinsamer Sorge nicht ausreicht; OLG Zweibrück FamRZ 1999, S. 40 (41); OLG München FamRZ 1999, S. 1006 (1007); so aber KG FamRZ 1999, S. 616; dass. FamRZ 1999, S. 808 mit ablehnender Anm. Liermann MDR 2000, S. 162; FamRZ 2000, S. 504. 89 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64 zum Regierungsentwurf, wonach dies aus dem Grundsatz folgt, dass – abgesehen von der Gefährdung des Kindeswohls oder des Vermögens – der Staat nur zu einer Entscheidung über die elterliche Sorge aufgerufen ist, soweit zwischen den Eltern Streit um die Sorge besteht. 90 Vgl. dazu auch OLG Bamberg ZfJ 1999, S. 393 (394). 91 Ähnlich auch OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 f.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Gleichzeitig bestehen auch Elemente des wächteramtlichen Amtsermittlungsgrundsatzes im Trennungssorgeverfahren neben denen der Dispositionsmaxime fort. So widerspricht schon der Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls in verschiedener Hinsicht einer von Parteienherrschaft und Disposition geprägten Verfahrensstruktur. Zwar besteht weiterhin – wie oben ausgeführt – grundsätzlich die sorgerechtliche Zuständigkeit der Eltern für die Umsetzung des Kindeswohls. Aber mit dem Antrag wird die Kindeswohlauslegung an die Gerichte delegiert. 92 Die Eltern geben ihre Sorgerechtsautonomie auf, indem sie ihre divergierenden Kindeswohleinschätzungen dem Gericht zur abschließenden Wertung vorlegen. Trotz des Antragsprinzips bleibt das Sorgerechtsverfahren damit ein Amtsverfahren, das allein am Wohl des Kindes und nicht am Anspruch der Antragsteller orientiert ist. 93 An die Stelle der Eltern tritt nun der Staat, die Kindesinteressen anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Insbesondere der Verfahrensgegenstand steht hier in verschiedener Hinsicht im Widerspruch zur Parteiendisposition. Zum einen besteht bezüglich der Sorgerechtsstellungen ein staatliches Gestaltungsmonopol. 94 So besitzen die Eltern lediglich eine Gestaltungsprärogative innerhalb der bestehenden Sorgerechtsposition. Hingegen kommt eine Veränderung des status quo nur mittels eines gerichtlichen Gestaltungsurteils in Betracht, während es den Eltern nur freisteht, innerhalb der gemeinsamen Sorge privatrechtliche Absprachen über die Ausübung zu treffen. 95 Hinzu kommt, dass das Sorgerecht als „treuhänderisches Pflichtrecht“ nur die Interessenwahrnehmung zugunsten des Kindes, nicht aber den Verzicht auf die Rechtsstellung erlaubt. 96 Sie ist deshalb eine vorrangig altruistische Position, über die nicht verfügt werden kann. Eine unmittelbare Anwendung der Dispositionsmaxime erscheint damit nicht vereinbar. Zum einen würde es faktisch zu einer Parteiendisposition über Rechtsgüter Dritter führen, denn das Kind ist durch die Alleinsorge in seinem Rechtsverhältnis zum Antragsgegner betroffen. Zum 92

Jedoch sieht hier der Tatbestand des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 eine deutliche Einschränkung vor, die immanent ein weiteres Element der Disposition der Eltern gegenüber der staatlichen Intervention gerade im Vergleich zur bisherigen Rechtslage schafft. Bei dem einvernehmlichen Antrag ist es danach nicht die gerichtliche Einschätzung, sondern allein das elterliche Einvernehmen, das der Entscheidung zugrunde liegt, vgl. dazu Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (265); näheres unter III.1. dieses Kapitels. 93 Vgl. Oelkers FuR 1999, S. 349; OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 740 = FPR 1999, S. 182; vgl. dazu auch die Rspr. zum § 1672 a.F. OLG Frankfurt FamRZ 1979, S. 177; dass. FamRZ 1979, S. 743. 94 Befürwortend Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (210), der sich ausdrücklich für die gerichtliche Gestaltung vor der Alternative einer „Vertragsfreiheit“ der Eltern ausspricht; kritisch demgegenüber Coester FamRZ 1996, S. 1181 (1186), der auf den Vorrang des Elternrechts verweist. 95 Vgl. dazu Müko / Hinz § 1626 Rz. 8; Staudinger / Coester, Aufl. 2000, § 1666 Rz.7. 96 Vgl. schon RGJW 1925, S. 2115; KG FamRZ 1955, S. 295; Henrich „Familienrecht“, S. 214 (§19 III); MüKo / Hinz § 1627 Rz. 4; Soergel / Strätz § 1627 Rz. 3.

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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anderen entziehen die Eltern sich einer eindeutigen gesetzlichen Kindeswohlwertung, die mit der gemeinsamen Trennungssorge elterlicher Kooperation und Konfliktvermeidung vorgegeben ist. 97 Auch wenn die staatliche Gestaltung des Kindeswohls subsidiär ist, lebt die wächteramtliche Schutzfunktion des Staates also im Trennungssorgeverfahren wieder auf. 98 Innerhalb des Sorgerechtsverfahrens sind die Gerichte insoweit berufen, als unabhängige Institution die Interessen des Kindes im elterlichen Konflikt wahrzunehmen. Zu diesem Zweck soll eine am Kindeswohl gemessene Entscheidung aufgrund eines umfassenden Einblicks getroffen werden können. Dabei steht insbesondere die Neutralität der gerichtlichen Einschätzung im Vordergrund. Denn erst durch den Ausschluss eines selektiven Parteienvortrages ist gewährleistet, dass weder sachfremde Erwägungen dominieren noch die Eltern vorrangig eigene Interessen durchsetzen. 99 Diese Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes wurde im Gesetz verankert. So gewährleistet sowohl die obligatorische Anhörung von Kind und Jugendamt gem. §§ 49, 50b Abs. 1 FGG als auch die ausdrückliche Zuordnung der Elternsorge zur freiwilligen Gerichtsbarkeit 100, dass die Gerichte sich einen von den Parteien unabhängigen Einblick in den Lebenssachverhalt verschaffen. Danach obliegt es dem Gericht, die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen zu ermitteln und Beweise erforderlichenfalls selbst zu beschaffen. cc) Folgerung für die Beurteilung der Darlegungslast Das familiengerichtliche Antragsverfahren weist demnach Strukturelemente beider Verfahrensgrundsätze auf. Für die Beurteilung der Darlegungslast ist daher maßgeblich, inwieweit die Auswirkung der Dispositionsmaxime durch den Amtsermittlungsgrundsatz begrenzt wird. Die Darlegungslast als Kehrseite der elterlichen Disposition ist nur denkbar, wenn sie mit der Amtsermittlung und der Zielsetzung des Sorgerechtsverfahrens vereinbar ist. Hier muss abgewogen werden zwischen den bereits angesprochenen Anknüpfungspunkten zugunsten 97 Vgl. zur gesetzlichen Pflicht zur einvernehmlichen Sorgerechtsausübung gem. § 1627 über die Scheidung hinaus Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 3; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 44; BT-Drucks. 13/4899, S. 107; vgl. dazu auch OLG Frankfurt FamRZ 199, S. 392; vgl. auch Kap. B., Gesetzliche Trennungssorge Abschn. II.1. 98 Vgl. Lipp FamRZ 1998, S. 65 (71), der in diesem Zusammenhang davon spricht, die autonome Konkretisierung des elterlichen Status beschränke sich nur auf das „Ob“ und nicht auf das „Wie“. In keinem Falle ändere aber der elterliche Konsens selbst die Sorgerechtszuständigkeit. 99 Vgl. zu der Problematik der sachfremden Sorgerechtsgestaltung Kap. A., Abschn. III.2.b) hinsichtlich der historischen Betrachtung sowie Kap. B., Abschn. II.1. hinsichtlich der sachfremden Erwägungen für die Fortsetzung der gemeinsamen Trennungssorge. 100 Vgl. §§ 621a ZPO, 12 FGG.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

einer substantiierten Antragserläuterung und etwaigen verfahrenswidrigen Konsequenzen. 101 Fraglich ist damit vorrangig, ob bereits der Antrag allein ungeachtet seiner inhaltlichen Ausgestaltung die gesetzliche Wertung des § 1687 oder erst nach Erfüllung inhaltlicher Mindestanforderungen ablöst. Nach historischer Auslegung ist eine qualifizierte Darlegungslast zunächst nicht vorgesehen, da der Gesetzgeber ausdrücklich ausführte: „Es soll auch keine gesetzliche Vermutung bestehen, wonach die gemeinsame Sorge im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung sei. Eine (formelle) Beweislast hinsichtlich der Untauglichkeit der gemeinsamen Sorge im konkreten Fall trifft den Antragsteller schon deshalb nicht, weil es eine Beweislast im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht gibt.“ 102

Für eine vollständige Verdrängung der gesetzlichen Regulierung spricht damit zunächst, dass der Gesetzgeber mittels des Antragsverfahrens hier vor allem das obligatorische Sorgerechtsverfahren abschaffen wollte. 103 Nach einer neuen Verhältnismäßigkeitsgewichtung 104 sollten den Eltern Verfahren erspart bleiben, die zunächst keine aufgedrängte Regulierung benötigen, und auf diese Weise die Auswahl der Sorgerechtsform in erster Linie ihnen überlassen werden. 105 Das heißt, das Antragsverfahren war nicht als zusätzliches Hindernis für die Alleinsorgeübertragung konzipiert, sondern sollte lediglich das Sorgerechtsverfahren bei einvernehmlicher Fortsetzung der gemeinsamen Sorge erübrigen. Ein kategorischer Ausschluss einer Darlegungslast ist dem Regierungsentwurf hingegen nicht zu entnehmen. 106 Zu prüfen ist jedoch, ob der Amtsermittlungsgrundsatz des FGG und der gesetzgeberische Ausschluss der Beweislast eine Darlegungslast des Antragstellers 101

Zur dogmatischen Diskussion der Einschätzung des Antrages vgl. auch die Ausführungen hinsichtlich der Regel-Ausnahme-Diskussion Kap. C., Abschn. III.2.b). 102 BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = BR-Drucks. 180/96, S. 73. 103 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61 f; zur Parallelwertung im Rahmen des Antragsverfahrens gem. § 1672 a.F. vgl. MüKo / Hinz § 1672 Rz. 4 mwN. 104 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 f, wo unter Verweis auf das Urteil des BVerfG zum gemeinsamen Sorgerecht nach der Scheidung klargestellt wird, dass dem Gesetzgeber gerade nicht obliege, nur unter bestimmten Voraussetzungen die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge zu eröffnen, sondern dass es umgekehrt für die Durchführung eines Zwangsverfahrens der Rechtfertigung bedarf, da der Staat auf diese Weise zum Ausdruck bringe, dass er die gemeinsame Elternentscheidung nicht hinnehme. 105 Vgl. BT-Drucks. 1374899, S. 64; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann, S. 45 f. 106 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 = BR-Drucks. 180/96, S. 72 wo es heißt: „Dem (der Kritik an der Einführung des Antragsverfahrens)ist entgegenzuhalten, dass auch im Fall der Beibehaltung des Zwangsverbundes der Elternteil, der gegen den Willen des anderen die Alleinsorge für sich haben will, darlegen muss, dass er für die Erziehung besser geeignet sei und dass die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge nicht in Betracht kommt.“

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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grundsätzlich ausschließen. 107 Maßgeblich ist hier vor allem der Übergang von der gesetzlichen Vermutung, dass die Eltern zur gemeinsamen Sorgerechtsausübung geeignet sind, zur einzelfallbezogenen Wächteramtsfunktion. Hinsichtlich dieses Verhältnisses zwischen § 1687 und § 1671 ist zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Regulierung der Trennungssorge eine neue Konzeption staatlicher Zurückhaltung einführt, während die gerichtliche Einzelfallprüfung an den alten Schutzgedanken anknüpft, der den Gerichten eine aktive Wahrnehmung der Kindesinteressen zuweist. Dabei entsteht also ein Zwei-Stufenmodell innerhalb des Wächteramtes, bei dem der wächteramtliche Schutzauftrag auf erster Stufe durch gesetzgeberische Abwägung und auf zweiter Stufe durch gerichtliche Regulierung wahrgenommen wird. Das Aufleben des hoheitlichen Schutzauftrages und die eigenständige Konkretisierung des Kindeswohls durch die Gerichte setzen also faktisch das Überwinden der vorangehenden universellen Kindeswohlgewichtung gem. § 1687 voraus. Würde man mit dem Ausschluss der Beweislast auch die Darlegungslast vollends ausschließen, so wäre allein der formlose Antrag ausreichend, um die Eignungsvermutung des § 1687 aufzuheben. Dies erscheint jedoch bei systematischer Gesamtbetrachtung problematisch. 108 Denn zum einen käme dies einer willkürlichen Verfügung über den wächteramtlichen Schutzauftrag und dessen Umsetzung durch den Antragsteller gleich. 109 Der Staat erfüllt die Wahrnehmung der Kindesinteressen bei Trennung zunächst durch die grundlegende Sorgerechtszuweisung des § 1687, mit der er zunächst die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Wächtersamtes erfüllt. 110 Darin kommt ein grundlegender Abwägungsprozesses hinsichtlich der einfließenden Konflikte und Erziehungspotentiale zum Ausdruck und er konkretisiert das Kindeswohl im Rahmen der Trennungssorge. Wollte man bereits einen einseitigen Antrag als hinreichende Rechtfertigung umfassender Intervention genügen lassen, so hieße das, die Eltern zu ermächtigen, willkürlich die rechtliche Güterabwägung verbindlich außer Kraft zu setzen. 111 Das Wächteramt unterläge mithin der Interpretation der Parteien. Eine solche Parteienwillkür erscheint jedoch mit dem Schutzauftrag des Staates nicht vereinbar. Denn sie 107 So wohl Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 37, 39; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz122; vgl. auch BT-Drucks. 13/4899, S. 63. 108 Im Ergebnis so auch Runge FPR 1999, S. 142 (144); FamRefK / Rogner § 1671 Rz. 18; Oelkers FuR 1999, S. 349 (352); ähnlich wohl auch v. Renesse FPR 1998, S. 59 (60); OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110). 109 Vgl. OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110); OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f. 110 Vgl. Oelkers FuR 1999, S. 132 (133), der darauf verweist, dass die Trennungssorge ungeachtete des Konfliktpotentials aus der einzelfallbezogenen Wächteramtsfunktion herausgenommen und durch gesetzliche Regulierung erfüllt wird. 111 Im Ergebnis so auch OLG München NJW 2000, S. 368 (369); so auch im Ansatz Staudinger / Coester (Bearb. 2000), § 1671 Rz. 128, der von einer unzulässigen Disposition über eine rechtliche Pflichtenstellung spricht.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

relativiert den Kindeswohlbegriff, der einen sachgemäßen Interessenschutz des Kindes außerhalb des Antragsverfahrens gewährleisten soll. Zum anderen erfordert auch die durch die Fortsetzung der gesetzlichen Sorge nunmehr erstarkte Position des Antragsgegners rechtlichen Schutz. Anders als zur Zeit des Verbundsverfahrens überträgt das Gericht nicht erst die nacheheliche Sorge, sondern greift in eine bestehende Rechtsstellung ein. 112 Das heißt, dass anstelle des allgemeinen Eingriffsmaßstabs der Kindeswohlgefährung gem. § 1666 im Antragsverfahren die geringere Eingriffschwelle des § 1671 gilt, die sich aufgrund der an den Antrag geknüpften Gefährdungsvermutung erst rechtfertigt. So fehlt es an einer hinreichenden Legitimation, die Rechtsstellung des Antragsgegners uneingeschränkt und ohne Rückbezug auf die normative Verankerung seines Sorgerechts der gerichtlichen Eignungsprüfung zu unterziehen. 113 Eine uneingeschränkte Prüfungspflicht des Staates widerspräche der Eignungsvermutung zugunsten des Antragsgegners und ließe den Antragsteller darüber entscheiden, wie die Erziehungseignung gemessen wird. 114 Dieser systematischen Erwägung steht auch nicht die Befürchtung entgegen, dass die Obliegenheit einer Antragsbegründung dazu führen könnte, den bestehenden Konflikt noch zu vertiefen und dem Antragsteller gleichzeitig eine destruktive Rolle zuzuweisen. 115 Zwar droht einerseits die Verhärtung der Fronten durch die in der Begründung erforderlichen Beschuldigung, dass die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge durch das Verhalten des anderen Elternteils dem Kindeswohl widerspricht. Dies weist dem Antragsteller die einseitige Funktion zu, die Restfunktion der Familie in der Eigenschaft des Anklägers zu zerschlagen. Auch wenn der Antragsteller erst durch das Verhalten des anderen Elternteils zur Antragstellung veranlasst wird, macht dieser Akt ihn gewissermaßen verantwortlich für die Folgen der Alleinsorgeübertragung. 116 Aus solchen Erwägungen könnte mittelbar auch die Wahrnehmung des Antragsrechtes behindert werden, wenn der antragstellende Elternteil nicht über das erforderliche Selbstbewusstsein verfügte. 117 112 Vgl. dazu auch OLG Bamberg ZfJ 1999, S. 393 (394); BT-Drucks. 13/4899, S. 72 = BR-Drucks. 180/96, S. 62. 113 Vgl. auch Staudinger / Coester (Bearb. 2000), § 1671 Rz. 128. 114 Vgl. hierzu OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 (1037), das einen Alleinsorgeantrag ausdrücklich deswegen zurückwies, weil die Antragstellerin nichts vorgetragen habe, was eine Übertragung der Alleinsorge rechtfertige; vgl. auch OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f. 115 Vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/4899, S. 62 f. 116 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 122; vgl. dazu auch Zenz FPR 1998, S. 17 (18); darüber hinaus vgl. auch entsprechende Überlegungen in der Begründung zum Gesetzentwurf der Grünen-Fraktion gegen die Einführung des Antragsverfahrens, BTDrucks. 13/3341, S. 14; ähnlich auch Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, vgl. BT-Drucks. 13/ 1752, S. 15; weitere Ausführungen vgl. auch im Abschn. C.III.2.b)bb) im Rahmen der Ausführungen zur Regel-Ausnahme-Diskussion. 117 Warnend bereits Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452).

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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Doch ist die Vertiefung des bestehenden Konfliktes ein dem Sorgerechtsverfahren insgesamt anhaftendes Phänomen. 118 Die Einführung des Antragsverfahrens wurde daher auch mit der allgemeinen Konfliktverschärfung durch das Sorgerechtsverfahren begründet. 119 Denn bereits die Beanspruchung der Alleinsorge schürt die Auseinandersetzung. 120 Eine denkbare Hemmung einer konfliktscheuen Elternpartei steht nicht spezifisch der Darlegungslast entgegen, sondern betrifft bereits die Ebene der formalen Antragstellung. Sachgerecht erscheint daher eine gezielte Hilfestellung durch gerichtliche und außergerichtliche Stellen im Vorfeld. Darüber hinaus kennt das Scheidungsverfahren traditionell Regelungsgegenstände, die ebenfalls antragsbedürftig sind und die bisher als unproblematisch angesehen wurden. 121 Vor allem aber kann es unter Hinweis auf den Schutz des Antragstellers nicht darum gehen, die Verfahrenseröffnung zu erleichtern und damit die sorgerechtliche Pflichtenbindung zu lockern. Gerade zur Vermeidung einer Konflikt provozierenden Konfrontation wurde die gesetzliche Regulierung des § 1687 eingeführt. 122 Sie war auf die Vermeidung der staatlichen Intervention insgesamt und die Bewahrung beider Eltern in der sorgerechtlichen Verantwortung gerichtet. 123 Die Vermeidung des Sorgerechtsverfahrens ist damit ein eigenständiger Bestandteil der Kindeswohlbeurteilung. 124 Das Verfahren soll daher nur bei tatsächlichem Bedarf eröffnet werden. 125 Dies setzt aber letztlich voraus, dass die Eltern vorprozessual die bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen, sich um Kooperation bemühen und den Konflikt beizulegen versuchen. 126 Die Darlegungslast kann hier den Nachdruck gezielt erhöhen. Nur so kann ausgeschlossen werden, dass bloße Bequemlichkeit oder Eigensucht im Vordergrund des Verfahrens steht. 127 Vor allem der Schutz des 118 Vgl. bereits BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen. 119 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62 f; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann S. 42. 120 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63, wo darauf verwiesen wird, dass dies gleichermaßen bei einem fortbestehenden Verbundsverfahren gelte, da hier der die gemeinsame Sorge zurückweisende Elternteil in gleicher Weise nach den Beweggründen befragt würde. 121 BT-Drucks. 13/4899, S. 62 = BR-Drucks. 180/96, S. 72. 122 Vgl. BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen. 123 Im Ansatz so auch OLG Köln EzFamR 1999, S. 21 (22) = FuR 1999, S. 296. 124 Vgl. dazu auch Kap. A., Abschn. III. 125 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 72; OLG München NJW 2000, S. 368; Oelkers § 1 Rz. 214 mwN. 126 Vgl. OLG München NJW 2000, S. 368 f; OLG Schleswig NJW-RR 2000, S. 813 f; insb. zur Nutzung der außergerichtlichen Beratung vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 129; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 805f = NJW 1999, S. 3495; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1159; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); AG Fürstenfeldbruck FamRZ 2002, S. 2002, S. 117; a. A. wohl Runge FRP 1999, S. 142 (144).

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Kindes vor dem belastenden Verfahren und der Rechtstellung des anderen Elternteils erfordern eine angemessene Rechtfertigung seitens des Antragstellers. 128 Ist diese Voraussetzung gegeben, so kann davon ausgegangen werden, dass zumindest ein Elternteil die Belastung der Preisgabe seiner Beweggründe in Kauf nehmen wird. 129 Im Ergebnis erscheint daher eine vollständige Freistellung des Antragstellers von der Darlegung seiner Beweggründe unsachgemäß und wird der Gemengelage der Interessen nicht gerecht. Eine Darlegungslast des Antragsstellers ist somit für den Tatsachenvortrag anzunehmen. 130 So stehen sich der Ausschluss der Beweislast der Parteien im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und das qualifizierte Antragserfordernis substantiierter Darlegung gegenüber. Denkbar ist ein Nebeneinander beider Grundsätze, bei dem die Darlegungslast eine Sachentscheidungsvoraussetzung darstellt, jenseits derer erst die Amtsermittlung einsetzt. Das heißt, dass nicht bereits der formelle Antrag, sondern erst dessen substantiierte Begründung dazu führt, die gerichtliche Sachverhaltsermittlung auszulösen. Angesichts der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes kommt zunächst eine formelle Beweislast für die Untauglichkeit der gemeinsamen Sorge im konkreten Einzelfall nicht in Betracht. 131 Neben der Amtsermittlung soll die Darlegung also nicht die Entscheidungsgrundlage schaffen und die entscheidungserheblichen Tatsachen notwendig abdecken. Das heißt im Ergebnis auch, dass weder durch den Antrag selbst noch im späteren Parteienvortrag die gesetzliche Eignungsvermutung gem. § 1687 direkt erschüttert werden muss. 132 127

Vgl. auch OLG München NJW 2000, S. 368 (369). Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 72; OLG München NJW 2000, S. 368; Oelkers § 1 Rz. 214 mwN. 129 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 43; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Abschn. III Rz. 77; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f. 130 So auch Runge FPR 1999, S. 142 (144); FamRefK / Rogner § 1671 Rz. 18; Oelkers FuR 1999, S. 349 (352); so wohl auch im Ergebnis v. Renesse FPR 1998, S. 59 (60); OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110); OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 f; dass. FamRZ 2003, S. 1950 f; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; im Ergebnis so auch schon Vorschlag Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59). 131 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 43, dabei ist vor allem die ausdrückliche Beschränkung hinsichtlich einer formellen Beweislast hervorzuheben, die einer im eigenen Interesse liegenden Mitwirkungsopportunität nicht entgegensteht. Zum anderen wird an anderer Stelle ausdrücklich von einer Darlegungslast des Antragstellers ausgegangen, vgl. ebenda; dazu auch Oelkers FuR 1999, S. 349. 132 Auch wenn zunächst formal sich die äußerliche Nähe zum Anscheinsbeweis aufdrängt, läßt der Amtsermittlungsgrundsatz nicht zu, sich daran im modifizierten Sorgerechtsverfahren anzulehnen. Der Anscheinsbeweis ist gewohnheitsrechtlich anerkannt und erlaubt, bei typischen Geschehensabläufen den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs oder eines schuldhaften Verhaltens ohne exakte Tatsachengrundlage, sondern durch Erfahrungsgrundsätze nachzuweisen, vgl. Zöller / Greger Vor § 284 Rz. 29. Zwar genügt 128

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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Die Darlegung kann daher sowohl für eine bedarfsgerechte Gestaltung des Verfahrens 133 und für eine effektive Nutzung der außergerichtlichen Hilfestellung 134 als auch zur Verhinderung mutwilligen und unsachgemäßen Antrag dienen. Die gebotene Mitwirkungspflicht des Antragstellers ist mithin darauf zu richten, einen überdachten, abgewogenen und gut reflektierten Antrag zu stellen. Bereits die Anforderung einer Antragserläuterung gibt dem Antragsteller die Gelegenheit, seine Beweggründe zu überdenken, sich inhaltlich mit der Gegenüberstellung der Sorgerechtsformen auseinanderzusetzen und abzuwägen, ob bereits im Vorfeld die bestehenden Alternativen und Kooperationsversuche sachgerecht ausgeschöpft worden sind. Zentrale Aspekte des Vortrages sollten daher Tatsachen sein wie die Dauer der bereits praktizierten Trennungssorge, die konkreten Behinderungen der gemeinsamen Sorgerechtsausübung und die bereits unternommenen Maßnahmen zur Überwindung der Hindernisse. Angesichts dieser vagen Zielvorgabe wird gleichzeitig deutlich, dass es sich bei der Darlegungslast um eine weniger dogmatisch zu beurteilende Mitwirkungspflicht handelt. So erscheint es angemessen, die inhaltliche Anforderung an den Antrag als eine verfahrensspezifische Sachentscheidungsvoraussetzung anzusehen, die ein qualifiziertes Merkmal des Rechtsschutzbedürfnisses darstellt. Fehlt die Begründung des Antrags vollständig, so ist es sachgerecht, ihn mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig zurückzuweisen oder zumindest dem Antragsteller vor der Eröffnung der mündlichen Verhandlung eine entsprechende Nachbesserung aufzugeben. 135 Ist die Antragsbegründung hingegen lückenhaft oder bleibt sie hinter den Plausibilitätserwartungen zurück, so bietet er gerichtliche Anknüpfungspunkte zur Konfrontation der Eltern mit der Thematik und kann als negativer Bestandteil in die gerichtliche Abwägung einfließen. 3. Zuständigkeit des Familiengerichts Das Familiengericht ist gem. § 1671 Abs. 1 für das Antragsverfahren zuständig. Diese Aufgabenzuweisung vollzieht sich im Rahmen einer grundlegenden Neuhier zur Widerlegung bereits die ernsthafte Möglichkeit eines von den Erfahrungen abweichenden Ablaufes (vgl. Zöller / Greger Vor § 284 Rz. 29; OLG Köln EzFamR 1999, S. 21 (22) = FuR 1999, S. 296). Jedoch bleibt es auch bei dieser eingeschränkten Beweislast entgegen der Amtsermittlung, die Sachverhaltsermittlung den Parteien zuzuweisen. 133 Vgl. dazu auch § 52 FGG. Daraus ergibt sich innerhalb der Systematik, dass die Begrenzung der Intervention eines der Interventionsmaximen darstellt. So auch Büttner FamRZ1998, S. 585 (588). 134 Vgl. § 52 FGG, vgl. dazu auch Abschn. C.III.4. 135 Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Zurückweisung nach allgemeinen Grundsätzen einer erneuten Antragstellung nicht entgegensteht, da das Prozessurteil nicht in Rechtskraft erwächst, vgl. Zöller / Greger Vor § 253 Rz. 9. Eine kindeswohlwidrige Verkürzung des Rechtsschutzes ist somit nicht zu befürchten.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

ordnung, die das Verhältnis zwischen Familiengericht und Vormundschaftsgericht neu festlegt. Damit ist diese Zuständigkeit vor allem im Kontext einer übergreifenden Konzentration der familiengerichtlichen Zuständigkeit 136 zu betrachten, von der die gesamte Regulierung des Eltern-Kind-Verhältnisses erfasst wird. Die sachliche Zuständigkeit für die Entscheidungen über die Trennungssorge liegt gem. § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO beim Familiengericht als Abteilung des Amtsgerichts. 137 In Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit ist zu unterscheiden, ob das Verfahren während oder außerhalb des Scheidungsverfahrens stattfindet. 138 So richtet sie sich bei isolierten Verfahren nach den allgemeinen Vorschriften 139, die bei Rechtshängigkeit 140 der Scheidungssache durch die Sonderzuständigkeit des § 621 Abs. 2 Nr. 1 ZPO als abschließende Sonderzuweisung abgelöst werden, soweit die Familiensache im engen Zusammenhang mit der Ehesache steht. Dann ist das Gericht der Ehesache im ersten Rechtszug 141 vorrangig zuständig, was auch für den Fall gilt, wenn es nicht zu einem Verbund beider Verfahren kommt. 142 Hier 136 Kritische Anmerkungen zur bisherigen Zuständigkeitsspaltung vgl. MüKo / Hinz Vor § 1671 Rz. 11. 137 Vgl. §§ 23a Nr. 1 GVG, 64 Abs. 1 FGG; zur funktionalen Zuständigkeit des Richters vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 15 RPflG; zum historischen Rückblick familiengerichtlicher Zuständigkeit von Peschel-Gutzeit FPR 1997, S. 163; zur konkurrierenden internationalen Zuständigkeit vgl. Johannsen / Henrich / Sedemund-Treiber § 621 ZPO Rz. 17 ff. 138 Vgl. zu diesem Themenkomplex Johannsen / Henrich / Sedemungs-Treiber, 3. Aufl. § 621 Rz. 4 ff; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 265; Büttner FamRZ 1998, S. 585; vgl. in diesem Zusammenhang auch zur Zuständigkeit in den Mitgliedsstaaten nach „EU-Verordnung 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und die Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000“, Brüssel IIa, Art. 8, 14, vgl. dazu auch Solomon FamRZ 2004, S. 1409 (1411) mwN; Coester-Waltjen FamRZ 2005, S. 241 (242 f); zur Zuständigkeit im Rahmen internationaler Abkommen vgl. Schulz FamRZ 2003, S. 336 (338 f, 344). 139 Vgl. § 621 Abs. 2 S. 2 ZPO, dabei sind für die FGG-Familiensachen der § 621 Abs. 1 Nr. 1 –3, wie die Elternsorge, die §§ 43 Abs. 1, 36 Abs. 1 FGG iVm 621a Abs. 1 S. 1 ZPO, 64 Abs. 3 S. 1 FGG maßgebend. Hier ist der Wohnsitz des Kindes entscheidend und kann bei Getrenntleben der Eltern bei beiden Eltern bestehen, vgl. BGH FamRZ 1990, S. 1226 (1227); FamRZ 1990, S. 35 (36); Johannsen / Henrich / Sedemund-Treiber § 621 ZPO Rz. 7; hat das Kind einen Doppel-Wohnsitz bei beiden Eltern, so kommt dem Antragsteller nach den allgemeinen Grundsätzen der gerichtlichen Zuständigkeit ein Wahlrecht zu, vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 40. 140 Nicht ausreichend ist die Anhängigkeit der Ehesache, da bei der Überleitung der Familiensache eine gewisse Gewähr dafür bestehen soll, dass das Eheverfahren auch durchgeführt wird, vgl. Johannsen / Henrich / Sedemund-Treiber § 621 ZPO Rz. 11. 141 Der Rechtsmittelzug vom Amtsgericht zum OLG in Berufungs- und Beschwerdesachen gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1, 2 GVG gilt auch für die neu hinzukommenden Familiensachen. Für Kindschaftssachen, für die bisher ein Zivilsenat des OLG zuständig war (§ 119 Abs. 1 Nr. 1, 2 GVG a.F.), wird nunmehr der Familiensenat zuständig, im Übrigen bleibt der Rechtsmittelzug unverändert. Vor allem aber führen die Entscheidungen zur Kindeswohlgefährdung nicht mehr vom VormG zum Landgericht, sondern innerhalb

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dient die Regelung dazu, durch eine möglichst weit gehende Zusammenfassung aller Verfahren aus dem Umfeld der Ehesache in der Hand eines Richters im Interesse einer rationellen und effektiven Erledigung zusammenzuführen. 143 Soweit ein isoliertes Verfahren bereits an einem anderen Familiengericht anhängig ist, so ist es von Amts wegen auf das Gericht der Ehesache überzuleiten. 144 Diese Verknüpfung der Regelungsbereiche geht auf eine Regelung des 1. EheG zurück und bildet die Grundlage für die Zusammenfassung der Scheidung mit der Folgesache gem. § 623 ff ZPO. 145 Die Zuständigkeit des Familiengerichts hat für das Trennungssorgeverfahren im Gesamtkontext der Reform besondere Bedeutung. 146 Sie steht im engen Zusammenhang mit einer deutlichen Verlagerung vom Vormundschaftsgericht auf das Familiengericht. 147 So vollzieht sich insgesamt eine Konzentration der familienrechtlichen Zuständigkeit auf das Familiengericht. 148 Im Sorgerecht wirkt sich diese Konzentration vor allem als Vereinheitlichung der Maßstäbe und Verdes familiengerichtlichen Rechtsmittelzuges zum Familiensenat; im Überblick vgl. dazu Büttner FamRZ 1998, S. 585 (588). 142 Vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (588); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 265. 143 Zum zugrunde liegenden Rationalisierungsgedanken vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 120; Johannsen / Henrich / Sedemund-Treiber § 621 ZPO Rz. 4; vgl. überdies zur einschränkenden Auslegung Wieczorek / Schütz / Kemper § 621 Rn. 26; kritisch dazu Zöller / Philippi § 621 Rz. 85a. 144 Vgl. Johannsen / Henrich / Sedemund-Treiber § 621 ZPO Rz. 8 f. 145 Vgl. Johannsen / Henrich / Sedemund-Treiber § 621 ZPO Rz. 4; Vor § 621 Rz. 1; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann S. 260 ff. 146 Hinsichtlich der zukunftsweisenden Bedeutung der ausgeweiteten Zuständigkeit des Familiengerichts vgl. Künkel FamRZ 1998, S. 877; Pieper FuR 1998, S. 1; Willutzki RPfleger 1997, S. 336 (339). 147 Die bisherige Zuständigkeitsaufspaltung zwischen dem VormGer und dem FamGer entfällt (vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 74; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 265). Das FamGer ist ausschließlich zuständig für sämtliche die elterliche Sorge und das Umgangsrecht betreffenden Verfahren, soweit sie ihm nach der BGB-Neufassung zugewiesen sind, § 23b Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 3 GVG. Dazu gehören auch Entscheidungen über Sorgerechtsmissbrauch und damit verbundene Anordnungen von Vormundschaft und Pflegschaft sowie die Auswahl von Vormund und Pfleger. Hinzu kommen aus der C-Abteilung des AmtsGer und der Vormundschaftsabteilung alle Kindschaftssachen und die Verfahren über alle sich aus Ehe und Verwandtschaft ergebenden Unterhaltsansprüche. Damit verbleiben neben der Vormundschaft nur noch Betreuungsund Unterbringungssachen bei dem VormGer, vgl. dazu insgesamt BT-Drucks. 13/4899, S. 74, 159, 171; Pieper FuR 1998, S. 1; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Abschn. III Rz. 18; Willutzki FPR 1998, S. 94 (95); vgl. aber auch kritische Anm. zur Lückenhaftigkeit der Vereinheitlichung Zöller / Philippi § 621 Rz. 29, der darauf hinweist, dass die Einzelfallentscheidung über religiöse Erziehung systemwidrig beim Vormundschaftsgericht liegt. 148 Zu dem Übergangsvorschriften gem. Art. 15 § 1 Abs. 1 KindRG, bei denen unter Durchbrechung des Grundsatzes perpetuatio fori die alte Zuständigkeit vor dem 1. 7. 1998 bereits anhängiger Verfahren zunächst bestehen blieb, vgl. Willutzki FPR 1998, S. 94 (98),

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fahren aus. Auch wenn der Gesetzgeber teilweise hinter den Erwartungen an das sog. Große Familiengericht 149 mit einheitlicher und zusammenhängender Zuständigkeit zurückgeblieben ist 150, so sind jedenfalls zuvor schwierige Zuständigkeitsabgrenzungen und -überschneidungen durch einheitliche Zuständigkeit des Familiengerichts im gesamten Sorge- und Umgangsverfahren nun weitgehend beseitigt. 151 Es handelt sich nun um ein einheitliches FGG-Verfahren, unabhängig davon, ob es sich als ein Scheidungsfolgeverfahren oder ein isoliertes Sorgerechtsverfahren darstellt. 152 Bei der damit erzielten Vereinheitlichung des Sorgerechtsverfahrens sind vor allem drei Aspekte hervorzuheben, die sich nachhaltig auf das Verfahren auswirken. Zum einen umfassen Familiensachen gem. §§ 23b Abs. 1 Nr. 2 –4 GVG, 621 Abs. 1 Nr. 1 –3 ZPO nun auch Sorge-, Umgangs- und Herausgabeverfahren nichtehelicher Kinder. 153 Damit wirkt sich die materiell-rechtliche Gleichstellung unmittelbar auf das Verfahrensrecht aus. 154 Wird nun nicht länger an den Status der Eltern, sondern an das Bestehen gemeinsamer Sorge angeknüpft, erfordert dies auch eine einheitliche Zuständigkeit. Die Zuständigkeitsregelung ist damit ein wichtiger Bestandteil der Vereinheitlichung der Elternsorge und des Abbaus sorgerechtlicher Diskriminierung. 155 Zum anderen ist nun auch für Entscheidungen bei Kindeswohlgefährdung gem. §§ 1666, 1666a, 1667 156 an Stelle des Vormundschaftsgerichts das Familiengericht zuständig. 157 Dies ist vor allem angesichts der Künkel FamRZ 1998, S. 877 (878); vgl. LG Berlin FamRZ 1999, S. 245, BT-Drucks. 13/ 4899, S. 144. 149 Grundlegend dazu Bosch FamRZ 1980, S. 1 (9); vgl. aber auch Peschel-Gutzeit FPR 1997, S. 163 (167); Rehberg FuR 1998, S. 65, der die Einführung eines großen Familiengerichts als eine der zentralen Reformzielsetzungen herausstellt. 150 So hat der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, ein neues Familienrechtsverfahren zu schaffen, vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 74; dazu auch Büttner FamRZ 1998, S. 585. So bleibt weiterhin die Unterscheidung zwischen ZPO- und FGG-Verfahren bestehen, indem etwa die vermögensrechtlichen Streitigkeiten außerhalb des Familienvermögens zwischen den Eheleuten und alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten nicht miteinander verheirateter Partner unverändert der Zuständigkeit der Zivilgerichte zugewiesen werden. Kritisch dazu Büttner FamRZ 1998, S. 585 (586), der auf die unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten verweist, die sich aus familienrechtlichen Überlagerungen ergeben; vgl. dazu auch Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377. 151 Zu bisherigen Abgrenzungsproblematiken vgl. Reinecke FPR 1998, S. 140; BayObLG FamRZ 1998, S. 376; OLG Zweibrück FamRZ 1997, S. 684 f; zur Einschränkung bei Übergangsfällen vgl. OLG Köln FamRZ 2000, S. 1391. 152 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 38. 153 Unter Bezugnahme auf materielles Recht vgl. Lipp FamRZ 1998, S. 65; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 3. 154 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann, S. 260. 155 Vgl. dazu auch Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 260 f; unter Bezugnahme auf den Auftrag des BVerfG (BVerfGE 85, S. 80 ff = FamRZ 1992, S. 157), demzufolge die unterschiedlichen Instanzenzüge für eheliche und nichteheliche Kinder unvereinbar mit der Verfassung seien, vgl. Zöller / Philippi § 621 Rz. 66a.

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

401

neuen Antragsstruktur des § 1671 von Bedeutung. Denn durch die Aufhebung des obligatorischen Scheidungsverbundes entfällt die Gefährdungsvermutung, so dass die Trennungssorge kein Spezialtatbestand gegenüber den §§ 1666 ff mehr darstellt. 158 Um jedoch eine einheitliche Entscheidung zur Trennungssorge auch unter den sich im Verfahren gegebenenfalls ergebenden Anhaltspunkte der Kindeswohlgefährdung zu eröffnen, bedurfte es der ausdrücklichen Zuständigkeitskonzentration bei dem Familiengericht. Ein ähnlicher Aspekt der Flexibilisierung des Verfahrens besteht schließlich auch hinsichtlich der neuerlichen familiengerichtlichen Zuständigkeit bei Einzelentscheidungszuweisung gem. § 1628. 159 Auf diese Weise wird auch ein gegenüber der Sorgerechtsübertragung milderes Mittel der einseitigen Entscheidungskompetenz in Einzelfällen in dem Entscheidungsspektrum des Familiengerichts einheitlich zusammengeführt, welches verhindert, dass aus Prozessökonomie ein unverhältnismäßiger Sorgerechtseingriff vorgenommen wird. Man kann daher sagen, dass durch die Konzentration der Zuständigkeit des Familiengerichts für die sorgerechtlichen Entscheidungen die Sorgerechtsfrage vom Verhältnis der elterlichen Partnerschaft entflochten wird und damit eine Aufwertung der Eltern-Kind-Thematik zum Ausdruck kommt.

156

Bei Kindeswohlgefährdung gilt der Richtervorbehalt gem. § 14 Nr. 16 RPflG, wohingegen bei der Gefährdung des Kindesvermögens der Rechtspfleger zuständig ist gem. § 3 Nr. 2a RPflG. 157 Die Stellungnahme des Bundesrates lautet in diesem Zusammenhang (BTDrucks. 13/4899, S. 154): „Im Bereich der elterlichen Sorge werden im Wesentlichen die noch bei den Vormundschaftsgerichten bestehenden Zuständigkeiten auf das Familiengericht übertragen. Demgegenüber soll die Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen bei der Unterbringung nach § 1631b und für bestimmte Rechtsgeschäfte beim Vormundschaftsgericht verbleiben. Eine solche Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts in Teilbereichen mit den daraus sich ergebenden Abgrenzungsproblemen ist sachlich nicht geboten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das Familiengericht einerseits bei Gefahr des Kindeswohls alle erforderlichen Maßnahmen auch als Einzelmaßnahmen treffen kann, während die auch zur Vermeidung einer Kindeswohlgefährdung vorgesehene Genehmigungsund Überwachungsfunktion für bestimmte Einzelgeschäfte und Handlungen der sorgeberechtigten Eltern weiterhin vom Vormundschaftsgericht getroffen werden soll. Sachlich ist vielmehr erforderlich, alle mit den Beziehungen zwischen den Eltern und Kindern zusammenhängenden Fragen, insbesondere diejenigen Fragen, die mit der Ausübung der elterlichen Sorge im einzelnen zusammenhängen, dem Familiengericht zu übertragen. Im Bereich der elterlichen Sorge sollte eine nebeneinander bestehende Zuständigkeit des Familiengerichts und des Vormundschaftsgerichts vollständig aufgegeben werden“; zu den Überleitungsregeln vgl. Art. 15 § 1 Abs. 2, 3 KindRG; dazu auch BayObLG FamRZ 1999, S. 179. 158 Vgl. dazu § 1671 Abs. 3. 159 Vgl. dazu auch Mühlens / Kirchmeier / Greßmann, S. 261.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

4. Neue Interventionsgrundsätze des Antragsverfahrens Das Antragsverfahren prägt ein neues Interventionsverständnis, das in die gerichtliche Einschätzung der Trennungssorge direkt einfließt. So handelt es sich nicht nur um eine bloße prozessrechtliche Umstrukturierung, sondern das ist darüber hinaus auch Ausdruck eines einschneidenden Umdenkungsprozesses, der neue Weichen für die Sorgerechtsbeurteilung stellt. Das Antragsverfahren soll daher nun zusammenfassend im Hinblick auf seine ersten Implikationen für die Sorgerechtsentscheidung und das Verhältnis der Sorgerechtsformen betrachtet werden. Hier sind vor allem drei Gesichtspunkte hervorzuheben, die bereits durch die Einführung des Antrags angelegt wurden. So liegt der Sorgerechtsentscheidung nun zunächst ein grundlegend reformiertes Sorgerechtsverständnis und ein veränderter Trennungssorgebegriff zugrunde. Daraus folgt einerseits eine strukturelle Veränderung des Verfahrens, indem es in verschiedener Hinsicht flexibilisiert wird. Andererseits bewirkt das Antragsverfahren eine konzeptionelle Veränderung, indem die Zielsetzung bereits allein durch die Rahmenbedingungen eine Wertung über die Übertragung der Elternsorge nach Trennung und Scheidung vermittelt. Die folgende Betrachtung soll daher Elemente des Verfahrens auf ihre Gewichtung hinsichtlich der gemeinsamen Sorge untersuchen. a) Ein verändertes Sorgerechtsverständnis Betrachtet man zunächst das Antragsverfahren konzeptionell, so beruht es auf einem neuen Verständnis der sorgerechtlichen Position der Eltern. Die Kindschaftsrechtsreform hat die gemeinsame Sorge nach der Elterntrennung durch die gesetzliche Regulierung grundsätzlich von einer gerichtlichen Überprüfung ausgenommen. 160 Die Gestaltung der Sorgerechtsausübung obliegt den Eltern damit auch bei der Auflösung der Partnerschaft uneingeschränkt. Bleibt also die elterliche Sorge grundsätzlich von der Trennung unberührt, so sind Gegenstand der gerichtlichen Intervention nun bestehende und nicht wie bisher gerichtlich zu übertragende Rechte. Dieser grundlegende Regelungsansatz hat zweierlei spezifische Konsequenzen. Zum einen prägt es ein neues Verhältnis zwischen Staat und Familie bei der Sorgerechtsgestaltung. So handelt es sich bei der Eröffnung des Verfahrens nun um einen Akt der Selbstbestimmung, der nicht mehr konstitutiv für die elterliche Rechtsstellung ist. 161 Der rechtliche Grundsatz erweitert damit zunächst die Elternverantwortung, indem anstelle der Gerichte nun die Eltern selbst verpflichtet sind, eine kindeswohlgerechte Anpassung der Sorgerechtsausübung nach der 160

Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 16; BT-Drucks. 13/4899, S. 74, 98. Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (264) spricht in diesem Zusammenhang vom „Nichteinmischungsprinzip“ für den Staat. 161

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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Trennung sicherzustellen. 162 Anders als die vorherige Scheidungsintervention beruht die gerichtliche Sorgerechtsentscheidung demzufolge nicht mehr auf einem Gefahrentatbestand, der den Staat zwingend zur wächteramtlichen Wahrnehmung der Kindesinteressen beruft. 163 Stattdessen wird den Eltern außerhalb gesetzlicher Eingriffstatbestände also die zusätzliche Intervention auf Abruf bereitgestellt, deren Legitimation daher nicht auf einer Gefährdungsvermutung, sondern der autonomen Inanspruchnahme durch die Eltern beruht. Vor diesem Hintergrund wird die Antragsbefugnis zum Ausdruck einer eigenverantwortlichen Bestimmung des Regelungsbedarfs. Gelten grundsätzlich die §§ 1687, 1626 ff, so wird die gerichtliche Trennungssorge daneben zum spezifischen Sondertatbestand. Damit wird deutlich, dass das, was zunächst als eine bloße organisatorische Umgestaltung erscheint, sich unmittelbar als eine inhaltliche Rechtsaussage erweist. Die gerichtliche Intervention knüpft nicht mehr an einen allgemeinen Regelungsbedarf, sondern an den Gedanken eines autonomen Gestaltungsrechts der Parteien an. Die Anrufung des Gerichts stellt sich also letztlich als eine modifizierte Sorgerechtsausübung dar. 164 Denn durch die im Antragsrecht verankerte Verfügungsbefugnis wird das Gericht zum Instrumentarium einer Sorgerechtsabsprache zwischen den Eltern, die sie aus eigener Kraft nicht zu treffen in der Lage waren, ohne ihnen zuvor die sorgerechtliche Eignung pauschal abzusprechen. Anstelle der obligatorischen Kontrolle durch die Gerichte sind nun Eltern berufen, die erforderliche Krisenintervention selbst abzurufen. Das heißt für die Trennungssorge, dass es den Eltern obliegt, als Bestandteil der Elternverantwortung in der Familienkrise die Gerichte bei der Sorgerechtsregulierung einzubeziehen, wenn sie mit der eigenverantwortlichen Gestaltung überfordert sind. 165 Im Gegensatz zum früheren Zwangsverbund verzichten hier die Eltern damit freiwillig auf ihre fortbestehende Auslegungsprärogative in Hinblick auf das Kindeswohl und berufen den Staat zur Regulation ihrer Erziehungsverantwortung. Zum anderen bringt das Antragsverfahren eine Sorgerechtsgewichtung zum Ausdruck, die auch das Verhältnis der Sorgerechtsformen zu einander bestimmt. Die Alleinsorge stellt nun die Entziehung einer gesetzlich zuerkannten Rechtsposition dar. 166 Dies schafft zwischen den Sorgerechtsmodellen ein hierarchisches Gefälle, ohne daraus eine Vorrangstellung einer Sorgerechtsform abzuleiten. Denn die Alleinsorge muss sich als Eingriff in bestehendes Recht nach allgemeinen 162 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger §1671 Rz. 5, 8 f; Oelkers FPR 1999, S. 132 (133); OLG Rostock FamRZ 1999, S. 1599 = ZfJ 1999, S. 351; zum Pflichtgehalt des fortbestehenden Sorgerechts vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 1999, S. 801 (802). 163 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 5. 164 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 18. 165 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 8 f. 166 Vgl. auch Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“ S. 155; AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Verfassungsgrundsätzen am gesetzesimmanenten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen. 167 Sie stellt eine Entziehung der Mitsorge des Antragsgegners dar und ist als solche nur dadurch zu rechtfertigen, dass es die Wahrung des Kindeswohls erfordert. 168 Dabei ist stets der geringste denkbare Eingriff zu wählen. 169 Auf diese Weise kommt die Alleinsorgeübertragung gleichsam der Widerlegung der gesetzlichen gemeinsamen Sorge gleich. Denn die gerichtliche Entscheidung muss in ihrer Abwägung von der gesetzlichen Trennungssorge ausgehen, die eine trennungsbezogene Kindeswohlabwägung bei geringstem Eingriff in die bestehenden Rechtsstellungen darstellt. Über den § 1687 hinausgehende Eingriffe müssen also durch die spezifischen Verhältnisse des Einzelfalles gerechtfertigt sein. Dies schafft ein Wechselverhältnis zwischen normativer und gerichtlicher Trennungssorge. Dieses sich direkt aus der gesetzessystematischen Stellung des Antragsverfahrens abgeleitete Wechselverhältnis führt zu einer immanenten Gewichtung der konkurrierenden Sorgerechtsformen. Unabhängig von der Diskussion um die Frage, ob die gemeinsame Trennungssorge den gesetzlichen Regelfall darstellt, ergibt sich bereits aus diesen Überlegungen im Rahmen der Verfahrensgestaltung zumindest eine Hürde zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge. Als mittelbare Folge wird die elterliche Rechtsstellung über die Trennung hinaus gefestigt. Nicht die Lebenssituation allein rechtfertigt nun den einseitigen Entzug der Elternsorge, so wie es die bisherige Scheidungintervention suggerierte, sondern das tun erst die Bedingungen des Einzelfalls. b) Strukturelle Verfahrensänderung und Flexibilisierung Auf der Grundlage dieses Sorgerechtsverständnisses hat sich auch die Herangehensweise an den Verfahrensgegenstand verändert. Anstelle restriktiver Vorgaben wird nun das Verfahren deutlich flexibilisiert und es betont stärker als zuvor den individuellen Ansatz der gerichtlichen Beurteilung. 170 Diese strukturelle Verfahrensänderung wird sowohl durch eine zeitliche als auch eine inhaltliche Öffnung des Verfahrensgegenstandes erreicht. 171

167

Vgl. Dazu bereits Kap. B., Abschn. VI. Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 118; OLG München FamRZ 1999, S. 111 f, wonach eine teilweise Alleinsorgeübertragung als milderer Eingriff vorrangig zu prüfen ist; ähnlich auch OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 673 f; dazu auch schon MüKo / Hinz § 1671 a.F. Rz. 13. 169 So auch Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 10; OLG Müchen FamRZ 1999, S. 111. 170 Kritische Bemerkungen zur ehemaligen Rechtslage vgl. Magnus RdJR 1988, S. 158 (160). 171 Vgl. zu diesem Aspekt bereits Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (872). 168

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

405

Dies beginnt bereits mit dem Anknüpfungspunkt des Verfahrens, der den Antrag nicht mehr an den engen Tatbestand der Scheidung koppelt, sondern an einen unspezifizierten Trennungstatbestand, in dem die Scheidung als ein Unterfall aufgeht. 172 Auf diese Weise löst sich der Interventionsansatz von strikten Rahmenvorgaben und stellt den tatsächlichen Regelungsbedarf in den Vordergrund. Nicht eine pauschale und einzelfallunabhängige Konfiktvermutung, sondern erst der tatsächliche Konflikt zwischen den Eltern löst nun das Verfahren aus. Indem der akute Bedarf in den Vordergrund der Intervention rückt, wird der Zeitpunkt des Antrags offen. 173 Die Flexibilisierung des Verfahrens besteht hier im Wesentlichen darin, dass der Verfahrensgegenstand inhaltlich und zeitlich stärker am Einzelfall orientiert wird. 174 Der Antrag lenkt damit die Intervention bedarfsgerecht und ermöglicht auf diese Weise eine gezielte Hilfestellung durch die staatlichen Institutionen. Der Antrag bewirkt dabei zweierlei. Einerseits beruht er auf einer aktuellen Auseinandersetzung, so dass das Verfahren einen konkreten Anknüpfungspunkt bekommt. Es trifft die Eltern also nicht mehr unvorbereitet in einer Phase allgemeiner Verunsicherung, sondern schließt sich dem familieneigenen Lösungsversuch direkt an. Auf diese Weise hatten die Betroffenen bereits im Vorfeld des Verfahrens Gelegenheit, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und eine eigene Position zu finden. Dies beugt dem bisherigen Phänomen vor, dass die Eltern durch das Sorgerechtsverfahren überfordert wurden, weil es sie unvorbereitet und vorschnell zur Stellungnahme zwang. 175 Gleichzeitig wird auf diese Weise das Sorgerechtsverfahren zu einer gezielten Kompensation möglicher elterlicher Defizite. 176 Die Einzelfälle können in Hinblick auf die Bereiche verhandelt werden, bei denen die Eltern von der eigenen Regulation der Tren172 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 98, wo darauf hingewiesen wird, dass für die Differenzierung zwischen Trennungs- und Scheidungsintervention nach der Aufhebung des Zwangsverbundes kein Bedarf mehr besteht. Der Gesetzgeber reagiert damit auf die althergebrachte Kritik, der kindeswohlgefährdende Einschnitt vollziehe sich mit der Elterntrennung und nicht mit der zeitlich oftmals willkürlich vollzogenen Scheidung, bei der sich die Verhältnisse bereits weitgehend gefestigt hätten, vgl. dazu Soergel / Strätz § 1671 Rz. 2; Wend FPR 1999, S. 137 (138). 173 Zu der Zielsetzung der Flexibilisierung haben auch Trennungs- und Scheidungsstudien beigetragen. Wallerstein / Blakeslee „Gewinner und Verlierer“, S. 76 haben darauf hingewiesen, dass bis zu 50% der Eltern bereits lange vor der Trennung psychische Beeinträchtigung aufweisen, 15 –20% sogar ernsthaft gestört waren, vgl. dazu auch Suess / Scheuerer-Englisch / Grossmann FPR 1999, S. 148 (150). Damit wird deutlich, dass der Bedarf nach einem staatlichen Hilfsangebot ohne eine zeitliche Fixierung für die gezielte Kompensation von großer Bedeutung ist. 174 Vgl. dazu auch Salzgeber FÜR 1998, S. 80 (82). 175 Anders vgl. noch § 623 Abs. 1 ZPO a.F., wonach die Folgesache vor oder mit der Scheidung entschieden werden musste; vgl. Jopt ZfJ 1990, S. 285. 176 Vgl. dazu auch Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (209) unter besonderem Hinweis auf die Erweiterung des Entscheidungsspielraums der Eltern, inwieweit sie die Sorgerechtsübertragung in Anspruch nehmen.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

nungssorge überfordert werden. Hier gewinnt die Ergänzung zur gesetzlichen Regulierung ihre besondere Bedeutung. Erst in Fällen, in denen sich die gesetzliche Regulation als unzureichend erwiesen hat, greift die gerichtliche Gestaltung zur Vervollständigung eines einzelfallgerechten Regulationskonzeptes ein. Die Flexibilisierung der Intervention führt schließlich zu einer methodischen Erweiterung des Interventionsinstrumentariums. Auch wenn bereits nach der bisherigen Rechtslage die Intervention darauf gerichtet war, einen eigenen Elternvorschlag durch Gericht und Beratungsstellen zu fördern 177, so verselbständigt sich nun dieses Interventionselement und gewinnt an Bedeutung. Im Vordergrund steht dabei zunächst, dass die Intervention im Rahmen des Antragsverfahrens seine Erscheinung als autoritärer Eingriff verliert. Das Reformgesetz räumt damit den sozialpräventiven Maßnahmen den Vorrang ein vor staatlichen Eingriffen. 178 Als Folge des damit nachhaltig veränderten Verhältnisses zwischen Gericht und Parteien nimmt die Intervention stärker den Charakter einer gezielten Hilfestellung an. 179 Verliert auf diese Weise das Verfahren seine autoritären Züge, so fördert dies die Akzeptanz durch die Betroffenen. 180 Nimmt damit die Abwehr der Beteiligten gegen eine staatliche Bevormundung ab, fördert dies die Bereitschaft der Parteien, an der Lösungsfindung mitzuwirken. Hinsichtlich dieser institutionellen Flexibilisierung spielt neben der Veränderung des Interventionscharakters vor allem die enge Verknüpfung zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Intervention eine übergeordnete Rolle. An die Stelle autoritärer Eingriffe tritt die Zielsetzung, die Eltern in der eigenständigen Ausübung der Verantwortung zu unterstützen, die Defizite durch gezielte Hilfestellung zu kompensieren und auf diese Weise den Schutz des Kindeswohls durch die Verbesserung der Elternkompetenz mittelbar zu verbessern. 181 Diese Erweiterung des Interventionsspektrums beruht im Wesentlichen auf einer Aufwertung des Jugendamtes im Konfliktbereinigungsprozess. Die Beratung wird als verselbständigte Form staatlicher Intervention vermehrt eingebunden. 182 Als Alternative tritt sie nun verstärkt neben die gerichtliche Entscheidungsfindung und ist ihr nicht länger als Bestandteil untergeordnet. 183 Durch das Antragsverfahren wird

177 Vgl. MüKo / Hinz § 1671 a.F. Rz. 47 f; BVerfGE 31, S. 194 =NJW 1971, S. 1447 = FamRZ 1971, S. 421; NJW 1983, S. 101 = FamRZ 1982, S. 1179; aber auch bereits in der Beschlussfassung zum SorgeRG BT-Drucks. 8/2788, S. 62. 178 Vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423). 179 Vgl. v. Renesse FPR 1998, S. 59 (62). 180 Vgl. dazu Jopt RdJR 1992, S. 165; ders. ZfJ 1990, S. 285; Fthenakis Archiv für soziale Arbeit 1986, S. 174 fV. 181 Vgl. Staudinger / Coester (bearb. 2000) § 1671 Rz. 66, 68 unter Bezugnahme auf § 1671 Abs. 2 Nr. 1. 182 Vgl. dazu bereits nach alter Rechtslage befürwortend Röchling ZfJ 1992, S. 557 (560).

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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den Betroffenen freigestellt, im Vorfeld zunächst alternative Interventionsformen auszuschöpfen. 184 Dies erweitert das Wirkungsfeld staatlicher Hilfestellung und verlagert damit mittelbar die Konfliktbewältigung aus der gerichtlichen Intervention heraus, so dass der Alleinsorgeantrag zur ultima ratio wird. 185 Diese Verzweigung der Interventionsansätze findet auch unmittelbaren Ausdruck im Verfahrensrecht. So sieht § 52 Abs. 1 FGG vor, dass die Eltern möglichst früh auf die Möglichkeit der Beratung durch die Träger der Jugendhilfe hingewiesen werden sollen. Auf diese Weise soll im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens gefördert werden, dass die Beteiligten eine eigenständige Konfliktlösung unter professioneller Anleitung erarbeiten. 186 Doch auch während des Verfahrens genießt die außergerichtliche Regulation den Vorrang und ist Grund für die Aussetzung des Verfahrens. 187 Schließlich vollzieht sich eine Flexibilisierung und Individualisierung auf der Rechtsfolgenseite, indem sich das Entscheidungsspektrum erweitert. Dies folgt vor allem aus der Einbeziehung der gesetzlichen Sorge in diesen Lebensbereich. Neben dem bereits angesprochenen Ansatz außergerichtlicher Konfliktbewältigung, der 183 Bisher wurde den Jugendämtern gerade eine verfahrensimmanente Funktion zugewiesen. Im Rahmen der Familiengerichtshilfe gem. § 50 KJHG oblag es dem Jugendamt, als Fachbehörde in eigenem Aufgabenbereich die für die gerichtliche Entscheidung erforderliche Sachverhaltsnachforschung zu machen (zur vorherigen Beschränkung der jugendamtlichen Zuständigkeit auf die Rolle eines bloßen Hilfsorgans der Rechtspflege vgl. Kaufmann ZfJ 1991, S. 18 (19); Mörsberger in Wiesner / Zarbock S. 343 (366 ff); MüllerAlten ZfJ 1991, S. 454; BGH FamRZ 1954, S. 219; BayObLG FamRZ 1975, S. 223 ff; OLG Hamm FamRZ 1965, S. 83 ff; Kaufmann in Wiesner / Zarbock, S. 319 (331); Kunkel FamRZ 1993, S. 505). Durch diese Einbindung ins Gerichtsverfahren geriet überdies das daraus entstehende Spannungsverhältnis zur Beratungsfunktion des Jugendamtes ins Blickfeld der Diskussion. Der außergerichtlichen Hilfestellung stehe der Verlust der vertrauensorientierten Zusammenarbeit entgegen, was zum einen zur inhaltlichen Unvereinbarkeit (so Deutscher Verein zur Beratung in Fragen der Trennung und Scheidung NDV 1992, S. 148 (151); Kaufmann ZfJ 1991, S. 18 (21); Balloff ZfJ 1992, S. 454 (455); Oberloskamp FamRZ 1992, S. 1241 (1245); a. A. Kunkel FamRZ 1993, S. 505; wohl auch a. A. Coester FamRZ 1992, S. 617 (618)) und zum anderen zu Datenschutzproblematik (vgl. zu diesem Themenkomplex: Mörsberger in Wiesner / Zarbock, S. 343 f; Coester FamRZ 1992, S. 617 (623); Müller-Alten ZfJ 1991, S. 454; Menne ZfJ 1992, S. 132 ff; Balloff ZfJ 1992, S. 454 (455); Proksch in Proksch / Sievering, S. 61 (70 f)) führe. 184 Gerade in Abgrenzung zum Verfahren vAw gem. § 1666, wo den Beteiligten keine Verfügungsmacht über den Verfahrensgegenstand eingeräumt wird, vgl. Bumiller / Winkler § 52 FGG Rz. 2; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“ S. 328; vgl. auch Wend FPR 1999, S. 137 (138), der unter Bezugnahme auf § 17 KJHG bereits nach der bisherigen Rechtslage die Pflicht der staatlichen Institutionen ableitete, eine einvernehmliche Lösung zur Fortsetzung der gemeinsamen Sorge anzustreben; entsprechend Coester FuR 1991, S. 70 (72). 185 Vgl. OLG Köln FamRZ 1998, S. 1463. 186 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“ S. 328. 187 Vgl. § 52 Abs. 2 FGG.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

die gerichtliche Entscheidung insgesamt vermeidet, treten nun abgestufte Eingriffsgrundlagen und differenzierte sorgerechtliche Lösungsansätze. So bietet zunächst die gesetzliche Sorge unter Wahrung der Elternsorge ein Instrumentarium, mit dem entweder gem. § 1628 Einzelentscheidungskompetenz auf einen Elternteil übertragen werden kann oder gem. § 1687 Abs. 2 die Befugnisse innerhalb der gemeinsamen Sorge abweichend von § 1687 Abs. 1 individuell zugewiesen werden. Darüber hinaus erweitert aber auch der § 1671 das Regulierungsinstrumentarium. Ausdrücklich wird nun auch die teilweise Alleinsorgeübertragung zugelassen, ohne sie auf eine Spaltung der Personen- und Vermögenssorge zu beschränken. 188 Als weitestgehende Eingriffsbefugnis tritt nun § 1666 hinzu, der einen Eingriff über den Antrag hinaus zulässt, soweit Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bestehen. Gegenüber dem abschließenden spezialgesetzlichen § 1671 a.F. bestehen auf diese Weise deutlich erweiterte Differenzierungsmöglichkeiten, die eine feine Abstufung anhand individueller Verhältnismäßigkeitserwägungen zulassen. c) Zielsetzung der sorgerechtlichen Bewahrung und Interventionshemmung Aus dieser Gesamtbetrachtung ergibt sich bereits eine latente Akzentuierung des Verfahrens. Sie folgt aus einer deutlichen Tendenz zur Bewahrung der sorgerechtlichen Verhältnisse und Vermeidung des Entzugs von Sorgerecht. So hemmt das Antragsverfahren die sorgerechtliche Übertragung auf einen Elternteil im Vergleich mit dem vorangegangenen Zwangsverbund erkennbar und veranschaulicht diese sorgerechtsbewahrende Tendenz als Zielsetzung der neuen Verfahrensansätze. Zwar beruht der Sondertatbestand des § 1671 weiterhin auf der Prämisse, dass die trennungsbedingte Familienkrise einen spezifischen Regelungsbedarf schafft. Das heißt, auch das KindRG greift den Rechtsgedanken auf, dass der Elternkonflikt eine Übertragung der Alleinsorge unterhalb der Schwelle der Kindeswohlgefährdung rechtfertigen kann. Damit bleibt die Trennung also grundsätzlich als Anknüpfungspunkt der Sonderregulierung erhalten. Doch hat sich der Kontext dieses Interventionstatbestandes signifikant verändert. Erst der Antrag durchbricht den gesetzlichen Automatismus der §§ 1687, 1626 ff und lässt damit die gerichtliche Einzelfallprüfung der Trennungssorge schon rein normativ zum Ausnahmetatbestand werden. Denn zur Trennungssituation müssen die Initiative der Betroffenen und die Behauptung eines von gesetzlichen Abwägungen abweichenden Konfliktes hinzukommen, um die Einzelfallentscheidung einzuleiten. Die Hemmung der Alleinsorgeübertragung beruht zunächst auf formalen Gesichtspunkten. So verfolgt die gesetzliche Regulierung des § 1687 die Zielsetzung, 188

Vgl. dazu Abschn. C.IV.

II. Voraussetzungen des Antragsverfahrens gem. § 1671 Abs. 1

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eine gerichtliche Intervention vollständig zu vermeiden. Durch gezielte Verteilung der Sorgerechtsfunktionen wird dabei vorrangig angestrebt, am status quo festzuhalten und die gerichtliche Regulierung zurückzudrängen. Die trennungsbezogene Konfliktregulierung innerhalb der gemeinsamen Sorge steht daher auch im Vordergrund der Intervention, indem gem. § 52 FGG eine außergerichtliche Lösung durch die Jugendhilfe forciert wird. 189 Denn das Jugendamt hat selbst keine Gestaltungshoheit und kann daher das außergerichtliche Krisenmanagement nur innerhalb der bestehenden Sorgerechtsverhältnisse ausüben. An die Stelle rechtlicher Eingriffe tritt ein organisatorischer Ansatz, der zunächst die Ausübung der gemeinsamen Sorge an die Verhältnisse anzupassen und zu gestalten versucht, bevor die Rechtsstellungen verändert werden. Dieser gezielten Mobilisierung der Selbstheilungskräfte und der Konfliktbewältigung ohne Rechtsverlust wird in § 52 FGG ausdrücklich der Vorrang vor einer gerichtlichen Entscheidung eingeräumt. 190 Hinzu kommt, dass die gewillkürte Eröffnung des Sorgerechtsverfahrens als eine äußerliche Hemmung der Alleinsorgeübertragung wirkt. Unabhängig von der – wie oben ausgeführt – nur sehr eingeschränkten Darlegungslast schafft der Antrag regelmäßig eine Hemmschwelle, die das Ausnutzen des verfügbaren Kooperationspotentials zumindest begünstigt. Doch auch die inhaltliche Begrenzbarkeit des Antrages veranschaulicht die sorgerechtsbewahrende Tendenz des Reformgesetzes. So hat die vorangegangene Betrachtung gezeigt, dass der inhaltlich begrenzte Antrag die Prüfungskompetenz des Gerichtes beschränkt. Die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge wird damit jenseits des Antrags geschützt. Der Antrag stellt also nicht die gesamte gemeinsame Sorge zur Disposition des Gerichts, sondern nur den Teil, in dem beantragte Alleinsorge nach Maßgabe des Kindeswohls geboten ist. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die bestehende gemeinsame Sorge von der gesetzlichen Wertung her vor einer nicht beantragten Alleinsorge Vorrang hat. Gegenüber der Vorgängervorschrift des § 1672 a.F. ist das Antragsverfahren weniger auf Sorgerechtsübertragung ausgerichtet. 191 Dort verlagerte der Antrag die zwingende Scheidungsintervention vor und knüpfte damit an einen Gefährdungstatbestand des § 1671 a.F. an. 192 Nun löst er keine automatische Vermutung einer trennungsbedingten Kindeswohlgefährdung mehr aus. 193 Vielmehr wird der als geeigneter 189

Vgl. Coester in Proksch / Sievering, S. 52; Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (870); Proksch NDV 1992, S. 317 (319). 190 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 43. 191 Im Rahmen § 1672 a.F. wurde dem Gericht durch den Antrag die gesamte Bandbreite des Entscheidungsspielraums eröffnet, ohne dass ihm insoweit eine inhaltliche Bedeutung zukam; vgl. dazu unter kritischen Bezugnahme auf die neue Rechtslage Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 24. 192 Vgl. Soergel / Stätz § 1672 Rz. 5; LG Mannheim FamRZ 1964, S. 93, wonach bei einem zulässigen Antrag gem. § 1672 a.F. nicht mehr zu überprüfen war, ob die Fortdauer der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl abträglich wäre; a. A. MüKo / Hinz § 1672 Rz. 5.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

eingestufte Elternteil im Rahmen der gemeinsamen Sorge in die Elternverantwortung eingebunden und nicht durch die Alleinsorge privilegiert. Das heißt, dass bessere Eignung des Antragsgegners nicht im Wege der gerichtlichen Entscheidungsfreiheit gelöst wird, indem es nicht beantragte Alleinsorge überträgt, sondern durch den Fortbestand des sorgerechtlichen status quo. Damit ist das im einseitigen Antrag angelegte Konfliktpotential nach Maßgabe des Kindeswohls von geringerer Bedeutung als die Bewahrung des vorzugswürdigen Sorgeberechtigten innerhalb der gemeinsamen Sorge. Ebenso bleibt es auch insoweit bei der gemeinsamen Sorge, als eine Alleinsorge nur teilweise gerechtfertigt erscheint. 194 Nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit schließen im Übrigen weniger eingriffsintensive Maßnahmen gem. §§ 1628, 1687 Abs. 2 den Entzug des Sorgerechts aus.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung Die materiellen Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung innerhalb des Antragsverfahrens werden in § 1671 Abs. 2, 3 geregelt. Sie bestimmen, wann aufgrund der Trennung nach Maßgabe des Kindeswohls die Alleinsorge geboten ist. Hier werden damit die gerichtlichen Maßstäbe der Schwelle zwischen dem status quo der gemeinsamen Sorge und der trennungsbezogenen Alleinsorge tatbestandlich ausgestaltet. Dies sind die Voraussetzungen, bei denen die gesetzliche Regulierung durch eine gerichtliche Einzelfallentscheidung abgelöst wird. Anhand dieser Kriterien wird also die gesetzliche Vermutung des § 1687 im Einzelfall überprüft, ob die gemeinsame Sorge auch über die Elterntrennung hinaus dem Kindeswohl am besten entspricht. So entsteht eine enge Wechselbeziehung wächteramtlicher Regulationsformen, indem hier die allgemeinen und typisierten Sorgerechtserwägungen des § 1687 an den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalls überprüft werden. Unterbricht die Trennung die gesetzliche Sorge also grundsätzlich nicht, so regeln die Übertragungstatbestände die Besonderheiten aufgrund der veränderten Lebenssituation, die eine trennungsspezifische Sorgerechtsgestaltung rechtfertigen oder gar erfordern. Bei der Herangehensweise an die Übertragungstatbestände muss man sich bereits im Vorfeld den eigentlichen Verfahrensgegenstand vor Augen führen, um die Tatbestände sachgerecht zu gewichten. Auch wenn dabei die Übertragung der Alleinsorge formal in den Vordergrund der Entscheidung gestellt wird, stehen hier nicht die Begünstigung und Eignung des Antragstellers im Zentrum der gerichtlichen Würdigung. Denn die Sorgerechtsstellung dieses Elternteils besteht im 193 Vgl. zur bisherigen Rechtslage OLG Hamm FamRZ 1986, S. 1039, wonach sich das Regelungsbedürfnis bereits aus dem Antrag selbst ergibt. 194 Vgl. dazu AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); weitere Ausführungen im Abschn. C.IV.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Rahmen der gemeinsamen Sorge bereits. Seine Begünstigung richtet sich allein auf die Tatsache, dass er seine Rechtsausübung nicht länger mit dem anderen Elternteil abstimmen und teilen muss. Tatsächlicher Regelungsgegenstand der gerichtlichen Trennungssorgeentscheidung ist demnach vorrangig der Entzug der bisherigen Sorgerechtsposition des anderen Elternteils. Sie ist es, durch die eine Veränderung der Rechtslage entsteht. Der zentrale Maßstab ist daher, ob die Elternsorgeposition gemessen am Kindeswohl verzichtbar und die einseitige Entrechtung eines Elternteils zumutbar ist. Denn anders als nach der alten Rechtslage handelt es sich nicht um eine allgemeine Neugestaltung der nachehelichen Sorge, sondern um eine anhand der konkreten Umstände zu rechtfertigende Rechtsgestaltung. Handelt es sich bei der Übertragung der Alleinsorge damit um einen gerichtlichen Eingriff in bestehende Rechte, eröffnet § 1671 Abs. 2, 3 den Numerus clausus der Eingriffstatbestände. Daraus folgt ein enger Zusammenhang zwischen §§ 1687, 1671. Wo die Voraussetzungen der Übertragung der Alleinsorge nicht gegeben sind, muss es schon rechtsdogmatisch bei der bestehenden Sorgerechtsverteilung bleiben. Aus diesem Spektrum gerichtlicher Trennungssorgegestaltung des Einzelfalls ergeben sich im Wesentlichen drei Eingriffstatbestände, die nun näher betrachtet werden sollen. Im Vordergrund der Betrachtung stehen die Übertragungstatbestände des § 1671 Abs. 2, die in einvernehmliche und streitige Anträge zu unterscheiden sind. Darüber hinaus regelt der § 1671 Abs. 3 iVm § 1666 die Subsidiarität der Antragsentscheidung gegenüber der Kindeswohlgefährdung. Am Ende des Abschnittes richtet sich das Augenmerk auf die Frage, inwieweit neben diesen Interventionsansätzen im Rahmen des Scheidungsverfahrens weitere Interventionsansätze zulässig sein können. 1. Einvernehmliche Übertragung gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 Der § 1671 Abs. 2 Nr. 1 regelt die Antragskonstellation, bei der sich beide Eltern einvernehmlich über die Alleinsorge eines Elternteils einigen. Nach dem Gesetzeswortlaut wird in diesem Fall verbindlich bestimmt, dass die Alleinsorge auf den Antragsteller zu übertragen ist, wenn der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, das Kind ab vollendetem 14. Lebensjahr widerspricht dem. Dieser Regelungsansatz legitimiert die Übertragung der Alleinsorge damit allein durch den bestehenden familiären Konsens. 195 Soweit beide Eltern das Kindeswohl übereinstimmend einschätzen, wird demnach grundsätzlich vermutet, dass diese Sorgerechtsgestaltung dem wohlverstandenen Interesse des Kindes entspricht. 196 Es bleibt insoweit kein Raum für eine gerichtliche Kindeswohlprüfung. 197 Das heißt, 195

Vgl. MüKo / Huber Vor § 1626 Rz. 15. Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 29. 197 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 63; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 75 f; dazu kritisch Oelkers FPR 1999, S. 132 (135). 196

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

dass sich die gerichtliche Kontrolle hier zunächst auf die Prüfung des Konsenses beschränkt. 198 Erst wenn es hingegen Anhaltspunkte dafür gibt, dass die einvernehmliche Absprache der Eltern den Kindesinteressen nicht entspricht, leben die wächteramtliche Wahrnehmung des Kindeswohls und der Amtsermittlungsgrundsatz wieder auf. 199 Ohne den Widerspruch des mindestens 14-jährigen Kindes kann eine abweichende Entscheidung daher erst oberhalb der Schwelle des § 1666 getroffen werden. 200 Das heißt, eine Abweichung vom Elternvorschlag ist nur nach Maßgabe des § 1666 eröffnet, so dass das Gericht dem Antrag gem. § 1671 Abs. 2 nicht stattgeben darf, soweit die Sorge auf Grund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss. 201 Der Schwerpunkt dieses Übertragungstatbestandes liegt damit nicht in der gerichtlichen Einzelfallbeurteilung, sondern beruht im Wesentlichen auf einer prinzipiellen Abwägung des Gesetzgebers. Das Augenmerk richtete sich daher zunächst auf die übergreifenden Überlegungen der zugrunde liegenden Sorgerechtseinschätzung und wendet sich dann zu den Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelnen. a) Regelungsgrundsatz und zugrunde liegende Kindeswohlerwägungen Die Grundlage der Alleinsorgeübertragung ist hier allein das elterliche Einvernehmen. Das bedeutet, die gleichlautende Einschätzung der Eltern führt zu einer verbindlichen Konkretisierung des Kindeswohls. 202 Das Gesetz bindet die Gerichte auf diese Weise an die elterliche Einschätzung der Trennungssorge. Innerhalb des sorgerechtlichen Gestaltungsmonopols der Gerichte, wie es in § 1671 Abs. 1 für die Trennungssorge jenseits gemeinschaftlicher Ausübung verankert ist, wird den Eltern damit eine eingeschränkte sorgerechtliche Auslegungsprärogative in Hinblick auf die Alleinsorge eingeräumt. 203 Steht es den Eltern also grundsätzlich nur zu, das Kindeswohl innerhalb der Sorgerechtsausübung zu bestimmen, so 198 Vgl. MüKo / Huber Vor § 1626 Rz. 15, der diese Zurückdrängung der gerichtlichen Kontrolle und die Stärkung der elterlichen Eigenverantwortlichkeit als ein wesentliches Element des KindRG hervorhebt; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl, Abschn. III Rz. 89; Oelkers FuR 1999, S. 349 (350); ders. FÜR 1999, S. 132 (135); OLG Hamm FamRZ 1998, S. 1315 (1316). 199 Vgl. OLG Köln FamRZ 2002, S. 563; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 62, 144. 200 A. A. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461), der in diesem Zusammenhang auf die Generalklausel des § 1697a zurückgreifen will. 201 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99 = BR-Drucks. 180/96, S. 109; OLG Rostock ZfJ 1999, S. 351. 202 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 67 f. 203 Vgl. auch Erman / Michalski § 1671 Rz. 29; entsprechende Wertung im Zusammenhang mit der Umgangsregelung bei gemeinsamer Sorge vgl. AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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wird dieses Prinzip hier partiell durchbrochen, indem das Einvernehmen auch die Kindeswohlbeurteilung hinsichtlich der Rechtsstellung selbst erfasst. 204 Auch wenn die Eltern nach wie vor nicht über die sorgerechtliche Rechtsstellung disponieren können, räumt der Übertragungstatbestand des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 der elterlichen Mitbestimmung größeres Gewicht ein als zuvor. 205 Das heißt zunächst, dass das Gestaltungsmonopol des Staates zwar formal unberührt bleibt. 206 So ist es weiterhin den Gerichten vorbehalten, die sorgerechtlichen Rechtsstellungen abweichend von der gesetzlichen Sorge zu gestalten. Die gerichtliche Wertung wird jedoch weitgehend durch die sorgerechtliche Vorgabe der Eltern determiniert. 207 Es handelt sich daher um einen gerichtlich umgesetzten Dispositionsakt, dessen Wertung auf sorgerechtlicher Autonomie der Eltern beruht. 208 So wird die Gestaltungsbefugnis der Eltern zur bisherigen Rechtslage deutlich erweitert. 209 Die Beurteilung der Eltern bleibt nun nicht mehr wie bisher auf eine bloße Indizwirkung beschränkt, die mit besonderem Gewicht in eine gerichtliche Güterabwägung einfließt. 210 Stattdessen verdrängt die Entscheidung der Eltern die gerichtliche Prüfungskompetenz insgesamt und beschränkt damit die staatliche Eingriffsbefugnis auf die Kindeswohlgefährdung nach Maßgabe des § 1666. 211 204

Vgl. dazu auch Coester FamRZ 1996, S. 1181 (1183). Vgl. Bündenbender AcP 197 (1997), S. 197; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 89. 206 Vgl. zu dieser formalen Gestaltungsbefugnis die Kritik von Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 12 f, der die Aufwertung der Elternautonomie als halb- und engherzig durchgeführt bezeichnet. 207 Vgl. Bündenbender AcP 197 (1997), S. 197; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 89. 208 Vgl. dazu auch schon nach der alten Rechtslage MüKo / Hinz § 1671 Rz. 48; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1380); BGHZ 44, S. 220 (226) = NJW 1966, S. 349; OLG Düsseldorf FamRZ 1983, S. 293 f. 209 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 8, der insbesondere darauf hinweist, dass die Aufwertung der Elternautonomie hier darauf beruht, dass sogar die abgeschwächte Kindeswohlprüfung des § 1671 Abs. 3 S. 2 a.F. im Falle eines übereinstimmenden Elternvorschlages abgeschafft worden ist. 210 Nach der alten Rechtslage wurde den Eltern zwar ein Vorschlagsrecht eingeräumt. Dieser gerichtlich kontrollierte Dispositionsakt (vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 48 zu § 1671 Abs. 3 S. 1 a.F.) begründete jedoch allein eine Vermutung dafür, dass die Eltern die zum Wohl des Kindes günstigste und zweckmäßigste Lösung gewählt haben (vgl. OLG Hamm FamRZ 1989, S. 654 (655); BayObLG FamRZ 1976, S. 36 f; anders noch BGHZ 1, S. 214 (216) = NJW 1951, S. 414, wo von einem durch den Elternvorschlag begründeten Anscheinsbeweis ausgegangen wird). Aufgrund dieser Indizfunktion durften die Gerichte nur davon abweichen, wenn dies triftige Gründe nahe legten, dass ohne die Abweichung eine ungünstige Entwicklung des Kindes zu befürchten wäre. Es blieb eine wertende Entscheidung der Gerichte, während der Elternvorschlag sich auf eine begrenzte Bindungswirkung beschränkte (vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 59 zu § 1671 Abs. 3 S. 1 a.F.). 211 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 65; kritisch kann hier der Verlust gerichtlicher Prüfungskompetenz beurteilt werden. Im Verhältnis der Sorgerechts205

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Die Bindungswirkung des übereinstimmenden Elternvorschlages gegenüber dem Gericht ist nur beschränkt, wenn das Gericht Kenntnis davon erlangt, dass die Zustimmung durch Drohung und Täuschung erwirkt worden ist. In diesen Fällen fehlt es am familiären Einvernehmen, was der Einschätzung des Antrags als sachgerechte Gestaltung des Kindeswohls im Rahmen der gerichtlichen Prüfung entgegensteht. Eines gesonderten Widerrufs bedarf es in diesen Fällen nicht. 212 Hier fließt ein übergreifendes Leitmotiv der Reform unmittelbar in den Entscheidungsmaßstab ein: wo die Eltern sich einig sind, hat der Staat nichts zu suchen. 213 Das Einvernehmen verdrängt die subsidiäre Aufgabe der Gerichte, die Kindesinteressen gegenüber den Eltern durchzusetzen, so dass auch eine eigene gerichtliche Sachverhaltsermittlung entfällt. 214 Die Alleinsorge ist für diese Fallkonstellationen also nicht das Ergebnis gerichtlicher Beurteilung, sondern basiert allein auf elterlicher Kindeswohleinschätzung. Der Konsens allein bewirkt die Abweichung von der gesetzlichen Vorgabe des § 1687. 215 Das geht soweit, dass die Gerichte sogar verpflichtet sind, antragsgemäß zu entscheiden, wenn sie erkannt haben, dass dies dem Kindeswohl nicht dient 216 oder der andere Elternteil für die Ausübung des Sorgerechts geeigneter ist, das Kind eine stärkere Bindung zu ihm hat oder ein altersbedingt nicht antragsbefugtes Kind ernsthaft widerspricht. 217 modelle besteht ein latenter Wertungswiderspruch. Er ergibt sich aus der Gegenüberstellung der gesetzlichen Trennungssorgeregulierung und dem Übertragungstatbestand. Bei dieser Gegenüberstellung ist vor allem zu berücksichtigen, dass zwar auch die Ausübung der gemeinsamen Sorge nicht staatlich kontrollierbar ist. Vielmehr bleibt es den Eltern überlassen, ob sie tatsächlich kooperieren oder faktische Alleinsorge eines Teils praktizieren. Demgegenüber schafft die Übertragung der Alleinsorge rechtliche Fakten. Die private Gestaltung ist demgegenüber permanent reversibel, ohne staatliche Institutionen einbeziehen zu müssen. Zum anderen soll die gemeinsame Sorge gerade diese Flexibilität und Anpassungsfähigkeit schaffen, durch die dem dynamischen Entwicklungsprozess im elterlichen Verhältnis und sich wandelnden Lebensumständen entsprochen werden kann. Voreilige Regulierung schneidet diese Gestaltbarkeit ab. Die Eltern drohen, sich oftmals im Eindruck des Konflikts festzulegen und der Zielsetzung des Reformgesetzes damit entgegenzuwirken. Auch vermittelt der einvernehmliche Antrag überdies keine unmittelbaren Anhaltspunkte für eine unüberwindliche Konfliktlage. Der Verzichtscharakter dieses Antragsfalls höhlt vielmehr die Pflichtenseite der gemeinsamen Sorge aus, indem den Eltern gleichsam ein Wahlrecht eingeräumt wird. 212 Vgl. Erman / Michalski §1671 Rz. 29. 213 Vgl. auch BT-Drucks. 13/4899, S. 98; Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (264) spricht in diesem Zusammenhang vom „Nichteinmischungsprinzip“; vgl. auch OLG Rostock FamRZ 1999, S. 1599 = ZfJ 1999, S. 351, das hier von dem Reformprinzip des „Mehr Elternverantwortung – weniger Staat“ spricht; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Dresden FamRZ 2002, S. 632. 214 Vgl. OLG Hamm NJW 1999, S. 68 f; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 30; Schwab „Familienrecht“ Rz. 76; Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) Rz. 65. 215 Vgl. OLG Rostock FamRZ 1999, S. 1599 = ZfJ 1999, S. 351. 216 Vgl. dazu bereits Büdenbender AcP 1997, S. 197 (210). 217 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 30.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Hier wird erneut deutlich, dass der Gesetzgeber nun den staatlichen Schutz der Kindesinteressen der Elternautonomie unterordnet, solange keine Kindeswohlgefährdung zu wächteramtlichen Schutzmaßnahmen beruft. 218 Die gerichtliche Kindeswohlprüfung ist auf die Voraussetzungen des § 1666 beschränkt. 219 Dies erscheint gerade in Hinblick auf die grundlegende gesetzliche Trennungssorgeabwägung nicht ganz unproblematisch. Denn durch die gesetzlich verankerte Fortsetzung des gemeinsamen Sorgerechts wird den Eltern aufgegeben, im Rahmen der Erziehungsverantwortung nach Maßgabe der §§ 1626, 1627 ihren Konflikt zugunsten einer gemeinsamen Wahrnehmung der Kindesinteressen zu überwinden und Kontinuität der Beziehungen zu bewahren. Das Einvernehmen hinsichtlich der Alleinsorgeübertragung vermag deren diesbezügliche Eignung nicht zu widerlegen. Diese Pflichtenseite des Sorgerechts wird durch die Gestaltungsfreiheit des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 relativiert. Damit entsteht die Gefahr, dass die Eltern ihre Gestaltungskompetenz aus egoistischen oder doch sachfremden Motiven wahrnehmen, ohne dass dies gerichtlicher Kontrolle unterliegt. 220 Denn indem der Tatbestand nur an den äußeren Vorgang der Antragstellung geknüpft ist, entzieht er sich einer inhaltlichen Überprüfung. Doch angesichts der größeren Sachnähe, Informiertheit und Umsetzungsverantwortung der Eltern ist ihr Bestimmungsvorrang – trotz objektiv möglicher Kindesnachteile unterhalb der Schwelle zur Kindeswohlgefährdung – gerechtfertigt, da gegen den Willen der Eltern für das Kind praktisch nichts Besseres erwirkt werden kann. 221 Die eigenverantwortliche Sorgerechtsausübung hat damit den Vorzug vor der gerichtlichen Kindeswohlumsetzung. 222 Darin kommt eine grundlegende Gewichtung des Kindeswohls zum Ausdruck. So tritt auch an dieser Stelle wie bereits im Rahmen der gesetzlichen Trennungssorgeregulierung gem. § 1687 eine universelle gesetzliche Abwägung an die Stelle einer Einzelfallprüfung. Der Übertragungstatbestand des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 ist damit eine normative Wertung der Kindesinteressen, die vor allem das Verhältnis familieneigener und gerichtlicher Konfliktregulation verbindlich festlegt. Hier

218

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99. Vgl. OLG Rostock FamRZ 1999, S. 1599 = ZfJ 1999, S. 251. 220 Vgl. hier auch die kritischen Anmerkungen Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 65, 68, der mit Recht darauf hinweist, dass die Gerichte erfahrungsgemäß wenig Neigung zeigen, die Fassade elterlicher Einigkeit durch gezielte Anhörungsgestaltung zu hinterfragen. Hinsichtlich der Gefahr sachfremder Erwägungen, vgl. auch schon Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 287 ff; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876), der davon spricht, dass das Kind oftmals eine Vehikelfunktion im Dienste der Befriedigung der psychischen Bedürfnisse der Eltern spiele. 221 So Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 70; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 30. 222 Vgl. OLG Hamm NJW 1999, S. 68 f; Schwab „Familienrecht“ Rz. 76. 219

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sind vor allem drei Gesichtspunkte hervorzuheben, die das der Regelung zugrunde liegende Kindeswohlverständnis veranschaulichen. So hat sich erstens bereits bei der Betrachtung des § 1687 die Reprivatisierung des Kindeswohls als ein zentrales Merkmal der Reform erwiesen. 223 Anstelle eines staatlichen Kontrollanspruchs im Namen des Kindes wird familieninterne und außerstaatliche Bewältigung in Krisensituationen deutlich gestärkt. 224 Die familiäre Kompetenz zur Umsetzung des Kindeswohls wird erweitert und die Gestaltung der Kindeserziehung durch die Abschaffung prophylaktischer Intervention wird verstärkt zum außerstaatlichen Lebensbereich. 225 Nun überträgt sich dieser Grundgedanke auch auf den Alleinsorgetatbestand, indem das familiäre Einvernehmen an die Stelle staatlicher Gestaltungskompetenz tritt. 226 Insoweit kommt die Zustimmung zur Alleinsorgeübertragung dem Verzicht auf die gerichtliche Bewahrung der Rechtsstellung des zustimmenden Elternteils gleich. 227 Ausgehend von ihrem Eingriffscharakter stellt die Alleinsorge bei einvernehmlicher Antragstellung also einen Rechtsverzicht dar. 228 Der zustimmende Elternteil verzichtet darin auf den gerichtlichen Rechtsschutz. Soweit hier die Reform als halbherzig bezeichnet wird, da sie bei elterlichem Einvernehmen ganz auf die staatliche Intervention konsequenterweise hätte verzichten müssen, um die zugestandene Autonomie umzusetzen 229, so kann nur innerhalb des Verfahrens durch die Anhörung der Beteiligten gewährleistet werden, dass die Belange des Kindes berücksichtigt wurden. 230 Insoweit ist zwischen der Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge und der Übertragung der Alleinsorge zu unterscheiden. Gleichzeitig wird zum zweiten mit dem einvernehmlichen Antrag der Schutzbereich des Elternrechts gem. Art. 6 Abs. 2 GG erweitert. Womit an das schon nach alter Rechtslage anerkannte Prinzip angeknüpft wird, dass eine einverständige Entscheidung nach der Scheidung über die Sorge regelmäßig auf sachgemäße 223

Vgl. dazu OLG Rostock FamRZ 1999, S. 1599. Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 67, der darauf hinweist, dass die Leistungsfähigkeit des Staates bei der Regulierung des Kindeswohls in diesem Zusammenhang weit überschätzt worden ist und nun durch Aufwertung der elterlichen Regelungsautonomie angemessen beschränkt wird. 225 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 68. 226 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 68; ähnlich bereits im Vorfeld der Reform BGHZ 2 S. 214 (216); Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 290 f, 295; Kropholler NJW 1984, S. 271 (272). 227 Vgl. auch Staudinger / Coester § 1671 Rz. 75 f. 228 Vgl. schon entsprechende Einschätzung zur alten Rechtslage Dieckmann AcP 178 (1978), S. 298 (318 f); Lüderitz FamRZ 1975, S. 605 (608); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 130. 229 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb.2000) § 1671 Rz. 12 f; ders. FamRZ 1996, S. 1181 (1186); DFGT FamRZ 1997, S. 337 (340). 230 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 30a. 224

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Wahrnehmung der Elternverantwortung hindeutet. 231 Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Elternrechts dient in erster Linie dem Wohl des Kindes, da in aller Regel den Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als anderen Personen oder Institutionen. So ist es diese natürliche Verbundenheit, die eine gerichtliche Kindeswohlprüfung verdrängt. Dem elterlichen Ermessen gebührt daher solange der Vorzug, wie das Kindeswohl keine abweichende Regelung erfordert. 232 Dies erweitert letztlich die elterliche Autonomie, wie sie die gesetzliche Sorge prägt, auch auf die einvernehmliche Übertragung der Alleinsorge. Die Vermutung sachgerechter Wahrnehmung des Elternrechts, die staatliche Eingriffe in die Sorgerechtsgestaltung verdrängt, erstreckt sich nun auch auf die Einschätzung des kindeswohlgerechten Zusammenwirkens beider Eltern. 233 Die vom Gesetzgeber im Rahmen der Begründung hervorgehobene Intention, dass es nun in erster Linie Sache der Eltern sein soll, die Sorgerechtsform nach Trennung und Scheidung zu bestimmen 234, bekommt damit eine zusätzliche Komponente. Der dritte Aspekt der tatbestandimmanenten Kindeswohlgewichtung beruht auf der reformübergreifenden Zielsetzung, weitestgehendes Einvernehmen zwischen den Eltern herzustellen. 235 Wie schon der Blick auf § 52 FGG gezeigt hat, ist das sorgerechtliche Verfahren insgesamt darauf gerichtet, die Eltern zu einer eigenen Lösung anzuleiten. 236 Dem liegt die althergebrachte Erkenntnis zugrunde, dass die eigenständig erarbeiteten Regulierungen durch die Betroffenen am ehesten die Gewähr bieten, dass sie kindeswohlgemäß umgesetzt werden. 237 Zum einen erhöht sich durch Vermeidung einer autoritär geschaffenen Rechtslage die Bereitschaft der Beteiligten, sich weitgehend konfliktfrei an die Absprachen zu halten. Denn anstelle von Demütigung und anhaltendem Zwang dominiert der Charakter eines 231 Vgl. BVerfG NJW1983, S. 101 = FamRZ 1982, S. 1179; vgl. aber auch schon Beschlussempfehlung zum SorgeRG 1979 BT-Drucks. 8/2788, S. 62. 232 Vgl. OLG Rostock FamRZ 1999, S. 1599; chon nach der bisherigen Rechtslage reichte die Befugnis des Familiengerichts zur Überprüfung des Elternvorschlags auf seine Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl nicht so weit, dass das Gericht sein Ermessen an die Stelle des elterlichen Ermessens setzen durfte, vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 47. 233 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 68; ähnliche Wertung bereits im Hinblick auf den gemeinsamen Elternvorschlag gem. § 1671 Abs. 3 a.F. vgl. BVerfGE 59, S. 360 (376 f); dass. 24, S. 119 (143); dass. 31, S. 194 (205); BT-Drucks. 8/2788, S. 62; BGHZ 1, S. 214 (216); BayObLG Z 51, S. 300 (305 f); dass. FamRZ 1976, S. 36 (37); KG FamRZ 1979, S. 340 (341); Coester FamRZ 1996, S. 1181 (1183); Luthin FamRZ 1985, S. 638; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 47. 234 Vgl. BT-Drucks. 13 /4899, S. 63; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann S. 43. 235 Vgl. dazu MüKo / Finger 4. Aufl. § 1687 Rz. 11; Palandt / Diederichsen § 1687 Rz. 6; Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146; Runge FPR 1999, S. 142 (143); Wend FPR 1999, S. 137 (139); vgl. die weiteren Ausführungen in diesem Zusammenhang im Kap. B., Abschn. II.2. und 4. 236 Vgl. dazu Coester in Proksch / Sievering, S. 52; Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (870); Proksch NDV 1992, S. 317 (319). 237 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 90.

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selbständig gewählten Konzepts. Vor diesem Hintergrund nimmt die Bereitschaft und Akzeptanz zu, sich auch langfristiger an die eigene Zusage zu halten als an gerichtlich zugewiesene Regulationen. Insbesondere die für das Kindeswohl elementare Kontinuität wird begünstigt. Hinzu kommt, dass es den Gerichten oftmals an Einblick in die tatsächlichen Familienverhältnisse fehlt, während demgegenüber eine familieneigene Einschätzung im Zweifel die Möglichkeiten des Einzelfalls angemessener umsetzen kann. 238 Insoweit erweist sich auch die Alternative der gemeinsamen Sorge als weniger tragfähig, wenn die Eltern sie nicht mehr ausüben wollen. 239 b) Zustimmung des Antragsgegners zur Alleinsorgeübertragung Indem also die einzelfallbezogene gerichtliche Kindeswohlprüfung durch das elterliche Einvernehmen verdrängt wird, ist die Zustimmung des Antragsgegners von besonderer Bedeutung. Materiell ist die Zustimmungserklärung eine Disposition über das Mitsorgerecht, formell eine empfangsbedürftige höchstpersönliche Willenserklärung des Antragsgegners gegenüber dem Familiengericht. 240 Sie steht mit dem Antrag auf Alleinsorgeübertragung in § 630 Abs. 1 Nr. 2 ZPO gleichstufig nebeneinander. 241 Es sind daher strenge Anforderungen an die Prozesshandlung der Zustimmung des Antragsgegners zu stellen. Sie ist dem Familiengericht gegenüber zu erklären oder hat durch anwaltlichen Schriftsatz, Protokollierung der Geschäftsstelle oder im Termin zu Protokoll des Gerichtes zu erfolgen. 242 Sie unterliegt keinem Anwaltszwang. 243 Wie bei dem Antrag bestehen hier hohe Anforderungen an die Erklärung, die ausdrücklich und eindeutig in Hinblick auf den konkreten Antrag erfolgen muss. 244 Das Äußern von Desinteresse oder bloßes Schweigen zum Antrag genügt hier also nicht. 245 Gleichermaßen unzureichend 238 Im Rückblick hat sich die „optimale“ Lösung, an der sich die Entscheidung des § 1671 a.F. orientierte, als eine Schimäre erwiesen (so Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 90). Da es eine eindeutige Bewertung in „richtig“ und „falsch“ nicht gibt und eine anders lautende Regelung des Familiengerichts nicht besser sein muss als die der Eltern, gilt es zu akzeptieren, dass die aus der Sicht des Kindeswohls zunächst als „zweitbeste“ erscheinende Lösung der Entscheidung nach § 1671 Abs. 2 zugrunde zu legen ist (vgl. Bündenbender AcP 197 (1997), S. 197 (211)). 239 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 90. 240 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 75; zu den Besonderheiten für minderjährige Elternteile vgl. ebenda Rz. 79. 241 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 29. 242 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 99. 243 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 77. 244 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 76; die Berufung des Antragsteller auf allgemeine Einverständniserklärungen des anderen Elternteils reicht nicht aus, vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 28; anders Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 23 unter Verweis auf OLG Düsseldorf FamRZ 1983, S. 293 (294).

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ist eine frühere oder pauschale Verzichts- oder Einverständniserklärung. 246 Soweit die Zustimmung Einschränkungen gegenüber dem Antrag enthält, sei es in Form von Bedingungen oder Auflagen, kann sie gleichermaßen nicht zu einer Entscheidung gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 führen. Denn auch wenn im Teilbereich der positiven Zustimmung zwar ein elterliches Einvernehmen besteht, macht die Entscheidung gerichtlichen Ausgleich erforderlich, solange nicht eine der Seiten den Mehr-Anforderungen der anderen nachgibt. Der Übertragungstatbestand ist in dieser Hinsicht unteilbar. 247 Die Zustimmung ist Ausdruck einer Einigung, die vor oder während des Verfahrens zwischen den Beteiligten erzielt wird. 248 Anders jedoch als der bisher geltende einvernehmliche Vorschlag setzt sie keine interne Einigung im Vorfeld des Verfahrens voraus, sondern lässt es ausreichen, wenn Antrag und Zustimmung allein durch die Erklärung gegenüber dem Gericht erstmalig als elterlicher Konsens in Erscheinung treten. 249 Die Zustimmung kann inhaltlich auf einen Teil des Sorgerechtsantrages beschränkt sein. 250 Im Hinblick auf den über die Zustimmung hinausreichenden Antrag gelten dann die Maßstäbe des § 1671 Abs. 2 Nr. 2. 251 Die zeitlichen Anforderungen an die Zustimmung sind daher sehr weit gefasst. Nur so kann das Verfahren effektiv genutzt werden, elterliches Einvernehmen auch iSd § 1671 Abs. 2 Nr. 1 zu erzielen. Wie der Antrag kann die Zustimmung demzufolge bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erteilt werden. 252 Dabei kann sie sogar gegebenenfalls im Beschwerdeverfahren erfolgen, nachdem der Sorgerechtsantrag zuvor auf den streitigen Tatbestand des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 gestützt worden ist. 253 Dabei ist es gleichgültig worauf der Entschluss beruht; ob er auf einen eigenen Entschluss der Eltern oder auf Beratung bzw. gerichtlicher Mediation zurückzuführen ist. 254 Insbesondere setzt die Privilegierung des Antrags keine außergerichtliche Einigung voraus. Eine insoweit unterschiedliche Bewertung des 245

Schwab / Motzer ebenda; Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 76. Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 28; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 63. 247 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 99. 248 Zur höchstpersönlichen Natur der Einigung, unabhängig davon, dass die Rechtswirkung erst mit Hilfe eines gerichtlichen Aktes eintritt, vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 99; zur bisherigen Rechtslage auch MüKo / Hinz § 1671 Rz. 53; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 136. 249 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 71. 250 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2000, S. 510 (511); OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 673 (674). 251 Vgl. beispielsweise OLG Nürnberg EzFamR 1999, S. 114. 252 Vgl. dazu die sinngemäß auf die Zustimmung entsprechend anzuwendende Vorschrift des § 623 Abs. 4 ZPO, die den Antrag innerhalb eines Ehesachenverfahren regelt. 253 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 99. 254 Die Kontroverse in Hinblick auf die Zuverlässigkeit der durch Mediation erzielten Einigung wirkt sich hier nur bedingt aus. So wurde im Rahmen der bisherigen Rechtslage 246

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elterlichen Einvernehmens verbietet sich bereits aufgrund der durch Beratung geförderten Lösung gem. § 52 FGG. Auch wenn die Zustimmung letzten Endes Ausdruck einer Elterneinigung ist, so wird die bisherige Diskussion über eine vertragsähnliche Bindungswirkung des Elternvorschlags durch das Reformgesetz endgültig gegenstandslos. 255 Denn die einseitige Erklärung des Antragsgegners hat keineswegs den Charakter einer

darüber diskutiert, ob eine Einigung der Eltern zur gemeinsamen Sorgerechtsausübung nach der Scheidung durch staatliche Beratung ausreichende Gewähr für Tragfähigkeit der erforderlichen Kooperation biete (vgl. Göppinger Rz. 606 mwN; mit Hinweisen auf amerikanische Rechtserfahrungen mit Kompromissabsprachen vgl. Coester EuGRZ 1982, S. 256 (263); vgl. auch Kropholler JR 1984, S. 89 (94)). Die Gegner eines weiten Begriffs der Kooperationsabsprache befürchteten in diesem Zusammenhang, dass die Ausübung der Elternverantwortung in Abhängigkeit von einer dauernden Beratung stehe und auf diese Weise voraussichtlich dazu führe, dass der Staat in der Erziehung dauerhaft präsent werde. Diese Diskussion ist hier jedoch insoweit nur punktuell relevant, als die durch staatliche Stellen erarbeiteten Einigungen der Eltern immer das Risiko einer Willensbeeinflussung beinhalten. Eine im Nachhinein auftretende Verunsicherung und erneut Beratung erforderlich machende Auseinandersetzungen können insoweit nicht ausgeschlossen werden. – Vgl. darüber hinaus Fingern FamRZ 1988, S. 12 (16), demzufolge viele Richter bezüglich der vorangegangenen Rechtslage der Überzeugung waren, dass die meisten Eltern nicht aus eigenem Antrieb, sondern allein aufgrund gezielter Einflussnahme von Rechtsanwälten und Jugendämtern das gemeinsame Sorgerecht beantragten (dazu kritische Anmerkungen von Luthin FamRZ 1985, S. 565 f); so auch Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (871). Demgegenüber hat die Hamburger Studie von Oelkers / Kasten / Oelkers FamRZ 1994, S. 1080 (1082) ergeben, dass 77,5% der Anträge auf gemeinsame Sorge von den Eltern selbst ausgingen und nur in 21,3% die Initiative von den Jugendämtern und in 1,2% der Fälle die Initiative von den Gerichten ausgingen; vgl. auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 82, wonach unabhängig vom Sorgerechtsmodell 63,8% durch die Rechtsanwälte und 41,5% durch unabhängige Einschätzung die Auswahl der Sorgerechtsgestaltung trafen und nur 8,5% ihre Entscheidung auf ein Beratungsgespräch mit dem Jugendamt zurückführten. 255 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 29; Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 81 f; die ursprünglich herrschende Meinung vertrat die Auffassung, dass der Elternvorschlag nach vertragsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen sei. Dies hatte zur Folge, dass jedenfalls nach der Mitteilung an das Gericht eine Bindungswirkung zwischen den Eltern eintrat. Demzufolge könne ein einseitiger Widerruf die Wirkung des § 1671 Abs. 3 a.F. nicht mehr beseitigen. Er habe lediglich die Konsequenz, dass das Gericht auf die Kindeswohlprüfung mehr Gewicht legte (vgl. dazu BGHZ 33, S. 54 (57) = FamRZ 1960, S. 397 f; KG FamRZ 1968, S. 264 f; OLG Köln FamRZ 1972, S. 574 (575); OLG Stuttgart FamRZ 1981, S. 704 f). Demgegenüber war aber während der bisherigen Rechtslage zusehends vertreten worden, dass eine solche Bindungswirkung innerhalb des Sorgerechtsverfahrens den vorrangigen Kindeswohlerwägungen entgegenstünde. Entscheidungsgrundlage sei nicht die Absprache, sondern das ihr zugrunde liegende Einvernehmen, das faktisch nach einem Widerruf nicht mehr bestehe (so MüKo / Hinz § 1671 Rz. 54; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 146; mit ersten Zweifeln OLG Düsseldorf FamRZ 1983, S. 293 (294); ausdrücklich offen gelassen BGH FamRZ 1990, S. 392; OLG Hamm FamRZ 1985, S. 637; dass. FamRZ 1989, S. 654 (656); OLG Zweibrück FamRZ 1986, S. 1038); vgl. auch OLG Dresden FamRZ 1997, S. 49 sowie Koritz-Dohrmann FPR 1997, S. 253, 255

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bindenden Absprache zwischen den Parteien 256, sondern beschränkt sich auf eine einseitige Prozesshandlung gegenüber dem Gericht. 257 Insoweit kann die Zustimmung keiner stärkeren Bindung unterliegen als der Antrag und ist, auch wenn sie auf einer vorherigen Vereinbarung beruht, frei widerruflich bis zur Rechtskraft des Urteils 258, also gegebenenfalls in 2. Instanz oder im Beschwerdeverfahren. 259 Auch wenn innerhalb des Verfahrens keine Bindungswirkung der Antragszustimmung besteht, tritt sie mit Rechtskraft der Entscheidung ein. Rückt also ein Elternteil nach der gerichtlichen Entscheidung von der Übereinkunft ab, so richtet sich der Maßstab einer erneuten gerichtlichen Beurteilung nicht nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2, sondern nach dem Maßstab des § 1696. 260 Vor allem handelt es sich nicht um eine Art Dauerzustimmung 261, die nur solange fortwirkt, wie die Umstände bestehen, unter denen die Zustimmung erteilt worden ist. Zwar mögen die konkreten Verhältnisse oftmals sogar erkennbares Motiv für die Erteilung der Zustimmung sein, doch kommt dem zustimmenden Elternteil insoweit kein Interessensschutz hinsichtlich ihres Fortbestandes zu. 262 Dies würde zunächst dem umfassenden und dynamischen Charakter der zu übertragenden Sorgerechtsstellung nicht gerecht. 263 Vor allem aber würde eine Situationsbindung dem sorgerechtlichen Erfordernis zur fehlenden Bindungswirkung einer im notariellen Ehevertrag getroffenen Vereinbarung über die Elternsorge. 256 Zur Problematik der Absprache im Rahmen eines notariellen Trennungs- und Scheidungsfolge-Vertrages über die elterliche Sorge vgl. Koritz-Dohrmann FPR 1997, S. 253 (255). 257 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 101; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (4461); Johannsen / Henrichs / Jaeger § 1671 Rz. 25; Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 28; Ewers FamRZ 1999, S. 477 (478). 258 Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 82; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 25; Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 28; a. A. PraxisHdB FamR / Fröhlich Rz. E 122. 259 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 101. 260 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 103; so bereits zur bisherigen Rechtslage BGH FamRZ 1993, S. 314 (315) = NJW 1993, S. 126 (127). 261 Terminologie etwa in Anlehnung an den sog. Dauer-Verwaltungsakt, für dessen Wirksamkeit die Voraussetzungen permanent und nicht nur bei Erlass bzw. zur Zeit der behördlichen Entscheidung vorliegen müssen, vgl. Erichsen „Allgemeines Verwaltungsrecht“, §15Rz. 2, § 17 Rz. 12, 14 mwN. 262 Diese Problematik wird vor allem dann auftreten, wenn sich etwa durch die Verlegung des Lebensmittelpunktes oder die Wahl eines neuen Partners die äußeren Rahmenbedingungen der Sorgerechtsausübung nachhaltig verändern. Dabei entsteht eine Gemengelage, in der einerseits der nichtsorgeberechtigte Elternteil persönlicher Kränkung ausgesetzt ist, die in erster Linie die Partnerschaftsebene betrifft und nur mittelbar die sorgerechtlichen Erwägungen beeinflusst. Andererseits werden u.U. die Bedingungen für das verbleibende Elternrecht des verzichtenden Elternteils nachhaltig verschlechtert und beeinflussen insoweit unmittelbar die sorgerechtlichen Abwägungen.

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der Beständigkeit und Rechtssicherheit einer endgültigen Gestaltungsentscheidung widersprechen. 264 Die Zustimmung kann daher auch nur bis zur Rechtskraft der Entscheidung widerrufen werden. 265 c) Das Widerspruchsrecht des Kindes Gegen den einvernehmlichen Antrag der Eltern verleiht das Gesetz dem Kind nach Vollendung des 14. Lebensjahres ein Widerspruchsrecht. Der Widerspruch hebt die Bindungswirkung der übereinstimmenden Einschätzung der Eltern auf. 266 In diesem Widerspruchsrecht ist ein zentrales Mitwirkungsrecht des Kindes am Sorgerechtsverfahren verankert und weist ihm eine eigenständige Position zu. Es stellt sicher, dass das Kind in den familieninternen Entscheidungsprozess eingebunden ist und die staatliche Kontrolle, die das Einvernehmen aufhebt, auch vom Kind mitgetragen wird. An die Stelle der gerichtlichen Kontrolle tritt damit zunächst die Einschätzung des Kindes als Korrektiv und koppelt die elterliche Autonomie bei der Umsetzung des Kindeswohls an die kindliche Befürwortung. Das geht Hand in Hand mit der sorgerechtlichen Pflicht der Eltern gem. § 1626 Abs. 2, das Kind nach Maßgabe seiner Entwicklung in sorgerechtliche Entscheidungsprozesse einzubinden. 267 Zur Durchsetzung und Gewährleistung dieser Position wird dem Kind hier ein eigenes Abwehrrecht verliehen. aa) Reichweite des Widerspruchsrechts Die Reichweite des Widerspruchsrechts ist jedoch sehr begrenzt und eröffnet dem Kind kein eigenes Gestaltungsrecht. 268 So wird dem Kind zum einen kein echtes Vetorecht eingeräumt. 269 Es kann aber verhindern, dass der einvernehmliche Antrag der Eltern ohne Sachprüfung übernommen wird. 270 Das heißt, dass 263 Zur grundlegenden Handlungsfreiheit der Eltern im Rahmen der Ausübung der das Elternrecht konkretisierende Sorgerecht vgl. etwa BVerfG 55, S. 171 (181); NJW 1982, S. 1379 (1380); NJW 1986, S. 3129 (3130); Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1666 Rz. 3. 264 Vgl. Ewers FamRZ 1999, S. 477 (478). 265 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); Ewers FamRZ 1999, S. 477 (478); so auch OLG Dresden FPR 2000, S. 276 zu einem notariellen Ehevertrag mit einer Umgangsregelung. 266 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 65. 267 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 88; Erman / Michalski § 1671 Rz. 31; nach bisheriger Rechtslage auch MüKo / Hinz § 1671 Rz. 61, insbesondere mit Hinweis darauf, dass die Ausübung des Widerspruchsrechts darauf schließen ließe, dass die Eltern das Kind nicht angemessen in ihre Absprache eingebunden haben. 268 Etwas modifiziert Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 88, der hier von einer Teilrechtsmündigkeit des 14-jährigen Kindes durch ein „negatives Gestaltungsrecht“ spricht.

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seine Ablehnung der Alleinsorge eines Elternteils nicht dazu führt, dessen Antrag insgesamt zu disqualifizieren. 271 Widerspricht das Kind dem Elternantrag, ändert sich lediglich der Maßstab der Antragsbeurteilung und es ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 vorliegen. 272 Damit tritt an die Stelle des formalisierten Übertragungstatbestandes eine qualifizierte gerichtliche Einzelfallprüfung des Kindeswohls. 273 So hebt der Widerspruch die rechtliche Vermutung auf, dass der einvernehmliche Antrag auf Übertragung der Alleinsorge Ausdruck kindeswohlgerechter Elternverantwortung ist. 274 In der Konsequenz lebt das staatliche Prüfungsrecht wieder auf und unterstellt die Zuweisung der Elternsorge erneut gerichtlicher Kontrolle. 275 Diese Gewichtung des Widerspruchsrechts repräsentiert einen wichtigen Bestandteil der eigenen Rechtsstellung des Kindes. 276 Es eröffnet ihm die Wahrnehmung eigener Interessen und eine Verselbständigung seiner Position im innerfami269

Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 155; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 162; Oelkers FuR 1999, S. 349 (350); Keller „Das gemeinsame Sorgerecht nach der Kindschaftsrechtsreform“, S. 60; kritisch zu dieser rechtlichen Beschränkung Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 27; demgegenüber als Schutz des Kindes befürwortend Gernhuber / Coester-Waltjen „Familienrecht“ § 65 IV 2. 270 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 155; vgl. auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); Johannsen / Henrichs / Jaeger § 1671 Rz. 27; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 65 f. 271 Es ist hingegen dem dezidierten Willen von Jugendlichen zu folgen, wenn sie schon in relativ kurzer Zeit vor der Erreichung der Volljährigkeit stehen – etwa ab dem 16. Lebensjahr, vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 162; dazu auch schon OLG Karlsruhe FamRZ 1966, S. 315 f; OLG Düsseldorf FamRZ 1979, S. 631 (632); BayObLG FamRZ 1977, S. 650. 272 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 94; dazu auch Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 30, der den Widerspruch des Kindes bereits als Anzeichen zur Einleitung des Verfahrens nach § 1666 wertet. 273 Vgl. Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1671 Rz. 15. 274 Zur entsprechenden Beurteilung eines zurückgenommenen Elternvorschlages als Indiz für das Kindeswohl nach der bisherigen Rechtslage, vgl. dazu MüKo / Hinz § 1671 Rz. 62. 275 Es gilt in diesem Zusammenhang eine verfahrensrechtliche Besonderheit gem. § 627 ZPO zu beachten. Danach muss in Familienfolgesachen, die grundsätzlich in Ermangelung eines anderslautenden Antrags im Verbund mit dem Scheidungsverfahren stehen, vorweg entschieden werden, wenn das Gericht beabsichtigt, von einem Antrag gem. § 1671 Abs. 1 abzuweichen, dem der andere Ehegatte zugestimmt hat. 276 Zur rechtlichen Emanzipation des Kindes durch die KindRG vgl. Fthenakis FPR 1998, S. 84 (88); Kohler ZfJ 1999, S. 128 (130), der hier von der rechtlichen Seite der kindlichen Subjektstellung spricht; kritisch insb. in Hinblick auf das Gewaltverbot, das sich im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform trotz anfänglicher Bestrebungen nicht hat durchsetzen können, vgl. Peschel-Gutzeit FPR 1999, S. 255; unter dem Gesichtspunkt des grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechts vgl. auch BVerfG NJW 1981, S. 217 (218); kritisch Schwab „Handbuch des Scheidungsrechts“ II Rz. 80 f.

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liären Interessenausgleich. 277 Kritiker halten dem entgegen, dass die Ausgestaltung der Rechtsstellung des Kindes nicht weit genug gehe. Anknüpfungspunkt ist hier vor allem, dass das KindRG sogar hinter den Standards der bisherigen Rechtslage zurückfalle. 278 So ist vor allem das bisherige Vorschlagsrecht des Kindes in die neue Regelung nicht übernommen worden. 279 Diese Einwände vermögen jedoch nicht zu überzeugen. Zum einen wirkt sich diese Abweichung der Gesetzesgestaltung faktisch kaum aus, da auch dann, wenn der Widerspruch nicht an eine Begründung geknüpft ist, die sachliche Einlassung des Kindes jedenfalls in die gerichtliche Kindeswohlabwägung einfließt. 280 Demgegenüber hat der Kindeswiderspruch im Vergleich zur vorherigen Rechtslage sogar an Bedeutung gewonnen, da er die gerichtliche Kindeswohlprüfung überhaupt erst auslöst, während zuvor lediglich die Indizwirkung des Elternvorschlags entkräftet wurde, ohne sich grundlegend auf den Beurteilungsmaßstab auszuwirken. Hinzu kommt, dass es sich bei der Emanzipation des Kindes im Rahmen der eigenen Interessenwahrnehmung immer nur um einen Kompromiss zwischen dem kindlichen Selbstbestimmungsrecht und der treuhänderischen Interessenwahrnehmung durch die Eltern handeln kann. 281 Das Reformgesetz vermeidet also die Konfrontation oder Polarisierung zwischen verschiedenen Positionen. Dies erscheint sachgerecht, da Sinn und Zweck des kindlichen Gegenrechtes in erster Linie darin besteht, zu gewährleisten, dass die Eltern den Kindesstandpunkt berücksichtigen. Vorrangig sollen die Eltern auf diese Weise veranlasst werden, das Kind im Vorfeld des Antrags in die Planung und Abwägung einzubeziehen. 282 Erst in zweiter Linie dient das Widerspruchsrecht dazu, der Stellung des Kindes Nachdruck zu verlei277 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 88, der davon spricht, dass hier das selbstbestimmungfähige Kind als Mitträger der familiären Autonomie anerkannt wird. 278 Kritisch dazu Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422. 279 Zur bisherigen Rechtslage vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 61 f; OLG Celle FamRZ 1994, S. 465; Johannsen / Henrich / Jaeger 2. Aufl. § 1671 Rz. 46; Kropholler JR 1984, S. 89 (96); zu verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 79 f; Dieckmann AcP 178 (1978), S. 298 (315); Lüderitz FamRZ 1975, S. 608; Strätz FamRZ 1975, S. 543; zur Rechtsentwicklung vor dem SorgeRG von 1979 vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1976, S. 282; OLG Köln FamRZ 1976, S. 32 ff; OLG München FamRZ 1979, S. 337 (338); OLH Hamm FamRZ 1979, S. 853 (855); OLG Düsseldorf FamRZ 1979, S. 631 (632); AG Stuttgart FamRZ 1981, S. 597; OLG Karlsruhe FamRZ 1985, S. 1078; BGH FamRZ 1985, S. 1985, S. 169 (170); Dörr NJW 1989, S. 690 (693); RGRK / Adelmann § 1671 Rz. 60; Belchau ZfJ 1979, S. 325 (337 f). Die mit dem SorgeRG von 1979 eingetretene Änderung bestand vor allem darin, dass es nicht länger gem. § 1695 im Ermessen des Gerichtes steht, „mit dem Kind Fühlung aufzunehmen“, sondern unter ausgeführten Voraussetzungen obligatorisch ist, vgl. Bumiller / Winkler § 50b FGG, Anm. 1; zu den damit verbundenen Problemen vgl. Puls ZfJ 1987, S. 8 (10). 280 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 94. 281 Vgl. kritische Einschätzung von Kohler ZfJ 1999, S. 128 (130). 282 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger, 3. Aufl., § 1671 Rz. 29; ähnlich auch schon zur bisherigen Rechtslage MüKo / Hinz § 1671 Rz. 61 f.

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hen und das Gericht zur Kommunizierung des Kindesstandpunktes einzusetzen. Die kindliche Einflussnahme auf das Sorgerechtsverfahren beschränkt sich daher sinnvollerweise auf ein relatives und defensives Abwehrrecht. bb) Anforderungen an die Widerspruchsausübung Die formellen Anforderungen an die Widerspruchsausübung des Kindes sind sehr gering. So ist zunächst die Widerspruchsbefugnis ausdrücklich an die Vollendung des 14. Lebensjahres geknüpft. Als Ausübung einer eigenständigen, emanzipierten Rechtsstellung soll auf diese Weise das kindliche Korrektiv an eine geistige Reife gekoppelt werden, die erwarten lässt, dass das Kind die Situation intellektuell hinreichend erfassen kann, die Tragweite der eigenen Handlung ermisst und zugleich der Konfrontation mit den Eltern psychisch gewachsen ist. 283 Dabei genügt es, wenn das Kind bis zum Ende der mündlichen Verhandlung das erforderliche Alter erreicht und seine vorangegangene Erklärung erkennbar aufrechterhält. 284 Die Erklärung ist formfrei und bedarf weder einer Erläuterung noch eines Gegenvorschlages, so dass ihre Rechtswirkung durch die bloße Äußerung ausgelöst wird. 285 Dabei kann der Widerspruch auf einen abgrenzbaren und abtrennbaren Bestandteil der Elternsorge beschränkt werden. 286 Angesichts dieser zentralen Bedeutung sind die konkreten Anforderungen an die Ausübung des Widerspruchsrechts flexibel und undogmatisch zu beurteilen. Im Vordergrund steht die schwierige Balance zwischen der erforderlichen Ernsthaftigkeit bzw. Nachhaltigkeit der kindlichen Einlassung und der nur eingeschränkt vertretbaren Vorgabe an das Kindesverhalten. Das bedeutet zunächst einmal, dass der Widerspruch an keine Form gebunden ist. 287 Es genügt, wenn das Kind klar zum Ausdruck bringt, mit der von den Eltern vorgeschlagenen Lösung nicht einverstanden zu sein. 288 Insbesondere kann die Ausdrucksform des Kindes nicht formalisiert beurteilt werden, sondern muss sorgfältig auf den eigentlichen Sinngehalt geprüft werden. Wenngleich ein Kind nach der Vollendung des 14. Lebensjahres bereits zu eindeutigen Erklärungen veranlasst werden kann und in Hinblick auf die Anforderungen an seine Stellungnahme verständig 283 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 65, auch zur Pflicht der Gerichte gem. § 1697a die Vorstellung des Kindes tatsächlich in Erfahrung zu bringen; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); zur Hinzuziehung eines Verfahrenspfleger bei der Einschätzung und Umsetzung des Kindeswillens vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 15. 284 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 89. 285 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 28; Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 30; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 92. 286 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 28; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 92. 287 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl, Abschn. III Rz. 94. 288 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl, Abschn. III Rz. 94.

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sein wird, können auch hier aufgrund der emotionalen Bedrängnis indirekte oder zaghafte Darstellungen von großer Bedeutung sein. Das Kind hat insoweit ein schutzwürdiges Interesse daran, nicht selbst zum Auslöser von Familienkonflikten über die künftige Gestaltung der elterlichen Sorge zu werden. 289 Auf der anderen Seite erfordert die einschneidende Konsequenz des Widerspruchs für den Verfahrensverlauf auch zuverlässige Anhaltspunkte, die auf die Nachhaltigkeit der Kindesäußerung hinweisen. Hier ist ein besonderes Augenmerk auf die Motivation des Kindes zu richten. 290 Der Widerspruch muss daher vorbehaltlos sein. 291 So reicht es beispielsweise nicht aus, wenn sich das Kind im Rahmen seiner Anhörung gegen den antragstellenden Elternteil ausspricht oder angibt, lieber beim anderen Elternteil leben zu wollen. 292 Auch kann der Widerspruch bis zur letzten Tatsachenverhandlung zurückgenommen bzw. widerrufen werden. 293 Ebenso wenig kann Indifferenz und scheinbare Interesselosigkeit in Bezug auf die gerichtliche Entscheidung als Widerspruch ausgelegt werden. Anderenfalls fehlte es an der erforderlichen Rechtssicherheit dafür, dass die Gerichte sich über Anwendung des einvernehmlichen Übertragungstatbestandes hinwegsetzen könnten. Das Widerspruchsrecht wäre sonst ein beliebig einzusetzendes Instrument, mit dem der Entscheidungsmaßstab nach gerichtlichem Ermessen bestimmt würde. Dies widerspräche jedoch der eindeutigen Zielsetzung der Vorschrift. Dies führt auch dazu, dass eine etwaige Abweichung der Einschätzung durch den Verfahrenspfleger hinter der Äußerung des Kindes zurücktritt. 294 Beide Elemente sind in ihrem Verhältnis zueinander anhand des Einzelfalls zu konkretisieren. Jedoch verlangt der unbedingte Vorzug des Kindesschutzes, dass im Zweifelsfall den vom Kind aufgeworfenen Bedenken an der sorgerechtlichen Lösung der Eltern nachgegangen wird. Der kindlichen Einschätzung des einvernehmlichen Elternantrags gebührt schon deshalb hohe Aufmerksamkeit, da 289

Vgl. Gernhuber / Coester-Waltjen § 65 IV 2. Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 27, der hier besonders hervorhebt, dass das Gericht zu klären hat, ob das Kind seine Wünsche nur äußert, um seine Unzufriedenheit über die Familientrennung auszudrücken und die Eltern zum Überdenken ihrer Pläne bringen will, ohne die Entscheidung der Eltern letztlich blockieren zu wollen, oder ob das Kind bewusst von dem Recht Gebrauch machen will, sich gegen die von den Eltern einvernehmlich vorgesehene Sorgerechtsübertragung zu stellen. 291 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl, Abschn. III Rz. 95, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass es nicht die Aufgabe des Gerichtes im Rahmen der Anhörung gem. § 50b Abs. 2 FGG sein soll, die Motive für den Widerspruch zu erforschen. Daraus folgt nicht zuletzt, dass der Aussagewert der Kindeseinlassung aus sich heraus zu verstehen sein muss. 292 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 30; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Abschn. III Rz. 95, mit der Einschränkung, dass die Erklärung des Kindes vorbehaltlos sein muss. 293 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 66. 294 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 66. 290

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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sie das einzige Korrektiv der elterlichen Sorgerechtsgestaltung darstellt. Schon Anhaltspunkte, die Zweifel an der kindeswohlgerechten Alleinsorge begründen, lassen daher das durch das Einvernehmen verdrängte Wächteramt wieder aufleben. Doch kann gleichzeitig bei Bedenken gegenüber der Ernsthaftigkeit der Kindesdarstellung geboten sein, einen Verfahrenspfleger zu bestellen. 295 Nur auf diese Weise kann ausreichend sichergestellt werden, dass das Kind seine Position als Beteiligter seiner Grundrechtsstellung gemäß ausüben kann. 296 cc) Widerspruch eines jüngeren Kindes Ein Widerspruchsrecht eines Kindes unterhalb der gesetzlich geregelten Altersgrenze ist grundsätzlich nicht vorgesehen. 297 Zwar besteht auch im Rahmen des einvernehmlichen Antrags die Pflicht des Gerichtes, das betroffene Kind anzuhören gem. § 50b Abs. 1 FGG. 298 Dies führt jedoch nicht zu einer indirekten Erweiterung des Widerspruchsrechts im Wege der teleologischen Auslegung des Tatbestandes. Zwar wurde bisher im Rahmen der Parallelvorschrift des § 1671 Abs. 3 a.F. anerkannt, dass die Willensäußerung eines jüngeren Kindes in die individuelle Würdigung des Gerichtes einzubeziehen ist. 299 Auch der erklärte Widerspruch jüngerer Kinder hob insoweit die Vermutung einer Kongruenz von Elternvorschlag und Kindesinteresse auf und hielt den Richter zur erhöhten Sorgfalt bei der Prüfung des Elternvorschlages an. 300 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nach der alten Rechtslage auch bei einvernehmlichem Elternvorschlag stets eine Kindeswohlprüfung stattfand, in die eine Berücksichtigung des Kindeswillens einfließen konnte. Dies ist nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht mehr der Fall. Unterhalb der Schwelle der Kindeswohlgefährdung fehlt es dem Gericht insoweit an Prüfungs- und Eingriffskompetenz. Der Widerspruch des jüngeren Kindes kann daher mangels Kindeswohlprüfung nicht als Kindeswohlkriterium beachtet werden und wird nur in Ausnahmefällen Anlass für eine Verfügung nach § 1666 295

So Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 30; vgl. § 50 FGG. Vgl. dazu Vorgabe des BVerfG E 55, S. 171 (179); dazu auch Erläuterungen des Regierungsentwurfs zu § 50 FGG BT-Drucks. 13/4899, S. 129 f. 297 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 67. 298 Vgl. dazu Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 30 a, der hierin den wesentlichen Grund für die Durchführung des Sorgerechtsverfahrens ohne gerichtliche Sachprüfungskompetenz innerhalb des Übertragungstatbestandes des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 sieht. 299 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1702 (1703). 300 BayObLG FamRZ 1968, S. 657 (658); vgl. dazu auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 23; zum Prinzip der Nachrangigkeit elterlicher Rechte und Pflichten gegenüber dem Kind, vgl. Oelkers FamRZ 1995, S. 1097 (1099); OLG Hamm FamRZ 1994, S. 391 (392); OLG München FamRZ 1991, S. 1343 (1344); dass. FamRZ 1992, S. 1335. 296

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

geben. 301 Jedoch ist in diesen Fällen die Bestellung eines Verfahrenspflegers zumindest zu erwägen, da ein Interessenkonflikt zwischen Eltern und Kind deutlich wird. 302 Darin kommt eine grundlegende gesetzgeberische Entscheidung zum Ausdruck, die bereits angesprochene Elemente erneut aufgreift. So wird auch hier die gerichtliche Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber einer familieneigenen Regulierung sogar in den Fällen als nachrangig beurteilt, in denen es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Eltern eine für das Kind nachteilige Sorgerechtsgestaltung herbeiführen. 303 Der wächteramtliche Schutzauftrag wird also auch innerhalb des Alleinsorgeverfahrens soweit zurückgenommen, als das Einvernehmen zunächst verantwortliche und sachgerechte Sorgerechtsausübung vermuten lässt. Zum anderen genießt die Vermeidung von Konflikten einen eigenen Schutz als wesentlichen Aspekt der Wahrnehmung der Kindesinteressen. 304 Dies knüpft ein weiteres Mal direkt an die Grundüberlegung des gesetzlichen Sorgerechts an und bezieht sie unmittelbar auf die Trennungssorge. So untersteht die elterliche Sorgerechtsausübung keinem Optimierungsgebot, sondern ist im Rahmen der verfassungsrechtlich verankerten Gestaltungsfreiheit nur durch die Kindeswohlgefährdung begrenzt. Innerhalb dieser Grenze steht es dem Kind grundsätzlich nicht zu, Entscheidungen der Eltern gerichtlich überprüfen zu lassen. Durch die restriktive Widerspruchsgestaltung wird genau dieser Maßstab über die gesetzliche Trennungssorge nun auch auf die einvernehmliche Alleinsorgeübertragung ausgeweitet. Die rechtliche Wirkung des Widerspruchs eines jüngeren Kindes beschränkt sich daher auf eine mittelbare Einflussnahme des Gerichtes im Vorfeld der Entscheidung. So bietet die Einlassung des Kindes die Möglichkeit, dass das Gericht mit den Eltern erneut die Einschätzung des Kindeswohls gemeinsam erörtert. Auf diese Weise können die Erwägungen der Eltern gegebenenfalls durch die spezielle Sachkunde und Autorität des Gerichtes vertieft werden. Bei der Feststellung von Nachteilen für das Kind muss das Gericht versuchen, auf die Eltern einzuwirken und sie von ihrem Entschluss abzubringen. 305 Gelingt dies jedoch nicht, und halten die Eltern an ihrer bisherigen Einschätzung fest, so ist es verpflichtet, dem Antrag gemäß zu entscheiden. Hier ist letztlich der wächteramtliche Schutzauftrag auf den Versuch der Beeinflussung und der gezielten Unterstützung der sachgerechten Entscheidungsfindung beschränkt. 306 301 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 30; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 89. 302 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 67. 303 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 66. 304 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 69. 305 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 66. 306 Staudinger / Coester ebenda.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Eine weitergehende Intervention kommt lediglich in Betracht, wenn das jüngere Kind besonders gravierende Einwände äußert. Dann hat das Familiengericht zu prüfen, ob dem ein Sorgerechtsmissbrauch durch die Eltern zugrunde liegt. 307 Das bedeutet, dass sich die gerichtliche Kindeswohlprüfung nicht nach dem § 1671, sondern nach der Generalklausel des §§ 1671 Abs. 3 iVm 1666 richtet. 308 Das Widerspruchsrecht eines Kindes unter 14 Jahren beschränkt sich daher darauf, Anhaltspunkte dafür zu bieten, dass die angestrebte Sorgerechtsregelung eine Kindeswohlgefährdung darstellt. Allenfalls denkbar ist eine Analogie, wenn die Reife des Kindes dem eines 14-jährigen Kindes entspricht. Denn der gesetzliche Richtwert stellt lediglich einen Durchschnittswert dar. 309 Soweit das erkennende Gericht jedoch von diesem abweicht, so muss es in der Entscheidung seinen Eindruck der frühen individuellen Reife erläutern. 310 dd) Durchsetzung des Widerspruchsrechts Die Gerichte müssen sicherstellen, dass das Kind sein Widerspruchsrecht wahrnehmen kann. Schon aufgrund der sorgerechtlichen Vorgabe ist es unabdingbar, das Kind ab dem widerspruchsfähigen Alter vor der Entscheidung durch das Familiengericht auch bei scheinbar unstreitigen Fällen anzuhören. 311 Demzufolge wurde vom KindRG die Vorschrift über die Anhörung des Kindes gem. § 50b Abs. 2 FGG beibehalten, wonach die Anhörung des betroffenen Kindes nach Vollendung des 14. Lebensjahres zumindest in Personensorgeverfahren zwingend vorgeschrieben ist. 312 Neben der gesetzlichen Ausgestaltung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht 313 steht hier vor allem die Gewähr des rechtlichen Gehörs im Vordergrund. 314 Die Anhörung erfolgt persönlich, also mündlich. 315 Wird die 307

Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 97. Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 161, der die Übertragung auf den Antragsgegner ohne eigenen Antrag gem. § 1671 Abs. 1 auch dann nur in Extremfällen drohender Kindeswohlgefährdung gem. § 1666 für möglich hält, wenn das Kind dessen Alleinsorge ausdrücklich wünscht. 309 Vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/4899, S. 99; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (461). 310 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 123. 311 Vgl. Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1102); OLG Zweibrück FamRZ 1999, S. 246. 312 Vgl. zur praktischen Durchführung und rechtlichen Wertung schon Oelkers FPR 1997, S. 78 (79 f); zur Einschränkung in Hinblick auf die Vermögenssorge vgl. § 50b Abs. 2 S. 2 FGG. 313 Vgl. § 12 FGG. 314 Vgl. § 50b Abs. 2 S. 3 FGG; vgl. dazu Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50b Rz. 3; BGH FamRZ 1985, S. 169 (172); OLG Hamm FamRZ 1989, S. 203. 315 Vgl. Bassenge / Herbst § 50a FGG Rz. 4 – Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Kindes gilt grundsätzlich auch für das Beschwerdegericht. Die nochmalige Anhörung ist also die Regel, vgl. dazu KG FamRZ 1983, S. 1159 (1161); BayObG FamRZ 1993, S. 1480; dass. FamRZ 1995, S. 500; NJW-RR 1997, S. 1437. 308

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

gebotene Anhörung unterlassen, so stellt dies einen Verfahrensfehler dar, der zur Aufhebung der Entscheidung führt. 316 Dies gilt auch dann, wenn die Anhörung der Kinder auf übereinstimmenden Wunsch der Eltern unterbleiben soll, um ihrem Kind die Belastung des gerichtlichen Verfahrens zu ersparen. 317 Zur Durchsetzung dessen steht dem Kind überdies gem. § 59 FGG ein eigenständiges Beschwerderecht zu, durch das es die Verfahrenseröffnung von Amts wegen erwirken kann. 318 Der Normzweck erfordert es, dem Kind die Ausübung seines Widerspruchsrechts ebenso lange aufrechtzuerhalten, wie es den Eltern möglich ist, ihre Einigung zu widerrufen. 319 Dies folgt bereits aus dem Gebot der „Waffengleichheit“ zwischen den korrespondierenden Optionen. Vor diesem Zeitpunkt gibt es weder Verzicht noch Verwirkung. Umgekehrt kann das Kind bis zur letzten Tatsacheninstanz seinen Widerspruch zurücknehmen. 320 Im Ergebnis heißt dies, dass der Widerspruch im Rahmen der Anhörung und auch noch in der Beschwerdeinstanz geäußert werden kann. Das bereits 14-jährige Kind kann von seinem Beschwerderecht gem. § 59 FGG gegen die erstinstanzliche Sorgerechtsentscheidung eigens zu dem Zweck Gebrauch machen, in zweiter Instanz der Regelung aufgrund des Elternkonsenses zu widersprechen. 321 ee) Rechtsfolge des Widerspruchs Anders als der Wortlaut des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 zunächst vermuten lässt, führt die Ausübung des Widerspruchsrechts nicht zur Abweisung des Alleinsorgeantrags, sondern verändert den Beurteilungsmaßstab. Der Widerspruch erschüttert die Vermutung, dass der einvernehmliche Elternvorschlag sich am Kindeswohl orientiert hat und hebt damit die Legitimation der familienautonomen Sorgerechtsgestaltung auf. 322 Der einvernehmliche Antrag ist daher anhand der gerichtlichen 316 Vgl. Reinecke FPR 1999, S. 167 (172); OLG Zweibrück dass. FamRZ 1999, S. 246; dass. DAV 1981, S. 765; OLG Hamburg FamRZ 1983, S. 527; BayObLG FamRZ 1984, S. 98; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, S. 393. 317 Vgl. Reinecke FPR 1999, S. 167 (172); OLG Zweibrück dass. FamRZ 1999, S. 246, wo ausdrücklich darauf verwiesen wird, dass die Eltern insoweit keine Dispositionsbefugnis haben. 318 Zur Anhörungspflicht im Beschwerdeverfahren vgl. BayObLG FamRZ 1999, S. 318; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 36; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 27; Staudinger / Coester (Bearb 2000) § 1671 Rz. 91. 319 Vgl. schon nach alter Rechtslage dazu MüKo / Hinz § 1671 Rz. 61. 320 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 95 – Er weist dabei zutreffend darauf hin, dass in diesen Fällen jedoch die Vermutung einer Willensbeeinflussung durch einen der Elternteile zumindest zu prüfen ist. Gegebenenfalls kann ein Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn das Kind durch die Ausübung seines Widerspruchsrechts in einen Interessenkonflikt mit den Eltern gerät. 321 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 94.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Kindeswohlprüfung gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 zu beurteilen. 323 Trotz der Eröffnung des streitigen Verfahrens führt der Kindeswiderspruch zunächst zu der richterlichen Verpflichtung, in einen intensiven Erörterungs- und Vermittlungsprozess mit den Beteiligten einzutreten, um den zutage getretenen familiären Konflikt beizulegen. 324 Die Intervention ist also vorrangig darauf gerichtet, durch gezielte Unterstützung einen familiären Kompromiss herbeizuführen und auf diese Weise die autonome Sorgerechtsgestaltung aufrechtzuerhalten. 325 So dient die gerichtliche Mitwirkung zunächst dazu, der Mitwirkung des Kindes bzw. seiner eigenen Einschätzung im familiären Entscheidungsprozess mehr Nachdruck zu verleihen. 326 Damit vermittelt das Gericht bei familieninterner Verständigung und gleicht auf diese Weise den Umstand aus, dass manche Eltern den Standpunkt ihres Kindes erst mit autoritärem Nachdruck hinreichend ernst nehmen. Sobald dieser mediative Verfahrensabschnitt gescheitert ist, wird der einvernehmliche Antrag wie ein streitiger Antrag gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 beurteilt. In Hinblick auf die Reichweite der gerichtlichen Prüfungskompetenz gelten in diesem Zusammenhang einzelne Besonderheiten. Beschränkt sich etwa das Kind darauf, dem Antrag nur teilweise zu widersprechen, so wird er doch grundsätzlich in seiner Gesamtheit von der gerichtlichen Kindwohlprüfung erfasst. 327 Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die Zustimmung nicht in einzelne Bestandteile aufgespalten werden kann, sondern auf eine einheitliche Sorgerechtsregelung gerichtet sein muss. 328 Nur bei einer ausdrücklichen Anpassung der Zustimmung zu dem verbleibenden unwidersprochenen Teil kann es zu einer Teilentscheidung gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 kommen. Auch bleibt die Entscheidungskompetenz in den strikten Grenzen des Antragsverfahrens. Das heißt zum einen, dass die elterliche Sorge durch den Kindeswiderspruch nicht insgesamt zur Disposition gestellt wird. Der Kindeswiderspruch ist damit also kein Instrument sich im Rahmen des Trennungssorgeverfahrens von der bestehenden Elternsorge zu befreien. 329 Die Übertragung des Sorgerechts auf einen Dritten unterliegt daher allein den strengen Voraussetzungen des §§ 1671 Abs. 3 iVm 1666. 330 Zum anderen gilt auch hier 322

Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 31. Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 94. 324 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 29; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 93; so auch schon Lüderitz FamRZ 1975, S. 605 (608). 325 Damit wird der Verfahrensmaxime der Beratung und Vermittlung gem. § 52 FGG eine besondere Ausprägung gegeben. 326 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 93. 327 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 28. 328 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 28; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 92. 329 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 94, § 1666 Rz. 141 spricht in diesem Zusammenhang davon, dass der Widerspruch kein Recht auf die „Scheidung von den Eltern“ beinhalte und keine Gelegenheit bieten solle, die elterliche Sorge insgesamt abzuschütteln. 323

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

der durch den Antrag gesetzte Rahmen, so dass unterhalb der Kindesgefährdung die Alleinsorge nur auf den Antragsteller, nicht aber auf den -gegner übertragen werden kann. 331 Insoweit können anders lautende Vorschläge des Kindes nur als Appell an den anderen Elternteil zur Antragstellung gewertet werden, ohne dass auf diese Weise das gerichtliche Entscheidungsspektrum erweitert würde. Zusammenfassend ist bei der gerichtlichen Abwägung vor allem zu berücksichtigen, dass der Widerspruch des Kindes nicht zwingend die einvernehmliche Lösung der Eltern disqualifiziert. Jedoch muss sie sich anhand der Kindeswohlbeurteilung bestätigen. 332 Soweit das Kind einen eigenen Vorschlag oder eine Begründung der Ablehnung des Elternantrags unterbreitet, ist dem besonderes Gewicht beizumessen. 333 Im Vordergrund steht aber auch hier die übergreifende Prämisse, dass nicht die Polarisierung der verschiedenen Positionen, sondern die Verständigung und der Kompromiss einer kindeswohlgerechten Lösung am besten dient. Die Maßstäbe richten sich im Übrigen nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2, mit denen sich der nächste Abschnitt befasst. 2. Übertragungstatbestand des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 Neben dem einvernehmlichen Antrag regelt das Gesetz in § 1671 Abs. 2 Nr. 2 die Übertragungsvoraussetzungen im streitigen Sorgerechtsverfahren. Danach ist die Alleinsorge auf den Antragsteller zu übertragen, „soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung der Alleinsorge auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.“ Erst in diesem Tatbestand wird also die Trennungssorge zum Gegenstand einer eigenen gerichtlichen Wertung. Während der erste Übertragungstatbestand das familiäre Einvernehmen privilegiert und die sorgerechtliche Selbstbestimmung der Eltern auf den unstreitigen Alleinsorgeantrag erweitert, verlagert sich hier im zweiten Übertragungstatbestand die Bestimmung des Kindeswohls aufgrund der Uneinigkeit der Eltern von den Eltern auf die Gerichte. 334 Dieser Übertragungstatbestand greift in seinem Regelungsansatz Teile der bisherigen Scheidungsintervention auf. Denn hier wird erneut der mit der Trennung regelmäßig verbundene Konflikt zwischen den Eltern zur Legitimation eines spezifischen gerichtlichen Eingriffstatbestands. Die Partnerschaftsauflösung bleibt 330 Nach alter Rechtslage galt insoweit, dass ein außerhalb des Antrags liegender Kindesvorschlag sogar die Bindungswirkung des Elternvorschlags nicht aufhob, vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 62, so weiterhin Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 94. 331 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 54; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 94. 332 Vgl. dazu schon MüKo / Hinz § 1671 Rz. 62; Diederichsen NJW 1980, S. 1 (9). 333 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 94. 334 Vgl. dazu Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1626); Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1102).

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damit ein Faktor, der die kindeswohlgerechte Ausübung der Elternverantwortung potentiell in Frage stellt und den Staat im Rahmen seiner Wächteramtsfunktion dazu beruft, die Sorgerechtsgestaltung individuell zu prüfen. Nur knüpft der Tatbestand nun nicht mehr an eine allgemeine Gefährdungsvermutung an. Nicht die allgemeine Einschätzung der Scheidung als kindeswohlgefährdende Konfliktsituation, sondern die akute Konfliktlage ist hier der Anknüpfungspunkt des Verfahrens. Grundlage dieses zusätzlichen Eingriffstatbestandes, der unterhalb der sonst maßgeblichen Schwelle des § 1666 die staatliche Intervention eröffnet, ist allein die Anrufung des Gerichtes mit dem Antrag eines Sorgeberechtigten. Sie bringt einen nachhaltigen Dissens zum Ausdruck, der die elterliche Autonomie in Frage stellt und der gerichtlichen Kontrolle unterzieht. 335 Das Prinzip der elterlichen Selbstbestimmung wird hier wegen des offenen Dissenses durchbrochen. Er entkräftet die gesetzliche Eignungsvermutung, die sonst eine gerichtliche Kontrolle ausschließt. Durch den Antrag wird damit die gesetzliche Regulierung des § 1687 zunächst aufgehoben und durch eine gerichtliche Einzelfallprüfung abgelöst. 336 Doch wird dem warnend entgegengehalten, dass man sich die tatsächlichen Konsequenzen der Entscheidung vor Augen führen und die Bedeutung dieses Tatbestandes nicht dramatisieren sollte. Die Relevanz der Entscheidung beschränke sich im Grunde auf die überschaubare Frage, ob der nicht betreuende Elternteil über sein Umgangsrecht hinaus auch an den grundlegenden Erziehungsfragen beteiligt sei. 337 Dieser Blickwinkel wird indessen der Tragweite der Sorgerechtsstellung nicht gerecht und scheint sie auf eine Formalie zu reduzieren. Wie aber die Ausführungen zur gesetzlichen Trennungssorge veranschaulicht haben, fließen hier weitreichende psychologische Momente ein, die eine langfristige Gestaltung der Elternsorge und das Verhältnis des Kindes zu beiden Eltern nachhaltig beeinflussen kann. So stehen sich hier die beiden Sorgerechtsformen offen konkurrierend gegenüber und müssen anhand des Kindeswohls konkret gegeneinander abgewogen werden. Hier ist neben der allgemeinen gesetzlichen Schwelle der gemeinsamen zur alleinigen Sorge, wie sie sich aus den Vorgaben durch §§ 1687, 1666 ergibt, eine weitere zu bestimmen. Sie stellt eine Besonderheit der Trennungssorge dar und formiert sich zwischen der gesetzlichen Regulierung des § 1687 und dem Gestaltungswillen eines Elternteils. Beide Ansätze des Kindeswohls sind durch die gerichtliche Einzelfallprüfung einander gegenüberzustellen und abzuwägen. Ihre Maßstäbe und Voraussetzungen werden im Folgenden genauer untersucht.

335 336 337

Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 98. Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 155. Vgl. Staudinger / Coester (Bearbeitung 2000) § 1671 Rz. 100.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

a) Grundsätze für den Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls Das Kindeswohl ist der Maßstab, nach dem die gerichtliche Entscheidung über die Trennungssorge getroffen wird. Als übergreifende Kategorie der rechtlichen Bewertung von Familienkonflikten bildet es den obersten Maßstab im sorgerechtlichen Entscheidungsprozess. Dieses umfassende Entscheidungskriterium ist damit von grundlegender Bedeutung. Es konkretisiert sich erst langsam in einem dynamischen Annäherungsprozess. Das heißt, dass das Kindeswohl sich als offener Rechtsbegriff engen Kategorien von richtig und falsch entzieht. Es geht vielmehr darum, die Vielzahl einfließender Faktoren und Gesichtspunkte zu gewichten und miteinander in Einklang zu bringen. Damit wird das Kindeswohl zum Synonym eines Abwägungsprozesses, das sich erst am Einzelfall konkretisiert. Dabei lassen sich allgemeine Charakteristika des Kindeswohls – als universelles Entscheidungsmerkmal aller kindesbezogenen Entscheidungen – von zusätzlichen trennungssorgespezifischen Kriterien unterscheiden. aa) Kindeswohl als genereller Maßstab Das Kindeswohl ist zunächst einmal der einheitliche und oberste Maßstab, an dem all jene Entscheidungen gemessen werden, mit denen der Staat die Belange des Kindes regelt. 338 Damit wird er zu einem universellen Richtwert, der die Rechtsstellung des Kindes insgesamt bestimmt und einheitlichem Verständnis unterliegt. 339 Dieser übergreifende Rechtsbegriff ist zugleich Eingriffslegitimation und Entscheidungsmaßstab. 340 In der näheren Bestimmung des Begriffs hat sich ein Wertungsgeflecht einer Vielzahl von Einzelaspekten entwickelt, anhand derer der Einzelfall beurteilt wird. Sie sind im Einzelnen im Rahmen der Beurteilung der Alleinsorge des Antragstellers näher zu betrachten. 341 Maßgeblich in diesem Zusammenhang ist zunächst, dass diesen Einzelkriterien nicht stets gleiche Bedeu338 Vgl. Magnus RdJR 1988, S. 158 (162); BVerfGE 31 S. 194; BGH FamRZ 1993, S. 314 (315) = NJW 1993, S. 126 = DAVorm 1993, S. 1335; Bez.G Erfurt FamRZ 1993, S. 830 = NJW-RR 1993, S. 906 (907). 339 Vgl. dazu Magnus RdJR 1988, S. 158 (162); BVerfGE 31 S. 194; BGH FamRZ 1993, S. 314 (315) = NJW 1993, S. 126 = DAVorm 1993, S. 1335; Bez.G Erfurt FamRZ 1993, S. 830 = NJW-RR 1993, S. 906 (907). 340 Vgl. Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 36, 135, 143; ders. Brühler Schriften zum Familienrecht, 6. DFGT, 1985, S. 35 f; ders. FamRZ 1992, S. 617; ders. 6. Deutscher-Familiengerichts-Tag, S. 35 (38 f); ders. Staudinger / Coester § 1666 Rz. 55, unter weiterem Verweis auf die Bedeutung des Kindeswohls als leitendem Prinzip des Verfahrens; anlehnend an diese Doppelfunktion des Kindeswohls vgl. auch BT-Drucks. 13/ 4899, S. 110; vgl. dazu auch Balloff in Proksch / Sievering S. 89; Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 20 f; Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (158). 341 Vgl. Abschn. C.III.2.c).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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tung beigemessen wird. Sie sind lediglich als mögliche Faktoren zu den übrigen ins Verhältnis zu setzen. Die Zielsetzung richtet sich darauf, einerseits alle Auswirkungen in Hinblick auf das Kindeswohl zu betrachten und andererseits kindesfremde Gesichtspunkte auszuschließen. 342 Insgesamt enthält das Kindeswohl dadurch ein im Wesentlichen zukunftsgerichtetes und prognosebezogenes 343 Optimierungsgebot. 344 Das auszufüllen, gibt der Rechtsbegriff in seiner Offenheit den Spielraum des Gerichtes für Einzelfallgerechtigkeit. 345 Ziel ist es, den konkreten Besonderheiten der kindlichen Lebenssituation bei der rechtlichen Auswertung gerecht zu werden, so dass auch die von der Rechtsprechung entwickelten Wertungsansätze stets auf ihre Anwendbarkeit im Einzelfall zu überprüfen sind. 346 Bei der Trennungssorge stehen sich dabei vor allem trennungsbedingte Kindeswohlgefährdung und Be342

Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 54; zum richterlichen Annäherungsprozess vgl. auch Oelkers FPR 1997, S. 78 f. 343 Insoweit enthält das Gesetz eine Klarstellung, indem es das prognostische Element nunmehr ausdrücklich hervorhebt, wenn die gerichtliche Sorgerechtsentscheidung daran geknüpft wird, „soweit zu erwarten ist“, dass der Antragsinhalt dem Kindeswohl am besten dient. 344 Vgl. Suess / Fegert FPR 1999, S. 157; Ewers FamRZ 1999, S. 477 (478) spricht hier vom kindeswohlimmanenten Superlativ. Insbesondere in Hinblick auf die bisherige Rechtslage entstand in diesem Zusammenhang eine Debatte über die kindeswohlgerechte Perspektive, die der Elternscheidung angemessen sei. Ein eher fatalistisch geprägter Blickwinkel entwarf die Formel, die „am wenigsten schädliche Alternative“ als Ziel des Sorgerechtsverfahrens voranzustellen. Im Vordergrund stand dabei vor allem das Argument, dass die Folgen des Zusammenbruchs der Elternehe die Entwicklung des Kindes zwingend beeinträchtigen. Der Verlust einer dauernden Bezugsperson sei daher so schonend wie möglich zu gestalten. (vgl. Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 49; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 28; BGH FamRZ 1985, S. 169 = NJW 1985, S. 1702; auch für die reformierte Rechtslage entsprechend Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III, Rz. 107). Kritisch wurde diese Formel vor allem wegen der vergangenheitsorientierten Perspektive auf das Scheitern der elterlichen Ehe abgelehnt und auf die unter den „gegebenen Umständen bestmögliche Lösung“ abgestellt (vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 51, unter Verweis auf die sachgerechte Relativierung der Gesetzesformulierung „am besten“ zum Gesetzentwurf des SorgeRG BT-Drucks. 8/2788, S. 61). Im Rahmen des KindRG hat diese Gegenüberstellung an Bedeutung verloren, da das direkte Anknüpfen an die gesetzliche Elternsorge einen stärkeren Bezug zur kindesorientierten Maximalforderung des Kindeswohls herstellt, ohne die Trennung der Eltern als eine zwingende Relativierung der sorgerechtlichen Zielsetzung zu sehen. 345 Die Generalklausel des § 1697a hat in diesem Zusammenhang eine reine Auffangfunktion (vgl. Palandt / Diederichsen § 1697a Rz. 2; Ewers FamRZ 1999, S. 477 (479)). Verdrängt durch die spezifische Ausgestaltung des § 1671, beschränkt sich dessen Bedeutung allein auf die Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten, wobei es in § 1671 grundsätzlich an einer eigenen Regulierung fehlt. Jedoch läuft sich dieser Punkt weitgehend leer, da die Zielsetzung der Trennungssorgeintervention sich auf die Vermeidung von Ressentiment aus dem Trennungskonflikt richtet, so dass die konkurrierenden Interessen der Eltern sich einander aufheben, vgl. dazu Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 116, 118.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

wahrung der bestehenden Rechtsverhältnisse gegenüber. Anstelle der komplexen Abwägung durch die gesetzliche Sorge treten hier die einzelnen Bestandteile und ihre jeweiligen Rechtsträger in den Vordergrund des Einzelfallmaßstabes. 347 So geht es gleichermaßen um die Umsetzung der einheitlichen Einschätzung der Kindesinteressen als auch um eine an Einzelaspekten orientierte Zielvorgabe, was zu einer Wechselwirkung zwischen übergreifender Gesamt- und spezifischer Einzelbetrachtung führt. 348 Konkret knüpft damit der Entscheidungsmaßstab der Trennungssorge im Wesentlichen an die bisherige Rechtslage an. Trotz der lang anhaltenden Kritik 349 übernimmt damit das KindRG den offenen und unbestimmten Rechtsbegriff als Entscheidungsgrundlage. Die Sorgerechtsübertragung richtet sich weiterhin nach 346 Vgl. Balloff in Proksch / Sievering S. 84; Beres ZBlJR 1982, S. 449; Coester „Kindeswohl“ S. 465 f; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 82; Suess / Fegert FPR 1999, S. 157; BGHZ 3, S. 53 (60); BayObLG FamRZ 1973, S. 223 (226); KG FamRZ 1978, S. 829 (830); OLG Düsseldorf FamRz 1973, S. 316 (318); OLG Hamm FamRZ 1988, S. 1313 (1314 f); OLG Karlsruhe Justiz 1975, S. 29; OLG Köln FamRZ 1976, S. 32 f. 347 Vgl. zu den „Basic-needs“ des Kindes nach Maßgabe der UN-Kinderkonvention Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (159). 348 Vgl. dazu nach der alten Rechtslage bereits Staudinger / Coester § 1666 Rz. 60, der in diesem Zusammenhang von einer „Stimmigkeitskontrolle“ spricht. 349 Die Kritik richtet sich zunächst auf die unzureichende Bestimmtheit des Kindeswohlbegriffs. Die Generalklausel schafft als individuell zu gewichtender Maßstab einen Zwiespalt zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallorientierung (Coester „Kindeswohl“, S. 143 mwN spricht in diesem Zusammenhang von „Gleichgerechtigkeit“ einerseits und „individueller Sachgerechtigkeit“ andererseits). Dadurch entsteht jedoch die Gefahr, dass unter dem pauschalen Verweis auf das Kindeswohl eine willkürliche oder vollends vernachlässigte Einbeziehung der Kindesinteressen nicht wirksam überprüft werden könne (Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 3; Gernhuber FamRZ 1973, S. 229 (234 f); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876), der den engen Zusammenhang zwischen Diagnose und Intervention bzw. Interpretation herausstellt). Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass dieser als „pseudonormative Leerformel“ (Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (468)) oder „inhaltsleere Worthülse“ (Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876)) bezeichneter Maßstab beliebig zur Durchsetzung von Parteiinteressen dient, so dass seine Konkretisierung durch einfach erkennbare Indikatoren vielfach erwogen wird (Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (468); Ell ZBlJugR 1980, S. 19 (321); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876); Limbach ZfRSoz 1988, S. 155; Lüderitz FamRZ 1975, S. 605 (607 f)). Eine statische Auslegung der Tatbestandsmerkmale, um die Rechtssicherheit zu betonen, widerspricht aber bereits dem grundlegenden Normzweck (vgl. Beres ZBlJugR 1982, S. 449). Hinzu kommt, dass gesellschaftlicher Pluralismus und zunehmende Vielfalt der Lebensformen eine universelle Wertung des Kindeswohls nicht zulassen. Dazu trägt überdies eine zu ungenaue Kenntnis des Zusammenspiels verschiedener Einflussfaktoren für die Entwicklung von Gesetzmäßigkeiten maßgeblich bei (vgl. Coester „Kindeswohl“, S. 160 ff mwN; ders. Brühler Schriften zum Familierecht, 6. DFGT, 1986, S. 35 (39,41 f); Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 100; Magnus RdJR 1988, S. 158 (162) unter Hinweis auf die deutliche Tendenz, Nachbarwissenschaften in die rechtlichen Erwägungen mit einzubeziehen.); zu den Problemen der Eruierung des Kindeswohls im Einzelfall vgl. Figdor FPR 1997, S. 282 (283 f).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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einem dynamischen Auslegungsprozess 350, bei dem der Richter gleichsam an der Normvollendung beteiligt wird, indem er die konkrete Bedeutung des Kindeswohls erst anhand des Einzelfalls bestimmt. 351 Nicht der standardisierte oder formalisierte Erkenntnisakt, sondern vor allem ein individueller Gesamteindruck steht damit im Vordergrund gerichtlicher Betrachtung. 352 Jedoch muss man sich deutlich vor Augen führen, dass sich die Kindesinteressen dabei nicht als isolierbarer, abstrakter Maßstab darstellen. Zwischen den beteiligten Individualinteressen besteht eine unauflösbare Interdependenz. 353 Das kindesorientierte Einzelinteresse ist immer im Verhältnis zu den Gemeinschaftsinteressen zu sehen, in die das Kind unmittelbar eingebunden ist. 354 Die Einschätzung des Kindeswohls vollzieht sich daher durch eine multifaktorielle Annäherung, indem sowohl die Wechselbe350 Zu den besonderen Schwierigkeiten in diesem Konkretisierungsprozess vgl. Figdor FPR 1997, S. 282 ff. Als die von ihm herausgestellten Unzulänglichkeiten oder doch zumindest Risikofaktoren sollen hier exemplarisch folgende genannt werden: der vermeintlichen Objektivität der Gerichtsentscheidung steht bereits entgegen, dass es zum einen keine objektive Beurteilung nach Maßgabe der psychologischen und pädagogischen Gesichtspunkte gibt. Zum anderen fehlt es dem Richter an Objektivität, der den Sachverhalt nach eigenen Wertvorstellungen beurteilt. Schließlich folgt auch aus der Vielfalt einfließender Faktoren mit unterschiedlicher Bedeutung erhebliche Unsicherheit. All diese Gesichtspunkte führen zu einem starken Willkürfaktor innerhalb des Entscheidungsmaßstabs; vgl. dazu auch Koritz-Dohrmann FPR 1997, S. 253, die vor allem auf den unterschiedlichen Begriff des Kindeswohl, der einzubeziehenden Disziplinen hinweist, die juristische, pädagogische, kulturelle und psychologische Bestandteile in die Abwägung einführen; ähnlich auch Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 ff, die von der „Mehrdimensionalität“ des Kindeswohls sprechen. 351 Vgl. Coester „Kindeswohl“, S. 169 f; Simitis in Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 100; zur Einbeziehung der Nachbarwissenschaften vgl. Coester „Kindeswohl“, S. 158, 162 f; Fthenakis Brühler Schriften zum Familienrecht – 5. DFGT (1984) S. 33; ders. Archiv für soziale Arbeit 1986, S. 174; u. a. „Ehescheidung“; Puls ZfJ 1984, S. 8 (11); Proksch in Proksch / Sievering, S. 69; ders. FamRZ 1989, S. 916 (917). 352 Vgl. BGH FamRZ 1990, S. 392 (393); BGH NJW 1985, S. 1702 (1703); BGH NJW 1985, S. 1702 = FamRZ 1985, S. 169; OLG Bamberg FamRZ 1988, S. 750 (751); OLG Frankfurt FamRZ 1978, S. 261 (262); OLG Oldenburg JR 1957, S. 143 (144); Staundinger / Coester § 1671 Rz. 67. Ausnahmen bilden zu diesem Grundsatz der „Muttervorrang“ bei Kleinkindern und der „Vatervorrang“ bei Jungen, vgl. Lempp FamRZ 1986, S. 530 (531); Hinz ZfJ 1984, S. 529; Lüderitz FamRZ 1975, S. 605 (609) spricht in diesem Zusammenhang von Indiztatbeständen, die hinter einem im Einzelfall konkret festgestellten Kindesinteresse zurücktreten; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht geschiedener Eltern“, S. 71; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 28; kritisch dazu Fthenakis Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT (1984) S. 33 (39). 353 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 53; an dieser Stelle sind bereits Elemente einer systemischen Betrachtungsweise der Nachscheidungsfamilie erkennbar, die die Auflösung der Elternpartnerschaft nicht mehr als einen Zerfall der Familie, sondern nur als einen Umstrukturierungsprozess auffasst, vgl. Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 206 ff; Fthenakis Brühler Schriften Bd. 3 (1984), S. 33; ders. „Väter“ Bd. 1, S. 210 ff, ders. FamRZ 1985, S. 662; Jopt FamRZ 19887, S. 875; Proksch FamRZ 1989, S. 916 (918); Rabaa „Kindeswohl im Elternkonflikt“ S. 27; weitere Ausführungen siehe auch unter dem Abschnitt C.III.2.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

ziehung zum Elterninteresse als auch die Vielfalt seiner einfließenden Faktoren abgewogen werden. 355 bb) Spezifische Ausgestaltung des Kindeswohl-Maßstabs bei Trennungssorge Das Kindeswohl hat neben den allgemeinen Grundsätzen zusätzlich eine spezifische Ausprägung durch die Trennungssorge. Dabei wird die allgemeine Zielsetzung des Entscheidungsmaßstabs konkretisiert durch eine ausdrückliche Vorgabe der gerichtlichen Kindeswohlprüfung. 356 So wird die Übertragung der Alleinsorge einer „doppelten Hürde“ 357 unterworfen. 358 Das Gesetz nennt zwei Bezugspunkte, unter denen der Alleinsorgeantrag nach Maßgabe des Kindeswohls zu untersuchen ist. Der erste richtet sich darauf, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten dient, während der zweite die Alleinsorge des Antragstellers am Kindeswohl misst. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob es sich bei diesen beiden Aspekten um zwei eigenständige, isoliert zu prüfende Tatbestandsmerkmale handelt. Dem wird vor allem entgegengehalten, dass sowohl der Wortlaut als auch der Zweck der Vorschrift eine einheitliche Prüfung unter hermeneutischer Verknüpfung beider Aspekte erfordert. 359 So könne nur mit Blick auf die alternative Alleinsorge beurteilt werden, ob die „Aufhebung der gemeinsamen Sorge“ dem Kindeswohl am besten entspreche. Denn selbst wenn die gemeinsame Sorge im Einzelfall eine schlechte Lösung sei, könne die Aufhebung nur angezeigt sein, wenn die Überlegenheit der beantragten Sorge feststehe. 360 Umgekehrt könne sich die Beurteilung der gemeinsamen Sorge auch nur aus der Gegenüberstellung mit der Alleinsorge ergeben, zu der es aber nicht komme, wenn sie als noch hinreichend kindeswohl354 Vgl. Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 206; Fthenakis Brühler Schriften Bd 3 (1984), S. 33 (37). 355 Vgl. aber auch Staudinger / Coester § 1671 Rz. 53, der darauf hinweist, dass das Primat des Kindeswohls andere Interessen zumindest insoweit verdrängt, als sie dort zurücktreten müssen, wo sie mit den Interessen des Kindes in Widerspruch treten; vgl. dazu auch BGH FamRZ 1976, S. 446 (447); BVerfG FamRZ 1982, S. 1179 (1183). 356 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 66, der dies in der richterlichen Verpflichtung zusammenfasst, „jeden allgemein anerkannten Kindswohlaspekt auf seine Bedeutung gerade für das betroffene Kind zu überprüfen und nur dann und nach dem Gewicht zu berücksichtigen, das der Aspekt im konkreten Fall hat“; vgl. dazu auch ders. „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 143; BGHZ 3, S. 53 (60); KG FamRZ 1978, S. 829 (830); OLG Düsseldorf FamRZ 1973, S. 316 (318); OLG Hamm FamRZ 1988, S. 1313 (1314). 357 Vgl. Pieper FuR 1998, S. 1 (4); vgl. dazu auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 106. 358 Vgl. Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (265). 359 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 104 ff. 360 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 104.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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dienlich zu beurteilen sei. 361 Gleichzeitig wäre das Familiengericht gezwungen, sich für die „schlechtere“ Sorgerechtsform zu entscheiden, wenn es zwar auf erster Stufe die Vorzugswürdigkeit der Alleinsorge gegenüber der gemeinsamen Sorge festgestellt habe, aber den Antragsgegner als geeigneter für die Alleinsorge erachte. 362 Schließlich spreche das Gesetz davon, dass die Kriterien dem Kindeswohl am besten „entspricht“, was impliziere, dass sie gemeinsam einen einheitlichen Prüfungspunkt darstellen. 363 Diese Einwände gegen eine stufenweise Prüfung des Kindeswohls vermögen aber nicht zu überzeugen. Dies ergibt sich zunächst aus systematischen Erwägungen. Denn die gerichtliche Einzelfallprüfung ist im Zusammenhang mit der gesetzlichen Trennungssorge zu sehen. Demnach ist die vorgesehene gemeinsame Sorge bereits eine Folge gesetzlicher Güterabwägung bzw. Kindeswohleinschätzung. Wird also zunächst die Aufhebung der gemeinsamen Sorge in Hinblick auf das Kindeswohl geprüft, so wird hier sachgerechterweise die generelle Abwägung des § 1687 der beantragten Einzelfallbeurteilung gegenübergestellt. Dies führt auch nicht zu einer künstlichen Differenzierung bei der Beurteilung der Sorgerechtsformen, sondern unterscheidet zutreffend die verschiedenen Ebenen ihrer Abwägung. Denn erst nach einer übergreifenden Kindeswohlerwägung, bei der die grundlegenden Konzeptionen der konkurrierenden Sorgerechtsformen gegenübergestellt werden und einen Eingriff in eine Elternposition rechtfertigen, können die Einzelheiten der Alleinsorge ins Gewicht fallen. Schließlich führt dieses Tatbestandsverständnis auch nicht zu sachwidrigen Ergebnissen. Denn der daraus vermeintlich folgende Zwang zu einer Entscheidung für die „schlechtere“ Sorgerechtsform lässt zweierlei außer Acht. Zum einen eröffnet der erste Prüfungsschritt zunächst lediglich die Disposition über die Sorgerechtsform, ohne zwingend die Überlegenheit der Alleinsorge festzustellen. Zum anderen bilden beide Aspekte letztlich eine einheitliche Kindeswohlbeurteilung, bei der die Ablehnung der Alleinsorge auf zweiter Stufe einer gemeinsamen Sorge erneut den Vorzug einräumen kann, da auf diese Weise der geeignetere Elternteil im Rahmen der gemeinsamen Sorge dem Kind bewahrt wird. Dieser Beurteilung steht auch der Wortlaut nicht entgegen. Das angeführte Wortlautargument, es handele sich um eine einheitliche Prüfung, weil beide Aspekte zu untersuchen seien, ob sie „dem Wohl des Kindes entspricht“ – also im Singular – erscheint nicht überzeugend. Dies unterschlägt die grammatikalische Tatsache, dass das Verb auch bei Aufzählung im Singular stehen kann, wenn diese Konjugation jedem einzelnen Faktor der Aufzählung entspricht, so dass aus dem Wortlaut keine zwingend einaktige Beurteilung abzuleiten ist.

361 362 363

Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 106. Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 107. Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 105.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Die Prüfung des Kindeswohls erfolgt damit auf zwei Stufen. 364 Sie teilt sich einmal in die Gegenüberstellung der alternativen Sorgerechtsformen, an der gerichtlich überprüft wird, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl entspricht. Nur wenn dies angenommen wird, wendet sich die Kindeswohlprüfung der konkreten Alleinsorgeübertragung auf den Antragsteller zu. Mit dieser normativen Anordnung lässt sich der gerichtliche Entscheidungsvorgang in eine absolute und relative Kindeswohlprüfung gliedern. Der status quo als grundlegende Rahmenbedingung muss zuerst als absolute bzw. universelle Wertung des Kindeswohls zur Disposition gestellt werden. Erst im Anschluss daran ersteht der Raum für die relative Beurteilung des Antrags, indem man die denkbaren Alternativen der Alleinsorgegestaltung vergleichend nebeneinander stellt. Schließlich werden in der Beurteilung des Endergebnisses die beiden Tatbestandsmerkmale in Hinblick auf das Kindeswohl miteinander verknüpft. Abschließend wird das Ergebnis dem status quo in einer Gesamtbetrachtung gegenübergestellt und untersucht, ob es sich insgesamt als eine Verbesserung für das Kind darstellt. 365 Diese Gliederung der Kindeswohlprüfung veranschaulicht einen grundlegenden Einschnitt für die Sorgerechtsentscheidung. Das Gesetz gibt teilweise die bisherige Neutralität auf und nimmt in § 1687 eine tatbestandliche Ausgestaltung der Kindeswohlprüfung vor. 366 Daraus folgen vor allem zwei Aspekte, wodurch die Sorgerechtsentscheidung nun geprägt wird. Zum einen wird das gerichtliche Sorgerechtsverfahren zum Bestandteil eines gesetzessystematischen Geflechts. Die Beurteilung setzt sich nunmehr aus drei Elementen elterlicher, gesetzlicher und gerichtlicher Kindeswohlbeurteilung zusammen, die zueinander ins Verhältnis 364 Vgl. AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); OLG Hamm NJW 1999, S. 68 (69) = FamRZ 1999, S. 38 f; OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 673 (674); AG Solingen FamRZ 1999, S. 183; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 32, 42; Niepmann MDR 1998, S. 565 (566); Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462). 365 Vgl. Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1102); vgl. überdies zu dieser Methodik der wechselnden Einzel- und Gesamtbetrachtung Schwab „Handbuch des Scheidungsbuchs“ / Motzer, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 105; vgl. dazu auch nach der bisherigen Rechtslage BGH FamRZ 1985, S. 169 (171) = NJW 1985, S. 1702 (1703); etwas anders Haase / KlosterHarz FamRZ 2000, S. 1003 (1005 f), die auf der dritten Stufe eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung befürworten, bei der der Verlust der Sorgerechtsstellung des einen Elternteils der dadurch gewonnenen Entlastung des Kindes gegenübergestellt wird. Diese Prüfungsfolge erscheint aber nicht überzeugend, da das Kindeswohl ein uneingeschränkt vorrangiges Entscheidungskriterium darstellt, dessen Rechtsfolge sich nicht gegenüber anderen Rechtsstellungen gesondert rechtfertigen muss. 366 Bislang war die gerichtliche Prüfung im Sorgerechtsverfahren gem. § 1671 a.F. inhaltlich ohne Vorgaben, indem es dort hieß: „Das Gericht trifft die Regelung, die dem Wohle des Kindes am besten entspricht“. Die ausdrückliche Betonung der Bindung des Kindes, insbesondere an die Eltern und Geschwister, hatte in diesem Zusammenhang eine vorwiegend exemplarische Funktion, ohne der gerichtlichen Wertung vorzugreifen, allg. Ansicht, vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 28 f; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 68, der darauf hinweist, dass jede verbindliche Fixierung gegen die Offenheit des individuellen Kindeswohls verstoßen würde.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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zu setzen sind. Vor allem aber entsteht damit ein Ergänzungsverhältnis zwischen verschiedenen Ansätzen staatlicher Kindeswohleinschätzungen, die sich aus universeller und individueller Beurteilung zusammensetzen. Beide werden in der gerichtlichen Einzelfallbeurteilung verbunden, indem der Ausgangspunkt der einzelfallorientierten Betrachtung in der individuellen Überprüfung der gesetzlichen Prämisse zugunsten der gemeinsamen Sorge besteht. 367 Zum anderen gibt diese Folge der Kindeswohlprüfung einen inhaltlichen Fokus vor. So veranschaulicht die zweistufige Prüfungsfolge, dass die beiden Sorgerechtsformen nicht neutral nebeneinander stehen. Vielmehr rückt die Beurteilung der Alleinsorge in den Mittelpunkt des Sorgerechtsverfahrens, indem sie sich als beantragte Sorgerechtsform zunächst an der bestehenden messen lassen muss, ihr damit gleichsam rein strukturell nachgeordnet wird und nicht wie bisher, in der zwingend neu zu regelnden Scheidungssorge eine zweier gleichrangiger Alternativen darstellt. Damit lassen sich bereits aus dieser tatbestandlichen Ausgestaltung die Rahmenbedingungen des Sorgerechtsverfahrens und damit auch ein Stück weit das Verhältnis zur gesetzlichen Regulierung ableiten. Die kindeswohlbezogene Abwägung des § 1687 fließt damit in die gerichtliche Entscheidung auf der ersten Prüfungsstufe ein und formt einen einheitlichen Kindeswohlbegriff in der systematischen Gesamtheit der Trennungssorge. 368 Das Kindeswohl wird auf diese Weise in seinen Vorzeichen und seinen grundlegenden Konturen bestimmt und bildet in dieser Gestalt die Grundlage der Einzelbewertung anhand der Tatbestandsmerkmale. So legt der damit geschöpfte Entscheidungsmaßstab den Grundstein für die zentrale Debatte über das Verhältnis der Sorgerechtsformen, die nun anhand der Einzeltatbestandsmerkmale näher zu untersuchen sein wird. b) Aufhebung der gemeinsamen Sorge nach Maßgabe des Kindeswohls Die Übertragung der Alleinsorge setzt als erstes Tatbestandsmerkmal des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 voraus, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht. Hier stehen sich die beiden konkurrierenden Sorgerechtsformen gegenüber und müssen in Hinblick auf das Kindeswohl gegeneinander abgewogen werden. Dem liegt die zentrale Frage zugrunde, in welchem Verhältnis gemeinsame und alleinige Trennungssorge innerhalb des Entscheidungsprozesses zueinander stehen. 369 Beruht die Einzelfallbeurteilung also auf einem gleichwertigen Nebeneinander der Sorgerechtsformen, das allein durch uneingeschränktes gerichtliches 367 Zu der Verflechtung zwischen § 1687 und § 1671 nach gesetzessystematischen Gesichtspunkten und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vgl. in diesem Kap. Abschn. II.2.b)cc) sowie II.4. 368 A. A. Oelkers FPR 1999, S. 132 (134). 369 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 113.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Ermessen zu gewichten ist, oder ergibt sich bereits aus dem Regelungszusammenhang eine Vorgewichtung? Im Zentrum dieser Betrachtung steht die sog. RegelAusnahme-Diskussion. Hier ist entscheidend, in welchem Verhältnis die gesetzliche Trennungssorgeregulation zur gerichtlichen Einzelfallgestaltung steht. Dabei gilt es vor allem zu prüfen, ob es zugunsten der gemeinsamen Sorge eine „Vermutung“ gibt, vor deren Hintergrund die Alleinsorge eine begründungspflichtige Ausnahme darstellt. 370 Maßgeblich sind diese Fragestellungen vor allem für die Beurteilung des Zweifelsfalls, dem non-liquet. Denn hier ist ohne eine erkennbare Vorzugswürdigkeit einer Sorgerechtsform eine Entscheidung zu treffen, indem einer Sorgerechtsform im Zweifel der Vorrang eingeräumt wird. Die Gewichtung richtet sich letztendlich danach, welche Bedeutung dem Alleinsorgeantrag beizumessen ist und ob eine gemeinsame Sorge gegen den Willen der Eltern mit dem Kindeswohl vereinbar erscheint. 371 aa) Regel-Ausnahme-Diskussion Die Übertragung der Alleinsorge im streitigen Verfahren ist deutlich bestimmt durch die Diskussion zum sog. Regel-Ausnahme-Verhältnis der Sorgerechtsformen. Denn aus der Einschätzung der sich hier gegenüberstehenden Positionen ergibt sich der Maßstab der Einzelfallbeurteilung. 372 Dabei knüpfen die Positionen unmittelbar an die Debatte zur alten Rechtslage an 373 und führen damit die oft sehr

370 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 13 ff; Liermann FamRZ 1999, S. 809; Mühlens KinderPrax 1998, S. 3; Salzgeber KinderPrax 1998, S. 43; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38 f; OLG Stuttgart FamRZ 1998, S. 39; AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322 ff). 371 Vgl. dazu vor allem die Fragestellung des BGH-Urteils FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203 unter dem Stichwort „Gemeinsamkeit lässt sich nicht verordnen“ – befürwortend Sittig / Störr FuR 2000, S. 199; gegen eine zwangsweise Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge ausdrücklich auch KG FamRZ 2000, S. 505; kritisch Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003. 372 Kritisch zur Aussagekraft dieser Fragestellung für die sorgerechtliche Beurteilung nach alter Rechtslage vgl. Coester EuGRZ 1982, S. 256 (263); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 27; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 72; Magnus RdJB 1988, S. 158 (166) und Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 93 f; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 165, 167 sprechen in diesem Zusammenhang von einer künstlichen und für die tatsächliche Anwendung der gemeinsamen Sorge wenig hilfreichen Unterscheidung. 373 Zum historischen Hintergrund der Regel-Ausnahme-Diskussion: Die Regel-Ausnahme-Diskussion nahm ihren Anfang mit dem Urteil des BVerfG (61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298), durch das die gemeinsame Sorge bei Scheidung neben die bisher obligatorische Alleinsorge trat. Die Reichweite der gemeinsamen Sorge sollte bestimmt werden, um der durch das Urteil und den damit gesetzlich ungeregelten Bereich entstehenden Unsicherheit zu begegnen. Ausgangspunkt war zunächst, die Bedeutung der verfassungsrechtlichen Vorgabe für die Scheidungssorge zu begrenzen. Die wohl überwiegende Auffassung blieb der bisherigen

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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ideologisch polarisierte oder emotional anmutende Auseinandersetzung fort. 374 Denn während für die einen die gemeinsame Sorge als neue Möglichkeit zur Ab-

Wertung verhaftet, wonach die Alleinsorge auch weiterhin die grundsätzlich adäquate Sorgerechtsform nach der Scheidung darstellte und fasste daher die gemeinsame Sorge als einen Ausnahmefall auf (vgl. KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057); OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759); Dörr NJW 1989, S. 690 (691 f); Finger DRiZ 1985, S. 91 f; Johannsen / Henrich / Jaeger „Eherecht“ § 1671 Rz. 79; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907 f); Kropholler JR 1984, S. 89 (94); Luthin FamRZ 1983, S. 648 f; ders. abweichend „Gemeinsame Sorge nach der Scheidung“, S. 29; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (129); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 7; Puls ZfJ 1984, S. 8 (12); SchmidtRäntsch FamRZ 1983, S. 17; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 124; für die Überzeugung der Richterschaft vgl. Limbach „Studie“, S. 55 f; a. A. Müko / Hinz § 1671 Rz. 72; Hinz ZfJ 1984, S. 529 (533); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 80; Schwab „Handbuch“ III, Rz. 92). Im Scheidungsverbund stand dabei weiterhin die Vermeidung des Elternkonfliktes als eine der größten situationsimmanenten Gefahren im Vordergrund der Intervention. Die gemeinsame Sorge wurde lange Zeit als eine elitäre Sorgerechtsform aufgefasst, die an die Eltern erhöhte Anforderung an Reflektion und Abstraktion ihrer Erziehungsfunktion gegenüber ihrem Partnerkonflikt stellt. Im Zweifelsfall galt daher weiterhin die Alleinsorge als geboten. Die gemeinsame Sorge war kritisch zu begrenzen, deren immanenter Ausnahmecharakter voraussetzte, dass der Einzelfall signifikant von dem typischen Scheidungsfall abweiche (Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445; Beres DAVorm 1983, S. 16 (17); Kropholler JR 1984, S. 89 (95); Erman / Michalski § 1671 Rz. 43; Giesen in der Anm. zu BVerfGE 61, S. 358 in JZ 1983, S. 301 f; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht geschiedener Eltern“, S. 70; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (418); Neuhaus FamRZ 1980, S. 1089 (1090); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 6; Soergel / Strätz § 1671 Rz. 19; AG Arnsberg FamRZ 1985, S. 424 (426); FamRZ 1986, S. 1145; KG FamRZ 1989, S. 654). Anderenfalls drohe eine Aushöhlung der fortbestehenden Gesetzeswertung zugunsten der Alleinsorge (AG Arensberg FamRZ 1985, S. 424). Spezifische Gefahren wurden hier vor allem in der sachfremden Motivation der Eltern, verbleibender Prognoseunsicherheit und etwaige fehlender Dauerhaftigkeit elterlicher Kooperation gesehen (vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 63; Klußmann, FamRZ 1982, S. 118 (122); BVerfGE 61, S. 358 (378, 381)). Unter dem Stichwort der sog. Sogwirkung wurde überdies befürchtet, dass nun eine unüberschaubare Flut von Anträgen auf die Gerichte zukomme, die sie in Hinblick auf die erforderliche Sachverhaltsermittlung überfordere und dazu führe eine Vielzahl unzureichend geprüfter Einzelfälle in die gemeinsame Scheidungssorge zu entlassen (Lempp „Gerichtliche Kindesund Jugendpsychiatrie“, S. 15). Daraus wurde die vom BVerfG nicht ausdrücklich vorgesehene, vierte Übertragungsvoraussetzung von der Rechtsprechung entwickelt, wonach der Richter zu der persönlichen Überzeugung gelangen musste, dass die Eltern zur einvernehmlichen Fortsetzung der gemeinsamen Sorge geeignet seien (Befürworter der richterlichen Überzeugungsbildung als ein viertes Kriterium der Übertragung gemeinsamer Sorge, neben subjektiver und objektiver Elterneignung sowie Kindeswohl, vgl. KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057); OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758 (759); Dörr NJW 1989, S. 690 (691 f); Finger DRiZ 1985, S. 91 f; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907 f); Kropholler JR 1984, S. 89 (94); Luthin FamRZ 1983, S. 648 f; ders. abweichend „Gemeinsame Sorge nach der Scheidung“, S. 29; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (129); Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 7; Puls ZfJ 1984, S. 8 (12); Schmidt-Räntsch FamRZ 1983, S. 17; Schwenzer „Vom Status zur Realbeziehung“, S. 124; für die Überzeugung der Richterschaft vgl. Limbach „Studie“, S. 55 f; kritisch dazu Müko / Hinz § 1671 Rz. 72; ders. ZfJ 1984, S. 529 (533); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 80; Schwab „Handbuch“

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

kehr bisheriger scheidungsbedingter Gefahren für das Kind darstellt 375, sehen die anderen darin eine unverantwortliche Preisgabe des Kindes an die erbitterten Grabenkämpfe der Eltern. 376 Pauschale Ansätze vermögen jedoch der komplexen Güterabwägung kaum zu genügen.

III, Rz. 92). Demgegenüber wurden im Laufe der Zeit die Stimmen stärker, die auf den verfassungsrechtlichen Schutz des Elternrechts verwiesen und die Krisenhaftigkeit ehelicher Erziehung vergleichend heranzogen. Das Bild des Sprinters, dessen Leistungsfähigkeit untersucht wird, während sein Bein in Gips liegt, wurde gegen eine vorschnelle Schutzprophylaxe und pauschale Konfliktannahme vorgebracht (Jopt FamRZ 1987, S. 875 (881)). Hiermit verwies man vor allem auf die empirische Erkenntnis, dass die trennungsbedingte Konfliktbelastung nach regelmäßig eintretender Gewöhnung deutlich nachlasse. Beide Seiten beriefen sich gleichermaßen darauf, dass das BVerfG ausdrücklich hervorgehoben hatte, das Verhältnis der Sorgerechtsformen sei offen und durch den Gesetzgeber zu bestimmen (BVerfGE 61, S. 358 (380); zur Debatte vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 64; AG Charlottenburg FamRZ 1983, S. 420; vgl. auch Dörr NJW 1989, S. 690 (692); KG FamRZ 1983, S. 1055 (1057); gegen eine zwingende Vorrangstellung der gemeinsamen Sorge Hinz ZfJ 1984, S. 529 (537); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59 f); Coester EuGRZ 1982, S. 256 (261 f); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (137)). Wenige gingen so weit, eine positive Förderungspflicht der gemeinsamen Sorge abzuleiten (vgl. dazu Limbach „Studie“, S. 10; befürwortend: OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89; OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 509; Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (665, 668)). Nur vereinzelt wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit dieses stereotype Denken in statischen Kategorien einer einzelfallgerechten Sorgerechtsbeurteilung überhaupt dienen könne (vgl. dazu Coester EuGRZ 1982, S. 256 (263); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 27; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 72; Magnus RdJB 1988, S. 158 (166); Staudinger / Coester § 1671 a.F. Rz. 165, 167 spricht in diesem Zusammenhang von einer künstlichen und für die tatsächliche Anwendung der gemeinsamen Sorge nur wenig hilfreichen Unterscheidung). – vgl. dazu auch Kap. A., Abschn. III.2.c). 374 Zur Kontinuität der Diskussion vgl. auch Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1103) mwN; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1379). 375 Zu den verschiedenen Ansätzen einer positiven Bewertung der gemeinsamen Sorge vgl. Coester in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 6. DFGT (1985), S. 35 (45 ff); ders „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 138; ders. in Proksch / Sievering, S. 51; Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); Fthenakis in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT, S. 33 (38 f); Limbach ZfRSoz 1988, S. 155 (160); Magnus FamRZ 1988, S. 518 (162 f); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 103 spricht von einem sorgerechtlichen Optimierungsgebot; BVerfG NJW 1982, S. 983; dass. NJW 1981, S. 217 (218); dass. FamRZ 1971, S. 421 (424); Jayme Brühler Schriften zum Familienrecht, 4. DFGT, 1980, S. 7 (15); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876); Magnus RdJR 1988, S. 158; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132). 376 Vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (453); Finger DRiZ 1985, S. 96; Heiliger FamRZ 1992, S. 1008 (1009); Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120); Kropholler JR 1984, S. 95; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 34; Jopt ZfJ 1990, S. 288; Lempp „Ehescheidung und das Kind“, S. 37; ders. ZfJ 1984, S. 305 (307); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 39; Luthin „Gemeinsamens Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 55 f; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132, 135); Oelkers / Kasten FamRZ 1993, S. 18 (20); Röchling ZfJ 1992, S. 516 (522); Wallerstein / Blanklee „Gewinner und Verlierer“, S. 315; zum Problem der Kindesanhörung vgl. auch Magnus RdJR 1988, S. 158 (165).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Betrachtet man die Regel-Ausnahme-Diskussion näher, ist zunächst die sorgerechtlich relevante Fragestellung zu präzisieren. So geht es hier nicht in erster Linie um eine reale Verbreitung der gemeinsamen Sorge 377, die der Rechtspraxis und dem zukünftigen Verhalten der Eltern nach der Trennung 378 vorbehalten bleibt. 379 Vielmehr ist in diesem Zusammenhang vorrangig danach zu fragen, ob das Reformgesetz eine Gewichtung und Priorität des Kindeswohls für die Abwägung der Sorgerechtsformen vorgibt, an der sich die gerichtliche Einzelfallentscheidung orientieren muss. Keine dogmatischen Kategorien, sondern Tendenzen bei der gerichtlichen Gewichtung stehen hier im Vordergrund der Betrachtung. Dabei hat der gesetzliche Trennungssorgetatbestand bereits einen sorgerechtlichen Parameterwechsel aufgewiesen, der nun hinsichtlich seiner Auswirkung auf die gerichtliche Entscheidung zu untersuchen ist. Maßgeblich ist also das normative Verhältnis von § 1687 zu § 1671 Abs. 2 Nr. 2. Unter systematischen Gesichtspunkten besteht ein formal hierarchisches Verhältnis der Sorgerechtsformen, das den folgenden Betrachtungen voranzustellen ist. So ist die Alleinsorge zumindest gesetzlich nachgeordnet, da sie nur im Rahmen der Einzelfallentscheidung übertragen wird. 380 Während also die Alleinsorge einer gerichtlichen Einzelfallprüfung unterzogen wird, bedarf die gemeinsame Sorge in ihrem gesetzlichen Fortbestand gem. § 1687 keines Nachweises. 381 Die Übertragung der Alleinsorge bleibt daher in zweierlei Hinsicht der gemeinsamen Sorge normativ nachgeordnet. Zum einen ist sie rein verfahrensrechtlich der Aus377 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb 2000) § 1671 Rz. 114 spricht in diesem Zusammenhang vom Regelfall im faktischen Sinne, der für die Einzelfallbeurteilung völlig aussagelos sei; vgl. dazu auch Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 34; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 13; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462), der von einem „praktischen Vorrang“ spricht. 378 Vgl. in diesem Zusammenhang die Begleitforschung zu Neuregelungen des KindRG von Proksch in Form empirischer Erhebung im Auftrag des BMJ; vgl. dazu auch weitere Ausführungen in Kap. B., Abschn. V. 379 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 126, der unter Bezugnahme auf den normativen Regelfall darauf verweist, dass dies nicht bedeute, dass die Mehrzahl der Fälle streitiger Sorgerechtsanträge in Zukunft bei der gemeinsamen Sorge bleiben; vgl. auch BT-Drucks. 13/4899, S. 61; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 41; Lipp FamRZ 1998, S. 65 (76); zur vorherigen Rechtslage vgl. dazu Hinz ZfJ 1984, S. 529 (531); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 64; Staudinger / Coester § 1671 a.F. Rz. 164; Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (446, 448); in diesem Zusammenhang bietet ein Rückblick auf die bisherige Verteilung der gemeinsamen Sorge deutliche Bestätigung. Zur deutlichen Abweichung regionaler Beurteilung der gemeinsamen Sorge einen praktischen Beleg, vgl. Limbach „Studie“, S. 18, die eine Bandbreite von 0,63% für das Amtsgericht Köln und 5,71% für das Amtgericht München ermittelte sowie BRDrucks. 180/96, S. 47, wonach im Saarland 23,99% und in Mecklenburg-Vorpommern 5,8% als Übertragungsquote vorlagen; vgl. auch Ollmann FamRZ 1997, S. 321 zur Problematik richterlicher Entscheidungsfindung. 380 Vgl. Motzer FamRZ 1999, S. 1102 (1103). 381 Vgl. Wend FPR 1999, S. 137 (139).

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nahmefall, da sich die gewillkürte Eröffnung des Verfahrens als eine Abweichung von der gesetzlich geregelten „Pauschalgestaltung“ darstellt. 382 Zum anderen ist die Übertragung der Alleinsorge an ein über § 1687 hinausgehendes Regelungsbedürfnis geknüpft, demzufolge es allein zur Gewähr der Rechtssicherheit nahe liegt, bei der Zweifelsregelung zu bleiben, wenn der Nachweis nicht gelingt. 383 Diese Rahmenbedingungen legen zunächst ein formales Verhältnis fest, das erst einmal eine gesetzessystematische Gewichtung widerspiegelt und langfristig zumindest auf einen Bewusstseinswandel im Umgang mit der Scheidung ausgerichtet ist. 384 Doch ergeben sich daraus noch keine verbindlichen Vorgaben für die gerichtlichen Einzelfallbeurteilungen im Rahmen des § 1671 Abs. 2 Nr. 2. Diese richten sich danach, ob die Gerichte verpflichtet sind, die Wertung des § 1687 durchzusetzen. Hier ist vor allem entscheidend, welche Bedeutung dem Antrag und der damit zum Ausdruck kommenden Ablehnung sorgerechtlicher Kooperation beigemessen wird. Wenn die gemeinsame Sorge als Regelfall Vorrang genießen würde, setzte zunächst ihre Aufhebung im Einzelfall voraus, dass der konkrete Sachverhalt signifikant vom typischen Trennungsfall abweicht. 385 Das heißt, die in § 1687 gefasste gesetzliche Vermutung, wonach die Eltern zur Ausübung gemeinsamer Sorge geeignet sind, müsste durch den Antrag widerlegt oder doch erschüttert werden. Daher läuft die Diskussion im Wesentlichen auf die Fragestellung hinaus, ob die gemeinsame Sorge auch gegen den Willen der Eltern fortgesetzt werden soll. 386 Hier ist eine grundlegende Abwägung der drei zentralen Elemente der Trennungssorge bei der Gegenüberstellung der Positionen vorzunehmen, die den Schutz des Kindes vor den Trennungsfolgen, den Schutz des elterlichen Erziehungsrechts und schließlich das Kindesinteresse an der größtmöglichen Bewahrung beider Elternbeziehungen zueinander gewichtet.

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So auch Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003 (1004); Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462); Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1626); OLG Stuttgart FamRZ 1998, S. 39; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 1005; OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 1160; vgl. dazu auch OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38. 383 So auch Motzer FamRZ 1999, S. 1102 (1103); OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1597. 384 Vgl. KG FuR 2000, S. 269; dass. FamRZ 2000, S. 502 (503); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 119, der hier von der rechtspolitischen und rechtsethischen Leitbildfunktion der gemeinsamen Sorge spricht. 385 Gegen eine solche besondere Begründung ausdrücklich Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200). 386 Vgl. dazu vor allem die Fragestellung des Urteils vom BGH FamRZ 1999, S. 1646 = NJW 2000, S. 203 = MDR 2000, S. 31 unter dem Stichwort „Gemeinsamkeit lässt sich nicht verordnen“ – befürwortend Sittig / Störr FuR 2000, S. 199; gegen eine zwangsweise Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge ausdrücklich auch KG FamRZ 2000, S. 505; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697 f; kritisch Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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bb) Einwände gegen die gemeinsame Sorge als Regelfall Vielfach wird die gemeinsame Sorge als Regelfall und sogar ihre Leitbildfunktion abgelehnt. 387 Die gesetzliche Konzeption lasse nicht darauf schließen, dass die gemeinsame Sorge auch für die gerichtliche Einzelfallwertung eine Priorität setze. 388 So ergebe sich dies bereits aus der historischen Auslegung. Der Regierungsentwurf 389 führte in seiner Begründung ausdrücklich aus, dass aus der Einführung des Antragsverfahrens nicht der Schluss gezogen werden dürfe, „dass gemeinsamer Sorge zukünftig der Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils eingeräumt werden soll. Es soll auch keine gesetzliche Vermutung bestehen, wonach die gemeinsame Sorge im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung sei.“ Im Gegensatz zum Regelfall der gemeinsamen Sorge führt der Entwurf an anderer Stelle weiter aus: „Hierbei (im Falle eines streitigen Antrages) wird zunächst auf die Erwartung abgestellt, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Wohl des Kindes entspricht.“ 390

Auch der BGH 391 hat die Streitfrage unter Ablehnung eines normativen Vorrangs der gemeinsamen Trennungssorge entschieden und damit die Anwendungspraxis im Wesentlichen festgelegt. 392 Nach Auffassung des BGH bringe auch die aktuelle 387 Vgl. Born FamRZ 2000, S. 396 (399) unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH aaO; Johannsen / Henrichs / Jaeger § 1671 Rz. 34 f; Oelkers FRP 1999, S. 132 (135); ders. FuR 1999, S. 349 (350); Willutzki KindPrax 1998, S. 8 (11); BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203 mit Anm. Born FamRZ 2000, S. 396 und Anm. Coester DEurFamR 2000, S. 53 sowie Oelkers MDR 2000, S. 31; OLG Dresden FamRZ 1999, S. 1156; OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 392; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596; OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039 (1041) OLG Schleswig FamRZ 2000, S. 1595; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1596; dass. FamRZ 2000, S. 1605; OLG Thüringen FamRZ 2001, S. 436; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 182 = NJW-RR 2001, S. 506 f; OLG Köln FamRZ 2001, S. 183; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 120; OLG Braunschweig FamRZ 2002, S. 121; KG FamRZ 2005, S. 1769; a. A. Runge FPR 1999, S. 142; Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 567 (568); OLG Köln FamRZ 2000, S. 499; dass. FamRZ 2000, S. 1041; OLG Hamm FamRZ 2000, S. 26; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 32; KG FamRZ 1998, S. 737; anders jedoch KG (16. Zs) FamRZ 2000, S. 504; Eckhert-Schirmer FuR 1996, S. 205 (211); so auch schon Schwenzer 59. Juristen Tag 1992, S. A 77; differenzierend Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 119. 388 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63, 99; Johannsen / Henrich / Jaeger „Eherecht“, 3. Aufl. § 1671 Rz. 34; dazu schon Walter FamRZ 1995, S. 1538; Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197. 389 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = BR-Drucks. 180/96, S. 73. 390 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99 = BR-Drucks. 180/96, S. 109. 391 Vgl. BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203 mit Bespr. Born FamRZ 2000, S. 396 und Anm. Coester DEurFamR 2000, S. 53 sowie Oelkers MDR 2000, S. 31; BGH FamRZ 2005, S. 1167 mit Anm. von Luthin FamRZ 2005, S. 1168. 392 Vgl. dazu auch MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1671 Rz. 13, 68, 70; OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039 (1041); OLG Schleswig FamRZ 2000, S. 1595; OLG Karlsruhe FamRZ

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Regelung des KindRG keine Priorität der gemeinsamen Sorge zum Ausdruck, so dass die Alleinsorge nicht als ultima ratio nur in Ausnahmefällen in Betracht komme. 393 Es gebe nicht einmal die gesetzliche Vermutung, dass die gemeinsame elterliche Sorge im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung darstelle. 394 In der Begründung schloss sich das Gericht an die Einschätzung des Gesetzgebers im Wesentlichen an. Jedoch schloss das Urteil eine normative Begünstigung der gemeinsamen Sorge im Rahmen der Tatbestandsprüfung des § 1671 und der qualifizierten Anforderungen an die fehlende Kooperationsfähigkeit nicht aus. 395 Dies wurde auch vom BVerfG bestätigt, indem es feststellte, dass die gemeinsame Sorge auch nach verfassungsrechtlichen Maßstäben keinen Vorrang beanspruchen könne. 396 Diese Einschätzung stützt sich darüber hinaus in gesetzessystematischer Hinsicht auf die Neuregelung des § 1626 a, aufgrund derer nach wie vor in außerehelicher Sorgerechtsgestaltung die Alleinsorge zum Grundsatz erhoben werde. 397 Da also bereits ein großer Teil der Partnerschaften von § 1671 unberücksichtigt bliebe, könne die gemeinsame Trennungssorge schwerlich als der normative Regelfall aufgefasst werden. 398 Darüber hinaus spreche gegen eine Vorrangstellung der gemeinsamen Sorge auch der Umstand, dass bei Vorliegen der Übertragungsvoraussetzungen kein gerichtliches Ermessen bestehe. 399 Vielmehr werde die sorgerechtliche Vorgabe durch die Eröffnung des Antragsverfahrens vollständig aufgehoben. Die Sorgerechtsformen stünden gleichwertig nebeneinander und würden ohne Vorgewichtung allein aufgrund gerichtlichen Ermessens einander gegenübergestellt. 400

2000, S. 1596; dass. FamRZ 2000, S. 1605; OLG Thüringen FamRZ 2001, S. 436; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 182 = NJW-RR 2001, S. 506 f; OLG Köln FamRZ 2001, S. 183; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 120; OLG Braunschweig FamRZ 2002, S. 121; KG FamRZ 2005, S. 1769; zum allgemeinen Überblick der Entwicklung der Rechtsprechung vgl. auch Motzer FamRZ 2006, S. 73; ders. FamRZ 2004, S. 1145; ders. FamRZ 2003, S. 793. 393 So auch OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 182 = NJW-RR 2001, S. 506 f; OLG Köln FamRZ 2001, S. 183; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 120; OLG Hamm FamRZ 2002, S. 566; dass. FamRZ 2006, S. 1058; OLG Dresden FamRZ 2002, S. 973. 394 Vgl. BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; ders. FamRZ 2005, S. 1167; KG FamRZ 2006, S. 1626; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; dass. FamRZ 2006, S. 1058; vgl. kritische Anm. von Willutzki in der Eröffnungsansprache zum 13. DFGT, Brühler Schriften zum Familienrecht Bd. 11, S. 1 (3). 395 Vgl. BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; ders. FamRZ 2005, S. 1167; dazu auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 70. 396 Vgl. BVerfG FamRZ 2004, S. 354. 397 Vgl. Nippmann MDR 1998, S. 565; Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200). 398 Vgl. Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200). 399 Vgl. Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 75; OLG Rostock ZfJ 1999, S. 351.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Diese Auffassung stützt sich jedoch vor allem auf eine teleologische Argumentation. Unter Bezugnahme auf die o. g. Erläuterung zum Gesetzentwurf wird hervorgehoben, dass gesetzlich zukünftig kein Vorzug der gemeinsamen Sorge angestrebt worden sei. 401 Zwar sei die tatsächliche Fortsetzung der Erziehungsverantwortung beider Elternteile am besten geeignet, die negativen Folgen von Trennung und Scheidung für das Kind zu vermeiden. 402 Dafür biete die gemeinsame Sorge grundsätzlich auch den geeigneten Rahmen. 403 Überdies begünstige die Rechtsgestaltung, dass die Eltern die gemeinsame Sorge beibehalten. 404 Jedoch gebe es keine Erkenntnisse dafür, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl prinzipiell besser diene. 405 Vielmehr lege sich die anfängliche Euphorie. 406 Die 400 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 118; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. §1671 Rz. 34; zur entspr. Einschätzung auch bereits nach alter Rechtslage vgl. Hinz ZfJ 1984, S. 529 (531, 533); Johannsen / Henrich / Jaeger „Eherecht“ § 1671 a.F. Rz. 89; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 70; Normann FamRZ 1988, S. 568 (570); OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89. 401 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63; dazu auch Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“ S. 43; BR-Drucks. 180 /96, S. 49; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 182 = NJW-RR 2001, S. 506; zustimmend Oelkers FPR 1999, S. 132 (136); KG FamRZ 2006, S. 1626; Soweit sich darauf jedoch Literatur und Rechtsprechung beziehen, ist diese Argumentation schon deshalb wenig überzeugend, da sich aus der Begründung lediglich die Ausrichtung des Reformgesetzes ergibt. Bei genauer Lektüre ergibt sich, dass der Gesetzgeber aus den weiter ausgeführten Gründen nicht abschließend den Regelfall der gemeinsamen Sorge vorgeben wollte. Das heißt aber nicht, dass aus der übergreifenden Gewichtung dieser Regelfall ausgeschlossen sein soll. Tatsächlich verlagert der Gesetzgeber die Entscheidung damit lediglich in die Praxis. 402 Vgl. dazu auch Oelkers FuR 1999, S. 349 (350); OLG Bamberg MDR 1999, S. 615; OLG Rostock ZfJ 1999, S. 351 (352) = DAVorm 1999, S. 782; KG FuR 2000, S. 269. 403 Vgl. dazu bereits BVerfGE 61, S. 358 = NJW 1983, S. 101 = DAVor 1983, S. 16 = FamRZ 1982, S. 1179 = JZ 1983, S. 298 m. Anm. v. Gießen. 404 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462). 405 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 34; Heiliger FamRZ 1992, S. 1006; Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 16, 45, 75 f, 81; Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (448, 450); Hier nimmt die Entwurfsbegründung (BT-Drucks. 13/ 4899, S. 63) auf die gegenläufigen Studien Bezug, die die gemeinsame Sorge in kindespsychologischer und familiensoziologischer Hinsicht untersucht haben. Während zunächst in den 70er Jahren besonders auf das Kindesinteresse an konfliktfreier Erziehung abgestellt wurde (vgl. Lempp „Ehescheidung und das Kind“, S. 19, 30), wurden die kindlichen Verhaltensstörungen im Rahmen der Scheidung vorwiegend auf den Verlust eines Elternteils zurückgeführt (vgl. Fthenakis „Väter“, Bd. I, S. 287). In diesem Zusammenhang kam die amerikanische Untersuchung von Wallerstein / Blakeslee („Gewinner und Verlierer“, 1989) zu dem Ergebnis, dass die gemeinsame Sorge nach der Scheidung dem Kindeswohl am besten diene. Demgegenüber kamen weitere amerikanische Erhebungen von Maccoby / Mnookin (FamRZ 1995, S. 1) und Furstenberg / Cherly („Geteilte Familien“, 1993, S. 165) zu dem Ergebnis, dass sich die Tendenz der Beziehungsauflösung zum nicht betreuenden Elternteil durch die gemeinsame Sorge nicht aufheben ließe. Aus heutiger Sicht liege der Vorteil dieser Sorgerechtsform vor allem in einem langfristigen Bewusstseinswandel der Betroffenen; BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203;

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Hoffnung, durch die gemeinsame Sorge ließen sich die schwerwiegenden Folgen der Scheidung für das Kind abmildern, sei durch die Praxis widerlegt. 407 Gemeinsamkeit lasse sich nicht verordnen. 408 Die im Zwang auferlegte Sorge drohe den Streit um das Kind auf andere „Schlachtfelder“ zu verlagern. 409 Diese Einschätzung werde durch die Übertragungstatbestände direkt umgesetzt. Das Gesetz erachte den einvernehmlichen Antrag auf Alleinsorge für vorzugswürdig, so dass es nicht überzeugen könne, dass ein streitiger Antrag besser durch gemeinsames Sorgerecht gelöst werde. 410 Bereits die fehlende Kooperationsbereitschaft eines Elternteils lasse die Alleinsorge im Einzelfall als die angemessenere Sorgerechtsform erscheinen, wie es auch der bisherigen Einschätzung entspreche. 411 Bei fehlender Eignung der Eltern gehe von der gemeinsamen Elternsorge grundsätzlich eine mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbarenden Belastung für das Kind aus. 412 Es sei zwar denkbar, dass im Einzelfall die gemeinsame Sorge gegen den Willen der Eltern vorzugswürdig sei, aber es fehle an ausreichenden Erkenntnissen darüber, ob und wie oktroyierte gemeinsame Sorge zum Wohl des Kindes funktioniere, daher bestehe jedenfalls keine Basis für eine mutmaßliche dass. FamRZ 2005, S. 1167; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 182 = NJW-RR 2001, S. 506 f; OLG Hamm FamRZ 2001, S. 183; dass. FamRZ 2006, S. 1697; dass. FamRZ 2006, S. 1058 f. 406 Der Einwand erscheint jedoch hinsichtlich deutscher Erfahrungen mit der gemeinsamen Sorge von amerikanischen Studien nicht ohne weiteres übertragbar. So zeigen sowohl die Erfahrungen aus der praktischen Umsetzung positive Wirkung der gemeinsamen Sorge auf die durchschnittliche Situation der Scheidungsfamilien, vgl. Erhebung im Auftrage des BMI, Proksch „Begleitforschung zur Umsetzung der Neuregelungen zur Reform des Kindschaftsrechts“, sowie die Entwicklung der Rechtsprechung vgl. Motzer FamRZ 2003, S. 793 ff, FamRZ 2004, S. 1145. 407 Vgl. Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (201); Troje S. 24; vgl. auch schon OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 509, das ausführt, dass das gemeinsame Sorgerecht das Kindeswohl dort gefährde, wo es in ungeeigneten Fällen angeordnet werde. 408 Vgl. etwa BGH FamRZ 1999, S. 1646 (1647) = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; OLG Dresden FamRZ 1999, S. 1156; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 186 f; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; AG Fürstenfeldbruck FamRZ 2002, S. 117; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 76. 409 Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 132 (136); Rehberg FuR 1998, S. 1047 f; Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451); ähnlich auch OLG Dresden FamRZ 1999, S. 1156: einschränkend OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697, dass. FamRZ 2006, S. 1058 f. 410 Vgl. Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200); OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596; KG FamRZ 1999, S. 808. 411 Vgl. Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200); ähnlich in der Wertung auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 71 ff; vgl. auch Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452), der in diesem Zusammenhang kritisch von „Passivität als Regelungsmodell“ spricht. 412 Vgl. Oelkers FuR 1999, S. 132 (135); OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; so auch bereits nach der alten Rechtslage OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1048); OLG Bamberg FamRZ 1988, S. 752; dass. FamRZ 1995, S. 1509; OLG Karlsruhe FamRZ 1995, S. 1168.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Überlegenheit des gemeinsamen Sorgerechts in diesen Fällen. 413 Dies bestätige auch die nur zurückhaltende Verbreitung der gemeinsamen Sorge nach der alten Rechtslage. 414 Demzufolge habe der Gesetzgeber schon nach den empirischen Vorgaben nicht davon ausgehen können, durch die gesetzliche Trennungssorge die gemeinsame Sorge zum Regelfall zu machen. 415 Auch sei eine dahingehende Intention des Gesetzgebers nicht ersichtlich. 416 Das eigentliche Ziel der Gesetzesreform sei allein darauf gerichtet, dass die Eltern in ihrer autonomen Entscheidungskompetenz gestärkt werden sollten. 417 Überdies hätte der Vorrang dieser Sorgerechtsform zur Folge, dass eine formelle Beweislast entstünde, die Untauglichkeit der gemeinsamen Sorge im Einzelfall nachzuweisen. Dies wird aus zwei Erwägungen abgelehnt. Zum einen sehe das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine solche Nachweispflicht nicht vor. 418 Das Verfahrensrecht gebe im Rahmen der gerichtlichen Amtsermittlung eine umfassende Prüfung des Einzelfalls vor, die zur Präferenz einer Sorgerechtsform im Widerspruch stünde. 419 Ob die Voraussetzungen für die Übertragung der Alleinsorge vorliegen, ergebe sich also allein aus der gerichtlichen Einzelfallprüfung. 420 Zum anderen könne aufgrund dieser alleinigen Maßgeblichkeit des Kindeswohls dem Antragsteller nicht die Rechtfertigungslast für sein Änderungsbegehren auferlegt werden, da er bereits allein durch die Eröffnung des Verfahrens seine Elternverantwortung zur einzelfallgerechten Gestaltung des Kindeswohls nach eigener Anschauung ausübe. 421 Vor allem aber dürfe nicht durch eine gedankenlose Gleichstellung von Nichtantragstellung mit „Harmonie“ und demgegenüber von Antragstellung mit „Störung“ eine Stigmatisierung des Antragstellers voll413 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 34; Salgo FamR 1996, S. 449 (452); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 118; Willutzki KindPrax 1998, S. 8 (11); Brandenburgisches OLG Forum 1998, S. 88 (89); OLG Frankfurt / M. FamRZ 1999, S. 392. 414 Vgl. auch schon Heiliger FamRZ 1992, S. 1006. 415 Vgl. Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200); so wohl im Ergebnis Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 34; vgl. auch Oelkers FPR 1999, S. 132 (133) der verschiedene Ebenen der Regelfallbeurteilung hier gezielt verbindet. 416 Vgl. Oelkers MDR 2000, S. 32; Born FamRZ 2000, S. 396; a. A. OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110). 417 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 35; Oelkers FPR 1999, S. 132 (134); Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200). 418 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = BR-Drucks. 180/96, S. 73; vgl. dazu auch Born FamRZ 2000, S. 396 (398). 419 Vgl. hierzu auch weiter Ausführungen in diesem Kap. unter Abschn. II.2.b) im Zusammenhang der Darlegungslast für den Antrag auf Alleinsorgeübertragung. 420 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63, 99 = BR-Drucks. 180/96, S. 73, 109. 421 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 39; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 122; so auch schon im Vorfeld der Reform Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (871); a. A. Jopt ZfJ 1996, S. 203 (208).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

zogen werden. 422 Sie drohe aktives Engagement als Störung zu degradieren und unsachgemäße Hemmungen gegenüber der Wahrnehmung des Antragsrechts aufzubauen. 423 Im Ergebnis stehe daher also nicht die Entscheidung für eine Sorgerechtsform im Vordergrund der Reformkonzeption, sondern es sollten in erster Linie die Eltern darüber entscheiden welche Sorgerechtsform sie für vorzugswürdig hielten. 424 Jedenfalls beschränke sich die Alleinsorgeübertragung nicht auf eine gesetzliche ultima ratio. 425 Vielmehr stünden sich die Sorgerechtsformen gleichwertig gegenüber und seien ohne Präjudiz gegeneinander abzuwägen. 426 Daraus folge, dass bei Uneinigkeit der Eltern allein ein allgemeiner Maßstab des Kindeswohls ohne trennungssorgespezifische Gewichtung entscheide, den das Gericht anhand des Einzelfalls konkretisiere. 427 Eine zwangsweise Durchsetzung des gesetzlichen Trennungssorgetatbestandes durch das Gericht aufgrund einer Regelfall-Vorgabe komme daher nicht in Betracht. 428 cc) Argumente zugunsten einer Regelfalleinschätzung Doch schon diese grundsätzliche Gleichstellung der Sorgerechtsformen vermag nur bedingt zu überzeugen. Allein die Gesetzessystematik macht die gemeinsame Trennungssorge in verschiedener Hinsicht zum Regelfall. 429 Ohne daraus unmit-

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Warnend bereits Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452). Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 122; vgl. dazu auch Zenz FPR 1998, S. 17 (18). 424 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 61, 63; BGH FamRZ 1999, S. 1646 (1647) = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (205); Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 35; ähnlich auch Oelkers MDR 2000, S. 32; ders. FPR 1999, S. 132 (133), der in diesem Zusammenhang davon spricht, dass es sich hier nur um eine grundlegende gesetzgeberische Entscheidung handele, die auf mehr Elternverantwortung und weniger auf den Staat abstelle. 425 Vgl. BGH FamRZ 1999, S. 1646 (1647) = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203. 426 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 118 unter Berufung auf BTDrucks. 13/4899, S. 61, 63; Willutzki KindPrax 1998, S. 8 (11); weitergehend sogar Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 35, der den Antrag als ein Indiz gegen eine kindeswohlgerechte gemeinsame Sorge wertet. 427 Vgl. BGH aaO; Oelkers MDR 2000, S. 32. 428 Vgl. Born FamRZ 2000, S. 396 (399). 429 Für die Einschätzung als Regelfall vgl. Bode FamRZ 1999, S. 321 (322); Liermann in Anm. zu KG FamRZ 1999, S. 808 (809); Motzer FamRZ 1999, S. 1102 (1103); Mühlens Kind-Prax 1998, S. 3 (5); Rehberg FuR 1998, S. 65; Reinecke FuR 1999, S. 167 (171); v. Renesse Für 1998, S. 59 (60); Runge FPR 1999, S. 142 (143, 145); Salgo FamRZ 1996, S. 449; Salzgeber Kind-Prax 1998, S. 43; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1380); Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 126; Wend FÜR 1999, S. 137 (138); entsprechend auch Fthenakis 423

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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telbar eine zwangsweise Durchsetzung durch die Gerichte abzuleiten, ist sie damit zumindest Ausgangspunkt und Wertvorgabe der Einzelfallbeurteilung. Bereits in Hinblick auf den Wortlaut des Übertragungstatbestandes wird eine Vorrangstellung der gemeinsamen Sorge vermittelt. 430 Der Ausgangspunkt ist ausdrücklich die gemeinsame Sorge. Dies folgt bereits bei gesetzessystematischer Betrachtung daraus, dass die Rechtsfolge der Alleinsorge nur auf Antrag eintritt und damit aufgrund der zusätzlichen Voraussetzung zur Ausnahme gegenüber der sonst bestehenden Regel wird. 431 Deren Aufhebung muss dem Wohl des Kindes am besten entsprechen. Damit knüpft das Gesetz direkt an den status quo und damit an die Wertung des § 1687 an. 432 Nicht ein unabhängiger Maßstab der gerichtlichen Einzelfallprüfung, sondern eine systematische Einbindung der gesetzlichen Trennungssorgeabwägung wird damit schon tatbestandlich vermittelt. 433 Diese gesetzliche Regulierung bringt jedoch eine ganz grundlegende Gewichtung des Kindeswohls zum Ausdruck. Nach Maßgabe des Wächteramtes werden darin die typischen Gefahren und Vorzüge der Sorgerechtsmodelle in Hinblick auf die allgemein zu erwartenden Bedingungen bei der Elterntrennung gegeneinander abgewogen. 434 Der Verlust eines Elternteils wird im Rahmen der Güterabwägung des § 1687 grundsätzlich als eine stärkere Beeinträchtigung für die Kindesinteressen eingeschätzt als die aus dem elterlichen Konflikt hervorgehenden AuseinandersetFuR 1998, S. 84; OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110); OLG Köln FuR 2000, S. 268 = FamRZ 2000, S. 1041; dass. FamRZ 2003, S. 1492; OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 1160; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38; dass. FamRZ 1999, S. 393 (394); dass. FamRZ 1999, S. 1597 f; OLG Stuttgart FamRZ FamRZ 1999, S. 39; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; dass. FamRZ 1999, S. 1005; dass. ZfJ 1999, S. 393 (394); OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047; AG Chemnitz FamRZ 1998, S. 321 (322); AG Bad Schmalbach FamRZ 1999, S. 1158 (1159); entsprechend bereits innerhalb der bisherigen Rechtslage Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445; Fthenakis FamRZ 1988, S. 578 (580); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876). 430 Vgl. OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; in diesem Zusammenhang auch die historische Argumentation unter Vergleich des Reformgesetzes zur bisherigen Rechtslage OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1048 f). 431 Vgl. OLG Bamberg FuR 1999, S. 365 (367); AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 f; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38 (39); OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492; OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110); dass. FamRZ 1999, S. 1156, wenngleich es sich hier schließlich gegen den Regelfall ausspricht; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; Liermann FamRZ 1999, S. 809; a. A. OLG Frankfurt FamRZ 1999, 392; Oelkers MDR 2000, S. 32. 432 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 75; OLG Nürnberg FuR 1999, S. 334; OLG München NJW 2000, S. 368. 433 Im Ansatz so auch Liermann FamRZ 1999, S. 809; AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492. 434 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187, wonach „von der gesetzlichen Grundlage nur dann abgewichen werden soll, wenn dies für das Kindeswohl unbedingt erforderlich ist, da es der die gesamte Rechtsordnung beherrschende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der in § 1666a seinen Niederschlag gefunden hat, gebietet, nur in dem Umfang in die Rechte der Eltern einzugreifen, wie dies für das Wohl des Kindes nötig ist.“

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zungen. 435 Demzufolge wird also zunächst für den typischen Trennungsfall der gemeinsamen Sorge zumindest faktisch der Vorzug gelassen. Diese Kindeswohlbeurteilung kann durch den Antrag eines Elternteils allein noch nicht außer Kraft gesetzt werden. Dies führte anderenfalls in dreierlei Hinsicht zu den nun folgenden Wertungswidersprüchen. Zum einen bedeutete eine solche Einschätzung des Antrags eine unsachgemäße Disposition über den Beurteilungsmaßstab durch den Antragsteller. 436 Zwar wurde durch die gesetzliche Regulierung auch die Elternautonomie als Bestandteil der Trennungssorge gestärkt. 437 So muss hier vor allem die Ausführung des Gesetzgebers Beachtung finden, dass es in erster Linie die Entscheidung der Eltern sein solle, die gebotene Sorgerechtsform zu wählen. 438 Doch ist diese Elternautonomie vor allem darauf gerichtet, den Staat aufgrund familieninternen Konsenses aus der Sorgerechtsgestaltung zu verdrängen und auf diese Weise darüber zu disponieren, ob die Gestaltung der Trennungssorge eigenständig oder durch staatlich kontrollierte Einzelfallgestaltung erfolgt. 439 Dies bestätigt sich auch mit Blick auf die bisherige Rechtslage. Während die Elemente familiärer Selbstbestimmung sich nach alter Rechtslage in der Bindungswirkung des einvernehmlichen Elternvorschlages manifestierten, ist nun gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 sogar ein vollständiger Ausschluss gerichtlicher Wertung vorgesehen. Dies kann hingegen im Rahmen der Beurteilung des streitigen Antrags gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 nicht dazu führen, dass die allgemeine Abwägung des § 1687 allein durch den Antrag revidiert wird und damit der Maßstab des Kindeswohls durch eine Prozesshandlung inhaltlich verändert wird. 440 Denn die Annahme, dass die Eltern am besten dazu in der Lage sind, die Interessen des Kindes zu beurteilen, kann hier wegen der gegenläufigen Einschätzung beider Eltern nur eingeschränkt gelten, so dass sich der Antrag zur Konkretisierung des Kindeswohls nicht eignet. 441 So beschränkt sich § 1671 Abs. 2 Nr. 2 auf die Fälle, in denen 435 Im Ergebnis so auch schon AG Groß-Gerau FamRZ 1998, S. 500 f; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492. 436 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 f; AG Lahr FamRZ 2003, S. 1861 (1862); OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; vgl. dazu auch weitere Ausführungen in diesem Kap. unter Abschn. II.2.b). 437 Vgl. Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (201). 438 BT-Drucks. 13/4899, S. 61, Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 43; dazu auch Oelkers FPR 1999, S. 132 (136); Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200). 439 Vgl. dazu oben unter Abschn. C.III.1. 440 Vgl. AG Lahr FamRZ 2003, S. 1861 (1862). 441 Vgl. OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492; zur allgemeinen elterlichen Auslegungsprärogative hinsichtlich des Kindeswohls vgl. BVerfGE 61, S. 358 (371) = FamRZ 1982, 1179 (1182); BVerfGE 24, S. 144; BGHZ 66, 334 (337) = NJW 1976, S. 1540 f = FamRZ 1976, S. 446.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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aufgrund des elterlichen Dissenses das elterliche Gestaltungsrecht auf den Staat in seiner kindesbezogenen Schutzfunktion übergeht. Der Entscheidungsmaßstab dieser Schutzfunktion kann aber vor allem nicht durch die willkürliche einseitige Position eines Elternteils beeinflusst werden, da der Antragsteller anderenfalls gleichsam über den Bestand der Sorgerechtsstellung des Antragsgegners verfügen könne. 442 Doch auch wenn dies eine Gleichwertigkeit der Sorgerechtsformen noch nicht zwingend ausschließt, so folgen aus der gebotenen Einheitlichkeit des staatlichen Wächteramtsbegriffs weitere Argumente. Das im Spannungsverhältnis elterlicher und kindlicher Interessen angelegte Schutzbedürfnis des Kindes verleiht dem Staat vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich geschützten Erziehungsautonomie vor allem eine überwachende Kompetenz. 443 Dieses staatliche Wächteramt aus Art. 6 GG ist zugunsten der erweiterten Elternautonomie zurückgetreten 444, indem der vorherige einzelfallunabhängige Eingriff nach alter Rechtslage zunächst durch das mildere Mittel der gesetzlichen Sonderregelung des § 1687 abgelöst wurde. 445 Die gesetzliche Trennungssorge ist Ausdruck einer wächteramtlichen Kindeswohldurchsetzung. 446 So konkretisiert sich in diesem Tatbestand eine wächteramtliche Kindeswohleinschätzung, die ihre Verfassungsmäßigkeit nur daraus herleiten kann, dass die ihr zugrunde liegende Güterabwägung für die Trennungssituation und die darin angelegten Kindeswohlgefahren eine allgemeine Gültigkeit für den „typischen Fall“ hat. 447 Würde allein ein einseitiger Antrag bereits die Abwägung der Kindesinteressen von einer eindeutigen Entscheidung zugunsten gemeinsamer Elternsorge in § 1687 zu einer gleichwertigen Gegenüberstellung beider Sorgerechtsformen verändern, so drohte dies zu einer Beliebigkeit der wächteramtlichen Kindeswohleinschätzung zu führen. Nicht die Gewichtung der Kindesinteressen, sondern die Position des Antragstellers wäre hier ausschlaggebend für die Beurteilung des Einzelfalls. 448 442 Vgl. Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003 (1004); ähnlich auch OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537; OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110); OLG München NJW 2000, S. 368 (369); AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (323). 443 Vgl. BVerfGE 61, S. 358 (364); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (403). 444 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 506 (507). 445 Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen des Wächteramts vgl. BVerfGE 7, S. 320 (323); E 24, S. 119 (144 f); Coester FuR 1991, S. 70 (71 f); Diederichsen NJW 1980, S. 2420; RGRK / Wenz § 1626 Rz. 28; Schmitt Glaeser „Das elterliche Erziehungsrecht in der staatlichen Reglementierung“ S. 42. 446 Vgl. AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 f; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492. 447 Hier steht vor allem der Grundsatz im Vordergrund, dass ein generelles Verbot erst zulässig ist, wenn eine individuelle Maßnahme nicht ausreicht – vgl. dazu bereits BVerfGE 7, S. 320 (324); KG NJW 1980, S. 2419 (2420); vgl. auch Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (759); MüKo / Hinz § 1626 Rz. 12 mwN; kritisch Schwoerer FamRZ 1958, S. 41 f; ders. FamRZ 1959, S. 367, der auf die faktische Übereinstimmung von Ausübungsbeschränkungen und Rechtsentzug hinweist.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Der Antrag allein kann in diesem Zusammenhang auch nicht eine wesentliche Abweichung von der gesetzlichen Ausgangslage begründen, die eine grundlegend abweichende Beurteilung rechtfertigte. 449 Hier ist vor allem auf das Argument der Gegner des Regelfalls zurückzukommen, dass die Nicht-Antragstellung keine Gewähr für harmonische Erziehungskooperation bietet. 450 Wird es dort herangezogen, um den konstruktiven Charakter des Alleinsorgeantrags hervorzuheben, so weist es gleichzeitig auf die Konflikttolerierung hin, die für die Kindeswohlbeurteilung in der Trennungssorge hingenommen wird. 451 Das heißt, dass sich die tatsächlichen Sorgerechtsbedingungen mit und ohne Antrag nicht notwendig unterscheiden müssen. Spannung und Hindernisse können sich in beiden Konstellationen entsprechen. Ist dem jedoch so, so muss die Einzelfallbeurteilung auch in konsequenter Anwendung der Kindeswohlbeurteilung an den gesetzlichen Prioritäten der gemeinsamen Sorge anknüpfen. Zwar sind die gesetzliche Sorge gem. § 1687 und der Antrag gem. § 1671 nicht uneingeschränkt gleich zu beurteilen, da sie unterschiedlichen gerichtlichen Eingriffsmaßstäben unterliegen. Beschränkt sich die gesetzliche Sorge außerhalb des Antrags auf eine gerichtliche Prüfungskompetenz nach dem allgemeinen Gefahrentatbestand des § 1666, so stellt § 1671 einen eigenständigen Spezialeingriffstatbestand dar, der seine Legitimation aus dem Willen der Betroffenen ableitet. 452 Dies führt aber nicht zu einer unterschiedlichen Bewertung des Kindeswohls als Entscheidungsmaßstab, sondern lediglich zu unterschiedlichen Schwellen, bei denen von der Kindeswohlwertung des § 1687 abgewichen werden kann. Das setzt aber ungeachtet der unterschiedlichen Anforderungen an eine Sorgerechtsgestaltung voraus, dass die Beurteilung der einfließenden Elemente des Kindeswohls einheitlich gehandhabt wird. Darüber hinaus leitet sich ein wesentliches Argument zugunsten der gemeinsamen Sorge als Regelfall aus der näheren Betrachtung des Zweifelsfalls, des non liquet ab. So ist dem Antrag nur stattzugeben, wenn die Aufhebung dem Kindeswohl am besten entspricht. Ist das Beste nicht zu ermitteln, so muss es 448 Vgl. Liermann FamRZ 1999, S. 809; im Ergebnis so auch OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110), das die Vermeidung der Willkür des elterlichen Kooperationsdefizits in den Vordergrund stellt; AG Groß-Gerau FamRZ 1998, S. 500 f; OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1048). 449 Vgl. auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 72 zum Schutz durch das verfassungsrechtlich verankerte Elternrecht gem. Art. 6 GG seitens beider Eltern, Antragsteller wie Antragsgegner; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Frankfurt 2006, S. 1627. 450 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 122; Zenz FPR 1998, S. 17 (18). 451 Vgl. dazu auch OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f. 452 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 16 f; kritisch zu diesem Reformansatz vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1996, S. 1187 (1190); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (450); Rehberg FuR 1998, S. 65 (67); Johannsen / Henrichs / Jaeger § 1671 Rz. 7; befürwortend hingegen Fthenakis FPR 1998, S. 84 (90).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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in der Konsequenz in der unentschiedenen Patt-Situation bei der gemeinsamen Sorge bleiben, so dass der gesetzliche Trennungssorgetatbestand des § 1687 auch als Zweifelsregelung in die Einzelfallbeurteilung einfließt. 453 Nur dann kann von einer Wahrung der Rechtssicherheit ausgegangen werden. 454 Ein neutrales Nebeneinander der Sorgerechtsformen kann es dabei nicht geben. Denn auch wenn die Gegner des Regelfalls den § 1687 als einen bloßen Auffangtatbestand außerhalb des Antragsverfahrens ansehen, so hat er zumindest solange universelle Geltung, solange keine andere Wertung nachgewiesen werden kann. 455 Dies allein weist der gemeinsamen Sorge schon eine Vorzugsstellung gegenüber der Alleinsorge zu. Dem steht auch nicht entgegen, dass die praktische Relevanz dieser Entscheidungslage begrenzt sein mag. Zwar kann mit Recht darauf verwiesen werden, dass die Bedeutung des Zweifelsfalls für die allgemeine Rechtspraxis nicht überschätzt werden sollte. In diesen potentiellen Konstellationen seien beide Sorgerechtsformen offenbar mit Vor- und Nachteilen behaftet, da anderenfalls eine eindeutige Vorrangstellung einer Gestaltungsform angenommen werden könnte. 456 Bei einer gründlichen Güterabwägung werde jedoch regelmäßig der Vorzug einer Sorgerechtsalternative auszumachen sein. Sei aber die praktische Relevanz so beschränkt, so drohe die übermäßige Betonung des non liquet zu einer Verkürzung der Ermittlungen im Einzelfall zu führen. 457 Diese eingeschränkte Beurteilung der Zweifelsregelung auf ihre praktischen Anwendungsfälle erscheint jedoch verkürzt. Gleichzeitig ist diese Zweifelsregelung nämlich Ausdruck der übergreifenden Zielsetzung, die dem Reformgesetz insgesamt zugrunde liegt. So hat der Gesetzgeber bewusst die im Scheidungsverbund zuvor angelegte Zäsur des Sorgerechts bei Partnerschaftsauflösung aufgehoben. Im Zuge dieser Vereinheitlichung gewinnen die in der gesetzlichen Sorge verkörperten Maximen stärkere Bedeutung. Eine willkürliche Abwertung der gemeinsamen Sorge durch einen Alleinsorgeantrag würde kaum dem treuhänderischen Charakter der elterlichen Sorgerechtsstellung gerecht. Es ist also nicht in erster Linie die persönliche Bereitwilligkeit der Eltern, sondern die Pflicht des gesetzlichen Sorgerechts, die ihnen die Verantwortung zuweist. Genau an diese Ausrichtung des Sorgerechts knüpft die verbindliche Vorgabe der gemeinsamen Sorge als gesetz453 Vgl. Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003 f; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 57; Pieper FuR 1998, S. 1 (4); Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462); OLG Nürnberg EzFamR aktuell 1999, S. 116; OLG Brandenburg FuR 1998, S. 124; Brandenburgisches OLG Forum 1998, S. 88 (89); im Ergebnis so auch OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 f; a. A. OLG Hamm FamRZ 2001, S. 183. 454 Vgl. Pieper FuR 1998, S. 1 (4); Runge FPR 1999, S. 142 (143 f); Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1380); OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1048). 455 Vgl. Liermann FamRZ 1999, S. 809; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 39; im Ansatz auch OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 506 (507). 456 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 120. 457 Vgl. Staudinger / Coester aaO.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

liche Sorgerechtsform an. Innerhalb der Bedingungen des konkreten Einzelfalls wird es daher zunächst den Eltern übertragen, die Hindernisse zu überwinden. 458 Die Eltern sind in ihrem Willen der Sorgerechtsgestaltung nur zu hören, wenn dies nicht vom Interesse des Kindes abweicht. Gleichzeitig verdeutlicht der Zweifelsfall an dieser Stelle, dass die Unsicherheit in der Gewichtung zu Lasten des Antragstellers geht. 459 Neben den Überlegungen zum Wächteramt weist auch die verfassungsrechtliche Gewichtung des Elternrechtes gem. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG der gemeinsamen Sorge eine Vorrangstellung zu. 460 Als einfachgesetzliche Konkretisierung der darin harmonisierten Gemengelage kollidierender Rechtsstellungen ist das KindRG im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Grundlage auszulegen. Das Erziehungsrecht gem. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist wesentlicher Maßstab für das elterliche Sorgerecht und ist zunächst ein klassisches Abwehrrecht der Eltern gegen staatliche Intervention. 461 Es verleiht den Eltern einen Anspruch, ihre Kinder außerhalb staatlicher Einflussnahme und grundsätzlich ohne inhaltliche Vorgaben zu erziehen und unter ihrer Obhut heranwachsen zu lassen. 462 Der Ursprung dieser geschützten Elternposition beruht nicht allein auf biologischen Erwägungen oder dem wertkonzeptionellen Staatsverständnis der Verfassung, sondern ist gleichsam ein naturrechtlich begründetes, vorstaatliches Recht, das insoweit keiner staatlichen Anerkennung bzw. Verleihung bedarf. 463 Diese Naturgegebenheit führt dazu, dass die elterliche Rechtsposition grundsätzlich nicht entziehbar ist, so dass sich eine zu eng ausgestaltete Zielsetzung elterlicher Pflichterfüllung verfassungsrechtlich verbietet. 464 Nur eingeschränkt fließt das gesellschaftliche Interesse an 458

So wohl im Ergebnis auch Liermann FamRZ 1999, S. 809. Vgl. OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f. 460 Vgl. OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492. 461 Vgl. Staudinger / Peschel-Gutzeit vor § 1626 Rz. 22; BVerfGE 60, S. 79 = NJW 1982, S. 1379 = FamRZ 1982, S. 745 = ZBlJugR 1982, S. 314; E 7, S. 320 (323); E 4, S. 52 (57). 462 Vgl. BVerfGE 24, S. 119 (150) = NJW 1968, S. 2233 (2237); dazu auch Beitzke FamRZ 1958, S. 7 (9); Bosch FamRZ 1959, S. 379; Quambusch ZfJ 1988, S. 315 (318); Schwoerer FamRZ 1958, S. 41 f; Engler FamRZ 1969, S. 63 f; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187. 463 BVerfGE 59, S. 360 (376); E 60, S. S. 79 (88); E 74, S. 102 (124); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (403) mwN; Beitzke Festschr. für Lehmann, S. 493 (507) unter Hinweis auf Art. 120 WRV; Hansmann FamRZ 1962, S. 452 (453); Maunz / Dürig / Maunz Art. 6 Rz. 22; RGRK / Wenz § 1626 Rz. 22; zu den Bedenken einer darin angelegten philosophischmoralischen Begrenzung des Erziehungsbegriffs als Widerspruch zur weltanschaulichen Neutralität der Verfassung vgl. Quambusch ZfJ 1988, S. 315 (316), der insoweit eine sorgfältige Abwägung zwischen der biologischen und naturrechtlichen Fundierung des Elternrechts vornimmt; MüKo / Hinz § 1626 Rz. 11, der den naturrechtlichen Ansatz als vorstaatliches Recht durch die Verfassung als positivrechtlich ausgestaltet ansieht. 464 Vgl. Beitzke FamRZ 1958, S. 7 (9); Bosch FamRZ 1959, S. 379; Quambusch ZfJ 1988, S. 315 (318); Schwoerer FamRZ 1958, S. 41 f; Engler FamRZ 1969, S. 63 f. 459

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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verfassungs- und wertkonformen Erziehungsinhalten ein und schlägt sich nieder in einem subsidiären Gemeinschaftsvorbehalt zur Gefahrenabwehr. 465 Im Übrigen obliegt es allein der Elternverantwortung, dem Bedürfnis des Kindes nach Schutz und Hilfe zu entsprechen und die Voraussetzungen zu schaffen, sich zu einer „eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln, wie sie dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht“. 466 Dieser elterliche Vorrang ist im Hinblick auf die Beurteilung des Alleinsorgeantrags gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 zunächst neutral, denn er setzt die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung voraus und bietet den Eltern vor allem Schutz gegen den Staat in der gemeinsam wahrgenommenen Elternverantwortung. 467 Weder der Antragsteller in der Übertragung der Alleinsorge noch der Antragsgegner können sich auf ihr Elternrecht berufen, da die beantragte Alleinsorge nicht vom Schutzbereich erfasst wird und der Schutz vor dem Entzug der Elternstellung nur so weit reicht, wie sich dies aus dem Kindesinteresse ableitet. 468 Ausschlaggebend für die Gewichtung zugunsten der gemeinsamen Sorge ist hingegen die Pflichtenbindung, die dem Elternrecht immanent ist. Der Inhalt und die Reichweite des Elternrechts sind bestimmt vom grundrechtsimmanenten Doppelcharakter als Pflichtrecht, dessen Anerkennung sich allein aus der Pflichterfüllung nach Maßgabe des kindlichen Schutzbedürfnisses legitimiert. 469 Die demzufolge als fiduziarisches Recht oder als treuhänderische Freiheit bezeichnete Position der Eltern schützt daher nicht die Freiheit der Erziehung als Herrschaftsverhältnis, sondern nur die Entscheidungsfreiheit bei der Art ihrer pflichtgebundenen Ausübung. 470 Dieser spezifische Charakter ist somit für das elterliche Erziehungsrecht unmittelbar inhaltsbestimmend und findet nicht erst Ausdruck in der Grundrechtsschranke. 471 Dies führt gleichzeitig dazu, dass die 465

Vgl. Becker FamRZ 1961, S. 104 ff; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Frankfurt / M. FamRZ 2006, S. 1627. 466 Vgl. BVerfGE 24, S. 119 (144) = NJW 1968, S. 2233 (2235) = FamRZ 1968, S. 578 = ZBlJugRR 1968, S. 24 = DAVorm 1968, S. 324. 467 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 115. 468 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 115; ders. JZ 1992, S. 809 (813 ff). 469 Vgl. BVerfGE 59, S. 360 (376); insbesondere in Hinblick auf die einzigartige Pflichtbindung dieses Freiheitsrechts vgl. Böckenförde Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 14 (1980), S. 66; Dölle II, § 91 I; Erichsen „Elternrecht- Kindeswohl- Staatsgewalt“, S. 33; Gießen JZ 1982, S. 817 (821); Proksch, in Proksch / Sievering, S. 61, betont den Schutzcharakter des Elternrechts gegenüber dem Kind; BVerfGE 59, S. 360 (376); E 56, S. 363 (381); E 24, S. 119 (143); E 10, S. 59 (76); BGHZ 66, S. 334 (337). 470 Vgl. BVerfGE 59, S. 360 (377); E 24, S. 119 (143); E 10, S. 59 (67, 76 f); RGRK / Wenz § 1626 Rz. 23; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 f: OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596 = OLG-Report 1999, S. 283 f. 471 Vgl. BVerfGE 72, S. 155 (167) = NJW 1986, S. 1859 = FamRZ 1986, S. 769 = JZ 1986, S. 632 = WM 1986, S. 828 = ZIP 1986, S. 975 = DAVorm 1986, S. 419; zum Problem

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Stellung der Eltern unverzichtbar und mit der Pflicht verbunden ist, alle Hindernisse bei der Ausübung der Elternverantwortung zu beseitigen. 472 Diese Pflichterfüllung ist an die gemeinsame Sorge als verfassungsrechtliches Sorgerechtsmodell geknüpft. So sind nicht nur die Einzelpositionen, sondern auch gerade die gemeinsame Elternverantwortung in ihrer Verbundenheit beider Positionen von der Pflichtenstellung umfasst. 473 Damit wird die gemeinsame Sorge zum von Verfassungs wegen angestrebten Modell. 474 Ungeachtet der systematischen Anknüpfung an ein mit der Ehe verbundenes Familienbild bleibt dabei die Elternverantwortung iSd Art. 6 Abs. 2 GG grundsätzlich von der Scheidung und Trennung der Eltern unberührt. 475 Die Pflicht zur Ausübung der gemeinsamen Elternverantwortung innerhalb der fortbestehenden Rechtsstellung ist mithin verfassungsrechtlich verankert. 476 Den Eltern obliegt es, nach Maßgabe dieser verfassungrechtlichen Vorgaben daher zunächst auf eine Einigung hinzuwirken, die eine dem Kindesinteresse entsprechende Lösung für seine Pflege und Erziehung sowie die Fortsetzung der Beziehung zu beiden Eltern beinhaltet. 477 Daraus folgt für die Pflichtenbindung der Eltern, dass die willkürliche Aufkündigung der gemeinschaftlichen Verantwortung unzulässig ist. 478 Insbesondere Antragsmotivationen, die nicht auf die Kindesinteressen ausgerichtet sind wie etwa die Absicht, der Grundrechtsmündigkeit von Minderjährigen vgl. Bosch FamRZ 1959, S. 200; Kuhn „Grundrechte und Minderjährigkeit“, S. 38 f; Krüger FamRZ 1956, S. 329 (331); Schwerdtner AcP 173 (1973), S. 227; BGH NJW 1974, S. 1947 (1949) = MDR 1975, S. 47 = JZ 1975, S. 95 = FamRZ 1974, S. 595; BVerfGE 47, S. 46 (74) = NJW 1978, S. 807 = JZ 1978, S. 304 = FamRZ 1978, S. 177; BayObLGZ 1985, S. 145 = NJW-RR 1986, S. 3 = MDR 1985, S. 765 = FamRZ 1985, S. 737 (738); Magnus FamRZ 1988, S. 157 (161). 472 Vgl. Staudinger / Peschel-Gutzeit § 1626 Rz. 25; OLG Karlsruhe FamRZ 1999, S. 801 (802); dass. FamRZ 2000, S. 1041 (1042); OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; vgl. auch schon RGJW 1925, S. 2115; KG FamRZ 1955, S. 295; Henrich „Familienrecht“, S. 214 (§19 III); MüKo / Hinz § 1627 Rz. 4; Soergel / Strätz § 1627 Rz. 3. 473 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb.2000) § 1671 Rz. 128; BVerfG FamRZ 1971, S. 421 (424); FamRZ 1982, S. 1179 (1181). 474 Vgl. Müko / Hinz § 1671 a.F. Rz. 63, 64; a. A. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 34; BGH FamRZ 1993, S. 314 (315); Luthin „Gemeinsame Sorge nach der Scheidung“, S. 72. 475 Vgl. BVerfGE 31, S. 194 (205); BVerfGE 61, S. 358 (374); LG Bremen FamRZ 1977, S. 402 (404); LG Mannheim FamRZ 1971, S. 185 (186); Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (759); dazu auch Knöpfel NJW 1983, S. 905. 476 Vgl. OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492; vgl. auch schon RGJW 1925, S. 2115; KG FamRZ 1955, S. 295; Henrich „Familienrecht“, S. 214 (§19 III); MüKo / Hinz § 1627 Rz. 4; Soergel / Strätz § 1627 Rz. 3. 477 Vgl. BVerfGE 61, S. 358 (380); E 31, S. 194 (205); BVerfG EuGRZ 1981, S. 362; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f. 478 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 128; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 (41); anders KG FamRZ 1999, S. 808; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 34.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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die Partnerschaftsauflösung auch auf die Erziehungszuständigkeit auszuweiten, sind mit dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe unvereinbar. Erst qualifizierte Voraussetzungen vermögen einen staatlichen Eingriff in diese verfassungsrechtlich begründete Verbindung der beiden Rechtsstellungen zu rechtfertigen. 479 Diese übergreifende Zielsetzung des Reformgesetzes wird schließlich auch durch die Instrumente der Intervention erkennbar. 480 So ist die Intervention zunächst deutlich darauf gerichtet, Hindernisse gegenüber der gemeinsamen Sorge zu beseitigen. 481 Dies beginnt schon mit der Ausgestaltung der gesetzlichen Trennungssorge. Sie setzt bewusst geringe Standards, um die Auswirkungen durch die Trennung verursachter Konfliktanfälligkeit zu minimieren. 482 Dies erweitert das Spektrum der gemeinsamen Sorge, indem das Gesetz geringe Anforderungen an ihre Ausübung stellt, so dass Hindernisse für die einvernehmliche Sorgerechtsausübung bereits auf der Tatbestandsseite beseitigt werden. 483 In Anlehnung an die Kindeswohlmaxime des § 1697a wird auf diese Weise statuiert, das „Mögliche“, also das im Einzelfall vorhandene Sorgerechtspotential, im Interesse des Kindes auszuschöpfen. 484 Auch wenn sich also die Gemeinsamkeit allein aufgrund einer gesetzlichen Zielsetzung nicht verordnen lässt 485, so ist sie als Schutzgut des Kindeswohls auch nicht leichtfertig preiszugeben. 486 Ausgangspunkt der Beurteilung muss die o. g. Pflicht der Eltern sein, sich zugunsten des Kindes zu einigen. 487 Diese zeigt sich über die Gewichtung der gesetzlichen Sorge hinaus auch durch zusätzliche Instrumente, mit denen die Eltern im Prozess zugunsten einer gütlichen Einigung unterstützt werden. 488 Insbeson479 Vgl. dazu auch BVerfGE 31, S. 194 (205); E 7, S. 320 (323); OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f. 480 Vgl. dazu auch weitere Ausführungen in diesem Kap. unter Abschn. II.4. im Zusammenhang mit den Interventionsansätzen des Reformgesetzes im Rahmen des Antragsverfahrens. 481 Vgl. AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 (538). 482 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 72 unter Hinweis auf die Relativierung der Eingriffskompetenz durch die Erleichterung der Aufgabenverteilung; ebenso OLG München NJW 2000, S. 368; dazu weitere Ausführungen zur gesetzlichen Trennungssorge Kap. B., Abschn. III.2. 483 Vgl. auch AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322); Liermann FamRZ 1999, S. 809. 484 Vgl. KG ZfJ 1999, S. 395; vgl. dazu auch im Zusammenhang mit der Umgangsgestaltung AG Saarbrücken FamRZ 2003, S. 1200 (1201). 485 So ausdrücklich in der Begründung des Regierungsentwurfes zum KindRG hervorgehoben und als Einschränkung hervorgehoben, vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = BRDrucks. 180/96, S. 73; BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203. 486 Vgl. Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003 (1005); sinngemäß so auch OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1049). 487 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; OLG Köln FamRZ 2000, S. 499; OLG München NJW 2000, S. 368 (369); OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596. 488 Vgl. Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003 (1005).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

dere die reformierte Verfahrensstruktur stellt darauf ab, den elterlichen Konflikt ohne eine Sorgerechtsübertragung beizulegen. Eine besondere Bedeutung hat dabei vor allem die ausdrückliche Befürwortung der außergerichtlichen Beratung gem. § 52 FGG vor und während des anhängigen Sorgerechtsverfahrens. 489 Darin wird durch gezielte Hilfestellung versucht, die Betroffenen zu einer eigenen Lösung innerhalb des bestehenden Sorgerechts zu befähigen. Flankierend greift in gleicher Weise noch die gerichtliche Einzelentscheidung gem. § 1628 ein, bei der, ohne in die Rechtsstellungen einzugreifen, nicht eigenständig lösbare Konflikte durch die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil beigelegt werden. 490 Solange sich also die Unfähigkeit der Eltern zur gemeinsamen Sorgerechtsausübung auf einen thematisch und zeitlich begrenzten Bereich erstreckt, zielt die Intervention zunächst auf die Bewahrung der gesetzlichen Sorge ab. Zu diesem Gesichtspunkt gehört auch die Einführung der teilweisen Alleinsorge – d. h. über die bloße Abspaltung der Vermögenssorge hinaus –, die eine differenzierte Sorgerechtsgestaltung eröffnet und den Verlust gemeinsamer Sorge so gering wie möglich hält. 491 Insgesamt ergibt sich daraus eine konzeptionelle Ausrichtung der Verfahrensgestaltung, die der Bewahrung gemeinsamer Sorge gegenüber der Übertragung von Alleinsorge den Vorzug einräumt. Beim Entzug der Rechtsstellung eines Elternteils ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen. 492 Diese Priorität zu Gunsten der gemeinsamen Sorge ist nun in ihren konkreten Auswirkungen auf die sorgerechtliche Bewertung des Alleinsorgeantrages zu untersuchen. dd) Anforderungen an die elterliche Kooperation infolge der Regel-Ausnahme-Diskussion Die praktische Auswirkung der Regel-Ausnahme-Diskussion besteht vor allem in der Beurteilung der elterlichen Kooperation, die für eine kindeswohlgerechte Ausübung der gemeinsamen Sorge für erforderlich erachtet wird. 493 Denn im Rahmen des Antragsverfahrens stellt sich für die Abwägung zwischen den Sorgerechtsformen die zentrale Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die gemeinsame Sorge auch gegen den Willen der Eltern gerichtlich durchgesetzt werden kann. 494 So ist grundsätzlich zu entscheiden, ob der Antrag und die darin zum 489

Vgl. dazu weitere Ausführungen zur Beratung der Jugendhilfe Abschn. C.III.4. Vgl. OLG München NJW 2000, S. 368 (369); OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1597; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042). 491 Vgl. dazu weitere Ausführungen unter Abschn. C.IV. 492 Vgl. OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492. 493 Zum allgemeinen Überblick der Entwicklung der Rechtsprechung vgl. auch Motzer FamRZ 2006, S. 73; ders. FamRZ 2004, S. 1145; ders. FamRZ 2003, S. 793. 494 Vgl. kritische Einschätzung der gegen den Willen des begünstigten Elternteils übertragenen Rechtsstellung OLG Nürnberg FamRZ 2002, S. 413 (414); MüKo / Finger 490

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Ausdruck kommende Ablehnung gemeinsamer Elternverantwortung bereits Anhaltspunkte gegen die Kindeswohlverträglichkeit der gemeinsamen Sorge bieten. Ausgangspunkt der Überlegung muss sein, dass die Fortführung der gemeinsamen Sorge nach § 1687 erfordert, dass sich die Eltern über Angelegenheiten des Kindes, welche für dieses von erheblicher Bedeutung sind, verständigen können. Sie setzt also ein Mindestmaß an Kooperationsfähigkeit und -willigkeit voraus, die in einer Prognose festzustellen ist. 495 Hier ist ausschlaggebend, inwieweit auch im Antragsverfahren eine Vermutung der kindgerechten Elternkooperation gilt. 496 Nach welchen Maßstäben diese elterliche Kooperation zu messen ist, folgt aus der grundsätzlichen Einschätzung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses der Sorgerechtsformen. Die zentrale Frage der Auseinandersetzung ist, ob die Kooperationsbereitschaft eine notwendige Voraussetzung für die Ausübung der gemeinsamen Trennungssorge darstellt oder ob sie auch gegen den Willen der Eltern aufrechterhalten bleiben kann. Denn soweit man die gemeinsame Sorge als Regelfall ansieht, gilt die gesetzliche Vermutung einer Kooperationsfähigkeit beider Eltern gem. § 1687 zunächst auch nach einem Alleinsorgeantrag. Anhand des Einzelfalls wäre sie nur durch eine signifikante Abweichung vom gesetzlichen Regelfall zu widerlegen. Stellt man die Sorgerechtsformen hingegen als gleichwertig gegenüber, so ist die Kooperation stets gerichtlich zu überprüfen und für die gemeinsame Sorge nachzuweisen. Vor dem Hintergrund des streitigen Antrags wäre demnach der darin zum Ausdruck kommende Dissens zu widerlegen. Die Beurteilung der Frage, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht, hängt vor allem davon ab, welche Anforderungen an das elterliche Kooperationsverhalten gestellt werden. Erst wenn das erforderliche Zusammenwirken beider Elternpositionen nicht hinreichend gewährleistet ist, wird die Übertragung der Alleinsorge vorzugswürdig. 497 Denn wie bei der früheren Scheidungssorge sind Ausgangspunkte der Sorgerechtsübertragung die 4. Aufl. § 1671 Rz. 73; Zu den Einschätzungen zur Zeit vor dem KindRG vgl. historische Betrachtungen in Kap. A., Abschn. IV.2. 495 Vgl. OLG Hamburg MDR1999, S. 748 (749); OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464; KG FamRZ 1999, S. 616 (617); OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 f; dass. FamRZ 2002, S. 1209; OLG Köln FamRZ 2001, S. 183; dass. FamRZ 2003, S. 1036; dass. FamRZ 2005, S. 1275 = NJW-RR 2005, S. 373 = OLGR 2005, S. 232 = OLGR 2005, S. 41 = OLGR 2005, S. 41; OLG Hamm FamRZ 2002, S. 565 (566); dass. FamRZ 2002, S. 1208; dass. FamRZ 2005, S. 537; OLG Saarbrücken OLGR 2004, S. 155; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 36. 496 Unter Bezugnahme auf das bisherige Verhalten vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2002, S. 188 (189); OLG München FamRZ 2002, S. 189, das ausdrücklich feststellt, dass die Tatsache fehlender Kooperation und Kommunikation der Eltern in der Vergangenheit die Prognose begründet, dass dies auch in Zukunft so bleibt. 497 Sinngemäß auch OLG Köln FamRZ 2000, S. 499; dass. FamRZ 2003, S. 1036; dass. FamRZ 2003, S. 1492 (1493); wohl etwas weitergehend OLG Hamm FamRZ 2001, S. 183, wonach die Alleinsorge dann bereits vorzugswürdig sei, wenn befürchtet werden müsse, dass die gemeinsame Sorge nicht funktioniere.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Vermeidung von Konflikten und die Gewährleistung der sorgerechtlichen Funktionsfähigkeit zum Schutz der Kindesinteressen. So hat sich zunächst die Formel herausgebildet, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dann gerechtfertigt sei, wenn entweder einem Elternteil die Erziehungseignung und -fähigkeit fehlt oder die Grundlage einer elterlichen Kooperation nicht mehr besteht. 498 Worin aber diese Grundlage der Kooperation besteht, ist problematisch und wird sehr unterschiedlich beurteilt. Bereits ein Blick auf die alte Rechtslage verdeutlicht den bestehenden Zwiespalt. 499 So setzte sich vor Inkrafttreten des KindRG die elterliche Kooperation nach herrschender Auffassung aus zwei Komponenten zusammen. Objektives Merkmal war die Kooperationsfähigkeit, die in der Fähigkeit jedes Elternteiles besteht, einen Konsens zu finden und gemeinsam zu handeln, während sich das subjektive Element auf die Kooperationsbereitschaft beider Eltern richtete. 500 Die subjektive Voraussetzung des alten Kooperationsbegriffs wäre im Verfahren nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 nicht erfüllt, da seitens des Antragstellers die Kooperationsbereitschaft fehlt. Es ist jedoch zweifelhaft geworden, ob für gemeinsame Sorge weiterhin über die objektive Kooperationsfähigkeit hinaus auch eine diesbezügliche Bereitschaft aktuell verlangt wird. 501 So hat die Betrachtung der gesetzlichen Trennungssorge gezeigt, dass die innere Bereitschaft zur Legitimation der Fortsetzung gemeinsamer Elternsorge nicht mehr erforderlich ist und die gesetzliche Regulation allein auf die äußere Funktionsverteilung abstellt. 502 In den Vordergrund rückt auf diese Weise die fortbestehende objektive Pflichtenstellung und drängt die innere Haltung der Eltern zu ihrer gemeinsamen Rechtsausübung zunächst zurück. 503 So sind vor dem Hintergrund 498 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1597; vgl. dazu auch Bode FamRZ 1999, S. 1400 (1401 f). 499 Vgl. Kap. A., Abschn. IV.2. 500 Vgl. grundlegend BVerfGE 61, S. 358 = FamRZ 1982, S. 1179; darüber hinaus exemplarisch für die damalige Einschätzung aus den verschiedenen Lagern vgl. Hinz ZfJ 1984, S. 529; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876); Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 26, 82; Kropholler NJW 1983, S. 905 (908); MüKo / Hinz § 1671 a.F. Rz. 68; Oelkers / Kasten FamRZ 1993, S. 18 (20); Wallerstein / Blakeslee „Gewinner und Verlierer“, S. 321 f; OLG Hamburg FamRZ 1985, S. 1248; OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 599; OLG Frankfurt FamRZ 1996, S. 889; OLG Brandenburg FamRZ 1996, S. 1095; OLG Hamm FamRZ 1996, S. 1097; dass. FamRZ 1997, S. 48. 501 Vgl. Bode FamRZ 1999, S. 1400 (1402); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 118; zur deutlichen Einschränkung der Bedeutung der gemeinsamen Absicht, wie sie das BVerfG in der Entscheidung zur Aufhebung obligatorischer Alleinsorge eingeführt hat, durch das KindRG vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 73. 502 Vgl. weitere Ausführung in Kap. B., Abschn. II.1., B.II.4.d), zur bewussten Inkaufnahme der sachfremden Motivationslagen und ihren Folgen seitens des Gesetzgebers. 503 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 f, das auf die eingeschränkten Anforderungen an das Zusammenwirken hinweist, die sich aus der weitgehenden Funktionsaufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Eltern ergeben.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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der neuen Rechtslage die betroffenen Interessen sorgfältig gegeneinander abzuwägen. 504 Insbesondere ist zu entscheiden, wie viel Kooperation den Eltern trotz ihrer Auseinandersetzung und persönlichen Widerwillens zumutbar ist. 505 Vor dem Hintergrund der Regel-Ausnahme-Diskussion ergeben sich im Wesentlichen folgende zwei Lager für die Beurteilung der Kooperationsanforderungen für die gemeinsame Trennungssorge. 506 Eine starke Auffassung in Literatur und Rechtsprechung lehnt eine aufoktroyierte Fortsetzung der gemeinsamen Sorge mit dem zentralen Argument der RegelAusnahme-Diskussion ab, dass sich Gemeinsamkeit nicht verordnen ließe. 507 So sei die subjektive und objektive Kooperationsbereitschaft für die kindeswohlgerechte Ausübung gemeinsamer Trennungssorge von übergeordneter Bedeutung. 508 Die Fähigkeit zu kooperativem Verhalten äußere sich darin, dass die Eltern in der 504 Zunächst ist hier innerhalb der Interessenkollision zwischen Eltern und Kind, sowie der Kompetenzabgrenzung zwischen der wächteramtlichen Schutzpflicht des Staates und der Erziehungsautonomie der Eltern abzuwägen. Hinzu treten neben den vorrangigen Maßstab des Kindeswohls die schützenswerten Eigeninteressen der Eltern gerade im Verhältnis zum bisherigen Partner; vgl. zu dieser Gemengelage auch schon BVerfGE 55, S. 171; „Zur Sache“ S. 14 ff, 24, 29 f, 37 ff, 40, 44, 53, 56, 64, 71, 75, 82, 85; Coester EuGRZ 1982, S. 256 (257). 505 Zur Beurteilung im Vorfeld der Reform vgl. weitere Ausführungen im Kap. A., Abschn. II.3. mwN. 506 Im Überblick dazu ausführlich Bode FamRZ 1999, S. 1400; Liermann FamRZ 1999, S. 809; Oelkers FPR 1999, S. 132 (135 f); Niepmann MDR 2000, S. 613. 507 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63= BR-Drucks. 180/96, S. 73; Johannsen / Henrichs / Jaeger § 1671 Rz. 34 f; Oelkers FRP 1999, S. 132 (135); ders. FuR 1999, S. 349 (350); Willutzki KindPrax 1998, S. 8 (11); BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203 mit Anm. Born FamRZ 2000, S. 396 und Anm. Coester DEurFamR 2000, S. 53 sowie Oelkers MDR 2000, S. 31; OLG Dresden FamRZ 1999, S. 1156; OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 392; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596; OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039 (1041) OLG Schleswig FamRZ 2000, S. 1595; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1596; dass. FamRZ 2000, S. 1605; OLG Thüringen FamRZ 2001, S. 436; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 182 = NJW-RR 2001, S. 506 f; OLG Köln FamRZ 2001, S. 183; dass. FamRZ 2003, S. 1036; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 120; OLG Braunschweig FamRZ 2002, S. 121; KG FamRZ 2006, S. 1626. 508 So BT-Drucks. 13/4899, S. 63 mit der weitergehenden Erläuterung: „Wenn die Eltern sich bei Fortbestehen der gemeinsamen Sorge über die das Kind betreffenden Angelegenheiten fortwährend streiten, kann dies zu Belastungen führen, die dem Kindeswohl zum Nachteil gereichen. In diesen Fällen ist der Alleinsorge der Vorzug zu geben; ebenso Oelkers MDR 2000, S. 32 (33); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 36; zur deutlichen Einschränkung der Bedeutung der gemeinsamen Absicht, wie sie das BVerfG in der Entscheidung zur Aufhebung obligatorischer Alleinsorge eingeführt hat, durch das KindRG vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 71; BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 612; dass. FamRZ 2001, S. 1636; OLG Hamburg OLGR 1999, S. 130 = MDR 1999, S. 748 (749); OLG Karlsruhe NJW-RR 1998, S. 940 (951); OLG Celle FF 1999, S. 57; AG Solingen FamRZ 1999, S. 183; KG (19.Zs) FamRZ 1999, 616; dass. FamRZ 1999, S. 808; dass. ZfJ 1999, S. 395 (396); dass. (16. Zs.) FamRZ 2000, S. 504; dass. FuR 2000, S. 269; OLG Düsseldorf FamRZ 1999,

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Lage seien, persönliche Interessen und Differenzen zu übergehen und sich auf das Kindeswohl zu konzentrieren, was vor allem von der inneren Bereitschaft hierzu abhänge. 509 Es handele sich dabei um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. 510 Demzufolge sei im Einzelfall die positive Feststellung erforderlich, dass die Eltern zur Kooperation in der Lage sind. 511 Das BVerfG senkte die Schwelle zur Übertragung der Alleinsorge sogar weiter ab, indem es postulierte, dass es zur Ausübung der gemeinsamen Sorge einer tragfähigen sozialen Beziehung bedürfe. 512 Daraus wird zum Teil gefolgert, dass die gemeinsame Sorge gegen den Willen der Eltern regelmäßig mit dem Kindeswohl nicht vereinbar sei. 513 Dabei spreche gegen die gemeinsame Sorge bereits der Umstand, dass die Eltern sich über deren Fortbestand S. 1157; dass. FamRZ 1999, S. 1599; dass. MDR 1999, S. 1329; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596; OLG Dresden FamRZ 1999, S. 324 = MDR 1998, S. 1482; dass. FamRZ 1999, S. 1156; dass. FamRZ 2000, S. 109; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 = OLGReport 1998, S. 444 (445) = NJW 1998, S. 3786; differenzierter OLG Bamberg MDR 1999, S. 615; dass. FamRZ 1999, S. 803 = NJW 1999, S. 1873 (1874); OLG Brandenburg FamRZ 1999, S. 1047 (1049); OLG Schleswig OLG-Report 1998, S. 390; OLG Hamm ZfJ 1999, S. 111; dass. FamRZ 1999, S. 38; dass. FamRZ 1999, S. 320 = NJW 1999, S. 372; OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464 = NJW 1998, S. 3786; dass. FamRZ 1999, S. 1464; kritisch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463); a. A. Bode FamRZ 1999, S. 1400; Wend FPR 1999, S. 137 (142); AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322). 509 Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 132 (136); Coester FamRZ 1995, S. 1245 (1247); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452); insoweit befürwortend Reeken DAVorm 1996, S. 672 (674); OLG Celle FamRZ 2003, S. 1488 f. 510 Vgl. dazu Bode FamRZ 1999, S. 1400 (1401); OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1598; ähnlich auch OLG Dresden FamRZ 1999, S. 324; AG Pankow-Weißensee FamRZ 2005, S. 538. 511 Vgl. KG FamRZ 2000, S. 502 (503); dass. FuR 2000, S. 269; AG Pankow-Weißensee FamRZ 2005, S. 538. 512 Vgl. BVerfG FamRZ 2003, S. 285 (287). 513 Vgl. zur alten Rechtslage Dörr NJW 1989, S. 690 (691); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (883); Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Knöpfel NJW 1983, S. 905; Kropholler JR 1984, S. 89; ders. NJW 1984, S. 271 (274); Heiliger FamRZ 1992, S. 1008 (1010); Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (871); Röchling ZfJ 1992, S. 417 (418); Staudinger / Coester § 1671, Rz. 41 a.F.; BGH NJW 1993, S. 126 = FuR 1993, S. 42 = FamRZ 1993, S. 314; OLG Bamberg FamRZ 1991, S. 590 = NJW-RR 1991, S. 580; NJW-RR 1988, S. 1225 = FamRZ 1988, S. 752; NJW-RR 1987, S. 1034 = FamRZ 1987, S. 509 (510); OLG Celle FamRZ 1992, S. 465 (466); OLG Frankfurt FamRZ 1983, S. 758; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, S. 392; = DAVorm 1993, S. 950; FamRZ 1987, S. 89; OLG Frankfurt FamRZ 1993, S. 1352 = NJW-RR 1994, S. 388; AG Gerau FamRZ 1993, S. 462 = DAVorm 1993, S. 200; Hamburg FamRZ 1985, S. 1284; AG Mannheim FamRZ 1994, S. 923 (924); OLG München FamRZ 1991, S. 1343 (1344); OLG Stuttgart FamRZ 1991, S. 1220 (1221); KG FamRZ 1989, S. 654; dass. FamRZ 1988, S. 752; dass. FamRZ 1987, S. 511; OLH Hamm FamRZ 1988, S. 753; a. A. OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89; OLG Hamburg FamRZ 1985, S. 1284; vgl. auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 88, wonach 74,5% der befragten Eltern den gemeinsamen Wunsch zur gemeinsamen Sorge als wesentliche Voraussetzung der gemeinsamen Sorge auffassten; zur Wertung bei unverheirateten Eltern vgl. BVerfG FamRZ 2003, S. 285 (289); dass. FamRZ 2003, S. 358.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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nicht einigen können. 514 Dem stehe auch die gesetzliche Gewichtung des § 1687 nicht entgegen. Die darin enthaltene Eignungsvermutung werde bereits durch den Antrag entkräftet und gebe den Weg frei zu vollumfänglicher Überprüfung der gemeinsamen Sorge durch das Gericht. 515 Der Antrag indiziere bereits, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten entspreche. 516 So führte bereits der Regierungsentwurf aus, der streitige Antrag schaffe die Erwartung, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl entspricht. 517 Nur durch diese Abkehr von der allgemeinen gesetzlichen Gewichtung sei eine einzelfallgerechte Prüfung möglich, die dem Kindeswohl gerecht werde. 518 Die Kooperation sei dabei ein wesentlicher Bestandteil der gemeinsamen Sorge. Dies sei bereits nach der bisherigen Rechtslage allgemein anerkannt. 519 Die Rechtsreform habe daran nichts geändert. 520 Ohne eine gemeinsame Kommunikationsebene sei das für die Sorgerechtsausübung erforderliche Einvernehmen nicht zu erwarten. 521 Hinter dem Nicht-Wollen werde oft ein Nicht-Können stehen, so dass eine unfreiwillige Ausübung der gemeinsamen Sorge bei realistischer Prognose hohe Risiken einer Kindeswohlgefährdung durch den Streit der Eltern berge und ihre Entscheidungsunfähigkeit nach sich ziehe. 522 So heißt es in der Begründung zum Regierungsentwurf:

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Vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596; KG FamRZ 1999, S. 809. Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 1999, S. 132 (136); ders. ZfJ 1999, S. 263 (266); ders. FuR 1999, S. 349 (351 f); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 37; Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (200); OLG Bamberg FamRZ 1997, S. 48. 516 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 37; FamRefK / Rogner § 1671 Rz. 18; Oelkers FuR 1999, S. 132 (136); OLG Bamberg FamRZ 1997, S. 48; OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 612; OLG Hamburg OLGR 1999, S. 130; OLG Celle FF 1999, S. 57; KG FamRZ 1999, S. 616; BT-Drucks. 13/4899, S. 99 = BR-Drucks. 180/96, S. 109. 517 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99 = BR-Drucks. 180/96, S. 109. 518 Vgl. Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (201) betonen in diesem Zusammenhang den sehr individuellen Charakter der Partnerschaftstrennung, der sich letztlich einer universellen Abwägung entziehe. 519 So auch zuletzt OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1048); vgl. dazu im Übrigen OLG Frankfurt FamRZ 1996, S. 889; dass. FamRZ 1993, S. 1352; OLG Hamm FamRZ 1997, S. 48; dass. FamRZ 1996, S. 1097 (1098); dass. FamRZ 1996, S. 561 = DAVorm 1996, S. 204; OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 1047 (1048); dass. FamRZ 1996, S. 1095 (1096); dass. FamRZ 1995, S. 1509 (1510 f); OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047; OLG Schleswig OLGR 1997, S. 244; OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89; OLG Hamburg FamRZ 1985, S. 1284; OLG Stuttgart FamRZ 1991, S. 1220 (1121). 520 Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 132 (136); a. A. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 126, der die aus dem alten Recht übernommenen Entscheidungsmaximen nicht mehr ohne weiteres für anwendbar hält; ebenso Wend FPR 1999, S. 137 (142). 521 Vgl. Born FamRZ 2000, S. 396 (398) unter Verweis auf die Fortgeltung des § 1627 auch bei der gemeinsamen Trennungssorge; OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 392. 515

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

„Allein die Tatsache, dass notwendige Entscheidungen nicht getroffen werden können und das Kind dauernder Zankapfel zwischen den Eltern ist, verlangt eine Entscheidung. Es soll keine Notwendigkeit bestehen, eine solche Entscheidung hinauszuschieben, bis sich die Einigungsunfähigkeit der Eltern in einer konkreten Kindeswohlgefährdung manifestiert hat.“ 523

Wichtige Erziehungsfragen drohten auf diese Weise zum Gegenstand anhaltender Auseinandersetzungen zu werden und die Interessenwahrnehmung für das Kind in den Hintergrund zu drängen. 524 Sozialpolitische Wunschvorstellungen seien jedenfalls nicht geeignet, diese nüchterne Einschätzung mit Blick auf das Kindeswohl zurückzudrängen. 525 Vor allem könne keine verordnete Differenzierung zwischen der Partnerschafts- und Elternebene als sachgerechte Grundlage der sorgerechtlichen Beurteilung dienen. 526 Sie überfordere vielfach die Eltern und werde der Verflechtung beider gleichermaßen von der Trennung geprägter Bereiche nicht gerecht. 527 Nicht zuletzt sei die Partnerschaftsebene gerade der Auslöser des Sorgerechtsverfahrens und beeinflusse daher auch unmittelbar die Kindeswohlbeurteilung. 528 Hier spiele auch die zu beachtende „geschlechtsspezifische Schlagseite“ der gemeinsamen Sorge hinein. So werde von der frauenrechtlichen Position geltend gemacht, dass für den nichtbetreuenden Elternteil die gemeinsame Sorge vorrangig ein Mitbestimmungsrecht ohne zusätzliche Betreuungslast bedeute. 529 Angesichts dieser

522 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 37, 38; so auch eingeschränkt Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 130. 523 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99 = BR-Drucks. 180/96, S. 109. 524 Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 132 (136); ders. ZfJ 1999, S. 263 (266); Rehberg FuR 1998, S. 65 (67); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451); OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047; zuvor bereits entsprechend BGH FamRZ 1993, S. 314 (315); OLG Bamberg FamRZ 1995, S. 1509 (1510); OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1599. 525 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 129. 526 Vgl. Diederichsen NJW 1998, S. 957 (958), der vor allem ausführt, dass die dogmatische Unterscheidung zwischen Partnerschaft und Elternschaft Züge von der althergebrachten „Unauflöslichkeit der Ehe“ trage. Die obligatorische gemeinsame Sorge trete an die Stelle der Ehe; so auch OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40; OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 f. 527 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 43; Oelkers FuR 1999, S. 349 (352) führt in diesem Zusammenhang aus, dass sich erst in der Fähigkeit zum kooperativen Verhalten äußere, dass die Eltern in der Lage seien, die persönlichen Interessen und Divergenzen zu überwinden und sich nur auf das Kindeswohl zu konzentrieren; Sittig / Störr FuR 2000, S. 199 (201); Staudinger / Coester (Bearb 2000) § 1671 Rz. 129; zu den hohen Anforderungen an die Ausübung der gemeinsamen Sorge vgl. auch Balloff / Walter FamRZ 190, S. 445 (451); Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 f; Finger ZfJ 1991, S. 171 (172). 528 Vgl. Oelkers MDR 2000, S. 32 f, der es für lebensfremd hält, zu meinen, dass das Kind von den Streitigkeiten auf der Partnerschaftsebene verschont bliebe.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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weitgehend einseitigen Belastung des betreuenden Elternteils könne man diesem die Einbindung des anderen Elternteils nicht gegen seinen Willen abverlangen. Daraus folge, dass die gemeinsame Trennungssorge grundsätzlich nicht gegen den Willen der Eltern aufrecht zu erhalten sei. 530 Dem Familiengericht stehe lediglich die Möglichkeit offen, im Rahmen des richterlichen Fragerechts auf ein Einvernehmen der Eltern für die Fortsetzung der gemeinsamen Erziehungsverantwortung hinzuwirken und deren Pflicht zur gütlichen Streitbeilegung einzufordern. Führt dies jedoch nicht zur Rücknahme des Alleinsorgeantrags, so müsse es bei der Vermutung eines beachtlichen Kooperationsdefizites bleiben. 531 Demgegenüber gewichten die Befürworter der „gemeinsamen Sorge als Regelfall“ in Literatur und Rechtsprechung das Kooperationsverhalten deutlich anders. 532 Der zentrale Unterschied zur o. g. Auffassung besteht darin, dass die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft zunächst auch über den Alleinsorgeantrag hinaus angenommen wird. 533 Aus einem fehlenden Sorgerechtsantrag könne nicht a priori auf eine bestehende oder gar eine bessere Kooperationsbereitschaft geschlossen werden, so dass Kooperationsbereitschaft keine tatbestandliche Voraussetzung gemeinsamer Sorge darstelle. 534 Der Gesetzgeber habe zu diesem Zweck gezielt Rahmenbedingungen geschaffen, die die Anforderungen an die el529 Vgl. Heiliger FamRZ 1992, S. 1006 (1007, 1010 unter Verweis auf zahlreiche amerikanische Tatsachenstudien); Niemeyer FuR 1995, S. 221 (222); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 130. 530 Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 132 (135 f); Niepmann MDR 2000, S. 613; dies. MDR 1999, S. 653; Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452); KG FamRZ 1999, S. 809; einschränkend auch OLG Hamm FamRZ 1999, S. 739; a. A. Pieper FuR 1998, S. 1 (4); Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1380); OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1048); AG Lahr FamRZ 2003, S. 1861; nach alter Rechtslage auch schon OLG Karlsruhe FamRZ 1998, S. 499; OLG Düsseldorf FamRZ 1998, S. 500. 531 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 37; nach alter Rechtslage so auch schon Michalski FamRZ 1992, S. 128 (135); Schwab „Handbuch“ Teil III., Rz. 95; BGH NJW 1993, S. 126 = FuR 1993, S. 42 = FamRZ 1993, S. 314; BGH NJW 1993, S. 314; OLG Celle FamRZ 1992, S. 465 (466); OLG Frankfurt FamRZ 1993, S. 1352 = NJW-RR 1994, S. 388 f; OLG München FamRZ 1991, S. 1343 (1344). 532 Vgl. dazu etwa Runge FPR 1999, S. 142; Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 567 f; OLG Köln FamRZ 2000, S. 499; dass. FamRZ 2000, S. 1041; dass. FamRZ 2003, S. 1492; OLG Hamm FamRZ 2000, S. 26; dass. FamRZ 2005, S. 537; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 32; AG Lahr FamRZ 2003, S. 1862; KG FamRZ 1998, S. 737; anders jedoch KG (16. Zs) FamRZ 2000, S. 504; Eckhert-Schirmer FuR 1996, S. 205 (211); so auch schon Schwenzer 59. Juristen Tag 1992, S. A 77; differenzierend Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 119; zum allgemeinen Überblick der Entwicklung der Rechtsprechung vgl. auch Motzer FamRZ 2006, S. 73; ders. FamRZ 2004, S. 1145; ders. FamRZ 2003, S. 793. 533 Vgl. OLG Oldenburg FamRZ 1999, S. 1464; KG FamRZ 1999, S. 737; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537; OLG Frankfurt / M. FamRZ 2006, S. 1627. 534 Vgl. Bode FamRZ 1999, S. 1400 (1401), der auf die Vielzahl sachwidriger Motivationen hinweist, die dazu führen können, keinen Alleinsorgeantrag zu stellen.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

terliche Kooperation eng begrenzen. 535 Er habe dabei ausdrücklich hervorgehoben, dass die Anforderungen an die Beibehaltung gemeinsamer Sorge getrennter und geschiedener Eltern oft überschätzt werden. 536 Erst die besonderen Bedingungen des Einzelfalls vermögen diese Annahme zu widerlegen. Es bedürfe insoweit eines qualifizierten Nachweises. 537 Damit werde die Kooperation nicht als Voraussetzung der gemeinsamen Sorge neutral geprüft, sondern von den Eltern im Rahmen ihrer Elternverantwortung grundsätzlich gefordert. 538 Dies beruht im Wesentlichen auf zwei Überlegungen. Die erste Überlegung beruht darauf, dass die Eltern aufgrund ihrer treuhänderischen Sorgerechtsstellung gem. § 1627 verpflichtet seien, erzieherisches Einvernehmen zu suchen und zu finden. 539 Aus dieser Pflicht könnten die Eltern nicht entlassen werden, solange ihnen ein gemeinsames Erziehungshandeln zum Wohl des Kindes zumutbar sei und die darauf gerichtete Erwartung nicht unbegründet erscheine. 540 Die frauenrechtliche Argumentation stelle die persönliche Interessenwahrnehmung der Eltern in den Vordergrund und lasse deren Pflicht zur Wahrnehmung der Kindesinteressen außer Acht. 535 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 58 = BR-Drucks. 180/96, S. 68; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036; dass. FamRZ 2003, S. 1492; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; vgl. dazu auch Kap. A., Abschn. V. mit weiteren Ausführungen zur gesetzgeberischen Wertung. 536 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 62= BR-Drucks. 180/96, S. 72. 537 Vgl. Liermann FamRZ 1999, S. 809; so auch schon Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041; OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042 f; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 (1037). 538 Vgl. Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003 (1004); OLG Frankfurt / M. FamRZ 2006, S. 1627; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; OLG Köln FamRZ 2000, S. 499; dass. FamRZ 2003, S. 1492; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40; dass. FamRZ 2000, S. 506 (507); OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803. 539 Vgl. KG FamRZ 1999, S. 737; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1159; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 1006, unter Hinweis auf die elterliche Einungspflicht gem. § 1627; OLG Karlsruhe EzFamR aktuell 1999, S. 1046; dass. ZfJ 1999, S. 352 (353) = FamRZ 1999, S. 801, das insbesondere auf die Betonung des Pflichtcharakters in § 1626 Abs. 1 S. 1 abstellt; dass. FamRZ 2000, S. 1041 f, mit kritischen Anm. von Luthin FamRZ 2000, S. 1042; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 (41) = NJW 1998, S. 3786 = OLGR 1998, S. 444; dass. FamRZ 2000, S. 506 (507); dass. FamRZ 2001, S. 184; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 564 (565); OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492; unter dem Gesichtspunkt der Pflicht zur Überwindung bestehender Barrieren vgl. OLG München NJW 2000, S. 368 f; OLG Schleswig NJW-RR 2000, S. 813 f; OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1952; OLG Frankfurt / M. FamRZ 2006, S. 1627; a. A. Niepmann MDR 1999, S. 653. 540 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 128; Pummel DAVorm 1998, S. 153; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 (41) = NJW 1998, S. 3786 = OLGR 1998, S. 444; dass. FamRZ 2000, S. 506 (507); dass. FamRZ 2001, S. 184; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); dass. FamRZ 2002, S. 1209; OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1048); dass. ZfJ 1999, S. 28 (29); dass. FamRZ 2002, S. 567 f; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; OLG Hamm FamRZ 2002, S. 565; dass. FamRZ 2005, S. 537 f; AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 f; trotz abweichender Folgerung grundsätzlich zustimmend Niepmann MDR 1998, S. 1256 (1259).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Im Einzelnen steht hier zunächst die systematische Betrachtung im Vordergrund. Die Anforderungen an die Kooperation seien zur Erleichterung dieser altruistischen Pflichterfüllung in § 1687 bewusst niedrig ausgestaltet worden. 541 Der gesetzliche Tatbestand der Trennungssorge habe die elterliche Kooperation stark vereinfacht. 542 Den Eltern werde auf diese Weise erspart, aus eigener Kraft eine Zuständigkeitszuweisung vorzunehmen, und damit würden etwaige Machtkämpfe oder Absprachenzwänge bereits im Vorfeld vermieden. 543 Überdies sei die Verknüpfung ihrer Sorgerechtsausübung auf ein Minimum reduziert. 544 Angesichts dieser geringen Anforderungen an das elterliche Zusammenwirken sei es zumutbar, die gemeinsame Sorge auch gegen den Willen der Eltern aufrechtzuerhalten. 545 Nicht die formale Bereitschaft der Parteien, sondern die tatsächlichen Verhältnisse seien hier entscheidend. 546 Hier seien vor allem die Differenzierungsspielräume der gerichtlichen Sorgerechtsentscheidung einzubeziehen. Je weiter die Kompetenz der Alleinsorge reiche, desto geringer seien die Anforderungen an die Konsensfähigkeit bezüglich der verbleibenden gemeinsamen Zuständigkeit. 547 Die zweite Überlegung fußt darauf, dass auch in der universellen Kindeswohlbeurteilung des § 1687 der trennungsbedingte Elternkonflikt bereits in die Abwägung eingeflossen sei. 548 Der Trennungskonflikt werde also gleichsam als inkorporierter Bestandteil der Trennungssorge angesehen, wobei versucht werde, die negativen 541

So auch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 72; vgl. dazu weitere Ausführungen in Kap. B., Abschn. II., VII. 542 Vgl. AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; vgl. auch OLG München NJW 2000, S. 368 (369). 543 Vgl. dazu weitere Ausführungen in Kap. B. insb. Abschn. II.2., 4. 544 Dies führt dazu, dass teilweise erwogen wird, inwieweit die elterliche Kooperation überhaupt ein Kriterium der gemeinsamen Trennungssorge sei (vgl. Bode FamRZ 1999, S. 1400). Die gesetzliche Funktionsverteilung sei ausreichend. Alternativ zur Kooperation sei lediglich die subjektive und objektive Erziehungseignung der Elternteile zur Ausübung des Sorgerechts zu prüfen. Dieser Beurteilungsmaßstab erscheint jedoch problematisch, weil er letztlich die gemeinsame Sorge zu einer Koexistenz zweier Alleinsorgen zu machen droht und das „Mehr“ als die Summe seiner Bestandteile in der Tolerierung der Position des anderen Elternteils sieht. 545 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1999, S. 801 = EzFamR 1999, S. 66; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1600; OLG Nürnberg EzFamR 1999, S. 116; ähnlich auch AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); im Ergebnis so auch OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; kritisch dazu Born FamRZ 2000, S. 396 (397); nach der alten Rechtslage vgl. hierzu OLG Bamberg FamRZ 1991, S. 590; dass. FamRZ 1995, S. 1509 (1511); OLG Karlsruhe FamRZ 1995, S. 1168 (1169); dass. FamRZ 2000, S. 1041 f; OLG Hamm FamRZ 1996, S. 1097 (1098); AG Groß-Gerau FamRZ 1998, S. 500 f; im Ergebnis so wohl auch OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041. 546 Vgl. schon OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1048). 547 Vgl. OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 392; OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041. 548 Vgl. dazu auch OLG Karlsruhe FamRZ 1999, S. 801 (802).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Auswirkungen des Konfliktes für das Kind durch die pragmatische Herangehensweise zu entschärfen. 549 Soweit der konkrete Konflikt also nicht über das generelle, für eine durchschnittliche Elterntrennung zugrunde gelegte Potential hinausgehe, bestehe kein Anlass, die gemeinsame Sorge aufzuheben. Dies greife auch die allgemeine Gewichtung der gesetzlichen Sorge konsequent auf. 550 In der Ehe werde auch in Krisen und Konfliktfällen kooperatives Verhalten erwartet. 551 Durch die Vereinheitlichung des Sorgerechts gelte dies nun auch über die Trennung hinaus. 552 Darüber hinaus nehme die trennungsspezifische Spannung im Laufe der Zeit erfahrungsgemäß deutlich ab, so dass die Kooperation auch durch den Anpassungsprozess regelmäßig erleichtert werde. Daher sei für die gemeinsame Sorge nur ein Grundkonsens 553, also die Einigkeit in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung, erforderlich. 554 Solange die Eltern sich also über wesentliche Fragen einigen können, bestehe kein Anlass zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge. 555 549

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63= BR-Drucks. 180/96, S. 73. Vgl. dazu auch die Befürworter der Übertragung der gemeinsamen Sorge auch ohne oder gegen den Willen der Eltern: für eine mögliche Übertragungen gegen den erklärten Willen der Eltern vgl. OLG Bamberg FamRZ 1987, S. 509 (510); AG Groß-Gerau FamRZ 1993, S. 462 (463) = DAVorm 1993, S. 200; dass. FamRZ 1994, S. 922 = NJW-RR 1994, S. 70 = DAVorm 1993, S. 952 (953); OLG Hamburg FamRZ 1985, S. 184; dass. FamRZ 1987, S. 89; OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89; einschränkend Staudinger / Coester (§ 1671 Rz. 173), der richterliche Anordnungen befürwortet, wenn ein auf gemeinsame Sorge gerichteter Vorschlag des Kindes oder unabhängig von der Beantragung alleiniger Sorge grundsätzliche Bereitschaft zur gemeinsamen Sorge besteht; vgl. auch Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59), der aus dieser Förderlichkeit für das Kindeswohl eine prinzipielle Vorrangigkeit der gemeinsamen Sorge ableitet und sich dafür ausspricht, den Prüfungsmaßstab auf § 1666 und Rechtfertigungszwang bei Anträgen auf Alleinsorgeübertragung einzuführen; unentschieden BVerfGE 61, S. 358 (378, 381), das die richterliche Eigenständigkeit in der Beurteilung der Sachlage betont. 551 In diesem Zusammenhang ist erneut auf den § 1628 zu verweisen, der gesetzlich verankert, dass auch in der partnerschaftlichen Elternsorge unüberwindliche Kooperationshindernisse einkalkuliert werden. 552 Vgl. Wend FPR 1999, S. 137 (138). 553 Im Sinne eines Mindestmaßes an Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft in wesentlichen Entscheidungen, vgl. insb. OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 805 (806) = NJW 1999, S. 1873 (1874); OLG Hamm FamRZ 2002, S. 1208; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041; OLG Hamburg MDR 1999, S. 748 (749); OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464; KG FamRZ 1999, S. 616 (617); zur vorherigen Rechtslage vgl. auch OLG Schleswig OLGR 1997, S. 244; OLG Hamm FamRZ 1997, S. 48; dass. FamRZ 1996, S. 890; dass. FamRZ 1988, S. 753; dass. MDR 1995, S. 102; OLG Bamberg FamRZ 1995, S. 1509; OLG Frankfurt FamRZ 1993, S. 1352; OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 89; BVerfG FamRZ 1982, S. 1179 =NJW 1983, S. 101. 554 Vgl. Motzer FamRZ 1998, S. 1102 (1103 f); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 127; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463); Wend FPR 1999, S. 137 (139); OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464; dass. FamRZ 1999, S. 19 (20); dass. FamRZ 1999, S. 1464; dass. FuR 1999, S. 20; KG ZfJ 1999, S. 395 (396); OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; dass. FamRZ 1999, S. 805 (806); dass. NJW 1999, S. 1873 (1874); 550

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Diese Auffassung erscheint den zentralen Reformansätzen des KindRG am ehesten gerecht zu werden. Nicht die Bereitschaft, sondern allein die Fähigkeit zur Kooperation kann für die Beurteilung der gemeinsamen Sorge maßgeblich sein. Zwar ist die gemeinsame Sorge mehr als ein bloßes Nebeneinander der elterlichen Sorgerechtsstellungen und wird erst durch die Kooperation zu einer sorgerechtlichen Einheit, die dem Kind die erforderliche Stabilität und Zuverlässigkeit der Lebensverhältnisse vermittelt. Die gemeinsame Sorge erscheint daher nur denkbar, wenn eine ausreichende Kommunikationsbasis zwischen den Eltern gegeben ist. 556 Jedoch kann die Reichweite der Pflichtenbindung beider Eltern nicht davon abhängen, ob die Teilnahme an den wesentlichen Entscheidungen beiden Eltern willkommen ist. Die Elternsorge ist weder ein Instrument des Geschlechterkampfes noch richtet sie sich nach dem Selbstbestimmungsanspruch der Elternteile. Als ungerecht empfundene Verteilung der Erziehungsbeiträge muss daher durch die individuelle Funktionsverteilung korrigiert werden und nicht durch die Entziehung der Sorgerechtsstellung. Sorgerechtliche Bewahrung beider Eltern durch gezielten Ausgleich der Defizite ist hier sorgfältig abzuwägen gegen Schutz des Kindes vor offenen Konflikten durch Alleinsorge. Erst eine konkrete Legitimation kann die Entlassung aus der gemeinsamen Rechtsstellung begründen, um auf diese Weise der grundsätzlich bestehenden Verantwortung rechtlich Ausdruck zu verleihen und den erforderlichen bewussten Abwägungsprozess der Eltern zu gewährleisten. Als typischer Bestandteil der Trennungssorge ist das Kooperationsdefizit, auch wenn es sich in einem Antrag manifestiert, damit kein hinreichender Anhaltspunkt für dessen Auswirkungen auf das Kindeswohl. 557 Vielmehr ist es der treuhänderische Charakter der Elternsorge, der auch hier den Eltern auferlegt, persönliche Beeinträchtigung zu überwinden. 558 Hat die Gesetzesreform entschieden, die Elternverantwortung als gesetzliche Sorge grundsätzlich über die Trennung hinaus anzuerkennen, so erhöht dies auch die Erwartung an die Belastbarkeit der Eltern. In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die Argumentation der Regelfallbefürworter verwiesen, die sich zutreffend auf die gesetzliche Erleichterung der Kooperation beziehen. Auf diese Weise hat sich die Bedeutung der sorgerechtlichen Gemeinsamkeit verändert. Sie bekommt einen stärker funktionalen Charakter. Für die Beurteilung der Kooperation folgt daraus, dass es nicht die emotionale dass. FuR 1999, S. 365 (367); OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 39; AG Bad Schmalbach FamRZ 1999, S. 1158 (1159); OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); iSe „tragfähigen Maßes an Einvernehmen“ OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 392; so auch Niepmann MDR 1999, S. 653. 555 Vgl. OLG Oldenburg FamRZ 1999, S. 1464; OLG Thüringen FamRZ 2001, S. 436; trotz Ablehnung einer gesetzlichen Priorität der gemeinsamen Sorge so auch OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1678; dass. FamRZ 2006, S. 1058. 556 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 382; AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500). 557 Vgl. OLG München NJW 2000, S. 368 (369); AG Lahr FamRZ 2003, S. 1861 (1862). 558 Vgl. dazu auch AG Burgwedel FamRZ 2002, S. 631.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Bindung der Eltern, sondern allein die Koordination der Sorgerechtsbeiträge ist, die gemeinsame Sorge verbindet. 559 Das heißt, dass die Trennungssorge damit kein zu überprüfender Rest aus der gescheiterten Beziehung darstellt, sondern in erster Linie eine weitgehend gesetzlich strukturierte Funktion, die von der Partnerschaft abzukoppeln ist. Damit ist der zunächst durch die Partnerschaft geprägte Terminus der Kooperation im Trennungszusammenhang zu modifizieren. Dem würden eine neutrale gerichtliche Bestandsaufnahme der bestehenden Kooperation und die bloße Anerkennung der elterlichen Kooperationsverweigerung nicht gerecht werden. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass es letztlich dem Gericht vorbehalten bleiben muss, das Kindeswohl anhand des Einzelfalls zu konkretisieren. Eine präjudizielle Wirkung des Antrages stünde dem entgegen. Auch wenn es nach Auffassung des Gesetzgebers zunächst den Eltern obliegen soll, die Sorgerechtsform zu wählen, so kann sich dieses Vorrecht nur darauf beschränken, die gesetzliche Trennungssorge überprüfen zu lassen. Anderenfalls liefe die Antragstellung auf eine Disposition über die Reichweite des realisierbaren Kindeswohls und den Bestandsschutz der Rechtsstellung des Antragsgegners hinaus. 560 Denn nach der Verweigerung des Antragstellers könnte es nicht mehr bei der gemeinsamen Sorge bleiben. Soweit der BGH 561 gegen die Annahme der gemeinsamen Sorge als Regelfall einwendet, dass sie die gerichtliche Kindeswohlwürdigung einschränkte, so lässt sich dieses Argument hier auch umkehren. Denn wenn man durch den streitigen Alleinsorgeantrag bereits die Vermutung der Elternkooperation erschüttern könnte, so wäre der Radius der gerichtlichen Kindeswohlbeurteilung erheblich eingeschränkt. 562 Noch dazu wäre der Übertragungstatbestand bei Trennungssorge weitgehend überflüssig, da bereits die Antragstellung zur Vermutung einer Kindeswohlgefährdung führte und den eigenständigen Maßstab des § 1671 aushöhlte. Die elterneigenen Interessen dürfen hier nur insoweit beachtlich sein, als sie das Kind unmittelbar betreffen. Daher muss die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge auch ohne oder gegen den Willen eines Elternteils möglich sein. 563 559 Anders noch Luthin „Gemeinsames Sorgerechts nach der Scheidung“, S. 58 f; Schütz ZfJ 1987, S. 189 (193). 560 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 127 weist darauf hin, dass anderenfalls der Antrag bereits seine Begründetheit indizierte. 561 Vgl. BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; ders. FamRZ 2005, S. 1167; vgl. so auch noch in der Erläuterung des Gesetzesentwurfes BTDrucks. 13/4899, S. 63 = Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 43. 562 Vgl. AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 322; auch nach alter Rechtslage wurde daher von einigen Gerichten angenommen, dass die Übertragung der gemeinsamen Sorge nicht notwendig einen diesbezüglichen Elternvorschlag erfordere, vgl. OLG Bamberg FamRZ 1997, S. 48 (49); OLG Hamburg FamRZ 1985, S. 1284; OLG Hamm FamRZ 1997, S. 48; OLG Karlsruhe FamR 1987, S. 89; a. A. OLG Bamberg FamRZ 1991, S. 590; OLG Hamm FamRZ 1996, S. 1097; OLG Karlsruhe FamRZ 1995, S. 1168.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Dafür spricht auch, dass mit der Aufhebung des Scheidungsverbundes die gemeinsame Sorge nach Trennung und Scheidung fortbesteht und damit auch die Prämisse der gesetzlichen Sorge gem. § 1627. Von dieser Pflicht, ihr Sorgerecht einvernehmlich auszuüben, könnten sich die Eltern jedoch durch den Antrag willentlich lösen und damit über den Inhalt der eigenen Verpflichtung verfügen, wenn der Antrag bereits eine unmittelbare Bedeutung für die Beurteilung des Kindeswohls hätte. 564 In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber noch dazu durch die gesetzliche Trennungssorge eine höhere Belastbarkeit der Bindungstoleranz 565 eingeführt, indem er zumindest die Kooperation hinsichtlich wesentlicher, das Kind betreffender Entscheidungen auch bei Trennung und Scheidung gesetzlich als zumutbar unterstellt. 566 Dies wird auch dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der vorangegangenen Rechtsprechung vor der Gesetzesreform darauf verzichtet hat, die Kooperationsbereitschaft zum Tatbestandsmerkmal zu machen. 567 Im Ergebnis kann dem Antrag daher keine unmittelbare Wertung für das Kindeswohl beigemessen werden, so dass auch der entgegenstehende Wille der Eltern, für sich betrachtet, kein Hindernis der gemeinsamen Sorge begründen kann. Unterhalb der Eingriffsschwelle des § 1666 durch akute Kindeswohlgefährdung 568 gilt hier der bereichsspezifische Kindeswohlbegriff, wie er auch der gesetzlichen Trennungssorge gem. § 1687 zugrunde liegt. Als immanente Kindeswohlgewichtung stellt das Reformgesetz bereits an dieser Stelle die verschiedenen Interessen ins Verhältnis zueinander und setzt damit Standards, die auch in der gerichtlichen Einzelfallbeurteilung gelten müssen. 569 Wird danach aber die gewöhnliche Kooperationshemmung als nachrangig eingeschätzt, so kann der bloße Widerstand eines Elternteils diese Wertung nicht beeinflussen. Anderenfalls würde die Durch563

Vgl. AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); OLG Dresden FamRZ 2000, S. 501; OLG Karlsruhe ZfJ 1999, S. 352. 564 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f. 565 Bezeichnet die Anforderungen an die Eltern, im Zusammenwirken mit dem anderen Elternteil dessen Sorgerechtsstelle zu respektieren und zu unterstützen, vgl. dazu Bode FamRZ 1999, S. 1400 (1402); Motzer FamRZ 1999, S. 1103; OLG Köln OLG-R 1998, S. 275; OLG München FamRZ 1997, S. 45; OLG Celle FamRZ 1998, S. 1045. 566 Vgl. Motzer FamRZ 1999, S. 1103; im Ergebnis so wohl auch AG Burgwedel FamRZ 2002, S. 631. 567 Vgl. AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322); Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003 (1005). 568 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 126. 569 Dem steht auch nicht der abweichende Maßstab des § 1696 entgegen. Zwar wird dort die Änderungsentscheidung ausdrücklich davon abhängig gemacht, dass sie aus „triftigem Grund des Kindeswohls geboten“ ist. Sie enthält eine allgemeine Veränderungssperre für Sorgerechtsentscheidungen. Im Umkehrschluss lässt sich daraus jedoch keine Minderung der Entscheidungsanforderungen für § 1671 ableiten. Bereichsspezifisch folgt die Einschränkung der Sorgerechtsveränderung aus dem Zusammenhang zum § 1687.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

setzung der Kindesinteressen an der Bereitschaft der Eltern zu messen sein und damit den Elterninteressen untergeordnet werden. Der Einwand, dass sich Gemeinsamkeit nicht verordnen lasse, greift hier zu kurz. Insoweit muss sorgfältig zwischen den verschiedenen Aspekten von rechtlicher Zwangswirkung differenziert werden. Für die Kritiker des Regelfalls ist es allein die kindeswohlgefährdende Überforderung der Eltern, die unausweichlich dazu führt, das Kind in den anhaltenden Auseinandersetzungen in Loyalitätskonflikte zu stürzen und der erforderlichen Stabilität der Lebensverhältnisse zu berauben. 570 Gerichtliche Aufgabe ist es jedoch auch, die Eltern an ihre bestehende Verantwortung zu mahnen und zur Ausübung im Rahmen ihrer Möglichkeiten anzuleiten, selbst wenn ihre persönlichen Interessen dem zunächst entgegenstehen. 571 Eine bloße gerichtliche Ermunterung und der Appell zur Wahrnehmung bestehender Elternverantwortung wird dem nicht gerecht. 572 Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass die elterliche Verantwortung ihrer Natur nach nicht auf Freiwilligkeit beruht, sondern gesetzlich verordnet ist. Rechtlicher Nachdruck auch im Krisenfall kann insoweit als Instrumentarium für die Umsetzung des Kindeswohls verstanden werden und erscheint auch hier als legitimes Mittel. 573 Man muss sich jedoch vor Augen halten, welche Wertung diese Einschätzung für die Rechtsanwendung beinhaltet. So kann es in diesem Zusammenhang nicht darum gehen, den Vorzug der gemeinsamen Sorge gegen den Willen der Eltern bis zur Grenze der Kindeswohlgefährdung zwangsweise durchzusetzen, wie zugespitzte Stimmen gegen den Regelfall vermuten lassen. Maßgeblich erscheint vielmehr, die von der Gesetzessystematik vermittelte Priorität der gemeinsamen Sorge bei der Abwägung der betroffenen Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen. Damit ist durch den Regelfall lediglich der Ausgangspunkt der Güterabwägung und die gesetzliche Prämisse bestimmt, von der die Umstände des Einzelfalls abweichen müssen, um die Übertragung der Alleinsorge zu rechtfertigen. Dies stimmt letztlich aber bei näherer Betrachtung mit der Wertung des BGH 574 überein, 570 Vgl. unter Bezugnahme auf die drohenden Loyalitätskonflikte der Kinder aufgrund des anhaltenden Streites der Eltern KG FamRZ 2001, S. 185; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 639 (640); AG Fürstenfeldbruck FamRZ 2002, S. 117; vgl. darüber hinaus Gegner gerichtlichen Zwangs: Oelkers MDR 2000, S. 32; nach alter Rechtslage: BGH FamRZ 1993, S. 314 (315); OLG Bamberg FamRZ 1995, S. 1509 (1510); a. A. OLG Brandenburg FamRZ 1995, S. 1049. 571 Vgl. Haase / Kloster-Harz FamRZ 2000, S. 1003 (1005); vgl. dazu auch Burgwedel FamRZ 2002, S. 631. 572 So auch Luthin FamRZ 2000, S. 1042 in Anm. zu OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041. 573 A. A. Oelkers FPR 1999, S. 132 (136); Rehberg FuR 1998, S. 65 (67); Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451); OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047. 574 Vgl. BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; ders. FamRZ 2005, S. 1167 mit positiver Anm. von Luthin FamRZ 2005, S. 1168 und kritischer Anm. von Weychardt FamRZ 2005, S. 1534.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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auch wenn dieser ausdrücklich die Annahme einer Regelfallvermutung zu Gunsten der gemeinsamen Sorge abgelehnt hat. Denn auch nach den Ausführungen des BGH setzt die Übertragung der Alleinsorge einen qualifizierten Nachweis über die fehlende Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus. Das heißt in konsequenter Umsetzung, dass die Kooperationsfähigkeit zumindest solange anzunehmen bzw. durchzusetzen ist, wie keine konkreten Hindernisse erkennbar sind. ee) Einzelfallbeurteilung der Kooperationsfähigkeit und der Zumutbarkeit der gemeinsamen Sorge gegen den Willen eines Elternteils Damit verlagert sich die Beurteilung der elterlichen Kooperation auf den Einzelfall und die darin konkret zu prognostizierenden Hindernisse für die Fortsetzung gemeinsamer Elternverantwortung. 575 Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Entwicklung der Rechtssprechung, so nähern sich – trotz aller Uneinheitlichkeit 576 – die dogmatischen Lager einander in der Einzelfallbeurteilung stark an. So sind es vor allem die Kritiker einer Regelfalleinschätzung, die sich damit auf der praktischen Ebene durch ihre Forderung nach einem positiven Kooperationsnachweis für die gemeinsame Sorge stark zurücknehmen. Im Zentrum steht hier die bereits angesprochene Relativierung des BGH: die Kooperationsdefizite der Eltern sind für die Beurteilung der gemeinsamen Sorge nur insoweit von Bedeutung, als sie sich unmittelbar auf das Kindeswohl auswirken. 577 Gehen also die einen von einem natürlichen und sorgerechtlich irrelevanten Kooperationsdefizit aus, das für die Alleinsorgeübertragung überschritten werden muss, leiten die anderen diesen Bereich einfach aus der sorgerechtlichen Würdigung her. Eine qualifizierte Beurteilung der Kooperation ergibt sich daher letztlich aus beiden Ansätzen. Ausgangspunkt der Beurteilung ist zunächst die gesetzessystematische Prämisse, dass die Eingriffsschwelle auch bei qualifizierten Anforderungen an das Kooperationsdefizit jedenfalls unterhalb des § 1666 liegt. 578 Voraussetzung für die Eröffnung der Alleinsorge auf der ersten Stufe ist daher weder das Versagen noch ein Sorgerechtsmissbrauch des Antragsgegners. Der Konflikt der Eltern braucht sich auch noch nicht zu einer konkreten Kindeswohlgefährdung zu verdichten, um die Aufhebung der gemeinsamen Sorge zu rechtfertigen. 579 Die Beurteilung

575

So im Ergebnis auch Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 132. Vgl. Niepmann MDR 1999, S. 653. 577 Vgl. BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; ders. FamRZ 2005, S. 1167 mit positiver Anm. von Luthin FamRZ 2005, S. 1168 und kritischer Anm. von Weychardt FamRZ 2005, S. 1534; vgl. dazu auch Anm. Born FamRZ 2000, S. 396 (399); OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; dass. FamRZ 2002, S. 565 (566). 578 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 126, 134. 579 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99; OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109; Born FamRZ 2000, S. 396; vgl. auch Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Ab576

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

beruht auf einer gerichtlichen Prognose, die auf der Grundlage des bisherigen Verhaltens der Eltern erfolgt. 580 (1) Bestimmtheit der Konfliktlage Ausgehend von diesen Grundsätzen zeichnen sich für die Beurteilung elterlicher Kooperation in den verfügbaren Entscheidungen mittlerweile verschiedene Tendenzen ab. 581 Einigkeit besteht darin, dass ein allgemeiner Hinweis auf fehlende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft nicht ausreicht zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge. 582 Auch Gegner gemeinsamer Sorge gegen den Willen der Eltern erachten einen differenzierten Tatsachenvortrag für erforderlich, anhand dessen das Gericht ernsthafte Zweifel am Willen zur Zusammenarbeit feststellen kann. 583 Unbeachtlich ist der Hinweis auf fehlende Kooperationsfähigkeit jedenfalls dann, wenn sich in der Vergangenheit die Kooperation als unproblematisch erwiesen hat und in der Zwischenzeit keine einschneidenden Veränderungen eingetreten sind. 584 Ein Indiz für die beiderseitige Eignung stellt eine einvernehmliche Sorgerechtsvereinbarung dar, die sich längere Zeit als tragfähig erwiesen hat. 585 schn. III Rz. 134, der daraus auch eine Erweiterung des gerichtlichen Gestaltungsspektrums ableitet, indem sich der zwingende Grundsatz des geringsten Eingriffs gem. § 1666 auf die Dienlichkeit im Interesse des Kindeswohls verlagert. 580 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38; dass. FamRZ 2002, S. 565 f; dass. FamRZ 2002, S. 1208; AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 111. 581 Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 126 spricht in diesem Zusammenhang von einem Negativ-Katalog von Gründen, die der gemeinsamen Sorge entgegenstehen und ihre Aufhebung rechtfertigen; mit weiterem Überblick vgl. auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463); Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1103). 582 Vgl. Oelkers FÜR 1999, S. 132 (136); Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1103); Niepmann MDR 1998, S. 566; v. Renesse FPR 1998, S. 59 (60); BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; ders. FamRZ 2005, S. 1167 mit positiver Anm. von Luthin FamRZ 2005, S. 1168 und kritischer Anm. von Weychardt FamRZ 2005, S. 1534; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036; dass. FamRZ 2003, S. 1492; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 564; OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110); OLG Schleswig NJW-RR 2000, S. 813; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38 (39), wonach ein bloßes Unbehagen mit der Fortsetzung gemeinsamer Sorge nicht ausreicht; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 (41); OLG München FamRZ 1999, S. 1006 (1007); so aber KG FamRZ 1999, S. 616; dass. FamRZ 1999, S. 808 mit ablehnender Anm. Liermann MDR 2000, S. 162; FamRZ 2000, S. 504. 583 Vgl. BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; ders. FamRZ 2005, S. 1167 mit positiver Anm. von Luthin FamRZ 2005, S. 1168 und kritischer Anm. von Weychardt FamRZ 2005, S. 1534; Oelkers FuR 1999, S. 132 (136), der den Nachweis als gescheitert ansieht, wenn zwischen den Eltern zumindest in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung Einigkeit besteht; dazu auch OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1678; dass. FamRZ 2006, S. 1058. 584 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 138; ähnlicher Wertung OLG Dresden FamRZ 2000, S. 501; OLG Köln FuR 2000, S. 268; dass. FamRZ 2000, S. 1041;

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Im Übrigen muss die fehlende Kooperation auf nachvollziehbaren Gründen beruhen und nicht willkürlich erscheinen. 586 Eingeschränkte Kommunikation allein rechtfertigt die Annahme der Einigungsunfähigkeit jedenfalls noch nicht. 587 Insbesondere erscheint es pflichtwidrig und damit unbeachtlich, wenn ein Elternteil eine Streitfront eröffnet und die Kooperation verweigert, um die Alleinsorge rechtfertigen zu können. 588 In den Vordergrund rückt somit die Frage, aus welchem Grund eine Kooperation mit dem anderen Elternteil nicht möglich ist. 589 Allein eine fehlende Übereinstimmung der Eltern, über die Trennung und Scheidung hinaus die gemeinsame Sorge auszuüben, entbehrt insoweit der erforderlichen Substanz. 590 Gleiches gilt für die bloße Mutmaßung eines Sorgerechts- bzw. Betreuungsmissbrauchs durch den anderen Elternteil. 591

OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; dass. FamRZ 2006, S. 1058; FamRZ 1999, S. 1597 (1598); dass. FamRZ 1999, S. 1159 f; OLG Nürnberg FuR 1999, S. 332; Brandenburgisches OLG Forum 1998, S. 88 (89); AG Ratzeburg FamRZ 2000, S. 505 (506); OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 f; AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322); OLG München NJW 2000, S. 368 (369), das hier auf die Übereinstimmung hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts sowie der Umgangsgestaltung abstellt; unter Bezugnahme auf das Reformgesetz auch schon OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1049); zur alten Rechtslage vgl. auch KG FamRZ 1991, S. 1342 (1343); OLG Bamberg FamRZ 1997, S. 48. 585 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039; OLG Hamm FamRZ 2002, S. 565; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036; vgl. für eine Kooperationsfähigkeit nach Teilübertragung BVerfG FamRZ 2004, S. 1015 (1016). 586 Vgl. OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 f; dass. FamRZ 1999, S. 1156; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596 = OLGR 1999, S. 283 (284); OLG Köln EzFamR 1999, S. 21 (22); AG Lahr FamRZ 2003, S. 1862; zustimmend Born FamRZ 2000, S. 396 (399); vgl. auch Oelkers, der davon spricht, dass der Tatsachenvortrag ernsthafte Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der Eltern erfordere; nach früherer Rechtslage vgl. auch schon entsprechende Argumentation bei OLG Bamberg FamRZ 1995, S. 1509 (1510); OLG Karlsruhe FamRZ 1996, S. 1168 (1169); OLG Hamm FamRZ 1996, S. 1098 (1099); ablehnend wohl KG FamRZ 2000, S. 505; vgl. auch OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041, wonach ein Streit über die gegenseitige Erziehungseignung nicht ausreicht, bei gleichermaßen objektiver Erziehungseignung beider Eltern, die Alleinsorge zu übertragen. 587 Vgl. BGH FamRZ 2005, S. 1167 f mit positiver Anm. von Luthin FamRZ 2005, S. 1168 und kritischer Anm. von Weychardt FamRZ 2005, S. 1534; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; dass. FamRZ 2006, S. 1058 f; OLG München NJW 2000, S. 368 (369); OLG Schleswig NJW-RR 2000, S. 813 f; OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1952 f; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; OLG Köln FamRZ 2005, S. 2087. 588 Vgl. OLG Bamberg ZfJ 1999, S. 352 (353); dass. MDR 1999, S. 615; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); dass. FamRZ 2002, S. 1209; AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322); AG Lahr FamRZ 2003, S. 1862; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492 f; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 564; vgl. auch OLG Hamm FamRZ 1999, S. 739, das den entgegenstehenden Willen eines Elternteils dann für unbeachtlich hält, wenn die Zustimmung rechtsmissbräuchlich verweigert wird. 589 Vgl. OLG Bamberg FuR 1999, S. 365 (367).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

So reicht es für die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge aus, wenn die Parteien grundsätzlich willens und in der Lage sind, einvernehmliche Lösungen zu finden und in Erziehungsfragen keine unauflöslichen Meinungsverschiedenheiten bestehen. 592 Für die Alleinsorgeübertragung muss demgegenüber aufgrund der fehlenden Kooperationsbereitschaft zu erwarten sein, dass sich der bestehende Konflikt fortsetzt und zum Nachteil des Kindes auswirkt. 593 Der Blick richtet sich auf diese Weise zunächst auf den Antragsteller. Eine bloße Verweigerung seiner Kooperation kann seinen Antrag daher nicht rechtfertigen. 594 Gleiches gilt für die bloße Furcht vor zukünftigen Streitigkeiten. 595 In dieser Position erscheint er im Allgemeinen nicht schutzwürdig. Vielmehr veranschaulicht der Antragsteller auf 590

Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 132; Niepmann MDR 1998, S. 566 f; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1378 (1380); Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462); Pieper FuR 1998, S. 1 f; einschränkend Runge FPR 1999, S. 142 (144); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38 (39); dass. FamRZ 1999, S. 1159 (1160); OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 (41); OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 1005; OLG München FamRZ 1999, S. 1006 (1007); AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322); OLG Stuttgart in der Darstellung des BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203. 591 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 1004, bei dem der Antragsteller geltend macht, dass er befürchte, der betreuende Elternteil könne seinen Wohnort ins Ausland verlegen; so auch OLG Köln EzFamR 1999, S. 21 (22) = FuR 1999, S. 296; zur allgemeinen hypothetischen Konfliktlage vgl. auch OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1159 f; anders jedoch bei tatsächlich bestehender sachwidriger Motivation, vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 134. 592 Vgl. OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036; dass. FamRZ 2003, S. 1492; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 567 f; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1600; OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 136; dass. FamRZ 1998, S. 1464; KG FamRZ 1999, S. 737; Niepmann MDR 1999, S. 653; AG Ratzeburg FamRZ 2000, S. 505 (506). 593 Vgl. Wend FPR 1999, S. 137 (142); OLG Nürnberg NJWE-FER 1999, S. 234 im Falle gegenseitiger Strafanzeigen; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 111; dass. FamRZ 2002, S. 1209; OLG Frankfurt FamRZ 2001, S. 1636; dass. FamRZ 2002, S. 1727; OLG Nürnberg FamRZ 2002, S. 188 f; OLG München FamRZ 189; KG FamRZ 2000, S. 504; dass. FamRZ 2005, S. 1768 f; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; dass. FamRZ 2006, S. 1058 f; dass. FamRZ 2004, S. 1668; OLG Köln FamRZ 2005, S. 1275 = OLGR 2005, S. 41; OLG Saarbrücken OLGR 2002, S. 230; OLG Dresden FamRZ 2002, S. 973 f; OLG Celle FamRZ 2003, S. 1488 f; anders wohl OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596, das die negativen Auswirkungen des Konfliktes auch dann berücksichtigen will, wenn keine konkreten Entscheidungen anstehen; zu den psychischen Wirkungen einer dauernden Belastung des Kindes durch elterliche Auseinandersetzung vgl. auch Kostka FPR 2005, S. 89 (91 f); Balloff FPR 2005, S. 210 (212). 594 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 127, der darauf verweist, dass anderenfalls dem kooperationsunwilligen Elternteil freistehe, durch Herbeiführung einer Auseinandersetzung den Sorgerechtsstreit für sich zu entscheiden; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 (41); dass. FamRZ 2000, S. 506 (507); OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 1005 (1006); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38; dass. FamRZ 2005, S. 537 f; AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322); FamRefK / Rogner § 1671 Rz. 18; Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1378 (1380); Schwab FamRZ 1998, S. 457 (462); Pieper FuR 1998, S. 1; Liermann FamRZ 1999, S. 809; vgl. auch OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 f, das es für zumutbar erachtet, dass der Antragsteller immer den ersten Schritt zur Einigung mit dem anderen Elternteil machen müsse.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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diese Weise einen Mangel an Bindungstoleranz, die eigentlich darauf gerichtet sein soll, die Erziehungsfunktion des anderen zu respektieren und nicht zu behindern 596, woraus sich sogar Bedenken an seiner Sorgerechtseignung ergeben können. 597 Muss sich der Antrag damit auf eine hinreichend bestimmte Konfliktlage beziehen, so bestehen insoweit jedoch unterschiedliche Einschätzungen, welche Bedeutung der jeweilige Konfliktgegenstand haben muss. Hier wird teilweise ohne Rücksicht auf den Anlass des Konfliktes jegliche Form der Auseinandersetzung als beachtlich eingeschätzt. 598 So sei zu berücksichtigen, dass auch über Nichtigkeiten erbittert gestritten werden könne. 599 Maßgeblich sei insoweit nur die darin zum Ausdruck kommende nachhaltige Störung des Elternverhältnisses. 600 Demgegenüber vertreten hier die Befürworter einer Kooperationspflicht die Ansicht, dass der Konflikt nur dann bedeutsam sei, wenn er wesentliche Fragen der Erziehung betreffe. 601 Sachgerecht erscheint es wohl in diesem Zusammenhang, den Gegenstand des Streites nicht aus dem Kontext zu lösen. Wenngleich 595 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 138; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38 (39); OLG München FamRZ 2000, S. 1042); KG FamRZ 2006, S. 1626; zum bloßen Wunsch nach Alleinsorge vgl. auch AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322 f); OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 f. 596 Vgl. auch die sog. Wohlverhaltensklausel gem. § 1684 Abs. 2; vgl. dazu auch Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 36; AG Burgwedel FamRZ 2002, S. 631. 597 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 73; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“ 4. Aufl. III Rz. 139; ähnliche Wertung auch bei OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38; dass. 2000, S. 1039; dass. FamRZ 2000, S. 1239; dass. FamRZ 2001, S. 183; OLG Brandenburg FamRZ 2001, S. 1021 (1022); OLG Braunschweig FamRZ 2001, S. 1637; AG Fürstenfeldbruck FamRZ 2002, S. 118 (119); OLG Dresden FamRZ 2002, S. 1588; dass. FamRZ 2003, S. 397; OLG Celle FamRZ 2004, S. 1667; AG Frankfurt / M. FamRZ 2004, S. 1595; vgl. auch Zweibrücken FamRZ 2001, S. 185, das bei gleicher Eignung der Eltern die bestehende Bindungstoleranz als ausschlaggebendes Kriterium der Übertragung der Alleinsorge heranzog; vgl. jedoch auch relativierend KG FamRZ 2005, S. 1769; OLG Bamberg FamRZ 1997, S. 102. 598 Vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596; KG FamRZ 2000, S. 505. 599 Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 132 (136); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 75; abweichend OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; dass. FamRZ 1999, S. 1005; dass. NJW 1999, S. 1873; vgl. auch OLG Dresden FamRZ 1999, S. 324, 1156; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157, 1598; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1597; bei einer Aneinanderreihung von gerichtlichen Einzelentscheidungen über geringfügige Angelegenheiten vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 2001, S. 507 (508); a. A. OLH Hamm FamRZ 2006, S. 1058 f. 600 Vgl. dazu AG Bad Schmalbach FamRZ 1999, S. 1158 (1159); OLG Hamm FamRZ 2001, S. 183. 601 Vgl. OLG Köln FamRZ 2000, S. 509 f; dass. FamRZ 2000, S. 1041; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; dass. FamRZ 1999, S. 38 f; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; dass. FamRZ 1999, S. 1005; dass. MDR 1999, S. 615 spricht hier von einer unzulässigen Strategie, in einem Nebenbereich eine „Streitfront“ aufzubauen, um mit der Begründung die Alleinsorge zu beanspruchen; einschränkend mit umgekehrter Wertung, wonach jedenfalls bei anhaltender Auseinandersetzung über Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

unbedeutsame Nebenentscheidungen selten nachhaltige Auswirkung auf die Ausübung der Elternsorge haben, können sie dann jedoch bedeutsam werden, wenn sie zu Konfrontationen führen, die das Kind verunsichern und eher den Zustand der Verhältnisse charakterisieren. Nur sind hier strenge Anforderungen zu stellen, um den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit gerecht zu werden. 602 So muss die Aufhebung der gemeinsamen Sorge ein adäquates Mittel zur Minderung des Konfliktpotentials darstellen, was etwa dann nicht gegeben sein kann, wenn die Auseinandersetzungen eine bloße Begleiterscheinung im Rahmen des Umgangskontaktes sind, ohne das Kind nachhaltig zu beeinträchtigen. 603 So zeichnet sich im Rahmen der Rechtsprechung ab, dann zumindest keine erhebliche Belastung der Kooperation anzunehmen, wenn in der Vergangenheit die erforderlichen gemeinsamen Entscheidungen getroffen werden konnten und in absehbarer Zeit keine weiteren wesentlichen Angelegenheiten anstehen, so dass die gesetzliche Entflechtung der elterlichen Positionen auf Entspannung der Situation hinwirkt. 604 Ist das übergreifende Kriterium daher in erster Linie die schwerwiegende Störung des Elternverhältnisses, so hat die Rechtsprechung insbesondere in dieser Hinsicht kasuistische Indizien entwickelt. Im Wesentlichen sind hier die drei folgenden Anknüpfungspunkte der elterlichen Auseinandersetzung zu unterscheiden. Sie setzen sich zusammen aus einer unmittelbaren Unstimmigkeit über die Erziehungsgestaltung, der konfliktbegründenden Partnerschaftsebene und schließlich der Person des Antragsgegners. (2) Auseinandersetzung über die Erziehungsgestaltung Das elterliche Zusammenwirken richtet sich gem. § 1687 vor allem auf Entscheidungen bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung. Das setzt zumindest voraus, dass die Eltern eine einvernehmliche Entscheidung in den Grundsatzfragen der Erziehung treffen können und nicht gravierend unterschiedliche Vorstellungen vertreten. 605 Dies wird teilweise schon dann ausgeschlossen, wenn jeder Elternteil den anderen nicht für hinreichend fähig hält, das Kind ordnungsgemäß zu das Kind davon auszugehen ist, dass die erforderliche Kooperation fehlt: BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203; ders. FamRZ 2005, S. 1167; OLG Hamburg MDR 1999, S. 748 (749); OLG Karlsruhe NJW-RR 2001, S. 507; OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464. 602 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492; ähnlich auch OLG Bamberg MDR 1999, S. 615. 603 Vgl. OLG Bamberg NJW 1999, S. 1873 (1874); so auch schon OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1049). 604 Vgl. KG FamRZ 2006, S. 1626; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036 f; OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1952. 605 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 63; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 129; Runge FPR 1999, 142 (143); OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157; dass. FamRZ1999, S. 1598 (1599); dass. MDR 1999, S. 1329; OLG Bamberg

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versorgen. 606 Allerdings kann sich die Aufhebung der gemeinsamen Sorge auch wegen grundsätzlicher Meinungsverschiedenheit nur auf konkrete Tatsachen stützen, so etwa wenn in der Vergangenheit wichtige Entscheidungen für das Kind nicht einvernehmlich erfolgen konnten oder solche auch in naher Zukunft anstehen und sich aus dem Verhalten der Eltern ergibt, dass ein Einvernehmen voraussichtlich nicht zu erzielen ist. 607 Dies wird aber vielfach nicht angenommen, solange begründete Vermutung besteht, dass eine Beratung dieses Hindernis auszuräumen vermag. 608 Im Einzelfall wird eine nachhaltige Störung demgegenüber teilweise bereits angenommen, wenn grundsätzlich konträre Auffassungen über die zukünftige Lebensgestaltung des Kindes bestehen. 609 Nachhaltige Störungen sind jedenfalls dann zu befürchten, wenn sich die Eltern nicht über den Lebensmittelpunkt einigen können. 610 Hier ist die Grundlage und umfassende Stabilität der Elternsorge betroffen, deren anhaltende Unentschiedenheit zu einer dauernden Verunsicherung des Kindes führen kann. 611 Ein Aspekt kann dabei sein, dass der nichtbetreuende Elternteil zu erkennen gibt, dass er die Alleinentscheidungsbefugnis des betreuenden nicht anerkennt und sich zukünftig FamRZ 1999, S, 805 (806); OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 182; einschränkend jedoch OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 (41); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1159 (1160); ähnlich auch OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 111 f; sehr weitgehend auch der BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203, wonach eine Teileinigkeit nicht ausreicht, wenn im Übrigen wesentliche Konflikte bestehen. 606 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 320; abweichend Köln FamRZ 2000, S. 1041; ebenso bei wechselseitigem Bestreiten der Erziehungsfähigkeit vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 135; vgl. hierzu auch schon Limbach „Gemeinsame Sorge“ S. 25. 607 Vgl. OLG Nürnberg MDR 1999, S. 300 (301); OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; dass. FamRZ 1999, S. 1159; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041; OLG Celle FamRZ 2003, S. 1488 f zur fehlenden Einigung über schulische Belange; Niepmann MDR 1998, S. 565 (567); OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157. 608 Vgl. Schwab „Handbuch des Scheidungsrechts“ / Motzer, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 129; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 805f = NJW 1999, S. 3495; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1159; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041 (1042); AG Fürstenfeldbruck FamRZ 2002, S. 2002, S. 117; a. A. wohl Runge FRP 1999, S. 142 (144). 609 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 320 (321) = NJW 1999, S. 372; OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 182; OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 673 (674), wonach die gemeinsame Sorge aufzuheben sei, wenn sich die Eltern nicht über das freiwillige Wiederholen eines Schuljahres einigen können. 610 Vgl. Motzer FamRZ 1999, S. 1002 (1004); Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 136; OLG Köln FamRZ 2006, S. 1625; OLG Düsseldorf ZfJ 1999, S. 111; OLG Dresden FamRZ 1999, S. 1156; a. A. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 394 (395), das das gemeinsame Aufenthaltsbestimmungsrecht als ein sachgerechtes Mittel für eine kindeswohlwidrige Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland ansah; OLG München FamRZ 1999, S. 1006 f; ebenso abweichend OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041, das die einseitige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für ausreichend und die gemeinsame Erziehungseignung im Übrigen weiter für gegeben erachtet. 611 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463); OLG Köln FamRZ 1999, S. 181 (182).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

nachhaltig in die Gestaltung einzelner Bereiche dominant einbringen will. 612 Auch wenn auf diese Weise nicht zwingend der elterliche Grundkonsens erschüttert sein muss 613, so handelt es sich zumindest um ein Indiz dafür, dass Anlass zu kritischer Prüfung besteht. 614 Entsprechendes gilt für die Fälle, in denen sich die Eltern nicht über Umfang und Gestaltung des Umgangrechts einigen können. 615 Nicht überzeugend erscheint es hingegen, durch die Übertragung der Alleinsorge die sachfremde Motivation des nichtbetreuenden Elternteils mit Hilfe der Sorgerechtsausübung die Trennung wieder rückgängig machen zu wollen und den Erziehungszusammenhang zur partnerschaftlichen Annäherung zu missbrauchen oder abwenden zu wollen. 616 Jedenfalls mag es im Einzelfall genügen, im Wege der teilweisen Alleinsorge durch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts den Konflikt zu regulieren. 617 Demgegenüber reicht es nach einhelliger Auffassung nicht aus, wenn die Eltern unterschiedliche Erziehungsauffassungen vertreten. 618 Denn selbst bei einer intakten Familie ist kaum anzunehmen, dass sie in Erziehungsfragen insoweit eine geschlossene Einheit bildet. 619 (3) Kooperationshindernis aufgrund der Partnerschaftsebene Doch kann es im Einzelfall vor allem die Partnerschaftsebene sein, die der gemeinsamen Sorge ihre Grundlage entzieht. 620 Zwar wird durch das Reformge612

Vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2002, S. 188 f. Vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 39; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803; KG ZfJ 1999, S. 395; OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041; OLG Hamm FamRZ 2002, S. 565 f; Oelker MDR 2000, S. 31. 614 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 320 (321); OLG Hamburg MDR 1999, S. 748 f; weitergehend OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1041, das nach wiederholtem Verfehlen einer einvernehmlichen Entscheidung in wichtigen Angelegenheiten daraus schließt, dass der erforderliche Grundkonsens zwischen den Eltern zerstört ist. 615 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463); OLG Hamburg FamRZ 2000, S. 1042; abweichend OLG Nürnberg FuR 1999, S. 334. 616 So jedoch MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 77. 617 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 128; BVerfG FamRZ 2004, S. 1015 f; OLG Hamm FamRZ 2001, S. 183; OLG Brandenburg FamRZ 2001, S. 1021; dass. FamRZ 2002, S. 567; anders dass. FamRZ 1999, S. 320 (321); OLG München FamRZ 1999, S. 1006 f; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 564. 618 Vgl. OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1049); OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464; OLG Nürnberg FuR 1999, S. 334; vgl. dazu auch OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157, das Meinungsverschiedenheiten in einzelnen Angelegenheiten für die Übertragung der Alleinsorge als unzureichend erachtet. 619 Vgl. OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 537 f; so auch schon OLG Brandenburg FamRZ 1998, S. 1047 (1049). 620 Vgl. BGH FamRZ 1999, S. 1646; KG FamRZ 1999, S. 616; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 805 (806); OLG Dresden FamRZ 1999, S. 324 (325); OLG Frankfurt / M. FamRZ 1999, S. 392 (393); dass. FamRZ 1999, S. 612 (613); OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 804 f; 613

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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setz eine strikte Trennung zwischen Eltern- und Paarebene vorgegeben. 621 Die Betroffenen sind aber nicht immer in der Lage, in ihrem Verhalten zwischen diesen Ebenen zu differenzieren. 622 Dieser Mangel an Abstraktion erlangt Bedeutung, wenn dabei das Sorgerecht zu einem Mittel für die Austragung von Streitigkeiten aufgrund partnerschaftlicher Enttäuschung wird und eine nachhaltige Wirkung auf das Kind droht. 623 Damit setzt die gemeinsame Sorge zumindest für die Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung grundsätzlich die Kommunikationsfähigkeit der Eltern voraus, die gerade durch den Partnerschaftskonflikt nachhaltig gestört sein kann. 624 Hier entsteht die Gefahr, dass die aversive Haltung der Eltern zueinander sich auf das Kind überträgt und sogar dessen Beziehung zum betreuenden Elternteil gefährden kann. 625 Dem Kind ist dieser Konflikt dann nicht zumutbar, wenn eine ernsthafte Beeinträchtigung des Kindeswohls aufgrund dessen zu befürchten ist. 626 Eine zusätzliche Belastung kann sich aus einer neuen Partnerschaft oder Ehe eines Elternteils ergeben. Dabei kann sich ein zusätzlicher Aspekt der sorgerechtlichen Umgestaltung ergeben, wenn der Kontakt des Kindes zu diesem Partner nachhaltig schlecht ist oder es diesen grundsätzlich ablehnt. 627

OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463); Oelkers FuR 1999, S. 349 (352); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 137; zur alten Rechtslage vgl. auch schon OLG Bamberg FamRZ 1991, S. 590; dass. FamRZ 1995, S. 1509; OLG München FamRZ 1991, S. 1343 (1344). 621 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 76; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1671 Rz. 17; OLG Zweibrücken NJW 1999, S. 3786; OLG München FamRZ 1999, S. 1006. 622 Vielfach wird sogar davon ausgegangen, dass die wenigsten Elternpaare die persönliche Konfliktebene auslagern können, so etwa Born FamRZ 2000, S. 396 (397) unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH FamRZ 1999, S. 1646; Oelkers FPR 1999, S. 132 (135 f); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 129. 623 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 392; KG FamRZ 1999, S. 616 (617); OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157; dass. FamRZ 1999, S. 1598; OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110); OLG Köln FuR 2000, S. 273 (274); einschränkend jedoch OLG München FamRZ 1999, S. 1006 (1007); OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 (41). 624 Vgl. KG (16. Zs) FamRZ 2000, S. 504; dass. FamRZ 2000, S. 505; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157; dass. FamRZ 1999, S. 1157 (1158) für beidseitig fehlende Kooperationsbereitschaft. 625 Vgl. OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110). 626 Vgl. KG (16. Zs) FamRZ 2000, S. 505; dass. (19. Zs) FamRZ 1999, S. 616; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; dass. FamRZ 1999, S. 320 = NJW-RR 1999, S. 372; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 = OLG-Report 1998, S. 444 (445); OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 392 = NJW 1998, S. 3786; OLG Dresden FamRZ 1999, S. 324 = MDR 1998, S. 1482; OLG Oldenburg FamRZ 1999, S. 1464; OLG Brandenburg FamRZ 1999, S. 1047 (1049); OLG Celle FF 1999, S. 57; OLG Schleswig OLG-Report 1998, S. 390; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 803 = NJW 1999, S. 1873 (1874) = EzFamR 1999, S. 178; OLG Karlsruhe NJW-RR 1998, S. 940 (941); vgl. dazu auch VerfGH Berlin FamRZ 2003, S. 1487 unter dem Gesichtspunkt der besonderen Schützenswürdigkeit der Familienbeziehungen durch die gemeinsame Sorge. 627 Vgl. AG Heidelberg FamRZ 1999, S. 1660; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 104 f.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Die Einschätzung dieser Kindeswohlgefährdung erweist sich dabei in der Praxis als uneinheitlich. Zunächst wirkt sich hier die Regelfall- oder Leitbild-Einschätzung insoweit aus, als sie erhöhte Anforderungen an die elterlichen Bewältigungsversuche stellt. 628 So heißt es in einer Entscheidung des OLG Köln: „Aus dieser Pflicht (den Konsens im Rahmen der elterlichen Sorge zu suchen) können sie nicht entlassen werden, solange ihnen ein gemeinsames Erziehungshandeln zum Wohl der Kinder zumutbar ist und die darauf gerichtete Erwartung nicht unbegründet ist.“ 629

Demnach rechtfertigt ein Partnerschaftskonflikt die Alleinsorgeübertragung zumindest nicht, solange die Kooperation in wichtigen Entscheidungen nicht ausgeschlossen oder unwahrscheinlich erscheint. 630 Uneinheitlich wird hingegen die zugrunde liegende Güterabwägung beurteilt. So wird vor allem darauf verwiesen, dass eine erzwungene Kooperation dann regelmäßig nachteilige Auswirkungen auf das Kind nach sich ziehen wird, wenn der Konflikt von den Eltern nicht bewältigt sei. 631 Die Abstimmungserfordernisse seien dann so gering wie möglich zu halten. 632 Der Gesetzgeber habe ersichtlich nicht gewollt, dass ein Zwang zur Kommunikation durch die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge entstehe, indem er die Entscheidung des Familiengerichts allein am Kindeswohl ausgerichtet habe. 633 Hier gilt es jedoch zu differenzieren. Zum einen ist zu fragen, welche tatsächlichen Auswirkungen auf die Sorgerechtsausübung zu erwarten ist, und zum anderen kommt es darauf an, welche Bemühungen den Eltern zunächst zumutbar abverlangt werden können. 634 Inwieweit die Inanspruchnahme der Beratung in diesem Zusammenhang allein auf freiwilliger Basis erfolgt, ist umstritten. 635 Vielfach wird in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass die Konfliktsituation auf angemessene und zumutbare Weise bewältigt werden soll. 636 In der konkreten Auswirkung erscheint 628 Vgl. vor allem OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 (41); KG FamRZ 2000, S. 505; im Ergebnis so auch KG FamRZ 2000, S. 504; OLG Dresden FamRZ 2000, S. 109 (110). 629 Vgl. FamRZ 2000, S. 499; so auch OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40; AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); OLG Oldenburg FamRZ 1999, S. 1464; OLG Bamberg NJW 1999, S. 1873 = EzFamR 1999, S. 178. 630 Vgl. OLG Celle FamRZ 2003, S. 1488 f; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; OLG Köln FamRZ 2000, S. 499; dass. FuR 2000, S. 268; dass. FamRZ 2000, S. 1041; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; dass. FamRZ 1999, S. 1600; OLG Bamberg NJW 1999, S. 1873. 631 Vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 1596. 632 Vgl. KG FamRZ 2000, S. 505; OLG Nürnberg FamRZ 2002, S. 188 (189). 633 Vgl. KG FamRZ 2000, S. 505. 634 A. A. KG aaO. 635 Gegen eine zwangsweise Beratung etwa Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 37; Maccoby / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 (13); Runge FPR 1999, S. 142 (144); a. A. Niepmann MDR 1998, S. 565 (567); Jopt ZfJ 1996, S. 203 (208).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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es zumindest problematisch, wenn überhaupt keine Kommunikation zwischen den Eltern besteht. 637 Solange aber noch der erforderliche Informationsaustausch stattfindet, ist die sorgerechtliche Grundlage der gemeinsamen Elternverantwortung jedenfalls nicht grundlegend betroffen. 638 Darüber hinaus wird aber auch trotz erheblicher Kommunikationsschwierigkeiten die gemeinsame Sorge aufrechterhalten, wenn zwischen dem Kind und dem nicht-betreuenden Elternteil ein guter Kontakt besteht. 639 Es impliziert ein tragfähiges Nebeneinander der Eltern-Kind-Beziehungen, so dass die Befürchtung eines Schadens in der kindlichen Persönlichkeitsentwicklung durch Loyalitätskonflikt und Schuldgefühl entkräftet wird. 640 Bedenken entstehen jedoch, wenn es zu ständigem Streit bei der Ausübung des Umgangsrechts und zu Gewaltanwendung kommt. 641 Insbesondere Tätlichkeiten in der Gegenwart des Kindes erscheinen problematisch 642 und begründen nachhaltige Zweifel an der Zusammenarbeit der Eltern in der Kindeserziehung. 643 Auch wenn elterliche Spannung oftmals zügig abnimmt 644, kommt darin eine irreversible Zerrüttung zum Ausdruck, die auch eine rationale Überwindung im Interesse des Kindes im Einzelfall zumindest zweifelhaft erscheinen lässt.

636 Vgl. KG FamRZ 2000, S. 505; OLG Bamberg NJW 1999, S. 1873, das zumindest die elterlichen Streitigkeiten für unbeachtlich einschätzt, soweit sie durch die Einschaltung eines Vermittlers lösbar seien. 637 Vgl. AG Solingen FamRZ 1999, S. 183; OLG Nürnberg EzFamR 1999, S. 116 (117); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 141. 638 Vgl. KG FamRZ 1999, S. 737; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 393; dass. FamRZ 2006, S. 1697. 639 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 26; dass. FamRZ 2000, S. 501; AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322); einschränkend KG FamRZ 1999, S. 737, soweit keine schwerwiegenden Unstimmigkeiten bei wesentlichen Entscheidungen zu erwarten seien; a. A. Niepmann MDR 2000, S. 613 unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH FamRZ 1999, S. 1646 = MDR 2000, S. 31 = NJW 2000, S. 203. 640 Vgl. aber auch KG FamRZ 2001, S. 185, das aufgrund des drohenden Loyalitätskonfliktes die gemeinsame Sorge aufhob. 641 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99; Oelkers FuR 1999, S. 349 (352); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 139; Schwab FamRZ 1997, S. 457 (464). 642 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 501. 643 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 501. 644 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 38 (39); kritisch dazu Oelkers FPR 1999, S. 132 (135); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 137; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 40 f, hält die elterliche Konfliktlage unbeachtlich, solange sie durch Beratung abbaubar sei; unter Zurückweisung der Konfliktlösung durch die Entscheidung zu Einzelfragen vgl. KG 1999, S. 616 (617).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

(4) Aufhebungsgründe in der Person des Antragsgegners Schließlich stehen auch Gründe in der Person des Antragsgegners im Mittelpunkt der gerichtlichen Beurteilung der elterlichen Kooperationsfähigkeit. Angesichts der verfassungsrechtlich verankerten Erziehungsfreiheit und der weitgehenden Gestaltungsautonomie der gesetzlichen Sorge 645 ist hier jedoch das gerichtliche Ermessen sehr beschränkt. Nur bei schwerwiegenden Mängeln des nichtbetreuenden Elternteils kommt es in Betracht, dass der andere Elternteil die Kooperation verweigert. 646 Zunächst erscheint eine rein äußerliche Erschwerung, wie beispielsweise räumliche Distanz des nichtbetreuenden Elternteils vom Wohnort des Kindes, kein hinreichendes Kriterium für die Aufhebung gemeinsamer Sorge zu sein. 647 Angesichts der verfügbaren Kommunikationsmedien und Transportmittel erscheint ein solcher Ansatz unsachgemäß. 648 Anderes mag lediglich dann gelten, wenn ein Elternteil über längere Zeit unerreichbar ist. 649 Gleiches gilt bei nachhaltigem Desinteresse, das die erforderliche Mitwirkung an wesentlichen Entscheidun645 In diesem Zusammenhang sei auch auf die Wertung des § 1697a verwiesen, der hervorhebt, dass nicht ein stereotyper Erziehungsmodus und damit staatliche Erziehungsvorgaben, sondern die tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten im Zentrum der Kindeswohlbeurteilung stehen. 646 Vgl. AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322). 647 Vgl. Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (266); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 144; BVerfG FamRZ 2004, S. 1015 (1016); OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 564; OLG Hamm FamRZ 2002, S. 565; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1036; OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1952; OLG Nürnberg, FamRZ 2006, S. 878; KG FamRZ 2006, S. 878; AG Detmold FamRZ 2006, S. 880; OLG Schlewig FamRZ 2006, S. 881; so auch schon h.M. nach alter Rspr. vgl. KG FamRZ 1983, S. 1055 (1058); AG Arnsberg FamRZ 1986, S. 1145 (1148); Hinz ZfJ 1984, S. 529 (535); anders OLG Hamm FamRZ 1999, S. 320; ebenfalls abweichend MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 81; zur bisherigen Rechtslage vgl. auch Fehmel FamRZ 1980, S. 758; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (306, 308), der insoweit die erforderliche konkrete Fähigkeit von einer bloßen abstrakten Fähigkeit zur Erziehung unterscheidet; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht geschiedener Eltern“, S. 60; OLG Frankfurt / M. FamRZ 1983, S. 758 – abweichend Fthenakis FamRZ 1988, S. 578 (579), der die Anforderungen in Hinblick auf das Alter des Kindes differenzieren will; a. A. auch Celle FamRZ 1985, S. 527; zur faktischen Regel der räumlichen Nähe der Antragsteller gemeinsamen Sorgerechts vgl. Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (418); kritische zum formalisierten Beurteilungsmaßstab Knöpfel NJW 1983, S. 905 (908); Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120 f); Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131); anders auch OLG Hamm FamRZ 2001, S. 183 sowie dass. FamRZ 1999, S. 320 bei einem dauernden Aufenthalt eines Elternteils im Ausland. 648 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 34. 649 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 131; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463); OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 258, das allerdings in für den Fall langfristigen Verschwindens eines Elternteils aus Verhältnismäßigkeitserwägungen nur die Anordnung des Ruhens des Sorgerechts als geringeren Eingriff für geboten erachtet; dass. FamRZ 2003, S. 1947, wonach auch eine Verbüßung einer Haftstrafe kei-

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gen nicht gewährleistet. 650 Demgegenüber ist die bloße Verweigerung, an einem Sorgerechtsplan mitzuwirken für die Einschätzung der Erziehungsfähigkeit und -eignung wohl für sich genommen nicht relevant. 651 Problematischer erscheint die darüber hinausgehende Beurteilung der Sorgerechtseignung des nichtbetreuenden Elternteils. 652 Eine Unterschreitung des Maßstabs gem. § 1666 erscheint hier zweifelhaft. Denn nicht in erster Linie die Zumutbarkeit für den anderen Elternteil, sondern der verbleibende Beitrag für die Umsetzung des Kindeswohls steht hier im Vordergrund. 653 Maßgeblich ist daher das Erziehungsunvermögen des nicht-betreuenden Elternteils. 654 Zunächst ist grundsätzliche Voraussetzung für die gemeinsame Sorge die beiderseitige Erziehungseignung. 655 Auch wenn einzelne Schwächen auf einer Seite durch die gemeinschaftliche Verantwortung ausgeglichen werden können 656, so gilt dies jedenfalls nicht bei völligem Einigungsmangel. 657 Wichtige Kriterien können Unzuverlässigkeit aufgrund von psychischer Erkrankung 658, Sucht 659 oder schwerwiegender Unstetigkeit sein. 660 Krankheiten 661 oder Behinderungen stellen jedenfalls ne Sorgerechtsentziehung rechtfertige; so auch OLG Frankfurt OLGR 2002, S. 6; OLG Köln FamRZ 1978, S. 623; anders OLG Dresden FamRZ 2003, S. 1038; ebenfalls für die Anordnung des Ruhens der Elternsorge bei längerfristiger Abwesenheit eines Elternteils vgl. BGH FamRZ 2005, S. 29; vgl. dazu auch § 1678 Abs. 1; zur Abgrenzung gegenüber der nur vorübergehenden Verhinderung unter Hinweis auf § 1678 vgl. AG Holzminden FamRZ 2002, S. 560 f. 650 Vgl. OLG Dresden FamRZ 2002, S. 973; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 79 ff; so kann bei längerfristiger Untätigkeit und der faktischen Übernahme der Verantwortung durch den betreuenden Elternteil Anlass dazu geben, den untätigen Elternteil endgültig vom Sorgerecht auszuschließen, vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1996, S. 889; OLG Bamberg FamRZ 1997, S. 48. 651 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 78 mwN. 652 Vgl. dazu OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 1160, das Bedenken gegen die Erziehungseignung des nicht betreuenden Elternteils zumindest dann nicht zum Anlass der Alleinsorgeübertragung nimmt, wenn Entscheidungen über Angelegenheiten des täglichen Lebens nicht zu erwarten sind. 653 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1597. 654 Zur Übertragung der Alleinsorge, wenn ein Elternteil die Vorbildfunktion nicht erfüllt und altersgerechtes Sozialverhalten nicht vermitteln kann, vgl. etwa BayObLG FamRZ 1999, S. 179 (180) und OLG Oldenburg; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 82. 655 Vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 120, wobei hier die fehlende Erziehungseignung eines Elternteils durch Alkoholerkrankung zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge führte; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492, wonach Vorstrafen wegen Vermögensdelikten jedenfalls noch nicht die Erziehungseignung ausschließen. 656 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 135; Fthenakis in Remschmidt „Kinderpsychiatrie“ S. 51; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 185 f = NJW-RR 2001, S. 506. 657 Vgl. OLG Bamberg FamRZ 1988, S. 752 (753); OLG Dresden FamRZ 1999, S. 324 (325); OLG Franfurt / M. FamRZ 1999, S. 392 (393); AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

keinen Anknüpfungspunkt für die Übertragung der Alleinsorge dar. 662 Diese können nur ins Gewicht fallen, soweit die verantwortungsvolle Sorgerechtsausübung des betreuenden Elternteils blockiert und dadurch die Interessenwahrnehmung für das Kind tatsächlich bedroht wird. 663 Dazu reicht es aber nicht aus, dass eine Prädisposition – etwa die Zugehörigkeit eines Elternteils zu einer Sekte – zukünftige gemeinsame Entscheidungen behindern könnten. 664 Insoweit ist eine Tendenz erkennbar, auch die eingeschränkte Wahrnehmung der Elternverantwortung eines Elternteils mit der gemeinsamen Trennungssorge als vereinbar anzusehen, wenn die entsprechend erweiterte Alleinentscheidung des betreuenden Elternteils wahrgenommen und vom anderen toleriert wird. 665

658 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; OLG München FamRZ 2004, S. 1597; BayObLG FamRZ 1997, S. 956. 659 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 100 f zu Alkoholismus und Drogenabhängigkeit; Oelker § 1 Rz. 221 mwN; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 183; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697; AG Ratzeburg FamRZ 2000, S. 505; KG FamRZ 1983, S. 1159 (1161). 660 So Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 131. 661 Vgl. OLG Stuttgart NJW 1988, S. 2620 (AIDS); Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1671 26. 662 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 95 f. 663 Vgl. AG Ratzeburg FamRZ 2000, S. 506; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 132 geht sogar soweit, eine Unterhaltspflichtverletzung über länger Zeit und in vorwerfbarerer Weise als eine Unzuverlässigkeit oder Gleichgültigkeit zu werten, die eine vollumfängliche Alleinsorgeübertragung rechtfertige. Ohne die Monetisierung zu befürworten, sei auch die materielle Lebensgrundlage des Kindes ein elementarer Bestandteil der Elternverantwortung; entsprechend auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (463); wohl im Ergebnis auch OLG Dresden FamRZ 2000, S. 501; anders AG Chemnitz FamRZ 1999, S. 321 (322); ablehnend hinsichtlich der Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas vgl. OLG Koblenz FamRZ 2000, S. 1391; OLG Karlsruhe FamRZ 2002, S. 1728; vgl. in diesem Zusammenhang auch AG Göttingen FamRZ 2003, S. 112; zur eingeschränkten Berücksichtigung außergewöhnlicher sexueller Neigungen eines Elternteils vgl. OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1697 f. 664 Vgl. etwa OLG München FamRZ 2000, S. 1042, wonach eine zukünftig möglicherweise erforderliche Bluttransfusion des Kindes und die zu erwartende Verweigerung der Zustimmung durch den Vater als Mitglied der Zeugen Jehovas die Aufhebung der gemeinsamen Sorge nicht rechtfertige; allg. zur fehlenden Disqualifizierung eines Elternteils hinsichtlich seiner Erziehungseignung allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Zeugen Jehovas EuGHMR FamRZ 2004, S. 765; AG Osnabrück FamRZ 2005, S. 645; ebenso OLG Koblenz NJWE-FER 2000, S. 276; zur denkbaren eingeschränkten Übertragung von Einzelentscheidungskompetenz auf den anderen Elternteil vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1994, S. 924 (Zeugen Jehovas); OLG Bamberg FamRZ 1996, S. 684 (Scientology); OLG Hamm NJWE-FER 1997, S. 54 (Zeugen Jehovas); OLG Hamburg NJWE-FER 1985, S. 1284 (Bhagwan). 665 Vgl. exemplarisch AG Ratzeburg FamRZ 2000, S. 505 (506), wonach weder die unterlassene Unterhaltszahlung noch die Verantwortung behindernde Alkoholerkrankung des Vaters es rechtfertige, die gemeinsamen Sorge aufzuheben, da die Eltern sich im Wesentlichen über die Elternsorge einig waren.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Fälle für den Ausschluss der gemeinsamen Sorge nach diesen Kriterien sind etwa anzunehmen bei Gewaltanwendung innerhalb der Familie 666, bei sexuellen Missbrauchsfällen oder Vernachlässigung des Kindes. 667 So heißt es bereits in der Begründung zum Regierungsentwurf zu Fällen, in denen es bereits vor der Trennung zu Gewaltanwendung zwischen den Eltern gekommen ist: „In diesen Fällen wird vielmehr davon auszugehen sein, dass die bestehenden Gewaltstrukturen sich fortsetzen und die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge für den Elternteil, der Opfer der Gewaltanwendung war, eine Kooperation mit dem anderen Elternteil unmöglich macht und so zu weiteren Belastungen führt, die nachteilige Auswirkungen auf das Kindeswohl erwarten lassen.“ 668

Jedoch wird in diesen Fällen regelmäßig bei einem hinreichenden Anhaltspunkt unter dem Gesichtspunkt von § 1666 von Amts wegen zu ermitteln sein. 669 Bloße Gleichgültigkeit des Antragsgegners kann allenfalls dann einen Aufhebungsgrund darstellen, wenn sie einen Boykott der Sorgerechtsausübung befürchten lässt. 670 (5) Zusammenfassende Betrachtungen zu den Einzelfallkriterien Die vorangehende Betrachtung hat gezeigt, dass die gerichtliche Abwägung der Kooperation in mehren Schritten erfolgt, die sich an die Ermittlung und Förderung des Kindeswohls von verschiedenen Ebenen aus nähert. Ausgangspunkt der gerichtlichen Beurteilung ist zunächst, dass die Eltern aufgrund ihrer fortbestehenden Erziehungsverantwortung im Regelfall zur Kooperation verpflichtet sind. Das Gericht fördert insofern zunächst die Umsetzung der gesetzlichen Trennungssorge, indem es die Legitimität des Alleinsorgeantrags einzelfallbezogen am Kindeswohl prüft. Zum primären Ziel wird daher, einzelfallbezogene Hindernisse bei der Ausübung der gemeinsamen Trennungssorge zu beseitigen und 666 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99; Niepmann MDR 1998, S. 565 (566); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 85 auch zu dem Erfordernis gerichtsfester Nachweise; BVerfG FamRZ 2004, S. 354; OLG Hamm FamRZ 2000, S. 501; vgl. aber auch OLG Karlsruhe FamRZ 2002, S. 1209 wonach nicht jede Gewaltanwendung für die Zukunftsprognose zwingend zur gemeinsamen Sorge disqualifiziert. 667 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 131; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 86; OLG Schleswig FamRZ 2000, S. 1426 f; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 414 zum bloßen Missbrauchsverdacht; OLG Oldenburg FamRZ 2006, S. 882. 668 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99 = BR-Drucks. 180/96, S. 109. 669 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 86; Oelker § 1 Rz. 249 mwN. 670 Weitergehend Oelkers FPR 1999, S. 132 (137); dies erscheint zweifelhaft, da sich die Eltern grundsätzlich nicht für die Ausübung des Sorgerechts qualifizieren müssen und überdies die Pflicht zur sorgerechtlichen Mitwirkung durchsetzbar ist; vgl. in diesem Zusammenhang auch Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 142 sowie 134 (zur spezifischen Fragestellung der sachwidrigen Motivation zugunsten der gemeinsamen Sorge).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

die Beibehaltung der bestehenden Sorgerechtsverhältnisse mit Hilfe der gerichtlichen Einflussnahme zu ermöglichen. Es ist also nicht der Eingriff, sondern vor allem die Bewahrung, wodurch die Intervention charakterisiert wird. Denn in der konsequenten Fortsetzung der gesetzlichen Regulierung verlagert sich die Bedeutung der gemeinsamen Sorge, indem sie nicht an einer aufeinander bezogenen Sorgerechtsausübung, sondern vor allem an der pragmatischen Vollziehbarkeit der gemeinsamen Elternsorge gemessen wird. Auf diese Weise nimmt die Bedeutung der subjektiven Einschätzung der Eltern von ihrer Kooperationsfähigkeit ab, während die Einzelposition gegenüber der sorgerechtlichen Einheit aufgewertet wird. 671 Das zentrale Element der Zumutbarkeit der gemeinsamen Sorge wurde durch die Gesetzesreform erweitert und verlagert die Güterabwägung von der Betrachtung der Eltern auf die des Kindes. Der zweite Gesichtspunkt, der sich aus der Einzelfallbetrachtung ableitet, betrifft die Zweifelsfallregelung. Während sich zunächst bei der theoretischen Auseinandersetzung über den Fall des non liquet die unterschiedlichen Auffassungen als unvereinbar erweisen, so hebt sich diese Differenz bei der Einzelfallbeurteilung weitgehend auf. So stellte der Alleinsorgeantrag für die Gegner der „gemeinsamen Sorge als Regelfall“ bereits ein eigenständiges Indiz für eine gestörte Elternkooperation dar, während bei der Regelfalleinschätzung im Zweifel die gemeinsame Sorge aufrechtzuerhalten ist, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine gestörte Kooperation nach Maßgabe des Kindeswohls deren Aufhebung verlangt. Betrachtet man demgegenüber die Anforderungen beider Auffassungen an die konkrete Einzelfallbeurteilung, so stellt man fest, dass übereinstimmend qualifizierte Nachweise der Kooperationsdefizite gefordert werden. Auch wenn anhand einzelner Aspekte unterschiedliche Gewichtungen vertreten werden können, so wird zumindest die Bedeutung des Antrages mit der konkreten Überprüfung der Kooperationsdefizite deutlich relativiert. Soweit auf der theoretischen Ebene hier Nachweispflicht und Rechtfertigungsdruck abgelehnt wird, ergibt sich dieser aus der Konkretisierungspflicht für das Kooperationsdefizit. Damit reduziert sich der Meinungsstreit über den sorgerechtlichen Regelfall in der praktischen Auswirkung auf eine unterschiedliche Grundprämisse. Während die Vertreter der „gemeinsamen Sorge als Regelfall“ von einer gesetzlichen Vermutung elterlicher Kooperationsfähigkeit ausgehen, befürwortet die Gegenmeinung eine unvoreingenommene Einzelfallprüfung, die jedoch durch Einzelnachweis zugunsten der Alleinsorge substantiiert werden muss. Fragt also die erste Auffassung im Rahmen der gerichtlichen Prüfung danach, ob die gesetzliche Kooperationsvermutung durch den Antrag widerlegt wird, so verlangt die zweite Auffassung eine Konkretisierung des Kooperationsdefizites im Antrag. In der Konsequenz muss damit in beiden Fällen der Zweifelsfall bei unzureichendem Nachweis der Kooperationsfähigkeit zur Fortsetzung der gemeinsamen Sorge führen. 671

Vgl. dazu bereits die Ausführungen zur Gewichtung innerhalb der gesetzlichen Trennungssorge Kap. A., Abschn. IV.2.

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ff) Hindernisse für die gemeinsame Sorge in der Person des Kindes Nicht allein das Verhältnis der Eltern zueinander und die Abstimmung ihrer Erziehungsbeiträge sind für die Beurteilung von Bedeutung. Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge kann sich auch aus Umständen ergeben, die allein in der Person des Kindes begründet sind. So kann die gemeinsame Ausübung der Trennungssorge das Kind überfordern, seine Verarbeitung der Krise behindern oder gar die Beziehung zu beiden Eltern gefährden. In diesen Fällen drohen sich die Vorzüge dieser Sorgerechtsform in ihr Gegenteil zu verkehren und anstelle einer Begrenzung der Trennungsfolgen noch zu einer zusätzlichen Belastung für das Kind zu werden. Hier kann die Klarheit der Zuständigkeit durch Alleinsorgeübertragung geboten sein, auch wenn die Eltern grundsätzlich geeignet sind, in kindeswohlgerechter Weiser zu kooperieren und förderliche Erziehungsbeiträge zu leisten. So haben bereits die früheren Kritiker der gemeinsamen Sorge darauf abgestellt, dass die gemeinsame Sorge negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben kann. 672 Die sich aus der gemeinsamen Sorge ergebenden Anforderungen gerade an das Kind können im Einzelfall sehr hoch sein. Sobald das Kind aber von ihnen überfordert ist, drohen sie die trennungstypischen Schädigungen sogar noch zu steigern. So haben sich in diesem Zusammenhang einige Gesichtspunkte herausentwickelt, die die Einzelfallprobleme transparent machen. Im Zentrum der Betrachtung steht hier vor allem die Fähigkeit des Kindes, die Sorgerechtssituation in ihrer Bedeutung wahrzunehmen und zu verarbeiten. (1) Problemkonstellationen im Einzelfall Der erste Problembereich folgt dabei aus der eingeschränkten Fähigkeit des Kindes, die Elterntrennung zu verstehen und hinzunehmen. 673 Wenn das Kind über das gewöhnliche Maß hinaus anhaltend versucht, die Trennung der Eltern zu kompensieren oder rückgängig zu machen, droht es sich damit aufzureiben. Die von ihm selbst zugewiesene Aufgabe verursacht nachhaltigen Stress, den die Präsenz beider Eltern durch die gemeinsame Sorge gegebenenfalls noch erhöht. Hier sind im Wesentlichen zwei Gründe hervorzuheben. Zum einen kann das Kind damit überfordert sein, sein eigenes Verhältnis zu beiden Eltern von der Elternverbindung abzukoppeln. Dies setzt einen Akt der Emanzipation voraus, 672

Vgl. Heiliger FamRZ 1992, S. 1008 (1009); Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970); Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120); Lempp „Ehescheidung und das Kind“, S. 37; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 39; Wallerstein / Blanklee „Gewinner und Verlierer“, S. 315; haben die Kritiker auf dieser Grundlage zu folgern versucht, dass die gemeinsame Sorge eine Gefährdung des Kindes nicht ausschließen und daher allenfalls in Ausnahmefällen übertragen werden könne, sollen ihre Argumente vorliegend als Aspekte einer Einzelfallbeurteilung herangezogen werden. 673 Vgl. dazu Langzeitstudie Wallerstein / Lewis FamRZ 2001, S. 65 f.

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der – wenn auch nicht notwendig bewusst – die Fähigkeit verlangt, zwischen den Beziehungsebenen zu abstrahieren. Zum anderen kann ein tief greifender Loyalitätskonflikt für das Kind bestehen. Es versucht ihn zunächst durch die Wiederherstellung der alten Bindungen zu klären. 674 Daraus kann eine dauernde Enttäuschung oder sogar Verzweiflung angesichts der ausbleibenden Wirkung folgen. Darüber hinaus versucht das Kind über seine Kräfte hinaus, in einer Form von „Hyper-Loyalität“ seine Zuwendung gerecht zwischen den Eltern zu verteilen und ihnen gleichermaßen gerecht zu werden. 675 In beiden Fällen wird das Kind nicht mit der Eigenständigkeit seiner Beziehung zu den Eltern fertig und entwickelt möglicherweise ein Schuldgefühl für die Trennungssituation sowie den Wechsel zwischen den Lebensbereichen. Dies kann psychisch zu einem vollständigen Verlust der Bindungsfähigkeit des Kindes führen. 676 Als häufige Ursache der Überforderung des Kindes durch die Erziehungszuständigkeit beider Eltern haben sich bereits nach der alten Rechtslage sowohl eine neue Partnerschaft eines Elternteils 677 als auch große räumliche Distanzen zwischen den elterlichen Wohnungen oder innere Spannungen zwischen den Eltern herauskristallisiert. 678 Ein zweites Problemfeld der kindlichen Trennungsverarbeitung kann auf einem starken Stabilitäts- und Sicherheitsbedürfnis des Kindes beruhen. So wird das Kind im Rahmen der gemeinsamen Sorge mit verschiedenen Realitäten konfrontiert, die sein Leben parallel beeinflussen. Denn die Eltern repräsentieren durch ihren jeweiligen Erziehungsbeitrag einen eigenständigen Bestandteil des Kindesalltags. Dieser Wandel der Bezugsfelder kann für das Kind zum Orientierungsverlust führen, insbesondere wenn seine Konstitution von Unsicherheit oder von wiederkehrender Verlustangst geprägt ist. 679 Dazu trägt einerseits bei, dass kein Elternteil permanent verfügbar erscheint und das Kind sich demzufolge immer wieder preisgegeben sieht. Gleichzeitig wenden sich beide Elternteile periodisch ab, so dass das verunsicherte Kind sich als ungeliebtes Objekt zwischen den Eltern hin- und hergeschoben sieht. 680 Daraus können verschiedene Gefühle resultieren. Zum einen kann das Gefühl entstehen, wie eine Sache zugewiesen 674 Vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (447 f, 452); Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120); Röchling ZfJ 1992, S. 516 (522). 675 Vgl. Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (453). 676 Vgl. Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (120); Lempp „Ehescheidung und das Kind“, S. 37; vgl. dazu auch Wallerstein / Blanklee „Gewinner und Verlierer“, S. 315; vgl. auch Kropholler JR 1984, S. 95; Finger DRiZ 1985, S. 96; Limbach „Gemeinsame Sorge“, S. 39; Jopt ZfJ 1990, S. 288; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132, 135); Oelkers / Kasten FamRZ 1993, S. 18 (20); Luthin „Gemeinsamens Sorgerecht nach der Scheidung“, S. 55 f. 677 Vgl. Arntzen in AG Arnsberg FamRZ 1986, S. 1145 (1146); kritisch Michalski FamRZ 1992, S. 128 (131). 678 Schütz ZfJ 1987, S. 189 (192); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 174. 679 Vgl. dazu auch Wallerstein / Lewis FamRZ 2001, S. 65 (70). 680 Vgl. Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132).

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zu werden, ohne dass die eigenen Bedürfnisse Berücksichtigung finden. Zum anderen kann die Situation die Gewissheit der elterlichen Zuneigung, aber auch das kindliche Freiheitsbedürfnis nachhaltig stören. 681 Kontinuität und Vertrauensverhältnisse können auf diese Weise in der kindlichen Empfindungswelt schwer gestört werden. Dies ist vor allem dann zu beachten, wenn das Kind ein besonderes Bedürfnis nach stabilen und gleichbleibenden Verhältnissen zeigt. Dies gewinnt vor allem in einer von der gesetzlichen Trennungssorge abweichenden Aufgabenverteilung an Bedeutung. Haben die Eltern z. B. alternierende Betreuung vereinbart, bei der entweder das Kind abwechselnd in den Wohnungen der Eltern oder die Eltern abwechselnd beim Kind leben, so ist dies für das Kind mit einem dauernden Wechsel der Umgebung verbunden. 682 Im Extremfall kann dies bei einem leicht zu verunsichernden Kind die Bindungen zu beiden Eltern gefährden und zu einer tief greifenden Entwurzelung führen. Hier gewinnt die Schaffung stabiler Verhältnisse zentrale Bedeutung. 683 Schließlich setzt die kindeswohlgerechte Ausübung der gemeinsamen Sorge voraus, dass das Kind grundsätzlich Bereitschaft zeigt, die äußeren Voraussetzungen dieser Sorgerechtsform mit zu tragen. Dieser Gesichtspunkt knüpft an die Einbeziehung des Kindeswillens an, wie sie tatbestandlich in § 1671 Abs. 2 Nr. 1 verankert ist. Unabhängig vom ausdrücklichen gesetzlichen Schutz verdient hier der Wille des Kindes auf Grund seiner Betroffenheit als Grundrechtsträger besondere Beachtung. 684 Ohne eine vergleichbare Orientierung am Alter, wie sie das Sorgerecht allgemein vorschreibt, hängt die Einbeziehung des Kindes in die Entscheidung hier vor allem von seiner Einsichtsfähigkeit und Reife ab. 685 Maßgeblich ist allein, inwieweit das Kind zur Willensbildung im natürlichen Sinn in der Lage ist. 686 Zentraler Ansatzpunkt wird in diesem Zusammenhang vor allem eine starke Abneigung gegen einen Elternteil sein. Bei der Trennungssorge soll das Kind zwar keinen Elternteil voreilig von der Sorge ausschließen können, wobei es regelmäßig durch eine Entscheidung solcher Tragweite überfordert wäre. Doch muss zumindest eine schwerwiegende Störung einer Eltern-Kind-Beziehung hier stärker berücksichtigt werden, da nicht mehr Gleichzeitigkeit und Zusammenwirken der Eltern dominiert, sondern die Einzelbeziehung zu jedem einzelnen Elternteil in den Vordergrund rückt. 681

Vgl. Wallerstein / Lewis FamRZ 2001, S. 65 (72). Vgl. dazu auch Limbach „Studie“ S. 43, 72 ff; Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (452); Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 145. 683 Vgl. Heiliger FamRZ 1992, S. 1008 (1009); Kalternborn FamRZ 1983, S. 964 (970). 684 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1702 = FamRZ 1985, S. 169; zur grundrechtlichen Betrachtungsweise BVerfGE 37, S. 217 = NJW 1974, S. 1609 = FamRZ 1974, S. 479; dass. NJW 1981, S. 124. 685 Zur besonderen Bedeutung der Einbindung des Kindes in die Sorgerechtsgestaltung und dessen Verständnis für die Vorgänge vgl. Wallerstein / Lewis FamRZ 2001, S. 65 f, 72. 686 Vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 43; BGH FamRZ 1985, S. 169; AG Stuttgart FamRZ 1981, S. 597 f. 682

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(2) Abwägung im Rahmen der Entscheidungsfindung Bei der Beurteilung dieser Gesichtspunkte für die Einzelfallentscheidung ist eine differenzierte Herangehensweise geboten. So ist zunächst von der grundsätzlichen Einschätzung der Kindesinteressen auszugehen, die auch der gesetzlichen Trennungssorge gem. § 1687 zugrunde liegen. Danach ist es für das Kindeswohl von vorrangiger Bedeutung, gerade die bestehenden Beziehungen zu beiden Eltern zu bewahren. Ungeachtet der mit der gemeinsamen Sorge für das Kind verbundenen Belastungen, überwiegt demnach zunächst die positive Wirkung für das Wohl des Kindes. Vor allem langfristige Erwägungen führen dazu, dem Kind in der Umstellungsphase unter Umständen mehr Verunsicherung zuzumuten, um dadurch die Eltern langfristig soweit wie möglich über die Trennung hinaus an das Kind zu binden. 687 Dies knüpft an die gesicherte Erkenntnis an, dass diejenigen Kinder am wenigsten Schäden durch die Elterntrennung erleiden, die zu beiden Eltern die Bindungen aufrechterhalten. 688 Will man von diesem Erfahrungssatz abweichen, so müssen zunächst Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Belastung des Kindes durch die gemeinsame Sorge über das gewöhnliche Maß hinausreicht. Doch auch wenn die gemeinsame Sorge im Einzelfall atypische Auswirkungen oder Bedingungen in der Person des Kindes zeigt, so relativieren sich die einzelfallbezogenen Folgen in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist auch bei sensibler Reaktion des Kindes auf die Sorgerechtssituation zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Familienkonflikt stets um eine außerordentliche emotionale und psychische Belastung des Kindes handelt. Sie ergibt sich in erster Linie aus der Lebenssituation und nicht aus der Sorgerechtsform. Daher bleibt eine familieninterne Stabilisierung erst einmal vorzugswürdig, solange die Anzeichen der Überforderungen durch die Alleinsorge nicht eindeutig nachhaltiger beseitigt werden können. Das ver687 Dies knüpft auch an die frühere kritische Vermutung an, dass das Verfahren zur gemeinsamen Sorge durch besondere Dauer und dezidiert gründliche Ermittlung eine zusätzliche Belastung des Kindes darstelle, vgl. etwa Kaltenborn FamRZ 1983, S. 964 (970). Dies konnten jedoch empirische Studien nicht bestätigen. Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (418) und Limbach „Studie“, S. 35 weisen auf die sogar als unsorgfältig erachtete Kürze und Standardisierung der gerichtlichen Beurteilung hin. Oelkers / Kasten / Oelkers FamRZ 1994, S. 1080 (1082) stellten eine Durchschnittsdauer der Verfahren, durch die gemeinsame Sorge übertragen wurde, von 11,7 Monaten ohne erhöhten Ermittlungsaufwand fest. Damit wird deutlich, dass die gemeinsame Sorge die Verfahrensdauer grundsätzlich nicht verlängert. 688 Vgl. Bode FamRZ 1999, S. 1400 (1402); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 34; Koedje / Koeppel DAVorm 1998, S. 10; Gründel „Gemeinsames Sorgerecht“, S. 24; Oelkers / Kasten FamRZ 1993, S. 18 ff; Wallerstein / Bakeslee, „Gewinner und Verlierer“, S. 321; Fthenakis / Niesel / Kunze „Ehescheidung“, S. 68 ff; vgl. aber auch relativierende Einschätzung Wallerstein / Lewis FamRZ 2001, S. 65 (68 f); Maccoy / Mnookin FamRZ 1995, S. 1 f; vgl. auch Gesetzesentwurf der Regierung, BR-Druck. 180/96, S. 73, worin die Bewahrung der Beziehung zu beiden Eltern als ein zentrales Ziel der Gesetzesreform hervorgehoben wurde.

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bleibende Risiko kindeswohlwidriger Faktoren ist eine das Sorgerecht insgesamt überschattende Problematik, die dem Wesen des Familienkonflikts angesichts seiner Langzeitwirkung, der emotionalen Verstricktheit sowie der äußerlichen Undurchdringlichkeit selbst anhaftet. 689 Doch auch wenn das Kind Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge zunächst die bestehende Anspannung lindern könnte, so sind auch hier die reformierten Interventionsansätze anzuwenden. Demnach ist in diesem Zusammenhang der Eingriff erst geboten, wenn eine gezielte Hilfestellung die Hindernisse nicht beseitigen kann. Denkbar ist dabei einerseits, durch gezielte Beratung der Eltern unter Einbindung des Kindes dazu beizutragen, dass die kindliche Überforderung abnimmt und die Eltern bewusster damit umgehen. Andererseits kann die Überforderung, soweit sie sich aus der konkreten Sorgerechtsgestaltung ergibt, dadurch vermindert oder beseitigt werden, dass man die äußeren Bedingungen stärker den Bedürfnissen des Kindes anpasst. 690 Für beide Korrekturinterventionen spielen Faktoren wie Alter, Einsichtfähigkeit, Reife und Vertrauen sowie die Intensität der bereits bestehenden Eltern-Kind-Beziehungen eine wichtige Rolle. Von ihnen hängt es ab, ob das Kind zugänglich für eine bewusste Überwindung der Hindernisse ist und wie eine gezielte Anpassung der Sorgerechtsgestaltung an die Leistungsfähigkeit des Kindes erfolgen kann, ohne dabei notwendig die Sorgerechtsform ändern zu müssen. Damit lebt die Überlegung bei der bisherigen Rechtslage auf, ob es für die Ausübung der gemeinsamen Sorge einer besonderen Reife des Kindes bedarf. Rechtstatsachenstudien zur alten Rechtslage legen dies nahe, da dieses Sorgerechtsmodell vorrangig für die Sorge bei älteren Kindern beantragt wurde. 691 Als übergreifendes Prinzip erscheint dies unzweckmäßig, da insbesondere die Prägung in frühen Kindheitsphasen von besonderer Bedeutung ist. Es hat aber dort Gültigkeit, wo vom Kind eine Überwindung der eigenen Abwehr verlangt wird. Damit greift auch dieser Aspekt des Kindeswohls die Prinzipien des § 1687 auf und vermeidet eine voreilige Manifestation der Sorgerechtszuweisung und bewahrt die Bezugspersonen auch für zukünftige Entwicklungsspielräume. Insgesamt wird jedoch an diesem Entscheidungsaspekt besonders deutlich, wie wenig die rein 689

Vgl. Michalski FamRZ 1992, S. 128 (130). Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 42, der gerade unter Bezugnahme auf die Gestaltungsformen der gemeinsamen Sorge darauf hinweist, dass die insoweit bestehende elterliche Gestaltungsfreiheit nur bis zur Grenze des Sorgerechtsmissbrauchs geht. § 1666 kann daher im Einzelfall rechtfertigen, eine andere Funktionsaufteilung zwischen den Eltern anzuordnen. 691 Vgl. Limbach „Studie“, S. 23, darin wird festgestellt, dass nur 22% der Anträge zur gemeinsamen Sorge sich auf Kinder bis zu 6 Jahren, 36% auf Kinder zwischen 7 – 12 Jahren und 42% auf Kinder zwischen 13 – 17 Jahren beziehen. Bestätigung erfährt dieses Ergebnis durch weitere Studien, vgl. Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (417 f); Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (451). 690

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rechtliche Beurteilung zu einer befriedigenden Einschätzung führt. Hier ist vor allem eine zunehmende Einbeziehung psychologisch und sozial-pädagogisch orientierten Professionen in die Entscheidungsfindung erforderlich, da diese das Spektrum juristischer Erfassbarkeit deutlich überschreitet. 692 c) Übertragung der Alleinsorge auf den Antragsteller Entspricht die Aufhebung der gemeinsamen Sorge nach Maßgabe der vorangehenden Erwägungen dem Kindeswohl am besten, ist in dem zweiten Abschnitt der Kindeswohlprüfung zu untersuchen, ob dies auch hinsichtlich der Übertragung der Alleinsorge auf den Antragsteller gilt. 693 Das heißt, dass nachdem die Alleinsorge und die gemeinsame Sorge einander gegenübergestellt wurden, nun die konkrete Ausgestaltung der Alleinsorge geprüft wird. 694 Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge setzt voraus, dass auch die konkret beantragte Alleinsorge im Vergleich zu den denkbaren Alternativen vorzugswürdig ist. 695 Unabhängig davon also, ob beide Eltern konkurrierende Anträge gestellt haben, wird zwischen den Potentialen der Eltern und den Einzelbestandteilen der gemeinsamen Sorge abgewogen. 696 Die Alleinsorge lässt sich nur rechtfertigen, wenn bei der damit verbundenen Aufhebung eines Sorgerechtsverhältnisses das im Rahmen der Alleinsorge fortbestehende Rechtsverhältnis schutzwürdiger ist. Anderenfalls sind die sorgerechtlichen Ressourcen im Rahmen der gemeinsamen Sorge zu bewahren, solange dies keine Gefährdung des Kindeswohls verursacht. Hier kommt der Kindeswohlbegriff in seiner umfassenden Bedeutung zur Anwendung, wie er sich bereits nach alter Rechtslage herausentwickelt hat. 697 Danach 692

Vgl. Limbach ZfRSoz 1988, S. 155 (160); Fthenakis FuR 1998, S. 84 ff. Zum allgemeinen Überblick der Entwicklung der Rechtsprechung vgl. auch Motzer FamRZ 2006, S. 73; ders. FamRZ 2004, S. 1145; ders. FamRZ 2003, S. 793. 694 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 156. 695 Zur gestalterischen Freiheit des Gerichtes, auf welche Weise und durch welche fachliche Unterstützung es sich die zuverlässigen Grundlagen für seine am Kindeswohl orientierte Entscheidung verschafft, vgl. BVerfG FamRZ 2001, S. 1285 (Darin wurde die Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter gegen den Beschwerdeführer unter Aufhebung der erstinstanzlich bestätigten gemeinsamen Sorge mit Aufenthaltsbestimmungsrecht des Beschwerdeführers verfassungsrechtlich angegriffen, indem das Elternrecht und das rechtliche Gehör als verletzt angesehen wurden durch den Verzicht des Berufungsgerichtes, den Sachverständigen des erstinstanzlich Verfahrens anzuhören. Das BVerfG wies die Beschwerde ab.); vgl. dazu auch BVerfG FamRZ 2004, S. 1166 (1168); OLG Köln FamRZ 2003, S. 1950 f. 696 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 147 f. 697 Zur fortbestehenden Gültigkeit der vor Inkrafttreten des KindRG durch Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (464); Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1102); OLG Hamm FamRZ 1998, S. 1315 (1316); dass. ZfJ 1999, S. 226 (228); OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 186 = NJW-RR 2001, S. 506 f. 693

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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wird der offene Rechtsbegriff, der keiner abschließenden Definition zugänglich ist, durch zentrale Elemente anhand des Einzelfalles konkretisiert. 698 Dazu haben sich im Wesentlichen vier Elemente herausgebildet. 699 Das Kindeswohl beurteilt sich demnach vor allem nach dem übergreifenden Bindungsprinzip, dem Förderprinzip, dem Kontinuitätsgrundsatz und schließlich dem ausdrücklichen Kindeswillen. 700 Sie dienen als Anhaltspunkte, anhand derer die Eltern in ihren Sorgerechtspositionen wertend gegenübergestellt werden. aa) Das Bindungsprinzip Die Bindung ist das vorrangige Auslegungskriterium des Kindeswohls. Im Rahmen der Trennung rückt die emotionale Stabilisierung des Kindes in den Vordergrund der sorgerechtlichen Betrachtung. 701 Wie keines der weiteren Kriterien trägt der Bindungsaspekt der Tatsache Rechnung, dass durch die Trennung dem Kind regelmäßig Schaden für Beziehungswelt und Persönlichkeit droht. 702 Die Gefahr geht dabei vor allem von der emotionalen Verunsicherung aus, der das 698 Zu den bereits mit dem SorgeRG v. 1979 errungenen Fortschritten und Ausgestaltungen vgl. Belchau ZfJ 1979, S. 325 (u. a. 329 f); Oelkers ZfJ 1999, S. 263. 699 Der BGH (vgl. z. B. BGH NJW 1985, S. 1702 = FamRZ 1985, S. 169) nennt zwar einzelfallbezogen noch weitere erhebliche Gesichtspunkte, wie die häuslichen Verhältnisse oder das soziale Umfeld. Jedoch gehen diese Zusätze in den genannten Kriterien auf (so auch MüKo / Hinz § 1671 Rz. 28). 700 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1602 f; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157 = MDR 1999, S. 1329 = FF 1999, S. 122; OLG Hamburg MDR 1999, S. 748; KG FamRZ 1999, S. 616; OLG Celle FF 1999, S. 57; OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464 = FuR 1999, S. 19; OLG Dresden FamRZ 1999, S. 324 = MDR 1998, S. 1482; AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); vgl. hierzu auch bereits BGH FamRZ 1990, S. 392 (393) – In diesem Zusammenhang muss jedoch berücksichtigt werden, dass es sich um bloße Hilfsregeln zur Bestimmung des Kindeswohls handelt, die keine statischen Größen vermitteln (zur alten Rechtslage vgl. schon MüKo / Hinz § 1671 Rz. Rz. 29; Soergel / Strätz § 1671 Rz. 27). Das heißt, dass sich ihre Gewichtung nach den konkreten Sachverhaltskonstellationen richten und sie letzten Endes als empirische Erfahrungssätze weiterhin ausfüllungsbedürftig bleiben. Wenngleich auch schon nach der bisherigen Rechtslage anerkannt war, dass die Nichtbeachtung eines der Kriterien zur Aufhebung der Entscheidung wegen rechtlicher Fehlerhaftigkeit führen kann (vgl. Lüderitz FamRZ 1975, S. 605 (609)). Sie verkörpern nur eine Zusammenfassung maßgeblicher sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse und stellen als solche eine Anweisung an den Richter dar, unter Beachtung des maßgeblichen Erfahrungswissens von Kindern die konkreten Lebensverhältnisse zu ordnen. Noch dazu sind die exemplarischen Aspekte nur idealtypisch trennbar. Tatsächlich werden sie sich oftmals überlagern und miteinander verflochten sein (vgl. Schwab „Handbuch“, 4. Aufl., III Rz. 126; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 70). Es verbietet sich daher ein restriktiver oder formalisierter Umgang mit den folgenden Kindeswohl-Kriterien. Vielmehr sind sie Impulse für ein flexibles Sondieren der Gerichte, dem ein ganzheitlicher Begriff des Kindeswohls zugrunde liegt. 701 Vgl. Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (162), die eine gute Eltern-Kind-Beziehung als wichtigen Schutz gegen eine Vielfalt sozialer Widrigkeiten bezeichnet.

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Kind durch den familiären Umbruch ausgesetzt ist. Im Zentrum der gerichtlichen Einschätzung steht daher, dass dem durch das Zerbrechen der Elterngemeinschaft ohnehin belasteten Kind seine gewachsenen Bindungen nicht über das nach den Umständen unvermeidbare Maß hinaus zerstört werden. 703 Diese Bindungen sind es, die den Übergang in die veränderten Lebensverhältnisse maßgeblich erleichtern und das Kind vor psychosozialer Entwurzelung bewahren. 704 Durch diesen Bestandsschutz rückt das Kind in seiner persönlichen Betroffenheit in den Mittelpunkt der sorgerechtlichen Abwägung und vollzieht eine Emanzipation gegenüber den übrigen Betroffenen. 705 Seine emotionalen Verflechtungen und schutzbedürftigen Empfindungen werden von der Beziehung zwischen den Eltern abgelöst und zum eigenen Maßstab verstärkt. Diese Grundüberlegungen bleiben im KindRG das Herzstück des Kindeswohlbegriffs. Auch wenn das Bindungsprinzip nun nicht mehr ausdrücklich im Gesetz aufgeführt wird 706, leitet sich der Begriff unmittelbar aus der bisherigen Rechtslage ab. 707 Hier hat der sog. Bindungsstreit 708 zunächst zwei Lager bei der Auslegung der sorgerechtsrelevanten Bindung entwickelt. Im Wesentlichen standen sich darin 702 Vgl. BVerfG NJW 1981, S. 217 (218) = FamRZ 1981, S. 124 (126); BVerfG FamRZ 1981, S. 745 (749 f); BVerfGE 37, S. 217 (252); OLG Bamberg NJW 1995, S. 1684; OLG Hamm FamRZ 1989, S. 398 (399); Ell ZfJ 1986, S. 289 (294); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 39; Lempp FamRZ 1984, S. 741 (742, 744); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 100; zu der Bedeutung des betroffenen Persönlichkeitsrechts im Zivilrecht vgl. Geis JZ 1991, S. 112; Jarass NJW 1989, S. 857 (859); Störmer Jura 1991, S. 17 (18). 703 Vgl. schon BT-Drucks. 8/2788, S. 33, 40, 61; Lempp FamRZ 1984, S. 741 (742) spricht in diesem Zusammenhang von einem „Grundrecht auf Bindung“. 704 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 61; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 38; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 108. 705 Vgl. Lempp ZfJ 1984, S. 305 (307). 706 Im SorgeRG v. 1979 wurde ausdrücklich vorgegeben, dass bei der Regelung, die dem Kindeswohl am besten entspricht, vor allem die Bindung des Kindes zu seinen Eltern und Geschwistern zu berücksichtigen ist (vgl. § 1671 Abs. 2 2.HS a.F.); vgl. dazu BT-Drucks. 8/2788, S. 33, 40, 61 f; kritisch Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 151, der in diesem Zusammenhang hervorhebt, dass die explizite Konkretisierung des Bindungsprinzips inhaltlich keine Neuerung, wohl aber rechtliche Verwirrung verursacht habe. 707 Vgl. Mühlens / Kirchmer / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 156; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 168 mit Hinweis darauf, dass das KindRG damit die willkürliche Gesetzesregelung aufhebt und die Bindung als das behandelt, was sie von Anfang an war, eines von mehreren Kriterien; anders MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 37, der die vorrangige Berücksichtigung der Kindesbindungen auch nach der Kindschaftsrechtsreform als fortbestehend ansieht. 708 Der sog. Bindungsstreit entstand vor allem in der Kontroverse um die gemeinsame Sorge als nacheheliche Sorgerechtsform. Dabei standen sich die Lager der sog. Bindungstheorie und die systemische Konzeption der Nachscheidungsfamilie gegenüber mit unterschiedlichen Bindungsbegriffen, die entweder die emotionalen Einzelbindungen oder das Gesamtsystem der Beziehungen in den Vordergrund stellen. Die der alten Rechtslage nahe stehende Bindungstheorie beruht auf der Überlegung, dass die Familie durch die Scheidung der Eltern endgültig aufgelöst wird, woran das Schicksal der Eltern-Kind-

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ursprünglich die Priorität der Einzelbindung und die Betonung eines einheitlichen familiären Beziehungsnetzes gegenüber. Während die Bindungstheorie auf die emotionale Bindung zur Hauptbezugsperson 709 abstellt, betont das systemische Bindungsverständnis, dass die nebeneinander bestehenden Bindungen innerhalb Beziehung untrennbar geknüpft ist (vgl. Dieckmann NJW 1981, S. 668; Lempp FamRZ 1984. 741 (743); ders. ZfJ 1984, S. 1984, S. 169; ders. ZfKinder-JugPsych. 13 (1985), S. 43; Luthin „Gemeinsames Sorgerecht geschiedener Eltern“, S. 53 f; Schmitt Glaeser „Das elterliche Erziehungsrecht“, S. 22; Lempp „Die Ehescheidung und das Kind – Ein Ratgeber für Eltern“, S. 8 fasst das Problem so zusammen: „ein Kind, dessen Eltern sich scheiden lassen, hat zwar noch einen Vater und eine Mutter, aber keine Eltern mehr“). Die Bindungstheorie war vor allem auf die Rechtfertigung der Alleinsorge als vorrangige Sorgerechtsform nach der Scheidung gerichtet. Der mit der Scheidung verbundene unvermeidbare Bruch zu vorangegangenen Lebensverhältnissen sei unter Berücksichtigung kindlichen Zeitempfindens und dessen Trennungsangst schnell und eindeutig zu vollziehen und beschränke den rechtlich schützenswürdigen Bindungsanspruch des Kindes auf einen Elternteil (vgl. Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 35; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906); vgl. dazu auch Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 21 mwN). Auf diese Weise wurde vor allem Sicherheit und Klarheit der zukünftigen Sorgerechtsverhältnisse in den Mittelpunkt des Kindeswohls gestellt (so BMJ BT-Drucks. 8/2788, S. 61; Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (122); Lempp FamRZ 1984, S. 741 (744); Röchling ZfJ 1992, S. 516 (517)). Demgegenüber vertraten die Vertreter eines systemischen Ansatzes die Auffassung, dass die Scheidung zu einer Umstrukturierung der Familie führe, sie aber nicht auflöse. Als sozialer Verband nehme sie durch die Trennung in erster Linie eine andere Form an. Das Eltern-Kind-Verhältnis bleibe bestehen und sei repräsentiert in einem psychosozialen Verband der Nachscheidungsfamilie (vgl. Dickmeis ZfJ 1989, S. 172; Napp-Peters „Scheidungsfamilien“, S. 14, die in diesem Zusammenhang von einem binuklearen Familiensystem spricht; Fthenakis u. a. „Ehescheidung“, S. 221; kritisch dazu Balloff / Walter FamRZ 1990, S. 445 (446); Schütz ZfJ 1987, S. 189 (192 mwN); vgl. auch Nave-Herz „Kontinuität und Wandel in der Bedeutung, in der Struktur und Stabilität von Ehe und Familie in der Bundesrepublik Deutschland“, S. 88). Nur auf diese Weise könne man dem Kindeswohlelement der Schadensbegrenzung gerecht werden (Coester in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 6. DFGT (1985), S. 35 (45 ff); ders. „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 138; ders. in Proksch / Sievering, S. 51; Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); Fthenakis in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT, S. 33 (38 f); Limbach ZfRSoz 1988, S. 155 (160); Magnus FamRZ 1988, S. 518 (162 f); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 103 spricht von einem sorgerechtlichen Optimierungsgebot; BVerfG NJW 1982, S. 983; NJW 1981, S. 217 (218); FamRZ 1971, S. 421 (424); Jayme Brühler Schriften zum Familienrecht, 4. DFGT, 1980, S. 7 (15); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876); Magnus RdJR 1988, S. 158; Michalski FamRZ 1992, S. 128 (132)). Es gehe darum, dem Kind soviel Bindung zu bewahren wie möglich (kritisch dazu mit Verfahrensbedenken Fthenakis in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT (1983), S. 33 (38); Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (419); vgl. dazu auch Puls ZfJ 1984, S. 8 (13). Im Zentrum des Sorgerechtsverfahrens steht daher vorrangig eine Reorganisation der Familie, die auf einen Anpassungsprozess des Verbandes an die scheidungsbedingte Veränderung der Lebensverhältnisse gerichtet ist (Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (665 ff); Henning / Stehle-Remer „Auf dem Weg zum gemeinsamen Sorgerecht?“, S. 15; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (881 f); Limbach ZfRSoz 1988, S. 155 (158); Proksch in Proksch / Sievering, S. 69). 709 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157 (1158); zum korrespondierenden Desorganisationsmodell, wonach sich durch die Elternscheidung das familiäre System auflöst

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einer Nachscheidungsfamilie fortbestehen. 710 Beide Elemente des Bindungsbegriffs sind nun in der reformierten Trennungssorge verankert und machen damit die Bewahrung der Bindungen zum übergreifenden Prinzip der reformierten Trennungssorge. 711 Auf erster Stufe greift die gesetzliche Trennungssorge gem. § 1687 das familiensystemische Element auf, die Gesamtheit vorhandener Bindungen nebeneinander zu bewahren und mit Hilfe einer dynamischen Umgestaltung die Eltern-Kind-Beziehung von der Elternpartnerschaft abzukoppeln. Erst auf zweiter Stufe werden die Einzelbindungen isoliert betrachtet und miteinander verglichen. Nur wenn also die gesetzliche Vermutung des § 1687 erschüttert wird und das Nebeneinander der Bindungen ausgeschlossen wird, treten die Bindungen in ein sich gegenseitig ausschließendes Konkurrenzverhältnis. Innerhalb des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 stehen sich nun für die Beurteilung der Alleinsorge die Einzelbeziehungen gegenüber. Zur wertenden Betrachtung haben sich grundlegende Kriterien entwickelt, nach denen sich die Bindungen des Kindes bemessen. In enger Wechselwirkung zu den übrigen Kindeswohlkriterien nähert man sich dabei dem komplexen Bindungsgeflecht des Kindes unter verschiedenen Aspekten. Das Augenmerk richtet sich dabei zunächst auf die Bindung zu den Eltern. 712 In der Rechtsprechung hat sich insoweit die Faustregel entwickelt, zu fragen, wie die Bindungen zu jedem Elternteil in quantitativer und qualitativer Hinsicht beschaffen sind und ob sich bei vergleichender Gegenüberstellung spürbare Unterschiede ergeben. 713 Dabei sind die Bindungen zu Vater und Mutter prinzipiell als gleichwertig anzusehen. 714 Grundsätzlich richtet sich die Bindung nicht nach der Betreuungszeit, da die Bindung eher einen qualitativen Begriff darstellt und kein inneres Spiegelbild aufgewendeter Betreuungszeit. 715 Jedoch muss hier in Hinblick auf Kleinkinder differenziert werden. Denn beim Kleinkind vgl. Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“; kritisch dazu Fthenakis FPR 1998, S. 84 (85); Suess / Scheuerer-Englisch / Grossmann FPR 1999, S. 148 (151, 156). 710 Zur Weiterentwicklung des Ansatzes der Nachscheidungsfamilie vgl. Fthenakis FPR 1998, S. 84 ff, wonach das Modell der „Reorganisationsfamilie“ sich davon abwendet, die Scheidung zu pathologisieren und sie anderen Umbruchsituationen der Familie – wie dem Verlust eines Familienmitgliedes oder dem Auszug des erwachsenen Kindes – gleichsetzt. 711 Ebenfalls bereits zum Ergänzungsverhältnis beider Bindungsbegriffe nach der alten Rechtslage vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 105. 712 Zur Entstehung von Bindungsbeziehungen und ihrer Bedeutung für das Kind vgl. Suess / Scheuerer-Englisch / Grossmann FPR 1999, S. 148 (152). 713 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 1157, das eine starke emotionale Bindung aus der ganztägigen Betreuung durch die Mutter ableitete; zur bisherigen Rechtslage vgl. auch OLG Köln FamRZ 1982, S. 1232; unter besonderem Hinweis auf das Kriterium der „Wechselseitigkeit“ vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 39, der hervorhebt, dass sich der Bindungsbegriff weit über den emotionalen Bereich hinaus auf den gesamten Komplex der Eltern-Kind-Beziehung erstreckt. 714 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 22; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 170; Suess / Scheuerer-Englisch / Grossmann FPR 1999, S. 148 (152 f); vgl. auch OLG Frankfurt FamRZ 1990, S. 550; OLG Celle FamRZ 1992, S. 465.

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beschränken sich die Bindungen auf die nächste und alltägliche Umgebung. 716 Maßgeblich ist hier die Aufgabenverteilung zwischen den Eltern, wodurch die Bindung bestimmt wird. 717 Besteht vor diesem Hintergrund zu beiden Eltern eine gleichermaßen tragfähige Beziehung, tritt der Bindungsaspekt hinsichtlich der Eltern in der Abwägung zurück. 718 Für die Auswahl zwischen ihnen kommt nur ein etwaiger Bindungsvorsprung in Betracht. 719 Der wird sich jedoch regelmäßig nur bei einem erheblichen Bindungsunterschied auswirken, da die relative Quantifizierbarkeit von humanwissenschaftlicher Seite überwiegend verneint wird. 720 Neben der Orientierung an der Bindung zu den Eltern sind auch die Bindungen des Kindes zu weiteren Bezugspersonen zu berücksichtigen. 721 Insbesondere die Bindungen zu Geschwistern und Großeltern haben in diesem Zusammenhang in 715 Vgl. Arntzen „Elterliche Sorge und persönlicher Umgang mit Kindern aus gerichtspsychologischer Sicht“, S. 13 f; Dietzen FamRZ 1987, S. 239; Ell ZBlJR 1982, S. 76 (78); ders. ZfJ 1986, S. 289 (294); Fehmel FamRZ 1980, S. 758 (760); Fthenakis Brühler Schriften Bd. 3 (1984), S. 33, 50; Jopt FamRZ 1987, S. 875 (876); MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 37; anders die Vertreter der Bindungstheorie, die vorwiegend auf die äußerlichen Bezüge der Eltern zum Kind abstellten: vgl. Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 35; Knöpfel NJW 1983, S. 905 (906); BMJ BT-Drucks. 8/2788, S. 61; Klußmann FamRZ 1982, S. 118 (122); Lempp FamRZ 1984, S. 741 (744); Röchling ZfJ 1992, S. 516 (517); vgl. auch Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (162) mit dem besonderen Hinweis auf eine fehlenden Automatismus der Bindungsentwicklung. 716 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 36 mwN. 717 Die biologische Einschätzung des Eltern-Kind-Verhältnisses hat lange Zeit den Vorrang der Mutter hervorgehoben (langläufig als das sog. Mutterprimat bezeichnet). Diese natürlich-biologische Bindung zur Mutter wird jedoch zusehends kritisch betrachtet (vgl. Fthenakis „Väter – zur Psychologie der Vater-Kind-Beziehung“; ders. FamRZ 1985, S. 662; vgl. auch OLG Celle FamRZ 1984, S. 1035; OLG München FamRZ 1979, S. 70 (71)), so dass eine besondere Verbundenheit zur Mutter durch Schwangerschaft und Geburt keinen zulässigen Anknüpfungspunkt der Sorgerechtsentscheidung darstellt (vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 171); vgl. dazu nähere Ausführungen zum Wandel des Rollenverständnisses als Grundlage der Trennungssorge in Abschn. IV. 718 Zur Einbeziehung des Beziehungsnetzwerkes im Umfeld eines Elternteils, wie etwa die Großeltern oder neue Partner, vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 24 f. 719 Zum Vorzug des eventuell sogar ungeeigneteren Elternteils aufgrund der engeren Bindung zum Kind vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 39; zu den diesbezüglichen Grenzen vgl. auch BGH NJW 1985, S. 1702. 720 Vgl. Arntzen „Elterliche Sorge und persönlicher Umgang mit Kindern aus gerichtspsychologischer Sicht“, S. 3; Fthenakis FamRZ 1985, S. 662 (665); Jopt FamRZ 1987, S. 875 (879); Lempp FamRZ 1984, S. 741 (742); ders. FamRZ 1986, S. 530 (531); KG FamRZ 1983, S. 1159 (1160 f); wohl a. A. Kaltenborn FamRZ 1987, S. 990 (999). 721 Vgl. zum erweiterten Beziehungsnetz des Kindes Fthenakis FPR 1998, S. 84 (90); zur Beurteilung des neuen Partners als „Fremder“ vgl. OLG Celle FamRZ 2005, S. 52; anders hingegen der ehemalige langjährige Partner der Sorgeberechtigten vgl. AG Rostock FamRZ 2005, S. 296; vgl. in diesem Zusammenhang auch das sog. „kleine Sorgerecht“ der Stiefeltern gem. § 1687b nach dem Kinderrechtsverbesserungsgesetz (BGBl. 2002 I, S. 1239), dazu Janzen FamRZ 2002, S. 7.

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der Vergangenheit besondere Bedeutung erlangt. 722 Zwar wird jedes Kind in der Kindeswohlauslegung gesondert beurteilt. 723 Doch kann bei einer dominanten Bindung zu Geschwistern eventuell die Elternbindung in den Hintergrund rücken. 724 Die Geschwistertrennung ist daher grundsätzlich zu vermeiden. 725 Darüber hinaus kann als weitere Bezugsperson auch der neue Partner eines betreuenden Elternteils in Betracht kommen. 726 In diesem Zusammenhang ist auch die zusätzliche Sicherstellung einer verantwortungsvollen Versorgung des Kindes durch den Elterteil mit Hilfe dieses zusätzlichen Familienangehörigen von Bedeutung. 727 Darüber hinaus gewinnt mit zunehmendem Alter des Kindes seine Außenwelt an Bedeutung. Die Betrachtung der kindlichen Bindungen erstreckt sich dann auf das gesamte Beziehungsnetz des Kindes. 728 Indem auf diese Weise zusehends außerfamiliäre Faktoren in die Sorgerechtswertung einfließen, vollzieht sich eine allmähliche Verlagerung bzw. Ergänzung personenebezogener und lokaler Bindung. 729 Insgesamt hat die Bindung des Kindes keine zwingende Relevanz. Das 722 Vgl. zur Bindung zu Großeltern OLG Hamm FamRZ 2003, S. 953; dass. FamRZ 1996, S. 1096; dass. FamRZ 1980, S. 485; OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 498; OLG Köln FamRZ 2005, S. 644; OLG Dresden FamRZ 2005, S. 1275 = NJW-RR 2005, S. 373 = OLGR 2005, S. 232; zum Bindungsaspekt zu Pflegeeltern vgl. etwa OLG Frankfurt FamRZ 2000, S. 1037; zur Geschwisterbindung vgl. eingehend Spangenberg / Spangenberg FamRZ 2002, S. 1007 ff mwN. 723 Vgl. dazu auch OLG Naumburg FamRZ 2000, S. 1595; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 184; Erman / Michalski § 1671 Rz. 26. 724 Vgl. Soergel / Strätz § 1671 Rz. 28 mwN unter Bezugnahme sowohl auf Großeltern wie auf Geschwister; OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 498; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 320; OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039; OLG Dresden FamRZ 2003, S. 397; abweichend bei erheblichem Altersunterschied vgl. OLG Naumburg FamRZ 2000, S. 1595. 725 Vgl. OLG Naumburg FamRZ 2000, S. 1595; OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039, wonach das Zusammenbleiben der Kinder nach der Trennung der Eltern das Gefühl einer fortbestehenden Gemeinschaft vermittele und den Eindruck des Zerbrechens der Familie abmildere; so auch OLG Dresden FamRZ 2003, S. 1489; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 184 f; OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1953; OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 498; OLG Celle FamRZ 1992, S. 465; AG Stuttgart FamRZ 1981, S. 597; Johannsen / Henrich / Jaeger „Eherecht“ 3. Aufl. § 1671 Rz. 73; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 42; Spangenberg / Spangenberg FamRZ 2002, S. 1007 (1009); ähnlich auch bei Halbgeschwistern vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1980, S. 726; vgl. jedoch abweichende Wertung bei Stiefgeschwistern OLG Celle FamRZ 2005, S. 52. 726 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 22, 25. 727 Vgl. entsprechende Gewichtung auch schon bei OLG Hamm FamRZ 1980, S. 485; dass. FamRZ 1985, S. 637; allerdings einschränkend dahingehend, dass die „rasche Wiederverheiratung“ bei der Sorgerechtsregelung nicht bevorzugt werden darf vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1976, S. 282; OLG Köln FamRZ 1973, S. 181. 728 Dies hat zur Folge, dass die durch einen Elternteil vermittelten Bindungen, etwa zu den Großeltern, bei der Übertragung der elterlichen Alleinsorge bedeutsam sein können, vgl. dazu etwa Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 39 mwN. 729 Vgl. Ell ZBlJR 1986, S. 289 (291); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 101.

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heißt, dass Bindung und Neigung nur zu berücksichtigen sind, sofern sie mit dem wohlverstandenen Kindesinteresse vereinbar sind. 730 In der Wechselwirkung mit den weiteren Kindeswohlkriterien entsteht insoweit ein Gesamteindruck, der schließlich auch diese Kindeswohlverträglichkeit der Bindungen bestimmt. bb) Förderprinzip Während das Bindungsprinzip auf eine kindeswohlorientierte Auswertung bereits bestehender Beziehungen gerichtet ist, stellt das Förderprinzip die Aussichten gegenüber, die das Kind bei den Erziehungsgestaltungen jedes Elternteils in der Zukunft erwartet. 731 Das kontinuitätsorientiert in die Zukunft gerichtete Förderprinzip stellt also darauf ab, bei welchem Elternteil das Kind die meiste Unterstützung bei der Persönlichkeitsentwicklung erwarten kann. 732 Die Rechtsprechung hat dabei eine Fülle von Gesichtspunkten entwickelt, die hier einfließen. 733 Im Wesentlichen ist danach die elterliche Sorge dem Elternteil anzuvertrauen, der nach seiner Persönlichkeit, seiner Beziehung zum Kind und nach den äußeren Verhältnissen am ehesten in der Lage ist, das Kind zu betreuen und seine geistige und körperliche Entwicklung zu begünstigen. 734 Maßgeblich sind dabei vor allem 730

Vgl. BGH FamRZ 1985, S. 169 = NJW 1985, S. 1702 (1703); vgl. dazu auch Luthin FamRZ 1984, S. 116; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 170. 731 Zum Verhältnis der verschiedenen Elemente untereinander vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 2001, S. 1634. 732 Vgl. OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 1462; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, S. 1634; Oelkers FuR 1999, S. 349 (353); vgl. auch OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1949, wonach aufgrund des Förderprinzips dem Elternteil die teilweise Alleinsorge übertragen wurde, der gewährleisten konnte, dass das bisher praktizierte Wechselmodell beendet wird. 733 Zu den Einzelelementen des Förderprinzips vgl. BVerfG NJW 1981, S. 217 = FamRZ 1981, S. 124 (126); BGHZ 3, S. 52 (59); BGH NJW 1985, S. 1702 f = FamRZ 1985, S. 169; dass. FamRZ 1990, S. 392 (393); KG NJW-RR 1992, S. 138 (139); dass. FamRZ 1990, S. 1383 f; OLG Hamm FamRZ 1994, S. 918 (919); dass. FamRZ 1992, S. 1335; dass. FamRZ 1990, S. 781 f; OLG Frankfurt FamRZ 1994, S. 920; OLG Brandenburg 1996, S. 1095 (1096); Oelkers (FamRZ 1995, S. 1097 (1099)) fasst die relevanten Fragestellungen des Richters zusammen: – Bei welchem Elternteil ist die Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Erziehung besser gewahrt? – Welcher von ihnen hat eine realistische Lebensgestaltung? – Welcher verspricht die stabilere und verlässlichere Betreuungsperson zu sein? – Ist einer der Eltern durch die Scheidung in eine tiefe Krise geraten? – Magnus RdJR 1988, S. 158 (163) weist darauf hin, dass dabei entgegen früherer Praxis nicht die materiellen Bedingungen, sondern die psycho-sozialen Faktoren entscheidend sind; vgl. für einen Überblick über die vielfältige Terminologie: MüKo / Hinz § 1671 Rz. 30 ff; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 136 ff; Soergel / Strätz § 1671 Rz. 30 f; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 71 ff; zur Ablehnung religiöser Bindung als Element der Erziehungseignung vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2001, S. 1639. 734 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 52; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 136; BGH FamRZ 1990, S. 392 (393) = NJW-RR 1990,

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Stabilität und Dauerhaftigkeit der zukünftigen Lebensverhältnisse unabhängig von der bisherigen Betreuung. 735 Unterschiedliche Erziehungskonzeptionen beider Eltern stehen dabei gleichwertig nebeneinander. 736 Vorrangiges Ziel ist es also, durch die Sorgerechtsübertragung mit bestandssichernden Faktoren unnötige Einbrüche und Verunsicherungen in der Lebensgestaltung des Kindes für die Zukunft zu vermeiden. 737 Beim Vergleich der Alternativen elterlicher Kindesförderung sind die persönlichen Eigenschaften jedes Elternteils und die äußeren Verhältnisse zu unterscheiden. Da es sich bei dem Förderprinzip im Grunde um die Elterneignung im weitesten Sinne handelt 738, richtet sich das Augenmerk zuerst auf die Person der Elternteile. Während die Rechtsprechung zuweilen in der Vergangenheit dazu neigte, über den „Charakter“ der Eltern zu urteilen 739, ist hier große Zurückhaltung geboten. 740 Weder existiert dafür ein universelles Leitbild von einer „geeigneten Erziehungspersönlichkeit“ noch positive wissenschaftliche Kriterien. 741 Ungewiss sind auch die Auswirkungen konkreter Eigenschaften der Eltern auf das Kind. 742 S. 258; OLG Frankfurt FamRZ 1994, S. 920: „stabilere und verlässlichere Bezugsperson“; OLG Stuttgart FamRZ 1978, S. 827. 735 Vgl. dazu Artzen „Elterliche Sorge“ (1980), S. 18; Ell „Trennung“ (1979), S. 62 ff; Fthenakis in Remschmidt (Hg) „Kinderpsychiatrie“ (1984), S. 36 (41); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 33; Lempp NJW 1963, S. 1659 (1662); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 34; Oelkers FamRZ 1995, S. 1097 (1099); Staudinger / Coester § 1671 Rz. 90; BGH NJW 1985, S. 1702 = FamRZ 1985, S. 169; BayObLG DAVorm. 1985, S. 701 (705); OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1949; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, S. 1634; OLG Hamburg FamRZ 1982, s. 532; OLG Köln FamRZ 1982, S. 1232 (1234). Darüber hinaus vgl. zu der Gefahr der präjustiziellen Wirkung der Trennungsphase OLG Köln FamRZ 1976, S. 32 (33); zur Bedeutung des emotionalen Faktors als Bestandteil dieses Prüfungspunktes: BGH FamRZ 1990, S. 392 (393); BGH FamRZ 1985, S. 169; OLG Celle FamRZ 1995, S. 465; KG FamRZ 1990, S. 1393; OLG Hamm FamRZ 1985, S. 637 f; dass. FamRZ 1980, S. 169. Diese Kriterium wurden für vorrangig erachtet: KG FamRZ 1990, S. 1383 (1384); OLG Celle 84, S. 1035 (1036); OLG Düsseldorf FamRZ 1986, S. 296(298); OLG Frankfurt FamRZ 1982, S. 531; OLG Hamm FamRZ 1988, S. 1313 (1314). 736 Vgl. OLG Celle FamRZ 1984, S. 1035. 737 Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 40, 61; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 36 differenziert in diesem Zusammenhang zwischen dem Kontinuitätsgrundsatz ieS, der als formalistischer Gesichtspunkt deutlich von dem personalen Ansatz des Bindungsprinzip zu unterscheiden ist. So auch BGH NJW 1985, S. 1702 = FamRZ 1985, S. 169 mwN. 738 So Staudinger / Coester § 1671 Rz. 71. 739 Vgl. dazu BayObLG FamRZ 1962, S. 165 (168); OLG FamRZ 1967, S. 296 (298); OLG Karlsruhe FamRZ 1966, S. 108 (109). 740 Vgl. KG FamRZ 1990, S. 1383 (1384); dass. FamRZ 1983, S. 1159 (1161); OLG Stuttgart FamRZ 1976, S. 282 (283); Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 203 f. 741 Vgl. Lempp FamRZ 1986, S. 530 (531); Klenner FamRZ 1989, s. 804 (808). 742 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 71, der in diesem Zusammenhang davon spricht, dass ein Elternteil mit ‚gutem Charakter‘ nicht auch automatisch gut für das Kind sein muss.

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Hinzu kommt der Einfluss des Verfahrens selbst, der als Ausnahmezustand das Verhalten der Eltern zu verzerren droht. 743 Vor diesem Hintergrund beschränkt sich die Beurteilung auf unmittelbar in die Umsetzung des Kindeswohls einfließende Charakterzüge. 744 Neben der Konstitution, die bei einer starken seelischen oder körperlichen Krankheit gegen eine Sorgerechtsübertragung sprechen kann 745, ist vor allem auf das persönliche Engagement und verantwortungsvolles Verhalten der Elternteile in der Vergangenheit abzustellen. Darin verankert sich die Bereitschaft und Fähigkeit, die Verantwortung für das Kind zu übernehmen. 746 Denn allein die ernstliche Bereitschaft eines Elternteils, die alleinige Verantwortung zu übernehmen, gewährleistet eine dauerhafte Förderung des Kindes. 747 Eng verknüpft ist dies mit der Kindesorientiertheit der Eltern, also der Fähigkeit, die Interessen des Kindes als eigenständige neben ihren eigenen zu erkennen. 748 Sie ist unverzichtbare Voraussetzung dafür, die eigenen Verhaltensweisen auf die Bedürfnisse des Kindes abzustimmen, möglicherweise auch unter Zurückstellung persönlicher Belange. 749 Zuverlässige Anhaltspunkte lassen sich in diesem Zusammenhang oft aus dem Verhalten jedes Elternteils im Trennungsvorgang herleiten. 750 Dazu gehört ebenfalls das Verhalten gegenüber dem anderen Elternteil im Rahmen der sog. Bindungstoleranz. 751 So ist es nach 743

Vgl. Thalmann FamRZ 1984, S. 634 (637); Buschmann RdJ 1983, S. 408. So vermag etwa Homosexualität oder Transsexualität für sich genommen kein taugliches Kriterium sein, das die Erziehungsqualität eines Elternteils bestimmt, vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 153 mwN; OLG Schleswig FamRZ 1990, S. 433, kritische Anmerkung dazu Luthin FamRZ 1990, S. 435; zur religiösen Orientierung bzw. Sektenmitgliedschaft vgl. sehr zurückhaltende Einschätzung bei Staudinger / Coester § 1671 Rz. 82; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 151. 745 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 28 mwN; dazu mit Einzelbeispielen Staudinger / Coester § 1671 Rz. 74; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 152; zu psychischer Erkrankung: BayObLG FamRZ 1999, S. 318 (319); Münder FuR 1994, S. 89; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 30; zu Sucht und Krankheit: OLG Köln FamRZ 1971, S. 186; BayObLG 1976, S. 534, Soergel / Strätz § 1671 Rz. 33. 746 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 28; Soergel / Strätz § 1671 Rz. 27; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 83. 747 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1983, S. 293 (294); OLG Hamm FamRZ 1980, S. 487. 748 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 28; vgl. dazu auch schon Schwoerer FamRZ 1958, S. 433 (437). 749 Zur persönlichen Lebensgestaltung unter Berücksichtigung der Kindesbedürfnisse vgl. OLG Celle FamRZ 1984, S. 1035 (1036); OLG Frankfurt FamRZ 1986, S. 297 (298); OLG Frankfurt FamRZ 1984, S. 296; OLG Stuttgart NJW 1988, S. 2620 (2621). 750 Vgl. dazu etwa OLG Köln FamRZ 1980, S. 1153 f; OLG Frankfurt FamRZ 1984, S. 296 (297). 751 Dieser Begriff bezeichnet die Anforderungen an die Eltern im Zusammenwirken mit dem anderen Elternteil, dessen Sorgerechtsstelle zu respektieren und zu unterstützen, vgl. dazu Bode FamRZ 1999, S. 1400 (1402); Motzer FamRZ 1999, S. 1103; MüKo / Finger 744

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gesicherter Erkenntnis von großer Bedeutung für die Entwicklung des Kindes, dass es einen möglichst spannungsfreien Kontakt zum nichtsorgeberechtigten Elternteil pflegen kann. 752 Dies ist regelmäßig bei dem Elternteil stärker vorhanden, der die Trennung eher bewältigt hat und die damit verbundenen Kränkungen bereits verarbeiten konnte. 753 Insgesamt bleiben diese auf die Person bezogenen Anknüpfungspunkte jedoch sehr vage und werden sich vor allem in Extremkostellationen auswirken. Von der positiven Einstellung der Eltern zum Kind und der grundlegenden persönlichen Eignung zur Kindeserziehung wird regelmäßig auszugehen sein. 754 Im Vordergrund stehen demnach die äußerlichen Bedingungen. Sie konkretisieren die Erziehung und Erziehungsmethoden, mit denen das Kind gefördert werden soll. 755 Als rechtliches Erziehungsziel ist die Herausbildung des jungen Menschen zur selbstbestimmungsfähigen, selbstverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit anerkannt. 756 Dem entspricht eine Erziehungsmethode, die das Kind als Individuum mit eigener Würde, eigenen Rechten sowie der wachsenden Fähigkeit zur Selbstentscheidung ernst nimmt und insoweit fördert. 757 Dabei steht vor allem die Betreuung im Vordergrund der Beurteilung. Grundsätzlich soll nur dem Elternteil das Sorgerecht übertragen werden, der auch tatsächlich zu seiner persönlichen Ausübung bereit ist. 758 Dabei ist es oftmals problematisch, welche 4. Aufl. § 1671 Rz. 30; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 148; OLG Düsseldorf FamRZ 1986, S. 296; OLG Hamm ZfJ 1999, S. 226 (228); dass. FamRZ 2000, S. 1039; OLG Köln OLG-R 1998, S. 275; OLG München FamRZ 1997, S. 45; OLG Celle FamRZ 1998, S. 1045; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 185; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1950. 752 Vgl. dazu OLG Frankfurt ZfJ 1998, S. 343 (344); dass. FamRZ 1999, S. 612 (613); OLG Celle FamRZ 1994, S. 924; OLG Celle FamRZ 1984, S. 1035 (1036); OLG Hamburg FamRZ 1985, S. 1284; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 394 (395); dass. FamRZ 2000, S. 1039; Oelkers FamRZ 1995, S. 1097 (1100). 753 Vgl. Oelkers FamRZ 1997, S. 779; zum sog. Parental Alienation Syndrome vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 165 mwN; dazu auch KG FamRZ 2000, S. 1606 f; OLG Zweibrücken FamRZ 2006, S. 1145. 754 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 145 mwN. 755 Zwar genießen die Eltern verfassungsrechtlichen Schutz ihres Erziehungsrechts gem. Art. 6 Abs. 2 GG vor staatlicher Reglementierung. Jedoch führt der mittelbare Erziehungsstreit im Rahmen des Sorgerechtsverfahrens dazu, dass die Gerichte die Elternpositionen wertend nebeneinander stellen dürfen, vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 87; nur teilweise wird vertreten, dass sich die elterliche Erziehung völlig der staatlichen Beurteilung entzieht, so Schmitt Glaeser „Das elterliche Erziehungsrecht in staatlicher Reglementierung“, S. 14, 33, 42, 58 f. 756 Vgl. auf der Grundlage der Art. 1, 2 GG: BVerfG FamRZ 1968, S. 578 (584); dass. FamRZ 1974, S. 595 (597); BT-Drucks. 8/2788, S. 34; einfachgesetzliche Umsetzung findet sich in §§ 1 Abs. 1; 8 Nr. 2; 10 Abs. 1 S. 2; 21 Abs. 1 KJHG. 757 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 87; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 28. 758 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 34; Soergel / Strätz § 1671 Rz. 27; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 54; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“

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Bedeutung der delegierten Betreuung durch Dritte beizumessen ist, sofern der beantragende Elternteil berufstätig ist. 759 In diesen Fällen ist zu prüfen, ob bei der Sorgerechtsübertragung während der berufsbedingten Abwesenheit für eine angemessene Pflege gesorgt ist und dem Antragsteller noch genug Gelegenheit bleibt, sich dem Kind zuzuwenden. 760 Auch wenn grundsätzlich die persönliche Betreuung gegenüber der Fremdbetreuung vorzugswürdig ist 761 – dieser Aspekt gewinnt an Bedeutung je jünger ein Kind ist 762 –, muss dies in mehrfacher Hinsicht relativiert werden. Zum einen ist die Qualität der elterlichen Zuwendung für das Kind wichtiger als die Quantität. 763 Zum anderen muss hier erneut der Bindungsaspekt einfließen, da der Zeitfaktor dadurch aufgewogen wird, dass das Kind die Zeit mit dem Elternteil verbringt, zu dem es sich stärker hingezogen fühlt. 764 Dabei ist überdies auch das soziale Umfeld des einzelnen Elternteils zu berücksichtigen. Denn auch die Zuwendung durch andere Bezugspersonen im Umfeld des Antragstellers, zu denen das Kind eine gewachsene Bindung hat, sind in die Gewichtung einzubeziehen. 765 Neben der persönlichen Zuwendung müssen auch die allgemeinen Rahmenbedingungen für die zukünftige Lebensgestaltung in die Entscheidung einfließen. 4. Aufl. III Rz. 142; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, S. 1951; dazu auch schon AG BerlinSchöneberg FamRZ 1967, S. 52. 759 Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass allein die Tatsache, dass ein Elternteil das Kind den ganzen Tag persönlich betreuen könne, bereits den Ausschlag gebe, die Mütter den berufstätigen Vätern vorzuziehen (vgl. BGH FamRZ 1990, S. 392 (393) = NJW-RR 1990, S. 282; KG FamRZ 1988, S. 863). Dies vermag jedoch schon insoweit nicht zu überzeugen, da die Erziehung eines Kindes nicht mit seiner Alltagsbetreuung identisch ist; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1950 f. 760 Vgl. OLG Dresden FamRZ 1997, S. 49 (50); OLG Schleswig FamRZ 1990, S. 433 (434); OLG Bamberg ZfJ 1999, S. 397 (398), worin auch ein ganztägiger Aufenthalt des Kindes in einem Kindergarten aufgrund der Berufstätigkeit des sorgeberechtigten Vaters nicht als kindeswohlwidrig angesehen wird. 761 So eindeutig MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 22; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 142; OLG Bamberg ZfJ 1999, S. 397 (398). 762 Unter Bezug auf die Besonderheiten bei Kleinkindern vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1988, S. 1193; OLG Köln FamRZ 1998, S. 1461; OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 1462; Johannsen / Henrichs / Jaeger § 1671 Rz. 25. 763 Vgl. Lehr „Die Rolle der Mutter in der Sozialisation des Kindes“; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 92; OLG Frankfurt FamRZ 1982, S. 531 (532); KG FamRZ 1990, S. 1383 (1384); OLG Düsseldorf FamRZ 1999, S. 111. 764 Vgl. BVerfG NJW 1981, S. 217 (219); OLG Düsseldorf FamRZ 1988, S. 1193; OLG Hamm FamRZ 1986, S. 715 (716); OLG Köln FamRZ 1982, S. 1232 (1234); Kaltenborn FamRZ 1987, S. 990 (998). 765 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 92, 95; insbesondere zu der Bedeutung eines neuen Partners als zusätzlichem Faktor für zuverlässige Versorgung und Betreuung sowie die Bedeutung einer bereits bestehenden Bindung zu einer anderen Betreuungsperson (Tagesmutter) vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 22 ff.

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Gegenüber den emotionalen Förderimpulsen sind sowohl Bildung, also intellektuelle Fördermöglichkeiten eines Elternteils, als auch wirtschaftliche Lebensverhältnisse nachrangig hinter Verantwortungsbereitschaft und -fähigkeit. 766 Generell treten wirtschaftliche Argumente gegenüber den personenbezogenen Bindungen zurück. 767 Wesentliches Gewicht können sie nur dort erlangen, wo bei einem Elternteil die ökonomischen Mindeststandards nicht gewährleistet sind oder wegen ungesicherter wirtschaftlicher Situation eines Elternteils die Instabilität der Lebensverhältnisse zu befürchten ist. 768 Insgesamt ist vor allem auf die Stabilität der Lebensverhältnisse – sowohl in emotionaler wie auch in rein äußerer Hinsicht – abzustellen, um den zentralen Aspekt der „Stetigkeit in der Entwicklung und Erziehung des Kindes“ zu sichern. 769 cc) Kontinuitätsgrundsatz An dieses Kriterium der Stetigkeit knüpft unmittelbar der Kontinuitätsgrundsatz an. 770 Er verklammert beide vorgenannten Grundsätze des Bindungs- und Förderprinzips, indem er in erster Linie darauf gerichtet ist, einschneidende Veränderungen im Leben des Kindes zu vermeiden. 771 Im Rahmen der Destabilisierung, mit der die Trennung der Eltern verbunden ist, bekommt die Bewahrung der Lebensverhältnisse für das Kindeswohl besondere Bedeutung. 772 Dabei steht die Kontinuität stellvertretend für Stabilität, Gleichmäßigkeit und Dauerhaftigkeit 766 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 28; OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 1462; dazu auch OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 182, wonach das Bestreben eines islamischen Vaters abgewiesen wurde, der sich darauf stützte, seine in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Töchter nach islamischer Tradition aufziehen zu wollen. 767 Vgl. BGHZ 3, S. 52; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 144. 768 Vgl. OLG Bamberg FamRZ 1985, S. 1175 (1178); OLG Hamm FamRZ 1988, S. 1313; OLG Celle FamRZ 1984, S. 1035 (1036); OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 392 (393). 769 Vgl. BVerfG FamRZ 1982, S. 1179 (1183). 770 Zum Verhältnis der Einzelkriterien vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 29, der die Priorität auf der Förderung des Kindes setzt und das Kontinuitätskriterium erst eingreifen lässt, wenn die Erziehungseignung und die Lebensumstände beider Eltern vergleichbar sind; so auch OLG Frankfurt FamRZ 1990, S. 550; a. A. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 52 der zwischen den Kriterien keine Rangfolge annimmt, sondern die Gewichtung vom Einzelfall abhängig macht. 771 Vgl. OLG Bamberg FamRZ 1998, S. 1462; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1950 (1951). 772 Vgl. OLG Bamberg FuR 1999, S. 365 (367); OLG Frankfurt FamRZ 2003, S. 1491; vgl. auch OLG Brandenburg OLGR 2004, S. 442, das in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts daran orientierte, wer in der Vergangenheit den überwiegenden Anteil an der Kindesbetreuung innehatte; gegen die Berücksichtigung der Betreuung Dritter aus dem Umfeld eines Elternteils ohne dessen Einfluss als Kontinuitätskriterium zu Gunsten dieses Elternteils vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 25 mwN.

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der äußeren Bedingungen sowie des Erziehungsverhältnisses. 773 Um jedoch zu vermeiden, dass der schnelle Zugriff auf das Kind einem Elternteil für die spätere Sorgerechtsentscheidung einen Vorteil verschafft 774, ist vor allem auf längerfristige Zeitspannen abzustellen. 775 Auf zwei Ebenen wirkt sich die Kontinuität zum psychischen und physischen Schutz des Kindes aus. 776 Zum einen bezieht sie sich auf die Erleichterung des Anpassungsprozesses nach der Trennung, indem die zukünftige Gestaltung der Elternsorge an die vorangegangenen Lebensverhältnisse anknüpft. 777 Zum anderen ist die Zielvorgabe der Kontinuität aber auch in die Zukunft gerichtet, indem die gerichtliche Sorgerechtsgestaltung langfristigen Bestand vermittelt. Die juristisch nur schwer erfassbare emotionale Betroffenheit des Kindes und seine Bedürfnisse nach kontinuierlicher, vertrauens- und liebevoller Beziehung für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung werden auf diese Weise zu konkretisieren versucht. 778 So wird dieser Grundsatz zu einer übergeordneten Maxime, an der die Wertung der übrigen Prinzipien überprüft wird. 779 Sie greift erst ein, wenn sich Erziehungseignung und Lebensumstände bei beiden Elternteilen als annähernd gleich erweisen. 780 Dies heißt in der Konsequenz, dass bei im Übrigen gleicher elterlicher Erziehungseignung gilt, das Kind in seiner bisherigen Umgebung zu belassen. 781 773

Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2001, S. 1634; vgl. jedoch OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1949, das ausdrücklich feststellt, dass bei der Beurteilung der Kontinuität nicht darauf abzustellen ist, wer das Kind vor der Trennung überwiegend betreut hat, sondern allein auf die derzeitigen und gefestigten Lebensverhältnisse zur Zeit der Entscheidung; vgl. dass. FamRZ 2001, S. 1021. 774 Vgl. besonderen Hinweis auf die diesbezügliche Gefahr MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 31. 775 Vgl. KG FamRZ 1990, S. 1383; OLG Köln FamRZ 1982, S. 1232 (1234); OLG Hamm FamRZ 1985, S. 637; zur Relevanz einer vollständigen Würdigung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1980, S. 726. 776 Laut OLG Köln FamRZ 1999, S. 181 (182) = NJW 1999, S. 224 wiegt danach die Kontinuität der Betreuung der Mutter stärker als die Kontinuität des Wohnorts beim Vater; vgl. aber auch OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 614 (615), wonach die Kontinuität der Umgebung überwog. 777 Vgl. kritischen Hinweis von MüKo / Hinz § 1671 Rz. 34, der hervorhebt, dass dieses Element des Kontinuitätsgrundsatzes die Gefahr in sich birgt, dass ein Elternteil durch schnellen Zugriff auf das Kind bei der Trennung die spätere Sorgerechtsentscheidung präjudiziert. 778 Vgl. Lempp FamRZ 1986, S. 530 (531 f), 1061 (1062); ders. FamRZ 1984, S. 741 (742); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 37; MüKo / Hinz § 1671, S. 40; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 100; OLG Köln FamRZ 1982, S. 1232 (1233). 779 Etwas anders Staudinger / Coester § 1671 Rz. 126 f mwN, der die Bedeutung des Kontinuitätsgrundsatzes reduziert sieht, da er weitgehend in den anderen Grundsätzen aufgeht, so dass für ihn nur noch eine Hilfsfunktion zum Bindungskriterium verbleibt. 780 Vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 35; OLG Frankfurt FamRZ 1990, S. 550; OLG Hamm FamRZ 1985, S. 637 f; OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041.

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In den konkreten Kriterien rückt der Kontinuitätsgrundsatz in engen Bezug zu den übrigen Prinzipien. 782 Im Vordergrund steht dabei nicht in erster Linie das rein äußerliche Kriterium der Zeitdauer bestehender Verhältnisse. 783 Maßgeblich ist vielmehr, ob ein Elternteil während einer wesentlichen Zeitspanne dem Kind eine stetige Entwicklung, Geborgenheit und konsequent durchgeführte Erziehung zuteil werden ließ, die um der Intensität der persönlichen Beziehung und der Stetigkeit willen dem Kindeswohl diente. 784 So wird vorrangig die Stabilität der Lebensverhältnisse und Stetigkeit der Erziehung und Betreuung hervorgehoben. 785 Denn nur durch die Dauerhaftigkeit des sozialen Umfelds und der Bezugspersonen ist gewährleistet, dass das Kind nach kontinuierlichen Erziehungsgrundsätzen – und damit aus der Perspektive des Kindes nachvollziehbar und zuverlässig – aufgezogen und voraussichtlich stabile Beziehungen entwickeln wird. 786 Hier ist jedoch nach gefestigter Erkenntnis nach dem Alter des Kindes zu unterscheiden. 787 Die Beständigkeit der personalen Beziehung ist vor allem für ein Kleinkind oder jüngeres Schulkind von besonderer Bedeutung. 788 Damit steht bei jüngeren Kindern zunächst die Kontinuität der Betreuungsverhältnisse im Vordergrund, während mit zunehmendem Alter dieser Aspekt zugunsten der Kontinuität der äußeren Lebensverhältnisse an Bedeutung verliert. 789 Einen weiteren zusätzlichen Akzent 781

Vgl. OLG Hamm FamRZ 1980, S. 487 f; dass. FamRZ 1986, S. 715 f. Zum Vorrang des Kontinuitätskriteriums, wenn Erziehungseignung, Bindung des Kindes und die Förderungsfähigkeit beider Eltern gleichermaßen bestehen, vgl. KG FamRZ 2001, S. 185; OLG Brandenburg FamRZ 2001, S. 1021. 783 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039. 784 Vgl. KG FamRZ 1990, S. 1383; OLG Köln FamRZ 1982, S. 1232 (1234). 785 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1702 = FamRZ 1985, S. 169; BayObLG DAVorm. 1985, S. 701 (705); OLG Köln FamRZ 1982, S. 1232 (1234); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 34 mwN hebt hervor, dass dies zumindest bis zum 10. oder 12. Lebensjahr für jedes Kind zu seiner harmonischen Entwicklung erforderlich ist – danach könne es sogar einem Bedürfnis des Kindes entsprechen, von der Mutter zum Vater zu wechseln, vgl. Fehmel FamRZ 1986, S. 531; Lempp „Ehescheidung“, S. 28; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 37; KG FamRZ 1990, S. 1383 f. 786 Vgl. OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 805 (806); zur bisherigen Rechtslage vgl. auch schon BVerfG FamRZ 1982, S. 11709 (1183); BGH NJW-RR 1990, S. 258; OLH Hamm FamRZ 1990, S. 781 (782); dass. FamRZ 1994, S. 918 f; KG FamRZ 1990, S. 1383 (1384); OLG Celle FamRZ 1992, S. 465; OLG Karlsruhe FamRZ 1995, S. 562 (564). 787 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 159 mwN; OLG Frankfurt FamRZ 2003, S. 1491 zu dem besonderen Bedürfnis der Stabilität des Umfeldes bei Kleinkindern. 788 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039; zur besonderen Bedeutung der Stabilität der äußeren Verhältnisse für kleinere Kinder vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 36, so dass ein Betreuungswechsel in diesen Fällen nur geboten sei, wenn damit eine deutlich bessere Entwicklungschance für die Zukunft geschaffen werden könne. Demgegenüber könne ein Wechsel von einem Elternteil zum anderen bei Kindern ab dem 12. Lebensjahr dem Bedürfnis des Kindes entsprechen; vgl. dazu KG FamRZ 1990, S. 1383; Fehmel FamRZ 1986, S. 531. 782

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setzt die Kontinuität, indem sie den Personenkreis erweitert und neben den Betreuungspersonen auch das übrige soziale Umfeld stärker in die Entscheidungsfindung einbezieht. 790 Freunde, Verwandte und neue Partner fließen gleichsam als Annex des Elternteils in den Abwägungsprozess ein. 791 dd) Kindeswille Schließlich fließt der erklärte Wille des Kindes in die Beurteilung der Alleinsorge des Antragstellers ein. 792 So ist die fürsorgliche Auslegung der Kindesinteressen durch die Eltern und Gerichte anhand des Kindeswillens kritisch zu überprüfen. 793 Auch wenn dieses Entscheidungskriterium im Gesetz ausdrücklich nur beim einvernehmlichen Antrag gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 vorgegeben ist, hat es darüber hinaus auch innerhalb der übrigen Kindeswohlauslegung eine zentrale Rolle. 794 Die kindliche Stellungnahme ist ein wichtiges Korrektiv zu dem äußerlich wertenden Blickwinkel und der kindlichen Fremdbestimmung der übrigen Kindeswohlelemente. 795 Die persönliche Einbeziehung des Kindes in das Verfahren dient als eine zentrale Errungenschaft des SorgeRG vor allem dazu, das Kind als eigenständige Person stärker bei der Sorgerechtsübertragung zu berücksichtigen und von dem Stigma eines bloßen Streitgegenstandes zu befreien. 796 Gleichzeitig trägt diese Verfahrensgestaltung dazu bei, den Parteien die tatsächlichen Bedürfnisse des Kindes vor Augen zu führen, so dass sie sich nicht allein von ihren Interessen 789

Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (464). Vgl. OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 805 (806); OLG Köln FamRZ 1998, S. 1461; OLG Hamm FamRZ 1996, S. 562 (563). 791 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039 f, wo auch die nachbarschaftlichen Verhältnisse für die Stetigkeit der Verhältnisse maßgeblich ins Gewicht fielen für die Abwägung der konkurrierenden Elternanträge. 792 Zur Bedeutung des Kindeswillens für die Sorgerechtsentscheidung vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 47; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 233 f mwN; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (465). 793 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1602 f; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Frankfurt FamRZ 2003, S. 1314. 794 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Berücksichtigung des Kindeswillens im Rahmen der „EU-Verordnung 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und die Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000“, Brüssel IIa angesichts der sehr unterschiedlichen Beurteilung unter den Mitgliedsstaaten in Anlehnung an das jeweilige nationale Recht, vgl. dazu Coester-Waltjen FamRZ 2005, S. 241 (246). 795 Vgl. dazu OLG Köln EzFamR 1999, S. 34. 796 Vgl. dazu etwa den Regierungsentwurf BT-Drucks. 7 /2060, S. 1, 13, wonach das Kind nicht länger „Objekt elterlicher Fremdbestimmung“ sein solle; vgl. BT-Drucks. 8/ 2788, S. 33, 40 f. zu den vorangegangenen Tendenzen dem Kindeswillen rechtliche Bindungswirkung zu verleihen vgl. auch BT-Drucks. 7/650; 7/2060; 8/111; vgl. zur anfänglichen Anregung dieser Entwicklung Lempp NJW 1963, S. 1659; ders. NJW 1964, S. 440. 790

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und unreflektierten Vorstellungen von dem Kindesinteresse leiten lassen. 797 Auf diese Weise wird der Gefahr einer bloßen Instrumentalisierung vermeintlicher Kindesinteressen durch die Parteien gezielt entgegengewirkt. Innerhalb der Sorgerechtsentscheidung erfüllt der Kindeswille dabei zwei Funktionen. 798 Zum einen ist er bei der Feststellung der inneren Bindung des Kindes unerläßlich und insoweit exemplarisch in § 1671 Abs. 2 Nr. 1 gesetzlich fixiert. 799 Zum anderen ist er Ausdruck von kindlicher Selbstbestimmung eines hierzu in natürlichem Sinne fähigen Kindes. 800 Beide Funktionen folgen einem übergreifenden Leitgedanken: Der Achtung der Persönlichkeit des Kindes, indem sie einerseits die maximale Integrität der seelisch-emotionalen Beziehungswelt und andererseits die Integrität der bewussten Eigenentscheidung anstreben. 801 Das Element der Selbstbestimmung trägt der Betroffenheit des Kindes als Grundrechtsträger Rechnung. 802 Daraus ergibt sich das verfassungsrechtliche Gebot, bei Sorgerechtsentscheidungen den Willen des Kindes zu berücksichtigen, soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist. 803 Dabei hat der Wille jedoch keine absolute Relevanz, weil das Kindeswohl auch gegenüber dem Kindeswillen das letztentscheidende Prinzip bleibt. 804 Bei der Gewichtung des Kindeswillens ob797 Zur besonderen Bedeutung der Einbeziehung des Kindes in die Sorgerechtsgestaltung vgl. Wallerstein / Lewis FamRZ 2001, S. 65 (72), die im Kontext einer amerikanische Langzeitstudie die bisherige Fremdbestimmung der Kinder durch die Eltern und Gerichte als wesentlichen Mangel der bisherigen Sorgerechtspolitik ansehen. 798 Vgl. Coester „Kindeswohl“ S. 258 ff; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 117; Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 18; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 163; OLG Celle FamRZ 1992, S. 465; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 186 = NJWRR 2001, S. 506 f. 799 Vgl. zur alten Rechtslage schon Dörr NJW 1989, S. 690 (691); Lempp FamRZ 1986, S. 530 (531); ders. FamRZ 1984, S. 741 (744); Kaltenborn FamRZ 1987, S. 990 (998); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 48; BGH FamRZ 1990, S. 392 (393); KG FamRZ 1983, S. 1159 (1161); OLG Düsseldorf FamRZ 1988, S. 1193; OLG Hamm FamRZ 1986, S. 715 (716); OLG Koblenz NJW 1989, S. 2201 (2202); OLG Stuttgart NJW 1988, S. 2620; OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039. 800 Vgl. Coester „Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 257 ff; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 47; Schwab „Handbuch“ Teil III Rz. 167 f; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 117; OLG Hamm FamRZ 1988, S. 1313 (1314). 801 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 117; vgl. dazu auch OLG Köln FamRZ 2005, S. 1274. 802 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1702 (1703) im Anschluss an BVerfGE 37, S. 217 (252) = NJW 1974, S. 1609 = FamRZ 1974, S. 479; OLG Hamm EzFamRaktuell 2000, S. 198; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671 Rz. 81 mwN; dazu auch BVerfG FamRZ 2007, S. 105 (107 mwN). 803 Vgl. Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50b Rz. 2; Oelkers FuR 1999, S. 349 (354); BayObLG FamRZ 1999, S. 103 (104); AG Burgwedel FamRZ 2002, S. 631; OLG Köln FamRZ 2005, S. 1274; dass. OLGR 2004, S. 367; vgl. in diesem Zusammenhang jedoch auch EuGHMR FamRZ 2002, S. 381 zur Abwägung der Kindesrechte und der Elternrechte.

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liegt es daher dem erkennenden Gericht, den Aussagegehalt zu ergründen. Die zur Betätigung der Selbstbestimmung erforderliche Reife setzt zunächst voraus, dass das Kind sich eine gewisse Vorstellung von den Konsequenzen der elterlichen Trennung machen kann. 805 Gleichzeitig muss es sich zumindest vage ausmalen können, was das Leben mit dem einen oder anderen Elternteil bedeutet. 806 Hier gelten keine rigiden Altersgrenzen, vielmehr ist auf die tatsächliche Reife des Kindes abzustellen. 807 In diesem Zusammenhang ist vor allem die Entscheidungsfähigkeit und geistige Entwicklung des Kindes zu berücksichtigen. Dabei gewinnt jedoch die Einschätzung des Kindeswillens regelmäßig mit zunehmendem Alter an Bedeutung für die Entscheidung. 808 Darüber hinaus ist besondere Aufmerksamkeit auf die Aufrichtigkeit des geäußerten Kindeswillens zu richten. 809 Einwände können sich ergeben, wenn der Kindeswille erkennbar Ausdruck eines Loyalitätskonfliktes, elterlicher Manipulation oder eines psychologisch motivierten Verdrängungsmechanismus ist. 810 Sein Aussagewert für die Sorgerechtsbeurteilung wird damit deutlich begrenzt. Gerade für die Ermittlung der inneren Bindungen ist dieser Aspekt von besonderer Bedeutung. 811 Denn die vergleichende Gegenüberstellung der Eltern fordert 804 Vgl. OLG Celle FamRZ 1992, S. 465 (466); OLG Bamberg FamRZ 1991, S. 1341 (1342); OLG Braunschweig FamRZ 2001, S. 1637 (1638); dazu auch OLG Karlsruhe FamRZ 2006, S. 1403. 805 Vgl. dazu OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1953 f; OLG Hamm FamRZ 2005, S. 746. 806 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 164; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1599 (1600). 807 Vgl. OLG Köln EzFamR 1999, S. 34, wonach eine unterlassene Anhörung eines vierjährigen Kindes als erheblicher Verfahrensmangel angesehen wird. 808 Vgl. Oelkers FamRZ 1995, S. 1097(1100); BVerfG FamRZ 1989, S. 31 (33); zur konkreten Einzelbewertung ohne formalistische Altersgrenzen vgl.: BayObLG FamRZ 1982, S. 958; FamRZ 1980, S. 1064; FamRZ 1976, S. 38 (40); OLG Bamberg FamRZ 1991, S. 1341 (1342); BGH FamRZ 1990, S. 392 (393); OLG Hamm FamRZ 1986, S. 714; OLG Koblenz NJW 1989, S. 2201 (2202); OLG Köln FamRZ 1972, S. 264; OLG Stuttgart NJW 1988, S. 2620; OLG Schleswig FamRZ 2003, S. 1494; zugunsten einer Eignungsbeschränkung wohl Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 18; vgl. kritische Anm. zu OLG Frankfurt von Spangenberg FamRZ 2004, S. 132 zum „unreifen Willen“. 809 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2005, S. 746; zu den generellen Bedenken der gerichtlichen Einbindungen des Kindeswillens wegen fehlender Beständigkeit, Beeinflussbarkeit und irrationaler Motivation vgl.: BT-Drucks. 8 /27/28, S. 40; OLG Celle FamRZ 1992, S. 465 (466); Beitzke FamRZ 1979, S. 8 (13) äußert sich insbesondere kritisch über ein eigenes Vorschlagsrecht des Kindes; Diederichsen FamRZ 1978, S. 461 (462 f); Schwoerer NJW 1964, S. 5 (7). 810 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1997, S. 957; AG Stuttgart FamRZ 1981, S. 597 zur „Identifizierungsnotwehr“; OLG Frankfurt FamRZ 1978, S. 261; zu unrealistischen Motivationen der Übertragung von „Sonntagsbedingungen“ auf den Alltag vgl. OLG Bamberg FamRZ 1988, S. 750; Lempp NJW 1963, S. 1659; ders. NJW 1964, S. 440; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 51.

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vom Kind eine Parteilichkeit, die seiner Loyalität und Liebe zu beiden Elternteilen widerstrebt. 812 Daher darf unter keinen Umständen ein jüngeres Kind vor die Wahl zwischen Vater und Mutter gestellt werden, da dies Irritation und Schuldkomplex verursacht. Es geht vielmehr um die behutsame Ermittlung von Bindung und Neigung, die Rückschlüsse darauf zulassen, bei welchem Elternteil sich das Kind am ehesten geborgen fühlen wird und zu welchem Elternteil das Verhältnis ggf. gestört erscheint. 813 Grundsätzlich liefert der Kindeswille auch bei Kindern unter 10 Jahren hier ernstzunehmende Indizien für ihre persönlichen Bindungen. 814 Eine Entscheidung die den Belangen des Kindes gerecht wird, kann regelmäßig nur ergehen, wenn das Kind im gerichtlichen Verfahren auch Gelegenheit bekommen hat, seine persönliche Beziehung zu den übrigen Familienmitgliedern erkennbar werden zu lassen. 815 Aber gerade in Fällen, in denen das Kind zu beiden Eltern eine enge Bindung hat, muss der Wille, bei einem von ihnen leben zu wollen, entscheidende Bedeutung haben. 816 Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Gefahr der Beeinflussung des Kindes durch einen Elternteil. In diesen Fällen neigt die Rechtsprechung dazu, den Kindeswunsch nicht als Ausdruck der wirklichen Bindung anzusehen und ihn deshalb zu ignorieren. 817 Einschränkend sind hier jedoch zwei Gesichtspunkte anzuführen, wonach ein solcher Kindeswille im Ergebnis bedeutsam sein kann. Zum einen ist jede Erziehung und Zuwendung eine Form der Beeinflussung. 818 Disqualifiziert ist demnach allenfalls eine illegitime, aufhetzende und eigensüchtige Beeinflussung. 819 Zum anderen kann durch die Beeinflussung eine tatsächliche enge Bindung zu einem Elternteil entstanden oder gefördert worden sein. 820 In diesem Zusammenhang ist vor allem das in der neueren fachpsychologischen Debatte diskutierte sog. Parental Alienation Syndrome hervorzuheben. 821 Dabei 811

Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1599 (1600). Vgl. dazu auch KG FamRZ 2005, S. 1769. 813 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 165; vgl. dazu auch OLG Zweibrücken NJW-RR 2004, S. 1588 = OLGR 2004, S. 627, das die Kontinuität der Hauptbezugsperson für wichtiger erachtete als die Kontinuität der übrigen Lebensumstände. 814 Vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 45; BGH FamRZ 1990, S. 392 (393) = NJW-RR 1990, S. 258. 815 Vgl. BVerfGE 55, S. 171 (182) = FamRZ 1981, S. 124 (126) = NJW 1981, S. 217. 816 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1039 f. 817 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 121; BVerfG FamRZ 2001, S. 1057; OLG Braunschweig FamRZ 2001, S. 1637; AG St. Goar FamRZ 2001, S. 1722;OLG Dresden FamRZ 2003, S. 397; einschränkend OLG Hamburg FamRZ 2002, S. 566 f; vgl. auch bereits BayObLG FamRZ 1975, S. 169 (171); dass. FamRZ 1977, S. 650 (653); OLG Karlsruhe FamRZ 1968, S. 170; OLG Frankfurt FamRZ 2004, S. 132 mit Anm. von Spangenberg. 818 Vgl. Ell ZBlJR 1980, S. 319 (323); Lempp NJW 1964, S. 440. 819 Vgl. Staudinger / Coester § 1671 Rz. 121. 820 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1702 (1703); OLG Koblenz NJW 1989, S. 2201 (2202). 812

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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bewirkt die Beeinflussung des Kindes durch einen Elternteil, dass das Kind ein Negativbild vom anderen Elternteil übernimmt. Ausgangspunkt ist meist die fehlende Bindungstoleranz des einflussnehmenden Elternteils. Dabei entsteht für die Wertung ein Zwiespalt, da einerseits das bindungsfeindliche Verhalten des einflussnehmenden Elternteils und die Willensbeeinflussung gegen die Berücksichtigung spricht. Andererseits hat sich das Kind durch die Solidarisierung mit einem Elternteil auch u.U. eine tatsächliche Bindung aufgebaut, die in seiner Willenserklärung ihren Ausdruck findet. Verfahrensrechtlich ist die Einbindung des Kindeswillens in den §§ 50 b, 59 FGG verankert. 822 So sieht ersterer für die Entscheidungsfindung vor: „Das Gericht hört in einem Verfahren, das die Personen- oder Vermögenssorge betrifft, das Kind persönlich an, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn es zur Feststellung des Sachverhalts angezeigt erscheint, dass sich das Gericht von dem Kind einen unmittelbaren Eindruck verschafft“.

Hat das Kind das 14. Lebensjahr vollendet, so ist die gerichtliche Anhörung sogar unabhängig vom Ermittlungsgegenstand zwingend vorgeschrieben. 823 Die 821 Dabei geht es um die von einem Kind gegen einen Elternteil gerichtete Diffamierungskampagne (vorwiegend im Zusammenhang mit behaupteten Missbrauchsfällen), die zum einen herrühren kann aus der „Programmierung“ des Kindes durch den anderen Elternteil, mit dem Ziel, diesen anzuschwärzen, und zum anderen aus einem eigenen Beitrag des Kindes, mit denen es die Kampagne desjenigen Elternteils unterstützt, der die Entfremdung betreibt, so in der Zusammenfassung Bruch FamRZ 2002, S. 1304; vgl. dazu BVerfG FamRZ 1997, S. 873; OLG Brandenburg NJWE-FER 1998, S. 223 = FamRZ 1998, S. 1047; AG Fürstenfeldbruck FamRZ 2002, S. 118; OLG Dresden FamRZ 2003, S. 397; AG Korbach FamRZ 2003, S. 950; OLG Schleswig FamRZ 2003, S. 1494 f; KG FamRZ 2005, S. 1769; OLG Zweibrücken FamRZ 2006, S. 144; Klenner FamRZ 1995, S. 1529 (1532); Kodjoe / Koeppel DAVorm. 1998, S. 9; Kopatsch ZfJ 1998, S. 246; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 84; Schröder FamRZ 2000, S. 592; kritisch zur Rezeption des Begriffs in Deutschland Stadler / Salzgeber FPR 1999, S. 231; vgl. auch in diesem Zusammenhang Bruch FamRZ 2002, S. 1304 ff; zu der ursprünglichen Entwicklung des Begriffs des Kinderpsychiaters Richard Gardner vgl. dessen Beitrag „Recent Trends in Divorce and Custody Litigation“, ACADIMY F., Bd. 29, Nr. 2, American Academy of Psychoanalysis, 1985, S. 3. 822 Zur vorangehenden Rechtsentwicklung vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1976, S. 282; OLG Köln FamRZ 1976, S. 32 ff; OLG München FamRZ 1979, S. 337 (338); OLH Hamm FamRZ 1979, S. 853 (855); OLG Düsseldorf FamRZ 1979, S. 631 (632); AG Stuttgart FamRZ 1981, S. 597; OLG Karlsruhe FamRZ 1985, S. 1078; BGH FamRZ 1985, S. 1985, S. 169 (170); Dörr NJW 1989, S. 690 (693); RGRK / Adelmann § 1671 Rz. 60; Belchau ZfJ 1979, S. 325 (337 f). Die mit dem SorgeRG von 1979 eingetretene Änderung besteht darin, dass es nicht länger gem. § 1695 im Ermessen des Gerichtes steht, „mit dem Kind Fühlung aufzunehmen“, sondern unter ausgeführten Voraussetzungen obligatorisch ist, vgl. Bumiller / Winkler § 50b FGG, Anm. 1; zu den damit verbundenen Problemen vgl. Puls ZfJ 1987, S. 8 (10). 823 Vgl. § 50b Abs. 2 FGG; zur bisherigen Rechtslage und praktischen Durchführung der Anhörung vgl. Oelkers FPR 1997, S. 78 (79).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Vorschrift beruht auf der Erwägung, dass das materielle Recht den Gedanken der zunehmenden Selbstverantwortung eines heranwachsenden Kindes fest verankert hat 824, der in der Anhörung seine verfahrensrechtliche Entsprechung findet. 825 Verfahrensrechtlich handelt es sich dabei um eine besondere Art der Sachaufklärung iSd § 12 FGG. 826 Danach ist sie im Grundtatbestand als Verfahrensgrundsatz ausgestaltet, während sie bei Kindern, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, darüber hinaus zu einem Anspruch auf rechtliches Gehör wird. 827 Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen vor, wie es bei Entscheidungen gem. §§ 1671, 1628 regelmäßig der Fall sein wird, so ist die Anhörung zwingend. 828 Wird die gebotene Anhörung unterlassen, so stellt dies einen Verfahrensfehler dar, der die Aufhebung der Entscheidung rechtfertigt. 829 § 50 Abs. 1 FGG verpflichtet die Gerichte, in jedem Verfahren, das die Personenoder Vermögenssorge betrifft, das Kind persönlich, also mündlich, anzuhören. 830 Der Grundtatbestand unterscheidet zunächst inhaltlich nach dem Ermittlungsgegenstand. So ist die Anhörung erforderlich, wenn Bindungen, Neigungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung ist (1. Alt.) und wenn es zur Feststellung des Sachverhalts angezeigt erscheint, dass sich das Gericht von dem Kind einen unmittelbaren Eindruck verschafft (2. Alt.). 831 Auf den eigenen Eindruck wird es vor allem bei kleinen Kindern ankommen, wenn beurteilt werden soll, ob sie bereits in der Lage sind, einen eigenen Willen zu bilden und zu äußern. 832 Maßgeblich ist jedoch vor allem, dass sich das Gericht einen persönlichen Eindruck vom Kind verschafft, um dessen Willen sowie dessen Neigungen und Bindungen kennen zu lernen. In Hinblick auf das Alter des Kindes steht es 824

Vgl. etwa § 1626 Abs. 2. Vgl. BT-Drucks. 8/2788, S. 73. 826 In § 12 FGG wird der Amtsermittlungsgrundsatz in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gesetzlich verankert, vgl. dazu BayObLG FamRZ 1988, S. 871. 827 Vgl. Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50b FGG Rz. 3 mwN. 828 Vgl. BayObLG FamRZ 1983, S. 948; dass. FamRZ 1994, S. 913 = NJW-RR 1994, S. 1225; OLG Hamm RPfleger 1985, S. 27; dass. FamRZ 1989, S. 203; BT-Drucks. 8/2788, S. 73; einschränkend AG Holzminden FamRZ 2002, S. 560 f. 829 Vgl. OLG Zweibrücken DAV 1981, S. 765; OLG Hamburg FamRZ 1983, S. 527; BayObLG FamRZ 1984, S. 98; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, S. 393. 830 Vgl. Bassenge / Herbst § 50a FGG Rz. 4 – Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Kindes gilt grundsätzlich auch für das Beschwerdegericht. Die nochmalige Anhörung ist also die Regel, vgl. dazu KG FamRZ 1983, S. 1159 (1161); BayObLG FamRZ 1993, S. 1480; dass. FamRZ 1995, S. 500; NJW-RR 1997, S. 1437. 831 Insbesondere ist hier der gerichtseigene Eindruck nicht durch ein Sachverständigengutachten oder etwa durch die Beobachtung hinter einer Einwegscheibe zu ersetzen, da bei dieser Verfahrensweise der Richter nicht mit dem Kind ins Gespräch kommt und es seinen Standpunkt nicht darlegen kann, vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1994, S. 915; BayObLG FamRZ 1997, S. 223; Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50b FGG Rz. 13. 832 Vgl. BT-Drucks. 7/2728, S. 73; BayObLG FamRZ 1995, S. 185 = NJW-RR 1995, S. 387. 825

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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im freien Ermessen des Gerichts, die Gestaltung der Anhörung einzelfallgerecht anzupassen. 833 Eine altersmäßige Begrenzung der Anhörungspflicht ist dabei grundsätzlich nicht vorgesehen. 834 Demnach gilt grundsätzlich die Anhörungspflicht für alle Kinder ohne Rücksicht auf Alter und Geschäftsfähigkeit. 835 Jedoch ist nach allgemeiner Auffassung jedenfalls von einer Anhörung von Kindern unter drei Jahren abzusehen. 836 Ab diesem Alter kann hingegen auch die undifferenzierte Stellungnahme eines kleinen Kindes für die Sorgerechtsentscheidung bedeutsam sein. Kleine Kinder haben zwar keinen eigenen Willen im eigentlichen Sinne, aber durchaus schon beachtenswerte Wünsche, Tendenzen, Präferenzen oder Aversionen, die für die Übertragung der Alleinsorge wichtig sind. 837 Über die Anhörung des Kindes hinaus regelt § 59 FGG zusätzlich ein Beschwerderecht des Kindes für seine Person betreffende Verfahren. Dabei begründet § 59 FGG kein eigenes Beschwerderecht, sondern setzt ein solches voraus, etwa gem. § 20 FGG. 838 Jedoch räumt es dem Kind die Möglichkeit ein, dieses Beschwerderecht unabhängig von seinem gesetzlichen Vertreter nach seinem Willen selbständig auszuüben. 839 Dieses spezielle Beschwerdeausübungsrecht vermittelt dabei zwar kein selbständiges Antragsrecht zur Eröffnung des Verfahrens, aber es steht jedem Minderjährigen das Beschwerderecht uneingeschränkt in einem von Amts wegen einzuleitenden Verfahren unabhängig davon zu, ob ein anderer Beteiligter einen Antrag gestellt hat. 840 Das Gesetz knüpft damit konsequent an das Widerspruchs- und Anhörungsrecht des Kindes an, indem es die Dauerwirkung 833 Verfahrensmäßige Möglichkeiten bieten sich für die Gerichte, indem sie wählen können, ob sie Kinder einmal oder mehrmals, Geschwister einzeln oder zusammen, an Gerichtsstellen oder in der vertrauten familiären Umgebung, in An- oder Abwesenheit der Eltern anhören und ob sie sich zu der Anhörung einen Psychologen als Sachverständigen hinzuziehen – vgl. dazu BVerfGE 55, S. 171 (182) = FamRZ 1981, S. 124 (126) = NJW 1981, S. 11 (114); Luthin FamRZ 1981, S. 111 (114); Baer FamRZ 1982, S. 221 (233); OLG Karlsruhe FamRZ 1994, S. 913; OLG Bamberg FamRZ 1994, S. 1045; OLG Rostock DAV 1995, S. 1150. 834 Anders KG FamRZ 1999, S. 808. 835 Vgl. Liermann FamRZ 1999, S. 809; vgl. jedoch Ausnahmetatbestände des § 50b Abs. 3 FGG. In Hinblick auf § 50b Abs. 1 FGG ist jedoch umstritten, ob ein Kind im Sorgerechtsverfahren danach stets zu hören ist oder auch über den Ausnahmetatbestand des Abs. 3 hinaus Fälle denkbar sind, von einer Anhörung abzusehen. Für eine strenge Anhörungspflicht auch für Kinder unter 14 Jahren: Arbeitskreis 8 des 2. Deutschen Familiengerichtstags 1979, FamRZ 1979, S. 903; Fehmel FamRZ DAV 1981, S. 169 (171); a. A. Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50b FGG Rz. 9. 836 Vgl. Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50b FGG Rz. 9; KG FamRZ 1983, S. 1159; BayObLG NJW-RR 1997, S. 1437; OLG Frankfurt FamRZ 1997, S. 571. 837 Vgl. Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50b FGG Rz. 9 mwN. 838 Vgl. Bersenge / Herbst § 59 FGG Rz. 3; Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 59 FGG Rz. 1. 839 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1974, S. 29; BayObLG FamRZ 1982, S. 634 (635). 840 Vgl. Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 59 FGG Rz. 4 mwN.

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des Kindeswohls durch ein unbefristetes Beschwerderecht des Kindes ergänzt. Seine Besonderheit liegt in der eingeschränkten Gestaltungswirkung, mit der das Kind auf diese Weise das Verfahren mittelbar aus eigener Initiative eröffnen kann, indem es dem Gericht eine Grundlage zu einer Verfahrenseröffnung von Amts wegen gibt. 3. Übertragung der Alleinsorge von Amts wegen gem. §§ 1671 Abs. 3 iVm 1666 ff Das Antragsverfahren macht die Übertragung der Alleinsorge und Aufhebung der gemeinsamen Trennungssorge grundsätzlich von der Initiative der Eltern abhängig. Grundlage der Beurteilung ist also die allgemeine Annahme, dass die Eltern geeignet sind, über die Trennung hinaus gemeinsame Erziehungsverantwortung kindeswohlgerecht auszuüben. Dies kann jedoch dann nicht mehr uneingeschränkt gelten, wenn eine akute Kindeswohlgefährdung konkrete Maßnahmen unabhängig von der elterlichen Sorgerechtseinschätzung erfordert. Erlangt das Gericht also innerhalb des Verfahrens – etwa im Rahmen der Anhörung der Parteien 841, des Jugendamtes oder des Kindes bzw. Verfahrenspflegers oder durch externe Hinweise Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährung, so kommen die Tatbestände der § 1671 und § 1666 nebeneinander zur Geltung. 842 Die gemeinsame Trennungssorge wird dann neben dem Antragsbegehren eines Elternteils auch unter dem Gesichtspunkt der akuten Gefahrenabwehr überprüft. 843 In diesem Fall wird die Reichweite des Trennungssorgetatbestandes durch § 1671 Abs. 3 eingeschränkt. Danach ist einem Antrag nicht stattzugeben, „soweit die elterliche Sorge auf Grund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss“. Darin legt das Gesetz eine grundlegende Subsidiarität der Antragsintervention gem. § 1671 Abs. 1, 2 844 gegenüber den Entscheidungen gem. §§ 1666 bis 1667, 1680 Abs. 3 845 fest. Insbesondere durch § 1666 wird hier das verfassungsrechtliche Wächteramt gesetzlich umgesetzt und gewährleistet den staatlichen Schutz des Kindes im Einzelfall. 846 Sobald der Staat aufgrund seines wächteramtlichen Schutzauftrages berufen ist, Maßnahmen zum Schutz der Kindesinteressen zu ergreifen, wird die elterliche Dispositionsbefugnis über die Sorgerechtsentscheidung 841

Vgl. dazu auch OLG Oldenburg FamRZ 1999, S. 35; OLG Hamm FamRZ 1999,

S. 36. 842

Vgl. OLG Hamm FamRZ 2004, S. 1664. Zur umfassenden Aufklärungspflicht der Gerichte in diesem Zusammenhang vgl. OLG Hamm FamRZ 2001, S. 850. 844 Am Rande kommt im Übrigen die Entziehung und abweichende Regelung der Sorge gem. §§ 1673, 1674, 1682, 1683 in Betracht. 845 Zum Spezialfall der sukzessiven Kollision, zum Verhältnis zwischen § 1666 ff und 1680 sowie der diesbezüglichen Interdependenzen vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 163 f. 843

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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nachrangig. Damit markiert die Vorschrift den Übergang von der spezifischen Trennungsintervention – die vom grundsätzlich eigenverantwortlichen Fortbestehen der gesetzlichen Elternsorge ausgeht – zu den allgemeinen Eingriffstatbeständen, die sich nicht an der spezifischen Trennungssituation orientieren. Bei näherer Betrachtung ergibt sich daraus jedoch ein differenziertes Verhältnis zwischen den konkurrierenden Eingriffstatbeständen, das der Gesetzgeber nur sehr zurückhaltend bestimmt hat. 847 Entscheidend sind hier für dieses Verhältnis zwei Fragestellungen. Die erste betrifft die Ausschlusswirkung des Antragsverfahrens zu weiterreichenden Eingriffen. Danach gewährleistet die Subsidiarität des beantragten Eingriffs und der Vorrang der §§ 1666 ff einen umfassenden Schutz des Kindeswohls. 848 Die zweite Fragestellung richtet sich auf die Fallkonstellationen, bei denen beide Tatbestände die gleiche Maßnahme eröffnen, sich ihre Anwendungsbereiche also überschneiden. Hierin besteht vor allem die Unsicherheit in der Auslegung des § 1671 Abs. 3. Denn soweit der § 1666 einen Eingriff eröffnet, der gegen und ohne den Willen der Eltern erfolgt, ergibt sich aus dem wächteramtlichen Schutzauftrag ein Vorrang. Maßstab ist allein das Kindeswohl iSd § 1697a. 849 Im Rahmen des § 1671 kann sich hier keine weitergehende Disposition ergeben. Demgegenüber konzentriert sich die Problematik der Subsidiarität darauf, ob bereits allein die Voraussetzungen der Kindeswohlgefährdung dazu führen, dass die elterliche Disposition und damit die beantragte Entscheidung ausgeschlossen sind. § 1671 Abs. 3 regelt den Kollisionsfall, der zunächst nichts anderes besagt, als dass eine antragsgemäße Entscheidung zumindest dann nicht ergehen darf, wenn und soweit zur Abwehr von Gefährdungen für das Kindeswohl eine inhaltlich andere Entscheidung erforderlich ist. 850 Zur konkreten Anwendung und Auswirkung 846

Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 173; Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 1; mit Bezug zur verfassungsrechtlichen Wertung vgl. OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1476. 847 So stellt die Begründung zum Gesetzesentwurf lediglich fest, dass es Angelegenheit der Eltern sei – von dem Fall der Kindeswohlgefährdung abgesehen –, ob sie eine gerichtliche Entscheidung über die Zuweisung der Sorge an einen Elternteil herbeiführen wollen oder ob sie, ohne eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, an der bestehenden gemeinsamen Sorge festhalten, vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 74; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 266. 848 Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459) spricht von § 1666 als der Magna Charta des staatlichen Wächteramtes; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Hamm FamRZ 2004, S. 1664 ff. 849 § 1697a: „Kindeswohlprinzip. Soweit nichts anderes bestimmt ist, trifft das Gericht in Verfahren über die in diesem Titel geregelten Angelegenheiten diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.“ 850 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 187; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (467).

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der Subsidiarität auf die Sorgerechtsentscheidung müssen daher Schutzrichtung und inhaltliches Verhältnis der verschiedenen Eingriffstatbestände, ihr gesetzliches Verhältnis zueinander und schließlich die Abwägung im Einzelfall näher betrachtet werden. a) Verhältnis und Schutzrichtung der §§ 1666 ff und 1671 Die Eingriffstatbestände der § 1671 und § 1666 ff schließen sich nicht mehr gegenseitig aus. Sie treten vielmehr nebeneinander und ergänzen sich in der einzelfallgerechten Umsetzung des Kindeswohls. 851 Waren es bisher gleichermaßen Gefahrentatbestände, die den uneingeschränkten staatlichen Zugriff auf die elterliche Erziehungsfreiheit eröffneten, enthalten sie nun unterscheidliche Legitimationen zur staatlichen Sorgerechtsgestaltung. Beruht die Interventionsform des § 1671 auf der familieneigenen Preisgabe der Regelungssouveränität, so rechtfertigen die Tatbestände der §§ 1666 ff einen gerichtlichen Eingriff ohne oder gegen den Willen der Sorgeberechtigten allein aufgrund einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls. 852 Es hat sich auf diese Weise ein ganz grundlegender Wandel im Verhältnis dieser Rechtsgrundlagen vollzogen. Die Reform weist ihnen eine veränderte regulative Funktion bei der Durchsetzung des Kindeswohls im Einzelfall zu. So sind es nicht mehr die unterschiedlichen Lebenssituationen, die ihnen zuvor ein eindeutiges Spezialitätsverhältnis zuwiesen und damit eine inhaltliche Kollision bereits tatbestandlich weitgehend ausschlossen. 853 Vielmehr repräsentieren sie jetzt unterschiedliche Schutzgüter und Interventionsformen. Diese schließen sich aber nicht notwendig aus, sondern nähern sich der einheitlichen Zielsetzung einer einzelfallgerechten Wahrnehmung der Kindesinteressen mit unterschiedlichen Maßstäben an. So ist es bereits diese einheitliche Zielsetzung, die ein Ergänzungsverhältnis und eine flexible Verknüpfung beantragter und von Amts wegen eingeleiteter Intervention nahe legt und einer strikten Subsidiarität im Sinne eines Ausschlusses der beantragten Entscheidung bei konkreter Kindeswohlgefährdung entgegensteht. Dies ergibt sich zunächst aus der deutlich verlagerten Gewichtung der Tatbestände. Nach der bisherigen Rechtslage schloss § 1671 als Spezialtatbestand den Eingriff nach allgemeinen Vorschriften aus. 854 Die Scheidung als spezifische Kindeswohlgefährdung unterlag eigenen Beurteilungsmaßstäben, die den Auf851 Zum Verhandeln im Zusammenhang vgl. Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1102); Ausschluss reiner Zweckmäßigkeit bei der Anwendung und Gegenüberstellung der beiden Tatbestände vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 125; OLG Rostock ZfJ 1999, S. 351. 852 Vgl. OLG Celle FamRZ 2003, S. 1490. 853 Vgl. zur Geltung des § 1671 a.F. als lex specialis gegenüber § 1666 OLG Stuttgart FamRZ 1975, S. 591 (592); MüKo / Hinz § 1666 Rz. 8 mwN. 854 Vgl. Palandt / Diederichsen, 52. Aufl., § 1666 Rz. 2 mwN.

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fangtatbestand des § 1666 verdrängten. 855 Selbst die Kollision mit einer durch das Vormundschaftsgericht bereits im Vorfeld gem. § 1666 entzogenen elterlichen Sorge wurde im Scheidungsverfahren durch eine überlagernde Entscheidung gem. § 1671 a.F. ersetzt. 856 Im Rahmen des Scheidungsverfahrens beschränkten sich die Maßnahmen aufgrund des allgemeinen Eingriffstatbestandes auf solche Maßnahmen des Vormundschaftsgerichts, die vom Spezialtatbestand nicht eröffnet waren. 857 Die zuvor weitgehend übereinstimmenden Schutzrichtungen der Eingriffstatbestände haben sich nun voneinander gelöst. § 1671 ist nun kein Spezialtatbestand des § 1666 mehr. Wie vorangehende Betrachtungen gezeigt haben, knüpft der Antragstatbestand zwar weiterhin an den Gedanken an, dass die Trennungslage einen erhöhten Regelungsbedarf schafft. Die Trennung der Eltern ist noch immer Anlass und Grundlage zu einer situationsspezifischen Regulierung, die unterhalb der Schwelle der akuten Kindeswohlgefährdung liegt. Jedoch ist es nicht mehr die durch die Trennung geschaffene Gefahr, sondern der Antrag der Eltern, der die Grundlage der Trennungssorgegestaltung bildet. 858 Damit wird die Intervention gem. § 1671 zu einem Leistungsangebot an die Eltern. Auf diese Weise entsteht aber die Notwendigkeit, eine ergänzende Rechtsgrundlage zu schaffen, soweit der elterliche Antrag für die zum Schutz des Kindes erforderlichen Maßnahmen nicht ausreicht. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auch der Antragsgegner in die denkbare Sorgerechtsgestaltung als Alleinsorgeberechtigter einzubeziehen, da die Bindung der Gerichte durch die Anträge im Rahmen von § 1666 nicht gilt. 859 § 1666 wird auf diese Weise zur Zentralnorm der antragslosen Sorgerechtsentscheidung. 860 Diese von §§ 1666 ff zu schließende Regelungslücke legt es aber nicht nahe, dass eine Regulierung nach Maßgabe des § 1671 Abs. 2, 3 immer schon dann ausgeschlossen sein soll, wenn die Voraussetzungen des Gefahrentatbestandes gegeben sind. 861 Zwar hat die Bedeutung der §§ 1666 ff durch das KindRG deut855

Vgl. KG FamRZ 1990, S. 1021 f; dass. FamRZ 1971, S. 267; OLG Stuttgart NJW 1985, S. 67; OLG Hamm FamRZ 1978, S. 941. 856 Vgl. OLG Stuttgart 1975, S. 591 f; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 32 f; dazu auch in der Retrospektive Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 8, der ausdrücklich darauf verweist, dass diese Überschneidung der Tatbestände nach der neuen Rechtsordnung ausgeschlossen sei, da es nach der Entziehung der Elternsorge gem. § 1666 mangels gemeinsamer Sorge bereits tatbestandlich nicht zu einer Entscheidung über die Trennungssorge gem. § 1671 komme. 857 Zu den sog. Einzelanordnungen gem. § 1666 vgl. MüKo / Hinz § 1666 Rz. 9 mwN; OLG Hamm FamRZ 1978, S. 941. 858 Vgl. Rehberg FuR 1998, S. 65 (66). 859 Vgl. dazu etwa OLG Karlsruhe EzFamRaktuell 1999, S. 66; relativierend bei erheblichem Widerstand des Elternteils vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 127; anders Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1671 Rz. 860 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 18. 861 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (466).

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lich zugenommen. 862 Als universelle Gefahrentatbestände lösen sie die bisherigen Spezialtatbestände ab und gewährleisten die staatliche Wächteramtsfunktion. 863 Jedoch muss man sich dabei die Zielsetzung des Gefahrentatbestandes gegenüber der gewillkürten Intervention vor Augen führen. Es soll in erster Linie gewährleistet werden, dass die elterliche Selbstbestimmungspriorität nicht zu einer Beschränkung des gebotenen Schutzes der Kindesinteressen führt. Wo jedoch aufgrund der antragsgemäßen Intervention eine ausreichende Gestaltungsfreiheit der Gerichte gewährleistet ist, entsteht insoweit keine wächteramtliche Lücke und damit auch keine Notwendigkeit, die Regulation gem. § 1671 auszuschließen. Entgegen der vereinzelt vertretenen gegenteiligen Auffassung wird damit eine Sorgerechtsübertragung gem. § 1671 nicht allein deshalb unzulässig, weil der Tatbestand der §§ 1666, 1666a erfüllt ist. 864 Auch rücken die Eingriffstatbestände prozessual zusammen. Die Zuständigkeitskonzentration antragsgemäßer und von Amts wegen eröffneter Verfahren auf das Familiengericht verflechten die Eingriffsgrundlagen im Verfahrensverbund. 865 Die Zuständigkeitserweiterung des Familiengerichts ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. 866 Die Maßstäbe stehen nun innerhalb eines Verfahrens ne862 Vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (424 f); darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang erwogen worden, ob die Anforderungen des Eingriffstatbestandes gesenkt werden sollten. Während des Gesetzgebungsverfahrens ist die Streichung der engen Eingriffsvoraussetzungen des § 1666 erörtert worden. Jedoch hat man schließlich von einer Erweiterung des Eingriffstatbestandes abgesehen, weil sich die Auffassung durchgesetzt hat, die bisherige Formulierung habe nicht dazu geführt, dass die Gerichte zur Abwendung von Gefahren für das Kindeswohl erforderliche Maßnahmen nicht hätten treffen können, vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 65; dazu kritisch Büttner FamRZ 1998, S. 585 (592). Für die Praxis ist von besonderer Relevanz, ob die Einführung der einstweiligen Anordnung von Amts wegen gem. § 620 Abs. 2 ZPO nicht doch eine andere Interpretation der Eingriffsvoraussetzungen erforderlich macht, zumal § 1631a a.F. als neben § 1666 entbehrlich gestrichen worden war, vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 115. 863 Der bisherige Bereich der §§ 1631 a, 620 Abs. 2 ZPO a.F. ist mehr von § 1666 erfasst. Soweit die bisherige Auslegung der Vorschrift strengere Anforderungen an die unmittelbare oder nahe bevorstehende Gefahr knüpfte, muss diese insoweit korrigiert werden, vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (592), unter Hinweis darauf, dass anderenfalls die Vorschrift des § 1697a leerliefe. 864 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 32: Vorrang des Verfahrens gem. §§ 1666, 1666a gegenüber demjenigen gem. § 1671 Abs. 1, 2; § 1666 Rz. 7 mit dem Hinweis darauf, dass es nach wie vor bei dem Grundsatz des § 1671 Abs. 5 S. 1 a.F. – nach dem die Personensorge auf einen Vormund oder Pfleger zu übertragen war, sofern dies zur Gefahrenabwehr für das Kindeswohl erforderlich war – geblieben sei, nur dass es nun nicht mehr in § 1671 gesetzlich verankert sei. Widersprüchlich erscheint in der Ausführung jedoch, dass demgegenüber ein Verfahren gem. § 1628 als vorzugswürdig aufgefasst wird, vgl. aaO Rz. 5. 865 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 56. 866 Zur Übergangsregulierung vgl. Art. 15 § 1 Abs. 2, 3 KindRG; dazu auch BayObLG FamRZ 1999, S. 179.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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beneinander. Die Verfahren schließen sich mithin nicht mehr aus, sondern können sich anhand der Gebotenheit des Einzelfalls entwickeln. 867 Das Gericht nähert sich der Schwelle zwischen den Rechtsgrundlagen individuell an, ohne dass bereits durch die differenzierten Zuständigkeit von Vormundschaftsgericht oder Familiengericht insoweit verbindliche Vorentscheidungen getroffen werden müssen. Eine strikte Nachrangigkeit der durch Antrag eröffneten Entscheidungsgrundlage ist daher auch vom Verfahren her nicht mehr zwingend erforderlich. b) Subsidiarität der beantragten Entscheidung gem. § 1671 Abs. 3 Zu diesem Ergänzungsverhältnis führen auch systematische Erwägungen. Die gesetzlichen Vorgaben über das Verhältnis der Eingriffstatbestände sind stark auf die Rechtsfolge ausgerichtet. So wird auch dem Wortlaut des § 1671 Abs. 3 zufolge die beantragte Entscheidung nur dann ausgeschlossen, wenn eine abweichende Regelung erfolgen muss. Im Umkehrschluss bleibt es bei der Eingriffsgrundlage des § 1671, soweit die erforderlichen Maßnahmen vom Antrag umfasst werden. 868 Damit setzt sich auch im gesetzlichen Konkurrenzverhältnis das Prinzip fort, dass vorrangig die Eltern selbstbestimmt den Staat zur Regulierung der Trennungssorge berufen. Das Ausschöpfen der damit eröffneten Eingriffsermächtigung entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 869 So bietet der aus der Familie selbst hervorgehende Regelungsimpuls einen milderen Eingriff als eine zwangsweise Maßnahme. Die höhere Eingriffsschwelle der §§ 1666 ff folgt aus dem staatlichen Zwang gegen eine bestehende Rechtsstellung der Sorgeberechtigten, während die damit verbundene Entrechtung in dem auf freiem Entschluss beruhenden Antragsverfahren vermieden wird. Bei diesem Verhältnis der Eingriffstatbestände werden auch die besonderen Schutzgüter der reformierten Trennungssorge – das elterliche Erziehungsrecht und die familiäre Integrität – maßgeblich berücksichtigt. Hinzu tritt, dass dieses rechtsfolgenbezogene Verständnis der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit eine einzelfallbezogenen Umsetzung des Kindeswohls erweitert. So lassen die konkurrierenden Rechtsgrundlagen verschieden intensive Eingriffe zu, die sich vor allem in Hinblick auf ihre Wirkungsdauer deutlich unterscheiden. Dies ergibt sich vor allem aus § 1696 Abs. 2, 3. Staatliche Maßnahmen auf der Grundlage der §§ 1666 bis 1667 sind danach aufzuheben, wenn eine Gefahr 867

Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 187. 868 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (466). 869 Vgl. dazu auch schon grundlegende Erwägungen zur Änderungsentscheidung BayObLG FamRZ 1990, S. 1132 (1134); zu den allgemeinen Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes innerhalb des § 1666 vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“ S. 151; OLG Düsseldorf FamRZ 1968, S. 89 f; BayObLG FamRZ 1990, S. 780; dass. DAVorm 1983, S. 381 (385 f); OLG Karlsruhe FamRZ 1974, S. 661 f; BayObLG FamRZ 1999, S. 316.

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für das Kindeswohl nicht mehr besteht. Das heißt, dass die zwangsweise staatlichen Eingriffe nur solange zulässig sind, wie ihre Bedingungen vorliegen. 870 Die Reichweite beschränkt sich daher auf die konkrete Gefahrenabwehrmaßnahme und umfasst nur in Extremfällen eine langfristige Gestaltung. Dem liegt vor allem der Gedanke zugrunde, dass die Maßnahme einen anhaltenden Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern darstellt. 871 Um sicherzustellen, dass eine exzessive Beschränkung der Elternrechte vermieden wird, sind länger dauernde Maßnahmen durch das Gericht in angemessenen Zeitabständen zu überprüfen. Demgegenüber ist die Entscheidung gem. § 1671 auf eine anhaltende Gestaltung der Elternsorge gerichtet. Würde man vor diesem Hintergrund eine zwingende Vorrangstellung der zwangsweisen Maßnahmen annehmen, so folgte daraus regelmäßig auch eine Beschränkung der Rechtswirkung. Sinn und Zweck eines Vorrangs kann es aber nur sein, die erforderlichen Kindesschutzmaßnahmen nicht von der Kooperation der Eltern abhängig zu machen. Aus dem Gesichtspunkt der Subsidiarität kann jedenfalls nicht abgeleitet werden, das Spektrum der staatlichen Intervention zu beschränken. Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Rechtsfolge der entscheidende Anknüpfungspunkt der Gesetzeskonkurrenz ist. Die effiziente Ausnutzung der Regelungskompetenz führt dazu, dass sich die Subsidiarität der Antragsentscheidung im Wege einer teleologischen Reduktion nur dort auswirkt, wo die jeweiligen Maßnahmen in Widerspruch zueinander stehen. Scheitert etwa die an sich angezeigte Aufhebung der gemeinsamen Sorge daran, dass der nach § 1671 Abs. 1 erforderliche Antrag vom ungeeigneten Elternteil bzw. gar nicht gestellt worden ist, oder kommen beide Elternteile trotz Antragstellung für die Übertragung der Alleinsorge nicht in Betracht, so besteht erst dann Anlass für das Familiengericht, Maßnahmen nach § 1666 einzuleiten. Das heißt gleichzeitig, dass die Alleinsorge bei akuter Kindeswohlgefährdung auch durch Zustimmung vom anderen Elternteil und dem Kind nicht übertragen wird. Die Anordnungen können sich von der Auflage, Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen, bis zur vollständigen Entziehung der Sorge unter Anordnung der Vormundschaft erstrecken. 872 c) Anwendung des § 1666 im Einzelfall Die gerichtliche Würdigung des Kindeswohls nach Maßgabe des § 1666 tritt damit innerhalb des familiengerichtlichen Sorgerechtsverfahrens ergänzend hinzu. Auf diese Weise entsteht eine Parallelstruktur der Prüfungsmaßstäbe innerhalb 870 Daher billigt der BGH nur Entscheidungen gem. § 1671 nicht aber solchen gem. § 1666 Dauerhaftigkeit zu, vgl. BGH FamRZ 1998, S. 609 (610). 871 Vgl. schon Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum SorgeRG BTDrucks. 8/2788, S. 68; vgl. dazu auch MüKo / Hinz §1696 Rz. 15. 872 Vgl. dazu Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1102).

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des Sorgerechtsverfahrens. Wegen der unmittelbaren Umsetzung des wächteramtlichen Schutzauftrags erfolgt die Einleitung des auf § 1666 bezogenen Verfahrensteils auch innerhalb des Antragsverfahrens stets von Amts wegen. 873 Förmliche Anträge oder Gesuche potentieller Verfahrensbeteiligter bzw. Außenstehender stellen lediglich Anregungen 874 dar, denen zu folgen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes liegt. Sobald sich jedoch konkrete Anhaltspunkte bieten, die auf eine Kindeswohlgefährdung und damit auf die Eingriffsvoraussetzungen des § 1666 hindeuten, entsteht eine Verpflichtung des Familiengerichts zum Tätigwerden. 875 Dies richtet sich zunächst darauf, den Sachverhalt gem. § 12 FGG zu ermitteln, und kann sich gegebenenfalls auch auf vorläufige Maßnahmen zum Schutz des Kindes erstrecken. 876 Daraus folgende Maßnahmen können sich grundsätzlich sowohl gegen die Eltern als auch gegen Dritte wenden. 877 Jenseits des Antrages sind die engen Voraussetzungen des § 1666 maßgeblich. 878 Nicht jede denkbare Gefährdung des Kindeswohls durch das Verhalten der Eltern erfüllt bereits die Voraussetzungen für eine gerichtliche Zwangsmaßnahme. 879 So wird der wächteramtliche Eingriff im Wesentlichen an drei begrenzende Tatbestandsmerkmale geknüpft. 880 Zunächst muss eine gegenwärtige oder zumindest nahe bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung bestehen, bei der anzunehmen ist, dass sich bei einer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit einstellen wird. 881 Die gerichtliche Würdigung muss sich daher auch auf zukünftige Erzie873 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 173. 874 Vgl. dazu schon MüKo / Hinz § 1666 Rz. 63. 875 Zur flankierenden Beratungstätigkeit des Jugendamtes gem. § 27 KJHG vgl. Suess / Fegert FPR 1999, S. 17 (158). 876 Dazu BayObLG FamRZ 1995, S. 948; dass. FamRZ 1992, S. 90; dass. FamRZ 1991, S. 1218. 877 Vgl. MüKo / Hinz § 1666 Rz. 7, 43 ff, 55; Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 12, 33, 55. 878 Zu der zentralen Abwägung zwischen der Erweiterung des Kindeswohlschutzes und dem Schutz des verfassungsrechtlich verankerten Elternrechts, vgl. kritische Anmerkung von Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 10 f. 879 In BT-Drucks. 13/4899, S. 65 wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, dass hier insbesondere der Wortlaut der Generalklausel des § 1697a keine Erweiterung der Eingriffsbefugnisse gegenüber dem engen Wortlaut des § 1666 erlaubt. 880 Entsprechende Unterscheidung auch bei Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 12. 881 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 1239; BGH FamRZ 1956, S. 350; BayObLG DAVorm 1983, S. 78 (81); OLG Zweibrück FamRZ 1984, S. 931; KG FamRZ 1965, S. 158 (160); MüKo / Hinz § 1666 Rz. 25; vgl. dazu auch Lempp NJW 1963, S. 1659; ders. ZfJ 1979, S. 49; Schwoerer NJW 1964, S. 5; Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 15, der in diesem Zusammenhang drauf hinweist, dass es sich hier nicht um begrifflich abzugrenzende Bereiche der Elternsorge, sondern vielmehr um die gesetzliche Veranschaulichung eines umfassenden Schutzes handelt.

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hungspläne und Entwicklungsprognosen erstrecken. 882 Gerade im Verhältnis zu § 1671 wird hier der grundsätzlich übereinstimmende Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls abweichend gewichtet. Er stellt nicht in erster Linie die Optimierung der kindlichen Lebensbedingungen in den Vordergrund, indem die Koordinierung und Gegenüberstellung zweier geeigneter Elternpositionen betrachtet werden. Verleihung und Förderung der Elternsorge, wie sie § 1671 prägt, werden hier von der akuten Gefährdung verdrängt. Dementsprechend richtet sich das Augenmerk auf den erforderlichen Entzug einer Elternstellung, um das Kind zu schützen und die Mindestvoraussetzungen für die kindgerechte Sorgerechtsausübung herzustellen. Diese Gefährdung muss darüber hinaus auf einer – wenn auch verschuldensunabhängigen 883 – kausalen elterlichen Pflichtwidrigkeit beruhen. Dafür sieht das Gesetz vier Fallgruppen vor. Die erste besteht im Sorgerechtsmissbrauch. 884 Der meint einen falschen, rechts- oder zweckwidrigen Gebrauch des Personensorgerechts in einer dem Wohl des Kindes und damit in erster Linie dem Erziehungsziel zuwiderlaufenden und jedem besonnenen Elternteil erkennbaren Weise. 885 Dies ist nicht schon gegeben, wenn das Kind anders besser versorgt werden könnte. 886 Zur Verdrängung der erzieherischen Gestaltungsfreiheit muss hinzukommen, dass das Verhalten der Eltern erkennen lässt, dass der als erforderlich und verantwortungsgerecht erkannten Maßnahme bewusst zuwidergehandelt wird. Weitere Formen der Pflichtverletzung bestehen in der Kindesvernachlässigung und dem Auffangtatbestand des unverschuldeten Elternversagens. 887 Vernachlässigung bezieht sich auf die pflichtwidrig mangelhafte Pflege 888 oder Außerachtlassung anderer Fürsorgeund Erziehungspflichten. 889 Darüber hinaus erfasst das zweite Merkmal vor allem Kindeswohlgefährdungen, die aus einer offenbaren Überforderung oder der sonstigen Ungeeignetheit der Eltern bei der Bewältigung der Erziehungsaufgaben erwachsen. 890 Die dritte und letzte Pflichtwidrigkeitskonstellation stützt sich nicht auf eine unverantwortliche Ausübung der Elternsorge, sondern das pflichtwidrige 882 Vgl. BayObLG FamRZ 1965, S. 280; OLG Frankfurt FamRZ 1984, S. 614; dazu auch MüKo / Hinz § 1666 Rz. 23. 883 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 13; dazu auch schon BayObLG DAVorm 1984, S. 1048 (1054); OLG Frankfurt FamRZ 1981, S. 2524; wohl auch Luthin FamRZ 1979, S. 986 (988). 884 Zu den verschiedenen Einzelfallkonstellationen vgl. MüKo / Hinz § 1666 Rz. 31 ff. 885 Vgl. OLG Zweibrück FamRZ 1984, S. 931; BayObLG FamRZ 1985, S. 635 f; dass. FamRZ 1982, S. 638; MüKo / Hinz §1666 Rz. 29 ff; Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 19, der noch hinzufügt, dass es dies nicht notwendig zum eigenen Vorteil oder in Befriedigung egoistischer Ziele, sondern auch in der Tolerierung von Übergriffen Dritter bestehen kann. 886 Vgl. BayObLG FamRZ 1985, S. 522; dass. FamRZ 1982, S. 638; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 174. 887 Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit BVerfG NJW 1982, S. 1379; dazu auch Hinz NJW 1983, S. 377. 888 Vgl. OLG Hamm DAVorm 1986, S. 804; BayObLG FamRZ 1988, S. 748. 889 Zu weiteren Einzelfallkonstellationen vgl. Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 30 f.

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Gewährenlassen eines kindeswohlgefährdenden Verhaltens durch Dritte. Neben den Maßnahmen, die sich gem. § 1666 Abs. 4 in Angelegenheiten der Personensorge auch gegen Dritte richten können, wird hier das Verhalten Dritter auch dem Sorgeberechtigten selbst zugerechnet und gewährleistet damit den gebotenen Schutz vor äußeren Einflüssen. 891 Das letzte Tatbestandsmerkmal setzt voraus, dass die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Damit wird die allgemeine familienrechtliche Subsidiarität staatlicher Eingriffe gegenüber einer Lösung innerhalb der bestehenden Erziehungsverhältnisse nochmals ausdrücklich tatbestandlich verankert. 892 Wie sich auch schon in der neuen Struktur der Trennungssorge niedergeschlagen hat, ist die zwangsweise Außeneinwirkung auch hier nur zulässig, wenn eine familieneigene Abwehr nicht möglich ist. 893 Soweit eine insoweit erforderliche Maßnahme vom einvernehmlichen elterlichen Antrag nicht umfasst ist, hat das Gericht als verfahrensimmanente Folge gem. § 627 Abs. 1 ZPO den Eltern anzukündigen, dass es beabsichtigt, davon abzuweichen. Hierdurch soll vor allem dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich die Eltern auf unvorhergesehene Rechtsfolgen wie etwaige Unterhaltspflichten einstellen können. 894 Die Rechtsfolge des § 1666 ist von vorrangiger Bedeutung bei seiner Anwendung im Verfahren über die Trennungssorge. Gem. § 1666 hat das Gericht Auswahlermessen hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen zum Schutz des Kindes. 895 Hier ist vor allem die oben ausgeführte Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. 896 Im ersten Schritt erstreckt sich also zunächst die Subsidiarität des § 1671 auf solche Fallkonstellationen, in denen die Eltern die staatlichen Maßnahmen nicht auch durch das Antragsverfahren eröffnet haben. Die Umsetzung der wächteramtlichen Pflicht zur Gefahrenabwehr verlagert sich insoweit auf eine Entscheidung gem. § 1671. Die Kindeswohlgefährdung durch einen Elternteil ist 890 Vgl. BayObLG DAVorm 19884, S. 1048 (1054); zu den Einzelfallkonstellationen vgl. MüKo / Hinz § 1666 Rz. 40. 891 Vgl. dazu auch BayObLG DAVorm 1981, S. 216 (221); OLG Frankfurt NJW 1981, S. 2524. 892 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1666 Rz. 5; dazu auch OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1476 f. 893 Zumindest bei einvernehmlichen Anträgen ließe sich hier überlegen, ob darin nicht bereits ein konstruktiver Ansatz einer familieneigenen Lösung zu erkennen ist, der eine abweichende Maßnahme schon tatbestandlich entgegensteht. 894 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 123; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“ S. 286. 895 Vgl. Reinecke FPR 1999, S. 167 (171); OLG Zweibrück EzFamR 1999, S. 2, zu Anordnung einer psychologischen Begutachtung des Kindes gegen den Willen der Sorgeberechtigten; BayObLG FamRZ 1999, S. 318, im Falle einer Suizidgefahr des betreuenden Elternteils sowohl im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzes als auch im Hauptverfahren. 896 Vgl. auch OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1476 f.

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in diesem Zusammenhang gleichsam die maximale Form, durch die der andere Elternteil nach Maßgabe des Kindeswohls als vorzugswürdig zu beurteilen ist, solange keine Bedenken auch an dessen Erziehungseignung bestehen. Abweichendes gilt daher dort, wo sich überkreuzende Anträge zwar das volle Spektrum der gerichtlichen Entscheidung in der Abwägung zwischen den Eltern eröffnen, keiner der Eltern jedoch zur Sorge geeignet ist und stattdessen ein Vormund oder Pfleger bestellt werden muss. Als zweiter Schritt der Verhältnismäßigkeitserwägung richtet sich die Abwägung dann auf die Verknüpfung der Entscheidungsgrundlagen. So kann es in dem den Antrag „überschießenden“ Gefahrenteil ergänzend zu einer Maßnahme gem. § 1666 kommen, die neben die Entscheidung auf der Grundlage des § 1671 tritt. 897 Schließlich kann auch wie bei der Entscheidung gem. § 1671 die Maßnahme gem. § 1666 auf einen Teil der Elternsorge beschränkt werden. Anhand dieser drei Aspekte kann in Beschränkung der Maßnahme gem. § 1666 und der Verknüpfung mit Entscheidungen gem. § 1671 das Gestaltungsspektrum maximal ausgeschöpft werden. Die Verbindung beider Bestimmungen innerhalb des einheitlichen Sorgrechtsverfahrens wird auf diese Weise zu einem gezielten und der Einzelfallgerechtigkeit jeder individuellen Fallkonstellation gerecht werdenden Ergänzungsverhältnis. 4. Zusätzliche Interventionsinstrumente neben §§ 1671 Abs. 2, 1671 Abs. 3 iVm 1666 ff: das Jugendamt und der Verfahrenspfleger Grundsätzlich ist der staatliche Zugriff auf die elterliche Sorgerechtsgestaltung durch die Tatbestände der §§ 1671, 1666 abschließend geregelt. Eine darüber hinausgehende Intervention im Sinne einer unmittelbaren Regelungsbefugnis ist nicht vorgesehen. Auf diese Weise entsteht gegenüber der bisherigen Rechtslage eine Gestaltungslücke außerhalb der Sorgerechtsanträge, die etwa bei einer gerichtlichen Einzelfallprüfung zur Aufhebung der gemeinsamen Sorge führte, aber noch keine akute Kindeswohlgefährdung aufweist. Diese Fallkonstellation knüpft zunächst weitgehend an ein alt hergebrachtes Verständnis des Sorgerechtsverfahrens an. War hier nach früherer Rechtslage das Gericht zur Gestaltung der Elternsorge berufen, tritt nun für diesen Regelungsbereich stärker außergerichtlich und informell gestaltete Intervention. 898 Sowohl im Vorfeld als auch im Verlauf des Sorgerechtsverfahrens werden nun alternative Interventionsformen gestärkt, wodurch die ursprünglich auf das Gericht konzentrierten Instrumentarien erweitert werden. Es vollzieht sich also eine Verlagerung auf außergerichtliche 897 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 188 f. 898 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 66 f = Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 46 f.

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Aufklärung und informelle gerichtliche Hilfestellung. 899 Sie kompensieren den Verlust des sorgerechtlichen Gestaltungsmonopols im Scheidungsverfahren und veranschaulichen ein wichtiges Element der Sorgerechtsreform. So gilt nun der Grundsatz, dass die staatliche Intervention unterhalb der Schwelle der akuten Kindeswohlgefährdung vom Willen und der Initiative der Eltern abhängen soll. Der Katalog des § 1671 ist insoweit abschließend, so dass neben der gesetzlichen Ausgestaltung der gemeinsamen Sorge kaum noch Raum bleibt für eine darüber hinaus gehende Einflussnahme. 900 Die wächteramtlichen Eingriffsmöglichkeiten zum Schutz des Kindes gerade im Zusammenhang mit der Elterntrennung haben auf diese Weise stark abgenommen. Darin schlägt sich der bereits mehrfach hervorgehobene Perspektivwandel innerhalb der Trennungs- und Scheidungssorge nieder. Nicht die an die Trennungssituation anknüpfende Gefahr, sondern die gezielte Förderung einer familiären Anpassung und vor allem die Vermeidung von rechtsgestaltenden Eingriffen stehen im Vordergrund der sorgerechtlichen Intervention. Darin kommt eine veränderte Risikoabwägung innerhalb des Kindeswohls zum Ausdruck. Gegen oder ohne den Willen der Eltern wird ihre Trennung nicht mehr als Gefahrentatbestand eigener Art aufgefasst, sondern bemisst die Kindeswohlgefährdung an den allgemeinen trennungsunabhängigen Maßstäben des § 1666. Im Verhältnis zur bisherigen Scheidungsintervention entsteht dadurch zunächst eine vielfach kritisierte Lücke des effektiven Kindeswohlschutzes vor trennungsbedingten Belastungen. 901 Vor diesem Hintergrund wird vor allem das Dilemma des möglichen Widerspruchs zwischen Elternautonomie und Kindeswohlsicherung hervorgehoben. 902 Nicht mehr der Staat, sondern die Familie in der Konfliktsituation soll nun die Kindesinteressen eigenständig wahrnehmen. Es greift jedoch zu kurz, zu konstatieren, dass sich der Staat nun aus der Trennungssorge unter Missachtung seines wächteramtlichen Auftrages zurückziehe. 903 Vielmehr trägt der Staat dem situationsbedingten Schutzbedürfnis des Kindes auf andere Weise 899 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 66 f = Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 46 f; zum Informationsbedarf bei Eltern und Kindern vgl. auch aus psychiatrischer Sicht Fegert FPR 1997, S. 67 (68). 900 Vgl. kritische Ausführungen Rehberg FuR 1998, S. 65 (66). 901 Kritisch in diesem Zusammenhang Lossen FuR 1997, S. 100; Rehberg FuR 1998, S. 65 (67), der hervorhebt, dass die Beschränkung der wächteramtlich gebotenen Intervention durch die notwendige Voraussetzung eines Antrages keine angemessene Wahrnehmung der Kindesinteressen gewährleistet; ebenfalls kritisch Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423), wonach die Anhörung gem. § 613 ZPO zu einer bloßen Formalie reduziert wird; kritisch ebenfalls Wend FPR 1999, S. 137 (140). 902 Vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (591). 903 Vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/4899, S. 63 = Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 44 f, wo auch unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtslage darauf verwiesen wird, dass auch im Rahmen des Zwangsverbundes bei elterlichem Einvernehmen nicht von familieninternen Abspachen abgewichen werde. Darüber hinaus sei

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Rechnung. So verlagert sich die Intervention auf eine indirekte, stärker unterstützende Einflussnahme. Anstelle der bisherigen Eingriffsprophylaxe dienen nun Beratungsgespräche und gerichtliche Anhörungen im Rahmen des Scheidungsverfahrens dazu, konkrete Anhaltspunkte dafür zu sammeln, ob eine weitergehende Intervention – gegebenenfalls von Amts wegen – erforderlich ist. Zum anderen werden elterliche Defizite durch gezielte Aufklärung und institutionelle Hilfestellung aufzufangen versucht. In der Gesamtbetrachtung verlagern sich die Instrumentarien von hoheitlicher Bevormundung zur Hilfestellung und gerichtliche Kontrolle wird zum Instrument der Mediation. 904 Mehr noch als das Antragsverfahren zeigen daher die ergänzenden Interventionsinstrumentarien, dass die Trennungssorge zunächst auf einen gezielten Ausgleich und die familiäre Bewältigung der Krise gerichtet ist. Dabei konzentriert sich die Betrachtung auf zwei alternative Interventionsformen neben dem gerichtlichen Sorgerechtsverfahren: die außergerichtliche Beratung durch die Jugendhilfe und die gerichtliche Aufklärungs- und Hinweispflicht des Familiengerichts im Rahmen des Scheidungsverfahrens. Dies wird ergänzt durch Betrachtungen des neuerlich eingeführten Verfahrenspflegers, des sog. „Anwalts des Kindes“, der als Interessenvertreter des Kindes ein Instrument für den gezielten Interessenausgleich zwischen Eltern und Kindern schafft. a) Verweisung auf die Beratung durch die Jugendhilfe Eine besondere Bedeutung für den reformierten Interventionsansatz hat die außergerichtliche Beratung der Jugendhilfe. 905 Bereits im Vorfeld der Reform setzte eine zunehmende Einbeziehung der psychologisch und sozial-pädagogisch orientierten Professionen in die Entscheidungsfindung ein, da zusehends anerkannt wurde, dass die erforderlichen Abwägungen das Spektrum juristischer Erfassbarkeit deutlich überschritt. 906 Elemente einer „Entgerichtlichung“ – eine Vermeidung gerichtlicher Intervention – des Konfliktes der Trennungssorge sind in der Aufwertung der Jugendhilfe angelegt, indem neben der familiengerichtlichen Intervention gezielt die Mediation 907 als alternative Möglichkeit der Konfliktlöauch bisher die konfliktreiche Trennungsphase nicht zum Anlass genommen worden, die Eltersorge obligatorisch zuzuweisen. 904 So ergaben sich aus der Befragung Betroffener, dass durchschnittlich 84,8% der Inanspruchnahme von Beratungen auf Eigeninitiative hin erfolgte, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 159. 905 Vgl. hierzu auch Salgo FamRZ 1996, S. 449 (450 f), der sich gegen einen Rückzug des Staates und die Privatisierung des Kindeswohls und für eine aktive Sozialpolitik ausspricht. 906 Vgl. Limbach ZfRSoz 1988, S. 155 (160). 907 Der Begriff der Mediation (zur Herkunft des Begriffs vgl. Duss-von Werdt „Mediation – die andere Scheidung“, S. 235; Spangenberg FamRZ 1997, S. 1263; Menne / Weber

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sung gefördert und das gerichtliche Gestaltungsurteil so fast schon zur ultima ratio wird. Denn anstelle des gerichtlichen Eingriffs wird die Herangehensweise an den Familienkonflikt verlagert und mit partnerschaftlicher Hilfestellung der Jugendhilfe versucht, die familieneigenen Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. 908 Die Bewältigung des Konfliktes außerhalb des Gerichts tritt in den Vordergrund der Intervention. 909 Dabei werden Voraussetzungen geschaffen, unter denen die Parteien mit professioneller Anleitung eine eigene Vereinbarung treffen und damit autoritäre staatliche Maßnahmen vermieden werden. 910 So werden die Eltern bereits im Vorfeld eines Sorgerechtsverfahrens und in seinem Verlauf stetig ermutigt, das jugendamtliche Angebot zur eigenständigen Lösungsfindung wahrzunehmen. 911 Damit soll die autoritäre Struktur soweit wie möglich durch staatlich-familiäre Kooperation abgelöst werden. 912

ZfJ 1998, S. 85; Mähler / Mähler KindPrax 1998, S. 18) erstreckt sich auf ein Vermittlungsverfahren, das nach einem festgelegten Ablauf verfährt. Es besteht im Wesentlichen aus fünf Phasen: 1. Erarbeitung des Mediationsvertrages; 2. Zusammenstellung der regelungsbedürftigen Inhalte; 3. Bearbeitung der strittigen Themenbereiche; 4. Entwicklung von Optionen für Lösungen zu diesen Problembereichen; 5. Abschluss der Vereinbarung (vgl. zu Begriff und Ablauf nähere Ausführungen von Motz FamRZ 2000, S. 857 (858 f); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 19). Der zentrale Unterschied gegenüber dem Sorgerechtsverfahren besteht vor allem darin, dass die Beteiligten sowohl den Inhalt als auch den Ablauf bestimmen, während der Mediator als neutraler Dritter nur dafür sorgt, dass die Struktur des Ablaufs gewahrt bleibt (vgl. Motzer aaO, S. 859). Während als Nachteile vor allem auf die Ausgeliefertheit des schwächeren Beteiligten und auf drohenden Rechtsverlust (vor allem im Zusammenhang mit der Unterhaltszahlung) hingewiesen wird (vgl. Schulz FamRZ 2000, S. 860 (861), insbesondere mit einer Gegenüberstellung zur Streitschlichtung unter Regie der Fachanwälte), beruht der Vorteil vor allem darin, dass die Beteiligten eine eigene Lösung erarbeiten, die ihnen nicht diktiert wird. Auf diese Weise wird vermieden, Gewinner und Verlierer zu schaffen, womit auch die Bereitschaft der Beteiligten zunimmt, die Absprache tatsächlich umzusetzen und langfristig zu befolgen. Zu diesem Themenkomplex vgl. im Übrigen Friedmann „Die Scheidungsmediation“, Haynes / Bastine / Link / Mecke „Scheidung ohne Verlierer“; Mähler / Mähler in: Breitenbach / Henssler „Mediation für Juristen“, S. 17. 908 Vgl. dazu bereits unter Bezugnahme auf die Reform des Jugendhilferechts (KJHG) Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (870); Proksch NDV 1992, S. 317 (319). 909 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Kaufmann FamRZ 2001, S. 7 zu der Gewährleistung neutraler, unparteilicher Beratungsleistung der Jugendämter und den rechtlichen Möglichkeiten, gegen einseitige Instrumentalisierung vorgehen zu können. 910 Vgl. Proksch, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1989, S. 71 (79); vgl. in diesem Zusammenhang auch die neuerliche Möglichkeit der Beistandschaft des Jugendamtes bei gemeinsamer Sorge in Unterhaltssachen durch das Kinderrechtsverbesserungsgesetz (BGBl. 2002 I, S. 1239, abgedruckt FamRZ 2002, S. 803), dazu auch Janzen FamRZ 2002, S. 785 (787). 911 Zur Möglichkeit fiskalischer Einsparungen durch Mediation unter Bezugnahme auf internationale Erfahrungen vgl. Kilian FamRZ 2000, S. 1006.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

aa) Rechtsgrundlage der integrierten Jugendhilfe-Beratung Die außergerichtliche Beratung und die Förderung einvernehmlicher Lösungen sind im Verfahrensrecht mehrfach verankert. Einen ersten Anknüpfungspunkt für diese mittelbare Intervention bietet das Scheidungsverfahren. Er besteht in der flankierenden Maßnahme, die Eltern über ihren Anspruch auf eine jugendamtliche Beratung bei Trennung und Scheidung gezielt hinzuweisen. 913 So sind die Eltern im Rahmen des Scheidungsantrages gem. § 622 Abs. 2 Nr. 1 verpflichtet, anzugeben, ob gemeinschaftliche minderjährige Kinder vorhanden sind. 914 Gem. § 17 Abs. 3 KJHG wird die Jugendhilfe über Rechtshängigkeit der Scheidungssache sowie über Namen und Anschriften der Parteien informiert, damit sie die Betroffenen gezielt auf das Beratungsangebot hinweisen kann. 915 Doch auch innerhalb des Sorgerechtsverfahrens wird die Beilegung des Sorgerechtskonflikts durch die jugendamtliche Vermittlung gefördert. 916 So sehen §§ 613 Abs. 1 S. 2, 2. HS ZPO, 52 Abs. 1 S. 2, 2. HS FGG eine gerichtliche Pflicht vor, die Eltern so früh wie möglich auf die Beratungsmöglichkeiten hinzuweisen. 917 Der Vorrang außergerichtlicher Konfliktbeilegung wird in § 52 Abs. 2 FGG ausdrücklich festgelegt. 918 Danach soll das Gericht bei Kindeswohlverträglichkeit das Verfahren 912 Anstelle der staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Kindesinteressen tritt die Reufunktionalisierung der Scheidungsfamilie, vgl. Coester FamRZ 1992, S. 617 (619); Späth in Wiesner / Zarbock S. 91. 913 Zur gezielten Einbindung der Jugendhilfe anhand der verschiedenen Verankerungen außerhalb des BGB vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 6 im Überblick; aus den Befragungen der Betroffenen ergab sich, dass rund 20% der Inanspruchnahme der Jugendhilfe auf Hinweis der Familiengerichte oder der Jugendämter zurückzuführen war, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 159. 914 Die Schwierigkeit besteht in diesem Zusammenhang zum einen darin, dass diese Interventionsmöglichkeit voraussetzt, dass die Eltern ihrer Mitwirkungspflicht entsprechen. Soweit sie sich nicht kooperativ zeigen, entziehen sie sich dem informationellen Einfluss, der zunächst nur im Appell zur elterlichen Eigeninitiative besteht. Ungeklärt bleibt der Fall, in dem die Eltern im Scheidungsantrag das Vorhandensein minderjähriger Kinder verschweigen. Sanktionen sind insoweit gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. dazu Rehberg FuR 1998, S. 65 (67)). Hinzu kommt, dass sich auch die Trennungssorge ohne Eheauflösung – sei es unter Fortsetzung der Ehe oder außerhalb der Ehe – von vornherein dieser gezielten Aufforderung entzieht. Hier müssen die betroffenen Eltern aus eigener Kraft Informationen einholen und wahrnehmen. 915 Vgl. BT-Drucks. 13/8511, S. 82; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 376; zu der Vielfalt der Leistungsangebote der Jugendhilfe anhand eines Fallbeispiels vgl. Balloff FPR 1999, S. 164 ff; vgl. auch Suess / Fergert FPR 1999, S. 157 (158 f); kritisch fasst Büttner (FamRZ 1998, S. 585 (591)) demgegenüber zusammen: „Die Regelung versucht allen alles zu geben: den Eltern die Autonomie und den Kindern den vollen Schutz vor Missbrauch der Autonomie; der Staat soll sich heraushalten, aber bei jeder Gefahr durch zur Stelle sein und eingreifen.“ 916 Ähnlich auch Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 6. 917 Zum Einsatz von Mediation vgl. Spangenberg FamRZ 1997, S. 1263 f; Rauscher FamRZ 1998, S. 329 (340).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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sogar aussetzen, wenn entweder die Beteiligten bereit sind, eine außergerichtliche Beratung in Anspruch zu nehmen oder nach der freien Überzeugung des Gerichts Aussicht auf ein Einvernehmen der Beteiligten besteht. 919 In diesen Fällen soll das Gericht den Beteiligten nahe legen, eine außergerichtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. 920 bb) Zielsetzung der Beratung Mit dieser gezielten Förderung der Beratung sollen alternative Herangehensweisen neben der gerichtlichen Gestaltung gestärkt werden. Dabei wird die Zielsetzung der Beratung bereits im Gesetz näher ausgeführt. Das nunmehr als Anspruch ausgestaltete Angebot gem. § 17 Abs. 1 Nr. 3 KJHG sieht vor, dass die Beratung helfen soll, „im Falle der Trennung oder Scheidung die Bedingungen für eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen förderliche Wahrnehmung der Elternverantwortung zu schaffen“. 921 Darüber hinaus hebt § 52 Abs. 1 S. 2 FGG zusätzlich hervor, dass 918 Vgl. jedoch Busch / Rökel FamRZ 2004, S. 1338 f wonach die neue „EU-Verordnung 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und die Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000“, Brüssel IIa (abgedruckt in FamRZ 2004, S. 1443) wegen der einseitigen Bezugnahme der Verordnung auf zivilrechtliche Entscheidungen, die der engen Verflechtung von privatrechtlichem Kindschaftsrecht und öffentlichrechtlichem Jugendhilferecht nicht gerecht wird und zu Anwendungsschwierigkeiten führen kann z. B. im Rahmen von Zuständigkeitsbestimmungen und Bindungswirkung der Entscheidungen. Dies weicht von der bisher einheitlichen Bewertung der Rechtszweige im Rahmen des Haagener Minderjährigenschutz Abkommen (MSA) von 1961 (BGBl. 1971 II S. 219) und das Nachfolgeabkommen, Haagener Kinderschutzübereinkommen vom 19. 10. 1996 (abgedruckt bei Jayme / Hausmann „Internationales Privat- und Verfahrensrecht“, 11. Aufl. 2002, Nr. 55, S. 222) ab, vgl. Busch IPRax 2003, S. 218; Wagner IPRax 2001, S. 76; insb. zum Verhältnis der Abkommen zu Brüssel IIa vgl. Solomon FamRZ 2004, S. 1409 (1414 ff). 919 Zur Anwendung in der Praxis vgl. Losse / Vergho FamRZ 1998, S. 1218 (1219), wonach die Befragung der Familienrichter ergab, dass sie in Fällen an die Beratungsstellen verweisen, in denen offene Fragen in Sorge- und Umgangsrecht der Anlass waren. Dabei hätten sich die Eltern unter Hinweis auf die vorrangigen Bedürfnisse des Kindes motivieren lassen. Zu der Tatsache, dass erfolgreiche Beratungsergebnisse laut Praxiserfahrungen davon unabhängig sind, ob sie aus eigener Initiative der Betroffenen oder durch äußere Einflussnahme erfolgt vgl. Fthenakis FPR 1998, S. 84 f. 920 Vgl. Lossen / Vergho FamRZ 1998, S. 1218 haben in einer sechsjährigen Erhebung die trennungsbezogenen Beratungen des Jugendamtes untersucht. Sie warfen dabei auch die Frage auf, inwieweit das Prinzip der Freiwilligkeit in diesem Zusammenhang gewahrt werde insbesondere bei der gerichtlichen Aufforderung zum Besuch einer Beratungsstelle. Dabei stellten sie zwar fest, dass 12% der befragten Eltern in der retrospektiven Betrachtung die Beratung als unfreiwillig, 36% als eher unmotiviert einschätzen würden. Von dieser Gruppe bewerten 25% die Beratung als erfolgreich. Die Beratungsempfehlung wurde auch im Gesamtergebnis ganz überwiegend nicht als Hindernis empfunden. 82% der ehemaligen Klienten gaben an, dass sie als Gesetzgeber obligatorische Beratung für alle Betroffenen regeln würden; so auch schon Fidgor FPR 1997, S. 282 (284).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

insbesondere die Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge und der elterlichen Verantwortung im Vordergrund steht. Anstelle einer autoritären und fremdbestimmten Regulierung durch das Gericht soll hier zunächst eine familieneigene Lösung begünstigt werden. 922 Die Eltern sollen in die Lage versetzt werden, mit professioneller Hilfe selbständig die bestehenden Konflikte beizulegen. 923 Im Vordergrund stehen dabei vor allem Kindeswohlerwägungen. 924 So zeigen sozialwissenschaftliche Forschungen, dass scheidungsbedingte Entwicklungsstörungen des Kindes umso mehr abgewandt werden, je besser die Eltern kooperieren und Einvernehmen herstellen. 925 Der Schwerpunkt wird damit deutlich verlagert. Der Konflikt wird nicht mehr als unabänderliche Grundlage der Intervention hingenommen. Vielmehr integriert der Interventionsansatz nun stärker eine Konfliktbewältigung und Selbsthilfeelemente. 926 Dies knüpft an den Gedanken der erhöhten Familienautonomie an, der sich auch schon in der gesetzlichen Regulierung der gemeinsamen Trennungssorge gezeigt hat. 927 Höhere Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit, Überwindung der Sorgerechtshindernisse und eine flexiblere Herangehensweise an die Lösungsansätze prägen auf diese Weise auch die außergerichtliche Intervention. 928 Sie ist vor allem aber auf die Vermeidung von zwangsweise vorgenommenen Sorge921

Zu den übrigen Möglichkeiten der Hilfestellung nach KJHG vgl. Balloff FPR 1999, S. 164 (165 f). 922 Vgl. dazu auch Schwab / Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1379); zur äußeren Begünstigung eines Beratungserfolges vgl. auch Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (163); zur Resonanz der Betroffenen ergab die Befragung, dass durchschnittlich 30% der Inanspruchnahme als „sehr hilfreich“ eingestuft wurde, wobei sowohl bei Alleinsorge als auch bei gemeinsamer Sorge die nichtbetreuenden Mütter überproportional die Beratung in Anspruch genommen und für besonders gut gehalten haben, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 161. 923 Vgl. dazu auch Runge FPR 1999, S. 142 (143). 924 Insbesondere zum Aspekt der Trennung von Eltern- und Partnerschaftsebene vgl. Fthenakis „Interventionsansätze während und nach der Scheidung“ in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit, 1986, S. 174 (182). 925 Vgl. Napp-Peters „Familien in der Trennungs- und (Nach)Scheidungssituation“; Proksch FamRZ 1989, S. 916; ders. in Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1989, S. 71 (79); ders. in NDV 1992, S. 317 (319); Mähler FamRZ 1989, S. 935; Dickmeis ZfJ 1989, S. 57 (59); Ollmann FamRZ 1993, S. 869 (870). 926 Vgl. dazu auch Balloff FPR 1999, S. 164 (165) auch zur Gefahr einer Verzögerung effektiver Abwehrmaßnahmen. 927 In diesem Zusammenhang führte auch der Rechtsausschuss in Anlehnung an die Begründung des Bundesrates aus (vgl. dazu BT-Drucks. 13/4899, S. 163; BT-Drucks. 13/ 8511, S. 81): „Die Neuordnung der elterlichen Sorge ist von mehr Elternautonomie bei der Ausgestaltung der sorgerechtlichen Verhältnisse geprägt. Die praktische Handhabung entsprechender Gestaltungsmöglichkeiten erfordert den Ausbau und die Qualifizierung des vorhandenen Beratungsangebots der Jugendhilfe. Zur weiteren Stützung des Anliegens (gilt es), die Bedeutung des Zusammenwirkens und der Einigung der Eltern in Fragen der elterlichen Sorge hervorzuheben.“

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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rechtseingriffen gerichtet und begünstigt damit mittelbar auch die Bewahrung der sorgerechtlichen Mitwirkung beider Eltern. 929 In diesem Zusammenhang ist nun die konkrete Frage zu erwägen, ob die Beratung gezielt auf die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge zu richten ist. Grundsätzlich zielt die Mediation nicht einseitig auf diese Form des Einvernehmens ab. 930 Schon der gesetzlichen Wertung des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 ist zu entnehmen, dass auch die übereinstimmende Entscheidung für die Alleinsorge eines Elternteils so gewertet wird, dass sie ohne den geregelten Kindeswiderspruch dem Interesse des Kindes entspricht. Hinzu kommt, dass der Mediator gerade keine dominante Einflussnahme auf die Parteien ausüben soll, sondern allein die Funktion hat, den Ablauf fachkundig zu begleiten. 931 Seine Vertrauensstellung verlangt es vielmehr, dass er die Eltern nicht zielgerichtet zu manipulieren versucht, sondern an eine von ihnen getragene Lösung für die Umsetzung des Kindeswohls fachkundig heranführt. In dieser zurückhaltenden Rolle ist er aber gleichzeitig auch dem Kindeswohl als oberster Maxime verpflichtet. Dabei nimmt der Mediator zwei Funktionen wahr, die er in diesem engen Handlungsrahmen miteinander vereinen muss. Einerseits soll er helfen, das Kindeswohl durch die elterliche Absprache umzusetzen. 932 Insoweit ist von einer begrenzt aktiven Gestaltungsfunktion zu sprechen. Hier fließt – wie auch bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung – die gesetzliche Gewichtung zugunsten der gemeinsamen Sorge ein. Andererseits gilt es, ein gerichtliches Diktat gegen den Willen eines Elternteils zu umgehen. 933 In die928 Dies birgt jedoch gleichzeitig Hindernisse eigener Art. Das Problem der Inanspruchnahme des Beratungsangebots beruht auf der Stigmatisierung bzw. der diesbezüglichen Befürchtung seitens der Betroffenen. Das Zugeständnis der Hilfebedürftigkeit fällt den Beteiligten oftmals schwer und behindert sie bei der Wahrnehmung des staatlichen Angebots (vgl. Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (162)). Die Verwundbarkeit im Gespräch, die Unsicherheit in der Beratungssituation lässt daher die Eltern gleichsam in das Gerichtsverfahren flüchten, wo sie sich als Statisten in Sicherheit glauben. Gleichzeitig stellt sie Ansprüche an die eigene Mitwirkung und fordert Engagement, das die Stabilität gegenseitiger Schuldzuweisung oder Verurteilung gefährdet. Doch auch darüber hinaus funktionieren die Beratungen nach einer eigenen Gesetzmäßigkeit, die ihre eigenen Widrigkeiten mit sich bringt. Dort, wo das Gericht durch seine autoritäre Objektivität dominiert, ist die jugendamtliche Beratung auf eine Wechselwirkung zwischen Therapeuten und Betroffenen gerichtet. Sie schafft Vertrauen, aber auch Enttäuschung überhöhter Erwartungen (vgl. Suess / Fegert FPR 1999, S. 157 (163)). 929 Vgl. auch Erman / Michalski § 1671 Rz. 43. 930 Dies wurde auch von den Betroffenen bestätigt, indem der überwiegende Anteil angab, dass die Jugendämter bei der Beratung die Anliegen und Positionen akzeptiert haben, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 165. 931 Vgl. Motz FamRZ 2000, S. 857 (858). 932 In diesem Zusammenhang fiel besonders auf, dass bei Alleinsorge signifikant öfter eine Konfliktberatung in Anspruch genommen wurde als bei gemeinsamer Sorge, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 216.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

ser befriedenden Funktion obliegt die Gestaltung des Kindeswohls gerade den Eltern. Dies kann sowohl in der vollständigen Vermeidung einer gerichtlichen Entscheidung – also in der Fortsetzung der gesetzlichen Sorge – als auch in dem Einverständnis zu einem Gestaltungsurteil nach Maßgabe des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 bestehen. Nach beiden Gesichtspunkten steht der Berater unter dem Primat der Konfliktreduzierung und nicht unter dem Primat einer bestimmten Sorgerechtsform. 934 Doch wird daraus mittelbar auch an dieser Stelle vielfach eine Förderung der gemeinsamen Sorge folgen. Denn zum einen ist die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge die maximale Vermeidung der durch das Verfahren geschaffenen Belastung des Kindes. Zum anderen eröffnet die mit der Beratung angelegte Gesprächsbereitschaft und -grundlage ein Fundament für die gemeinsame Elternverantwortung. cc) Verbindung der Interventionsformen Die gerichtlichen und außergerichtlichen Interventionsformen bestehen weitgehend selbständig nebeneinander. So hat das Gericht keinen Einfluss auf die Beratungstätigkeit des Jugendamtes. 935 Eine Rückmeldung an das Gericht darüber, ob die Beteiligten das Beratungsangebot wahrgenommen haben, ist im Gesetz wegen der Freiwilligkeit der Inanspruchnahme nicht vorgesehen. 936 Im Übrigen verlangt es gerade die vertrauensvolle Interventionsform der Mediation, dass die Gespräche nicht ins Sorgerechtsverfahren einfließen. 937 Eine Verquickung der Interventionsformen tritt jedoch in zweifacher Hinsicht auf. Einmal, indem 933 So empfanden der größte Teil der Betroffenen, die eine Beratung in Anspruch genommen haben, den gerichtlichen Hinweis auf die Verknüpfung von jugendamtlicher und gerichtlicher Arbeit für „sehr wichtig“, vgl. Proksch Zwischenbericht II (2001), S. 166. 934 Vgl. Suess / Scheuerer-Englisch / Grossmann FPR 1999, S. 148 (150), die darüber hinaus auch auf die Verbesserung des Kindesverhältnisses zum Alltagssorgeberechtigten starkes Gewicht legen, da dieser oftmals durch die Umstellung der Lebensverhältnisse das Kind durch Verhaltensänderungen zusätzlich belastet. 935 Vgl. Runge FPR 1999, S. 142 (143); wohl eher kritisch Lossen / Vergho FamRZ 1998, S. 1218, die in ihrer sechsjährigen Untersuchung ein Stigmatisierungsrisiko der Beratung im Gericht feststellten. 936 Vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423) mit Hinweis auf die abweichende Regelung im kalifornischen Recht, das eine Pflichtberatung vorsieht; Ausnahme ist in diesem Zusammenhang lediglich hinsichtlich des Abschlusses der Beratungsgespräche bei einer Unterbrechung des Sorgerechtsverfahrens gem. § 52 Abs. 2 FGG z denkbar. 937 Ein Spannungsverhältnis entsteht vor allem im Zusammenhang mit der sog. Gerichtshilfe, bei dem die Jugendhilfe im Rahmen der Anhörung gem. § 49a FGG zur Entscheidungsfindung des Familiengerichts beiträgt. Gem. § 50 Abs. 1 KJHG unterstützt es das Jugendamt bei allen Maßnahmen, die die Personensorge betreffen. Daran knüpft die alte Debatte an, inwieweit die Jugendhilfe in diesem Zusammenhang ein Hilfsorgan der Gerichte wird (zur Beschränkung der jugendamtlichen Zuständigkeit im Rahmen des JGG auf die Rolle eines bloßen Hilfsorgans der Rechtspflege vgl. Kaufmann ZfJ 1991, S. 18 (19); Mörsberger in Wiesner / Zarbock S. 343 (366 ff); Müller-Alten ZfJ 1991, S. 454;

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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das Jugendamt zur Eröffnung eines Gerichtsverfahrens beitragen kann, soweit es Kenntnis von einer Kindeswohlgefährdung erlangt, und zum anderen, indem es als sachverständige Behörde Verfahrensbeteiligter wird und in dieser Eigenschaft auf die Einschätzung des Gerichts einwirkt. Die erste Durchbrechung der unterschiedlichen Interventionsansätze der Gerichte und Jugendämter tritt ein, sobald das Jugendamt Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdung erlangt. Aufgrund der gerichtlichen Mitteilung kann das Jugendamt zunächst prüfen, ob es sich bei den im Scheidungsantrag genannten Beteiligten um eine dort bereits bekannte „Problemfamilie“ handelt, bei der eine zusätzliche Gefährdung der Kinder durch die Einleitung des Scheidungsverfahrens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. In diesen Fällen kann das Jugendamt weitere, über das Beratungsangebot hinausgehende, geeignete Maßnahmen ergreifen. 938 Zum anderen kann sich aber auch im Verlauf der Beratungsgespräche herausstellen, dass die von den Eltern beabsichtigte Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung nicht dem Kindeswohl dient. Im Vordergrund steht dabei vor allem die Ermittlung, ob die künftige Gestaltung der elterlichen Sorge nicht aus vordergründigen, sachfremden Motiven im Scheidungsverfahren ausgeklammert ist. 939 Ist das zu bejahen, so ist es auch unter Beachtung des Beratungsgeheimnisses geboten, auf die Stellung eines Sorgerechtsantrages durch die Beteiligten hinzuwirken oder notfalls selbst im Hinblick auf die Amtspflicht des Jugendamtes zum Schutz von Kindern einen Antrag auf Regelung der elterlichen Sorge zu stellen. 940

BGH FamRZ 1954, S. 219; BayObLG FamRZ 1975, S. 223 ff; OLG Hamm FamRZ 1965, S. 83 ff; Kaufmann in Wiesner / Zarbock, S. 319 (331); Kunkel FamRZ 1993, S. 505; zum heutigen Ansatz vgl. BT / Drucks. 11/5948, S. 87; Rauscher NJW 1991, S. 1087 (1089)). Angesichts der Aufwertung der mediativen Beratung der Jugendhilfe zunächst durch das KJHG v. 1991 und nun durch das KindRG ist eine solche hierarchische Rollenverteilung nicht mehr vertretbar (vgl. Oberloskamp FamRZ 1992, S. 1241; Röchling ZfJ 1992, S. 557 (560); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 23). Dem steht bei Personenidentität des Sozialarbeiters sowohl eine inhaltliche Unvereinbarkeit (so Deutscher Verein zur Beratung in Fragen der Trennung und Scheidung NDV 1992, S. 148 (151); Kaufmann ZfJ 1991, S. 18 (21); Balloff ZfJ 1992, S. 454 (455); Oberloskamp FamRZ 1992, S. 1241 (1245); a. A. Kunkel FamRZ 1993, S. 505; wohl auch a. A. Coester FamRZ 1992, S. 617 (618)) als auch Datenschutzerwägungen gem. §§ 64, 65 KJHG entgegen (vgl. zu diesem Themenkomplex: Mörsberger in Wiesner / Zarbock, S. 343 f; Coester FamRZ 1992, S. 617 (623); Müller-Alten ZfJ 1991, S. 454; Menne ZfJ 1992, S. 132 ff; Balloff ZfJ 1992, S. 454 (455); Proksch in Proksch / Sievering, S. 61 (70 f)). Zum Mindestmaß der Kooperation vgl. aber auch Coester FamRZ 1992, S. 617 (623); Oberloskamp FamRZ 1992, S. 1241 (1248); Oelkers FamRZ 1997, S. 779 (780); OLG Frankfurt FamRZ 1992, S. 206. 938 Vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423). 939 Vgl. BT-Drucks. 13/8511, S. 67, 78; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 6. 940 Vgl. § 50 Abs. 3 KJHG; dazu auch Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Das Jugendamt ergänzt damit das Spektrum der gerichtlichen Intervention nach Maßgabe der §§ 1671, 1666 in zweierlei Hinsicht. Zum einen, indem es dem Gericht Anhaltspunkte für eine überdurchschnittliche Belastung des Kindes im Einzelfall zuträgt. Es schafft damit zusätzliche die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Sorgerechtsverfahrens von Amts wegen. Zum anderen werden die Zwangsmaßnahmen der gerichtlichen Intervention vermieden, indem elterliches Einvernehmen entweder das Sorgerechtsverfahren vollständig erübrigt oder unstreitig stellt. Die zweite Durchbrechung der getrennten Interventionsbereiche entsteht, wenn das Jugendamt neben den Parteien Beteiligter am Sorgerechtsverfahren ist. 941 Dessen Mitwirkung ist darauf gerichtet, die Trennungssituation und die Interessen des Kindes aus der Warte einer außerfamiliären Institution in die Entscheidungsfindung einzubeziehen und damit vor allem ein Gegengewicht zur Darstellung der Eltern zu schaffen. Hier ist die Jugendhilfe anders als bei der mediativen Beratung 942 nicht in erster Linie auf die Vermittlung zwischen den Eltern ausgerichtet. 943 Im Vordergrund steht in diesem Zusammenhang vielmehr die sachkundige Information und Situationseinschätzung gegenüber den Gerichten. 944 Die Anhörung des Jugendamtes ist eine der wichtigsten Erkenntnisquellen des Familiengerichts für die Sachverhaltserschließung im Rahmen der Amtsermittlung. Die gerichtliche Anhörung des Jugendamtes gem. § 49a Abs. 1 Nr. 5, 6 FGG dient dabei einem 941 Zur Beteiligtenstellung vgl. auch Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 22. 942 Vgl. dazu oben unter Abschn. C.III.4. 943 Damit setzt sich der bisherige Zwiespalt zwischen der Beratungstätigkeit und der Familiengerichtshilfe innerhalb des Tätigkeitsfeldes der Jugendhilfe fort. Während die Beratung gem. § 17 KJHG auf eine partnerschaftliche Vertrauensstellung gerichtet ist, durch die die Eltern darin unterstützt werden, eine eigenständige Lösung zu finden, dient die Fachbehörde durch Anhörung gem. § 50 KJHG der Vorbereitung einer hoheitlichen Entscheidung durch das Gericht (vgl. Mörsberger in Wiesner / Zarbock S. 343 (366 ff); Coester FamRZ 1992, S. 617 (619); Hahn in Hahn / Lombert / Offe, S. 71 ff). Diese beiden Funktionen sind grundsätzlich aufgrund ihrer entgegengesetzten Zielsetzungen unvereinbar (so Deutscher Verein zur Beratung in Fragen der Trennung und Scheidung NDV 1992, S. 148 (151); Kaufmann ZfJ 1991, S. 18 (21); Balloff ZfJ 1992, S. 454 (455); Oberloskamp FamRZ 1992, S. 1241 (1245); a. A. Kunkel FamRZ 1993, S. 505; wohl auch a. A. Coester FamRZ 1992, S. 617 (618)). Jedoch hat bereits das KJHG seit Inkrafttreten dazu beigetragen, dass die Eigenständigkeit stärker gewahrt wird (vgl. BT / Drucks. 11/5948, S. 87; Rauscher NJW 1991, S. 1087 (1089); Kaufmann ZfJ 1991, S. 18 (19); Mörsberger in Wiesner / Zarbock S. 343 (366 ff); Müller-Alten ZfJ 1991, S. 454; zur bisherigen Rechtfertigung des extensiven Familiengerichtshilfeverständnisses vgl. BGH FamRZ 1954, S. 219; BayObLG FamRZ 1975, S. 223 ff; OLG Hamm FamRZ 1965, S. 83 ff; Kaufmann in Wiesner / Zarbock, S. 319 (331); Kunkel FamRZ 1993, S. 505). Zur Lösung dieses Zwiespalts, der neben der inhaltlichen Unvereinbarkeit vor allem datenschutzrechtliche Schwierigkeiten aufwirft, wird nun durch die personelle Trennung beider Tätigkeitsbereiche vorgegeben. 944 Zur Besonderheit im Zusammenhang mit der Eilentscheidung vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (589).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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doppelten Zweck: Einmal soll die Behörde über die tatsächlichen Verhältnisse berichten und damit dem Gericht die notwendige tatsächliche Grundlage für die Entscheidung beschaffen. Zum anderen soll die Anhörung die Kenntnisse und Erfahrungen des Jugendamtes im Verfahren vor dem Familiengericht zur Geltung bringen. 945 Das Anhörungsrecht des Jugendamtes vor der Entscheidung entspricht damit weiterhin einem Beteiligungs- und Berichtsrecht gem. §§ 50 KJHG, 49a Abs. 1 FGG. 946 Dabei entsteht eine wechselseitige Pflicht des Gerichts und der Jugendhilfe, diese den Kindesinteressen dienende Ergänzung des Verfahrens 947 sicherzustellen. So besteht einerseits eine Pflicht des Gerichts das Jugendamt anzuhören. 948 Insoweit ist es eine von Amts wegen vorzunehmende Sachaufklärung. 949 Andererseits besteht seitens der Jugendhilfe gleichermaßen eine Mitwirkungspflicht. 950 Sie vollzieht dabei eine gesetzlich verankerte Konkretisierung des wächteramtlichen Schutzauftrages 951, indem sie eine Stellungsnahme abgibt, die einen Entscheidungsvorschlag enthalten soll. 952 Über die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung entscheidet der Mitarbeiter des Jugendamtes selbst. 953

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Vgl. dazu schon nach der alten Rechtslage MüKo / Hinz § 1671 Rz. 95 mwN. Vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (589); Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 368. 947 Vgl. dazu Oelkers FPR 1997, S. 78 (80); OLG Köln FamRZ 1995, S. 1593; insbesondere genügt es daher nicht, die Einlassung des Jugendamtes in einem anderen Verfahren heranzuziehen (vgl. OLG Köln FamRZ 1995, S. 1593 (1594)). 948 Eine diesbezügliche Unterlassung ist ein schwerwiegender Verfahrensverstoß und rechtfertigt eine Aufhebung des Urteils und eine Rückverweisung, vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 95; Oelkers FPR 1997, S. 78 (80); OLG Celle FamRZ 1990, S. 1026 f = NJW-RR 1990, S. 1290; OLG Hamm DAVorm 1982, S. 988 (989); soweit sich die örtliche Zuständigkeit gem. §§ 87b Abs. 1 S. 1, 50 Abs. 1 S. 2, 86 KJHG auf mehrere Jugendämter erstreckt, da Eltern und Kinder in verschiedenen JA-Bezirken ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, so müssen alle Jugendämter gehört werden (vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 467; BayObLG FamRZ 1987, S. 619 (620)). 949 Vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 95. 950 Vgl. OLG Oldenburg NJW-RR 1996, S. 650 – insbesondere kann es im Zusammenhang mit der Familiengerichtshilfe die Mitwirkung nicht mit dem Hinweis verweigern, dass die Beratungstätigkeit entgegenstehe, vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1992, S. 206 = DAVorm 1991, S. 1075 (1076); OLG Oldenburg NJW-RR 1996, S. 650; Coester FamRZ 1992, S. 617 (623); Oberloskamp FamRZ 1992, S. 1248; zur insoweit korrespondierenden Pflicht der Gerichte, auf die Wahrnehmung dieses Anhörungsrechts der Jugendhilfe hinzuwirken, vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 95; OLG Hamm DAVorm 1982, S. 988 (989). 951 Jedoch kann das Gericht die Mitwirkung nicht mit Zwangsgeld erzwingen, vgl. OLG Schleswig FamRZ 1992, S. S. 1129; OLG Oldenburg NJW-RR 1996, S. 650; a. A. OLG Frankfurt FamRZ 1992, S. 207. 952 Umstritten ist, ob der Entscheidungsvorschlag zwingend ist, vgl. dazu Oelkers FPR 1997, S. 78 (80); abschlägig Johannsen / Henrich / Sedemund-Treiber § 621 ZPO Rz. 42; Oberloskamp FamRZ 1992, S. 1241 (1244); OLG Köln FamRZ 1995, S. 1593 (1594); 946

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Damit wird der Jugendhilfe eine Doppelfunktion im Rahmen des Verfahrens zugewiesen: Zunächst hat ihre Mitwirkung den deutlichen Einschlag einer Sachverständigeneinschätzung. 954 So fungiert das Jugendamt als eine Fachbehörde, die aufgrund eigenen Augenscheins fachbezogene Beurteilung der Sachlage einbringt. Zwar handelt es sich hier nicht um eine Beweisaufnahme iSd § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO, jedoch dient es der zielgerichteten Ergänzung fehlender Sachkunde der Gerichte. Gleichzeitig arbeitet es dem Gericht als Tatsachenmittler gleichsam zu und ersetzt dessen eigene Sachverhaltsermittlung. Die Anhörung stellt also in gewisser Weise Amtshilfe bei der Beschaffung von Informationen dar. In diesem Zusammenhang ist die jugendamtliche Ermittlung im Vorfeld der Verhandlung auch zur Vorbereitung der Eltern gedacht. In der Besprechung mit einem außenstehenden Dritten können die Eltern neue Einsichten entwickeln und zu einem gemeinsamen Vorschlag für das Verfahren gelangen. 955 Doch bleibt die Mitwirkung des Jugendamtes insgesamt eigenverantwortlich und macht es nicht zu einem bloßen Hilfsorgan des Gerichts. 956 Für die konkrete Abwägung zwischen den Sorgerechtsformen ist die Jugendhilfe vor allem in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen dient die Sachverhaltsdarstellung dazu, dem Gericht Einblick in die tatsächlichen Verhältnisse zu geben und auf diese Weise vor allem Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung aufzuweisen. Daher ist das Jugendamt auch dann zu hören, wenn die Eltern mit einem einvernehmlichen Antrag die Alleinsorgeübertragung auf einen der beiden beantragen 957 oder wenn das Familiengericht einem Antrag nicht entsprechen will. 958 Bei drohender Gefahr kann das Jugendamt in dieser Funktion auch außerhalb eines bereits anhängigen Verfahrens das Familiengericht anrufen. 959 In OLG Schleswig FamRZ 1994, S. 1129; anders hingegen noch BGH FamRZ 1986, S. 895f = NJW 1987, S. 1024 (1026). 953 Jedoch kann das Gericht den Mitarbeiter des Jugendamtes darüber hinaus auch als Zeugen vernehmen. Dann benötigt dieser jedoch eine Aussagegenehmigung gem. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, vgl. dazu Johannsen / Henrich / Sedemund-Treiber § 621 ZPO Rz. 42; Oberloskam FamRZ 1992, S. 1241 (1248); OLG Hamm FamRZ 1992, S. 201. 954 Vgl. Johannsen / Henrich / Sedemund-Treiber § 621 ZPO Rz. 42; Oberloskamp FamRZ 1992, S. 1241 (1244), die von sachverständigen Amtshilfe spricht. 955 Vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 465. 956 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 23; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 95; OLG Köln FamRZ 1981, S. 599; zur vorherigen Beschränkung der jugendamtlichen Zuständigkeit auf die Rolle eines bloßen Hilfsorgans der Rechtspflege vgl. Kaufmann ZfJ 1991, S. 18 (19); Mörsberger in Wiesner / Zarbock S. 343 (366 ff); Müller-Alten ZfJ 1991, S. 454; BGH FamRZ 1954, S. 219; BayObLG FamRZ 1975, S. 223 ff; OLG Hamm FamRZ 1965, S. 83 ff; Kaufmann in Wiesner / Zarbock, S. 319 (331); Kunkel FamRZ 1993, S. 505; zum heutigen Ansatz vgl. BT / Drucks. 11/5948, S. 87; Rauscher NJW 1991, S. 1087 (1089). 957 Vgl. OLG Hamm DAVorm 1982, S. 988 (989). 958 Vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 466; OLG Celle FamRZ 1990, S. 1026 (1027).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Hinblick auf die Gewichtung der Trennungssorge ist das Jugendamt in seiner Sachkunde und Erfahrung auf besondere Weise gefordert, die Sorgerechtsformen anhand der tatsächlichen Verhältnisse wertend einander gegenüberzustellen. Dies ist vor allem von Bedeutung für die Einschätzung der bestehenden gemeinsamen Sorge. Anhand der verfügbaren Erfahrungen und fachbezogenen Sachkunde kann der Sozialarbeiter einschätzen, inwieweit es nach den Bedingungen des Einzelfalls geboten erscheint, die bestehenden Sorgerechtsverhältnisse aufzuheben. Insbesondere gilt es, anhand der konkreten Anschauung zu prognostizieren, wie sich die Umstände voraussichtlich entwickeln werden und welche Auswirkungen auf das Kind zu erwarten sind. Danach kann das Gericht die Aussetzung der Verfahren anordnen, wenn sich daraus ergibt, dass eine Beratung Aussicht auf Erfolg haben könnte, oder den Antrag abweisen, da die Aufhebung der gemeinsamen Sorge für das Kindeswohl nicht dienlich ist. b) Gerichtliche Anhörungs- und Hinweispflicht Die zweite zentrale Form der mittelbaren Intervention besteht in der Anhörungsund Hinweispflicht 960 der Gerichte gem. § 613 Abs. 1 S. 2 ZPO. 961 Danach ist das Familiengericht im Scheidungsverfahren neben dem Hinweis auf die Beratungsmöglichkeiten auch zur Anhörung der Eheleute zur elterlichen Sorge verpflichtet. 962 Auch ohne Antrag auf Übertragung der Alleinsorge weist das Gesetz dem Gericht damit eine eingeschränkte Kompetenz zu, in Hinblick auf die Wahrung des Kindeswohls zu ermitteln. 963 Die dahingehende Intervention trägt sowohl Züge der Aufklärung und Hilfestellung als auch der Kontrolle, ob die Eltern ihre Verantwortung tatsächlich wahrnehmen. aa) Inhalt der gerichtlichen Aufklärungspflichten Diese mittelbare Sorgerechtsintervention richtet sich zum einen auf eine rechtliche Aufklärung der Beteiligten. Es obliegt dem Gericht hier, die wesentlichen 959 Vgl. § 50 Abs. 3 KJHG, vgl. dazu auch Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 465. 960 Der Zeitpunkt dieser Rahmenintervention des Gerichts ist unscharf. Die Anhörung nach § 613 ZPO soll trotz der Vorgabe des § 52 FGG, der das Einvernehmen so früh wie möglich vorgibt, nicht mit dem ersten frühen Termin erfolgen, vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (591); Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (265); vgl. dazu auch Willutzki Kind-Prax 1998, S. 37 (39), der jedoch zu dem Zeitpunkt der Anhörung keine präzisen Angaben macht. 961 Vgl. zur Bedeutung der Ergänzung des § 613 ZPO durch Anhörungs- und Hinweispflicht Büttner FamRZ 1998, S. 585 (591). 962 Sie setzt – wie auch die gezielte Beratungsinformation der Jugendhilfe – voraus, dass die Eltern mit dem Scheidungsantrag pflichtgemäß die vorhandenen gemeinsamen Kinder nennen und schließt auch hier eine gezielte Intervention außerhalb der Eheauflösung aus. 963 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 17.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Unterschiede der Sorgerechtsformen deutlich zu machen und auf die rechtlichen Konsequenzen des Stellens bzw. Nichtstellens eines Alleinsorgeantrags gem. § 1671 hinzuweisen. Der Familienrichter hat die Folgen der gemeinsamen Sorge insbesondere die Regelung für die Geschäfte des täglichen Lebens und diejenigen einer alleinigen Sorge zu erläutern, um die Eltern in die Lage zu versetzen, eine bewusste Entscheidung zum Fortbestand der gemeinschaftlichen Verantwortung für das gemeinsame Kind zu treffen. 964 In einem zweiten Schritt richtet sich die Anhörung auf die konkrete Gestaltung der gemeinsamen Sorge. So gilt es sicherzustellen, dass die Eltern sich über die wesentlichen Gesichtspunkte der elterlichen Sorge – wie z. B. Aufenthaltsort des Kindes, Umgang, Versorgung, Besuch weiterführender Schulen – hinreichend verständigt haben. 965 Damit nimmt das Gericht einerseits eine Warnfunktion wahr, indem es den Eltern im Rahmen der emotionalen Anspannung der Scheidung ihre Verantwortung für das Kind vor Augen führt. 966 Dadurch soll gleichzeitig erreicht werden, dass die Eltern die Frage der elterlichen Sorge nicht aus vordergründigen Erwägungen aus dem Scheidungsverfahren ausklammern, sondern zur Wahrung des Kindeswohls eine bewusste Entscheidung bzw. Regelung treffen. 967 Als obligatorischer Bestandteil des Verfahrens wird das Gericht die Eltern voraussichtlich dazu veranlassen, sich im Vorfeld des Scheidungsverfahrens zu verständigen, um auf die gerichtliche Anhörung vorbereitet zu sein.

964 Vgl. zur besonderen Bedeutung der bewussten Entscheidung für die Ausübung der gemeinsamen Sorge auch Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146 (147). 965 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 160; 13/8511, S. 78; dazu auch Runge FPR 1999, S. 142 (143). 966 Es heißt dazu in der Stellungsnahme des Bundesrates (BT-Drucks. 13/4899, S. 160 ff): „Die (hierdurch) gestärkte Verantwortung der Eltern setzt aber voraus, dass diese das Wohl ihrer Kinder nicht aus dem Blick verlieren (...), sondern zur Wahrung des Kindeswohls eine bewusste Entscheidung für den Fortbestand der gemeinsamen Sorge oder für den Wunsch nach einer gerichtlichen Regelung treffen. (Durch die Anhörung) wird zugleich sichergestellt, dass das Gericht die notwendigen Informationen erhält, sollte im Einzelfall zur Wahrung des Kindeswohls aufgrund schwerwiegender Interventionsgründe die Einleitung eines Verfahrens von Amts wegen nötig werden.“ 967 Vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423); vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 56; diese Funktion wird noch vertieft durch die offene Konventionalentscheidung gem. § 630 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, demzufolge bei unstreitiger Scheidung eine einvernehmliche Erklärung beider Ehegatten abgegeben werden muss, dass Anträge zur Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge für die Kinder auf einen Elternteil und zur Regelung des Umgangs der Eltern mit den Kindern nicht gestellt werden (vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann / Albers § 630 Rz. 1). Die Erklärung der Ehegatten, keinen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge stellen zu wollen, ruft also gerichtlich zumindest formal eine bewusste Entscheidung zugunsten der Fortsetzung gemeinsamer Sorge ab (vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 123 f; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 288).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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bb) Zielsetzung der Anhörung Das Ziel dieser Anhörung im Scheidungsverfahren ist es, die Wahrung des Kindeswohls auch ohne Sorgerechtsverfahren sicherzustellen. Das Gericht wird damit außerhalb einer gestaltenden Eingriffskompetenz zunächst beratend und korrigierend tätig. 968 So leitet es die Eltern zu einer sachgerechten Herangehensweise an den sorgerechtlichen Handlungsbedarf heran und wendet damit die stärker autoritäre Regulierung des Sorgerechtsverfahrens durch Vermeidung kindeswohlwidriger Entwicklungen oder Konflikte ab. Gleichzeitig bekommt das Gericht aber auch die Gelegenheit, eigene Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung aufzudecken. 969 Vermeidung oder Vorbereitung gerichtlicher Eingriffe liegen hier eng nebeneinander. Dies kompensiert zu einem wesentlichen Teil die Beschränkungen der wächteramtlichen Eingriffsbefugnisse. Denn obgleich die Zwangsintervention aufgehoben wurde, bietet das Scheidungsverfahren auf diese Weise nach wie vor einen Anknüpfungspunkt, die familieneigene Wahrung der Kindesinteressen sicherzustellen. An die Stelle tritt auch hier wie bei der jugendamtlichen Beratung die Unterstützung einer familieneigenen Lösung. Doch hängt die Wirksamkeit dieser Interventionsform wesentlich davon ab, dass die Eltern kooperativ und offen sind. 970 Anderenfalls droht die Anhörung zu einer bloßen Formalie zu werden. 971 Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, welche gerichtlichen Anforderungen an die positive Entscheidung der Eltern zugunsten der gemeinsamen Sorge gestellt werden sollen. 972 Sie sind vorsichtig abzuwägen. Zum einen verzichtet das Gesetz bewusst auf die Vorlage eines Sorgerechtsplans. 973 Die Eltern sollen nicht zu einem umfassenden Rechenschaftsbericht und damit gegebenenfalls zu 968

Gegen die Annahme eines solchen gerichtlichen Fragerechts vgl. hingegen Salgo FamRZ 1996, S. 449 (451). 969 Vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423); Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 274 f. 970 Insoweit Zweifel zur Realisierbarkeit aufwerfend Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (424). 971 Vgl. dazu vor allem Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423); in diesem Zusammenhang sei auch auf die alten Bedenken verwiesen, dass die Gerichte aufgrund ihrer Arbeitsüberlastung nur oberflächliche Ermittlungen durchführen, die den Anforderungen an einen effektiven Schutz der Kindesinteressen nicht genügen, vgl. zur Debatte innerhalb der alten Rechtslage Lempp „Gerichtliche Kindes- und Jugendpsychiatrie“, S. 15; Magnus / Dietrich FamRZ 1986, S. 416 (419); allgemeiner zur Überforderung der Richter zu einer sachgerechten Würdigung der Einzelfallbedingungen vgl. Fthenakis in den Brühler Schriften zum Familienrecht, 5. DFGT (1983), S. 33 (38); vgl. dazu auch Puls ZfJ 1984, S. 8 (13). 972 Zu dieser Problematik vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 66 f. 973 Vgl. dazu Ausführungen des Regierungsentwurfes, BT-Drucks. 13/4899, S. 66 f,78; kritisch Oelkers FPR 1999, S. 132 (134); ders. eher vermittelnd FPR 1997, S. 78 (81), wonach die Anwälte auf eine Verständigung zwischen den verhärteten Fronten hinzuwirken

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

einer voreiligen Festlegung veranlasst werden. Es gilt, die aus den §§ 1671, 1687 hervorgehende elterliche Erziehungsautonomie zu beachten. So soll es grundsätzlich keine trennungsspezifische Intervention gegen den Willen der Eltern geben. Das heißt, die Anhörung darf nicht zu einer zwangsweise vorzunehmenden Ausweitung der Intervention ohne materiell-rechtlichen Eingriffstatbestand gestreckt werden. Die Reichweite beschränkt sich daher grundsätzlich auf die Sicherstellung eines elterlichen Problembewusstseins und nimmt an Intensität in dem Maße zu, in dem sich Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung ergeben. Die Eingriffslegitimation verlagert sich dabei auf § 1666, indem nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Anhörung als Abwehrmaßnahme das zunächst mildeste Mittel darstellt. In diesem Zusammenhang kann dann neben die Anhörung der Eltern im Einzelfall auch die nicht ganz unumstrittene Anhörung des Kindes treten. 974 Sie ist gesetzlich nicht geregelt, erscheint aber zur wirksamen Abwehr der Kindeswohlgefährdung im Zweifelsfall erforderlich. Nach Verhältnismäßigkeitserwägungen rechtfertigt sich eine solche Maßnahme zumindest aufgrund der gerichtlichen Eingriffsbefugnis von Amts wegen gem. § 1666. Dieses subsidiäre Ermittlungsinstrumentarium ist demzufolge eröffnet, wenn das Gericht aufgrund der Einlassung der Eltern den Eindruck gewinnt, dass sie nicht zutreffend über das Kind berichten. Gleiches gilt, wenn sie sich weigern, über formale Aussagen hinaus die tatsächlichen Verhältnisse preiszugeben. 975

haben; entsprechend auch Reeckmann-Fiedler FPR 1999, S. 146 (147), die demgegenüber vor allem darin eine wesentliche Funktion der Anwälte im Scheidungsverfahren sieht, die Eltern zur Erstellung eines Sorgerechtsplans anzuleiten. Zum historischen Kontext vgl. Kap. A., Abschn. IV.2.b). 974 In diesem Zusammenhang tritt auch die Problematik auf, inwieweit die Kindesanhörung im Scheidungsverfahren zulässig ist. Als einen einschneidenden Verlust der Wahrnehmung kindlicher Interessen durch das Gericht wird angesehen, dass durch das Gericht außerhalb des Antragsverfahrens keine Kindesanhörung vorgesehen ist. Dies führt sogar vereinzelt zu der Überlegung, ob für den engagierten Familienrichter nicht jede Elternscheidung eine Kindeswohlgefährdung indiziere, so dass sich ein Anhörungsrecht aus § 1666 ergebe (vgl. Lossen FuR 1997, S. 100 (102)). Wenn hingegen das Gericht den Eindruck bekommt, dass die Eltern sich entweder nicht hinreichend auf die Anhörung einlassen oder unzureichend die Belange des Kindes wahrnehmen, so soll das Gericht von der subsidiären Anhörung des Kindes bereits außerhalb des Sorgerechtsverfahrens Gebrauch machen (vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (424 f), die diese Anhörung aus einem eigenen Recht des Kindes ableiten gem. Art. 6 Abs. 2 GG sowie Art. 1 Abs. 1 iVm 103 GG. In diesem Zusammenhang stützen sich die Autoren im Wesentlichen auf Verhältnismäßigkeitserwägungen, indem sie aufzeigen, dass die Wahrnehmung durch einen Verfahrenspfleger mangels eines das Kind betreffenden Verfahrens gem. § 50 FGG nicht möglich ist und daher eine Regelungslücke besteht. Eine weitere Rechtfertigung einer solchen Anhörung sehen die Autoren in § 1666, da die Reichweite nach Wegfall des § 1671 a.F. erheblich erweitert worden sei.). 975 Vgl. Bermann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (424).

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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cc) Konkrete Maßnahmen aufgrund der Anhörung Diese mittelbare gerichtliche Intervention umfasst ein abgestuftes Spektrum von Maßnahmen. Sie ist zunächst auf die kindeswohlgerechte Umsetzung des gemeinsamen Sorgerechts gerichtet. Dies schließt sowohl das Einwirken auf eine sachgerechte Sorgerechtsabsprache zwischen den Eltern ein als auch gegebenenfalls auf ihre Bereitschaft, die gemeinsame Elternsorge fortzusetzen. Dabei kann das Gericht den Eltern vor allem die Bedeutung dieser Sorgerechtsform für das gemeinsame Kind erläutern und damit auch psychologisch noch zusätzlich an das Verantwortungsgefühl und die Verantwortungsbereitschaft der Betroffenen appellieren. 976 Gleichzeitig können auf diese Weise Maßnahmen gegen einen Boykott der gemeinsamen Sorge durch einen Elternteil bereits im Vorwege ermöglicht werden. 977 Mit dieser vorwiegend beratenden Einflussnahme greift das Gericht unmittelbar das Instrumentarium der Mediation auf. 978 Diese gerichtlichen Mediationsansätze ergänzen hier gezielt die Beratungsintervention. 979 So wird die mediative Rolle des Gerichtes vor allem in §§ 52 Abs. 1 FGG, 613 Abs. 1 ZPO hervorgehoben. Sie verankern den neuen Grundsatz, dass die Gerichte in jeder Phase auf eine gütliche Einigung bzw. Einvernehmen der Beteiligten hinwirken. 980 Zwar ist dies primär im vor- und außergerichtlichen Bereich angesiedelt und in die Zuständigkeit des Jugendamtes gegeben. Mediation im eigentlichen Sinne soll im gerichtlichen Verfahren gar nicht stattfinden können, weil die fehlende Entscheidungsmacht des Jugendamtes gerade als die Voraussetzung für sein erfolgsversprechendes Tätigwerden angesehen wird. 981 Doch ist in diesem Sinne von Bedeutung, dass im Scheidungsprozess die Elternsorge nicht der Verfahrensgegenstand ist und diese daher auch durch das Gericht in neutralisierter Weise erörtert werden kann. Eine andere Maßnahmengewichtung ergibt sich, wenn das Gericht zu dem Eindruck gelangt, dass die gemeinsame Sorge im konkreten Einzelfall nicht die geeignete Sorgerechtsform ist. Hier können verschiedene Maßnahmen geboten 976 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 44; Runge FPR 1999, S. 142 (143). 977 Vgl. Runge FRP 1999, S. 142 (143). 978 Vgl. Oelkers FPR 1999, S. 132 (137); Scholz FPR 1999, S. 62 (71); befürwortend zur Abwandlung des Entscheidungsprozesses zur Mediation vgl. auch Salzgeber FPR 1998, S. 80 (83). 979 Doch vgl. auch BT-Drucks. 13 /4899, S. 75, wonach das Gesetz andererseits darauf verzichtet, die Beratung und Mediation in streitigen Sorgerechtsangelegenheiten dem Gericht als zusätzliche Aufgabe zu übertragen; zur Frage, wie die Mediation auch stärker ins streitige Sorgerechtsverfahren eingegliedert werden kann, vgl. Spangenberg FamRZ 1997, S. 1263; De Witt FamRZ 1998, S. 211 (212). 980 Zum Einsatz von Mediation vgl. Spangenberg FamRZ 1997, S. 1263 f; Rauscher FamRZ 1998, S. 329 (340). 981 Vgl. De Witt FamRZ 1998, S. 211 (212).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

sein. Neben der Aufforderung zur Inanspruchnahme der jugendamtlichen Beratung ist hier zunächst denkbar, dass das Gericht darauf hinwirkt, dass die Eltern ein Antragsverfahren anstrengen. Die Anhörung ist damit die beratende Vorbereitung auf ein Sorgerechtsverfahren. Darüber hinaus kann die Anhörung aber auch die erste Maßnahme zum wächteramtlichen Schutz des Kindes gem. § 1666 sein. Sowohl die Anhörung als auch der übrige Eindruck vom Elternverhältnis im Laufe des Scheidungsverfahrens kann zur Eröffnung eines Sorgerechtsverfahrens von Amts wegen führen. 982 Dies ist zum einen denkbar, wenn gerichtsbekannt wird, dass die Eltern die gemeinsame Sorge faktisch nicht ausüben oder nicht auszuüben beabsichtigen. Diese Erkenntnisse können Hinweise darauf geben, dass die Eltern das sorgerechtliche Verfahren bewusst meiden, um eine staatliche Einmischung oder Kontrolle zu verhindern. Ein weiterer Anknüpfungspunkt ergibt sich, wenn nach einiger Trennungszeit ein Sorgeberechtigter die Ausübung seiner Rechtsposition gegen den Widerstand des anderen Teils gerichtlich durchzusetzen versucht. Das besondere Augenmerk richtet sich in diesem Zusammenhang jedoch auf extreme Problemkonstellationen innerhalb der Elternbeziehung. Anlass kann hier vor allem der Eindruck im Scheidungsverfahren bieten, dass offener Hass oder Kompromissunfähigkeit das Verhältnis charakterisieren. Im Übrigen kann sich der Eingriff daraus ergeben, dass die Eltern Indifferenz oder Überforderung mit gemeinsamer Sorge erkennen lassen. Spezifisches Augenmerk richtet sich dabei auf den Aufenthalt des Kindes, den Unterhalt und gegebenenfalls auf seine gesundheitliche und schulische Situation. 983

982 Vgl. in BT-Drucks. 13/4899, S. 160 f heißt es dazu: „Die Neufassung von § 1671 und § 623 ZPO bewirkt, dass das Gericht über die Regelung der elterlichen Sorge nur noch auf Antrag der Parteien zu entscheiden hat. Stellt keiner der Eltern einen Antrag, bleibt die gemeinsame Sorge bestehen. Die hierdurch gestärkte Verantwortung der Eltern setzt aber voraus, dass diese das Wohl ihres gemeinsamen Kindes im Scheidungsverfahren nicht aus dem Blick verlieren, sondern sich bewusst und in Kenntnis der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten entscheiden, ob sie von einem Antrag auf Regelung der elterlichen Sorge absehen. Das Gericht muss – auch wenn eine Entscheidung von Amts wegen vorbehaltlich schwerwiegender Interventionsgründe im Sinne von §§ 1666, 1666a nicht mehr vorgesehen ist – zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Frage der Sorge mit den Parteien erörtern. (.) Nur so kann gewährleistet werden, dass die Eltern die künftige Gestaltung der elterlichen Sorge nicht aus vordergründigen Motiven im Scheidungsverfahren ausklammern, sondern zur Wahrung des Kindeswohls eine bewusste Entscheidung für den Fortbestand der gemeinsamen Sorge oder für den Wunsch nach einer gerichtlichen Regelung treffen.“ 983 Vgl. Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423), mit der Mahnung, dass der Zweck der Vorschrift verfehlt werde, wenn sich der Richter mit einer oberflächlichen Befragung und einem Scheinkonsens der Eltern zufrieden gebe.

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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c) Der Verfahrenspfleger oder „Anwalt des Kindes“ Mit dem Verfahrenspfleger hat die Kindschaftsrechtsreform die lange eingeforderte Institution des „Anwalts des Kindes“ geschaffen. 984 Sie schafft die Möglichkeit, dem minderjährigen Kind einen Pfleger für ein Verfahren zu bestellen, soweit es seine Person betrifft und dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. 985 Mit dem „Anwalt des Kindes“ wird dem Kind erstmalig eine eigene Position im Sorgerechtsverfahren eingeräumt. 986 Vorrangig soll auf diese Weise verhindert werden, dass das Kind zum bloßen Objekt der Verhandlung degeneriert, ohne dass eigene Sichtweisen und Wünsche angemessen vertreten werden. 987 Der „Anwalt des Kindes“ soll als Verfahrensbeteiligter dem Kind eine eigene Stimme verleihen, seine Sichtweise in das Verfahren einführen und dafür sorgen, dass die Interessen des Kindes nicht außer Acht gelassen werden. 988 Im Rahmen des reformierten Sorgerechts und der veränderten Beurteilung der Trennungssorge repräsentiert der Verfahrenspfleger einen weiteren Aspekt der veränderten Verfahrensmaximen. Das Sorgerechtsverfahren bezieht hier neben dem Jugendamt ein weiteres signifikantes Korrektiv in den Entscheidungsprozess ein. Denn über die persönliche Einschätzung der Eltern hinaus wird eine Institutionen geschaffen, welche die familieninterne Darstellung in Frage stellt, so dass der Parteienvortrag durch die Sichtweise neutraler Außenstehender ergänzt wird. 989 Neben dem formaljuristischen Ansatz des Familiengerichts fließen hier sozialpädagogische und psychologische Gesichtspunkte verstärkt in die Einzel984 Vgl. Johannsen / Henrich / Sedemund-Treiber § 621 ZPO Rz. 43; zur Diskussion im Vorfeld der Reform vgl. Salgo „Der Anwalt des Kindes“, S. 19 ff; Zenz „Kindesmisshandlung und Kindesrechte“, S. 400; Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 58 ff; Simitis ebenda, S. 122; Fthenakis / Niesel / Kunze „Ehescheidung“, S. 215 ff; Jopt ZfJ 1996, S. 210; Dickmeis ZfJ 1993, S. 222 (225); Peschel-Gutzeit FuR 1993, S. 206; Steindorff FuR 1991, S. 214 (215). 985 Vgl. dazu Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459). 986 Vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. I Rz. 417; vgl. dazu auch schon AG Mönchengladbach-Rheydt FamRZ 1986, S. 389 (391 f) mit Anm. v. Luthin; kritisch Kohler ZfJ 1999, S. 128 (130), im Amt des Verfahrenspflegers gerade keine bedeutsame Aufwertung des Kindes erkennen kann. 987 Vgl. OLG München FamRZ 2002, S. 563; Will ZfJ 1998, S. 1 (5); zur verfassungsrechtlichen Würdigung der angemessenen wächteramtlichen Umsetzung vgl. BVerfG FamRZ 2004, S. 86 f. 988 Vgl. BVerfG FamRZ 2007, S. 105 (107); Salgo ZfJ 1985, S. 269; Willutzki FPR 1998, S. 94 (97); vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. Nov. 1989, wonach dem Recht des Kindes zur freien Meinungsäußerung Nachdruck verliehen wird, indem insbesondere in Gerichts- und Verwaltungsverfahren dem Kind Gelegenheit zu geben ist, unmittelbar oder durch einen Vertreter gehört zu werden, vgl. Baer FuR 1990, S. 192 (194 f) mit Bedenken in Hinblick die konventionskonforme Wertung des § 50b FGG; Steindorff FuR 1991, S. 214 (215). 989 Vgl. OLG München FamRZ 2002, S. 563.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

fallbeurteilung ein. Anders als bloße Sachverständige wirken sie unmittelbar an der Entscheidungsfindung mit. 990 Gerade darin liegt ihre besondere Bedeutung. So verlagert sich das Verfahren – wie auch schon durch die gestärkte Position des Jugendamtes – von einer rein rechtlichen zu einer interdisziplinären Ausrichtung, bei der die verschiedenen Kräfte sich um eine ganzheitliche Einschätzung des Kindeswohls bemühen. Dies schafft die Möglichkeit, die vielfältigen Facetten der Kindesinteressen einzubeziehen und den erforderlichen Raum für die Gesamtwürdigung zu schaffen. Diese ist von großer Bedeutung für die Gegenüberstellung der Sorgerechtsformen. Es schafft eine weitere Kontrollmöglichkeit, die Entscheidung des Antragstellers zur Alleinsorge auf seine Motivation und Kindeswohlorientierung zu überprüfen. Darin zeigt sich ein weiteres Mal der allgemeine Wandel, die sorgerechtliche Streitigkeit nicht mit autoritärem Rechtsspruch, sondern mit einer behutsamen Vermittlung der vielfältig einfließenden Interessen beizulegen. Wenngleich allgemein befürwortet wird, die Position des Kindes zu stärken, so bleibt die Einführung des Verfahrens dennoch zwiespältig. Denn die damit verbundene Polarisierung der Eltern- und Kindespositition, die drohende Verkomplizierung der Verhandlung und die unklare Stellung des Verfahrenspflegers führen zu unterschiedlichen Erwartungen an dieses Reformelement. Die kontroverse Beurteilung wirkt sich sowohl auf die Einschätzung der Voraussetzungen für die Bestellung als auch auf diejenige der Funktion des Verfahrenspflegers aus. aa) Bestellung des Verfahrenspfleger Die Bestellung des Verfahrenspflegers ist in § 50 FGG geregelt. Danach sieht die Generalklausel des Abs. 1 zunächst vor, dass das Gericht dem minderjährigen Kind einen Pfleger für ein seine Person betreffendes Verfahren bestellen kann, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Gemeint sind alle Verfahren, die die Lebensführung und die Lebensstellung des Kindes betreffen, soweit sie sich nicht ausschließlich auf das Vermögen beziehen. 991 Der Begriff entspricht der Formulierung des § 59 Abs. 1 S. 1 FGG und geht damit über die elterliche Sorge hinaus. 992 Zuständig für die Einrichtung der Verfahrenspflegschaft 990

Zur Mitwirkung an der Lösungsfindung vgl. Stadler / Salzgeber FPR 1999, S. 305 f. Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 131; Bergmann / Gutdeutsch FamRZ 1999, S. 422 (423); Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50 Rz. 5; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 322; Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 417; unter besonderer Bezugnahme auf Umgangsregelungen vgl. auch Rauscher FamRZ 1998, S. 329 (340). 992 Vgl. Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50 Rz. 5; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 322; vgl. dazu BT-Drucks. 13/4899, S. 130, wonach der Verfahrensbegriff ebenso weit gefasst ist wie der des § 59 Abs. 1 FGG und bewusst weniger weit als der der §§ 57 Abs. 1 Nr. 7 FGG, 23b Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GVG, 621 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO. 991

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ist das Familiengericht, das mit dem Verfahren befasst ist. 993 Es hat deren Erforderlichkeit von Amts wegen zu prüfen. Die Auswahl des Pflegers steht im Ermessen des Gerichts. 994 Dabei konkretisiert das Gesetz in § 50 Abs. 2 FGG Regelbeispiele, in denen die Bestellung des Verfahrenspflegers idR erforderlich ist. 995 Demnach wird trotz der Gesetzesformulierung allgemein davon ausgegangen, dass seitens des Familiengerichts kein Ermessen besteht, wenn die Tatbestandvoraussetzungen vorliegen. 996 Das bedeutet, dass in den aufgezählten Fallkonstellationen im Regelfall der Pfleger zu bestellen ist, da in diesen die erstrebten Eingriffe in die Lebensumstände des Kindes besonders schwerwiegend erscheinen und daher nahezu immer mit einem erheblichen Interessenkonflikt mit den übrigen Verfahrensbeteiligten zu rechnen ist. 997 Für die Annahme eines diesbezüglichen Ausnahmefalls ist insbesondere von Bedeutung, ob und wie das Kind in der Lage ist, seine Interessen selbst zu vertreten. Hier kommt es vor allem auf das Alter und die geistige Reife des Kindes an; je jünger das Kind ist, desto dringender ist davon auszugehen, dass es einen Pfleger zur Unterstützung benötigt. 998 Grundsätzlich führt § 50 Abs. 2 FGG drei Konstellationen auf, in denen die Bestellung eines Verfahrenspflegers regelmäßig erforderlich ist. Dies ist der Fall, wenn ein erheblicher Interessengegensatz zwischen Kind und gesetzlichem Vertreter besteht (Nr. 1). Darüber hinaus ist ein Pfleger zu bestellen, wenn der Gegenstand des Verfahrens Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls sind, mit denen die Trennung des Kindes von seiner Familie oder die Entziehung der gesamten 993

Vor der Bestellung sind die Beteiligten und das Jugendamt sowie der Pfleger selbst zu hören. Die darauf folgende Anordnung der Pflegschaft gilt im Zweifel nur für die Instanz, in der sie angeordnet wird, gem. § 67 Abs. 2 FGG analog, vgl. OLG Hamburg FamRZ 1999, S. 248; die gerichtliche Bestellung ist durch unbefristete Beschwer gem. §19 FGG anfechtbar, vgl. dazu Niepmann MDR 1999, S. 653 (655); Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 417; OLG Celle FamRZ 1999, S. 1589 mwN; OLG Düsseldorf MDR 2000, S. 249; a. A. Keidel / Kunze / Winkler / Engelhardt § 50 Rz. 26. Beschwerdebefugnis besteht sowohl seitens der Eltern als auch des Kindes, das das 14. Lebensjahr vollendet hat. 994 Vgl. Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (264). 995 Für ausreichend erachtet die Generalklausel Willutzki Rpfleger 1997, S. 336 (339). 996 Dies leitet sich neben der wesentlichen Bedeutung für die Rechtsstellung des Kindes auch aus § 50 Abs. 2 S. 2 FGG ab. Danach ist das Gericht verpflichtet, bei Vorliegen eines Regelbeispieles seine Entscheidung zu begründen, sofern es von der Bestellung eines Pflegers absieht; vgl. dazu Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50 Rz. 16; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 320; Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 417; Willutzki RPfleger 1997, S. 336 (339); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 36; vgl. aber auch einschränkend OLG Celle FamRZ 2002, S. 121, wonach eine Pflegerbestellung dann nicht erforderlich sei, wenn nicht feststehe, dass das objektive Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter im Widerspruch stehe. 997 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 131. 998 Vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrecht“, 4. Aufl., Abschn. I, Rz. 420, der davon ausgeht, dass dies bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres anzunehmen ist; vgl. dazu auch OLG Köln FamRZ 1999, S. 314 (315).

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Personensorge verbunden sind, (Nr. 2) oder wenn die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson oder von den Ehegatten oder Umgangsberechtigten gerichtlich geprüft wird (Nr. 3). Im Vordergrund für das Trennungssorgeverfahren steht hier vor allem § 50 Abs. 2 Nr. 1 FGG. 999 Der Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass der gesetzliche Vertreter in dieser Fallkonstellation zur Wahrnehmung der Kindesinteressen nicht mehr in der Lage ist. 1000 Das Familiengericht muss den erheblichen Interessenkonflikt durch eigene Ermittlung zu den Vorstellungen der gesetzlichen Vertreter und den Interessen des Kindes feststellen. Um eine effektive Vertretung des Kindes zu gewährleisten, ist der Verfahrenspfleger nicht erst dann zu bestellen, wenn ein beachtenswerter Gegensatz bereits definitiv feststeht, sondern schon dann, wenn Anhaltspunkte für einen solchen Gegensatz ersichtlich sind. 1001 Beachtenswert sind nur Interessengegensätze in grundlegenden Fragen aus der subjektiven Sicht des Kindes. 1002 Die Rechtssprechung entwickelt verschiedene Ansätze für die Anforderungen, die an die Erheblichkeit der Interessengegensätze zwischen Eltern und Kind zu stellen sind. Sie sind einheitlich von einer gewissen Zurückhaltung geprägt. 1003 So wird zunächst vom OLG Frankfurt 1004 angenommen, dass eine Pflegerbestellung gem. § 50 Abs. 2 Nr. 1 FGG nur in Ausnahmefällen notwendig sei. Ein erheblicher Interessengegensatz sei nicht bereits bei widerstreitenden Anträgen gegeben, da diese im Verfahren typisch und ohne spezifischen Aussagewert seien. 1005 Bedenkt man jedoch die grundrechtliche Relevanz der Vertretung des Kindes, so erscheint eine zu dogmatische Restriktion nicht sachgerecht. 1006 Richtungweisend hat das BVerfG in seinem Urteil zum Verfahrenspfleger 1007 ausgeführt, dass dessen Bestellung im Verfahren jedenfalls dann erforderlich sei, wenn die Wahrnehmung der Belange des Kindes durch die Vertretungsberechtigten wegen eines Interessenkonfliktes nicht sichergestellt sei. Aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG ergebe sich, so das BVerfG, die Verpflichtung, verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, die die Stellung des Kindes als Grundrechtsträger und die 999

Vgl. dazu OLG Hamm FamRZ 1999, S. 41 f; OLG Köln FamRZ 1999, S. 314 (315). Vgl. dazu BT-Drucks. 13/4899, S. 131; Büttner FamRZ 1998, S. 585 (590);OLG Hamm FamRZ 1999, S. 41 f; OLG Köln FamRZ 1999, S. 314 (315). 1001 Vgl. Büttner aaO. 1002 Vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrecht“, 4. Aufl., Abschn. I, Rz. 421. 1003 Vgl. Niepmann MDR 2000, S. 613 (614). 1004 OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 1293, mit insoweit zustimmenden Anm. Dormann / Spangenmann FamRZ 1999, S. 1294. 1005 Vgl. auch BayObLG FamRZ 1999, S. 318 bei kindesbedrohender Suizidgefahr seitens des betreuenden Elternteils. In einer Entscheidung, die eine Umgangsregelung betraf, wurden ein restriktiverer Maßstab angelegt und die Befugnisse des Verfahrenspfleger beschränkt, vgl. dazu Niepmann MDR 1999, S. 653 (654); dies. MDR 2000, S. 613 (614). 1006 Vgl. Niepmann MDR 1999, S. 653 (655). 1007 FamRZ 1999, S. 85. 1000

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Wahrnehmung seiner Interessen garantierten. Im Einzelfall genüge es daher, dass die Möglichkeit bestehe, dass die Kindesinteressen den Interessen der Eltern nachgeordnet und damit im rechtshängigen Verfahren nicht sachgerecht verfolgt würden. 1008 Dies ist zumindest dann anzunehmen, wenn sich die Auseinandersetzung – etwa über Aufenthaltsbestimmungs- oder Sorgerecht – zwischen den Eltern schon als so verhärtet erweist, dass sie nicht mehr in der Lage sind, eine einvernehmliche Lösung zum Wohl des Kindes zu finden. 1009 Einen weiteren Anknüpfungspunkt bietet der Widerspruch eines noch nicht 14-jährigen Kindes, da eine formale rechtliche Konsequenz insoweit noch nicht vorgesehen ist, dies aber andererseits einen Anhaltspunkt für eine Interessendivergenz zwischen dem Kind und seinen Eltern bietet. 1010 Außerhalb der Regelbeispiele des Gesetzes wird das Familiengericht in Zukunft wenig Gebrauch von der Möglichkeit der Pflegerbestellung gem. § 50 FGG machen. 1011 Trotz des bestehenden Spielraums im Rahmen der Generalklausel wird auch hier nicht auf eine potentielle Divergenz zwischen Eltern und Kind abgestellt, bei der sich ein Interessengegensatz erst im Laufe des Verfahrens herausstellen könnte. Der Interessenwiderstreit zwischen den Eltern oder die anfängliche Ungewissheit darüber, wessen Elterninteressen mit denen des Kindes widerstreiten, wird auch in diesem Zusammenhang als nicht ausreichend erachtet. 1012 Insbesondere wenn sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass ein erheblicher Interessenwiderstreit nur zu einem Elternteil besteht, so ist zunächst abzuwägen, ob die Kindesinteressen durch den anderen Elternteil ausreichend gewahrt werden. 1013 Dies erscheint jedoch zweifelhaft, wenn der Konflikt den freien Einblick auf das Kindeswohl behindert. Überdies ist die Verzögerung der Bestellung eines Verfahrenspflegers problematisch. Zwar ist der Zeitpunkt der Bestellung bewusst nicht festgelegt und hängt allein von der Verfahrenssituation ab. 1014 Sobald sich aber im Verfahren die Erforderlichkeit ergibt, hat das Gericht 1008

Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 36; Reinecke FPR 1999, S. 167 (173). Vgl. zu langjährigen Sorgerechtsstreitigkeiten: OLG Hamm FamRZ 1999, S. 41; dazu auch Reinecke FPR 1999, S. 167 (173); zur Bestellung des Verfahrenspflegers bei Streitigkeit über das Aufenthaltsbestimmungsrecht: vgl. Niepmann MDR 1999, S. 653 (655); darüber hinaus vgl. BayObLG FamRZ 1999, S. 318, das es für erforderlich erachtet, die Bestellung des Verfahrenspflegers zumindest zu prüfen, wenn im Verfahren für den Schutz des Kindes die Trennung von der sorgeberechtigten Mutter in Betracht kommt. 1010 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 30; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 97, 173; OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1405. 1011 Vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (590); Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 422. 1012 Vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Rz. 422; a. A. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 322. 1013 Vgl. Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50 Rz. 7 mwN; vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Rz. 422; a. A. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 322. 1009

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baldmöglichst einen Pfleger zu bestellen, um die Wahrnehmung der Kindesinteressen zu gewährleisten. 1015 Dadurch entsteht der erforderliche Raum für eine Anfangsermittlung, um eine unnötige Bestellung zu vermeiden. 1016 Jedoch ist es vor allem die Verfahrensdauer, die eine Belastung für das Kind darstellt. 1017 Eine zu späte Bestellung des Verfahrenspflegers kann erfahrungsgemäß zu einer weiteren Verzögerung des Verfahrens führen, während eine frühzeitige Bestellung das Verfahren oftmals sogar verkürzt. 1018 Inwieweit der derzeitige Ausnahmefall der Pflegerbestellung 1019 angesichts dieser Argumente erweitert werden sollte, ist vor allem eine teleologische Frage, deren Beantwortung sich aus der näheren Betrachtung der Funktion des Verfahrenspflegers ergibt. bb) Funktion des Verfahrenpflegers Der eigentliche Grund für die Zurückhaltung gegenüber der Bestellung des Verfahrenspflegers, wie sie sich in der Praxis derzeit abzeichnet, ist vor allem zurückzuführen auf eine starke Unsicherheit in Hinblick auf seine Funktion. In der formalen Aufgabenzuweisung bzw. Zielsetzung ist man sich zunächst weitgehend einig. Zur Begründung heißt es im Regierungsentwurf: „In Verfahren vor den Familien- und Vormundschaftsgerichten können im Einzelfall trotz der vorhandenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen, die eine nach materiellem Recht am Kindeswohl zu orientierende Entscheidung ermöglichen (Amtsermittlungsgrundsatz, Anhörung des Kindes und des Jugendamtes, Beschwerderecht für Minderjährige über 14 Jahren), Defizite bei der Wahrung der Interessen der von diesen Verfahren besonders betroffenen Kinder auftreten.“ 1020 Soweit die inhaltliche oder emotionale Auseinandersetzung nicht mehr ausreichend sicherstellt, dass die Eltern die ihnen übertragene Wahrung der Kindesinteressen wahrnehmen, tritt im Rahmen des Sorgerechtsverfahrens als formeller Beteiligter an ihre Stelle der Verfahrenspfleger. 1021 Er ersetzt damit die Stellung der Eltern, soweit diese sich 1014

Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 130. Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 130; zur Berechtigung für das Kind Rechtsmittel einzulegen vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1405; dazu auch Keidel / Kuntze / Winkler FGG, 14. Aufl. § 20 Rz. 21 mwN. 1016 Vgl. Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50 Rz. 17; kritisch dazu Salgo FPR 1998, S. 91 (92). 1017 Vgl. Salgo FPR 1998, S. 91 (92); dazu auch grundlegend Heilmann „Kindliches Zeitempfinden und Verfahrensrecht – Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“. 1018 Vgl. Salgo „Anwalt des Kindes – die Vertretung von Kindern in zivilrechtlichen Kindesschutzverfahren – eine vergleichende Studie“, S. 269. 1019 Vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Rz. 420. 1020 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 129 f; a. A. BR in seiner Stellungnahme 13/4899, S. 62; Will ZfJ 1998, S. 1 (5 f). 1021 Vgl. Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (264). 1015

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durch ihre eigene Betroffenheit disqualifizieren, und nimmt die Rechte des Kindes als Grundrechtsträger wahr und garantiert die Wahrung von dessen Interessen. 1022 Damit knüpft § 50 FGG an die Entziehung der Vertretungsmacht gem. §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2 an 1023, wobei es keiner teilweisen Entziehung der gesetzlichen Vertretung bedarf. 1024 Problematisch ist hingegen die aus dieser unscharfen Funktionszuweisung abzuleitende konkrete Rolle des Pflegers und damit auch seine zukünftige Bedeutung im Sorgerechtsverfahren. 1025 Einerseits werden dem Verfahrenspfleger Züge eines schlichten Boten verliehen, der als Sprachrohr des Kindes dessen Wünsche und Sichtweisen übermittelt. 1026 Andererseits soll er auch durch eigene Wertung einen wichtigen Beitrag zum Verfahrensverlauf leisten. Vereinzelt wird dabei von einer sachverständigenähnlichen Begutachtung des Kindeswohls gesprochen. 1027 Überwiegend stellt man hier jedoch auf die parteiliche Interessenvertretung ab. 1028 Danach ist der Verfahrenspfleger gleich dem Anwalt verpflichtet, auch nach objektivierten Kriterien die eigenständigen Kindesinteressen zu erkennen und in das Verfahren einzubringen. 1029 Der Verfahrenspfleger hat damit gleichermaßen die Funktion des Dolmetschers des Kindeswillens und eines Rechtsbeistandes. 1030 Im Kern geht es dabei aber letztlich um das Problem, ob der Verfahrenspfleger die Kindesinteressen in erster Linie durch parteiische Konfrontation oder durch Vermittlung zwischen den anderen Verfahrensbeteiligten und dem Kind wahrnehmen soll. 1031

1022 Vgl. BVerfG MDR 1999, S. 99 = FamRZ 1999, S. 85 (87); vgl. dazu auch schon BVerfG FamRZ 1981, S. 124 sowie BVerfG FamRZ 1986, S. 871 ff, wonach die Gestaltung des Verfahrens sicherstellen müsse, dass dem Grundrechtsschutz des Kindes gebührend Rechnung getragen werde. 1023 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 323. 1024 Vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (590). 1025 Vgl. im Überblick Will ZfJ 1998, S. 1 (2 mwN); kritische Anmerkungen Salgo FPR 1998, S. 91 (92), der kritisiert, dass der Gesetzgeber wie selbstverständlich den Begriff des Verfahrenspflegers einführt, ohne ihn in seiner funktionalen Zuständigkeit genauer auszugestalten. Er sieht darin vor allem die Gefahr, dass ggf. eine willkürliche Einschätzung vom Kindeswohl seitens des Pflegers zur Grundlage der Interessenvertretung gemacht wird. 1026 Vgl. Balloff FuR 1994; Prestien ZfJ 1992, S. 240; Salgo ZfJ 1985, S. 269. 1027 Vgl. Salzgeber FPR 1998, S. 80 (83). 1028 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 129, 130: „Person, die allein die Interesse des Kindes wahrnimmt.“ 1029 Vgl. Motzer FamRZ 1999, S. 1102 (1105); entsprechend auch BVerfG FamRZ 1999, S. 85. 1030 Vgl. Wagenitz FamRZ 1997, S. 1377 (1383). 1031 Vgl. Motzer FamRZ 1999, S. 1102 (1106); OLG München FamRZ 1999, S. 667; OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 1293.

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Der sachgerechte Schwerpunkt kann sich nur aus einer Güterabwägung unter Rücksichtnahme auf das Kindeswohl ergeben. Ausgangspunkt ist die anhaltende Kritik an der Einführung des Verfahrenspflegers. 1032 Hervorgehoben wird hier der Vorwurf, dass der Verfahrenspfleger gerade nicht geeignet sei, die wichtigste Belastung des Kindes zu beseitigen, nämlich das Verfahren zu verkürzen und die Konfrontation mit den Eltern zu mildern. 1033 Es sei vielmehr zu befürchten, dass sich die Entscheidung durch die Mitwirkung des Verfahrenspflegers verzögere. 1034 Ferner habe die Stellung des Kindes durch die Bestellung des Verfahrenspflegers aber auch keine besondere Aufwertung erfahren. 1035 Es bleibe dabei, dass das Kind im Sorgerechtsverfahren ohne eigene Rechte dastehe. 1036 Der Bundesrat lehnte in seiner Stellungnahme zum KindRG die Einführung eines Verfahrenspflegers ab, da die bestehende Verfahrensgestaltung einen ausreichenden Schutz der Kindesinteressen biete. 1037 Diese Argumente sprechen zunächst für die Verzichtbarkeit des Anwalts des Kindes. Darüber hinaus kommen noch zwei grundlegende Überlegungen hinzu, die den Einfluss des Verfahrenspflegers auf das Verfahren kritisch beurteilen lassen. 1038 Zum einen droht er zu einer zusätzlichen Polarisierung und Verkomplizierung im Verfahren zu führen. 1039 Denn die separate Kindesposition setzt die Eltern zusätzlich unter Druck und kann im Einzelfall zu einer Zuspitzung der Konfrontation führen. Gleichzeitig polarisiert die Verselbständigung der Kindesposition, indem nun alle Einzelpersonen in einer vermeintlichen Unabhängigkeit gegenübergestellt werden, ohne der tatsächlichen Interdependenz der Verhältnisse Rechnung zu tragen. 1040 Dies kann den Konflikt im Einzelfall verstärken. Zum anderen erhöht 1032 Kritisch zu dieser Institution vgl. etwa Fthenakis FPR 1998, S. 84 (89); Salgo FPR 1998, S. 91 ff; ders. „Anwalt des Kindes – die Vertretung von Kindern in zivilrechtlichen Kindesschutzverfahren – eine vergleichende Studie“; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459); Will ZfJ 1998, S. 1 ff; Willutzki RPfleger 1997, S. 336 (339). 1033 Vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (590); Menne / Weber ZfJ 1998, S. 85 (89); Will ZfJ 1998, S. 1 (6); zu den Belastungen des Kindes durch das Sorgerechtsverfahren vgl. auch den Überblick von Fegert FPR 1997, S. 67 (70 ff). 1034 Vgl. Will ZfJ 1998, S. 1 (2); so auch schon van Els ZfJ 1984, S. 511. 1035 Kritisch Kohler ZfJ 1999, S. 128 (130). 1036 Vgl. auch kritische Anmerkungen von Kohler ZfJ 1999, S. 128 (129 ff). 1037 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 162; vgl. dazu aber auch Salgo FPR 1998, S. 91, der annimmt, dass die Ablehnung allein auf nicht offengelegte fiskalische Überlegungen zurückzuführen sei. Zur Gegenäußerung der Bundesregierung vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 172. 1038 Vgl. dazu auch Willutzki FPR 1998, S. 94 (97), der ausdrücklich befürwortet, dass man sich gegen eine einzelfallunabhängige Bestellung eines Verfahrenpflegers entschieden hat. 1039 Vgl. dazu auch schon Schnitzler FamRZ 1995, S. 397; Will ZfJ 1998, S. 1 (2). 1040 Vgl. Will ZfJ 1998, S. 1 (5), die in diesem Zusammenhang davon spricht, dass das Kind in einem noch erhöhten Maße in das Verfahren hineingezogen werde.

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der Verfahrenspfleger erneut die staatliche Präsenz im Familienkonflikt und steht damit der grundlegenden Ausrichtung der Gesetzesreform zum Teil entgegen. Denn das Kind wird von einer staatlichen Institution vertreten, die die Gestaltungsfreiheit der Eltern an sich zieht und damit in die im Übrigen aufgewertete Erziehungsautonomie eingreift. Die verobjektivierte Beurteilung des Kindeswohls kann auch zu einer Entfremdung zwischen Eltern und Kind führen. 1041 Diese Argumente richten sich jedoch nicht notwendig gegen den Verfahrenspfleger, sondern vor allem gegen seine konfrontative Einflussnahme auf die Verhandlung. Sie verdeutlichen, auf welcher Grundlage dessen Einbeziehung sinnvoll ist. Durch seine Mitwirkung am Sorgerechtsverfahren erfüllt er den bestehenden Bedarf an kindlicher Präsenz. Denn das Kind ist den Eltern vielfach ausgeliefert, sofern es ihm an der eigenen Fähigkeit fehlt, seine eigenen Interessen zu artikulieren und durchzusetzen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das anderenfalls drohende Defizit kindesbezogener Interessenwahrnehmung durch die bisherigen Vorschriften oder Institutionen ausreichend kompensiert wird. Vor allem können die bereits verfügbaren Beteiligten nicht für eine parteiische Wahrnehmung der Kindesinteressen herangezogen werden. Denn der Richter muss neben den Kindesinteressen auch die Elterninteressen und -rechte berücksichtigen, während das Jugendamt die gesamte Familie berät und der Gutachter gerade um Objektivität bemüht sein muss. 1042 Dem aus der systematischen Betrachtung folgenden Hinweis auf Konfrontationsentschärfung und Vermittlung ist zu entsprechen, indem für den Verfahrenspfleger die Funktion einer familienorientierten Hilfestellung eigener Art angestrebt wird. Seine wesentliche Funktion besteht darin, den Interessengegensatz innerhalb des Sorgerechtsverfahrens aufzuzeigen und abzumildern. 1043 Die Eltern bekommen durch die familienexterne Darstellung in ihrer konfliktbedingten Verblendung die Möglichkeit, sich die kindliche Position stärker ins Bewusstsein zu rufen. So werden die gerichtliche Verhandlung gleichsam stärker auf das Kind zurückgelenkt und die kindeswohlbezogenen Abwägungen von der egozentrischen Sichtweise der Eltern losgelöst. Sobald die Eltern also durch ihr fehlendes Einvernehmen die Annahme widerlegen, dass sie das Kindeswohl verantwortungsbewusst in den Vordergrund ihrer Erwägungen stellen, bedarf das Kind eines Fürsprechers. Der Richter wird auf diese Weise in zweierlei Hinsicht entlastet. Zum einen vermindert sich der Zwiespalt, einerseits die Kindesinteressen gegenüber den Eltern im Rahmen des Wächteramtsauftrages durchzusetzen und andererseits eine ausgewogene Abwägung der Positionen vorzunehmen. Zum anderen fließt nun auch unmittelbar in die Verhandlung ein aufklärendes Element ein, das aber nicht an die Autorität des Gerichtes geknüpft ist. 1041 Vgl. Will ZfJ 1998, S. 1 (5), die die Reorganisation nach der Verhandlung als deutlich erschwert ansieht. 1042 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 130; kritisch dazu Will ZfJ 1998, S. 1 (5). 1043 Vgl. Oelkers ZfJ 1999, S. 263 (264).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Diese ausgleichende und das Gericht entlastende Rolle spricht für eine weniger zögerliche Haltung gegenüber der Einbeziehung des Verfahrenspflegers. Er kann maßgeblich dazu beitragen, dass die Eltern aufgrund des Verfahrensverlaufes ihre Erziehungsfunktion stärker auf die Position des Kindes ausrichten. Doch selbst in Fällen, in denen die Polarisierung der Konfliktparteien nicht aufgelöst werden kann, verlangt ein sachgerechter Schutz des Kindes einen eigenen Interessenvertreter. Die Kindschaftsrechtsreform steht unter der Vorgabe, das Kind sorgerechtlich zu emanzipieren. Die Elternstellung soll nicht länger an das Schicksal der elterlichen Partnerschaft geknüpft werden. Diese Entflechtung der beiden Ebenen wird durch die Einführung des Interessenvertreters des Kindes gefördert, indem dieser auf die kindgerechte Umsetzung der elterlichen Verantwortung einwirken kann. Er ist kein Opponent gegenüber den Eltern, sondern schafft in erster Linie den Ausgleich ihrer Defizite. Daraus ergeben sich konkrete Richtwerte für die vermittelnde Rolle des Verfahrenspflegers, die vor allem auf eine ausgewogene Einschätzung der Situation und eine umfassende Ermittlung gerichtet ist. Im Vordergrund der Aufgabe des Verfahrenspflegers steht, Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche des Kindes vorzutragen 1044, wenn und soweit dies dem Kind aufgrund seiner Interessen und Loyalitätskonflikte nicht selbst möglich ist, und auf deren Berücksichtigung zu achten. 1045 Zur Vorbereitung der gerichtlichen Vertretung des Kindes muss er dazu bereits außergerichtlich tätig werden und die Interessen des Kindes ermitteln. Zu diesem Zweck hat er sich möglichst nicht unter Aufsicht der Eltern mit dem Kind zu unterhalten und auseinanderzusetzen. 1046 Doch sollte er zur Vervollständigung seiner Einschätzung des Kindeswohls auch die Darstellung der Eltern einbeziehen und sich auf diese Weise einen Überblick über die Lebenssituation des Kindes verschaffen. Schließlich soll er auch in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt unter erzieherischen und sozialen Gesichtspunkte weitere Hilfsmöglichkeiten für die Entwicklung des Kindes prüfen. 1047 Diese verschiedenen Gesichtspunkte sollten ihn in die Lage versetzen, sich ein individuelles und eigenständiges Bild von den Lebensverhältnissen zu machen und seine Interessenvertretung ganz auf das Kind auszurichten. 1048 Zur Wahrnehmung seiner Aufgabe hat der Verfahrenspfleger das Recht, an den Anhörungen teilzunehmen 1049, und er soll das Kind dabei beraten, ob und wie es auf Fragen des Gerichtes antwortet. 1050 1044

Vgl. Dickmeis DAVorm 1996, S. 553 (565). Vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 418. 1046 Zur Differenzierung hinsichtlich nach dem Alter, vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 418. 1047 Vgl. Dickmeis DAVorm 1996, S. 553 (565). 1048 Vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 418. 1049 Dem Richter bleibt es aber gleichwohl unbenommen, das Kind in Abwesenheit des Verfahrenspflegers zu vernehmen, wenn er es für sachdienlich erachtet, vgl. Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 419. 1045

III. Materielle Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung

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Im Hinblick auf die konkrete Abwägung zwischen den Sorgerechtsformen ergibt sich daraus kein zwingendes Primat. Grundsätzlich ist der Verfahrenspfleger allein der individuellen Interessenlage des Kindes verpflichtet. Doch weist ihm sowohl das Element der parteiischen Interessenvertretung als auch die Vermittlerstellung in Anlehnung an die gesetzliche Gewichtung eine Förderpflicht gegenüber der gemeinsamen Sorge zu. Soweit der sachgerechte Schutz des Kindes im Einzelfall nicht erfordert, dass die Alleinsorge übertragen wird – anders jedoch, wenn nur so eine kindeswohlgefährdende Konfliktlage vermieden werden kann oder weil ein Elternteil für die Fortsetzung des Sorgerechts ungeeignet ist – bleibt es auch hier grundsätzlich vorzugswürdig, die Eltern-Kind-Beziehungen so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Der Verfahrenspfleger hat in diesem Zusammenhang die spezielle Aufgabe, aus der Warte des Kindes dessen Recht auf eine fortgesetzte Erziehungsverantwortung herauszustellen. Gerade als Interessenvertreter des Kindes vermag er damit den bestehenden Interessenwiderspruch gegenüber den Entflechtungsbestrebungen der Eltern aufgrund der gescheiterten Partnerschaft anschaulich zu vermitteln. Dies weist dem Verfahrenspfleger eine wichtige Rolle für den Anpassungsprozess der Eltern an die neue Sorgerechtssituation zu. Indem sich durch die Gegenüberstellung der Bedürfnisse eine Abstraktion der Erziehungsund der Partnerschaftsebene vollzieht, kann sich eine Grundlage bilden, auf der die Eltern sorgerechtlich kooperativ koexistieren können. Angesichts der deutlichen Mischform der Funktion bestehen daher vielseitige Anforderungen an die Qualifikation des Verfahrenspflegers. So muss er je nach Einzelfallkonstellation in der Lage sein, die tatsächliche Lebenssituation des Kindes verständig einzuschätzen, gleichzeitig aber auch das Verfahren rechtlich überblicken, beurteilen und ggf. beeinflussen zu können. 1051 Es ergeben sich hier erhebliche Zweifel, ob er das Kind stärker in juristischer oder psychologischer Hinsicht vertreten soll. 1052 Das KindRG überlässt diese zentrale Frage der richterlichen Entscheidung im Einzelfall. 1053 Sinnvoll erscheint es, sich an den Bedürfnissen des 1050 Vgl. Dickmeis ZfJ 1997, S. 250 (251 f); Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 419. 1051 Unter Bezugnahme auf rechtsvergleichende Betrachtungen werden die geringen Anforderungen an die Vorbildung des Verfahrenspflegers für unsachgemäß erachtet und es wird eine mehrjährige Berufserfahrung sowohl von Sozialarbeitern als auch Rechtsanwälten gefordert; vgl. Salgo „Anwalt des Kindes – die Vertretung von Kindern in zivilrechtlichen Kindesschutzverfahren – eine vergleichende Studie“, S. 209 unter Bezugnahme auf die Regelungen in Großbritannien. 1052 Vgl. Salzgeber FPR 1998, S. 80 (83). 1053 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 130, dort heißt es: „Die Auswahl des Verfahrenspflegers steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Damit hat das Gericht die Möglichkeit, entsprechend den Besonderheiten eines jeden Falls beispielsweise auch Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, Kindespsychologen und u.U. engagierte Laien als selbständige Interessenvertreter für ein minderjähriges Kind zu bestellen. Soweit es auf die Sachkunde auf dem Gebiet des materiellen und des formellen Rechts ankommt, wird das Gericht einen Rechtsanwalt zu bestellen haben.“

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Kindes im konkreten Einzelfall zu orientieren, wobei entweder juristische oder sozialpflegerische Momente in den Vordergrund treten. 1054 In der Begründung des Regierungsentwurfs kommen unter Umständen „engagierte Laien, die auch mit dem Kind verwandt sein können“ in Betracht. 1055 Es ist entscheidend, ob das Kind zu ihnen ein besonderes Vertrauen hat, da davon in erster Linie die wirksame Interessenvertretung des Kindes abhängt. 1056 Jedenfalls fällt ein Mitarbeiter des Jugendamtes, der bereits vorher mit der Familie befasst war, als Verfahrensvertreter aus, da die zuvor zur Neutralität verpflichtende Vertrauensstellung im Gegensatz zur Stellung als Interessenvertreter stünde. 1057

IV. Teilweise Alleinsorge Die Übertragung der Alleinsorge kann sich auf einen Teil der Sorge beschränken. Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage hat sich dabei die Gestaltbarkeit der Sorgerechtsentscheidung deutlich erweitert. War bislang im Gesetz nur eine Sorgerechtsspaltung von Personen- und Vermögenssorge vorgesehen 1058, so eröffnet das Reformgesetz nun uneingeschränkt eine teilweise Alleinsorgeübertragung. 1059 So heißt es im Regierungsentwurf:

1054

Vgl. Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50 Rz. 19; Willutzki FPR 1998, S. 94 (97); ders. RPfleger 1997, S. 336 (339). 1055 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 130; insoweit ablehnend Salgo FPR 1998, S. 91 (93). 1056 Vgl. dazu FamRefK / Mauerer Rz. 28; Keidel / Kuntze / Winkler / Engelhardt § 50 Rz. 19; Schwab / Maurer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. I Rz. 423. 1057 Vgl. Niepmann MDR 2000, S. 613 (614); OLG Naumburg FamRZ 2000, S. 300. 1058 So hieß es in § 1671 Abs. 3 S. 1 a.F.: „Erfordern es die Vermögensinteressen des Kindes, so kann die Vermögenssorge ganz oder teilweise dem anderen Elternteil übertragen werden.“ Aus diesem Wortlaut wurde nach ganz überwiegender Auffassung der Umkehrschluss gezogen, dass allein die Vermögenssorge teilbar und als Teilsorge übertragbar war, während die Personensorge nur einheitlich übertragen werden konnte (vgl. dazu BT-Drucks. 8 /2788, S. 63; Kropholler NJW 1984, S. 271 (275); BGHZ 78, S. 108 = FamRZ 1980, S. 1107 (1108) = NJW 1981, S. 126; OLG München FamRZ 1978, S. 620; OLG Hamm FamRZ 1979, S. 177); insbes. zum Ausschluss einer Abspaltung des Aufenthaltsbestimmungsrechts vgl. BGHZ 3, S. 220; BGHZ 78, S. 108 (112); BayObLGZ 62, S. 409; dass. FamRZ 1976, S. 43; OLG Hamm FamRZ 1979, S. 177; dass. FamRZ 1976, S. 284; dass. FamRZ 1971, S. 177; OLG Zweibrücken FamRZ 1983, S. 1055; einschränkend OLG Stuttgart FamRZ 1982, S. 1235; OLG Karlsruhe FamRZ 1984, S. 91; als vormundschaftsgerichtliche Maßnahme nach Maßgabe der §§ 1666, 1628 Abs. 2 befürworten: BGHZ 78, S. 108 (113) = NJW 1981, S. 126 (127) = FamRZ 1980, S. 1107 (1108); zum Zustimmungsrecht der Wohnsitzwahl und dem Recht das Zeugnis zu überprüfen: München FamRZ 1978, S. 620; anderes gilt im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die partielle Übertragung der Personensorge auf einen Vormund oder Pfleger zur Abkehr von Kindeswohlgefährdung, vgl. BGH NJW-RR 1986, S. 1264 (1265); vgl. dazu Dörr NJW 1989, S. 690 (692).

IV. Teilweise Alleinsorge

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„Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass – abgesehen von der Gefährdung des Kindeswohls oder seines Vermögens – der Staat nur zu Entscheidungen über die elterliche Sorge aufgerufen ist, soweit zwischen den Eltern Streit um die Sorge besteht. So ist es möglich, dass sich die Eltern nach der Trennung nur über die Fragen der Ausbildung des Kindes nicht einigen können, während sie etwa hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung, der Heilbehandlung, des Vermögens usw. keine Schwierigkeiten bei der Ausübung der gemeinsamen Sorge haben. Ein Elternteil, der die Übertragung der Alleinsorge beispielsweise in Ausbildungsangelegenheiten begehrt, soll nicht gezwungen sein, einen darüber hinausgehenden Antrag stellen zu müssen.“ 1060

Der Gesetzgeber führt durch diese inhaltliche Veränderung der Trennungssorge zunächst eine Rechtsunsicherheit herbei, von der auch die Entwicklung der gemeinsamen Sorge in der Vergangenheit geprägt war. 1061 Vor allem aber wird der Maßstab für die Sorgerechtsverteilung damit dem gerichtlichen Ermessen überlassen und unterliegt allein der immanenten Beschränkung der Kindeswohlverträglichkeit. Dies hat große Bedeutung für die Abwägung zwischen den Sorgerechtsformen. Denn die Beurteilung des Kindeswohls erlaubt eine flexible Anpassung der Sorgerechtsverteilung und räumt auf diese Weise weiteren Gestaltungsspielraum zur Bewahrung der gemeinsamen Sorge und der elterlichen Erziehungsmitwirkung ein. 1062 Selbst wenn aufgrund der Bedingungen des Einzelfalls bestimmte Lebensbereiche des Kindes nicht in der Sorge beider Eltern belassen bleiben können, wird auf diese Weise ein differenziertes Instrumentarium eröffnet, mit dem zumindest die gemeinsame Zuständigkeit in dem möglichen Umfang gefördert wird. Nicht das häufig wegen seiner Starrheit und Dogmatik kritisierte „Alles-oderNichts-Prinzip“ wird hier fortgesetzt 1063, sondern Gestaltungsspielraum durch individuelle Abstufungen eröffnet. 1059 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99 = BR-Drucks. 180/96, S. 109; vgl. dazu auch Coester FamRZ 1996, S. 1181 (1185; DFGT FamRZ 1997, S. 337 (340); Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 18. 1060 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 99 = BR-Drucks. 180/96, S. 109. 1061 Z. T. wurde zunächst unter Bezugnahme auf die elterliche Selbstbestimmung eine inhaltliche Aufteilung der Personensorge auf der Grundlage eines übereinstimmenden Elternvorschlags befürwortet, wenn die gewählte Kooperationsform praktikabel und nicht tendenziell kindeswohlschädlich war (vgl. Schwab „Handbuch des Scheidungsrechts“, 3. Aufl., Abschn. III Rz. 32). Bereits im Vorfeld der SorgeRG 1979 hatte es darüber hinaus auch weitere Aufteilungsansätze gegeben, vgl. dazu nähere Ausführungen zur historischen Rechtslage in Kap. A., Abschn. II.3. sowohl zur zeitlichen und funktionalen Zuweisung der Personensorge kraft Gesetzes und individueller Fallgestaltung. 1062 Vgl. dazu auch Bode FamRZ 1999, S. 1400; vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 184 f; OLG Köln FamRZ 2003, S. 1492; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 258; OLG Frankfurt FamRZ 2002, S. 187; OLG München FamRZ 1999, S. 111 (112); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 393 (394); vgl. auch Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1105); OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 567; ähnlich auch OLG Bamberg MDR 1999, S. 615. 1063 Vgl. dazu bereits im Vorfeld der Reform Salgo FamRZ 1996, S. 449 (452); ders. KritV 1994, S. 262; dazu auch Rummel ZfJ 1997, S. 202 (208).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

1. Funktion der teilweisen Alleinsorge Im Vordergrund der teilweisen Alleinsorge steht zunächst eine flexiblere Regulierung der Kindesinteressen. 1064 Anstelle der restriktiven Regulierung auf Gesetzesebene, die bisher das Spektrum der Sorgerechtsgestaltung weitgehend auf die Wahl zwischen den statischen Sorgerechtsformen beschränkte, eröffnet sich nun ein Facettenreichtum vielfältiger Zuständigkeitsverteilungen. Die Sorgerechtsformen schließen sich also nicht mehr grundsätzlich aus, sondern bilden gleichsam die Randmarkierungen, innerhalb derer beide Strukturelemente einzelfallgerecht miteinander verknüpft werden können. Die gerichtliche Regulierung ist damit also auch unter diesem Aspekt stärker auf das Ausnutzen der verfügbaren Ressourcen gerichtet, indem die Vorschrift vermeidet, das Kindeswohl bereits im Vorfeld prophylaktisch inhaltlich zu begrenzen, um stattdessen durch eine flexible Gestaltung Sorgerechtsbeiträge beider Eltern zu bewahren und die Optimierung der Kindesinteressen anzustreben. Zu diesem Zweck wird die restriktive Regulierung durch das Gesetz abgelöst und durch eine individuelle gerichtliche Würdigung des Einzelfalls ersetzt. Gleichzeitig greift die Teilbarkeit der Elternsorge auch die Tendenz des KindRG auf, die Sorgerechtspositionen so weit wie möglich zu bewahren. 1065 So kann der sorgerechtliche Eingriff mittels der teilweisen Alleinsorge reduziert werden. 1066 Das heißt, dass auch in den Fällen, in denen das Kindeswohl eine Beschränkung der gemeinsamen Sorge erfordert, ein Nebeneinander der Elternverantwortung erhalten werden kann. 1067 Auf diese Weise nimmt gleichzeitig das Spektrum der Erscheinungsformen der gemeinsamen Sorge zu. Neben der gesetzlichen Ausgestaltung entsteht eine stärker entflochtene Teilhabe beider Elternteile, die einen stärkeren Akzent der Koexistenz – anstelle Kooperation – entwickelt. Damit wird auch der Bestandsschutz der Rechtsstellung des Antragsgegners erweitert. Durch die nur teilweise Alleinsorgeübertragung ist eine differenzierte Abstufung der Elternpositionen möglich. Neben vollständig einseitiger Sorgerechtsübertragung entsteht damit ein Instrumentarium milderer Eingriffe. 1068 Die Entziehung des elterlichen Sorgerechts misst sich nun an einem individualisierten Verhältnismäßigkeitsmaßstab, der die Reichweite des Eingriffs an der flexibel gestaltbaren 1064 Salzgeber FPR 1998, S. 80 (81) spricht in diesem Zusammenhang von einem großen Gewinn für eine differenzierte Kindeswohlumsetzung. 1065 Vgl. Coester DEuFamR 2000, S. 53; Oelker MDR 2000, S. 31; Willutzki KindPrax 1998, S. 8 (11); Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1671 Rz. 17; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 118; vgl. dazu auch OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1058 f. 1066 Zur teilweise Alleinsorge als milderer Eingriff vgl. auch schon Coester EuGRZ 1982, S. 256 (261); Gernhuber „Familienrecht“, S. 858 f; Kropholler NJW 1984, S. 271 (275); Treitz, S. 21; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 184 f; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1058 f. 1067 Vgl. etwa AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041.

IV. Teilweise Alleinsorge

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Zweckmäßigkeit bestimmt. 1069 Doch nicht allein der Antragsgegner, auch der Antragssteller kann hier auf der Bewahrung der gemeinsamen Sorge beharren. Denn wenn sich der Antragssteller auf einen Teil der Alleinsorge beschränkt, bleibt das übrige Sorgerecht unberührt. 1070 Die Beschränkung des Verfahrensgegenstandes begrenzt die staatliche Intervention, wodurch die gemeinsame Sorge gleichsam dem gerichtlichen Zugriff weitgehend entzogen wird. Dieser Anteil der gemeinsamen Sorge ist im Verfahren nicht anhängig, so dass das Familiengericht ihn insoweit nur unter den Voraussetzungen des § 1666 auf einen Elternteil übertragen kann. 1071 Im Gesamtbild entsteht auf diese Weise durch die teilweise Alleinsorge eine dritte Option neben gemeinsamer und alleiniger Sorge. 1072 Bereits die Verbindung der Sorgerechtsformen verändert die rechtliche Perspektive gegenüber der vollständigen Alleinsorge, auch wenn § 1671 Abs. 1, 2 nicht ausdrücklich differenziert. Denn die teilweise Übertragung der Alleinsorge verliert den uneingeschränkten Charakter eines Eingriffs in bestehende Rechte. Damit erscheinen vor allem spezifische Kindeswohlerwägungen geboten, da nun sowohl Elemente der gemeinsamen als auch solche der alleinigen Sorge bestehen. So kann die Beschränkung der sorgerechtlichen Kompetenzen dazu dienen, elterliche Kooperation mit Hil1068

Zur Verhältnismäßigkeit der Eingriffe durch die teilweise Alleinsorge vgl. auch Bode FamRZ 1999, S. 1400; BVerfG FamRZ 2004, S. 1015; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 184 f; OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1058 f. 1069 Vgl. OLG München FamRZ 1999, S. 111 (112); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 393 (394); vgl. dazu auch Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1105); OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 567. 1070 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64, wonach der Staat nur zu einer Entscheidung berufen sein soll, soweit zwischen den Eltern Streit um die Sorge besteht; so auch in Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 154; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 120. 1071 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 393 (394); OLG München FamRZ 1999, S. 111 f; dies ist jedoch nicht unumstritten. So wird teilweise vertreten, dass bei einer unsachgerechten Beschränkung des Alleinsorgeantrages das Familiengericht auch eine über den Antrag hinausgehende Alleinsorge auf einen Elternteil übertragen könne (vgl. Motzer FamRZ 1999, S. 1101 (1105); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 120; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (465); OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 673 (674); vgl. dazu auch Niepmann MDR 1998, S. 565 (567)). Diese Einschätzung erscheint aber mit dem Wortlaut und der Gesetzessystematik schwerlich vereinbar und weitgehend willkürlich. Vor allem steht sie im Widerspruch zum dispositiven Charakter des Antragsverfahrens. Das Antragsrecht ist gem. § 1671 Abs. 1 ausdrücklich auf einen Teil begrenzbar. Der Gesetzgeber hat den gerichtlichen Zugriff beschränkt durch die Parteiendisposition. Soweit die Eltern ihre gesetzliche Sorge nicht der gerichtlichen Entscheidung vorlegen, wird sie gar nicht Verfahrensgegenstand. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung greift insoweit ins Leere. 1072 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 18 zur Möglichkeit der vollständigen Aufteilung der Elternsorge in Einzelzuständigkeiten ohne verbleibenden Rest einer gemeinsamen Zuständigkeit; vgl. dazu auch Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1671 Rz. 4,7; Schwab FamRZ 1998, S. 457.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

fe der Teilalleinsorge erst wieder zu eröffnen, indem gezielt der Schwerpunkt des Konflikts aus der gemeinsamen Zuständigkeit herausgenommen wird. Auf diese Weise erhöht sich auch die Schwelle zur uneingeschränkten Alleinsorge. Denn erst nachdem das mildere Mittel eines teilweisen Sorgerechtsentzuges ausgeschlossen ist, wird die uneingeschränkte Alleinsorge rechtmäßig. 1073 Soweit sich aber die Übertragung der Alleinsorge partiell nicht rechtfertigt, muss es bei der gemeinsamen Sorge bleiben. 1074 2. Spezieller Beurteilungsmaßstab der partiellen Alleinsorge In dieser besonderen Funktion entwickelt sich ein spezifischer Beurteilungsmaßstab für die Übertragung der teilweisen Alleinsorge. Zunächst unterliegt auch die teilweise Entziehung der Elternsorge den Eingriffsvoraussetzungen des § 1671 Abs. 2. 1075 Als milderes und damit verhältnismäßigeres Mittel entspricht sie einer gerichtlichen Vorprüfung von Amts wegen, die auch der Übertragung der beantragten uneingeschränkten Alleinsorge als „wesensgleiches Minus“ vorausgehen muss. 1076 Während aber die vollständige Alleinsorge elterliche Kooperationsunfähigkeit voraussetzt, ist der Regelungsansatz der teilweisen Alleinsorge, dass die Eltern nur in einem begrenzten Sorgerechtskomplex aus eigener Kraft kein Einvernehmen erzielen können. 1077 Im Vordergrund steht daher in erster Linie, Hindernisse zu beseitigen, um eine gleichzeitige Wahrnehmung elterlicher Erziehungsverantwortung zu ermöglichen. 1078 Die teilweise Alleinsorge kann damit die Konfrontation der Eltern bei der Alleinsorgeübertragung mildern. Nicht das Gegensatzpaar Triumph-Entrechtung, sondern in erster Linie das einzelfallgerechte Umstrukturieren prägt hier die Sorgerechtsgestaltung. 1079 Dies wird auch deutlich, wenn man die Regelung des § 1671 der bisherigen Rechtslage gegenüberstellt. Sinn und Zweck der Vorgängervorschrift war vor allem darauf gerichtet, durch die Teilung des Sorgerechts ein Defizit des im Übrigen vorzugswürdigen Elternteils gezielt auszugleichen. 1080 So 1073

Vgl. OLG München FamRZ 1999, S. 111. Vgl. AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500). 1075 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042. 1076 Vgl. dazu auch Bode FamRZ 1999, S. 1400. 1077 Vgl. auch OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 567, das bei der Prognose zukünftiger Einigungsfähigkeit auch auf eine vollständige Übertragung der Alleinsorge verzichtet. 1078 Vgl. OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1058 (1059), der ausführt, dass teilweise Alleinsorge dann geboten erscheint, wenn ein Themenkomplex – dort die Staatsbürgerschaft – bis zur Volljährigkeit immer wieder aufzuflackern drohe und die Beziehung der Beteiligten und damit letzlich das Kindeswohl beeinträchtige. 1079 Vgl. dazu auch unter Bezugnahme auf Mediation Mähler / Mähler KindPrax 1998, S. 18; Menne / Weber ZfJ 1998, S. 85; Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 19; Spangenberg FamRZ 1997, S. 1263. 1074

IV. Teilweise Alleinsorge

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wurde eine Sorgerechtsfunktion gesondert auf einen Elternteil übertragen, um die Alleinsorge des anderen zu ermöglichen. 1081 Doch auch als durch das Urteil des BVerfG von 1982 die gemeinsame Sorge hinzukam, wurde die teilweise Alleinsorge nicht zur Begünstigung dieser neuen Sorgerechtsform eingesetzt. Dies lag schon allein daran, dass die Anforderungen an den erklärten elterlichen Konsens bereits im Vorfeld des Sorgerechtsverfahrens faktisch so hoch waren, dass kein Raum für die teilweise Alleinsorge als geringerem Eingriff blieb. 1082 Bei einem entsprechenden Vorschlag gem. § 1671 Abs. 3 S. 1 a.F. bestanden wenig Gestaltungsmöglichkeiten 1083, da die gesetzliche Teilungsvorgabe von Vermögens- und Personensorge wenig Spielraum für den Einzelfall ließ. 1084

1080

Vgl. zur bisherigen Rechtslage MüKo / Hinz § 1671 Rz. 20; Soergel / Strätz § 1671

Rz. 12. 1081

Vgl. Soergel / Strätz § 1671 Rz. 11; KG FamRZ 1962, S. 432; dazu auch bereits Schwoerer NJW 1964, S. 5 mit kritischen Anmerkungen. 1082 Zum Grundsatz der uneingeschränkten Alleinsorge nach der alten Rechtslage, der allenfalls in den engen gesetzlichen Grenzen nur bei Erforderlichkeit zur Wahrung der Kindesinteressen abdingbar ist, vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 17 f; vgl. dazu im Übrigen die Ausführungen zur vorangegangenen Rechtslage in Kap. C. 1083 Vgl. MüKo / Hinze § 1671 Rz. 17; Gernhuber § 56 II 2. 1084 Grundsätzlich wurde damit das Sorgerecht als unteilbar aufgefasst (vgl. BGHZ 3, S. 220; BGHZ 78, S. 108 (112); BayObLGZ 62, S. 409; dass. FamRZ 1963, S. 192; dass. FamRZ 1976, S. 43; OLG Hamm FamRZ 1979, S. 177; dass. FamRZ 1976, S. 284; dass. FamRZ 1971, S. 177; OLG Zweibrücken FamRZ 1983, S. 1055; einschränkend OLG Stuttgart FamRZ 1982, S. 1235; OLG Karlsruhe FamRZ 1984, S. 91; zur Abspaltung des Aufenthaltsbestimmungsrechts: BGH DAVorm 1980, S. 933 (936); Zweibrücken FamRZ 1983, S. 1055; Hamm FamRZ 1979, S. 177; zur Möglichkeit entsprechender Einzelanordnungen gem. § 1666: KG FamRZ 1971, S. 267; als vormundschaftsgerichtliche Maßnahme nach Maßgabe der §§ 1666, 1628 Abs. 2 befürwortend: BGHZ 78, S. 108 (113) = NJW 1981, S. 126 (127) = FamRZ 1980, S. 1107 (1108); zum Zustimmungsrecht der Wohnsitzwahl und dem Recht, das Zeugnis zu überprüfen: München FamRZ 1978, S. 620; anderes gilt im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die partielle Übertragung der Personensorge auf einen Vormund oder Pfleger zur Abwehr von Kindeswohlgefährdung, vgl. BGH NJW-RR 1986, S. 1264 (1265); vgl. dazu Dörr NJW 1989, S. 690 (692)). Außerhalb der Vermögenssorge wurde daher auch im Umkehrschluss jegliche Teilung der elterlichen Sorge ausgeschlossen, sei es hinsichtlich der Personensorge (vgl. BGH NJW 1981, S. 126; KG FamRZ 1984, S. 1143; OLG Karlsruhe FamRZ 1984, S. 91 f; OLG Zweibrücken FamRZ 1983, S. 1055) oder als zeitliche Aufteilung (BGH NJW 1952, S. 139; BayObLG FamRZ 1962, S. 165 (167)). Zum anderen wurde die Reichweite der teilweisen Sorgerechtsübertragung durch das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit begrenzt. Aufgrund des eindeutigen Schutzzwecks setzte dieses Kriterium zunächst ein beachtliches Kindesvermögen voraus (vgl. BayObLG Rechtspfleger 1975, S. 347; Treitz, S. 18). Erforderlich würde die Teilübertragung dann, wenn nach Maßgabe des Kindeswohls nachhaltige Gründe vorlagen, ohne deren Berücksichtigung eine ungünstige Entwicklung des Kindes zu befürchten wäre gewesen (vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 18). Diese hohe Schwelle war Ausdruck des Alleinzuständigkeitsgrundsatzes, der einer Sorgerechtsteilung grundsätzlich entgegenstand und daher deren Ausweitung nach Zweckmäßigkeitserwägungen ausschließen sollte (vgl. MüKo / Hinz § 1671 Rz. 21).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Der Ausgangspunkt für die Beurteilung der teilweisen Alleinsorge hat sich daher in bedeutsamer Weise verlagert. Während sie ursprünglich dazu diente das Hindernis einer angestrebten Alleinsorge zu beseitigen, indem das Defizit des im Übrigen Alleinsorgeberechtigten durch partiellen Sorgerechtsübertragung auf den anderen Elternteil ausgelichen wurde 1085, so gilt dies für das KindRG nicht mehr uneingeschränkt. Die teilweise Alleinsorge wird hier zum Instrument, um die Bestandteile der gesetzlichen Sorgerechtsform zu bewahren und den staatlichen Eingriff zu begrenzen. Für die Übertragung der teilweisen Alleinsorge kommen verschiedene Konstellationen in Betracht. Dabei sind nach dem Wortlaut des § 1671 drei Zusammensetzungen denkbar. Im Vordergrund stehen die Verbindungen gemeinsamer und alleiniger Sorge. Im Unterschied zum bisherigen Recht bedeutete die Zuweisung der partiellen Alleinsorge, dass im Übrigen in der Regel das gemeinsame Sorgerecht bestehen bleibt. 1086 Denn sofern die Antragstellung inhaltlich beschränkt wird, besteht hinsichtlich des nicht rechtshängigen Teiles die gesetzliche Sorge fort, es sei denn, dass eine Kindeswohlgefährdung zur Sorgerechtsübertragung von Amts wegen führt. 1087 Bei dieser sorgerechtlichen Mischform kann sich die alleinige Teilsorge auf einen Elternteil beschränken oder auf beide verteilen. 1088 In der letzteren Konstellation spaltet sich die elterliche Sorge also sogar in drei Teilbereiche – den der gemeinsamen Sorge und jeweils einen eigenständigen Alleinsorgebereich jedes Elternteils. In beiden Konstellationen setzt die verbleibende gemeinsame Sorge aber voraus, dass der Elternkonflikt auf einer thematisch isolierbaren Auseinandersetzung beruht. 1089 Der der gemeinsamen Sorge zugrunde liegende Grundkonsens muss also, anders als bei der uneingeschränkten Alleinsorgeübertragung, im Kern weiter bestehen. Darüber hinaus ist auch der Extremfall denkbar, dass die gesamte Sorge als Einzelzuständigkeiten zwischen den Eltern aufgeteilt wird, ohne dass eine gemeinsame Zuständigkeit bestehen bleibt. 1090 Diese Gestaltungsmöglichkeiten schaffen einen flexiblen und dynamischen Beurteilungsmaßstab für die Alleinsorge. Zunächst ist in Hinblick auf die Aufhebung 1085

Vgl. Soergel / Strätz § 1671 Rz. 11; KG FamRZ 1962, S. 432. Vgl. dazu auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459). 1087 Vgl. auch OLG Nürnberg FuR 1999, S. 332 = EzFamR 1999, S. 114, bei dem sich die teilweise Alleinsorgeübertragung sowohl auf einen einvernehmlichen Antrag gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 als auch auf einen streitigen Anteil gem. Abs. 2 Nr. 2 stützt. 1088 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 18. 1089 Zur Problematik der inhaltlichen Zusammenhänge von Themenbereichen, die einer trennscharfen Zuweisung von Einzelzuständigkeiten entgegenstehen können vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 19 mwN. 1090 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl., Abschn. III Rz. 82; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 18; so wohl auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (460), der keinen Grund sieht, die Überkreuzung einander ergänzender Alleinsorgeanträge nicht anzuerkennen. 1086

IV. Teilweise Alleinsorge

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der gemeinsamen Sorge stets zu prüfen, ob nicht bereits eine teilweise Übertragung der Alleinsorge zur Umsetzung des Kindeswohls ausreicht. Dies folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach nur der geringste aller erforderlichen Eingriffe rechtmäßig ist. 1091 Auf diese Weise wird der Alleinsorgeantrag zur Maximalforderung, innerhalb derer eine Annäherung an das einzelfallgerechte Kindeswohl erfolgt. Das heißt, die partielle Alleinsorge eröffnet einen abgestuften Gestaltungsspielraum, mit der die gerichtliche Sorgerechtsentscheidung nicht mehr allein auf eine befürwortende oder abschlägige Einschätzung der Anträge, sondern darüber hinaus auf eine eigenständige Ausformung gerichtet ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welchem Beurteilungsmaßstab die teilweise Alleinsorge unterliegt. Die Eingriffsschwelle hängt individuell davon ab, wie stark der einzelne Elternteil aus seiner ursprünglichen gesetzlichen Zuständigkeit verdrängt wird. In jedem Fall liegt ein weniger restriktiver Maßstab im Verhältnis zur uneingeschränkten Alleinsorge nahe. Denn auch wenn die gesamte Elternsorge vollständig in nebeneinander bestehende Einzelzuständigkeiten geteilt wird, verliert weder das Kind einen sorgeberechtigten Elternteil, noch büßt ein Elternteil durch gerichtlichen Entzug vollständig seine Rechtsstellung ein. Zwar sind grundsätzlich auch die Einzelbestandteile der Elternsorge schützenswert, so dass auch sie keiner Disposition des Antragstellers preisgegeben werden dürfen. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass sich die Interessenabwägung bei der Teilsorge verlagern kann. Die individuellen Kindesinteressen richten sich hier stärker auf eine gerichtliche Funktionszuweisung, da die sorgerechtliche Einbindung beider Elternteile gewährleistet bleibt. Umgekehrt folgt daraus, dass die kindeswohlbezogenen Anforderungen an die Teilübertragung steigen, je stärker die gemeinsame sowie die einzelne elterliche Sorgerechtsstellung ausgehöhlt werden. Der Bestandschutz nimmt in dem Maße zu, wie die Alleinsorge zu einem sorgerechtlichen Übergewicht eines Elternteils führt. Im Übrigen dominieren kindgerechte Zweckmäßigkeitserwägungen. Je mehr gemeinsame Sorge fortbesteht, desto geringer ist die Schwelle zum gerichtlichen Eingriff durch teilweise Übertragung der Alleinsorge. 3. Aufteilungsproblematik der partiellen Alleinsorge Dies führt tendenziell zu einer erheblichen Erweiterung der partiellen Alleinsorge. So macht auch der Wortlaut des § 1671 keine Einschränkung in Hinblick auf die Teilbarkeit der Eltersorge. 1092 Insbesondere das bisherige Teilungsverbot der 1091 Vgl. dazu OLG München FamRZ 1999, S. 111 (112); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 393 (394); Bode FamRZ 1999, S. 1400. 1092 Vgl. auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459), der davon spricht, dass das neue Recht keine Arten möglicher Teilung andeutet, so dass für sinnvolle Möglichkeiten beliebiger Art nun das Tor offen stehe.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Personensorge wurde durch die Gesetzesreform bewusst aufgegeben. Allerdings kommt es darauf an, dass innerhalb der Kindeswohlabwägung eine sachgerechte Beschränkung der Sorgerechtsaufteilung gewährleistet sein muss und die Praktikabilität und einheitliche Wahrnehmung der Kindesinteressen sichergestellt sind. 1093 Die entscheidenden Grenzen für die Teilübertragung leiten sich im Wesentlichen aus zwei gegenläufigen Elementen ab. So muss die Einzelzuständigkeit auf der einen Seite eindeutig abgrenzbar sein und andererseits einen hinreichenden Zusammenhang innerhalb der Gesamtsorge herstellen. 1094 Dabei treten ähnliche Schwierigkeiten auf, wie sie sich bereits bei der Abgrenzung der gesetzlichen Zuständigkeiten innerhalb der gemeinsamen Trennungssorge gezeigt haben. So muss zunächst die Bestimmtheit bzw. Rechtssicherheit der teilweisen Sorgerechtszuweisung bewahrt bleiben. 1095 Anhand jeder Einzelfrage muss die Kompetenz eindeutig zu bestimmen sein, so dass sowohl die Eltern als auch gegebenenfalls der Rechtsverkehr eine klare Orientierung haben. 1096 Vor allem dann kann Unsicherheit entstehen, wenn die Teilsorge entscheidungsintensive Bereiche betrifft. Hier nimmt die Verflechtung mit anderen Lebensbereichen oftmals zu, so dass Kompetenzstreitigkeiten drohen. 1097 Hinzu kommt, dass das Leben des Kindes eine Einheit bildet. Es soll grundsätzlich als Ganzes gestaltet werden und bedarf einer inneren Geschlossenheit und Kontinuität. Eine Aufteilung nach Sachgebieten wird schnell in Konflikt mit dieser Einheit geraten. Neben der genannten Abgrenzungsproblematik, drohen dabei einander widersprechende und inkohärente Erziehungsentscheidungen, die nur durch vorherige Absprachen oder aber durch Ausschluss eines Elternteils wirksam vermieden werden können. 1098 Der Kern der gemeinsamen Erziehungsgestaltung muss also im Rahmen der partiellen Alleinsorge gewahrt bleiben. Denn auch wenn die elterlichen Sorgerechtspositionen auf diese Weise voneinander entflochten werden, bilden sie doch im Ergebnis weiterhin eine Erziehungseinheit. Dies führt schließlich zu einem weiteren Aspekt, der sich auf das Verhältnis der teilweisen Alleinsorge zu der vorgegebenen Struktur des § 1687 bezieht. Das Gesetz hat darin eine bereits mi1093 Zu dieser Problematik vgl. Oelkers FamRZ 1995, S. 1097; Strempel S. 14; OLG Hamm MRD 1995, S. 287. 1094 Vgl. Erman / Rönke § 1671 Rz. 44. 1095 Vgl. Erman / Rönke § 1671 Rz. 44; bereits zur Abwägung des SorgeRG v. 1979 BT-Drucks. 8/2788, S. 63; BT-Drucks. 7 /2060, S. 32; so hieß es insbesondere in der Beschlussempfehlung BT-Drucks. 8/2788, S. 40, 61 zum SorgeRG, dass es die Aufteilung der Personensorge nicht erlaubt, weil „dies leicht zu Unzuträglichkeiten führen könnte, zumal eine klare Abgrenzung in diesem Bereich aus Schwierigkeiten stößt.“ 1096 Vgl. zur alten Fassung MüKo / Hinz § 1671 Rz. 19, der hervorhebt, dass etwa die Unterscheidung in tatsächliche Ausübung und Vertretungsmacht mit den Bestimmtheitserfordernissen nicht vereinbar ist. 1097 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459). 1098 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 120.

IV. Teilweise Alleinsorge

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nimalisierte Form der gemeinsamen Sorge vorgegeben. Gleichzeitig besteht aber sowohl im Rahmen von § 1687 Abs. 2 als auch von teilweiser Alleinsorge die Möglichkeit, diese Vorgaben zu unterschreiten. Setzt man beides zueinander ins Verhältnis, so bleibt die gesetzliche Trennungssorge als übergreifende Kindeswohlabwägung das vorrangige Prinzip für die Koordination zweier Elternsorgen. Das bedeutet, dass, solange das Sorgerecht beider Eltern fortbesteht, auch diese zweckgerichtete Verknüpfung verbindlich gilt. Die individuelle Abweichung kann also letztlich nur dazu dienen, durch gezielte Korrektur die Bedingungen für eine gemeinsame Sorge nach Maßgabe des § 1687 zu schaffen. 1099 Im Ergebnis bedeutet dies, dass die teilweise Alleinsorge nicht zu einer vollkommene Aufteilung der Sorgerechtszuständigkeiten führen kann, bei der die Elternsorgen beider Elternteile als Einzelzuständigkeiten ohne Verknüpfung nebeneinander bestehen. Im Vordergrund steht vielmehr die gezielte Beseitigung eines Hindernisses für die eine oder andere Sorgerechtsform, das durch punktuelle Gestaltung ausgeglichen werden kann. 4. Konkrete Einzelfallbetrachtungen Die reformierte Rechtslage hat es auch mit der Problematik der Teilbarkeit der Elternsorge zu tun. An die Stelle der gesetzlichen Vorgabe tritt nun das Kriterium einer nach Maßgabe des Kindeswohls sinnvollen Teilung. 1100 Aus dem gesetzlichen Zusammenhang ergibt sich zunächst ein spezifisches Ergänzungsverhältnis zwischen §§ 1628 und 1671. Der Antrag gem. § 1671 auf Übertragung der partiellen Alleinsorge führt dazu, dass die Zuständigkeit für alle in diesem Bereich denkbaren Entscheidungen bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Kindes einem der beiden Elternteile übertragen wird, während ein Urteil gem. § 1628 allein die Entscheidungsbefugnis in einer konkreten Situation zuteilt. 1101 a) Funktionale Aufteilung In Hinblick auf die inhaltliche Gestaltung der teilweisen Alleinsorge bestehen nach den vorangehenden Überlegungen zunächst keine Bedenken dagegen, dass die bisherige Aufteilung zwischen Vermögens- und Personensorge auch innerhalb des Reformgesetzes zulässig ist. 1102 Dies kann insbesondere dann angezeigt sein, 1099

Vgl. auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459), der hervorhebt, dass bei einer Aufteilung der Personensorge über das Maß des § 1687 hinaus Vorsicht geboten sei. 1100 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 81; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459). 1101 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 64; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 154 f; vgl. OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1058; vgl. dazu auch weitere Ausführungen in Kap. B., Abschn. III.2. 1102 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 82.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

wenn sich ein Elternteil wegen Vermögensverfalls oder Unzuverlässigkeit in diesem Teilbereich als ungeeignet erweist. 1103 Im Übrigen konzentriert sich der konkrete Anwendungsbereich auf inhaltlich abgeschlossene Lebensbereiche. 1104 Hier steht zunächst vor allem das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Vordergrund. 1105 Diese Teilzuständigkeit wird vielfach die elterlichen Sorgerechtsauseinandersetzungen beilegen. Denn sobald die Entscheidung über den Daseinsmittelpunkt des Kindes getroffen ist, wird vielfach der Grund des Konfliktes entfallen. 1106 Neutralisierend wirkt vor allem die gesetzliche Konsequenz der weitreichenden sog. Alltagsbefugnis. Verbleiben mag der Konflikt dann allenfalls in der weit weniger umstrittenen Frage nach der Reichweite der gemeinsamen Entscheidungsbefugnis. Neben dieser wohl vorrangigen Themen sind noch einzelne Bereiche hervorzuheben, die ebenfalls eindeutig begrenzbar und doch schwerwiegend in ihrer Auswirkung auf die Regelung sein können. Hier geht es vor allem um Überzeugungsfragen mit bedeutender Auswirkung. So kann etwa bei Eltern mit unterschiedlichem Glauben die religiöse Erziehung des Kindes zum Gegenstand des Alleinsorgerechts eines Elternteils gemacht werden. 1107 Entsprechendes gilt für den Bereich der Gesundheitsfürsorge, sofern die Eltern hier, z. B. bei Sportrisiken, unterschiedlicher Auffassungen sind, ebenso bei der Gestaltung der Ausbildung. Diese Bereiche veranschaulichen exemplarisch die gerichtlichen Gestaltungen, die von grundlegender Bedeutung sind, aber nach der Entscheidung eine gemeinsame Sorge im Übrigen ermöglichen können. Zur Orientierung mag hier auch die Nähe 1103 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 82; zur Alleinsorgeübertragung der Vermögenssorge vgl. auch schon Kropholler NJW 1984, S. 271 (275). 1104 Zu denkbaren Teilzuständigkeiten vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 119 ff mwN; beispielsweise zur Entscheidungsbefugnis über Staatsangehörigkeit vgl. OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1058 f. 1105 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459); Bode FamRZ 1999, S. 1400; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 3, 120 f; vgl. auch AG Hamburg FamRZ 2000, S. 499 (500); OLG Brandenburg FamRZ 2003, S. 1949; OLG Dresden FamRZ 2000, S. 501; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1597; OLG München NJW 2000, S. 368; dass. FamRZ 2003, S. 1493; OLG Köln FamRZ 2000, S. 1041; OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 1042; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, S. 1634; OLG Frankfurt FamRZ 2001, S. 1636; OLG Naumburg FamRZ 2002, S. 564; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 567; OLG Schleswig FamRZ 1494; vgl. jedoch auch OLG Frankfurt FamRZ 2003, S. 1491, das die Alleinsorge übertrug mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts, soweit es darauf gerichtet war, mit dem Kind auszuwandern bzw. den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes ins Ausland zu verlegen; zur internationalen Zuständigkeit in diesem Zusammenhang vgl. Schulz FamRZ 2003, S. 336 (338) anhand eines tragischen deutsch-französischen Sorgerechtsstreits Tiemann. / .Lancelin, DEuFamR 1999, S. 55; vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfG FamRZ 2003, S. 1731 zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit für die Wahrung des Elternrechts bei der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil. 1106 Vgl. dazu auch Reinecke FamRZ 1999, S. 167 (171). 1107 Vgl. dazu auch schon BayObLG FamRZ 1963, S. 192; dass. FamRZ 1966, S. 247 f.

IV. Teilweise Alleinsorge

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zu den Entscheidungsfragen gem. § 1628 herausgestellt werden, die in gleicher Weise konkretisierbar sind, in diesem Regelungskontext jedoch ihrer Natur nach wiederholbar. 1108 b) Zeitliche Aufteilung Schließlich lebt im Rahmen der reformierten Rechtslage auch die alte Möglichkeit der zeitlichen Aufteilung von Sorgerechtsteilen auf. 1109 Fraglich ist in diesem Zusammenhang bereits, inwieweit es überhaupt einer gerichtlichen Anordnung bedarf. Angesichts der fortbestehenden Zuständigkeit beider Eltern ist grundsätzlich eine privatautonome Aufgabenverteilung auch nach zeitlichen Abschnitten denkbar und vorzugswürdig. Aber bereits nach der bisherigen Rechtslage wurde die teilweise Alleinsorge als unbedenklich eingeschätzt, wenn die Übertragung auf einem Elternvorschlag beruhte, demzufolge die elterliche Sorge einem Elternteil übertragen werden sollte, der sich aber nur für eine von vornherein festgelegte Zeit verpflichtete, die elterliche Sorge tatsächlich dem anderen Elternteil zu überlassen. 1110 Eine Vereinbarung dieser Art kann vor allem dazu dienen, eine vorübergehende Verhinderung des vorgeschlagenen Sorgeberechtigten zu überbrücken. 1111 Darüber hinaus wurde die zeitliche Aufteilung der Elternsorge bereits unter der Geltung des § 1671 a.F. befürwortet, wenn dies nur dem Interesse des Kindes diente und wegen des bereits erreichten Alters des Kindes keine Bedenken unter dem Aspekt der Erziehungs- und Bindungskontinuität bestanden. 1112 Problematisch wird dies jedoch dann, wenn sich ein Elternteil gegen den Willen des anderen für eine bestimmte Zeit, etwa während einer bestimmten Entwicklungsphase des Kindes, ausschließliche Entscheidungsbefugnisse vorbehalten will. Dem steht zunächst entgegen, dass die zeitliche Aufteilung die Stetigkeit der Kindeserziehung zu gefährden droht. 1113 Das Kriterium der Kontinuität ist ein Kernbereich des Kindeswohls. Jedoch sind gerade im Hinblick auf die Kindesentwicklung Konstellationen denkbar, in denen Vorzüge eines Elternteils im 1108 Zum Verhältnis zu § 1628 vgl. OLG Hamm FamRZ 2006, S. 1058 f, das eine Entscheidung gem. § 1671 damit begründet, dass nicht hinreichend klar sei, wann die Antragstellerin von der Alleinssorgeberechtigung Gebrauch machen wird. 1109 Vgl. dazu bereits Schwoerer NJW 1952, S. 284; ders. NJW 1952, S. 1254; ders. FamRZ 1958, S. 433 (434); Treitz S. 22. 1110 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 19; OLG Karlsruhe NJW 1977, S. 1731; Soergel / Strätz § 1671 Rz. 21; insbes. unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs vgl. OLG Stuttgart FamRZ 1982, S. 1235; KG FamRZ 1984, S. 1143; Treitz S. 20 ff. 1111 Vgl. OLG Köln FamRZ 1977, S. 62 (63). 1112 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 19; OLG Karlsruhe NJW 1977, S. 1731; Soergel / Strätz § 1671; Kropholler NJW 1984, S. 271 (274); Rz. 21; a. A. bisherige h.M. vgl. BayObLG FamRZ 1976, S. 38 f; MüKo / Hinz § 1671 Rz. 57; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 143; ders. „Kindeswohl“, S. 309 ff.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Laufe der Zeit ihre Bedeutung verlieren. 1114 Die Teilung kann in zeitlicher Hinsicht in zweierlei Weise erwogen werden. Zum einen kann die alleinige Sorge auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt und dann in gemeinsame Zuständigkeit geführt werden. Mit anderen Worten handelt es sich bei diesem Teilungsmodus um eine Alleinsorge auf Zeit. Zum anderen kommt die Aneinanderreihung von Teilzuständigkeiten in Betracht. Hier kann die Entscheidungsformel die zeitlich begrenzte Übertragung der Alleinsorge zuerst auf den einen Elternteil sowie für eine bestimmte Folgezeit auf den anderen vorsehen. 1115 Beide Varianten setzen jedoch besondere Bedingungen des Einzelfalls voraus. Denn es entsteht bei einer derartigen Regelung ein hohes Prognoserisiko, das der reformimmanenten Zielorientierung gerade widerspricht. 1116 Der angestrebten Flexibilisierung würde auf diese Weise durch eine langfristige Fixierung entgegengewirkt. Es besteht regelmäßig noch dazu keine Notwendigkeit, da § 1696 eine ausreichende Möglichkeit der Modifizierung bietet.

V. Verhältnis der Trennungs- und Scheidungssorge zu Änderungsentscheidungen gem. § 1696 Die familiengerichtliche Regelung der Trennungssorge erfolgt zeitlich unbeschränkt, so dass sie nur unter den Voraussetzungen des § 1696 abgeändert werden kann. 1117 Soll also eine vorangegangene Sorgerechtsentscheidung aufgehoben und neuerlich getroffen werden, so werden die Sorgerechtsformen nach diesen spezifischen Voraussetzungen und nicht nach den ursprünglichen Maßstäben einander gegenübergestellt. 1118 So gelten bei der Änderungsentscheidung eigene Maßstäbe, die dem Verhältnis zwischen den Sorgerechtsformen eine weitere Facette verleihen. 1119 Hier ist nicht notwendig die gemeinsame Sorge der Ausgangspunkt der rechtlichen Prüfung. Die Änderungsentscheidung gem. § 1696 ist damit gleichsam 1113 Vgl. bereits BGHZ 3, S. 220 = NJW 1952, S. 139; BayObLG FamRZ 1962, S. 165 (167); KG FamRZ 1957, S. 176 OLG Frankfurt NJW 1962, S. 920; a. A. OLG Frankfurt FamRZ 1955, S. 146. 1114 So Kropholler NJW 1984, S. 271 (275); Schwoerer NJW 1952, S. 285 f, 1254; zu einzelnen Fallkonstellationen vgl. etwa Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 19. 1115 Vgl. Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 19, der von einer zeitlichen Abspaltung des Stammrechts und damit von einer teilweisen Sorgerechtsübertragung spricht. 1116 Vgl. Coester „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“, S. 311; Kropholler NJW 1984, S. 271 (275); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 42. 1117 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 393 (394); zur Bedeutung eines sich nachvollziehbar veränderten Willens des betroffenen Kindes vgl. dass. FamRZ 2005, S. 746. 1118 Bereits nach alter Rechtslage stand fest, dass dieses Verfahren nicht eine nochmalige Überprüfung einer Sorgerechtsregelung nach Ausschöpfen des Rechtsweges, sondern ein eigenständiges Verfahren darstellte, das erst nach veränderten Bedingungen eröffnet ist, vgl. OLG Bamberg NJW-RR 1990, S. 774; zu Gunsten einer nicht zu strengen Beurteilung vgl. OLG Hamm FamRZ 2005, S. 746.

V. Verhältnis der Trennungs- und Scheidungssorge gem. § 1696

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eine Umkehrung des § 1671 und setzt eigene Standards einer weiteren Alleinsorge oder der Rückkehr zur gemeinsamen Sorge. Für Änderungsentscheidungen kommen grundsätzlich drei Fallkonstellationen in Betracht, die ein Verfahren gem. § 1696 im Zusammenhang mit der gemeinsamen Sorge auslösen können. Zum einen kann der allein sorgeberechtigte Elternteil ausfallen bzw. aufgrund äußerlicher Notwendigkeiten eine erneute Entscheidung erforderlich machen, es kann zum anderen zwischen den Eltern eine neuerliche Übereinkunft bestehen, zur gemeinsamen Sorge zurückzukehren, oder schließlich kann der nichtsorgeberechtigte Elternteil auf die Allein- oder Mitsorge hinwirken. 1120 1. Entscheidungsspektrum der Änderungsentscheidung § 1696 sieht vor, die vorangegangene Entscheidung zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. 1121 Die Sorgerechtsentscheidungen unterliegen damit einer nur eingeschränkten Rechtskraft. 1122 Das Reformgesetz 1123 übernimmt bei der gesetzlichen Ausgestaltung die von der Rechtsprechung zur alten Vorschrift entwickelte Formel. 1124 Der Maßstab des § 1696 sieht damit vor, dass die Veränderung einer einmal ergangenen Entscheidung 1125 nur unter strengeren Bedingungen ergehen kann als die ursprüngliche Entscheidung 1126, indem der Vorteil der Neuregelung durch die Änderungsentscheidung die mit der Veränderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen muss. 1127 Also reicht es nicht allein aus, dass die Änderung insgesamt vorteil1119 Zur Diskussion über die Funktion der Änderungsentscheidung gem. § 1696 a.F. als eines Korrektivs vgl. Kropholler NJW 1984, S. 271 (274); Knöpfel NJW 1983, S. 905 (907); Lempp ZfJ 1984, S. 305 (308); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 63 ff, 88, § 1696 Rz. 9 f; Oelkers FamRZ 1995, S. 1102 f; Schütz ZfJ 1987, S. 189 (193); Treitz S. 105; BGH FamRZ 1993, S. 314 (315) = DAVorm 1992, S. 1335; KG FamRZ 1983, S. 1055; OLG Stuttgart FamRZ 1978, S. 827. 1120 Vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1627). 1121 Vgl. § 1696 Abs. 1; vgl. dazu auch Ewers FamRZ 1999, S. 477; AG Ravensburg FamRZ 2004, S. 133; AG Tempelhof-Kreuzberg FamRZ 2004, S. 134. 1122 Vgl. MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1696 Rz. 4; zur eingeschränkten Bindungswirkung einer Entscheidung des EuGHMR bezüglich einer Änderungsentscheidung vgl. OLG Naumburg FamRZ 2004, S. 1507. 1123 Zur den Änderungen des § 1696 insgesamt im Rahmen des KindRG vgl. MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1696 Rz. 2 f. 1124 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1696 Rz. 21 mwN; Amtliche Begründung BTDrucks. 13/4899, S. 109; Greßmann „Neues Kindschaftsrecht“ Rz. 312 ff; OLG Bamberg FamRZ 1990, S. 1135 (1136); dass. FuR 1999, S. 365; BayObLG FamRZ 1976, S. 41 (42); AG Würzburg FamRZ 1999, S. 1448; zur ehemaligen Rechtsprechung vgl. BayObLG NJW 1964, S. 2306; KG FamRZ 1967, S. 411; OLG Bamberg FamRZ 1990, S. 1135. 1125 Im Sinne einer gerichtlichen Anordnung, so dass etwa eine Protokollierung einer elterlichen Absprache nicht ausreicht, vgl. MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1696 Rz. 7 mwN.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

haft wäre. 1128 Diese erhöhten Anforderungen und damit die Beständigkeit einmal ergangener Sorgerechtsentscheidungen dienen der Wahrung der Erziehungskontinuität. 1129 Im Gesamtkontext der Reform liegt darin eine deutliche Abweichung von den Parametern der Trennungssorge. Denn anstelle der im Übrigen vorrangigen Reprivatisierung und Elternautonomie bleibt hier grundsätzlich kein Raum für die einvernehmliche Umgestaltung des Sorgerechts im Anschluss an eine rechtskräftige Entscheidung. 1130 Der Bestandsschutz wird damit zum vorrangigen Schutzgut bei der gerichtlichen Beurteilung und knüpft damit an die Wertung der Trennungssorge an. 1131 Lediglich der Ausgangspunkt hat sich verändert, indem nun nicht die bestehende gemeinsame Sorge, sondern die durch die Erstentscheidung gesetzten Bedingungen den Schutz vor übereilter Veränderung genießen. So soll eine einmal ergangene Zuordnung der Erziehungszuständigkeit nicht beliebig wieder in Frage gestellt werden können. 1132 Danach kommt eine Änderung nur in Betracht, wenn sich die tatsächlichen Umstände seit der Erstentscheidung verändert haben oder bereits damals vorliegende Umstände erst nachträglich bekannt geworden sind. 1133 Dabei müssen sich stets die Umstände, die maßgeblich waren für die vorangegangene Entscheidung, geändert haben oder zumindest zu einem anderen Ergebnis bei der Beurteilung der Sache führen. 1134 Damit ist jede vorangegangene Entscheidung gem. § 1671, gleich ob sie sich auf die Übertragung von teilweiser oder vollständi1126 Zum Maßstab vgl. etwa OLG Karlsruhe FamRZ 1998, S. 1046; vgl. aber auch Müller-Alten ZfJ 1989, S. 443 (446), der sich nach alter Rechtslage für eine turnusmäßige Überprüfung der gemeinsamen Sorge aussprach. 1127 Vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625; Palandt / Diederichsen § 1696 Rz. 21; OLG Köln FamRZ 1998, S. 1463; dass. FamRZ 2005, S. 1276; OLG Bamberg FamRZ 1990, S. 1134; etwa in Fällen in denen sich der Sorgeberechtigte als schlechthin erziehungsungeeignet erweist vgl. OLG Thüringen FamRZ 2005, S. 52 f. 1128 Vgl. BayObLG FamRZ 1976, S. 41 (42); OLG Thüringen FamRZ 2005, S. 52 f. 1129 Vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1595 f; kritisch dazu Salzgeber FPR 1998, S. 80 (81), der er sich dafür ausspricht, nach Wiedererlangung der Kooperationsbereitschaft die Wiedereinsetzung der gemeinsamen Sorge gesetzlich zu erleichtern. Vor allem sei auf diese Weise der Konfliktverschärfung einer Sorgerechtsentscheidung im Scheidungsverbund gezielt entgegengewirkt, wenn eine Änderungsentscheidung unaufwendig zu erwirken wäre. 1130 Kritisch dazu Staudinger / Coester § 1671 Rz. 13. 1131 Vgl. auch schon MüKo / Hinz § 1696 Rz. 4a. 1132 Vgl. Amtliche Begründung BT-Drucks. 13/4899, S. 109; Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „das neue Kindschaftsrecht“, S. 178. 1133 Vgl. MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1696 Rz. 9; Palandt / Diederichsen § 1696, Rz. 7; so auch die bisherige h.M.: vgl. OLG Bamberg FamRZ 1990, S. 1135 (1136); BayObLG FamRZ 1971, S. 467 (471); dass. FamRZ 1976, S. 41 (42); BayObLG NJW 1964, S. 2306; KG FamRZ 1967, S. 411; kritisch dazu Gernhuber / Coester-Waltjen „Lehrbuch des Familienrechts“, S. 1054. 1134 Vgl. bereits OLG Bamberg FamRZ 1990, S. 1135.

V. Verhältnis der Trennungs- und Scheidungssorge gem. § 1696

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ger Alleinsorge richtet und unabhängig davon, welche Veränderung sie angestrebt hat, nach den besonderen Maßstäben des § 1696 zu beurteilen. 1135 Andererseits war es erklärte Absicht der Reform, die gerichtliche Änderungsentscheidung gesetzlich verbindlicher auszugestalten. 1136 Die das Kindeswohl nachhaltig berührenden Entscheidungen können nicht im Belieben der Gerichte stehen, sondern sind durch Anordnung zu erlassen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. 1137 Betrachtet man vor diesem Hintergrund das Verhältnis der Originärentscheidung gem. § 1671 zu der Änderungsentscheidung gem. § 1696, so richtet sich das Augenmerk zunächst auf den zulässigen Inhalt der Veränderung bzw. die gerichtliche Änderungsbefugnis. Dabei steht die Funktion der Änderungsentscheidung im Vordergrund. In diesem Zusammenhang wird die sog. „Rückwegproblematik“ aufgeworfen. 1138 Sie betrifft die Frage, ob die Entscheidung gem. § 1696 auf einen „Rückweg“ zum Zustand der Erstentscheidung beschränkt ist. Gegen eine solche Beschränkung spricht jedoch, dass sich anderenfalls die Änderungsbefugnis auf eine bloße Aufhebungsbefugnis beschränkte, was dem Wortlaut des § 1696 nicht zu entnehmen ist. 1139 Nach bisher h.M. galt demgegenüber der Grundsatz, dass die Änderungsentscheidung sich auf den inhaltlichen Rahmen des § 1671 a.F. erstreckte. 1140 Das heißt, das Gericht kann ausschließlich Entscheidungen aussprechen, die auch als Erstentscheidung hätte ergehen können. Dies erscheint jedoch gerade angesichts der Universalität des § 1696 zu eng. Die Änderungsentscheidung beschränkt sich gerade nicht auf den typisierten Trennungsvorgang, der die gemeinsame Sorge an den veränderten Lebensbedingungen misst. Der Tatbestand erfasst beispielsweise gleichermaßen auch Entscheidungen nach § 1628, ohne dass die Vorschrift nach den Formen der Erstentscheidungen unterscheidet und verschiedene Änderungsspektren vorsieht. Überdies erscheint es nach Maßgabe der systematischen Einheitlichkeit der Elternsorge geboten, jede Gestaltung des Sorgerechtsverhältnisses zuzulassen, die nach materiellem 1135

Vgl. AG Burgwedel FamRZ 2002, S. 631. Lautete die bisherige Fassung: „Das Vormundschaftsgericht und das Familiengericht können während der Dauer der elterlichen Sorge ihre Anordnungen jederzeit ändern“, wird nunmehr die Änderungsentscheidung ohne entsprechenden Ermessensspielraum bindend vorgegeben, indem es heißt: „Das Vormundschaftsgericht und das Familiengericht haben ihre Anordnungen zu ändern, wenn ...“ 1137 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 109; vgl. auch Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 178. 1138 Vgl. dazu Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1626). 1139 Die terminologische Unterscheidung zwischen Aufheben und Ändern wird überdies innerhalb des Tatbestandes verdeutlicht, indem das Gesetz in Hinblick auf Entscheidungen, die auf § 1666 beruhen, ausdrücklich von Aufhebung spricht – zu diesem Umkehrschluss vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1626). 1140 Vgl. Gernhuber / Coester-Waltjen „Lehrbuch des Familienrechts“, S. 1054 f; MüKo / Hinz § 1696 Rz. 6, 9; BayObLG FamRZ 1976, S. 41 (43). 1136

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Recht möglich ist. 1141 Schließlich sprechen auch die praktischen Auswirkungen einer solchen Einschränkung gegen diese Auslegung. Das Gericht könnte allein den Antrag ablehnen oder Alleinsorge übertragen, soweit sich der Antrag darauf richtet. Demgegenüber ist die Übertragung der gemeinsamen Sorge aufgrund der regelungsspezifischen Zielsetzung des § 1671 nicht vorgesehen, da diese Sorgerechtsform Ausgangspunkt der Gerichtsentscheidung ist. Die Ablehnung des Antrages führt aber bei der Erstentscheidung zur Belassung der gemeinsamen Sorge, während sie im Zuge des § 1696 demgegenüber nicht wieder auflebt. 2. Spezifischer Maßstab hinsichtlich der gemeinsamen Sorge innerhalb des § 1696 und die Wertungszusammenhänge zu § 1671 Im Anwendungsbereich des § 1696 sind vor allem drei Fallkonstellationen hervorzuheben 1142, die das Verhältnis der Sorgerechtsformen auf der Ebene der Änderungsentscheidung bestimmen. 1143 Der Übergang der gemeinsamen Sorge zur Alleinsorge oder umgekehrt ist hier ins Verhältnis zu setzen mit dem erhöhten Bestandsschutz der sorgerechtlichen Positionen durch das Reformgesetz. Mehr noch als bei der Auslegung des § 1671 ergibt sich dabei eine kasuistische Differenzierung, die die Beurteilung des Kindeswohls an den Besonderheiten des Einzelfalls misst. 1144 Dabei ist im Zusammenhang mit dem KindRG die Frage entstanden, ob bereits die Gesetzesänderung einen Abänderungsgrund darstellt. 1145 Frühere Sorgerechtsentscheidungen wären demnach zu revidieren, insbesondere, wenn nun durch die veränderte Rechtslage die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge entstanden wäre, die zuvor ausgeschlossen war. 1146 Nach der bereits zu § 1696 a.F. entwickelten Rechtsprechung müssen die tatsächlichen oder rechtli1141 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (471); Ewers FamRZ 1999, S. 477 (480); vgl. dazu auch Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (218); Coester DEuFam 1999, S. 3 (13); Schwab DNotZ 1998, S. 437 (441). 1142 Vgl. auch Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 91. 1143 Hier bleiben vor allem die Konstellationen außer Betracht, die sich auf einen Übergang der Alleinsorge von einem Elternteil auf den anderen beziehen, sei es, weil der Alleinsorgeberechtigte dauerhaft oder vorübergehend ausfällt oder weil der nichtsorgeberechtigte Elternteil die Alleinsorge in einem streitigen Verfahren für sich in Anspruch nimmt, vgl. dazu Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1627, 1629); Ewers FamRZ 1999, S. 477 – insbesondere hinsichtlich Anwendungsschwierigkeit im Verhältnis zwischen §§ 1678, 1696. 1144 Vgl. vor allem Ewers FamRZ 1999, S. 477 (479) mit seinen sehr spezifischen Fallkonstellationen, anhand derer er die typisierten Problemkonstellationen des § 1696 zu veranschaulichen versucht. 1145 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 86; nach ehemaliger Rechtslage vgl. auch OLG Zweibrücken FamRZ 1975, S. 172, wonach eine Änderung der Rechtslage ein hinreichender Anknüpfungspunkt für die Änderungsentscheidung darstellte.

V. Verhältnis der Trennungs- und Scheidungssorge gem. § 1696

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chen Änderungen nachhaltig sein unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls. Es kommt daher darauf an, auf welche Gesichtspunkte die Ausgangsentscheidung im Verhältnis zu den gegenwärtigen Bedingungen gestützt war. 1147 a) Einvernehmlicher Antrag beider Eltern zur Wiederherstellung der gemeinsamen Sorge Eine Konstellation besteht darin, einen einvernehmlichen Antrag auf Änderungsentscheidung zu stellen, eine gerichtliche Alleinsorgeübertragung aufzuheben und zur gemeinsamen Sorge zurückzukehren. 1148 Die damit betroffene Veränderung der Sorgerechtsform steht hier im Umkehrverhältnis zur Trennungssorge. 1149 Ausgangspunkt ist die Alleinsorge und angestrebt ist die Übertragung der gemeinsamen Sorge, so dass sich die gerichtliche Perspektive gleichsam gegenüber dem Tatbestand des § 1671 umkehrt. Neben der Heirat der zuvor unverheirateten Eltern 1150 kommt insoweit nur der gerichtliche Gestaltungsakt auf der Grundlage des § 1696 Abs. 1 in Betracht. 1151 Umstritten ist dabei der angemessene Maßstab für die Änderungsentscheidung in dieser Fallkonstellation. 1152 Dem geht zunächst die Kontroverse voraus, ob im Falle elterlichen Einvernehmens nicht auf den Maßstab des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 1146

Zum Verhältnis zur abweichenden Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 377 ZPO vgl. MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1696 Rz. 6 mwN. 1147 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 86; kritisch zur „vorläufigen“ Entscheidung unter Hinweis der Korrekturmöglichkeit durch § 1696 vgl. zur alten Rechtslage OLG Bamberg FamRZ 1990, S. 1136 = NJW-RR 1990, S. 774; Oelkers FamRZ 1995, S. 1097 (1102); vgl. auch Goldstein / Freud / Solnit „Jenseits des Kindeswohls“, S. 37. 1148 Vgl. OLG Dresden FamRZ 2002, S. 632; als Beispiel führt in diesem Zusammenhang Ewers, FamRZ 1999, S. 477 (479) an: Die Eltern sind nicht verheiratet, hatten aber durch die Abgabe der Sorgerechtserklärung ein gemeinsames Sorgerecht. Nach der Trennung wurde der Mutter auf Antrag durch das Gericht die Alleinsorge gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 übertragen. Später versöhnen sich die Eltern wieder und würden nun gerne zur gemeinsamen Sorge zurückkehren. 1149 Vgl. Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (216), der hier von einem „reziproken“ Verhältnis der Erst- und Änderungsentscheidung spricht; zur Anwendbarkeit der Feststellungsklage gem. § 256 ZPO vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 14; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (460); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“ 4. Aufl. III Rz. 90 f. 1150 Gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 2 können die unverheirateten Eltern durch die Heirat nach der Geburt des Kindes die gemeinsame Sorge kraft Gesetzes erlangen (vgl. dazu auch § 1719 a.F.). Die gemeinsame Sorge nach gerichtlicher Übertragung der Alleinsorge schließt der § 1626b Abs. 3 nur auf dem Weg der Sorgerechtserklärung aus. 1151 Vgl. dazu BGH FamRZ 2005, S. 1469. 1152 Vgl. in diesem Zusammenhang den Ansatz, dass ein einvernehmlicher Antrag zur Wiederherstellung der gemeinsamen Sorge stets einen triftigen Grund zur Änderung iSd § 1696: MüKo / Hinz § 1671 a.F. Rz. 63 ff, 88, § 1696 Rz. 9 f; BayObLG FamRZ 1976,

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

zurückzugreifen ist. 1153 So wird vorrangig darauf verwiesen, dass aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich die Maßgeblichkeit des Elternkonsenses folge, die auch die Gestaltung des Sorgerechts im Änderungsverfahren bestimme. 1154 Es fehle bei bestehendem Einvernehmen der Eltern an einer sachlichen Rechtfertigung für die wesentlich höhere Kontrolldichte. Denn die Übereinstimmung der Eltern lasse vermuten, dass die Absprache dem Kindeswohl entspreche. 1155 Was für die Übertragung der Alleinsorge gelte, könne im Hinblick auf die Wiederaufnahme der gemeinsamen Sorge nicht anders bewertet werden. Hier sei nicht die formale Entscheidungssituation entscheidend, sondern die grundlegende Wertung des Gesetzes. Diese aber laute: Ein übereinstimmender Elternwille habe Vorrang vor staatlicher Entscheidung, es sei denn, die Grenze des § 1666 werde überschritten oder das betroffene Kind von mindestens 14 Jahren widerspreche. 1156 Es handele sich also bei elterlichem Einvernehmen um einen „triftigen Grund“ für eine Sorgerechtsänderung. 1157 Dies werde überdies durch die Wertung des § 1672 Abs. 2 bestätigt. Anders als die restriktive Vorgabe des § 1696 setze danach der einvernehmliche Übergang zur gemeinsamen Sorge unverheirateter Eltern nach einer vorangegangenen Sorgerechtsübertragung lediglich einen einvernehmlichen Antrag voraus, da dies dem Wohl des Kindes nicht widerspreche. 1158 Die uneingeschränkte Anwendung des § 1696 liefe auf strengere Anforderungen für eheliche Kinder hinaus. Dies widerspreche der ausdrücklichen Zielsetzung, durch die Reform die sorgerechtliche Unterscheidung ehelicher und nichtehelicher Kinder zu beseitigen, und entbehrte sachlicher Rechtfertigung. 1159 Dieser Standpunkt übersieht jedoch, dass der eindeutige Wortlaut des § 1696 keinen Auslegungsspielraum bietet. 1160 Ferner ist diese eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers auch durch sachliche Unterschiede gegenüber der ErstentscheiS. 41 (42); BGH FamRZ 1993, S. 314 (315) = DAVorm 1992, S. 1335; KG FamRZ 1983, S. 1055; OLG Stuttgart FamRZ 1978, S. 827. 1153 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 92 f, wonach allein eine entsprechende Anwendung des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 zum richtigen Ergebnis führe; entsprechend auch Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (216 f); auch für eine analoge Anwendung Hammer FamRZ 2005, S. 1209 (1212 f); vgl. dazu auch OLG Dresden FamRZ 2002, S. 632; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 1210; AG Würzburg FamRZ 1999, S. 1448. 1154 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl, Abschn. III Rz. 93; OLG Dresden FamRZ 2002, S. 632; vgl. auch Ewers FamRZ 1999, S. 477 (479) bei Zusammenleben der Eltern ohne Kindeswohlprüfung. 1155 So auch AG Würzburg FamRZ 1999, S. 1448 (1449), das die Entscheidung jedoch auf § 1696 stützt. 1156 Vgl. Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (218); AG Würzburg FamRZ 1999, S. 1448 (1449). 1157 Vgl. Büdenbender aaO; OLG Dresden FamRZ 2002, S. 632. 1158 Vgl. dazu Lipp FamRZ 1998, S. 65 (73). 1159 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl, Abschn. III Rz. 93.

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dung nicht willkürlich. So kommt bei der Änderung die Bestandsbewahrung zum Tragen, dass das Kind vor mehrmaliger Änderung der sorgerechtlichen Zuständigkeit stärker bewahrt wird. Auch erscheint ein Wandel im elterlichen Einvernehmen weniger eindeutig und mag als Anzeichen der Labilität zumindest latent gewertet werden. Die gemeinsame Sorge ist demnach auch bei Einvernehmen der Eltern nach Maßgabe des § 1696 zu übertragen. 1161 Jedoch können die Erwägungen gleichermaßen bei der Auslegung des einzelfallbezogenen Kindeswohls einfließen. Im Zentrum der Betrachtung steht in diesem Zusammenhang die systematische Rückkopplung der Kindeswohleinschätzung in die Gesamtgewichtung der Kindschaftsrechtsreform. 1162 Weitgehend besteht Einigkeit darüber, dass der übereinstimmende Elternwille zur gemeinsamen Sorge im Rahmen der gerichtlichen Abwägung zu berücksichtigen ist. 1163 Das Einvernehmen von Eltern und Kind wurde insoweit auch nach alter Rechtslage als wesentlicher Anhaltspunkt für die Beurteilung des Kindeswohls im Rahmen der Änderungsentscheidung angesehen. 1164 Die Diskussion bezieht sich vielmehr auf das Gewicht des Elternwillens innerhalb der Gesamtbeurteilung. 1165 Einer Auffassung zufolge ist bei übereinstimmendem Elternwillen die gemeinsame Sorge grundsätzlich ohne weitere Kindeswohlprüfung anzuordnen. 1166 Anknüpfend an den Maßstab des § 1671 Abs. 2 Nr. 1 hebe allein der Widerspruch des betroffenen Kindes von mindestens 14 Jahren oder die Überschreitung des Gefahrentatbestandes gem. § 1666 die damit begründete Kindeswohlvermutung wieder auf. 1167 Zurückgeführt wird diese Einschätzung darauf, dass die grundlegende Wertung 1160 Vgl. AG Würzburg FamRZ 1999, S. 1448; grundsätzlich zustimmend Büdenbinder AcP 197 (1997), S. 197 (218), der aber abschließend zu einem anderen Ergebnis kommt. 1161 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 459 (471); MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1696 Rz. 14; OLG Düsseldorf FamRZ 1596. 1162 So vor allem AG Würzburg FamRZ 1999, S. 1448 (1449). 1163 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (471); Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (218 f); FamRefK / Rogner § 1696 Rz. 4; weitergehend unter Bezug auf die veränderte Wertung des Reformgesetzes OLG Dresden FamRZ 2002, S. 632, das die Einigung der Eltern als verbindliche Vorgabe für das Gericht ansieht. 1164 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1981, S. 600; Palandt / Diederichsen, 52. Aufl. § 1696 Rz. 6. 1165 Bereits innerhalb der alten Rechtslage wurde eine Bindungswirkung des einvernehmlichen Elternwillens nach dem Vorbild des Elternvorschlags gem. § 1671 Abs. 3 S. 1 a.F. erwogen. Das hieße, dass die Gerichte von dem einvernehmlichen Antrag nur abweichen könnten, wenn dies für das Wohl des Kindes erforderlich wäre (so z. B. Staudinger / Coester § 1696 Rz. 42 ff; OLG Karlruhe NJW 1977, S. 1731). Die überwiegende Ansicht lehnte jedoch eine solche Bindungswirkung ab und beschränkte den Einfluss auf ein gewichtiges Indiz bei der Auslegung des Kindeswohls (so etwa MüKo / Hinz § 1696 Rz. 10; OLG Hamm FamRZ 1981, S. 600). Die praktischen Auswirkungen der Debatte waren aber recht gering, vgl. Gernhuber / Coester-Waltjen „Das Lehrbuch des Familienrechts“, S. 1057. 1166 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl, Abschn. III Rz. 92 f; AG Würzburg FamRZ 1999, S. 1448 (1449).

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der Reform unterhalb der Schwelle des § 1666 dem übereinstimmenden Elternwillen Vorrang vor staatlicher Sorgerechtsgestaltung einräumt. 1168 Andere gehen zwar nicht so weit, auf eine Kindeswohlprüfung vollends zu verzichten. Sie kehren nur das Regel-Ausnahme-Verhältnis um, so dass lediglich triftige Gründe innerhalb der Entscheidung gem. § 1696 eine Sperrfunktion auslösen. 1169 Diese Auffassung entspricht jedoch nicht der vorgegebenen Gewichtung des Gesetzes. Unabhängig davon, dass bereits der Wortlaut des § 1696 diesem Entscheidungsmaßstab widerspricht, ergibt sich auch nichts anderes aus der Gesetzessystematik. So findet die im Übrigen vorherrschende Priorität der Familienautonomie hier keine uneingeschränkte Anwendung. Zum einen hat das Gesetz die Subsidiarität staatlicher Sorgerechtsgestaltung und den Vorrang familiärer Eigenständigkeit eindeutig verankert. So lässt sich im Umkehrschluss argumentieren, dass diese reformerische Grundidee dort auf ihre Grenzen stößt, wo der Gesetzgeber sie nicht normativ umgesetzt hat. Zum anderen vermag auch der Verweis auf den Wertungszusammenhang innerhalb der Sorgerechtssystematik nicht zu überzeugen. Zwar misst die Reform dem übereinstimmenden Elternwillen zur gemeinsamen Sorge unterhalb der Schwelle des § 1666 verstärktes Gewicht bei. Insbesondere die Erweiterung der gesetzlichen Sorge auf unverheiratete Eltern mittels der Sorgerechtserklärung, aber auch der übereinstimmende Antrag auf Übertragung der Alleinsorge gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 machen das deutlich. Aber diese Systematik findet keine uneingeschränkte Anwendung auf die Änderungsentscheidung. So ergibt sich zum einen bereits aus dem Wortlaut des § 1626b Abs. 3, dass der auf Elterninteressen bestimmte Weg bei der Begründung der gemeinsamen Sorge nicht mehr gelten soll, nachdem eine gerichtliche Entscheidung über die Alleinsorge ergangen ist. 1170 In Hinblick auf die Gestaltungsautonomie der Trennungssorge besteht die Selbstbestimmung der Eltern zugunsten der gemeinsamen Sorge in erster Linie darin, keinen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge gem. § 1671 Abs. 1 zu stellen. Nachhaltiger spricht zum anderen dagegen, dass sich die Regelungsbedingungen signifikant voneinander unterscheiden. Während die Selbstbestimmung der Eltern bei der Gestaltung der Trennungssorge darauf gerichtet ist, den bestehenden Zustand aufrechtzuerhalten, führt die antragsgemäße Änderungsentscheidung gerade zu einer Veränderung der Sorgerechtszuordnung. 1171 1167

Vgl. Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (217 f); ähnlich FamRefK / Roger 1998, § 1696 Rz. 4; vgl. darüber hinaus auch Ewers FamRZ 1999, S. 477 (479); Palandt / Diederichsen § 1696 Rz. 26. 1168 Vgl. Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (218). 1169 Vgl. entsprechende Wertung, bezogen auf die Übergangsfälle mit einer Erstentscheidung nach alter Rechtslage, Schwab FamRZ 1998, S. 457 (471); Coester DEuFamR 1999, S. 3 (14). 1170 Vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1628).

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Zwar hat bereits die Betrachtung des Kindeswohlbegriffs – sowohl inzidenter im Trennungssorgetatbestand als auch bei der Alleinsorgeübertragung gem. § 1671 Abs. 2 – gezeigt, dass die „staatsfreie“ Sorgerechtsgestaltung selbst zum Schutzgut der Kindesinteressen geworden ist. Tragfähigkeit wie auch die Vermeidung institutioneller Fremdeinwirkung machen die Elternabsprache zur bevorzugten Gestaltungsform. Sie haben sich damit als Bestandteile des modernen Kindeswohlverständnisses herausgebildet, bei denen die bewusst zu Gunsten dieser Privatheit bestehenden Risiken für das Kind in Kauf genommen werden. Diese bei der ersten Sorgerechtsentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte finden jedoch bei der Änderungsentscheidung keine Anwendung zu Gunsten der gemeinsamen Sorge, weil die vorangegangene Intervention nicht mehr rückgängig zu machen ist und stattdessen eine weitere Intervention herbeigeführt wird. Damit tritt ein Spannungsverhältnis zwischen der elterlichen Kindeswohleinschätzung und dem zentralen Gestaltungselement der Erziehungskontinuität auf. 1172 Daher erscheint es nicht vertretbar, die Änderungsentscheidung unterhalb der Kindeswohlgefährdung vorbehaltlos an den einvernehmlichen Willen der Eltern zu binden. b) Streitiger Antrag auf Wiederherstellung der gemeinsamen Sorge Eine weitere Konstellation besteht im streitigen Änderungsantrag auf Übertragung der gemeinsamen Sorge. Hier möchte nur ein Elternteil zur gemeinsamen Sorge zurückkehren, während der andere entweder den status quo bewahren oder eine Alleinsorgeübertragung vom anderen auf sich beantragt. Diese Fallgruppe ist gegenüber der vorangehenden etwas anders gelagert, da es hier an der übereinstimmenden Kindeswohleinschätzung durch die Eltern fehlt. Mangels Einvernehmens besteht in diesen Fällen kein Raum, die gerichtliche Einzelfallprüfung durch elterliches Gestaltungsprivileg zu verdrängen. Grundsätzlich findet demnach der Maßstab des § 1696 uneingeschränkt Anwendung und die Beurteilung hat uneingeschränkt das Schutzgut der Kontinuität und die veränderten Bedingungen der Sorgerechtssituation gegeneinander abzuwägen. 1173 Zum Schutz der Kontinuität und Stabilität der Lebensverhältnisse des Kindes muss danach der Vorteil der Neuregelung die mit der Änderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen. 1174 1171 A. A. Büdenbender AcP 197 (1997), S. 197 (219), der in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass die Änderungsentscheidung stets auf eine Durchbrechung der Erziehungskontinuität gerichtet sei. Darüber hinaus sei § 1671 Abs. 2 auch auf eine solche Durchbrechung gerichtet, die aber einer elternautonomen Entscheidung nicht entgegenstehe. 1172 Vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1629). 1173 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1605 f. 1174 Vgl. Palandt / Diederichsen 64. Aufl. 1696 Rz. 21 mwN; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (471); Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1629); FamRefK / Rogner § 1696 Rz. 6; OLG Braunschweig FamRZ 2002, S. 121 f für den Änderungsantrag von der Alleinsorge auf Übertragung der gemeinsamen Sorge.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Diese Wertung kann jedoch durch die neue Gewichtung des Gesetzes zu Gunsten der gemeinsamen Sorge im Einzelnen beeinflusst werden. Bei der näheren Betrachtung des Meinungsstandes wird hier nur teilweise eine geringfügig modifizierte Anwendung der alten Rückkehrtheorie vertreten 1175, derzufolge danach differenziert werden solle, welcher Übertragungstatbestand der Alleinsorgeübertragung zugrunde gelegen hat. Sofern sie auf § 1671 Abs. 2 Nr. 2 beruht habe, solle der dort vorgegebene Maßstab auch für die Änderungsentscheidung gelten. 1176 Das Gericht müsse demnach die gemeinsame Sorge anordnen, wenn dies dem Wohl des Kindes „am besten entspreche“ – eine Schwelle, die erheblich niedriger liegt als die in § 1696 vorgesehenen „triftigen Gründe“. 1177 Beruhe die Erstentscheidung hingegen auf § 1671 Abs. 2 Nr. 1, so sei der Maßstab des § 1697a heranzuziehen, der das allgemeine Kindeswohlprinzip als Entscheidungsmaßstab definiert, sofern nichts anderes bestimmt ist. 1178 Anhand dessen wäre die gemeinsame Sorge anzuordnen, wenn dies dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Diese Tatbestandsauslegung erscheint jedoch wenig überzeugend. So bedarf der § 1696 keiner tatbestandlichen Ergänzung, die eine Rückbezugnahme auf den Tatbestand der Erstentscheidung rechtfertigt. Im Gegenteil, bestimmt § 1696 ausdrücklich einen eigenen Maßstab, der die Änderungsentscheidung unabhängig vom Tatbestand der Erstentscheidung vereinheitlicht und eine eigenständige Zielsetzung vorgibt. 1179 Die Wahrung der Erziehungskontinuität wird auf diese Weise als bereichsspezifischer Maßstab verstärkt. 1180 Es besteht daher kein Bedürfnis, sich an der Wertung der Erstentscheidung zu orientieren. 1181 Im Vordergrund steht dabei vor allem, die Veränderung der Sorgerechtsbedingungen zu beurteilen, ohne dass für die Entscheidung automatisch der gleiche Maßstab wie für den ursprünglichen status quo gelten muss. Beide Eingriffstatbestände spiegeln verschiedene Güterabwägungen und Schutzgedanken wider, die das Kindeswohl im Einzelfall konkretisieren. Gleichwohl müssen wie bereits in den vorangegangenen Fallkonstellationen auch hier die grundlegenden Wertungen der Trennungssorge berücksichtigt werden. So sind auch bei einem streitigen Antrag der durch die Reform einfließende 1175

Vgl. Ewers FamRZ 1999, S. 477 (478). Vgl. Ewers FamRZ 1999, S. 477 (478). 1177 Vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1629). 1178 Vgl. Ewers FamRZ 1999, S. 477 (479); im Ergebnis so auch OLG Hamm ZfJ 1999, S. 226 (228). 1179 Vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1629); OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1595 f; OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 639 (640); OLG Braunschweig FamRZ 2002, S. 121 f; vgl. auch AG Fürstenfeldbruck FamRZ 2002, S. 118 ff. 1180 Vgl. Huber aaO. 1181 Vgl. Huber aaO.; so auch OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1595 (1596). 1176

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Vorzug der gemeinsamen Sorge und der grundrechtliche Schutz der Elternstellung in die Abwägung einzubeziehen. 1182 Überdies lässt sich der Kontinuitätsgedanke auf beide Sorgerechtsformen gleichermaßen anwenden, soweit im Vorfeld der Alleinsorgeübertragung die gemeinsame Sorge für eine beachtliche Dauer praktiziert worden ist. Das Gewicht der gemeinsamen Sorge nimmt dabei in dem Maße ihrer Dauer und der Kürze der Unterbrechung durch die Alleinsorge zu. Dies gilt zumindest in Fällen, wenn die Eltern wieder zusammenleben und dabei an die Sorgerechtsausübung unmittelbar vor der Trennung anknüpfen. Doch stehen der Übertragung der gemeinsamen Sorge auf der anderen Seite zusätzliche Bedenken entgegen. Es fehlt vor allem am Indiz der familieninternen Übereinkunft. So erweitert die elterliche Meinungsverschiedenheit gleichsam den gerichtlichen Entscheidungsspielraum. Erst wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die äußeren Änderungen der Sorgerechtssituation nachhaltig und stabil sind, ist die Änderung der Erstentscheidung geboten. In erhöhtem Maße sind es also hier die tatsächlichen Lebensbedingungen und nicht die Einschätzung der Eltern, die der Abwägung zugrunde liegen. Dabei spricht zunächst für die Rückübertragung der gemeinsamen Sorge, dass das Kind auf diese Weise einen zusätzlichen Sorgerechtsinhaber erhält 1183, während diesem Akt das spezifische Konfliktpotential kontroverser Elternanträge entgegensteht. Die Entscheidung dieser Fallkonstellation richtet sich damit in besonderer Weise nach den tatsächlichen Verhältnissen und danach, welches Gewicht man der elterlichen Uneinigkeit beimisst. 1184 Gerade wenn man berücksichtigt, dass der besondere Bestandsschutz des § 1696 auch erhöhte Anforderungen an die voraussichtliche Tragfähigkeit der Änderungsentscheidung stellt, leitet sich aus dem Dissens bereits die Vermutung von Instabilität ab. 1185 So können sich die diesbezüglichen Bedenken gegen die Kooperationsbereitschaft, aber auch gegen die voraussichtliche Dauerhaftigkeit der veränderten Lebensverhältnisse richten. Grundsätzlich sind beide Aspekte gegenüber der Entscheidung gem. § 1671 stärker zu gewichten, stellen sie doch zusätzliche Bestätigung des durch die Erstentscheidung gesetzten Anscheins dar. Dabei muss danach unterschieden werden, ob eine erneute Partnerschaft der Eltern und das gemeinsame Zusammenleben mit dem Kind oder eine andere Veränderung Anlass zum Änderungsverfahren gab. Denn in beiden Fällen bietet sich ein verschieden zu bewertendes Verhältnis zwischen

1182

A. A. OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1595 (1596); vgl. auch OLG Braunschweig FamRZ 2002, S. 121 f. 1183 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 101. 1184 Vgl. auch OLG Braunschweig FamRZ 2002, S. 121 (122), das sich für eine Einzelfallprüfung ausspricht und darauf abstellt, ob die Übertragung der gemeinsamen Sorge zu einer Verbesserung der Situation des Kindes führt. 1185 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 121; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1605 (1606).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen, die den Abwägungsprozess bestimmen. Leben die Eltern erneut zusammen kann die Verweigerung des Einvernehmens geradezu treuwidrig erscheinen und die Übertragung der gemeinsamen Sorge trotz des Widerstands des anderen Elternteils angezeigt sein. 1186 Denn die Lebensform schafft tatsächliche Verhältnisse, die eine Sorgerechtsumstellung als rechtlichen Reflex legitimieren. Bei der Gegenüberstellung der Sorgerechtsformen auch im Rahmen der Änderungsentscheidung muss man sich vor Augen halten, dass die Zuordnung der Elternsorge Ausdruck der tatsächlichen Verantwortungsverhältnisse sein soll. Die Reform hat eben dieser Koppelung von realer und rechtlicher Kompetenz besonderen Nachdruck verliehen. So ist nicht nur die praktizierte Elternverantwortung, sondern auch deren rechtliche Verankerung durch die gesetzliche Trennungssorge zum zentralen Gesichtspunkt der Sorgerechtsstellung geworden. Damit fließt die rechtliche Anerkennung der Elternverantwortung nun als stabilisierender Faktor stärker in die Kindeswohlerwägungen ein. Darüber hinaus wurde auch schon nach der alten Rechtslage eine Änderungsentscheidung dann für erforderlich gehalten, wenn das Kind längere Zeit von dem nichtsorgeberechtigten Elternteil tatsächlich betreut worden war. 1187 Der Maßstab der Erziehungskontinuität wird damit gerade durch Veränderung umgesetzt, indem sie die rechtliche Anpassung an die faktischen Verhältnisse vollzieht. 1188 Der triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Grund, wie es der Änderungstatbestand verlangt, liegt jedoch nicht allein in der Bindung des Elternteils an die bestehende Verantwortung. Auch die Eltern-Kind-Beziehung wird zusätzlichen Belastungen ausgesetzt, wenn die faktische Verantwortungsausübung unter rechtlichen Vorbehalt gestellt wird. Die Spaltung zwischen kindlich gelebter, erfahrener und von der Außenwelt anerkannter Elternposition stellt einen beachtlichen Faktor der Verunsicherung dar. Unter diesen Voraussetzungen entsteht der Eindruck, dass der Widerspruch des anderen Elternteils weniger durch kindeswohlbezogene Erwägungen als vielmehr durch Besitzstandsdenken motiviert ist. Das setzt natürlich voraus, dass die Verhältnisse von einiger Stabilität sind. Etwas anderes gilt dann, wenn die Wiedervereinigung noch nicht gefestigt ist und sich als ein dauerhafter Zustand noch nicht bewährt hat. 1189 Bis zu diesem Zeitpunkt ist hingegen eine Überbrückung durch die Aufrechterhaltung alter Sorgerechtsentscheidungen zumutbar und sachgerecht. 1186

Vgl. dazu auch MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1696 Rz. 16 mwN. Vgl. bereits OLG Hamm FamRZ 1981, S. 600; OLG Stuttgart FamRZ 1976, S. 34. 1188 Vgl. dazu OLG Hamm FamRZ 1981, S. 600; MüKo / Hinz § 1696 Rz. 12. 1189 Vgl. auch Ewers FamRZ 1999, S. 477 (479), der darauf hinweist, dass das bloße Zusammenleben dem bisher nichtsorgeberechtigten Elternteil kein Recht auf die Übertragung des Sorgerechts einräumen solle, nicht zuletzt, weil sich daraus eine zusätzliche Belastung für das „zarte Pflänzchen des Zusammenlebens“ ergeben könnte. 1187

V. Verhältnis der Trennungs- und Scheidungssorge gem. § 1696

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Demgegenüber stellt sich die Güter- und Gefahrenabwägung anders dar, wenn nicht die Versöhnung der Eltern, sondern allein die tatsächliche Einbindung des nichtsorgeberechtigten Elternteils den Anlass für die Änderungsentscheidung gibt. Insbesondere knüpft dabei die veränderte Sorgerechtsentscheidung nicht an vorangegangene Rechtszustände an. Die damit eröffnete Trennungssorge leitet vielmehr eine nach Maßgabe des § 1687 strukturierte Elternsorge ein, die nicht aufgrund der Sorgerechtsübertragung gem. § 1671 praktiziert worden ist. Hier müssen zusätzliche Schranken gelten. Denn anders als bei der Entscheidung des § 1671 kann nicht in gleicher Weise mit dem Entwicklungspotential und der Ermunterung zur innerfamiliären Anpassung gerechnet werden. Die Positionen gehen auf Erfahrungen zurück. Dem Schutz vor destabilisierender Änderung der Rechtsverhältnisse kommt damit zunächst einmal mehr Gewicht zu, da die äußeren Tatsachen kein selbstverständliches Gegengewicht bieten. 1190 Die Anforderungen, die dann an eine treuewidrige Verweigerung durch den Antragsgegner gestellt werden, müssen daher höher liegen. Lange Praxis der faktischen gemeinsamen Erziehungsverantwortung und fehlende Anhaltspunkte für eine langfristige Behinderung der weiteren Ausübung erscheinen als sachgerechte Anhaltspunkte für den durch den Widerspruch des anderen Elternteils gesetzten Anschein. Darüber hinaus ist hier das Verhalten des Kindes von großer Bedeutung. Die Entwicklung des Kindes kann dazu führen, dass der nichtsorgeberechtigte Elternteil besonders wichtig wird. In diesen Fallkonstellationen stellt die Sorgerechtsstellung auch einen Schutz des bisher nichtssorgeberechtigten Elternteils dar, der in seiner Wahrnehmung der Kindesinteressen vor dem Widerstand des anderen Elternteils geschützt wird. Gegenüber dem darin angelegten Element der Konfrontation muss das einzelfallbezogene Kindesinteresse für die „verordnete“ Einbindung deutlich überwiegen. c) Umstrittener Unterfall der Erstentscheidung gem. § 1672 a.F. An Bedeutung verliert allmählich die stark umstrittene und problematische Fallkonstellation, bei der die alleinige Trennungssorge nach altem Recht gem. § 1672 a.F. 1191 übertragen worden ist. 1192 Ungeachtet der abnehmenden praktischen Relevanz richtet diese Fragestellung das Augenmerk auch auf den Wandel des Trennungssorgetatbestandes. 1193 Das KindRG hat in Art. 15 § 2 Abs. 4 in Hinblick 1190

Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 1595 f. „Leben die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt, so gilt § 1671 Abs. 1 bis 5 entsprechend. Das Gericht entscheidet auf Antrag eines Elternteils; es entscheidet von Amts wegen, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre und die Eltern nicht gewollt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden.“ 1192 Vgl. zu dieser Fallkonstellation insb. auch MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1696 Rz. 17; OLG Oldenburg FamRZ 2000, S. 1596 mit detaillierten Überblick über den Meinungsstand. 1193 Vgl. OLG Oldenburg FamRZ 2000, S. 1596 ff. 1191

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

auf die Überleitung der Trennungssorgeverfahren gem. § 1672 a.F. eine Übergangsregelung getroffen. Der darin geregelte Übergang sieht lediglich vor, dass ein gem. § 1672 a.F. anhängiges Verfahren nach neuer Rechtslage entschieden wird, sofern in einer Frist von 3 Monaten nach Inkrafttreten ein entsprechender Antrag gestellt wird. 1194 Fraglich ist jedoch für die übrigen Fälle, wie die rechtskräftigen Entscheidungen auf der Grundlage des § 1672 a.F. in Hinblick auf eine nachfolgende Entscheidung im Scheidungsverbund zu beurteilen sind. Umstritten ist dabei, ob diese Entscheidungen originär nach Maßgabe des § 1671 oder als Änderungsentscheidungen gem. § 1696 zu treffen sind. 1195 Teilweise wird in der Rechtsprechung vertreten, die Sorgerechtsregelung nach §1672 a.F. gelte nur für die Zeit bis zur Rechtskraft der Scheidung und für die Zeit danach sei eine neue Entscheidung unter Anwendung von § 1671 zu treffen. 1196 Dafür spricht vor allem, dass die ehemalige Regulierung gem. § 1672 a.F. grundsätzlich vorübergehenden Charakter hatte. 1197 Sie war in Erwartung einer anschließenden endgültigen Entscheidung im Rahmen der Scheidung begrenzt. 1198 Damit verdränge eine Übertragung gem. § 1672 a.F. den § 1671 nicht. 1199 Vermittelnde Stimmen sprechen sich zumindest für eine analoge Anwendung der Übergangsvorschrift gem. Art. 15 § 2 des KindRG aus. 1200 Anderenfalls werde eine vorläufige 1194 Vgl. dazu AG Freyung FamRZ 1999, S. 806; BayObLG FamRZ 1999, S. 183; OLG Hamm FamRZ 1998, S. 1136; dass. FamRZ 1999, S. 320; OLG Braunschweig FamRZ 1999, S. 1006; AG Bad Schwalbach FamRZ 1999, S. 1158; OLG Thüringen FamRZ 1999, S. 1155; OLG Nürnberg FuR 1999, S. 333 = EzFamR 1999, S. 114; AG Solingen FamRZ 1999, S. 183; einschränkend zum Neubeginn des Verfahrens nach reformiertem Recht vgl. OLG Hamm FamRZ 1998, S. 1609; OLG Dresden FamRZ 1999, S. 325. 1195 Vgl. dazu Motzer FamRZ 2000, S. 1101 (1102); Niepmann MDR 1999, S. 653 (655); dies. MDR 2000, S. 613 (614); Luthin FamRZ 1998, S. 1465; ders. FamRZ 1999, S. 181. 1196 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1998, S. 1136; dass. FamRZ 1998, S. 1315 (1316); dass. FamRZ 1999, S. 803; dass. FamRZ 1999, S. 1159; dass. ZfJ 1999, S. 226 (227); OLG Köln FamRZ 1999, S. 613 (614); dass. FamRZ 2000, S. 509; dass. FuR 2000, S. 273; OLG Oldenburg FamRZ 2000, S. 1596; OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 614 (615) = NJW-RR 1999, S. 658; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 805; dass. FuR 1999, S. 365 (366); AG GroßGerau FamRZ 1998, S. 1465, m. Anm. von Luthin; AG Bergheim FamRZ 1999, S. 611; AG Groß-Gerau FamRZ 1998, S. 1465; OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 506,; dass. FamRZ 1999, S. 808; OLG Celle FF 1999, S. 57; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 508; OLG Stuttgart FamRZ 2001, S. 435 (436); dass. FamRZ 1999, S. 804; MüKo / Finger, 4. Aufl. § 1696 Rz. 17; wohl auch Ewers MDR 1999, S. 941. 1197 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 506 (507); OLG Hamm FamRZ 1999, S. 803; dass. ZfJ 1999, S. 226 (227); OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 508; dass. FamRZ 2000, S. 111; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 805. 1198 Vgl. OLG Köln FamRZ 2000, S. 508; OLG Nürnberg FuR 1999, S. 333 (334) = EzFamR 1999, S. 114. 1199 Vgl. AG Groß-Gerau FamRZ 1998, S. 1465; dass. FamRZ 1999, S. 1465; dass. FamRZ 1999, S. 181; OLG Köln FamRZ 2000, S. 509; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 1159; so auch schon MüKo / Hinz § 1671 Rz. 12; BayObLG FamRZ 1962, S. 436 f.

V. Verhältnis der Trennungs- und Scheidungssorge gem. § 1696

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Regelung praktisch zu einer endgültigen aufgewertet, wenn man ihre Abänderung den engen Voraussetzungen des § 1696 unterwerfe. 1201 Darüber hinaus wird darauf verwiesen, dass die Anwendung des in § 1696 vorgegebenen strengen Maßstabes systemwidrig sei, da sie die Rückkehr zu der als Regelfall vorgesehenen gemeinsamen Sorge erschwere. 1202 Auf den Tatbestand der gemeinsamen Sorge sei daher im Wege einer teleologischen Reduktion zu verzichten. 1203 Die Gegenansicht verweist darauf, dass die Anwendbarkeit des § 1671 in den Fällen einer vorangegangenen Entscheidung gem. § 1672 a.F. schon allein wegen des eindeutigen Wortlautes nicht mehr gegeben und daher strikt nach § 1696 zu beurteilen sei. 1204 Die Entscheidung des § 1672 a.F. gelte schon in Ermangelung einer zwischenzeitlichen Abänderung weiter fort. 1205 Daher überzeuge der Verweis auf die „Vorläufigkeit“ nicht. 1206 Insbesondere setze die Alleinsorgübertragung gem. § 1672 a.F. nicht zwingend voraus, dass sich eine weitere Entscheidung anschließe, da Antragsvoraussetzung allein die Trennung, nicht aber der Scheidungsantrag gewesen sei. 1207 Die Dauerwirkung dieser Entscheidung wäre somit 1200 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1998, S. 1136; OLG Stuttgart FamRZ 2001, S. 435 (436); a. A. OLG Nürnberg FuR 1999, S. 333. 1201 Vgl. OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 614; OLG Hamm FamRZ 1998, S. 1315 (1316); dass. FamRZ 1999, S. 320; dass. FamRZ 1999, S. 803 f; OLG Bamberg FamRZ 1999, S. 805; dass. FuR 1999, S. 365 (366); AG Groß-Gerau FamRZ 1998, S. 1465. 1202 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 508; OLG Bamberg FuR 1999, S. 365 (367); OLG Zweibrücken FamRZ 2000, S. 506 (507); Büdenbender AcP 1997, S. 197 (217); zum Meinungsstand der Regel-Ausnahme-Diskussion, auf die hier indirekt Bezug genommen wird, vgl. unten unter Abschn. A.III.2.c)cc); Abschn.C.III.2.b)aa), bb). 1203 Vgl. Wend FPR 1999, S. 37 (141); OLG Hamm FamRZ 1998, S. 1315. 1204 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 612 (613); dass. FamRZ 2000, S. 510; OLG Schleswig FamRZ 2000, S. 1595; OLG Koblenz FamRZ 2000, S. 1391; OLG Thüringen FamRZ 2001, S. 436; OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 1210; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 804, das hier den rechtlichen Zwiespalt löst, indem es das Fortbestehen der Entscheidung gem. § 1672 a.F. feststellte – mit Anm. von Luthin; AG Freyung FamRZ 1999, S. 806 (807); AG Bad Schmalbach FamRZ 1999, S. 1158; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 807 (808); OLG Braunschweig FamRZ 1999, S. 1006; AG Freyung FamRZ 1999, S. 806; Hagelstein FuR 1998, S. 404; Johannsen / Henrich / Jaeger 3. Aufl. § 1671, Rz. 16; Staudinger / Coester § 1671 Rz. 35; wohl auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (471); vgl. auch OLG Dresden FamRZ 1999, S. 324, wonach bereits vor dem 30. Sept. 1998 anhängige Verfahren gem. § 1672 a.F. auch in der Beschwerdeinstanz zu Ende zu führen ist. 1205 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2000, S. 510; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 804; dazu auch schon BGH FamRZ 1988, S. 54 (55), wonach die Wirksamkeit der Entscheidung gem. § 1672 a. F erst durch eine weitere Entscheidung gem. § 1671 a.F. endete; vgl. auch Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 80; Weychart ZfJ 1999, S. 268 (270); AG Aachen, 29 F 257/97 zitiert bei Luthin FamRZ 1999, S. 181. 1206 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 612; OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 804; AG Freyung FamRZ 1999, S. 806; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 807 (808); a. A. AG Groß-Gerau FamRZ 1998, S. 1465. 1207 Dahingehend auch OLG Hamm FamRZ 1999, S. 803 (804).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

nicht rechtlich ausgeschlossen. 1208 Hinzu komme, dass die Entscheidung nach reformiertem Recht zu beurteilen sei und hier im Hinblick auf die Sorgerechtsübertragungen nicht mehr zwischen Trennung und Scheidung unterschieden werde. 1209 Zum anderen hätte die Entscheidung gem. § 1672 a.F. auch für die Beurteilung im Rahmen der Scheidung eine präjudizielle Indizwirkung. Die Tatbestandvoraussetzungen des § 1672 a.F. verwiesen auf den § 1671 a.F. und trügen damit im Vorfeld bereits der Tatsache Rechnung, dass die Trennungssorge in Ansehung auf die Scheidung erfolgte. 1210 Es handele sich um eine vollwertige Würdigung des Gerichtes, der gerade nach Maßgabe der Erziehungskontinuität eine große Bedeutung zugekommen sei. 1211 Somit wäre auch die provisorische Regulierung stets für langfristige Auswirkungen konzipiert gewesen. Der Zwiespalt beider Ansätze lässt sich durch die Anwendung des § 1696 in Einklang bringen. 1212 So führt die letztgenannte Auffassung zur angemessenen und pragmatischen Umsetzung der Übergangsproblematik, ohne die Besonderheit der ehemaligen Trennungssorgeentscheidungen unberücksichtigt zu lassen. Eine teleologische Reduktion des Tatbestandes in § 1671 erscheint demgegenüber nur dann gerechtfertigt, wenn die Besonderheit der Trennungssorge nach der alten Rechtslage dies zwingend erforderte. So muss man sich zum einen vor Augen führen, dass man der Beurteilung der bereits gerichtlich gestalteten Trennungssorge mit den allgemeinen Maßstäben der gemeinsamen Sorge nicht gerecht wird. So hat die vorausgehende Entscheidung Fakten geschaffen, durch die nicht mehr direkt an die gemeinsame gesetzliche Sorge angeknüpft werden kann. Vor allem aber kann die Entscheidung in ihrer Gestaltungswirkung und ihrer tatsächlichen Folge für die Betroffenen nicht einfach geleugnet werden. 1213 Eine diesbezügliche Relativierung erscheint daher sowohl hinsichtlich der Verbindlichkeit der gerichtlichen Entscheidung als auch angesichts des eindeutigen Wortlautes des § 1671 1208

Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. Abschn. III Rz. 80, mit dem ergänzenden Hinweis, dass eine Befristung der Sorgerechtsübertragung sowohl nach gegenwärtiger wie damaliger Rechtslage unzulässig gewesen wäre; ähnlich auch OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 740. 1209 Vgl. OLG Frankfurt / M. FamRZ 1999, S. 182; AG Bad Schwalbach FamRZ 1999, S. 1158. 1210 Vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1630, FN 50). 1211 Vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1630, FN 50). 1212 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 612 (613); OLG Zweibrücken FamRZ 1999, S. 807 (808); OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 804; OLG Braunschweig FamRZ 1999, S. 1006; AG Bad Schwalbach FamRZ 1999, S. 1158; Hagelstein FuR 1998, S. 404; Johannsen / Henrich / Jaeger § 1671 Rz. 16; FamRefK / Rogner § 1671 Rz. 50; a. A. OLG Hamm FamRZ 1998, S. 1315 (1316); OLG Köln FamRZ 1999, S. 613 (614); dass. FamRZ 2000, S. 509; OLG Nürnberg FamRZ 1999, S. 614 (615); AG Groß-Gerau FamRZ 1998, S. 1465 m. Anm. v. Luthin; AG Bergheim FamRZ 1999, S. 611; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, S. 111. 1213 Vgl. Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1630).

V. Verhältnis der Trennungs- und Scheidungssorge gem. § 1696

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Abs. 1 willkürlich. Unterscheidet sich also die in § 1671 zugrunde gelegte Ausgangslage signifikant von der zu regelnden, so erscheint es nicht zwingend, dass der vorgegebene Regelungsrahmen der Norm jenseits des Wortlautes erweitert wird. Vor allem aber erscheint eine solche gesetzesbeugende Korrektur gar nicht erforderlich. Innerhalb des Tatbestands von § 1696 kann durch Auslegung der Entscheidungskriterien die Besonderheit der alten Trennungssorgeentscheidungen ausreichend berücksichtigt werden. 1214 Dabei sind durch flexible Abwägung der Kindeswohlerwägungen insbesondere einzubeziehen, wenn die Eltern sich gerade aufgrund der vorläufigen Gestaltung der Trennungssorge auf eine Sorgerechtsform geeinigt haben. 1215 Diese spezifische Motivation stellt in Hinblick auf die Beurteilung des Kindeswohls nachhaltige Änderungsgründe dar, weil sie der Einigung der Eltern ihre Grundlage entzieht. 1216 Auch wenn die elterliche Übereinkunft, soweit man sie überhaupt nach den Maßstäben des Vertragsrechts beurteilen will, grundsätzlich bedingungsfeindlich ist, so handelte es sich in diesen Fällen um eine verfahrensinterne Bedingung, die der Sorgerechtszuweisung eine Befristung bzw. Neuregulierung durch das Scheidungsverfahren zugrunde legte. 1217 Der nach alter Rechtslage geschaffene Vertrauenstatbestand relativiert die einigungsrelevante Kindeswohleinschätzung der Erstentscheidung. 1218 Auch wenn die Wertung des § 1671 keine direkte Anwendung finden kann, da der besondere Bestandsschutz bestehender Verhältnisse zusätzliche Berücksichtigung finden muss, so sind aber im Übrigen die strengen Übertragungsvoraussetzungen der Alleinsorge bei der Auslegung des Kindeswohls zugrunde zu legen. 1219 Der in § 1696 anzuwendende Maßstab läuft damit faktisch darauf hinaus, dass das Gericht prüft, ob die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl dient, die nun als gesetzlicher Regelfall als erhebliche gesetzliche Änderung einfließen muss. 1220

1214

Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 612 (613); Huber FamRZ 1999, S. 1625

(1630). 1215

Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2000, S. 510. Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2000, S. 510. 1217 So sinngemäß auch OLG Hamm FamRZ 1998, S. 1315 f; a. A. AG Bad Schmalbach FamRZ 1999, S. 1158, das sich ausdrücklich gegen eine Relativierung des § 1696Maßstabes ausspricht mit Hinweis auf eine fehlende Übergangsvorschrift. 1218 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 612 (613); Huber FamRZ 1999, S. 1625 (1630). 1219 Vgl. AG Freyung FamRZ 1999, S. 806 (807); OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 612 (613). 1220 Vgl. Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl. III Rz. 86; OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 612 (613); a. A. wohl Schwab FamRZ 1998, S. 457 (471), der triftige Gründe des Kindeswohls verlangt. 1216

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

d) Aufhebung der gemeinsamen Sorge nach einer Erstentscheidung gem. § 1671 a.F. Einen Sonderfall stellt die Beurteilung der Erstentscheidungen dar, in denen den Eltern gem. § 1671 a.F. die gemeinsame Sorge übertragen worden ist und ein Elternteil im Nachhinein die Übertragung der Alleinsorge nach Maßgabe des KindRG beantragt. Hier kommt es aufgrund der Übergangsproblematik zu einer Gesetzeskonkurrenz. So ist einerseits der Tatbestand des § 1671 erfüllt, der allein an das Bestehen der gemeinsamen Sorge über die Elterntrennung hinaus anknüpft. 1221 Andererseits beruht die Sorgerechtslage, anders als es § 1671 unterstellt, nicht auf gesetzlicher Sorge, sondern folgt aus einer gerichtlichen Einzelfallentscheidung. Streng genommen handelt es sich daher um eine Änderungsentscheidung iSd § 1696. 1222 Beide Tatbestände sind gleichermaßen auf den Bestandsschutz der gemeinsamen Sorge gerichtet und sehen dafür unterschiedliche Maßstäbe vor. Beide Maßstäbe sind hier miteinander innerhalb des § 1696 zu verknüpfen. Denn einerseits unterscheidet § 1671 gerade nicht nach den Grundlagen der gemeinsamen Sorge. So ist es die besondere Konfliktlage, die gerade in der Verknüpfung der gemeinsamen Sorge und der Trennung des Elternverhältnisses besteht, auf die der Tatbestand der spezifischen Trennungsintervention abstellt. Dabei verzichtet § 1671 bewusst darauf, seine Schutzrichtung auf einen engen zeitlichen Zusammenhang zum Trennungsereignis zu beschränken. Die konkreten Konflikte, die sich erst im Laufe der Trennungssorge zeigen, sollen auf diese Weise einzelfallgerecht beurteilt werden können. Diese situationsbedingten Konflikte sind nicht allein deshalb anders zu beurteilen, weil sie auf einer Rechtslage beruhen, die von den Eltern selbst zu einem früheren Zeitpunkt veranlasst worden ist. Vor allem wird auch bei der gesetzlichen Trennungssorge gem. § 1687 unterstellt, dass der Fortbestand der gemeinsamen Sorge auf einer bewussten Entscheidung beruht. Der Unterschied gesetzlicher und gerichtlich übertragener gemeinsamer Sorge erscheint daher nur graduell. Andererseits haben die Eltern bei dem übereinstimmenden Elternvorschlag eine dauerhafte Entscheidung nach Maßgabe des § 1671 a.F. angestrebt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung beschränkte sich die Beurteilung der nachehelichen Elternsorge daher bereits auf den Maßstab des § 1696. Die Reform wollte insoweit die Alleinsorgeübertragung nicht erleichtern. Bei der konkreten Beurteilung der Änderungsentscheidung – denn das bleibt sie angesichts der vorangegangenen Gerichtsentscheidung – ist zunächst davon auszugehen, dass sie jedenfalls nicht unterhalb der Schwelle des § 1671 liegen kann. 1223 Danach ist nach den vorangegangenen Ausführungen jedoch die Allein1221

So OLG Thüringen FamRZ 2001, S. 436. So auch OLG Karlsruhe FamRZ 1998, S. 1046; OLG Nürnberg FamRZ 2000, S. 1603; zur Beurteilung nach der alten Rechtslage vgl. auch BGH NJW 1993, S. 127 (128). 1222

VI. Verfahrensvorschriften und Überleitungen

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sorgeübertragung bereits an hohe Anforderungen knüpft. Fraglich ist daher, ob eine weitergehende Bindung an die gerichtliche Entscheidung vertretbar ist. Eine zentrale Besonderheit der Übertragung der Alleinsorge gem. § 1696 liegt darin, dass sie sich durch eine Änderung tatsächlicher Umstände rechtfertigen muss. Der bloße Widerruf des ursprünglichen Einvernehmens, das den Anlass zur der Übertragung der gemeinsamen Sorge gem. § 1671 a.F. gegeben hat, reicht insoweit nicht aus. 1224 Einer solchen Erklärung kommt nur dann entscheidungserhebliche Bedeutung zu, wenn sie Ausdruck einer inzwischen eingetretenen Entwicklung ist, die nach einer Änderung der gemeinsamen Sorge durch gerichtliche Entscheidung im Interesse des Kindes dringend verlangt. 1225 Anderenfalls wäre die Elternsorge willkürlich veränderbar, was im krassen Missverhältnis zur Sorgerechtspflicht und zur Dauerhaftigkeit der Rechtsstellung stünde. Sachgerecht erscheint es daher, unter dem Gedanken des Bestandschutzes die Anforderungen an die äußere Veränderung der Sorgerechtsverhältnisse zu differenzieren. Je geringer der Bezug zur Trennung wird und je mehr damit die kindeswohlgefährdende Wirkung des Trennungskonfliktes innerhalb der Sorgerechtsausübung an Bedeutung verliert, umso stärker verlagert sich der Schwerpunkt des Bestandsschutzes auf die gerichtliche Entscheidung. Umgekehrt sind die Anforderungen an die Änderungen geringer, je stärker der Konflikt von dem unmittelbaren Eindruck der Trennung beherrscht wird. Der Bestandsschutz der gemeinsamen Sorge wird auf diese Weise in einen stärkeren Zusammenhang zur partnerschaftlichen Sorge gestellt und die Trennung damit gleichsam als sorgerechtsrelevanter Einschnitt nochmals berücksichtigt. Innerhalb des Kindeswohls wird daher der Maßstab des § 1671 inkorporiert, soweit der darin spezifisch gewichtete Sorgerechtskonflikt charakteristisch für den Einzelfall ist.

VI. Verfahrensvorschriften und Überleitungen Die Gestaltung des sorgerechtlichen Verfahrens flankiert in verschiedener Hinsicht wichtige Impulse der Sorgerechtsreform. So finden sich im Verfahrensrecht Regelungsansätze wieder, die sich auch schon in der materiellen Rechtslage gezeigt haben und einheitlich neue Wertmaßstäben des Reformgesetzes veranschaulichen. 1226 So erweisen sich auch im prozessrechtlichen Zusammenhang die Flexibilisierung der staatlichen Intervention, die inhaltliche Entflechtung der 1223 Anders wohl Reinecke FPR 1999, S. 167 (172) (unter Bezugnahme auf einen Beschluss des OLG Karlsruhe vom 27. 8. 1998 – 2 UF 135/98), der hier unabhängig von der Antragstellung eines Elternteils die Übertragung der Alleinsorge gem. § 1696 annimmt, wenn eine solche Regelung dem Wohl des Kindes am besten entspricht gem. § 1697 a. 1224 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1998, S. 1046. 1225 So OLG Karlsruhe FamRZ 1998, S. 1046. 1226 Vgl. vor allem zum Antragsverfahren in diesem Kap., Abschn. II.2.b).

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

partnerschaftlichen und sorgerechtlichen Regelungsebene und schließlich eine auf den akuten Konfliktfall gerichtete Einzelfallbeurteilung als besondere Charakteristiken. Dies soll nun anhand konkreter prozessrechtlicher Fragestellungen genauer betrachtet werden. Neben der näheren Regelung des Verbundsverfahrens wendet sich die Ausführung der Bedeutung der ergänzenden Funktion der Feststellungsklage und dem einstweiligen Rechtsschutz zu. 1. Verbund und Verselbständigung des Sorgerechtsverfahrens Eine wichtige Folge der reformierten Trennungssorge ist die neue Regelung des Verfahrensverbundes von Scheidung und Elternsorge. Die einheitliche Verhandlung dieser beiden Regelungsbereiche ist angesichts des sorgerechtlichen Antragsverfahrens nicht mehr zwingend vorgegeben. 1227 Der bisherige Scheidungs- oder Zwangsverbund wurde damit aufgehoben, so dass – als unmittelbare Folge der materiellen Rechtslage 1228 – Scheidung und Elternsorge nun grundsätzlich zu selbständigen Verfahrensgegenständen werden. 1229 Jedoch kann die elterliche Sorge als Familiensache iSd §§ 621 Abs. 1 Nr. 1 iVm 623 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO Gegenstand des Verbundes werden, wenn „eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist und von den Ehegatten rechtzeitig begehrt wird“. 1230 Die Elternsorge gerät damit in den Verbund mit der Scheidungssache, wenn sie bis spätestens zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Scheidungsverfahren anhängig gemacht wird. 1231 Gem. § 623 Abs. 1 ZPO bestimmen die Betroffenen auf diese Weise letztlich selbst über den Verbund durch die zeitliche Verbindung oder enge Abfolge der Anträge und machen die elterliche Sorge gezielt zur Antragsfolgesache. 1232 Nur in Hinblick auf eine Entscheidung gem. § 1666 tritt der Verbund unabhän1227

Bisher war gem. §§ 623 Abs. 1, 3 S. 1 iVm 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO a.F. vorgeschrieben, dass die Regelung der elterlichen Sorge von Amts wegen als Folgesache mit der Scheidungssache zu verhandeln und zu entscheiden war, vgl. dazu Zöller / Philippi § 623 Rz. 19, 23 f, 17. Aufl. 1228 BT-Drucks. 13/4899, S. 74. 1229 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459), der das isolierte Verfahren gem. § 1671 im Vorfeld des Scheidungsverfahrens prognostiziert; vgl. demgegenüber § 623 Abs. 1 S. 3 ZPO, wonach weiterhin für die Regelung des Versorgungsausgleichs iSd § 1587b die Struktur des Zwangsverbundes fortbesteht. 1230 Der damit geschaffene Verbund umfasst einerseits den „Verhandlungsverbund“, so dass sorgerechtliche Anträge gleichzeitig und zusammen mit der Scheidung verhandelt werden, und den „Entscheidungsverbund“, demzufolge – soweit dem Scheidungsantrag stattgegeben wird – über die Elternsorge gleichzeitig mit der Scheidung entschieden wird. 1231 Vgl. § 623 Abs. 2 S. 1 ZPO, zur örtlichen Zuständigkeit vgl. auch § 621 Abs. 2 S. 1 ZPO und zur sachlichen Zuständigkeit des Familiengerichts § 621 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO; vgl. dazu auch vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 3; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459). 1232 Der Verbund setzt sich gem. § 629a ZPO auch in der Rechtsmittelinstanz fort, wenn Scheidungssache und Folgesache dort anhängig sind, vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers § 623 Rz. 4; OLG Oldenburg FamRZ 1980, S. 71.

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gig von dem Begehren eines Ehegatten ein. Mit der Zuständigkeitskonzentration auf das Familiengericht 1233 kann nun auch die Kindeswohlgefährdung mit der Scheidung verbunden werden. Doch hängt auch hier die Verknüpfung gem. § 623 Abs. 3 S. 1 ZPO davon ab, ob das diesbezügliche Verfahren rechtzeitig eingeleitet wird. 1234 In beiden Konstellationen ist der Verbund als ein verfahrensmäßiger Sonderfall ausgestaltet. 1235 Im Rahmen dieser neuen Verfahrenskonstruktion schafft das Gesetz einen Kompromiss zwischen einer verbindlichen Verknüpfung der von der Elterntrennung betroffenen Lebensbereiche einerseits und freier Verfahrensdisposition der Betroffenen andererseits. So hält auch das neue Recht weiterhin die Verhandlung und Entscheidung im Verbund für zweckmäßig, soweit eine Folgesache anhängig ist. 1236 Im Scheidungsverbund wird über die elterliche Sorge weiterhin immer dann verhandelt und entschieden, wenn der Antrag während der Anhängigkeit der Scheidungssache gestellt wird oder wenn das Verfahren bereits vor der Scheidungssache anhängig gewesen ist. 1237 In diesen Fällen wird also stillschweigend davon ausgegangen, dass der Elternteil eine Entscheidung über die Sorge für den Fall der Scheidung, also als Scheidungsfolgeregelung, begehrt, ohne dass er dies besonders verdeutlichen müsste. 1238 Stellt daher ein Elternteil einen entsprechenden Antrag rechtzeitig im Zusammenhang mit der Scheidung, wird auch in Zukunft über die Scheidung und die Sorge einheitlich verhandelt und entschieden und knüpft auf diese Weise zunächst an den seit dem 1. EheRG geltenden Grundsatz der Entscheidungskonzentration bei Scheidungsverfahren an. 1239 Angesichts des gesetzlichen Automatismus ist der Verbund daher erst einmal normativ festgelegt. Gleichzeitig führt schon der Antrag eines Elternteils gem. § 623 Abs. 2 S. 2 ZPO zur Abtrennung der Folgesache. 1240 Der normative Vorrang steht daher weitgehend uneingeschränkt zur Disposition der Eltern. Eine Abweisung des Antrags kann daher allenfalls in Einzelfällen mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs oder des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses erfolgen. 1241 Es handelt sich dabei letztlich 1233 Die Zuständigkeit des Familiengerichts gilt für Streitigkeiten geschiedener Ehegatten und für Folgesachen im Verbundsverfahren, vgl. Zöller / Philippi § 621 Rz. 53. 1234 Vgl. Peschel-Gutzeit FPR 1997, S. 163 (166). 1235 Vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (588). 1236 Vgl. Mühlens / Kirchmeier / Greßmann „Das neue Kindschaftsrecht“, S. 265. 1237 Vgl. § 621 Abs. 3 ZPO, wonach eine Familiensache, wenn sie bereits vor der Ehesache anhängig ist, von Amts wegen an das zuständige Gericht der Ehesache zu verweisen ist. 1238 Hier ist jedoch auf die Besonderheit der Übergangszeit hinzuweisen. Soweit nach altem Recht ein isoliertes Sorgerechtsverfahren trotz einer entsprechenden Folgesache anhängig war, so führt die Entscheidung im isolierten Verfahren zur Erledigung der Folgesache, vgl. OLG Bamberg ZfJ 1999, S. 397. 1239 BT-Drucks. 13/4899, S. 74. 1240 Vgl. AG Rastatt FamRZ 1999, S. 519.

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um die konsequente Fortsetzung des Antragsverfahrens. Darin wird den Eltern die zeitliche Verfügungsfreiheit über das isolierte Sorgerechtsverfahren verliehen, die nicht allein durch eine reine Koinzidenz mit der Scheidung entfallen kann. 1242 Wie die Eltern grundsätzlich auch die Möglichkeit haben, einen entsprechenden Antrag erst nach rechtskräftigem Abschluss des Scheidungsverfahrens zu stellen, etwa weil sich die gemeinsame Sorge als nicht durchführbar erweist, so soll ihnen auch die Möglichkeit eingeräumt werden, die Abtrennung des Sorgerechtsverfahrens, das wegen des zeitlichen Zusammenhangs mit der Scheidungssache Folgesache ist, zu verlangen. 1243 Anderenfalls wäre zu befürchten, dass das Sorgerechtsverfahren kindeswohlwidrig verzögert würde, um eine Verbundsentscheidung zu vermeiden. Auch löst sich damit die Diskrepanz, dass prozessual gesehen die Folgesachen „für den Fall der Scheidung“ entschieden werden, während materiellrechtlich die Scheidung für das Sorgerecht keinen relevanten Umstand mehr darstellt. 1244 Gleichermaßen kann das Gericht bei einem amtswegigen Sorgerechtsverfahren gem. § 623 Abs. 3 S. 2, 3 (iVm § 623 Abs. 2, S. 3) ZPO dessen Abtrennung anordnen, sowohl aus eigener Einschätzung als auch aufgrund eines elterlichen Antrags. Im Vordergrund dieser Regelung steht vor allem, den Eltern ein wirksames Mittel an die Hand zu geben, um das Scheidungsverfahren zu beschleunigen. 1245 Damit wird das Sorgerechtsverfahren von einer bedeutsamen Last befreit, indem unsachgemäße Zusammenhänge verschiedener Regelungskomplexe und sachwidrige Absprachen nicht mehr durch Verfahrensverknüpfung gefördert werden. Doch auch umgekehrt kann die Abtrennung den Zweck verfolgen, im Interesse des Kindes eine frühzeitige Entscheidung über die Sorge noch während der Trennungszeit herbeizuführen. 1246 Beide Aspekte tragen gleichermaßen zu einer Entflechtung der verschiedenen Regelungsgegenstände bei. Die der gesetzlichen Trennungssorge eigene Abstraktion zwischen der Partnerschaftsebene und der elterlichen Verantwortung findet hier eine verfahrensrechtliche Ausprägung. Die inhaltliche Unterscheidung und die persönliche Abstraktion dieser Ebenen werden zumindest dadurch begünstigt, dass die Verhandlungen voneinander getrennt werden können. Gleichzeitig kann auf diese Weise, wie auch durch das Antragsverfahren insgesamt, 1241

Vgl. Niepmann MDR 2000, S. 613 (619); a. A. AG Rastatt FamRZ 1999, S. 1212. Gleichzeitig kann ein bereits vor dem 1. 7. 1998 gestellter Alleinsorgeantrag noch im früheren Verbundsverfahren auch Geltung im schließlich nach neuem Recht entschiedenen Verfahren haben, insbesondere ist kein weiterer Antrag auf Alleinsorge in der 3-MonatsFrist gem. Art. 15 § 2 IV KindRG erforderlich, vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2001, S. 182. 1243 BT-Drucks. 13/4899, S. 74. 1244 Vgl. Schwab FamRZ 1998, S. 457 (459). 1245 Vgl. Niepmann MDR 2000, S. 613 (619). 1246 Vgl. BT-Drucks. 13/4899, S. 74, 122; auf diese Weise wird der Regelungszweck des § 1672 a.F. erreicht, eine Hauptsacheentscheidung vor der Scheidung zu erlangen, ohne aber einer weiteren Entscheidung im Rahmen der Scheidung zu bedürfen, vgl. befürwortend Büttner FamRZ 1998, S. 585 (593). 1242

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stärker eingegangen werden auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen in Hinblick auf die staatliche Intervention. Langfristige Interventionsformen können einbezogen und gegebenenfalls das Verfahren unterbrochen werden 1247, ohne dass es dadurch zu interessenwidrigen Verzögerungen anderer Verfahrensteile kommen muss. Diese Individualisierung der einzelnen Regelungsbereiche führt aber vor allem zu einer deutlichen Aufwertung der Sorgerechtsentscheidung. Zwar wird in der einseitigen Abtrennungsentscheidung teilweise eine Gefahr für den schwächeren Elternteil gesehen, der sich dem Antrag nicht widersetzen kann. Die Warnund Schutzfunktion des Verbundes 1248 sei demgemäß nicht mehr hinreichend gewährleistet. 1249 So wird erwogen, dem Gericht zumindest im Rahmen einer teleologischen Reduktion einzuräumen, jedenfalls in Missbrauchsfällen den Antrag zurückweisen zu können. 1250 Doch sind diese Bedenken in erster Linie auf die Wahrung elterlicher Interessen gerichtet. Stattdessen erscheint es bedeutsamer, dass über die Abtrennungsdisposition eine stärkere Konzentration auf die Belange des Kindes möglich ist. Sowohl die Ermittlung im Verfahren als auch die Auseinandersetzung der Eltern ist uneingeschränkt auf die Kindesbelange gerichtet, ohne durch thematische Verquickung oder strategische Überlegungen abgelenkt zu werden. Das elterliche Sorgerecht verliert daher gleichermaßen durch das isolierte Verfahren als auch durch die Abtrennungsmöglichkeit seinen bisherigen Charakter als Regelungsannex und tritt in den Vordergrund der Verfahrensgestaltung. 2. Die Feststellungsklage und das Feststellungsurteil Eine weitere Einflussnahme des Staates im Rahmen des Trennungssorgeverfahrens kann sich aus der Feststellungsklage bzw. dem Feststellungsurteil ergeben. Zwar ist die gerichtliche Entscheidung über die Elternsorge grundsätzlich in der Form des Gestaltungsurteils vorgesehen. Entsprechend sind auch die gerichtlichen Behelfe der Parteien auf einen Eingriff in die Rechtsstellung des anderen Elternteils ausgerichtet. Doch wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass in Einzelfällen Bedarf bestehen kann, die Elternsorge gerichtlich festzustellen. Sowohl in Verfahren von Amts wegen gem. § 1666 als auch in Antragsverfahren gem. § 1671 kann das Regelungsbedürfnis über die Gestaltungsentscheidung hinaus bestehen. Ihm ist mit dem allgemeinen Instrumentarium der Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO zu entsprechen. 1251 Durch diese zusätzliche Klageform wird ein weiterer Anknüp1247 1248 1249 1250

Vgl. § 52 Abs. 2 FGG. Vgl. dazu BGH FamRZ 1991, S. 687 OLG Köln 1997, S. 1488. Vgl. Büttner FamRZ 1998, S. 585 (592). Vgl. Büttner ebenda.

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fungspunkt geschaffen, um einen Elternkonflikt noch innerhalb der bestehenden gemeinsamen Sorge beizulegen. Im Verhältnis der Sorgerechtsformen zueinander ergibt sich daraus ein Zusatzaspekt, durch den der Bestand der gesetzlichen Sorgerechtsform gegenüber der Alleinsorgeübertragung gefördert wird. Sie wird vor allem in den Fällen von Bedeutung sein, in denen entweder ein Elternteil seine Mitwirkung an der gemeinsamen Entscheidungszuständigkeit oder der nichtbetreuende Elternteil die Einbindung verweigert. a) Grundsätzliche Zulässigkeit der Feststellungsklage Wegen der eingeschränkten Zulässigkeit der Feststellungsklage stellt sich die Frage, ob sie hier zu Gebote steht. Die familiengerichtliche Entscheidung ist grundsätzlich auf die unmittelbare Gestaltung der Rechtslage und nicht auf die affirmative Bestätigung bestehender Rechtsstellungen gerichtet. Werden die Anträge auf Alleinsorgeübertragung abgewiesen, besteht die gemeinsame Sorge fort. Insoweit bedarf es keiner deklaratorischen Feststellung. 1252 Gleichwohl ist eine solche Feststellung nicht unzulässig. 1253 Ein Anspruch auf Feststellung der gemeinsamen Sorge besteht hingegen nicht, so dass ein darauf gerichteter Feststellungsantrag unzulässig wäre. 1254 Dies knüpft erneut an die grundlegende Tendenz zur staatlichen Zurückhaltung an. Die gerichtliche Intervention ist im Wesentlichen auf eine einzelfallbezogene Regulation konkreter Konfliktsituationen begrenzt. Dieser Subsidiarität hat das Reformgesetz noch zusätzlichen Nachdruck verliehen, wie vorangegangene Ausführungen bereits gezeigt haben. 1255 Demgegenüber ist die Gestaltung und Regulation innerhalb der bestehenden gemeinsamen Sorge grundsätzlich dem Gesetz vorbehalten. So entnimmt der Staat seine Wächteramtsfunktion außerhalb des rechtshängigen Konflikts im Wesentlichen den Vorschriften der §§ 1626 ff, 1687. Auf diese Weise werden die gestärkte Familienautonomie und die sorgerechtliche Deregulierung verfahrensrechtlich unmittelbar umgesetzt. Der Staat soll also die bestehende Elternstellung auch im Wege der Feststellung nicht mittelbar prägen oder gestalten. Auf der anderen Seite sieht das familiengerichtliche Verfahrensrecht keine spezialgesetzliche Möglichkeit für die Feststellung eines Rechtsverhältnisses vor. 1256 1251 Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 14; Palandt / Diederichsen 62. Aufl. § 1671 Rz. 7; Schwab FamRZ 1998, S. 457 (460); vgl. dazu auch Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“ 4. Aufl. III Rz. 90 f. 1252 Vgl. OLG Oldenburg FamRZ 1998, S. 1464 (1465); a. A. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 16. 1253 Für eine im Einzelfall gebotene Klarstellungsfunktion vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, S. 803 (804); OLG Stuttgart FamRZ 1999, S. 804 f; Luthin FamRZ 1999, S. 805, 807; Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 111. 1254 Vgl. Staudinger / Coester (Bearb. 2000) § 1671 Rz. 111. 1255 Vgl. vor allem Kap. B., Abschn. II.2. sowie dieses Kap., Abschn. II.4.

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Damit stehen der Feststellungsklage zunächst keine formalen, rechtssystematischen Erwägungen entgegen. 1257 Überdies greift die allgemeine Feststellungsklage charakteristische Strukturmerkmale des Sorgerechtsverfahrens auf und schließt damit eine bestehende Regelungslücke auf sachgerechte Weise. So kann die Feststellungsklage insbesondere nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geboten sein. Als mildestes Mittel reguliert die Feststellung das Rechtsverhältnis, da sie geeignet sein kann, Konflikte durch allgemeine rechtliche Würdigung beizulegen, ohne dabei in bestehende Rechte einzugreifen. In deren Kenntnis werden die Eltern im Zweifel zumindest eine größere Bereitschaft zeigen, die gegenseitigen Zuständigkeiten zu respektieren. Die am akuten Konfliktfall orientierte Regulation kann damit bereits im Vorfeld vermieden werden. Darüber hinaus knüpft die Einbeziehung dieser Klageform unmittelbar an die ebenfalls an Verhältnismäßigkeit orientierte Überlegung der teilweisen Alleinsorge an. Denn deren rechtliche Legitimation ist darauf gerichtet, dass kein Antragsteller gezwungen sein soll, einen Antrag zu stellen, der über den erforderlichen rechtlichen Eingriff hinausgeht. Dies gilt in gleicher Weise für die Feststellung des Sorgerechtsverhältnisses. Flexible und bedürfnisgerechte Intervention setzt ein möglichst differenziertes Interventionsspektrum voraus. Das bedeutet in der konsequenten Umsetzung, dass nicht nur das Gericht eine Feststellung als „wesensgleiches Minus“ zum Gestaltungsurteil treffen, sondern gleichermaßen die Parteien von vornherein eine auf Feststellung des Rechtsverhältnisses ausgerichtete Klage anstrengen können. Das ergibt sich nicht zuletzt aus der zivilprozessualen Wechselwirkung zwischen Antrag und Tenor, die zumindest in den Antragsverfahren auch für Entscheidungen über die Trennungssorge gilt. Die Zulässigkeitsbedenken richten sich nun auf die spezifischen Zulässigkeitsvoraussetzungen gem. § 256 ZPO. So muss der Streitgegenstand auf ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis zwischen den Parteien gerichtet sein. Auch wenn das Sorgerechtsverhältnis zwar in erster Linie das Rechtsverhältnis zwischen einem Elternteil und dem Kind bestimmt, so steht das einer Feststellungsklage im Verhältnis zwischen den Eltern nicht entgegen. Denn auch das Drittrechtsverhältnis ist justitiabel, falls dieses sogleich für die Rechtsbeziehung der Parteien untereinander von Bedeutung ist. 1258 Soweit dies die Kooperation der Eltern und ihre Koordination der nebeneinander bestehenden Sorgerechtsstellungen betrifft, ist dies zweifelsfrei der Fall. Problematisch sind allein der Nachweis des Feststellungsinteresses 1259 und des Rechtsschutzbedürfnisses. Letzteres ist bereits deshalb 1256 Insbesondere nicht durch § 640 Abs. 2 Nr. 3 ZPO, da dies lediglich die Streitigkeiten zwischen einem Elternteil und dem Kind betrifft. Die Auseinandersetzung über das Bestehen der gemeinsamen Sorge zwischen den Eltern ist davon nicht erfasst, vgl. AltKomZPO / Künkel § 640 Rz. 14; Zöller / Philippi § 640 Rz. 28. 1257 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 11. 1258 Vgl. Zöller / Greger § 256 Rz. 3b; BGHZ 83, S. 122 (125); dass. NJW 1993, S. 2539 (2540).

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zweifelhaft, da bereits das Gesetz eine konkrete Feststellung über das Sorgerechtsverhältnis und die Einzelzuständigkeiten nach der Trennung trifft. Das darüber hinausgehende Feststellungsinteresse setzt voraus, dass dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch droht, dass der Beklagte ein Recht des Klägers ernstlich bestreitet oder er sich eines Rechtes ihm gegenüber berühmt. 1260 Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn es eine bessere Rechtsschutzmöglichkeit gibt. Dies ist gegeben, wenn eine Klage auf Leistung möglich ist. Die Feststellungsklage ist dann unzulässig, da ihr das abstrakte Feststellungsinteresse fehlt. 1261 Die Feststellungsklage wird regelmäßig gegenüber der konkreten Klage auf Mitwirkung oder Einbindung subsidiär sein. Daher sind nur wenige Fälle denkbar, in denen die Feststellungsklage tatsächlich für die Ausübung der Trennungssorge von Relevanz sein wird. b) Konkrete Anwendungskonstellationen Es sind im Wesentlichen drei Konstellationen hervorzuheben, bei denen das Feststellungsbedürfnis denkbar ist. Sie sind gleichermaßen darauf gerichtet, die gemeinsame Ausübung der Elternsorge zu ermöglichen und den einseitigen Widerstand des anderen Elternteils gegen die gemeinsame Erziehungszuständigkeit zu beseitigen. 1262 Im Vordergrund steht zuerst der einseitige Boykott eines Elternteils. Dies kann gleichermaßen von Seiten des betreuenden Elternteils ausgehen, indem er den anderen Elternteil nicht in die Entscheidungen von erheblicher Bedeutung einbezieht und die dazu erforderliche Auskunft erteilt, aber auch seitens des nichtbetreuenden Elternteiles, indem er seine Elternverantwortung nicht wahrnimmt und damit wichtige Entscheidungen für das Kind behindert. In diesen Fällen wird es häufig konkrete Anlässe geben, die im Rahmen des § 1628 bereits effektiver justitiabel sind. Das Verfahren ist dann darauf gerichtet, eine konkrete Entscheidung auf einen Elternteil zu übertragen. Soweit der betreuende Elternteil seine Alltagssorge im Exzess ausgeweitet hat, besteht auf diese Weise die Möglichkeit, die Mitwirkung des anderen Elternteils zwangsweise durchzusetzen. Soweit es die Mitwirkungsverweigerung an wesentlichen Entscheidungen betrifft, so kommt eine allgemeine Leistungsklage auf Mitwirkung in Betracht. 1259

Insoweit entfällt der Vorteil der speziellen Feststellungsklagen gem. § 640 ZPO, bei denen das Feststellungsinteresse nicht nachgewiesen werden muss (vgl. BGH FamRZ 1973, S. 26; Zöller / Philippi § 640, Rz. 6). 1260 Vgl. Zöller / Greger § 256 Rz. 7; BGH NJW 1986, S. 2507. 1261 Vgl. BGHZ 5, S. 314; dass. NJW 1993, S. 2993. 1262 Anderer Blickwinkel vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 11, der vor allem auf die zusehends irrelevanten Übergangsfälle abstellt, wenn einem Elternteil gem. §§ 1671, 1672 und 1666 a.F. die Elternsorge entzogen wurde und die Eltern nun zur gemeinsamen Sorge zurückkehren wollen, wofür das Reformgesetz einen Antrag nicht vorsieht; vgl. dazu auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (460).

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Doch setzt dies ein oftmals unzumutbares Abwarten eines Krisenfalls voraus. Soweit aber bereits im Vorfeld deutlich wird, dass sich ein Elternteil nicht an die Sorgerechtsverteilung gebunden fühlt, ist eine Feststellung geboten. Doch stellt sich hier natürlich die Frage, inwieweit es sich um einen wirksamen Rechtsschutz handelt. Zum einen stellt das Gericht lediglich die allgemeine Aufgabenverteilung fest und gibt damit dem betroffenen Elternteil keine Gewissheit, dass die Ausübung seiner Rechtsstellung im Einzelfall damit mangels Vollstreckbarkeit zuverlässig gewährleistet wird. Zum anderen kann hier erneut auf die Voraussetzung des Grundkonsenses zwischen den Eltern als unverzichtbare Grundlage der gemeinsamen Sorge Bezug genommen werden. Soweit ein Elternteil die Ausübung der gemeinsamen Elternverantwortung durch faktisches Verhalten ablehnt, so kann nicht auf Dauer jedes Zusammenwirken erstritten werden. Aber, wie bereits festgestellt, stehen hier die Pflicht zur Ausübung elterlicher Verantwortung und die Befolgung der Wohlverhaltensklausel im Vordergrund. Die Feststellung ist hier ein adäquates Mittel, um der Bindungswirkung der Sorgerechtsstellung Nachdruck zu verleihen. Überdies kann auch die Wirkung nicht unterschätzt werden, wenn anhand des Verfahrens verdeutlicht wird, dass die gemeinsame Wahrnehmung vom anderen Elternteil notfalls auch unter Zuhilfenahme der bestehenden Institutionen verfolgt werden kann. Als zweiter Konstellation kommt in diesem Zusammenhang noch die Streitigkeit in Betracht über die Abgrenzung der alleinigen Alltagszuständigkeit von der gemeinsamen Zuständigkeit für Entscheidungen mit erheblicher Bedeutung. Die Durchsetzung der Rechtsstellung aus einer Individualabsprache wird hingegen kaum relevant werden. Das Gesetz sieht kein spezifisches Instrumentarium vor, so dass gegebenenfalls auf die allgemeinen Eingriffstatbestände für die gesetzliche Sorge auch hier zurückgegriffen werden muss. Denkbar sind zwei verfahrensrechtliche Ansätze. Zum einen kann eine Gestaltungsklage nach Maßgabe des § 1628 angestrengt werden, innerhalb derer inzident geprüft wird, ob die beantragte Alleinentscheidungsbefugnis Bestandteil einer gemeinsamen Zuständigkeit ist. 1263 Dieses Vorgehen ist jedoch nicht zweckmäßig, wenn der Antragsteller gerade die gemeinsame Ausübung eines Erziehungsbereiches anstrebt. Diese Problematik stellt sich angesichts der uneingeschränkten Gemeinsamkeit in der Weise während der Elternpartnerschaft nicht. Für diesen Fall kommt dann lediglich eine Feststellungsklage in Betracht, gerichtet auf die Feststellung, dass die gemeinsame Zuständigkeit aufgrund einer Individualabsprache und in Abweichung von § 1687 eine konkrete Angelegenheit umfasst. Schließlich als dritte Konstellation kommt noch eine dritte, wenn auch problematische Anwendungskonstellation in Betracht, bei der das Gericht im Vorfeld der 1263 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1671 Rz. 34 zur Anwendung des § 1628 bei der gerichtlichen Zuordnung einzelner Erziehungsfragen zu den einzelnen Entscheidungskompetenzen.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Kindeswohlgefährdung eine Veränderung der konkreten Ausübung der gemeinsamen Sorge feststellt und dabei die Funktionsverteilung konkret bestimmt. 1264 Dies ist denkbar, wenn sich etwa im Rahmen der Kindeswohlprüfung im Rahmen eines Antragsverfahrens herausstellt, dass die Eltern eine Gestaltung der gemeinsamen Sorge ausüben, die den Bedürfnissen des Kindes nach Kontinuität oder Zuverlässigkeit widerspricht. Hier ist zu erwägen, ob das Gericht die gemeinsame Sorge, sei es in einer Entscheidung gem. § 1671 oder § 1628 näher ausgestalten kann. Auf diese Weise ist es denkbar, dass im Rahmen der Entscheidung etwa die Aufgabenverteilung, wie sie § 1687 dispositiv vorsieht, verbindlich vorgegeben wird. Dies erscheint vor allem deshalb problematisch, weil die Gestaltungsautonomie der Eltern im Rahmen des Sorgerechts damit in Frage gestellt wird. Doch erscheint diese Maßnahme gleichwohl geboten, da sie geeignet ist, einer etwaigen späteren Gefährdung des Kindes vorzubeugen und einen dann zwingend erforderlichen Eingriff in die Elternrechte zu vermeiden. 3. Einstweiliger Rechtsschutz 1265 Neben das Hauptsachverfahren kann in Eilfällen auch der einstweilige Rechtsschutz treten. Er ist darauf gerichtet, erforderlichenfalls ein bestehendes Regelungsvakuum bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu überbrücken. 1266 Grundsätzlich handelt es sich also um Eilmaßnahmen innerhalb des Hauptsacheverfahrens, wenn der dabei erforderliche Zeitaufwand nicht abgewartet werden kann. 1267 Das zuständige Gericht in der Hauptsache ist daher gehalten, einen Rechtszustand zu schaffen, der dem dringenden Regelungsbedarf vorläufig angemessen entspricht. 1268 Seit dem KindRG darf das Familiengericht die elterliche Sorge im Verfahren der einstweiligen Anordnung im gleichen Umfang regeln wie im selbständigen Verfahren. 1269 Es kann mithin die Elternsorge schlechthin oder nur in Teilberei1264

Vgl. MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 14 zum besonderen Fall des § 1696, wenn die ehemalige Sorgerechtsentscheidung einvernehmlich aufgehoben und die gemeinsame Sorge wieder ausgeübt werden soll; dazu auch Schwab FamRZ 1998, S. 457 (460); Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“ 4. Aufl. III Rz. 90 f. 1265 Eingehend dazu Büdenbender ZZP 110 (1997), S. 33 sowie Gießler FPR 1998, S. 103 und Niepmann MDR 2000, S. 613 (618); insgesamt zur Auswirkung des KindRG auf den vorläufigen Rechtsschutz vgl. Bernreuther FamRZ 1999, S. 69. 1266 Zum Regelungsbedürfnis gem. § 620 ZPO iSe dringenden Bedürfnisses für ein sofortiges Einschreiten im Zusammenhang mit der Änderung der gemeinsamen Sorge vgl. AG Duisburg 2001, S. 1635; zum Einbedürfnis bei Erbauschlagung vgl. OLG Hamm FamRZ 2003, S. 172 mit Anm. von van Els FamRZ 2003, S. 174. 1267 Vgl. KG FamRZ 1984, S. 1143 f. 1268 Insbesondere die Zuständigkeit des Familiengerichts für Kindschaftssachen führt dazu, dass auch einstweilige Anordnungen gem. § 641d ZPO, die bisher vom Zivilrichter erlassen wurden, nunmehr in den Aufgabenbereich des Familienrichters fallen, vgl. dazu Bernreuther FamRZ 1999, S. 69.

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chen der Sorge regeln, wobei sowohl der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als auch die zu unterlassende Vorgreiflichkeit gegenüber dem Hauptsacheverfahren den Regelungsradius einschränkt. 1270 Der Anwendungsbereich des einstweiligen Rechtsschutzes ist bei der Elternsorge stark begrenzt. 1271 Für die Trennungssorge hat er vor allem Bedeutung bei der Übertragung des Aufentshaltsbestimmungsrechtes. 1272 Wie oben bereits ausgeführt, ist diese Entscheidungsbefugnis ein Bestandteil der gemeinsamen Zuständigkeit, so dass das Kind aus der elterlichen Wohnung bei elterlichem Dissens nur durch die Übertragung der Einzelentscheidungskompetenz entfernt werden kann. In diesen Fällen kommt etwa mangels Aufklärung keine Entscheidung über die Übertragung der Alleinsorge in Betracht. Gleichermaßen kurzfristige Entscheidungen können erforderlich werden bei Übertragung der Einzelentscheidungsbefugnis gem. § 1628 und der Herausgabe des Kindes an den anderen Elternteil 1273, wobei hier ein eventuelles Vorgreifen auf die Hauptsacheentscheidung problematisch sein könnte. Die zweite im Sorgerecht bedeutsame Anwendung des einstweiligen Rechtsschutzes betrifft die Änderungsentscheidungen und in diesem Zusammenhang eine schnelle Regelung des Aufenthalts. 1274 Die Reichweite dieser Regelungen wird jedoch darauf beschränkt, dass nur ein Teil der Personensorge (Aufenthaltsbestimmungsrecht), nicht aber auch die Vermögenssorge übertragen wird. Sie darf nicht weiter reichen, als die vorläufige Handlungsfähigkeit erfordert. 1269

Vgl. zur Einbedürftigkeit einer Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts OLG Köln FamRZ 2005, S. 1274; dass. FamRZ 2005, S. 1583; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 393; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 19; hierzu auch einschränkend OLG Brandenburg FamRZ 2002, S. 120, wonach im einstweiligen Rechtsschutz über die Elternsorge nur eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht in Frage kommt als mildestes Mittel des vorübergehenden Eingriffs, insbesondere um die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegzunehmen; vgl. in diesem Zusammenhang dass. OLGR 2004, S. 442. 1270 Vgl. Zöller / Philippi § 620 Rz. 41. 1271 Zum Ausschluss eines Eilverfahrens im Rahmen eines isolierten Auskunftsverfahrens vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, S. 362; zum einstweiligen Rechtsschutz in Unterhaltsstreitigkeiten vgl. AG Marburg FamRZ 1999, S. 660; AG Groß-Gerau FamRZ 1999, S. 661. 1272 Vgl. OLG Köln FamRZ 2005, S. 1274; dass. FamRZ 2005, S. 1583; OLG Hamm FamRZ 1999, S. 393; MüKo / Finger 4. Aufl. § 1671 Rz. 19; Bernreuther FamRZ 1999, S. 69 (70); Reinecke FPR 1998, S. 140; Runge FPR 1999, S. 142 (145); vgl. auch OLG München FamRZ 1999, S. 111; OLG Köln FamRZ 1999, S. 224; dass. FamRZ 1999, S. 181; BayObLG FamRZ 1999, S. 318; dass. FamRZ 1999, S. 178; zur Anhörungspflicht bei der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im einstweiligen Rechtsschutz vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1999, S. 247; BayObLG FamRZ 1999, S. 318; einschränkend bei längerfristiger Praxis des Wechselmodells vgl. AG Hannover FamRZ 2001, S. 846; dass. FamRZ 2002, S. 563. 1273 Vgl. dazu speziell Schwab / Motzer „Handbuch des Scheidungsrechts“, 4. Aufl, Abschn. III Rz. 68. 1274 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1997, S. 570; OLG Köln FamRZ 2000, S. 1240.

602

C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

a) Besondere Zulässigkeitsvoraussetzung der Dringlichkeit Im Vordergrund der Betrachtung steht zunächst die Zulässigkeitsvoraussetzung der besonderen Dringlichkeit. 1275 Die Rechtssprechung erscheint in diesem Zusammenhang uneinheitlich. Das OLG Bamberg 1276 hat ausgeführt, dass eine vorläufige Anordnung in Angelegenheiten der elterlichen Sorge zulässig sei, „wenn ein dringendes Bedürfnis für ein unverzügliches Einschreiten besteht, das ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht gestattet, weil diese zu spät kommen und die Kindesinteressen nicht mehr genügend wahren würde“. 1277 Die Betonung liegt in diesem Zusammenhang vor allem darauf, dass die einstweilige Anordnung nur dann zulässig ist, wenn ein dringendes Bedürfnis für unverzügliches Einschreiten besteht. 1278 Der Regelungszusammenhang muss sich auf das Unumgängliche beschränken. 1279 Dies entfällt jedenfalls dann, wenn die Erkenntnisse des Gerichtes bereits eine Entscheidung in der Hauptsache ermöglichen. 1280 Demgegenüber wird das Regelungsbedürfnis teilweise auch weniger restriktiv interpretiert. So wird teilweise bereits ein solches Bedürfnis, die elterliche Sorge durch eine einstweilige Anordnung gem. § 620 Nr. 1 ZPO zu regeln, angenommen, wenn ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Ehesache Nachteile für das Kind befürchten lässt. 1281 Dabei legen bereits die Trennung und der Streit zwischen den Eltern über das Sorgerecht für die Kinder nahe, dass das Kindeswohl auf diese Weise in Mitleidenschaft gezogen werde. 1282 Das sei jedenfalls dann der Fall, wenn die Eltern nicht in der Lage seien, miteinander zu reden und wichtige Dinge für die Kinder einverständlich zu regeln. 1283 Die gebotene Abwägung muss vor allem die bei Kleinkindern oftmals nachhaltige Auswirkung kurzzeitiger Veränderungen berücksichtigen. Das heißt zum einen, dass einerseits bereits eine nur vorübergehende Kindeswohlgefährdung 1275 Dies entfällt jedenfalls mit der Entscheidung der Hauptsache, vgl. OLG München FamRZ 1999, S. 1006 f. 1276 Vgl. FamRZ 1996, S. 1224. 1277 Vgl. auch OLG Köln FamRZ 2006, S. 1625 sowie OLG Karlsruhe FamRZ 1990, S. 304, wonach es nicht ausreiche, dass eine Entscheidung dem Wohl des Kindes am besten entspreche. Es sei vielmehr erforderlich, dass eine dauerhaft schwierige Situation des Kindes nach der Trennung durch die vorläufige Maßnahme wesentlich und nachhaltig verbessert werden kann und ein dringendes Bedürfnis für ein unverzügliches Einschreiten des Gerichtes bestehe; vgl. auch OLG Hamm 2006, S. 1478. 1278 Vgl. Reinecke FPR 1998, S. 140 (141); vgl. dazu auch OLG Köln FamRZ 2000, S. 1240; OLG Bamberg ZfJ 1999, S. 397, demzufolge kein Bedürfnis für eine einstweilige Anordnung besteht, wenn eine Entscheidung im isolierten Verfahren entscheidungsreif sei. 1279 Vgl. Erman / Michalski § 1671 Rz. 48; OLG Karlsruhe FamRZ 1990, S. 304. 1280 Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2000, S. 1037. 1281 Vgl. OLG Thüringen FamRZ 1997, S. 573. 1282 Vgl. schon OLG Karlsruhe FamRZ 1987, S. 78. 1283 Vgl. kritische Anm. dazu von Reinecke FPR 1998, S. 140 (142).

VI. Verfahrensvorschriften und Überleitungen

603

nicht hinnehmbar ist und sofortige Maßnahmen erfordert. Insbesondere die intensive Zeitwahrnehmung und das besondere Schutzbedürfnis machen eine flexible Herangehensweise an den vorläufigen Rechtsschutz erforderlich. Andererseits sind aus den gleichen Gründen die nur vorläufigen Maßnahmen gegebenenfalls bereits Indikatoren für die Entscheidung in der Hauptsache, da sie Verhältnisse schaffen, die zumindest hinsichtlich der Kontinuität präjudizierend wirken können. Daher ist eine eher zurückhaltende Herangehensweise an vorläufige Entscheidungen geboten. Maßgeblich kann insoweit lediglich die Nachhaltigkeit aktueller Betroffenheit des Kindeswohls sein. Sie ist grundsätzlich mit den Mitteln der Glaubhaftmachung nachzuweisen. Das besondere Eilbedürfnis hat hier jedoch unmittelbare Folgen für die Anforderungen an die gerichtliche Entscheidungsfindung. So gilt die Anhörungspflicht gem. §§ 49, 49a FGG nur eingeschränkt. 1284 Eine unterlassene Anhörung ist jedoch unverzüglich nachzuholen. 1285 Das Kind ist indessen grundsätzlich auch vor einer einstweiligen Regelung eines Teilbereiches der Elternsorge gem. § 50b FGG anzuhören. 1286 b) Instrumente des einstweiligen Rechtsschutzes In Hinblick auf den einstweiligen Rechtsschutz bestehen grundsätzlich drei relevante Instrumentarien. Neben der allgemeinen einstweiligen Verfügung gem. §§ 935, 940 ZPO, ist hinsichtlich des sorgerechtsspezifischen einstweiligen Rechtsschutzes sorgfältig zu unterscheiden zwischen der einstweiligen (§ 620 Nr. 1 – 3 ZPO) und der vorläufigen Anordnung (§§ 20 ff FGG). 1287 Während die einstweilige Anordnung gem. § 620a ZPO auf Verfahren beschränkt ist, bezüglich derer im Hauptsacheverfahren eine Ehesache anhängig ist, findet die vorläufige Anordnung nur auf die sog. isolierten FGG-Verfahren unabhängig von einer Ehesache Anwendung. Beide erfordern grundsätzlich, im Gegensatz zur einstweiligen Verfügung, die Anhängigkeit 1288 des Hauptverfahrens, jedoch nur die vorläufige Anordnung muss mit diesem deckungsgleich (korrespondierend) sein. 1289 1284

Vgl. etwa BayObLG FamRZ 1999, S. 318. Weitergehend sogar noch OLG Düsseldorf nach Darstellung Reineckes FPR 1998, S. 140 (141 Fn. 14), wonach eine auch ohne die dem Hauptverfahren vorbehaltene Beweisaufnahme entscheiden kann, um Rechtsfrieden schaffen zu können. 1286 Vgl. FamRZ 2000, S. 511. 1287 Grundsätzlich von Bedeutung für Unterhaltsklagen, vgl. dazu Büttner FamRZ 1998, S. 585 (593), Bernreuther FamRZ 1999, S. 69. 1288 Vgl. Reinecke FPR 1998, S. 140 (141); OLG Zweibrücken FamRZ 1996, S. 234, 1224. 1289 Gesetzliche Ausnahme dazu § 50d FGG; vgl. Gießler FamRZ 1998, S. 103 (109), der in diesem Zusammenhang etwa als Konsequenz das Beispiel bildet, dass in einem Hauptsacheverfahren zur Herausgabe des Hausrates (§ 1361 a) keine vorläufige Anordnung zur Wohnungsbenutzung erwirkt werden kann, da es sich bei Hausrat und Ehewohnung um unterschiedliche Verfahrensgegenstände handelt. 1285

604

C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Wenn jedoch eine Ehesache noch nicht oder nicht mehr anhängig ist, greift die einstweilige Ehesachen-Anordnung nicht ein. In diesem Zusammenhang ist umstritten, auf welche Weise der einstweilige Rechtsschutz außerhalb des Hauptsacheverfahrens zu gewähren ist. Es fehlt insoweit an gesetzlichen Regelungen. Die Beurteilung dieser Frage hängt im Wesentlichen davon ab, welches Verhältnis man den verschiedenen Instrument beimisst. 1290 So wird teilweise auf den allgemeinen vorläufigen Rechtsschutz gem. §§ 935, 940 ZPO in der Form der einstweiligen Verfügung zurückgegriffen. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob sich das Verfahren nach den §§ 620 ff ZPO und das andere Verfahren nach Einfachheit, Schnelligkeit und Kostenaufwand eindeutig unterscheidet, zugleich aber ein im Wesentlichen gleichwertiges Verfahrensergebnis erreicht wird. 1291 So ist eine einstweilige Verfügung aus den §§ 935, 940 ZPO in den FGG-Sachen überhaupt nicht und in den ZPO-Familiensachen nicht zulässig, sobald und solange die Ehesache anhängig ist. 1292 Es erscheint nicht sachgerecht, auf diese allgemeinen Vorschriften zurückzugreifen, da sie lediglich auf die Sicherung der Vollstreckung, nicht aber auf eine vorläufige Entscheidung in der Sache gerichtet und subsidiär sind. 1293 Demgegenüber sind die vorläufigen Rechtsschutzinstrumentarien gerade auf die vorläufige Entscheidung ausgerichtet, die für die familienrechtlichen Fallkonstellationen charakteristisch sind. Beim Fehlen der Ehesache kann nur in einer FGG-Familiensache vorläufiger Rechtsschutz auf dem Wege der vorläufigen Anordnung gesucht werden. 1294 Diese ist zwar nicht ausdrücklich für einstweiligen Rechtsschutz ohne die Anhängigkeit des Hauptsacheverfahrens geregelt, jedoch durch §§ 49, 49a FGG abgestützt. 1295 Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen zwischen der vorläufigen und der einstweiligen Anordnung. Grundsätzlich gehen die einstweiligen Anordnungen gem. §§ 620 ff ZPO den Instituten des allgemeinen vorläufigen Rechtsschutzes vor. Im sorgerechtlichen Zusammenhang hingegen entsteht ein Problem, wenn ein Verfahren der isolierten Familiensache mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes anhängig ist und eine einstweilige Anordnung gem. §§ 620 ff ZPO durch späteres Anhängigwerden der Ehesache möglich wird. Hier wurden verschiedene Möglichkeiten erwogen, sei es die Erledigung des bisherigen Verfahrens oder die Umwandlung des Verfahrens der vorläufigen Anordnung in ein solches 1290

Vgl. dazu im Überblick Bernreuther FamRZ 1999, S. 69; Gießler FPR 1998, S. 103 (111); Hampel FPR 1998, S. 114. 1291 Vgl. Baumbach / Lauterbach / Hartmann / Albers § Einf. 620 ff Rz. 2; BGH NJW 1982, S. 2562. 1292 Allgemeine Auffassung vgl. BGH FamRZ 1984, S. 767; Baumbach / Lauterbach / Hartmann / Albers § Einf. 620 ff Rz. 2; Gießler FPR 1998, S. 103 (108). 1293 Vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann § 940 Rz. 4. 1294 Vgl. Gießler FamRZ 1998, S. 103 (108); MüKo / Hinz § 1671 Rz. 12; KG FamRZ 1984, S. 1143. 1295 Vgl. Gießler FamRZ 1998, S. 103 (108).

VII. Zusammenfassung

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der einstweiligen Anordnung. 1296 Teilweise wird vertreten, dass die einstweilige die vorläufige Anordnung verdrängt 1297 oder umgekehrt 1298, sowie schließlich, dass sich die beiden Instrumente nicht gegenseitig ausschließen, wenn sie gegenstandsgleich ergehen können. 1299 Unzulässig sei eine einstweilige Anordnung dann, wenn bereits eine endgültige oder vorläufige Entscheidung in der Sorgerechtsstreitigkeit im isolierten Verfahren getroffen worden sei. In diesem Fall habe das isolierte Verfahren Vorrang. 1300 In Hinblick auf die grundlegende Unterscheidung zwischen den Anordnungsformen ist umstritten, ob in einem Sorgerechtsverfahren eine vorläufige Umgangsregelung ergehen kann. Wenn die Umgangsregelung in den Fällen, in denen beide Eltern noch sorgeberechtigt sind, nur dazu dient, die künftige Sorgerechtsregelung offen zu halten (sog. dienende Umgangsregelung), ist nach einer verbreiteten Auffassung auch in einem Sorgerechtsverfahren eine einstweilige Umgangsregelung zulässig. 1301 Ein sorgerechtlicher Anordnungsantrag ist nur in solchen Verfahren entbehrlich, die von Amts wegen eingeleitet werden können wie etwa §§ 1666, 1684 Abs. 2.

VII. Zusammenfassung Am Ende der Betrachtungen zu § 1671 zeigt sich die fortbestehende Verunsicherung in der Abgrenzung der Sorgerechtsformen. Die Schwelle der gemeinsamen Sorge zur Alleinsorge, wie sie im Zentrum des Übertragungstatbestandes steht, hat noch keine gefestigte Struktur. Doch zeigt der Blick auf die Voraussetzungen der Alleinsorgeübertragung eine Tendenz zur Förderung der gemeinsamen Sorge als fortbestehender Sorgerechtsform nach der Trennung. Dadurch wird die Gewichtung der gesetzlichen Trennungssorge fortgesetzt. Die gesetzliche Vermutung des § 1687, dass die Eltern regelmäßig auch nach der Partnerschaft zur gemeinsamen Ausübung der Elternverantwortung geeignet und in der Lage sind, wirkt damit über den Alleinsorgeantrag hinaus fort und lässt den darin enthaltenen Akzent der Bestandsbewahrung in die gerichtliche Einzelfallprüfung einfließen. Insbesondere die Aufhebung der gemeinsamen Sorge wird auf diese Weise innerhalb des Trennungssorgeverfahrens qualifizierungs- und nachweispflichtig. Anknüpfungspunkte sind hier zunächst die Vielzahl der gesetzesimmanenten und 1296

Vgl. Bernreuther FamRZ 1999, S. 69 mwN. Vgl. OLG Bremen FamRZ 1982, S. 1033; Diederichsen NJW 1986, S. 1283 f. 1298 Vgl. Mauerer FamRZ 1991, S. 886 (888). 1299 So die h.M. vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1996, S. 234. 1300 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1996, S. 1226. 1301 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1996, S. 234; Gießler FPR 1998, S. 103 (109); a. A. Reinecke FPR 1998, S. 140 (142); BayObLG FamRZ 1997, S. 572. 1297

606

C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

gesetzessystematischen Wertungen. Sowohl die Struktur des Antragsverfahrens als auch die materiellrechtliche Gewichtung des § 1671 haben im Rahmen der vorstehenden Erörterung nachhaltige Argumente für diese Einschätzung geboten. Das Antragsverfahren hat gegenüber dem bisherigen Scheidungsverbund grundlegend veränderte Rahmenbedingungen geschaffen. So liegt nicht mehr die Vermutung einer Kindeswohlgefährdung der gerichtlichen Einzelfallbeurteilung zugrunde, sondern die Anrufung der Gerichte durch den Antragsteller legitimiert die Trennungsintervention. Damit stellt sich die Verfahrenseröffnung als eine Annexkompetenz des Sorgerechtinhabers dar. Zugespitzt formuliert, ist das Trennungssorgeverfahren also eine Ausübung des Sorgerechts mit anderen Mitteln. Doch bereits dieser Gesichtspunkt verlagert die Gewichtung des Verfahrens auf eine stärkere Eigenverantwortlichkeit und Beitragspflicht der Eltern. Denn nicht die grundlegende Vermutung eines bestehenden Regelungsbedürfnisses, sondern allein die individuelle Einschätzung eines Betroffenen ist hier Ausgangspunkt. Dies führt zu einem veränderten Verhältnis von Familie und Gericht. Nicht gerichtliche Kontrolle, sondern elterliche Selbstbestimmung prägt das Verfahren. Damit tritt neben den familiengerichtlichen Amtsermittlungsgrundsatz auch ein Element der Parteienherrschaft. Dies legt den Grundstein für eine zumindest partiell angelegte Rechtfertigungslast des Antragstellers. Auch wenn für eine Beweislast im engen Sinne des Zivilverfahrens im Familienverfahren gem. § 12 FGG kein Raum ist, so wird durch den Antrag gleichwohl der Verfahrensgegenstand parteilich bestimmt und damit auch der Anknüpfungspunkt für eine Abweichung vom gesetzlichen Trennungssorgefall geschaffen. Die Ausübung des Antragsrechts stellt sich nunmehr, vor dem Hintergrund der fortgesetzten Sorge beider Eltern, als ein potentieller Eingriff in die bestehende Rechtsstellung des Antragsgegners dar. Insgesamt leiten sich aus dem Antragsverfahren darüber hinaus grundlegend veränderte Interventionsansätze ab, die unmittelbar in die sorgerechtliche Beurteilung einfließen. So ist das Antragsverfahren gleichsam auf die Vermeidung eines sorgerechtlichen Gestaltungsurteils und damit auf die Umgehung der Alleinsorgeübertragung gerichtet. Das vorausgehende Sorgerechtsverständnis nach Maßgabe des § 1687 ist auf die elterliche Erziehungseignung und die eigenverantwortliche Bewältigung der Konfliktsituation nach der Trennung gerichtet. Demzufolge zeigt sich das Verfahren gegenüber der alten Rechtslage als deutlich flexibler. Diese Flexibilisierung des Trennungssorgeverfahrens besteht sowohl in der freien Bestimmbarkeit des Verfahrenszeitpunktes als auch in der Vielfalt der Interventionsformen. Auf diese Weise weicht der Staat zunächst aus dem Trennungskonflikt vollständig zurück und gewährt weitgehenden Raum für den elterlichen Anpassungsprozess und eine eigene Konfliktlösung. Soweit damit die Intervention nicht schon im Vorfeld des Verfahrens obsolet geworden ist, liegt der Schwerpunkt der staatlichen Hilfestellung auf jugendamtlicher Beratungstätigkeit. Mediation und Anleitung zur familieneigenen Lösungsfindung und damit gleichzeitig auch die Vermeidung des gerichtlichen Verfahrens werden durch die Verweisung der Fami-

VII. Zusammenfassung

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liengerichte an die Beratungsstellen gem. § 52 FGG vorgegeben. Damit erscheint schon verfahrensrechtlich die gerichtliche Alleinsorgeübertragung als ultima ratio. Die Übertragungstatbestände im Einzelnen knüpfen an diese Wertung in unterschiedlicher Weise an. So wird vor allem die Familienautonomie bei dem einvernehmlichen Alleinsorgeantrag gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 1 gestärkt. Wenn beide Eltern übereinstimmend die Übertragung der Alleinsorge auf einen von ihnen befürworten, ohne dass das mindestens 14-jährige Kind widerspricht, so verdrängt diese familiäre Einvernehmlichkeit den Staat aus der Berechtigung, das Kindeswohl hoheitlich zu prüfen und zu konkretisieren. Diese Anerkennung der Familienautonomie kehrt sich im streitigen Übertragungstatbestand gleichsam um. Denn vor allem das Tatbestandsmerkmal, dass dem Antrag nur stattgegeben werden kann, wenn die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht, bindet die Eltern an die gemeinsame Rechtsstellung, solange sich die Alleinsorge nicht als überlegene Sorgerechtsform erweist. Die Betrachtung der Regel-Ausnahme-Diskussion machte hier deutlich, dass neben dem Wortlaut des Gesetzes auch die verfassungsrechtliche Pflichtenbindung der Eltern einer Übertragung der Alleinsorge ohne qualifizierten Nachweis, dass der konkrete Einzelfall signifikant vom gesetzlichen Regelfall abweicht, ausgeschlossen ist. Die wächteramtliche Durchsetzung des Kindeswohls durch die gesetzliche Trennungssorge gem. § 1687 kann nicht allein durch die Ausübung des Antragsrechts willkürlich außer Kraft gesetzt werden. Das heißt, dass auch gegen den Willen der Eltern die gemeinsame Sorge gerichtlich durchgesetzt werden kann. Die gemeinsame Sorge wird in der hier vertretenen Einschätzung daher als Leitbild und Regelfall aufgefasst. Doch auch wenn man die Beurteilung des zweiten Übertragungskriteriums beim streitigen Antrag – die konkrete Kindeswohlsprüfung hinsichtlich der Alleinsorge des Antragstellers – betrachtet, so erweist es sich als weitere Hürde der Alleinsorgeübertragung. Denn nach der Gegenüberstellung der Sorgerechtsformen ist auch die Alleinsorgeübertragung auf den Antragsteller am Kindeswohl zu messen. Hier werden die individuellen Sorgerechtsbeiträge vergleichend nebeneinander gestellt, unabhängig davon, ob beide Eltern einen Alleinsorgeantrag gestellt haben. Auf diese Weise muss sich der Antragsteller auch hypothetisch mit dem anderen Elternteil vergleichen lassen. Das bedeutet, dass auch bei der Einzelbewertung der Alleinsorge in der konkreten Ausgestaltung die bestehende gemeinsame Sorge als bestandsbewahrendes Moment einfließt. Denn der Einzelbeitrag jedes Elternteils, wie er in der gemeinsamen Sorge fortbesteht, konkretisiert die mögliche Kindeswohlumsetzung. Soweit der Einzelbeitrag des Antragsgegners dem des Antragstellers überlegen ist, muss es bei der gemeinsamen Sorge bleiben, da nur auf diese Weise dieser Anteil fortbesteht. Das heißt, dass letztlich auch bei der individuellen Beurteilung der Alleinsorge die gemeinsame Sorge dominiert, solange nicht der für das Kindeswohl förderlichere Elternteil einen Alleinsorgeantrag stellt.

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C. Gesetzliche Regelung der Übertragung der Alleinsorge

Als letztes Element der Bewahrung der gemeinsamen Sorge erweist sich schließlich die deutliche Erweiterung der teilweisen Alleinsorge. Die lang anhaltende Diskussion über das in der nachehelichen Sorge bestehende „Alles-oder-Nichts“Prinzip wird hier aufgegeben. Stattdessen wird eine teilweise Übertragung der Alleinzuständigkeit als ein weiteres Mittel zur Fortsetzung des verbleibenden, realisierbaren Lebensbereiches eingesetzt. Damit werden auch die Anforderungen nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit für die Übertragung der gesamten Alleinsorge erhöht. Denn die mildere Entscheidung für die Rechtsstellung des nichtbetreuenden Elternteils bleibt die der teilweisen Entrechtung und sie schafft damit einen deutlichen Vorschub für die gründliche Abwägung der Sorgerechtsentziehung.

D. Schlussbetrachtung Ein facettenreicher Blick auf die Vergangenheit und Gegenwart der Elternsorge nach Trennung und Scheidung ist nun zu rekapitulieren. Eines lässt sich danach zunächst mit Sicherheit feststellen: die gemeinsame Trennungssorge steht im Zentrum der Kindschaftsrechtsreform. Sie erweist sich als der zentrale Begriff, in dem sich eine grundlegende Veränderung der rechtlichen Weichenstellung und des gesamten Verständnisses vom Eltern-Kind-Verhältnis widerspiegelt. Auf diese Weise wird sie zum Symbol eines Umbruchs und zeigt an den verschiedenen Stellen der vorliegenden Untersuchung die neu justierten Parameter, mit denen das Sorgerechtsverhältnis nun geregelt wird. So steht die gemeinsame Trennungssorge für das Bewahren der Eltern-Kind-Beziehung, die Kontinuität der Sorgerechtsverhältnisse über elterliche Trennung und Scheidung hinaus und schließlich für eine grundlegende Vereinheitlichung der Elternsorge. Damit vollendet das KindRG die rechtliche Umsetzung zentraler historischer Tendenzen, die die gemeinsame Trennungssorge in einen langfristigen Kontext stellt. So verkörpert sie zumindest den Versuch, den langsam gewachsenen Einsichten über die schwerwiegenden Folgen des Trennungs- und Scheidungsgeschehens stärker gerecht werden können, sie gezielt zu mildern und dies mit einem grundlegend reformierten Regelungsansatz rechtlich umzusetzen. In diesem Zusammenhang konnte mit der vorliegenden Untersuchung die grundlegende These bestätigt werden, dass die gemeinsame Sorge durch das KindRG zur vorrangigen Sorgerechtsform bei Trennung und Scheidung geworden ist. Ungeachtet der Ablehnung des Gesetzgebers und des BGH, die gemeinsame Sorge begrifflich als Regelfall bei Trennung und Scheidung zu bestimmen, erweist sie sich sowohl hinsichtlich realer Verbreitung als auch gesetzessystematisch als sorgerechtliche Priorität. Bei näherer Betrachtung wird auch deutlich, dass dies kein Widerspruch ist, da sich die alte Wertung von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen den Sorgerechtsformen als ein zu enger Maßstab erwies. Denn diese Gedankenansätze sind verhaftet in den vergangenen Strukturen einer obligatorischen Neuordnung der nachehelichen Sorge und lassen die grundlegende Veränderung durch das Reformgesetz außer Acht, die nun die gemeinsame Sorge über Trennung und Scheidung hinaus als gesetzliche Sorgerechtsform einführt. Während also die Fragestellung nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis isoliert auf die gerichtliche Abwägung bei der Sorgerechtübertragung abstellt, folgt die hier nachgewiesene Vorrangstellung der gemeinsamen Sorge aus einer übergreifenden Gesamtbetrachtung der reformierten Rechtslage. Die Vorrangstellung der gemeinsamen Trennungssorge ist dabei die direkte Konsequenz aus der Aufhebung des

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D. Schlussbetrachtung

Scheidungsverbundes und der Stärkung der familiären Selbstbestimmung, ohne dass sie nach altem Verständnis in der Gegenüberstellung mit der Alleinsorge zwingend überlegen oder durch das Gesetz aufoktroyiert wird. Sie ist also in erster Linie Ausdruck einer deutlichen Förderung fortbestehender Elternverantwortung über Trennung und Scheidung hinaus und macht dies zur Kernaussage des Reformgesetzes. Die These wurde in der vorliegenden Arbeit unter drei zentralen Gesichtspunkten näher untersucht und bestätigt. So zeigt sich die gemeinsame Sorge zum einen als Folge der übergreifenden und einheitlichen Strukturmerkmale der Reform im KindRG. Gleichzeitig erweist sie sich als die konsequente Umsetzung der historischen Tendenzen, wie sie dem Reformgesetz zugrunde liegen. Und schließlich lässt sich dieses Ergebnis anhand der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes nachweisen.

I. Gemeinsame Sorge als Umsetzung der Strukturmerkmale des KindRG Der normative Vorrang der gemeinsamen Trennungssorge leitet sich zunächst aus den übergreifenden Strukturmerkmalen ab, von denen das gesamte KindRG geprägt ist. Wie ein roter Faden charakterisieren sie die verschiedenen Regelungsbereiche und stellen einen engen Zusammenhang zwischen der Zielsetzung des Reformgesetzes und der gemeinsamen Sorge her. Die gemeinsame Trennungssorge verkörpert damit einen grundlegenden Perspektivwechsel und veranschaulicht neue Maßstäbe für die Beurteilung des Sorgerechtsverhältnisses im KindRG. Sie zeigen sich im Einzelnen an der Struktur der zweistufigen Regulation der Trennungssorge, dem in der gemeinsamen Trennungssorge verankerten Gemeinsamkeitsbegriff sowie der konkreten Tatbestandsgestaltung des § 1687 und schließlich den Maßstäben der Alleinsorgeübertragung gemäß § 1671. Überall ist die Trennungssorge von den übereinstimmenden, nun im Folgenden zusammengefassten Strukturmerkmalen geprägt, die den Reformansatz des KindRG insgesamt erkennen lassen. Ausgangspunkt dieser grundlegenden Umgewichtung und Veränderung der zentralen Sorgerechtsparameter ist die Reprivatisierung der Trennungssorge durch die Förderung und Stärkung der Elternautonomie. Denn der veränderte Regelungsansatz beschränkt zunächst die staatliche Vorgabe für die Elternsorge nach Trennung und Scheidung auf die gesetzliche Zweifelsreglung des § 1687. Das heißt, dass sowohl die Entscheidung über die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge als auch die konkrete Ausgestaltung des elterlichen Zusammenwirkens erst einmal in der Eigenverantwortung der Eltern bleibt. Nur dort, wo die Eltern mit der Eigenverantwortung der gesetzlichen Sorge überfordert sind, kompensiert der Staat gezielt das damit entstehende Defizit – sei es durch den Auffangtatbestand der gesetzlichen

I. Gemeinsame Sorge als Umsetzung der Strukturmerkmale

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Trennungssorge als Abspracheersatz oder durch die gerichtliche Entscheidung infolge des Alleinsorgeantrags. Der Staat gewährleistet die Funktionsfähigkeit der Trennungssorge auf diese Weise durch graduell abgestufte Kompensation der jeweiligen Hindernisse für die Sorgerechtsausübung. Damit zieht sich der Staat aus der Regulation dieses Lebensbereiches grundsätzlich zurück und beschränkt sich auf eine defensive Gestaltung nach Maßgaben der konkreten Bedürfnisse der Betroffenen. Er gibt also das vorherige Gestaltungsmonopol im Rahmen der obligatorischen Sorgerechtsübertragung bei Scheidung auf und verlagert die Gestaltungsprärogative zurück in die Familie. Die gemeinsame Sorge ist hier folglich Ausdruck einer privaten, familieninternen Sorgerechtsgestaltung und als solche Symbol für eine familiäre Selbstbestimmung. Damit eng verknüpft ist das zentrale Gestaltungselement der Vereinheitlichung des Sorgerechts, von dem der Regelungsansatz des KindRG geprägt ist. Der zentrale Anknüpfungspunkt ist dabei, dass die Trennung der Eltern nicht mehr zu einer Zäsur in den Sorgerechtsverhältnissen führt. Ungeachtet der Beendigung der elterlichen Partnerschaft bleibt das Sorgerecht nun bestehen und wird zunächst lediglich durch Zuweisung der Funktionen gesetzlich anlässlich der Krise moderiert. Indem nun aufgrund der Familienkrise also keine zwingende Übertragung der Elternsorge mehr vorgesehen ist, knüpft die Regulierung der Trennungssorge an die gesetzliche Sorge gem. § 1626 ff an. Auf diese Weise vollzieht sich die Vereinheitlichung der Elternsorge, indem ungeachtet des Wandels im Elternverhältnis nun unabhängig vom Status der Elternbeziehung ein einheitlicher Maßstab des Kindeswohls verankert wird. Dies gilt sowohl für die vorherige Unterscheidung zwischen ehelicher und nachehelicher als auch für die zuvor streng getrennte Unterscheidung zwischen ehelicher und nichtehelicher Sorge. Also weder der Wandel des Elternverhältnisses noch die äußere Veränderung der Lebensverhältnisse bieten länger einen rechtlichen Anknüpfungspunkt für Differenzierung oder strikte Unterscheidung der Sorgerechtsausübung. Die Elternsorge löst sich damit von einer idealtypischen Zuordnung aufgrund von äußeren Parametern, wie sie lange Zeit in der Ehe verankert war, und leitet sie nun vor allem aus der natürlichen Verbundenheit der Eltern-Kind-Beziehung her, die vom Verhältnis der Eltern zueinander abgekoppelt wird. Nicht die Besonderheit der verschiedenen Rahmenbedingungen, sondern ihre Übereinstimmung steht nun im Vordergrund des Regelungsansatzes, mit dem die gemeinsame Trennungssorge zum einheitlichen gesetzlichen Sorgerechtsmodell wird. Darin kommen vor allem zwei Grundsatzentscheidungen des Reformgesetzes zum Ausdruck, die sich als die bedeutsamsten Strukturmerkmale der Reform niederschlagen. Der erste Grundsatz lässt sich zusammenfassen unter dem Gesichtspunkt „Kontinuität statt Neuordnung“. Die gemeinsame Trennungssorge veranschaulicht hierin die Aufwertung der von Trennung und Scheidung unabhängigen Elternverantwortung. Anstelle der Besonderheit der Krisensituation wird nun die fortbestehende Zuständigkeit der Eltern für ihr Kind hervorgehoben und als universeller Rege-

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D. Schlussbetrachtung

lungsansatz in der gesetzlichen Trennungssorge verankert. Damit verlagert sich die sorgerechtliche Perspektive gegenüber dem vorherigen Scheidungsverbund, indem anstelle einer Zäsur durch die gerichtliche Neuordnung der Rechtsverhältnisse nun ihre Anpassung an die neuen Lebensverhältnisse im Vordergrund steht. Das heißt, zunächst sind nur die Zuständigkeiten innerhalb der gemeinsamen Sorge und nicht die Rechtsstellung insgesamt nun Regelungsgegenstand, sofern nicht die Eltern selbst eine weitergehende Neuregelung für erforderlich halten. Darin ist ein grundlegendes Umdenken hinsichtlich des Inhalts der sorgerechtlichen Rechtsverhältnisse angelegt. Die Krise in der elterlichen Partnerschaft lässt die Rechtsstellungen der Eltern vollends unberührt und legitimiert nicht mehr als spezieller Gefahrentatbestand den staatlichen Eingriff in die elterlichen Rechtsstellungen. Das bedeutet in der Konsequenz, die gemeinsame Trennungssorge als gesetzliche Sorgerechtsform bringt durch die Kontinuität der rechtlichen Zuständigkeiten eine signifikant veränderte Kindeswohlabwägung zum Ausdruck. Wurde die Scheidung zuvor als eine Gefahr für das Kind gewertet, die den Staat im Rahmen des Wächteramtes stets berief, die Kindesinteressen gegenüber den Eltern wahrzunehmen und zu verhindern, dass das Kind zum Opfer elterlicher Auseinandersetzung wird, so wird dieser Eingriff nun nicht mehr als zwingend erforderlich angesehen. Das Kindeswohl ist damit also nicht mehr in erster Linie auf die Vermeidung von akuten Konflikten durch gerichtliche Eignungsprüfung der Eltern gerichtet, sondern stärker auf ein Bewahren bestehender Verhältnisse durch die Ausweitung der gesetzlichen Sorge. Damit steht anstelle der vorherigen Gefahrenabwehr nun die Einbindung beider Elternteile in den veränderten Lebensumständen durch gezielte Aufgabenverteilung im Vordergrund des Regelungsansatzes. Auf diese Weise wird die Bewältigung der Familienkrise zum unmittelbaren Bestandteil der fortbestehenden Elternverantwortung und setzt den elterlichen Konflikt bei Trennung und Scheidung damit anderen Hindernissen bei der Ausübung gesetzlicher Sorge weitgehend gleich. Es kommt also zu einem vereinheitlichten Kindeswohlbegriff, der im Rahmen des gesetzlichen Trennungssorgetatbestandes lediglich zur Erleichterung des Anpassungsprozesses konkretisiert wird. Die zweite Grundsatzentscheidung im Rahmen der Vereinheitlichung der Elternsorge besteht in der Entflechtung von Partnerschaft und Elternschaft als zentralem Strukturmerkmal des KindRG. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Schicksale der einzelnen Rechtsbeziehungen innerhalb der Familie voneinander losgelöst beurteilt werden, indem nun die gesetzliche Sorge im Verhältnis zum Kind unabhängig von der Auflösung der elterlichen Partnerschaft bzw. Scheidung fortbesteht. Damit fußt also die gesetzliche Anerkennung der Elternverantwortung nicht mehr im Verhältnis der Eltern zueinander, sondern wird auf eine eigenständige Grundlage im Eltern-Kind-Verhältnis gestellt. Darin kommt eine unmittelbare Aufwertung dieses Rechtsverhältnisses zum Ausdruck. Denn es genießt nun einen eigenständigen Schutz, der die Bindung beider Eltern zu ihrem Kind von ihrer Disposition

I. Gemeinsame Sorge als Umsetzung der Strukturmerkmale

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über die Lebensform abkoppelt. Damit wird die rechtliche Bindung also nicht mehr in erster Linie dominiert von der Bereitschaft der Eltern zur Erziehungskooperation, sondern leitet sich direkt ab vom Bezug zum Kind. Dies veranschaulicht einen signifikanten Perspektivwechsel. Denn während die Neuordnung der Sorgerechtsverhältnisse bei Scheidung eine auf die Eltern ausgerichtete Sichtweise zum Ausdruck bringt, bei der das Kind als Folgesache rechtlich nachgeordnet wird, erlaubt die Aufhebung des Scheidungsverbundes und die Ausweitung der gesetzlichen Sorge eine unvoreingenommene und kindesorientierte Beurteilung der Elternsorge. Dies ist gleichzeitig mit einer Erweiterung des Familienbegriffs verbunden. Denn solange die nacheheliche Sorge als eigenständiger Rechtsbereich an die Scheidung der Eltern gekoppelt war, knüpfte das Gesetz an einen strikten Familienbegriff der inneren Verbundenheit der Eltern als Grundlage gemeinsamer Erziehungsverantwortung an. Garant der elterlichen Kooperation war also die Ehe. An dessen Stelle tritt nun ein dynamischer Familienbegriff, der seine Gestalt im Wandel der Lebensverhältnisse ändert. Die gemeinsame Trennungssorge macht demnach die gemeinsame Erziehungsaufgabe zum Zentrum der familiären Funktionszuweisung, der die Eltern unabhängig von ihrer Partnerschaft durch das Kind verbindet. Vor diesem Hintergrund repräsentiert die Einführung der gemeinsamen Trennungs- und Scheidungssorge auch einen veränderten Interventionsansatz, der sich mit „Hilfestellung statt Eingriff“ zusammenfassen lässt. Dies zeigt sich zum einen in der Einführung einer gesetzlichen Regulierung der Trennungssorge anstelle der vorherigen gerichtlichen Übertragung von nachehelicher Sorge. Auf diese Weise wird die Konfrontation der Eltern bei der Scheidung, also auf dem Höhepunkt der persönlichen Auseinandersetzung, vermieden und damit sorgerechtliche Rivalität zwischen den Eltern zumindest nicht provoziert. Stattdessen greift nun ohne Intervention ein universeller Regelungsersatz, der den Eltern so weit wie möglich gemeinsame Zuständigkeiten erspart und den Anpassungsprozess an die veränderten Lebensverhältnisse auf diese Weise erleichtert. Damit wird das elterliche Defizit bzw. die besonderen Schwierigkeiten der Lebenssituation gezielt auszugleichen versucht, ohne dass dabei die Rechtsstellung der Eltern in Frage gestellt und der Kontrolle des Staates zwingend unterworfen wird. Doch auch die verschiedenen Interventionsansätze gem. §§ 1628, 1671 stellen ein differenziertes Eingriffsinstrumentarium dar, das je nach Bedarf Einzelentscheidungen gerichtlich bestimmen oder Sorgerechtsbereiche ganz oder teilweise auf einen Elternteil übertragen kann. Anstelle des vorherigen „Alles-oder-Nichts-Prinzips“, bei dem die gerichtliche Intervention bis auf die Verteilung von Vermögens- und Personensorge nur zwischen vollständiger Übertragung und Entziehung der Sorge entscheiden konnte, führt nun das KindRG ein vielfältiges Stufenverhältnis ein. Sowohl zeitlich als auch inhaltlich kann nun die gerichtliche Intervention auf ein flexibles Instrumentarium zurückgreifen, dass nach individuellen Bedürfnissen das bestehende Defizit bei der Ausübung der Elternsorge reguliert. Gleichzeitig ist es auf diese Weise möglich, die Eingriffe auf das im Einzelfall erforderliche

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D. Schlussbetrachtung

Maß zu beschränken, so dass die Rechtsstellungen soweit wie möglich bewahrt werden können. Der Charakter dieser Regulierung wird vor allem aber stärker von Hilfestellung als von Eingriff geprägt, da nun alle trennungsbezogenen Instrumente zur Disposition der Eltern gestellt werden und daher ein bloßes Angebot zur Unterstützung darstellen. Zielsetzung der gerichtlichen Sorgerechtsregulation ist damit also vorrangig auf Bewältigung statt auf autoritäre Bevormundung gerichtet. Insgesamt erwies sich der regulative Ansatz der Trennungssorge als gleichsam von einer „Entrechtlichung der Familienkrise“ geprägt. Hier schließt sich der Kreis der Strukturmerkmale des KindRG. Denn die differenzierten Interventionsangebote zur Anrufung der Gerichte erweisen sich bei näherer Betrachtung als eine Minimierung des gerichtlichen Einflusses auf die Sorgerechtsgestaltung. Im Vordergrund steht dabei, die Eltern in die Lage zu versetzen, ihre Erziehungsverantwortung auszuüben, indem ihnen graduell abgestuft jeweils nur soviel von der gemeinsamen Zuständigkeit gerichtlich genommen wird, wie es erforderlich ist, um die Ausübung der gemeinsamen Sorge zu gewährleisten. Das rechtliche Instrumentarium, sowohl die gesetzliche Gestaltung der gemeinsamen Trennungssorge als auch die gerichtliche Intervention, ist darauf gerichtet, den Eltern durch Rahmenbedingungen die Fortsetzung der gemeinsamen Erziehungsverantwortung zu erleichtern und damit letztlich eine weitergehende rechtliche Einflussnahme der Beziehung zu vermeiden. Der Bereich der Trennungssorge ist also nicht in erster Linie darauf gerichtet, durch rechtliche Mittel zu regulieren, sondern durch Beseitigung der tatsächlichen Hindernisse eine Verselbständigung der Familie zu unterstützen. Dies wird auch durch zentrale Charakteristika der gemeinsamen Sorge verstärkt, indem Haltung und Bewusstsein der Eltern im Hinblick auf ihre fortbestehende Verantwortung für das Kind durch die äußeren Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Zum einen werden hierarchische Strukturen vermieden und der nichtbetreuende Elternteil weder durch rechtliche Unterordnung noch durch Missbrauch der alleinigen Sorgerechtsstellung des anderen Elternteils als Instrumente der Konfliktaustragung von seiner elterlichen Fürsorge abgehalten. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass die gemeinsame Sorge beiden Eltern gleichwertige Rechtsstellungen bewahrt und ihnen ein gemeinsames Handeln auf Augenhöhe ermöglicht. Demgegenüber bindet die Rechtsstellung den nichtbetreuenden Elternteil direkt in die Ausübung der Elternverantwortung ein, stärkt dessen Selbstbewusstsein und lässt ihn im Rahmen seiner Mitwirkung nicht als Bittsteller, sondern als Rechtsinhaber erscheinen. Dies verankert die gemeinsame Pflichterfüllung in der Kooperation der Eltern und erhöht die Akzeptanz des betreuenden Elternteils, wie sich an der empirischen Betrachtung gezeigt hat, da das Zusammenwirken nicht als Eindringen oder Zugeständnis, sondern als Folge der Rechtsstellung empfunden wird. Diese jeweiligen Perspektiven erleichtern das Zusammenwirken der Eltern unabhängig von ihrem partnerschaftlichen Konflikt und tragen zur Entspannung des Verhältnisses bei, wie es die Tatsachenforschung bestätigt.

II. Gemeinsame Sorge als Umsetzung historischer Tendenzen

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Gleichzeitig wird das Bewusstsein der Eltern durch die gesetzlich vorgegebene Sorgerechtsform offenbar beeinflusst. Denn sie suggeriert durch den gesetzlichen Automatismus eine Erwartung an ein Fortbestehen der elterlichen Zuständigkeit, das unabhängig von gesetzlichen Vorgaben jedenfalls faktisch als Ansporn wirkt. Indem das vorherige Erfordernis einer bewussten Entscheidung zu Gunsten der gemeinsamen Sorge entfällt, wird die damit früher in Frage gestellte Kooperationsfähigkeit zunächst unterstellt und zum Bestandteil der gesetzlichen Sorge. Zugespitzt formuliert, verlagert sich die Perspektive der Betroffenen im Hinblick auf die gemeinsame Sorge von einer qualifizierten Form nachehelicher Sorge zur sorgerechtlichen Normalität, die erst unter qualifizierten Bedingungen und im Rahmen eines Zugeständnisses elterlichen Scheiterns aufgehoben werden kann. So wird derjenige Elternteil, der die Fortsetzung der gemeinsamen Erziehungsverantwortung nach der Trennung ablehnt, gezwungen, auf eigene Initiative ein Verfahren zu veranlassen.

II. Gemeinsame Sorge als Umsetzung historischer Tendenzen durch das KindRG Diese Strukturmerkmale des KindRG erwiesen sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zunächst als eine direkte Umsetzung der historischen Tendenzen in der Sorgerechtsentwicklung. So bot der historische Überblick hier den ersten Anknüpfungspunkt, sich der gemeinsamen Trennungssorge in der nun geregelten Form anzunähern. Das Reformgesetz wurde auf diese Weise in einen übergreifenden Kontext gestellt, um seinen konkreten Regelungsgehalt und dessen Zielsetzungen anhand der Rechtsentwicklung bis hin zum Gesetzgebungsprozess herauszuarbeiten. Das neue Rechtsinstitut der gemeinsamen Trennungs- und Scheidungssorge stellt insoweit zunächst das Resultat einer langen Entwicklung dar und kann in seiner konkreten Ausgestaltung erst vor dem Hintergrund der Impulse aus der Vergangenheit erfasst werden. Die Gewichtung der neuen Rechtslage und insbesondere die Funktion der gemeinsamen Sorge wurden daher im historischen Kontext untersucht. Ausgangspunkt dieser Auswertung sind zunächst die zentralen Elemente der Rechtsentwicklung, die sich als richtungsweisend und charakteristisch für den Wandel des Sorgerechts herauskristallisierten. Als erstes Element ist hier die Einführung des Pflichtcharakters der Elternsorge hervorzuheben. Dieser Gesichtspunkt ist geprägt von der allmählichen Umgestaltung des Sorgerechts als treuhänderisches Pflichtrecht, das sich immer stärker von der Durchsetzung eines elterlichen Anspruchs auf die fremdnützige Wahrnehmung der Kindesinteressen verlagerte. So war das Sorgerecht bzw. die elterliche Gewalt zu Anfang Ausdruck einer Machtzuweisung und vor allem ein Instrument zur Sicherstellung patriarchaler Einflüsse, die sich in der Verteilung der Kinder nach Alter und Geschlecht niederschlug. Ein weiterer Aspekt der damaligen, an den Eltern orientierten Regulierung zeigte

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D. Schlussbetrachtung

sich an der Zuweisung der Kinder nach Maßgabe der Scheidungsschuld. Beide Kriterien ließen das Sorgerecht zu einer Regelung des Elternverhältnisses und einer Verteilung der aus der Ehe hervorgegangenen Rechtspositionen werden, das die Kinder als Objekte elterlicher Interessen zuwies. Die Abkehr des Sorgerechts von dieser elternzentrierten Ausrichtung verlagerte die rechtliche Perspektive vom Verhältnis der Eltern auf die Bedürfnisse des Kindes. Dies legte einen wichtigen Grundstein für die rechtliche Entflechtung der Einzelbeziehungen innerhalb der Familie wie für die Abkopplung der Elternverantwortung von der Partnerschaft, wovon die gesetzliche Trennungssorge elementar geprägt ist. Denn anstelle der eigenen Interessen wird den Eltern nun im Rahmen der Pflichtenbindung aufgegeben, nach ihren individuellen Möglichkeiten den Bedürfnissen des Kindes zu entsprechen. Ein weiteres Element der Rechtsentwicklung ist in diesem Zusammenhang die zunehmende Verknüpfung der sorgerechtlichen Rechtsstellung mit der tatsächlichen Elternverantwortung, die sich im Reformgesetz schließlich als Vereinheitlichung der gesetzlichen Elternsorge unabhängig von Scheidung und Ehe niederschlägt. Denn die ursprünglichen Kriterien der Sorgerechtsübertragung wiesen die rechtliche Zuständigkeit unabhängig von der tatsächlichen Ausübung der Elternverantwortung zu. So konnten die Betreuung des Kindes und die Sorgerechtsstellung auseinanderfallen. Dies war vor allem darauf zurückzuführen, dass zum einen die Mutter lange Zeit nur eingeschränkt Inhaberin von Rechten sein konnte, was sie also auf tatsächliche Betreuung ohne rechtliche Kompetenz beschränkte, und zum anderen die Rechtsstellung zur Verankerung patriarchalen Vorrangs diente. Erst durch die Emanzipation der Frau vollzog sich im Sorgerecht schrittweise eine Gleichstellung von Vater und Mutter, worin der erste Schritt der sorgerechtlichen Vereinheitlichung angelegt war. War aber bis dahin die väterliche Teilnahme an der Elternsorge Ausdruck einer Unterwerfung der Frau und der Kontrolle über sie gewesen, so wirkte sich die Gleichstellung zunächst als Mittel der Befreiung der Frau aus. Es entstand durch die sorgerechtliche Gleichstellung der Eltern zunächst vorrangig eine Konkurrenzsituation, in der die Alleinsorge zum Ausdruck der Verselbständigung der Mutter und Frau wurde. Doch diese deutlich auf das Elternverhältnis gerichtete Gewichtung relativierte sich wiederum, je stärker die elternzentrierte Perspektive von der Orientierung an den Kindesinteressen verdrängt wurde. Damit ergeben sich aus dieser historischen Tendenz für das KindRG zwei wichtige Folgerungen, die sich in der gemeinsamen Sorge niederschlagen. Zum einen bringt die Rechtsentwicklung zwei unabhängige und gleichberechtigte Sorgerechtspositionen der Eltern hervor, die als rechtlich verselbständigte Einzelbeziehungen beiden Teilen nebeneinander gleichermaßen Rechte und Pflichten zuweist. Die einzelne Eltern-Kind-Beziehung wird auf diese Weise in ihrer individuellen Bedeutung aufgewertet, die von der Auflösung der elterlichen Partnerschaft unabhängig ist. Darin kommt zum anderen die besondere Bedeutung einer rechtlichen

II. Gemeinsame Sorge als Umsetzung historischer Tendenzen

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Verankerung elterlicher Verantwortung zum Ausdruck, die bei der gemeinsamen Trennungssorge durch eine fortbestehende Zuständigkeit beider Eltern einfließt. Die Stärkung der Verantwortung beider Eltern wurde daher konsequenterweise durch die Beibehaltung der Sorgerechtsstellungen über die Trennung hinaus gefördert. Damit ist gleichzeitig das wichtigste Element der Rechtsentwicklung verbunden: die zunehmende Orientierung des gesamten Rechtsbereiches an den Interessen des Kindes, indem sich die sorgerechtliche Perspektive von der Regelung elterlicher Ansprüche auf die Umsetzung der Bedürfnisse des Kindes verlagert. Dies beruht zunächst auf der Entdeckung des Kindes als Rechtsträger, wodurch es von einem bloßen Objekt elterlicher Rechtsstellungen zu einem Subjekt persönlicher Ansprüche gegenüber den Eltern wurde. Im Vordergrund steht dabei erst einmal die Tatsache, dass das Kindeswohl allmählich die gesetzlichen Kriterien ablöste, bis es schließlich zum einzigen Entscheidungsmaßstab des Sorgerechts wird. Das Kindeswohl verkörpert dabei die Individualisierung der sorgerechtlichen Beurteilung, anhand dessen die Übertragung der nachehelichen Sorge zusehends versuchte den Umständen des Einzelfalls gerecht zu werden und anstelle statischer Zuweisungskriterien einen flexiblen Maßstab einzuführen. Jedoch vor allem die Entwicklung der Güterabwägung innerhalb des Kindeswohls veranschaulicht den sorgerechtlichen Wandel im Laufe der Zeit. So war das Kindeswohl zu Beginn vor allem von der Überlegung geprägt, die Kindesinteressen durch die Gerichte im Rahmen des wächteramtlichen Schutzauftrages gegen die mit sich selbst beschäftigten Eltern wahrzunehmen und durchzusetzen. Dies beruht gleichzeitig auf einer deutlichen Umgewichtung des Regelungsgegenstandes. Denn der Schutz des Kindes vor dem Konflikt der Eltern stand hier im Vordergrund der Intervention. Zielsetzung der Intervention war dabei in erster Linie die grundlegende Neuordnung der nachehelichen Sorge und die Entflechtung der elterlichen Rechtsstellung durch die schließlich zwingend vorgegebene Alleinsorge. Darin zeigte sich ein anfänglich großes Vertrauen in die gerichtliche Gestaltungsfähigkeit und die Vermutung einer objektiven Beurteilbarkeit der Familienverhältnisse, die durch das Gericht aus der Außenperspektive geleistet werden sollte. Doch im Laufe der Entwicklung wurde dieser eher schlichte Ansatz durch die Erkenntnis der Komplexität der Familienbeziehung, die negative Wirkung staatlicher Intervention und die nur sehr eingeschränkte Möglichkeit einer hoheitlich durchzusetzenden Sorgerechtsgestaltung gegen den Willen der Eltern abgelöst. Dies hing im Besonderen damit zusammen, dass sowohl der Konflikt der Eltern als auch seine Folgen für den Familienverband neu bewertet wurden. Ursprünglich wurde das Verhältnis des Kindes zu seinen Eltern durch die Bindungstheorie erklärt, derzufolge das Kind vor allem einem Elternteil als Bindungsperson zugewandt sei. Dementsprechend war für die Übertragung der Scheidungssorge vor allem diese Bezugsperson zu ermitteln, der das Kind im Rahmen einer neuen

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D. Schlussbetrachtung

Familiengründung durch die Scheidung zuzuordnen war. Dieser Theorie zufolge war es für die Bewältigung der Scheidung durch das Kind am besten, klare Verhältnisse zu schaffen und das Kind einem Elternteil zuzuordnen. Davon abweichend entwickelte sich später im Rahmen der sog. Hospitalismusforschung der Ansatz der Nachscheidungsfamilie. Hier wurden die übrigen Familienbeziehungen von der Auflösung der elterlichen Partnerschaft unabhängig betrachtet und der Verband über die Scheidung hinaus als eine Einheit angesehen, die sich an die veränderten Verhältnisse anpasse. Der Schwerpunkt der Kindesinteressen wurde danach in der Bewahrung möglichst vieler Einzelbeziehungen gesehen, da das Kind die Scheidung der Eltern besser überstehe, je weniger Bindungen es durch das Ereignis verliere. Diese Auffassung prägte zusehends die Rechtslage und ließ sowohl eine Aufwertung jeder Einzelbeziehung als auch die Kontinuität als zentrales Elemente der Krisenbewältigung in die gerichtliche Güterabwägung des Kindeswohls einfließen. Auf diese Weise wurde der Grundgedanke relativiert, dass die Scheidung zu einer Zäsur des Sorgerechts führen müsse, und die Fortsetzung der elterlichen Zuständigkeit über die Trennung hinaus gestärkt wurde. Denn der Verband wurde nach diesem Verständnis nicht mehr aufgelöst, sondern blieb aufgrund der bestehenden Beziehungen zum Kind in der Verantwortung. Dies wirkte sich sorgerechtlich unmittelbar in zweierlei Hinsicht aus. Zum einen wurde das Element der familiären Selbstbestimmung sorgerechtlich verankert, indem der einvernehmliche Elternvorschlag zunehmend an Gewicht gewann und gegenüber den Gerichten in ihrer Entscheidung immer stärkere Bindungswirkung entfaltete. Das heißt, die darin dokumentierte Einigkeit der Eltern widerlegte die Vermutung eines Regelungsbedarfes und verlagerte die sorgerechtliche Gestaltungskompetenz zurück von den Gerichten die in elterliche Erziehungsautonomie. Zum anderen stärkte auch das BVerfG mit zahlreichen Entscheidungen die Reichweite der elterlichen Erziehungsautonomie unabhängig vom Status der Elternbeziehung. Neben der gemeinsamen Sorge nichtverheirateter Eltern und der Einbeziehung der Väter nichtehelicher Kinder in den Schutzbereich des Erziehungsrechts ist hier vor allem die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung hervorzuheben. Aufgrund dieser Entscheidung von 1982 war die gemeinsame Sorge zumindest dann nicht mehr gesetzlich auszuschließen, sofern die Eltern sich einig, fähig und in der Lage seien, die Elternverantwortung weiterhin gemeinsam auszuüben und das Kindeswohl dem nicht entgegenstehe. Darin kamen erneut eine Stärkung der familiären Selbstbestimmung über die Scheidung hinaus und der Vorzug der elterlichen Erziehungsverantwortung vor gerichtlicher Regulation zum Ausdruck. In einer Gegenentwicklung zur vorherigen Verrechtlichung des Sorgerechts durch eine umfassende Entscheidungskompetenz der Gerichte wurde an dieser Stelle die Subsidiarität der staatlichen Gestaltungskompetenz verankert. Gleichzeitig wurde die gemeinsame Sorge als geeignete Form der fortbestehenden Elternverantwortung festgestellt und im Wesentlichen an die Bereitschaft der Eltern geknüpft.

III. Priorität der gemeinsamen Sorge anhand konkreter Regelungen

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In dieser Entwicklung kommen weitere Tendenzen zum Ausdruck, die in den Strukturmerkmalen der Kontinuität der Rechtsverhältnisse, der Reprivatisierung des Sorgerechts und seiner Entrechtlichung in das Reformgesetz eingeflossen sind. Denn darin wird deutlich, dass sich die einzelfallbezogene Umsetzung des Kindeswohls zurück zur familieninternen Interpretation verlagert und sowohl der Elternvorschlag als auch die Reichweite des verfassungsrechtlich geschützten Erziehungsrechts den ursprünglichen Regelungsanspruch des Staates bei Scheidung zurückdrängen. Auf diese Weise fließt in die sorgerechtliche Wertung ein, dass vorrangig die Eltern zuständig bleiben für die Bewältigung der Krisensituation und nach ihren Möglichkeiten über ihre Trennung hinaus berufen bleiben, die Kindesinteressen verantwortlich wahrzunehmen. Dies relativiert bereits die rechtliche Unterscheidung der Sorgerechtsbereiche und erkennt an, dass die Eltern aufgrund ihrer natürlichen Verbundenheit in der Regel auch in der Krise am besten wissen, was zur Wahrnehmung der Kindesinteressen geboten ist. Gleichzeit begann hier das Sorgerecht, sowohl der nur eingeschränkten Gestaltungs- und Erkenntnisfähigkeit der Gerichte im Zusammenhang mit Einschätzung der einzelnen Familienbeziehungen als auch der negativen Auswirkung der gerichtlichen Intervention Rechnung zu tragen. Das Kindeswohl wird auf diese Weise konzentriert auf Elemente der Bewahrung elterlicher Ressourcen und der Vermeidung äußeren Zwangs. Das KindRG setzt dies konkret durch die Erweiterung der gesetzlichen Sorge über Trennung und Scheidung hinaus und die Flexibilisierung der Intervention um, indem sich die Sorgerechtsgestaltung allein am Regelungsbedarf und nicht an den äußeren Verhältnissen orientiert. Diese Gewichtung des KindRG spiegelt sich auch in der Gegenüberstellung der Gesetzesentwürfe wider. Denn während die übrigen Fraktionen an der ursprünglichen Struktur der Intervention und staatlichen Kontrolle festhielten, führte der Regierungsentwurf einen zweistufigen Interventionsansatz ein. Das heißt, dass die Kindeswohlabwägung der alternativen Konzeptionen der Oppositionsparteien an der Gefahreneinschätzung bei Scheidung verhafteten und die gerichtliche Kontrolle weiterhin für erforderlich hielten. Im Kontrast dazu setzte sich im KindRG eine Priorität elterlicher Kindeswohlinterpretation durch, die erst bei Anzeige der eigenen Defizite den Staat zu einer Kompensation der durch die Lebenssituation begründeten Überforderung der Eltern beruft.

III. Priorität der gemeinsamen Sorge anhand der gesetzessystematischen Betrachtung der konkreten Regelungen Doch neben der Umsetzung dieser historischen Tendenzen und den übergreifenden Strukturmerkmalen des Reformgesetzes ließ sich schließlich auch an der konkreten Regelung der Trennungssorge die gesetzliche Priorität der gemeinsamen

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D. Schlussbetrachtung

Sorge im Einzelnen nachweisen. Denn in dieser systematischen Betrachtung der Trennungssorge im gesetzlichen Kontext lassen sich das Bewahren der elterlichen Rechtsstellung und die gezielte Förderung der gemeinsamen Sorge als der zentrale Regelungsansatz des KindRG erkennen. Der zentrale Ausgangspunkt war dabei zunächst die Einführung einer zweistufigen Regulation der Trennungssorge, mit der das KindRG die obligatorische Gerichtsentscheidung über die nacheheliche Sorge bei Scheidung ablöste. Anstelle einer gerichtlichen Einzelfallprüfung wird nun die gemeinsame Trennungssorge als gesetzliche Sorgerechtsform durch einen Tatbestand universell geregelt und nur auf Antrag eines Elternteils gerichtlich überprüft. Auf diese Weise wird die Fortsetzung der gesetzlichen Sorge unabhängig von den Umständen des Einzelfalls zur Wahrnehmung der Kindesinteressen bei Trennung der Eltern als gesetzliche Sorgerechtsgestaltung festgelegt. Darin sind bereits die wichtigsten Elemente der veränderten Gewichtung des Sorgerechts bei Trennung und Scheidung angelegt. Zum einen wird die gemeinsame Sorge durch ihre gesetzliche Verankerung als normative Regulierung zur vorrangigen Sorgerechtsform. Denn damit wird ein neues Verständnis der Trennungs- und Scheidungssorge eingeführt, bei der sich der Staat aus dem vorherigen Gestaltungsanspruch der nachehelichen Sorge zurückzieht. Unabhängig von der Möglichkeit, einen Antrag auf gerichtliche Übertragung der Alleinsorge zu stellen, wird auf diese Weise die grundsätzlich für erforderlich gehaltene Intervention durch eine universelle, gesetzliche Regulierung veranlasst. Zwar bleibt die Trennung ein gesonderter Anknüpfungspunkt sorgerechtlicher Gestaltung, aber sie wird nun zum Bestandteil der gesetzlichen Sorge und nimmt die familiäre Umbruchsituation zum Anlass einer Modifizierung der sonst ungeregelten Zuständigkeiten beider Eltern. Darin verlagert sich die Zielsetzung der Intervention von einer Bewertung des Einzelfalls auf eine bloße Kompensation der mit der Trennung regelmäßig verbundenen Hindernisse bei der Fortsetzung der bestehenden Elternsorge. Das heißt, der rechtliche Anspruch ist nicht mehr auf die Neuzuweisung der Elternsorge insgesamt, sondern auf die Gestaltung ihrer Ausübung gerichtet und beschränkt sich darauf, die Funktionsfähigkeit des bestehenden Sorgerechts zu gewährleisten. Dabei erwies sich der Trennungssorgetatbestand bei näherer Betrachtung als eine gezielte Deeskalation des Konfliktpotentials und der elterlichen Defizite, indem ihre gemeinsame Zuständigkeit weitgehend in Einzelzuständigkeiten entflochten und den Eltern eine Abstimmung über die Aufgabenverteilung durch den gesetzlichen Planungsersatz erspart wird. Auf diese Weise richtet sich also die Intervention nun auf die Öffnung der gemeinsamen Sorge, indem die gesetzliche Organisation des elterlichen Zusammenwirkens die trennungsbedingten Belastungen beseitigt, die die Eltern nach alter Rechtslage in ihrer gemeinsamen Rechtsausübung noch disqualifizierte. Diese gezielte Öffnung der gemeinsamen Sorge für eine breite Anwendbarkeit auf alle Lebenskonstellationen zeigte sich auch bei genauerer Betrachtung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 1687. Dies beginnt damit, dass der Tatbestand

III. Priorität der gemeinsamen Sorge anhand konkreter Regelungen

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auf alle Eltern mit gemeinsamer Sorge anwendbar ist und damit alle Lebensformen einschließt, ohne zwischen ehelicher und nichtehelicher Sorge zu unterscheiden. Vor allem aber erweisen sich die Anforderungen an die gemeinsame Rechtsausübung als sehr gering. Die zwingend vorgegebene Gemeinsamkeit beschränkt sich wie auch bei §§ 1626 ff im Wesentlichen auf die gemeinsame Entscheidung in wichtigen Angelegenheiten, ohne dass diese Freiheit bei der Verflechtung beider Rechtspositionen an die partnerschaftliche Verbundenheit gekoppelt wird. Diese bewusst gering ausgestaltete Kooperation schafft die Möglichkeit zur Ausübung der gemeinsamen Sorge trotz Spannung oder Konflikt zwischen den Eltern und mindert damit gezielt die Hemmschwelle für diese Sorgerechtsform. Die gesetzliche Ausgestaltung erweist sich folglich als eine praktikable Minimalregelung, die sich darauf beschränkt, das Mindestmaß elterlichen Zusammenwirkens sorgerechtlich zu konkretisieren. Gleichzeitig bleibt die individuelle Gestaltungsfreiheit der gesetzlichen Sorge bestehen und ermöglicht jedes weitergehende Zusammenwirken im Rahmen einvernehmlicher Disposition, da die umfassende Rechtsstellung beider Elternteile trotz der normativen Regulierung bestehen bleibt. Gleiches gilt für die Gestaltung der Einzelzuständigkeiten, da die Reichweite der individuellen Entscheidungsbefugnisse nicht statisch gestaltet ist, sondern sich je nach tatsächlicher Teilnahme an der Erziehungsausübung flexibel wandelt. Daraus folgen im Ergebnis drei wesentliche Elemente, wodurch der Tatbestand der gemeinsamen Trennungssorge gezielt eine breite Anwendbarkeit dieser Sorgerechtsform fördert. Zum einen stellt sie geringe Anforderungen an die Ausübung und ermöglicht es damit einem breiten Spektrum, die Voraussetzungen zu erfüllen. Gleichzeitig bewirkt die hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, die durch eine gesetzliche Regulation und ihre flexiblen Einzelbestandteile gewährleistet ist, dass sowohl den unterschiedlichen Ausgangssituationen als auch dem Wandel der Verhältnisse im Laufe der Sorgerechtsausübung Rechnung getragen wird. Auf diese Weise können die Eltern die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge unter sehr reduzierten Bedingungen ausprobieren, ohne sich die Option einer gerichtlichen Alleinsorgeübertragung abzuschneiden, und bekommen gleichzeitig die Möglichkeit, bei langsamer Entspannung der Umbruchsituation die konkrete Ausübung des Sorgerechts den Bedingungen anzupassen. Auf diese Weise stellt die gesetzliche Regulierung zunächst geringe Anforderungen an die Ausübung der gemeinsamen Sorge und legt den Schwerpunkt auf die Eröffnung eines Anpassungsprozesses. Das dritte Element besteht in der faktischen Hemmung einer sorgerechtlichen Umgestaltung. Denn durch den gesetzlichen Automatismus der gemeinsamen Trennungssorge wird erst auf Eigeninitiative und nicht aufgrund eines ohnehin stattfindenden Verfahrens die Übertragung der Alleinsorge geprüft. Diese suggestive Wirkung des Tatbestandes, dass die gemeinsame Sorge über die Trennung der Eltern hinaus gesetzlich vorgesehen ist, hat sich auch in der Rechtstatsachenforschung unmittelbar bestätigt. Diese auf die Bewahrung der gemeinsamen Sorge gerichteten Rahmenbedingungen haben sich gleichzeitig als Ausdruck einer veränderten Kindeswohlabwägung

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D. Schlussbetrachtung

erwiesen. So verdeutlicht die gesetzliche Regulierung eine Abkehr von staatlicher Kontrolle und einzelfallbezogener Intervention als Mittel der Wahrnehmung der Kindesinteressen. Das heißt zum einen, dass die Trennung und Scheidung nicht mehr als akute Gefahr für das Kindeswohl aufgefasst wird, die den Staat nach alter Rechtslage zur Einzelfallintervention berufen hatte. Demgegenüber wird die Bewältigung der Krisensituation zum Bestandteil der gesetzlichen Sorge und liegt damit grundsätzlich in der Zuständigkeit der Eltern. Der Partnerschaftskonflikt disqualifiziert die Eltern also nicht länger in ihrer sorgerechtlichen Verantwortung zur Wahrnehmung der Kindesinteressen und setzt diesen spezifischen Konflikt also grundsätzlich allgemeinen Schwierigkeiten bzw. Konflikten bei der Ausübung der gesetzlichen Sorge weitgehend gleich. Im Ergebnis bedeutet dies für die Gewichtung des Kindeswohls, dass es grundsätzlich unabhängig von den Bedingungen des Einzelfalls im Interesse des Kindes liegt, das Sorgerecht auch bei einem regelmäßig mit der Trennung verbundenen Konflikt bei beiden Eltern zu belassen. Dies heißt zum anderen, dass das Kindeswohl nun vorrangig auf die Vermeidung von staatlicher Intervention gerichtet ist und damit im Rahmen der Kindeswohlabwägung eine staatliche Kontrolle zunächst als nachteiliger gewichtet wird als die durch Trennungskonflikte denkbare Belastung des Kindes. Im Ergebnis dokumentiert damit die gesetzliche Trennungsregulation einen Vorrang der Bewahrung der Rechtsstellungen vor Qualitätssicherung im Einzelfall. Darin kommt eine signifikante Verlagerung der sorgerechtlichen Wertung zum Ausdruck. So ist für die im familiären Umbruch angelegte Interessenkollision zwischen Eltern und Kind nun eine minimale rechtliche Einflussnahme vorgesehen. Damit vermeidet der Staat in der Wahrnehmung des wächteramtlichen Schutzauftrags eine Wertung und Gestaltung der bestehenden Sorge. Stattdessen wird die Eignung der Eltern zur Fortsetzung der gemeinsamen Sorge unterstellt, solange keine Anhaltspunkte für das Gegenteil durch einen Alleinsorgeantrag gem. § 1671 oder eine konkrete Kindeswohlgefährdung gem. § 1666 vorliegen. Auf diese Weise wird das zuvor zentrale Kriterium des inneren Beweggrundes zur Elternsorge aufgegeben, wie es die alte Rechtslage prägte. So zeigte die nähere Betrachtung, dass demzufolge sachfremde Motivation und ggf. sogar eine fehlende Entscheidung der Eltern zu Gunsten der gemeinsamen Sorge, also reale Alleinsorge, in Kauf genommen wird. Damit vollzog sich ein Wandel von einer Gesinnungssorge der alten Rechtslage, die vorrangig nach der inneren Haltung der Eltern und ihrer Bereitschaft zur Ausübung der elterlichen Verantwortung fragte, zu einer Elternsorge, die sich ausschließlich an den tatsächlichen Auswirkungen der Elternsorge auf das Kind orientiert. Im Zuge der Gleichstellung der Trennungssorge mit der gesetzlichen Sorge gem. §§ 1626 ff verbleibt also die Konkretisierung des Kindeswohls im Einzelfall in der Prärogative der Eltern und lässt die Motivation sowie innere Haltung zur Privatsache werden. Diese Einschätzung des Kindeswohls zeigte bei der vorliegenden Untersuchung unmittelbare Auswirkungen auf die Gewichtung der Einzelfallentscheidung

III. Priorität der gemeinsamen Sorge anhand konkreter Regelungen

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gem. § 1671. Denn auch wenn das Gesetz nach ausdrücklicher Einschätzung des Gesetzgebers und des BGH keine Sorgerechtsformen als Regelfall eingeführt hat, so handelt es sich bei der Trennungssorgeregulation um einen einheitlichen Rechtsbereich, bei dem die grundsätzlichen Parameter der gerichtlichen und gesetzlichen Beurteilung des Kindeswohls nicht abweichen können. Anderenfalls würde man den Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls zur Disposition des Antragsstellers stellen, wenn er die normative Gewichtung der Interessenabwägung durch den Alleinsorgeantrag außer Kraft setzen könnte. So zeigte der Tatbestand des § 1671 bei näherer Betrachtung in der Konsequenz einen zweistufigen Aufbau, bei dem das Kindeswohl zunächst hinsichtlich der Aufhebung der gemeinsamen Sorge und erst auf zweiter Stufe hinsichtlich der beantragten Alleinsorge geprüft wird. Damit stehen sich die Sorgerechtsformen gleichberechtigt auf zweiter Stufe gegenüber, während auf erster Stufe die Veränderung bestehender Sorgerechtsverhältnisse am Kindeswohl gemessen wird. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Bewertung des Antragsverfahrens und die Abwägung zwischen gemeinsamer Sorge und Alleinsorge aus. Der Einfluss der stufenweisen Intervention zeigte sich zum einen in einer beschränkten Darlegungslast des Antragstellers, mit der ihm im Zuge der durch das KindRG eingeführten Parteienherrschaft im Antragsverfahren prozessual zumindest die begründete Darstellung der Überlegenheit der Alleinsorge zugewiesen wird. Dieser Aspekt ist eng verknüpft mit den erkennbaren Tendenzen in der Rechtspraxis, wonach materiell eine Übertragung der Alleinsorge nur dort dem Kindeswohl entspricht, wo ein qualifizierter Nachweis der fehlenden Kooperationsfähigkeit beider Eltern geführt werden kann. So war es der BGH, der trotz Ablehnung einer gesetzlichen Regelfallvorgabe einer Sorgerechtsform diese qualifizierten Anforderungen an die Alleinsorgeübertragung stellte und damit die Differenzierung dieser beiden Aspekte einführte. Dieser Ansatz zeigt überdies weitergehende Auswirkungen in der Rechtspraxis, indem sich zusehends Modellkonstellationen herausbilden, anhand derer sich diese Nachweispflicht konkretisiert. Als dritte Konsequenz des einheitlichen Kindeswohlbegriffs innerhalb der zweistufigen Interventionsstruktur der Trennungssorge ergaben sich aus den erheblich veränderten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitserwägungen bei der Alleinsorgeübertragung. Dies beginnt damit, dass anders als nach der alten Rechtslage der Regelungsgegenstand der Trennungs- und Scheidungssorge eine bestehende Rechtsstellung des Antragsgegners ist, während zuvor die Scheidung automatisch zu einer neuerlichen Sorgerechtsübertragung führte und daher die nacheheliche Alleinsorge keinen direkten Eingriff in bestehende Rechte darstellte. Doch auch die gerichtlichen Eingriffsgrundlagen wurden deutlich differenziert und bieten nun ein vielfältiges Eingriffsinstrumentarium, das auf eine bedarfsgerechte Einzelfallgestaltung gerichtet ist. So steht der gerichtlichen Intervention nun sowohl innerhalb der gemeinsamen Sorge durch Einzelfallregulation gem. §§ 1628, 1687 Abs. 2 als auch bei Alleinsorgeübertragung im Zuge der deutlich erweiter-

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D. Schlussbetrachtung

ten Gestaltungsmöglichkeiten der teilweisen Alleinsorge eine bedarfsgerechte Regulationsmöglichkeit offen. Damit stellen sich erhöhte Anforderungen an die Erforderlichkeit der Alleinsorgeübertragung. Dies verlagert die Perspektive der gerichtlichen Entscheidung auf die Frage, wie weit von der gesetzlichen Sorge abgewichen werden muss, um die Funktionsfähigkeit der Elternsorge zu gewährleisten, und erweitert auf diese Weise das Spektrum der gemeinsamen Sorge. Am Ende der Betrachtung der neuen Trennungs- und Scheidungssorge kann daher abschließend festgestellt werden, dass hier die gemeinsame Sorge zur realen Priorität und zur gesetzlich geförderten Sorgerechtsform geworden ist. Ohne eine Sorgerechtsform zwingend vorzuschreiben, hat das KindRG mit der konkreten Umsetzung der historischen Tendenzen, der Einführung der gemeinsamen Trennungssorge als gesetzlicher Regulation und durch die veränderte gesetzliche Kindeswohlgewichtung des gesamten Rechtsbereiches ein signifikant verändertes Sorgerechtskonzept eingeführt. Die gesetzliche Sorge wird darin zur einheitlichen Form der elterlichen Verantwortung, die unabhängig von Lebensformen und familiären Umbrüchen universell beide Eltern zur Wahrnehmung der Kindesinteressen beruft. Das heißt, dass nun auch über das Zerbrechen der elterlichen Partnerschaft das rechtliche Verhältnis von Eltern und Kind kontinuierlich fortbesteht und der Staat aus der Gestaltung dieses Lebensbereiches weitgehend ausgeschlossen wird. Die sorgerechtliche Zielsetzung bei Trennung und Scheidung verlagert sich damit von einer gerichtlichen Neuordnung zur staatlichen Begleitung eines Anpassungsprozesses von Bewahren und Bewältigen. Das KindRG hat damit einen wichtigen Grundstein gelegt für ein Umdenken im Umgang mit dem Eltern-Kind-Verhältnis. Sicherlich bleibt es bei den rechtlich nicht auszugleichenden schweren Folgen von Trennung und Scheidung für alle Beteiligten. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, das auch weiterhin tiefe Wunden schlägt und für immer mehr Biographien zum einschneidenden Erlebnis mit nachhaltiger Wirkung wird. Doch vielleicht hat das Reformgesetz einen ersten Schritt dazu geleistet, Kindesinteressen im schmerzlichen Prozess der Trennung und Scheidung mehr Gewicht zu verleihen und damit dem schwächsten Glied in diesem Umbruch den Rücken zu stärken. Nicht das Bedürfnis der Eltern zur Entflechtung ihrer Lebensbereiche, sondern ihre fortbestehende Verantwortung und Zuständigkeit stehen nun im Vordergrund der Regulation. Und so bleibt zu hoffen, dass sich die bisherigen Erfahrungen bestätigen und dieser rechtliche Umbruch das Bewusstsein der Betroffenen und ihre Handlungsfähigkeit stärkt.

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Sachregister Abgrenzung zur Alleinsorge 196 ff., 205 ff., 219 ff., 330 ff. Abgrenzungskriterien 257, 270 Abstammung 113, 160, 164, 172, 374 Adoption 374 Alkohol 489 f. Alleinausübungsbefugnis 77 Alleinentscheidungsbefugnis 68, 173, 208, 216 ff., 238, 254 f., 268 ff., 277, 368, 483, 599 Alleinsorge 371 ff. Alleinsorgeantrag 221 Alleinvertretungsbefugnis 271, 277, 282 Alleinzuständigkeit 239, 268 f., 271 ff., 281 ff., 375 Alles-oder-Nichts-Denken 147, 211, 229, 561, 613 Allgemeines Preußisches Landrecht 29 f. Alltagssorge 190, 230, 259 ff., 275 ff., 538 Amtsermittlungsgrundsatz 109, 182, 287, 385 ff., 412, 518, 606 Änderung der Sorgerechtsentscheidung 72 f., 212, 217, 572 ff. Änderungsentscheidung (-verfahren) 157, 194, 212, 269, 292 ff., 309, 421, 572 ff. Angelegenheiten – der tatsächlichen Betreuung 202, 253, 281 ff. – des täglichen Lebens 179, 255, 271 ff., 275 ff. – von erheblicher Bedeutung 176 f., 253 ff. Anhörung 40, 47, 147, 287, 308, 379, 391, 415 f., 426 ff., 545 ff. Anhörungspflicht 430, 519, 543 ff., 601

Anordnung der gemeinsamen Sorge 56 f. Anpassungsprozess der Familie 293, 300, 339, 357, 365, 497 f., 531 Antike Vorbilder 27 Antrag 381 – einvernehmlicher 130 ff., 416, 577 ff. Antragsbefugnis 247, 373 ff. Antragsgegner 373 ff., 418 ff., 488 ff., 563 Antragsinhalt 379 ff., 384 ff. Antragsprinzip 382, 390 Antragsteller 377 ff., 498 ff. Antragsverfahren 178 ff., 395, 402 ff., 594 Anwalt des Kindes 165, 549 ff. Aufenthaltsbestimmungsrecht 68, 128, 136, 168 ff., 183, 217, 243 ff., 253, 258, 267, 272 ff., 287, 297, 323, 381, 479, 484, 498, 553 Auffangtatbestand 207, 215, 235 f., 366, 457, 528 Aufhebungsgründe 488 ff. Aufklärungspflicht 429 ff., 521, 543 ff. Aufsichtspflicht 218, 284, 291 Ausbildung des Kindes 36, 58, 74, 168, 253 ff., 269, 276, 320 ff., 561, 570 Auskunftsrecht 210, 264 f., 278, 288 Auslandsaufenthalt 75, 242, 258 f., 276, 480, 483, 489, 570 Ausübung der elterlichen Sorge 73, 198 ff. Beratung 129 f., 168, 232, 341, 351, 406, 420, 486, 532 ff. Berufstätigkeit 85, 89, 128, 158, 203, 335, 509 Berufswahl 30, 183, 253 ff. Beschleunigung des Verfahrens 137, 225

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Sachregister

Beschwerdeverfahren 419, 421, 430 Bestimmtheit der Konfliktlage 478 ff. Bestimmung des Aufenthalts 68, 128, 136, 168 ff., 183, 217, 243 ff., 253, 258, 267, 272 ff., 287, 297, 323, 381, 479, 484, 498, 553 Betreuung des Kindes 16, 28, 32, 39 ff., 50 ff., 85 ff., 129, 146 ff., 199 ff., 251 ff., 273 ff., 281 ff., 296, 318, 348 f., 355, 367, 399, 468, 480, 495, 502, 506 ff. Betreuungsleistung 202, 502 Betreuungssorge 281 ff., 296 Bevollmächtigung 215, 242, 277, 282, 291, 355, 367 Beweislast 182, 392 ff., 396 f., 451, 606 Beziehungsverlust 113, 148, 156, 198, 228, 300, 311, 333, 349, 435, 449, 453, 494, 502 Bezugsperson (primär) 71, 78, 87 ff., 113, 128, 146 ff., 194, 237, 258, 347, 497, 503 ff., 617 BGB v. 1900 31 ff., 42, 50, 56, 197 Bildungsstand der Eltern 125, 189, 320 ff., 443 Bindung des Kindes 88, 118, 299, 305, 499 ff., 515 Bindungsbegriff 88, 144 ff., 502 Bindungsprinzip 144 ff., 499 Bindungsstreit 112, 145 ff., 307, 500 Bindungstheorie 87, 146, 501 Bindungstoleranz 125, 481, 507 Bindungswirkung – des Antrags 138 ff., 170, 217, 385 ff., 413 ff. – des Elternvorschlages 48, 52 ff., 170, 420 ff., 454 – des Kindeswiderspruchs 422, 513 – von Absprachen 20, 48, 217 f., 262, 579 Bundesjustizministerium 34, 116, 147, 194, 313 Bundesverfassungsgericht 115 ff., 189, 234, 466

Darlegungslast 389, 391 ff. Dauerhafte Trennung 249 ff., 376 ff. Dauerwirkung (Maßnahmen mit) 269 f., 587 ff. Dispositionsakt 216, 230 Dispositionsbefugnis 217 Dispositionsmaxime 387 ff. Dispositiver Charakter des Gesetzes 215 ff., 222 Distanz, räumliche 64, 75 ff., 83, 127, 189, 329, 488, 494 Dringlichkeit 602 ff. Ehegesetz (EheG) 1938 33, 40, 43, 51, 61 f., 73, 109 Ehegesetz (EheG) 1946 33, 40, 51 ff., 57, 61 ff., 197 Ehepartner 84 f. Eigenverantwortlichkeit, familiäre 178, 237, 252, 360, 412, 606 Eignungsvermutung 221, 242, 368 ff., 389, 393, 433, 467 Eilbedürfnis 290, 600 ff. Eingliederungsmodell (vgl. auch Residenzmodell) 179, 199, 238, 273 Eingriffslegitimation 378, 388, 434, 546 Eingriffsschwelle 378, 522 ff. Eingriffstatbestände 34 ff., 101, 107, 176 f., 194, 218, 223, 232, 248, 293 ff., 310 f., 348, 364, 379, 403, 411, 432, 456, 521 ff. Einigungsfähigkeit 80, 479 f. Einstweilige Anordnung 603 ff. Einstweiliger Rechtsschutz 600 ff. Einvernehmen, gegenseitiges 119 ff., 139 f., 179, 204, 217, 223, 251 ff., 262 ff., 332 Einvernehmlicher Antrag 130 ff., 411 ff., 529, 577 ff. Einwilligung der Eltern 31, 37, 54, 175, 183, 192, 210, 254, 271 ff., 282 Einzelbeziehungen, familiäre 38, 80, 100 ff., 306, 502, 616

Sachregister Einzelfallentscheidung 49 ff., 102 f., 180, 205, 265 ff., 294, 310 f., 445 Elternautonomie 118, 168, 174, 170, 454, 574 Elterneinigung 420 Eltern-Kind-Verhältnis 86, 100 ff., 118, 180, 187, 200 ff., 299, 305, 368, 487, 501 ff., 609 Elternpflicht 215, 285, 300, 358 Elternrecht 285, 358 Elternverhältnis 104, 180, 228 Elternvorschlag 52 ff., 66 ff., 130 ff., 171, 187, 369, 420 Emotionalisierung des Sorgerechts 86, 101, 186 Empirische Studie 156 ff., 172, 189, 312 ff. Entführung des Kindes 245, 262, 272 ff. Entscheidungsmaßstab des Kindeswohls 142 ff., 292 ff., 297 ff. Entscheidungsverbund 165, 269, 376 Entwicklung des Kindes 19, 32, 36, 71, 89 f., 100, 113, 131, 154, 192, 202, 232, 257 ff., 276 f., 297, 305 ff., 413, 435, 493 Entzug der elterlichen Sorge 176, 210, 267 f., 273, 287, 361, 404 ff., 456 ff., 528, 564 ff. Ermessen, gerichtliches 20, 30, 41, 49 ff., 60 ff., 79, 107, 155, 162, 176, 186, 233, 297 f., 312, 417 f., 424 ff., 442, 448, 488, 517 ff., 527 ff. Erstentscheidung 319, 585 ff. Erwerbstätigkeit 320 Erziehungsautonomie 139, 223, 234, 416 Erziehungseignung 43 f., 50 ff., 109, 137, 154, 221, 234, 370, 394 Erziehungsfähigkeit 123 ff., 489 ff. Erziehungsgrundsätze 252, 257, 261 Erziehungsideal 348, 354, 362 Erziehungskongruenz 190, 261, 508 Erziehungsmaßnahmen 203, 272, 311 Erziehungspflicht 528

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Erziehungspotentiale 78, 362, 393 Erziehungsprimat der Eltern 349, 358 Erziehungsrecht 82, 117 ff., 216 Erziehungsverantwortung 179, 188, 197, 200, 220, 459 Erziehungsziele 252, 261 Erziehungszuständigkeit, gesetzliche 26 ff. Europäische Menschenrechtskonvention 20 f., 299 Europäisches Sorgerechtsübereinkommen 245 Familienautonomie 113, 141, 163, 234, 304 Familienbegriff 93 ff., 99 Familiengericht 341, 397 ff., 486, 520 ff. Familienkrise 193, 206, 231, 304, 336 f., 403, 612 Feststellungsklage 595 FGG 392 ff., 407 ff., 517 ff., 540 ff. Flexibilisierung – der Intervention 232, 363 ff., 401, 404 ff. – der Sorgerechtsgestaltung 110 ff., 136, 150, 187, 197, 254, 363 Folgesache 376, 399 Förderprinzip 47, 499, 505 ff. Freiheitsentziehung 488 Fremdbetreuung 509 Funktion der Familie 80, 99 Funktionale Aufteilung der Elternsorge 69 ff., 188, 198, 205, 300 Funktionsverteilung 223, 279, 354f Gefahr im Verzuge 282, 289 Gefahrabwehr 223, 380, 520 ff. Gefährdungsvermutung 170, 208, 298, 303, 348, 372, 401 Gemeinsame Entscheidungszuständigkeit 251 ff. Gemeinsame Rechtsausübung 196 ff., 206

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Sachregister

Gemeinsame Sorge als Regelfall 141, 340, 446 ff., 463 Gemeinsame Sorge in historischer Erscheinung 55 ff. Gemeinsames Sorgerecht 179, 240 ff. – Gestaltungsansätze 69 ff., 205 ff. Gemeinsamkeitsbegriff 196 ff., 204 Germanen 27 ff. Gesamtvertretungsgrundsatz 265, 291 Geschlechterkampf 104, 162 Geschwister 47, 165, 440, 500 ff., 519 Gesellschaftsveränderungen 83 ff., 187 Gesetzgeberische Güterabwägung 174 ff. Gesetzgebungsantrag – Grüne 164 ff. – PDS 171 ff. – Regierung 174 ff., 467 ff., 560 ff. – SPD 167 ff. Gesinnungssorge 221, 622 Gestaltungshoheit (Gestaltungshoheitsmonopol) 372, 412 ff. Gestaltungsurteil 390 Getrenntleben der Eltern 244 ff. Gewalt 164, 168, 319 ff., 423, 487, 491 Gewöhnlicher Aufenthalt 272 ff. Gleichbehandlungsgrundsatz 248 Gleichberechtigungsgesetz 33 f., 73, 85, 188 Gleichstellung der Frau 85, 93 Große Entfernung 64, 75 ff., 83, 127, 189, 329, 488, 494 Grundrechte des Kindes 514 ff. Güterabwägung 221, 227, 233 ff., 344 ff., 351, 377, 393, 444, 453, 486 Haager Abkommen 272 ff., 535 Harmonisierungsbedürfnis 228 Hauptbezugsperson 149 Häusliche Gemeinschaft 243, 248 Herausgabe des Kindes 273, 286 Hilfestellung, staatlich 405

Hinweispflicht 532, 543 ff. Homosexualität 507 Hospitalismusforschung 87, 146, 618 Individualabsprache 215, 222, 295 ff. Individualisierung 110 f., 364 Informationspflicht 264, 278 Interessenkollision 143, 229 ff. Interessenkonkurrenz 103, 303 Interventionsgrundsätze 345 ff., 402 ff. Interventionshemmung 300 f., 408 ff. Interventionsinstrumente 406, 530 ff. Interventionsverständnis 105 ff., 187, 236, 307 ff., 405 ff. Interventionswirkung 301, 308 f., 348 ff. Jugendamt 135, 158, 406, 540 Jugendhilfe 409, 530 ff. Juristische Organisationen 162 ff. Kinderbetreuungsmodelle Kinderkonvention 160 Kindesanhörung 147, 444, 546 Kindesinteresse 221, 298, 393, 428 Kindeswille 422 ff., 513 ff., 555 Kindeswohl 142 ff., 183, 186, 234, 292 ff., 434 ff. – als Entscheidungsmaßstab 142 ff., 292 ff., 297 ff., 434 ff. Kindeswohlerwägungen 188, 412 ff. Kindeswohlgefährdung 117, 163, 184, 234 f., 274, 294, 350, 362, 400, 408 ff., 415 ff., 455, 475 f. Kindeswohlprüfung 142 ff., 424, 434 ff., 440, 520 ff. KJHG 530 ff. Kleinkinder 88 ff., 258, 427 ff., 512, 602 Kommunikationsbereitschaft 340 ff. Kommunikationsmittel 117, 286 Konfliktbearbeitungsstrategie 338 f. Konfliktbewältigung 407, 536 Konfliktbewusstsein 378

Sachregister Konfliktlage 350, 389 – Bestimmtheit 478 ff. Konfliktpotential 79, 163, 206, 238, 349, 371 Konfliktvermeidung, prophylaktische 308 f., 350, 353 Kontakt 210, 288, 328 f., 338 Kontaktabbrüche 148, 184, 213, 300, 306, 329 Kontinuitätsgrundsatz 154, 510 ff. Kontrolle, staatliche 105 ff., 226, 234, 345 ff., 358 Konvention des Kindes 160 Kooperationsbereitschaft 80, 220, 326, 462 ff. Kooperationsfähigkeit 124 ff., 188, 220, 330, 337, 462 ff. Kooperationshindernisse 232, 482 ff. Koordination 209, 219 Krankheit 507 Krisenbewältigung 369 Lebenskonzepte 203 Leitbild, gesetzliches 196 ff., 214, 302, 347, 447 Loyalitätskonflikt 147, 334, 476, 493 ff., 516 Manifestationsakte 221, 243 Mediation 532 ff. Medizinische Behandlung 253 ff., 259, 323 Mindestanforderungen an den Sorgerechtsbeitrag 199 ff., 207 f., 216 Missbrauch 32 – der elterlichen Sorge 80, 119 f., 137, 141, 200, 238, 281, 399 – der gemeinsamen Sorge 141, 200, 223 ff. Missbrauchsfälle 491 Mitentscheidungsbefugnis 256, 262, 290 Mitwirkungsbefugnis 218, 278, 358

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Mitwirkungspflicht 277 Motivationslage 220 Mutterprimat 86 f., 90 Nachscheidungsfamilie 112, 119, 148, 154, 182, 437, 500 Nachtwächterstaat 107 Nestmodell 198 f., 238, 272 Nicht nur vorübergehendes Getrenntleben 243 ff. Nichteheliche Sorge 97 ff., 113, 163, 177 f., 222 Nichteheliches Kind 17, 158 ff., 216, 241 Non liquit 346, 456 ff. Notvertretungsrecht 282, 289 Notverwaltung 16, 367 Obhut 173, 268, 273 ff. Obligatorische Alleinsorge 77, 116 ff. Offenkundigkeit 218 Parteienherrschaft 385 Parteivortrag 385 Partielle Alleinsorge (vgl. auch teilweise Alleinsorge) 560 ff. Partnerschaftsebene 207, 227 f., 263 f., 298, 302, 328, 343, 351 f., 401, 484 ff. PAS (Parental Alienation Syndrom) 516 f. Patria potestas 27 f. Patriach 27 ff., 85 Pendelmodell 198 f. Personensorge 29 ff., 41 ff., 56, 193, 285, 565 Pflegeperson 552 Pflichtenbindung 473 Pflichtrecht, treuhänderisches 390, 459 ff., 470 f. Planersatz 206 Privatautonomie 82, 231 Privatheit 103, 226, 236 Prognoseentscheidung 350 Prognoserisiko 122, 137,153

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Sachregister

Prozessgestaltung 223 ff. Prozessvermeidung 223 ff. Recht des Kindes 101, 160, 164, 186 Rechtsgeschäft des täglichen Lebens 277 Rechtspraxis 312 ff. Rechtssicherheit 261, 296 Rechtsverzicht 416 Reformimpulse 473 Regel-Ausnahme-Diskussion 151 ff., 190, 442 ff. Regel-Ausnahme-Verhältnis 330, 609 ff. Regelfall 98, 182 Regelfalleinschätzung 155, 477, 492 Regelungsalternativen 344 ff. Religionswahl 258 Religionszugehörigkeit 259 Religiöse Erziehung 73, 253 Reprivatisierung 111, 188, 305 Residenzmodell 199, 238 Richterrechtliche Rechtsentwicklung 114 ff. Rollenverständnis 84 ff., 93 ff. Römer 27 ff. Ruhe der elterlichen Sorge 375 Sachfremde Motivation zur gemeinsamen Sorge 190, 219 ff. Scheidung 322, 534, 594 Scheidungsfamilie 173 Scheidungsschuld 38 ff., 49, 86 Scheidungsverbund (siehe auch Zwangsverbund) 166, 190, 235, 301 Scheidungsverfahren 395, 411 Scheidungszahlen 159 Scheineinigkeit 230 Sekten 490, 507 Sogwirkung 117 ff., 120 Sorgerechtsantrag 164, 169, 171, 221 Sorgerechtsaufteilung (funktional, zeitlich) 69 ff., 188, 252, 569 ff.

Sorgerechtsbewahrung 184, 211, 235, 306, 408 ff., 492 Sorgerechtsentzug 176, 210, 267 f., 273, 287, 361, 404 ff., 456 ff., 528, 564 ff. Sorgerechtserklärung 241 f. Sorgerechtsmissbrauch 528 Sorgerechtsmodelle 121, 198 f., 258, 369 f., 403 Sorgerechtsplan 134 f., 167, 169, 242, 341 Sorgerechtsreformgesetz 35 ff., 74, 77 f. Sorgerechtsstörung 375, 483 Sorgerechtsübertragung 346 ff. – befristet 72 – gemeinsame Sorge 60 Staat 77, 81, 105, 154, 183, 233 ff., 352 Staatliches Wächteramt 105, 165, 205, 216, 235, 309 f., 357 ff. Staatsangehörigkeit 570 Status- und Namensfragen 259 Stichentscheid 34 ff., 60 Subsidiarität 171, 414, 521 ff., 525 ff. Tatsächliche Betreuung 283 ff. Tatsächliche Sorge 253 Tatsächliche Verhinderung der Sorgerechtsausübung 54, 258, 5287 Teilungsverbot 568 Teilweise Alleinsorge 560 ff. Tender years doctrine 87 Trennung (Trennungszeit) 181, 243 ff., 376 ff. Trennungssorge gem. § 1672 BGB a. F. 163, 177, 195, 240 ff., 249, 349, 355, 373 ff., 380, 386 ff., 409, 585 ff. Übergangsregelung 591 ff. Überlassung der Ausübung des Sorgerechts 327 Umgangsrecht 78, 210 ff., 284 ff., 323, 357 Umgangsverfahren 400 UN-Kinderrechtskonvention 160

Sachregister Unterhalt 327 Unterhaltsansprüche 260 Untersuchungsgrundsatz 387 ff. Vaterbewegung 90 ff. Verantwortungsbereitschaft 221, 306 Verantwortungsbewusstsein 305, 344 Verantwortungsdefizit 349, 477 Verbundsentscheidung 592 ff. Verbundsverfahren 165, 398 f., 592 ff. Verdachtsintervention 231 Verfahrensgrundsätze 387 ff. Verfahrenspfleger 549 ff. Verhältnis der Eingriffstatbestände 265 ff., 294 ff. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 154, 267 f., 352, 404, 546, 563 f. Vermittlungsverfahren für Umgang 287 Vermögenssorge 29 ff., 41 ff., 56, 193, 260, 276, 323, 565 Verrechtlichung 105 ff., 185 Vertreter ohne Vertretungsmacht 278 Vertretungsmacht 290 Wächteramt des Staates 165, 205, 216, 235, 309 f., 357, 458 Wächteramtsfunktion 361, 393, 523 ff. Wahl der Ausbildung 253 ff., 323 Wahl der Schule 253 ff., 323 Wechselmodell 158, 198

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Wertvorstellungen 261 Wesenskern der gemeinsamen Sorge 196 ff. Widerruflichkeit (Absprachen, Anträgen) 218 Widerspruch des Kindes 422 ff. Widerspruchsanforderungen 425 ff. Widerspruchsausübung 425 ff. Widerspruchsrecht des Kindes 422 ff. Widerspruchsreichweite 430 ff. Wiederherstellung der gemeinsamen Sorge 581 ff. Wiederverheiratung 504 Wille des Kindes 422 ff., 513 ff., 555 Willensbildung der Eltern 204 Wohlverhaltensgebot (auch: Wohlverhaltensklausel) 261, 264, 281, 284 Wohnortwechsel 258 Zustimmung des Elternteils 418 ff. Zuweisungsschematismus, sorgerechtlicher 41 ff., 119, 188 Zwangsausübung (psychisch, physisch, wirtschaftlich) 229 f. Zwangsintervention 351 ff., 520 ff. Zwangsmaßnahmen 527 Zwangsverbund 162, 173, 175, 180 f., 341, 345 ff. Zweifelsfall 279 f., 346, 456 Zweifelsfallregelung 448 ff.