Die »Leib Christi«-Metapher: Kritik und Rekonstruktion aus gendertheoretischer Perspektive 9783839465097

Die Leib-Christi-Metapher ist in ihrer Relevanz für Christologie, Ekklesiologie und Sakramententheologie eine Schlüsselk

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Die »Leib Christi«-Metapher: Kritik und Rekonstruktion aus gendertheoretischer Perspektive
 9783839465097

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung: Die politisch-theologische Relevanz des Leibes Christi
2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen
3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen
4. Wie noch vom »Leib Christi« sprechen? Ein Ausblick auf eine zukünftige »Leib Christi«- Theologie
Literaturverzeichnis

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Saskia Wendel Die »Leib Christi«-Metapher

Religionswissenschaft Band 32

Saskia Wendel (Dr. phil.), geb. 1964, ist seit 2021 Universitätsprofessorin für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Religionsphilosophie, Anthropologie, Gotteslehre, religiöse Epistemologie, Mystik, Religion und Gender.

Saskia Wendel

Die »Leib Christi«-Metapher Kritik und Rekonstruktion aus gendertheoretischer Perspektive

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© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839465097 Print-ISBN 978-3-8376-6509-3 PDF-ISBN 978-3-8394-6509-7 Buchreihen-ISSN: 2703-142X Buchreihen-eISSN: 2703-1438 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

1.

Einleitung: Die politisch-theologische Relevanz des Leibes Christi ............7

2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen ........................ 17 2.1 Der anthropologische Bezugspunkt: Bewusstes Dasein...........................18 2.2 Die Kennzeichnung des Daseins als bewusstes Leben ........................... 23 2.2.1 Selbstbewusstsein – nonreflexiv und reflexiv ............................. 25 2.2.2 Die Doppelstruktur bewussten Lebens: Subjekt und Person ............... 32 2.3 Die Verkörperung bewussten Lebens ........................................... 39 2.3.1 Die Koinzidenz von Mentalem und Physischem im Grund des Bewusstseins ....................................................... 39 2.3.2 Analoge Doppelstruktur – Subjekt/Person – Leib/Körper .................. 44 2.3.3 Verkörperte Existenz – in Konstruktionsund Subjektivationsprozesse verstrickt .................................. 49 2.4 »Geschlecht« als eine Dimension verkörperter Existenz ........................ 54 2.5 …und die Freiheit?............................................................. 70 3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen....................... 73 3.1 »Leib Christi« – Begriff und Metapher .......................................... 74 3.2 Als konkrete, verkörperte Existenz ist Jesus Gott: »Leib Christi« individuell ..... 80 3.2.1 »Gottmensch« funktional bestimmt: Jesu Lebenspraxis als Verkörperung Gottes ................................................. 86 3.2.2 Deutungen des individuellen Leibes Christi .............................. 99 3.3 Universaler »Leib Christi« – soteriologisch und ekklesiologisch ................. 118 3.3.1 »Leib Christi« als universaler Heilsraum ................................. 118 3.3.2 »Leib Christi« – Vergegenwärtigung und Vermittlung des Heils in der Kirche ..................................................120 3.3.3 Deutungen des universalen Heilsraums »Leib Christi« und dessen kirchlicher Repräsentation...................................124

3.4 »Leib Christi« – ein biopolitisch folgenreicher Machtdiskurs ................... 139 3.4.1 Die Regulierung des Begehrens und die Etablierung geschlechtsspezifischer Gefühls- und Arbeitsteilung .....................140 3.4.2 Ein Amt nur für Männer..................................................149 3.5 »Leib Christi« – Das Universum als Körper Gottes und als kosmischer Christus ...................................................159 3.5.1 Konzeptionen der Welt als Körper Gottes und des kosmologischen Leibes Christi ..................................159 3.5.2 Der kosmologische »Leib Christi« – eine geglückte Metapher? ........... 189 4. Wie noch vom »Leib Christi« sprechen? Ein Ausblick auf eine zukünftige »Leib Christi«-Theologie ..................199 Literaturverzeichnis ............................................................. 205

1. Einleitung: Die politisch-theologische Relevanz des Leibes Christi

»Corpus Christi salva me/Leib Christi rette mich« heißt eine Zeile des von Ignatius von Loyola überlieferten »Anima Christi«-Gebets, welches im Rahmen der ignatianischen Exerzitien gebetet wird und auch darüber hinaus zur kirchlichen Gebetstradition gehört. Wer mit dieser Tradition vertraut ist, wird auch mit der »Leib Christi«-Metaphorik vertraut sein. Der erlösende, rettende Christuskörper ist hier gleichbedeutend mit dem sterblichen Körper Jesu, der jedoch, so die im Gebet zum Tragen kommende Tradition, in Leiden, Tod und Auferweckung zum rettenden Leib geworden ist, zu einem korporativen, alle einschließenden und darin auch alle erlösenden Leib. »Leib Christi, rette mich« korrespondiert mit der paulinischen Zusage: »Ihr aber seid Leib Christi« (1 Kor 12,27). Der individuelle Körper Jesu erhält so als alle einschließender Heilsraum universale Bedeutung, und zwar in soteriologischer Hinsicht. Die Gebetspraxis erschließt folglich eine zentrale Komponente einer auf Paulus zurückgehenden Theologie des Leibes Christi. »Leib Christi« – über den Bereich individueller spiritueller Praxis hinaus begegnen diesem Ausdruck vor allem Katholikinnen und Katholiken sowohl im Kontext des Eucharistiesakraments bzw. des Kommunionempfangs (»Der »Leib Christi« «) als auch im traditionellen Verständnis der Kirche als »mystischer »Leib Christi« «. Hier kommen neben dem individuellen Körper Jesu und seiner soteriologischen Universalisierung durch den Korporativgedanken zwei weitere Aspekte eines universalen »Leib Christi«-Verständnisses zur Sprache: Der sakramentale, bezogen auf die Hostie im Eucharistiesakrament, und der ekklesiologische, bezogen auf eine zentrale Grundbestimmung der Kirche – und darin wiederum ein sakramentaler Aspekt, weil die Bestimmung der Kirche als »Leib Christi« auf das Verständnis der Kirche als Grundsakrament verweist.

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Die »Leib Christi«-Metapher

Der »Leib Christi« ist also in der kirchlichen Tradition fest verwurzelt, zugleich aber gilt er heute nicht selten als unzeitgemäß, ja prekär, insbesondere in ekklesiologischer Hinsicht1 , und eine theologische Auseinandersetzung mit ihm wirkt dann möglicherweise entsprechend unzeitgemäß, ja vielleicht sogar befremdlich. Doch meines Erachtens ist das Thema »Leib Christi« theologisch alles andere als überholt. Zum einen besitzt der »Leib Christi« vor dem Hintergrund der zentralen christlichen Überzeugung von der Verkörperung Gottes in Jesus von Nazareth eine wichtige theologische Schlüsselfunktion, nicht nur in seiner bestimmenden Funktion hinsichtlich der christlichen Überzeugung vom Sich-Zeigen göttlicher Wirklichkeit mitten in geschichtlicher Kontingenz in Jesus Christus, der auf ihn sich beziehenden Kirche und dem in ihr sich vollziehenden sakramentalen Handeln, sondern vor allem auch in seiner legitimierenden Funktion insbesondere in Bezug auf die konkrete Sozialgestalt der Kirche, ihrer Strukturen, ihres Amtsverständnisses und ihrer Praxis. Zum anderen zeigt sich gerade in dieser bestimmenden wie legitimierenden Funktion des Ausdrucks die politische Bedeutsamkeit des Ausdrucks »Leib Christi«. Ihm kommt eine normierende Rolle zu, und zwar über das kirchliche Feld hinaus in andere gesellschaftspolitische Themenfelder hinein. Denn zum einen hat das Kirchen- und Amtsverständnis auch Folgen für die Bestimmung der Rolle und Funktion der Kirche in der und für die Gesellschaft, und zum anderen wirken tradierte Vorstellungen des Leibes Christi auch in biopolitische Aspekte hinein, etwa hinsichtlich der Regulierung des Begehrens und des Körper- und Geschlechterverständnisses, sowie in religionspolitische Aspekte etwa im Blick auf die Frage, wer laut kirchlichem Verständnis in den »Leib Christi« inkludiert ist und wer nicht. Genau an diesem Punkt zeigt sich die politisch-theologische Relevanz der Auseinandersetzung mit dem Thema »Leib Christi«, denn die Kritik tradierter Kernmotive des christlichen Glaubens mit Blick auf die Frage, ob und, wenn ja, inwiefern solche Motive sich herrschaftsstabilisierend und hegemonial ausgewirkt und konkrete Verhältnisse von Unrecht, Diskriminierung und Gewalt legitimatorisch abgesichert bzw. hervorgebracht haben, gehört zu den zentralen Aufgaben politisch-theologischer Reflexion.2 Diese politisch-theologi-

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Vgl. hierzu etwa Matthias Reményi/Saskia Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. Geltung und Grenze einer umstrittenen Metapher. Freiburg i.Br. 2017. Vgl. hierzu auch Judith Gruber: »Gerade wenn und weil Theologie das Politische aus ihrem Diskurs ausblendet, verstrickt sie sich tief in die hegemonialen Politiken souveräner Macht und subventioniert ihre potentiell tödlichen Ausschlussmechanismen. (…)

1. Einleitung: Die politisch-theologische Relevanz des Leibes Christi

sche Perspektive ist biopolitisch zu weiten. Als Biopolitik kennzeichnete Michel Foucault alle politischen Diskurse, die den Körper bzw. diejenigen Bereiche des Politischen betreffen, die in Bezug auf Körperpraxen hegemonial wirken: »[D]er Körper steht […] unmittelbar im Feld des Politischen; die Machtverhältnisse legen ihre Hand auf ihn; sie umkleiden ihn, markieren ihn, dressieren ihn, martern ihn, zwingen ihn zum Arbeiten, verpflichten ihn zu Zeremonien, verlangen von ihm Zeichen. Diese politische Besetzung des Körpers ist mittels komplexer und wechselseitiger Beziehungen an seine ökonomische Nutzung gebunden […]; zu einer ausnutzbaren Kraft wird der Körper nur, wenn er sowohl produktiver wie unterworfener Körper ist.«3 Die Kulturwissenschaftlerin Sara Ahmed wies denn auch in Bezug auf die biopolitischen Analysen Foucaults darauf hin, dass und inwiefern über die Produktion von Gefühlsstrukturen Macht gestiftet und erhalten wird: »Gefühle können an bestimmten Körpern kleben, in derselben Art und Weise, wie wir Räume, Situationen, Dramas [sic!] beschreiben.«4 Diese biopolitische Dimension des Körpers betrifft alle intersektionalen Kategorien, die auf Körperpraxen bezogen sind, also race, Nation, Klasse, Religion, und nicht zuletzt die Kategorie »Geschlecht«.5 Auch und gerade »Ge-

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es ist die Aufdeckung des Politischen im theologischen Diskurs, die ein Widerstandspotential gegen hegemoniale Theopolitik eröffnet.« (Judith Gruber: Wider die Entinnerung. Zur postkolonialen Kritik hegemonialer Wissenspolitiken in der Theologie. In: Andreas Nehring/Simon Wiesgickl (Hg.): Postkoloniale Theologien II. Perspektiven aus dem deutschsprachigen Raum. Stuttgart 2018. 23-37. Hier: 27 und 28. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a.M. 12 1998. 37. Sara Ahmed: Happy Objects. In: Melissa Gregg/Gregory J. Seigworth (Hg.): The Affect Theory Reader. Durham-London 2010. 29-51. Hier: 39. Die intersektionale Perspektive ist untrennbar mit der politisch-theologischen und biopolitischen Perspektive verbunden, und gerade im Blick auf gender bzw. »Geschlecht« ist sie mittlerweile unhintergehbar geworden, wie etwa Kimberlé Crenshaw hinsichtlich der Überkreuzung von race und gender und damit auch von Rassismus und Sexismus deutlich gemacht hat: »Wenn die feministische Theorie versucht, die Erfahrungen von Frauen anhand der Analyse des Patriarchats, der Sexualität oder der Ideologie getrennter Sphären zu beschreiben, übersieht sie häufig die Rolle von race. Feminist:innen berücksichtigen also nicht, welche Rolle ihre eigene race spielt, um bestimmte Aspekte von Sexismus zu mildern, und wie sie sie darüber hinaus häufig gegenüber anderen Frauen privilegiert und zur Herrschaft über sie beiträgt. Folglich bleibt die feministische Theorie weiß, und ihr Potenzial zur Erweiterung und Vertiefung ihrer Analyse dadurch, dass sie sich an nichtprivilegierte Frauen wendet, bleibt unverwirklicht.« (Kimberlé Crenshaw: Die Intersektion von race und Geschlecht vom

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schlecht« wird normiert und codiert, ja die Codierungen sexueller Identität und Differenz stehen im Zentrum des biopolitischen Feldes, denn sie prägen Körperbilder und -codes in grundlegender Art und Weise, worauf vor allem Judith Butler aufmerksam gemacht hat: »Gleichwohl ist es der Körper, über den Gender und Sexualität anderen Menschen offengelegt werden, in soziale Prozesse einbezogen werden, vermittelst kultureller Normen eingeschrieben werden und in ihren sozialen Bedeutungen erfasst werden. In einem gewissen Sinne bedeutet ein Körper zu sein anderen ausgeliefert zu sein, selbst wenn ein Körper emphatisch gesprochen ›der eigene‹ ist, dasjenige, für das wir Rechte der Autonomie beanspruchen müssen.«6 Der »Leib Christi« gehört diesem biopolitischen Feld zu: Er ist Quelle von intersektionalen Codierungen und Normierungen und umgekehrt selbst Objekt solcher Normierungen. Er legitimiert bestimmte Körpercodes, ist ihnen aber zugleich auch unterworfen, und darin kommt ihm eine zentrale politische Bedeutung zu. Wie alle Körper, so ist auch der Corpus Christi nicht einfach gegeben. Vielmehr werden unterschiedliche Vorstellungen, Bilder und Zeichen des Leibes Christi auf diskursive, näherhin performative, also wirklichkeitssetzende Art und Weise, erzeugt, in unserem Fall im Kontext theologischer Diskurse. Diese theologischen Konstruktionen des Leibes Christi gilt es im Folgenden auch im Rekurs auf aktuelle Theorien der Verkörperung zu analysieren und zu kritisieren, d.h. hinsichtlich der Regulierungen und Normierungen, die er hervorbringt und denen er zugleich auch unterworfen ist. Dabei konzentriere ich mich allerdings unbeschadet der Überkreuzung unterschiedlicher Körpercodierungen auf die Kategorie »Geschlecht« und damit auf genderspezifische Codierungen des Leibes Christi. Im Durchgang durch diese Analyse wird dann zu fragen sein, ob und, wenn ja, inwiefern sich »Leib Christi« auch zukünftig noch als ein überzeugender theologischer Topos erweist. Dies geschieht aus dezidiert katholischer Perspektive, da zum einen gerade im Feld der katholischen Theologie elaborierte »Leib Christi«-Theologien formuliert wurden und zum anderen die

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Rand ins Zentrum bringen: eine Schwarze feministische Kritik der Antidiskriminierungsdoktrin, feministischer Theorie und antirassistischer Politik. In: Kristina Lepold/ Marina Martinez Mateo (Hg.): Critical Philosophy of Race. Ein Reader. Berlin 2021. 304-327. Hier: 309). Judith Butler: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen. Frankfurt a.M. 2009. 40f.

1. Einleitung: Die politisch-theologische Relevanz des Leibes Christi

praktisch-politischen Folgen tradierter Deutungen des Leibes Christi in der römisch-katholischen Kirche und den von ihr geprägten Gesellschaften in besonderer Art und Weise zum Tragen kommen. Im Blick auf diese Analyse des Ausdrucks »Leib Christi« ist allerdings zu berücksichtigen, dass »Leib Christi« sowohl begrifflich als auch metaphorisch gebraucht werden kann, wiewohl man gemeinhin von »Leib Christi« als theologische Metapher spricht. Doch es gilt hier genauer den Kontext des Sprachgebrauchs des Ausdrucks »Leib Christi« zu beachten bzw. dessen unterschiedliche Funktion als Signifikant. Während Begriffe als bestimmendes Prädikat eines Subjekts fungieren, auf das sie bezogen sind, sei es in univoker, sei es in analoger Art und Weise, und beide, Subjekt wie Prädikat, einem gemeinsamen Wirklichkeitshorizont zugehören, handelt es sich bei Metaphern um Zeichen, die Bedeutung durch Übertragung von einem Wirklichkeitshorizont in einen anderen herstellen. Ob sich der Ausdruck »Leib Christi« auch zukünftig noch als tragfähiger theologischer Topos erweist, ist daher im Blick auf seine unterschiedliche Funktion im theologischen Sprachgebrauch ebenso differenziert zu betrachten: Inwiefern handelt es sich um einen Begriff, inwiefern um eine Metapher? Handelt es sich, insofern »Leib Christi« begrifflich gebraucht wird, um einen univoken oder analogen Begriff? Und in welcher Hinsicht verschiebt sich dessen begriffliche Bedeutung hin zu einer metaphorischen? Handelt es sich bei »Leib Christi« um eine glückende theologische Metapher oder nicht?7 Diese Dimension des theologischen Sprachgebrauchs und dessen generierende Funktion von Bedeutung gilt es im Folgenden stets mit zu bedenken, wenn der Ausdruck »Leib Christi« gebraucht, analysiert, kritisiert, und ggf. auch in seiner Bedeutung für eine christliche Rede von Gott transformiert wird. In einem ersten Teil werden gemäß der grundlegenden theologischen Einsicht der »anthropologischen Wende« sowie der engen Verknüpfung von Christologie und Anthropologie anthropologische Überlegungen zum Verständnis bewussten Daseins als verkörperte Existenz vorgestellt, die als Basis der sich anschließenden Reflexionen des Leibes Christi dienen. Im zweiten Teil erfolgt dann nach einer kurzen Bestimmung des Gebrauchs von »Leib Christi« als (analoger) Begriff und als Metapher eine kritische Analyse der

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Siehe dazu exemplarisch die Formulierung von Eberhard Jüngel: »Metaphern müssen glücken.« (Eberhard Jüngel: Entsprechungen: Gott – Wahrheit – Mensch. Theologische Erörterungen II. Tübingen 3 2002. 125.) Siehe ebenso auch Klaus Müller: »Für den, der die glückende Metapher hört, hält sie einen Wissensgewinn bereit.« (Klaus Müller: Homiletik. Ein Handbuch für kritische Zeiten. Regensburg 1994. 87.)

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vielfältigen Konstruktionen sowohl des individuellen wie auch universalen Leibes Christi in soteriologischer und vor allem ekklesiologischer Hinsicht.8 Hier spielen neben der paulinischen »Leib Christi«-Theologie ausgewählte katholische »Leib Christi«-Theologien des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle, so etwa die »Leib Christi«-Theologien von Henri de Lubac, Hans Urs von Balthasar und Joseph Ratzinger. Die Auswahl begründet sich vor allem in der besonderen Bedeutung und Wirkungsgeschichte, die diese Theologien im 20. Jh. in ihren unterschiedlichen Ausrichtungen gewonnen haben. Angesichts der Probleme, die – wie zu zeigen sein wird – in diesen theologischen Entwürfen zu konstatieren sind, wird nicht selten vorgeschlagen, »Leib Christi« zukünftig im Anschluss an sogenannte »Welt-als-Körper-Gottes-Theologien« ausschließlich kosmologisch zu verwenden. Auch diese Deutungen werden kritisch analysiert und auf die Chancen wie Grenzen hin ausgelotet. Als Referenzautorinnen und -autoren dienen hier neben Origenes und Cusanus vor allem Teilhard de Chardin, Raimon Panikkar und Prozesstheologinnen und -theologen wie Sallie McFague, Grace Jantzen, Marjorie Suchocki, Catherine Keller und Charles Hartshorne. Man könnte aus dezidiert postkolonialer Perspektive einwenden, dass Ausgangspunkt, Interesse, Methoden, Quellenauswahl usw. noch einem stark eurozentrischen Blickwinkel verhaftet seien und damit der notwendige epistemologische Bruch noch nicht wirklich vollzogen sei. Insbesondere der Universalitätsanspruch, der sowohl der Kritik als auch der Rekonstruktion zugrunde liegt, sowie das Festhalten an Begriffen wie »Subjekt« oder »Freiheit« in den Ausführungen zu den anthropologischen Grundlagen und dann auch als Basis eines neuen Zugangs zum »Leib Christi« werden in diesem Zusammenhang bei postkolonial orientierten Theologinnen und Theologen auf Kritik stoßen. Denn postkoloniale Theorien stehen häufig Subjekttheorien ebenso skeptisch gegenüber wie der Inanspruchnahme universaler Geltungsansprüche und sprechen in diesem Zusammenhang von einer sogenannten 8

Die sakramententheologische Perspektive des in der Eucharistie als real präsent geglaubten Leibes Christi wird hierbei ausgeklammert, weil die Referenz zwischen den Konstruktionen des konkreten Körpers Jesu und denjenigen des »Leibes Christi« mit Blick auf die Abstraktion des eucharistischen Brotes kaum noch gegeben scheint. Das Unterfangen, Körpercodierungen und -normierungen eines in der Eucharistie unter der Gestalt des Brotes gegenwärtigen Leibes Christi zu analysieren, mutet geradezu absurd an. Denn der »Leib Christi« wird ja der Transsubstantiationslehre entsprechend gerade nicht dargestellt, eine unmittelbare »Schau der Gestalt« findet nicht statt, da die Akzidenzien des Brotes erhalten bleiben.

1. Einleitung: Die politisch-theologische Relevanz des Leibes Christi

»epistemischen Gewalt« gegenüber den Subalternen.9 Auch wenn post- bzw. dekoloniale Theorien zu Recht den Mechanismus des »Othering« kritisieren, auf das Problem identitätslogischer und essentialistischer Diskurse und den ihnen zugehörigen epistemologischen und ontologischen Überzeugungen aufmerksam machen und die Gefahr der Reifizierung bestimmter Kategorien markieren, so gehen diese Theorien meines Erachtens zu undifferenziert und pauschal mit dem Vorwurf der epistemischen Gewalt um. Nicht jeder Universalismus ist bereits schon Kennzeichen solcher Gewalt, sondern umgekehrt ist er ja gerade die Möglichkeitsbedingung dafür, hegemoniale Diskurse und Gewaltverhältnisse zu kritisieren und zu unterlaufen, nicht jede Andersheit und Differenz ist schon allein dadurch anzuerkennen, dass sie anders, fremd, different ist.10 Gleichwohl ist in universale Konzeptionen der Aspekt aufzunehmen, den Michael Nausner in Bezug auf Achille Mbembes Epistemologie ins Zentrum stellt: die Vorstellung von Universalität in Abhängigkeit von einer kontinuierlichen Teilnahme divergierender Stimmen im Sinne eines geistigen und physischen Durchquerens und Zirkulierens anderer Kulturräume, um so ein Weltdenken zu erreichen und den Eurozentrismus aufzubrechen.11 Darüber hinaus sind die Begriffe »Subjekt« oder »Freiheit« nicht schon per se immer schon so eurozentrisch und kolonial durchsetzt, dass sie nicht mehr Verwendung finden könnten, und ebenso handelt es sich nicht um lediglich partikular gültige Konzepte – es besteht eine Differenz zwischen der unbestreitbar partikularen Genesis und der universalen Geltung. Auch die öfter begegnende pauschale Gleichsetzung von Kolonialismus und Aufklärung bzw. Moderne erweist sich meines Erachtens für eine bruchlose Rezeption postund dekolonialer Theorien als problematisch.12 Hier wiederholt sich quasi un-

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Vgl. etwa die Ausführungen zur postkolonialen Theorie Gayatri Chakravorty Spivaks in Mario do Mar Castro Varela/Nikita Dhawan: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. 2., komplett überarbeitete und erweiterte Auflage. Bielefeld 2015. 151-218. Vgl. hierzu auch die Kritik von Mark Lewis Taylor an Gayatri Spivaks Theorie in: Mark Taylor: Subalternität und Fürsprache als Kairos für die Theologie. In: Andreas Nehring/ Simon Tielesch (Hg.): Postkoloniale Theologien. Bibelhermeneutische und kulturwissenschaftliche Beiträge. Stuttgart 2013. 276-299. Vgl. Michael Nausner: Ambivalenzen der Partizipation. Theologische Reflexionen zur Teilhabe unter postkolonialen Bedingungen. In: Nehring/Wiesgickl (Hg.): Postkoloniale Theologien II. 38-52. Hier: 44f. Vgl. etwa Achille Mbembe: Kritik der schwarzen Vernunft. Berlin 2014; Claudia Brunner: Epistemische Gewalt. Wissen und Herrschaft in der kolonialen Moderne. Bielefeld 2020.

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ter neuem Label die Diskussion um universale Begründungsfiguren und um die Bedeutung des Subjektbegriffs, die vor Jahrzehnten schon mit postmodernen und poststrukturalistischen Theorien und deren Kritik des Subjektbegriffs geführt wurden. Es wäre ein stärkerer Bezug auf die Kritische Theorie und deren dialektische Perspektive angebracht, die sowohl das Problem, aber eben auch die Unhintergehbarkeit sowohl universaler Geltungsansprüche als auch der Rekurse auf Subjektivität und Freiheit herausgestellt hat, und die ja gerade auch die Dialektik der Aufklärung betont hat und damit die Doppelgestalt des Hervorbringens von Herrschaft, aber eben auch von Befreiung.13 In einem dritten und letzten Teil wird dann darüber reflektiert, ob und, wenn ja, in welcher Art und Weise »Leib Christi« sowohl einen tauglichen Begriff als auch eine glückende Metapher darstellt. Hier steht erstens die Referenz auf den individuellen Körper Jesu und seine vielgestaltigen Deutungen im Zentrum; zweitens das Verständnis eines jeglichen bewussten Daseins als »Gottesgeburt« bzw. Verkörperung Gottes respektive dann aller Christinnen und Christen als »Leib Christi«; sowie drittens die Bestimmung der Kirche als Versammlung jener »Leiber«, die sich zur Nachfolge Jesu herausgerufen verstehen und mittels performativer Macht das an alle ergehende Versprechen eines »Lebens in Fülle« antizipierend zu realisieren suchen. Solch ein Verständnis der Kirche als »performative Macht der Versammlung« (J. Butler) derjenigen, die sich zur Nachfolge Jesu herausgerufen verstehen (ecclesia) und in dieser Hinsicht – in Anlehnung an 1 Kor 12,27 formuliert – »Leib Christi« sind, kann dann als Alternative zur tradierten Grundbestimmung der Kirche als Ganzer als »Leib Christi« gelten und dabei auch bestimmte Aspekte der beiden Bestimmungen »Volk Gottes« und communio integrieren. An dieser Stelle möchte ich all denen danken, die zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben, welches im Kontext zweier DFG-Projekte zum Thema »Leib Christi« entstanden ist. Allen voran möchte ich Dr. Aurica Jax (ehem. Nutt) danken, die in beiden Projekten als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig 13

Diese Diskussion kann an dieser Stelle leider nicht geführt werden, ich verweise daher lediglich auf die wieder erstarkte Rezeption der Kritischen Theorie in feministischen Theorien und die damit verbundenen kritischen Auseinandersetzungen mit intersektionalen und post- bzw. dekolonialen Theorien in Karin Stögner/Alexandra Colligs (Hg.): Kritische Theorie und Feminismus. Berlin 2022; vgl. ebenso die Hinweise auf die Diskussion um das Hervorbringen des Begriffs »Rasse« in der Aufklärung und in Konzeptionen der klassischen deutschen Philosophie, insbesondere in der Kantischen Anthropologie und Geschichtsphilosophie in Kristina Lepold/Marina Martinez Mateo: Einleitung. In: dies. (Hg.): Critical Philosophy of Race. 7-34. Hier: 23f.

1. Einleitung: Die politisch-theologische Relevanz des Leibes Christi

gewesen ist, ebenso Dr. Miriam Leidinger, Ruth Glaubitz und Barbara Engelmann, die als wissenschaftliche Hilfskräfte im Projekt mitgearbeitet haben. Mein Dank geht auch an Jan Niklas Collet, Simon Hagenmaier, Dr. Caroline Helmus, Sarah Jane Lehmann, Johanna Reh und Dr. Julian Tappen für die Korrektur des Manuskripts und das Erstellen der Druckformatvorlage. Der DFG danke ich für die Bewilligung und Finanzierung der beiden Forschungsprojekte, insbesondere für die Finanzierung eines Forschungsfreisemesters, in dem ich das vorliegende Buch fertigstellen konnte. Tübingen, den 15. Oktober 2022 Saskia Wendel

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2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen

Beginnt man Reflexionen über den »Leib Christi« mit anthropologischen Überlegungen, so stellt man sich in die Traditionen einer Christologie, die die »anthropologische Wende« der Theologie vollzieht. Christologie ist, um es mit Karl Rahner zu sagen, »Ende und Anfang der Anthropologie«1 , und umgekehrt basiert eine jegliche Christologie auf anthropologischen Überlegungen. Anders ist ja auch die Koinzidenz von »Gott« und »Mensch« in einer Person gar nicht durchzubuchstabieren, die im Fokus des Christusbekenntnisses steht. Es geht allerdings in der hier vorausgesetzten anthropologischen Perspektive nicht darum, die Möglichkeitsbedingungen des Hörenkönnens auf die in Jesus Christus ergangene Selbstmitteilung Gottes anthropologisch aufzuweisen,2 sondern darum, die Möglichkeitsbedingungen der glaubenden Deutung Jesu als Verkörperung Gottes unter Rekurs auf anthropologische Reflexionen zur Verkörperung des Daseins aufzuweisen, das auch Jesus gewesen ist. Denn das Verständnis Jesu als Verkörperung Gottes bringt die »Leib Christi«-Metapher hervor, die ja zunächst auf die Person Jesu bezogen gewesen ist: Die verkörperte Existenz Jesu ist der »Leib Christi«, insofern Jesus als der Christus, der »Gesalbte«, verstanden wird. Die Annäherung an die »Leib Christi«-Metaphorik beginnt damit nachvollziehbar mit einer Annäherung an die verkörperte Existenz Jesu, deren Deutung als göttliche Inkarnation, sowie der Einbettung des Körpers Jesu in diskursive Körperpraxen, so wie dies für jedes bewusste

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Karl Rahner: Zur Theologie der Menschwerdung. In: ders.: Schriften zur Theologie. Band IV: Neuere Schriften. Zürich-Einsiedeln-Köln 5 1967. 137-155. Hier: 151. Vgl. etwa ders.: Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums. Freiburg i.Br. 1984. 22f.; 208ff. Vgl. auch Rudolf Bultmann: »will man von Gott reden, so muß man offenbar von sich selbst reden.« (Ders.: Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? In: ders.: Glauben und Verstehen. Band 1. Tübingen 5 1964. 26-37. Hier: 28.)

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Die »Leib Christi«-Metapher

Dasein der Fall ist. Die folgenden anthropologischen Bestimmungen verkörpert sich vollziehenden, bewussten Daseins dienen somit als hermeneutischer Horizont der weiteren Überlegungen zum Verständnis der »Leib Christi«Metapher.3

2.1 Der anthropologische Bezugspunkt: Bewusstes Dasein »Anthropologie« bedeutet traditionell den Rekurs auf Überlegungen zum menschlichen Selbstverständnis, und klassische Anthropologien stellten dabei in der Applikation einer substanzontologischen Denkform auf die Anthropologie die Frage nach dem »Wesen des Menschen« und nach der spezifischen Differenz desjenigen Lebewesens bzw. Seienden, das »Mensch« genannt wird. Dieses Wesen wurde mit dem Logos, der Vernunft, identifiziert bzw. mit dem intelligiblen Seelenteil, der die anderen Seelenteile dominiert, und durch den letztlich die Seele als Form des Leibes (anima forma corporis) fungieren kann.4 Es wäre jedoch zu einseitig, die Frage der Anthropologie als diejenige nach dem »Wesen des Menschen« zu verstehen. Denn dann setzte man die Geltung einer Substanzontologie voraus, wie sie der Aristotelischen Philosophie zu Eigen gewesen ist. Dem menschlichen Dasein wird in jenem substanzontologischen Konzept eine genau zu bestimmende Natur, ein substanzieller Kern, eine Wesenheit (essentia) zugesprochen – im Unterschied zu seiner faktischen Existenz (esse, existentia), der Realdistinktion von Sein und Wesen entsprechend. Diese Substanz unterscheidet das Seiende, das »Mensch« genannt wird, von anderem Seienden, macht also seine differentia specifica aus. Ihr entspringen substanzielle Eigenschaften, die Menschen in seinem Menschsein notwendig zukommen und ihn als Menschen bestimmen im Unterschied zu akzidentiellen Eigenschaften, die ihm nicht notwendig zukommen und die ihn nicht in seiner Wesenheit bestimmen.

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Man könnte einwenden, dass diese Metapher ja nicht nur christologisch fungiert. Doch die weitere Verwendung in soteriologischer und ekklesiologischer Hinsicht basiert darauf, und in gewisser Hinsicht ist auch die kosmologische Perspektive des Gebrauchs nicht ohne ihre christologische Bedeutung zu denken, da ansonsten nicht einsichtig wird, weshalb – wie noch zu zeigen sein wird – das Universum in manchen Theologien als »kosmischer Christus« bzw. »Leib Christi« konzipiert wird. Auf diese hylemorphistische Verhältnisbestimmung von Geist bzw. Seele und Körper ist später nochmals einzugehen.

2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen

Doch diese Konzeption blieb philosophisch nicht unwidersprochen. Schon Immanuel Kant z.B. hatte im Paralogismuskapitel der »Kritik der reinen Vernunft« der Substanzontologie in Form der Seelenmetaphysik den Abschied gegeben: Wer aus dem aller Erkenntnis zugrunde liegenden transzendentalen Prinzip »ich denke« die Existenz einer Seelensubstanz folgert – die Existenz einer res cogitans – und diese dann auch noch zu bestimmen sucht, verwechselt phainomenon mit noumenon und verstrickt sich in der transzendentalen Illusion.5 Und nicht nur die Transzendentalphilosophie kritisierte die Substanzontologie; die Wende von der Essenz hin zur Existenz des Daseins ist ein Kernmotiv der Existenzphilosophie. Für diese Wende plädierte auch Martin Heidegger und kritisiert damit auch die scholastische Tradition der Realdistinktion von Sein und Wesen im Blick auf das (menschliche) Dasein: »Das ›Wesen‹ des Daseins liegt in seiner Existenz. Die an diesem Seienden herausstellbaren Charaktere sind daher nicht vorhandene ›Eigenschaften‹ eines so und so ›aussehenden‹ vorhandenen Seienden, sondern je ihm mögliche Weisen zu sein und nur das. Alles Sosein dieses Seienden ist primär Sein. Daher drückt der Titel ›Dasein‹, mit dem wir dieses Seiende bezeichnen, nicht sein Was aus, wie Tisch, Haus, Baum, sondern das Sein.«6 Heidegger folgert die Differenz zwischen Ding und Person, »etwas« und »jemand« daraus, dass die Person keine Substanz sei und kritisiert so auch den cartesianischen Substanzendualismus.7 Menschliches Dasein wird so nicht mehr im Rekurs auf eine Wesenheit definiert, die das Menschsein bestimmt, sondern in Bezug auf den Existenzvollzug dieses Daseins selbst. Bereits vor Kants transzendentalphilosophischer Kritik der Seelenmetaphysik finden sich ebenfalls Kritiken an einer am Substanzbegriff ausgerichteten Anthropologie. Baruch de Spinoza gab zwar in seinem Versuch, den cartesianischen Substanzendualismus zu überwinden, den Begriff der Substanz

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Vgl. etwa Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (im Folgenden: KrV) B 422: »Die Einheit des Bewußtseins, welche den Kategorien zum Grunde liegt, wird hier [in der Seelenmetaphysik, SW] für Anschauung des Subjekts als Objekts genommen, und darauf die Kategorie der Substanz angewandt. Sie ist aber nur die Einheit im Denken, wodurch allein kein Objekt gegeben wird, worauf also die Kategorie der Substanz, als die jederzeit gegebene Anschauung voraussetzt, nicht angewandt, mithin dieses Subjekt gar nicht erkannt werden kann.« Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 16 1986. 42. Vgl. ebd. 47f.

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nicht gänzlich preis, reservierte ihn aber allein für Gott, verstanden als »alleine Substanz«, die Denken und Ausdehnung als Attribute in sich einschließt. Der Mensch ist so gesehen keine Substanz, weder res cogitans noch res extensa, sondern in Denken und Ausdehnung Modus der einzigen, alleinen göttlichen Substanz.8 Ebenso finden sich selbst in theologischen Traditionen, die noch der mittelalterlichen Theologie zugerechnet werden, jedoch mit Blick auf deren Grundmotive bereits an der Schwelle zur Neuzeit stehen, Absetzbewegungen von der Identifikation der Seele mit einer Substanz. Meister Eckhart beispielsweise (und vor ihm schon Dietrich von Freiberg9 ) versteht den Seelengrund nicht im Sinne einer res, er ist ›weder dies noch das‹ und damit auch kein substanziell Seiendes. Deshalb kann über den Seelengrund auch nichts kategorial ausgesagt werden.10 Und auch Nikolaus Cusanus setzte sich von der

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Vgl. Baruch de Spinoza: Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt. Übersetzt und mit Anmerkungen von Otto Baensch. Mit einer Einleitung von Rudolf Schottlaender und einer Bibliographie von Wolfgang Bartuschat. Hamburg 1994. Dietrich hat zwar die substanzontologischen Termini selbst nicht aufgegeben, deutet die Substanz aber nicht als quidditas, was am Beispiel der Bestimmung des tätigen Intellekts durch Dietrich deutlich wird: »Unser tätiger Intellekt aber ist nicht die Washeit eines Dinges, und nicht ist durch ihn ein Ding ein etwas der Wirklichkeit nach im Sinne der Formbestimmtheit, und nicht läßt sich von ihm die Definition gewinnen, die die Washeit, welche die Form des zusammengesetzten Dinges ist, anzeigt.« (Vgl. Dietrich von Freiberg: Abhandlung über den Intellekt. Übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Burkhard Mojsisch, Hamburg 1980. II 11, 3. Vgl. auch ebd., II 31, 6 sowie ders.: De visione beatifica. In: ders.: Opera omnia. Tomus I. Veröffentlicht unter der Leitung von Kurt Flasch. Hamburg 1977. I 1, 15-16). Vgl. hierzu auch Kurt Flasch: Kennt die mittelalterliche Philosophie die konstitutive Funktion des menschlichen Denkens? Eine Untersuchung zu Dietrich von Freiberg. In: Kant-Studien 63 (1972). 182-206. Hier: 198: »Weder ein imaginierter Ideenhimmel noch die dinghafte Einzelsubstanz, sondern das denkende Ich ist Urbild und Grund des Seienden als Seienden; dieses Ich ist nicht nach dem Modell des Vorhandenen zu begreifen, was Dietrich so ausdrückt, dass es sein Sein erst durch sein Tätigsein hat. – Es ist nicht erst ruhende Substanz und dann auch Denken. Es ist in seinem Wesen nach Energie und Relation, also jenseits der Distinktion von Substanz und Akzidenz.« Vgl. hierzu auch Saskia Wendel: Affektiv und inkarniert. Ansätze Deutscher Mystik als subjekttheoretische Herausforderung. Regensburg 2002. 161-175. Vgl. hierzu ebd. 189f.; vgl. auch Hans Hof: Scintilla Animae. Eine Studie zu einem Grundbegriff in Meister Eckharts Philosophie mit besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses der Eckhartschen Philosophie zur neuplatonischen und thomistischen Anschauung. Lund 1952. 183ff. sowie Peter Reiter: Der Seele Grund. Meister Eckhart und die Tradition der Seelenlehre. Würzburg 1993. 409 und 411f.

2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen

Substanzontologie aristotelischer Provenienz ab: Zwar anerkennt er durchaus noch in ontologischer Hinsicht die Rede von einer Substanz aller Dinge, identifiziert diese jedoch mit dem »Nichtanderen«. Das aber kann nicht mit den Mitteln des Intellekts erkannt und somit nicht definiert werden; das »Nichtandere« kann allein intuitiv geschaut werden und entzieht sich somit letztlich begrifflichen Bestimmungen diskursiver Erkenntnis.11 Wesen der Dinge und damit Substanz im eigentlichen Sinne ist für den dem (Neu-)Platonismus verpflichteten Cusanus somit keine spezifische Wesenheit der Dinge, sondern das Eine, also das »Nichtandere« als Grund, als Prinzip aller Dinge.12 Diese »Substanz« ist letztlich für das Verstandesvermögen unbegreiflich und unnennbar: »Könntest du es [das Wesen des Geistes, SW] begreifen, dann wäre es nicht der Ursprung von allem, der in allem alles bedeutet. Jeder menschliche Begriff ist nämlich der Begriff irgendeines Gegenstandes. Vor dem Begriff jedoch ist das ›Nichtandere‹, da doch der Begriff nichts anderes als Begriff ist. Man kann also das ›Nichtandere‹ als absoluten Begriff bezeichnen, den der Geist zwar erschaut, von dem es aber sonst kein Erfassen gibt.«13 Nicht von ungefähr nannte Immanuel Kant im Blick auf die Kritik der Substanzmetaphysik die Frage der Anthropologie »Was ist der Mensch?« Diese Frage ist offener als diejenige nach dem Wesen des Menschen. Sie bedarf aber über Kant hinausgehend noch weiterer Differenzierung, die an die existenzphilosophische Wende von der Essenz (Wesen) bzw. Substanz des Menschen hin zur Existenz (dem konkreten Seins- bzw. Lebensvollzug) anschließt: Die Anthropologie fragt nach dem Spezifikum desjenigen Seienden bzw. Lebewesens, das wir gemeinhin als »menschlich« bezeichnen und so von anderem Seienden, von anderen Lebewesen abgrenzen. Gefragt wird hier nicht mehr nach einer Natur bzw. Wesen des Menschen, sondern nach dem Kennzeichen des gesamten menschlichen Existenzvollzuges in der Welt. In Bezug auf 11 12

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Vgl. Nikolaus von Kues: Vom Nichtanderen (De li non aliud). Übersetzt und mit Einführung und Anmerkungen versehen von Paul Wilpert. Hamburg 3 1987. 64-73. Vgl. hierzu auch ders.: De docta ignorantia/Die belehrte Unwissenheit. Buch II. Lateinisch-Deutsch. Dritte, erweiterte Auflage, in Übersetzung von Paul Wilpert mit Anmerkungen, Bibliographie und Registern herausgegeben von Hans Gerhard Senger. Hamburg 1999 (im Folgenden De doct. ign. II) 146ff. Dort gesteht Cusanus zwar die Verschiedenheit von Wesensgründen zu, doch diese sind nichts anderes als der individualisierte allgemeine, eine Wesensgrund, eben die eigentlich Substanz als Ineinsfall aller Gegensätze und Verschiedenheiten. Ders.: Vom Nichtanderen. 73.

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entsprechende Überlegungen Martin Heideggers lässt sich hier vom »Dasein« als ein spezifisches Seiendes sprechen, das sich von anderem Seienden unterscheidet. Seine spezifische Differenz liegt darin, dass es in der Lage ist, nicht allein das Sein zu bedenken, sondern überhaupt sich selbst zu befragen und bedenken, sein eigenes Sein, seine eigene Existenz im Verhältnis zu anderem Sein: »Das Dasein ist ein Seiendes, das nicht nur unter anderem Seienden vorkommt. Es ist vielmehr dadurch ontisch ausgezeichnet, daß es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht.«14 In dieser Perspektive reflektiert Anthropologie das Verständnis des Daseins von sich selbst. Darin reflektiert sie auch die Möglichkeit, dass Dasein überhaupt in der Lage ist, über sich selbst und Anderes zu reflektieren, dass es sich selbst überhaupt zur Frage werden kann – und, dass damit ihm überhaupt etwas fraglich, zur Frage werden kann. Dasein sucht sich selbst zu verstehen – und darin zugleich Sein überhaupt. Darin liegt seine spezifische Differenz gegenüber anderem Seienden, ob belebt oder unbelebt, und darin ist sein bestimmter Existenzvollzug markiert: diesen Existenzvollzug selbst reflektieren zu können und ihn insofern bewusst zu vollziehen. Da aber diese spezifische Differenz jenes Lebwesens im bewussten Vollzug seiner Existenz liegt,15 im Vollzug bewussten Lebens also, das dieses Seiende als »Dasein« kennzeichnet, kann nicht a priori ausgeschlossen werden, dass es noch andere Formen bewussten Lebens, noch anderes »Dasein« im Universum geben kann als nur das von uns als »menschlich« bezeichnete. Alles andere wäre Anthropozentrismus und Speziezismus angesichts der Unendlichkeit des Universums und der unendlichen Vielfalt möglicher Welten, in denen auch bewusstes Leben existieren könnte. Daraus folgt eine Verschiebung dessen, was »Anthropologie« bedeutet und wonach sie fragt. Nicht mehr »Was ist der Mensch?« ist die anthropologische Frage, sondern, die Frage danach, was unter demjenigen bewussten Leben zu verstehen ist, welches wir »menschlich« nennen, und damit verknüpft die Frage nach den Kennzeichen seines Existenzvollzuges sowie nach dem Grund, dem Ursprung seines Aufkommens wie auch nach seinem Ziel, nach seinem Wovonher und Woraufhin. Im Zentrum

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Heidegger: Sein und Zeit. 3. Anders dagegen Heidegger, der das Dasein nicht durch Rekurs auf den Bewusstseinsbegriff bestimmte, sondern auf Existenziale wie etwa dasjenige der Sorge. Hier blendete Heidegger jedoch die Frage danach aus, worin die Sorge als Vermögen wie als Existenzial des Daseins gründet – so etwa im Bewusstsein und dessen Vollzug.

2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen

der Anthropologie steht somit nicht mehr »der Mensch«, sondern das bewusste Dasein überhaupt, insbesondere dasjenige, das wir »menschlich« nennen. Was bedeutet es aber, das Dasein als bewusstes Leben zu verstehen? Wie ist Bewusstsein zu bestimmen, das wiederum als Bestimmungsgrund des Daseins fungiert und dessen spezifische Differenz gegenüber anderem Seienden markiert, nicht nur zu unbelebtem Seienden, sondern auch zu belebtem, jedoch nicht bewusst belebtem Seienden?

2.2 Die Kennzeichnung des Daseins als bewusstes Leben Die Abkehr von der substanzontologischen Denkform in der Anthropologie, die mit einer Seelenmetaphysik verbunden gewesen ist, da die das Wesen des Menschen bestimmende Substanz in der Seele (und hier dann insbesondere in der anima intellectiva) gesehen wurde, ist neben den schon genannten antiaristotelischen Positionen bereits in vorneuzeitlichen Philosophien und Theologien etwa bei Meister Eckhart oder Cusanus nun in entscheidender Art und Weise durch Immanuel Kant vollzogen worden. Kant hatte den Cartesianismus kritisiert, hatte doch Descartes noch in Rezeption der substanzontologischen Denkform die Instanz des ego cogito im Sinne eines unbezweifelbaren Fundamentes aller Erkenntnis mit der Existenz einer res cogitans gleichgesetzt, die wiederum mit der Seele identifiziert wurde, im Unterschied zur res extensa, dem Körper. Mit Kant nun beginnt die Wende von der substanzontologisch gefassten Seelenmetaphysik hin zur Bewusstseinsphilosophie, die von nun an anthropologisch bestimmend wurde. Entscheidend ist hier Kants Bestimmung des transzendentalen Ichs in Abgrenzung zur cartesianischen res cogitans: Das transzendentale Ich ist zwar wie schon das cartesianische ego cogito Bedingung der Möglichkeit jedweder Erkenntnis, gleichsam überhaupt jedweder Lebensführung und Lebensgestaltung. Es markiert die »Jemeinigkeit« aller Akte: »Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was garnicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein. Diejenige Vorstellung, die vor allem Denken gegeben sein kann, heißt Anschauung. Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. […] Ich nenne

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auch die Einheit derselben [des »ich denke«, SW] die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins, um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen. Denn die mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden, würden nicht insgesamt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehörten, d. i. als meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung notwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden.«16 Doch im Unterschied zu Descartes versteht Kant dieses Ich nicht als ontologische Größe, es existiert kein »Ich« in, neben oder über dem konkreten individuellen Dasein. Dementsprechend existiert auch kein »Ding, das denkt« (Geist, Vernunft, Intellekt, denkende Substanz) neben einem »ausgedehntem Ding« (Körper, ausgedehnte Substanz), und der Mensch ist auch nicht aus diesen beiden Substanzen zusammengesetzt. Das »ich denke« ist also für Kant rein formal zu verstehen, eben als Prinzip, bar jeglichen materialen Gehalts: »Zum Grunde […] können wir […] nichts anderes legen, als die einfache und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung: Ich; von der man nicht einmal sagen kann, daß sie ein Begriff sei, sondern ein bloßes Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet. Durch dieses Ich […], welches denkt, wird nun nichts weiter, als ein transzendentales Subjekt der Gedanken vorgestellt = x, welches nur durch die Gedanken, die seine Prädikate sind, erkannt wird, und wovon wir, abgesondert, niemals den mindesten Begriff haben können; um welches wir uns daher in einem beständigen Zirkel herumdrehen, indem wir uns seiner Vorstellung jederzeit schon bedienen müssen, um irgend etwas von ihm zu urteilen […]«.17 Das ist die Quelle aller späteren Bewusstseinsphilosophie im 19. und frühen 20. Jh., ob transzendental bzw. idealistisch oder phänomenologisch bis hin zu frühen naturalistischen Deutungen des Bewusstseins weitergeführt. Zwar wurde der Bewusstseinsbegriff zunächst noch stark vom Begriff des Geistes und von demjenigen der Vernunft bestimmt, ebenso von der reflexionstheoretischen Vorgabe des ego cogito. Doch »Bewusstsein« bezeichnet anders als

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Kant: KrV B 132f. Ebd. B 403f.

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der Seelenbegriff keine statische, gleichsam »gefrorene« Größe, kein unveränderliches, ewiges Wesen, sondern ihm ist Dynamik, Prozesscharakter eingeschrieben. Bewusstsein ist ein Moment mitten im Selbstvollzug des Daseins, und die ihm zugehörige Ich-Perspektive gerade keine Substanz bzw. ontologischer »Träger« dieses Vollzuges. Vor diesem Hintergrund der zentralen Wende von der Seelenmetaphysik hin zur Bewusstseinsphilosophie gilt es das Verständnis von Bewusstsein näher zu entfalten. Hier gilt es vorauszuschicken, dass Bewusstsein im Folgenden immer schon als Selbstbewusstsein verstanden wird, also einem konkreten Dasein und dessen Selbstvollzug zugehörig.18

2.2.1 Selbstbewusstsein – nonreflexiv und reflexiv Der Ausdruck »Selbstbewusstsein« bezeichnet jenseits seines alltagssprachlichen Gebrauchs im Sinne von »hohes Selbstwertgefühl« in philosophischer Hinsicht die Gewissheit des Faktums der Existenz und somit eine Selbstgewissheit in rein formaler Hinsicht. Dieses »Wissen um mich« schließt allerdings keinen qualitativen Aspekt ein wie etwa das Wissen um bestimmte Eigenschaften oder Charakterzüge. Auf diese materialen Gehalte bestimmter Existenzvollzüge bezieht sich der Begriff der Selbsterkenntnis, nicht derjenige der Selbstgewissheit und damit des Selbstbewusstseins.19 Selbstbewusstsein ist jedoch immer schon in allen Prozessen der Selbsterkenntnis mitgegeben und mitthematisiert, selbst aber unthematisch und unbestimmt. Es gibt eine breite bewusstseinstheoretische Tradition, in der Selbstbewusstsein als Resultat des reflexiven Aktes »ich denke mich« wie auch als

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Es kann hier nicht ausführlich auf die Debatte eingegangen werden, ob Bewusstsein immer schon Selbstbewusstsein ist oder nicht. Nichtegologische Bewusstseinstheorien wie etwa diejenige Dieter Henrichs verneinen dies und verstehen das Selbstbewusstsein als Spezifikum bzw. Moment des in seinem Grund ichlosen Bewusstseins. Hier wird dagegen eine egologische Bewusstseinstheorie vertreten und entfaltet, folglich nicht nur im Allgemeinen von Bewusstsein, sondern in concreto von Selbstbewusstsein gesprochen. Vgl. zur Debatte um nichtegologische und egologische Bewusstseinstheorien am Beispiel der Position Henrichs auch Wendel: Affektiv und inkarniert. 271-283. Vgl. zu dieser Unterscheidung von Selbstbewusstsein und Selbsterkenntnis auch Manfred Frank: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität. Stuttgart 1991.

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Vollzug eben jenes Denkaktes aufgefasst wird, wie etwa in den Bewusstseinstheorien von René Descartes, Gottfried Wilhelm Leibniz oder Immanuel Kant.20 Diese Form von Selbstbewusstsein ist, da auf das Denken bezogen, niemals unmittelbar gegeben, sondern stets begrifflich vermittelt. Und da sich das denkende Ich im Bewusstsein seiner selbst auf sich selbst bezieht, eignet dem Selbstbewusstsein, reflexionstheoretisch bestimmt, eine Subjekt-Objekt-Struktur und ein intentionales Moment. Es ist als »Bewusstsein von sich« zugleich »Bewusstsein von etwas«, also auf ein Objekt gerichtet, das im Falle des Selbstbewusstsein mit dem Subjekt des Bewusstseins zusammenfällt.21 Diese reflexionstheoretische Bestimmung von Selbstbewusstsein verstrickt sich jedoch – darauf haben vor allem Dieter Henrich, Manfred Frank und Ulrich Pothast hingewiesen – in einem unendlichen Regress sowie in einem Zirkelschluss. Denn zum einen setze die Reflexionstheorie bereits das voraus, was sie doch sowohl in ihrem Aufkommen wie in ihrem Vollzug zu erklären beabsichtigt: Selbstbewusstsein im Sinne eines reflexiven Aktes. Und zum anderen bleibe unklar, inwiefern das Selbst wirklich um sich weiß. Es könnte ja das »ich denke mich« sich nochmals auf ein anderes »ich denke mich« beziehen usw. Oder anders formuliert: Hinter dem reflexiv gewonnenen Selbstbewusstsein könnte nochmals ein anderes Selbstbewusstsein verborgen sein – und so ins Unendliche fortgehend.22 In seiner Kritik der Re-

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Vgl. zu Kants Reflexionstheorie Karen Gloy: Kants Theorie des Selbstbewußtseins. Ihre Struktur und ihre Schwierigkeiten. In: Wiener Jahrbuch für Philosophie 17 (1985). 30-57. Hier: 47ff. Anders dagegen Klaus Düsing, der Kant nicht als Reflexionstheoretiker versteht (vgl. Klaus Düsing: Selbstbewußtseinsmodelle. Moderne Kritiken und systematische Entwürfe zur konkreten Subjektivität. München 1997. 103ff.). Vgl. zu den Reflexionstheorien des Bewusstseins etwa Karen Gloy: Bewußtseinstheorien. Zur Problematik und Problemgeschichte des Bewußtseins und Selbstbewußtseins. Freiburg-München 1998. 86-103 und 186-201; Düsing: Selbstbewußtseinsmodelle. 187-202. Vgl. zu »Henrichs erster und zweiter Schwierigkeit« z.B. Dieter Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht. Frankfurt a.M. 1967. 12f.; ders.: Selbstbewußtsein. Kritische Einleitung in eine Theorie. In: Rüdiger Bubner/Konrad Cramer/Reiner Wiehl (Hg.): Hermeneutik und Dialektik. FS Hans-Georg Gadamer. Aufsätze I. Tübingen 1970. 257-284. Hier: 263ff. und 275; ders.: Fichtes »Ich«. In: ders.: Selbstverhältnisse. Gedanken und Auslegungen zu den Grundlagen der klassischen deutschen Philosophie. Stuttgart 1982. 57-82. Hier: 62f.; Manfred Frank: Fragmente einer Geschichte der Selbstbewußtseinstheorien von Kant bis Sartre. In: ders. (Hg.): Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre. Frankfurt a.M. 2 1993. 413-599. Hier: 433ff. Vgl. auch Ulrich Pothast: Über einige Fragen der Selbstbeziehung. Frankfurt a.M. 1971. 13ff. Vgl. hierzu auch Klaus Müller:

2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen

flexionstheorie bezog sich Henrich insbesondere auf Johann Gottlieb Fichte, der die beiden Probleme, die Henrich benannt hat, bereits in seinen Wissenschaftslehren von 1794, 1797 und 1801 markiert und betont hatte, dass durch die Reflexionstheorie Bewusstsein nicht erklärt wurde.23 Doch nicht erst Henrich und seine Schüler haben die Kritik an der Reflexionstheorie etwa mit Verweis auf Fichte kritisiert. Schon bei Jean-Paul Sartre finden sich kritische Passagen zu reflexiven Bewusstseinstheorien, wobei Sartres Kritik sich in erster Linie gegen Descartes’ Argument richtet, aus der Gegebenheit des ego cogito die Selbstgewissheit zu folgern.24 Dementsprechend wird man Selbstbewusstsein anders denn reflexionstheoretisch bestimmen müssen, um die Probleme des regressus ad infinitum und des Zirkels zu umgehen. Sartre wies dabei darauf hin, dass dem cartesianischen reflexiven cogito genau besehen ein präreflexives cogito zugrunde liege, dass also dem reflexionstheoretischen Modell von Descartes die unthematisierte, nicht explizierte Intuition zugrunde liege, dass die im Denken gegebene Selbsterkenntnis auf einer Selbstgewissheit basiere, die weder durch das Denken hergestellt noch durch es vollkommen erfasst werden kann, und die weder auf ein Objekt gerichtet ist, also in diesem Sinne keine intentionale Erkenntnis und damit kein »Bewusstsein von etwas« ist, noch begrifflich oder durch Zeichen vermittelt ist. Sie ist dem sich seiner selbst bewussten Ich vielmehr unmittelbar gegeben und bezieht sich, wie Sartre schrieb, auf die Seinsdimension des Subjekts25 : »Es gibt ein präreflexives ›cogito‹, das die Bedingung des cartesianischen ›cogito‹ ist. Jedes Objekt setzende Bewusstsein ist notwendigerweise nicht-setzendes Bewusstsein von sich. […] Allein das präreflexive ›cogito‹ gründet die

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Wenn ich »ich« sage. Studien zur fundamentaltheologischen Relevanz selbstbewußter Subjektivität. Frankfurt a.M. 1994; vgl. ebenso Gloy: Bewußtseinstheorien. 204ff.; Düsing: Selbstbewußtseinsmodelle. 97-120. Vgl. etwa Johann Gottlieb Fichte: Werke. Herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte. Band I. Berlin 1971. 526f. Vgl. hierzu etwa Jean-Paul Sartre: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. In: ders.: Der Existenzialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays. Hamburg 3 2005. 267-326. Hier: 268 und 285f. Vgl. zu Sartres »präreflexives cogito« im Vergleich zu Fichtes Bestimmung des Selbstbewusstseins auch ausführlich Wolfgang Brauner: Das präreflexive cogito. Sartres Theorie des unmittelbaren Bewusstseins im Vergleich mit Fichtes Selbstbewusstseinstheorie in den Jenaer Wissenschaftslehren. München 2004. Vgl. Sartre: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. 268.

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Rechte des reflexiven ›cogito‹ und der Reflexion. Wenn man von ihm ausgeht, kann man das ontologische Problem des Erscheinens des reflexiven Bewußtseins und das logische Problem seiner Rechte, als apodiktisch zu gelten, formulieren.«26 In dieselbe Richtung argumentierte auch Henrich, der ein Modell einer Bewusstseinstheorie vorgelegt hat, in dem Bewusstsein als präreflexive Vertrautheit bestimmt wird.27 Henrich verzichtete allerdings anders als Sartre auf das cogito als Bezeichnung des Gemeinten, weil der Begriff des cogito das denkende Ich meint. Das cogito kann demgemäß nicht als vorreflexiv gedacht werden, und somit geht die präreflexive Vertrautheit noch dem cartesianischen cogito voraus. Die mit Selbstbewusstsein bezeichnete Selbstgewissheit wurzelt somit nicht in einem reflexiven Akt, sondern geht der Reflexion noch voraus und ist durch diese auch nicht einholbar: »Die Vertrautheit mit Bewußtsein kann überhaupt nicht als Resultat eines Unternehmens verstanden werden. Sie liegt je schon vor, wenn Bewußtsein eintritt.«28 Diese Vertrautheit deutete Henrich im Sinne eines Gewahrwerdens jenseits aller Reflexion, und als solche wird sie von ihm als Form einer unmittelbaren, vorreflexiv gewonnenen unbezweifelbaren Gewissheit verstanden. Diese Gewissheit kann zwar reflexiv nachvollzogen werden, doch sie kommt nicht im Akt des Denkens erst auf. Dies richtete sich u.a. gegen die cartesianische Bestimmung des ego cogito als Fundament aller Gewissheit, auch und gerade der Selbstgewissheit und damit des Selbstbewusstseins. Weder ist das Denken Grund des Selbstbewusstseins, noch vollzieht sich Selbstbewusstsein allein im Denken.29 Allerdings weist der Ausdruck »präreflexiv« das Problem auf, dass er so missverstanden werden kann, als ob ein vorreflexiv zu verstehendes Selbstbewusstsein ontologisch der Reflexion als deren Grund und Ursprung vorgeordnet sei. Doch allein in transzendentaler Hinsicht ist das präreflexive

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Ebd. 268f. Vgl. etwa Henrich: Selbstbewußtsein. 260 und 266ff. Ebd. 271. Vgl. hierzu auch Fichtes Bestimmung des Selbstbewusstseins: »Alles mögliche Bewusstseyn, als Objectives eines Subjects, setzt ein unmittelbares Bewusstseyn, in welchem Subjectives und Objectives schlechthin Eins seyen, voraus; ausserdem ist das Bewusstseyn schlechthin unbegreiflich. Man wird immer vergeblich nach einem Bande zwischen dem Subjecte und Objecte suchen, wenn man sie nicht gleich ursprünglich in ihrer Vereinigung aufgefasst hat.« (Fichte: Werke. Band I. 528).

2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen

Selbstbewusstsein dem Denken als Prinzip sämtlicher Vermögen vorgeordnet.30 Es begleitet als »Wissen um mich« alle Vermögen – analog zum kantischen transzendentalen Ich – und zeigt sich in ihnen als dasjenige an, das durch kein einzelnes Vernunftvermögen allein, aber auch nicht durch das Zusammenkommen aller Vermögen in seinem Aufkommen erklärt werden kann, und das mit keinem dieser Vermögen identisch ist. So gesehen erweist sich Selbstbewusstsein als Grenzbegriff des reflexiv verfassten Verstandes. Es ist daher der Ausdruck »nonreflexiv« der Bezeichnung »präreflexiv« vorzuziehen.31 Manfred Frank fasst dieses Verständnis von Selbstbewusstsein wie folgt zusammen: »Unter ›Selbstbewusstsein‹ verstehe ich die unmittelbare (nicht-gegenständliche, nicht-begriffliche und nicht-propositionale) Bekanntschaft von Subjekten mit sich. Als ›Selbsterkenntnis‹ bezeichne ich die Reflexionsform von Selbstbewusstsein: also das explizite, begriffliche und in vergegenständlichter Perspektive unternommene Thematisieren des Bezugsgegenstandes von ›ich‹ oder der Befunde des psychischen Lebens.«32 Die nonreflexive Selbstgewissheit lässt sich nun in Analogie zu intuitiven, sowohl von Denken als auch von Erfahrung unterschiedenen Formen der Erkenntnis wie dem unmittelbaren Erleben setzen,33 zu einem material unbe-

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Vgl. ebd. 529. Darauf wird nochmals in Bezug auf die egologische Struktur von Selbstbewusstsein zurückzukommen sein. Frank: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. 7. Vgl. hierzu etwa die Kennzeichnung des Selbstbewusstseins als ursprüngliches und unmittelbares, quasi »vorgrammatikalisches« Spüren meiner selbst durch Ulrich Pothast (Ulrich Pothast: Philosophisches Buch. Schrift unter der aus der Entfernung leitenden Frage, was es heißt, auf menschliche Weise lebendig zu sein. Frankfurt a.M. 1988. 54ff.; 91; 98f.) oder als unmittelbares Erleben durch Robert Reininger: »Für dieses noch nicht intentional vermittelte Innesein von Wirklichkeit bietet sich der Ausdruck ›erleben‹ dar. Sein Begriffsmerkmal ist beziehungslose Unmittelbarkeit: dass es weder durch Wahrnehmung, noch durch den Denkakt, noch durch das Medium der Sprache vermittelt ist und auch nichts hinter sich hat, auf das es durch sich selbst zurückweisen würde. Ihm fehlt jede Art von Intentionalität. In Beziehungen jeder Art kann das Erleben allenfalls erst nachträglich durch das Denken gestellt werden. Es bedarf aber des Denkens nicht, um in seiner Wirklichkeit anerkannt zu werden, sondern ist selbst das Paradigma aller unserer Begriffe von Wirklichkeit, Sein und Existenz.« (Robert Reininger: Metaphysik der Wirklichkeit. Band 1: Das Gefüge der Wirklichkeit. Zweite, gänzlich neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Wien 1947. 30).

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stimmten, reinen Erfassen und Gewahren dessen, was sich in ihm zeigt und zur Erscheinung kommt: die Selbstgegebenheit von Selbstbewusstsein, die reflexiv nicht hergestellt werden kann.34 Die Nonreflexivität des Selbstbewusstseins kann man auf unterschiedliche Weise weiter entfalten. Auf der einen Seite kann man die als Selbstbewusstsein zu verstehende Selbstgewissheit in den Bahnen einer nichtegologischen Bewusstseinstheorie in einem noch dem Selbstbewusstsein vorgängigen

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Vgl. hierzu auch Michel Henry: Inkarnation. Eine Philosophie des Fleisches. Freiburg i.Br.-München 2002. 45ff. Vgl. ebenso Fichtes Kennzeichnung des Selbstbewusstseins als absolutes Wissen, als intellektuelle Anschauung und als Tathandlung in: Fichte: Werke. Band I. 91; 463; 528ff. und Band II. 12-77; 374. Damit ist keineswegs schon das Aufkommen von Selbstbewusstsein erklärt. Vielmehr bleibt offen, worin sein Grund besteht, und genau diese Offenheit ermöglicht diverse Deutungen jenes Grundes. Es gibt Einwände gegen präreflexive Theorien des Bewusstseins, die insbesondere einen Sprung von einer Sprachebene (dem Gebrauch des Ich-Indexicals) auf eine ontologische Ebene kritisieren. Die Annahme einer präreflexiven Vertrautheit sei ein bloßes Gedankenkonstrukt, aber kein Gegenstand möglicher Erfahrung. Insofern verstricke man sich in die transzendentale Illusion, also in die Verwechslung von phainomenon und noumenon. Besonders prägnant hat diese Theorie Ingolf U. Dalferth vorgetragen (vgl. etwa Ingolf U. Dalferth: Die Wirklichkeit des Möglichen. Hermeneutische Religionsphilosophie. Tübingen 2003.) Diese Einwände treffen auf Theorien wie diejenige Henrichs zu, die aus der Nonreflexivität des Selbstbewusstseins die Existenz eines präreflexiven nichtegologischen Bewusstseinsgrundes folgern und so einen allgemeinen ontologischen Ursprung des Selbstbewusstseins des einzelnen Daseins konstruieren – dieser müsste tatsächlich geglaubt werden, da er sich jeglicher Erfahrung entzöge. Und in der Tat verlassen diese Theorien die transzendentale Reflexion und springen in eine Metaphysik spekulativen Typs. Doch schon Fichte wandte sich gegen eine Ontologisierung des von ihm in Anspruch genommenen Gedankens eines absoluten Ichs, weil es sich beim absoluten Ich weder um Ding noch Substanz, sondern um pures Tätigsein des Daseins handelt. (Vgl. Fichte: Werke. Band I. Bes. 471ff.) Gibt es kein einzelnes Dasein, so auch kein absolutes Ich. Außerdem ist dieses strikt transzendental gedachte »Ich« völlig leer, bar jeglicher materialer Gehalte und somit im strengen Sinn »nichts«. Das absolute Ich gibt es folglich nicht, was es gibt, ist endliches Dasein, welches über eine Ich-Perspektive verfügt, die ihm weder zu- noch abgesprochen werden kann, und aufgrund derer das Ich-Indexical überhaupt erst gebraucht werden kann. Vgl. hierzu auch Hermann Krings: »Der Begriff ›Ich‹, absolut für sich selbst gesetzt, ist der abstrakteste aller Abstraktionen; denn er ist jener Formbegriff, in dessen Definition die absolute Gehaltlosigkeit fällt. Ein absolutes Ich ist darum im strengen Sinn ›nichts‹, wie überhaupt das Wort ›ich‹ nichts sagt, solange es nicht durch eine wirkliche Person realisiert ist.« (Hermann Krings: Transzendentale Logik. München 1964. 65).

2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen

allgemeinen, (all-)einen und seiner Einheit und Allgemeinheit nach auch ichlosen Bewusstsein gegründet verstehen, aus dem Selbstbewusstsein entsteht bzw. zu dem es als Teil bzw. Moment gehört.35 Auf der anderen Seite kann man das Selbstbewusstsein als ein Prinzip verstehen, das nicht nochmals in einem ihm vorgängigen Bewusstsein gegründet werden muss; dementsprechend wird man nicht zwischen ichlosem Bewusstsein und Selbstbewusstsein unterscheiden und folglich eine egologische Bewusstseinstheorie vertreten;36 dieser Perspektive folgen die hier vorgestellten anthropologischen Überlegungen: Bewusstsein ist insofern immer Selbstbewusstsein, als es stets mit einer Ich-Perspektive bzw. Erste-Person-Perspektive verknüpft ist, ob nonreflexiv oder reflexiv sich vollziehend. Selbstbewusstsein besitzt keinen eigenen, vom einzelnen Dasein abgetrennten ontologischen Status, sondern tritt nur als »je meines«, folglich als Selbstbewusstsein des Daseins, auf.37 Daraus ergibt sich eine zentrale Doppelstruktur des Selbstbewusstseins: Dasein verfügt qua Selbstbewusstsein sowohl über eine Subjektperspektive als auch eine Personperspektive.38

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Solch ein nichtegologisches Verständnis von Bewusstsein vertreten etwa Henrich, Pothast und Sartre. Vgl. hierzu etwa Henrich: Selbstbewußtsein. 276ff. Vgl. auch ders.: Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794-1795). Stuttgart 1992. 196-212 und 426f. Vgl. Pothast: Selbstbeziehung. 56-67; Sartre: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. 288. Vgl. hierzu auch die Kritik Fichtes am Spinozismus, für den nicht das Ich das Absolute sei, sondern ein absolutes Sein im Sinne der alleinen Substanz (vgl. etwa Fichte: Werke. Band I. 101 und 119ff.). Vgl. hierzu auch meine Kritik an nichtegologischen Bewusstseinstheorien in Wendel: Affektiv und inkarniert. 271-283. Auch Dieter Henrich spricht von Subjekt und Person als der Doppelstruktur bzw. dem Grundverhältnis im Bewusstsein, begreift beide jedoch als gleichursprüngliche Momente des einen ichlosen Bewusstseins bzw. bewussten Lebens (vgl. etwa Dieter Henrich: Selbstbewußtsein und spekulatives Denken. In: ders.: Fluchtlinien. Philosophische Essays. Frankfurt a.M. 1982. 125-181. Hier: 137 und 142; ders.: Lebensdeutungen der Zukunft. In: ders.: Fluchtlinien. 20f.). Hier dagegen wird das Verhältnis von Subjekt und Person gemäß dem egologischen Verständnis von Selbstbewusstsein anders bestimmt: zum einen als asymmetrisches Verhältnis (der Subjektbegriff ist dem Personbegriff in transzendentaler Hinsicht voraus), und zum anderen als formale Perspektiven bzw. Strukturmomente des einzelnen Daseins, nicht aber als ontologische Qualitäten bzw. Momente des Bewusstseins.

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2.2.2 Die Doppelstruktur bewussten Lebens: Subjekt und Person 2.2.2.1 Subjekt: Die Singularität der Erste-Person-Perspektive Dass mit Selbstbewusstsein eine Erste-Person- bzw. Ich-Perspektive verbunden ist, haben, wie bereits erwähnt, transzendentale Theorien des Selbstbewusstseins verdeutlicht, und Fichte hat diese Perspektive mit dem nonreflexiven Moment des Selbstbewusstseins verknüpft und sie als in transzendentaler, nicht ontologischer Hinsicht »absolutes Ich« bezeichnet. Diesen Gedanken reformulierten auch Traditionen Analytischer Philosophie, die sich mit der indexikalischen Funktion und dem Gebrauch des »Ich«-Pronomens, also der ersten Person Singular, im Satz auseinandersetzen. Im Gegensatz zu philosophischen Theorien, die den Gebrauch von Ich-Indexicals auf die Vermittlung durch Andere zurückführten und damit auf den Sprachgebrauch, wie etwa Ernst Tugendhat39 , John Perry40 oder David K. Lewis41 , betonten Philosophen wie Roderick Chisholm, Hector Neri-Castaneda, Thomas Nagel, Sydney Shoemaker oder Robert Nozick42 , dass der Gebrauch des Ich-Indexicals bereits ein unmittelbares Wissen um sich voraussetzt, denn andernfalls wäre die Identifikation des Ich-Indexicals mit dem sich seiner selbst bewussten Ich nicht gesichert. Dieses Wissen kann nicht durch Andere bzw. durch sprachlichen Gebrauch erlangt werden, da die Ich- bzw. Erste-Person-Perspektive nie in eine »er/sie«-Perspektive und damit in eine Dritte-Person-Perspektive transformiert werden und folglich auch nicht extern vermittelt werden

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Vgl. Ernst Tugendhat: Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen. Frankfurt a.M. 2 1981. Vgl. John Perry: The Problem of the Essential Indexical. In: Nous 13 (1979). 3-21. Vgl. David K. Lewis: Convention. A Philosophical Study. Harvard 1987. Vgl. hierzu etwa Hector-Neri Castañeda: Sprache und Erfahrung. Texte zu einer neuen Ontologie. Frankfurt a.M. 1982; Roderick M. Chisholm: Die erste Person. Theorie der Referenz und der Intentionalität. Frankfurt a.M. 1992; Thomas Nagel: Wie es ist, eine Fledermaus zu sein. In: Manfred Frank (Hg.): Analytische Theorien des Selbstbewusstseins. Frankfurt a.M. 1994. 135-152; ders.: Der Blick von Nirgendwo. Frankfurt a.M. 1992. Bes. 97-117; ders.: Die Grenzen der Objektivität. Philosophische Vorlesungen. Stuttgart 1991. 11-38. Vgl. auch die repräsentativen Textsammlungen in Peter Bieri (Hg.): Analytische Philosophie des Geistes. Weinheim 3 1997; Bertram Kienzle/Helmut Pape (Hg.): Dimensionen des Selbst. Selbstbewußtsein, Reflexivität und die Bedingungen von Kommunikation. Frankfurt a.M. 1991.

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kann.43 Damit kann der Ich-Perspektive und mit ihr dem sie ermöglichenden Selbstbewusstsein der Status unbezweifelbaren, irrtumsimmunen Wissens zugesprochen werden. Denn selbst wenn ich mich über alles täuschen kann, über alle Objekte, die meiner Erkenntnis gegeben sind, über alle vermeintlichen Gewissheiten, ja wenn ich selbst in Form des radikalen Zweifelns an der Existenz der Außenwelt zu zweifeln vermag, denn sie könnte ja Ergebnis einer gigantischen Selbsttäuschung der Vernunft sein, so kann ich doch nicht daran zweifeln, dass ich im Vollzug meiner selbst »ich« bin.44 So stellte etwa Ludwig Wittgenstein – eines strikten Cartesianismus sicher unverdächtig – in der Differenzierung des Subjekt- und des Objektgebrauchs von »ich« die Unhintergehbarkeit und damit Irrtumslosigkeit der Erkenntnis im Subjektgebrauch heraus: »Es gibt zwei Gebräuche des Wortes ›ich‹ (oder ›mein‹), die ich ›Objektgebrauch‹ und ›Subjektgebrauch‹ nennen könnte. Hier sind Beispiele von der ersten Art: ›Mein Arm ist gebrochen‹, ›Ich bin zehn Zentimeter gewachsen‹, ›Ich habe eine Beule auf meiner Stirn‹, ›Der Wind zerweht meine Haare‹. Und hier Beispiele von der zweiten Art: ›Ich sehe so-und-so‹, ›Ich höre so-und-so‹, ›Ich versuche, meinen Arm zu heben‹, ›Ich denke, daß es regnen wird‹, ›Ich habe Zahnschmerzen‹ […]. Man kann auf denUnterschied zwischen diesen beiden Kategorien hinweisen, indem man sagt: Die Fälle in der ersten Kategorie machen es erforderlich, daß man eine bestimmte Person erkennt, und

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Diese Analyse des Ich-Indexicals kann im Übrigen auch als Einwand gegen die zeichentheoretischen Kritiken der Inanspruchnahme intellektueller Anschauung hinsichtlich des Selbstbewusstseins dienen. Vgl. etwa Fichte: Werke. Band I. 466f.: »Diese intellectuelle Anschauung ist der einzige feste Standpunkt für alle Philosophie. Von ihm aus lässt sich alles, was im Bewusstseyn vorkommt, erklären; aber auch nur von ihm aus. Ohne Selbstbewusstseyn ist überhaupt kein Bewusstseyn; das Selbstbewusstseyn ist aber nur möglich auf die angezeigte Weise: ich bin nur thätig. Von ihm aus kann ich nicht weiter getrieben werden«. Man könnte einwenden, dass komatöse Personen nicht über Selbstbewusstsein im Sinne eines »Wissens um sich« verfügen. Doch erstens befinden wir uns hier im Bereich des Spekulativen, und zweitens besteht die Erste-Person-Perspektive ja womöglich gerade darin, dass niemand in die Perspektive Komatöser schlüpfen kann. Und drittens ist ja die Erste-Person-Perspektive gerade kein eigener vorreflexiver Zustand, besitzt keinen vom Selbstvollzug des Daseins losgelösten ontologischen Status.

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in diesen Fällen besteht die Möglichkeit des Irrtums, – oder ich sollte besser sagen: Die Möglichkeit des Irrtums ist vorgesehen.«45 Unterliegt der Objektgebrauch von »ich« also der Irrtumsmöglichkeit, so ist der Subjektgebrauch von »ich« vom Irrtum ausgeschlossen.46 Dieter Sturma fasst denn die Bestimmung von Selbstbewusstsein pointiert wie folgt zusammen: »1. Selbstbewusstsein ist in seinem psychischen Gehalt unbezweifelbar. 2. Im Fall von Selbstbewusstsein ist kein referientieller Irrtum möglich. 3. Diejenige Person, die sich ihrer selbst bewusst ist, ist als epistemische Instanz dieses Zustands unhintergehbar. 4. Selbstbewusstsein wird nicht erschlossen, sondern stellt sich auf unmittelbare Weise ein.«47 Ist aber das Selbstbewusstsein mit einer Ich-Perspektive verbunden, die nicht auf die Vermittlung durch andere rückführbar ist, dann impliziert dies den Gedanken der Einmaligkeit, der Singularität des Daseins im Vollzug des »je seinen« Selbstbewusstseins: Niemand anderes kann an seine Stelle treten, niemand anderes kann seine Perspektive einnehmen – die Perspektive des Daseins ist irreduzibel je seine. Diese Einmaligkeit, gegeben in der Ich-Perspektive des Selbstbewusstseins, kann auch als Subjektivität bezeichnet werden, und so die Ich-Perspektive auch als Subjekt-Perspektive.48 Denn im Gegensatz 45

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Ludwig Wittgenstein: Das Blaue Buch (1933/34). Eine philosophische Betrachtung (Das Braune Buch). Werkausgabe in acht Bänden. Band V. Frankfurt a.M. 1984. 15-116. Hier: 106. Vgl. zur Unhintergehbarkeit der Erste-Person-Perspektive auch Thomas Nagel: »Wenn wir Erlebnisse aus einer objektiven Perspektive zu verstehen versuchen, die nicht mit der Perspektive des jeweiligen Subjekts der Erfahrung zusammenfällt, so werden wir […] die ganz spezifischen Qualitäten dieser Erlebnisse nur dann erfassen können, wenn wir die Fähigkeit haben, sie uns subjektiv vorzustellen. Wir werden auch dann nicht wissen können, welchen Geschmack Rührei für eine Küchenschabe eigentlich genau besitzt, wenn wir eine detaillierte objektive Phänomenologie des Geschmackssinns von Küchenschaben ausarbeiten.« (Thomas Nagel: Die Grenzen der Objektivität. Philosophische Vorlesungen. Stuttgart 1981. 28). Gegen Nietzsches Versuch, auch noch die Selbstgewissheit in den Strudel der Täuschungsquellen der Vernunft hinein zu ziehen und damit die Möglichkeit wahrer Erkenntnis gänzlich in Zweifel zu ziehen. Dieter Sturma: Philosophie des Geistes. Leipzig 2005. 53. »Soll von einem Sprecher, der seine Sprache, wie man sagt, ›beherrscht‹, überhaupt die Rede sein, so muss man ihm zuschreiben, dass er selbst versteht, was er zum Ausdruck bringt, und dass er das, was er meint, denen, zu denen er spricht, zu verstehen geben will. Insofern wird durch den Gebrauch des Wortes ›ich‹ die Subjektstellung zwar wohl

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zum Begriff der Individualität, der das Einzeln-Sein des Daseins bezeichnet, zielt der Begriff der Subjektivität auf die Singularität ab.49 Unbeschadet jener Singularität, die mit der Subjektperspektive verbunden ist, und die durch die eine Seite der Doppelstruktur des Selbstbewusstseins, »Subjekt« genannt, markiert ist, kommt jener Perspektive allerdings auch in rein formaler Hinsicht Allgemeinheit zu. Zwar unterscheidet sich Dasein als Subjekt von anderem: Es ist einmalig und unhintergehbar Dieses und kein Anderes. Doch zugleich kommt ja einem jeglichen Dasein qua Selbstbewusstsein eine Ich-Perspektive zu, ist also ein jegliches Dasein in diesem Sinne Subjekt, und darin ist Subjektivität auch universal: »Jeder ist durch das Ich individualisiert. Sofern er ›ich‹ sagt, weiß er sich als dieser. Und jeder weiß sich als dieser bestimmte Diese, indem er dasselbe von sich sagt, – nämlich ›Ich‹. […] ›Ich‹ schließt ein doppeltes Bewusstsein ein, logische Allgemeinheit und empirisch bestimmtes Dasein.«50 Von der Subjektivität im Sinne der Einmaligkeit des Daseins, welche im Selbstbewusstsein bzw. im absoluten Ich gründet, ist die Personalität zu unterscheiden. So wie also Subjekt und Individuum keine gleichbedeutenden Begriffe sind, so auch die Begriffe Subjekt und Person. Zwar dient der Personbegriff oft als eine ontologische Kategorie, die das Dasein als ein sowohl von Dingen als auch Ereignissen unterschiedenes Seiendes bestimmen soll, also im Rekurs auf die Singularität des Selbstbewusstseins den Unterschied zwischen »etwas« und »jemand« herausstellen soll.51 Dann aber werden »Subjekt« und »Person« letztlich synonym verwendet und zudem der Subjektbegriff ontologisch aufgeladen, weil durch das, wofür er steht – die Einmaligkeit des Voll-

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bezeugt, aber nicht konstituiert. Sie ist im Gebrauch von ›ich‹ offenkundig vorausgesetzt. […] Das Wissen von sich kann nicht erlernt werden, und gewiss kann es schon gar nicht durch das Erlernen bestimmter Worte ins Dasein kommen.« (Dieter Henrich: Denken und Selbstsein. Vorlesungen über Subjektivität. Frankfurt a.M. 2007. 29f.). Vgl. hierzu etwa Manfred Frank: Subjekt, Person, Individuum. In: ders./Gérard Raulet/ Willem van Reijen (Hg.): Die Frage nach dem Subjekt. Frankfurt a.M. 1988. 7-28; ders.: Die Unhintergehbarkeit von Individualität. Reflexionen über Subjekt, Person und Individuum aus Anlaß ihrer postmodernen Toterklärung. Frankfurt a.M. 1986; ders.: Subjektivität und Individualität. Überblick über eine Problemlage. In: ders.: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. 9-49. Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht. 49. Vgl. hierzu vor allem Robert Spaemann: Personen. Versuche über den Unterschied zwischen »etwas« und »jemand«. Stuttgart 1996. 38f.

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zuges von Selbstbewusstsein qua der mit ihm verknüpften Ich-Perspektive –, eine eigenständige ontologische Kategorie »Person« begründet werden soll. Stattdessen gilt es, den Personbegriff wie schon denjenigen des Subjekts als formales Strukturmoment und Perspektive des Vollzuges von Selbstbewusstsein zu bestimmen.

2.2.2.2 Person: Die Relation bewussten Daseins zu Anderen und Anderem Die Personperspektive steht für die konkrete Relation bewussten Lebens zu Anderen und Anderem, sein Eingelassensein in vielfältige Interaktionen und Formen kommunikativen Handelns. Im Gegensatz zur Subjektperspektive ist sie in eine Dritte-Person-Perspektive transformierbar, beschreibbar, objektivierbar. Somit ist bewusstes Leben immer schon beides: Subjekt und Person. Beide Perspektiven, die nicht mit ontologischen Entitäten verwechselt werden dürfen, auch nicht mit voneinander getrennten Substanzen, verhalten sich zueinander nach Art eines Vexierbildes: Subjekt/Person.52 Der Personbegriff bezeichnet also keine ›individuelle Substanz rationaler Natur‹ (Boethius), und auch keine Art und Weise wirklichen Selbstdaseins im Sinne einer unterschiedenen Subsistenz in einer geistigen Natur bzw. Wesenheit (Thomas von Aquin), und entgegen des alltäglichen Sprachgebrauchs fällt er auch nicht mit den Begriffen »Subjekt« und »Individuum« zusammen.53 »Individuum« bezeichnet das Einzelne und Einfache, und das muss nicht schon das einzelne bewusste Dasein sein, sondern kann sich auf jedes einzelne Seiende beziehen. »Subjekt« ist das einzelne bewusste Dasein hinsichtlich der formalen, unvertretbaren und unhintergehbaren Erste-Person-Perspektive des Selbstbewusstseins, die dem einzelnen Dasein Singularität (und eben nicht nur Individualität) verleiht. Im Unterschied dazu beschreibt der Personbegriff eine Relation, nämlich diejenige des Daseins zu Anderem und Anderen, er beschreibt die Fähigkeit, zu einem Anderen in Beziehung treten zu können. Damit bezeichnet die Personalität den Aspekt des In-der-Welt-Seins, dies aber zugleich und vor allem auch als Mit-Sein und In-Beziehung-Sein. Bewusstes Dasein als Person zu bestimmen heißt also, es als relational, in Beziehung

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Vgl. hierzu Wendel: Affektiv und inkarniert. 84-89; 243-313; dies.: Inkarniertes Subjekt. Die Reformulierung des Subjektgedankens am ›Leitfaden des Leibes‹, in: DZPhil 51 (2003), 4. 559-569. Vgl. auch Manfred Frank: Präreflexives Selbstbewusstsein. Vier Vorlesungen. Stuttgart 2015. Vgl. Manfred Frank: Subjekt, Person, Individuum. 7-28.

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stehend und auf Anderes, letztlich auf das hin eröffnet zu verstehen, was wir »Welt« nennen.54 In jener Bezogenheit auf »Welt« begegnet dem Dasein Anderes, insbesondere anderes Dasein, das mit ihm gemeinsam existiert; in seinem Weltbezug und damit als Person wird ihm diese ebenso gewiss wie die eigene Existenz, jedoch in einem von der Selbstgewissheit abgeleiteten Sinne, da, wie erwähnt, nur die Selbstgewissheit den epistemischen Status der Irrtumsimmunität besitzt, und auch dies nur in formaler, nicht materialer Hinsicht. Aus diesem Grund sind Subjekt- und Personperspektive nicht gleichursprünglich, sondern die Subjektperspektive geht der Personperspektive in transzendentaler Hinsicht voraus: »Person kann der Mensch […] nur sein, wenn er sich aus einem ›Zentrum‹ heraus bestimmt […] Ein solches ›Zentrum‹ hat jeder Mensch in seinem bewussten Selbst.«55 Umgekehrt ist die Subjektperspektive immer schon auf die Personperspektive hin eröffnet, beide gehören zum Existenzvollzug bewussten Daseins hinzu. Beschreibt die Subjektperspektive also einen rein formalen Aspekt, nämlich denjenigen des »Wissens um sich« bzw. der Vertrautheit mit sich als Möglichkeitsbedingung jedweden Lebensvollzuges (Erkennen, Wollen, Fühlen, Handeln), so impliziert die Personperspektive dagegen das Bestimmtsein und Bestimmtwerden des Daseins, somit seinen materialen Gehalt, seine Qualität. Auf der Personebene spielen sich somit genau besehen auch alle Aspekte der Identitätsbildung ab, insofern »Identität« hier im qualitativen Sinn gemeint ist, nicht in formaler, die Subjektperspektive betreffende Hinsicht. Das relationale Verhältnis des Daseins zu Anderen und Anderem qua Personperspektive konkretisiert sich in der Relation zu anderem seiner selbst bewusstem Dasein als reziprokes Anerkennungsgeschehen. Es handelt sich damit nicht um ein asymmetrisches, sondern um ein in formaler Hinsicht 54

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Vgl. hierzu auch Wendel: Affektiv und inkarniert. 292-295. Der Ausdruck »eröffnet« schließt hier noch keine ethische Dimension mit ein; auf Anderes hin eröffnet zu sein ist zunächst eine phänomenologische Beschreibung, aus der keine ethische Haltung zu folgern ist. Andernfalls verstrickt man sich in den naturalistischen Fehlschluss. Das Gleiche gilt für den Relationsbegriff: Die Bezogenheit bzw. Beziehung zu Anderem ist nicht schon identisch mit Verantwortungsübernahme, liebender Haltung o.ä. Volker Gerhardt: Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität. Stuttgart 1999. 337; vgl. hierzu auch Henrich: Bewußtes Leben. Einleitung und Übersicht zu den Themen des Bandes. In: ders.: Bewußtes Leben. Untersuchungen zum Verhältnis von Subjektivität und Metaphysik. Stuttgart 1999. 11-48. Hier: 42.

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symmetrisches und gleiches Verhältnis, da hier Selbstbewusstsein auf anderes Selbstbewusstsein trifft, Subjekt- und Personperspektive auf andere Subjektund Personperspektive. Dasein und anderes Dasein sind also gleich und unterschieden zugleich: gleich darin, dass sie beide über Selbstbewusstsein und die ihm zukommende Doppelstruktur verfügen, unterschieden a) in formaler Hinsicht in der Jemeinigkeit des Bewusstseins- und damit Existenzvollzuges (Singularität, Subjektperspektive) und b) in einer material bestimmten Identität. Letztere konstituiert und realisiert sich zum einen im Anerkennungsgeschehen und damit im interpersonalen, relationalen Verhältnis,56 zum anderen im Vollzug von kommunikativem Handeln und diskursiven Praxen.57 Diese sind stets gesellschaftlich, geschichtlich, material bedingt und prägen so die Existenz des Daseins in ihrem materialen Gehalt. Als Person ist Dasein in vielfache Beziehungen eingebettet, in verschiedene diskursive Praxen, die sich in jenen Vollzug einschreiben und ihn mitbestimmen, und hierzu gehören insbesondere auch Prozesse der Subjektivation, der Unterwerfung des Daseins unter herrschende Diskurspraxen, wodurch sich konkrete materiale Identitäten des Daseins ausprägen.58

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Vgl. hierzu vor allem die Anerkennungstheorie Fichtes und deren zentraler Gedanke der Konstitution des Gehaltes von Selbstbewusstsein in Fichte: Werke. Band III. 36ff. und Band II. 143; vgl. zum Anerkennungsgeschehen auch Edith Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986; Axel Honneth: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt a.M. 1994; ders.: Das Ich im Wir. Studien zur Anerkennungstheorie. Berlin 2010; ders.: Anerkennung. Eine europäische Ideengeschichte. Berlin 2018. Im Unterschied zur Theorie kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas und zur Diskurstheorie, wie sie etwa von Michel Foucault vertreten wurde, wird hier jedoch das formale bzw. transzendentale Apriori der im Selbstbewusstsein gegebenen Selbstgewissheit sowie der Subjekt- bzw. Erste-Person-Perspektive des Bewusstseinsvollzuges als Möglichkeitsbedingung, also Konstitutivum kommunikativen Handelns und des Aufkommens von Diskurspraxen, und gerade nicht als Konstituens bzw. Subjektiviertes betont. Darauf ist im Kontext der Überlegungen zur Verkörperung der Existenz nochmals zurückzukommen. Vgl. zur Subjektivation auch ausführlich Judith Butler: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt a.M. 2001. Im Unterschied zu Butler wird hier jedoch davon ausgegangen, dass sich zwar in solchen Prozessen materiale Identitäten ausbilden können, nicht jedoch Subjektwerdung. Denn erstens ist »Subjekt« eine Bezeichnung für eine rein formale Struktur, es kann also weder entstehen noch vergehen, und zweitens ist die Subjektperspektive eine dem Selbstbewusstsein

2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen

Der gesamte reale Vollzug bewussten Lebens in der Vielfalt seiner Vermögen ist somit personal ausgestaltet, und geschieht als »versprachlichte« Existenz. Als Person erweist es sich daher als bedingt, kontingent in seinem Lebensvollzug und seiner Lebenspraxis, und eben zugleich als relational: Bewusstes Dasein ist keine ›fensterlose Monade‹, sondern existiert als Relation und in Beziehung zu dem, was mit ihm gemeinsam existiert und ihm in seinem Lebensvollzug begegnet. Zu dieser personalen bzw. relationalen Dimension des Daseins gehört jedoch nicht nur das ›Wohnen in der Sprache‹ (Heidegger), sondern der Aspekt der Verkörperung der Existenz zentral hinzu, aufgrund dessen der Bezug zu Anderem und Anderen überhaupt erst möglich ist.

2.3 Die Verkörperung bewussten Lebens Dass mit Bewusstsein begabtes Dasein verkörpert existiert, steht für uns außer Frage. Umso mehr stellt sich dann jedoch die Frage danach, weshalb und auf welche Weise bewusstes Leben sich verkörpert vollzieht, und in diesem Zusammenhang ist zunächst über die Verhältnisbestimmung von Mentalem (Geist) und Physischem (Körper) im Bewusstseinsvollzug zu reflektieren.

2.3.1 Die Koinzidenz von Mentalem und Physischem im Grund des Bewusstseins Die Verhältnisbestimmung von Mentalem und Physischem, traditionell LeibSeele bzw. Körper-Geist-Verhältnis genannt, gehört zu den zentralen Themen der Anthropologie. Traditionell lassen sich hier drei Modelle unterscheiden: Dualismus, Hylemorphismus und Monismus. Der Dualismus setzt Mentales und Physisches einander entgegen, insbesondere in Form eines cartesianischen Substanzdualismus, der Geist und Leib als eigenständige, jedoch miteinander in Wechselwirkung stehende Substanzen (res cogitans und res extensa) versteht. Der Eigenschaftsdualismus dagegen versteht Mentales und Physisches zwar als voneinander zu unterscheidende Eigenschaften einer Substanz, nicht aber selbst als unterschiedene Substanzen, und ist daher kein Dualismus im eigentlichen Sinn. Das Problem des Dualismus ist, neben als Struktur zugehörende und in ihrer Funktion als Möglichkeitsbedingung eine den Diskurspraxen in transzendentaler Hinsicht vorgängige Größe.

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seiner grundsätzlichen Körpervergessenheit im Blick auf die Konstitution aller Vermögen des Bewusstseins und eine damit verknüpfte dichotome Hierarchisierung von Geist und Körper, die Substantialisierung von Denken und Ausdehnung sowie die Reduktion des Körpers auf ein »ausgedehntes Ding«. Vor allem aber ist der Dualismus nicht in der Lage zu erklären, wie genau die Wechselwirkung der beiden Substanzen zu bestimmen ist und worin ihre Möglichkeitsbedingung besteht. Im Hylemorphismus, prominent von Aristoteles und dann in der theologischen Rezeption vor allem vom Aquinaten vertreten, gelten dagegen Seele und Leib als zwar voneinander unterschiedene, jedoch aufeinander bezogene Dimensionen, wobei die Seele in Analogie zum Verhältnis von Form (morphe) und Stoff (hyle) als Form und als »erste Entelechie« (Zielsetzung) des Leibes bestimmt wird, umgekehrt die Seele jedoch nicht ohne Leib existieren kann. Der Hylemorphismus versucht so die genannten Probleme des Dualismus zu umgehen. Doch genau besehen handelt es sich um einen abgeschwächten Dualismus, da Geist bzw. Seele und Körper immer noch als eigenständige Entitäten bestimmt werden, die einander entsprechen, und da die Seele als Form die den Körper bestimmende Größe darstellt. Denn auch wenn die Seele auf den Körper hingeordnet ist, so dominiert sie diesen doch als dessen Form und dessen Entelechie; der Körper gilt analog zur Materie primär als passiver Stoff, dem eine aktive Form eingedrückt wird oder der als bloß passiver Lieferant der Wahrnehmung dient. Zudem lässt auch der Hylemorphismus offen, worin sich das Entsprechungsverhältnis zwischen Seele und Körper genau begründet, und wie es genau bestimmt ist. In monistischen Konzeptionen werden Mentales und Physisches je nach Perspektive auf eine einzige Dimension, Mentales oder Physisches, zurückgeführt, oder auf ein drittes Prinzip, das weder mit Geist noch mit Materie identisch ist, weshalb man diese Position auch als »neutralen Monismus« bezeichnet.59 So wird etwa im Materiemonismus Mentales in seinem Aufkommen auf Physisches zurückgeführt, wobei hier entweder die eigenständige Existenz des Mentalen gänzlich verneint wird (naturalistischer Reduktionismus, eliminativer Materialismus), oder diese Existenz zwar zugebilligt, jedoch letztlich als aus physischen Prozessen entsprungen gedeutet wird (nichtreduktiver Naturalismus, anomaler Monismus, Supervenienz- und Emergenzkonzepte). Im 59

Der Ausdruck »neutraler Monismus« wurde durch Bertrand Russells Interpretationen von William James’ Theorie der Erfahrung populär. Vgl. Bertrand Russell: Die Analyse des Geistes. Hamburg 2004.

2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen

Unterschied dazu führt der Geistmonismus Physisches auf Mentales zurück. Und für den neutralen Monismus schließlich sind Mentales und Physisches Aspekte eines ihnen zugrundeliegenden Prinzips, das beides umfasst, selbst jedoch weder mit Geist noch mit Materie identisch ist. Mit diesem Modell ist der bereits genannte Eigenschaftsdualismus verbunden, da Mentales und Physisches zwar voneinander unterschieden werden, doch zugleich als Eigenschaften einer einzigen Substanz bzw. als Momente oder Ausdrucksformen einer einzigen Wirklichkeit und eines einzigen Prinzips bestimmt werden. Eine enge Verbindung zum neutralen Monismus weist der Panpsychismus auf, der davon ausgeht, dass auch materiell Seiendes über zumindest rudimentäre geistige Eigenschaften verfügt, wobei er anders als der Idealismus Physisches nicht mit Mentalem schlichtweg gleichsetzt bzw. aus diesem ableitet, und auch nicht – wie der Name nahelegen könnte – die Beseelung aller Gegenstände lehrt. Materie- wie Geistmonismus können jedoch nicht ausweisen, wie entweder aus Physischem Mentales entstehen kann, es sei denn, man setzt die spekulative Annahme der Möglichkeit eines qualitativen Sprungs voraus. Nur so ließe sich noch entweder die Erklärungslücke zwischen neuronalen und mentalen Zuständen zu überbrücken statt schließen; oder umgekehrt erklären, wie aus einem rein mental interpretierten Bewusstseinsgrund Physisches entstehen kann. Letzteres eben auch mit Blick auf das Problem der sogenannten mentalen Verursachung, also der Frage, wie Mentales nicht nur Ursprung des Physischen sein, sondern auch auf dieses einwirken kann.60 Angesichts der Probleme von Dualismus, Hylemorphismus und Geist- wie Materiemonismus bleibt meines Erachtens keine andere Möglichkeit als ontologisch davon auszugehen, dass sich bewusstes Leben einem ihm inhärenten Prinzip verdankt, dem Mentales und Physisches gleichursprünglich als Aspekte bzw. Dimensionen angehören, das aber selbst weder Geist noch Materie ist. Mentales und Physisches koinzidieren in ihm61 und bewusstes Leben vollzieht 60 61

Vgl. hierzu ausführlich Thomas Nagel: Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist. Berlin 2013. Daher handelt es sich auch um keinen Eigenschaftsdualismus: Mentales und Physisches sind zwar unterschieden voneinander, stehen jedoch in keinem Verhältnis des Gegensatzes zueinander, und ebenso in keinem bloßen wechselseitigen bzw. Entsprechungsverhältnis, sondern in dem der Koinzidenz. Man könnte statt des Koinzidenzgedankens hier auch den Begriff der Konstellation ins Spiel bringen, den Walter Benjamin und Theodor W. Adorno als Alternativbegriff sowohl zu Identität als auch zu Differenz gebraucht haben: »Das einigende Moment überlebt […] dadurch, daß nicht von Begriffen im Stufengang zum allgemeinen Oberbegriff fortgeschritten wird, sondern

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sich dementsprechend in jener Koinzidenz von Mentalem und Physischem. Dadurch, dass diese Koinzidenz nur einem Prinzip bewussten Lebens zugesprochen wird, unterscheidet sich diese Position – wiewohl anthropologisch dem neutralen Monismus nahe stehend62 –, von einem Panpsychismus, der auch Seiendem, das nicht im engeren Sinn als bewusstes Leben gekennzeichnet ist, mentale Eigenschaften zuspricht. Ebenso unterscheidet sie sich von der Position des sogenannten new materialism, wie sie etwa von Karen Barad vertreten wird, oder der Akteur-Netzwerk-Theorie Bruno Latours. Diese sprechen auch nichtbewusstem Leben sowie unbelebter, anorganischer Materie die Fähigkeit zu agieren zu und binden diese an materielle Prozesse.63 Genau besehen handelt sich bei diesen Theorien um Varianten naturalistischer Emergenztheorien des Bewusstseins.64 Hier dagegen wird bewusstes Dasein klar

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sie in Konstellation treten. […] Konstellationen allein repräsentieren, von außen, was der Begriff im Innern weggeschnitten hat, das Mehr, daß er sein will so sehr, wie er es nicht sein kann.« (Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt a.M. 5 1988. 164). Aus dieser bewusstseinstheoretischen ontologischen Verpflichtung auf einen neutralen Monismus folgt keineswegs notwendig der Sprung in eine monistische Metaphysik, auch wenn solche Anschlussannahmen immer wieder erfolgen. Das vorausgesetzte Einheitsmoment von Mentalem und Physischem ist nämlich zumindest prima facie auf das Aufkommen bewussten Lebens sowie auf das Zueinander von Mentalem und Physischem im Vollzug bewussten Lebens bezogen, nicht aber auf kosmologische Spekulationen über die Existenz eines alleinen Prinzips des Universums. Darauf ist im Kontext der Überlegungen zum kosmologischen »Leib Christi«-Verständnis nochmals einzugehen. Barad hat ihre Konzeption eines agentiellen Materialismus auch theologisch fruchtbar zu machen versucht, wobei sie die Materie sakralisiert und damit die Natur quasi vergöttlicht – genau besehen eine Variante pantheistischer Positionen mit Akzent auf materialistische bzw. naturalistische Interpretationen. Meines Erachtens handelt es sich dabei um die Bestätigung, dass Pantheismen jederzeit naturalistisch reformulierbar sind und damit letztlich unklar bleibt, weshalb man überhaupt noch von »Gott« oder »göttlich« sprechen sollte. Die Differenz zwischen »Gott« und »Natur« wird hier ebenso aufgehoben wie diejenige zwischen religiösen und nichtreligiösen Selbst- und Weltdeutungen. Vgl. hierzu etwa Karen Barad: What Flashes Up. Theological-Political-Scientific Fragment. In: Catherine Keller/Mary-Jane Rubenstein (Hg.): Entangled Worlds. Religion, Science and New Materialism. New York 2017. 21-88. Vgl. z.B. Diana Coole/Samantha Frost (Hg.): New Materialisms. Ontology, Agency, and Politics. Durham-London 2010; Karen Barad: Meeting the Universe Halfway. Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Durham 2007; dies.: Agentieller Realismus. Über die Bedeutung materiell-diskursiver Praktiken. Berlin 2012; dies.: What is the Measure of Nothingness? Infinity, Virtuality, Justice/Was ist das Maß des Nichts? Unendlichkeit, Virtualität, Gerechtigkeit. Ostfildern 2012; dies.: Verschrän-

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von anderem Seienden unterschieden, wenn auch nicht anthropozentrisch auf »den Menschen« verengt. Geht man davon aus, dass Mentales und Physisches miteinander koinzidieren, dann wird auch das Missverständnis vermieden, dass Bewusstsein mit dem Mentalen identisch, also ein Synonym für »Geist« oder »Seele« sei. Dieser missverständliche Gebrauch ersetzt den traditionellen Seelenbegriff durch den des Bewusstseins. Der Körper gilt dann immer noch als ein Gegenüber zum Bewusstsein, ein von ihm Unterschiedenes, und die Verkörperung des Bewusstseins bedeutet in dieser Perspektive, dass es sich zwar »materialisiert«, also im Körper ausdrückt, aber vom Materiellen dennoch auch prinzipiell unterschieden ist und damit niemals als Körper, sondern nur in und durch ihn sich manifestieren und realisieren kann. Letztlich handelt es sich auch hier um einen Dualismus, demjenigen zwischen Bewusstsein und Körper. Durch den Gedanken der Koinzidenz von Mentalem und Physischem im Bewusstsein dagegen wird dieser Dualismus unterlaufen. Kommt nun dem Bewusstsein aber Mentales und Physisches gleichursprünglich zu, so ist zu fragen, wie sich dies zur Doppelstruktur von Subjekt und Person verhält. Man könnte nämlich versucht sein, die Subjektperspektive mit dem Mentalen und die Personperspektive mit dem Physischen zu identifizieren. Dann aber hätte man erstens beide Perspektiven ontologisch aufgeladen, und zweitens negiert, dass für beide Aspekte des Bewusstseinsvollzuges die genannte Doppelstruktur eben jenes Vollzuges gilt: Für Mentales wie Physisches gilt die Singularität des Vollzuges, verankert in der ErstePerson-Perspektive, sowie die Relation, die der Personperspektive zu eigen ist. Dasein vollzieht sich mental und physisch zugleich, und dies als Subjekt und als Person gleichermaßen. Bezieht man nun aber diese Doppelstruktur nicht nur auf das Mentale, sondern auch auf das Physische, so entspricht sie einer anderen Doppelstruktur, basierend auf einer Unterscheidung, nämlich derjenigen von »Leib« und »Körper«, die vor allem Maurice Merleau-Ponty im Anschluss an Edmund Husserl und Edith Stein vorgelegt hatte.

kungen. Berlin 2015. Vgl. auch Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Frankfurt a.M. 2007; ders.: Existenzweisen. Eine Anthropologie der Modernen. Berlin 2014.

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2.3.2 Analoge Doppelstruktur – Subjekt/Person – Leib/Körper Entgegen der den Cartesianischen Dualismus von res cogitans und res extensa reproduzierenden Auffassung, dass der Leib ein Ding und damit dem nichtdinghaften Bewusstsein entgegenzusetzen bzw. zu subsumieren sei, schrieb Merleau-Ponty dem Leib eine Doppelstruktur zu; er sei ein »Sein mit zwei Dimensionen«65 , ein »zweiblättriges Wesen«66 . Auf der einen Seite ist er Ding unter Dingen und damit Objekt der Wahrnehmung, folglich auch Objekt intentionalen Erkennens, auf der anderen Seite ist er derjenige, der Dinge berührt und sieht, also Subjekt der Wahrnehmung. Als Ding unter Dingen ist der Leib objektivierter, verdinglichter Körper, ein zum Gegenstand gemachter Leib, der Objekt meines diskursiven Erkennens sein kann; den Körper kann ich benennen, definieren, sezieren, analysieren. Doch der Leib ist als Subjekt der Wahrnehmung mehr als nur Körper und damit nicht mit dem Körper identisch, worauf schon Husserl aufmerksam gemacht hat: »Unter den eigentlich gefaßten Körpern dieser Natur finde ich dann in einziger Auszeichnung meinen Leib, nämlich als den einzigen, der nicht bloßer Körper ist, sondern eben Leib, das einzige Objekt innerhalb meiner abstraktiven Weltschicht, dem ich erfahrungsgemäß Empfindungsfelder zurechne, obschon in verschiedenen Zugehörigkeitsweisen (Tastempfindungsfeld, Wärme-Kälte-Feld usw.), das einzige, ›in‹ dem ich unmittelbar ›schalte‹ und ›walte‹, und insonderheit walte in jedem seiner ›Organe‹.«67 Im Anschluss an Husserl präzisierte Edith Stein die Differenz zwischen einem der Dingwelt angehörenden physischen Körper und dem empfindenden Leib. Diese Differenz liege in der Untrennbarkeit des Leibes vom erlebenden Ich; ein Leib ohne Ich, so Stein, ist kein Leib, sondern ein Leichnam: »Der Leib ist […] wesensmäßig durch Empfindungen konstituiert, Empfindungen sind reelle Bestandstücke des Bewußtseins und als solche dem Ich zugehörig. Wie sollte also ein Leib möglich sein, der nicht Leib eines Ich wäre?«68 Ähnliche Überle65 66 67

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Maurice Merleau-Ponty: Das Sichtbare und das Unsichtbare. München 2 1994. 179. Ebd. 180. Edmund Husserl: Cartesianische Meditationen. Eine Einleitung in die Phänomenologie. In: ders.: Gesammelte Schriften. Band 8. Hamburg 1992. 99. Vgl. hierzu ausführlich Bernhard Waldenfels: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes. Frankfurt a.M. 2000. 22-30. Edith Stein: Zum Problem der Einfühlung. Reprint der Originalausgabe von 1917. München 1980. 52.

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gungen finden sich bei Merleau-Ponty69 , Hermann Schmitz70 und Gernot Böhme71 . Ist der Leib also nicht allein als ein objektivierter Körper zu verstehen, sondern im Sinne »einer besonderen Existenz und einer besonderen Struktur, in der zugleich die Struktur der Welt hervortritt«72 , dann ist er, sofern er als Nicht-Objekt auftritt, dem Subjekt-Objekt-Gegensatz noch voraus. Diese Doppelstruktur des Leibes, die ihn einem Verständnis entreißt, das ihn auf einen Ding- bzw. Objektstatus reduziert, lässt sich mit der Doppelstruktur des Daseins als Subjekt und Person vergleichen: Der Leib ist einerseits Möglichkeitsbedingung sämtlicher Bewusstseinsvollzüge und darin mit einer Erste-Person-Perspektive verbunden, andererseits aber immer schon eingelassen in unterschiedliche Relationen und selbst schon konkreter Bewusstseinsvollzug.73 Dementsprechend ist der Leib einerseits »am Nullpunkt

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Vgl. Maurice Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin 1988. 131; ders.: Das Sichtbare und das Unsichtbare. 178ff. Vgl. z.B. Hermann Schmitz: Der gespürte Leib und der vorgestellte Körper. In: Michael Grossheim (Hg.): Wege zu einer volleren Realität. Neue Phänomenologie in der Diskussion. Berlin 1994. 75-91. Hier: 91. Vgl. zu Schmitz’ Verständnis des Leibes und zu dessen Unterscheidung von Leib und Körper auch ders.: System der Philosophie. Zweiter Band. Erster Teil: Der Leib. Bonn 1965. Bes. 5-55. Vgl. Gernot Böhme: Natürlich Natur. Über Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a.M. 1992. 80 und 89. Waldenfels: Das leibliche Selbst. 42. Vgl. hierzu auch Paul Ricœur: Das Selbst als ein Anderer. München 1996. 72: »Man wird sich erinnern, dass die Möglichkeit, demselben Ding physische und psychische Prädikate zuzuschreiben, in unseren Augen in einer Doppelstruktur des Eigenleibes begründet zu sein schien, nämlich in seinem Status als beobachtbare physische Realität und seiner Zugehörigkeit zu dem, was Husserl in der fünften Cartesianischen Meditation die ›Eigenheitssphäre‹ oder die Sphäre des ›Meinigen‹ nennt. Dieselbe Doppelzugehörigkeit des Eigenleibes begründet die Mischstruktur des ›Ich-Jener‹. Als Körper unter Körpern bildet er ein Fragment der Welterfahrung; als der meinige hat er Anteil an dem Status des als Grenzpunkt der Welt verstandenen ›Ich‹; anders gesagt ist der Körper zugleich eine Welttatsache und das Organ eines Subjektes, das nicht zu den Objekten gehört, über die es spricht. Diese eigenartige Verfaßtheit des Eigenleibes erstreckt sich vom Subjekt des Äußerungsaktes bis zum Äußerungsakt selber: Als eine vom Atem nach außen gestoßene und durch die Lautbildung und die gesamte Gestik artikulierte Stimme teilt der Äußerungsakt das Schicksal der materiellen Körper. Als Ausdruck der Bedeutung, auf die ein sprechendes Subjekt abzielt, ist die Stimme der Träger des Äußerungsaktes, insofern dieser auf ein ›Ich‹ als unverwechselbares Perspektivenzentrum der Welt verweist.«

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der Orientierung«74 , »Angelpunkt der Welt«75 und in seiner konstituierenden Funktion »fungierender Leib«76 : »Von ihm rühren alle Orte des Raumes her: nicht nur, weil die Örtlichkeit der anderen Orte vom Ort meines Leibes aus erfaßt wird, sondern auch, weil mein Leib die ›optimalen‹ Formen definiert; wenn wir ins Mikroskop sehen, sagt Husserl, gibt es eine merkwürdige Teleologie des Auges, die bewirkt, daß dieses instinktiv von einer optimalen Form des Gegenstandes angerufen wird. Die Tätigkeit des Leibes definiert diese Form; und dadurch wird in uns die Idee eines Rechtsgrunds gegründet, von dem aus sich alle Erkenntnis entwickelt. Ich werde späterhin die Normen beschreiben können, aber die Idee der Norm wurde von meinem Leib begründet. Das Absolute im Relativen, das also liefert mir mein Leib.«77 Diese konstitutive Funktion des Leibes als »Nullpunkt der Orientierung« gilt insbesondere auch für das Selbstbewusstsein und die Selbstgewissheit in ihrem nonreflexiven Moment unmittelbaren Erlebens. Die Irreduzibilität der Erste-Person-Perspektive gilt somit auch und vor allem für das »eigenleibliche Spüren«78 . Niemand außer mir selbst weiß, wie es ist, mein Leib zu sein; meine Erste-Person-Perspektive, die niemand außer mir selbst übernehmen kann, realisiert sich in je meinem eigenleiblichen Spüren: »[M]ein Leib steht nicht vor mir, sondern ich bin in meinem Leib, oder vielmehr ich bin mein Leib.«79 Gleichzeitig ist der Leib aber auch in Beziehung zur Welt, deren Orientierungszentrum er ist, er ist deren Teil und insofern auch bedingt, relativ. Genau hier aber verschiebt sich der Leib hin zum Körper, worauf Bernhard Waldenfels hingewiesen hat: »Der Leib ist also immer mein und dein Leib, einem unmittelbaren Erleben und Miterleben zugänglich. Der Körper ist ein Körper, einer äußeren Beobachtung und Behandlung sich darbietend.«80 Die 74

75 76 77 78

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Stein: Zum Problem der Einfühlung. 47. Diese Formulierung findet sich wörtlich auch bei Merleau-Ponty (vgl. Merleau-Ponty: Die Natur. Vorlesungen am Collège de France 1956-1960. München 2000. 114). Ders.: Phänomenologie der Wahrnehmung. 106. Waldenfels: Das leibliche Selbst. 254. Merleau-Ponty: Die Natur. 114f. Vgl. zum eigenleiblichen Spüren z.B. Hermann Schmitz: Phänomenologie der Leiblichkeit. In: Hilarion Petzold (Hg.): Leiblichkeit. Philosophische, gesellschaftliche und therapeutische Perspektiven. Paderborn 1985. 71-106. Hier: 71. Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung. 180. Bernhard Waldenfels: Der Spielraum des Verhaltens. Frankfurt a.M. 1980. 37.

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Leib-Perspektive allerdings bleibt unverfügbar. Identisch mit dem subjektiven Erleben bewussten Lebens, mit dessen Erste-Person-Perspektive, kann sie nicht in eine Dritte-Person-Perspektive transformiert werden. In der phänomenologischen Diktion schwingt zugegebenermaßen immer auch eine pejorative Sicht auf den Körper mit; er ist objektivierter Leib, zum Gegenstand gemachter Leib etc. Man hört hier quasi das Hintergrundrauschen der Philosophie Heideggers und deren Kritik des Subjektbegriffs sowie des von Heidegger so bezeichneten »vorstellenden Denkens« und dessen Zug zur Vergegenständlichung des Seienden mit, ebenso die Kritik am »objektivierenden Denken« instrumenteller Vernunft in Konzeptionen der Kritischen Theorie. Diese pejorative Sicht schwindet, wenn man unter dem Einnehmen einer Objektperspektive nicht immer schon die Objektivierung und Verdinglichung der Welt bzw. des konkret begegnenden Anderen vermutet. Der »objektive Körper« ist somit nicht ausschließlich verdinglichtes Objekt instrumenteller Vernunft, sondern bedeutet die Dimension verkörperter Existenz, die der Reflexion zugänglich ist, auf die qua Zeichen referiert werden kann, die offen ist für Vermittlung. »Objektperspektive« und folglich auch »objektiver Körper« bedeuten dann zunächst einmal nichts anderes als die Betonung der auf die Materialität des Daseins und dessen »somatisches Moment«81 bezogenen Vollzüge des Bewusstseins, welches jedoch immer der Subjektperspektive bedarf, um sich überhaupt aufs Objekt beziehen zu können. Der Leib ist allerdings nicht allein fungierender Leib, nicht allein Vollzugsform des Selbstbewusstseins, sondern er ist Ausdruck des gesamten Existenzund damit auch Bewusstseinsvollzuges des Daseins, in dem dieses sich voll und ganz präsentiert und verwirklicht: »[D]as Ausgedrückte realisiert sich im Ausdruck selbst, es inkarniert sich, es ist ein verkörperter Sinn und keine äußere Kundgabe. Der Leib selber [sic!] vollzieht eine Art von Metamorphose zwischen Ideen, Vorstellungen und Dingen.«82 Unterscheidet man nun den Leib vom Körper, so ist damit keine ontologische Qualität neben dem Körper ausgesagt, und auch die Subjektperspektive wird nicht qua Leib ontologisiert; die Unterscheidung von Subjekt- und Personperspektive ist eine epistemologische Unterscheidung, keine ontologische, und auch diejenige von Leib und Körper ist solch eine epistemologische Unterscheidung. Ontologisch gilt die Koinzidenz von Mentalem und Physischem im 81 82

Theodor W. Adorno: Stichworte. Kritische Modelle 2. Frankfurt a.M. 5 1980. 153f. Waldenfels: Das leibliche Selbst. 224.

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Bewusstseinsvollzug und damit die unauflösliche Verkörperung des Bewusstseins, somit des ganzen Existenzvollzuges bewussten Daseins. Ebenso wenig ist »Leib« ein äquivoker Ausdruck für mentale Zustände. Die Unterscheidung zwischen Leib und Körper gleicht einem Vexierbild: Das verkörperte Dasein ist in seiner Subjektperspektive »Leib«, in seiner Personperspektive »Körper«: Relation, eingelassen in Sprache und Zeichengebrauch. Theorien der Verkörperung wie etwa der sogenannte Enaktivismus, dem zufolge der Körper kein bloß passives Organ der Wahrnehmung ist, sozusagen Lieferant und Repräsentationsinstanz des Gegebenen der Außenwelt, sondern am kreativen Hervorbringen (enaction) der Welt durch das bewusste Leben aktiv beteiligt,83 entsprechen dieser Sichtweise. Denn sie stellen die Bedeutung des Körpers und damit des Physischen – in seiner Doppelstruktur von Leib und Körper – für den gesamten Bewusstseinsvollzug heraus: Unbeschadet eines sogenannten epistemologischen Dualismus in der Differenzierung von Erste- und Dritte-Person-Perspektive und der Nichtrückführbarkeit von Ersterem auf Letzteres geht der Enaktivismus davon aus, dass an den kognitiven Prozessen des Bewusstseins nicht nur die mentale Seite, sondern auch die physische Seite beteiligt ist. Diese Einheit von Mentalem und Physischem auf der ontologischen Ebene und die Differenzierung von Subjekt- und Personperspektive auf der epistemologischen Ebene versucht der Enaktivismus dadurch zusammenzudenken, dass er wie schon die Phänomenologie in ihrer Unterscheidung von Leib und Körper dem Körper eine Doppelstruktur zuspricht: Er ist erlebter wie lebendiger Körper. Keineswegs handelt es sich hier um zwei unterschiedliche ontologische Größen, auch nicht um zwei den Dimensionen des Mentalen und Physischen entsprechende Aspekte. Es handelt sich vielmehr um zwei Perspektiven auf eine Wirklichkeit, diejenige verkörperten bewussten Lebens. Das Physische ist somit nicht mit der Personperspektive und das Mentale nicht mit der Subjektperspektive gleichzusetzen. Auch die Subjektperspektive ist diejenige eines bewussten Lebens, in dessen Vollzug Mentales und Physisches zusammenwirken, und die Personperspektive kann auch auf eben jenes bewusste Leben selbst bezogen sein, sei es dasjenige bewusste Leben, das sich auf sich selbst bezieht, oder dasjenige, das als Anderes begegnet. Setzt man nun die

83

Vgl. Francisco Varela/Evan Thompson/Eleanor Rosch: Enaktivismus – verkörperte Kognition. In: Joerg Fingerhut/Rebekka Hufendiek/Markus Wild (Hg.): Philosophie der Verkörperung. Grundlagentexte zu einer aktuellen Debatte. Berlin 2013. 293-327. Vgl. auch dies.: The Embodied Mind. Cognitive Science and Human Experience. Cambridge/MA 3 1993; Alva Noé: Action in Perception. Cambridge/MA 2004.

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Subjektperspektive in Analogie zum »Leib«, bedeutet »Leib« hier keine eigene, vom Körper unterschiedene oder gar abgetrennte Entität, sondern eine besondere Bezeichnung der Subjektperspektive unter der Berücksichtigung der Dimension der Verkörperung bewussten Lebens, also die subjektive Seite des Körperseins, den erlebten, gelebten Körper, den Dasein nicht »hat«, sondern als dieser es existiert. Dieses »als« ist ein ganz entscheidender Bezug im Blick auf die Verkörperung der Existenz.

2.3.3 Verkörperte Existenz – in Konstruktionsund Subjektivationsprozesse verstrickt Vollzieht sich verkörpertes Dasein nun in der Doppelstruktur von Subjektund Personperspektive bzw. von »Leib« (als erstpersönlich erlebter Körper, jedoch in rein formaler Hinsicht) und »Körper« (als der gelebte Körper in materialer Hinsicht und in Relation zu Anderem stehend), gleichsam als Vexierbild von Innen/Außen, singulär/relational, nonreflexiv/reflexiv, dann ist es gerade als »Person« und als »Körper« in vielfache Zeichen- und Sprachhandlungen und in reflexive Vermittlungen eingebettet und verstrickt. Theorien der Verkörperung, die insbesondere Michel Foucaults genealogisches und machtanalytisches Konzept rezipieren, weisen darauf hin, dass Körper stets in sozial und kulturell bedingte Körperdiskurse und entsprechende Praxen eingelassen sind. Hier sind denn auch die von Foucault in Bezug auf Körperund Sexualitätsbilder bzw. -praxen erläuterten diskursiven Konstruktionen entscheidend.84 Der Körper und mit ihm verkörpertes bewusstes Dasein sind immer schon durch Körperpraxen und entsprechende Diskurse bestimmt und geprägt, die sich ihm einschreiben. Der Körper »ist dem Wechsel der Lebensweisen unterworfen; er ist den Rhythmen der Arbeit, der Muße und der Feste ausgesetzt; er wird vergiftet – von Nahrungen und von Werten, von Eßgewohnheiten und moralischen Gesetzen; er bildet Resistenzen aus. […] [N]ichts am Menschen – auch nicht sein Leib – ist so fest, um auch die anderen Menschen verstehen und sich in ihnen wiedererkennen zu können.«85 84 85

Vgl. z.B. Michel Foucault: Nietzsche, die Genealogie, die Historie. In: ders.: Von der Subversion des Wissens. Frankfurt a.M. 1987. 69-90. Hier: 79. Ebd. Vgl. ebenso Giorgio Agamben: »Man kann sogar sagen, daß die Produktion eines biopolitischen Körpers die ursprüngliche Leistung der souveränen Macht ist.« (Giorgio Agamben: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt a.M. 10 2015. 16).

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Foucault hatte darauf aufmerksam gemacht, dass Körperdiskurse stets auch hegemoniale Machtdiskurse sind, die sich an den Körper und seine Funktionen und Vollzüge schalten, an seine Empfindungen und Lüste. Diese Machtdispositive haben das Ziel einer regulierenden »Bio-Macht«, d.h. der Beherrschung und Kontrolle von Begehren, Lust, Sexualität, aber auch von Generativität mit dem Ziel der, wie Foucault formulierte, sorgfältigen Verwaltung der Körper und der rechnerischen Planung des Lebens auch im Dienst der kapitalistischen Ökonomie.86 Der Körper kann also durchaus auch zum Objekt von Herrschaft und Kontrolle werden, dies aber nicht schlichtweg qua Objektstatus, sondern qua Ambivalenz der Diskurs- und Zeichenpraxen, denen er zugehört, sowie der in ihnen wirkenden Macht.87

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Agamben führt so den Machtbegriff mit dem der Souveränität zusammen und präzisiert den Machtbegriff solcherart zu dem der Herrschaft bzw. Gewalt. Vgl. etwa Michel Foucault: Sexualität und Wahrheit. Band 1: Der Wille zum Wissen. Frankfurt a.M. 1983. 168: »Die Abstimmung der Menschenakkumulation mit der Kapitalakkumulation, die Anpassung des Bevölkerungswachstums an die Expansion der Produktivkräfte und die Verteilung des Profits wurden auch die durch Ausübung der Bio-Macht in ihren vielfältigen Formen und Verfahren ermöglicht. Die Besetzung und Bewertung des lebenden Körpers, die Verwaltung und Verteilung seiner Kräfte waren unentbehrliche Voraussetzungen.« Auch Pierre Bourdieu hat auf die soziale Prägung von Körperpraxen hingewiesen, und dies hinsichtlich der Konstruktion eines individuellen Habitus, sowie auf die politische Bedeutung, die diese diskursiven Einschreibungen als Machtdispositive in ihrer Funktion der »Einverleibung« in bestehende gesellschaftliche Strukturen und Institutionen besitzen, und die so zu einer Art »zweiten Natur« werden, wiewohl eben nicht natürlich gegeben, sondern als »auf den Leib geschriebene […] Wirkungen« sozial und diskursiv erzeugt (Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Berlin 8 2014. 108). Allerdings hat Judith Butler darauf hingewiesen, dass in Bourdieus Analyse der Aspekt der Performativität noch zu wenig bedacht wurde. Vgl. hierzu etwa Judith Butler: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin 2006. 221-248. Auf eine besondere Funktion dieser Machtdiskurse für die Konstituierung des Politischen hat Agamben im kritischen Rekurs auf Carl Schmitts Freund-Feind-Schema hingewiesen. Ihm zufolge konstituiert sich das Politische durch einschließende Ausschließung des nackten Lebens: »Politik gibt es deshalb, weil der Mensch das Lebewesen ist, das in der Sprache das nackte Leben von sich abtrennt und sich entgegensetzt und zugleich in einer einschließenden Ausschließung die Beziehung zu ihm aufrechterhält.« (Agamben: Homo sacer. 18). Die souveräne Macht wirkt somit dadurch, dass sie einund ausschließt, bzw. ausschließend einschließt. Das Exkludierte wird als Exkludiertes Teil der herrschenden Ordnung, wird in den hegemonialen Diskurs inkorporiert und wirkt so systemstabilisierend. Die einschließende Ausschließung fungiert als Körper-

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Die genannten Regulierungsmechanismen durch Machtdispositive lassen sich auch als Prozesse der Subjektivation, der Unterwerfung des verkörperten Daseins unter herrschende Diskurse und deren Codierungen, unter gesellschaftlich wirkmächtige Normen bezeichnen, verbunden mit Mechanismen der Inklusion und Exklusion: »[D]er Körper steht […] unmittelbar im Feld des Politischen; die Machtverhältnisse legen ihre Hand auf ihn; sie umkleiden ihn, markieren ihn, dressieren ihn, martern ihn, zwingen ihn zum Arbeiten, verpflichten ihn zu Zeremonien, verlangen von ihm Zeichen. Diese politische Besetzung des Körpers ist mittels komplexer und wechselseitiger Beziehungen an seine ökonomische Nutzung gebunden […]; zu einer ausnutzbaren Kraft wird der Körper nur, wenn er sowohl produktiver wie unterworfener Körper ist.«88 Zugleich aber besitzen jene Prozesse auch identitätsbildende Funktion und sind nicht nur Unterwerfungsmechanismen: »›Subjektivation‹ bezeichnet den Prozeß des Unterworfenwerdens durch Macht und zugleich den Prozeß der Subjektwerdung. Ins Leben gerufen wird das Subjekt […] durch eine ursprüngliche Unterwerfung unter die Macht.«89 Subtil wirksam ist Subjektivation auch darin, dass das einzelne Dasein die Regulierungen internalisiert und sich ihnen in Praktiken der Wiederholung selbst unterwirft, nicht nur unterworfen wird: Nicht nur das Dasein, sein Körper, seine Körperpraxen, Gefühle, sein Begehren wird unterworfen, sondern es begehrt danach, sich zu unterwerfen. Identitätskonstitution und Identitätsverlust kennzeichnen die Ambivalenz der Subjektivation.90 Man kann gegen diese Position ein Doppeltes einwenden: dass sie den Subjektbegriff verkürzt und Macht zu wenig als »Macht zu handeln« (Hannah Arendt) und damit als Freiheit bestimmt, wiewohl sie doch genau jene Macht zu handeln voraussetzt, und dass sie zweitens in einer Art semiologischem Idealismus die Realität einer Außenwelt, hier: der biologischen Gegebenheit des Körpers, negiert. Letzteres wird insbesondere von Theorien formuliert, die entgegen der hier skizzierten konstruktivistischen Positionen für einen

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praxis, wirkt auf den Körper ein, unterwirft sich den Körper und damit die gesamte verkörperte Existenz. Foucault: Überwachen und Strafen. 37. Butler: Psyche der Macht. 8. Vgl. ebd. 7-34. Vgl. auch dies.: Haß spricht. 44-67; dies.: Kritik ethischer Gewalt. AdornoVorlesungen 2002. Frankfurt a.M. 2007. 17-39.

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»neuen Realismus« im Wirklichkeitsverständnis überhaupt91 oder, wie bereits erwähnt, für einen new materialism im Blick auf die verkörperte Existenz im Besonderen votieren. Zugleich radikalisiert gerade der new materialism die subjekt- und akteurskritische Position Foucaultscher Diskurstheorie, weil er der Materie selbst Wirkmacht zuspricht. Doch genau besehen wird ja die Gegebenheit des Materiellen bzw. der Anatomie und biologischer Prozesse des Körpers nicht bestritten. Das Verständnis der Prozesse der Subjektivation, das Foucault und Butler vorschlagen, impliziert keineswegs die extrem-idealistische Negation der Außenwelt oder im Falle der verkörperten Existenz den Zweifel an der Realität des materiellen Körpers. Gemeint ist vielmehr, dass das, was wir sinnlich-rezeptiv wahrnehmen, nur im Zusammenspiel mit der Spontaneität des Verstandes und dessen begrifflich-reflexivem Vermögen überhaupt erst zur Erfahrung und damit auch erst zu einem Gegenstand möglicher Erkenntnis werden kann. Diese grundlegende Einsicht Kants wurde durch sprachphilosophische Überlegungen zur sprachlichen Verfasstheit des Intellekts noch erweitert. Unsere Welterfahrung ist folglich stets schon durch »Verstandesgebrauch« und »Sprachgebrauch« geprägt und bestimmt. Beide bilden Wirklichkeit nicht nur ab, etwa durch die korrekte Korrespondenz von Denken und Sachverhalt in propositionalen Aussagen. Vielmehr erzeugen sie diese durch ihre erfahrungskonstituierende Funktion, insofern »Wirklichkeit« nur als »Gegenstand möglicher Erkenntnis«, also als Erfahrung, mir überhaupt als Wirklichkeit erscheinen und bestimmt werden kann. Legt man nämlich einer antidualistischen Anthropologie die These der (epistemologischen) Unterscheidung von subjektivem und objektivem Körper bzw. zwischen Leib und Körper zugrunde, dann bedeutet dies, dass im Blick auf die Analyse von Körperdiskursen und -praxen der objektive Körper in deren Fokus tritt, nicht aber der subjektive Körper, eben weil dieser niemals zum Objekt einer Bestimmung und Beschreibung werden kann. Ist der Körper aber immer schon in Diskurse eingebettet, dann folgt daraus, dass der »objektive Körper« trotz der Objektperspektive, die sich auf ihn bezieht, und ebenso trotz des subjektiven Erlebens des eigenen verkörperten Daseins niemals als direktes Objekt der Wahrnehmung gegeben ist. Wie für alle Gegenstände der Erkenntnis, so gilt auch für den Körper, sei es der eigene, 91

Vgl. etwa Paul Boghossian: Angst vor der Wahrheit. Ein Plädoyer gegen Relativismus und Konstruktivismus. Berlin 2013; Markus Gabriel: Warum es die Welt nicht gibt. Berlin 8 2013; ders.: Der neue Realismus. Berlin 2014.

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sei es der andere, die »kopernikanische Wende« Immanuel Kants und die Abkehr vom »Mythos des Gegebenen« und der Annahme einer vom Erkenntnisvermögen bewussten Lebens unabhängigen, »objektiven Welt«, ebenso die durch den linguistic turn forcierte Erkenntnis, dass Sprache Wirklichkeit erzeugt.92 Aus dem Erleben des subjektiven Körpers folgen keine direkten, qualitativ bestimmten Erfahrungen eines »gegebenen« Körpers, im Gegenteil ermöglicht das kreative Vermögen des Bewusstseins gerade auch in seinen mentalen Aspekten das Hervorbringen unterschiedlicher Bilder und Zeichen, die sich in den Körper einschreiben, ja die diesen selbst im Modus unterschiedlicher Körperbilder, unterschiedlicher Symbolisierungen des Körpers, hervorbringen, konstruieren. Wirklichkeit liegt nicht einfach vor und »gibt« sich dem Erkenntnisvermögen zu erkennen. Sie wird auch durch unsere Vermögen kraft der dem bewussten Leben eigenen Kreativität in Form performativer, also wirklichkeitserzeugender Akte gesetzt und konstituiert. Hier sind nicht nur die Tätigkeit des Intellekts und dessen reflexives Vermögen entscheidend, sondern das Sprachvermögen und dessen performative Kraft. Dies gilt auch für die Wirklichkeit, die wir selbst sind, insbesondere unseren Körper. Dazu greifen wir auf eine Vielzahl von Techniken der Symbolisierung zurück, von Zeichenpraxen und deren performativer Funktion. Jene performativen Akte wiederum haben bewusstes Leben und insbesondere dessen Freiheitsvermögen zu ihrer Möglichkeitsbedingung. Zugleich realisiert sich eben jenes Freiheitsvermögen auch im Vollzug der Performanz, im Setzen neuer Wirklichkeit. In Bezug auf den Körper spielt hier vor allem der performative Gebrauch von Körpermetaphern eine wichtige Rolle. Umgekehrt haben physische Prozesse Einfluss auf das Entstehen wie den Gebrauch von

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Vgl. hierzu auch Humberto R. Maturana/Francisco J. Varela: »Sprache wurde niemals von jemandem erfunden, nur um damit eine äußere Welt zu internalisieren. Deshalb kann sie nicht als Mittel verwendet werden, mit dem sich eine solche Welt offenbar machen läßt. Es ist vielmehr so, daß der Akt des Erkennens in der Koordination des Verhaltens, welche die Sprache konstituiert, eine Welt durch das In-der-Sprache-Sein hervorbringt.« (Dies.: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. Bern-München 1987. 253.). Auch wenn der radikal-konstruktivistischen These, dass das In-der-Sprache-Sein das »Ich« im Sinne der Möglichkeitsbedingung der Erkenntnis und damit auch des In-Sprache-Seins miteinschließt, aus transzendentalphilosophischer Perspektive zu widersprechen ist, so ist doch die These der Konstruktion des »selbst« zuzustimmen und damit auch der These, dass bewusstes Leben Wirklichkeit schafft. Gerade das macht ja im Übrigen die Kreativität bewussten Lebens aus.

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Zeichenpraxen, weil im Vollzug bewussten Lebens Mentales und Physisches koinzidieren. Zu Recht wird allerdings darauf hingewiesen, dass in konstruktivistischen Theorien zu wenig darauf reflektiert wird, dass das bewusste Dasein, seine Vermögen, insbesondere dasjenige der Kreativität und damit der Freiheit, sowie seine Subjektperspektive Möglichkeitsbedingungen performativer Akte sind, dass jenen Akten somit Akteurinnen und Akteure zugrunde liegen und sie nicht schlichtweg aus dem Nichts heraus geschehen oder emergieren: Performativität ist mit Handlungen verknüpft, nicht lediglich mit Ereignissen, und wer etwa Performativität als Gegenmacht zu Machtdiskursen postuliert, wird dabei auch auf den Aspekt der Subjektivität und der Freiheit rekurrieren müssen, andernfalls verstrickt man sich in den Selbstwiderspruch, für die Einmaligkeit und die Freiheit des Daseins einzutreten, diese aber zugleich als Möglichkeitsbedingung und Prinzip des Daseins zu bestreiten. Die gestaltende Macht von Diskurspraxen kann so auch als Aspekt der grundsätzlichen Gestaltungsmacht bewussten Lebens verstanden werden, das kraft seiner vielfältigen Vermögen überhaupt dazu fähig ist, Diskurspraxen hervorzubringen und in ihnen sein Leben zu führen und zu gestalten. Insofern sind Körper auch nie nur Objekt der Subjektivation, nie nur einer vorgängigen Macht von Diskurspraxen ausgeliefert, da jene Diskurse und ihre performative Kraft ihre Möglichkeitsbedingung nicht in sich selbst tragen und damit auch nicht analog zu einer göttlichen Selbstursprünglichkeit aus sich selbst stammen, sondern auf das performative Handeln bewussten Lebens zurückzuführen sind, das in der Lage ist, Diskurse hervorzubringen und sich zu ihnen zu verhalten: »Corpus ist ein doppelgesichtiges Wesen, das sowohl Träger der Unterwerfung unter die souveräne Macht als auch der individuellen Freiheit ist.«93

2.4 »Geschlecht« als eine Dimension verkörperter Existenz Zur Verkörperung bewussten Lebens gehört nun auch ganz zentral die Dimension »Geschlecht« hinzu, und die erläuterte Kennzeichnung verkörpert Existenz ist folglich auch für diejenige von »Geschlecht« von besonderer Bedeutung. Mit der Bezeichnung »Geschlecht« verbindet man wohl in der Regel die traditionelle Vorstellung zweigeschlechtlich differenzierter Körper unter der

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Agamben: Homo sacer. 133.

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Codierung männlich/weiblich; »Geschlecht« wird so im Sinne von »Genus«, also einer Kategorie der Ein- und Zuordnung, verstanden und gebraucht. Doch unter »Geschlecht« lässt sich viel mehr verstehen als »Genus«, wenn man in dessen Bestimmung nicht nur die symbolische Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit voraussetzt und wenn man den Begriff nicht nur als Bezeichnung einer Zuordnung von Körpern nach Kriterien sexueller Differenz versteht. Die Bestimmung von »Geschlecht« stand lange Zeit unter der Maßgabe einer Unterscheidung, die in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts im Kontext englischsprachiger Geschlechtertheorien aufgekommen ist, der Unterscheidung zwischen sex (natürliche bzw. biologisch gegebene Geschlechtsidentität) und gender (sozial bzw. kulturell erzeugte Rollenidentität). Die vorrangige Aufmerksamkeit galt hier nicht sex – die Gegebenheit der natürlichen Geschlechtsidentität wurde nicht in Frage gestellt, sondern gender, d.h. dem Feld kulturell und gesellschaftlich bedingter Rollenmuster von »männlich« und »weiblich«. Kritisiert wurde die Identifizierung bestimmter Gefühle, Charaktereigenschaften, Charismen und Talente mit »männlichen« und »weiblichen« Eigenschaften sowie deren Ableitung aus sex, also aus biologischen Gegebenheiten. Kritisiert wurde ebenso die Verknüpfung dieser als »männlich« und »weiblich« apostrophierten Eigenschaften mit sozialen und gesellschaftlichen Rollen und Aufgaben, was als ein Grund für eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung mit entsprechenden Zuständigkeiten verstanden wurde. Das anvisierte Ziel war die Überwindung der Vorstellung angeblich natürlich bedingter und damit als unveränderlich angesehener Geschlechterrollen unter der Maßgabe der prinzipiellen Gleichheit von Männern und Frauen – gerade auch im Blick auf die Ebene von gender, unbeschadet ihrer Differenz auf der Ebene von sex. Das heißt: Die natürliche Geschlechtsidentität ist hier kein Thema gewesen, sie wurde selbstverständlich vorausgesetzt. Bestimmend war hier das sogenannte Gleichheitsparadigma, prominent etwa von Simone de Beauvoir vertreten. De Beauvoir führte die Diskriminierung von Frauen auf die Konstruktion der Frau als »die Andere« des männlich konnotierten Subjekts zurück: »Die Menschheit ist männlich, und der Mann definiert die Frau nicht an sich, sondern in Beziehung auf sich; sie wird nicht als autonomes Wesen angesehen. […] Sie wird bestimmt und unterschieden mit Bezug auf den Mann,

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dieser aber nicht in Bezug auf sie; sie ist das Unwesentliche angesichts des Wesentlichen. Er ist das Subjekt, er ist das absolute: sie ist das Andere.«94 Diese Konstruktion der Frau als das Andere wurzle darin, dass die Kategorie des Anderen ein Grundzug des menschlichen Denkens sei, da unser Denken durch die Konstruktion von Gegensätzen geprägt sei. De Beauvoir geht zum einen der Frage nach, wieso Frauen als das Andere männlicher Subjekte konstruiert worden sind. In diesem Kontext findet sich die berühmte Formulierung: »Man kommt nicht als Frau zur Welt. Man wird es. Kein biologisches, psychisches, wirtschaftliches Schicksal bestimmt die Gestalt, die das weibliche Menschenwesen im Schoß der Gesellschaft annimmt. Die Gesamtheit der Zivilisation gestaltet dieses Zwischenprodukt zwischen dem Mann und dem Kastraten, das man als Weib bezeichnet.«95 Zum anderen suchte de Beauvoir nach einer Möglichkeit, wie Frauen sich des Status des Anderen entledigen können. Sie forderte, Frauen als handelnde Subjekte anzuerkennen, weshalb man von einer prinzipiellen Gleichheit von Mann und Frau hinsichtlich von Subjektivität und Freiheit ausgehen müsse: »Jedes Subjekt setzt sich konkret durch Entwürfe hindurch als eine Transzendenz; es erfüllt seine Freiheit nur in einem unaufhörlichen Übersteigen zu anderen Freiheiten, es gibt keine andere Rechtfertigung der gegenwärtigen Existenz als ihre Ausweitung in eine unendlich geöffnete Zukunft. Jedesmal [sic!], wenn die Transzendenz in Immanenz verfällt, findet ein Absturz der Existenz in ein Ansichsein statt, der Freiheit in Faktizität; dieser Absturz ist ein moralisches Vergehen, wenn er vom Subjekt bejaht wird; ist er ihm auferlegt, so nimmt er die Gestalt einer Entziehung und eines Druckes an; in beiden Fällen ist er ein absolutes Übel. Jedes Individuum, das die Sorge hat, seine Existenz zu rechtfertigen, empfindet diese als unendliches Bedürfnis sich zu transzendieren. Was aber nun auf eine eigenartige Weise die Existenz der Frau begrenzt, ist, daß sie, obwohl wie jedes menschliche Wesen eine autonome Freiheit, sich entdeckt und sich wählt in einer Welt, in der die Männer ihr auferlegen, sich als das Andere zu sehen: man bemüht sich, sie zu einem Ding erstarren zu lassen und sie zur Immanenz zu verurteilen, 94 95

Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Hamburg 1989. 10f. Ebd. 265.

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da ja ihre Transzendenz unaufhörlich von einem anderen essentiellen und souveränen Bewußtsein überstiegen wird.«96 Diese Perspektive ist von der Überzeugung bestimmt, dass jeder Mensch ein autonomes Subjekt mit der Macht und der Fähigkeit ist, zu wählen, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen und so die eigene Existenz zu konstituieren und zu konstruieren. Die Freiheit ermöglicht es, sich anderen Freiheiten zu öffnen und sich in einem Akt wechselseitiger Anerkennung auf andere zu beziehen, wie de Beauvoir mit Bezug auf Hegel ausführt. Darin ist die Fähigkeit zur Selbsttranszendenz markiert: Es ist dem Menschen aufgegeben, seine Freiheit zu realisieren und sich selbst zu transzendieren, andernfalls bleibt er in bloßer Immanenz verhaftet. Diese Realisation der Freiheit ist selbst schon eine moralische Handlung wie auch Möglichkeitsbedingung dieser Handlungen. Frauen blieb es verwehrt, diese Fähigkeit zu entfalten, sie waren zur Immanenz verurteilt, da ihnen der Status eines autonomen Subjekts abgesprochen wurde.97 Sie müssen sich daher de Beauvoir zufolge den Subjektstatus erobern und damit das Menschsein im Sinne von Freiheit und Transzendenz verwirklichen – das ist die wahrhaft moralische Handlung von Frauen. Dementsprechend formuliert de Beauvoir eine Ethik der Subjektivität und der Freiheit auch für Frauen unter der Maßgabe formaler Gleichheit von Mann und Frau. Dies steht einer Komplementaritätsthese entgegen, die zwar die gleiche Würde von Männern und Frauen aufgrund ihres Personseins betonte, allerdings auch die als ursprünglich verstandene sexuelle Differenz herausstellte und damit nicht von Gleichheit ausging, sondern von bloßer Gleichwertigkeit und der wechselseitigen Ergänzung beider. Stattdessen stellt das Gleichheitsparadigma heraus: gleiche Würde, gleiche Rechte, prinzipiell gleiche Zuständigkeiten beider Geschlechter auf Basis der Anerkennung der prinzipiellen Zweigeschlechtlichkeit hinsichtlich von sex. In der Feministischen Theorie vollzog sich nun jedoch ab Mitte der Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine grundlegende Veränderung: Das Gleichheitsparadigma wurde massiv kritisiert. Zum einen machten Schwarze Feministinnen wie etwa die Afroamerikanerin Audre Lorde darauf aufmerksam, dass die Auffassung, alle Frauen seien gleich bzw. dann auch gleich unterdrückt, von einem impliziten Rassismus durchsetzt ist, der den Unterschied zwischen privilegierten »weißen« und diskriminierten Schwarzen

96 97

Ebd. 21. Vgl. ebd. 85.

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Frauen verschleiert.98 Diesem Vorwurf hat sich dann auch die Feministische Theologie gestellt und diskutiert und zugleich die Debatte erweitert mit Blick auf die Situation von Frauen beispielsweise in Lateinamerika. Zum anderen stellte die poststrukturalistisch beeinflusste Theorie der sexuellen Differenz den Gleichheitsfeminismus in Frage: Angefragt wurde das Ideal der Gleichheit, die Ideen Subjektivität und Autonomie, die These, dass alle Frauen gleich seien, und schließlich die unhinterfragte Übernahme eines Opferstatus und einer Opferperspektive durch Frauen. Dagegen wurde von Differenzfeministinnen wie Luce Irigaray und den italienischen Philosophinnen aus der Gruppe »Diotima«, allen voran Adriana Cavarero und Luisa Muraro, betont, dass nicht von der Gleichheit aller Menschen, sondern von der grundlegenden Differenz im Menschsein auszugehen sei, der Differenz zwischen Mann und Frau, und dass ebenso Differenzen zwischen Frauen zu konstatieren seien. Dementsprechend könne man von einer weiblichen Identität, einem weiblichen Denken, einem weiblichen Begehren, einer weiblichen Freiheit und einer weiblichen Autorität sprechen. Dieses »Weibliche« sei keinesfalls biologistisch oder essentialistisch zu verstehen; es wurzele vielmehr – so etwa Irigaray im Anschluss an Jacques Lacan – in der Praxis einer symbolischen Ordnung, die bislang männlich bestimmt gewesen sei, und der man eine weibliche symbolische Ordnung gegenüberstellen müsse. Die Frau repräsentiere in der phallisch-väterlichen symbolischen Ordnung des Imaginären das »Andere«, das »Anderswo« und »Außerhalb« dieser Ordnung, also das Reale und damit den Bereich des Dunklen, Unbewussten, Vorreflexiven, Unsagbaren. Damit repräsentiere sie jedoch letztlich das Nichts, welches allein negativ als Mangel, als Fehlen, als »Loch« symbolisiert werden könne.99 Dementsprechend könne sie im Bereich der phallischen symbolischen Ordnung kein eigenes Begehren entwickeln, weil die Struktur des Begehrens an das Symbolische gebunden sei und durch es konstituiert werde. Darum seien Frauen subjekt- und identitätslos, da sich Subjektivität durch Identifikationen im Spiegelstadium ausbilden, die wiederum durch die Struktur des Begehrens motiviert sind.

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99

Vgl. etwa Audre Lorde: Offener Brief an Mary Daly. In: dies.: Lichtflut. Neue Texte. Berlin 1988. 13-17; vgl. hierzu auch Christine Schaumberger: »Das Recht, anders zu sein, ohne dafür bestraft zu werden«. Rassismus als Problem weißer feministischer Theologie. In: dies. (Hg.): Weil wir nicht vergessen wollen… zu einer Feministischen Theologie im deutschen Kontext. Münster 1987. 101-118. Vgl. z.B. Luce Irigaray: Speculum – Spiegel des anderen Geschlechts. Frankfurt a.M. 1980. 180; dies.: Das Geschlecht das nicht eins ist. Berlin 1979. 99.

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Als »Andere« fungieren sie stattdessen als Objekte, Spiegel des männlichen Subjekts: »Das Andere auf das ANDERE des GLEICHEN zu reduzieren. Was auch gedeutet werden könnte als Unterwerfung des Realen unter das Imaginäre des sprechenden Subjekts.«100 Darum ist Irigaray davon überzeugt, dass Frauen niemals Subjekte werden können, da das Subjekt in der herrschenden symbolischen Ordnung stets eine phallisch besetzte Identität begehrt und darum nur durch den Phallus repräsentiert werden könne. Nur unter Aufgabe ihrer Andersheit, ihrer Weiblichkeit, könne die Frau Subjekt dieser Ordnung werden. Statt den Subjektstatus einzufordern, sollten Frauen daher laut Irigaray mimetisch die Position des Anderen innerhalb der symbolischen Ordnung übernehmen, allerdings nicht mit dem Ziel der Anpassung, sondern mit demjenigen der Subversion eben jener Ordnung.101 »Es existiert, zunächst vielleicht, nur ein einziger ›Weg‹, derjenige, der historisch dem Weiblichen zugeschrieben wird: die Mimetik. Es geht darum, diese Rolle freiwillig zu übernehmen. Was schon heißt, eine Subordination umzukehren in Affirmation, und von dieser Tatsache aus zu beginnen, jene zu vereiteln. […] Mimesis zu spielen bedeutet also für eine Frau den Versuch, den Ort ihrer Ausbeutung durch den Diskurs wiederzufinden, ohne sich darauf einfach reduzieren zu lassen. Es bedeutet – was die Seite des ›Sensiblen‹, der ›Materie‹ angeht, – sich wieder den ›Ideen‹, insbesondere der Idee von ihr, zu unterwerfen, so wie sie in/von einer ›männlichen‹ Logik ausgearbeitet wurden; aber, um durch einen Effekt spielerischer Wiederholung das ›erscheinen‹ zu lassen, was verborgen bleiben musste: die Verschüttung einer möglichen Operation des Weiblichen in der Sprache. Es bedeutet außerdem, die Tatsache zu ›enthüllen‹, dass, wenn die Frauen so gut mimen, dann deshalb, weil sie nicht einfach in dieser Funktion aufgehen. Sie bleiben ebensosehr anderswo.«102 Dadurch könnten Frauen eine eigene weibliche Identität und ein weibliches Selbst mit einem eigenen Begehren entwickeln, die es in die herrschende symbolische Ordnung im Sinne eines »Frau-Sprechens« einzuschreiben gelte.103 Dies bedeutet laut Irigaray sowohl die Anerkenntnis weiblicher Genealo-

100 101 102 103

Irigaray: Das Geschlecht das nicht eins ist. 102. Vgl. ebd. 78. Ebd. Vgl. z.B. ebd. 115.

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gien104 als auch die Identifizierung des Weiblichen mit dem Göttlichen, da dieses nichts anderes repräsentiere als das stets begehrte Reale, welches zur Konstitution des eigenen, weiblichen Selbst notwendig sei.105 Dieser Gedanke eines weiblichen Selbst, nicht derjenige des Subjekts, ist für Irigaray die Basis auch der moralischen Praxis von Frauen. Das »Weibliche« wurzelt in der Perspektive Irigarays in der Praxis einer symbolischen Ordnung, die durch den »Phallogozentrismus« und das Gesetz des Vaters bestimmt ist. Die sexuelle Differenz wird hier als bestimmende Matrix der symbolischen Ordnung anerkannt, jedoch in ihrer patriarchalen Interpretation durch Lacan als durch das phallische Begehren bestimmte Ordnung dekonstruiert. Aus dieser Differenzperspektive heraus wurde nicht nur das Gleichheitsparadigma kritisiert, sondern auch eine Politik, die sich am Gleichheitsdenken orientierte – Gleichstellungspolitik mit dem Ziel der Reform von Institutionen und Strukturen. Ebenso wurde die Orientierung an Regeln und Rechten kritisiert. Dagegen rückt der Handlungsspielraum jeder einzelnen Frau im so genannten Raum des Privaten und im alltäglichen Leben ins Zentrum; es geht mehr um Individualmoral denn um die Kritik an gesellschaftlichen Strukturen. Dabei ist die Überzeugung leitend, dass individuelles Handeln von Frauen, die ihre weibliche Freiheit zu realisieren suchen, weitreichende Konsequenzen für die Veränderung der symbolischen Ordnung und damit auch

104 Vgl. ebd. 117-142. 105 Vgl. dies.: Göttliche Frauen. In: dies.: Genealogie der Geschlechter. Freiburg i.Br. 1989. 93-120. Hier: 111. Die italienische Philosophinnengruppe »Diotima« hat diesen Ansatz weiter ausgefaltet, etwa im Hinblick auf die Bedeutung der weiblichen Freiheit, die mit der weiblichen Identität und dem weiblichen Begehren verbunden ist. Die Entdeckung der weiblichen Freiheit sei an die Anerkennung anderer Frauen als weibliche Autoritäten gebunden (affidamento), die zur Entdeckung des eigenen weiblichen Selbst verhelfen und in ihnen die Sehnsucht nach dem Realen wecken. Eine besondere Funktion nehme dabei die Identifikation mit einer »autonomen« und »symbolischen« Mutter ein, deren Rat sich die einzelne Frau freiwillig unterwirft, um zu sich selbst zu finden. Dementsprechend sei der phallisch-väterlichen Ordnung eine symbolische Ordnung der Mutter entgegenzusetzen, in der sich das weibliche Begehren symbolisieren könne. Vgl. hierzu etwa Diotima. Philosophinnengruppe aus Verona: Der Mensch ist zwei. Das Denken der Geschlechterdifferenz. Wien 1989; dies.: Jenseits der Gleichheit. Über Macht und die weiblichen Wurzeln der Autorität. Frankfurt a.M. 1999; dies.: Die Welt zur Welt bringen. Geschlechterdifferenz und die Arbeit am Symbolischen. Frankfurt a.M. 1999; Luisa Muraro: Die symbolische Ordnung der Mutter. Frankfurt a.M.-New York 1993.

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für die politisch-gesellschaftliche Ordnung hat. Auch und gerade die Differenztheorie stellte die Perspektive der Zweigeschlechtlichkeit im Blick auf die verkörperte Existenz und deren Dimension »Geschlecht« nicht in Frage, nahm aber dazu eine andere Position ein als das Gleichheitsparadigma. In den 90er Jahren etablierte sich dann ein neuer Diskurs, der bis heute gemeinhin als Gender-Diskurs oder Gender-Theorie bezeichnet wird. Besonders prominent wurde er von Judith Butler vertreten, und viele Kritiker/innen von Gender-Theorien beziehen sich denn auch vorrangig auf ihren Ansatz, obwohl, wie gesehen, der Genderbegriff nicht auf diese Theorien reserviert ist.106 Butler hinterfragte die bis dahin selbstverständlich vorausgesetzte Unterscheidung von sex und gender und betonte, dass nicht nur gender als sozial erzeugt anzusehen sei, sondern auch sex, also die natürliche Geschlechtsidentität bzw. das uns so vertraute Körperbild von zweigeschlechtlich differenzierten, »männlichen« und »weiblichen« Körpern. Butler führte u.a. in Rezeption Foucaults aus, dass wie jedes Seiende auch der Körper in Diskurse verstrickt ist, genauer hin in gesellschaftlich wirksame Machtdiskurse, die sich in den Körper einschreiben, dabei auf binäre Codes zurückgreifen und den Körper entsprechend normieren und regulieren. Der Körper liegt dieser These zufolge nicht einfach schon »fertig« vor, sondern wird diskursiv bestimmt, konstruiert, erzeugt. Diskursive Praktiken sind Sprachhandlungen, die nicht etwa darin bestehen, eine der Sprache vorgängige Wirklichkeit zu benennen, sondern qua Sprach- und Benennungspraxis Wirklichkeit allererst zu setzen, zu erzeugen. Diskursive Praktiken sind somit wirklichkeitssetzende Handlungen, also performative Akte. Diese Praktiken beziehen sich auf das gesamte Feld dessen, was als »Wirklichkeit« bezeichnet wird, etwa auf den Körper und auf Bilder, die wir uns vom Körper machen, somit auch auf »Geschlecht«. Wie alle Wirklichkeit, so ist also auch der Körper in dieser Perspektive Produkt des Diskurses, wobei, so Butler, es keinen Akteur »hinter« den Diskursen gebe, keinen »Täter hinter der Tat«. Im Zentrum steht für Butler das 106 Vgl. hierzu Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M. 1991; dies.: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt a.M. 1997; dies.: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen. Vgl. zu konstruktivistischen Gender-Theorien neben Butler auch Teresa de Lauretis: Technologies of Gender. Essays on Theory, Film, and Fiction. Bloomington 1987; Donna Haraway: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt a.M. 1995; Elizabeth Grosz: Volatile Bodies. Toward a Corporeal Feminism. Bloomington u.a. 1994; dies.: Space, Time, and Perversion. Essays on the Politics of Bodies. New York u.a. 1995.

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Geschehen, das Walten von Diskursen, in die sämtliche Praxen eingebettet und verstrickt sind, so auch Körperpraxen, -bilder, -codes. Auch »Geschlecht« ist Effekt diskursiver Praxen, und was als natürlich gegeben erscheine, wie etwa der Körper in seiner geschlechtlichen Differenzierung, ist allein Ergebnis kulturell und gesellschaftlich bedingter Benennungspraxen. Wenn aber »Geschlecht« nicht anders zu verstehen ist denn als Effekt diskursiver Praktiken, dann sind ständige Verschiebungen und Wiederholungen des Verständnisses von »Geschlecht« möglich, da ja jede Identifizierung von »Geschlecht« durch die Unendlichkeit der Verschiebung von Zeichen quasi hintergangen werden kann. Die Bedeutung von gender ergibt sich durch diese ständige Zeichenverschiebung, wodurch sich die Bedeutung von gender selbst verschiebt − gender referiert so gesehen auf sich selbst, nicht mehr auf eine vorgängige Identität. Anders formuliert referiert gender auf die ständige Verschiebung der Bedeutung seiner selbst in einer unendlichen Vielfalt performativer Akte, die ein Individuum als Teil des Diskurses unternimmt. Die performative Macht des Diskurses wirkt sozusagen durch die Sprachhandlung des einzelnen Individuums, das dem Diskurs unterworfen und durch ihn geprägt ist, auch hinsichtlich von gender. Der Schöpfer dieser Gestaltungen ist jedoch es nicht selbst, sondern der Diskurs, an dem es partizipiert. Butler beispielsweise hat zwar mittlerweile unmissverständlich klargestellt, dass sie keineswegs die Gegebenheit des Körpers und auch anatomische Gegebenheiten in Frage stellt; sie leugnet nicht die Gegebenheit bestimmter biologischer Prozesse, etwa die zur Fortpflanzung notwendige Verschmelzung von Sperma und Eizelle. Dennoch macht sie darauf aufmerksam, dass wir in Bezug auf diese Vorgänge in einer Sprach- und Benennungspraxis eine sexuelle Differenz gemäß einer binären Logik konstruieren und so auch eine bestimmte Körperpraxis konstituieren – bis dahin, die Konstruktion solcherart geschlechtlich differenzierter Körper als Ursprungskategorie aufzufassen:107 »Gender als eine historische Kategorie zu verstehen bedeutet […], zu akzeptieren, dass Gender, verstanden als ein Verfahren zur kulturellen Konfiguration eines Körpers, der ständigen Neuschöpfung unterliegt und dass ›Anatomie‹ und ›anatomisches Geschlecht‹ nicht ohne kulturelle Prägung sind […]. Die Zuschreibung von Weiblichkeit zu weiblichen Körpern, so als ob diese eine natürliche oder notwendige Eigenschaft wäre, findet in einem normativen Rahmen statt, in dem die Zuordnung von Weiblichkeit zu weiblicher

107 Vgl. Butler: Die Macht der Geschlechternormen. 24.

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Anatomie ein Mechanismus zur Erzeugung von Gender ist. Begriffe wie ›maskulin‹ und ›feminin‹ sind bekanntermaßen austauschbar; jeder der Begriffe hat seine Sozialgeschichte. […] Begriffe zur Gender-Bezeichnung sind somit nie ein für allemal festgelegt, sondern befinden sich ständig im Prozess der Erneuerung.«108 Wo sex, da eigentlich immer schon gender, so könnte man Butlers These salopp formulieren, und die Kritik von gender impliziert dann nicht allein die Kritik an sozialen Rollen, sondern auch an als ebenso sozial verstandenen Körperbildern, die dann wiederum als Legitimationsfolie für bestimmte Rollen etc. dienen.109 Die Kritik von gender schließt somit in dieser Ausrichtung nicht nur Normierungen und Regulierungen von Geschlechterrollen mit ein, sondern vor allem auch diejenige des Körpers und der mit ihm verbundenen Handlungen. Für Butler ist es erforderlich, die tradierten Körperdiskurse zu durchbrechen. Dies ist ihr zufolge durch performative, also wirklichkeitssetzende Akte möglich, die eine andere Wirklichkeit hervorbringen können, so auch eine andere Wirklichkeit von Körperbildern und allem, was daraus folgt. Geschlecht, so Butler, ist nicht etwas, was man einfach nur ist oder als unveränderlich Gegebenes hat, sondern was man in erster Linie tut, hervorbringt. Die performative Macht des Diskurses wirkt sozusagen durch die Sprachhandlung des einzelnen Individuums, das dem Diskurs unterworfen und durch ihn geprägt ist und dabei sich selbst immer wieder neu zu modellieren und gestalten vermag, auch hinsichtlich von gender. Wie bereits dargelegt, ist der Schöpfer dieser Gestaltungen allerdings der Diskurs, an dem das Individuum partizipiert, und nicht dieses Individuum selbst: »Die Forderung, die Kategorie der Geschlechtsidentität außerhalb der Metaphysik der Substanz neu zu überdenken, muß auch die Tragweite von Nietzsches These in Betracht ziehen, dass es kein Seiendes hinter dem Tun gibt, dass die ›Täter‹ also bloß eine Fiktion, die Tat dagegen alles ist. Entsprechend 108 Ebd. 22f. 109 Darin zeigt sich auch, dass die von Kritikerinnen und Kritikern von Gender-Theorien oft geäußerte Behauptung, dass diese fälschlicherweise sex von gender trennen würden, nicht zutrifft. Genau das Gegenteil ist ja der Fall. Eine Trennung von sex und gender vertreten dagegen die klassischen Gleichheits- und Differenztheorien, beide setzen ja noch eine natürliche Geschlechtsidentität fraglos voraus, die dann von einer sozialen Rollenidentität unterschieden wird. Die Kritik fällt somit den Kritikerinnen und Kritikern auf die Füße, weil sie deren Inkompetenz in der Sache entlarvt und damit auch die Seriosität der Kritik zweifelhaft macht.

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können wir in einem weitergehenden Schritt, den Nietzsche übrigens weder vorhergesehen noch geduldet hätte, sagen: Hinter den Äußerungen der Geschlechtsidentität (gender) liegt keine geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity).«110 Wenn nun auch Butlers Verabschiedung einer Akteursperspektive zu kritisieren ist, die mit ihrem Verständnis des Diskurses als quasi allmächtige, beinahe totalitär anmutende Herrschaftsinstanz zusammenhängt, sodass Performanz hier weniger Kreation von Neuem denn ›redigierende‹ Verschiebung des Bestehenden bedeutet, so hat sie doch in bestechend deutlicher Art die Bedeutung performativer Akte für eine selbstbestimmte Lebensführung und Lebensform herausgestellt. Dies hat sie mit einem Plädoyer für die Achtung und Anerkennung des Anderen verbunden, also auch der Pluralität jener Lebensentwürfe und -formen, gerade auch dann, wenn sie nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen.111 Gleichzeitig hat Butler in der Tradition Foucaults darauf aufmerksam gemacht, dass Körperpraxen und Körperdiskurse – folglich auch Geschlechterdiskurse – stets auch eine hegemoniale Seite haben, dass »Diskursmacht« ambivalent ist: Macht im Sinne von Fähigkeit und Vermögen, aber eben auch im Sinne von Herrschaft und Gewalt. Beides kommt in Körperpraxen zum Tragen, und das in sie verstrickte Dasein ist gerade darum immer schon beides: frei und unterworfen, machtvoll und ohnmächtig, autonom und abhängig. Ebenso ambivalent sind die Bedeutungen und normativen Codes, die in diesen Diskursen entstehen und prägend wirken, und diese Ambivalenz erfordert beständige Analyse und Kritik. Dazu gehört auch eine in politischen Diskursen eingesetzte Körpermetaphorik, die nicht mehr nur auf den individuellen Körper abzielt, sondern auf die Imagination eines universalen Körpers, in den die einzelnen Körper eben auch im Modus der Unterwerfung bzw. der Angleichung und Anpassung inkorporiert werden. Gerade hinsichtlich der Konstruktion universaler, kollektiver Körper sind zwei Denkschemata besonders wirkmächtig: die politische Unterscheidung von Freund und Feind sowie die in einem identitätslogischen Grundmuster wurzelnde Verhältnisbestimmung des Eigenen und des Anderen entweder als Inklusion oder als Exklusion, jeweils mit dem Ziel der Sicherung des einheitlichen universalen Körpers. Hier verknüpfen

110 111

Butler: Unbehagen der Geschlechter. 49. Vgl. dies.: Gefährdetes Leben. Politische Essays. Frankfurt a.M. 2005. 154-177.

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sich universale und individuelle Körperkonstruktionen und deren biopolitische Inanspruchnahme. Um die Existenz und die Funktion des kollektiven Körpers zu sichern und zu erhalten, muss zugleich diejenige Funktion der individuellen Körper sichergestellt und erhalten werden, die einen wichtigen Beitrag zur Selbsterhaltung des kollektiven Körpers leistet. Dies erfordert denn auch den Rekurs auf Diskurse, die mit Blick auf den Körper und konkrete Körpercodes Bestimmungen von Norm und Abweichung formulieren. Nicht nur der Körper allein, sondern die Bedeutung von Geschlecht für bestimmte Körperpraxen und Körpercodes ist folglich von politischem Interesse. Im Zentrum des biopolitischen Feldes stehen Codierungen sexueller Identität und Differenz, denn sie prägen Körperbilder und -codes in grundlegender Art und Weise: »Auch der Begriff des ›Körpers‹ ist wie der des Sexes und der Sexualität, immer schon in ein Dispositiv eingefaßt und sogar immer schon biopolitischer Körper und nacktes Leben, und nichts in diesem Körper und in der Ökonomie seiner Lüste scheint uns einen festen Boden und Halt gegen die Ansprüche der souveränen Macht zu gewähren.«112 Die vielfältigen Subjektivationsprozesse in konkrete gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse bis hin zur »Nutzbarmachung« der individuellen Körper für Produktion und Reproduktion z.B. drehen sich häufig auch um die Bestimmungen der sexuellen Identität und Lebensform sowie um Festschreibungen der sexuellen Differenz von »männlich« und »weiblich« und aus ihr gefolgerter Codes, Rollenmuster und Zuschreibungen geschlechtsspezifischer Aufgaben. Dies war schon Gegenstand feministischer Analyse und Kritik gewesen, doch Gender-Theorien gehen hier noch einen Schritt weiter. Denn sie konzentrieren sich nicht nur auf die Kritik tradierter geschlechtlich definierter sozialer Rollen und patriarchaler Strukturen, sondern auf die Kritik von Körperbildern und Körpercodes und damit auch auf sex: »Gleichwohl ist es der Körper, über den Gender und Sexualität anderen Menschen offengelegt werden, in soziale Prozesse einbezogen werden, vermittelst kultureller Normen eingeschrieben werden und in ihren sozialen Bedeutungen erfasst werden. In einem gewissen Sinne bedeutet ein Körper zu sein anderen ausgeliefert zu sein, selbst wenn ein Körper emphatisch ge-

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Agamben: Homo sacer. 196.

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sprochen ›der eigene‹ ist, dasjenige, für das wir Rechte der Autonomie beanspruchen müssen.«113 Dabei bezieht man sich auch auf Normierungen von Männlichkeit, nicht nur von Weiblichkeit, sprengt also die feministische Fokussierung auf Frauen auf, dies aber nicht minder parteilich, wenn auch nicht nur mehr mit Frauen, sondern mit allen, die von biopolitischen Machtmechanismen betroffen sind. An diesem Punkt setzen Konzeptionen der Intersektionalitäts- und Diversitätsforschung an: Die klassische Trias race, Klasse, Geschlecht – allesamt Kategorien, die mit Körperpraxen und entsprechenden hegemonialen Diskursen verknüpft sind, werden nicht (mehr) isoliert voneinander betrachtet, sondern wechselseitig aufeinander bezogen. Denn sie alle sind Momente von Subjektivationsprozessen und von Verhältnissen sozialer Ungleichheit, sie alle sind durch (biopolitische) Machtdiskurse bestimmt und hervorgebracht, und sie bedingen darin einander. Hinzu kommen Forschungen aus dem Feld der disabilty studies, die das Feld der biopolitischen Analysen noch um den Faktor der kognitiven wie körperlichen Beeinträchtigung erweitern, sowie Perspektiven auf die soziale Konstruktion von Kategorien wie Nation oder Alter.114 Das bedeutet: Auch wenn man sich in der Analyse und Kritik von Körperdiskursen auf einen der genannten Aspekte, etwa denjenigen von »Geschlecht«, konzentriert, sind dabei die anderen Kategorien stets mit zu bedenken und im Blick zu behalten. Mit Blick auf die Bestimmung des Leib-Körper-Verhältnisses in Analogie zur Doppelstruktur von Subjekt und Person einerseits und auf die biopolitische Funktion von Körper und Geschlecht sowie auf die Mechanismen der sozialen Konstruktion von Geschlecht durch hegemonial wirksame Körperdiskurse und -praxen andererseits ist abschließend das Verständnis von »Geschlecht« als Dimension verkörperter Existenz zu erläutern, das hier vertreten wird.

113 114

Butler: Die Macht der Geschlechternormen. 40f. Vgl. zur Intersektionalitätsforschung etwa Cornelia Klinger/Gudrun-Axeli Knapp (Hg.): ÜberKreuzungen. Fremdheit, Ungleichheit, Differenz. Münster 2008; Helma Lutz/ Maria-Theresia Herrera Vivar/Linda Supik (Hg.): Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzepts. Wiesbaden ²2013; Katharina Walgenbach: Intersektionalität und Diversity – zwei kompatible Paradigmen? In: ZDfm 3 (2018), 1. 34-48; dies.: Heterogenität – Intersektionalität – Diversity in der Erziehungswissenschaft. Opladen-Toronto 2 2017; Gabriele Winker/Nina Degele: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld 2009.

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Butler u.a. haben darauf aufmerksam gemacht, dass »Geschlecht« unbeschadet bestimmter anatomischer Merkmale des Körpers nicht mehr schlichtweg mit einer an eben jenen Merkmalen gleichsam abgelesenen sogenannten natürlichen Geschlechtsidentität (sex) gleichgesetzt werden kann. Vielmehr schreibt sich das Verständnis von »Geschlecht« analog zu anderen Bestimmungen aufgrund subtiler, hegemonial wirksamer Körperdiskurse und -praxen in den Körper ein. »Geschlecht« liegt damit nie einfach schon natürlich gegeben vor, sondern wird durch diese Einschreibungen sozial konstituiert und konstruiert (gender). Dies ist zu einem zentralen Moment für eine anthropologische Bestimmung von »Geschlecht« geworden, die nicht mehr dem »Mythos des Gegebenen« einer unveränderlichen natürlichen Geschlechtsidentität im Sinne einer »männlichen« oder »weiblichen« Substanz bzw. Natur folgt, die mit anatomischen Merkmalen zusammenfällt. Gleichwohl ist »Geschlecht« eine Dimension verkörperter Existenz – nicht nur im Sinne von gender, sondern durchaus von sex. Doch sex bedeutet hier nicht mehr eine durch Zweigeschlechtlichkeit bestimmte, jeglicher diskursiven Bestimmung vorausgehende und mit anatomischen Merkmalen gleichgesetzte natürliche Geschlechtsidentität, sondern ein besonderes Vermögen des Vollzuges verkörperter Existenz: das Begehren (eros, desire). Das impliziert auch eine Neubestimmung von »Geschlecht«: Gemeint ist keine Klassifikationskategorie (Genus) zur Einordnung des Körpers gemäß des binären Codes männlich/weiblich und der damit verknüpften Konstruktion sexueller Differenz, unterschieden in sex und gender, sondern die Bezeichnung eines Vermögens eines sich verkörpert vollziehenden bewussten Daseins. Damit erhält auch die sex/gender-Differenzierung eine andere Bedeutung. Hierzu bedarf es allerdings auch einer Modifizierung der Theorie Butlers. Denn obwohl Butler betont, dass sie eine »Philosophie der Freiheit« entwickeln und dabei auch und vor allem der Frage nachgehen möchte, wie Menschen im Akt der Anerkennung als Personen anerkannt werden, die sich nicht der herrschenden sozialen Norm bezüglich sexueller Praxen und damit auch gender-Praxen unterwerfen, kritisiert sie zugleich die Voraussetzung eines dem Diskurs vorgängigen »Ich« und damit die Subjektphilosophie – wohl auch deshalb, weil sie den Subjektbegriff unkritisch mit dem Substanzbegriff gleichsetzt. Aber wenn das Ich nicht mehr als dem Diskurs vorgängig verstanden wird, dann fällt sowohl ein grundlegendes Prinzip einer Philosophie der Freiheit als auch ein Prinzip einer Praxis der Anerkennung als Personen. Dementsprechend ist es problematisch, ein »Außerhalb« des Diskurses als selbst schon vom Diskurs erzeugt zu denken, ebenso die soziale Norm, die den Diskurs beherrscht:

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Diskurse fallen nicht vom Himmel, ebenso wenig soziale Normen. Diskurse sind keine autopoietischen, selbstreferentiellen Systeme, sondern sie sind von bewusstem Dasein erzeugt, welches über das Können, das Vermögen – die Freiheit verfügt, Diskurse zu erzeugen, Normen zu setzen. Anders als in Butlers Theorie wird hier somit eine Theorie verkörperter Existenz vertreten, die diese als bewusstes Dasein verstehen, und das heißt: mit der Doppelstruktur von Subjekt/Person bzw. Leib/Körper versehen, wiewohl sowohl »Subjekt« als auch »Leib« keine eigenständigen Entitäten sind, sondern Perspektiven, die dem verkörperten Dasein zukommen, genauer hin der Erste-Person-Perspektive, die den Vollzug all seiner Vermögen begleitet. Ein solches Vermögen ist nun hinsichtlich des Verständnisses dessen, was »Geschlecht« als Dimension verkörperter Existenz bedeutet, entscheidend: das Vermögen zu begehren. Damit ist nicht etwa nur das intelligible Vermögen des Willens gemeint, wiewohl im Begehren stets auch Mentales zum Ausdruck kommt und durch mentale Vollzüge mitbestimmt ist. Doch das Begehren ist vor allem Affekt, Emotion, Trieb, Interesse, Neigung. Eros ist dynamis, eine Kraft, Energie, Macht, die eine Körperpraxis darstellt, zugleich durch Körperpraxen bestimmt ist, und die auf den Willen einwirkt und diesen unterwandert. Ihm wohnt eine unkontrollierbare Macht inne, die sich dem Zugriff des Intellekts entzieht, etwas Unverfügbares, etwas, was sich diskursiven Bestimmungen und Codierungsversuchen entzieht.115 Dem Begehren eignet etwas im positiven Sinne Abgründiges, Negatives, Unsagbares, NonReflexives. Das Dasein kann vieles begehren: Dinge, Güter, ja das Erleben bestimmter Ereignisse oder Gefühle, die als begehrte Objekte erotisch aufgeladen werden können. Es kann aber auch andere Personen begehren, zu denen es in Beziehung steht. Dieses Begehren anderer Personen, der auf anderes Dasein bezogene Eros, kann wiederum im engeren Sinn als sexuelles Begehren bezeichnet werden. Erst durch dieses Begehren kann mir in der Welt überhaupt eine andere Person als erotisch anziehend erscheinen. Andere Personen werden sozu-

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Vgl. hierzu auch Michel Foucaults Reflexionen zum »Außen« bzw. »Außerhalb« des Diskurses und dessen Korrespondenz mit dem Begehren bzw. sex in: Michel Foucault: Von der Subversion des Wissens. Frankfurt a.M. 1987, sowie Jacques Lacans Überlegungen zum Realen als »Anderswo« der symbolischen Ordnung und dessen Bedeutung für das Begehren in: Jacques Lacan: Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse. Das Seminar von Jacques Lacan. Buch II (1954-55). Weinheim-Berlin 1980. 37 und 128.

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sagen erst dadurch sexualisiert, dass das Dasein selbst schon über das Vermögen des Begehrens verfügt. Jenes Begehren anderer Personen wiederum lässt sich auch als sex bezeichnen. Sex ist dann nicht gleichbedeutend mit Genus, sondern mit einer Spezifikation des Erotischen, nämlich dem Vermögen sexuellen Begehrens. Dieses Vermögen gehört dem Vollzug verkörperten bewussten Daseins hinzu, und ihm ist wie allen Vermögen die Erste-Person-Perspektive beigesellt, die in Bezug auf die Körperpraxen des Daseins auch als LeibPerspektive (im Sinne des eigenleiblichen Spürens) bezeichnet werden kann. Sex ist aber als Vermögen des Daseins ebenso wie »Subjekt« oder »Leib« eine rein formale Größe; sex existiert nicht im Sinne einer allen Vollzügen des Daseins vorausliegenden Substanz oder Natur, sondern realisiert sich allererst als Vollzug und in Bezug auf Andere, also in der Personperspektive bzw. Körperdimension bewussten Lebens. In diesem Vollzug wird sex immer schon zu gender: Dem Begehren als Praxis des Körpers schreiben sich Bedeutungen ein, die diskursiv erzeugt sind, Machtdispositive, die nicht nur auf den Körper im Allgemeinen, sondern auf Sexualität, sex, im Besonderen bezogen sind, Codierungen, die auch eine biopolitische Funktion besitzen. Sex tritt immer schon als gender auf, und darin soll das Unsagbare sagbar, das Unkontrollierbare kontrollierbar, das dem Diskurs Entzogene diskursiv bestimmbar werden. Sex, das nondiskursive »Anderswo« des Diskursiven, wird einerseits als dieses »Anderswo« imaginiert, und als dieses »Anderswo« besitzt es sowohl Faszination als auch Schrecken. Was sich der Kontrolle entzieht, etwa der Kontrolle des Intellekts und des Willens, besitzt subversive Kraft, und was subversiv ist, erscheint auch als bedrohlich, weil es die herrschende Ordnung stört, weil es die (vermeintliche) Stabilität der je eigenen Identität ins Wanken bringt, weil es vermeintliche Gewissheiten durcheinanderwirbelt. Zu den Konstruktionen von sex als gender gehört nun auch die Codierung des Begehrens durch die Konstruktion der sexuellen Differenz. Sex wird zweigeschlechtlich klassifiziert und erhält so seine Bedeutungsverschiebung vom Begehrensvermögen hin zu einer natürlichen Geschlechtsidentität unter dem Vorzeichen sexueller Differenz, und »Geschlecht« bedeutet nicht mehr sex im Sinne des sexuellen Begehrens, sondern Genus, also eine Klassifikationskategorie unter der Maßgabe der Zweigeschlechtlichkeit.116

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Daran ändert im Übrigen auch die Hinzufügung eines sogenannten dritten Geschlechts etwa unter der Bezeichnung »divers« nichts. Der binäre Code männlich/weiblich wird dadurch nicht wirklich aufgesprengt, sondern bildet die Ursprungsklassifikation von »Geschlecht« im Sinne von Genus. Aufgesprengt wäre das Dispositiv der Ein-

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Die »Leib Christi«-Metapher

2.5 …und die Freiheit? Gerade angesichts der Dimension der Verkörperung bewussten Daseins stellt sich die Frage danach, ob bzw. inwiefern es als frei bestimmt werden kann, da sich die verkörperte Existenz ja als zutiefst bedingt erweist.117 Dennoch lässt sie sich auch als frei kennzeichnen, wenn man sich nicht nur auf den Aspekt der negativen »Freiheit wovon«, also Autonomie, konzentriert, auch nicht allein auf die Freiheit einzelner Vermögen wie diejenigen des Wollens oder Handelns, sondern auf die positive »Freiheit wozu«, auf die Fähigkeit zum Neubeginnen und Anderskönnen. Diesen Aspekt positiver Freiheit stellte neben Immanuel Kant vor allem Hannah Arendt heraus: Kreativität ist ein zentrales Kennzeichen der Freiheit bzw. der von Arendt so bezeichneten Handlungsmacht.118 Das bedeutet nicht, dass das Handeln keinen Bedingungen unterworfen ist; als Handeln in der Welt ist es den Grenzen unterworfen, denen das Dasein unterliegt. In seiner Spontaneität jedoch eignet dem Handeln analog zur Freiheit ein Moment Unbedingtheit – die unberechenbare und alle Bedingtheit unterbrechende Unbedingtheit des Anfangs, des Neubeginns. Darin ist Handeln nicht determiniert, sondern auf eine offene Zukunft hin ausgerichtet; der Ausgang ist ebenso unberechenbar wie der Anfang.119 Dieser Handlungsbegriff schließt nicht nur die Bestimmung der Freiheit mit ein, sondern auch das Verständnis der Handlung nicht einfach nur als Geschehen, als Ereignis, sondern als Akt eines handelnden »Jemand«. Handeln unterscheidet sich als freier Akt eines »Jemand« vom Wirken eines »Etwas«, wobei Arendt darauf hinweist, dass im Handeln Tun und Erleiden, Aktivität bzw. Spontaneität und Passivität bzw. Rezeptivität, zusammenfallen.120

und Zuordnung erst, wenn man gänzlich auf die Kategorisierung von »Geschlecht« verzichten würde. »Divers« wäre dann auch kein angeblich »drittes Geschlecht«, sondern die Bezeichnung für die Vielfalt sexuellen Begehrens. Divers ist ein jegliches Dasein in seinem Begehren, und damit ist die Bezeichnung »divers« für eine Geschlechtsklassifikation neben den tradierten Klassifikationen »männlich« und »weiblich« genau besehen unsinnig. 117 Vgl. hierzu ausführlich Saskia Wendel: In Freiheit glauben. Grundzüge eines libertarischen Verständnisses von Glaube und Offenbarung. Regensburg 2020. 118 Vgl. hierzu Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München 11 2013. 119 Vgl. ebd. 240. 120 Vgl. ebd. 236f.

2. Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen

Ausgehend von der Kreativität lässt sich wiederum die Möglichkeit von Autonomie denken, unbeschadet der Begrenzungen, denen Dasein unterworfen ist. Denn die Fähigkeit zum Neubeginnen eröffnet einen Spielraum des Verhaltenkönnens, der diese Begrenztheit nicht negiert, das Dasein jedoch auch nicht zum puren Spielball von Machtdiskursen werden lässt. Vielmehr wird so deutlich, dass diese Diskurse erstens selbst schon durch das Dasein kraft seines kreativen Vermögens hervorgebracht sind, folglich nicht aus dem Nichts emergieren, und dass diskursive Praxen – anders als etwa von Foucault oder Butler behauptet – durchaus ein handelnder »Jemand«, eine Akteurin zugrunde liegt, die diese Praxen vollzieht. Kurz gesagt: Diskurse sind nicht nur Ereignisse, sondern als Praxen gerade auch Handlungen. Das solcherart als frei bestimmte Dasein realisiert Freiheit in seiner Relation auf Andere und Anderes, in seinem konkreten In-der-Welt-Sein, und gemäß der Doppelstruktur bewussten Lebens als Subjekt/Person bzw. Leib/ Körper. Freiheit realisiert sich in kommunikativen Akten, gestaltet sich in unterschiedliche Körperpraxen aus. Sie konkretisiert sich nicht als rein mentales Geschehen, sondern als verkörperte Handlung, vor allem im Blick auf die Begehrensdimension des Wollens und Entscheidens und auf die Körperpraxis des Hervorbringens und Gestaltens. Freiheit ist solcherart immer schon »inkarniert« und inkorporiert, und sie ist auf Andere und Anderes hin eröffnet, ist somit personal bzw. relational verfasst. Mit Hermann Krings lässt sich hier auch von einem wechselseitigen, auf materiale Bestimmung hin eröffneten Sich-Öffnen und Sich-Entschließen sprechen: »Der Begriff Freiheit ist mithin ab ovo ein Kommunikationsbegriff. Freiheit ist primär nicht die Eigenschaft eines individuellen Subjekts, die allein für sich bestehen und begriffen werden könnte; vielmehr ist der Begriff des individuellen Subjekts erst durch jenen Kommunikationsbegriff verstehbar. Empirisch bedeutet das: ein Mensch allein kann nicht frei sein.«121 Was nun für jegliches bewusste Leben als verkörperte Existenz gilt, gilt der oben erwähnten anthropologischen Basis der Christologie gemäß auch für Jesus von Nazareth. Andernfalls wäre in ihm Gott erstens nicht wirklich Mensch und zweitens insbesondere nicht »Fleisch« geworden; Jesus wäre dann vielleicht eine besonders von Gott inspirierte Person, nicht aber göttliche Inkarnation. Und auch das Erlösungsgeschehen schließt diese Verkörperung not121

Hermann Krings: Handbuchartikel »Freiheit«. In: ders.: System und Freiheit. Gesammelte Aufsätze. Freiburg i.Br. 1980. 99-130. Hier: 125.

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Die »Leib Christi«-Metapher

wendigerweise mit ein, eben weil es um die Erlösung verkörperter Existenz geht – »was nicht angenommen ist, ist auch nicht erlöst.« Im Sinne des Eingehens Gottes in alle Bereiche endlicher Existenz ist hier auch der kenotische Aspekt der Menschwerdung zu nennen, folglich auch in deren Unterworfensein unter hegemoniale Diskurse. Gott wird Mensch, das heißt auch: zum Teil und Moment von Diskurspraxen, von Performanz – und damit der Ambivalenz, die diese kennzeichnet: Handlungsmacht und Ohnmacht, Freiheit und Unterwerfung.122

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Was Butler über menschliche Körper schreibt, gilt denn auch für den Körper Jesu: »Der Körper impliziert Sterblichkeit, Verwundbarkeit, Handlungsfähigkeit: Die Haut und das Fleisch setzen uns dem Blick anderer aus, aber auch der Berührung und der Gewalt; und Körper bergen die Möglichkeit, daß auch wir selbst zur Handlungsinstanz und zum Instrument alles dessen werden.« (Butler: Gefährdetes Leben. 43).

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Was folgt nun aus den skizzierten Überlegungen zur verkörperten Existenz bis hin zur Reflexion über die Konstruktion von »Geschlecht« für das Verständnis des »Leibes Christi«? Unbeschadet der theologischen Konflikte um das Verständnis Jesu als »Gottmensch« und um die damit verknüpfte Verhältnisbestimmung von Göttlichkeit und Menschlichkeit der Person Jesu gibt es keinen Zweifel daran, dass Jesus – so betont es auch das traditionelle christologische Bekenntnis – voll und ganz Mensch gewesen ist, »wahrer Mensch«. Damit wurde jeglichem Monophysitismus bzw. Doketismus eine klare Absage erteilt. Jesus von Nazareth war kein auf Erden wandelnder Gott im menschlichen Gewand, sondern ein Dasein, das wir »menschlich« nennen, und wie ein jegliches Dasein vollzog er seine Existenz als bewusstes Leben. Damit gilt auch für ihn die anthropologische Bestimmung bewussten Lebens: die ontologische Verpflichtung auf die Einheit von Mentalem und Physischem im Bewusstsein und die epistemologische Differenzierung von Subjekt- und Objekt- bzw. Personperspektive im Vollzug des Bewusstseins und seiner Vermögen. Auch für ihn gilt die Bestimmung verkörperter Existenz und die damit verknüpfte Unterscheidung von Leib und Körper bzw. subjektivem und objektivem Körper. Diese anthropologische Grundierung der Christologie ist für die folgende Reflexion der Bedeutung und der unterschiedlichen Deutungen der »Leib Christi«-Metapher entscheidend, denn nur von ihr her erschließen sich ihr traditioneller Gebrauch und die Kritik daran sowie der Vorschlag zu einem anderen Gebrauch der angestammten Metapher. Dabei gilt es zunächst zu beachten, dass »Leib Christi« in zweifacher Hinsicht fungiert: als Begriff (im Blick auf die individuelle Bedeutung des Ausdrucks) und als Metapher (im Blick auf die universale Bedeutung).

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Die »Leib Christi«-Metapher

3.1 »Leib Christi« – Begriff und Metapher »Leib Christi« besitzt sowohl eine individuelle als auch eine universale Bedeutung. In individueller Hinsicht bezieht sich »Leib Christi« auf den Körper einer konkreten Person, Jesus von Nazareth – das eingangs erwähnte Gebet Corpus Christi salva me zielt zunächst auf diesen Körper Jesu und damit auf die konkrete verkörperte Existenz mit dem Namen »Jesus von Nazareth« ab.1 Allerdings hat »Leib Christi« nicht nur eine individuelle Bedeutung, sondern auch eine universale.2 In universaler Perspektive bedeutet »Leib Christi« zum 1

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In dieser individuellen Bedeutung wurde »Leib Christi« zunächst auch von Paulus gebraucht, und zwar in Bezug auf den Todesleib Jesu (vgl. etwa Röm 7,4), wiewohl dieser individuelle Leib bei Paulus zugleich universale Bedeutung in soteriologischer Hinsicht erhält, und dies vor dem Hintergrund eines korporativpersönlichen Verständnisses des Leibes Christi. Darauf ist im Folgenden noch näher einzugehen. Vgl. hierzu Hansjürgen Verweyen: Gottes letztes Wort. Grundriß der Fundamentaltheologie. Dritte, vollständig überarbeitete Auflage. Regensburg 2000. 392-400; Sabine Mirbach: »Ihr aber seid Leib Christi«. Zur Aktualität des Leib-Christi-Gedankens für eine heutige Pastoral. Mit einem Vorwort von Jürgen Werbick. Regensburg 1998. Die traditionelle Identifikation des Körpers Jesu mit dem »Leib Christi« blendet allerdings die Differenzierung zwischen subjektivem Leib und objektivem Körper bzw. formaler Leibperspektive und konkreter Körperpraxis aus. Es wird zu zeigen sein, inwiefern die Bezeichnung »Leib Christi« in anderer Art und Weise diese Differenzierung berücksichtigen kann. Vgl. auch die Dreiteilung des »Leib Christi-Begriffs« bei Henri de Lubac: »Denn einer ist der von der Jungfrau Maria geborene und zum Himmel aufgefahrene Leib, ein anderer der täglich neugeschaffene und konsekrierte, ein dritter schließlich der, den wir bilden und der das Sakrament empfängt…« (Henri de Lubac: Corpus Mysticum. Kirche und Eucharistie im Mittelalter. Eine historische Studie. Einsiedeln 1969. 40). De Lubac bezog sich hier explizit auf Gottschalk von Orbais, der wiederum von Augustinus geprägt war. Die genannte Dreiteilung umfasst also den individuellen (hier historisch genannten) »Leib Christi« , und den universalen, wiewohl bei de Lubac sakramententheologisch und ekklesiologisch, nicht aber soteriologisch und kosmologisch verstanden. Die universale Perspektive schließt an das patristische Motiv des »mystischen Leibes Christi« an, also des unsichtbaren, vom irdischen Christuskörper unterschiedenen Leibes Christi. Graham Ward spricht hier auch von der transcorporeality des Leibes Christi, der alle zerbrochenen und fragmentierten konkreten Körper einschließe. Vgl. hierzu etwa Graham Ward: Cities of God. London-New York 2000; vgl. hierzu auch ausführlich Miriam Leidinger: Verletzbarkeit gestalten. Eine Auseinandersetzung mit ›Verletzbarkeit‹ anhand der Christologien von Jürgen Moltmann, Jon Sobrino und Graham Ward. Regensburg 2018. 214-227. Auf Ward wird im Kontext der Deutungen des Körpers Jesu unter der Perspektive von sex, gender und desire nochmals eingegangen.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

einen in kosmologischer Hinsicht das Verständnis des gesamten Universums als Verkörperung Gottes, die dann allerdings christlich als »Leib Christi« spezifiziert wird, analog zum Bekenntnis der Inkarnation Gottes in der Person Jesu. Der universale Christuskörper wird somit kosmologisch verstanden, und hier kommen neben dem traditionellen Gedanken der incarnatio continua in der ganzen Schöpfung auch panentheistische Überzeugungen zum Ausdruck, die dann christologisch zugespitzt werden.3 Zum anderen kann der universale Christusleib aber auch eine soteriologische Bedeutung besitzen: In Christus sind alle erlöst, und »Leib Christi« ist dann gleichbedeutend mit einem universalen Heilsraum, an dem alle partizipieren; hier wird der individuelle Christuskörper gleichsam zu einer Korporativpersönlichkeit extrapoliert, die als solche universale Erlösung erwirken kann.4 Daran knüpft insbesondere

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Dieses universale, kosmologische Verständnis des Christuskörpers findet sich etwa schon in frühchristlichen Theologien, so besonders prominent bei Origenes. Vgl. zur Ideengeschichte des Motivs der Verkörperung Gottes in der Antike allgemein Christoph Markschies: Gottes Körper. Jüdische, christliche und pagane Gottesvorstellungen in der Antike. München 2016. Eine kosmologische Christologie in Bezug auf das Motiv der immerwährenden Inkarnation einerseits und auf eine universale »Leib Christi«Vorstellung andererseits findet sich auch bei Nikolaus Cusanus. Im 20. Jh. wird das Verständnis des Universums als Christuskörper dann vor allem von Teilhard de Chardin, Raimon Panikkar und in verschiedenen prozesstheologischen Konzeptionen vertreten. Auf diese unterschiedlichen Konzepte wird später in einem eigenen Kapitel näher eingegangen. Die Unterscheidung zwischen individuellem und universalem »Leib Christi« spiegelt die Differenz zwischen singulärer und immerwährender Inkarnation sowie die Kontroversen, die sich in Bezug auf diese Differenz ergeben: Widerspricht die Überzeugung von der immerwährenden Inkarnation derjenigen der Singularität des Inkarnationsgeschehens in Jesus von Nazareth? Handelt es sich bei Letzterem um einen Mythos, wie etwa John Hick formulierte, den man zugunsten der Idee einer göttlichen incarnatio continua sowohl in einem jeglichen bewussten Dasein als auch im Universum als Ganzem aufzugeben hat, zumal der Singularitätsgedanke mit einem Superiorismus verknüpft gewesen ist? Auch darauf wird nochmals näher einzugehen sein. Dieser Gedanke prägt das Paulinische »Leib Christi«-Verständnis, allerdings in heilsexklusivistischer Perspektive: Am universalem Heilsraum »Leib Christi« partizipieren alle Getauften, da in diesen Heilsraum hineingetauft – und damit eben nur die Getauften. Vgl. zum Verständnis Christi als Korporativpersönlichkeit und damit verknüpft zum soteriologischen Verständnis von »Leib Christi« als universaler Heilsraum vor allem in Bezug auf entsprechende Überlegungen Hans Urs von Balthasars ausführlich Verweyen: Gottes letztes Wort. 393-396; Mirbach: »Ihr alle seid Leib Christi«. Vgl. kritisch dazu Hartmut Westermann: Zur Genese der paulinischen Organismusanalogie. Historische

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Die »Leib Christi«-Metapher

das ekklesiologische Verständnis von »Leib Christi« als traditionelle Grundbestimmung der Kirche (»mystischer »Leib Christi« «) an: Die Kirche ist in dieser Perspektive Prolongation des durch Christus eröffneten Heilsraums, wirkt daher in ihrem sakramentalen Handeln heilsvermittelnd und ist so selbst Sakrament von Christus her.5 Es wurde bereits angemerkt, dass der Ausdruck »Leib Christi« auch noch in einer anderen Hinsicht ausdifferenziert werden kann, nämlich hinsichtlich seiner Funktion als Zeichen im Sprachgebrauch und damit in der theologischen Rede im engeren Sinn und damit hinsichtlich der Unterscheidung von Begriff und Metapher. Meines Erachtens existiert eine Verknüpfung zwischen der Unterscheidung von begrifflichem und metaphorischem Gebrauch des Ausdrucks und derjenigen seiner individuellen und universalen Bedeutung. In individueller Hinsicht, so meine These, handelt es sich um einen begrifflichen Gebrauch. Denn »Leib Christi« bedeutet zunächst einmal die verkörperte Existenz »Jesus von Nazareth«. Denn »Christus« und »Jesus« sind anders als im theologischen Sprachgebrauch häufig übermittelt nicht als zwei unterschiedlichen Entitäten zu verstehen – hier der Mensch Jesus, dort der als Christus bezeichnete göttliche Logos. Zwar vermischten sich in der christlichen Tradition die Bezeichnungen »Logos« und »Christus«, so wie sich auch »Logos« und »Sohn Gottes« vermischten, so dass die drei Bezeichnungen zu Synonymen im tradierten theologischen Sprachgebrauch wurden. Im Blick darauf zielte der Ausdruck »Leib Christi« bereits auf das Verständnis Jesu als inkarnierter Logos, als »Gottmensch« ab. Doch zunächst einmal bedeutete die Bezeichnung Jesu als Christus nichts anderes als die Übersetzung des MessiasTitels, den judenchristliche Gemeinden auf ihn appliziert hatten: Jesus ist der Christus unter der Hinsicht, dass er von denen, die ihm nachfolgten, als »Gesalbter«, also als »Messias« bzw. »Christus« verstanden wurde. »Leib Christi« bezeichnet dann nichts Anderes als Jesus, gedeutet als »Gesalbter«, und zwar unter besonderer Berücksichtigung seiner verkörperten Existenz.6 Und unter

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Bemerkungen und ideologiekritische Intuitionen. In: Reményi/Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. 73-90. Hinzu kommt eine sakramententheologische universale Bedeutung von »Leib Christi« als Bezeichnung des eucharistischen Brotes. Dies wird allerdings in den folgenden Überlegungen ausgeklammert. Im Übrigen verweist gerade die Bezeichnung »Gesalbter« auf diese verkörperte Existenz Jesu bzw. auf eine bestimmte rituelle Körperpraxis: die Salbung als symbolischer Akt der Einsetzung von Priestern, Propheten und Königen im altorientalischen Kontext. Die Deutung Jesu als Messias im Neuen Testament knüpft insofern an diese Kör-

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

der Voraussetzung der Doppelstruktur von Leib und Körper bedeutet der individuelle »Leib Christi« dann die Erste-Person-Perspektive der als »Christus«, also als »Messias« gedeuteten verkörperten Existenz mit Namen »Jesus von Nazareth«. In dieser Hinsicht also wird »Leib Christi« nicht metaphorisch, sondern begrifflich verwendet, denn es findet keine Übertragung aus einem Wirklichkeitskontext in einen anderen hinein, verbunden mit uneigentlicher Bedeutung, statt. Man könnte einwenden, dass es sich bei der »Christus«-Applikation aber doch auch darum handelt, zwei unterschiedliche Bereiche zueinander in ein Verhältnis zu setzen, nämlich diejenigen von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit, und darum, die Koinzidenz von Logos und Jesus (»Gottmensch«) sprachlich zum Ausdruck zu bringen. »Leib Christi« referierte dann auf das Bekenntnis zur Inkarnation des Logos in Jesus und könnte dann auch als Metapher verstanden werden, so wie man Jesus selbst dann auch in gewisser Hinsicht als Metapher Gottes, als Übertragung göttlicher in menschliche Wirklichkeit hinein, verstehen könnte. Das wäre allerdings nur dann der Fall, wenn Christus und Logos synonym verwendet werden, wobei es sich dabei aber bereits um eine Bedeutungsverschiebung der Bezeichnung »Christus« handelt. Und selbst dann, wenn man Beide synonym verwendet, läge noch kein metaphorischer Sprachgebrauch vor, sondern eine Analogie. Denn auch die Analogie setzt zwei unterschiedliche Wirklichkeitsdimensionen zueinander in Beziehung: Unterschiedenes (hier die konkrete verkörperte Existenz Jesu und die Inkarnation des göttlichen Logos) wird zueinander in ein (proportionales oder attributives) Verhältnis der Analogie gesetzt. Anders als bei dem Gebrauch einer Metapher findet jedoch keine Übertragung eines Bereichs auf einen anderen statt, sondern es wird ein Entsprechungsverhältnis hergestellt, indem die Analogie auf Eines hin ausgesagt ist, im Falle von »Leib Christi« auf den als »Gottmenschen« verstandenen Jesus von Nazareth. Hinzu kommt, dass »Leib Christi« in seiner individuellen Bedeutung durchaus reflexiv (also begrifflich bestimmend) und in begründender Funktion und nicht nur narrativ (also hermeneutisch vermittelnd) und in illustrierender bzw. auslegender Funktion gebraucht wird. Metaphern dagegen konkretisieren diese analogbegriffliche Rede, und sie suchen darin eine besondere hermeneutische Über-

perpraxis an, als sie jene Salbungspraxis in der Überlieferung der Salbung Jesu explizit aufgreift.

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Die »Leib Christi«-Metapher

setzungsleistung zu erbringen, die der Begriff in seiner Abstraktion nicht erfüllen kann.7 Begriffe können nun, unbeschadet ihrer bestimmenden Funktion, durchaus mehrdeutig sein, insbesondere wenn sie in analoger Art und Weise gebraucht werden. Folglich können sie, wenngleich auf Eines hin bezogen, auch Raum für vielfache Deutung eröffnen.8 Diese Deutungen werden unter anderem auch durch performativen Sprachgebrauch hergestellt, durch wirklichkeitssetzende Akte also. Dies gilt auch für die begriffliche Funktion des Ausdrucks »Leib Christi«, verstanden als Analogie: Er ist keineswegs eindeutig, sondern mehrdeutig; diese Deutungen werden auch durch performative Akte hergestellt, die in größtmöglicher Entsprechung, in einer »Familienähnlichkeit«9 zur verkörperten Existenz Jesu zu stehen suchen, diese aber niemals univok aussagen können. Man könnte hier auch im Anschluss an Überlegungen von Walter Benjamin und Theodor W. Adorno über den Begriff der Konstellation von einer konstellativen Funktion sprechen, die dem analog verwendeten Begriff »Leib Christi« zukommt. Die Konstellation begrifflicher Bestimmungen stellt Entsprechungsverhältnisse zwischen Unterschiedenem her, die gleichwohl auf einen Gegenstand hin ausgesagt werden:

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Vgl. zur Differenz von Analogie und Metapher auch Hans Georg Coenen: Analogie und Metapher. Grundlegung einer Theorie der bildlichen Rede. Berlin-New York 2002. Vgl. hierzu auch Aristoteles’ Kennzeichnung der Analogie: »Das Seiende wird in mehrfacher Bedeutung ausgesagt, aber immer in Beziehung auf Eines und auf eine einzige Natur und nicht nach bloßer Namensgleichheit; sondern wie alles, was gesund genannt wird, auf Gesundheit hin ausgesagt wird, indem es dieselbe nämlich erhält oder hervorbringt, oder ein Zeichen derselben, oder sie aufzunehmen fähig ist, und wie etwas ärztlich heißt in Beziehung auf die Arzneikunde, entweder weil es die Arzneikunde besitzt oder zu ihr wohl befähigt oder ein Werk derselben ist; und wie wir dasselbe beim Gebrauch der übrigen Wörter finden werden: ebenso wird auch das Seiende zwar in vielfachen Bedeutungen ausgesagt, aber doch alles in Beziehung auf ein Prinzip.« (Aristoteles: Metaphysik. Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von William Christ. Hamburg 4 2009. IV, 2. 1003a 33 1003b 6). Der Ausdruck »Familienähnlichkeit«, den Ludwig Wittgenstein geprägt hat, entspricht meines Erachtens demjenigen der Analogie, begreift man diese nicht als partizipationsontologisches Entsprechungsverhältnis im Sinne der analogia entis, sondern als Form des Sprachgebrauchs bzw. der Begriffsbildung, bezogen auf einen ganz besonderen Zweck und in bestimmter Hinsicht.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

»Als Konstellation umkreist der theoretische Gedanke den Begriff, den er öffnen möchte, hoffend, daß er aufspringe etwa wie die Schlösser wohlverwahrter Kassenschränke: nicht durch einen Einzelschlüssel oder eine Einzelnummer sondern eine Nummernkombination.«10 Vielfaches kann über Seiendes ausgesagt werden, so auch über das, was »Leib Christi« genannt wird, und dennoch wird es nicht arbiträr oder willkürlich, da das Vielfache als Konstellation auftritt: »Indem die Begriffe um die zu erkennende Sache sich versammeln, bestimmen sie potentiell deren Inneres«.11 Der Gebrauch von »Leib Christi« verschiebt sich jedoch von der Analogie hin zur Metapher, wenn der Ausdruck entgegen seines »eigentlichen« Gebrauchs auf einen anderen Seinsbereich übertragen und nicht mehr auf Eines hin ausgesagt wird. Dies geschieht in der Verschiebung von der individuellen zur universalen Bedeutung. Dann irritiert der Ausdruck, er löst, um es mit Jürgen Werbick zu sagen, einen »semantischen Schock« aus, und gerade dadurch fungiert er nicht allein begrifflich, sondern metaphorisch.12 Denn im Blick auf diese universale Bedeutung besteht ja keine Analogie mehr zu einer individuellen verkörperten Existenz: das Universum als »Leib Christi« zu bezeichnen ist ebenso »uneigentlicher« Sprachgebrauch wie die Bezeichnung der Kirche als Christusleib, oder auch die Bezeichnung des erwirkten Heils in Anlehnung an die Vorstellung eines Heilsraums bzw. eines allumfassenden »Körpers«, der alle, die an ihm teilhaben, erlöst.13 Genau wie begriffliche 10 11 12

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Adorno: Negative Dialektik. 166. Ebd. 164f. »Sie [die Metapher, SW] bringt eben nicht festlegend zur Sprache, wodurch und worin er [der Andere, SW] sich darstellt und kommuniziert. In ihr ereignet sich sprachlich Freiheit, so dass sie jener Freiheit der Selbst-Expression entsprechen kann, die der Hör- und Wahrnehmungsbereite in seiner Geschichte mit dem anderen gerade an den überraschenden – enttäuschenden wie beglückenden – Wendungen dieser Geschichte erspürt. Der semantische Schock spiegelt solche Wendungen, spiegelt die Überraschung, die mir aufgehen lässt, wie wenig ich den anderen mit meinen Zuschreibungen festlegen kann, wie ›problematisch‹ und spannungsvoll jede Zuschreibung bleiben muß. […] Gerade das Zusammennehmen des naheliegenden Unverträglichen lässt uns ›keine Ruhe‹, erzeugt jene Spannung, die nur in der Revision der eingeübten semantischen Festlegungen ausgetragen werden kann.« (Jürgen Werbick: Bilder sind Wege. Eine Gotteslehre. München 1992. 69). Eine anthropologische Basis für ein universales Verständnis der Verkörperung Gottes ist jedoch dann möglich, wenn man die incarnatio continua Gottes nicht primär kosmologisch denkt, also mit dem Universum, dem maximal Größten, gleichsetzt, sondern mit der Vergegenwärtigung Gottes im maximal Kleinsten, d.h. in einem jeden bewuss-

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Bestimmungen haben auch Metaphern eine konstruierende, performative Funktion: Sie bilden keine Wirklichkeit ab, sondern sie produzieren Bilder der Realität, Vorstellungen, die die Wirklichkeit als solche niemals erfassen können. Keineswegs sind sie willkürlich erdichtet, doch gehorchen sie auch nicht der korrespondenztheoretischen Vorstellung der Identität von Sein und Denken. Sie referieren auf kein »Ding an sich«, sondern präsentieren ein im performativen Sprachgeschehen erzeugtes Phänomen, eröffnen einen Zugang zur Wirklichkeit, wie sie uns erscheint.14 Dies lässt sich auch auf die Gottesrede im allgemeinen sowie auf die Rede von der Verköprerung Gottes bis hin zum Gebrauch von »Leib Christi« beziehen. Im Folgenden möchte ich diese konstruierende Funktion von Begriff und Metapher hinsichtlich des individuellen wie universalen Gebrauch des Ausdrucks »Leib Christi« analysieren und kritisieren.

3.2 Als konkrete, verkörperte Existenz ist Jesus Gott: »Leib Christi« individuell »Christus hat nie gelacht!«15 Umberto Eco legte diesen Satz seiner Romanfigur Jorge von Burgos in der »Der Name der Rose« in den Mund: In seiner Vollkommenheit könne der Herr niemals gelacht haben, denn: »Das Lachen […] schüttelt den Körper, entstellt die Gesichtszüge und macht die Menschen den

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ten Dasein, mit der »Gottesgeburt im Grund der Seele« (Eckhart). Diese Einwohnung Gottes in einer jeden verkörperten Existenz kann dann auch für Jesus von Nazareth ausgesagt werden, was selbstverständlich Folgen für das Verständnis des Inkarnationsgeschehens als singuläres Ereignis hat. Spricht man aber von »Christusgeburt« im Seelengrund, bzw. bezeichnet jedes Dasein, dem Gott einwohnt, als »Leib Christi«, so besteht hier keine Analogie mehr zur konkreten Person Jesu. »Leib Christi« wird metaphorisch gebraucht: die eine Dimension göttlicher Verkörperung wird auf eine andere übertragen. Vgl. zur performativen Funktion von Metaphern vor allem George Lakoff/Mark Johnson: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Heidelberg 7 2011, vgl. zum Zusammenhang von Sprachgebrauch und verkörperter Kognition und damit auch zum Verhältnis vom Gebrauch von Metaphern und Körperpraxen Mark Johnson: The Body in the Mind. The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason. Chicago 1987. Vgl. auch George Lakoff/Mark Johnson: Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and its Challenge to Western Thought. New York 1999. Umberto Eco: Der Name der Rose. München 1986. 171.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Affen gleich.«16 Zudem bestehe ein Zusammenhang zwischen dem Lachen und dem Zweifel an der Wahrheit, letztlich an der Existenz Gottes: »Das Lachen ist ein Zeichen der Dummheit. […] [Ü]ber die Wahrheit und Schönheit lacht man nicht. […] Das Lachen schürt nur den Zweifel.«17 In letzter Konsequenz wird so die materielle, körperliche Dimension unserer Existenz unter Verdacht gestellt, denn Lachen ist ja eine Körperpraxis: »Das Lachen ist die Schwäche, die Hinfälligkeit und Verderbtheit unseres Fleisches.«18 Das Lachen lästere sogar über die Inkarnation, und gegen diese Lästerung gebe es keine Waffen, denn »sie würde die dunklen Kräfte der körperlichen Materie zusammenrufen, jene, die sich im Rülpsen und Furzen manifestieren, und der Furz und der Rülpser würden sich anmaßen, was nur allein dem Geist gebührt, nämlich zu wehen, wo er will!«19 Dieses Zitat bringt die Inkonsistenz dieser Perspektive auf den Punkt: Das Bekenntnis zur Inkarnation wird durch allzu viel konkretes »Fleisch« bedroht. Der inkarnierte Logos darf aufgrund seiner Vollkommenheit offenbar abstrakt »Fleisch«, aber keinesfalls konkret »Körper« werden, da das Materielle in dieser Sichtweise die Vollkommenheit bedroht. Dahinter stehen eine pejorative Sicht auf Körper und Materie sowie die prekäre Verknüpfung von körperlichen Vollzügen und sündhaften Handlungen. Hier sind zwei philosophische Traditionslinien von Bedeutung: zum einen der platonische Dualismus von Geist bzw. Seele und Leib/Körper, die Abwertung des Materiellen und die damit verknüpfte Hierarchie von Geist und Körper, zum anderen substanzontologische Einflüsse auf die Christologie. Die Abwertung des Körpers wird zudem auch durch die spätere Rezeption der aristotelischen, hylemorphistisch konzipierten Seelenlehre nicht wirklich eingedämmt, denn auch wenn die Seele auf den Körper hingeordnet ist, so dominiert sie diesen doch als dessen Form und dessen Entelechie; der Körper gilt analog zur Materie primär als passiver Stoff, dem eine aktive Form eingedrückt wird, oder der als bloß passiver Lieferant der Wahrnehmung dient. Kurz: »Leib Christi« bezieht sich primär auf ein Abstraktum (die Idee der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in einer Person), nicht aber auf den konkreten Körper des Menschen Jesus aus Nazareth.

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Ebd. 168. Ebd. 168 und 169. Ebd. 602. Ebd. 606f.

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Diese Einklammerung des konkreten Körpers Jesu im Inkarnationsverständnis sowie in dessen theologischen Rechtfertigungsversuchen kennzeichnet meines Erachtens durchaus auch Christologien im Gefolge der sogenannten »anthropologischen Wende«. Denkt man etwa an Wolfhart Pannenbergs Diktum »als dieser Mensch ist Jesus Gott«20 , so suchte man das »als« häufig auf der Ebene spezifischer mentaler Vermögen und Zustände auszumachen, so etwa in einer Einheit von göttlichem und menschlichem Bewusstsein in der »Gottunmittelbarkeit« des Selbstbewusstseins Jesu. Die wichtige Erkenntnis moderner Christologien, dass Gott sich im Geschehen der Menschwerdung vergeschichtlicht hat, sich der Veränderung aussetzt und nicht nur »ist«, sondern »wird«, wird mentalistisch durchbuchstabiert.21 Auch wenn betont wird, dass Gott wirklich Menschennatur angenommen habe und diese keine bloße Verkleidung gewesen sei, auch wenn etwa Karl Rahner Jesus von Nazareth als Realsymbol göttlicher Gegenwart versteht,22 so bleibt doch der Eindruck, dass es eine Art Rest-Doketismus im Blick auf den Körper gibt, dass dieser entweder als eine Art Livree der »Menschennatur« gedacht wird, oder dass er schlichtweg überhaupt nicht vorkommt. Diese mentalistische Verkürzung wird spätestens dann sowohl problematisch als auch widersprüchlich, wenn es um die Passion und den Foltertod Jesu am Kreuz geht. Hier geht es nicht mehr ohne die Dimension des Körpers, allerdings mit Konzentration auf Schmerz, Leid und Tod. Andere Dimensionen der Verkörperung Jesu kommen zwar auch in den Evangelien vor, werden aber in ihrer Bedeutung für den Aspekt »Menschwerdung Gottes« nicht so stark berücksichtigt. Kann es also sein, dass »Leib Christi«, ja das gesamte Zeichenfeld »Inkarnation«, »Fleischwerdung« etc. insgeheim doch weiterhin von einer Körpervergessenheit zeugt? Dass der Ausdruck »Leib« immer noch die Instanz des Mentalen bedeutet in Unterschiedenheit zur Materialität des Körpers? Man könnte einwenden, dass dieses Problem sich nur im Blick auf die deutschsprachige Unterscheidung von Leib und Körper bzw. auf die Differenzierung von Chair/Corps im Französischen einstellt. Das gute alte Latein dagegen

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Wolfhart Pannenberg: Grundzüge der Christologie. Gütersloh 1964. 334. Vgl. hierzu neben Pannenberg vor allem Karl Rahners bewusstseinstheoretisch untermauerte Christologie, auf die bereits hingewiesen wurde. Vgl. z.B. Karl Rahner: Jesus Christus. In: ders.: Sämtliche Werke. Band XVII/2. Freiburg i.Br. 2002. 1109-1136. Vgl. etwa ders.: Zur Theologie des Symbols. In: ders.: Schriften zur Theologie. Band IV: Neuere Schriften. Zürich-Einsiedeln-Köln 5 1967. 275-311.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

spreche ja schon recht konkret von Corpus, und auch das englische »Body« lasse ja schon das konkrete »Embodiment« anklingen. Das Deutsche und Französische explizieren eine Differenz, eine »Zweiblättrigkeit« des Körpers, wie Maurice Merleau-Ponty formulierte, und damit aber auch ein mögliches Missverständnis, dass in »Body« und »Corpus« implizit, heimlich mitschwingt, eben jene Spiritualisierung und mentalistische Verkürzung, die Ausklammerung des Körpers. Es zeigt sich aber auch, dass das Verdrängte – in diesem Fall der konkrete Körper Jesu – in allen Reflexionen christologischer Art implizit, ungesagt mitpräsent ist. Denn es gibt vielfache Deutungen Jesu, die durchaus auch mit konkreten Körperbildern zusammenhängen bzw. solche Körperbilder hervorrufen. Wie alle Körper, so ist auch derjenige Jesu Teil von Deutungspraxen, von Diskursen, die sich am Körper festmachen, in ihn einschreiben, Teil auch von performativen Akten, die eine konkrete Wirklichkeit namens »Körper« erzeugen. Vor dem Hintergrund dieser Diagnose einer immer noch zumindest latenten Körperfeindlichkeit noch in der emphatischsten Rede von »Leib Christi« ist diese Rede kritisch zu überprüfen. Und es ist zu überlegen, wie zum einen die verkörperte Existenz Jesu und zum anderen die Deutung dieser Existenz als Verkörperung Gottes zu bestimmen ist, ohne erneut einer mentalistischen Verkürzung zu unterliegen. Corpus Christi ist kein abstrakter Christusleib, sondern die konkrete verkörperte Existenz des Jesus aus Nazareth – wozu eben auch das gehört, was Jorge von Burgos als die »dunkle Materie« bezeichnet, eine Vielzahl von Affekten und Gefühlen, so auch Lust und Begehren. Für Jesus von Nazareth gilt also im Blick darauf, dass er »wahrer Mensch« gewesen ist, nichts anderes wie für jedes bewusste Dasein. Er vollzog sein bewusstes Leben in der Einheit von Mentalem und Physischem, mithin verkörpert, und unter der formalen Doppelstruktur von Subjekt und Personperspektive bzw. von Leib und Körper, von subjektivem und objektivem Körper. Der tradierte Ausdruck »Leib Christi« ist folglich im Blick auf den individuellen Leib des irdischen Jesus zu differenzieren. Es kann erstens der gesamte Aspekt der verkörperten Existenz Jesu gemeint sein, den die Tradition auch mit dem Ausdruck »Fleisch« zu bedeuten sucht. Zweitens kann im Blick auf die Differenz von Leib und Körper der »subjektive Körper« Jesu, also sein eigenleibliches Spüren und seine damit verknüpfte Subjektperspektive des ihm eigenen Bewusstseins gemeint sein, die im Rekurs auf phänomenologische Reflexionen als »Leib« bezeichnet werden kann. Oder anders formuliert: Das rein formale »Ich« (franz. »je«) Jesu, markiert in der Subjektperspektive bewussten Lebens, könnte auch »Leib« genannt werden, vorausgesetzt, man versteht »Leib«

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hier nicht als ontologischen, sondern als transzendentalen Begriff. Davon ist dann sein »Körper« bzw. der »objektive Körper« zu unterscheiden, also der gesamte Bereich dessen, was zum Gegenstand der Erfahrung werden kann, was Reflexion und Bestimmung zugänglich ist, was Teil und Moment von Diskurspraxen ist: das »Selbst« (franz. »moi«) Jesu, stets qualitativ bestimmt, stets mit einem materialen Gehalt verbunden.23 Dieser »objektive« Corpus Christi ist eingelassen in die Relation mit Anderen, in die Dimension des Reflexiven, Diskursiven, in die Subjekt-ObjektStruktur und die ihr zugehörenden Spiegelungen, in die Performanz von Körperpraxen, in die Symbolisierung der Struktur des Begehrens und der mit ihm verknüpften Identifikationen. Ihm schreiben sich Signaturen von Körperbildern ein, er ist vielfältigen Mechanismen der Symbolisierung unterworfen. Die Tradition des Corpus Christi ist somit nicht nur oder primär Überlieferung im Sinne der getreuen Abbildung eines Urbildes, sondern sie »überliefert«, indem sie auch neue Wirklichkeit »liefert«, kreiert. Sie bezeugt, indem sie auch erzeugt – und umgekehrt. Denn sie ist ja wesentlich narrativ vermittelt, also Sprachhandeln, kommunikatives Handeln, und sie ist darin zugleich und ebenso wesentlich Handeln. Die Wirklichkeit des mit dem Körper Christi verknüpften Geschehens wird im Tun bezeugt, folglich auch und gerade im performativen Tun.24 Hier zeigt sich letztlich der performative Aspekt

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Die Unterscheidung von non-reflexivem »Ich« und reflexivem »Selbst« referiert hier auch auf die Differenzierung von je und moi bei Jacques Lacan, wobei dieser die Instanz des je mit dem Realen und dem Unbewussten identifiziert hatte. Im Unterschied zu Lacan, der »Ich« zwar wie die Transzendentalphilosophie nicht als ein ontologisch Gegebenes verstand, allerdings auch nicht mehr als Möglichkeitsbedingung, sondern als Effekt und als Ausgeschlossenes des Diskurses, wird hier am transzendentalen Verständnis des »Ich« im Sinne einer Möglichkeitsbedingung und in dieser Hinsicht Apriori des Diskurses festgehalten. Dennoch aber ist mit Lacan ebenso festzuhalten, dass »Ich« analog zum transzendentalen »Ich«, eben weil es kein Seiendes ist, leer, rein formal und in dieser Hinsicht auch unbestimmt ist. Vgl. hierzu etwa Lacan: Das Ich in der Theorie Freuds. Vgl. zur theologisch-anthropologischen Bedeutung der sozialen Konstruktion des Körpers, die hier dann christologisch reflektiert werden soll, vor allem Regina AmmichtQuinn: Körper, Religion und Sexualität. Theologische Reflexionen der Ethik der Geschlechter. Mainz 1999; dies.: Leib. V. Feministisch-theologisch. In: LThK 6 (3 1997). 768-769; Stefanie Knauß: Transcendental Bodies. Überlegungen zur Bedeutung des Körpers für filmische und religiöse Erfahrung. Regensburg 2008; Saskia Wendel: »Als Mann und Frau schuf er sie«. Auf dem Weg zu einer genderbewussten theologischen Anthropologie. In: HerKorr 63 (2009), 3. 135-140; dies.: Subjekt statt Substanz. Entwurf

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

des analogen Begriffs »Leib Christi«, bezogen auf die verkörperte Existenz Jesu: vielfach ausgesagt und gedeutet, performativ hervorgebracht, jedoch nicht schlichtweg willkürlich erdichtet, da auf ein Seiendes hin ausgesagt; Konstellationen von Körperpraxen und Körperbildern, von Symbolisierungen des Begehrens, von Geschlechtercodes zentrieren sich um das, was als »Leib Christi« bezeichnet wird, stellen »Familienähnlichkeiten« her und suchen so zu bezeichnen und zu bestimmen, ohne abschließend und letztgültig zu definieren. Ist nun Jesus von Nazareth als Mensch nicht anders bestimmt als jegliche verkörperte Existenz, so folgt daraus ein Doppeltes. Zum einen ist er wie jegliche verkörperte Existenz Machtdiskursen, Deutungspraxen unterworfen, die sich am Körper festmachen. Corpus Christi ist also wie jeder Körper keine vorgegebene Wirklichkeit, sondern immer auch performativ erzeugt, und seine Deutungen implizieren stets auch eine biopolitische Dimension und Funktion. Dies trifft vor allem auch auf Geschlechtercodes zu, denen auch der Körper Jesu und seine Deutungen unterworfen sind, insbesondere auch auf die Struktur des Begehrens Jesu.25 Zum anderen ist das Bekenntnis zur Inkarnation, zur Verkörperung Gottes in der Person Jesu an die verkörperte Existenz Jesu selbst zu binden. Die christliche Deutung Jesu als »Gottmensch« ist somit einerseits entgegen mentalistischen Verkürzungen auch über das Verständnis bewussten Lebens als verkörpertes Dasein überhaupt vernünftig nachvollziehbar zu machen, und andererseits ist zu betonen, dass auch und gerade diese Deutung Jesu als »Gottmensch«, als göttliche Verkörperung, Inkarnation, diskursiv geprägt und sozial konstruiert ist. Die biopolitische Dimension des Körpers trägt

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einer gender-sensiblen Anthropologie. In: Hilge Landweer u.a. (Hg.): Philosophie und die Potenziale der Gender Studies. Peripherie und Zentrum im Feld der Theorie. Bielefeld 2012. 315-335. Allein schon die lange tradierte Überzeugung, dass Jesus zölibatär gelebt habe, auf das Ausleben sexuellen Begehrens verzichtet habe, somit als asexuelle Existenz gezeichnet wird, ist von biopolitisch wirksamen Machtdiskursen geprägt und bringt wiederum solche hervor. Ein sexuell begehrender oder gar aktiver Jesus erscheint häufig immer noch als blasphemisch, als ob dies ihm irgendetwas von seiner Bedeutung nehmen würde. Die Augustinische Erbsündenlehre steht hier wirkmächtig im Hintergrund: Wenn Jesus als »Gottmensch« sündlos ist, und wenn die Sünde Augustinus zufolge an das Begehren, die Konkupiszenz, gekoppelt ist, dann kann, ja darf dieser sündlos vorgestellte Jesus auf gar keinen Fall irgendeine Form sexuellen Begehrens empfinden.

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somit vor allem in die Deutung(en) des »Leibes Christi« eine politisch-theologische Note ein. Inwiefern wirken sie als Legitimationsdiskurse system- und herrschaftsstabilisierend hinsichtlich konkreter Mechanismen »einschließender Ausschließung«? Es gilt nun aber im Folgenden zunächst zu verdeutlichen, dass und inwiefern die konkrete verkörperte Existenz Jesu auch mit guten Gründen als Geschehen der Verkörperung, der Inkarnation Gottes gedeutet werden kann, um dann herauszustellen, auf welche Art und Weise auch die verkörperte Existenz Jesu – und damit in christlicher Optik zugleich die Verkörperung Gottes – Codierungen von Körper und Geschlecht unterworfen ist, und welche biopolitischen Aspekte dementsprechend dem christologischen Bekenntnis eingeschrieben sind.

3.2.1 »Gottmensch« funktional bestimmt: Jesu Lebenspraxis als Verkörperung Gottes Das Bekenntnis zur Gottmenschlichkeit Jesu wurde in namhaften christologischen Konzeptionen des 20. Jh. anthropologisch begründet, und hier wurde vor allem bewusstseinstheoretisch argumentiert. Karl Rahner etwa suchte so deutlich zu machen, dass Gott sich nur in einem bewussten Leben – für Rahner ausschließlich menschliches Leben – selbst mitteilen kann, weil Gott selbst bewusstes Leben ist. Das absolute bewusste Leben vereinzelt sich, verendlicht sich im Vollzug des bewussten Lebens Jesu, in dessen Selbstbewusstsein. Im Selbstbewusstsein Christi qua Selbsttranszendenz, qua Eröffnetheit bzw. Gelichtetheit auf Gott hin, wie Rahner formulierte, kann sich Selbstmitteilung Gottes ereignen, weil Gott in ihm vollkommen bei sich ist. In Jesus gelangen menschliches und göttliches Bewusstsein in singulärer Art und Weise in eine Koinzidenz, in der die Eigenständigkeit des menschlichen Bewusstseins Jesu gewahrt bleibt. Diese Koinzidenz vollzieht sich Rahner zufolge zwar in Form der von ihm so bezeichneten transzendentalen Erfahrung momenthaft in jedem Menschen, doch in besonderer, einmaliger Art und Weise vollkommener Koinzidenz ausschließlich in Jesus von Nazareth. In ihm fallen von Anfang an Selbst- und Gottesbewusstsein in eins und nicht etwa erst aufgrund besonderer menschlicher Leistung Jesu: »Sachlich bedeutet der Satz von der Einzigkeit einer göttlichen Person in Jesus Christus mit Sicherheit nur, dass die – im modernen Sinne personale – menschliche Wirklichkeit Jesu eine solche (und zwar einmalige) Einheit von

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Gott her und mit ihm eingegangen ist, dass sie zu Gottes wirklicher Selbstaussage und zur radikalen Zusage Gottes an uns wurde, also gerade nicht nur nachträglich psychologisch zu einer Einheit hergestellt wurde.«26 Insofern ist Jesus als »Gottmensch« für Rahner ontologischer Ausnahmefall, nicht anthropologischer Höchstfall, und das Inkarnationsgeschehen in Jesus in dieser Hinsicht singulär. Als jener ontologische Ausnahmefall der Einheit von Selbst- und Gottesbewusstsein ist Jesus Realsymbol, Vergegenwärtigung Gottes, genauer hin des göttlichen Logos. Die anthropologische Basis dieser Konzeption ist allerdings unbeschadet Rahners Votum für den »ontologischen Ausnahmefall« und die Singularität des Inkarnationsgeschehens in Jesus ein Gedanke, der mit dem Motiv eines immerwährenden göttlichen Inkarnationsgeschehens, einer kontinuierlichen Einwohnung Gottes bzw. des Logos in allen Menschen, verbunden ist: das Motiv der Gottesgeburt im Grund bzw. Herzen der Seele und die damit verbundene mystische Einung (nicht Vereinigung) von Gott und Seelengrund (dem ungeschaffenen »Etwas« in der Seele), das insbesondere in mystischen Theologien zu finden ist. In christlichen Mystiken hat diesen Gedanken besonders prominent Meister Eckhart vertreten, ebenso Margeruite Porete oder Hadewijch von Antwerpen; in der islamischen Mystik findet er sich etwa bei Rumi oder Al Halladsch. Dieser Gedanke lässt sich bewusstseinstheoretisch übersetzen: Gott wohnt dem Prinzip bewussten Lebens ein, dem Grund des Bewusstseins, und in dessen Vollzug kommt Gott selbst zum Ausdruck, vergegenwärtigt sich göttliches bewusstes Leben, zeigt sich schlechthin Unbedingtes in bedingter Art und Weise. Darin ist die Gottbildlichkeit eines jeden bewussten Daseins markiert: Im Vollzug des Bewusstseins drückt sich Gott aus – als Bild und Ausdruck seiner selbst. Der Bildbegriff ist hier nicht repräsentationstheoretisch als Abbild eines Urbildes gemeint, sondern im Sinne eines Zur-Erscheinung-Kommens (apparitio), ein Gedanke, der etwa den mystischen Symbolbegriff bestimmt: Eine Wirklichkeit zeigt sich in einer anderen, ohne sich darin aufzulösen. Gleichzeitig bleibt in eben jenem Sich-Zeigen ein Moment des Nichtdarstellbaren jener Wirklichkeit, so dass ihr Zur-Erscheinung-Kommen als Darstellung eines Nichtdarstellbaren bzw. als negative Darstellung verstanden werden kann.27 26 27

Karl Rahner: Jesus Christus. 1130f. Vgl. hierzu im Anschluss an Eckhart und Fichte einerseits sowie an Gershom Scholem, Theodor W. Adorno und Martin Heidegger andererseits ausführlich Saskia Wendel: Affektiv und inkarniert. 195-209; 309-313.

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Rahner hatte mit seinem Plädoyer für die Singularität des Inkarnationsgeschehens auf die Differenz zwischen Jesus als dem vollkommenen Bild und Ausdruck Gottes und allen anderen Menschen und deren Gottbildlichkeit aufmerksam gemacht, daher auch die Verteidigung des ontologischen Ausnahmefalls. Dagegen votierten pluralistische Religionstheologen wie John Hick oder Paul F. Knitter dafür, Jesus als »anthropologischen Höchstfall« zu verstehen und das Inkarnationsgeschehen in ihm als einzigartig, nicht aber einzig. Prinzipiell könne es sich in jedem Menschen ereignen, und so sei auch die Möglichkeit von Mehrfachinkarnationen nicht auszuschließen.28 Die Betonung der Singularität Jesu dagegen impliziere einen Superiorismus gegenüber anderen Religionen. Im Blick auf die Koinzidenz von Selbst- und Gottesbewusstsein Jesu, auf dessen »Gottmenschlichkeit«, kann man allerdings zunächst einmal zur Begründung dieses Gedankens auf Nikolaus Cusanus zurückgreifen. Basis des cusanischen Begründungsganges sind die Überlegungen zur Bestimmung des Absoluten, also Gottes, als Einheit in der Differenz, als Koinzidenz der Gegensätze. Dieses Absolute bezeichnet Cusanus auch als das absolut Größte. Es umgreift alles, was ist, ist eins und alles zugleich. Es faltet sich aus in die Vielheit des Seienden, zugleich aber ist es Grund der Einheit des Alls, des Universums. Im Ineinsfall der Gegensätze schließt das absolut Größte jedoch auch seinen Gegensatz, das Kleinste mit ein und umfasst zugleich diesen Gegensatz. Genau darin, als Ineinsfall der Gegensätze, ist das Absolute absolut und unterschieden von jedem endlich Seienden, welches es gründet und als »Eins und Alles« umfasst. Gott umfasst also das Unendliche wie das Endliche, das Allgemeine wie das Besondere, das Eine wie das Einzelne und Viele, welches in ihm koinzidiert. Cusanus entfaltete auf Basis dieser Überlegungen seine Trinitätslehre, indem er der Einheit eine Struktur der Dreiheit einschrieb, wobei er hier ungenannt Spekulationen des Neuplatonismus über die Identität in der Differenz der Hypostase des Geistes voraussetzte: die Einheit der Erkenntnis in der Dreiheit von Erkennendem, Erkannten und Erkennen. Der Sohn, wesensgleich mit dem Vater, ist eins mit ihm, doch zugleich von ihm als aus ihm Hervorgehendes unterschieden, so wie das Erkennende vom Erkannten unterschieden ist, doch so wie das Erkannte zugleich der Erkennende ist, ist er

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Vgl. etwa John Hick: Jesus und die Weltreligionen. In: ders. (Hg.): Wurde Gott Mensch? Der Mythos vom fleischgewordenen Gott. Gütersloh 1979. 175-194; Paul F. Knitter: Ein Gott, viele Religionen. Gegen den Absolutheitsanspruch des Christentums. München 1988.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

wiederum mit ihm geeint. Das Verbindende zwischen beiden ist der Geist, die Liebe, die Erkenntnis. Die Trinität selbst ist so schon Beispiel der coincidentia oppositorum, weil im Absoluten Einheit und Dreiheit, Differenz, in eins fallen, ohne sich wechselseitig aufzuheben: »Bei Gott muß man […] in einem einfachen Begriff das Widersprechende zusammenfassen, indem man den Gegensätzen im Vorgriff voraus ist. So darf man in Gott nicht Unterscheidung und Ununterschiedenheit als zwei gegensätzliche Dinge auffassen, sondern muß sie im Vorgriff als in ihrem absoluten einfachen Prinzip fassen, wo Unterscheidung nichts anderes als Ununterschiedenheit ist. Dann begreift man besser, dass Dreiheit und Einheit dasselbe sind. Denn wo Unterscheidung Ununterschiedenheit ist, da ist Dreiheit Einheit und umgekehrt, wo Ununterschiedenheit Unterscheidung ist, das ist Einheit Dreiheit. Dasselbe gilt von der Mehrheit der Personen und der Einheit des Wesens. Denn wo Vielheit Einheit ist, da ist die Dreiheit der Personen identisch mit der Einheit des Wesens. Und umgekehrt, wo die Einheit Vielheit ist, da ist die Einheit des Wesens Dreiheit in den Personen.«29 Gott, das Absolute, der Ineinsfall der Gegensätze, ist das Vollkommene, weil er alle Gegensätze umfasst, in sich einschließt und so zugleich übersteigt. Er ist das absolut Größte in der absoluten Einheit, die sich in die Dreiheit ausfaltet, ohne sich darin zu verlieren. Er ist »unterschiedene Ununterschiedenheit« und »ununterschiedene Unterschiedenheit«. Von Gott ist nun Cusanus zufolge das Universum zu unterscheiden. Das Universum ist anders als Gott nicht das absolut Größte, sondern nur das eingeschränkt Größte. Auch das Universum ist »Eins und Alles«, ist Einheit, jedoch eine Einheit, die sich in die Vielheit des Seienden ausfaltet und dieses einschließt und umfasst. Ein Eines in der Vielheit also, ein Sein in der Vielheit des Seienden. Es konkretisiert sich immer schon in der Einzelheit, Individualität, im »Dies und Das« des Seienden. Das maximum des Universums unterscheidet sich so vom vollkommenen, absoluten maximum Gottes, dessen Bild es ist, aus dem es stammt. Gott wiederum als das absolut Größte ist Grund und Ursprung des eingeschränkt Größten. Wichtig ist hier der cusanische Gedanke der Einfaltung (complicatio) und Ausfaltung (explicatio): Gott faltet sich in

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Nikolaus von Kues: De docta ignorantia/Die belehrte Unwissenheit. Buch I. LateinischDeutsch. Übersetzt und mit Vorwort und Anmerkungen herausgegeben von Paul Wilpert. Vierte, erweiterte Auflage besorgt von Hans Gerhard Senger. Hamburg 1970 (im Folgenden zitiert als De doct. ign. I). XIX, 57.

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sich hinein in seinen eigenen, einen Grund, und in dieser Einfaltung wiederum ist die coincidentia oppositorum gegeben; doch gleichzeitig faltet er sich – in sich einfaltend – schon aus sich aus in das All, das Universum. So gründet er alles, was ist, und schließt dieses gleichzeitig in sich ein. Sich ausfaltend manifestiert sich Gott im Universum, mit dem er eins ist in der Ausfaltung seiner selbst, unterschieden jedoch gerade als Ausfaltung seiner selbst. Sich einfaltend nimmt Gott aber ein jegliches Seiendes in sich hinein, das er ausfaltend aus sich heraus gesetzt hat: »Gott ist die Einfaltung von allem insofern, als alles in ihm ist; er ist die Ausfaltung von allem insofern, als er in allem ist.«30 Wie in Gott selbst, so besteht auch zwischen Gott und Universum ein Verhältnis differenzierter Einheit, ununterschiedener Unterschiedenheit und umgekehrt. Das Universum als das eingeschränkt Größte ist als Ausfaltung Gottes dessen Bild und Gleichnis, und genau darin ist es ihm gleich, aber eben nur auf eingeschränkte Weise, da es von Gott abhängig ist, da es sein Sein dem göttlichen Grund verdankt, der es sich ausfaltend geschaffen hat. Das eingeschränkt Größte individuiert sich in den Dingen, die wiederum in ihm geeint sind – und Gott, das absolut Größte, individuiert sich so allein auf indirekte Weise, niemals aber direkt. Das All aber – und mit ihm Gott –, sind Grund für das Bestimmtsein des Einzelnen, für seine Existenz als »Dies und Das«, weil es das jeweils Einzelne zu einem Diesen und keinem Anderen macht. Das Universum, das eingeschränkt Größte, ist jedoch nicht vollkommen, sondern defizient: Es ist aufgrund seiner Eingeschränktheit mangelhaft, es ist nicht unendlich wie das absolut Größte, Gott, sondern unendlich und endlich zugleich. Dann aber ist die Schöpfung Gottes nicht vollkommen, es bleibt quasi ein Platz in dieser Schöpfung leer, und dann kann das Universum auch nicht das vollkommene Bild Gottes sein. Ziel ist es daher, diesen Mangel aufzuheben, das Universum sozusagen »ganz« zu machen, »heil«, vollkommen und so in die Einheit mit Gott zu führen – und mit dem Universum ein jegliches Seiendes, das ihm angehört. Die Herstellung dieser Einheit, die Überwindung der Grenze der Eingeschränktheit und somit der Überstieg zum absolut Größten ist dem Universum und dem ihm zugehörenden Seienden aus eigener Kraft nicht möglich, es ist und bleibt eingeschränkt, endlich, kontingent. Aus sich heraus kann es die ihm eigene Defizienz, den Mangel nicht beheben, kann es Schöpfung nicht »ganz«, »heil« machen. Dazu bedarf es der Einheit, der Verbindung, der Koinzidenz von Endlichem und Absolutem, Eingeschränktem und Uneingeschränktem – 30

Ders.: De doct. ign. II, III, 108.

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eine Koinzidenz, die in Gott selbst ja als Koinzidenz der Gegensätze schon gegeben bzw. vorgebildet ist. Diese Verbindung von Absolutem und Endlichem kann daher erstens auch nur von Gott selbst hergestellt werden, eine Verbindung, in der eingeschränktes und absolutes maximum koinzidieren, ohne sich wechselseitig ineinander aufzulösen – dem Gedanken der ununterschiedenen Unterschiedenheit entsprechend. Zweitens kann sie auch nur im Menschen gegeben sein, weil dieser qua Geist bzw. Seele schon am absolut Größten partizipiert und im Vergleich zum anderen Seienden ein »Mittelwesen« ist, modern formuliert: bewusstes Leben: »Es ist aber die menschliche Natur, die über alle Werke Gottes erhoben ist und nur um ein wenig den Engeln nachsteht. Sie umschließt ja die vernunfthafte und sinnenhafte Natur und fasst alles in sich zusammen, so dass sie mit gutem Grund von den Alten als Mikrokosmos oder als kleine Welt bezeichnet wurde. Deshalb ist sie es, die, zur Einheit mit der Größe erhoben, die ganze Vollkommenheitsfülle des Universums und aller einzelnen Dinge sein würde, so dass in der Menschheit alles seine höchste Stufe erreichte.«31 So ist also ein konkreter Mensch zu denken, in dem eingeschränkt und uneingeschränkt Größtes zusammenfallen, koinzidieren, ohne jedoch den Unterschied zwischen beiden aufzuheben: »Dieser wäre sicherlich so Mensch, dass er Gott wäre, und so Gott, dass er Mensch wäre, er wäre die Vollendung des Universums, er nähme in allem den ersten Rang ein, in ihm würden das Kleinste, das Größte und das Mittlere der mit der absoluten Größe geeinten Natur so zusammenfallen, dass er die Vollendung von allem wäre, und dass alles, insofern es Eingeschränktes ist, in ihm als in seiner Vollendung zur Ruhe gelangen würde.«32 Cusanus suchte so zum einen die grundsätzliche Möglichkeit eines »Gottmenschen« aufzuweisen, und zum anderen die singuläre Inkarnation in einer einzigen Person von einer incarnatio continua und von der Möglichkeit von Mehrfachinkarnationen abzugrenzen. Der Ineinsfall von maximal Größtem und maximal Kleinstem kann, so die Annahme, nur ein einziges Mal und so in singulärer Art und Weise stattfinden; einen »Gottmenschen« gibt es nur »ein für allemal«, nicht mehrfach. Diese Form des Inkarnationsgeschehens 31 32

Ebd. III, 198. Ebd. III, 199.

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ist von der immerwährenden Inkarnation Gottes im Kosmos als Ganzem sowie in allen Menschen zu unterscheiden. Im »Gottmenschen« Jesus sind alle vergöttlicht, alle erlöst, und in ihm hat sich Gott selbst definitiv geoffenbart, mitgeteilt. Es wird nochmals darauf zurückzukommen sein, ob das cusanische Denkmodell tatsächlich nur die Annahme einer singulären Inkarnation impliziert, oder ob hier nicht doch auch das Modell einer immerwährenden Inkarnation denkbar ist, ob im Universum als Ganzem oder in einem jeglichen bewussten Dasein. Die bewusstseinstheoretische Begründung der Möglichkeit eines »Gottmenschen« ist jedoch, wie bereits erwähnt, mentalistisch verkürzt. Zwar wird stets entgegen monophysitischer Reduktionen die leibseelische Einheit Jesu betont, doch die »Einfleischung« Gottes wird nicht genau bestimmt, sie gehört quasi irgendwie dazu. In Bezug auf die anthropologischen Überlegungen zur Verkörperung bewussten Daseins jedoch lässt sich diese mentalistische Verkürzung des Inkarnationsverständnisses vermeiden. Das Prinzip bewussten Daseins gründet alle Vermögen, und in ihm sind Mentales und Physisches als Momente des Bewusstseinsgrundes geeint. Der Grund von Bewusstsein ist somit keineswegs nur rein mental, ebenso wenig allein auf physische Prozesse rückführbar. Da er Grund aller Vermögen ist, so sind auch diese Vermögen nie nur rein mental zu verstehen, sondern entsprechend der genannten Theorien der Verkörperung als verkörpert. Jener Grund ist es, den man nun im Blick auf die Deutung Jesu als »Gottmensch« als diejenige Instanz bestimmen kann, in der sich die Koinzidenz von maximal Größtem und maximal Kleinsten ebenso vollzieht wie die Koinzidenz aller Vermögen des Bewusstseins sowie diejenige von Mentalem und Physischem. Der Grund ist Koinzidenz der Gegensätze, Einheit des Unterschiedenen, so auch des Unterschieds von Gott und Mensch bzw. Geschöpf. In ihm vollzieht sich – analog zum Seelengrund – die Einwohnung Gottes bzw. »Gottesgeburt«, und da in ihm Mentales und Physisches geeint sind, ist diese Einwohnung Gottes zugleich »Einfleischung«, Inkarnation. Dies gilt für ein jedes bewusste Dasein, so auch für Jesus von Nazareth. Der Grund des Bewusstseins ist so gesehen subiectum, »Zugrundeliegendes« aller Vermögen – nicht im Sinne einer Trägersubstanz der Naturen, ist er doch weder Dies noch Das, kein »Etwas«, kein substanziell Seiendes. Die klassische Christologie identifizierte den Logos mit dem subiectum Jesu, doch genau besehen impliziert die Einwohnung Gottes nicht allein die Einwohnung des Logos, sondern auch des Geistes, wenn man sowohl Logos als auch Geist nicht als »Personen« im Sinne individueller Bewusstseinsformen in Gott, sondern als göttliche Vermögen versteht.

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Das subiectum des Bewusstseins ist dann aber christologisch gedeutet nicht nur der Logos, sondern der göttliche Grund unter Einschluss der als Logos und Geist bezeichneten Vermögen, die ihm zukommen. Entsprechend der Einheit von Mentalem und Physischem im Grund des Bewusstseins ist der Ineinsfall von Göttlichem und Menschlichem keine rein mentale Angelegenheit, und auf diese Weise wird Inkarnation buchstäblich als Verkörperung gedacht. Gott verkörpert sich im Grund des bewussten Lebens Jesu, und zwar wiederum unter dem Aspekt der Doppelstruktur von Subjektund Personperspektive des Bewusstseinsvollzuges Jesu. Bezieht man sich nun nochmals auf Pannenbergs »als dieser Mensch ist Jesus Gott«, so erhält diese Aussage unter dem Aspekt der Verkörperung eine andere Richtung: Nicht einfach als »Mensch« ist Jesus Gott, oder im Vollzug des höchsten Punktes seines Selbstbewusstseins, sondern als diese konkrete verkörperte Existenz ist Jesus Gott, im Vollzug konkreter Körperpraxen. Worin aber genau ist dieses »als« markiert? Man könnte versucht sein, dieses »als« im Bewusstseinsgrund Jesu zu markieren, in dem Mentales und Physisches geeint sind, und in dem alle Vermögen des bewussten Lebens, das Jesus vollzogen hat, gründen – in einem ontologischen Aspekt also. Doch dies greift zu kurz, denn der Bewusstseinsgrund per se markiert ja nicht die spezifische Differenz der Göttlichkeit Jesu. Jedes bewusste Dasein verfügt darüber, so auch Jesus, aber nicht Jesus allein. Man könnte nun auf den Aspekt der Einwohnung Gottes im Bewusstseinsgrund referieren, doch auch dies kommt ja laut religiöser Deutung einem jeglichem bewussten Dasein zu; auch ihm gehört, so etwa Eckhart, der ungeschaffene göttliche Grund an – incarnatio continua also. Aus diesem Grund könnte man doch wieder die klassische substanzontologische Variante reaktivieren und den Bewusstseinsgrund Jesu mit dem traditionellen »Träger« der Personeinheit identifizieren, mit dem Logos also. Aber unbeschadet der bereits erläuterten Probleme der substanzontologischen Konzeption wäre damit nichts gewonnen. Denn die behauptete ontologische Singularität des Austauschs des Trägers des Bewusstseins im Falle Jesu (ungeschaffener, göttlicher Logos statt geschaffene Seelensubstanz) gar nicht gegeben ist. Denn genau besehen handelt es sich hierbei um die substanzontologisch gedachte Variation der eckhartschen Denkfigur der Einwohnung Gottes bzw. Gottesgeburt im Seelengrund, genauer hin des Motivs der »Sohnesgeburt« und damit die Einwohnung des göttlichen Logos im Seelengrund, und dies gilt ja nicht allein für Jesus. In der Perspektive der Seelengrundlehre mystischer Provenienz ist ja in gewisser Hinsicht in jedem Menschen der Logos qua Sohnesgeburt im

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Grund »Träger« der Seelenvermögen, ist der Logos Prinzip und Grund des Bewusstseins, ohne dass dabei aber für Eckhart die Geschöpflichkeit des Menschen außer Kraft gesetzt wäre. Der sogenannte »ontologische Ausnahmefall« eines singulären, nur in Jesus sich vollziehenden göttlichen Inkarnationsgeschehens ist folglich dadurch, dass der Logos Träger des Bewusstseins ist, gar nicht gegeben. Hinzu kommt eine grundsätzliche Problematik, die die Konzeption göttlichen Handelns betrifft: Der Austausch des »Trägers« kann ja nur aufgrund einer die Naturgesetze außer Kraft setzenden göttlichen Intervention erfolgen, also aufgrund eines mirakulösen Geschehens. Hält man aber sowohl die Vorstellung eines göttlichen Interventionismus für problematisch als auch die Kritik an Wundern für plausibel, so wird die Basis der Idee eines Trägeraustauschs brüchig. Auch die Referenz auf das cusanische Modell der Koinzidenz von maximal Größtem und Kleinsten im »Gottmenschen« kann den behaupteten »ontologischen Ausnahmefall« nicht begründen, denn es handelt sich ja um eine bloße Behauptung, dass diese Koinzidenz sich nur ein einziges Mal vollziehen könne bzw. sich singulär in Jesus ereignet hat. In jedem einzelnen bewussten Dasein liegt doch diese Koinzidenz immer schon vor: Jedes einzelne bewusste Dasein ist das maximal Kleinste – als endliches, einzelnes Dasein – und zugleich das maximal Größte – als bewusstes Dasein, dessen Prinzip, religiös gedeutet, Gott selbst als ihm einwohnender Grund all seiner Vermögen ist. Ein jedes bewusste Leben ist also in religiöser Hinsicht Ineinsfall der Gegensätze: bedingt und unbedingt, maximal Kleinstes und Größtes, geschaffen und ungeschaffen (in seinem Grund) und somit »gottmenschlich«. Cusanus’ Koinzidenzgedanke begründet folglich die Denkmöglichkeit einer universalen, immerwährenden Inkarnation, jedoch keineswegs die Möglichkeit eines singulären Inkarnationsgeschehens in einem einzigen »Gottmenschen«, und schon gar nicht das Bekenntnis zum wirklichen Vollzug dieses Geschehens in Jesus von Nazareth. Die These eines »ontologischen Ausnahmefalls«, der sich in Jesus ereignet habe, lässt sich somit auf diese Art und Weise schwerlich rechtfertigen. »Als diese verkörperte Existenz Gott zu sein«, das gilt genau besehen zunächst einmal für jedes bewusste Dasein. Die spezifische Differenz Jesu ist folglich nicht mehr in erster Linie ontologisch im Blick auf sein Sein zu bestimmen, sondern praktisch-ethisch im Blick auf sein Handeln: Im konkreten Handeln Jesu, in dem er verkörpert hat, wovon er sprach – die für den Menschen unbedingt entschiedene Liebe Gottes – brachte er zum Ausdruck, was gelingendes Menschsein heißen könnte und was Gott für uns ist.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Dieses Handeln ist, so das christliche Bekenntnis, von einer Qualität gekennzeichnet, die die Tradition »sündlos« nennt. Wir können es auch schlechthin moralisch nennen. Getragen ist es von der Fähigkeit zum Neubeginnen bzw. von positiver Freiheit.33 Es realisiert sich in unterschiedlichen Lebenspraxen, und darin stets auch in unterschiedlichen Körperpraxen. Jene Handlungsmacht schließt als kreatives Vermögen immer auch Akte mit ein, die Wirklichkeit nicht nur wiederholen, sondern setzen, hervorbringen – performative Akte also. Diese performativen Akte vollzieht bewusstes Leben in seinen Körperpraxen, und sie gelten nicht nur Anderem und Anderen, sondern auch seiner selbst, seinem eigenen Existenzvollzug und der Art und Weise, sein eigenes Leben zu führen und zu verwirklichen. In seinen Körperpraxen also realisierte Jesus, was uns zugesagt ist und was wir sein könnten. Er antizipierte so auf performative Art und Weise das allen verheißene »Leben in Fülle«. Dies tat er gerade nicht im Überspringen der Bedingungen menschlicher Existenz, sondern in ihrem Durchleben. Die Möglichkeitsbedingung dafür ist eben jenes Vermögen der Handlungsmacht, das man Freiheit nennt. Hier ist der Punkt markiert, von dem die Tradition sagt, dass in Jesus von Nazareth Göttliches und Menschliches koinzidieren, da Freiheit sich laut christlicher Überzeugung im Falle Jesu als eine vollkommene Freiheit ausgestaltet hat, in der Freiheit und Moralität, Sollen, Wollen und Können in eins fallen. Weil nun aber Freiheit für sich selbst genommen keine ontologische Qualität besitzt, weil sie keine Entität ist, auf die hin die Substanzkategorie ausgesagt werden könnte, handelt es sich bei ihr weder um eine Substanz noch überhaupt um eine res, die zum Träger von Göttlichem und Menschlichem werden könnte, sondern um ein transzendental zu verstehendes Vermögen im Vollzug bewussten Lebens. Gleichwohl stellt sich selbstverständlich die Frage nach der Möglichkeitsbedingung jenes Ineinsfallens von Sollen, Wollen und Können, das in überliefertem Vokabular »gottmenschlich« genannt werden kann. Braucht es hier nicht doch auch eine ontologische Verpflichtung, die über die funktionale Bestimmung Jesu, Verkörperung der unbedingt für den Menschen entschiedenen Liebe Gottes zu sein, hinausgeht? Eine ontologische Begründung etwa der Koinzidenz von göttlicher und menschlicher Freiheit? Doch es bleibt unklar, worauf man sich dabei ontologisch verpflichten soll, denn an diesem Punkt wiederholt sich ja das bereits erläuterte Problem, dass in gewisser Hinsicht in jedem bewussten Dasein diese Koinzidenz gegeben 33

Vgl. etwa Isaiah Berlin: Freiheit. Vier Versuche. Frankfurt a.M. 2006. 211.

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ist, und dass sich dadurch kein Ausnahmefall begründen lässt. Man könnte einwenden, dass nur im Falle Jesu eine absolute Identität etwa von göttlicher und menschlicher Freiheit gegeben sei, um so den Singularitätsgedanken zu retten. Doch wie wäre das wiederum ohne Monophysitismus zu denken? Wie ist solch eine Identität denkbar, ohne dass sich das Menschliche im Göttlichen auflöst? Wenn die Koinzidenz von Geschöpflichem und Göttlichem einen Ineinsfall in bleibender Unterschiedenheit bedeutet, gleichsam »unvermischt und ungetrennt« »wahrer Gott« und »wahrer Mensch«, dann kann es sich nicht um eine absolute, differenzlose Identität (A=A) handeln, weil dann die Unterschiedenheit in jener absoluten Identität aufgehoben wäre. Selbst wenn man hier im Rückgriff auf Hegel mit dem Modell der Identität noch von Identität und Differenz argumentierte und die cusanische Koinzidenz in diesem Sinne verstünde, wäre damit noch kein ontologischer Ausnahmefall begründet. Denn der Grund des Bewusstseins, der »Seelengrund« in mystischer Diktion, ließe sich ja auch als solch eine differenzlose Einheit verstehen, als mystische Einung von Gott und Geschöpf im »ungeschaffenen Grund« – erneut zeigt sich, dass diese ontologische Argumentationsfigur nur scheinbar eine Lösung erbringt. Es bietet sich an, zur Lösung dieses Problems an Jacques Dupuis anzuschließen, der Jesus von Nazareth zum einen als das entscheidende Wort Gottes an die Welt bestimmte, zum anderen aber diese spezifische Differenz Jesu als qualitative, nicht aber quantitative Fülle verstand.34 Dupuis betonte, dass nichts absolut sei außer Gott selbst, und dieses Absolute ist in sich unerschöpflich, erschöpft sich also nicht in der Singularität eines Geschehens: »Die geschichtliche Partikularität Jesu legt dem Christusereignis unabänderliche Begrenzungen auf. […] Gott bleibt jenseits des Menschen Jesus als letzter Grund der Offenbarung und des Heils. Die Offenbarung Gottes durch Jesus ist eine menschliche Transposition des Mysteriums Gottes. Die Heilstat Jesu ist der Kanal, das wirksame Zeichen oder Sakrament, des Heilswillens Gottes. Trotz der personalen Identität Jesu als Sohn Gottes in seiner menschlichen Existenz bleibt eine Distanz zwischen Gott (dem Vater), dem letzten Urgrund, und ihm, der das menschliche Bild Gottes ist. Jesus ersetzt Gott nicht.«35

34 35

Vgl. etwa Jacques Dupuis: Unterwegs zu einer christlichen Theologie des religiösen Pluralismus. Innsbruck-Wien 2010. 350. Ebd. 414.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Dupuis brach die numerische Identität Jesus = Logos = Gott und damit auch die Behauptung einer absoluten Identität etwa von göttlicher und menschlicher Freiheit auf und markierte ein Modell differenzierter Einheit, die Idee einer Vergegenwärtigung in Distanz, einer negativen Darstellung Gottes im und durch den Menschen Jesus. Gleichzeitig hielt er es für denkbar, dass die unerschöpfliche Fülle Gottes sich auch auf anderem Wege zum Ausdruck bringt denn allein im Christusgeschehen. Daneben bezog auch er sich auf die Tradition der Einwohnung des göttlichen Logos im Menschen und damit auf die Tradition der permanenten Inkarnation. Die Inkarnation in Jesus ist laut Dupuis zwar die tiefste, die höchste Form und der Höhepunkt, andererseits jedoch kann auch der partikulare Jesus Gott nicht vollkommen zur Darstellung bringen. In ähnlicher Art und Weise argumentierte auch Michael Bongardt: Der Bezug auf Jesus schließt keineswegs die Möglichkeit von Mehrfachinkarnationen aus. Dass sich Gott in Jesus von Nazareth definitiv als unbedingt für den Menschen entschiedene Liebe bestimmt hat, schließt nicht aus, dass dies auch in anderen Gestalten sich vollziehen und als eine dem Christusgeschehen gleichwertige Offenbarung aufgefasst werden, also ein anderes sinnliches Zeichen die gleiche Bedeutung haben kann. Gefordert ist Singularität in qualitativer Hinsicht, nicht aber Einmaligkeit in rein numerischer Hinsicht.36 Es spricht somit nichts dagegen, Jesus von Nazareth in besonderer Art und Weise als »Realsymbol« Gottes zu verstehen, als Ausfaltung des universalen Gottes in der »Einfaltung« in eine konkrete geschichtliche Person hinein, in die Vereinzelung des Allgemeinen hinein und damit als Konkretion der göttlichen Koinzidenz der Gegensätze (von Allgemeinem und Besonderem). Festzumachen ist dies jedoch, wie schon erwähnt, vor allem am Handeln Jesu und seiner – nach dem Zeugnis der Evangelien durchaus angefochtenen und im Laufe seines ganzen öffentlichen Lebens und Wirkens errungene – Bereitschaft, die unbedingt entschiedene Liebe Gottes zu seiner Schöpfung bis in die letzte Konsequenz hinein darzustellen, so dass in diesem endlichen Menschen Wollen und Sollen in eine Entsprechung gelangen. Gott konkretisiert sich damit auch und in besonderer Weise in der Person Jesu, ohne aber mit diesem numerisch identisch zu sein, ohne sich in ihm zu erschöpfen; er vereinzelt sich, oh-

36

Vgl. hierzu etwa Michael Bongardt: Selbstbewusste Toleranz. Perspektiven einer christlichen Religionstheologie im Anschluss an Nikolaus Cusanus und Ernst Cassirer. In: ders./Rainer Kampling/Markus Wörner (Hg.): Verstehen an der Grenze. Beiträge zu einer Hermeneutik interkultureller und interreligiöser Kommunikation. Münster 2003. 115-141.

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ne seiner Allgemeinheit verlustig zu gehen. Für jene Entsprechung von Wollen und Sollen bedarf es keineswegs eines »ontologischen Ausnahmefalls«, denn prinzipiell setzt ja, kantisch formuliert, Sollen immer auch Können voraus. Nur in Bezug auf etwas, was ich prinzipiell tun oder lassen kann, kann sich überhaupt eine Sollensverpflichtung beziehen. Es ist folglich nicht ganz und gar »menschenunmöglich«, schlechthin moralisch zu handeln und Sollen und Wollen in Entsprechung zu bringen. Wäre es anders, wäre auch der Aufruf in die Nachfolge Jesu letztlich sinnlos, weil er Unmögliches einfordern und grundsätzlich immer schon eine Überforderung bedeutete. Legt man so den Akzent auf das Handeln, so legt man ihn gleichzeitig auf einen körperlichen Vollzug, auf eine verkörperte Praxis. Auf diese Art und Weise lässt sich die inkarnatorische Dimension der »Gottmenschlichkeit« mehr verdeutlichen als lediglich über die Dimension des Bewusstseins: als diese verkörperte Existenz und in ihrer Art und Weise zu handeln ist Jesus Gott, und das bezeichnet der Ausdruck »Leib Christi« in individueller Hinsicht. Er fungiert hier im Übrigen ganz klar als Analogie, da er auf die Deutung Jesu als »Gottmensch« hinweist und solcherart ein Entsprechungsverhältnis zwischen göttlicher und menschlicher Wirklichkeit herstellt, bezogen auf Eines hin, nämlich Jesus von Nazareth.37 Wie jede verkörperte Existenz, so ist auch diejenige Jesu Teil und Moment von Deutungspraxen des Körpers. Wie jede verkörperte Existenz, so ist auch diejenige Jesu biopolitisch bedeutsam und wirkmächtig, und zwar umso mehr, als diese Existenz als Verkörperung Gottes gedeutet wird. Denn daran knüpfen sich unterschiedliche Legitimationsdiskurse von biopolitischer Valenz. »Leib Christi« ist in keiner Weise neutral, weder rassiologisch noch sexuell noch sozial. »Leib Christi« ist vielmehr auch Gegenstand vielfältiger Konstruktionen. Auf diese Konstruktionen soll im Folgenden näher eingegangen werden, wobei 37

Es ließe sich durchaus darüber spekulieren, ob die Analogie und vor allem auch die vorhin erwähnte Konstellation nicht Sprachformen sind, die in besonderer Art und Weise die Deutung Jesu als »Gottmensch« zum Ausdruck bringen können. Denn genau besehen bedeutet ja auch »Gottmensch« eine – dann ontologisch zu verstehende – Analogie bzw. Konstellation, insofern Unterschiedenes zueinander in ein einigendes Verhältnis gesetzt und miteinander vermittelt wird, ohne numerisch identisch zu sein. Insofern könnte man die Idee der Gottmenschlichkeit auch als Idee der Konstellation von Göttlichem und Menschlichem, zentriert in einem Dasein, verstehen, ohne dass Göttliches und Menschliches numerisch identisch sind. Auf diese Art und Weise ließe sich meiner Ansicht nach auch das chalcedonische Bekenntnis interpretieren und so sowohl einer exklusivistischen als auch superioristischen Lesart entziehen.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

hier der Schwerpunkt auf den Konstruktionen von »Geschlecht« liegt, da diese Konstruktionen theologisch wie kirchlich in besonderem Maße wirkmächtig geworden sind.

3.2.2 Deutungen des individuellen Leibes Christi 3.2.2.1 »Corpus Christi« – Darstellungen eines Undarstellbaren Jesus von Nazareth ist eine Person, über die wir sehr wenig wissen, da die Evangelien bekanntlich keine historischen Berichte sind, sondern Glaubenszeugnisse und bereits theologische Interpretationen.38 Völlig unbekannt ist etwa seine äußere Gestalt, sein Aussehen, seine körperliche Verfasstheit. Wir kennen weder Körpergröße noch Haut-, Augen- oder Haarfarbe, weder Körperform noch Antlitz; allein seine Geschlechtsidentität ist als »männlich« klassifiziert, etwa durch die Überlieferung der Verkündigung der Geburt eines Sohnes an Maria, durch die Erzählung der Geburt des Sohnes in Bethlehem, und vor allem durch die Tradierung der Beschneidung Jesu. Jesus von Nazareth ist quasi eine Art »Black Box«, eine unbestimmte, abstrakte und darin auch undarstellbare Größe. Gerade deshalb konnte er auch zum Schauplatz von Projektionen und Konstruktionen werden; Körperdiskurse schrieben sich in jene »Black Box« ein und füllten sie mit materialem Gehalt, eine Flut von Bildern wurde freigesetzt, die das Undarstellbare darstellbar zu machen suchten, es umkreisten, ohne es definitiv bestimmen zu können. Auf diese Art und Weise wurde gleichsam in performativer Art und Weise, d.h. durch den Gebrauch von Bildern und Zeichen, eine neue Wirklichkeit gesetzt: die der Imagination des Körpers Jesu, des individuellen Leibes Christi. So setzte sich zum Beispiel aufgrund ikonographischer Prägungen in der Bildenden Kunst und in der Ikonenmalerei der Orthodoxie ein sehr konkretes

38

»Ein Leben Jesu zu schreiben, ist von den Quellen her nicht möglich. Botschaft und Geschichte Jesu stehen im Blickpunkt. Der Akzent ruht dabei auf der Botschaft. Die Geschichte verdichtet sich in den Evangelien auf seine öffentliche Wirksamkeit und nimmt konkrete Gestalt an in seiner Passion. […] Man kann versuchen, seine Botschaft zu rekonstruieren, sein Wirken vom politischen und geistig-religiösen Horizont der Zeit her zu beleuchten. Quasibiographische Züge nimmt die Darstellung nur für die letzten Stunden seines Lebens an, die Stunden seiner Passion, für die wir wissen, dass eine alte Passionsgeschichte, mag sie auch theologisch reflektiert sein, sie aufbewahrt hat.« (Joachim Gnilka: Jesus von Nazareth. Botschaft und Geschichte. 2., ungekürzte Sonderausgabe. Freiburg i.Br. 2007. 7f.)

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Jesusbild durch: das des langhaarigen, »weißen«, bärtigen Mannes, sandalenbeschuht39 und im langen Gewand.40 Neben dieser Imagination des erwachsenen, bärtigen Mannes nebst entsprechenden Kleidungscodes existieren in Bezug auf die Kindheitserzählungen der Evangelien Bilder des »Jesuskindes«: das in Windeln gewickelte Kind, der »holde Knabe im lockigen Haar«, auf Bildern oft als eine Art altkluges Kleinkind dargestellt, da schon über vollkommenes, göttliches Wissen verfügend, weniger als hilfloses Neugeborenes. Um diese Konstruktion des »Jesuskindes« ranken sich idealisierende Vorstellungen der »Heiligen Familie« als Urbild der bürgerlichen Kleinfamilie: (Zieh-)Vater Josef, Mutter Maria, Sohn Jesus. Die Körperkonstruktionen Jesu sind mehrdimensional und intersektional, sie beziehen sich etwa auf Schönheitsideale und Vollkommenheitsvorstellungen (womit auch das Thema der körperlichen Beeinträchtigung tangiert ist), auf Vulnerabilität, körperliches Leid, Schmerz und Tod, auf konkrete Körperpraxen wie Essen, Trinken, Waschen, Salben, rituelle Vollzüge und heilende Handlungen, auf Sexualität, Begehren und sexuelle Identität, auf Geschlechtsidentität und -rolle – und nicht zuletzt auf race. In ihnen spiegeln sich kulturelle und soziale Codes, symbolische Ordnungen, normative und (bio-)politische Orientierungen und Interessen. Im Blick auf das Körperbild insgesamt wurde etwa ein bestimmtes Schönheitsideal, orientiert am Ideal wohlproportionierter Harmonie, projiziert. Der als vollkommen geltende, sündlose »Gottmensch« musste einen entsprechend vollkommenen und wohlproportionierten Körper besitzen, gemäß einem auf Harmonie abzielenden Schönheitsideal. Oder er wurde als von eher hagerer, asketischer Gestalt imaginiert, was ebenfalls einem bestimmten Ideal von Schönheit, aber auch von Spiritualität entspricht – völlig unvorstellbar, dass Jesus vielleicht eine nicht ganz so ansprechende Gestalt hatte, evtl. gar nicht schlank, sondern fettleibig gewesen ist41 oder dass er gar körperlich einge39 40

41

So hat sich ja zum Beispiel auch im alltagssprachlichen Sprachgebrauch für einen bestimmten Sandalentypus die Bezeichnung »Jesuslatschen« eingebürgert. Man denke hier auch an die Besetzung der »Jesusrolle« in Filmen, Musicals (»Jesus Christ Superstar«) oder Passionsspielen; stets dominiert hier der langhaarige Bartträger, oft auch die Besetzung mit nach gesellschaftlich dominantem Schönheitsideal »gutaussehenden« Männern. Besetzungen entgegen des »Jesusklischees« dagegen sind selten. Die gängige Konstruktion fand sogar Eingang in den Song »Hair« des gleichnamigen Musicals: »My hair like Jesus wore it. Hallelujah I adore it.« Vgl. hierzu etwa Lisa Isherwoods Spekulationen über einen »fetten« Jesus und die biopolitische Bedeutung der Möglichkeit, dass Jesus in keiner Weise einem herrschenden

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

schränkt gewesen ist. Für Nikolaus Cusanus beispielsweise stand der Körper im Dienst der vollkommenen Vernunft Jesu, und entsprechend musste er ebenso vollkommen sein. Cusanus gestand zwar zu, dass »der vollkommenste Mensch nicht im Akzidentellen hervorragend sein [muß], sondern hinsichtlich der Vernunft. Es ist nicht notwendig, daß er ein Riese oder ein Zwerg sei, diese oder jene Größe, Farbe, Gestalt habe, und so gilt es auch bei den sonstigen akzidentellen Eigenschaften; nur das allein ist vielmehr notwendig, daß dieser Körper so die Extreme meidet, daß er ein absolut taugliches Instrument für die Vernunftnatur ist, der er ohne Widersetzen, Murren und Mühe sich fügen und willfahren soll.«42 Der Körper steht hier in einem untergeordneten Verhältnis zur ihn bestimmenden Vernunft. Dennoch stand auch für Cusanus fest, dass der Körper der vollkommenen Vernunft entsprechen muss, und so musste Jesus in jener Vorstellung einen ebenso vollkommenen Körper besitzen, der nicht eingeschränkt sein konnte, ja in dem sich die Vollkommenheit des Geistes (und damit auch die Vorstellung eines Harmonieideals) spiegelt, ausdrückt, genau besehen die Koinzidenz von maximal Größtem und Kleinstem: »Unser Jesus, in dem alle Schätze der Wissenschaft und Weisheit auch bei seinem Erscheinen in der Welt verborgen waren wie das Licht in der Finsternis, hatte, wie man glaubt, um seiner ganz hervorragenden Vernunftnatur willen einen für sie vorzüglich geeigneten und ganz vollkommenen Körper, wie auch von den hochheiligen Zeugen berichtet wird, die mit ihm Umgang hatten.«43 Diese Passage ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie Konstruktionen wirken, wie sie weiter tradiert werden und welche legitimatorische Funktion sie besitzen. Das »ein für allemal« des Inkarnationsgeschehens impliziert die Vollkommenheit des Körpers, umgekehrt weist dieser vollkommene Körper auf

42

43

Schlankheitsideal entsprach, in: Lisa Isherwood: The Fat Jesus. Feminist Explorations in Boundaries and Transgressions. London 2007. Vgl. hierzu auch Leidinger: Verletzbarkeit gestalten. 262ff. Nikolaus von Kues: De docta ignorantia/Die belehrte Unwissenheit. Buch III. Lateinisch-Deutsch. Zweite, verbesserte Auflage, übersetzt und mit Einleitung, Anmerkungen und Register herausgegeben von Hans Gerhard Senger. Mit einem Anhang Zur Geschichte der Überlieferung der Docta ignorantia von Raymond Klibansky. Hamburg 1999 (im Folgenden zitiert als De doct. ign. III). 4, 207. Ebd.

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das singuläre Geschehen hin. Es handelt sich jedoch um eine pure Setzung, eine bloße Behauptung, die nicht erwiesen werden kann, zumal es die erwähnten »hochheiligen Zeugen« gar nicht gibt; nirgendwo ist etwas über einen vollkommenen Körper überliefert, den Jesus besessen haben soll. Doch diese offensichtlich auf Projektionen beruhende Konstruktion eines »vollkommenen Körpers«, noch dazu der als vollkommen apostrophierten Vernunft entsprechend und dieser unterworfen, hat eine enorme biopolitische Wirksamkeit entfaltet. Körperliche Beeinträchtigung scheint der Vernunft und der Vollkommenheit entgegen zu stehen, und sie scheint nicht zum »Leib Christi« zu gehören. Wer dann aber Christus repräsentiert, muss dann eigentlich ebenso körperlich unbeeinträchtigt sein wie Jesus bzw. der individuelle Christuskörper – und zwar deshalb, weil die körperliche Beeinträchtigung substanzontologisch betrachtet nicht nur die akzidentellen Eigenschaften des Körpers (Bart, Haare, Augenfarbe etc.) tangiert, sondern die substanziellen Eigenschaften, die dann auf das Feld des Mentalen bezogen werden.44 Noch im CIC von 1917 waren deshalb Personen mit körperlicher Beeinträchtigung von der Weihe ausgeschlossen.45 Diese Vorschrift wurde dann allerdings im CIC von 1983 gestrichen, im derzeit geltenden kirchlichen Recht werden an einen Weihebewerber zwar die Anforderung der der Weihe entsprechenden physischen und psychischen Eigenschaften gestellt46 – immer noch recht dehnbare Begriffe –, weshalb er sich auch einer eingehenden körperlichen Untersuchung unterziehen muss.47 Als Weihehindernisse werden jedoch explizit nur noch Geisteskrankheit und Selbstverstümmelung genannt. Dennoch dürfte 44

45 46 47

Vgl. zur Kritik an einer Christologie, die körperliche Beeinträchtigung ausblendet, etwa Nancy Eiesland: The Disabled God. Towards a Liberatory Theology of Disability. Nashville 1994. Eiesland votiert dafür, auch Jesus als körperlich beeinträchtigt zu verstehen, und zwar als Leidender und Gekreuzigter. Damit bezieht sie den Vulnerabilitätstopos auf den der körperlichen Behinderung. Vgl. auch Leidinger. Verletzbarkeit gestalten. 263. Vgl. c. 974 CIC/1917. Vgl. hierzu c. 1029 CIC/1983. Hinsichtlich der psychischen Eigenschaften wird hier häufig die sexuelle Orientierung überprüft, da Homosexualität laut offizieller kirchlicher Position als Ausdruck psychischer Unreife gilt. Männer mit »tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen« sollen laut einer Instruktion der Kongregation für das Katholische Bildungswesen weder in ein Priesterseminar aufgenommen noch zur Weihe zugelassen werden. (Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Über Kriterien zur Berufungsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen vom 4.1.2005. Bonn 2005.)

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die Weihe körperlich beeinträchtigter Personen zahlenmäßig gering sein, auch mit Blick auf die zu erfüllenden Funktionen des priesterlichen Amtes. Die Betonung der Vollkommenheit, die auch auf das Bekenntnis zur Göttlichkeit Jesu abzielt, konvergiert mit Codierungen von Souveränität, Vollmacht und Herrschaft, zum Beispiel in Darstellungen Jesu als Weltenrichter48 , als Pantokrator, als Gottessohn und zweite Person der Trinität, aber auch als Wundertäter49 oder als mit Vollmacht Berufender50 . Diesem Vollkommenheitstopos steht das Bild des vulnerablen Corpus Christi entgegen: der verwundete, geschundene Gefolterte und Gekreuzigte, nur noch bekleidet mit Lendenschurz, Dornenkrone auf dem Haupt, postmortal mit Seitenwunde und geneigtem Haupt, oder dann nach der Kreuzabnahme mit allen Wundmalen versehen.51 Der individuelle »Leib Christi« ist eine Koinzidenz

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Ein prominentes Beispiel ist Michelangelos Darstellung Jesu als Weltenrichter in der Sixtina – Jesus ist bartlos, mit einem fast weiblich wirkenden Gesicht, hellhäutig und hellhaarig dargestellt, zugleich mit einem äußerst muskulösen, fast etwas korpulent wirkenden Körper, bei dem die einzelnen Muskelpartien deutlich herauspräpariert sind. Die tradierten Zeichenhandlungen Jesu sind häufig Körperpraxen, so etwa das Berühren des Gewandes durch die Blutflüssige und die damit verknüpfte Kraft, die aus Jesus ausging, oder das Berühren der Augen der Blinden. So hat z.B. Caravaggio in seinem Gemälde »Die Berufung des Hl. Matthäus« die Souveränität Jesu im Akt der Berufung in besonderer Art und Weise herausgestellt. Vgl. zur Betonung des verwundeten Leibes Christi neben Paulinischer theologia crucis sowie klassisch lutherischen und reformierten Kreuzestheologien etwa Jürgen Moltmann: Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie. Gütersloh 1972 sowie aus befreiungstheologischer Perspektive (mit Konnotation des Motivs des gekreuzigten Volkes) Jon Sobrino: Christologie der Befreiung. Mainz 1998; ders.: Der Glaube an Jesus Christus. Eine Christologie aus der Perspektive der Opfer. Ostfildern 2008. Vgl. vor allem auch die kenotische, das Gehorsamsmotiv betonende Christologie Hans Urs von Balthasars in: ders.: Theologie der drei Tage. Einsiedeln 1969; ders.: Theologik II: Wahrheit Gottes. Einsiedeln 1985, und deren Rezeption bei Graham Ward in: ders.: Christ and Culture. Malden-Oxford-Victoria 2004. Vgl. hierzu ausführlich Leidinger: Verletzbarkeit gestalten. 207-214; 284-289. Vgl. zum Motiv der Verwundbarkeit Christi aus feministisch-theologischer Perspektive auch Dorothee Sölle: Die Verwundbarkeit Christi. Zum feministisch-christologischen Diskurs. In: Sönke Abeldt u.a. (Hg.): »…was es bedeutet, verletzbarer Mensch zu sein.« Erziehungswissenschaft im Gespräch mit Theologie, Philosophie und Gesellschaftstheorie. Festschrift für Helmut Peukert zum 65. Geburtstag. Mainz 2000. 171-179; Julie Hopkins: Feministische Christologie. Wie Frauen heute von Jesus reden können. Mainz 1996. 71-81.

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der Gegensätze – und womöglich gerade auch darin als Bild Gottes interpretierbar, insofern Gott, mit Cusanus formuliert, der Ineinsfall der Gegensätze ist: Souveränität und Verletzlichkeit, Macht und Ohnmacht, Schönheit und Entstellung, Genuss und Schmerz, Leben und Tod. Symbol dieser Koinzidenz ist das Bild des auferstandenen Christus: der »Todesüberwinder«, der »Sieger über Sünde und Tod« ist bleibend von den Wundmalen gezeichnet.52 In besonderer Art und Weise begegnen diese Konstruktionen in affektiv-mystischen Traditionen mit ihren liebes- und leidensmystischen Dimensionen bzw. in spezifisch christusmystischen Kontexten.53 In beidem, körperlichem Vollkommenheits- wie Vulnerabilitätstopos, spiegeln sich soziale Zuschreibungen: Jesus wird einerseits als »Herr« gekennzeichnet, der Menschen zur Nachfolge beruft, als charismatischer Anführer, 52

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Bezeichnenderweise demonstrieren gerade die Wundmale in der neutestamentlichen Überlieferung sowohl die Verkörperung auch des Auferstandenen – keineswegs ist er nur ein Geistwesen mit einem Scheinleib – als auch die Identität des Auferstandenen mit Jesus. Verdeutlicht wird dies durch ein Narrativ körperlicher Berührung: Der Apostel Thomas legt seine Finger bzw. seine Hand in die Wundmale bzw. Seitenwunde Jesu. Vgl. hierzu z.B. die Verknüpfung von liebes- und leidensmystischen Motiven in den Christusvisionen Gertruds von Helfta (vgl. Gertrud die Große von Helfta: Gesandter der göttlichen Liebe. Ungekürzte Übersetzung von Johanna Lanczkowski. Heidelberg 1989) oder Julians of Norwich (vgl. Julian of Norwich: Offenbarungen von göttlicher Liebe. In der ursprünglichen Fassung zum erstenmal übers. und eingeleitet von Elisabeth Strakosch. Einsiedeln 4 2011). Vgl. aber auch die drastischen Ausmalungen der Passion Christi in den von Clemens Brentano aufgezeichneten Visionen Anna Katharina Emmericks, die die Vorstellungen der Passion Christi nachhaltig prägten, bis hin zur Adaption in Mel Gibsons Film »The Passion of the Christ« (vgl. Clemens Brentano: Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi. In: ders.: Sämtliche Werke und Briefe. Band 26: Religiöse Werke V. Hg. von Bernhard Gajek. Stuttgart u.a. 1980). Die Verknüpfung von Liebe und Leiden und die damit verbundene erotische Aufladung von Verwundung – etwa in der mit erotischen Bildern ausgeschmückten Meditation der Seitenwunde Jesu, die in affektiven Mystiken des Öfteren begegnet (vgl. z.B. Gertrud: Gesandter der göttlichen Liebe. 145) zeigt, dass in diesen mystischen Texten die Konstruktionen des Leibes Christi mit Konstruktionen von Begehren und Geschlecht verbunden sind. Darauf wird nochmals zurückzukommen sein. Vgl. zum Christusleib in der mittelalterlichen Liebes- und Leidensmystik, spezifisch der mittelalterlichen Frauenmystik ausführlich Caroline Walker Bynum: Fragmentierung und Erlösung. Geschlecht und Körper im Glauben des Mittelalters. Frankfurt a.M. 1996; dies.: Jesus as Mother. Studies in the Spirituality of the High Middle Ages. Berkeley-Los Angeles-London 1984; Sarah Beckwith: Christ’s Body. Identity, Culture and Society in Late Medieval Writings. London 1994; Christina von Braun: Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild, Geschlecht. Zürich 2001.

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dies aber als einer »Nachfolgegemeinschaft von Gleichgestellten«54 vorstehend, und er wird andererseits als in Armut lebender Wanderprediger gezeichnet, der sich keinen gesellschaftlich herrschenden Konventionen unterwirft, und der sich mit Armen und gesellschaftlich Marginalisierten wie Prostituierten und Zöllnern solidarisiert und so selbst zu einem gesellschaftlichen outsider wird.55 Er, dem Göttlichkeit zugesprochen wird, entstammt keineswegs der Oberschicht oder großstädtischem Milieu, sondern einer Familie von Bauhandwerkern aus Nazareth in Galiläa, und gemeinsam mit seinem Vater wird er vermutlich als Tagelöhner und Wanderarbeiter gearbeitet haben, da das kleine Nazareth allein dazu zu wenig Möglichkeiten bot; danach hat er wohl aus unbekannten Gründen seine Familie verlassen und sich der Bewegung des Täufers angeschlossen.56 Es zeigt sich also schon hier, dass Körperkonstruktionen und soziale Konstruktionen in Bezug auf die Gestalt Jesu intersektional zusammenwirken: Der sandalenbeschuhte, langhaarige outsider, der mit Marginalisierten gemeinsam Mahl haltende »Fresser und Weinsäufer«, der Gefolterte und als »Volksaufwiegler« Gekreuzigte und damit als von Gott verflucht Geltende, aber auch der mit königlichen Attributen ausgestattete Herr über die ganze Schöpfung und Teil einer in Analogie zu spätantiken und mittelalterlichen Gesellschaftsordnungen imaginierten Himmelshierarchie. Beides wird etwa in feministischen und in postkolonialen Christologien kritisiert, sowohl die Identifikation Jesu mit einem »Herrn« als auch die Glorifizierung des Leidens und Sterbens Jesu als Erlösung und als Opfertod, welches häufig zur Legitimation dafür verwendet wurde, ungerechte und gewaltförmige Zustände geduldig zu ertragen statt ihnen zu widerstehen.57 Eine zentrale Codierung des Körpers Jesu betrifft auch rassifizierte Zuschreibungen. Dominant ist lange Zeit die Kennzeichnung Jesu als »weißer« 54 55

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Elisabeth Schüssler-Fiorenza: Zu ihrem Gedächtnis. Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge. Gütersloh 2 1993. 203. »Das von den Evangelien, besonders in deren ersten Teilen, wiederholt gezeichnete Bild von dem von unzählbaren Volksscharen umgebenen Jesus bedarf in diesem Sinn der Korrektur und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Unverständnis größer war als die Zustimmung.« (Gnilka: Jesus von Nazaret. 173.) Vgl. hierzu etwa Martin Ebner: Jesus von Nazareth. Was wir von ihm wissen können. Stuttgart 2007. Vgl. hierzu die Verweise auf die Kritiken an einer einseitigen Spiritualisierung der Passion Jesu von Lisa Isherwood, Marcella Althaus Reid, Kwok Pui Lan und Wonhee Anne Joh in Silber: Postkoloniale Theologien. 108-111.

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gewesen. Bereits als Kind als »weiß« und oft mit blonden Locken vorgestellt, dann auch als erwachsener Mann nicht selten mit hellen Haaren und Bart, gar mit blauen Augen und »weißer« Hautfarbe. Im europäischen Kontext wurde dieses Bild erst spät aufgebrochen, als auch hier – z.B. mit dem Misereor-Hungertuch des Jahres 1982 aus Haiti – das Bild eines Schwarzen oder eines Indigenen Jesus wahrgenommen wurde.58 Mittlerweile wird betont, dass Jesus aufgrund seiner Herkunft aus Palästina nicht-»weiß« war und ggf. wegen seiner ursprünglichen Tätigkeit als Bauhandwerker auch durchaus muskulös gewesen sein dürfte. Die rassifizierte Konstruktion des individuellen Leibes Christi ist politisch höchst brisant. Grundsätzlich ist die Identifikation des Körpers Jesu als »weiß« eine Einschreibung in den Körper Jesu, die diesen selbst überdeterminiert. Die Imagination eines »weißen« Jesus ermöglichte denn auch die Legitimation der Unterwerfung Indigener Völker durch europäische, christliche Kolonialherren59 und die rassistische Deutung Jesu im Nationalsozialismus.60 Race und Klasse greifen hier ineinander, beide Kategorien werden dem Körper Jesu eingeschrieben und politisch eingesetzt: den »weißen« ein »weißer« Erlöser und damit alles andere als ein universaler, alle einschließender »Gottmensch«.61 58

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Vgl. auch ein Video der BBC, in dem ein Schwarzer Jesus auftritt: »Du hättest es gerne, wenn ich mich in einen weißen Jesus verwandeln würde, oder? Nein. Auf keinen Fall. Ich bin wie ich bin. Es gibt keinen weißen Jesus.« (Oliver Vorwald: »Es gibt keinen weißen Jesus«. In: https://www.ndr.de/kirche/Das-Kirchenlexikon-Hautfarbe-Jes u,aussehen104.html, abgerufen am 4.7.2019). Vgl. hierzu etwa Marcella Althaus-Reid: The Queer God. London-New York 2003. Vgl. etwa Susannah Heschel: The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany. New Jersey-London 2008. Vgl. zur Problematik der Vorstellung eines »›weißen‹ Jesus« und die daraus folgenden Exklusionspraktiken wie Kolonialismus und Rassismus auch Karlheinz Ruhstorfer: Von der Geschichte der Christologie zur Christologie der Geschichte. In: ders. (Hg.): Christologie. Paderborn 2018. 215-377. Hier: 360ff. Vgl. ebenso Kwok Pui Lan: Farbcodierung für Jesus. Ein Interview mit Kwok Pui Lan. In: Nehring, Andreas/Tielesch, Simon (Hg.): Postkoloniale Theologien. Bibelhermeneutische und kulturwissenschaftliche Beiträge. Stuttgart 2013. 112-122. Die politische Bedeutung etwa der Vorstellung eines Schwarzen Jesus zeigt sich auch in einem Filmprojekt des Schweizer Regisseurs Milo Rau: Er lässt darin einen Schwarzen Jesus auftreten, um die Identifikation Jesu mit afrikanischen Migranten in Süditalien zu markieren – die Folter Jesu steht stellvertretend für deren Schicksal. Zugleich fordert Jesus im Film alle Anhänger faschistischer Ideologien sowie die Wähler der Lega zur Reue und zur Umkehr auf, zur Rückkehr zum wahren christlichen Glauben, der mit Faschismus unvereinbar ist. Ein konkretes Bild der verkörperten Existenz Jesu wird auf

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Eine weitere zentrale Körperkonstruktion zielt auf das Begehren (desire) ab – und damit betreten wir auch schon das Feld von »Geschlecht« (sex/gender), weil das Begehren zumindest in seiner erotischen Konnotation wie erläutert an sex gekoppelt ist. Zwar gibt es Konzeptionen, die Jesus sämtliches Begehren absprechen, indem Göttlichkeit und Begehren voneinander abgekoppelt werden und es zur göttlichen Vollkommenheit gehört, gerade nicht zu begehren. Hier schimmert neben dem aristotelischen Modell des »unbewegten Bewegers« und dem neoplatonischen nous-Begriff auch das stoische Ideal der ataraxia durch. Das Begehren, das »fleischliche« zumal, gilt als Zeichen des Absinkens in die Sünde und Unvollkommenheit. Christoph Markschies hat darauf hingewiesen, dass es Körperkonstruktionen Jesu gab, die sogar davon ausgingen, dass er anders als andere Männer weder über Penis noch über Hoden verfügte, bzw. nur anscheinend (analog zur doketistischen Vorstellung des Scheinleibes) darüber verfügte.62 Es gibt aber auch Modelle, die ihm aufgrund seiner Menschlichkeit durchaus auch die Fähigkeit zu begehren zusprechen, ihn aber freiwillig auf Sexualität verzichten lassen.63 Umgekehrt

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diese Weise politisch gegen die Neue Rechte eingesetzt und wird zum Symbol des Widerstandes gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Auf diese Art und Weise wird erstens die christliche Überlieferung der Funktionalisierung durch rechtsextreme Ideologien entrissen: Christentum und Rechtsextremismus bzw. Faschismus schließen sich gegenseitig aus. Zweitens wird verdeutlicht, dass Nachfolge Jesu stets auch eine konkrete politische Positionierung einschließt: Wer diesem Jesus nachfolgt, hat an der Seite der Opfer zu stehen, der Schwachen und Ausgegrenzten. Ohne diese Parteilichkeit ist das Christentum nicht zu haben. So etwa Julius Cassianus, vgl. dazu Markschies: Gottes Körper. 385f. Sowohl für diejenigen, die Jesus als einen asexuellen Menschen verstehen, als auch für diejenigen, die ihn als sexuell enthaltsam ansehen, gelten Annäherungen an Jesus, die diese Vorstellung explizit durchbrechen oder auch nur andeuten, als blasphemisch und führen bei diesen Gruppierungen zu Protest oder zu öffentlichen Gebetshandlungen, die sich gegen diese Deutungen richten. Ein prominentes Beispiel sind die »Protestgebete« traditionalistischer Christinnen und Christen gegen Martin Scorseses Film »Die letzte Versuchung Christi« (1988), basierend auf dem Roman von Nikos Katzanzakis. Offenbar wurde von religiösen Traditionalisten nicht verstanden, dass in Roman und Film Jesus am Kreuz darüber halluziniert, was passiert wäre, wenn er sich für Maria von Magdala entschieden hätte, und dabei auch halluziniert, mit ihr zu schlafen. Es wird also gar nicht behauptet, dass Jesus realiter mit Maria eine sexuelle Beziehung geführt habe. Außerdem gilt auch hier: Das Ganze ist nicht so progressiv wie vermutet, im Gegenteil, denn Maria wird – ganz dem Klischee von Weiblichkeit entsprechend –, als Verführerin, als »Versuchung« Jesu imaginiert, nicht aber als gleichgestellte Gefährtin, »Jüngerin« und Apostelin, zumal Maria dann auch noch bei der Geburt des ersten Kin-

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Die »Leib Christi«-Metapher

gibt es die Überzeugung, dass Jesus nicht sexuell enthaltsam gelebt hat, auch wenn er ehelos gelebt hat, denn Ehelosigkeit ist nicht mit sexueller Enthaltsamkeit gleichbedeutend. Jesus könne zwar »unbürgerlich« und damit auch ohne familiäre Bindung gelebt haben, zugleich aber eine sexuelle Beziehung geführt haben.64 Die Deutungen des Begehrens Jesu verknüpfen sich auf diese Weise mit Deutungen seines Geschlechts bzw. seiner Geschlechtsidentität.65

3.2.2.2 »Leib Christi« – sex, gender, desire Die Konstruktionen des individuellen Leibes Christi beziehen sich hier zum einen auf die Geschlechtsidentität Jesu, auf damit verknüpfte Funktions- und Rollenzuschreibungen, sowie auf sein Begehren, insbesondere sein sexuelles

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des Jesu sterben muss (Strafe für die Verführung? Weibliche Aufopferung?) und dann Jesus mit zwei weiteren Ehefrauen (!) weitere Kinder zeugt. Der vermeintliche Skandal ist nichts anderes als eine gesellschaftlich angepasste Projektion und Reproduktion des klassischen bürgerlichen Familienbildes – was traditionelle Christinnen und Christen eigentlich erfreuen müsste und ihre Gebetsaktionen hätte überflüssig machen können. Die etwa in Dan Browns »Da Vinci Code« popularisierte Vorstellung, dass Jesus gar nicht am Kreuz gestorben, sondern geflohen sei, Maria von Magdala geheiratet und zahlreiche Kinder gezeugt habe, gehört ganz klar in das Reich der Legenden und reproduziert – ob gewollt oder ungewollt – das klassische bürgerliche Familienideal. Es mag dahingestellt sein, ob das Bild von Jesus als in geordneten Verhältnissen lebender Familienvater progressiver ist als dasjenige des unverheirateten und mit einer Gruppe von Gleichgesinnten nomadisierenden charismatischen Predigers, langweiliger und in jeder Hinsicht einfallslos ist es auf jeden Fall. Browns Plot ähnelt außerdem der in manchen esoterischen Kreisen vertretene obskuren »Indienhypothese«, d.h. der Behauptung, dass Jesus nach seiner überlebten Kreuzigung (!) mit Maria von Magdala nach Indien gegangen sei und dort eine Familie gegründet habe. (Vgl. hierzu etwa Holger Kersten: Jesus lebte in Indien. München 1983; Erich von Däniken: Die Reise nach Kiribati. Düsseldorf 1981.) Ein unverheirateter und nomadisierend lebender Jesus, ob zölibatär lebend oder nicht, umherziehend mit einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten und in vielfältigen Beziehungen zu anderen stehend, entspräche einer postkolonialen Kritik an einem territorialen, auf Landbesitz ausgerichteten Denken des Raumes, welches auch den Kolonialismus bestimmt hatte: Der Wanderprediger Jesus durchquert Territorien und überspringt Grenzen und wirkt so sowohl schöpferisch als auch erlösend und befreiend. Vgl. hierzu auch Stefan Silber: Postkoloniale Theologien. Eine Einführung. Tübingen 2021. 101f.; vgl. auch Michael Nausner: Heimat als Grenzland. Territorien christlicher Subjektivität. In: Andreas Nehring/Simon Tielesch (Hg.): Postkoloniale Theologien. Bibelhermeneutische und kulturwissenschaftliche Beiträge. Stuttgart 2013. 187-202.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Begehren und seine sexuelle Identität. In diesem Tableau gibt es unterschiedliche Perspektiven: Von der Adaption der Zweigeschlechtlichkeit, der Betonung der Männlichkeit Jesu und daraus abgeleiteten Funktionszuschreibungen – die dann aber auch durch eher »weiblich« codierte Zuschreibungen gekreuzt, quasi »gequeert« werden – bis hin zur Einklammerung bzw. Aufhebung der sexuellen Differenz im Blick auf den »Leib Christi« ; und von der Konstruktion eines asexuellen Jesus über einen heterosexuellen, aber enthaltsam lebenden, einen ebenso enthaltsam lebenden, jedoch schwulen Jesus bis hin zu einem sexuell aktiven Jesus, ob hetero- oder homosexuell. In klassischen Christologien wird die Gegebenheit einer männlich bestimmten Geschlechtsidentität Jesu vorausgesetzt, aber häufig nicht explizit thematisiert. Das Geschlecht Jesu ist hier kein dominantes Thema, teilweise wird sogar, wie etwa von Karl Rahner, herausgestellt, dass die Geschlechtsidentität Jesu völlig unwichtig gewesen ist: Es stehe zwar fest, dass Jesus ein Mann und keine Frau gewesen sei, es sei aber unsinnig, das Mannsein Jesu aufgrund der Vereinigung Gottes mit Jesus als besondere Selbstoffenbarung Gottes hoch zu spekulieren.66 Allerdings gibt es auch bedeutende christologische Entwürfe, in denen entweder das Begehren Jesu oder sein Geschlecht oder beides eine zentrale Rolle spielen – und damit auch biopolitisch bedeutsame Konstruktionen von »Geschlecht«. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Christologie Hans Urs von Balthasars. Hintergrund der geschlechtsspezifischen Deutungen, die der Körper Jesu bei Balthasar erfahren hat, ist zunächst Balthasars Betonung der Inkarnation:67 »Die christliche Religion ist die einzige, die, am evidentesten Faktum, der Sterblichkeit des Fleisches vorbei […] das unüberholbare Ende der Wege 66

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Vgl. Karl Rahner: »Gott« Vater und Mutter, Mann und Frau. Gespräch mit Anita Röper. In: ders.: Sämtliche Werke. Band XXX. Freiburg i.Br. 2007. 753-759. Hier: 758. Vgl. zu Rahners Position auch Roman A. Siebenrock: »Die Frau ist der Frau aufgegeben«. Die transzendentalontologische Grammatik Karl Rahners als Ermöglichung einer gendergerechten Denkform in der Suche nach der christlichen Gestalt der einen christlichen Berufung. In: Saskia Wendel/Aurica Nutt (Hg.): Reading the Body of Christ. Eine geschlechtertheologische Relecture. Paderborn 2016. 173-191; Aurica Nutt: »A bundle of flesh just as we are«. Geschlechtersensible Analysen zur Leib-Christi-Metaphorik. In: Reményi/Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. 314-331. Hier: 321f. Vgl. hierzu auch Aurica Nutt: Das »Leib Christi«-Verständnis Hans Urs von Balthasars. Eine geschlechtersensible Analyse seiner Christologie und Ekklesiologie. In: ThQ 197 (2007), 2. 133-154.

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Gottes im Fleisch, im sterblichen, eucharistischen, mystischen, auferstehenden Fleisch gefunden hat. Dieser konkrete, höchst problematische, in seine Fleischlichkeit eingewiesene und versunkene Mensch: er und kein anderer ist von Gott angezielt, mit ihm will er eins, ja wirklich ›ein Fleisch‹ werden (Gen 2,24, Mt 19,5 par, Eph 5,30-32).«68 »Fleisch« bzw. »Leib« wurde von Balthasar klar zweigeschlechtlich differenziert verstanden. Ein weiterer Hintergrund sind Balthasars Überlegungen zur Kenose und zum Gehorsam gegenüber göttlicher Sendung – beides ihm zufolge zentrale Bestimmungen Jesu. Die kenotische Haltung Jesu begründet sich zum einen in der »Ur-Kenose« des in ihm menschgewordenen Logos in dessen Fleischwerdung, zum anderen im Leiden und Sterben am Kreuz und im Weg in die völlige Gottverlassenheit bzw. im Abstieg des toten Jesus in die Hölle. Zugleich greift hier das Gehorsamsmotiv: der Gehorsam des Logos gegenüber dem Vater hinsichtlich seiner Sendung bis hin zur Hingabe am Kreuz und zum Abstieg in die Tiefen der Hölle.69 Jesus ist Urbild einer responsorischen Haltung, er entspricht in Freiheit der Sendung des Vaters, und diese Freiheit gilt in der Perspektive Balthasars als wahrhafte Freiheit: sich gehorsam vom göttlichen Willen bestimmen zu lassen und freiwillig dem Anruf Gottes zu folgen bis hin zur Preisgabe des eigenen Lebens, und so Gott selbst zur Erscheinung zu bringen.70 Diese christologischen Spekulationen sind insofern mit Geschlechtskonstruktionen untrennbar verbunden, als Balthasar zum einen, wie schon erwähnt, die sexuelle Differenz »männlich/weiblich« als dem Körper naturhaft eingeschrieben versteht, und die »Fleischwerdung« des Logos folglich stets sexuell differenziert zu denken ist. Doch die sexuelle Differenz ist bei Balthasar nicht allein eine Einschreibung des Körpers, also mit verkörpertem Dasein bzw. endlicher Existenz verknüpft, sondern sie kennzeichnet auch Gott selbst. Gott ist nämlich für Balthasar aufgrund seiner Prädikate wie Selbstursprünglichkeit und Allmacht wesentlich männlich zu denken: Gott besitze unermessliche, vollkommene Zeugungskraft, quasi absolute Potenz und Aktivität – was Balthasar mit Männlichkeit assoziierte; die Schöpfung als aus Gott Hervorgegangene ist dagegen passiv zu denken, empfänglich – was mit »weiblich« assoziiert wird. »Männlicher« Gott und »weibliche« Kreatur entsprechen

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Balthasar: Theologik II. 201. Vgl. ebd. 238f.; 322. Vgl. etwa ders.: Theodramatik IV: Das Endspiel. Einsiedeln 1983. 224.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

in komplementärer Art und Weise einander. Dieses Verhältnis von Gott und Geschöpf werde, so Balthasar, in der Schöpfung von Mann und Frau in analoger Art und Weise repräsentiert.71 Die männlichen Attribute Gottes sind also in der Perspektive Balthasars kein analoger Sprachgebrauch oder als Metaphern zu verstehen, sondern sie sind notwendige Wesenseigenschaften Gottes, und zwar substanzielle, nicht akzidentielle Eigenschaften, die mit den substanziellen Gottesprädikaten wie Selbstursprünglichkeit, Allmacht und Allwissenheit unauflöslich verbunden sind. Die Bezeichnungen Gottes wie »Vater«, »Herr«, »König« usw. sind also für Balthasar keine arbiträren Zeichen und auswechselbaren Namen, sondern kommen Gott notwendig zu. Gott ist in dieser Optik stets und unauflöslich männlich sexualisiert.72 Balthasar zufolge musste, ja konnte sich der von ihm als »männlich« qualifizierte Gott nur in einem Mann inkarnieren, denn die männliche Zeugungskraft, ja man könnte sagen: die männlich apostrophierten göttlichen Eigenschaften wie Allmacht und Allwissenheit müssen auch dem »Gottmenschen« aufgrund seiner göttlichen Natur zukommen.73 Die göttliche Natur Jesus spiegelt somit die Männlichkeit Gottes, und insofern besteht genau besehen ein Konnex zwischen der göttlichen Natur Jesu und seiner Männlichkeit, bzw. – noch stärker – zwischen dem Logos als Träger der Personeinheit Jesu und dessen Mannsein. Der Logos als Träger der Personeinheit ist als »Sohn« notwendig männlich, und so auch der, dessen Träger er ist. Nun findet bei Balthasar allerdings eine Art gender crossing statt, denn Jesus ist zwar Mann und besitzt qua göttlicher Natur die männlich apostrophierten

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Vgl. hierzu ausführlich ders.: Die Würde der Frau. In: IKaZ 11 (1982). 346-352; vgl. hierzu auch Nutt: Das »Leib Christi«-Verständnis Hans Urs von Balthasars. 138. Wäre es so, wie von Balthasar behauptet, dann wäre allerdings auch jeder Glaube an Gott und v.a. das Christentum mit seinem Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes in einem Mann unrettbar patriarchal, so wie dies etwa schon Mary Daly konstatiert hatte: eine Religion von Männern für Männer, in deren Zentrum ein männlich apostrophierter Fetisch stünde, und Frauen allenfalls »mitgemeint« sind. Die männliche Sexualisierung Gottes durch Balthasar ist somit keineswegs nebensächlich, sondern trifft ins Mark seines theologischen Konzepts, zumal sie mit den Konstruktionen von Zeugungskraft, Sendung, Kenose, Gehorsam, Liebe etc. einhergehen. Diese sind keineswegs neutral, sondern tragen zur Konstruktion eines bestimmten Gottesbildes wie eines Christusverständnisses mit erheblichen Folgen für die Praxis, nicht zuletzt für die Struktur der Kirche, bei. Vgl. hierzu v.a. Karen Kilby: Balthasar. A (Very) Critical Introduction. Grand Rapids-Cambridge 2012. Vgl. z.B. Balthasar: Die Würde der Frau. 348.

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göttlichen Eigenschaften, doch ihm kommen in seiner Funktion als Offenbarer, Heilsbringer und Erlöser und kraft seiner Sendung auch als »weiblich« apostrophierte Eigenschaften zu: Demut, Entäußerung, Gehorsam, Opferbereitschaft, passivische, responsorische Entsprechung gegenüber göttlichem Ruf und Auftrag.74 Unbeschadet seiner als männlich bezeichneten natürlichen Geschlechtsidentität (sex), vereinen sich in ihm somit männliche und weibliche Eigenschaften. Diese Eigenschaften sind allerdings für Balthasar mehr als nur kulturelle bzw. soziale Rollenmuster (gender): die männlichen Eigenschaften sind substanziell, gehören notwendig zur natürlichen Geschlechtsidentität hinzu bzw. werden aus ihr abgeleitet. Die weiblichen Eigenschaften, so könnte man vermuten, können dann aber nicht substanzieller Natur sein, da Jesus augenscheinlich keine »weibliche« natürliche Geschlechtsidentität besitzt. Er ist biologisch gesehen Mann, nicht Frau. Doch auch die weiblich konnotierten Eigenschaften sind in dieser christologischen Konstruktion nicht arbiträr, sondern kommen Jesus substanziell zu: Sein Wesen ist es, sich zu entäußern, sich zu opfern, gehorsam gegenüber seiner Sendung zu sein. Es scheint so, dass hier eine besondere Art »ontologischer Ausnahmefall« konstruiert wird: Nicht nur eine hypostatische Union von Gott und Mensch, sondern eine Union von männlicher und weiblicher Geschlechtsidentität unter dem Primat des Mannseins. Zur Vollkommenheit Jesu gehört, in sich alle Gegensätze, so auch desjenigen der sexuellen Differenz zu vereinen und aufzuheben, allerdings ohne den Primat des Männlichen dabei aufzuheben. Jesus ist notwendig männlich, da Inkarnation des männlichen Gottes, und doch auch mit einer integralen weiblichen Seite.75 Dies spiegelt sich im Übrigen in Balthasars Spekulationen über die immanente Trinität: Auch hier kommen dem unzweifelhaft männlich konnotierten Logos (dem Sohn) »weibliche« Eigenschaften zu: gehorsam gegenüber dem Vater, responsorisch eröffnet auf den Vater hin usw.76 Der Logos ist Präfiguration 74 75 76

So auch Nutt: Das »Leib Christi«-Verständnis Hans Urs von Balthasars. 140; 151f. Vgl. Balthasar: Theodramatik IV. 229. Vgl. hierzu auch Kilby: Balthasar. 95ff.; vgl. auch Gerard Loughlin: Sexing the Trinity. In: New Blackfriars 79 (1998). 18-25; Linn Marie Tonstad: Sexual Difference and Trinitarian Death. Cross, Kenosis, and Hierarchy in the Theo-Drama. In: Modern Theology 26 (2010), 4. 603-631; Gavon D’Costa: Queer Trinity. In: Gerard Loughlin (Hg.): Queer Theology. Rethinking the Western Body. Oxford 2007. 269-280. Vgl. hierzu auch Stefanie Knauß: Contradictions or Openings? Musings on Hans Urs von Balthasar’s Theology of Sexual Difference. In: Wendel/Nutt (Hg.): Reading the Body of Christ. 131-145. Hier: 132-134.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

dieser Einheit, die sich dann in Jesus als menschgewordenem Logos spiegelt bzw. in der Schöpfung realisiert.77 Die Union von Männlichkeit und Weiblichkeit in Jesus steht laut Balthasar folglich in analogem Verhältnis zur hypostatischen Union von Göttlichkeit und Menschlichkeit. Denn unbeschadet der sexuellen Differenziertheit der Kreatur, also der Unterschiedenheit von »männlich« und »weiblich« als substanzielle Eigenschaften der Menschennatur, ist für Balthasar die menschliche Natur bzw. die Kreatur überhaupt im Vergleich zur männlichen Substanz Gottes weiblich.78 Die sexuelle Differenz ist somit nicht nur eine, die die Kreatur kennzeichnet, sondern das gesamte Verhältnis von Gott und Geschöpf. Balthasars gesamte Theologie speist sich also wesentlich aus der Konstruktion von »Geschlecht«, die auf Gott, Christus, Kreatur und dann natürlich auch ganz speziell auf den »Leib Christi« übertragen werden. Hierzu gehört erstens die grundsätzliche Trennung von sex und gender sowie zweitens die Hypostasierung kultureller Zuschreibungen zu substanziellen Eigenschaften.79 Hierzu gehört auch ein impliziter Hylemorphismus zwischen Geist und »Fleisch« bzw. Materie und zwischen Form und Stoff: Die »Fleischwerdung« des Logos gilt als Abstieg, als kenotischer Akt. Dies kann nur dann als Abstieg verstanden werden, wenn Materie dem Geist untergeordnet wird, wenn sie als weniger wertvoll gilt, als niedrigere Seinsstufe. Zwar sind Geist und Materie aufeinander angewiesen und wechselseitig aufeinander hingeordnet – daher handelt es sich auch nicht um einen neoplatonisch anmutenden Dualismus. Doch in ihrer Unterwerfung unter das Intelligible lässt sich die Materie vom Geist leiten, wird durch ihn geformt. Der Geist ist das bestimmende, aktive Prinzip, die Materie das bestimmte, passive Pendant. Beide entsprechen einander, doch in einer hierarchischen Struktur. Beide, Geist und Materie bzw. »Fleisch« werden darüber hinaus sexualisiert: Der Geist ist männlich, das »Fleisch« weiblich. Damit nimmt Balthasar hier eine klassische Zuschreibung auf: »männliche« Form bzw. »männlicher« Geist und »weiblicher« Stoff, »weibliche« Materie; »prägender«, formgebender Geist und sich prägen lassende, für die Prä-

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Vgl. auch Nutt: Das »Leib Christi«-Verständnis Hans Urs von Balthasars. 138. Vgl. etwa Balthasar: Die Würde der Frau. 349. Vgl. hierzu auch Balthasars Überlegungen in ders.: Theodramatik II: Die Personen des Spiels. 1. Teil: Der Mensch in Gott. Einsiedeln 1976. 334-350; ders.: Theodramatik II: Die Personen des Spiels. 2. Teil: Die Personen in Christus. Einsiedeln 2 1998. 260-264.

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gung eröffnete Materie.80 Entsprechend dieser Zuschreibung »verweiblicht« sich der Logos in seiner Fleischwerdung, weil er sich a) in seiner Annahme des Materiellen »erniedrigt«, und b) sich in Demut und Gehorsam vom göttlichen Vater »prägen«, bestimmen lässt und sich darin dem »Gesetz des Vaters« (Lacan) unterwirft. Balthasar reproduziert Geschlechtsstereotype von »männlich« und »weiblich« und projiziert sie auf Gott, die Kreatur, Mann, Frau, Jesus, Maria…, versehen mit dem Label ontologischer Notwendigkeit.81 Dabei wird deutlich, dass diese theologischen Spekulationen nicht nur durch eine essentialistische Anthropologie, sondern vor allem auch implizit durch Körper- und Geschlechterdiskurse bestimmt sind, die wiederum durch die von Judith Butler so bezeichnete heterosexuelle Matrix und durch eine Komplementaritätstheorie geprägt sind: Es gibt eine natürliche männliche und weibliche Geschlechtsidentität nebst dazugehörenden Wesenseigenschaften; diese bestimmen das Mann- oder Frausein. Beide sind voneinander wesensmäßig unterschieden, ergänzen sich jedoch in eben jener Unterschiedenheit und passen gleichsam zueinander wie Schlüssel und Schloss, und auch diese Passung ist »natürlich«.82 Balthasars Position ist Teil eines biopolitisch wirkmäch80 81

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Vgl. hierzu auch die Kritik Leidingers an Balthasar (und den ihn rezipierenden Graham Ward) in dies.: Verletzbarkeit gestalten. 270. Anm. 85. Vgl. hierzu etwa Michelle A. Gonzalez: Hans Urs von Balthasar and Contemporary Feminist Theology. In: Theological Studies 65 (2004). 566-595; Tina Beattie: Sex, Death and Melodrama. A Feminist Critique of Hans Urs von Balthasar. In: The Way 44 (2005), 4. 160-176; Knauß: Contradictions or Openings?; Nutt: Das »Leib Christi«-Verständnis Hans Urs von Balthasars. Das impliziert die Exklusion nicht-heterosexueller Lebensformen und Sexualität, was Balthasar auch offen vertreten hat, allerdings nicht im Zusammenhang der Christologie, sondern der Ekklesiologie, ein Aspekt, auf den später nochmals eingegangen wird: »Homosexualität lässt das wahre Wesen der Kirche in der Ausgewogenheit von männlich und weiblich verblassen.« (Hans Urs von Balthasar: Klarstellungen. Zur Prüfung der Geister. Einsiedeln 1978. 69). Diese Absage an homosexuelle Lebensformen steht im Widerspruch zu Balthasars eigenem gender crossing: Christus muss sich, um seiner Sendung nachzukommen, verweiblichen, und so auch alle Männer, die ihm nachfolgen und an seiner statt handeln. Zugleich darf aber die natürliche Ordnung der Sexualität auf keinen Fall außer Kraft gesetzt werden. Balthasar ist in der eigenen Heteronormativität gefangen, unterläuft sie aber zugleich durch sein eigenes Konzept der »Weiblichkeit« des Logos in seinem Verhältnis zum Vater und seiner Menschwerdung sowie zur »Weiblichkeit« Christi in seinem Handeln und seinem Habitus. Vgl. hierzu auch Tina Beattie: »Balthasar’s Father God is […] a phallic, inseminating God kenotically emptying himself into a feminine creation. But Balthasar’s ›man‹, as part of that fem-

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

tigen Körperdiskurses, bringt aber auch ihrerseits solche Diskurse hervor und reproduziert sie bzw. dient als Legitimationsdiskurs konkreter Körperund Geschlechterpraxen, zumindest ihrer Normierungs- und Regulierungsversuche.83 Balthasars Konzeption zeigt aber auch den intersektionalen Zusammenhang von Geschlechts-, Begehrens-, Gefühls-, und Körperkonstruktionen: Die Verletzlichkeit des Körpers wird ebenso sexualisiert wie Emotionen und habituelle Dispositionen sowie moralische Haltungen und Handlungen. Neben dieser traditionellen Konstruktion des individuellen Leibes Christi, für die Balthasars Christologie ein herausragendes Beispiel darstellt, existieren jedoch andere Deutungen des Körpers Jesu, die intersektionale oder »queere« Verschiebungen in der Konstruktion des Christuskörpers vornehmen. Hierzu gehören die Entwürfe von Marcella Althaus-Reid, Lisa Isherwood, Björn Krondorfer, Gerard Loughlin, Laurel Schneider und Graham Ward.84 Ihnen gemeinsam ist, dass sie die klassische Interpretation des

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inized creation, must also enact a kenosis, must empty himself of masculinity, pouring himself into the woman if he is to conceive/receive this God’s love.« (Tina Beattie: New Catholic Feminism. Theology and Theory. London-New York 2006. 129). Vgl. hierzu auch Knauß: Contradictions or Openings? 142-144. Vgl. zur Rezeption Balthasars in spezifisch katholischen Geschlechteranthropologien auch Beattie: New Catholic Feminism. Balthasars Gottes- und Christuskonfiguration ist – mit Lacan gesprochen – phallisch. Denn die Termini »Zeugungskraft«, Aktivität in Unterscheidung vom »empfangenden Schoß« der Kreatur beispielsweise weisen darauf hin, dass der Phallus der Signifikant ist, der in Balthasars Theologie das Göttliche repräsentiert, und dieser Signifikant bestimmt die Signifikantenketten der symbolischen Ordnung, die jene Theologie erzeugt, und der sie zugleich unterworfen ist. Der göttliche Vater repräsentiert diese Ordnung, weil er den Phallus besitzt, die Kreatur dagegen das Weibliche, dem der Phallus fehlt (vgl. zur Bedeutung des Phallus für die symbolische Ordnung auch Jacques Lacan: Schriften II. Weinheim-Berlin 1975. 128ff.) Mit Luce Irigaray wiederum lässt sich dies als »Phallozentrismus« kritisieren; nur ein Mann kann sich mit dem Phallus und damit mit dem phallisch symbolisierten Göttlichen identifizieren und in die entsprechende symbolische Ordnung einfügen. Die Frau dagegen wird als »Andere« dieser Ordnung exkludiert, sie repräsentiert letztlich einen Mangel, ein Fehlen, ein »Loch«, so Irigaray, ein Nichts, der Mann umgekehrt die Fülle, das Sein, die Vollkommenheit (vgl. etwa Irigaray: Speculum. 169; 180; dies.: Göttliche Frauen). Vgl. zur Interpretation der Theologie Balthasars aus einer Lacanschen und Irigarayschen Perspektive vor allem Tina Beattie: Acting Up. The Parodies and Performances of Gender in Hans Urs von Balthasar’s Theo-Drama. In: Wendel/Nutt (Hg.): Reading the Body of Christ. 117-129. Vgl. hierzu auch Leidinger: Verletzbarkeit gestalten. 256-266.

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individuellen Leibes Christi durchbrechen, dies aber in sehr unterschiedlicher Art und Weise. Krondorfer etwa versteht aus der Perspektiver kritischer Männerforschung den »Leib Christi« nicht als entzogen, absent, sondern als sehr präsent, und zwar in den Körperbildern. Dabei rückt Krondorfer die Konstruktion des »männlichen« Leibes Christi ins Zentrum, die dem oben schon erwähnten Schönheits- und Vollkommenheitsideal des »männlichen« Körpers entspricht, wobei er hier vor allem auf schwule Annäherungen an dieses Ideal des männlich schönen Christuskörpers eingeht. Krondorfer referiert hier auch auf Beispiele aus Film und Populärkultur. Der »Leib Christi« wird so als Projektionsfläche gekennzeichnet, als Medium von Körperdiskursen und Geschlechtskonstruktionen, als Andockungspunkt auch »queerer« Interpretationen. Körper und Geschlecht Jesu bzw. Konfigurationen seines »männlichen« Habitus sind also Krondorfer zufolge nicht invisibel oder werden verschwiegen, sondern sind höchst präsent, werden aber zugleich mit Deutungen Jesu konfrontiert, die ihm diesen Habitus absprechen oder diminuieren.85 Anders dagegen Graham Ward: Er betont die Transcorporealität des Leibes Christi, versteht ihn also in der Tradition des »mystischen Leibes Christi« als absent, und gerade deshalb könnten an ihn so viele und unterschiedliche Deutungen des Körpers Jesu andocken. In den Bahnen apophatischer Theologie stellt Ward heraus, dass keine dieser Deutungen, keines der Zeichen und Bilder, die den Körper Jesu bedeuten, diesen wirklich treffen und bestimmen können. Der individuelle Körper Jesu wird so zum Moment eines universalen, absenten Leibes Christi. Der unsichtbare »Leib Christi« wird Ward zufolge in performativen Akten »sichtbar«, bestimmt, konstruiert und konstituiert, analog zu Butlers Theorie der performativen Erzeugung von »Geschlecht«. Wards Konzeption erinnert an die phänomenologische Unterscheidung von Leib und Körper: der subjektive Leib ist unerfassbar und entzieht sich begrifflicher Bestimmung, der objektive Körper dagegen ist mitten in das Setting von Zeichenprozessen gestellt. Der abwesende »Leib Christi« ist so indirekt anwesend, darstellbar in den unterschiedlichen Konstruktionen des Körpers Jesu,

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Vgl. Björn Krondorfer: Genderless or Hyper-Gendered? Reading the Body of Christ from a Critical Men’s Studies Perspective. In: Wendel/Nutt (Hg.): Reading the Body of Christ. 147-157; vgl. zu Krondorfer auch Julian Tappen: Vielfalt und Bedeutung der Körper Christi. Systematische Reflexionen zu Grundlagen und Perspektiven kritisch-theologischer Männerforschung. In: Wendel/Nutt (Hg): Reading the Body of Christ. 159-172.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

die an ihm partizipieren, in den unterschiedlichen Verschiebungen, die er in den Zeichenpraxen erfährt. Im mystischen, universalen »Leib Christi« sind somit viele unterschiedliche »Geschlechtskörper« (multigendered bodies) eingeschlossen, und die Bedeutung des Leibes Christi ist dementsprechend immer in Bewegung, im Werden, prozessual, ohne beliebig zu werden, denn: Der »Fixpunkt« der Bedeutung sind der mystische »Leib Christi« und die zentralen christlichen Motive wie Inkarnation, Verklärung, Eucharistie, Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt.86 Gegen eine Essentialisierung von »Geschlecht« wandte sich auch Marcella Althaus-Reid in ihrem Versuch, eine Theologie zu formulieren, die nicht durch Heteronormativität geprägt ist. Dabei entwarf sie das Konzept eines »queer God« sowie eines androgynen »Bi/Christ«, eben weil Jesus beides, »Männliches« wie »Weibliches« in sich einschloss, und damit nicht mehr auf ein Geschlecht festzulegen sei. Als Beispiel zog sie dabei auch androgyne Jesusdarstellungen heran.87 Und Lisa Isherwood und Laurel Schneider betonen, dass Jesus auch ein erotisch Begehrender gewesen sei, ob hetero- oder homosexuell,88 und sie thematisieren beide die Konstruktionen des Körpers Jesu, die einem Schönheitsideal oder einem Männlichkeitsideal folgen, anders aber als etwa Krondorfer eher kritisch und problematisierend.89

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88

89

Vgl. etwa Ward: Cities of God. 81-116. Vgl. zu Wards Konzept ausführlich Leidinger: Verletzbarkeit gestalten. 166-240. Vgl. Althaus-Reid: The Queer God; dies.: Indecent Theology. Theological Perversions in Sex, Gender and Politics. London-New York 2000; vgl. zu Althaus-Reid auch ausführlich Miriam Leidinger: Queer-Theologie. Eine Annäherung. In: Margit Eckholt/Saskia Wendel (Hg.): Aggiornamento heute. Diversität als Horizont einer Theologie der Welt. Ostfildern 2012. 246-267. Vgl. Lisa Isherwood: The Power of Erotic Celibacy. Queering Heteropatriarchy. London 2006; Laurel Schneider: Promiscuous Incarnation. In: Margaret D. Kamitsuka (Hg.): The Embrace of Eros. Bodies, Desires, and Sexuality in Christianity. Minneapolis 2010. 231-246. Vgl. etwa die schon erwähnten Reflexionen Isherwoods über projizierte Schönheitsideale auf den »Leib Christi« in dies.: The Fat Jesus.

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Die »Leib Christi«-Metapher

3.3 Universaler »Leib Christi« – soteriologisch und ekklesiologisch Neben den Deutungen und Konstruktionen des individuellen Körpers Jesu existieren jedoch auch Konstruktionen des universalen Leibes Christi, wobei zwischen soteriologischer, ekklesiologischer und kosmologischer Perspektive unterschieden werden muss. Die soteriologische Perspektive konzentriert sich auf die Heilsfunktion des Leibes Christi – hier dominiert das Verständnis Christi als Korporativpersönlichkeit im Anschluss an die paulinische Tauftheologie; die ekklesiologische Perspektive bezieht diesen Korporativgedanken nicht mehr nur auf den durch Christus eröffneten Heilsraum, den der Christusleib symbolisiert, sondern versteht auch die Kirche als einen universalen, »mystischen« »Leib Christi«. Die kosmologische Perspektive schließlich deutet das gesamte Universum als kosmischen »Leib Christi« , analog zum Verständnis des Universums als Körper Gottes. Wie bereits angedeutet, handelt es sich hier nicht mehr um einen analog-begrifflichen Gebrauch des Ausdrucks »Leib Christi«, sondern um einen metaphorischen.

3.3.1 »Leib Christi« als universaler Heilsraum Der universale, korporativ gedachte »Leib Christi« ist in seiner soteriologischen Funktion als ein Heilsraum für alle dadurch konzipiert, dass er alle umfasst, die in ihn hineingehalten, getaucht, hineingetauft sind.90 Insofern wird in diesem Sinn ein jegliches verkörpertes bewusstes Leben in seiner Erlösungsbedürftigkeit als Teil dieses Leibes bestimmt. Hier dominieren partizipationsontologische und präsenzmetaphysische Traditionen: Alle haben an Christus teil und sind so in ihn inkorporiert, umgekehrt präsentieren sie ihn in ihrer eigenen verkörperten Existenz. Die konkreten individuellen »Leiber« sind so auch »Leib Christi«, insofern sie an ihm teilhaben und er sich umgekehrt in ihnen ausdrückt, vergegenwärtigt. Diese Deutung des Leibes Christi entspricht der paulinischen Auffassung, dass in Christus, respektive in seinem Leib, alle gestorben und auferstanden, erlöst sind: »Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben.« (2 Kor 5,14).91 Hintergrund dieser Vorstellung ist, wie Hansjürgen Verweyen verdeutlicht hat, die Vorstellung Jesu als Korporativpersönlichkeit, analog zu Adam als Korporativperson: »Denn 90 91

Vgl. Verweyen: Gottes letztes Wort. 396-398. Vgl. auch Röm 7,4: »So seid auch ihr, meine Brüder [und Schwestern], dem Gesetz durch den »Leib Christi« getötet […]«.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

wie in Adam alle sterben, so werden in dem Christus alle lebendig gemacht werden.« (1 Kor 15,22) Dieser Korporativgedanke ist nur im Rahmen einer Partizipationsontologie zu denken: An Christus haben alle Anteil, umgekehrt repräsentiert der Eine alle und schließt sie in sich ein.92 Der soteriologisch bedeutsame Christusleib ist folglich vom individuellen Körper Jesu zu unterscheiden, genau besehen ist er zunächst einmal überhaupt kein »Körper« im Sinne eines ausgedehnten Seienden, kein Einzelseiendes. In dieser Hinsicht ist er mit Graham Ward gesprochen »transkörperlich« und »translokativ«, daher auch »mystisch« im Sinne von unsichtbar, der Erfahrung entzogen.93 Der »Leib Christi« , so Ward, ist ein Zeichen, das nicht mehr durch andere Zeichen bezeichnet werden kann, da er sich der Zeichenkette entzieht, selbst aber sämtliche Zeichen umfasst, die sich auf ihn im Modus negativer Darstellung beziehen.94 Tragend ist hier neben der Referenz auf die Partizipationsontologie nebst negativer Theologie und den Korporativgedanken auch die bereits erläuterte phänomenologische Unterscheidung von Leib und Körper: Der universale Christusleib wird von einem objektivierten Körper unterschieden, wobei allerdings anzumerken ist, dass der phänomenologische Leib-Begriff sich gerade nicht auf eine vom Einzelseienden unterschiedene universale Entität bezieht, ja genau besehen keine eigenständige ontologische Größe neben dem Körper bedeutet, an dem das Einzelne partizipiert oder in ihm eingeschlossen ist, sondern auf das konkrete verkörperte Individuum im Blick auf das erstpersönlich erlebte, subjektive Körper-Sein bezogen ist. Diese Übertragung von »Leib Christi« auf ein (räumlich) gedachtes Heil führt zwei Probleme mit sich: Zum einen überhaupt Heil unter Raumkategorien zu denken statt unter Ereigniskategorien, und zum anderen den Gedanken der Korporativpersönlichkeit. Der Gedanke der Korporativpersönlichkeit stellt nämlich vor die Frage, wie denn eine individuelle zugleich eine universale, korporativ wirksame Person sein kann, jedenfalls dann, wenn diese Person endlich und begrenzt ist. Denn für sie gilt wie für ein jegliches endlich Seiendes der Satz vom Widerspruch, und dann stellt sich die Frage, wie ein individuell Seiendes zugleich individuell wie universal sein kann. Rekurrierte man hier

92 93 94

Vgl. hierzu Verweyen: Gottes letztes Wort. 393-396; vgl. auch Hans Urs von Balthasar: Was dürfen wir hoffen? Einsiedeln 1989. 32. Vgl. hierzu Ward: Cities of God. 113. Vgl. auch Leidinger: Verletzbarkeit gestalten. 219-224. Vgl. Ward: Cities of God. 93.

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Die »Leib Christi«-Metapher

darauf, dass Jesus ja nicht nur Mensch, sondern »Gottmensch« ist, und dass der göttliche Logos als »Träger« in ihm sich individualisiert, ohne seine Universalität zu verlieren, weil für Gott als Koinzidenz der Gegensätze das NichtWiderspruchsprinzip nicht gilt, führt dies zum bereits genannten Problem der Behauptung einer numerischen Identität von Jesus und dem göttlichen Logos und dem damit verbundenen Superiorismus. Das im Handeln Jesu antizipierte und verkörperte Heil ist Orientierungspunkt, Leitlinie, Beispiel, doch sein Körper lässt sich nicht zu einem Heilsraum und damit zu einer universalen Entität hypostasieren, an der alle, die an Christus glauben und auf ihn bzw. in ihn hinein getauft sind, partizipieren. »Leib Christi« ist individueller Körper, aber kein universaler Körper, kein Heilsraum also.

3.3.2 »Leib Christi« – Vergegenwärtigung und Vermittlung des Heils in der Kirche Der universale »Leib Christi« im Sinne einer umfassenden korporativ-persönlichen Sphäre des Heils wird als der ebenfalls als »Leib Christi« bestimmten Kirche vorausgehend gedacht, so wie Christus als Ursakrament dem Grundsakrament der Kirche voraus geht.95 Auf diese Weise wird die Wirklichkeit als Ganze als sakramentale interpretiert und in der Folge dann auch die Kirche als aus dieser Sphäre entspringende wie an ihr teilhabende. Das Verständnis der Kirche als »Leib Christi« ist also von der paulinischen »Leib Christi«-Theologie (z.B. 1 Kor 12,27) bestimmt. Allerdings ist hier auf eine wichtige Bedeutungsverschiebung zwischen den paulinischen und den deuteropaulinischen Briefen (z.B. Eph 2,16 und Eph 4,4) einzugehen, auf die Hansjürgen Verweyen und Sabine Mirbach aufmerksam gemacht haben.96 Bei Paulus dominiert hinsichtlich des ekklesiologischen »Leib Christi«-Verständnisses eine funktionale Bedeutung, wiewohl es auf die ontologische Bedeutung des universalen Heilsraums bezogen ist – die Kirche ist somit als »Leib Christi« bei Paulus unbeschadet ihrer heilsvermittelnden Funktion keine eigenständige ontologische Größe; sie besitzt ihre Funktion allein in ihrem Bezug auf die ontologische Vorgegebenheit des universalen, als »Leib Christi« bezeichneten Heilsraums. Zwischen Christus und Kirche als »Leib Christi« besteht eine klare ontologische Identität

95 96

Vgl. Verweyen: Gottes letztes Wort. 398f. Vgl. ebd.; vgl. Mirbach: »Ihr aber seid Leib Christi«. 188ff.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

in Differenz.97 Gleichwohl ist die Kirche nur von Christus her zu denken; die ekklesiologische Bestimmung des Wesens der Kirche als »Leib Christi« und als Grundsakrament hat somit letztlich in christologischen und soteriologischen Bestimmungen ihren Grund und Ursprung. Im Kolosser- und Epheserbrief dagegen findet eine folgenreiche Verschiebung statt: Erstens bezeichnet »Leib Christi« nicht mehr die konkrete Ortsgemeinde, sondern die Universalkirche, vorgestellt als einheitlich und einzig (der »Leib Christi« ), und zweitens bezeichnet die Hauptmetaphorik Christus im Unterschied zu seinem Leib, der mit der Gemeinde bzw. Kirche identifiziert wird. Auch Paulus kannte zwar die Metaphorik des Hauptes, bezog sie aber auf die Gemeinde und verstand damit, dem stoischen Gleichnis des Menenius Agrippa entsprechend, die Gemeinde insgesamt als »Leib Christi« einschließlich des Hauptes.98 Die Folge ist eine Doppelte: Zum einen geschieht hier eine Identifizierung der Kirche mit Christus selbst, denn sowohl das Haupt als auch sein Leib sind ja in ontologischer Hinsicht eins.99 Sind aber Christus und die Kirche letztlich eins, dann folgt daraus ein Heilsexklusivismus und die Vorstellung, dass die Kirche schon jetzt in einer Art präsentischer Eschatologie das Heil voll und ganz präsentiert und realisiert.100 Die Kirche wurde so zum »im Himmel vollendet bereitliegenden Heilsraum«101 konfiguriert, die Differenz zwischen Soteriologie und Ekklesiologie ebenso eingezogen wie zwischen Christus und Kirche. Problematisch wurde hier vor allem auch die Körpermetaphorik und das damit verknüpfte Organismusmodell und dessen Übertragung auf die Kirche.102 Hier ist anzumerken, dass das Problem des Organismusmodells nicht 97 98 99

Vgl. z.B. Verweyen: Gottes letztes Wort. 399. Vgl. hierzu auch Westermann: Zur Genese der paulinischen Organismusanalogie. 76. Vgl. Verweyen: Gottes letztes Wort. 401. Vgl. zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte dieser ekklesiologisch wie kirchenpolitisch äußert folgenreichen These in der Gegenreformation und im Katholizismus des 19. und 20. Jh. auch Klaus Unterburger: Zwischen Realidentität und symbolischer Repräsentation. Weichenstellungen der LeibChristi-Ekklesiologie in kirchenhistorischer Perspektive. In: Reményi/Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. 91-109. Unterburger weist u.a. auf entsprechende Konzeptionen Johann Adam Möhlers, v.a. auch auf dessen Auffassung, dass die Kirche Prolongation der Inkarnation sei, sowie auf Clemens Schrader oder Matthias Joseph Scheeben. 100 Vgl. Mirbach: »Ihr aber seid Leib Christi«. 196. 101 Verweyen: Gottes letztes Wort. 403. 102 Vgl. hierzu Unterburger: Zwischen Realidentität und symbolischer Repräsentation. 102-108; vgl. auch Westermann: Zur Genese der paulinischen Organismusanalogie.

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Die »Leib Christi«-Metapher

bereits schon, wie manchmal vermutet, im Leib-Glieder-Gleichnis grundgelegt ist, auch wenn es teilweise in dieser Art und Weise rezipiert wurde. Das ursprünglich auf den Stoiker Menenius Agrippa zurückgehende Leib-GliederGleichnis will vielmehr den oben bereits erwähnten Gedanken der Identität in Differenz zum Ausdruck bringen, diesmal nicht nur auf das Verhältnis von Christus und Kirche hin ausgesagt, sondern auf das Verhältnis der Gläubigen, der in den Leib Hineingetauften, untereinander: Das Haupt, das Christus ist, ist eins mit seinem Leib, den die Kirche respektive die Gläubigen bilden – das Haupt gehört ja zum Leib und ist nicht von ihm abgetrennt, zugleich ist das Haupt vom Leib unterschieden insofern, als dieser durch die einzelnen Glieder geformt ist und Gestalt annimmt, und Christus ist kein einzelnes Glied, sondern eben Haupt des Leibes. Die einzelnen Glieder wiederum, mithin die einzelnen Gläubigen, sind geeint als Glieder des einen Leibes Christi und geeint mit dem Haupt des Leibes, zugleich aber voneinander unterschieden je nach Funktion und ›Ort‹ im Leib. Darin jedoch sind sie allerdings stets wechselseitig aufeinander bezogen und entsprechen einander. Die Kirche wird so als Einheit in Unterschiedenheit gedacht, und die Zugehörigkeit zu ihr in Gestalt wechselseitiger Bezogenheit, und dadurch wird die Kirche gerade nicht als eine Art monolithischer Block oder als pures ungeschichtliches Abstraktum entworfen, im Gegenteil bringt die Leib-Glieder-Metaphorik ja gerade eine ungeheure Plastizität der Zugehörigkeit und der Konkretion der Aufgabe und der Verortung zum Ausdruck: Fehlt eines der Glieder, mangelt es der Kirche quasi am Sein, denn ihre Existenz drückt sich ja gerade in der Vielfalt ihrer Glieder aus, leidet eines der Glieder, leiden alle anderen mit. Jedes einzelne Glied der Kirche ist genau besehen für ihre Existenz und ihren sakramentalen Vollzug unverzichtbar, und jeder Verlust nicht nur oberflächlich schmerzlich, sondern geht buchstäblich ins Mark des Leibes, den sie darstellt. Und ebenso ist jeder Fehler, folglich jede sündhafte Handlung, die eines der Glieder begeht, alles andere als nebensächlich oder leicht zu übergehen, sondern sie trifft alle anderen, trifft den ganzen Leib der Kirche, verwundet ihn und mit ihm immer wieder neu auch Christus, dessen gleichsam universaler Leib (corpus universale) die Kirche ist. Allerdings wurde das Leib-Glieder-Modell dann zum Problem, als das Haupt, also Christus, als ein vom Leib Abgetrenntes und ihm quasi

88-90. Beide machen auf die verhängnisvolle Analogie zum Organismusmodell der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« und auf entsprechende Vermittlungsversuche des mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden katholischen Theologen Karl Adam aufmerksam.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Gegenübergestelltes betrachtet wurde, das dann in seinem Leitungsamt einen Repräsentanten, einen Stellvertreter benötigt, der quasi seinen irdischen Leib, die »sichtbare« Kirche, führt – ein stellvertretendes »sichtbares« Haupt sozusagen. Das sichtbare Haupt wurde dann in der lateinischen Kirche des Westens mit dem Papst identifiziert, der an Christi statt die sichtbare Kirche lenkt.103 So heißt es etwa in der Enzyklika »Mystici Corporis« Pius XII. › aus dem Jahr 1943: »Unser göttlicher Erlöser übt auch eine sichtbare, ordentliche Leitung über seinen mystischen Leib aus durch seinen Stellvertreter auf Erden. […] Als er […] die Welt verlassen und zum Vater zurückkehren wollte, hat er die sichtbare Leitung der ganzen von ihm gegründeten Gesellschaft dem Apostelfürsten übertragen. In seiner Weisheit konnte er ja den von ihm geschaffenen gesellschaftlichen Leib der Kirche keineswegs ohne sichtbares Haupt lassen.«104 Diese Problematiken der Leib-Christ-Metapher führten zu einer deutlichen Kritik der »Leib Christi«-Ekklesiologie, entweder mit dem Bestreben, die »Leib Christi«-Metapher zu retten, neu zu bestimmen und so den Problemen ihres Gebrauchs zu entkommen,105 oder mit dem Ziel, sie gänzlich zu verabschie-

103 Vgl. etwa Unterburger: Zwischen Realidentität und symbolischer Repräsentation. 104 Mystici Corporis. 785. Zit. n. Verweyen: Gottes letztes Wort. 407. 105 Vgl. etwa die bereits erwähnten Überlegungen Hansjürgen Verweyens zur Kirche als »Leib Christi« in ders.: Gottes letztes Wort. 392-416; vgl. auch Jürgen Werbicks Überlegungen zur »Leib Christi«-Metapher und dessen Bestimmung von »Leib Christi« als Zeugnis-Metapher in: ders.: Kirche. Ein ekklesiologischer Entwurf für Studium und Praxis. Freiburg i.Br. 1994. 11-13; 277-315; ders.: Grundfragen der Ekklesiologie. Freiburg i.Br. 2009; ders.: Leib Christi: eine Kommunikationsmetapher? Ein ekklesiologisches Modell in der Transformationskrise. In: Reményi/Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. 15-31. Vgl. auch Matthias Reményi: Von der Leib-Christi-Ekklesiologie zur sakramentalen Ekklesiologie. Historische Entwicklungslinien und hermeneutische Problemüberhänge. In: ders./Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. 32-70; ders.: Identität und Differenz in Denkform und Metapher. Eine Problemskizze zur Denkformdebatte und zur Leib-Christi-Ekklesiologie. In: ThQ (2015). 3-32.

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Die »Leib Christi«-Metapher

den106 und durch andere Metaphern wie etwa diejenige des Volkes Gottes oder die Communio-Metapher zu ersetzen.

3.3.3 Deutungen des universalen Heilsraums »Leib Christi« und dessen kirchlicher Repräsentation Die Differenzierung zwischen individuellem Körper Jesu und universalem Christusleib könnte zu der Vermutung führen, dass der universale Christusleib den sexualisierenden Konstruktionen entzogen ist, denen der Körper Jesu unterworfen ist, ist er doch durch kein Zeichen mehr zu bezeichnen und somit auch nicht mehr im Rückgriff auf Sexualisierungen zu signieren. Entzieht er sich den Bezeichnungen, so auch den diskursiven Einprägungen und Formierungen. Graham Ward geht davon aus, dass der transkörperliche »Leib Christi« eben aufgrund dieser Transkörperlichkeit nicht mehr männlich bestimmbar sei. Im Gegenteil schließe er analog zu Gal 3,28 alle genderBestimmungen ein: »The body of Christ is a multigendered body. Its relation to the body of the gendered Jew does not have the logic of cause and effect.«107 Dann aber ist auch der universale Christusleib trotz oder gerade wegen seiner Transkörperlichkeit den gender-Konfigurationen nicht entzogen, sondern er lässt eine unendliche Vielzahl von Konfigurationen zu, entsprechend der Vielzahl von Zeichen, die auf ihn referieren, ohne ihn gänzlich treffen zu können. Ausgeschlossen ist die univoke Bestimmung des Leibes Christi als ausschließlich männlich. Der universale Christusleib erfährt in der Perspektive Wards eine Art gender trouble, nicht aber eine Auflösung aller Gender-Kategorien. Der so gedachte »Leib Christi« wäre dann eine Art Gegenmittel gegen die Fokussierung auf die Männlichkeit Jesu, und das ist nicht folgenlos sowohl für das Verständnis der Kirche als »Leib Christi« wie auch für das Verständnis des kirchlichen Amtes als Repräsentation Christi und des Amtsträgers als in persona Christi Handelndem. Auf dieses Problem wird daher im Kontext des

106 Vgl. etwa Georg Essen: Leib Christi – eine verbrauchte Metapher. Eine freiheitstheoretische Kritik der Leib-Christi-Ekklesiologie in dogmatischer Absicht. In: Reményi/ Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. 263-294. Essen sucht allerdings weniger nach einer »alternativen« Kirchenmetapher bzw. -bestimmung, sondern nach der Möglichkeit einer modernekompatiblen, freiheitstheoretisch grundierten Institutionentheorie für die Kirche, die es seiner Ansicht nach entgegen antiinstitutionellen Sichtweisen weiterhin brauche. 107 Ward: Cities of God. 113.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

ekklesiologischen »Leib Christi«-Verständnisses und des Amtsverständnisses nochmals näher eingegangen werden müssen. An dieser Stelle sei aber jetzt bereits darauf hingewiesen, dass die Behauptung, dass der »Leib Christi« »multigendered« sei, wohl etwas vorschnell formuliert wurde. Denn die Identifikation des Körpers Jesu als männlicher Körper wirkt quasi »heimlich« und unbewusst auf die »Leib Christi«-Vorstellung zurück, der männliche Körper Jesu unterwandert beständig den allgeschlechtlichen Christusleib, ob man will oder nicht. Das Symbol »Leib Christi« trägt unweigerlich die Signatur des männlich konfigurierten Jesuskörpers, und es bedarf eines gewaltigen Bildersturms, eines Ikonoklasmus, um den »Leib Christi« quasi zu entkörperlichen und so auch zu entsexualisieren.108 Wer »Leib Christi« sagt und denkt, sagt und denkt immer die genannten Konfigurationen des Körpers Jesu mit; der »Leib Christi« trägt das projizierte Antlitz Jesu, auch in seiner universalen Gestalt und Bedeutung – anders macht im Übrigen die Identifikation des Heilsraums mit dem Christusleib auch gar keinen Sinn, fiele doch die Analogie zwischen dem historischen, das Heil wirkenden Jesus von Nazareth, und dem universalen, durch ihn eröffneten Heilsraum in sich zusammen. Außerdem darf nicht übersehen werden, dass der göttliche Logos in Entsprechung zu Jesus in der Regel männlich codiert ist. Und insofern der universale »Leib Christi« auch die Gestalt, die Manifestation des göttlichen Logos darstellt, wäre dann auch dieser männlich codiert, selbst in seiner Transkörperlichkeit und Unterschiedenheit vom individuellen Körper Jesu. Das wird besonders im Kontext der ekklesiologischen Perspektive deutlich. Wenn man sich den Konstruktionen der ekklesiologischen »Leib Christi«Metaphorik zuwendet, muss man die Bedeutungsverschiebung von den Protozu den Deuteropaulinen stets berücksichtigen. Denn die Kirche als vom Haupt abgetrennter Leib wird etwa in der Eheparänese in Eph 5,22-24 auch als »Braut Christi« gekennzeichnet.109 Dies ist dann seit der Patristik eine gängige Metapher für die Kirche110 und ein zentrales Einfallstor für alle geschlechtsspe108 Analog hierzu kann man auf das Problem der Gottesbilder verweisen; man mag sich noch so sehr bemühen, die Undarstellbarkeit Gottes zu betonen und gegen anthropomorphe Projektionen vorzugehen, man mag noch so sehr auf unterschiedliche GottMetaphern zurückgreifen, stets lauert das überkommene Bild des alten bärtigen Mannes im Hintergrund. 109 Vgl. auch Mirbach: »Ihr aber seid Leib Christi«. 199f. 110 Vgl. etwa die Gleichsetzung der Kirche mit der »Braut Christi« bei Origenes (vgl. hierzu etwa Freddy Ledegang: Mysterium Ecclesiae. Images of the Church and its Members in

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Die »Leib Christi«-Metapher

zifischen Deutungen der Kirche als »Leib Christi« über Jahrhunderte hinweg bis ins 21. Jh. hinein. Der universale »Leib Christi« erhält somit gerade in seiner ekklesiologischen Bedeutung eine klare gender-Codierung.111 Diese Codierung ist nicht exklusiv männlich, sondern mit Ward gesprochen »multigendered«. Der im Blick auf den Körper Jesu ursprünglich männlich codierte »Leib Christi« wird durch die Brautmetaphorik verweiblicht, und ihm werden auch weiblich konnotierte Eigenschaften zugesprochen. Das Gleiche gilt im Übrigen für die bekannte Bezeichnung der Kirche als »Mutter«. Zugespitzt wird das Ganze noch durch die Abtrennung des Hauptes (Christus) vom Leib (Kirche): Das »männliche« Haupt erhält einen »weiblichen« Leib, und nimmt man Haupt und Leib zusammen, entsteht ein androgynes, man möchte sagen: intersexuelles Modell – gender trouble par excellence! Gleichwohl wird aber die notwendige Komplementarität von (männlichem) Christus und (weiblicher) Kirche betont, von Bräutigam und Braut, verbunden mit klarer Rollenaufteilung und Funktionszuschreibung, was dann auch auf die Funktionen der Ämter und Dienste in der Kirche zurückwirken wird.112 Diese Konstruktionen sollen nun am Beispiel der Entwürfe von Henri de Lubac, Hans Urs von Balthasar und Joseph Ratzinger näher betrachtet werden. Im Anschluss daran wird die

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Origen. Leuven 2001. 139-177; Michael Fedou: Origenes und das Mysterium der Kirche. In: Johannes Arnold/Rainer Berendt/Ralf M. Stammberger (Hg.): Väter der Kirche. Ekklesiales Denken von den Anfängen bis in die Neuzeit. Paderborn 2004. 127-148. Hier: 134) oder Augustinus (vgl. hierzu Mirbach: »Ihr aber seid Leib Christi«. 194). Vgl. auch Nutt: »A bundle of flesh just as we are«. 324-330. Es ist zu berücksichtigen, dass die »Leib Christi«-Metapher nicht nur in der im Folgenden skizzierten Weise ekklesiologisch bedeutsam geworden ist. Die Befreiungstheologen Ignacio Ellacuría und Jon Sobrino haben eine gänzlich andere Deutung von Kirche als »Leib Christi« vorgelegt: Der universale »Leib Christi«, den die Kirche darstellt, ist nicht in einen »mystischen« und »irdischen« Leib bzw. »Kirchenkörper« unterschieden, sondern bedeutet einen konkreten geschichtlichen »Leib«, den die Gläubigen und deren »Leiber« konstituieren, und dies ohne nennenswerten Rekurs auf Geschlechtermetaphorik. Dieser geschichtliche Leib wird von Ellacuría und Sobrino mit dem gekreuzigten »Volk« bzw. »Völkern« identifiziert, also mit den Leidenden und Entrechteten. In ihnen scheint der gekreuzigte, leidende Christuskörper auf. Vgl. hierzu Aurica Nutt: »Wo Christus als Gekreuzigter einen geschichtlichen Leib hat«. Zum Leib-ChristiMotiv bei Ignacio Ellacuría und Jon Sobrino. In: Wendel/Nutt (Hg.): Reading the Body of Christ. 85-102; Theresa Denger: Jon Sobrinos Leib-Christi-Begriffunter geschlechtertheologischem Blickwinkel. In: Wendel/Nutt (Hg.): Reading the Body of Christ. 103-116; Leidinger: Verletzbarkeit gestalten. 133-148; 154f.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

gegenüber diesen Entwürfen alternative theologische Lesart des universalen »Leibes Christi« vorgestellt, die Graham Ward vorgelegt hat. Henri de Lubac Henri de Lubac bestimmte die Kirche – ganz im Anschluss an die deuteropaulinische Perspektive – im Sinne der Fortführung der Inkarnation und der hypostatischen Union als »Leib Christi« und daher als ungetrennt und unvermischt mit Christus.113 Unbeschadet einer Differenz zwischen der irdischen, sichtbaren, und der mystischen, unsichtbaren Kirche ist sie mit Christus in ontologischer Hinsicht durchaus geeint: »Ohne in jeder Hinsicht dem mystischen Leib coextensiv zu sein, ist die Kirche doch nicht adäquat von ihm zu unterscheiden.«114 Dieser Leib wird wiederum in Referenz auf das von Paulus herangezogene stoische Gleichnis vom Leib und den Gliedern als integraler, hierarchisch geordneter Organismus vorgestellt, wiewohl Paulus hier, wie gesehen, eigentlich kein integrales Organismusmodell intendiert hatte bzw. dieses Modell nicht in dieser Art und Weise interpretiert werden muss.115 Dadurch wird die hierarchische Struktur der Kirche ontologisiert, gleichsam zur unaufgebbaren, substanziellen Bestimmung der Kirche. In diesem Organismus sind alle in Bezug auf Christus, das Haupt, geeint – auch geeint in der Unterordnung unter dieses Haupt –, allerdings voneinander in differenten Aufgaben und Rollen unterschieden, wenn auch komplementär aufeinander bezogen, analog zum Modell der Komplementarität der Zweigeschlechtlichkeit: gleichwertig, aber nicht gleich.116 Die Kirche, wiewohl »Leib Christi« , ist nun laut de Lubac sowohl »Braut« des Bräutigams Christus, als auch »Mutter« aller Gläubigen.117 Innerhalb der »Mutter Kirche« wiederum und damit innerhalb des kirchlichen Organismus existiert nun wiederum eine Art geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Klerikern und Laien: Die Kleriker repräsentieren den »männlichen« Christus und damit das Haupt bzw. den Bräutigam, die Laien die »weibliche«

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Vgl. Henri de Lubac: Die Kirche. Eine Betrachtung. Einsiedeln 1968. 89. Ders.: Katholizismus als Gemeinschaft. Einsiedeln 1943. 65. Vgl. hierzu auch Hans Jorissen: Leib Christi. II. Systematisch-Theologisch. In: LThK Band 6. Freiburg i.Br. 2006. Sp. 771-773. Hier: 772. Vgl. etwa de Lubac: Die Kirche. 105; 130; 187. Vgl. ebd. 93.

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Kirche und damit den dem Haupt zugehörigen, von diesem aber regierten Leib bzw. die Braut.118 Hans Urs von Balthasar Besonders ausgeprägt findet sich diese Geschlechtermetaphorik der Kirche als »Leib Christi« bei Hans Urs von Balthasar, der de Lubacs Modell rezipiert und durch starke marianische Bezüge erweitert hat.119 Da Balthasar vor allem die lehramtliche Theologie des ausgehenden 20. Jh. stark beeinflusst hat, wirkt diese Konzeption bis heute auf das offizielle Kirchenverständnis und in das Amtsverständnis ein. Die Kirche als »Leib Christi« ist Prolongation der Inkarnation des göttlichen Logos, der sich einerseits in der ganzen Schöpfung und andererseits im universale concretum des Gottmenschen Jesus von Nazareth manifestiert, verleiblicht. Die Kirche nun ist dem universalen Leib des Logos, der die Schöpfung ist, analog in ihrer Universalität, aber sie ist auf das universale concretum, das Christus ist, und somit auf die Singularität der Menschwerdung des Logos bezogen. In diesem Bezug ist sie christusförmig, antwortet sie auf das göttliche Wort; ihre Haltung ist responsorisch, passiv, und darin ist sie »weiblich«. Balthasar charakterisiert dies im Rückgriff auf mariologische Spekulationen, denn die Kirche gilt ihm als Maria gleichgestaltet im passiven »Ja« zum Ergehen des Wortes, in der reinen Entsprechung einem göttlichen Anspruch gegenüber, in der Bereitschaft zur Aufnahme des Logos.120 Maria ist das Urbild der Kirche in ihrer gehorsamen Bereitschaft zur Empfängnis, zum Austragen und zur Geburt des Logos und damit in ihrer Bereitschaft, Gott in sich Raum zu geben und Mensch werden zu lassen. Denn in der Kirche wiederholt und erneuert sich Balthasar zufolge die Inkarnation des Logos: »Gott aus der einsamen Höhe seiner Allmacht kann aus dem Nichts unfruchtbarer Jungfräulichkeit […] die für die Welt allfruchtbare Mutterschaft der Jungfrau erschaffen, und dies freilich durch seinen gottmenschlichen

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Vgl. etwa ders.: The Motherhood of the Church. San Francisco 1982. 101; 353f. Vgl. zu Balthasars Geschlechterkonstruktion in seiner Ekklesiologie auch Nutt: Das »Leib Christi«-Verständnis Hans Urs von Balthasars. 143-151; Beattie: New Catholic Feminism. 112 und Gonzalez: Hans Urs von Balthasar and Contemporary Feminist Theology. 568. 120 Vgl. z.B. Hans Urs von Balthasar: Theodramatik III: Die Handlung. Einsiedeln 1980. 330 und 334.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Sohn, der das Wunder der göttlichen Allmacht und All-Fruchtbarkeit in seiner Eucharistie hineinverleiblicht in die gesamte Schöpfung des Vaters. Hier erst, wo das Wort, endgültig verstummend, aus seinem ganzen Leib den Samen Gottes zu machen vermochte, ist das Wort endgültig Fleisch geworden – in der Jungfrau-Mutter Maria-Kirche, deren geistig leibliche Antwort fruchtbarer ist als alle vermeintliche Selbstbefruchtung der Weltsünde, die endgültig steril bleibt.«121 Die Kirche ist somit ein Doppeltes: zum einen »Leib Christi« aufgrund der Prolongation der Inkarnation – und damit trägt sie quasi »Männliches« in sich, da der Logos und der »Gottmensch« männlich sind; zum anderen »Jungfrau-Mutter«, da Abbild des Urbildes Maria, und zwar für Balthasar nicht nur allegorisch, sondern ontologisch aufgrund der vorausgesetzten Partizipationsontologie bzw. analogia entis gedacht. Als »Jungfrau-Mutter« trägt die Kirche demnach »Weibliches« in sich. Zwar besitzt auch der Logos quasi »weibliche« Elemente etwa dadurch, dass er sich dem Vater als gehorsam erweist und sich dessen Willen fügt, von der Menschwerdung bis hin zum Tod am Kreuz, dennoch ist er laut Balthasar wesentlich männlich. Maria jedoch verkörpert aufgrund ihres Frauseins ungebrochen das »weibliche« Prinzip von Demut, Gehorsam, Passivität, freiwilliger Unterordnung und Preisgabe des Eigenwillens, was wiederum für Balthasar das Idealbild der rechten Glaubenshaltung ist. Sie verkörpert die für Balthasar so zentrale Kombination von Jungfräulichkeit (nicht nur im Sinne biologischer »Intaktheit«, sondern im Sinne von vollkommener Gott- bzw. Christusförmigkeit als »Tempel Gottes« und in der Haltung des Glaubensgehorsams) und von Mutterschaft (nicht nur als Mutter Jesus bzw. des menschgewordenen Logos, sondern auch als Mutter aller Gläubigen, deren Urbild sie ist). Die Kirche ihrerseits ist also für Balthasar beides: »Leib Christi« und »Jungfrau-Mutter«, sie repräsentiert Christus (darin ist sie »männlich«) und sie vollzieht diese Repräsentation in marianischer Haltung (darin ist sie »weiblich«). Oder anders formuliert: Das, worauf sie hinweist und dem sie zu entsprechen sucht, ihr Gehalt, ist »männlich« (Gott, Logos, Christus), die Art und Weise, worin und wodurch sie dies tut, ihre Form, ist »weiblich« (Gestalt, Haltung). Beide, Gehalt und Form, greifen wiederum komplementär ineinander, ergänzen und entsprechen einander, 121

Ebd. 336f. Ähnlich in ders.: Gedanken zum Frauenpriestertum. In: IKaZ 25 (1996). 491-498. Hier: 495: »Was urbildlich in Maria geschieht, das ereignet sich (nach den Kirchenvätern) nachbildlich in der Jungfrau-Mutter Kirche, die in ihrem Schoß die Glieder des Leibes Christi austrägt«.

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so wie Männliches und Weibliches, Mann und Frau, einander ergänzen und entsprechen. Genau besehen ist die Kirche nicht als »Leib Christi« männlich und weiblich zugleich, es gibt also gerade keinen gender trouble im Kirchenverständnis Balthasars, denn das Weibliche wird durch Maria repräsentiert und durch die »Jungfrau-Mutter«-Metapher zum Ausdruck gebracht, nicht durch die »Leib Christi«-Metapher. Bei Balthasar spielt neben der »Jungfrau-Mutter«-Metapher auch die Brautmetaphorik eine wichtige Rolle, wodurch ebenfalls eine »weibliche« Kennzeichnung der Kirche geschieht. Die »Bräutlichkeit« der Kirche wird mit ihrer »Jungfräulichkeit« und ihrer »Mütterlichkeit« bzw. »Mutterschaft« verknüpft, und stets regiert hier die Vorstellung des Gehorsams, der Preisgabe des Eigenwillens im marianischen »Ja«: »Wo Kirche ›heilig und tadellos‹ ist, gemäß ihrer ursprünglichen Erwählung (Eph 1,4), wo sie die ›herrliche Braut ohne Makel und Runzel oder sonst einen Fehler‹ ist, ›heilig und makellos‹ (Eph 5,27), dort bekennt sie sich, dem Menschwerdungsgesetz des Sohnes voll entsprechend, als ›Magd des Herrn‹ (Lk 1,38). Dieses spricht nicht eigentlich ein von Gott abgewartetes Jawort als ein ihm gegenüberstehender ›freier Partner‹, denn mit der Menschwerdung ist die Zeit eines solchen doppelseitigen Bundes vorbei (Gal 3,20). Marias Freiheit lässt Gott über sich verfügen; deshalb die kategorischen Futura: ›du wirst gebären, wirst ihm den Namen Jesus geben‹ usf. (Lk 1,31ff). Gottes Heilswille tritt auf sie zu als das von Ewigkeit her schon Gesetzte, Gestiftete, Institutionelle. Und doch ist ihr Jawort bis ins Letzte existentiell, es umfaßt nicht nur den seelischen, sondern auch den leiblichen Glauben der Verfügten […], denn anders als in einem solchen Glauben, durch ihn und mit ihm zusammen würde das Wort Gottes nicht Fleisch.«122 Balthasar beschreibt das Verhältnis von Christus (Bräutigam) und Kirche (Braut) im Rekurs auf Ehe- und Hochzeitsmetaphorik. Christus und Kirche werden »ein Fleisch sein« – die Kirche ist dies ja bereits im abgeleiteten Sinne als Prolongation der Inkarnation und als »Leib Christi«, nun aber werden beide »ein Fleisch« in einer gleichsam sexualisierten Relation von Bräutigam und Braut. Christus und Kirche sind somit einerseits immer schon eins im Sinne der Stufenontologie der analogia entis, andererseits verschieden eben aufgrund der Stufenontologie, und in ihrer Verschiedenheit wiederum vereinen sie sich, der Hochzeits-Metapher für den Bund zwischen Gott und Mensch 122

Ders.: Pneuma und Institution. Skizzen zur Theologie IV. Einsiedeln 1974. 141f.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

vergleichbar.123 Hier kann die »Leib Christi«-Metapher nicht dominieren, weil sie Balthasars Übertragung von Geschlechterkonstruktionen auf das ChristusKirche-Verhältnis durchkreuzen bzw. in die ekklesiologischen Spekulationen einen Widerspruch hineintragen würde. Denn der »Leib Christi« ist männlich wie Christus bzw. der Logos, etwa in dessen aktiver Funktion als Prinzip der Schöpfung,124 die Kirche jedoch weiblich in ihrer Funktion und Haltung. Balthasar bestimmt das Verhältnis zwischen Christus und Kirche als »bräutliche Vereinigung«125 bzw. »leibliche Vereinigung« in der (notwendigen) »physische[n] Opposition der Geschlechter«126 . Hier wendet er sich gegen eine gleichgeschlechtlich gedeutete Relation: »Fehlte […] die relative Opposition des geschlechtlichen Wesens, so würden wir in eine Art religiöse Homosexualität fallen, wobei das Geschöpf sich Gott gegenüber männlich verhalten würde, eine Sünde«127 . Für Balthasar ist klar: »Mit Gott gibt es keine Einigung gleichen Geschlechts, sondern nur das paulinisch-augustinische weibliche ›Gott-anhangen‹. Nicht das Nehmen, nur das Hingenommenwerden. In dem Maße, als der einzelne Glaubende sich von Gott hinnehmen läßt, Magd des Herrn wird, erwacht in ihm die Kirche, die weiblich den Geist des Herrn widerspiegelt. So aufnehmen zu müssen, zu dürfen, ist zugleich des Weibes Demut und Verherrlichung.«128 123

Diese Metaphorik ist derjenigen der Brautmystik vergleichbar: die mystische Einung wird als Vermählung zwischen dem Bräutigam Christus und der Braut »Seele« beschrieben. Dies entspricht auch Balthasars Vorliebe für die Deutung der unio mystica als Vereinigung zwischen Gott und Seele, die Betonung des Zunichtewerdens der Seele und deren Aufgabe des Willens in der ekstasis, wobei Balthasar hier vor allem auf brautmystische bzw. affektiv-mystische Traditionen zurückgriff, bezeichnenderweise nicht auf Traditionen spekulativer Mystik wie diejenige Meister Eckharts. Vgl. hierzu ders.: Zur Ortsbestimmung christlicher Mystik. In: Werner Beierwaltes/Hans Urs von Balthasar/Alois M. Haas: Grundfragen der Mystik. Einsiedeln 1974. 37-71. 124 Die Reduktion dieser Auffassung zeigt sich nicht allein in den verwendeten Geschlechterklischees, sondern auch darin, dass die schöpferische Kraft des Hervorbringens ausschließlich unter dem Blickwinkel »männlicher« Zeugungskraft gesehen wird, nicht aber unter dem des »weiblichen« Gebärenkönnens, der Nativität, und damit des Hervorbringens im eigentlichen Sinne. Das »Weibliche« ist bei Balthasar rein passiv, empfangend. Dass es auch aktiv sein könnte, spontan, in sexueller Hinsicht und auch in der Nativität, wird völlig ausgeblendet. 125 Ders.: Sponsa Verbi. Skizzen zur Theologie II. Einsiedeln 1960. 194. 126 Ebd. 194f. 127 Ebd. 198. 128 Ebd. 199.

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Auch die männlichen Gläubigen müssen sich somit derart als Glaubende verweiblichen, unbeschadet ihres biologisch männlichen Geschlechts; sie müssen ihrer Funktion, Haltung und Rolle nach zur »Magd des Herrn« werden. Schon die Bestimmung der Kirche als Prolongation der Inkarnation könnte als problematisch erscheinen, doch hier ist anzumerken, dass Balthasar keine Totalidentifikation von Christus und Kirche vertritt. Zwischen Christus und Kirche besteht ein Verhältnis der Identität in Differenz: Die Kirche ist Gestalt, Symbol, Bild des menschgewordenen Gottes – und in dieser Hinsicht »Leib Christi« –, in ihr kommt Christus zum Ausdruck, und doch ist sie von ihm unterschieden eben als sein Symbol, Bild, seine Ausdrucksform. Hier ist die Bedeutung des zugrundeliegenden Bildverständnisses zu beachten: »Bild« meint hier nicht lediglich ein Zeichen, das auf ein Bezeichnetes hinweist, referiert. Im Bild kommt vielmehr eine Wirklichkeit in einer anderen zur Erscheinung, nimmt in ihr Gestalt an, ohne jedoch gänzlich mit ihr identisch zu sein.129 Jenes Bildverständnis entspricht dem Gedanken der attributiven Analogie, der dann auch die Vorstellung der analogia entis prägt: A steht in einem Verhältnis attributiver Analogie zu B insofern, als B von A abhängig ist. B hat seinen Grund in A und ist aus A hervorgegangen. Insofern besteht zwischen A und B durchaus eine Einheit, jedoch in Unterschiedenheit, und dies aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses. Die Gefahr der Totalidentifikation von Christus und Kirche wurde folglich unbeschadet eines ontologischen Verständnisses der Kirche abgemildert. Problematisch ist dann allerdings die Essentialisierung des Geschlechterverständnisses sowie der planen Ableitung als spezifisch »männlich« oder »weiblich« gekennzeichneter Eigenschaften und Rollenmuster aus einem »männlichen« oder »weiblichen« Wesen und die Übertragung auf das Kirchenverständnis. Nimmt man diesen Voraussetzungen ihre Selbstverständlichkeit, bricht Balthasars hochspekulative, von Projektionen und Konstruktionen geprägte Ekklesiologie und ihre höchst prekären politischen Folgen in sich zusammen. Diese politischen Folgen liegen auf der Hand und wurden von Balthasar selbst genannt: Ist die Kirche 129

Vgl. zu diesem Begriff des Bildes in Referenz auf Anselm von Canterbury und Johann Gottlieb Fichte etwa Verweyen: Gottes letztes Wort. 154-185, wobei Verweyen darauf aufmerksam macht, dass dieses Bildverständnis auch von Hans Urs von Balthasar theologisch rezipiert und weiter durchdacht wurde, etwa in Verbindung mit dem Gedanken der analogia entis, dem Erich Przywara wieder theologische Prominenz verschafft hatte; von Balthasar wiederum hatte hier auch auf Przywaras Überlegungen zurückgegriffen (vgl. Erich Przywara: Analogie entis. Ur-Struktur und All-Rhythmus. Einsiedeln 3 1996).

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

weiblich, Christus aber männlich, dann muss diejenige Person, die Christus repräsentiert, also der Träger des kirchlichen Amtes, männlich sein. Nur ein Mann kann dieser Logik zufolge Christus repräsentieren, und nur ein Mann kann der Logik der Komplementarität entsprechend als Gegenüber der weiblichen Kirche bzw. Gemeinde der »weiblichen« Gläubigen fungieren. Andernfalls wäre die Relation von Priester und Gemeinde quasi homosexuell gestaltet, und das muss für Balthasar unter allen Umständen vermieden werden.130 Joseph Ratzinger Ein anderes prominentes Beispiel für eine geschlechtermetaphorisch aufgeladene »Leib Christi«-Ekklesiologie ist diejenige Joseph Ratzingers. Ratzinger favorisiert u.a. in Bezug auf die paulinische »Leib Christi«-Theologie die »Leib Christi«-Metapher gegenüber derjenigen des Volkes Gottes131 und arbeitet hier ähnlich wie Balthasar stark mit Motiven der Brautmetaphorik, um die Einheit 130 Vgl. hierzu etwa ders.: Gedanken zum Frauenpriestertum. 497; ders.: Welches Gewicht hat die ununterbrochene Tradition der Kirche bezüglich der Zuordnung des Priestertums an den Mann? In: Gerhard Ludwig Müller (Hg.): Von »Inter Insigniores« bis »Ordinatio Sacerdotalis«. Dokumente und Studien der Glaubenskongregation. Würzburg 2006. 105-111. Vgl. auch Nutt: »A bundle of flesh just as we are«. 327f.; dies.: Das »Leib Christi«-Verständnis Hans Urs von Balthasars. 151-154. Interessanterweise müssen zwar Personen mit biologisch als männlich bestimmtem Geschlecht notwendigerweise Christus repräsentieren, umgekehrt können aber sowohl Personen männlichen wie weiblichen Geschlechts die weiblich konnotierte Kirche bzw. Gemeinde repräsentieren. Das heißt: Auch Männer können hier eine »weibliche« Funktion übernehmen (als Empfangende und Entsprechende Christus bzw. dessen Repräsentanten gegenüber), nicht aber Frauen eine »männliche« Funktion als in persona Christi und damit als aktiv Handelnde und Zusagende. Salopp formuliert: Männer können empfangen und eine passive Rolle einnehmen, Frauen aber niemals geben und eine aktive Rolle einnehmen. Hierfür werden keine Gründe genannt, was die Widersprüchlichkeit des Konzepts noch mehr verdeutlicht und das Ganze als ein ideologisches Konstrukt im spekulativ-theologischen Gewand entlarvt. 131 »Kirche ist jene Gemeinschaft, die in der sichtbaren und geordneten Kultversammlung ihr unsichtbares Wesen als »Leib Christi« bestätigt und erfüllt.« (Joseph Ratzinger: Vom Ursprung und vom Wesen der Kirche. In: ders.: Gesammelte Schriften. Band 8,1: Kirche – Zeichen unter den Völkern. Band 1. Freiburg i.Br. 2010. 140-156. Hier: 151). Daniel Bugiel hat herausgestellt, dass die Favorisierung der »Leib Christi«-Metapher auch darauf zurückzuführen ist, dass Ratzinger in ihr einen Einheits- und Ordnungsgedanken gegeben sieht, der der von ihm so bezeichneten »Diktatur des Relativismus« standhalten könne. Vgl. hierzu Daniel Bugiel: Der »Leib Christi« und die männliche Moderne. Zum Primat des

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von Christus und Kirche im Sinne einer Vereinigung zu betonen, wobei er diese Vereinigung durchaus real und damit ontologisch versteht. Die »Gemeinde ist Volk Gottes dadurch, daß sie Braut Christi ist […], daß sie eins ist mit Christus Jesus, real vereinigt mit ihm«132 , analog zur sexuellen Vereinigung von Mann und Frau: »Christus und Kirche sind ein Leib in dem Sinn, in dem Mann und Frau ein Fleisch sind, so also, dass sie in ihrer unlöslichen geistig-leiblichen Vereinigung dennoch unvermischt und unvermengt bleiben. Die Kirche wird nicht einfach Christus, sie bleibt die Magd, die er liebend zur Braut erhebt und die sein Gesicht in dieser Endzeit sucht.«133 So sucht Ratzinger die Einheit von Christus und Kirche zugleich als Differenz zu bestimmen, um der problematischen Behauptung der Identität von Christus und Kirche zu entgehen, wobei die Differenz dann aber im Rückgriff auf eine platonisch beeinflusste Stufenontologie bzw. attributiven Analogie gedacht wird. Die Kirche ist Christus bleibend subordiniert. Diese Subordination wiederum wird geschlechtermetaphorisch ausgestaltet. Das »Untere« ist »Magd«, also »weiblich«, das »Obere« »männlich«. Ratzinger stellt explizit die »Weiblichkeit« der Kirche heraus: »Kirche ist […] Person. Sie ist eine Frau. Sie ist Mutter. Sie ist lebendig. […] Kirche wurde auch im Ursprung nicht gemacht, sondern geboren. Sie war geboren, als in der Seele Marias das Fiat erwachte.«134 Wie bei Balthasar schwingen hier, etwa in Bezug auf die Kennzeichnung der Kirche als »Magd«, marianische Motive mit. Der Differenzgedanke wird also analog zum Gedanken der sexuellen Differenz formuliert, und die Vereinigung der »Differenzwesen« Christus und Kirche analog zur Vereinigung der »Differenzwesen« Mann und Frau. Anders formuliert: Wie Mann und Frau beide eins in ihrem »Menschsein«, jedoch unterschieden in ihrer Zweigeschlechtlichkeit, so sind Christus und Kirche eins in ihrer ontologischen Gleichgestaltung als Prolongation der Inkarnation und

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Empfangens vor dem Machen bei Joseph Ratzinger. In: Wendel/Nutt (Hg.): Reading the Body of Christ. 69-83. Hier: 69. Ebd. 147. Ders.: Ursprung und Wesen der Kirche. In: ders.: Gesammelte Schriften. Band 8,1: Kirche – Zeichen unter den Völkern. Band 1. Freiburg i.Br. 2010. 220-241. Hier: 236f. Ders.: Die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils. In: ders.: Gesammelte Schriften. Band 8,1: Kirche – Zeichen unter den Völkern. Band 1. Freiburg i.Br. 2010. 258-283. Hier: 275.

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»Leib Christi«, jedoch unterschieden etwa im Blick auf den Hervorgang (»Geburt«) der Kirche aus Christus und in ihrer realen Gestalt als Gemeinschaft von Menschen. Die ontologische Einheit der Kirche mit Christus begründet Ratzinger durch das bekannte Motiv der Korporativpersönlichkeit: Christus ist der neue Adam, in ihm sind alle Getauften erlöst, insofern sie alle in seinen Leib hineingetauft sind, und dieses Geschehen setzt sich im Empfang des eucharistischen Leibes und Blutes Christi fort: »Die Kirche ist »Leib Christi« und wird es je neu von der Eucharistie her. In der Eucharistie essen alle das seinem Wesen nach numerisch eine Brot – Christus, der sich nicht in unsere Leibsubstanz hinein assimilieren lässt, sondern umgekehrt uns selber assimiliert in seinen Leib hinein und so uns alle zu einem einzigen Christus macht.«135 Dies schließt einen exkludierenden Inklusivismus bzw. inkludierenden Exklusivismus ein, da letztlich nur diejenigen voll und ganz zugehörig und damit auch erlöst sind, die durch die Taufe inkludiert sind. Zudem erfolgt die Vereinigung der Gläubigen mit Christus niemals direkt und unmittelbar, etwa auf dem Wege einer instantan sich vollziehenden mystischen Einung mit dem der Seele immer schon einwohnenden Christus, sondern stets vermittelt durch die Kirche als »Leib Christi«: »Die Vereinigung des Menschen mit Christus ereignet sich […] immer nur durch das Eingehen in den »Leib Christi« , in die Kirche.«136 Dieser »Leib Christi« ist organisch und hierarchisch strukturiert. Jede und jeder hat seinen und ihren Platz und Funktion, vor allem das kirchliche, Christus repräsentierende Amt als Gegenüber der »weiblich« konnotierten Gemeinde. Die »Weiblichkeit« der Kirche bzw. Gemeinde besteht für Ratzinger in ihrer Haltung, Aufgabe und Funktion: empfangend und auf Christus hin eröffnet – beides schreibt Ratzinger sowohl der Konstitution des Leibes als auch dem »Wesen« des »Weiblichen« zu. Das »Männliche« bestehe im Prinzip des »Machens«, der Aktion und der Struktur – für Ratzinger zugleich das Prinzip der Moderne und der Grund des von ihm diagnostizierten Problems der

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Ders.: Vom Ursprung und vom Wesen der Kirche. 149. Ders.: Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche. Dissertation. In: ders.: Gesammelte Schriften. Band 1: Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche. Die Dissertation und weitere Studien zu Augustinus und zur Theologie der Kirchenväter. Freiburg i.Br. 2011. 43-418. Hier: 287f.

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Moderne und ihrer »Verfallserscheinungen«; das »Weibliche« eben im Empfangen, Geschehen-Lassen, im Passiven und Responsorischen – und das wiederum wird unter der Metapher des Leibes gefasst, analog zur traditionellen Identifikation des Weiblichen mit dem Stoff, dem Materiellen, des Leiblichen im Unterschied zur Dimension des Geistes. Für Ratzinger bedeutet die VolkGottes-Metapher das »Männliche« von Aktion und Struktur, die »Leib Christi«-Metapher dagegen das »Weibliche« des Empfangens und Gebärens: »Kirche ist mehr als ›Volk‹, mehr als Struktur und Aktion: In ihr lebt das Geheimnis der Mutterschaft und der bräutlichen Liebe, die die Mutterschaft ermöglicht. […] Wo Kirche nur noch maskulin, strukturell, institutionstheoretisch gesehen wird, da ist das Eigentliche von Ecclesia ausgefallen.«137 Vergleichbar zu Balthasar taucht hier das marianische Prinzip des Empfangens auf, aber auch das der »Jungfrau-Mutter« als Kennzeichen der Kirche: Die Kirche ist »Braut«, sie ist »Magd«, sie ist Jungfrau«, sie ist »Mutter«, und darin nicht nur »Leib Christi« , sondern Abbild Mariens.138 Diese Denkform macht erklärbar, weshalb Ratzinger so vehement gegen Feminismus und GenderTheorien polemisierte und etwa Homosexualität als grundlegende gesellschaftliche Bedrohung bzw. als Hauptmerkmal der Permissivität moderner Gesellschaften ansah, stellen sie doch die von ihm vorausgesetzte Konstruktion einer bipolaren bzw. komplementär aufeinander bezogenen sexuellen Differenz von »männlich« und »weiblich« nebst entsprechender Eigenschaften (aktiv-passiv, zeugend-gebärend…) in Frage und setzen ein anderes Modell von Geschlecht und Sexualität bzw. sexueller Identität entgegen.139 Graham Ward Ein gänzlich anderes Konzept einer »Leib Christi«-Ekklesiologie hat dagegen Graham Ward vorgelegt. Wie de Lubac, Balthasar oder Ratzinger vertritt er eine »Leib Christi«-Ekklesiologie und bezieht sich dabei auf die paulinische und patristische Tradition der Metapher. Wie diese betont er dabei die Partizipationsontologie, den Gedanken einer Identität in Differenz von Christus und

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Ders.: Erwägungen zur Stellung der Marienfrömmigkeit im Ganzen von Glaube und Theologie. In: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Maria, die Mutter des Herrn. Hirtenwort der deutschen Bischöfe. Bonn 1979. 13-27. Hier: 17f. Vgl. hierzu auch Bugiel: Der »Leib Christi« und die männliche Moderne. 78-80. Vgl. Ratzinger: Erwägungen zur Stellung der Marienfrömmigkeit. 18. Vgl. hierzu Bugiel: Der »Leib Christi« und die männliche Moderne. 81f.

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Kirche (unsichtbarer-sichtbarer Leib) sowie die universale Dimension. Ähnlich wie Ratzinger stellt er entgegen der institutionellen Komponente die sakrale und liturgische Seite heraus. Doch anders als die vormals Genannten entwickelt Ward erstens ein performatives Verständnis des Leibseins: Der »Leib Christi« liegt nicht schlichtweg »fertig« vor, sondern konstituiert sich immer wieder neu als gemeinsamer Vollzug des Leibseins aller Gläubigen.140 Dadurch sucht Ward das Problem der einschließenden Ausschließung mittels »Einverleibung« der Gläubigen in den Corpus Christi zu vermeiden: Der »Leib Christi« ist ein offener Raum, kein abgeschlossener Ort, genau besehen überhaupt kein Ort, sondern in seiner Unsichtbarkeit und Undarstellbarkeit Raum und Zeit transzendierend.141 Zweitens geht Ward, wie schon erwähnt, entsprechend der phänomenologischen Unterscheidung von Leib und Körper von der Transkörperlichkeit des Leibes Christi aus – was ebenfalls einer Differenzierung zwischen der Kirche als »Leib Christi« und der Institution Kirche gleichkommt. In dieser Transkörperlichkeit ist sowohl die Transzendierung von Raum und Zeit eingeschlossen (und damit die Reduktion des Leibes Christi auf einen begrenzten, ein- und ausschließenden Ort ausgeschlossen) als auch der Entzug aus den Zeichenpraxen der Machtdiskurse, ja überhaupt der Entzug aus sämtlichen Zeichen- und Körperpraxen. Alle Gläubigen gehören einem Leib an, den sie immer neu performativ konstituieren und vollziehen, und den sie allererst so zum Ausdruck bringen, dem sie Gestalt geben. Der »Leib Christi« konstituiert sich so in einer Vielfalt von Körperpraxen, ist selbst aber kein Körper – eben darum ermöglicht er diese Vielfalt, setzt sie immer neu frei. Außerdem bedeutet die Transkörperlichkeit des Leibes Christi, dass er vom individuellen Körper Jesu zu unterscheiden ist (und auch von dessen »männlicher« Signatur). Daher ist der »Leib Christi« allgeschlechtlich: Er hat kein Geschlecht, ist selbst nicht sexualisiert, setzt jedoch eine Vielfalt von Geschlechterpraxen, von Sexualisierungen frei, die die Bipolarität der sexuellen Differenz und der Heteronormativität aufsprengt. Ist der »Leib Christi« selbst aber geschlechtlos, dann ist es auch die Kirche als »Leib Christi«: Sie ist

140 Zwar betont auch Ratzinger das prozessuale Verständnis des Leibes Christi (vgl. etwa Ratzinger: Die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils. 261f.), fasst diesen Prozess allerdings nicht als performativen Akt der »Leiber« der Gläubigen auf, sondern als der Dynamik des Leibes selbst eingeschriebenen Prozess. 141 Vgl. hierzu Ward: Cities of God. 176ff.; vgl. auch Leidinger: Verletzbarkeit gestalten. 226f.

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weder »männlich« in ihrem wesenhaften Bezug auf Christus bzw. den Logos, noch »weiblich« in ihrer Haltung und Aufgabe; sie ist weder »Braut« eines »Bräutigams« noch »Jungfrau«, »Magd« oder »Mutter«. Und ebenso wenig sind diejenigen, die in persona Christi handeln, notwendig männlich, noch die Gemeinde bzw. die Gläubigen in ihrem Gegenüber zum kirchlichen Amt weiblich.142 Wards Konzeption weist bereits auf ein anderes universales Verständnis des Leibes Christi hin, das nicht primär soteriologisch und/oder ekklesiologisch, sondern kosmologisch ausgerichtet ist. Denn der transkörperliche Christusleib umfasst nicht nur den Heilsraum bzw. die Kirche, sondern das ganze Universum als einen durch Gott bzw. Christus eröffneten Heilsraum bzw. eröffnetes Heilsgeschehen. Nicht von ungefähr vertreten manche vornehmlich in der Prozesstheologie sich verortende Theologinnen und Theologen, dass ein tragfähiger Gebrauch der »Leib Christi«-Metapher auch vor dem Hintergrund geschlechtersensibler Gottesrede nur noch kosmologisch denkbar sei und rezipieren dabei sowohl die tradierte Vorstellung der Welt als Körper Gottes als auch Konzeptionen eines »kosmischen Christus«. Es wird im weiteren Verlauf noch näher zu diskutieren sein, ob Wards Vorschlag durchgehend überzeugen kann oder womöglich zu schnell die problematischen Geschlechterkonstruktionen des Leibes Christi und deren prekäre Folgen überspringt und ob die kosmologischen Konzeptionen tatsächlich als tragfähige Alternativmodelle taugen. Vorher gilt es aber, die biopolitischen Konsequenzen der genannten Deutungen des individuellen wie universalen Leibes Christi näher zu beleuchten und zu problematisieren.

142 Vgl. auch Leidinger: »Ward will erreichen, dass der christliche Diskurs die Fixierung auf den Körper des (männlichen) Erlösers überwindet, um stattdessen einen dynamischen und pluralen, kosmologischen Leib zu denken, an dem alle Gläubigen partizipieren. Ward bedient sich also eines organischen Körpermodells und interpretiert es bewusst ›allgeschlechtlich‹ und damit ›geschlechtsneutral‹.« (Leidinger: Verletzbarkeit gestalten. 237.)

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3.4 »Leib Christi« – ein biopolitisch folgenreicher Machtdiskurs »Leib Christi« ist, wie gesehen, sowohl im Blick auf den individuellen Körper Jesu als auch auf den universalen, soteriologisch und ekklesiologisch bedeutsamen Christusleib Gegenstand vielfältiger Geschlechterkonstruktionen. Damit besitzt er eminent biopolitische Bedeutung, sowohl binnenkirchlich hinsichtlich der Legitimation der kirchlichen Struktur und des Amtsverständnisses sowie konkreter Normen auf dem Feld der Sexual- und Beziehungsethik und der Körperpraxen als auch gesellschaftlich aufgrund der Prägung kulturell und gesellschaftlich geltender Normen und Regeln der Körperdiskurse und -praxen. Dies gilt insbesondere für den Bereich des Begehrens, der Sexualität bzw. sexuellen Identität und der Lebensformen. Es gilt weiterhin hinsichtlich der Etablierung einer geschlechtsspezifischen Arbeits- und Rollenaufteilung, die im Aufkommen der bürgerlichen Kleinfamilie mitsamt deren herrschaftsstabilisierender Funktion als »Keimzelle« der Gesellschaft zu Beginn des 19. Jh. kulminierte. Umgekehrt flossen bekanntlich kulturell und gesellschaftlich vorherrschende Körperdiskurse antiker bzw. paganer Provenienz in christliche Überzeugungen ein und bestimmten diese nachhaltig, so etwa moralische Regeln im Bereich von Ehe, Sexualität und Begehren stoischer Provenienz, oder die patriarchale Struktur von Ehe und Familie im Römischen Reich, vor allem die restaurative Ehegesetzgebung des Kaisers Augustus.143 Diese Einflüsse bestimmten auch mehr und mehr das Bild des Körpers Jesu bzw. des Leibes Christi und damit auch die tradierte Praxis der Nachfolge Jesu im Bereich von Körper, Sexualität und Begehren. Daran zeigt sich, dass die »Leib Christi«Metapher eben als Metapher einerseits performativ hervorgebracht wird, also in unterschiedlichen diskursiven Deutungen des Christusleibes, andererseits aber selbst bereits als Metapher performativ wirksam ist und eine Wirklichkeit legitimiert und erzeugt, in deren Zentrum Körper, Sexualität und Begehren bzw. die Regulierung derselben stehen. 143

Vgl. zu diesen Einflüssen etwa Michel Foucault: Sexualität und Wahrheit. Band 4: Die Geständnisse des Fleisches. Berlin 2019. 23ff. Die Abhängigkeit christlicher Moralvorstellungen, etwa paulinischer Tugend- und Lasterkataloge, von der Stoa bzw. der Diatribe, ist jedoch alles andere als eine neue Erkenntnis. Vgl. etwa Wolfgang Weinkauf: Die Philosophie der Stoa. Stuttgart 2001. 16; Martin Ebner: Die Stadt als Lebensraum der ersten Christen. Das Urchristentum in seiner Umwelt I. Göttingen 2012. 274-305; Troels Engberg-Pedersen: Paul and the Stoics. Edinburgh 2000; Runar M. Thorsteinsson: Roman Christianity and Roman Stoicism. A Comparative Study of Ancient Morality. Oxford 2010.

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3.4.1 Die Regulierung des Begehrens und die Etablierung geschlechtsspezifischer Gefühls- und Arbeitsteilung Konstruktionen des Körpers Jesu und vor allem seines Geschlechts wurden und werden häufig als Legitimationsgrundlage für Regulierungen des Begehrens in religiöser Perspektive verwendet. Wer Jesus nachfolgen und ihm entsprechen will, soll möglichst genauso sein und leben wie er, und das gilt dann auch für das gesamte Feld des Begehrens. Umgekehrt wurden und werden auf Jesus ebensolche Regeln und normative Vorstellungen projiziert: Nicht nur wir sollen so sein und leben wie er, sondern vor allem auch Jesus soll so gewesen sein und gelebt haben, wie es bestimmte Regeln und Normen vorschreiben. Die Konstruktionen von sexueller Differenz und sexueller Identität schreiben sich in seinen Körper ein, und die Bilder seines Körpers wiederum schreiben sich in unsere Körper ein. Dominierend wurde das Bild eines zwar heterosexuellen, aber nicht sexuell aktiven Mannes. Beides wohl auch deshalb, weil alles andere einem damals wirkmächtigen Vollkommenheitsideal widersprochen hätte: Ist Jesus der fleischgewordene Logos, so ist er als Mensch zugleich der vollkommene Tempel Gottes. Darin aber muss er Gott auch als Mensch völlig gleichgestaltet sein, muss selbst vollkommen sein. Zu den zentralen Kennzeichen von Vollkommenheit bzw. Selbstvervollkommnung gehörten, vor allem (neo-)platonischem und stoischem Gedankengut entsprechend, erstens der Primat des Geistigen gegenüber dem Materiellen, Körperlichem, und zweitens die stoischen Tugenden der apatheia, ataraxia und autarkia – allesamt Tugenden, die auf die Kontrolle der Affekte und des Begehrens abzielen. Besondere Auswirkung zeigt hier die augustinische Erbsündenlehre und deren Verknüpfung der Ursünde mit der Konkupiszenz und die damit einhergehende Vorstellung der generativen Übertragung der Sünde im Geschlechtsakt. Folgt man dieser Logik, ist es konsequent, denjenigen, der »in allem uns gleich außer der Sünde« ist, als sexuell inaktiv, frei von der Konkupiszenz, zu bestimmen. Jesu zölibatäre Lebensform wird so keineswegs zu einer arbiträren, freiwilligen Entscheidung, die auch anders hätte gefällt werden können, sondern zu einer ontologischen Notwendigkeit im Horizont der Inkarnationslehre und deren Verbindung mit der Erbsündenlehre. Zum Vollkommenheitsideal gehört aber auch die Vorstellung der Menschwerdung des Logos in einem Mann, weil, ebenfalls nach antiker Vorstellung, das Terrain des Göttlichen mit dem des Geistes identisch ist. Dieses wiederum

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wurde unter der Voraussetzung der Zweigeschlechtlichkeit als »männlich« identifiziert und solcherart sexualisiert. Das Vollkommene kann dieser Vorstellung zufolge gar nicht anders, als sich im Wertvolleren, »Oberen«, also dem »Männlichen« zu zeigen – der »vollkommene Körper« kann dann nur ein männlich konfigurierter sein. Zudem galt ja das »Weibliche« als minderwertiger, zumal ja laut Gen 2 die Sünde durch die Verführung einer Frau in die Welt kam. Hinzu kam das Argument, dass die Inkarnation in einem Mann stattfinden musste, weil Gott selbst bzw. der Logos wesentlich männlich sei; das Urbild muss sich ein Abbild suchen, das ihm voll und ganz entspricht, also der in seiner Substanz männliche Gott eine in ihrer Substanz männliche Person, er muss nicht nur Menschennatur, sondern Mannesnatur annehmen – ein Argument, dass, wie gesehen, etwa Hans Urs von Balthasar entfaltet hatte. Im Rekurs auf eine bipolare Geschlechterontologie nebst entsprechender Hierarchisierung erhält die Inkarnation in einem Mann den Charakter ontologisch begründeter Notwendigkeit. Gott konnte dieser Logik zufolge gar nicht anders als Mann werden, andernfalls hätte er auf die Menschwerdung verzichten müssen. Auf diese Art und Weise wird nicht nur Jesus zu einer gigantischen Projektionsfläche für herrschende Geschlechter- und Begehrenscodes, sondern letztlich Gott selbst. Darüber hinaus werden Gott bzw. der Logos zum Gegenstand einer Rückprojektion der Männlichkeit Jesu. Wenn der Logos in Jesus Fleisch angenommen hat, und wenn in Jesus Gottes- und Menschennatur hypostatisch uniert sind, dann hat er auch Mannesnatur angenommen, bzw. besitzt diese bereits in seiner göttlichen Natur, da ansonsten die vollkommene Union von Gott und Mensch (Mann) nicht zu denken ist. Das Mannsein Jesu ist in dieser Optik ebenso wenig arbiträr wie die behauptete Männlichkeit Gottes bzw. Jesu. Diese Überzeugung wirkt insbesondere auf die Argumentation für den Ausschluss von Frauen aus dem kirchlichen Amt ein, wie noch zu zeigen ist. Die Geschlechterkonstruktionen des Körpers Jesu wirken also verstärkend und legitimatorisch auf die frühchristlichen Konfigurationen des Begehrens bzw. des »Begehrensmenschen« (Foucault) ein. Hierzu gehören asketische Ideale, die Regulierung sexueller Praktiken und des Ehelebens (Verbot von Ehebruch, außerehelichem Geschlechtsverkehr, Wiederverheiratung, gleichgeschlechtlichen sexuellen Praxen, Hinordnung der Sexualität auf die Zeugung von Nachkommen, legitime Orte und Zeiten für den Geschlechtsverkehr), die Verhältnisbestimmung von ehelicher und zölibatärer Lebensform,

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die Kultivierung des Jungfräulichkeitsideals.144 Zugleich ist der Körper Jesu jedoch selbst schon Teil dieses Diskurses der Begehrensökonomie. Er ist beides: ein Legitimationsgrund des Diskurses, dem die Körper und deren Begehren unterworfen werden, Referenzpunkt der Codes, die die Körper und deren Begehren normieren, und selbst schon reguliertes, unterworfenes Objekt des herrschenden Diskurses des Begehrens. Diese Doppelung suchen gegenwärtige theologische Konstruktionen des Körpers Jesu zu durchkreuzen, die die festgelegten, tradierten Deutungen (der zölibatär lebende, der sexuell inaktive, der heterosexuelle, der eindeutig »männliche« Mann usw.) verschieben, auch auf subversive, provokative Art und Weise.145 Doch nicht nur der individuelle Körper Jesu, sondern auch der soteriologische »Heilsraum« namens »Leib Christi« und dessen ekklesiologische Zuspitzung als »Heilsraum Kirche« sind, wie gesehen, Geschlechterkonstruktionen unterworfen. Denn das eigentlich Abstrakte wird dadurch konkret, dass man es in seiner Zuordnung zum konkreten »Gottmenschen« Jesus quasi personalisiert, wiewohl letztlich unklar bleibt, wie aus einem individuellen Körper ein universaler Leib werden kann. Mag man den Gedanken der Vereinzelung des Absoluten wohl durchaus noch philosophisch rechtfertigen können, etwa, wie gezeigt, im Rekurs auf cusanische Spekulationen oder mystische Traditionen der Einwohnung Gottes im Inneren des Menschen bzw. im Grund der Seele, so ist der umgekehrte Weg der Extrapolation des Allgemeinen aus dem Individuellen doch mehr als zweifelhaft. Man hat dies durch den Gedanken der Korporativpersönlichkeit zu lösen versucht, d.h. durch die Bestimmung einer einzelnen Person als diejenige, die zugleich Alles in sich enthält und umschließt, und die deshalb z.B. durch ihr Tun alle erlösen kann. Stichwortgeber sind hier sowohl platonische Partizipationsontologie (das Viele partizipiert am Einen, umgekehrt drückt sich das Eine im Vielen aus) als auch aristotelische Substanzontologie, die etwa im Blick auf die Zweinaturenlehre und die Funktion Jesu als Mittler entscheidend gewesen ist: In Jesus vereinen sich göttliche und menschliche Substanz bzw. Natur – der ontologische Ausnahmefall

144 Vgl. Foucault: Die Geständnisse des Fleisches. 145 Vgl. hierzu etwa neben Marcella Althaus-Reids Publikationen auch dies./Lisa Isherwood (Hg.): Thinking Theology and Queer Theory. In: Feminist Theology 15 (2007). 302-314; Patrick S. Cheng: From Sin to Amazing Grace. Discovering the Queer Christ. New York 2012; Robert E. Goss: Queering Christ. Beyond Jesus Acting Up. Cleveland 2002; Gerard Loughlin (Hg.): Queer Theology. Rethinking the Western Body. Oxford 2007.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

des »Gottmenschen« – und dadurch wird die gesamte menschliche Natur, an der alle Menschen partizipieren bzw. durch sie bestimmt sind, verwandelt. Göttliches und Menschliches werden geeint und dadurch wird das Menschliche erlöst und gleichsam vergöttlicht. Das Gleiche galt unter negativem Vorzeichen von Adam: in ihm waren alle zum Tode verdammt, und seine Sünde wurde zur Sünde aller. Deshalb wurde Jesus als der »neue Adam« verstanden, in dem alle erlöst sind. Über diesen Gedanken der Korporativpersönlichkeit ließ sich der »Leib Christi« als universaler Heilsraum bestimmen, als Verlängerung des Heilsgeschehens in der individuellen Korporativperson Jesus von Nazareth. Und die Kirche wiederum ließ sich unter der Bezeichnung »mystischer »Leib Christi« « als Verlängerung dieses Geschehens und als Spezifikation dieses universalen Heilsraums konzipieren.146 Das Grundproblem dieser Position ist neben ihren geschlechterstereotypen Projektionen ihre ontologische Voraussetzung, nämlich die kritiklose Weiterführung sowohl platonischer Partizipations- und Stufenontologie als auch aristotelischer Substanzontologie; beide können mit Blick darauf, dass sich mittlerweile auch andere Ontologien philosophisch etabliert haben, deren Basiskategorie weder die Voraussetzung einer (All-)Einheit als Prinzip aller Wirklichkeit noch der Begriff der Substanz sind, nicht mehr ohne weiteres als selbstverständlich vorausgesetzt werden, wie dies schon in den anthropologischen Erörterungen verdeutlicht wurde. Hinzu kommt grundsätzlich das Missverständnis, die Verwirklichung von Heil und Erlösung in Raum-, und Zeitkategorien zu denken und damit auch unter dem Aspekt der Ausdehnung. Zwar kommen Heil, Befreiung und Erlösung antizipatorisch immer konkret an Orten und Zeiten der Geschichte zum Ausdruck, anders handelte es sich lediglich um pure Projektionen. Doch die noch ausstehende Realisierung des zugesagten »Lebens in Fülle« sprengt ja die Kategorien von Raum und Zeit auf; weder handelt es sich um eine zeitliche Verlängerung des Bestehenden ins Unendliche hinein, noch handelt es sich um einen konkreten Ort »jenseits« von Welt und Geschichte. »Himmel« ist bekanntlich kein

146 Möglicherweise verlangte dieser Logik folgend schon die Analogie der beiden Korporativpersönlichkeiten Adam und Christus die Männlichkeit des Erlösers: Die Sünde kam durch den aufgrund der Erschaffung Evas zum Manne gewordenen Menschen in die Welt (Eva ist quasi mitgemeint, da aus ihm, dem Menschen und dann zum Manne Gewordenen, entnommen) und kann dann analog nur durch eine ebenfalls männliche Korporativperson entmachtet werden. Dazu bedarf es allerdings einer »neuen Eva«, die dazu bereit ist, den »neuen Adam« auszutragen und zu gebären – Maria.

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Ort, sondern eine Metapher für einen Zustand, und so ist auch der eröffnete »Heilsraum« kein begrenzter, definitiv bestimmter Raum oder Ort, sondern ein erhoffter Zustand. Wer den »Leib Christi« räumlich versteht, missversteht ihn als abgegrenzten Körper; Wards Hinweis auf die Transkörperlichkeit des Leibes Christi trifft hier einen entscheidenden Punkt. Ist der »Leib Christi« nämlich transkörperlich, dann überräumlich und überzeitlich, und so eben nicht klar lokalisierbar. Und vor allem besitzt er keine klar definierte Grenze. Solcherart grenzenlos schließt er weder ein noch aus. Der räumlich missverstandene »Leib Christi« dagegen eignet sich als Legitimation für Prozesse einschließender Ausschließung, für Prozeduren von Inklusion und Exklusion, für Bestimmungen von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit.147 Dieses Problem wird vor allem dann virulent, wenn das räumliche Verständnis von Heil und Erlösung auf die Kirche als »Leib Christi« übertragen wird. Nicht nur, dass die Differenz zwischen Christus, Heil und Kirche häufig zu schnell eingezogen wird – auch dann, wenn diese Differenz durchaus benannt wird, dies dann aber konzeptuell letztlich folgenlos bleibt. Nicht nur, dass die Kirche als »mystischer »Leib Christi« « als quasi zweite ontologische Ebene »hinter« den konkret existierenden Gemeinden gefasst wird und somit eine problematische »Verdoppelung der Welt« (Aristoteles) bzw. die Projektion einer »Hinterwelt« (Nietzsche) vorliegt. Das räumliche Verständnis von Kirche als »Leib Christi« impliziert stets die Praxis einschließender Ausschließung, markiert Grenzen der Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit und definiert darüber, was christliche, näherhin katholische Identität zu bedeuten hat: Partizipation am und Inklusion in den »Leib Christi« nebst entsprechenden Platzanweisungen, dies es entsprechend den genannten Tugenden des Glaubensgehorsams freiwillig anzuerkennen und anzunehmen gilt. Das Problem der Raummetaphorik und der einschließenden Ausschließung gilt aber auch für die »Volk Gottes«-Metapher. vor allem dann, wenn man sie in den Bahnen eines Einheits- oder Organismusmodells denkt. Nicht von ungefähr zog etwa Karl Adam eine Linie vom Corpus Christi zum »Volkskörper« bzw. zur »Volksgemeinschaft«. Die Konstruktion eines einheitlichen »Volkswillens« etwa, analog zu Rousseaus volonté générale, trägt antidemokratische und antiliberale, ja totalitäre Züge, insbesondere dann, wenn zu dieser Konstruktion die Auffassung hinzutritt, dass dieser Wille durch einen 147

Vgl. zur Problematik der Körpermetaphorik und der »einschließenden Ausschließung« auch Saskia Wendel: Leib Christi – Grenzen und Chancen einer ekklesiologischen Metapher. In: Reményi/Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. 295-313.

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in Macht- und Wissensfülle quasi gottgleichen Führer bzw. Führungselite repräsentiert wird, der bzw. die ihn zu erkennen glauben und ausführen. Insbesondere im deutschen Sprachraum ist also die Metapher des »Volkes Gottes« nicht unbelastet. Dies gilt es zu beachten, wenn theologische Konzeptionen aus anderen Sprachräumen in den deutschen übersetzt werden. So haben etwa Ignacio Ellacuría und Jon Sobrino die Metapher des »gekreuzigten Volkes« (el pueblo cruzificado) geprägt. Hinsichtlich dieser Konzeption gilt es zunächst zweierlei zu beachten: erstens hat das lateinamerikanische »pueblo« eine andere Begriffsgeschichte als das deutsche »Volk« und trägt daher auch differente Konnotationen. »El pueblo« sind die kleinen, die einfachen Leute, sind gerade die Opfer des Ausnahmezustands und nicht die homogene Volksgemeinschaft. Das wird nochmals verstärkt durch den lateinamerikanischen Kontext der zweiten Hälfte des 20. Jh., in dem Ellacuría und Sobrino die Konzeption des »gekreuzigten Volkes« erarbeitet haben: ein Kontext extremer sozialer Ungleichheit und repressiver Gewalt. »El pueblo« sind demgegenüber gerade die Opfer – nicht, weil sie moralisch vollkommene Helden sind, sondern weil sie Opfer einer Herrschaftskonfiguration sind. E Es handelt sich daher – zweitens – eben nicht um eine »Volksgemeinschaft«, sondern um das »gekreuzigte Volk«. Eine Rezeption der Metapher ohne das beigesellte Adjektiv »gekreuzigt« verstellt und verzerrt die Metapher selbst. Es markiert einen gewichtigen Unterschied, der insbesondere bei der Übersetzung ins Deutsche nicht übergangen werden darf. Für diese Übersetzung gilt erstens, dass die Geschichte des deutschen Begriffes »Volk« mitsamt ihrer nationalsozialistischen Verstrickung nicht per se, und sei es auf noch so diffuse Weise, an Ellacurías Kategorien klebt. Damit würde man in Ellacurías Theologie eine genuin europäische Geschichte einschreiben und sie damit bewusst oder unbewusst kontraintuitiv lesen. Bei der Übersetzung der Konzeption ins Deutsche gilt aber auch, dass die oben beschriebene Belastung des Volksbegriffs nicht einfach ausgelöscht werden kann. Auch die Metapher des »Volkes Gottes« kann der Logik einschließender Ausschließung folgen. Auch wenn Ellacurías Gebrauch der Metapher des »gekreuzigten Volkes« in die genau entgegengesetzte Richtung zielt, gilt es dies zu bedenken, wenn man sie benutzt. Die Raummetaphorik verleitete im Übrigen auch zu einem Missverständnis der Taufe: Hineingetauft wird man nicht in die Zusage eines noch ausstehenden, erhofften und geglaubten Zustands und in die Gemeinschaft derer, die diese Hoffnung teilen, sondern in einen begrenzten und örtlich fixierten

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»Heilsraum«. Die Taufe fungiert so als Marker der einschließenden Ausschließung: Wer am Heil voll und ganz partizipieren will, wer Christus angehören, wer Teil des Leibes Christi sein will, muss getauft sein. Diesen Heilsexklusivismus suchte zwar das II. Vaticanum durch eine inklusivistische bzw. superioristische Position im Blick auf das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen abzuschwächen: Ungetaufte sind des Heiles zwar nicht gänzlich verlustig, stehen aber nicht in der Fülle der Heilszusage, sondern haben an ihr nur in abgestufter Art und Weise Anteil. Doch im Hintergrund dieser Position steht immer noch die Vorstellung vom begrenzten und definierten, fixierten »Heilsraum« und dessen Repräsentantin, der Kirche, in deren heilsvermittelnder Funktion. Die Vorstellung des Hineintaufens in einen in- und exkludierenden Raum bzw. Ort zeitigte denn auch Folgen für die frühchristlichen Begehrensregime und Körperpraxen: Wer getauft werden wollte, musste sich einer strengen Bußdisziplin und Askese unterziehen, um »dazugehören« zu können, um Eintritt in den »Raum« des Heils gewährt zu bekommen, vergleichbar den Initiationsriten von Mysterienkulten. Dies wirkte sich wiederum grundsätzlich auf christliche Regulierungen des Begehrens aus. Pointiert hat Foucault dies sowohl am Beispiel des frühchristlichen Taufkatechumenats als auch der monastischen Bußdisziplin beschrieben. Die Taufe fungiert als Akt der Inkorporierung in das durch Christus verbürgte Heilsgeschehen nebst Sündenvergebung bzw. Auslöschung der Folgen der Ursünde sowie Zugang zum Leben in der Wahrheit Gottes. Dazu aber musste man die eigene Wahrheit – oder besser: Wahrhaftigkeit – bekunden. Hierzu wiederum bedurfte es neben Bußdisziplin und asketischer Praktiken spezifischer Wahrheitsakte, die sich nicht nur auf das Bekennen des Glaubens beziehen, sondern auf das Offenlegen der eigenen Sünden und »Dämonen«, die oft auf Handlungen der Lüste und des Begehrens bezogen wurden. Zu diesem »wahr«-Sprechen trat allerdings auch in Gestalt vielfältiger Bußübungen und Handlungen ein »wahr«-Machen hinzu, die Wahrhaftigkeit des Katechumenen oder des Mönchs wurde nicht nur als Sprechakt, sondern als Körperpraxis bezeugt und beglaubigt, in einem performativen Akt, der das »wahr« sagt und macht, was ist und sein wird. Jene Praxen im Kontext der Taufe und Buße wirkten auf das Begehrensdispositiv des frühen Christentums zurück und damit auch auf asketische Praxen und andere Regulierungen des Begehrens.148 Hier wirken Konstitution von Begehren und Geschlecht zusammen, denn das »Weibliche« 148 Vgl. hierzu ausführlich Foucault: Die Geständnisse des Fleisches. 79-200.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

gilt als anfälliger für das Begehren und damit auch für die Sünde, analog zum Verständnis Evas als durch die Schlange verführte Verführerin Adams. Askese und Bußdisziplin wirkte sich daher für Frauen nochmals anders aus als für Männer, und in dieser Praxis der Differenz wurde die Konstruktion der Differenz zwischen »Männlichem« und »Weiblichen« weiter vertieft.149 Als Beispiel ist etwa an die Aufforderung an alle Frauen, verheiratete wie unverheiratete, zu denken, einen Schleier zu tragen und damit das Haupt zu verhüllen, nicht nur als Bekundung der Demut, sondern auch als Schutz, allerdings primär nicht zum eigenen, sondern zu demjenigen des Mannes, der vor der Gefahr der Verführung durch »weibliche Schönheit« geschützt werden soll. Die Vorstellung, dass das von Gott zugesagte Heil mit dem als »Heilsraum« verstanden »Leib Christi« identisch ist, führt allerdings noch zu einem anderen, im Blick auf die Geschlechterfrage noch bedrängenderen Problem: Der Heilsraum trägt als »Leib Christi« unweigerlich ein männliches Label, da er als Corpus Christi, mithin in Analogie zum männlichen Körper Jesu vorgestellt wird. Wer am Heil partizipiert, partizipiert so, genau besehen, an einem männlich konfigurierten Heil bzw. Heilsraum, der seine Repräsentation dann auch konsequenterweise in einer männlich bestimmten Gestalt (Kirche) und Struktur findet, wiewohl die Rolle der Kirche Christus gegenüber wiederum »weiblich« konnotiert ist. Frauen können zwar als quasi »Mitgemeinte« aufgrund ihres substanziellen Menschseins am Heilsraum partizipieren, nicht aber in der aktiven Rolle der Repräsentantin der Heilszusage. Dies ist ihnen in der vorausgesetzten Logik aufgrund ihres biologischen Geschlechts verwehrt, sie vermögen es nicht, in eine symbolisch »männliche« Rolle der Repräsentation Christi zu schlüpfen. Umgekehrt jedoch ist es Männern offenkundig möglich, unbeschadet ihres biologischen Geschlechts in die symbolisch

149 Vgl. hierzu etwa Tertullians Invektiven gegen Frauen als Abkömmlinge Evas: »In Schmerzen und Ängsten musst du gebären, o Weib, zum Manne musst du dich halten, und er ist dein Herr. Und du wolltest nicht wissen, dass du eine Eva bist? Noch lebt die Strafsentenz Gottes über dein Geschlecht in dieser Welt fort; dann muss also auch deine Schuld noch fortleben. Du bist es, die dem Teufel Eingang verschafft hat, du hast das Siegel jenes Baumes gebrochen, du hast zuerst das göttliche Gesetz im Stich gelassen, du bist es auch, die denjenigen betört hat, dem der Teufel nicht zu nahen vermochte. So leicht hast du den Mann, das Ebenbild Gottes, zu Boden geworfen. Wegen deiner Schuld, d.h. um des Todes willen, musste auch der Sohn Gottes sterben«. (Tertullian: Über den weiblichen Putz/De cultu feminarum. In: BKV.I. Band VII: Tertullians private und katechetische Schriften. Aus dem Lateinischen übersetzt von Karl Adam Heinrich Kellner. München 1912. I, 1).

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»weibliche« Funktion des gläubigen Gemeindemitglieds zu schlüpfen – ein Widerspruch in der Konzeption, der aber offenbar nie weiter bedacht worden ist, und der die implizit vorausgesetzten, verborgen wirksamen Vorannahmen der skizzierten Konzeption verdeutlicht: Frauen bleiben in ihrer Biologie gefangen, ihrer »Weiblichkeit«, und bleibend so durch sie bestimmt, dass sie keinesfalls eine andere als dieser »Weiblichkeit« entsprechende Rolle und Funktion ausüben können, ja dürfen, denn andernfalls geriete die natürliche, Gott gewollte Ordnung der Schöpfung, insonderheit der Geschlechter, ins Wanken. Männern dagegen scheint genau dies erlaubt und möglich zu sein: Unbeschadet ihres biologischen Geschlechts auch Rollen und Funktionen zu übernehmen, die als »nicht männlich« bzw. »weiblich« gelten, ohne dabei aber grundlegend ihrer »Männlichkeit« verlustig zu gehen und so die Schöpfungsordnung zu unterminieren. Neben diesen eher binnenchristlichen und -kirchlichen Folgen existieren allerdings auch gesellschaftliche Auswirkungen. Nicht nur, dass die Regulierung des Begehrens tief in das Bewusstsein derjenigen Gesellschaften eingesickert ist, die über Jahrhundert hinweg christlich geprägt wurden und noch werden. Immer wieder aufflammende Kulturkämpfe um die Bedeutung von Geschlecht, sexueller Identität und Lebensform, über den »richtigen Gebrauch« der Lüste und des Begehrens, zeugen davon. Darüber hinaus ist ja die skizzierte Regulierung des Begehrens und die damit verbundene Konstruktion von »Geschlecht« auch mit Rollenzuweisungen, Aufgabenzuschreibungen, Platzanweisungen verknüpft, vor allem auch mit Gefühlszuständigkeiten, geschlechtlicher Kategorisierung von Affekten, Emotionen und überhaupt der Vermögen bewussten Lebens, von Haltungen, Einstellungen, Überzeugungen und Handlungen. Die so lange wirkmächtige geschlechtsspezifische Arbeitsteilung etwa zwischen (Waren-)Produktion und Subsistenzproduktion,150 zwischen Erwerbs- und Hausarbeit, zwischen sogenanntem Privatem und sogenanntem Öffentlichen hängt auch mit den Regimen des Begehrens zusammen. Die Konstruktionen von Geschlecht und Begehren sind allerdings noch in anderer Hinsicht politisch bedeutsam: im Blick auf die kirchliche Verfasstheit

150 Vgl. etwa Veronika Bennholdt-Thomsen/Maria Mies/Claudia von Werlhof: Frauen – die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit. Reinbek bei Hamburg 2 1988; Christel Neusüß: Und die Frauen? Tun die denn nichts? Oder: Was meine Mutter zu Marx sagt. In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 6 (1983), 9/10. 181-206.

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und vor allem das Amtsverständnis, bzw. für die Frage nach der (Nicht-)Zulassung zum kirchlichen Amt.

3.4.2 Ein Amt nur für Männer Eine der binnenkirchlich wohl sichtbarsten und folgenreichsten Auswirkungen der Geschlechterkonstruktion eines »männlichen« Leibes Christi zeigt sich auf dem Feld des kirchlichen Amtsverständnisses, insbesondere im Blick auf die Zulassungsbedingungen zum Amt.151 »Die heilige Weihe empfängt gültig nur ein getaufter Mann.« (c. 1024/CIC). Zwar wird diese Position etwa im Katechismus der Katholischen Kirche mit einem Traditionsargument begründet152 oder man argumentiert rechtspositivistisch nicht nur im Blick auf die zitierte Norm des CIC, sondern vor allem auch in dem Versuch, die von Johannes Paul II. in Ordinatio Sacerdotalis formulierte Absage an die Frauenordination als unfehlbare Aussage zu interpretieren.153 Das entscheidende Argument für die Praxis der Exklusion von Frauen aus den Weiheämtern ist jedoch ein systematisches Argument, das anthropologische, christologische und ekklesiologische Positionen miteinander verknüpft, und das den Aspekt der Männlichkeit Jesu ins Zentrum stellt: Der Priester handle in persona Christi als Haupt und Bräutigam der Kirche bzw. Gemeinde, verstanden als »Braut Christi«. Da Jesus ein Mann gewesen sei, könne er auch nur von Männern repräsentiert werden, und nur Männer könnten die Funktion des Bräutigams der (weiblich konnotierten) Gemeinde als deren Gegenüber einnehmen.154

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Vgl. zum Folgenden auch Saskia Wendel: Jesus war ein Mann… – na und? Ein funktionales und nicht-sexualisiertes Amtsverständnis in anthropologischer Hinsicht. In: Margit Eckholt u.a. (Hg.): Frauen in kirchlichen Ämtern. Reformbewegungen in der Ökumene. Freiburg i.Br.-Göttingen 2018. 330-341. »Jesus, der Herr, hat Männer gewählt, um das Kollegium der zwölf Apostel zu bilden, und die Apostel taten das gleiche, als sie Mitarbeiter wählten, die ihnen in ihrer Aufgabe nachfolgen sollten. […] Die Kirche weiß sich durch diese Wahl, die der Herr selbst getroffen hat, gebunden. Darum ist es nicht möglich, Frauen zu weihen.« (Katechismus der Katholischen Kirche. Neuübersetzung aufgrund der Editio typica Latina. München u.a. 2005. 1577). Vgl. zur Kritik dieser Einschätzung etwa Johanna Rahner: Wie definitiv ist das Verbot der Frauenordination? Eine Frage der Theologie. In: HerKorr 71 (2017), 8. 48-51. Vgl. Inter Insigniores Nr. 6 (DH 4590-4606. Hier: 4603-4606); vgl. dazu auch Gerhard Ludwig Müller: Kann nur der getaufte Mann gültig das Weihesakrament empfangen? Zur Lehrentscheidung in »Ordinatio sacerdotalis«. In: ders. (Hg.): Frauen in der Kirche –

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Hier zeigt sich die explizite Auswirkung der Konfigurationen eines »männlichen« Christuskörpers, und zwar konkret des Körpers Jesu. Mary Daly hatte das gleiche Argument wie die Gegner der Frauenordination verwendet, allerdings mit dem Bestreben zu verdeutlichen, dass das Christentum unrettbar patriarchal sei.155 Dabei markiert sie sehr eindrücklich das Grundproblem der männlichen Bestimmung des Leibes Christi und dessen Rückwirkung auch auf das Verständnis des göttlichen Logos im Kontext der traditionellen Inkarnations- wie Offenbarungslehre: Der Logos wird Fleisch in einem männlichen Körper, und in dieser »Mannwerdung«, nicht nur »Menschwerdung« des Logos teilt Gott nicht nur »etwas« mit, sondern sich selbst. Gemäß der (neu-)chalcedonischen Christologie ist der Logos der Träger sowohl der göttlichen und der menschlichen Natur, und da erstens die angenommene menschliche Natur eine männliche ist und zweitens Eigentümlichkeiten der einen Natur für die andere ausgesagt werden können, schreibt sich die männliche Natur in die göttliche Natur des Logos ein. Weil nun der Logos gleichursprünglich und gleichwesentlich mit den anderen beiden göttlichen Personen ist, sei Gott selbst männlich. Dies ist laut Daly der Grund insbesondere auch für die Exklusionspraxen von Frauen aus dem kirchlichen Amt, denn dieses Amt repräsentiert Christus, und da Christus männlich sei, könnten ihn folgerichtig nur Männer repräsentieren. Um diese Argumentation noch besser nachvollziehen zu können, ist es wichtig, die einzelnen Voraussetzungen und Argumentationslinien nachzuzeichnen, die das Argument bestimmen. Grundlage des Arguments ist die bereits erläuterte substanzontologische Anthropologie: Ein jegliches Seiendes ist in seiner spezifischen Differenz zu anderen Seienden durch eine ihm zukommende unveränderliche Natur bzw. Substanz bestimmt, so auch dasjenige Seiende, das »Mensch« genannt wird. Diese Substanzontologie gilt nun auch, wie schon erläutert, hinsichtlich der sexuellen Differenz, die der Menschennatur laut der Argumentationslinie nicht zufällig beigesellt ist, sondern ihr essenziell hinzugehört: Es existiert also nicht nur eine Menschennatur, sondern eine ebenso unveränderliche, klar definierte Mannesund Frauennatur, ebenfalls bestimmt durch substanzielle, männliche bzw. weibliche Eigenschaften, welche mit anatomischen Merkmalen verknüpft

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Eigensein und Mitverantwortung. Würzburg 1999. 278-356; ders.: Hat die Kirche die Vollmacht, Frauen das Weihesakrament zu spenden? In: StZ 230 (2012). 374-384. Vgl. Mary Daly: Jenseits von Gottvater, Sohn und Co. Aufbruch zu einer Philosophie der Frauenbefreiung. 4., erw. Aufl. München 1986.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

bzw. auf diese bezogen werden. Auch die christologische Zweinaturenlehre basiert, wie gesehen, auf dieser substanzontologischen Anthropologie, wobei der Logos entsprechend der essenziellen Verbindung von Menschennatur und sexueller Differenz in dem Mann Jesus von Nazareth nicht nur Menschen-, sondern Mannesnatur annimmt. Aus dieser substanzontologischen Anthropologie folgt ein ebenso substanzontologisch begründetes Verständnis des Weihesakraments. In ihm wird dem Geweihten in seine allgemeine »Menschennatur« ein besonderes unauslöschliches Wesensmerkmal eingeschrieben, das einen ontologischen Unterschied herstellt. Die menschliche Natur ist Träger dieses Merkmals. Da diese aber immer sexuell differenziert ist, ist nicht nur das »Menschsein«, sondern auch das Mann- oder Frausein Trägerinstanz. Der character indelebilis hat jedoch nicht nur eine substanz-, sondern auch eine partizipationsontologische Komponente: In ihm hat der Geweihte ontologisch Anteil an einer anderen Wirklichkeit – derjenigen Christi. Die Einschreibung des Merkmals in den geweihten Körper im Akt der Weihe impliziert die Inkorporierung in eine andere Seinsdimension, in den universalen Corpus Christi. Jener »Leib Christi« , an dem der Geweihte Anteil erhält, ist zum einen der universale Heilsraum, zum anderen die Kirche, verstanden als mystischer Christusleib. Des Weiteren partizipiert der Geweihte aber auch an dem individuellen Körper Jesu, und zwar im Blick auf das Verständnis von Partizipation als Repräsentation. Der Geweihte repräsentiert in der Teilhabe am Corpus Christi zugleich den individuellen Christus in dessen Heils- und Erlösungshandeln. Repräsentation ist hier ein ontologischer, nicht funktionaler Begriff: Gemeint ist reale Präsenz, nicht bloßer Verweis, realsymbolische Vergegenwärtigung, nicht nur hinweisende Bedeutung. »Leib Christi«, ob nun universal oder individuell, ist nun aber ganz klar männlich konfiguriert in Analogie zum männlichen Körper Jesu und zur essenziellen Männlichkeit des fleischgewordenen Logos. Wer an ihm teilhat und ihn repräsentiert, muss dieser Wirklichkeit entsprechen. Der männliche Christus kann also nur durch eine Person repräsentiert werden, die ihm in allem wesensmäßig entspricht, also nicht nur Menschen-, sondern auch Mannesnatur besitzt. Deshalb gilt dieser Logik entsprechend die Weihe von Frauen als nullum; weil sozusagen der falsche Träger des character indelebilis gegeben ist, findet dieser seine ontologisch notwendige Basis nicht. Nun ist aber der »Leib Christi« ja nicht durchweg männlich konnotiert: Als »männlich« gilt er im Blick auf die Aktivität der in persona Christi handelnden geweihten Person, »männlich« ist das Haupt der Kirche und diejenigen, die

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es repräsentieren, »weiblich« sind die Glieder der Kirche, die Gemeinde, bzw. dann die Kirche selbst, insofern sie nicht nur Subjekt des Heilshandelns ist, sondern auch passives, empfangendes Objekt. Als solches ist die Kirche »Braut Christi« und »Mutter aller Gläubigen«. Hier kommt nun hinsichtlich der Amtsproblematik wiederum ein anthropologischer Aspekt zum Tragen, diesmal in Bezug auf die Gottbildlichkeitslehre und deren Bedeutung für die Anthropologie der Geschlechter, und zwar die bekannte Komplementaritätsthese. Was als anthropologisch geltend erachtet wird, gilt nun auch hinsichtlich des kirchlichen Amtes: Die männlich konnotierte Heilszusage bedarf einer komplementären Entsprechung und Ergänzung durch die weiblich konnotierte Heilsempfängnis; der in persona Christi Handelnde (männlich, aktiv) bedarf des ergänzenden Gegenübers der Gemeinde (weiblich, passiv) und umgekehrt. Nur so ist die vorausgesetzte komplementäre Passung von Priester und Gemeinde, Bräutigam und Braut, möglich. Aus den genannten anthropologischen, christologischen und ekklesiologischen Voraussetzungen folgt: Nur Männer können geweiht werden, weil nur sie die ontologischen Voraussetzungen mitbringen, die notwendig sind, um wirklich in persona Christi handeln zu können. Dem Einwand, dass diese Praxis ungerecht sei, wird dadurch begegnet, dass in Bezug auf Aristoteles’ Begriff distributiver (verteilender) Gerechtigkeit Ungleiches ungleich zu behandeln sei. Jene Ungleichheit wird erneut mit der Komplementaritätsthese begründet: Männer und Frauen übernehmen in ihrer Ergänzung unterschiedliche Positionen, Funktionen und Aufgaben bzw. Rollen; diese gelten aufgrund der natürlichen Gegebenheit der sexuellen Differenz, auf die sie zurückgeführt werden, als nicht austauschbar, also zwar als gleichwertig, aber nicht gleich.156 Diese Argumentation hat allerdings nicht nur Auswirkungen auf das spezifische Problem der Nichtzulassung von Frauen zu den kirchlichen Ämtern. Nicht nur Frauen werden derzeit vom Amt ausgeschlossen, sondern auch 156

Wer also die Zulassung zu den Ämtern als Recht reklamiert bzw. die Nichtzulassung als ungerecht kritisiert, wird dementsprechend mit dem Verweis auf den Grundsatz, dass Ungleiches ungleich zu behandeln sei und daher auch keine Ungerechtigkeit vorliege, sowie mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass die Zulassung zum Amt keine autonome Willensentscheidung sei, auf die man ein Recht habe, sondern eine auf göttliche Gnade zurückgehende Berufung in einen spezifischen Dienst. An dieser Stelle kommt eine traditionelle Verhältnisbestimmung von menschlicher, »natürlicher« Freiheit und göttlicher, »übernatürlicher« Gnade zum Ausdruck, die hier nicht weiterverfolgt werden kann.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

schwule Männer und Transgenderpersonen. Auch sie können laut geltender Auffassung nicht in persona Christi handeln. Nur explizit »männliche« Personen können laut der erläuterten Argumentationslinie Christus repräsentieren – und das können Transgenderpersonen nicht, weil sie entweder ihre als unveränderlich angesehene »Mannesnatur« gegen ein im Blick darauf »falsches«, nicht »passendes« weibliches Geschlecht »austauschen«, oder umgekehrt ihre »Frauennatur« gegen ein männliches. Bei beidem handelt es sich um als unzulässig angesehene Eingriffe in ihre Biologie bzw. Anatomie – und das wiederum wird als unzulässiger Eingriff in die Schöpfungsordnung und als Aufstand gegen Gottes Willen verstanden, mithin als sündhaft. Offensichtlich in Sünde lebende Personen aber können – wiewohl die kirchliche Tradition die durch Amtspersonen gespendete Sakramente ja bekanntlich nicht ex opere operantis, sondern ex opere operato, also unabhängig von der Würdigkeit des Spenders, als gültig ansieht – nicht zum Amt zugelassen werden. Für von Mann-zu-Frau-Transgender gilt dann zusätzlich noch die Nichtzulassung von Frauen zum Amt. Schwule Männer entsprechen zwar der Anforderung der »Männlichkeit«. Doch sie folgen in der Perspektive der offiziellen Lehre hinsichtlich der Sexualmoral nicht der Anforderung des »richtigen Gebrauchs« ihres Begehrens, folgen somit nicht göttlichem Willen und leben nicht der Schöpfungsordnung entsprechend. Praktizierte Homosexualität wird aus diesem Grund in der Perspektive offizieller kirchlicher Doktrin als sündhaft angesehen. Wie für Transgenderpersonen gilt daher in dieser Lesart für offen lebende schwule Männer, dass sie in Sünde leben und nicht zum Amt zugelassen werden können. Das gesamte »Jesus war ein Mann…«-Argument ist, wie gezeigt, substanzontologisch grundiert. Doch diese Position ist alles andere als selbstverständlich, sie hatte sich nur deshalb wirkmächtig durchgesetzt, weil der aristotelisch ausgerichtete Thomismus lange die leitende Denkform der katholischen Fundamentaltheologie und Dogmatik gewesen ist. Es gab aber auch nicht-aristotelische theologische Modelle, in denen die Substanzontologie keine dominierende Rolle gespielt hat, so etwa die Seelengrundlehre Meister Eckharts oder die Theologie des Cusaners. Und philosophisch wurde die Substanzontologie aus unterschiedlichen philosophischen Richtungen kritisiert, man denke etwa an Immanuel Kants Hinweis auf die Verstrickung der Substanzmetaphysik in die transzendentale Illusion theoretischer Vernunft, oder an Martin Heideggers Wende von der abstrakten, ewigen und ungeschichtlichen Essenz hin zur konkreten, geschichtlichen, relationalen Existenz des Daseins. Diese Kritiken nehmen der Substanzontologie ih-

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re vermeintliche Plausibilität und machen Argumente, die sie voraussetzt, angreifbar. Die Kritik der Substanzontologie kommt nun insbesondere auch für dessen Bezug auf die sexuelle Differenz zum Tragen; der »Mythos des Gegebenen« einer vorgegebenen ewigen und unveränderlichen »männlichen« und »weiblichen« Natur, verbunden mit einer ebenso ewigen »Menschennatur« verstrickt sich in die oben genannte transzendentale Illusion, also der Verwechslung von Ding an sich und Erscheinung. Sie lässt zudem den Aspekt außen vor, dass die Erkenntnis der Wirklichkeit sich nicht unmittelbar vollzieht, sondern diese Erkenntnis sich im Zusammenspiel von rezeptiver Wahrnehmung und spontaner Verstandeserkenntnis sowie durch den Gebrauch der Sprache allererst einstellt. Wirklichkeit liegt also nicht einfach immer schon vor, sondern sie wird auch konstruiert, hervorgebracht, und das gilt auch für die sexuelle Differenz. Darüber hinaus liegt ein naturalistischer bzw. biologistischer Fehlschluss von einem Sein auf ein Sollen vor, wenn man von anatomischen Merkmalen auf eine unveränderliche zweigeschlechtliche natürliche Ordnung schließt, also den binären Code »männlich/weiblich« in Gänze auf eine scheinbar vorgegebene sexuell differenzierte Substanz nebst entsprechender natürlicher Eigenschaften zurückführt. In »sex« steckt somit mehr »gender« als oftmals vermutet, anatomische Merkmale werden gemäß einer binären Codierung und sozialkulturellen Prägung von männlich/weiblich aufgeladen, und umgekehrt männlich/weiblich in diskursiven Körperpraxen machtförmig konstruiert. Trifft die Substanzontologie jedoch nicht zu und gibt es dementsprechend auch weder eine vorgängige »Menschennatur« noch eine »Mannes- oder Frauennatur«, dann bricht dem »Jesus war ein Mann…«-Argument sein tragendes Fundament weg. Es verliert zudem seinen Anspruch auf universale Geltung, existieren doch auch andere anthropologische Denkformen. Neben der Substanzontologie ist für das Argument, wie gesehen, auch die Komplementaritätsthese anthropologisch wie ekklesiologisch bedeutsam. Diese setzt erstens den oben genannten substanzontologisch unterfütterten, binären Code der Zweigeschlechtlichkeit voraus, und zweitens wird Differenz in dieser These nicht nur als Unterschiedenheit verstanden, sondern mit Ungleichheit identifiziert und daraus die Forderung gefolgert, dass Ungleiches ungleich zu behandeln sei. Wird dagegen deutlich, dass unbeschadet der Gegebenheit anatomischer Merkmale aus diesen keine sexuell differenzierten »Naturen« und Eigenschaften abgeleitet, quasi abgelesen werden können,

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

dann verliert auch die Komplementaritätsthese ihre ontologische Basis – und damit auch ihre Plausibilität. Jene anthropologischen Positionierungen sind insofern ekklesiologisch relevant, als sie die traditionelle, mit Geschlechterkonstruktionen verbundene Verhältnisbestimmung von Christus und Kirche und dann auch von Klerikern und Laien bzw. Priester und Gemeinde aufbrechen, also die Konstruktion eines gleichsam natürlichen, gottgewollten Passungsverhältnisses und ergänzenden Gegenübers von (männlichem) Kleriker und (weiblicher) Gemeinde mit je unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben. Aufgebrochen wird vor allem auch der Ausschluss von Frauen (und damit verknüpft auch von allen Personen, die der heterosexuellen Matrix nicht entsprechen) aus dem kirchlichen Amt. Erweisen sich nämlich sowohl Substanzontologie als auch Komplementaritätsthese als unplausibel, dann betrifft dies auch die klassischen Formulierungen der chalcedonischen Christologie, die ja substanzontologisch bzw. essentialistisch codiert sind: Weder hat der Logos in Jesus von Nazareth »Menschennatur« noch »Mannesnatur« angenommen, und folglich ist die »Menschwerdung« Gottes auch nicht notwendigerweise mit einer »Mannwerdung« verbunden gewesen. Dies gilt auch im Blick auf den Aspekt der Verkörperung in einem individuellen Körper, der, wie alle Körper, in Bezug auf zweifelfrei vorgegebene anatomische Merkmale mit Geschlechtercodes bestimmt, interpretiert wurde, d.h. entlang des gesellschaftlich wirkmächtigen binären Codes »männlich/weiblich«. Die dem Körper eingeschriebene sexuelle Differenz und die aus ihr abgeleitete Bestimmung einer Zugehörigkeit bzw. Markierung einer Identität ist somit keineswegs »ursprünglicher« bzw. »natürlicher« als andere Zugehörigkeitsbestimmungen und Identitätsmarker wie etwa rassifizierte oder soziale Kategorien. »Geschlecht« ist eine Diversitätskategorie (neben anderen), keine Wesensbestimmung einer menschlichen Natur – und wie bei allen Menschen ist dies auch bei Jesus von Nazareth der Fall gewesen. Hinzu kommt im Übrigen auch, dass die Exklusivität der Inkarnation in Jesus aufgebrochen ist: Gott bzw. Logos/Pneuma inkarnieren sich in einem jeglichen bewussten Leben, die Gottesgeburt geschieht universal und nicht nur singulär in einem einzigen Menschen – und so auch nicht nur in einem »männlich« konfigurierten Menschen. Darüber hinaus ist auch der Logos, die zweite göttliche Person, nicht »männlich«, auch wenn diese – genau besehen aufgrund des Inkarnationsgeschehens in einem Mann erst nachträglich – als »Sohn« bezeichnet wird. Gott selbst ist weder »männlich« noch »weiblich«, und »Vater« und »Sohn« sind keine Wesensbestimmungen, sondern Analogien und Metaphern. Diese

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sind kulturell und sprachlich geprägt und erzeugt, somit alles andere als ewig und notwendig auszusagen. Denn wenn die Substanzontologie nicht greift, dann gilt dies ja auch für die Bestimmung Gottes, zumal Gott kein Seiendes neben anderem ist, über das die Substanzkategorie ausgesagt wird. Weder ist Gott in sich männlich noch inkarniert er sich notwendig in einem Mann noch schreibt die Inkarnation in einem Mann Gott selbst quasi nachträglich Männlichkeit ein. Hinzu kommt im Übrigen auch die oben schon erwähnte Kritik des in sozialen Trinitätstheologien verwendeten Personbegriffs: Die Drei sind relationalen Trinitätslehren zufolge keine »Personen« im Sinne dreier anthropomorpher Individuen, sondern Relationen Gottes zu sich selbst und zur aus Gott gesetzten Kreatur. Insofern ist der Logos auch keine »Person«, der analog zu einem verkörperten Individuum eine sexualisierte Natur (in diesem Fall die männliche) zugesprochen wird, und die sich dann notwendig in einem ihr entsprechenden menschlichen Individuum, also einem »Mann«, inkarnieren muss. Hier sind Rest-Anthropomorphismen im Gottesverständnis am Werk, die dann auch christologisch und in letzter Konsequenz amtstheologisch wirksam sind. Ob also Jesus ein Mann war oder nicht, spielt für die Funktion, in persona Christi zu handeln, keine Rolle. Dann aber spricht aus systematisch-theologischer Sicht auch nichts dagegen, dass in persona Christi prinzipiell alle Gläubigen handeln können, unabhängig von race und von sozialer und sexueller Zugehörigkeit bzw. Identität. Der herrschenden Exklusionspraxis bzgl. der Zulassung zu den kirchlichen Weiheämtern fehlt somit die Legitimationsgrundlage.157 Doch jenseits dieser Spezifika der Zulassungsbedingung zeigt sich im Blick auf das Amtsverständnis überhaupt ein grundlegendes Problem: Die geltende hierarchische Struktur der Kirche, zu der unbeschadet des Bekenntnisses zum gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen erstens die entscheidende Differenz zwischen besonderem Priestertum (Klerus) und Laien gehört und zweitens die mit dem kirchlichen Amt verknüpften Aufgaben der Leitungsgewalt, der Verkündigung und der Heiligung durch die Sakramente. Diese Leitungsgewalt wird dem Amt in Fülle zugesprochen, während die Laien daran kraft gemeinsamen Priestertums lediglich Teil haben.

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Vgl. zur Frage des Handelns in persona Christi capitis auch ausführlich Margit Eckholt/ Johanna Rahner (Hg.): Christusrepräsentanz. Zur aktuellen Debatte um die Zulassung von Frauen zum priesterlichen Amt. Freiburg i.Br. 2021.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Diese Struktur wird auch im Rückgriff auf Geschlechterspekulationen hypostasiert und so als »natürlich«, dementsprechend wiederum gottgewollt und daher auch als unauflöslich und unveränderlich angesehen. Das »männliche« Amt repräsentiert Christus als das Haupt seines Leibes, somit auch die Aktivität der in ihm Gestalt gewordenen Heilszusage; die Gemeinde der Gläubigen als »Leib« dagegen entspricht der »Weiblichkeit« der Antwort, der Annahme, des Empfangs, des Glaubensgehorsams, ist »Braut« des »Bräutigams«, ist »Maria«, ist »Jungfrau-Mutter« im Vergleich zum Logos, zu Christus, zu Gott. In dieser Komplementarität sind Laien und Kleriker zwar gleichwertig, aber nicht gleich – erneut kommt das Prinzip distributiver Gerechtigkeit zum Tragen, Ungleiches ungleich zu behandeln. Vor diesem Hintergrund gelten die kirchliche Struktur und ihr Amtsverständnis nicht als ungerecht, da ja das distributive Gerechtigkeitsverständnis die Ungleichbehandlung Ungleicher erlaubt. Voraussetzung dafür ist die Definition von Ungleichheit, die wiederum im Rückgriff auf Geschlechtermetaphysik und Komplementaritätsthese formuliert wird. Jeglicher Versuch, an der Struktur der Kirche etwas zu ändern, verstieße dieser Optik entsprechend gegen göttliches Recht und göttlichen Willen. Deshalb wehren sich diejenigen, die dieser Perspektive folgen, denn auch so energisch gegen Reformbestrebungen jedweder Art und Weise – sei es auf dem Feld der kirchlichen Strukturen und des Amtsverständnisses nebst Zulassungsbedingungen, sei es auf dem Feld der Sexualmoral und der Regulierung des Begehrens, denn beides gehört im Blick auf die Geschlechtermetaphorik zusammen. Angesichts dieser biopolitischen Problematiken des »Leib Christi«-Verständnisses halten es nicht wenige für angebracht, einen Perspektivwechsel im Gebrauch der »Leib Christi«-Metaphorik vorzunehmen. Zwar solle die Metapher nicht aufgegeben werden, da sie ein zentrales Moment der christlichen Tradition und kirchlichen Überlieferung sei, das man nicht schlichtweg aufgeben könne und solle – so plädiert ja auch Ward für ein anderes Verständnis der Metapher etwa im Rekurs auf die Unterscheidung von Leib und Körper. Doch man benötige eine wichtige Bedeutungsverschiebung weg sowohl vom individuellen Körper Jesu als auch von den auf Soteriologie (Heilsraum) und Ekklesiologie (Kirche) beschränkten universalen Verständnissen der Metapher »Leib Christi«. Als Alternative, die dann auch die skizzierten biopolitischen Folgen hinter sich lassen könnte, wird eine Hinwendung zu

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einem kosmologischen Verständnis von »Leib Christi« beschrieben.158 Dies geschieht entweder in Bezug zu Konzeptionen eines »kosmischen Christus«, wie sie etwa bei Teilhard de Chardin oder Raimon Panikkar zu finden sind, oder zum Verständnis der Welt bzw. des Universums als »Körper Gottes«, als Manifestation und Gestalt göttlicher Wirklichkeit, wie dies sowohl patristische Autoren (Origenes), aber auch mittelalterliche Theologen (Cusanus), vor allem aber pan(en)theistisch denkende Prozesstheologinnen und –theologen (Charles Hartshorne, Marjorie Suchocki, Sallie McFague, Catherine Keller) formuliert haben.159 Diese Hinwendung zur kosmologischen Bedeutung ließe sich auch mit der ekklesiologischen Bedeutung insofern verknüpfen, als etwa Yves Congar bereits versucht hatte, solch eine Brücke zu bauen. Congar verwies auf dabei auf die Bedeutung der »Haupt«-Metaphorik, die er aus hierarchischen Bestimmungen des Leibes Christi herauslöst und als »Anfang« verstand. Das so verstandene »Haupt« ist dann nicht nur »Anfang« der Kirche, sondern »Anfang des Alls«, also schöpferisches Prinzip, analog zum Logos als schöpferischem Prinzip.160 Es ist zu prüfen, ob diese Alternativentwürfe halten können, was sie versprechen oder ob sie sich auch in Probleme verstri-

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Dieses Verständnis eines kosmologischen »Körpers Gottes«, das dann auf den »Leib Christi« hin umgemünzt wird, gehört zu den Kernmotiven sowohl jüdischer und christlicher als auch paganer Traditionen. Vgl. hierzu etwa Markschies: Gottes Körper. 419f. Und dieses Motiv zieht sich von der Antike zur Neuzeit hin durch, wie etwa Markschies in Referenz auf Friedrich Christoph Oetinger und Jakob Böhme belegt: Für Oetinger muss Gott einen Leib haben, anders wäre er ein Nichts – hier schimmert die stoische Vorstellung durch, dass alles, was existiert, auch körperlich verfasst ist –, und Böhme stellte die Frage, ob nicht Gott die Natur als seinen Leib brauche (vgl. Markschies: Gottes Körper. 13). Das Motiv eines kosmischen Körpers Gottes ist also keineswegs nur spezifisch antik, wie im Folgenden am Beispiel des kosmologischen Verständnisses des Leibes Christi deutlich wird. 159 Vgl. etwa Klaus Müller: Kirche als Leib Christi: Möglichkeiten und Grenzen der panentheistischen Recodierung einer gefährlichen Metapher. In: Reményi/Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. 219-235; Ruben Schneider: Einheit und Differenz von Absolutem und Weltgeschichte. Überlegungen zum Panentheismus anhand der Leib-ChristiEkklesiologien Thomas von Aquins und J. A. Möhlers und der Dialektik G. W. F. Hegels. In: Reményi/Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. 145-184; Dennis Stammer: Panentheistisch-organologische Ekklesiologie und Anti-Totalitarismus – Eine Relecture anhand der Sozialphilosophie Simon L. Franks. In: Reményi/Wendel (Hg.): Die Kirche als Leib Christi. 185-218. 160 Vgl. Yves Congar: Jesus Christus. Unser Mittler. Unser Herr. Stuttgart 1967. 143 und 146.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

cken, die den kosmologischen Gebrauch der »Leib Christi«-Metapher ebenso erschweren wie die bereits skizzierten Verwendungen.

3.5 »Leib Christi« – Das Universum als Körper Gottes und als kosmischer Christus 3.5.1 Konzeptionen der Welt als Körper Gottes und des kosmologischen Leibes Christi Auch die kosmologische Variante des universalen Leibes Christi ist Resultat des korporativpersönlichen Verständnisses des Leibes Christi. Die kosmologische Wendung erfolgte im Verständnis des Leibes Christi als Verkörperung des »kosmischen Christus« bzw. des göttlichen Logos, näherhin als kosmische Verkörperung Gottes. Als biblische Referenzpunkte dienen vor allem die Deuteropaulinen, so etwa Kol 1,16: »alles ist durch ihn und auf ihn geschaffen«, sowie die z.B. im Johannesprolog formulierte Logos-Theologie. Die Präsenz Gottes im Universum wird unter das Zeichen Christi gestellt und ist von da an in christlicher Optik nicht mehr ohne Christus zu denken; der Kosmos ist so gesehen nicht »nur« göttlichen Ursprungs und vom Göttlichen durchwaltet, sondern in diesem Ursprung bereits vom Logos als dem schöpferischen Prinzip. Dieser Logos trägt infolge der Menschwerdung in Jesus von Nazareth das Antlitz Christi, und daher trägt das gesamte vom Göttlichen, näherhin vom Logos durchwaltete Universum eben jenes Antlitz Christi. Christus ist auf diese Weise zur Signatur des Kosmos geworden, und zwar entsprechend dem Gedanken der Singularität der Inkarnation im »einen »Leib Christi« « zur einen, einzigen Signatur, die alle anderen Signaturen des Kosmos einschließt. Dies implizierte zwar noch eine Referenz auf die Tradition der Menschwerdung Gottes im Individuum Jesus von Nazareth und dessen verkörperter Existenz, somit auf den konkreten »Leib Christi« im Sinne des Leibes Jesu, bedeutete aber vor allem auch eine Entindividualisierung des Christusleibes und damit eine Loslösung von der konkreten Existenz Jesu. Nicht mehr primär oder gar ausschließlich dessen Leib bzw. Körper ist »Schauplatz« göttlicher Inkarnation, sondern das ganze Universum wird hier zum Körper Gottes, zur Verkörperung des göttlichen Logos, zum Corpus Christi. Umgekehrt aber wird eben jene immerwährende Inkarnation des Göttlichen in jeglicher Kreatur und damit die Vielfalt des Inkarnationsgeschehens des Göttlichen bzw. der Mehrfachinkarnationen des Logos unter das Zeichen der singulären Inkarna-

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tion des Logos im einen Körper Christi gestellt. Die kosmologische Perspektive auf den universalen Leib Christ soll im Folgenden anhand mehrerer repräsentativer Beispiele verdeutlicht werden.161

3.5.1.1 Die kosmologische Perspektive auf den universalen »Leib Christi«: Origenes, Nikolaus Cusanus, Pierre Teilhard de Chardin und Raimon Panikkar Origenes Ein frühchristliches, elaboriertes Konzept einer kosmologischen »Leib Christi«-Theologie findet sich bei Origenes, und zwar in dessen kosmologischer Christologie, die er in Bezug auf sein Verständnis der Weltseele vorgelegt hat.162 Origenes konzipierte die Weltseele als Instanz göttlicher Leitung der 161

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Vgl. hierzu auch den kurzen Überblick über kosmologische Christologien in Aurica Jax: »And Wisdom Became Matter«. Materialist Explorations of the Cosmic Body of Christ. In: dies./Saskia Wendel (Hg.): Envisioning the Cosmic Body of Christ. Embodiment, Plurality, and Incarnation. Abingdon 2019. 7-20. Vgl. hierzu ausführlich Christian Hengstermann: The Son as the Paradigm and Soul of the World. The Cosmic Christ in Origen. In: Jax/Wendel (Hg.): Envisioning the Cosmic Body of Christ. 21-35. Hengstermann macht dabei auch auf die Einflüsse von Origenes auf die kosmologische Christologie Teilhard de Chardins aufmerksam und verweist auf die Studie von James Lyons: The Cosmic Christ in Origen and Teilhard de Chardin. Oxford 1982. Mit Hengstermann lässt sich Origenes’ »Leib Christi«-Verständnis auch prozesstheologisch bzw. panentheistisch lesen bzw. rezipieren. Vgl. zu Origenes’ Weltseelenkonzeption entsprechend auch Klaus Müller: Heiliger Geist und philosophisches Denken. Über unerwartete Ab- und Anwesenheiten. In: JBTh 24 (2009). 245-268. Hier: 258ff. sowie ders.: Kirche als Leib Christi. 231-235. Neben Origenes lässt sich auch auf Maximus Confessor verweisen, auch er hat Motive kosmologischer Christologie formuliert. Maximus entwirft in Bezug auf Kol 1,16 ein Bild der Schöpfung als Inkarnation des universalen Logos, der alles in sich einschließt. Umgekehrt ist die Schöpfung als diese Inkarnation zugleich der Ort, an dem sich Gott selbst in seiner trinitarischen Verfasstheit entfaltet. So gesehen ist der universale Logos der universale Mittler zwischen Gott und seiner Schöpfung, so wie Jesus als der menschgewordene Logos der Mittler zwischen Gott und Mensch ist. Das Verständnis der Inkarnation bei Irenäus von Lyon – Gott wird Mensch, damit wir Gott werden – findet so in einer Art theosis der ganzen Schöpfung sein Pendant. Zugleich verbinden sich in ihm Einzelnes und Universales, anthropos und kosmos in der Inkarnation sowohl im Kosmos als auch im Menschen Jesus: »Das christologische Wasserzeichen des Kosmos verbindet in einer dynamischen Einheit die Spannung zwischen Individualität und Allgemeinheit, zwischen Exemplar und Vielheit.« (Bernhard Nitsche: Gott – Welt – Mensch. Raimon Panikkars Gottesdenken – Paradigma für eine Theologie aus interre-

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Welt, als die Kraft, die die ganze Welt erfüllt und zusammenhält. Dabei verknüpfte er die Weltseele mit dem Logos bzw. dem eingeborenen Sohn163 und verstand dann entsprechend die Welt als »Leib Christi«.164 Der Logos ist das schöpferische und im Zusammenwirken mit dem Geist erhaltende göttliche Prinzip der Welt, und die Welt wiederum die ewig mit Gott koexistierende Manifestation, der Ausdruck Gottes. Gott kann nicht anders als gemeinsam mit der Welt zu existieren, diese wiederum existierte nicht ohne ihr göttliches Prinzip. Die Welt ist als Ausdruck, als Gestalt Gottes dessen »Leib« bzw. »Fleisch«, somit Gottes universale und kontinuierliche Inkarnation und dessen »Körper« im Sinne seiner Ausdehnung. Genauer hin müsste man sie zunächst nicht als »Leib Christi«, sondern als »Leib des Logos« bezeichnen. Die Welt ist als Ganze logoshaft, von ihm durchdrungen und regiert. Und auch jedes einzelne Lebewesen ist solcherart logoshaft, insbesondere aber der Mensch aufgrund seiner ihm zukommenden rationalen Vermögen. Der Logos inkarniert sich so in jedem Einzelnen und im All zugleich. Doch als »Leib des Logos« ist die Welt genau besehen bei Origenes nicht immer schon »Leib Christi«. Dies geschieht allererst durch die besondere Inkarnation des Logos (und des Geistes) in Jesus von Nazareth, in Christus. Diese besondere Inkarnation bestimmt Origenes in einer Art Verbindung von Präexistenz-

ligiöser Perspektive? Zürich 2008. 395). Vgl. hierzu z.B. George A. Maloney: The Cosmic Christ from Paul to Teilhard. New York 1968. 167-178. 163 Interessanterweise verknüpfte Origenes hier die neuplatonische Idee der Weltseele und die Logosspekulation mit der Alttestamtlichen Weisheitstheologie; die Weisheit (shekinah, sophia) wird somit nicht primär mit dem Geist in Verbindung gebracht. Dadurch wird der Logos quasi aus seiner »männlichen« Konstruktion als »Sohn« Gottes herausgesprengt, da die Weisheit traditionell »weiblich« konnotiert ist. Die Verbindung mit der Weisheitstheologie liegt insofern nahe, als auch die Weisheit als Schöpfungsprinzip und als die Welt durchwaltendes, sie ordnendes und erhaltendes Prinzip gilt, als Moment der Präsenz Gottes in der Welt. 164 »Und wenn wir es wagen dürfen, hierin etwas Weitergehendes zu sagen, so ist vielleicht die Seele Gottes als sein eingeborener Sohn zu verstehen. Denn wie die Seele dem ganzen Körper eingefügt ist und alles bewegt, lenkt und in Tätigkeit setzt, so hängt auch der eingeborene Sohn, welcher sein Wort und seine Weisheit ist, mit jeder Kraft Gottes zusammen und ist in sie eingefügt. Es ist vielleicht ein Hinweis auf dieses Geheimnis, wenn Gott in der Schrift als Körper bezeichnet oder beschrieben wird.« (Origenes: Vier Bücher von den Prinzipien. Herausgegeben, übersetzt, mit kritischen und erläuternden Anmerkungen versehen von Herwig Görgemanns und Heinrich Karpp. Darmstadt 1976. II, 8, 5. Zit. n. Müller: Kirche als Leib Christi. 227).

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bzw. Inkarnations- mit einer Erwählungschristologie, also in einer Koinzidenz von »Christologie von oben und unten« als Erwählung des Menschen Jesus durch den Logos und den Geist. Diese Erwählung ist ermöglicht durch seine besondere, sich von allen anderen Menschen unterscheidende »Gottoffenheit«, so könnte man vielleicht im Anklang an John Hick formulieren, durch seine besondere Bereitschaft, Gott selbst in der Welt in seinem Tun zu verkörpern – bis hin zur Preisgabe des eigenen Lebens auf Golgatha. Jesu Selbstvervollkommnung und die ihm durch den Logos und den Geist geschenkte Vollkommenheit koinzidieren in ihm. Durch diese Identifikation des Logos mit Jesus wird dieser zugleich mit dem schöpferischen und die Welt durchwaltenden Prinzip identifiziert und die Welt somit nicht nur »Leib« und Gestalt des Logos, sondern »Leib Christi«. Universaler Logos und individueller Christus sind eins geworden, und so Christus nicht mehr nur individuell, sondern allgemein: »[D]as Absolute, das sich im Endlichen der Christusgestalt mitteilt und ausdrückt, [bekommt] ein menschliches Antlitz, das sich eben nicht einer Analogisierung verdankt, sondern univok an der Christusgestalt festmacht. Das meine ich mit dem Terminus ›christologisches Nadelöhr‹. Erst auf einer zweiten, nachgeordneten Ebene greift dann der Analogiegedanke in der für ihn typischen Elastizität, die entgegen einer apriorischen Katalogisierung von Bedeutungsmöglichkeiten – ganz wittgensteinianisch – vom kontextsensitiven Sprachgebrauch abhängt.«165

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Müller: Kirche als Leib Christi. 232. Hier deutet sich neben dem schon angesprochenen Problem der Unbegründetheit der Identifikation des Logos mit Christus ein anderes an: die behauptete (ontologische) Univozität des Logos mit Christus, und zugleich die Behauptung der analogen Rede davon – ein augenscheinlicher Widerspruch, denn wenn Univozität vorliegt, dann hat das auch Folgen für die Sprachform. Wenn der Logos nun aber in Jesus ein, wie Müller schreibt, »menschliches Antlitz« erhält, dann nach landläufiger Vorstellung doch auch ein »männliches« – und damit sind wir erneut beim Kardinalproblem der Geschlechtskonstruktion des Leibes Christi, auf das nochmals näher eingegangen wird. Wenn das »menschliche Antlitz« des Logos »männlich« ist, und zwar univok, dann geht jede analoge Rede fehl, die diese Univozität nicht abbildet – und damit wäre jede Rede ausgeschlossen, die nicht auf das »männliche« Antlitz Gottes fokussiert. Und damit wären wir erneut bei dem grundlegenden christologischen Problem angelangt, das Mary Daly traktiert hatte: Wenn Gott männlich ist – und das wäre er, wenn der Logos mit der Christusgestalt univok ist, dann ist das Männliche Gott.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Origenes’ Vorstellung der Welt als »Körper Gottes« bzw. »Leib Christi« entspricht einer Art universalem Hylemorphismus: Der Logos ist als Weltseele die Form der Welt, so wie die Seele Form des Körpers ist, und damit regiert und dominiert er die Welt so, wie die Seele den Körper regiert. Die Welt »kann« nicht ohne den Logos sein, auf den sie hingeordnet ist, und der Logos wiederum bezieht sich in seinem Tun unaufhörlich auf die Welt, die er durchdringt. Die Welt ist dabei eher passiv gestaltet, der Logos aktiv – auf diesen geschlechtertheoretisch nicht unwichtigen Aspekt ist später nochmals zurückzukommen. Nikolaus Cusanus Anders als bei Origenes findet sich bei Nikolaus Cusanus zwar kein explizites kosmologisches »Leib Christi«-Verständnis, wohl aber bestimmte auch er Christus – und das heißt zunächst: den göttlichen Logos – als die Schöpfung durchwaltendes Prinzip und Ziel.166 Basis dieser Bestimmungen sind die Koinzidenzlehre sowie das neuplatonisch beeinflusste Verständnis des Universums als Ausfaltung Gottes bzw. als Einfaltung in Gott hinein (explicatio/implicatio, entsprechend des neuplatonischen exitus/redditus-Motivs): »Da nun das All in jedwedem wirklich Seienden eingeschränkt ist, so ist klar, daß Gott, der im Universum ist, in jedwedem ist und jedwedes wirklich Seiende unmittelbar in Gott ist, so wie das Universum in Gott ist.«167 Cusanus nimmt hier den Gedanken der Unendlichkeit des Universums insofern vorweg, als er es als Ausfaltung des uneingeschränkt Größten, d.h. der Unendlichkeit Gottes, und damit als Bild Gottes versteht. Als Bild des uneingeschränkt Größten ist es eingeschränkt Größtes, insofern es sich Gott, seinem Prinzip, verdankt, aus ihm hervorgeht, gleichwohl aber als dessen Bild zugleich unendlich ist. Für Cusanus ist nun zunächst der Geist (pneuma) das göttliche Prinzip des Alls, nicht der Logos. Hatte Origenes eine Analogie zwischen Logos und Weltseele hergestellt, so setzt Cusanus den Geist zur Weltseele analog. Der Geist

166 Cusanus wird vor allem in prozesstheologischen »Welt als Körper Gottes«-Theologien rezipiert, wiewohl dabei seine Theologie modifiziert wird, insbesondere seine Christologie, die ja unbeschadet der Konzeption der incarnatio continua Gottes im Universum an der singulären Inkarnation im »Gottmenschen« Jesus von Nazareth festhält. Vgl. zur prozesstheologischen Anknüpfung an Cusanus vor allem Catherine Kellers Konzept, auf das im Folgenden noch ausführlicher eingegangen wird. 167 Nikolaus von Kues: De doct. ign. II, 39, 118. Vgl. hierzu auch Klaus Kremer, Gott – in allem alles, in nichts nichts. Bedeutung und Herkunft dieser Lehre des Nikolaus von Kues. In: MFCG 17 (1986). 188-219.

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ist »Geist des Alls« (spiritus universorum) und als solcher ist er Prinzip der Bewegung und damit Prinzip des Seienden (gemäß der aristotelischen Überzeugung, dass Seiend-sein In-Bewegung-sein bedeutet); der Geist führt die Möglichkeit in Wirklichkeit über (Potenz in Akt) und er vereint Form und Stoff.168 Dieser Geist, so Cusanus, erfüllt das All und durchwaltet das ganze Universum: »Dieser Geist ist durch das ganze All und seine einzelnen Teile verbreitet und eingeschränkt. Er heißt Natur. […] Diese Bewegung oder dieser Geisteshauch (spiritus) jedoch steigt vom göttlichen Geist herab, der durch diese Bewegung alles bewegt. Wie also in dem, der spricht, ein bestimmter Geisteshauch ist, der von dem ausgeht, der spricht, und der […] zur Rede eingeschränkt wird, so ist es Gott, der Geist ist, von dem alle Bewegung ausgeht.«169 Doch auch Christus ist für Cusanus von kosmologischer Bedeutung, und zwar insofern er der Kulminationspunkt der Koinzidenz der Gegensätze, folglich auch von Größtem und Kleinstem, ist: In ihm vereinzelt sich das Allgemeine, verendlicht sich das Absolute. In ihm fallen Ausfaltung und Einfaltung Gottes in eins, und so ist Christus quasi der dem Makrokosmos analog gestaltete Mikrokosmos. Deshalb ist auch Christus Prinzip der Schöpfung, vor allem aber auch deren Ziel, Alpha und Omega, dies aber nicht als abstraktes Prinzip

168 Dieser Gedanke wurde im Übrigen durch Giordano Bruno rezipiert und radikalisiert. Denn Bruno identifizierte das Absolute mit einem »universalen spiritus«, also mit einem universalen Geist bzw. Geisteshauch, und diesen verstand er als Kraft, als Energie, als Lebensprinzip – nicht als Gott, sondern als Göttliches, göttlicher spiritus, der sich als Universum entfaltet, und der Geist wie Materie in sich einschließt. Das Göttliche ist Mitte, Herz des Universums, jedoch nicht im Sinne eines Körpers oder überhaupt eines Seienden, da das Absolute weder Ding noch Körper ist. Das Absolute durchwaltet das Universum und setzt alles zueinander in Beziehung, und dies durch die – wie Bruno schrieb – »Fessel der Liebe«, der Anziehung, der Gravitationskräfte. Bruno lieferte hier eine völlig von der klassischen Trinitätslehre losgelöste Interpretation des Geistes: Der Geist ist das Absolute in seinem Wesen, und als Geist – und mit ihm als Materie als dessen Subsistenz – drückt es sich als Universum aus. Vgl. etwa Giordano Bruno: Über Magie. In: Giordano Bruno. Ausgewählt und vorgestellt von Elisabeth von Samsonow. München 1999. 115-165. Hier: 123ff. und 147ff.; ders.: Über fesselnde Kräfte im Allgemeinen. In: Giordano Bruno. 166-228. Hier: 167ff.; ders.: Über die Monas, die Zahl und die Figur als Elemente einer sehr geheimen Physik, Mathematik und Metaphysik. Mit einer Einleitung herausgegeben von Elisabeth von Samsonow. Kommentar von Martin Mulsow. Hamburg 1981. 18f. und 26ff. 169 Nikolaus von Kues: De doct. ign. II, 10, 153.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

und Ziel, sondern als Konkretum, als »Gottmensch«.170 Der »Gottmensch« ist in der Realisation der Koinzidenz der Gegensätze und damit Gottes in der Welt Bild der Vollkommenheit und deshalb Ziel allen Seins, folglich des ganzen Universums und damit Vollendung des Alls. In Christus ist dementsprechend ein jegliches Seiende, insbesondere auch jeder Mensch, hineingenommen, eingefaltet, und so ist nicht nur das pneuma, sondern vor allem auch Christus »alles in allem«.171 Christus ist somit nicht nur der göttliche Logos, sondern in concreto der menschgewordene göttliche Logos; Christus hat so immer schon das Antlitz Jesu, fällt mit Jesus von Nazareth in eins, denn dieser ist der »Gottmensch«. Christus ist folglich nicht nur die innertrinitarische zweite göttliche Person, der Logos, durch den alles geschaffen ist, sondern der inkarnierte Logos, Jesus Christus. Dieser ist Ziel der ganzen Schöpfung und Vollendung des Alls. Insofern hat Cusanus zwar nicht explizit, aber implizit einen kosmologischen »Leib Christi«-Gedanken entwickelt und versucht, über den Gedanken des »Gottmenschen« gleichsam den universalen, kosmologischen »Leib Christi« mit dem individuellen »Leib Christi« zu verknüpfen und so zu verdeutlichen, weshalb der Logos als Prinzip und Vollendung des Universums nichts anderes ist als Christus.172 Die Logoshaftigkeit der Schöpfung fällt in eins mit der Christusgestalt – ein hervorragendes Beispiel für das, was Klaus Müller im Blick auf Origenes’ kosmologische Christologie das »christologische Nadelöhr« der theologisch gedeuteten Kosmologie nennt: Logos und Christus sind in ontologischer Hinsicht univok, da die Koinzidenz von Größtem und Kleinstem im »Gottmenschen« Cusanus zufolge singulär ist. Pierre Teilhard de Chardin Eine der wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten Konzeption kosmologischer Christologie hat zweifelsohne Pierre Teilhard de Chardin vorgelegt. In Rückbezug auf eine kosmologische Deutung von 1 Kor 15,28 formulierte er sein Kernanliegen wie folgt:

170 Diese Überlegungen formulierte Cusanus vor allem in seinen Predigten. Vgl. hierzu etwa Walter Andreas Euler: Die Christusverkündigung in den Brixener Predigten des Nikolaus von Kues. In: MFCG 27 (2001). 65-80. 171 »[A]lles ist durch ihn und in ihm geschaffen, und er ist vor allen, und alles hat seinen Bestand in ihm« (Nikolaus von Kues: De doct. ign. III, 4, 203). 172 Vgl. zum impliziten Motiv des »kosmischen Christusleibes« bei Cusanus auch Inigo Bocken: Christ and the Cosmos in Nicholas of Cusa’s Universe. In: Jax/Wendel (Hg.): Envisioning the Cosmic Body of Christ. 36-47.

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»Gründonnerstag: Was ich glaube. I. Der hl. Paulus – die drei Verse: Gott alles in allem. 2. Kosmos = Kosmogenese → Biogenese → Noogenese → Christogenese. 3. Die beiden Artikel meines Credo: Das Universum ist zentriert nach oben, vorn; Christus ist sein Zentrum, christliches Phänomen Noogenese = Christogenеse (= Раulus).«173 Christus ist der Omega-Punkt des gesamten Evolutionsprozesses und Schöpfung ein auf diesen Punkt hin zulaufender Prozess, kontinuierliche Kreation also. Als diese ist sie zugleich kontinuierliche Inkarnation Christi, der ihr als Prinzip und als Zielpunkt innewohnt, und der sie so erhält. Dieser Prozess besitzt vier Momente: Kosmogenese (die evolutionäre Entstehung und Weiterentwicklung des Universums im Allgemeinen), Biogenese (die Entstehung von Leben im Besonderen), Noogenese (die spezifische Entwicklung des Menschen als Spezifikation der Biogenese), Christogenese (der gesamte evolutive Prozess hin zur Noogenese und deren Kulmination in der Menschwerdung Gottes in Christus sowie die Fortsetzung des Inkarnations- und Heilsgeschehens hin zur Vollendung der ganzen Schöpfung im Omega Christus). Auf diese Art und Weise denkt Teilhard den Kosmos als göttliche Inkarnation, näherhin als Inkarnation des Logos bzw. dann durch dessen Identifikation mit Jesus als Inkarnation Christi174 – und hat damit eine Theologie des universalen Christusleibes in kosmologischer Hinsicht vorgelegt: »Die Inkarnation ist eine Erneuerung, eine Wiederherstellung aller Kräfte und Mächte des Universums; Christus ist das Instrument, das Zentrum, das Ziel all der beseelten und materiellen Schöpfung; durch ihn ist alles geschaffen, geheiligt, belebt.«175 Christus ist Prinzip, Zentrum und Ziel des Universums, das wiederum seine Gestalt, sein Ausdruck ist. Dabei wird Christus von Teilhard – wie schon von Origenes – in Analogie zur Weltseele gesetzt; er durchwaltet den Kosmos und erhält ihn auf diese Weise.176

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Pierre Teilhard de Chardin: Die Zukunft des Menschen. Werke Band 5. Olten 1963. 404. »Wie weit man sich auch in jene göttlichen Räume fortreißen läßt, die der christlichen Mystik offenstehen, so verläßt man doch niemals den Jesus des Evangeliums.« (Ders.: Der göttliche Bereich. Ein Entwurf des inneren Lebens. Olten-Freiburg i.Br. 1962. 173). Ders.: Das kosmische Leben. In: ders.: Frühe Schriften. Freiburg-München 1968. 9-79. Hier: 66. Vgl. zur Idee der Welt als Verkörperung Gottes bei Teilhard vor allem Anne Hunt Overzee: The Body Divine. The Symbol of the Body in the Works of Teilhard de Chardin and Rāmānuja. Cambridge 1992. Vgl. hierzu auch Ursula King: Teilhard de Chardin, Apostle of the Cosmic Christ. In: Jax/Wendel (Hg.): Envisioning the Cosmic Body of Christ. 48-61.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Teilhard stellt selbst explizit einen Bezug zur »Leib Christi«-Metapher her, denn er bezeichnete den Kosmos als den »mystischen und kosmischen »Leib Christi« «177 . Dabei grenzt er sich deutlich von einem rein ekklesiologischen Verständnis des universalen Leibes Christi ab: »[D]er »Leib Christi« ist nicht […] die äußerliche oder juridische Genossenschaft von Menschen, die ein und dasselbe Wohlwollen umschlingt und denen ein und derselbe Lohn bestimmt ist. Der »Leib Christi« muß kühn begriffen werden, so wie ihn der Hl. Johannes, der Hl. Paulus und die Väter ihn gesehen und geliebt haben: er bildet eine natürliche und neue Welt, einen beseelten und regen Organismus, darin wir alle physisch, biologisch, vereint sind.«178 Der Kosmos ist der kosmische Christus, die Gestalt und der Ausdruck Christi, dem Ursprung und Ziel des Kosmos.179 Ein jegliches Seiende, so auch das bewusste Dasein, ist Teil und Moment, »Atom«180 des kosmischen Christus(leibes).181 Für Teilhard ist die »physische Einkörperung der Gläubigen in Christus« denn auch »die einzige Aufgabe der Welt«182 . Bemerkenswerterweise stellt Teilhard ebenso explizit einen Bezug zwischen dem »kosmischen« und dem »universalen« Christus her, und zwar wiederum unter dem Aspekt der Leib- bzw. Körpermetaphorik. Der universale Christus ist Teilhard zufolge nämlich nicht schlichtweg geistiges Zentrum und quasi mentales Prinzip des Universums – was einem Dualismus zwischen geistigem Prinzip und materieller Welt, zumindest aber einem Hylemorphismus gleichkäme (Christus als geistige Form, das Universum als durch die

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Teilhard de Chardin: Das kosmische Leben. 81. Vgl. zur kosmisch interpretierten »Leib Christi«-Metapher bei Teilhard und dessen Identifizierung des kosmischen mit dem mystischen »Leib Christi« sowie zu Teilhards kosmologisch geweiteten Inkarnationsverständnis auch Robert Hale: Christ and the Universe. Teilhard de Chardin and the Cosmos. Chicago 1992. 3-17; 83-93. 178 Teilhard de Chardin: Das kosmische Leben. 55. 179 Vgl. hierzu auch detailliert Werner Thiede: Wer ist der kosmische Christus? Karriere und Bedeutungswandel einer modernen Metapher. Göttingen 2001. 180 Teilhard de Chardin: Das kosmische Leben. 81. 181 Vgl. zum Motiv des »kosmischen Christus« bzw. »kosmischen Leibes Christi« ausführlich Lyons: The Cosmic Christ in Origin and Teilhard de Chardin; Günther Schiwy: Ein Gott im Wandel. Teilhard de Chardin und sein Bild der Evolution. Düsseldorf 2001. 66-80; King: Teilhard de Chardin. 182 Teilhard de Chardin: Das kosmische Leben. 55.

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Form bestimmter Stoff). Teilhard sucht vielmehr eine Einheit von Mentalem und Physischem in Christus zu denken, sowohl in Christus als Prinzip und Zentrum als auch Vollzug und Ziel des Universums,183 und denkt so eine in der Tat materielle Verkörperung, »Einleibung« Gottes nicht nur in der einzelnen verkörperten Existenz Jesu, sondern in der Allgemeinheit und Unendlichkeit des ganzen Kosmos: »God is incarnate in matter, in flesh, in all of creation, in the cosmos. The incarnation of Christ becomes extended to the dimensions of the cosmos; it is an event and mystery of cosmic extension.«184 Teilhard steht damit in einer rezeptionsgeschichtlichen Linie nicht nur zum proto- und deuteropaulinischen Verständnis Christi als Korporativpersönlichkeit und damit der paulinischen »Leib Christi«-Theologie, sowie zum ebenfalls schon in den Proto- und Deuteropaulinen begegnenden Gedanken, dass Gott bzw. Christus »alles in allem« sei (1 Kor 15,28; Kol 1,16; 3,11; Eph 4,9). Es bestehen insbesondere auch Bezüge zu Origenes. Gemeinsam ist Teilhard wie Origenes die christliche Deutung des Prinzips des Universums nicht nur als göttlich, sondern als Christus. Im Unterschied zu Origenes (und auch zu Cusanus) ist es Teilhard dagegen gelungen, deren noch in neoplatonischen Bahnen entwickelte Ontologie des Seins zu durchbrechen, und gleichsam eine »Ontologie des Werdens« zu entwickeln: Der »kosmische Christus« ist kein dem Werden entzogenes, unveränderliches Prinzip und auch kein »fixer« Zielpunkt, sondern als Prinzip, Zentrum und Ziel des Kosmos ist er hineingenommen in dessen evolutiven Prozess, den er selbst als »Alpha« gründet und dem er als »Omega« Ziel und Richtung verleiht. Die Evolution wird so von Teilhard als teleologischer, auf das Christus-Omega zulaufenden und durch diesen geleiteten Prozess verstanden, was dem in der traditionellen Evolutionslehre vertretenen Zufallsprinzip, genau besehen, widerstreitet.185

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Vgl. zum physischen Moment der »Leib Christi«-Metaphorik bei Teilhard auch Ursula King: »It can refer to the person of Jesus of Nazareth, but it is also a body that forms a personal center for humanity and the material world. It is a physical, organic center, a christic element in all things, so that all things can be an opening, a disclosure of Christ to us.« (Ursula King: Christ in All Things. Exploring Spirituality with Teilhard de Chardin. Maryknoll/NY 1997. 70f.). Vgl. ebenso Maloney: The Cosmic Christ from Paul to Teilhard. 203-208. 184 King: Christ in All Things. 65. 185 Vgl. zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Origenes und Teilhard ausführlich Lyons: The Cosmic Christ in Origin and Teilhard de Chardin. 211-219. Neben Origenes gibt es auch Bezüge zu Cusanus’ Christologie, vgl. hierzu etwa Stefan Schneider: Die ›kosmische‹ Größe Christi als Ermöglichung seiner universalen Heilswirksamkeit

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Raimon Panikkar Vertrat Teilhard durch seine Identifikation des göttlichen Prinzips des Universums mit Christus bzw. dem »Christus-Omega« und wiederum durch dessen Identifikation mit dem »Gottmenschen« Jesus von Nazareth auf religionstheologischer Ebene eine inklusivistisch-superioristische Christologie – alle sind in Christus hinein verkörpert als dessen »Atom« und damit in Christus erlöst –, so versuchte Raimon Panikkar mehr und mehr, den kosmischen Christus nicht mehr superioristisch zu interpretieren und ihn plural auszulegen, wobei für ihn sein Bezug zum Hinduismus leitend gewesen ist. Dadurch nahm die Vorstellung des kosmischen Christus eine andere Richtung, die für nachfolgende Interpretationen des universalen Christusleibes sehr wichtig geworden ist. Schon in seinem Frühwerk entfaltete Panikkar den Gedanken, dass das kosmologische Verständnis des universalen Logos, den er als Christus bezeichnete, die Brücke hin zu anderen Religionen, hier zum Hinduismus, darstellen kann. Denn auch im Hinduismus gibt es die Vorstellung der inkarnatorischen, erlösenden Präsenz des Göttlichen im Kosmos. Als entscheidende Differenz zwischen Christentum und Hinduismus markierte Panikkar den Anspruch des Christentums, dass diese Präsenz sich singulär in Jesus von Nazareth ereignet hat, also die Überzeugung einer definitiven Identität von Christus und Jesus.186 Doch jenseits dieses Anspruchs könne eine tragfähige Begegnung zwischen Hinduismus und Christentum stattfinden – eine klar inklusivistische Position. Im Laufe seines weiteren Arbeitens hat Panikkar seine Position verändert, den noch eher klassischen Inklusivismus aufgebrochen und neue, für seine Theologie entscheidende Gedanken hinzugezogen. Das erste zentrale Motiv ist das so genannte »kosmotheandrische Prinzip« als »Dreiklang der Wirklichkeit«187 und damit als eine Art trinitarische Struktur der Schöpfung, die sich aber von der klassischen Trinitätsauffassung der immanenten wie ökonomischen Trinität der drei göttlichen »Personen« Vater, Sohn und Geist unterscheidet: Die ganze Schöpfung ist eine Einheit von Mikrokosmos und Makrokosmos, anthropos und kosmos; Ersteres hat an Letzterem teil und ist

an Hand des kosmogenetischen Entwurfs Teilhard de Chardins und der Christologie des Nikolaus von Kues. Münster 1980. 186 Vgl. Raimon Panikkar: Der unbekannte Christus im Hinduismus. Mainz 1986. 62. 187 Vgl. hierzu ausführlich auch Rudolf von Sinner: Reden vom dreieinen Gott in Brasilien und Indien. Grundzüge einer ökumenischen Hermeneutik im Dialog mit Leonardo Boff und Raimon Panikkar. Tübingen 2003. 197-315.

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dessen Moment. So erklären sich zwei Elemente des Ternars »kosmotheandrisch«: »kosmisch« und »andrisch«, anthropisch. Die Schöpfung ist Leben, das sich universal und singulär ausgestaltet, einzeln und allgemein, und sie ist eins und alles zugleich. Diese Einheit wird von einem Grund getragen, dem sie sich verdankt, und der sie zugleich dadurch vermittelt, erhält und vollendet, dass er alles, was ist, das Einzelne wie das Allgemeine, durchwaltet, dass er selbst eins und alles zugleich ist und in allem, was ist, präsent ist: Gott bzw. das Göttliche – das dritte Element des Ternars: theos.188 Auch Panikkar greift hier auf die traditionelle Analogie zur Weltseele zurück, um dieses göttliche Prinzip des Kosmos beschreiben zu können. Ziel dieser Überlegungen ist für ihn jedoch nicht mehr »nur« ein Beitrag zur Theologie der Religionen, oder die Formulierung einer Christologie, sondern der Entwurf einer neuen Kosmologie, die den besagten »Dreiklang« der Wirklichkeit – Göttliches, Menschliches, Kosmisches189 – als sich wechselseitig durchdringend und notwendig aufeinander bezogen begreift, wobei dem Menschen beides, Kosmos und Gott, unverfügbar sind und ihm vorgegeben: »Sowohl das Kosmische als auch das Göttliche sind unverzichtbare Dimensionen der Wirklichkeit, die nicht vom Menschen bestimmt werden können, obwohl sie sich im Menschen begegnen, genauso wie der Mensch sich in ihnen wiederfindet.«190 Aus dieser Kosmologie folgt für Panikkar ein universales, nicht mehr auf die Menschwerdung Gottes in einer Person eingegrenztes Verständnis von Inkarnation: »Die ›Erschaffung‹ der Welt bedeutet nicht unbedingt, dass der ›Schöpfer‹ verschwunden ist. Die ›Inkarnation‹ Gottes andererseits bedeutet nicht ausschließlich ›Vermenschlichung‹ in einem einzigen Individuum. Die ganze Wirklichkeit hat sich auf das gleiche einzigartige Abenteuer eingelassen.«191 Panikkar konzentriert sich folglich auf den universalen, kosmischen Christus, auf den universalen »Christusleib«.

188 Panikkar deutet dabei explizit einen Bezug auf pantheistische bzw. panentheistische Traditionen an, somit eine monistische Intuition, denn er benutzt etwa spezifisch Spinozistisches Vokabular, so z.B. die Unterscheidung zwischen natura naturans und natura naturata. Vgl. etwa Raimon Panikkar: Der Dreiklang der Wirklichkeit. Die kosmotheandrische Offenbarung. Salzburg-München 1995. 169. 189 Eine andere Variante des Ternars ist Geist – Materie – Bewusstsein. 190 Ders.: Der Dreiklang der Wirklichkeit. 186. 191 Ebd. 188.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Darauf bezieht sich denn auch das zweite zentrale Motiv von Panikkars Theologie, die »Christophanie«. Panikkar zufolge fassen alle kulturell geprägten Weltdeutungen die Wirklichkeit unter ein Symbol, das sie bezeichnet und bestimmt, wobei er »Symbol« von »Zeichen« insofern unterscheidet, als er ihm eine ontologische Bedeutung zuschreibt; man könnte dieses Symbolverständnis mit demjenigen des Realsymbols bei Karl Rahner bzw. mit dem Bildverständnis bei Anselm von Canterbury, Meister Eckhart, Cusanus, Fichte oder auch in der kabbala vergleichen: Eine Wirklichkeit drückt sich in einer anderen voll und ganz aus, ohne in ihr aufzugehen, und bestimmt sie dadurch, oder, wie Panikkar formuliert: »Ich sage ›Symbol‹, um eine Erfahrung der Wirklichkeit auszudrücken, in der Subjekt und Objekt, Interpretation und Interpretiertes, das Phänomen […] und sein noumenon unentwirrbar vereint sind. […] Das Symbol symbolisiert das Symbolisierte im Symbol selbst, und nicht an einem anderen Ort.«192 Laut Panikkar ist Christus dieses alle Wirklichkeit umspannende Symbol – womit ganz klar der kosmische, universale Christus gemeint ist, und zwar als sich im ganzen Kosmos inkarnierend. Darin erweist er sich, so Panikkar, als »kosmotheandrisches Symbol par excellence«193 , als Symbol der theosis des ganzen Universums,194 als mysterium coniunctionis von göttlicher, menschlicher und kosmischer Wirklichkeit.195 Panikkar zieht hier einen religionstheologisch bedeutsamen Vergleich zwischen Christus und den Avataren im Hinduismus, die Inkarnationen, Präsenzformen des Göttlichen in der Welt darstellen, wobei er insofern eine Differenz markiert als das Verständnis der Avatare doketistisch ist.196 Der so verstandene Christus als kosmotheandrisches Symbol, in dem sich alle drei Sphären der Wirklichkeit vereinen (Gott, Mensch, Kosmos) unterscheidet sich laut Panikkar vom historischen Jesus bzw. ist nicht schlichtweg univok mit ihm. Hier unterscheidet sich Panikkar von den anderen genannten Konzeptionen kosmologischer Christologie, die letztlich den universalen 192

Ders.: Christophanie. Erfahrungen des Heiligen als Erscheinung Christi. Freiburg i.Br. 2006. 191. Panikkar bezieht sich denn auch explizit auf das christliche Verständnis des Sakraments. 193 Ebd. 195. 194 Vgl. ebd. 195 Vgl. ebd. 236. Vgl. zur Mittlerfunktion Christi und zur Christophanie bei Panikkar auch ausführlich Nitsche: Gott – Welt – Mensch. 379-414. 196 Vgl. Panikkar: Christophanie. 194.

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Christus wieder mit der singulären Inkarnation des göttlichen Logos in Jesus von Nazareth identifizieren und so Christus und Jesus letztlich univok begreifen, so auch singuläre und universale Inkarnation bzw. individuellen und universalen »Leib Christi«. Christus stellt eine Jesus übergreifende, umfassende Wirklichkeit dar, die sich nicht in Jesus erschöpft: »Jesus ist der Christus, aber Christus kann nicht vollständig mit Jesus identifiziert werden.«197 Dies lässt sich auch mit einem Gedanken aus der mystischen Theologie verdeutlichen: Der göttliche Logos gebiert sich einem jeden Seelengrund ein, so auch dem Seelengrund Jesu. Das Christussymbol umfasst alle Wirklichkeit, so auch diejenige des Lebens Jesu. Umgekehrt aber lässt sich das Leben Jesu nicht zum universalen Christus hypostasieren; Jesus hat an Christus Anteil und dieser realisiert sich in ihm, jedoch nicht auf singuläre, erschöpfende Art und Weise. Zwischen Jesus und Christus besteht in Panikkars Perspektive keine Univozität bzw. numerische Identität.198 Für die Christen, so Panikkar, begegnet Christus in Jesus – eine wichtige Einschränkung: Christus ist Symbol der Wirklichkeit im Kontext christlicher Selbst- und Weltdeutung, und damit hat Panikkar seinen früheren Inklusivismus superiorer Spielart eindeutig verlassen und sich auf einen Religionspluralismus hinbewegt.199 Dies zeigt auch seine Abgrenzung gegen Interpretatio197 Ebd. 199. Vgl. hierzu auch Nitsche: Gott – Welt – Mensch. 400 und 404. 198 Vgl. hierzu auch Panikkars Unterscheidung von Identität und Identifikation in Panikkar: Christophanie. 202-205. Hierzu gehört auch Panikkars Abgrenzung gegenüber einem substanzontologischen Verständnis der Wirklichkeit und damit auch vom Verständnis des Logos bzw. Christi als dem Kosmos innewohnende Substanz. Daraus folgt, dass auch die Inkarnation des Logos in einem Menschen nicht unter substanzontologischen Vorzeichen verstanden werden kann: Der Logos ist keine Substanz Jesu, folglich auch kein substanzieller »Träger« der beiden Naturen. Die Vermittlung von Göttlichem und Menschlichem wird somit eher ereignisontologisch und partizipationsontologisch gedacht: Alle Wirklichkeit ist immer schon als Vermittlung von Göttlichem und Menschlichem (bzw. Kosmischem) zu denken, und wie der Makrokosmos strukturiert ist, so auch der Mikrokosmos. Dieser Gedanke begegnet bereits bei Cusanus und dessen Spekulationen über den Mikrokosmos als Bild des Makrokosmos und umgekehrt. 199 Vgl. etwa ders.: Der Weisheit eine Wohnung bereiten. Herausgegeben von Christoph Bochinger. München 1991. 169. Vgl. zur pluralistischen Interpretation der Theologie Panikkars auch Jyri Komulainen: An Emerging Cosmotheandric Religion? Raimon Panikkar’s Pluralistic Theology of Religions. Leiden-Boston 2005; David Pitman: Twentieth Century Christian Responses to Religious Pluralism. Difference is Everything. Queensland 2014. 159-176. Bernhard Nitsche dagegen scheint mir Panikkar zwar quasi mit starkem pluralistischem Flügel, aber dennoch inklusivistisch zu interpretieren. (Vgl. Nitsche: Gott – Welt – Mensch. 421ff.) Ich denke allerdings, dass Panikkar den In-

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nen seines Buches »Der unbekannte Christus im Hinduismus«, wonach die Hindus sich notwendig auf das beziehen müssten, was ihnen unbekannt gewesen, den Christen aber bekannt sei; vielmehr sei Christus auch für Christen niemals völlig erkennbar. Das Christussymbol symbolisiert für Christen unter dem Namen »Christus« eine Wirklichkeit, die in anderen Religion anders bezeichnet wird, und die nicht im Christussymbol vollständig aufgeht, vor allem nicht im Bekenntnis zu Jesus als Christus.200 Mit »Christophanie« bezeichnet Panikkar nun die unter dem Christussymbol stehende Epiphanie des Göttlichen, das Zur-Erscheinung-Kommen Gottes in der Welt, und zwar sowohl im Ganzen der Schöpfung als auch in den einzelnen Kreaturen, insbesondere in der menschlichen Kreatur. Dieses Zur-Erscheinung-Kommen ist göttliche Offenbarung, jedoch nicht im Sinne von revelatio (Überlieferung) eines besonderen Wissensbestandes über das Göttliche o.ä., keine Mitteilung von zu glaubenden Wahrheiten, sondern apparitio (Erscheinung). Diese Christophanie wiederum ist immerwährende »Einleibung« Gottes bzw. Christi, incarnatio continua, analog zur creatio continua des Kosmos, die sich in ihr immer wieder neu vollzieht, und zwar sowohl im Makrokosmos wie im Mikrokosmos.201 Oder, in den Worten mystischer Theologie: Christus gebiert sich sowohl dem ganzen Kosmos ein als auch der einzelnen Kreatur, er wohnt im Einzelnen und in Allem zugleich: »Genau wie die traditionelle Theologie von einer creatio continua spricht, könnten wir uns in Analogie eine kontinuierliche Inkarnation vorstellen, nicht nur im Fleisch, sondern auch in den Handlungen und Ereignissen aller Kreatur. Jedes Wesen ist eine Christophanie.«202

klusivismus, den er noch in »Der unbekannte Christus im Hinduismus« vertreten hatte, später hinter sich gelassen hat und einen tragfähigen religiösen Pluralismus jenseits eines puren Relativismus zu entwickeln suchte. 200 Vgl. Panikkar: Christophanie. 206-211. 201 Vgl. ebd. 235. Vgl. zu Panikkars Verständnis der Christophanie als incarnatio continua auch Bernhard Nitsche: Following Raimon Panikkar toward an Understanding of Creation as Incarnatio Continua. In: Jax/Wendel (Hg.): Envisioning the Cosmic Body of Christ. 62-76. 202 Panikkar: Der Weisheit eine Wohnung bereiten. 187. Noch konkreter spricht Panikkar an anderer Stelle von jedem Sein als »Verkörperung Christi« (Ders.: Trinität. Über das Zentrum menschlicher Erfahrung. München 1993. 84).

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Von dort her ist auch die Inkarnation in Jesus zu verstehen, denn sie, so Panikkar, macht es möglich, das zu verstehen, was von Anfang an gegeben ist.203 Panikkar bezieht die Christophanie explizit auf die Tradition des mystischen Leibes Christi,204 versteht somit den kosmischen Christus durchaus auch als kosmischen »Leib Christi« und verknüpft dies wiederum mit Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem kosmologischen, dem soteriologischen und dem ekklesiologischen »Leib Christi«. Der kosmische Christus ist insofern von soteriologischer Bedeutung, als in und durch ihn alle erlöst sind, wobei Erlösung – ganz dem Motiv der theosis verpflichtet – Vergöttlichung bedeutet.205 Insofern ist der kosmologische »Leib Christi« zugleich der soteriologische. Ekklesiologisch ist dieser »Leib Christi« dann zu bestimmen, wenn die Kirche nicht primär als Institution verstanden wird, sondern im ursprünglichen Sinne von »katholisch« als allumfassend, und zwar als »koextensive Kirche, die sich so weit erstreckt wie das Universum«206 . Panikkar ist sich des Problems durchaus bewusst, dass man dies im Sinne der Prolongation der Inkarnation und der Behauptung der ontologischen Identität von Christus und Kirche missverstehen könnte. Doch er sucht zu verdeutlichen, dass er unter »Kirche« etwas anderes versteht als eine »sichtbare« Institution bzw. ein sichtbares »Gottesvolk«, somit auch etwas gänzlich anderes als die römisch-katholische Kirche, weil er »katholisch« (zu Recht) nicht als Bezeichnung für eine konkrete Konfession versteht. Genau besehen sind für Panikkar alle Menschen jener Kirche zugehörig, die sich über das ganze Universum erstreckt, und die konkrete, »sichtbare« Kirche hat daran teil, ohne damit deckungsgleich zu sein. Es gibt eine Differenz zwischen der Kirche als Ausdruck des universalen Christus und der konkreten Kirche im Sinne einer Vergemeinschaftung von Gläubigen nebst konkreter Struktur und Gestalt. Kirche, so könnte man sagen, ist für Panikkar gerade kein organisch strukturierter »Körper« bzw. eine »Körperschaft« 203 Vgl. ders.: Der Weisheit eine Wohnung bereiten. 187. Das legt nahe, dass Panikkar Jesus als exemplum begreift. An ihm zeigt sich, was allen zuteil geworden ist, wird aber nicht erst durch ihn konstituiert. 204 Vgl. ders.: Christophanie. 215. 205 Vgl. ebd. 234. Man denke an das frühchristliche Motiv des »wunderbaren Tauschs« als Grund der Inkarnation: »Gott wird Mensch, damit wir Gott werden«, wie es etwa bei Irenäus von Lyon überliefert ist. Erlösung bedeutet folglich für Panikkar keine Erlösung von den Sünden, sondern eine umfassende Vervollkommnung und Vollendung nicht nur des Menschen, sondern der ganzen Schöpfung, damit Gott bzw. Christus »alles in allem« wird. Hier existieren m.E. Nähen zur Idee der Allerlösung und -versöhnung. 206 Ebd. 233.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

rechtlicher Art. Sie ist »Leib« im Sinne der kontinuierlichen Inkarnation Christi und dessen Gestaltwerdung im Universum und in jedem einzelnen Menschen, im Makro- wie Mikrokosmos. Zu ihr gehören alle, die sich auf den Weg der Erlösung, also der Vervollkommnung, der Vergöttlichung, machen, und alle diejenigen, die dabei eine vermittelnde Aufgabe besitzen und vollziehen, sind »Priester« dieser universalen, in diesem Sinne »katholischen« Kirche.207 Unbeschadet dessen existiert laut Panikkar eine Einheit der drei Dimensionen des universalen Leibes Christi. Dieser Konvergenzpunkt ist Christus selbst, das Alpha und Omega in kosmologischer, soteriologischer und – unter Voraussetzung eines allumfassenden, nichtinstitutionellen Kirchenverständnisses – ekklesiologischer Hinsicht: »Jesus Christus ist das lebendige Symbol der Göttlichkeit, der Menschheit und des Kosmos (des materiellen Universums).«208 Er ist laut Panikkar nicht nur Koinzidenz, sondern Verbindung der Gegensätze, auch desjenigen zwischen Männlichem und Weiblichem,209 in ihm vereinen sich zudem Schöpfung, Inkarnation, Offenbarung und Erlösung.210 In gewisser Hinsicht deutet auch Panikkar Jesus als Korporativpersönlichkeit, als Teil, der das Ganze repräsentiert, in diesem Fall das kosmotheandrische Symbol Christus.211 Aber Jesus ist nicht der Christus, er ist keine Korporativpersönlichkeit, die alle einschließt, sondern er repräsentiert diese; er repräsentiert Christus, ist aber nicht mit ihm numerisch identisch.212

3.5.1.2 Prozesstheologische Bestimmungen der Welt als Körper Gottes: Sallie McFague, Charles Hartshorne, Grace Jantzen, Marjorie Suchocki Weniger die Tradition einer kosmologischen Christologie bzw. das Motiv des kosmischen Christus, sondern die in christologischer Hinsicht unspezifische

207 Vgl. ebd. 235. 208 Ebd. 237. 209 Vgl. ebd. 238ff. Insofern ist weder der universale Christus noch der individuelle Körper Jesu schlichtweg »männlich« zu identifizieren, folglich auch nicht der »Leib Christi«, den die Kirche darstellt, und auch nicht die Repräsentanten Christi bzw. die, die in persona Christi handeln, zwangsläufig »männlich«. 210 Vgl. ebd. 240. 211 Vgl. ders.: Der Weisheit eine Wohnung bereiten. 171. 212 Die numerische Identität Jesu mit dem göttlichen Logos hat wie gesehen auch Jacques Dupuis in seinem religionstheologisch ausgerichteten christologischen Entwurf in Frage gestellt und so versucht, einen Ausweg aus einem superioristisch ausgerichteten Inklusivismus zu finden.

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Bestimmung des Universums als Körper Gottes steht im Zentrum der prozesstheologischen bzw. -philosophischen Konzeptionen von Sallie McFague, Charles Hartshorne, Catherine Keller, Grace Jantzen und Marjorie Suchocki. Dabei bestehen Nähen zu den genannten Entwürfen kosmologischer Christologie, insofern die meisten dieser Konzeptionen mit einem Panentheismus sympathisieren.213 Diese explizit panentheistische Ausrichtung teilen sie vor allem mit den Theologien von Teilhard de Chardin und Panikkar.214 Die Begründung dafür, Gott überhaupt einen Körper zuzusprechen, liegt in der Absage an mentalistische Verkürzungen des Gottesverständnisses. Die Überzeugung, dass Gott reiner Geist ist, ohne Beimischung von Körperlichkeit, galt als Errungenschaft gegenüber anthropomorphen Gottesbildern und deren Tendenz der Verdinglichung Gottes. Dennoch wurde und wird die These, dass Gottes Wesen Geist bzw. Intellekt ist, häufig als Rückfall in eine dualistische Denkweise kritisiert, in eine Abwertung der Leiblichkeit, da diese gerade nicht als Moment der Gottebenbildlichkeit des Menschen begriffen werden könne, wenn Gott selbst Leiblichkeit nicht zukommt. Ist Gottes Sein identisch mit intelligiblem Sein, dann drohe die Identifikation Gottes mit einer rein geistigen Substanz, einer res cogitans, der die ausgedehnte Substanz, die res extensa, gegenübersteht. Gott selbst könne zwar nicht im Sinne eines einzelnen Körpers gedacht werden, weil man ihn so verdingliche, aber auch nicht körperlos, denn andernfalls verstricke man sich in eine dualistische Konzeption des Gottesbegriffs. Zudem werde nicht deutlich, wie eine Entsprechung, eine Analogie zwischen Gott und seinem Bild, dem Menschen, gedacht werden könne, wenn Gott körperlos sei.215 Hinzu kommt eine Absage gegen mentalistische Verkürzungen des Bewusstseinsverständnisses: Wenn, wie bereits aus-

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Die Auffassung des Universums als Körper Gottes hat auch Philip Clayton aufgegriffen und in sein Programm einer naturalistischen panentheistischen Theologie, basierend auf einem emergenten Monismus, integriert. Vgl. z.B. Philip Clayton: God and Contemporary Science. Edinburgh 1997. 214 Ob auch Origenes und Cusanus panentheistisch zu interpretieren sind, ist eine derzeit lebhaft diskutierte Streitfrage. Hengstermann und Müller lesen Origenes durchaus als Vorläufer moderner panentheistischer Theologien (vgl. Christian Hengstermann: Origenes und der Ursprung der Freiheitsmetaphysik. Münster 2008; Klaus Müller: Gott jenseits von Gott. Plädoyer für einen kritischen Panentheismus. Münster 2021), und auch Cusanus wird nicht selten auf diese Weise interpretiert, so etwa von Catherine Keller in deren prozesstheologischem Entwurf und wiederum von Klaus Müller in dessen Plädoyer für den Panentheismus. 215 Vgl. Grace Jantzen: God’s World, God’s Body. Philadelphia 1984. 67-74.

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geführt, Bewusstsein stets verkörpert zu denken und das Prinzip des Bewusstseins als Einheit von Mentalem und Physischem zu begreifen ist, dann gilt dies, genau besehen, auch für das göttliche bewusste Leben. Denn anders bestünde keine Entsprechung zwischen dem göttlichen und dem kreatürlichen Bewusstsein, ohne diese Entsprechung könnte aber Ersteres nicht als Grund von Letzterem gelten. Grace Jantzen konzentrierte sich hier allerdings auf ein nichtdualistisches Verständnis der Person als Einheit von Leib und Seele: Werde Gott in Analogie zur Person gedacht, dann müsse Gott als Person auch körperlich gedacht werden. Er könne jedoch keinen Einzelkörper haben; dieser Gedanke sei schlichtweg absurd, weil er dem Gottesverständnis im Sinne einer Vollkommenheit und Einheit bzw. Allgemeinheit widerspreche. Ein verkörpertes Individuum »Gott« wäre nichts anderes als ein Götze bzw. eine anthropomorphe Projektion, vergleichbar antiken Göttern. Deshalb müsse das ganze Universum als Körper Gottes verstanden werden. In diesem Sinn sind Gott und Universum gleichursprünglich zu verstehen: keine Welt ohne Gott, aber auch kein Gott ohne Welt: »if the universe is God’s body then there must be a universe if there is God; and if God is eternal, so is the universe.«216 In ähnliche Richtung argumentiert Sallie McFague in ihrem ökofeministischen Konzept, allerdings bezieht sie sich in ihrer Argumentation explizit auf den christlichen Inkarnationsgedanken sowie auf die Tradition des Motivs des kosmischen Christus sowohl in patristischen Theologien als auch insbesondere bei Teilhard de Chardin.217 Diesen deutet sie im Sinne einer incarnatio continua, insofern sich Gott immer schon in seiner ganzen Schöpfung, im Gesamt des Universums inkarniert habe und immer wieder neu inkarniere in einem unaufhörlichen, unendlichen Prozess dieses Inkarnationsgeschehens: »Für Christen wurde Gott nicht aus einer Laune heraus Mensch, es gehört vielmehr zu Gottes Natur, verkörpert zu sein […] Für Christen unterscheidet sich […] die Schöpfungslehre nicht im Wesentlichen von der Inkarnationslehre: In beiden ist Gott die Quelle allen Seins, die Eine, in der wir geboren und neu geboren sind. Nach diesem Verständnis ist die Welt nicht einfach Materie, während Gott Geist ist; zwischen Gott und der Welt besteht vielmehr eine Kontinuität (obgleich keine Identität). Die Welt ist Fleisch von Gottes

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Ebd. 142. Vgl. hierzu Sallie McFague: Models of God. Theology for an Ecological, Nuclear Age. Minneapolis 1987.

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›Fleisch‹; Gott, die unser Fleisch in einem Menschen, Jesus von Nazaret, angenommen hat, hat das schon von jeher getan. Gott ist Fleisch geworden, und dies nicht als sekundärer Akt, sondern vor allem anderen.«218 Im Rekurs auf die Unterscheidung Spinozas zwischen der alleinen göttlichen Substanz als natura naturans und der Welt als göttliche natura naturata bzw. der Unterscheidung Alfred North Whiteheads zwischen Ur- und Folgenatur in dessen Prozessmetaphysik identifiziert McFague das Universum als Folgenatur Gottes und diese wiederum, christlich gedeutet, als immerwährende göttliche Inkarnation. Wie in Panikkars Konzept wird eine Entsprechung von creatio und incarnatio continua vertreten. Der Kosmos ist als diese göttliche Inkarnation Verkörperung Gottes, Gottes Körper, allerdings kein statischer Körper, kein substanzielles Sein, sondern ein immer im Werden begriffener Körper, Vollzug, Geschehen und Ereignis. Diese Inkarnation Gottes im Universum geht McFague zufolge der Inkarnation in Jesus von Nazareth voraus bzw. liegt ihr zugrunde; die Inkarnation in Jesus ist Paradigma, zentrale Metapher für die göttliche Inkarnation und zugleich Kulminationspunkt der Inkarnation Gottes im Universum, ist aber nicht singulär, »ein für allemal« zu denken: »The scandal of the gospel is that the Word became flesh; the radicalization of incarnation sees Jesus not as a surd, an enigma, but as a paradigm or culmination of the divine way of enfleshment.«219 218

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Dies.: Die Welt als Gottes Leib. In: Concilium 38 (2002), 2. 154-160. Hier: 154. McFague wendet sich hier im Verweis, dass es sich um Kontinuität, nicht aber Identität handle, gegen ein pantheistisches Verständnis der Welt als Körper Gottes. Gott ist einerseits radikal transzendent als Grund und Ursprung der Schöpfung, die von ihm radikal abhängig ist, andererseits aber auch radikal immanent, denn er ist notwendigerweise immer schon verkörpert, so dass seine Transzendenz immer auch immanent zu sehen ist. McFague formuliert hier ein Spannungsverhältnis von Transzendenz und Immanenz: Unbeschadet seiner Präsenz in der Welt ist Gott stets auch abwesend als deren Grund, ist »je größer« als die Welt, und umgekehrt ist er unbeschadet seiner Transzendenz seiner Schöpfung unendlich nahe in seiner Präsenz in ihr. Vgl. hierzu auch ebd. 157f. Julia Enxing ist daher der Auffassung, dass McFague ein panentheistisches Modell vertrete. (Vgl. Julia Enxing: Die ökologische Krise aus panentheistischer Sicht. Ein Antwortversuch mit der Theologin Sallie McFague. In: Karlheinz Ruhstorfer (Hg.): Das Ewige im Fluss der Zeit. Der Gott, den wir brauchen. Freiburg i.Br. 2016. 53-76. Hier: 63f.) Sallie McFague: The Body of God. An Ecological Theology. Minneapolis 1993. 133. Vgl. zum Konzept McFagues auch Margit Eckholt: The »World as the Body of God« (Sallie McFague). The Cosmic Christ as the Measure of the Body of God. In: Jax/Wendel (Hg.): Envisioning the Cosmic Body of Christ. 77-90; vgl. auch dies.: Schöpfungstheologie und Schöpfungsspiritualität. Ein Blick auf die Theologin Sallie McFague. München 2009;

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Ein elaboriertes religionsphilosophisches Modell der Identifikation des Universums mit Gottes Körper hat Charles Hartshorne in seinem panentheistischen Modell eines »neoklassischen Theismus« entwickelt: Gott ist das Lebensprinzip der Welt, die Welt wiederum Körper Gottes – so sind Hartshorne zufolge Mentales wie Physisches in Gott geeint und zugleich Gott und Welt in ein Verhältnis nicht der Entgegensetzung, sondern der (differenzierten) Einheit gesetzt. Das Universum ist der leibliche Teil und Ausdruck Gottes bzw. gehört ihm als dessen Ausdruck zu, ist aber nicht schlichtweg mit ihm identisch. Gott ist nicht die Welt, die Welt aber Gott – als dessen Teil und Ausdruck, Körper. Hartshorne vertritt damit das klassische prozessmetaphysische Modell der Dipolarität Gottes von Ur- und Folgenatur, von ihm auch abstrakter und konkreter Pol bezeichnet. Als Folgenatur bzw. konkreter Pol Gottes hat die ganze Welt, der ganze Kosmos zu gelten, und dieser wird, genau besehen, in einer Analogie zur traditionellen anima forma corporis-Lehre sowie in Anklängen an die Tradition des Panpsychismus als Körper Gottes verstanden.220 Damit umgeht Hartshorne das Problem, wie Gott als Einzelwesen andere Einzelwesen umfassen und setzen kann, und wie er als Einzelwesen zugleich eine universale Folgenatur (die Welt) besitzen kann. Ebenso könnte das Problem umgangen werden, wie die Folgenatur auch mentale Eigenschaften besitzen kann, denn Gott umfasst potenziell Beides, Mentales wie Physisches, und realisiert dies in seiner Folgenatur, die dann nicht ausschließlich als physischer Pol Gottes zu gelten hat. Diese panentheistische Bestimmung des Gott-Welt-Verhältnisses will Hartshorne dadurch noch als theistisch beschreiben, dass er Gott als »kosmisches Individuum« bzw. cosmic agent interpretiert, wobei er den Begriff des Individuums von demjenigen des Einzelnen (ob Ding, Ereignis oder Person) löst und an den Begriff der Interaktion bindet; Gott ist dann dasjenige Individuum, das aufgrund seiner Einheit mit dem Universum mit allen konkreten Individuen dieses Universums in Interaktion treten kann und aufgrund seines Interagierens selbst als Individuum gekennzeichnet werden kann, jedoch als Individuum, das nicht nur mit wenigen anderen Individuen, sondern mit al-

Birgit Verstappen: Ekklesia des Lebens. Im Dialog mit Sallie McFague’s Kosmologie und der Befreiungstheologie von Elisabeth Schüssler-Fiorenza. Münster 2003. 111-124. 220 Vgl. hierzu etwa ders.: Man’s Vision Of God and the Logic of Theism. Hamden/ Connecticut 1963. 109-111; ders.: A Natural Theology for Our Time. La Salle/Illinois 1967.

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len interagieren kann.221 Allerdings findet sich bei Hartshorne anders als etwa bei McFague kein Bezug auf Christus bzw. das Motiv des kosmischen Christus, d.h. Gottes kosmischer Körper wird nicht nochmals in den Bahnen einer kosmologischen Christologie gedeutet, somit auch nicht als »Leib Christi« identifiziert. Dies dürfte auch mit der dezidiert philosophischen Ausrichtung von Hartshornes Entwurf zusammenhängen.222 Explizit auf den Genderaspekt des »Welt als Körper Gottes«-Modells geht Marjorie Suchocki ein. Wiewohl sie selbst keine detaillierten Ausführungen zu diesem Modell vorgelegt hat, stellt sie jedoch ein Doppeltes heraus: Erstens die grundsätzliche Möglichkeit, die eine prozesstheologische Perspektive im Blick auf die Geschlechterfrage hinsichtlich des Leibes Christi bietet, und zweitens die spezifische Möglichkeit der Identifikation des Universums mit dem Körper Gottes. Zu Ersterem ist es Suchocki zufolge möglich, die Sexualisierung Gottes als »männlich« zu durchbrechen, weil Gott keine Substanz mit ihr zukommenden Eigenschaften wie etwa »männlich« darstellt, sondern als eine Einheit von einer unendlichen Vielzahl einzelner Prozesse und somit selbst als ein Leben im überzeitlichen und überräumlichen Geschehen, Vollzug.223 Dies vermeidet laut Suchocki ein anthropomorphes Gottesbild und somit auch die Projektion einer Geschlechtlichkeit Gottes: »[P]rocess thought portrays things such as sexuality and gender as belonging to composites of entities, whether animal or human, and not to an entity per se.«224 Zu Letzterem rekurriert Suchocki auf die Differenz zwischen endlichen Körpern einzelner Lebewesen und der Welt als Körper Gottes: »If one were to talk about the embodiment at all for God, one would have to talk about the whole universe, for God feels all reality precisely as it felt it221

Vgl. hierzu etwa ders.: A Natural Theology for our Time. 7. Vgl. zu Hartshorne auch ausführlich Ingolf U. Dalferth: The One Who is Worshipped. Erwägungen zu Charles Hartshornes Versuch Gott zu denken. In: ders.: Gott. Philosophisch-theologische Denkversuche. Tübingen 1992. 192-212; Julia Enxing: Gott im Werden. Die Prozesstheologie Charles Hartshornes. Regensburg 2013; dies./Klaus Müller (Hg.): Perfect Changes. Die Religionsphilosophie Charles Hartshornes. Regensburg 2012; Müller: Gott jenseits von Gott. 436-449. 222 Rezipiert wurde Hartshorne u.a. von Schubert Ogden, der ebenfalls die Identifikation des Universums mit Gottes Körper vertreten hatte; vgl. hierzu Schubert M. Ogden: Die Realität Gottes. Zürich 1970. 57-91; 179-202. 223 Vgl. Marjorie Suchocki: God – Christ – Church. A Practical Guide to Process Theology. New revised edition. New York 1989. 257. 224 Ebd. 100.

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self. Therefore God, analogous to the human soul, ›inherits‹ from the entire created order with a fullness not possible to any finite human being. The universe, then, would function analogously as God’s body.«225 Darin, in Gottes Körper, den Gott auf unmittelbare Weise fühlt bzw. darin alles zugleich direkt wahrnehmen kann (im Unterschied zu endlichen Lebewesen), vereinen sich auch »männlich« und »weiblich« bzw. wird beides transzendiert, sodass Gott in seiner Einheit mit seinem Körper, den der Kosmos darstellt, weder männlich noch weiblich ist. Im Blick auf die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth merkt Suchocki denn auch an, dass von der Männlichkeit Jesu keineswegs auf die Männlichkeit des Logos bzw. Gottes zurückgeschlossen werden darf; Jesus ist lediglich ein bestimmter Teil eines Ganzen, nämlich der Inkarnation Gottes im Universum; dieses Ganze wiederum erschöpft sich nicht in geschlechtlichen Zuschreibungen, und schon gar nicht in einer »männlichen« Bestimmung.226 Eine vergleichbar geschlechtertheoretisch sensible Position vertritt Catherine Keller. Primär nicht christologisch fokussiert, entwirft Keller ähnlich wie die bereits genannten Konzeptionen ein prozesstheologisches Verständnis der Schöpfung als creatio und incarnatio continua. Das schöpferische Prinzip fasst sie als den tiefsten Grund des Universums und diesen wiederum als Geheimnis: »Das Geheimnis ist kein stehendes Gewässer, sondern eine fließende Unendlichkeit. Eine Theologie des Werdens erkennt das Göttliche im und als lebendigen Prozess.«227 Kellers prozesstheologischer Zugriff ist allerdings auch durch postmoderne Perspektiven gekennzeichnet. Der Grund des Universums ist ihr zufolge weder einheitlich noch bringt er eine einheitlich bzw. harmonisch strukturierte kosmische Ordnung hervor. Es handelt sich vielmehr, so Keller in Referenz auf Gen 1, um eine

225 Ebd. 101. 226 Vgl. ebd. 227 Catherine Keller: Über das Geheimnis. Gott erkennen im Werden der Welt. Freiburg i.Br. 2013. 17. Vgl. zu Kellers Position auch dies.: Face of the Deep. A Theology of Becoming. Abingdon 2003. Vgl. zu Kellers Theologie auch Eric M. Vail: Creation and Chaos Talk. Charting a Way Forward. Eugene/Oregon 2012. 155-181. Vgl. ebenfalls Aurica Jax: Einfaltungen und Ausfaltungen. Theorien des New Materialism und ihre geschlechtertheologische Rezeption im Denken Catherine Kellers. In: Christine Büchner/Nathalie Giele (Hg.): Theologie von Frauen im Horizont des Genderdiskurses. Ostfildern 2020. 191-206.

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»Schöpfung aus der Tiefe, die uns als wässriges Chaos bekannt ist. Sie inspiriert eine Alternative sowohl zu den Absolutheiten eines hierarchischen, endgültigen Schöpfungsaktes, als auch zu den Dissolutheiten eines mechanischen Reduktionismus.«228 Der Ur-Grund des Universums ist Abgrund, tehom, abyssos, unstrukturiertes, dunkles Chaos – tohuwabohu. Das aber, so Keller, ist nicht per se Unordnung, sondern quasi eine alternative Ordnung zur traditionellen Vorstellung der Schöpfungsordnung.229 Keller kennt damit durchaus eine Art creatio originans, diese geht aber der creatio continua nicht voraus, sondern ist ihr quasi implementiert, gehört dieser zu. Sie ist aber gerade keine creatio ex nihilo, sondern, wie sie formuliert, »creatio ex profundis«230 . Das aus der Tiefe des dunklen Ur-grundes bzw. Ab-grundes hervorgehende, sich entfaltende und in ihn sich wieder zurückziehende, einfaltende Universum versteht Keller wie schon die anderen genannten Theologinnen und Theologen als Verkörperung Gottes und entsprechend die Inkarnation als kontinuierliche Verkörperung Gottes in der Welt: »Der Geist […] nimmt fleischliche Gestalt an. Es geht dabei nicht nur um eine einzige Inkarnation, sondern um eine Fleischwerdung, die immer und überall stattfindet, immer auf unterschiedliche Art.«231 Zentraler Referenzautor für Keller ist Nikolaus Cusanus, den sie panentheistisch interpretiert; ihr zufolge hat Cusanus in seinem Gottesverständnis als coincidentia oppositorum, in seiner negativen Theologie und in seinem Verständnis der Schöpfung als Zusammenspiel von complicatio und explicatio Gottes Gedanken formuliert, die den ihren vergleichbar sind.232

228 Keller: Über das Geheimnis. 82. 229 Keller verweist hier häufig auf Beispiele aus der Astrophysik: den Algorithmus von Fraktalen, die Spiralen von Galaxien, die »dunkle Energie« und »dunkle Materie« (vgl. ebd. 86f.), aber auch auf Theorien der Emergenz (vgl. ebd. 98). 230 Ebd. 83. Vgl. hierzu auch ausführlich dies.: »Creatio ex profundis«. Chaostheorie und Schöpfungslehre. In: Evangelische Theologie 69 (2019), 5. 356-366. 231 Dies.: Über das Geheimnis. 88f. Keller bezieht sich hier explizit auf prozesstheologische »Welt-als-Körper-Gottes-Theorien«, wie etwa diejenige Sallie McFagues und Charles Hartshornes. Vgl. ebd. 89. Wie diese vertritt sie einen Panentheismus, den sie von einem Pantheismus entschieden abgrenzt. 232 Vgl. ebd. 91ff. Vgl. auch dies.: Der Gott, den wir brauchen. Theologie für das 21. Jahrhundert. In: Ruhstorfer (Hg.): Das Ewige im Fluss der Zeit. 17-31. Hier: 26-29. Keller zieht von Cusanus’ Gedanken der Einfaltung des Universums in Gott und der Ausfaltung Gottes in das Universum eine Linie zu Gilles Deleuze‹ Überlegungen zur »Falte« (pli), eine Metapher, die er in Bezug auf Leibniz’ Metaphysik vorgestellt hatte: Die Falte ist so-

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Die Vorstellung des Grundes als tehom jedoch bringt, so Keller, Ängste hervor, Ängste vor dem Dunkel des Abgrundes, einem in der Tiefe lauerndem Bösen, vor einem alles verschlingenden Chaos, vor unendlichen Wassern. Keller kennzeichnet diese Angst als Furcht vor dem Weiblichen. Denn traditionell wird das Dunkle, Gefährliche, Chaotische mit dem Weiblichen verknüpft, mit dem »Mutterschoß«. Diesen gilt es nun positiv zu besetzen etwa im Sinne einer Kreativität und den Tiefen des Lebens. Zugleich aber gilt es herauszustellen, dass Gott weder männlich noch weiblich ist, denn der göttliche Grund ist keine absolute Identität, nicht einer bzw. einfach, sondern in sich vielfältig, allerdings auch keine pure Vielheit, sondern »vielfach der/die Eine […] zu einer Komplexität zusammengefaltet […]«233 – »Many-one«.234 Darin schließt Gott auch die sexuelle Differenz in sich ein und kann daher keineswegs als substanziell »männlich« identifiziert werden. Wie gesagt gibt es bei Keller wenig explizit christologische Bezüge oder explizite Deutungen des Gotteskörpers »Universum« als »Leib Christi«.235 Doch das schöpferische wie erhaltende Prinzip des Universums identifiziert sie durchaus auch mit dem Logos bzw. der Sophia, der göttlichen Weisheit, die Christus in Bezug auf ihre inkarnierte Form in Jesus seien, wobei diese Inkarnation in Jesus keineswegs exklusiv verstanden wird. In diesem Zusammenhang spricht Keller auch vom kosmischen Christus, der aber nicht ausschließlich mit Jesus identisch ist.236 Die Funktion von Logos bzw. Sophia ist es, die kontinuierliche Neuschöpfung des Kosmos anzustoßen bzw. dazu zu verlocken, wie sie in Anlehnung an Whitehead schreibt. Schöpfung ist so kein singulärer Akt eines handelnden Gottes, sondern selbstorganisierender Prozess, den Gott initiiert, und an dem die Kreatur in Ko-Kreativität beteiligt ist.237 Analog zur »Viel-Einheit« Gottes ist auch der kosmische »Leib Christi«

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wohl Struktur der Materie, die sich in einer Viel-Falt bzw. in mannigfaltigen Aus-Faltungen realisiert, als auch deren Aktualisierung in den inneren Vorstellungen der Seele. Zudem ist die Falte die Verbindung zwischen Leib und Seele bzw. Geist und Körper, wodurch das Verhältnis bzw. die wechselseitige Beziehung von Leib und Seele erklärt wird. Vgl. hierzu Gilles Deleuze: Die Falte. Leibniz und der Barock. Frankfurt a.M. 2000. Keller: Über das Geheimnis. 104. Ebd. Vgl. ebd. 223. Vgl. ebd. 218ff. Vgl. ebd. 101; 153. Der Logos bzw. Sophia wirken also durch ein liebendes Locken, und Gottes Körper ist bewegt durch den eros, das Begehren. Folglich gehört Gott das Begehren intrinsisch zu, wie Keller etwa im Rekurs auf Traditionen der Liebesmystik verdeut-

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vielgestaltig, und deshalb spricht Keller hier auch nicht mehr nur von Inkarnation, sondern von »intercarnation«, also einer vielgestaltigen und aufeinander bezogenen, relationalen Verkörperung Christi bzw. des Logos/der Sophia im Universum.238

3.5.1.3 »Deep Incarnation« – »Deep Ministry« – »Deep Resurrection« – Niels Gregersen und Elizabeth Johnson Ebenfalls ein weites Inkarnationsverständnis, allerdings in stetem Bezug auf die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth, hat Niels Gregersen mit seinem als »Deep Incarnation« bezeichneten Konzept formuliert.239 Gregersen bezieht sich dabei auf die Begriffe »Deep Ecology« (Arne Naess) und »Deep History« (Andrew Shyrocks/Daniel Lord Smails), wobei »deep« hier als Absetzung von einem oberflächlichen und vor allem anthropozentrischen Verständnis von Ökologie, Geschichte und hier eben von Inkarnation gebraucht wird.240 »Deep Incarnation« charakterisiert Gregersen so: »›Deep incarnation‹ is the view that God’s own Logos (Wisdom and Word) was made flesh in Jesus the Christ in such a comprehensive manner that God, by assuming the particular life story of Jesus the Jew from Nazareth, also conjoined the material conditions of creaturely existence (›all flesh‹), shared and ennobled the fate of all biological form (›grass‹ and ›lilies‹), and experienced the pains of sensitive creatures (›sparrows‹ and ›foxes‹) from within. Deep incarnation thus presupposes a radical embodiment that reaches into the

licht. Hier ergeben sich auch Nähen zu Aristoteles’ Kennzeichnung des unbewegten Bewegers, der »alles an sich zieht wie ein Geliebtes«, allerding handelt es sich bei Gott in Kellers Konzeption, anders als bei Aristoteles, nicht um einen unbewegten, sondern einen durch die Leidenschaften, das Begehren »bewegten Beweger«, der alles unmittelbar fühlt, was im Körper des Universums geschieht. (Vgl. etwa ebd. 189-192.) 238 Vgl. dies.: Members of Each Other. Intercarnation, Gender, and Political Theology. In: Jax/Wendel (Hg.): Envisioning the Cosmic Body of Christ. 154-163. 239 Vgl. zu diesem Konzept auch ausführlich Denis Edwards: Deep Incarnation. God’s Redemptive Suffering with Creatures. Maryknoll 2019. 240 Vgl. hierzu Gregersens Erläuterungen zur Herkunft des Ausdrucks »deep incarnation« in ders.: The Idea of Deep Incarnation. Biblical and Patristic Resources. In: Frederiek Depoortere/Jacques Haers (Hg.): To Discern Creation in a Scattering World. Questions and Possibilities. Leuven 2013. 319-342.

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roots (radices) of material and biological existence as well as into the darker sides of creation: the tenebrae creationis.«241 Gregersen entfaltet hier also zunächst kein kosmisches Christusverständnis, sondern sucht die Inkarnation in Jesus als »tiefes« Geschehen der Verkörperung, mithin als »Werden« des Logos in eine verkörperte Existenz hinein und nicht als lediglich mentales Geschehen, zu begreifen: »Incarnation is about God’s coming into the world of flesh, not only about God coming to mind.«242 Gottes Fleischwerdung ist keine bloße Einwohnung des Logos im Fleisch, kein Kommen ins Fleisch, sondern als Fleisch. Dabei setzt er die bereits erläuterte anthropologische Voraussetzung der Einheit von Mentalem und Physischem im Prinzip des Bewusstseins voraus. Inkarnation ist kein lediglich mentales, sondern biologisches, physisches Ereignis, und Gott wird nicht schlichtweg »Mensch«, sondern »kol-basar« (»alles Fleisch«), somit »Fleisch« im buchstäblichen Sinne.243 Darin nun erweist sich diese individuelle Fleischwerdung, der individuelle »Leib Christi« , aber zugleich schon als Teil und Moment des »kolbasar« des gesamten Kosmos, womit eine Relation zu einem kosmischen Verständnis des Leibes Christi und der Inkarnation gegeben ist: »The flesh that is assumed in Jesus Christ is not only the particular man Jesus but the entire realm of humanity, living creatures, and earthly soil. The most high (the eternal thought and power of God) and the very low (the flesh that comes into being and decays) are internally related in the process of incarnation.«244 Zudem macht Gregersen deutlich, dass auch der individuelle Körper Jesu nie nur rein individuell, sondern als »extended body« zugleich ein sozialer Körper ist, da in geschichtliche Entwicklungen, in evolutionäre Prozesse, in kulturelle und sozioökonomische Kontexte eingebettet. Anders formuliert: In diesen Körper sind immer auch soziale Körperdiskurse eingeschrieben, die ihn prägen und auch mit konstituieren.

241 Ders.: The Extended Body of Christ. Three Dimensions of Deep Incarnation. In: ders. (Hg.): Incarnation. On the Scope and Depth of Christology. Minneapolis 2015. 225-251. Hier: 225f. 242 Ebd. 226. 243 Vgl. Gregersens Formulierung »Cur Deus Caro« in Absetzung von Anselms Schrift »Cur Deus Homo«: Ders.: Cur Deus Caro. Jesus and the Cosmos Story. In: Theology and Science 11 (2013), 4. 370-393. 244 Ders.: The Extended Body of Christ. 234.

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Gregersen versteht somit die besondere göttliche Inkarnation in Jesus als Moment der kosmischen Inkarnation und damit den individuellen »Leib Christi« als Teil und Moment des kosmischen Christusleibes; hier bezieht er sich wie die anderen Vertreterinnen und Vertreter kosmologischer Christologien explizit auf die paulinische, johanneische und weisheitstheologische Tradition.245 Zugleich betont er umgekehrt, dass Gott kein abstraktes Prinzip des Universums sei bzw. nur auf abstrakte Weise im Universum wirke, sondern konkret das Prinzip des Universums als Logos bzw. Weisheit zu bestimmen sei, die sich ihrerseits auch in Jesus inkorporiert hätten. Die Inkarnation Gottes bzw. von Logos und Weisheit ist jedoch weder nur schöpfungstheologisch noch nur mit Blick auf göttliche Offenbarung von Bedeutung, sondern vor allem auch soteriologisch und ethisch (und für Letzteres brauchte es denn auch die Inkarnation in Jesus). Inkarnation hat stets eine Heilsbedeutung: In Gottes Fleischwerdung im Universum verbindet er sich dauerhaft mit ihm – und zwar bis in die tiefsten physischen und biologischen Prozesse hinein und nicht allein mit dem Feld des Mentalen –, sucht somit das ganze Universum seiner Vollendung zuzuführen. So gesehen ist die Inkarnation mehr als eine bloße »Naturnotwendigkeit« göttlichen verkörperten Selbstvollzuges, sondern sie steht immer schon unter dem Vorzeichen des Heilwerdens, der Vervollkommnung: »This theology of the cosmic body of Christ is not only about creation theology but about an ongoing reconciliation between Creator and creature. It is not only about Christ being there in and with the world of creatures but also being there for the creatures.«246 Darüber hinaus hat die besondere Form der Inkarnation in Jesus ebenfalls soteriologische Bedeutung, da sich Gott in und durch ihn an die Seite nicht nur der Opfer der Evolution (man könnte auch sagen: der Opfer von Krankheit und Tod sowie des evolutionären Gesetzes des »Kampfes ums Dasein«), sondern auch sozialer Ungerechtigkeit stellt:247

245 Vgl. etwa ders.: Deep Incarnation. From Deep History to Post-Axial Religion. In: HTS Teologiese Studies/Theological Studies 72 (2016), a3428. Hier: 2. 246 Ders.: The Extended Body. 244. 247 Vgl. ders.: Deep incarnation. 2. Vgl. zur soteriologischen Bedeutung Jesu im Horizont von »deep incarnation« auch ders.: The Cross of Christ in an Evolutionary World. In: Dialog. A Journal of Theology 40 (2001), 3. 192-207.

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»God became flesh for the purpose of reconciling humanity with God, and of conjoining God and the world of creation so intensely together that there can be a future also for a material world characterized by decomposition, frailty and suffering.«248 »Leib Christi« ist somit in den Bahnen von »deep incarnation« umfassend zu verstehen: kosmisch als Heilsraum, individuell (in Jesus) und nicht zuletzt auch als Kirche, wobei aber stets das Kosmische als weite bzw. tiefe Form von Inkarnation als Voraussetzung aller anderen zu denken ist, somit auch die Inkarnation Gottes nicht nur im nichtmenschlichen, sondern vor allem auch im nichtbewussten, ja nichtorganischen Seienden: »First, the divine stretch between God the father and his eternal Son (mediated by the Spirit) is the presupposition for the divine reach into the depths of creation. Second, the ›body of Christ‹ is extensive in scope; it must be so in order to be able to include the full scope of creation. In Christian parlance, the body of Christ thus refers to his life-historical body of the church, and finally (as I will argue) the larger world of creation assumed by the Incarnate One. Third, the idea of deep incarnation questions the chronocentric orientation, present in Christian though since early modernity, that has given priority to history (over against nature), historical sequences (over against space and eternity), and Jesus as an individual (over against his social identity).«249 Gregersens Konzept hat neben Jürgen Moltmann250 vor allem Elizabeth Johnson aufgegriffen und aus feministisch-theologischer Perspektive um die Aspekte »deep ministry« und »deep resurrection« ergänzt. Sie verweist erstens mit Hinweis auf Rahner und Teilhard de Chardin darauf, dass sich bereits in der christlichen Tradition das Verständnis einer »tiefen« Inkarnation in Jesus als »Fleischwerdung« sowie einer kosmologisch verstandenen Inkarnation

248 Ders.: Cur Deus Caro. 375. 249 Ders.: The Extended Body of Christ. 227f. 250 Moltmann sieht im Modell der »deep incarnation« eine Fortführung seiner These der dreigliedrigen Schöpfungsmittlerschaft Christi als »Grund der Schöpfung« (creatio originalis), als »Triebkraft der Evolution der Schöpfung« (creatio continua) sowie als »Erlöser des ganzen Schöpfungsprozesses« (creatio nova). Vgl. zu Moltmanns These der dreigliedrigen Schöpfungsmittlerschaft Jürgen Moltmann: Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen. München 1989. 320).Vgl. zu Moltmanns Rezeption von Gregersens Modell ders.: Is God Incarnate in All That Is? In: Gregersen (Hg.): Incarnation. 119-131.

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finde,251 und zweitens darauf, dass es notwendig sei, über die kosmologische Perspektive die historische Bedeutung bzw. die konkrete Lebensgeschichte Jesu sowie seine Parteilichkeit mit den Armen und Leidenden nicht aus dem Auge zu verlieren.252 Fleischwerdung bedeutet in dieser Perspektive zugleich Parteilichkeit mit allen gedemütigten, leidenden, den Opfer von Gewalt gewordenen Körpern, und diesen Aspekt von »deep incarnation« nennt Johnson »deep ministry«: »Deep incarnation as enacted in Jesus’ ministry underscores the dignity of all that is physical, for bodies matter to God: all bodies, not only those that are beautiful and full of life but also those damaged, violated, starving, dying, bodies of humankind and otherkind alike. Jesus’ ministry grounds compassion for all the bodies in creation.«253 Politisch formuliert: Solidarität mit dem Kosmos (Ökologie) und mit den Entrechteten und Unterdrückten (soziale Gerechtigkeit) gehören in der »deep incarnation« des Logos bzw. der Weisheit254 in Jesus wie im Kosmos zusammen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Umgekehrt wird Erlösung nicht nur für die Menschen erhofft, sondern für die ganze Natur, das ganze Universum. Jene universale Heilsperspektive bezeichnet Johnson als »deep resurrection«: »Auferstehung«, Vollendung des ganzen Kosmos.255 Besonders die explizit auch auf die Geschlechterproblematik eingehenden Konzeptionen wie diejenigen von McFague, Suchocki, Keller und Johnson beanspruchen, mit dem Modell eines kosmologischen Leibes Christi quasi »geschlechtersensibel« zu sein. Dies soll entweder dadurch eingelöst werden, dass 251 252 253 254

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Vgl. Elizabeth A. Johnson.: Jesus and the Cosmos: Soundings in Deep Christology. In: Gregersen (Hg.): Incarnation. 133-156. Hier: 139. Vgl. ebd. 142f. Ebd. 145. Johnson macht gerade die Inkarnation der Weisheit sowie geistchristologische Konzeptionen gegen die Konzentration auf den traditionell »männlich« verstandenen Logos stark. Damit markiert sie die geschlechtersensible Leerstelle in Gregersens Modell (vgl. ebd. 150-153). In ähnliche Richtung argumentiert Celia Deane-Drummond: Sie versteht »deep incarnation« als ein geistchristologisches, auf die Weisheit bezogenes Konzept, kritisiert Gregersens »Christomonismus« und bezieht sich in ihren eigenen Überlegungen auch auf Balthasars »Theo-Dramatik« bzw. dessen theologische Ästhetik. Vgl. hierzu etwa Celia Deane-Drummond: The Wisdom of Fools? A Theo-Dramatic Interpretation of Deep Incarnation. In: Gregersen (Hg.): Incarnation. 177-201. Vgl. Johnson: Jesus and the Cosmos. 146ff.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

der kosmologische Christusleib die sexuelle Differenz – entsprechend der Vorstellung des Ineinsfalls der Gegensätze in Gott – in sich einschließe und damit nicht mehr auf ein Geschlecht festzulegen sei; oder dadurch, dass er die sexuelle Differenz transzendiert, da diese an Personen bzw. verkörperte Individuen gebunden sei, der universale »Leib Christi« ebenso wie der kosmische Christus aber kein Individuum bzw. keine Person und somit auch bar jeglicher sexuellen Differenz und folglich geschlechtlich neutral verfasst sei; in ihm ist, in Anlehnung an Gal 3,28, »weder männlich noch weiblich«. Diese Neutralität hatte bekanntlich Graham Ward generell für den »Leib Christi« behauptet und dies mit der Transkörperlichkeit des Leibes Christi begründet. Hier dagegen handelt es sich sehr wohl um einen Körper im Sinne einer Ausdehnung in Raum und Zeit, folglich um keinen überzeitlichen und überräumlichen, transkörperlichen Leib. Denn der kosmische »Leib Christi« ist ja mit dem Universum als Körper Gottes identifiziert, und dieses Universum ist sowohl räumlich als auch zeitlich ausgedehnt, wenn auch im Unterschied zum Körper endlicher Individuen auf unendliche Art und Weise. Der kosmische »Leib Christi« ist universaler, unendlicher Körper, und auch kein unsichtbarer, in dieser Hinsicht »mystischer« Leib, sondern durchaus sichtbar, wenn auch aufgrund der Unendlichkeit nicht umfassend erfahrbar und erkennbar. Unsichtbar, geheimnisvoll ist sein Grund und Ursprung und sein Ziel, ganz mit Rahner gesprochen: sein Wovonher und Woraufhin. Angesichts der Probleme, die mit der individuellen »Leib Christi«-Analogie verbunden sind, halten folglich nicht wenige Theologinnen und Theologen die kosmologische »Leib Christi«-Metaphorik als geglückt und verwenden sie in dieser Perspektive weiter. Es ist zu fragen, ob diese Einschätzung zutrifft: Entrinnt die Vorstellung eines universalen Leibes Christi in kosmologischer Hinsicht den Konstruktionen durch Körper- und Geschlechterdiskurse, oder sind diese auch in diesem Modell auf höchst subtile Weise wirksam? Und wie verhält es sich mit der theologischen Grundausrichtung der genannten Modelle – ein prozesstheologisch gefasster Panentheismus, der auf die Idee des kosmologischen Leibes Christi zurückwirkt?

3.5.2 Der kosmologische »Leib Christi« – eine geglückte Metapher? Das Modell des kosmologischen Leibes Christi hat deutliche Vorzüge. Erstens wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass bewusstes Dasein stets verkörpert auftritt, und dass der Grund bewussten Lebens Mentales wie Physisches in sich einschließen muss, um als Grund jener verkörperten Existenz bzw. als

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Grund sowohl von Mentalem als auch Physischem bestimmbar zu sein. Auf Gott gewendet heißt das: Auch Gott muss Mentales und Physisches in sich einschließen, um als Grund von allem, was ist, Mentalem wie Physischem, gelten zu können. Dadurch wird eine mentalistische Verkürzung des Gottesverständnisses vermieden. Gott ist nicht nur reiner Geist bzw. eine immaterielle Existenz. Es wäre aber näher darüber zu diskutieren, was dann »Körper Gottes« heißt. Hier besteht in den »Welt-als-Körper-Gottes«-Theologien meiner Ansicht nach das Problem, dass unter »Körper« meist doch noch im Anklang an Descartes’ res extensa (ausgedehnte Substanz) eine räumlich verstandene Ausdehnung verstanden wird, und dass Gottes Körper als eine Art Container konzipiert wird, in dem das einzelne Seiende enthalten ist wie einzelne Teile einer Menge. Hierzu tragen auch Analogien zum menschlichen Organismus bei wie schon beim stoischen Leib-Glieder-Gleichnis, ja überhaupt Analogien zum menschlichen Körper: Gott, so die Vorstellung, fühlt alles direkt und erstpersönlich, was in ihm und durch ihn geschieht – womöglich ebenso eine anthropomorphe Projektion wie diejenige eines überirdischen vollkommenen Individuums. Hinzu kommt das Problem, dass Gottes Körper dann auch Leid und Böses enthält, und das könnte die Vollkommenheit Gottes unterlaufen und damit das Theodizeeproblem nicht mildern, sondern im Gegenteil sogar verschärfen. Ist das Universum notwendiger Körper Gottes, stellen sich angesichts des Leids in der Welt und der Unvollkommenheit des Kosmos die Fragen, wieso aus Vollkommenem (Gott) solch Unvollkommenes hervorgeht und vor allem, ob Gott selbst Leid und Böses angehören, wenn die Welt sein Körper ist, dem Leid und Tod angehören. Der Unterschied zwischen Gott und einem genius malignus wäre geschleift, und letztlich stellte sich dann die Frage, weshalb man an einen solchen Gott überhaupt glauben sollte. Es kommt hinzu, dass Leid und Böses als notwendige Momente des Werdens Gottes im Werden der Welt gerechtfertigt werden können, also als unvermeidbare Nebenfolgen des Prozesses. Man könnte versucht sein, darauf die traditionelle Antwort zu geben, dass Sein doch immer besser sei als Nichts und der Preis des Seins eben derjenige, dass dazu auch Leid und Böses gehören; dass es doch tröstlich sei zu wissen, dass auch Gott daran Anteil hat und es in sich aufnimmt. Aber was hat die leidende Kreatur davon, dass das Absolute mit ihm leidet? Denn unbeschadet des Lebensgenusses und der Lebensfreude ist es doch unbestreitbar, dass dieses Leben Fragment ist und bleibt. Darauf kann eine Perspektive, wonach – unbeschadet konkreten Leids – im Kosmos letztlich alles in einer großen Ganzheit aufgehoben ist, keine befriedigende Antwort geben.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

Und selbst dann, wenn man »Körper« nicht primär mit Ausdehnung, sondern vor allem mit dem Physischen identifiziert, ist zu fragen, ob der Kosmos dann mit dem Körper Gottes gleichgesetzt werden kann. Denn im Kosmos sind ja Mentales und Physisches vereint, er besitzt nicht nur physische Eigenschaften. Dann aber ist die Körpermetaphorik unzutreffend, es sei denn, man setzte bewusstseinstheoretisch einen physikalistischen Reduktionismus voraus und führte Mentales allein auf physikalische Prozesse zurück – womit man sich allerdings in das Problem der Austauschbarkeit mit naturalistischen Selbstund Weltdeutungen verstrickte. Man könnte einwenden, dass doch bestimmte Konzeptionen des Universums als Körper Gottes diesen auch als »konkreten« Pol Gottes und nicht allein als dessen »physischen« Pol bestimmen, gerade weil in ihm Mentales wie Physisches zugleich auftritt. Dann aber ist die Metapher »Körper« äquivok gebraucht, jedenfalls wenn man keinem Physikalismus in bewusstseinstheoretischer Hinsicht folgen möchte. Die Körpermetapher wäre somit nochmals genauer zu bestimmen, wenn sie auf Gott hin »glückend« ausgesagt werden soll. Zweitens sind die genannten Entwürfe ganz klar an Erkenntnisse der Naturwissenschaften anschlussfähig. Dies betrifft sowohl den Mikrokosmos als auch den Makrokosmos. Zu nennen sind hier nicht nur die bereits von Teilhard de Chardin oder Panikkar entfaltete Anschlussmöglichkeit an Evolutionstheorien – vorausgesetzt, man folgt nicht der klassischen These der Evolutionslehre vom Zufallsprinzip evolutionärer Entwicklung und vom survival of the fittest als Movens für die Entstehung unterschiedlicher Arten und deren Vergehen. Über die Evolutionstheorien hinaus gilt die Anschlussfähigkeit der hier behandelten Entwürfe vor allem auch für die im Anschluss an Einsteins Relativitätstheorie sowie an Plancks Quantenphysik formulierten Annahmen des Urknalls und der unendlichen Ausdehnung wie Schrumpfung des Universums; weiterhin Theorien zur Umwandlung von Masse in Energie und Emergenztheorien des Bewusstseins; Überlegungen zu Quarks, Fraktalen und zu Stringtheorien; Theorien der Selbstorganisation materieller Prozesse, die zur Entstehung von Leben und zu Bewusstsein führten und führen. Zwischen einer religiösen und einer naturwissenschaftlichen Weltdeutung besteht auf diese Weise kein Gegensatz mehr. Durch diese Anschlussfähigkeit scheint auch die Gefahr mythologischer und anthropomorpher Restbestände im christlichen Narrativ gebannt und Probleme, die mit solchen Mythologemen verbunden waren müssen dann auch theologisch nicht mehr gelöst werden. Die Anschlussfähigkeit wird jedoch nur dann auch mit religiösen Selbst- und Weltdeutungen und damit theologisch kompatibel sein, wenn man einen physikalischen Reduktio-

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nismus meidet und eben von einer Gleichursprünglichkeit von Mentalem und Physischem im Grund sowohl des Mikro- als auch des Makrokosmos ausgeht. Drittens wird auch eine sympathische Lösung für das Problem der Verhältnisbestimmung von individuellem und universalem »Leib Christi« angeboten: Jesus ist Exemplar des universalen Logos bzw. Christus, der Mikrokosmos entspricht dem Makrokosmos, doch fällt mit ihm nicht zusammen. Der kosmische Christus ist somit keineswegs mit Jesus numerisch identisch, womit sich das metaphorische Verständnis von »Christus« bzw. »Leib Christi« in kosmologischer Hinsicht als logisch Konsequenz einstellt; der Kosmos wird so gedeutet, »als ob« er »Leib Christi« wäre, aber er ist es nicht im univoken Sinn. Denn zwar kann Jesus als Vereinzelung des Allgemeinen verstanden werden, der Rückschluss vom Individuellen auf das Allgemeine ist aber umgekehrt nicht möglich: Jesus ist Christus, aber Christus mehr als Jesus.256 Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die »Leib Christi«-Metapher als Bezeichnung für den Kosmos letztlich dem überlieferten christlichen Sprachspiel entstammt und es sich somit um eine Explikation einer spezifisch christlichen Deutung des Universums, die realiter der Bestimmung des Universums nichts hinzufügt – das Gleiche gilt schon in Bezug auf die Deutung des Universums als Körper Gottes als Explikation einer religiösen Weltsicht. Viertens schließlich spielen, wie schon erwähnt, die problematischen Konstruktionen von Körper und Geschlecht, die auch den »Leib Christi« betreffen, keine Rolle mehr; zumindest scheinen sie ihre Macht und Bedeutung verloren zu haben: »Leib Christi« ist, kosmologisch gesehen, nicht mehr auf ein »männliches« Geschlecht festzulegen. Daher ist er auch nicht mehr als Legitimation für bestimmte Körperpraxen, für Regulierungen des Begehrens, für geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen, für Strukturen von Institutionen und letztlich für die Struktur der Kirche selbst nebst Amtsverständnis und Zulassungsbedingungen zum Amt heranzuziehen. Weder ist Gott »männlich« noch der Logos bzw. Christus noch Gottes Körper noch der »Leib Christi«. Wenn Christus mehr ist als Jesus, ist er nicht mit einem Mann identisch, und wenn

256 Sind Jesus und kosmischer Christus nicht univok, dann wird beim Konzept des kosmischen Leibes Christi eben nicht, wie Klaus Müller meinte, quasi ein christologisches Nadelöhr eingefädelt u.a. auch deshalb, weil mit der Absage an die numerische Identität von Jesus und (kosmischem) Christus auch die Deutung Jesu als Korporativpersönlichkeit hinfällig wird.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

er sich in einem jeglichen Dasein zu zeigen vermag, wenn er allen einwohnt, nicht nur Jesus, dann sind alle »Leib Christi«.257 Allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass trotz dieser Geschlechterneutralität des kosmischen Leibes Christi durchaus noch die Gefahr einer »männlichen« Konstruktion besteht, nämlich dann, wenn quasi subkutan doch noch von besagtem »christologischen Nadelöhr« ausgegangen und qua Analogieschluss vom individuellen, »männlich« gedeuteten Christuskörper auf den kosmologischen übergegangen wird. Man könnte anführen, dass dies dann nicht der Fall ist, wenn das Geschlecht des Körpers Jesu keine Bedeutung besitzt bzw. als Konstruktion von Körperdiskursen gekennzeichnet ist. Dies wirke dann auf den kosmischen Christusleib zurück. Doch unbeschadet aller Konstruiertheit von »männlich« und »weiblich« ist es doch unbestreitbar, dass die faktische Konstruktion der Männlichkeit Jesu so wirkmächtig ist, dass sie die Vorstellung des Leibes Christi bleibend bestimmt und demnach auch diejenige des kosmischen Leibes Christi bleibend bestimmen könnte. Der kosmische Christus hätte selbst bei noch so größtem Bemühen um Neutralität immer auch ein männlich bestimmtes Antlitz – dasjenige des Mannes Jesus aus Nazareth. Klaus Müllers Hinweis, dass unbeschadet der Univozität des kosmischen Leibes Christi mit Jesus dann doch wieder der analoge Sprachgebrauch zum Tragen käme, wenn es um die Bestimmungen des Leibes Christi gehe, geht hier fehl. Denn besagte Univozität untergräbt ja gerade den analogen Sprachgebrauch und damit die Offenheit der Bestimmungen bzw. das rein metaphorische Verständnis schon der Bezeichnung »Leib Christi«.258 Dann 257 Vgl. hierzu auch ausführlich Saskia Wendel: Christusrepräsentanz – performativer Akt verkörperter Existenz. In: Margit Eckholt/Johanna Rahner (Hg.): Christusrepräsentanz. Zur aktuellen Debatte um die Zulassung von Frauen zum priesterlichen Amt. Freiburg i.Br. 2021. 76-90. 258 Müllers polemische Bemerkung gegen die Frage nach der Geschlechtlichkeit des Leibes Christi, dass man nicht nur zu wenig, sondern auch zu viel fragen könne, und dass die »sehr moderne Gender-Frage nach dem Geschlecht des Leibes Christi« sich »unter Origenes-Niveau« erweise und das semantische Potenzial des Bildwortes überziehe (vgl. Müller: Kirche als Leib Christi. 232), kann man daher entgegnen, dass man erstens grundsätzlich niemals genug fragen kann, wenn es um eine »Hermeneutik des Verdachts« insbesondere auch den eigenen Vorstellungen und Positionen gegenüber geht; und zweitens, dass er offenbar a) das Superioritätsproblem der numerischen Identität von Jesus und Logos und der damit verknüpften Identitätslogik nicht nachvollziehen konnte – anders hätte er nicht auf die Idee kommen können, dass die analoge Sprachform bzw. das semantische Potenzial des Bildwortes hier Abhilfe schaffen könnte – und b) – das muss man leider so deutlich sagen – offensichtlich keine Kennt-

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gilt aber das gleiche wie hinsichtlich des soteriologischen und ekklesiologischen Leibes Christi und deren Problematik. Dies zeigt sich z.B. auch daran, dass etwa Teilhard de Chardin explizit Geschlechtermetaphorik gebraucht, wenn er von der »Weiblichkeit« der Materie spricht. Hier folgt Teilhard der traditionellen Sexualisierung des Hylemorphismus: die Form ist aktiv und »männlich«, der Stoff bzw. die Materie passiv und »weiblich«. Nicht nur der Hylemorphismus per se erweist sich hier in seiner Dichotomie von aktiver Form und passivem Stoff als problematisch zur Bestimmung der Verkörperung Gottes in der Welt, sondern auch die traditionelle Sexualisierung dieser dichotomen Verhältnisbestimmung, die dann wieder auf das Verständnis des kosmischen Christusleibes zurückwirkt. Man denke darüber hinaus nicht nur an die bereits erwähnte traditionelle Identifikation der Materie mit dem Weiblichen, sondern auch an Ausdrücke wie »Mutter Natur«, »Mutter Erde«, oder an die mythische Identifikation der Erde mit einer Göttin (Gaia). Wird Christus nun »männlich« vorgestellt, so könnte auch auf der kosmischen Ebene die Konstruktion sexueller Differenz greifen: einerseits Christus als formgebendes, mit dem Universum koexistierendes und ihm »beiwohnendes« bzw. einwohnendes Prinzip, andererseits das Universum als Christus empfangend, aufnehmend, sich passiv formen lassend, vergleichbar der geformten Materie (materia secunda). Erneut greift die Vorstellung sexueller Differenz und die Komplementaritätsthese von »männlich« und »weiblich«. Der kosmologische Gebrauch der »Leib Christi«Metapher führt somit keineswegs zwangsläufig aus den Machtdiskursen über Körper, Sexualität und Begehren, über Geschlecht heraus, sondern kann ihnen auch verhaftet bleiben. Wem das zu spekulativ, ja vielleicht auch etwa überspannt oder übertrieben erscheint, sei auf Naturmetaphern verwiesen, die eindeutig sexuell konnotiert sind, wie etwa der aufnehmende, empfangende, fruchtbare »Schoß der Erde«, oder der zu lüftende »Schleier der Natur«. Die Natur wurde, wie die Materie bzw. der Stoff, weiblich bestimmt: als hütende, nahrungsspendende Mutter, aber auch als gefährliche, unbezähmbare Wilde.259 Ein hervorragendes Beispiel dafür ist Francis Bacons Naturmetaphorik,

nis davon besaß, worum es in der Frage nach der Geschlechtlichkeit des Leibes Christi eigentlich geht. 259 Vgl. zur Analyse der Konstruktion der Natur als »weiblich«, verbunden mit sexueller Metaphorik, Carolyn Merchant: Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft. München 1987; vgl. auch Evelyn Fox Keller: Liebe, Macht und Erkenntnis. Männliche oder weibliche Wissenschaft? München-Wien 1986.

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

die voll von Ehemetaphorik und von sexuellen Bildern und Anspielungen ist, vergleichbar der bereits erläuterten Kirchenmetaphorik – bis hin zu klar gewalttätigen Konnotationen im Blick auf die Beherrschung und Kontrolle sowie den instrumentellen Gebrauch der Natur: »Bin ich doch zu dir gekommen, daß ich die Natur und alle ihre Kinder gebunden vor dich führe, damit sie dir dienen und du sie zu Sklaven machst.«260 Die Natur will erobert und unterworfen sein, und ihre Geheimnisse sind ihr ggf. mit Gewalt und den notwendigen Werkzeugen zu entreißen, vergleichbar der Folterung der Hexen: »Denn bei dieser Sache hat man nicht mehreres zu tun, als daß man die Spuren der Natur emsig nachspüre, wenn solche von selbst verirret, um sie an den Ort zu bringen, wohin man sie haben will. […] Auch ist wahrhaftig nicht an dem Eintritt und dem Durchdringen in diese verschloßnen Pläze, so wie an der Rükkunft zu zweifeln, wenn man sich einzig die Untersuchung der Wahrheit vornimmt; welches auch Ewr Majestät mit eigenem Beyspiel bestätiget hat.«261 Die Natur, so Bacon, ist »eine allgemeine Coqutte und im Grunde Hure«, die »durch die überwiegende Einigkeit der Dinge […] in der Ordnung gehalten«262 werden muss. Man kann gegen die These, dass auch Natur und mit ihr der Kosmos als »weiblich« konstruiert wurden, einwenden, dass etwa auch die Weltseele in antiken Philosophien »weiblich« konnotiert war oder dass es ja gerade Konzeptionen gibt, in denen Mentales und Physisches in einem Prinzip vereint vorgestellt werden. Darin seien die Entgegensetzung von »männlichem« Geist und »weiblicher« Natur aufgehoben bzw. der Kosmos selbst als Einheit von Mentalem und Physischem konzipiert, also nicht mehr nur als purer Stoff, Materie, physischer Pol o.ä. Doch erstens wurde die »Weltseele« ja in späteren christlichen Deutungen auch mit dem Logos identifiziert, der als »männlich« galt; und zweitens impliziert die Einheit von Mentalem und Physischem noch keineswegs die Aufhebung einer Konstruktion komplementär gestalteter sexueller Differenz. Auch im Einen vereintes Mentales und Physisches können zwei unterschiedliche und unterschiedene, wenn auch aufeinander bezogene

260 Francis Bacon: The Masculine Birth of Time. Zit. n. Merchant: Der Tod der Natur. 180f. 261 Ders.: Über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften. Verdeutscht von D. Johann Hermann Pfingsten (Pest 1783). II, 2. Zit. n. Merchant: Der Tod der Natur. 179. 262 Ebd. Zit. n. Merchant: Der Tod der Natur. 181.

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Aspekte darstellen und durchaus auch weiterhin mit sexualisierter Metaphorik belegt werden.263 Aus diesen Gründen gilt es unbeschadet der Neutralität des kosmischen Leibes Christi stets von Neuem den Geschlechterkonstruktionen auch des kosmischen Christuskörpers entgegenzuwirken; hier könnte Graham Wards Konzept der »Transkorporealität« des kosmischen Leibes Christi ein wichtiger Bezugspunkt sein. Über die genannten Punkte hinaus ist auch nochmals darüber nachzudenken, wie das Verhältnis von Gott und Welt näher zu bestimmen ist, das hinter den Konzeptionen eines kosmologischen Leibes Christi steht. Meist handelt es sich bei den vorgestellten Entwürfen um panentheistisch argumentierende Konzeptionen. Zu Recht wird angemerkt, dass es sich hier nicht um Pantheismus, also die Gleichsetzung von Gott und Kosmos, handelt. Vielmehr wird versucht, ein Verhältnis wechselseitiger Beziehung und Betroffenseins von Gott und Kreatur zu denken und so eine starre Entgegensetzung von Immanenz und Transzendenz, Bedingtem und Unbedingtem, Endlichem und Unendlichen ebenso zu unterlaufen wie die Identifizierung von Gott und Geist. Es wird ein Gottesverständnis formuliert, das mit der Bestimmung der Unveränderlichkeit Gottes bricht und es wagt, Gott Zeitlichkeit und Prozessualität einzuschreiben. Das alles sind unbestreitbare Errungenschaften panentheistischer Gotteslehren. Bislang stand ich diesen panentheistischen Perspektiven trotz ihrer Vorzüge kritisch gegenüber, weil ich sie zwar nicht mit Pantheismus identifiziert, aber doch mit Alleinheitslehren in eins bzw. zumindest zu diesen in Bezug gesetzt habe.264 Und diese sehe ich insofern 263 Dass eine differenzierte Einheit durchaus auch mit Geschlechtermetaphorik beschrieben wird, zeigt sich zum Beispiel auch an Konzeptionen der göttlichen Trinität, die das Pneuma als weiblich fassen, den Logos bzw. »Sohn« und den »Vater« aber als männlich, und so versuchen, der Trinität eine weibliche Seite einzuschreiben. Gewonnen ist damit nichts, vielmehr werden Geschlechterklischees in der Aufgabenzuschreibung fortgeschrieben, ohne die männliche Konstruktion Gottes als Urgrund (»Vater«) und schöpferisches, erhaltendes bzw. erlösendes und vollendendes Prinzip (»Sohn«) aufzusprengen: das »weibliche« Pneuma ist die vermittelnde Instanz zwischen Logos und Vater, das »Liebesband« in der immanenten Trinität, sowie »Beistand« und »Trösterin« des Menschen auf der Ebene der ökonomischen Trinität. Es ist die Instanz des Gefühls, der Liebe, des Willens, nicht aber des Intellekts und der Kreativität, zumal Letztere in der klassischen Trinitätslehre mit der Metapher der Zeugungskraft, nicht aber mit derjenigen der Geburt belegt wurde. 264 Vgl. zu meinen Einwänden gegen panentheistische Gotteslehren ausführlich Saskia Wendel: Theismus nach Kopernikus. Über die Frage, wie Gott in seiner Einmaligkeit zu-

3. »Leib Christi«, seine Bedeutung und seine Deutungen

als problematisch an, als sie einer Denkstruktur, die man mit Adorno als identitätslogisch bezeichnen kann: Die Identität regiert die Differenz, sie ist deren Ursprung wie auch deren Ziel (im Sinne der Aufhebung), und die Differenz – und mit ihr die Vielheit sowie das Einzelne und Besondere – lediglich ein in die Einheit aufzuhebendes Moment des Einen, das keinen bleibenden Selbststand besitzt. Dieses Problem sah ich auch im Panentheismus mit seiner These gegeben, dass »alles in Gott« sei.265 Verknüpft ist diese Identitätslogik oft mit einer partizipationsontologischen Annahme, dass das Einzelne am Allgemeinen Anteil hat, der Teil am Ganzen, das Moment am Universalen. Solche partizipationsontologischen Konzeptionen führen jedoch das Problem mit sich, dass sie Inklusionsmodelle sind, verbunden mit der Konstruktion von Asymmetrien und Abhängigkeitsverhältnissen. Nicht von ungefähr verband sich damit in antiken und mittelalterlichen Modellen eine Stufenontologie und die Konstruktion einer entsprechend hierarchisch strukturierten Ordnung auch in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht. Das Einzelne wird ins Allgemeine inkludiert, wird zu dessen Teil – und dies wiederum auf Kosten seiner Eigenständigkeit. Hinzu kommt eine ebenso problematische Metaphysik der Präsenz, denn die Vorstellung, dass das Universum als Körper Gottes zu verstehen ist, könnte im Sinne einer direkten Darstellung des Göttlichen interpretiert werden. Darüber hinaus sind monistische Metaphysiken auch naturalistisch durchbuchstabierbar: Eine Metaphysik naturalistischen Typs kann z.B. als Materialismus auftreten, wenn das Mentale entweder reduktiv in seiner Eigenständigkeit geleugnet oder nichtreduktiv als Epiphänomen des Physischen gedacht wird. Sie kann aber auch als nichtmaterialistischer

gleich Prinzip des Alls sein kann. In: Julia Knop/Magnus Lerch/Bernd J. Claret (Hg.), Die Wahrheit ist Person. Brennpunkte einer christologisch gewendeten Dogmatik. FS für Karl-Heinz Menke. Regensburg 2015. 17-46; dies.: Sendschreiben an einen christlichen Panentheisten. In: dies./Thomas Schärtl (Hg.): Gott – Selbst – Bewusstsein. Eine Auseinandersetzung mit der philosophischen Theologie Klaus Müllers. Regensburg 2015. 225-239.; dies.: Gott – Prinzip und Person zugleich. Eine prozesstheologisch inspirierte Verteidigung des Theismus. In: Ruhstorfer (Hg.): Das Ewige im Fluss der Zeit. 94-109. 265 Das »Welt in Gott«-Modell lässt sich zudem durch den Gebrauch der Worte verführen, in diesem Fall von der Verwechslung der transzendentalen Anschauungsform des Raumes mit einer Entität und demzufolge von Containermetaphorik. Gott ist jedoch keine unendliche Umfassung des unendlichen Alls und Container der Kreaturen, analog zu einer maximalen Menge, die alle möglichen Elemente in sich umfasst – das wäre nichts anderes »schlechte«, rein quantitativ gedachte Unendlichkeit, die im Übrigen jederzeit naturalisierbar ist, also auch ohne Gott gedacht werden kann.

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Naturalismus auftreten, wenn das Mentale nicht nur als ein eigenständiges Phänomen betrachtet wird, das aus dem Physischen hervorgeht bzw. seinen Ursprung letztlich in der Materie hat, sondern wenn es durchaus als nichtmaterielles Phänomen sui generis aufgefasst wird. Sein Ursprung ist jedoch in dieser Perspektive nicht ein »göttliches« Absolutes oder Gott, sondern nichts anderes als die Natur selbst, die in der Lage ist, aus sich selbst heraus Mentales hervorzubringen. Es ist dann allein eine Frage der Haltung, des Interesses, vielleicht auch des Erwünschten, ob man den Alleinheitsgedanken nichtnaturalistisch oder naturalistisch interpretiert. Religiöse und naturalistische Selbst- und Weltdeutungen werden somit austauschbar, und es könnte sich ggf. als konsequenter erweisen, auf die Gotteshypothese als Prinzip des Kosmos zu verzichten. Die Deutung der Welt als Körper Gottes erwiese sich dann nur noch als unnötige Zusatzannahme, die man etwa in der Suche nach einer »schlanken« Theorie bzw. Ontologie und Kosmologie streichen kann. Mittlerweile bin ich allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass man bestimmte theologische Modelle, die sich auch positiv auf den Panentheismus beziehen, wie etwa dasjenige Catherine Kellers, nicht notwendigerweise mit Alleinheitslehren in Verbindung bringen muss. Oder noch mehr: Es steht für mich mehr und mehr in Frage, ob panentheistische Konzeptionen durchweg monistisch infiltriert sind – das war bekanntlich die These Klaus Müllers gewesen. Doch Cusanus’ Koinzidenzgedanke z.B. lässt sich auch anders interpretieren denn als einem monistischen Tiefenstrom zugehörig, und das gilt auch für andere Traditionen, so etwa die Spätphilosophie Fichtes, und auch für bestimmte prozesstheologische Konzepte.266 Gegebenenfalls lassen sich eher Verbindungslinien zu relationalen Ontologien ziehen sowie zu Konzeptionen des Offenen Theismus denn zu klassischen Alleinheitslehren. Das hätte dann auch Konsequenzen für kosmologische »Leib Christi«-Theologien. Vor diesem Hintergrund könnte dann auch die »Leib Christi«-Metapher glückend verwendet werden.

266 Anders formuliert: Möglicherweise habe ich meine Kritik an monistischen Metaphysiken zu Unrecht unterschiedslos auf alle Modelle hin erweitert, die einem Panentheismus gegenüber offen sind, und dies aufgrund der These, dass der Panentheismus eine Variante monistischer Metaphysik darstellt. Hier wäre aber womöglich stärker zu differenzieren, so dass die Nähe zu Theismen, die sich vom klassischen Theismus verabschiedet haben, deutlich zu Tage treten.

4. Wie noch vom »Leib Christi« sprechen? Ein Ausblick auf eine zukünftige »Leib Christi«Theologie

Die »Leib Christi«-Metapher hat meiner Ansicht nach dann Zukunft, wenn man ihren Gebrauch in soteriologischer, ekklesiologischer und kosmologischer Hinsicht neu justiert. Im Blick auf die soteriologische Bedeutung sollte man sich vom Gedanken eines universalen »Heils«-Körpers bzw. Raumes trennen: »Heil« ist kein Raum, keine ausgedehnte Substanz, auch kein alles umfassender Körper, und insofern treffen auch alle Raummetaphern nicht, um erhofftes Heil zu bezeichnen. Zeichen des erhofften Heils sind dagegen Ereignisse, in denen Heil anfanghaft aufscheint, antizipiert wird, sowie Personen, die »heilsam« handeln und Heil erwirken. In diesem Sinne kann auch das Handeln Jesu, das er in seiner verkörperten Existenz vollzieht, seine Körperpraxis also, als Heilshandeln verstanden werden. »Leib Christi« wäre solcherart durchaus ein Zeichen des Heils, jedoch nicht in universaler, korporativer Gestalt, sondern als der individuelle, sterbliche Leib Jesu, der verdeutlicht, was allen, was einer jeden verkörperten Existenz verheißen und prinzipiell möglich ist. Heilsbedeutung kommt ihm darin zu, dass in jenem konkreten Leib Jesu – in seinem Handeln – insofern Heil zum Ausdruck kam, als in ihm aufschien, was »Leben in Fülle« bedeuten könnte, wäre es denn allumfassend realisiert und Gott »alles in allem«. Die Rettung kommt nicht durch eine erlösende Teilhabe an einem korporativen Leib, sondern durch ein Handeln, das dem Tun Jesu entspricht, ob es sich explizit christlich nennt oder nicht. Dieses Heilshandeln schließt niemanden aus, aber auch niemanden unfreiwillig ein; es rekrutiert und missioniert nicht. Die Alternative zum Gedanken des universalen Leibes Christi im Sinne einer erlösenden Korporativpersönlichkeit ist also die Rückwendung hin zum individuellen »Leib Christi«.

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Die »Leib Christi«-Metapher

Hinsichtlich der ekklesiologischen Bedeutung von »Leib Christi« nun könnte man vermuten, dass angesichts der erläuterten Probleme die Alternative in anderen, ebenfalls tradierten Grundbestimmungen der Kirche liegt: die Bestimmung der Kirche etwa als Communio oder als Volk Gottes. Doch in beiden Grundbestimmungen wirken die Probleme tradierter ekklesiologischer »Leib Christi«-Metaphorik durchaus subkutan weiter. Die Bestimmung der Kirche als Communio impliziert durchaus noch das Organismusmodell bestimmter »Leib Christi«-Ekklesiologien und bedeutet so keineswegs per se schon die Idee einer Gemeinschaft von Gleichen, sondern eine Art Ständekorporatismus von Klerikern, Laien und Ordensleuten. Zudem bleibt undeutlich, wie sich Individuum und Gemeinschaft hier zueinander verhalten: Konstituieren die Einzelnen die Gemeinschaft durch ihre eigene Glaubensentscheidung und stiften so Kirche gleichsam durch eine Souveränität »von unten«? Oder ist dieses Verhältnis durch Teilhabe im ontologischen Sinn und damit »von oben« her bestimmt? Dann hätte man das Problem nicht gelöst, sondern nur unter anderer Metaphorik wiederholt. Die Volk-Gottes-Metapher wiederum weist das Problem auf, dass unklar ist, welcher Genitiv hier regiert: genitivus obiectivus (das Volk, das Gott zugehört) oder subiectivus (das Volk, das sich auf Gott bezieht, zu dem es sich bekennt)? Die Zugehörigkeit weist dann wieder auf das Problem von Inklusion und Exklusion hin, zumal sich die Frage stellt, was dieses Volk zum »Volk Gottes« macht, was seine Identität bestimmt: ein gemeinsames Wesen, bestimmt durch Zugehörigkeit und Gefolgschaft zu seinem »Herrn«, oder ein kollektiver Wille, der es eint und in dem alle Einzelwillen aufgehoben sind? Hier ist auch zu bedenken, dass die Volk-Gottes-Metapher ein Gottesbild voraussetzt, dass Gott immer noch als beherrschendes Gegenüber dieses Volkes konstruiert, eben als »Herrn« im Sinne eines Souveräns, der seinem Volk gebietet. Dazu trägt auch ein Missverständnis von Freiheit und Allmacht Gottes im Sinne von absoluter Souveränität bei: Gott beherrscht sein Volk aufgrund unumschränkter Entscheidungsgewalt (Dezision); dieser Dezisionismus überträgt sich folgerichtig auf die Herrschaftsausübung in der ihm zugehörigen Kirche, der er einwohnt. So wie Gott nach einem top-down-Modell regiert, so tun dies auch die, die ihn in seinem »Körper« verkörpern. Auch die Metapher »Volk« kann also die Perspektive einschließender Ausschließung implizieren. Wenn aber alle drei tradierten ekklesiologischen Grundbestimmungen Probleme mit sich bringen, worin könnte dann eine tragfähige Alternative bestehen? Meines Erachtens könnte sich, wie schon im Blick auf die soteriologische Bedeutung von »Leib Christi«, auch hier die Rückkehr zur individuellen

4. Wie noch vom »Leib Christi« sprechen?

Bedeutung von »Leib Christi« als hilfreich erweisen. Hier lässt sich durchaus an die paulinische Zusage »Ihr aber seid Leib Christi!« anknüpfen, wenn man diese nicht mehr als Formulierung eines Korporativgedankens interpretiert. »Leib Christi« ist dann keine vorgegebene ontologische Größe, an der alle partizipieren, sondern Bezeichnung für diejenigen, die erstens ihre verkörperte Existenz als Ausdruck, als Inkarnation Gottes deuten, die sich in einem jeden bewussten Dasein schon vollzieht und insofern als Bild Gottes gedeutet werden kann; und die sich dabei zweitens auf eine besondere Gestalt jener Inkarnation Gottes beziehen, die sich ihrer Überzeugung gemäß im »Gesalbten« Jesus von Nazareth, im individuellen »Leib Christi«, vollzogen hat. In Bezug auf ihn entwerfen sie ihre eigene Existenz als »Leib Christi«, sind, paulinisch formuliert, alle »Leib Christi«. »Leib Christi« bezeichnet so weder Kollektiv noch allumfassenden Körper, sondern jede einzelne Christin, jeden einzelnen Christen, die und der sich in ihrem und seinem Lebensvollzug in die Nachfolgepraxis Jesu stellen. Daraus folgt eine konkrete Bestimmung von Kirche, die sich offensiv auf eine der ursprünglichen Bezeichnungen für die Kirche bezieht: ecclesia, »die Herausgerufene«. Die Kirche wird durch Menschen konstituiert, die sich als dazu herausgerufen verstehen, Jesus von Nazareth nachzufolgen, seinem Beispiel, das er gegeben hat, seiner Art und Weise, Gott zu verkörpern und so neue Wirklichkeit entstehen zu lassen, in der universales Heil, Erlösung, Befreiung momenthaft aufscheinen können. Diese dynamische Praxis der Nachfolge ist wesentlich Körperpraxis, Vollzug verkörperter Existenz im Blick auf diejenige verkörperte Existenz, die »Leib Christi« genannt wird. Hinsichtlich der Bestimmung der Kirche als ecclesia kann jedoch noch ein weiterer Bezug zum »Leib Christi« hergestellt werden, an den sich zukünftig anknüpfen ließe. In der Antike bezeichnete man mit dem Ausdruck ecclesia auch die Volksversammlung, und dies lässt sich auch auf die Kirche übertragen. Ecclesia ist die Versammlung derer, die zur Nachfolge Jesu herausgerufen sind und die Nachfolgepraxis vollziehen. »Ihr aber seid Leib Christi!«, dies richtet sich also an die Gemeinschaft derjenigen, die sich explizit in die Nachfolgepraxis Jesu stellen, so wie dieser Heil verkörpern und darin in der Performanz von Körperpraxen neue Wirklichkeit kreieren. Im Anschluss an Judith Butlers Überlegungen zur performativen Macht der Versammlung1 ließe sich hier eine entsprechende Ekklesiologie entwerfen, 1

Vgl. Judith Butler: Anmerkungen zu einer performativen Macht der Versammlung. Berlin 2016.

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in deren Zentrum dieser Gedanke der Performativität steht, die gemeinschaftlich ausgeübt wird: In der gemeinsamen körperlichen Inszenierung, der pluralen Form von Performativität,2 wird etwas kundgetan und zugleich mitten im Bestehenden etwas neu begonnen, momenthaft neue Wirklichkeit gesetzt und vorweggenommen: »Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet.« (Mt 11,5) Dieses Heilsversprechen mitten in unheilen Zuständen momenthaft Wirklichkeit werden zu lassen, das ist die performative Macht der Versammlung, die sich ecclesia nennt.3 In Bezug auf die kosmologische Perspektive von »Leib Christi« lässt sich durchaus an die erläuterten Konzeptionen anschließen. Hierzu ist zunächst eine Bestimmung des Gott-Welt-Verhältnisses zu entwerfen, in dem Gott als Prinzip des Universums konzipiert wird, das als in sich differenzierte Einheit bzw. Einheit in Differenz verstanden wird: der göttliche Grund ist das einigende Prinzip sämtlicher Vermögen göttlichen bewussten Lebens. Hieran ließe sich trinitarisch anknüpfen, etwa wenn der Logos als göttlicher Intellekt und das pneuma als Vermögen des Willens und des Begehrens interpretiert werden, als distinkte Weisen der Existenz und des Vollzuges göttlichen bewussten Lebens, in und durch die Gott sich auf sich selbst und das bezieht, was aus ihm ist. Zugleich kann Gott als Koinzidenz des Unterschiedenen begriffen werden, und das göttliche Prinzip, der göttliche Grund, ist quasi das Scharnier, das einigende Moment dieser Koinzidenz, die darin ihre Möglichkeitsbedingung besitzt. Das ist etwas anderes, als den Grund als absolute Einheit noch vor aller Differenz zu bestimmen bzw. analog zum Hegelianischen Gedanken der Identität noch von Identität und Differenz. Identität und Differenz koinzidieren, d.h.: sie fallen in eins, doch ohne dabei in eine sie umgreifende Identität aufzugehen. In jenem göttlichen Grund als Koinzidenz des Unterschiedenen koinzidieren denn auch Mentales und Physisches auf gleichursprüngliche Art und Weise. Weder geht Mentales aus Physischem hervor noch umgekehrt Physisches aus Mentalem. Sie entspringen nicht aus dem göttlichen Grund, sondern gehören ihm immer schon zu und bestimmen ihn in seinem Sein, seiner Existenz. Das Universum nun kann als Explikation Gottes verstanden werden, also ein aus Gott selbst Hervorgehendes – das ist die zutreffende Intuition panentheistischer Entwürfe. Schöpfung ist keine Schöpfung aus nichts, sondern aus 2 3

Vgl. ebd. 16. Vgl. hierzu auch ausführlich Wendel: Christusrepräsentanz.

4. Wie noch vom »Leib Christi« sprechen?

Gott selbst: creatio originans. Als aus Gott Hervorgehendes kann das Universum auch als Selbstausdruck, Erscheinung (Apparition) bzw. Bild Gottes begriffen werden, nicht als bloßes Abbild eines Urbildes, sondern als Zur-ErscheinungKommen des Absoluten im Endlichen und als Endliches. Doch gerade deshalb handelt es sich beim Verhältnis von Gott und Welt um kein Einheitsverhältnis, sondern um eines der Identität in bleibender Differenz, oder anders gesagt: um ein Verhältnis der Koinzidenz von Gott und Universum. Das bedeutet aber auch: Gott ist nicht mit der Welt identisch noch umgekehrt die Welt mit Gott. Gleichwohl aber gehört die Welt Gott nicht einfach als Teil und Moment zu, wie die Formulierung »Welt in Gott« suggeriert. Sie ist vielmehr von Gott in eine Eigenständigkeit gesetzt, die diese Inklusion in Gott beständig unterläuft. Zwischen Gott und seinem Bild, dem Universum, besteht folglich ein relationales Verhältnis, das sich auch als personales Verhältnis bezeichnen lässt, wenn man den Personbegriff als Relationsbegriff versteht und nicht mit dem Begriff des Individuums fälschlicherweise gleichsetzt. Wenn das Universum Ausdrucksform Gottes ist, Gottes große Explikation, dann hat sich Gott eher der Welt ganz zu eigen gemacht als deren momenthaft aufscheinender Grund und Ursprung denn umgekehrt sich die Welt zu eigen gemacht als ein Moment seiner selbst. In diesen Grund und Ursprung faltet sich das Universum wiederum ein, zieht sich in sich selbst zusammen, doch gerade darin wird es nicht zum Teil Gottes, gehört ihm nicht an wie ein Teil einer Menge, wird auch nicht schlichtweg aufgesogen oder ihrer Eigenständigkeit beraubt. Als Gottes große Explikation kann das Universum als Körper Gottes verstanden werden, jedoch eben nicht im Sinne einer unendlichen Ausdehnung bzw. als physischer Pol Gottes, sondern als in diesem Sinne transkorporeal. Und auf diesen transkorporealen Körper Gottes kann denn auch im christlichen Sprachspiel die »Leib Christi«-Metaphorik angewendet werden, vorausgesetzt, man trennt sich wie oben angedeutet von der Vorstellung einer numerischen Identität Jesus = Christus = Gott und begreift »Christus« als Bezeichnung für eine der o.g. Existenzweisen und Vermögen Gottes.

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Religionswissenschaft Jürgen Manemann

Revolutionäres Christentum Ein Plädoyer 2021, 160 S., Klappbroschur 18,00 € (DE), 978-3-8376-5906-1 E-Book: PDF: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5906-5 EPUB: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5906-1

Volkhard Krech

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Nina Käsehage (ed.)

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Religionswissenschaft Claudia Gärtner

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