Die Haftung juristischer Personen für ihre Organe im internationalen Privatrecht [1 ed.] 9783428470662, 9783428070664

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Die Haftung juristischer Personen für ihre Organe im internationalen Privatrecht [1 ed.]
 9783428470662, 9783428070664

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Schriften zum Internationalen Recht Band 53

Die Haftung juristischer Personen für ihre Organe im internationalen Privatrecht

Von

Gerrit Schohe

Duncker & Humblot · Berlin

GERRIT SCHOHE

Die Haftung juristischer Personen für ihre Organe im internationalen Privatrecht

Schriften zum Internationalen Recht Band 53

Die Haftung juristischer Personen für ihre Organe im internationalen Privatrecht

Von Dr. Gerrit Schohe

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme Schohe, Gerrit: Die Haftung juristischer Personen für ihre Organe im internationalen Privatrecht / von Gerrit Schohe. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 53) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1988 ISBN 3-428-07066-6 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin 36 Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-07066-6

Vorwort Diese A r b e i t hat der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i. B r . i m W i n t e r 1987/1988 als Dissertation vorgelegen. I c h danke allen, die zu ihr beigetragen haben: H e r r n Prof. D r . Peter Schlechtriem, der das Thema angeregt u n d m i r gezeigt hat, daß es w i r k l i c h „Rechtswissenschaft" gibt u n d wie man sie betreiben m u ß ; der Konrad-Adenauer-Stiftung, die die Arbeit

durch ein Stipendium gefördert

hat; den vielen

wohlwollenden

Gesprächspartnern schließlich, deren W i t z , Originalität u n d Duldsamkeit mich bestärkt u n d bereichert haben. Das n u n vorliegende B u c h widme ich meinen Eltern. A p r i l 1991

Gerrit Schohe

Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Einführung in die Problematik II. Überblick über den Gang der Darstellung

23 24

Erster Teil Bestandsaufnahme § 1. Deutsche Rechtsprechung zur Anknüpfung der Organhaftung juristischer Personen

25

I. Behandlung der Anknüpfung der Organhaftung als besondere kollisionsrechtliche Frage

25

II. Auslandsbezogene Entscheidungen über schädigendes Organverhalten ohne ausdrückliche kollisionsrechtliche Einordnung der Zurechnungsfrage: Eine Untersuchung der Gründe über das Fehlen entwickelter Lösungen in der deutschen Rechtsprechung

27

1. Stillschweigende Anlehnung der Anknüpfung der Organhaftung an die Anknüpfung deliktischer Ansprüche nach der Tatortregel . . .

28

a) Kollisionsrechtliche Vernachlässigung der Zurechnungsfrage durch Erstreckung des mit Rücksicht auf sonstige Gesichtspunkte bestimmten Tatortrechts auf die Organhaftung

28

aa) Bestimmung des Tatorts allein mit Rücksicht auf die Anwendung deutschen Rechts

29

bb) Bestimmung des Tatorts aHein mit Rücksicht auf die Durchsetzung einer bestimmten Wettbewerbsordnung

31

b) Anlehnung an die Deliktsanknüpfung auch bei tragender Bedeutung der Anknüpfung der Organhaftung für die Entscheidung des Rechtsstreits

34

2. Unerheblichkeit der Anknüpfung der Organhaftung für die Entscheidung des Rechtsstreits

36

a) Unerheblichkeit der Anknüpfung aus kollisionsrechtlichem Grund

36

aa) Übereinstimmung des Personalstatuts der juristischen Person mit dem Deliktsstatut

36

bb) Übereinstimmung des Personalstatuts der juristischen Person mit dem Statut einer anspruchsbegründenden Sonderbeziehung

38

nsverzeichnis cc) Abweisung der Klage wegen Unbegründetheit des Deliktsanspruchs nach deutschem Recht (Art. 38 EGBGB n.F. bzw. Art. 12 EGBGB n.F.)

39

b) Unerheblichkeit der Anknüpfung der Organhaftung infolge Unerheblichkeit der Organhaftung selbst

40

aa) Unerheblichkeit der Organhaftung und mithin ihrer Anknüpfung wegen Fehlens zurechenbarer Verschuldenstatsachen

40

bb) Unerheblichkeit der Organhaftung und mithin ihrer Anknüpfung wegen Vermutung einer an sich zurechnungsbedürftigen Anspruchsvoraussetzung

42

cc) Sonstige materiellrechtliche Gründe für die Unerheblichkeit der Anknüpfung der Organhaftung

42

3. Übergehung der Anknüpfung der Organhaftung

45

a) Erklärliche Übergehung der Anknüpfung

45

aa) Materiellrechtliche Prüfung der Organhaftung nach allen beteiligten Rechten mit je gleichem Ergebnis

45

bb) Stillschweigende Erstreckung einer Parteivereinbarung über das Deliktsstatut auf die Organhaftung

46

b) Unerklärliche Übergehung der Anknüpfung

48

4. Übergehung der materiellrechtlichen Prüfung der Organhaftung a) Übergehung der materiellrechtlichen Prüfung infolge Vernachlässigung der Verbandseigenschaft der beklagten Partei

51

b) Unerklärliche Übergehung der materiellrechtlichen Prüfung

..

52

5. Anknüpfung der Organhaftung an das Personalstatut der juristischen Person

53

51

I I I . Die Sicht eines Praktikers

55

I V . Zur Unwahrscheinlichkeit einer Formulierung und Lösung des Problems durch die Gerichte

56

§ 2. Deutsche Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen I. Haftung für Leute

59 59

1. Haftung für Treuhänder

59

2. Amtshaftung

60

3. Gehilfenhaftung und Reederhaftung

61

II. Haftung für fremde Verbindlichkeiten

65

1. Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer des Schädigers

65

2. Mithaftung der Gesellschafter einer Personengesellschaft für derén Schuld

67

3. Gesellschaftsrechtliche Durchgriffshaftung

68

nsverzeichnis

9

I I I . Gefährdungshaftungen

70

I V . Stellvertretung

72

1. Zurechnung von Wissen

72

2. Gesetzliche Vertretungsmacht der Organe

73

V. Zurechnung eigener Rechtsgeschäfte

73

V I . Synthese: Drei Grundwertungen der deutschen Rechtsprechung bei der Anknüpfung von Zurechnungsfragen § 3. Deutsches Schrifttum

75 77

I. Anknüpfung der Organhaftung juristischer Personen an das Deliktsstatut

77

1. Die Argumente für eine deliktsrechtliche Anknüpfung der Organhaftung

77

2. Vorschläge zur Anwendung der berufenen Organhaftungsnorm

. .

78

II. Anknüpfung der Organhaftung juristischer Personen an das Personalstatut

79

III. Gemischte Theorien

80

1. Kumulative Anwendung des Deliktsstatuts und des Personalstatuts der juristischen Person

80

2. Alternative Anwendung des Deliktsstatuts und des Personalstatuts der juristischen Person

80

§ 4. Ausländische Stimmen

82

I. Schweiz

82

1. Organhaftung nach dem Recht des Gesellschaftssitzes: Ein alter Bundesgerichtsentscheid und seine Rechtfertigung im Schrifttum . .

82

2. Anknüpfung der Organhaftung juristischer Personen an das Deliktsstatut

85

3. Sonstige Meinungen im schweizerischen Schrifttum

86

4. Der schweizerische Entwurf eines IPR-Gesetzes (1978)

87

II. Österreich

88

1. Rechtsprechung und Lehre vor dem IPR-Gesetz vom 15. 6. 1978 . .

88

2. Die Rechtslage nach dem IPR-Gesetz vom 15. 6. 1978

89

I I I . Liechtenstein

92

I V . Frankreich

93

V. Belgien V I . Ein Fall aus Luxemburg

98 99

nsverzeichnis V I I . Niederlande

101

VIII. Italien

103

I X . U.S.A

103

1. Vorbemerkung und Überblick

103

2. „Charitable Immunity" unter dem Einfluß des ersten Restatement

104

3. „Charitable Immunity" unter dem Einfluß der „neuen Ansätze" . . 106 4. Materiellrechtliche Lösung

110

5. Entscheidungen ohne Bezüge zu „charitable immunity"

110

§ 5. Staatsverträge und Regelvorschläge

113

I. Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht 113 II. Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht 113 I I I . Vorentwurf eines EWG-Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht

114

I V . EWG-Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen 114 1. Die Bedeutung der Anerkennung für die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts und der Organhaftung 115 2. „Deliktsfähigkeit" einer Gesellschaft oder juristischen Person als Folge ihrer Anerkennung 116 V. Der Vorschlag der International Law Association

116

V I . Der Vorschlag des Institut de Droit International

117

V I I . Die siebte Haager Konferenz für IPR (9. bis 31. Oktober 1951)

...

117

Zweiter Teil Lösungen § 6. Vorüberlegungen

120

I. Zur Verfeinerung der kollisionsrechtlichen Fragestellung und ihrer dogmatischen Einordnung 120 II. Normative Vorgaben

122

1. Das Diskriminierungsverbot von Art. 7 Abs. 1 des E WG-Vertrags 122 2. Die Bedeutung des Art. 38 EGBGB (Art. 12 EGBGB a.F.)

...

123

nsverzeichnis

11

I I I . Der Sinn der materiellrechtlichen Zurechnungsnorm und sein Niederschlag im IPR 123 1. „Eigenhaftung" der juristischen Person als Sinn der materiellrechtlichen Zurechnung: Eine Auseinandersetzung mit der Vorstellung von der Organhaftung in der deutschen Rechtsprechung 124 2. Rechtsgüterschutz als Sinn der materiellrechtlichen Zurechnungsnorm: Eine Auseinandersetzung mit der Lösung von Beitzke (1977) 127 I V . Internationalprivatrechtliche Interessen (Exkurs)

130

§ 7. Grundsätze der Anknüpfung der Organhaftung und der Auslegung der berufenen Sachnorm (entwickelt für Schädigungen infolge eines unvorsätzlichen Zusammenstoßes des Organs mit dem Geschädigten außerhalb einer Sonderbeziehung) 134 I. Parteiinteressen

134

1. Interessen des Geschädigten

134

2. Interessen der juristischen Person

136

a) Zusammenhang der Organhaftung mit der Organisation der juristischen Person 136 b) Einheitliche Beurteilung der Organhaftung nach dem Personalstatut der juristischen Person 140 c) Kein Interesse der juristischen Person an der Anwendung des Tatortrechts 143 3. Interessen des Organs

144

4. Abwägung der Parteiinteressen

148

5. Ausgleich zwischen den Parteiinteressen

151

a) Folgerungen aus der Interessenlage

151

b) Im besonderen: keine alternative Anknüpfung

151

II. Verkehrsinteresse

156

I I I . Ordnungsinteressen am Einklang der Organhaftung mit der Haftung und sonstigen Zurechnungsformen: Kollisionsrechtliche Lösungen zur Verhütung und materiellrechtliche Lösungen zur Heilung von Normenwidersprüchen 157 1. Wege zum Einklang von Haftung und Haftungszurechnung: Überwindung von Normenwidersprüchen infolge verschiedener und infolge gleicher Anknüpfung der beiden Fragen 157 a) Erscheinungsformen der Normenwidersprüche

157

aa) Erscheinungsform bei Maßgeblichkeit des Personalstatuts der juristischen Person für die Organhaftung: Zusammentreffen scharfer bzw. milder Haftungs- und Zurechnungsformen 157

nsverzeichnis bb) Erscheinungsformen bei Maßgeblichkeit des Haftungsstatuts für die Organhaftung: Unstimmigkeiten zwischen der Organhaftungnorm des Haftungsstatuts und der Organisation der juristischen Person 158 b) Grundriß und Vergleich der Abhilfen für die beiden Erscheinungsformen des Normenwiderspruchs

161

aa) Kollisionsrechtliche Lösungen und ihre Bewertung anhand der materiellrechtlichen Ergänzungen 161 bb) Materiellrechtliche Lösung bei Maßgeblichkeit des Personalstatuts für die Organhaftung: Anpassung der berufenen Sachnormen an den Inhalt eines der berufenen Rechte . . 161 cc) Materiellrechtliche Lösung bei Maßgeblichkeit des Haftungsstatuts für die Organhaftung: Die Suche nach Entsprechungen zwischen dem gemeinten und dem angesprochenen Normgegenstand 163 dd) Vergleich der materiellrechtlichen Lösungen

166

c) Die Durchführung der materiellrechtlichen Lösung bei Maßgeblichkeit des Haftungsstatuts für die Organhaftung 167 aa) Die zurechnungsbegründenden Eigenschaften des unmittelbaren Täters 167 bb) Der Zusammenhang der Tat mit den Geschäften des belangten Gebildes 172 cc) Die Auswahl der Zurechnungssubjekte

174

Wege zum Einklang von Organhaftung und sonstigen Zurechnungsformen: Einheitliche Anknüpfung aller Zurechnungsformen oder Angleichung der berufenen Zurechnungsnormen aneinander? . . 179 a) Begründung eines Ordnungsinteresses am Gleichlauf aller Zurechnungsformen 179 b) Aufgabe divergierender Anknüpfungen im Interesse an Einheitlichkeit? 180 aa) Vorrang des Interesses am Gleichlauf der Organhaftung und der Haftung des Organs 181 bb) Mithaftung der Gesellschafter: Keine Aufgabe der Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut 181 cc) Durchgriffshaftung der Gesellschafter: Keine Aufgabe der Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut 182 dd) Organhaftung und Haftung des Organs: Keine Aufgabe der Anknüpfung an das Deliktsstatut 184 ee) Ergebnis und Würdigung

184

c) Normenwidersprüche infolge uneinheitlicher Anknüpfung der Zurechnungsformen und Widerspruchsfreiheit durch Angleichung 185 aa) Erscheinungsformen beiderseitiger Normenwidersprüche

186

bb) Heilung beiderseitiger Normen Widersprüche

186

nsverzeichnis

13

α) Heilung bei Schuldnermangel

187

ß) Heilung bei Schuldnerhäufung

189

γ) Heilung bei beiderseits ungewollter Koinzidenz von 1 Rechtsfolgen 191 cc) Einseitige Normenwidersprüche IV. Das Ordnungsinteresse an einer durchsetzbaren Entscheidung V. Das Ordnungsinteresse am äußeren Entscheidungseinklang § 8. Sonderfälle

193 ....

193 196 198

I. Schädigungen bei Verbundenheit der juristischen Person und des Geschädigten mit demselben Recht 199 II. Schädigungen nach Anbahnung eines Kontakts, aber außerhalb einer Sonderbeziehung zwischen dem Geschädigten und der juristischen Person 202 III. Schädigungen im Rahmen einer schon bestehenden rechtlichen Sonderbeziehung 208 1. Die Qualifikation von Rechtserscheinungen als vertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer 209 2. Die Anknüpfung der Organhaftung als spezifisch vertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer 214 a) Anknüpfung der Organhaftung bei Ansprüchen aus Vertrag allein 215 b) Anknüpfung der Organhaftung bei Konkurrenz vertraglicher und deliktischer Ansprüche des Geschädigten 218 aa) Anknüpfung der Organhaftung im Falle akzessorischer Anknüpfung der deliktischen Ansprüche 218 bb) Anknüpfung der Organhaftung im Falle von Anspruchskonkurrenz ohne akzessorische Anknüpfung der deliktischen Ansprüche 220 I V . Schädigungen durch Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten . . . 224 1. Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten gegenüber „Außenstehenden" 224 a) Verletzung von Pflichten aus dem Statut einer anderen als der belangten Gesellschaft 224 aa) Anknüpfung der Organhaftung im Falle akzessorischer Anknüpfung aller Haftungsgrundlagen an das Statut der verletzten gesellschaftsrechtlichen Pflicht 225 bb) Anknüpfung der Organhaftung im Falle von Anspruchskonkurrenz ohne akzessorische Anknüpfung 225 b) Verletzung von Pflichten aus dem Statut der belangten Gesellschaft 228

nsverzeichnis 2. Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten gegenüber „Innenstehenden" 232 3. Zur Qualifikation der verletzten Pflichten und der Haftungsgründe V. Herausgeforderte Deliktstaten

232 233

1. Das Parteiinteresse des Geschädigten

235

2. Sonstige Interessen und Interessenabwägung

237

V I . Organisationsmängel

239

1. Die Beschränkung des Begriffs „Organisationsmangel" auf das deutsche Recht 239 2. Kollisionsrechtliche Unterscheidung nach den Funktionen der Lehre vom Organisationsmangel im deutschen Recht 241 a) Erste Funktion: Gleichstellung juristischer und natürlicher Personen bezüglich der Haftung aus Verkehrssicherungspflichten 242 b) Zweite Funktion: Organhaftung über den Organbegriff hinaus 243 c) Dritte Funktion: Begründung und Haftung für echte Mängel in der Organisation 244

§ 9. Zusammenspiel der Lösungen mit sonstigem Recht I. Gehilfenhaftung II. Rückgriff unter den Haftenden

247 246

.

247

1. Die Anknüpfung des Rückgriffs

247

2. Materiellrechtliche Durchführung des Rückgriffs

249

a) Anwendung der Rückgriffsregeln des Personalstatuts auf dem Personalstatut unbekannte Haftungslagen 250 b) Rückgriffsbehinderung infolge einer Divergenz zwischen Haftungs- und Personalstatut bezüglich der Passivlegitimation der Rückgriffsparteien gegenüber dem Geschädigten 251 c) Zur Höhe des Rückgriffs

253

III. Organhaftung und gesetzliche Vertretungsmacht der Organe: Verträglichkeit der Anknüpfungen miteinander und Konvergenz bei Zutreffen gegenläufiger kollisionsrechtlicher Ausnahmeregeln 254 1. Widersprüche infolge divergierender Anknüpfung von rechtsgeschäftlicher und sonstiger Zurechnung? 255 2. Konvergenz der Anknüpfungen als Begleitwirkung kollisionsrechtlicher Ausnahmeregeln 259 a) Schutz des Verkehrs vor Schranken der gesetzlichen Vertretungsmacht: Eine Vermittlung zwischen kollisionsrechtlichen und materiellrechtlichen Lösungen 260

nsverzeichnis

15

b) Fälle der Konvergenz: Schutzwürdigkeit einer Seite in einem höheren als in den Anknüpfungsgrundsätzen vorausgesetzten Grade 264 § 10. Regelvorschlag

266

Anhang Fallgruppen des beiderseitigen Normenwiderspruchs durch Schuldnerhäufung und Schuldnermangel

269

Literaturverzeichnis

271

Abkürzungsverzeichnis Α . 2d A . A . (a. A . ) ABGB Abt. A . D. 2d a. E. a. F. AG AGB-Gesetz al. ALR amend. Anm. Ann. Inst. Dr. Int. arg. Ark. Art. Aufl. A WD BadRpr BAG BAGE BayObLG BB Bd. Bekl. BerG oder BerGer Beschl. v. BG BGB BGBl. BGE BGH BGHZ Bolze, Praxis BPatG BRRG Bull.

Atlantic Reporter Second anderer Ansicht Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Abteilung Appellate Division Reports Second am Ende alte Fassung Aktiengesellschaft oder Amtsgericht Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Deutschland) alinéa Preußisches Allgemeines Landrecht amendment (Zusatz zur Bundesverfassung der U . S . A . ) Anmerkung Annuaire de l'Institut de Droit international argumentum Arkansas Artikel Auflage Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Badische Rechtspraxis Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (amtliche Sammlung) Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebsberater Band Beklagter (Beklagte) Berufungsgericht Beschluß vom (schweizerisches) Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch (Deutschland) Bundesgesetzblatt (Deutschland) Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts (amtliche Sammlung) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (amtliche Sammlung) Die Praxis des Reichsgerichts in Zivilsachen, von A . Bolze Bundespatentgericht Beamtenrechtsrahmengesetz (Deutschland) Bulletin des arrêts de la Cour de cassation en matière civile

Abkürzungsverzeichnis BWVB1. d Cal. 2d Cal. App. 2d Cal. Dist. Ct. App. Calif. Law Rev. Cal. Rptr. Cass. Cc Ch. civ. sect. com. c. i. c. Cir. civ. cl. Clunet Colo. Colum. L. Rev. Conn. D. D.C. DDR Del. Die A G Diss. DR D.S. Jur. E. D. EGBGB Erw. EvBl. EWG f. F. (2d) FamRZ Fed. R. Evid. ff. Fla. Fn. Forts. FS F. Supp. Ga. App. GBl. D D R 2 Schohe

17

Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt contre (bei Bezeichnung unveröffentlichter französischsprachiger Entscheidungen) California Reports Second California Appellate Reports Second District Court of Appeal (früher in Kalifornien) California Law Review West's California Reporter Cour de cassation (Frankreich) Code civil (Frankreich, Belgien, Luxemburg, Rheinisches und Badisches Recht) chambre civile, section commerciale (französischer Kassationshof) culpa in contrahendo Court of Appeals ( U . S . A . , Bundesebene) chambre civile (französischer Kassationshof) clause Journal du Droit International Colorado Reports Columbia Law Review Connecticut Reports und Connecticut Recueil Dalloz und District Court ( U . S . A . , Bundesebene) District of Columbia Deutsche Demokratische Republik Delaware Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen Dissertation Deutsches Recht Recueil Dalloz Sirey, Jurisprudence Eastern District Court Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Deutschland) Erwägung (in den Urteilsgründen des schweizerischen Bundesgerichts) Evidenzblatt (Entscheidungssammlung, Österreich) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende Seite Federal Reporter (Second) Ehe und Familie, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Federal Rules of Evidence (U. S. Α . ) fortfolgende Seiten Florida Reports Fußnote Fortsetzung Festschrift Federal Supplement Georgia Appeals Reports Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik

18 GEMA Giur. civ. GmbH GRUR G R U R Ausi. HansGZ (HansRGZ) Herv. HGB HPflG Hrsg./hrsg. insbes. IntGesR IPG ÏPR IPRax IPRG IPRspr. i.S. IzRspr. JB1. J.o. JRPV JuS JW JZ Kan. Kap. KG KO KTS La. LAG LB LG LM LZ mAnm Mass. Md. M.D. MDR

Abkürzungsverzeichnis Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte Giurisprudenza civile Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Auslands- und internatonaler Teil Hanseatische Gerichtszeitung, später: Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift Hervorhebung Handelsgesetzbuch (Deutschland, Türkei) Haftpflichtgesetz (Deutschland) Herausgeber/herausgegeben insbesondere Internationales Gesellschaftsrecht Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (Österreich) Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts in Sachen Sammlung der deutschen Entscheidungen zum interzonalen Privatrecht Juristische Blätter Journal officiel (Frankreich) Juristische Rundschau für die Privatversicherung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kansas Report Kapitel Kammergericht Konkursordnung (Deutschland) Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Louisiana Landesarbeitsgericht Lehrbuch Landgericht Das Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, hrsg. von Lindenmaier und Möhring Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht mit Urteilsanmerkung von Massachusetts Reports und Massachusetts Maryland Reports Middle District Court Monatsschrift für Deutsches Recht

Abkürzungsverzeichnis m.E. mem. Mercer L. Rev. Mich. Comp. Laws. Ann, Mich. L. Rev. Misc. 2d Mo. Mugdan/Falkmann, (OLGRspr.) MuW m.W. NAG N.E. 2d NedJ NiemeyersZ NJ N.J. N.J. Super NJW No. (no.) Nr. (Nrn.) N . W . 2d N.Y. N . Y . 2d N . Y . Bus. Corp. Law N . Y . Civ. Prac. Law N . Y . Gen. Oblig. Law N.Y.L.J. N. Y.S. 2d N . Y . Sup. Ct. N . Y . U . L . Rev. OGH OGHZ OGZ ÖJZ OLG OLGRspr. OLGZ OR Orig. (öst.) (öst.) BGBl, (öst.) ZfRV P. (P. 2d) Pa. 2*

19

meines Erachtens memorandum Mercer Law Review Michigan Compiled Laws Annotated (West) Michigan Law Review New York Miscellaneous Reports Missouri Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, herausgegeben von Mugdan und Falkmann Markenschutz und Wettbewerb meines Wissens Niedergelassenen- und Aufenthaltergesetz (Schweiz) Northeastern Reporter Second Nederlandse Jurisprudentie Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht Neue Justiz New Jersey Reports und New Jersey New Jersey Superior Court Reports Neue Juristische Wochenschrift numéro Nummer (Nummern) Northwestern Reporter Second New York State und Court of Appeals daselbst New York Reports Second New York Business Coporation Law New York Civil Practice Law and Rules New York General Obligations Law New York Law Journal West's New York Supplement Second New York Supreme Court New York University Law Review Oberster Gerichtshof (Österreich und Deutschland [Britische Zone]) Sammlung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichts der D D R in Zivilsachen (amtliche Sammlung) Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht siehe Mugdan/Falkmann Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Obligationenrecht (Schweiz, Türkei) Original österreichisch Bundesgesetzblatt (Österreich) Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Österreich) Pacific Reporter (Second) Pennsylvania

20 RabelsZ Ree. Rev. crit. dr. int. pr. Rev. crit. jur. beige Rev. dr. int. priv. RG RGBl. RGZ R. I. RIW/AWD Rn. ROHG ROHGE RSFSR RzW S. S.A. SchlHA SchweizJahrintR SchweizJZ seil. S.D. S. E. 2d sect. Seuff A So. str. S. W. 2d SZ Teilurt. Tenn. u.a. U. C. C. Ufita U. L. A . Urt. v. U. S. U.S.A. U.S. Const. U. S. L. W. UWG v. VEB VersR

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Académie de Droit International, Recueil des Cours Revue critique de droit international privé Revue critique de jurisprudence belge Revue de droit international privé Reichsgericht Reichsgesetzblatt (Deutschland) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (amtliche Sammlung) Rhode Island Reports Recht der internationalen Wirtschaft/ Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Randnummer Reichsoberhandelsgericht Entscheidungssammlung des Reichsoberhandelsgerichts Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht Seite Société Anonyme Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Schweizerische Juristen-Zeitung scilicet Southern District Court Southeastern Reporter Second section Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Southern Reporter streitig Southwestern Reporter Second Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen Teilurteil Tennessee Reports unter anderem Uniform Commercial Code (U. S. A . ) Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Uniform Laws Annotated Urteil vom United States Reports United States of America Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika United States Law Week Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (Deutschland) versus Volkseigener Betrieb Versicherungsrecht

Abkürzungsverzeichnis vgl. Vorbem. WarnRspr. Wash. W.D. Wise. 2d WM WRP z.B. ZBJV ZGB ZgGenW ZHR ZIP ZLW ZPO ZSchweizR ZvglRW ZVölkR Zwischenurt.

vergleiche Vorbemerkung Warney er, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Washington (Staat) Western District Court Wisconsin Reports Second Wertpapier-Mitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis zum Beispiel Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zivilgesetzbuch (Schweiz, D D R , Polen) Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Zeitschrift für das Gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zivilprozeßordnung (Deutschland und Schweiz, Kanton Zürich) Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Völkerrecht Zwischenurteil

21

Einleitung I . Einführung in die Problematik

Das Gebilde der juristischen Person ist nach dem Vorbild der natürlichen Person entwickelt. Wie bei dieser handeln die Darstellungen des Bürgerlichen Rechts zunächst einen Komplex von Rechtssätzen ab, deren Tatbestände ohne einen Bezug auf Außenstehende auskommen („Personenrecht") und sodann einen zweiten Komplex von Rechtssätzen, welche die Rechte und Pflichten einer Person gegenüber anderen regeln („Schuldrecht"). Diese Einteilung des Rechtsstoffs schlägt sich nieder im IPR und wird dort kritisch. Bekanntlich knüpft man das „Personalstatut" der juristischen Person anders an als die „Wirkungs-" und insbesondere die „Haftungsstatute". Das kann zu Schwierigkeiten führen. Denn zwischen dem Personalstatut und dem jeweiligen Haftungsstatut besteht eine Wechselbeziehung: Das Personalstatut bestimmt, welche Rechte und Pflichten eine juristische Person überhaupt haben kann (Umfang der Rechtsfähigkeit); das Haftungsstatut bestimmt, ob solche Rechte gegenüber Außenstehenden entstanden sind. Das eine greift ins andere. Im materiellen Recht braucht das nicht zu kümmern. Dort sind Personenrecht und Schuldrecht aufeinander abgestimmt. Rechtssätze, die beides berühren, fügen sich stimmig in das eine Rechtssystem. Nicht so im IPR. Die Verschiedenheit der Anknüpfungen erzwingt die Zuordnung jedes materiellen Rechtssatzes zu einem Statut, obwohl die mehreren Statute, falls verschieden, nicht aufeinander abgestimmt sind. Deshalb können Rechtssätze, die sowohl das Personalstatut der juristischen Person als auch ein Haftungsstatut berühren, dem einen nicht ohne die Gefahr eines Widerspruchs zum anderen zugeordnet werden. Zu diesen Rechtssätzen gehören die Regeln über die Haftung juristischer Personen für schädigendes Verhalten ihrer Organe („Organhaftung"). Sie betreffen die Rechtsstellung der juristischen Person, weil sie deren Fähigkeit umreißen, Träger bestimmter Ersatzpflichten zu werden. Sie betreffen zugleich die Rechtsstellung Außenstehender, weil sie entscheiden, ob diese sich wegen Ersatzansprüchen nur an das „schuldige" Organ halten können oder auch (oder ausschließlich) an die juristische Person. Welches Recht Personalstatut oder Haftungsstatut - entscheidet also, ob eine juristische Person sich schädigendes Verhalten ihrer Organe zurechnen lassen muß? Einerseits, so wird man überlegen, hängt solche Zurechnung mit der Stellung und der Funktion zusammen, die dem Täter innerhalb des juristischen

Einleitung

24

Personenverbands zukommt. (Z.B. wird man die Tat eines Repräsentanten eher und schärfer zurechnen als die einer Hilfsperson; vgl. §§ 31, 831 BGB.) Auf diesen Zusammenhang scheint allein die Organhaftungsnorm des Personalstatuts eingerichtet zu sein. Entscheidet statt ihrer die Organhaftungsnorm des Haftungsstatuts, so kann es an der Abstimmung zwischen der Zurechnung einerseits und der Stellung und der Funktion des Täters andererseits fehlen, die intern in beiden Rechten gegeben ist. Andererseits ist das Zurechnungsrecht auf ein bestimmtes Schadensersatzrecht bezogen. Zerreißt man im IPR diese innere Verbindung, so kann ein weitgehendes Schadensersatzrecht neben einem scharfen Zurechnungsrecht zur Anwendung kommen. 1 Eine Anknüpfung an das Personalstatut könnte deshalb zu Haftungslagen führen, die zumindest einer der beteiligten Rechtsordnungen widersprechen. Jede der zunächst denkbaren Anknüpfungen birgt also in sich die Möglichkeit, zu bestimmten Widersprüchen zu führen. Die Organhaftung in Fällen mit Auslandsberührung ist äußerlich ein Problem der Anknüpfung (genauer: der Interessen an der Anwendung einzelner Rechte), im Kern aber eines der Vermeidung von Widersprüchen. Die juristische Person darf nicht durch ein unabgestimmtes Zusammenspiel von Zurechnungs- und Haftungsnormen in eine Lage gebracht werden, die keiner der beteiligten Rechtsordnungen, entschiede diese allein, entspräche. I I . Überblick über den Gang der Darstellung Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wird der gegenwärtige Rechtszustand vorgestellt: Gerichtsentscheidungen (§ 1), Schrifttumsmeinungen (§ 3) und Staatsverträge bzw. Regelvorschläge (§5). Es wird sich zeigen, daß die Anknüpfung der Organhaftung nur selten erörtert worden ist. Deshalb ist überzugreifen auf die Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen im deutschen IPR (§ 2) und auf Lösungen des Auslands

(§ 4). Der zweite Teil der Arbeit gilt den Lösungen. Sie beginnen mit Vorüberlegungen zu ihrem Ansatz (§ 6), konkretisieren die Fragestellung anhand eines Grundfalls (§ 7) und mehrerer Sonderfälle (§ 8) und enden, nach Einführung des Ergebnisses in sonstiges Kollisions- und Sachrecht (§ 9), mit einem Regelvorschlag (§ 10).

1

Staudinger / Großfeld,

IntGesR, Rn. 229.

Erster Teil

Bestandsaufnahme § 1. Deutsche Rechtsprechung zur Anknüpfung der Organhaftung juristischer Personen I . Behandlung der Anknüpfung der Organhaftung als besondere kollisionsrechtliche Frage

Drei deutsche Entscheidungen behandeln die Anknüpfung der Organhaftung als eine besondere kollisionsrechtliche Frage, die von der Anknüpfung des Deliktsanspruchs zu unterscheiden ist. A m Anfang steht ein altes Urteil des Reichsgerichts: 1. RG, Urt. v. 23.9.1887 1 : U m 1887 schädigten Gesellschafter einer Hanauer offenen Handelsgesellschaft sechs Firmen in Pforzheim. In Briefen von Hanau nach Pforzheim empfahlen sie ihnen einen M. in London fälschlich als kreditwürdig. In Hanau galt gemeines, in Pforzheim badisch-französisches Recht. Das Reichsgericht hielt Pforzheim für den Tatort der Briefdelikte. Für die Haftung der Gesellschafter galt also badisches Recht. Ebenso knüpfte das Reichsgericht die Haftung der Gesellschaft für die Gesellschafter an: Der badische Art. 1384 Cc schütze den Verkehr und müsse alle in Baden begangenen Delikte treffen, auch wenn die dafür Haftenden nicht dort wohnten. Das Schuldverhältnis habe seine entscheidende räumliche Beziehung zu Pforzheim.

Das Reichsgericht betrachtete das Handeln der Gesellschafter als Handeln der Gesellschaft selbst. Es knüpfte die Zurechnung so an, als würde einer natürlichen Person ein Delikt vorgeworfen, das diese selbst am Tatort begangen hat. 2 Dahin deutet ein obiter dictum in der referierten Entscheidung: Der Verkehr mit dem Publikum finde „durch" den geschäftsführenden Teilhaber statt; daraus folge möglicherweise eine Haftungsübernahme der Gesellschaft unabhängig von Art. 1384 Cc. Das Urteil vom 23. 9.1887 wurde häufig zum Präjudiz, ist aber um seinen Gehalt für die Anknüpfung der Organhaftung verkümmert worden. Es wird eingeordnet bei den Briefdelikten und dort als Ursprung der überwundenen Anknüpfung an den Erfolgsort allein. Auf unsere Frage hat es das richterliche Augenmerk nicht mehr zu lenken vermocht. ι R G Z 19, 382. Als Beleg für diese Einschätzung vgl. RG, Urt. v. 11.3.1895, unten, § 1 II. 1. aa), Fn. 21. 2

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung

Ein Beispiel dafür ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.12.1963 - „Stahlexport" - 3 : Für die Klage gegen eine deutsche GmbH & Co. K G und deren Geschäftsführer wegen eines ins Ausland versandten Rundschreibens galt deutsches Recht. Das Urteil vom 23.9.1887 wurde zitiert als Ergebnis einer überholten Anknüpfung an den Erfolgsort allein. Aber die Ähnlichkeit der dort entschiedenen und der in casu implizierten Frage - nach welchem Recht haftet eine Gesellschaft für ihren Sachwalter? - fiel offenbar nicht auf. Diese Lesart des Vorentscheids reflektiert die Bedeutung, die eine jahrzehntelange Praxis ihm gegeben hatte. Sie begann mit RG, Urt. v. 20.11.1888 4 : Eine Züricher Firma klagte gegen eine Lyoner Handelsgesellschaft wegen falscher Kreditauskunft. Das Reichsgericht billigte eine alternative Anknüpfung des Deliktsanspruchs an das Recht des Absende- oder Empfangsorts (und im Ergebnis die Anwendung des französischen Art. 1384 Cc): Die Empfangsortregel im Urt. v. 23.9.1887 sei nicht ausschließlich. Das Urt. v. 20.11.1888 ist aufgegriffen in RG, Urt. v. 21.12.1900 5 (unlauterer Wettbewerb durch einen Brief, den ein Verein und „andere" [seil.: die für ihn Handelnden] in Hamburg geschrieben und jemandem in London geschickt hatten; alternative Anknüpfung erneut gebilligt). Weder im Urt. v. 20.11.1888, noch in dem vom 21.12.1900 ist mehr die Rede von der Anknüpfung der Zurechnung. In RG, Urt. v. 22.12.1902 6 ging es um eine falsche Auskunft der Direktoren der „Westholsteinischen Bank", einer Aktiengesellschaft, gegenüber der „Berliner Bank". Zur Wahl standen gemeines und preußisches Recht; maßgebend sollte das der Klägerin günstigere sein. Präjudiz war wieder das Urt. v. 20.11.1888; das Urt. v. 23.9.1887 ist nur in den wiedergegebenen Ausführungen eines Urteils vom 24.4.1902 - Rep. V I 17/ 1902 - i. S. Gerschel./. Bank für Handel und Industrie zitiert, auf das die Revision sich bezogen hatte. Noch weiter vom Ausgangsentscheid entfernte sich RG, Urt. v. 2.12.1921 7 : Der Auslandsbrief der Berliner Beklagten - angesichts von Geschäftsführer und Filiale eine Handelsgesellschaft - wirke auf den Berliner Geschäftsmittelpunkt der Klägerinnen zurück; dieser sei folglich maßgebend.8 A l s die A n k n ü p f u n g der Organhaftung erneut zur Entscheidung stand, hatte das U r t e i l v o m 23.9.1887 seine A u t o r i t ä t verloren. Es wurde nicht mehr zitiert. Was jetzt zählte u n d wie selbstverständlich zum Recht des Tatorts drängte, war das fallbedingte Zusammenspiel der Organhaftung m i t Rechtserscheinungen, die eindeutig i n den Geltungsbereich des Deliktsstatuts fielen: Haftung wegen ungenügender Verkehrssicherung i n einer weiteren Entscheidung des Reichsgerichts, H a f t u n g für Gehilfen i n einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig.

3

IPRspr. 1963 - 1963 Nr. 161 = NJW 1964, 969 (mehr Sachverhalt). R G Z 2 3 , 305. 5 SeuffA 56 (1901) Nr. 175. 6 JW 1902, 63 Nr. 1 = NiemeyersZ 13 (1903), 171. 7 MuW 1922/23, 61 (62). Vgl. auch RG Urt. v. 4.5.1932, IPRspr. 1932 Nr. 38. 8 Zur Eigenart der Entscheidungen im internationalen Wettbewerbsrecht unten § 1 II. 1. a) bb); zum Rückwirkungsgedanken unten § 1 II. 1. a) aa). 4

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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2. RG, Urt. v. 4.1.1934 9 : Eine französische Aktiengesellschaft veranstaltete in Regensburg Vorführungen mit Kraftwagen. Beim Fahren einer scharfen Kurve schleuderte ein Wagen in die Zuschauer und verletzte den Ehemann und Vater der Kläger tödlich. Die Aktiengesellschaft hatte für ihre Leute den Entlastungsbeweis geführt. Sie haftete also höchstens dafür, daß die gefährliche Vorführung nicht unter der Aufsicht eines verfassungsmäßigen Vertreters gestanden hatte. Das Reichsgericht entschied, daß die Haftung für einen Organisationsmangel in das Gebiet der unerlaubten Handlungen falle und daher nach dem deutschen Tatortrecht zu beurteilen sei, obwohl die Gesellschaft ihren Sitz in Frankreich hatte. 10 E i n e n Schritt über die bloße A n k n ü p f u n g hinaus tat das Oberlandesgericht Schleswig. Es sprach, ansetzend am Begriff des „verfassungsmäßigen Vertreters", die Frage an, ob (und, wenn j a , wie) der deutsche § 31 B G B auf Gesellschaften ausländischen Rechts angewendet werden könne. 3. O L G Schleswig, Urt. v. 3. 3.1970 11 : Ein Küstenmotorschiff, dessen Reederei eine Aktiengesellschaft dänischen Rechts war, schleuste in den Nord-Ostsee-Kanal ein. Ein Lotse ging an Bord und verletzte sich dabei. Er meinte, der Kapitän habe ihm schuldhaft keinen gefahrlosen Weg an Bord gewährt und forderte Schadensersatz von der Aktiengesellschaft. Ansprüche gegen die Aktiengesellschaft als Reeder waren verjährt. Zu prüfen blieb gewöhnliche Deliktshaftung. Das Oberlandesgericht unterstellte sie dem deutschen Tatortrecht und begründete dies so: Zum Deliktsstatut gehöre auch die Haftung für Verrichtungsgehilfen und für Organe und Sondervertreter (§§ 30, 31 B G B ) . 1 2 Dagegen sei die Vorfrage, wer als Organ oder Sondervertreter in Betracht komme, nach dem Personalstatut der juristischen Person, hier also nach dänischem Recht, zu entscheiden. Es könne aber offen bleiben, ob der Kapitän Organ Vertreter der Aktiengesellschaft gewesen sei und ob das dänische Recht diese Figur überhaupt kenne. Denn verneinendenfalls sei Gehilfenhaftung gegeben. Das Gericht könne also eine Wahlfeststellung treffen. I I . Auslandsbezogene Entscheidungen über schädigendes Organverhalten ohne ausdrückliche kollisionsrechtliche Einordnung der Zurechnungsfrage: Eine Untersuchung der Gründe für das Fehlen entwickelter Lösungen in der deutschen Rechtsprechung A l l e anderen Entscheidungen geben nur eine Anschauung v o n thematischen Sachverhalten, haben aber nicht den normativen W e r t v o n Präjudizien. D i e Sachverhalte betreffen Schädigungen durch Organe und haben Auslandsberührung; aber diese Tatsachen werden nicht umgesetzt i n die rechtliche 9

JRPV 1934, 43. Die Angabe „ O L G Nürnberg" in IPRspr. 1934 Nr. 26 ist unrichtig, wie zwei Rückfragen bei diesem Gericht ergeben haben. 10 Berufung auf R G Z 96, 96 (100), Urt. v. 30. 5.1919 (Gehilfenhaftung wegen ungenügender Verkehrssicherung) und Staudinger / Raape, Art. 10, Anm. 10 II. 1. (deliktsrechtliche Anknüpfung der Organhaftung). 11 IPRspr. 1970 Nr. 19 = SchlHA 1970, 186. 12 Berufung auf Soergel / Kegel, 9. Aufl., Art. 12 EGBGB, Rn. 43.

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung

Frage, wie die Organhaftung anzuknüpfen sei. Die Organhaftung folgt durchweg dem Recht der Haftung, nicht weil eine solche Anknüpfung als richtig erkannt worden wäre, sondern, umgekehrt, weil mangels entsprechender Fragestellung ein anderes als das Recht der Haftung nicht zur Debatte stand. Organhaftung nach dem Haftungsstatut bleibt ohne rechtliche Erfassung des Problems ein Zufall (so oft sie auch in den Entscheidungen zu beobachten sein mag) und ist allein tatsächlich eine wiederkehrende Erscheinung. Diese allerdings verlangt nach Erklärungen - warum ist in den einzelnen Entscheidungen die Frage nach der Anknüpfung der Organhaftung nicht gestellt worden? - , wenn sie nicht als Tendenz der Rechtsprechung mißverstanden und so zu normativem Wert gelangen soll. Solchen Erklärungen gelten die folgenden Abschnitte. 1. Stillschweigende Anlehnung der Anknüpfung der Organhaftung an die Anknüpfung deliktischer Ansprüche nach der Tatortregel

In Deliktsfällen war das kollisionsrechtliche Instrumentarium der Gerichte oft mit der Tatortregel erschöpft. Mangels abweichenden Rechtsvortrags der Parteien, mangels „dépeçage" als Verfeinerungstechnik 13 , mangels kollisionsrechtlicher Sonderregeln bestimmte die Tatortregel das anwendbare Recht in voller Breite. In ihren so gespannten Geltungsbereich fiel die Organhaftung, und eine gesonderte Anknüpfung gerade dieser Frage kam nicht in Betracht. a) Kollisionsrechtliche Vernachlässigung der Zurechnungsfrage durch Erstreckung des mit Rücksicht auf sonstige Gesichtspunkte bestimmten Tatortrechts auf die Organhaftung Wo das internationale Deliktsrecht sich auf die Tatortregel beschränkte, war deren Auslegung das einzige Mittel kollisionsrechtlicher Gestaltung. Von gegenläufigen kollisionsrechtlichen Zwecken, die Einfluß auf die Auslegung beanspruchten, konnte nur einer sie bestimmen und mußten die anderen vernachlässigt werden. Der Zweck, die Zurechnungsfrage nach dem räumlich besten Recht zu beurteilen, blieb ohne Einfluß auf die Auslegung der Tatortregel (und praktisch unerkannt), solang diese bestimmt war von anderen vorrangig geförderten Zwecken, ζ. B. dem „Heimwärtsstreben" der Gerichte zum deutschen materiellen Recht (unten aa)) oder der Durchsetzung einer Wettbewerbsordnung gegenüber einer anderen (unten bb)).

13

Dazu näher unten § 4 IX. 5., Fn. 174.

. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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aa) Bestimmung des Tatorts allein m i t Rücksicht auf die A n w e n d u n g deutschen Rechts Nicht selten wies die alternative Geltung v o n Handlungs- u n d Erfolgsortrecht den „heimwärtsstrebenden" Gerichten den W e g zum deutschen materiellen R e c h t . 1 4 Schädigte das Organ einer deutschen Gesellschaft j e m a n d anderen i m A u s l a n d , so bot die A l t e r n a t i v i t ä t der Tatortregel zu entscheiden an, daß der „geistige" Handlungsort am Sitz der Gesellschaft liege und der ausländische Erfolgsort ohne Bedeutung sei. So als der Vertreter einer deutschen Gesellschaft das Bier m i t den E t i k e t t e n eines Wettbewerbers i n I n d i e n beschlagnahmen l i e ß 1 5 , oder als er eine Forderung gegen einen K o n k u r r e n t e n i n Norwegen zum K a u f anbot, u m diesem die G r ü n d u n g einer Aktiengesellschaft unmöglich zu machen: O L G Kiel, Urt. v. 25.10.1917 16 : „Unbestritten ist aber, daß der norwegische Vertreter der Beklagten auf deren Anweisung gehandelt hat . . . Die in Deutschland domizilierte Beklagte hat sich also ihres norwegischen Vertreters als ihres Hilfsorgans von Deutschland aus bedient ... ein erheblicher Teil der gesamten vorsätzlichen Schadenszufügung, gewissermaßen das geistige Zentrum der Handlung, ist in Deutschland zu suchen, . . . " Ähnlich RG, Urt. v. 4.11.1895 zur Lokalisierung einer Konkursverschleppung durch Aufsichtsratsmitglieder 17 : „ . . . die genannte Kommanditgesellschaft hatte in Weimar ihren Sitz und ihren Geschäftsbetrieb; dort übten daher die Mitglieder des Aufsichtsrates als solche ihre Funktionen aus, und dort würden sie also auch die ihnen in dieser Beziehung zur Last gelegten Verfehlungen und Unterlassungen begangen haben. Nun bestimmen sich aber die Rechtsfolgen von Delikten . . . nach dem Rechte desjenigen Ortes, wo das Delikt verübt worden ist." 1 8 Dieselbe Vorstellung steht vielleicht auch hinter den Entscheidungen über die Deliktshaftung deutscher Beförderungsgesellschaften für Unfälle i m Ausland. Vgl. z.B. RG, Urt. v. 19.5.1927 19 : Ein Fluggast der Aero-Lloyd-AG wurde bei einem Flugzeugabsturz nördlich von Zürich getötet. Auf den Anspruch seiner Witwe 14 Die zweite Kommission des deutschen Rats für IPR hat das in ihrer Mehrheit als Vorteil empfunden (Vorschläge und Gutachten 1983, S. 10). Als Kontrast vgl. Beitzke, Recueil, Nr. 36, S. 95: „Le choix . . . permet aux juges de se servir d'une loi qui leur semble convenable sans qu'ils aient à donner des raisons exactes, . . . " . « O L G Hamburg, Urt. v. 18.1.1928, HansRGZ 1928, Abt. A , 432 = IPRspr. 1928 Nr. 34. w SchlHA 1918, 29 (30). 17 R G Z 36, 27 (28), Urt. v. 4.11.1895 (interlokal). 18 Hätte das Reichsgericht anders argumentiert, wenn für die schädigende Tat nicht die Aufsichtsratsmitglieder, sondern die Gesellschaft herangezogen worden wäre? Wohl kaum, denn der Sachverhalt enthält alle Merkmale von Organverhalten. 19 R G Z 117, 102. - Die Haftung der Eisenbahn für Frachtverluste im französischen Kriegsgebiet (RGZ 93, 176 [177], Urt. v. 22.6.1918) oder für Personen- und Sachschäden im polnischen Korridor (RGZ 124, 204, Urt. v. 2.5.1929 = IPRspr. 1929 Nr. 60) unterlag Besonderheiten und gibt kollisionsrechtlich nichts her.

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung

gegen Aero-Lloyd wegen ungenügender Ausstattung des Flugzeugs wurde deutsches Recht angewandt. D i e A n k n ü p f u n g e n an das Recht des „geistigen" Handlungsorts sind freilich aus der individuellen Vorstellung einzelner Gerichte heraus

entstanden;

abweichende Bestimmungen des Tatorts i n anscheinend ähnlichen Fällen sprechen gegen die A n n a h m e irgendeiner Regelmäßigkeit. Z . B . fällt es schwer, die älteren Entscheidungen über unberechtigte Beschlagnahmen miteinander in Einklang zu bringen. Man vergleiche mit O L G Kiel, Urt. v. 25.10.1917 20 einerseits RG, Urt. v. 11.3.1895 21 : Als der Vertreter deutscher Versicherungsgesellschaften mit deren nachträglicher Billigung einen Dampfer auf dem Amur beschlagnahmen ließ, sollte die Sache so liegen, „wie wenn die Beklagte selbst auf russischem Gebiete die beschädigenden Handlungen vorgenommen hätten" - und andererseits RG, Urt. v. 20.4.1891 22 : Als ein unberechtigter Arrest in Hamburg beantragt und in Altona vollstreckt wurde, sollte dies Risikohaftung nach Hamburger Recht und nicht Verschuldenshaftung nach dem gemeinen Recht von Altona auslösen, denn das Verschulden - gemeint ist: die Deliktstat - habe schon in dem Arrestgesuch in Hamburg gelegen. Nach welchem Gesichtspunkt soll man RG, Urt. v. 11.3.1895 von O L G Kiel, Urt. v. 25.10.1917 und RG, Urt. v. 20.4.1891 unterscheiden? D e r Gesichtspunkt des „geistigen Handlungsorts" ist außerdem kein Spezif i k u m von Organhaftungsfällen. M a n könnte i h n auch i n Entscheidungen über die mittelbare H a f t u n g natürlicher Personen hineinlesen. Vgl. z.B. B G H , Urt. v. 13.7.1954 23 : Farina beauftragte von Deutschland aus einen belgischen Anwalt, einen anderen Farina in Belgien wegen Gebrauchs von Firma, Warenzeichen und Ausstattung zu verwarnen. Für seine Haftung galt deutsches Recht. A u c h wurde als Tatort manchmal nicht der O r t angesehen, von dem die Deliktstat „geistig" herrührte, sondern der, an dem sie sich auswirkte. So vor allem i n Wettbewerbsfällen. Vgl. RG, Urt. v. 16.6.1903 24 : Der Teilhaber einer Kasseler Firma schädigte eine andere Kasseler Firma durch üble Nachrede im luxemburgischen Konkurrenzgebiet. Das Reichsgericht meinte, es gelte deutsches Recht, denn die Tat habe auf den Geschäftsmittelpunkt des Geschädigten ebenso zurückgewirkt wie wenn sie im Inland geschehen wäre. Diese Fiktion einer Inlandstat ersetzte die tatsächliche (wenn auch „geistige") Inlandstat im angezogenen Reichsgerichtsurteil vom 2.10.1886 25 (dort hatte Leopold Hoff, Hamburg, durch eine New Yorker Wettbewerbshandlung zurückgewirkt auf Johann Hoff, Berlin - aber die Handlung war in Hamburg veranlaßt worden und nicht im Ausland wie im Urt. v. 16.6.1903). Damit war der tatsächliche Rahmen des Vorent20 21 22 23 24 25

SchlHA 1918, 29. Bolze, Praxis, Bd. 20 Nr. 7. Bolze, Praxis, Bd. 12 Nr. 10. Β G H Z 14, 286, insbes. Leitsatz 2 = IPRspr. 1953 - 1954 Nr. 154. R G Z 55, 199 (200). RGZ 17, 28.

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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scheids gesprengt, und der Blick konnte vom „geistigen" Ursprung auf die Folgen der Tat - ihre „Rückwirkung" - schwenken. Der Gedanke der „Rückwirkung" verlor seinerseits seine Bedeutung in RG, Beschl. v. 17.1.1929 26 (Schädigung einer Münchener Firma in ihren Wiener Absatzverhältnissen bewirke nicht, daß in München ein Teil der Handlung begangen sei) und wurde schließlich aufgegeben in RG, Urt. v. 17.2.1933 27 und Urt. v. 19.5.1933 28 , da bloße Schadensfolgen nicht mitzählten. Von da an galt, unabhängig von Ursprung und Folgen der Tat, daß Inländer ihren Wettbewerb untereinander auch im Ausland nach den inländischen Vorschriften einrichten müssen.29 bb) Bestimmung des Tatorts allein m i t Rücksicht auf die Durchsetzung einer bestimmten Wettbewerbsordnung I n Wettbewerbsfällen bestimmt der Tatort sich nicht nach dem „geistigen" Ausgangspunkt des D e l i k t s , sondern danach, welches Marktes

Ordnung

durchzusetzen ist. Je nachdem, wo man die unerlaubte Tat lokalisiert, kann man z . B . einen Inländer zur Rücksicht auf ausländische Interessen zwingen oder Inländer untereinander auch i m A u s l a n d an die deutschen Wettbewerbsregeln b i n d e n . 3 0 Beispiele: 1. RG, Urt. v. 8.7.1930 31 : Die Eagle Oil Company of New York mbH, die ihren Sitz in Hamburg hatte, schädigte die Norsk Vacuum Oil Compani Aktiebolaget, Oslo, durch Verletzung norwegischen Zeichen- und Ausstattungsschutzes sowie durch unlauteren Wettbewerb in Norwegen. Das Reichsgericht meinte, es gelte norwegisches Recht, denn die Verletzungshandlung sei in Norwegen begangen.32 2. RG, Urt. v. 14.2.1936 33 : Deutsches Recht als „Wettbewerbsstatut" entschied, ob einer deutschen GmbH die Wettbewerbsverstöße einer beherrschten amerikanischen Gesellschaft zugerechnet werden konnten, durch die eine andere deutsche Firma in den U . S . A . geschädigt worden w a r . 3 4 ' 3 5 26

IPRspr. 1929 Nr. 52 (Gerichtsstandsbestimmung). R G Z 140, 25 = IPRspr. 1933 Nr. 67. 28 IPRspr. 1933 Nr. 69 = MuW 1933, 446. 29 Zur weiteren Entwicklung Kegel, LB, § 18 I V . 1. a) bb), S. 409f. Vgl. auch Art. 40 Abs. 2 Nr. 2 des (deutschen) Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Internationalen Privatrechts (außervertragliche Schuldverhältnisse und Sachen), abgedruckt bei Spickhoff und, teilweise, bei Kegel, LB, § 18 I V . 4., S. 425. 30 Näheres bei Kegel, L B , § 18 IV. 1. a) bb), S. 409f. 31 R G Z 129, 385 (387) = JW 1931, 428 mAnm Nußbaum = IPRspr. 1930 Nr. 156. 32 Die Organhaftung war hier allerdings nicht entscheidungserheblich (anders als in der Vorinstanz, O L G Hamburg, Urt. v. 18.10.1929, HansRGZ 1930 - Hauptblatt - , 682 Nr. 83 = IPRspr. 1930 Nr. 155). Denn das Reichsgericht hielt die Verjährungseinrede von Eagle Oil nach deutschem Recht für begründet (Art. 12 EGBGB a.F.; zur Auswirkung dieser Vorschrift unten § 1 II. 2. a) cc) und § 6 II. 2). Fortsetzung der Streitigkeit in O L G Hamburg, Urt. v. 12.5.1933, IPRspr. 1933 Nr. 102 = MuW 1933, 478. 33 R G Z 150, 265 = IPRspr. 1935 - 1944 Nr. 440 = GRUR 1936, 678 (vollständig). 27

§ 1. Deutsche Rechtsprechung

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D o c h die Rechtsprechung zum internationalen Wettbewerbsrecht ergibt fast nie etwas für die A n k n ü p f u n g der Organhaftung. Statt weiterer Entscheidungen seien die Ursachen dieser Unergiebigkeit besprochen: I n Wettbewerbsfällen w i r d I P R oft überflüssig durch A n w e n d u n g deutscher Sachnormen auf Auslandssachverhalte, durch Sachnormen m i t extraterritorialem Geltungsbereich, durch fingierte Inlandssachverhalte („Inländerbehandl u n g " ) und vor allem durch Einheitsprivatrecht. W o I P R z u m Tragen k o m m t , beschränkt es sich auf die Tatortregel. D e r e n Auslegung orientiert sich an der Durchsetzung bestimmter Wettbewerbsordnungen und ist unabhängig davon, ob die Wettbewerbshandlung v o n den Organen einer juristischen Person oder sonst j e m a n d herrührt. Vgl. z.B. KG, Urt. v. 13.11.1914 36 : Der Prokurist einer deutschen Firma (unklar, ob Handelsgesellschaft) benutzte in Rußland die Preislisten eines deutschen Wettbewerbers. Nach dem Zweck des deutschen Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb sollte hier deutsches Erfolgsortrecht vor russischem Handlungsortrecht gehen. Denn am Erfolgsort sei der Wettbewerber schutzwürdig in seinen Interessen betroffen. Die Einschaltung des Prokuristen hatte die Anknüpfung also überhaupt nicht beeinflußt. Auch in RG, Urt. v. 2.12.1921 37 sollte wegen der „Eigenart des hier in Betracht kommenden Rechtsgebiets" der inländische Geschäftsmittelpunkt des Wettbewerbers maßgebend sein. 38 D i e Auslegung der Tatortregel ist deshalb ganz dieselbe für Klagen gegen juristische und Klagen gegen natürliche Personen. Vgl. RG, Urt. v. 31.3.1931 - „Standard-Licht" Wegen Exports sklavischer Nachahmungen waren beklagt: 1. eine Gesellschaft in Berlin, 2. ein Gesellschafter und Geschäftsführer, 3. ein Gesellschafter, der das Geschäft in Beirut leitete, 4. ein Geschäftsführer, 5. ein Prokurist. Sie alle waren passivlegitimiert, und für alle wurde die kollisionsrechtliche Frage einheitlich beantwortet (deutscher Handlungsort maßgebend). Nach den einzelnen Beklagten wurde erst im Sachrecht unterschieden. 40

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GRUR 1936, 680 sub I I I . = IPRspr. 1935 - 1944 Nr. 440 897f., insoweit in R G Z 150, 265 nicht abgedruckt. Die amerikanische Gesellschaft hatte sich aus der früheren, rechtlich unselbständigen Vertretung der GmbH in den U . S . A . entwickelt. Wahrscheinlich wäre die Zurechnung selbstverständlich gewesen und unerörtert geblieben, wenn für die GmbH diese unselbständige Vertretung und nicht eine Tochtergesellschaft gehandelt hätte. 3 5 Ähnlich R G Z 140, 25, Urt. v. 17.2.1933 = IPRspr. 1933 Nr. 67 (Ausfuhrvertreter einer deutschen Firma ahmt in Indien die Warenbezeichnung einer anderen deutschen Firma nach; deutsches Recht angewandt). 36 Mugdan / Falkmann, OLGRspr. 30, 256f. 37 MuW 1922/23, 61 (62 rechts), dazu oben § 11. bei Fn. 7. 38 Zum Rückwirkungsgedanken und seiner Überwindung oben § 1 II. 1. a) aa). 3 9 MuW 1931, 378 (382) = IPRspr. 1931 Nr. 42. 40 Vgl. ferner R G Z 55,199, Urt. v. 16.6.1903 („Kasseler Handelsfirmen"), oben § 1 II. 1. a) aa) bei Fn. 24, und B G H Z 14, 286, Urt. v. 13.7.1954 („Farina"), oben § 1 II. 1. a) aa) bei Fn. 23.

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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Auch lassen Tatbestand und Gründe die Kennzeichen unserer Frage - juristische Person, Handeln ihres Organs und Auslandsberührung - oft nur beiläufig oder zwischen den Zeilen erkennen. Das zeigt, von welch geringem Belang sie waren. So ist in RG, Urt. v. 8.7.1930 41 der sicher zu vermutende Vertreter von Eagle Oil in Norwegen mit keinem Wort erwähnt.

Ist das „Wettbewerbsstatut" einmal bestimmt, so erscheinen die Fälle oft so von ihm umschlossen wie reine Inlandsfälle vom deutschen Recht. Es bleibt dann nur die Prüfung des Wettbewerbs-Sachrechts, und die Frage nach der Anknüpfung der Zurechnung stellt sich nicht mehr. Sie erschiene auch meist gekünstelt. Was im Wettbewerb unter den Insignien einer juristischen Person geschieht - eine grundlose Abmahnung unter ihrem Briefkopf, ein sklavischer Nachbau mit ihrem Herstellerkennzeichen, eine unlautere Werbeanzeige unter ihrer Firma - , das ist offensichtlich „ihre" Sache. Einer besonderen rechtlichen Zurechnung bedarf es dafür nicht. Anders ist es nur, wenn die juristische Person zwar den Bezug der Wettbewerbshandlung zu ihren Geschäften anerkennt, ihre Verantwortung für den Handelnden aber bestreitet. So in B G H , Urt. v. 11.1.1955 - „Zahl 55" - 4 2 : Wettbewerbsstreit zweier deutscher Messerhersteller bezüglich des gemeinsamen Marktes in Indien. Nach dem deutschen „Wettbewerbsstatut" schuldete die beklagte Gesellschaft Auskunft und Schadensersatz, wenn sie um die Verkehrsgeltung der Zahl 55 in Indien gewußt hatte. Das Berufungsgericht hatte der Beklagten das Wissen ihres Generalvertreters in Indien zugerechnet (§ 13 Abs. 3 UWG). Hilfsweise stellte es „eigene" Kenntnis der Beklagten von der Verkehrsgeltung fest. Der Bundesgerichtshof Schloß einen Verstoß dieser Feststellung gegen § 286 ZPO nicht aus, sah in § 13 Abs. 3 U W G keine Zurechnungsgrundlage und verwies zur Prüfung sonstiger Zurechnungsgrundlagen zurück: „ I n der erneuten Verhandlung wird das BerG die Frage erneut prüfen müssen, ob die Bekl., genauer: ihre Inhaber, möglicherweise auch ihre Angestellten, sofern . . . die Bekl. für die Handhabungen dieser Angestellten nach § 31 oder § 831 BGB einzustehen hätte, über die Verkehrsgeltung der Zahl 55 in Indien für die Kl. unterrichtet war." 4 3

Zur Anknüpfung der Zurechnung ist in der Entscheidung nichts bemerkt (vielleicht weil das „Wettbewerbsstatut" und das Personalstatut der beklagten Gesellschaft zusammenfielen). Aber die Zurechnung selbst war durch die Einwendungen der Beklagten zum Problem geworden. Das erklärt das Schweigen anderer Entscheidungen. Denn Rechtsfragen, die nicht auf geradem Weg zur Entscheidung liegen, werden leicht übergangen, wenn keine Partei sie stellt.

41 42 43

Dazu oben § 1 II. 1. a) bb) bei Fn. 31. G R U R 1955, 411 = IPRspr. 1954 - 1955 Nr. 161. G R U R 1955, 415 rechts.

3 Schohe

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung b) Anlehnung an die Deliktsanknüpfung auch bei tragender Bedeutung der Anknüpfung der Organhaftung für die Entscheidung des Rechtsstreits I n den folgenden Entscheidungen war die Auslegung der Tatortregel nicht

von zurechnungsfremden Z w e c k e n beherrscht. A u c h war die A n k n ü p f u n g der Organhaftung jeweils i n folgendem Sinne für den Ausgang des Rechtsstreits erheblich: Es ging u m Schädigungen durch Organe einer juristischen Person; diese hatte ihren Sitz i n einem anderen Staat als dem, dessen Recht über die H a f t u n g bestimmte; die Klagen (oder Klägerrevisionen) hatten Erfolg. I n solchen Fällen erwartet man Ausführungen über das auf die Organhaftung anwendbare Recht - sei es eine besondere Auslegung der Tatortregel, sei es eine Lösung unabhängig von dieser. D o c h man w i r d enttäuscht. D i e Gerichte begnügten sich durchweg m i t der A n k n ü p f u n g der Haftung; über die der Zurechnung ist selbst da nichts bemerkt, w o § 31 B G B als berufene Sachn o r m zitiert u n d angewendet wird. 1. RG, Urt. v. 8.11.1906 44 : Emers wohnte in Hamburg und klagte gegen die Magna Bone Mills Company in Kalkutta auf Ersatz des Schadens, den sie ihm betrügerisch zugefügt habe. Dazu heißt es bündig: „Die Vermögensbeschädigung des Klägers ist nun in Deutschland erfolgt und wird vor deutschen Gerichten verfolgt; das rechtfertigt die Anwendung des deutschen Rechts." 45 2. BGH, Urt. v. 5.5.1956 46 : Die Kläger waren Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft mit Sitz in Wien gewesen. Nach dem Anschluß Österreichs wurde die Gesellschaft „arisiert" und übertrug ihr Vermögen auf die beklagte Berliner Kommanditgesellschaft, angeblich weit unter Wert. Nach dem Kriege verlangten die Kläger Ersatz wegen schuldhaft widerrechtlicher Entziehung ihres Vermögens (vereinfacht). Der Bundesgerichtshof hielt nach der Tatortregel österreichisches Recht für maßgebend und verwies die Sache an das Kammergericht zurück: Der Erfolgsort liege in Österreich; allein die Vorbereitung der Tat in Deutschland begründe dort keinen Handlungsort. 3. O L G München, Urt. v. 22.3.1974 47 : Der Kläger wollte sich am künftigen Unternehmen eines Kaufmanns beteiligen. Zur Absicherung des Klägers wandte der Kaufmann sich an die Beklagte, eine Bank in der Schweiz. Auf seine Veranlassung schrieb die Beklagte dem Kläger, daß in Teneriffa für sie eine Hypothek eingetragen sei; sie werde dem Kläger einen Teil dieser Hypothek übertragen. Darauf zahlte der Kläger dem Kaufmann seine Einlage. Die Einlage ging im Konkurs des Kaufmanns verloren. Einen Teilhypothekenbrief hatte der Kläger nicht mehr erlangen können. Denn bis zur Konkurseröffnung war die Hypothek im Grundbuch von Teneriffa nicht eingetragen gewesen. Das Oberlandesgericht lehnte eine Deliktshaftung der Beklagten nach dem deutschen Recht des Erfolgsorts ab (§§ 826, 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB) - mangels 44

SeuffA, 65 (1910) Nr. 150, S. 257. Zitiert ist unter anderem R G Z 23,305, Urt. v. 20.11.1888; dazu oben § 11. Fn. 4. 4 * RzW 1956, 237 = teils IPRspr. 1956 - 1957 Nr. 59 (Zuständigkeit), teils IPRspr. 1958 - 1959 Nr. 62 A = M D R 1957, 31 mAnm Pohle (dort Urteilsdatum vom 4.5.1956). 47 W M 1974, 583 = IPRspr. 1974 Nr. 149. 45

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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Vorsatzes „der" Beklagten. Dagegen ließ es die Beklagte nach deutschem Vertragsrecht, in dem der Vertrag seinen räumlichen Schwerpunkt habe, wegen falscher Auskunft haften; es sei gleichgültig, daß die Parteien vor der Auskunft noch keine Vertragsbeziehung gehabt hatten. „Es ist auch rechtlich im Ergebnis ohne Bedeutung, ob die Haftung der Beklagten auf die Tätigkeit eines ihrer gesetzlichen Vertreter (§31 BGB) oder auf die von Angestellten als ihrer Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) oder als Handlungsbevollmächtigte (§54 HGB) zurückzuführen ist, denn die Abgabe eines Fernschreibens der hier in Frage stehenden Art beruht mindestens auf einer Anscheinsvollmacht .. ," 4 8 . 4. O L G Frankfurt, Urt. v. 24.6.1975 49 : Die Beklagte, eine juristische Person mit Sitz in der Schweiz, hatte einer Firma in Hanau einen sogenannten „Wandfertiger" geliefert. Der Vorarbeiter der Hanauer Firma war von der unsicheren Plattform der Anlage abgestützt und verstorben. Das Oberlandesgericht erklärte pauschal das deutsche Erfolgsortrecht für anwendbar. Danach habe die Beklagte zu haften, denn ihre Organe - wohl der mitverklagte Leiter der Produktionsabteilung - hätten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt. 5. O L G München, Urt. v. 11.8.1981 50 : Die Organe einer Aktiengesellschaft im schweizerischen Kanton St. Gallen hatten durch zwei Schreiben bei der Klägerin in München den Eindruck erweckt, die Aktiengesellschaft sei als Bank oder Sparkasse zugelassen und deshalb kreditwürdig. Dadurch hatten sie bewirkt, daß die Klägerin ein Darlehen auf ein deutsches Konto der Aktiengesellschaft überwies. Die Klägerin klagte in München auf Rückzahlung ausstehender Darlehensbeträge, zunächst gegen die Aktiengesellschaft, später gegen deren Konkursverwaltung. Aus diffizilen Gründen hatten die deutschen Gerichte keine internationale Zuständigkeit für Ansprüche aus dem Darlehensvertrag. Das Oberlandesgericht konnte den RückZahlungsanspruch aber zum Teil aus unerlaubter Handlung der Organe herleiten. Dabei wandte es deutsches Recht an (§§ 826, 823 Abs. 2, 31 BGB, 263 StGB): „Für die Beurteilung des Verhaltens der Organe der Darlehensnehmerin unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung ist deutsches Recht als das Recht des Tatorts maßgebend. Tatort ist auch der Ort, an dem der Erfolg der unerlaubten Handlung eingetreten ist (Palandt, 40. Aufl., Anm. 2 zu Art. 12 EGBGB). Dies ist München .. . " . 5 1

Diese Urteile unterscheiden sich, was die Behandlung unserer Frage betrifft, in nichts von jenen, deren Unergiebigkeit sich mit einer Instrumentalisierung der Tatortregel erklären läßt 52 : Die Anknüpfung der Organhaftung ist stillschweigend angelehnt an die der Haftung. Angesichts dieser Übereinstimmung vermögen Erklärungen einzelner Fälle aufs Ganze gesehen nicht mehr zu befriedigen und müssen durch eine umfassendere Erklärung ergänzt 48

W M 1974,587. Vertragsschluß und Vertragsbruch werden hier offenbar vermengt. In: Schmidt-Salzer, Joachim, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band I I I , München 1982 sub II. 72 = S. 423f. 50 KTS 1982, 313 (320) = IPRspr. 1981 Nr. 210 (S. 521). 51 Möglicherweise hatten die Richter gespürt, daß das Ergebnis nach schweizerischem Recht kaum ein anderes sein konnte (vgl. die Organhaftungsnorm in Art. 718 Abs. 3 OR). Zur Umgehung des IPR durch mehrfache Sachrechtsprüfung unten § 1 I I . 3. a) aa). 52 Oben § 1 II. 1. a). 49

3*

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung

werden: Die Anknüpfung der Organhaftung war nicht als Problem erkannt. Das Statut der Haftung, das ohne Rücksicht auf die Zurechnung bestimmt war, erstreckte sich auf eben diese. Es diente als „Notordnung" für eine Frage, für welche die Entscheidungen kollisionsrechtlich nichts besagen. 2. Unerheblichkeit der Anknüpfung der Organhaftung für die Entscheidung des Rechtsstreits

In vielen Fällen war die Anknüpfung der Organhaftung für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich. Sie hätte offen bleiben können, wenn man sich die Frage nach ihr gestellt hätte. a) Unerheblichkeit

der Anknüpfung aus kollisionsrechtlichem

Grund

Die Unerheblichkeit hat zum Teil kollisionsrechtliche Gründe. aa) Übereinstimmung des Personalstatuts der juristischen Person mit dem Deliktsstatut Liegen der Sitz der juristischen Person und der Tatort im gleichen Staat, so ist dieses Staates Recht zugleich Personalstatut der juristischen Person und Deliktsstatut. Die Anknüpfung der Organhaftung verliert dann ihre Bedeutung. Aber nicht dieser Gedanke liegt den folgenden Entscheidungen zugrunde, sondern, wie bei Divergenz von Personal- und Deliktsstatut, die unbesehene Anwendung der Tatortregel. 1. RG, Urt. v. 25.2.1904 53 : Im österreichischen Galizien wurden die Kohlengruben bestreikt und Kohle knapp. Die Direktion der österreichischen Kaiser-FerdinandNordbahn (Beklagte) wies ihre Stationen an, keine Kohle mehr nach Deutschland zu verladen. Die Klägerin in Schlesien wurde deshalb bei der Belieferung übergangen. Nach einer „loi uniforme", die sowohl in Österreich als auch in Deutschland galt 54 , löste die Transportverweigerung einen Anspruch auf Schadensersatz aus. Das Reichsgericht qualifizierte den Anspruch deliktsrechtlich. Demgemäß ergänzte es die „loi uniforme" durch das Recht des Tatorts: Dieser liege in Österreich, denn die Beklagte habe sich am Ort der Abfahrtsstation dem Abschlußzwang widersetzt. 2. Möglicherweise als durchdachtes obiter dictum und nicht bloß als unbesehene Nebenfolge der Entscheidung enthält eine deliktsrechtliche Anknüpfung auch B G H , Urt. v. 11.7.1957 55 . In einem verwickelten deutsch-niederländischen Fall ging es darum, ob eine deutsche Bankgesellschaft durch eine bestimmte Auszahlung eine 53 R G Z 57, 142. 54 Internationales Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr vom 14.10.1890 (RGBl. 1892, 793). 55 W M 1957, 1047 (1049 links sub C II. am Anfang) = IPRspr. 1956 - 1957 Nr. 34; zur Anknüpfung des Durchgriffs in dieser Entscheidung unten § 2 II. 3. bei Fn. 70.

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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sittenwidrige Schädigung verübt hatte. Der Bundesgerichtshof wandte auf diese Haftungsfrage deutsches Recht an (§§ 826, 31 oder 831 BGB), da der Handlungsort im Inland gelegen habe. Die Begründung beschränkt sich auf das Zitat zweier Vorentscheidungen56, die die Reederhaftung nach § 485 H G B dem Recht des Tatorts unterstellt hatten.

Mit diesem Zitat könnte der Bundesgerichtshof die gefestigte Anknüpfung der Reederhaftung auf die Organhaftung übertragen haben - „obiter", da sowohl der Sitz der Bankgesellschaft als auch der Handlungsort im Inland gelegen hatten, und ohne Bedeutung für künftige Entscheidungen, da die Übertragung ihrerseits unbegründet blieb. 3. Vgl. für die Folgezeit z.B. B G H , Urt. v. 17.12.1963 57 : Die Eigentümerin eines Wiesbadener Mietshauses saß in Erfurt in Untersuchungshaft. Unter der Anschrift der Haftanstalt mahnten der Hauptgeschäftsführer und der Justitiar der Wiesbadener Handwerkskammer eine Malerforderung an. Das Mahnschreiben gelangte in die Hände der Staatsanwaltschaft der D D R und führte dazu, daß die Frau wegen Nichtanmeldung von Mietforderungen aus ihrem Haus zu einer höheren als der erwarteten Strafe verurteilt wurde. Die Frau verklagte die Handwerkskammer auf Ersatz ihrer durch die zusätzliche Haft entstandenen Schäden und erlangte ein Grundurteil. Es galt das - günstigere - Recht der Bundesrepublik (§§ 31, 89 BGB), wo das Schreiben verfaßt und abgesandt worden war.

Bei Pressedelikten fallen Gesellschaftssitz und Handlungsort regelmäßig zusammen: 4. O L G Köln, Urt. v. 22.5.1973 58 : Die Mutter eines Kleinkindes vereitelte in Köln die Vollziehung einer Sorgerechtsentscheidung, die zugunsten ihres in Messina lebenden Ehemannes ergangen war. Die „Neue Illustrierte/Revue" veröffentlichte darüber einen reißerischen und für den Vater unvorteilhaften Bildbericht. Das Blatt wurde von einer deutschen Kommanditgesellschaft verlegt und offenbar auch in Italien verbreitet. Die Kommanditgesellschaft wollte Vater und Kind für den Bericht - am deutschen Handlungsort eine unerlaubte Handlung - nicht haften, denn ihre Redaktion sei von ihr unabhängig. Sie wurde dennoch verurteilt: Wenn der Verleger seine Pflicht, niemanden zu verletzen, auf Organe übertrage, so treffe ihn - trotz seiner Organisation als Kommanditgesellschaft - für deren Versagen die Haftung nach §§ 823 Abs. 1, 31 analog BGB. 5. O L G Hamburg, Urt. v. 19.2.1970 59 , in Sachen Prinz Bernhard der Niederlande und Irene Prinzessin von Bourbon-Parma gegen eine deutsche Verlags-GmbH. In deren sogenannter Tatsachenserie „Irene" war ein vorehelicher Schwangerschaftsabbruch der Prinzessin behauptet worden. Die GmbH wurde, durchweg nach dem deutschen Tatortrecht, zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt, denn sie hatte die Kränkung, sei es wegen „eigener" Kenntnis der Dinge, sei es wegen eines Mangels in ihrer Organisation, verschuldet. 60

56

O G H Z 4 196, Urt. v. 1. 6.1950; B G H Z 3, 321 (324), Urt. v. 6.11.1951. NJW 1964, 650 = IzRspr. 1962 - 1963 Nr. 75. 5 ® O L G Z 1973, 330 (335, 340f.) = IPRspr. 1973 Nr. 63. Ufita 60 (1971), 322 (327, 330f.) = IPRspr. 1970 Nr. 18 (Leitsatz). 57

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung

bb) Übereinstimmung des Personalstatuts der juristischen Person mit dem Statut einer anspruchsbegründenden Sonderbeziehung Entsprechend den eben vorgestellten Fällen wurde die Anknüpfung der Organhaftung auch dann unerheblich, wenn der Sitz der juristischen Person in dem Staat lag, dessen Recht über Ansprüche aus einer Sonderbeziehung entschied. So ζ. B. in O L G Freiburg, Urt. v. 26.10.1950 61 :1939 bereitete ein jüdisches Ehepaar seine Auswanderung aus Deutschland vor. In seinem Auftrag überführte eine deutsche Speditionsgesellschaft den Hausrat der Eheleute von Hamburg nach Zürich. A u f Anordnung des Karlsruher Polizeipräsidenten transportierte die schweizerische Filiale der Gesellschaft den Hausrat nach Deutschland zurück, wo die Polizei auf ihn Zugriff. Das Oberlandesgericht machte die Gesellschaft nach deutschem Vertragsrecht für diesen Verlust verantwortlich, hauptsächlich wegen einer den Zugriff ermöglichenden Verzögerung (§§ 286 Abs. 1, 287 S. 2 BGB), hilfsweise wegen zurechenbarer Unfähigkeit, den Hausrat zurückzugeben (§§ 280, 325 BGB): „Die Bekl., deren Haftung aus §§ 31, 278 BGB folgt, hat ihre Vertragspflichten bewußt verletzt." Deliktshaftung (§§ 823, 826, 31 BGB) wurde verneint, weil die Preisgabe des Hausrats jedenfalls „nach den deutschen Gesetzen" (Art. 12 EGBGB a.F.) in einem übergesetzlichen Notstand geschehen sei. 62 Dieser Notstand lasse auch einen Ausgleich nach § 904 S. 2 BGB oder entsprechend § 228 S. 2 BGB als unbillig erscheinen (arg. Art. 52 Abs. 2 OR: Schadensersatz nach richterlichem Ermessen). Ähnlich liegt B G H , Urt. v. 11.2.1953 63 , wo es jedoch aus einem sachrechtlichen Grund auf die Anknüpfung der Organhaftung nicht ankam: Im Jahre 1943 zog der

60 Weitere Fälle, in denen Sitzrecht und Deliktsrecht zusammenfielen: RG, Urt. v. 21.1. / 15.2.1888, Bolze, Praxis, Bd. 5 Nr. 30 (englisches Recht entschied, welche Folgen die in England verübten Taten der Inhaber der beklagten englischen Firma hatten); O L G Hamburg, Urt. v. 30.12.1953, dazu unten § 1 II. 2. b) cc) bei Fn. 87. ; O L G München, Urt. v. 29.1.1959, GRUR Ausi. 1960, 75 = IPRspr. 1958 - 1959 Nr. 153 (nach dem deutschen Deliktsstatut habe der beklagte deutsche Verlag fahrlässig das aus Frankreich stammende Urheberrecht der Klägerin verletzt; falls seinen Organen die Rechtsverletzung selbst bei hinreichender Organisation nicht habe bewußt werden können, hafte er für seinen Beauftragten, der dann durch ihn als unschuldiges Werkzeug gehandelt habe, nach § 831 BGB); B G H , Urt. v. 10.6.1965, W M 1965, 787 (788) = IPRspr. 1964 - 1965 Nr. 50 (nach niederländischem Recht wurde eine unerlaubte Handlung der Organe einer niederländischen Tochtergesellschaft unterstellt; die deutsche Obergesellschaft haftete für das Delikt zwar nicht im Durchgriff [dazu unten § 2 II. 3. bei Fn. 72], möglicherweise aber aus niederländischer Gehilfenhaftung in Verbindung mit einem Organschaftsvertrag); IPG 1979 Nr. 13 (S. 128, 130, 135f.) (Bonn) (Haftung eines algerischen „groupement" für Verrichtungsgehilfen, für Organe und als „gardien"; Handlungs- und Erfolgsort in Algerien; wie das Landgericht Frankfurt auf Anfrage mitgeteilt hat, wurde der Rechtsstreit außergerichtlich verglichen.) 61 JZ 1951, 223 (225 rechts, 226 rechts f.) mAnm Ballerstedt = IPRspr. 1950 - 1951 Nr. 22. 62 Die Rechtsanwendungsverordnung vom 7.12.1942 (Jayme / Hausmann, S. 162) wird nicht zitiert (bemängelt von Ballerstedt, JZ 1951 227 sub I. 2.). 63 Β G H Z 9, 34 (49 - 53) = IPRspr. 1952 - 1953 Nr. 37; Vorinstanz: O L G Nürnberg, Urt. v. 21.12.1951, IPRspr. 1950 - 1951 Nr. 24 = VersR 1952, 121 mAnm Weber.

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg von der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Rentenanstalt, einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, den Rückkauf swert einer Lebensversicherung ein, die zugunsten einer Jüdin bestand. Nach dem Kriege verklagte die Frau den Versicherungsverein auf Schadensersatz, weil weder sein Hauptbevollmächtigter bei der Münchener Zweigniederlassung, noch die Hauptverwaltung in Zürich versucht hatten, die Einziehung zu verhindern. Der Bundesgerichtshof warf dem Versicherungsverein zwar eine (seil.: zurechenbare) Vertragsverletzung durch seine Züricher Hauptverwaltung vor, sprach der Klägerin aber keinen Schadensersatz zu. Denn der Versuch, die Einziehung zu verhindern, habe nach der damaligen Lage der Dinge keinen Erfolg haben können. 64

cc) Abweisung der Klage wegen Unbegründetheit des Deliktsanspruchs nach deutschem Recht (Art. 38 EGBGB bzw. Art. 12 EGBGB a.F.) Aus kollisionsrechtlichem Grunde unerheblich wurde die Anknüpfung der Organhaftung schließlich dann, wenn die juristische Person ihren Sitz im Inland hatte und ihre Deliktshaftung gemäß Art. 12 EGBGB a.F. (jetzt Art. 38 EGBGB) durch deutsches Recht begrenzt war. Aufgrund des Art. 12 EGBGB a.F. griff etwa die Verjährungseinrede einer deutschen Kommanditgesellschaft durch, deren Angestellte 1940/1941 den Kläger als Zwangsarbeiter nach Polen angefordert und dort mißhandelt haben sollten (§ 852 BGB); nach dem polnischen Deliktsstatut war noch keine Verjährung eingetreten, da es um ein Verbrechen ging. 65 Weniger bitter, aber rechtlich ebenso erging es einer Wirtin aus dem österreichischen Zillertal, die einen deutschen eingetragenen Verein für die angebliche Demolierung ihrer Einrichtung durch eine Kindergruppe verantwortlich machte: Ihre Vertragsansprüche waren nach österreichischem und ihre Deliktsansprüche nach dem begrenzenden deutschen Recht (Art. 12 EGBGB a.F., § 558 BGB) verjährt. 66

64 Vgl. ferner RG, Urt. v. 18.3.1930, HansRGZ 13 (1930) B, 311f. Nr. 112 = IPRspr. 1930 Nr. 36 in Sachen Swift Packing Company, Aktiengesellschaft, Hamburg Branch ./. Bürgerliche Vorschußkasse in Karolinenthal, registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, Sitz Prag, wegen falscher Auskunft (Schadensersatzanspruch nach tschechoslowakischem Recht dem Grunde nach bejaht); Β G H Z 11, 80, Urt. v. 13.11.1953 = IPRspr. 1954 - 1955 Nr. 41 (mit Kollisionsrecht) - „Ouistreham" (Hamburger GmbH ließ ausländischen - französischen ? - Vercharterer unzumutbar auf Beladung des gecharterten Schiffs in New York warten; Vertragsbruchklage des Vercharterers nach deutschem Recht beurteilt). 65 B G H , Urt. v. 12.12.1957, VersR 1958, 109 = IPRspr. 1956 - 1957 Nr. 40. Ähnlich Β G H Z 48, 125, Urt. v. 22.6.1967 = IPRspr. 1966 - 1967 Nr. 43 (interlokal), wo jedoch offen bleibt, ob sich die Verjährung nach dem Recht der späteren Bundesrepublik oder dem der späteren D D R richtet (vgl. Leitsatz in IzRspr. 1966 - 1967 Nr. 43 und B G H Z 48, 127 sub I. 1; beiläufig zu § 31 BGB Β G H Z 48, 132). 66 B G H Z 71, 175, Urt. v. 29.3.1978, W M 1978, 733 = IPRspr. 1978 Nr. 21. Vgl. ferner RG, Urt. v. 8.7.1930 - „Norsk Oil" - , oben § 1 I V . 1. a) bb) bei Fn. 31.

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung

b) Unerheblichkeit der Anknüpfung der Organhaftung infolge Unerheblichkeit der Organhaftung selbst Die Unerheblichkeit unserer Frage hat zum Teil auch materiellrechtliche Gründe: Wo es auf die Organhaftung nicht ankommt, da erst recht nicht auf deren Anknüpfung. aa) Unerheblichkeit der Organhaftung und mithin ihrer Anknüpfung wegen Fehlens zurechenbarer Verschuldenstatsachen Die Organhaftung und erst recht ihre Anknüpfung sind ohne Bedeutung, wenn die Haftung zwar Verschulden (und dessen Zurechnung) voraussetzt, aber Tatsachen, die Verschulden ergäben, nicht feststehen. Freilich wird kaum ein Richter in die Ermittlung von Verschuldenstatsachen eintreten, bevor er nicht weiß, ob und welchen Personen sie im gegebenen Fall zugerechnet werden können: Wer Verschulden prüft, hat dessen Zurechenbarkeit mindestens unbewußt-voraussetzungsmäßig bejaht. Deshalb sollte man meinen, daß Verschuldenstatsachen, auch wo schließlich verneint, nur in bezug auf bestimmte natürliche Personen geprüft werden. So geschieht es aber in der Praxis kaum. In vielen Fällen sind natürliche Personen - die Organe - überhaupt nicht erwähnt. Statt dessen wird die juristische Person selbst - „die Beklagte" - so behandelt als sei sie eine natürliche Person. 67 Bei juristischen Personen so wenig wie bei natürlichen fragen die Gerichte vor der Ermittlung von Verschuldenstatsachen nach dem Statut der Zurechnung „eigenen" Verschuldens; allenfalls das der Zurechnung „fremden" (zuvörderst irgendwelchen Hilfspersonen anzulastenden) Verschuldens wird einmal fraglich. Vgl. ζ. B. OLG Hamburg, ohne Datum (zwischen 1.1.1934 und 8. 6.1936) 68 : In einem Streit um Seewasserschäden erörterte das Gericht durchaus, nach welchem Recht sich die Haftung der beklagten Reederei für Fehler des Kapitäns bestimmte; bezüglich des „eigenen" Verschuldens der Reederei wurden dagegen schlicht die Verschuldenstatsachen gewürdigt. 69 67

Zur Ineinssetzung juristischer und natürlicher Personen oben § 1 II. 1. a) bb) und unten § 1 II. 4. b). 68 HansRGZ 1935 B, 297 (300 rechts f.) = IPRspr. 1935 - 1944 Nr. 120. 69 Unklar ist, ob die Reederei eine Handelsgesellschaft war. Vgl. ferner R G Z 102, 134 (142), Urt. v. 23.4.1921 - „Strindbergs Erben" - (kein Verschulden „der" Beklagten [Verlag]); RG, Urt. v. 3.11.1937, SeuffA 92 (1938), Nr. 48, S. 122 = IPRspr. 1935 - 1944 Nr. 130 (Danziger Schiffsmakler-GmbH hatte keinen deliktischen Vorsatz [§ 826 BGB] gegenüber spanischem Vercharterer, denn „sie" wußte nicht, daß der italienische Charterer die Beladung des beorderten Dampfers vereiteln würde); B G H , Urt. v. 4.5.1976, IPRspr. 1976 Nr. 13 = W M 1976, 792 (975 links sub I. 3. b) cc) („die" Beklagte [Verkäuferin] habe nicht das Bewußtsein einer möglichen Schädigung des Käufers gehabt).

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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Wo nicht von „der" Beklagten, sondern von ihren Organen die Rede ist, hat das Gericht zwar eine genauere Ausdrucksweise verwendet. Diese ändert aber an der Art der Bewertung nichts, so lange mit „den Organen" weniger einzelne fehlbare Menschen gemeint sind als die pauschale Urheberschaft der juristischen Person hinsichtlich bestimmter schädigender Abläufe. Vgl. O L G Bremen, Urt. v. 7.10.1981 - 2 U 162/8170: AEG-Telefunken beauftragte eine venezolanische Schiffahrtsgesellschaft mit der Verschiffung eines Generators von Bremen nach Guanta, Venezuela. Der Generator mußte dort mit schiffseigenem Geschirr gelöscht werden. Sein Gewicht lag zwischen Nutz- und Prüflast des Schwergutbaums. Lloyd's Register of Shipping hatte den Schwergutbaum vor der Reise untersucht und keine Beanstandung erhoben. In Guanta fiel der Generator beim Löschen ins Hafenbecken. AEG-Telefunken machte die Schiffahrtsgesellschaft dafür verantwortlich, unter anderem wegen unerlaubter Handlung ihrer Organe: Diese hätten die Gewichtsüberschreitung gekannt und den Generator nicht ohne die Ausnahmegenehmigung einer Klassifikationsgesellschaft löschen lassen dürfen. Das Oberlandesgericht verwarf diesen Standpunkt: Die Organe hätten ohne Verschulden auf die Untersuchung von Lloyd's vertrauen dürfen. Die Klage sei deshalb zu Recht abgewiesen worden. 71 Der Gehalt an IPR liegt in einem Satz des Landgerichts, auf dessen Gründe das Oberlandesgericht Bezug nahm: Der Rechtsstreit sei nach deutschem Recht zu entscheiden, dessen Anwendung die Parteien vereinbart hätten. 72 Dementsprechend werden - in den referierten Gründen des Landgerichts - die §§ 823, 31 BGB zitiert. Ähnlich ging es in RG, Urt. v. 28.5.1936 73 um Ansprüche eines englischen Eigentümers einer gesunkenen Schiffsladung gegen den Reeder, eine deutsche Kommanditgesellschaft. Für Ansprüche „aus eigener unerlaubter Handlung der Inhaber der Erstbeklagten" und Ansprüche aus dem Konnossement des Eigentümers sollte deutsches Recht gelten. Nach § 823 BGB und §§ 606, 486 Abs. 2 H G B mußte die „Inhaber" der Gesellschaft ein eigenes Verschulden am Verlust des Schiffs treffen. Das konnte das Reichsgericht nicht finden: Die Gesellschaft habe durch eine Berufsgenossenschaft ausreichend darüber gewacht, daß ihr Kapitän das Schiff ordnungsgemäß belud, und ein besonderer Stauplan sei nicht erforderlich gewesen.74 70

Unveröffentlicht. Im Revisionsverfahren wurde das Organverschulden nicht mehr erörtert; vgl. B G H Z 88, 199 (200), Urt. v. 19.9.1983. 72 Zur Bedeutung des Parteiverhaltens für das anzuwendende Recht unten § 1 II. 3. a) bb). 73 HansRGZ 1936 B, 475 (480 rechts f. sub III.) = IPRspr. 1935 - 1944 Nr. 126. 74 Die Organe bleiben letztlich anonym auch in B G H , Urt. v. 11.7.1957, W M 1957, 1047 (1049 sub C. II. 2.) (Bankauszahlung, Deutschland - Niederlande): Es fehle der „nach § 826 BGB erforderliche Vorsatz der Beklagten (d.h. ihrer Organe, § 31 BGB) oder ihrer Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB)" (hierzu oben § 1 I I . 2. a) aa) bei Fn. 55). Mehr in den Vordergrund tritt das einzelne Organ in O L G Köln, Urt. v. 29.5.1967, Z L W 1967, 238 (243f.) = IPRspr. 1966 - 1967 Nr. 25: Die Butan-Export-GmbH, Fürstenfeldbruck, bezog über einen Vermittler von der Alpha-AG in Zürich, einer Vertreterin der Lufthansa A G , Lufthansa-Einzelflugscheine, die auf eine verbilligte Gruppenweltreise mit dem FC Basel umgebucht werden sollten. Alpha-AG erhielt die an den Vermittler geleistete Bezahlung nicht. Die Münchener Zweigstelle der Lufthansa behielt deshalb vorgelegte Einzelflugscheine ein. Butan Export wollte von der Lufthansa ihr Geld zurück. Ihre Klage wurde abgewiesen nach deutschem Recht: Vertrags71

§ 1. Deutsche Rechtsprechung

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bb) Unerheblichkeit der Organhaftung u n d m i t h i n ihrer A n k n ü p f u n g wegen V e r m u t u n g einer an sich zurechnungsbedürftigen Anspruchsvoraussetzung D i e Organhaftung und erst recht ihre A n k n ü p f u n g sind ohne Bedeutung auch dann, wenn das Haftungsstatut

(oder vielleicht

das

Prozeßrecht)

bestimmte Anspruchsvoraussetzungen unwiderleglich oder unwiderlegt vermuten ( z . B . Pflichtverletzung, Verschulden an ihr u n d Zusammenhang m i t dem Schaden) u n d die übrigen nach ihrer A r t einer Zurechnung nicht bedürfen ( z . B . die Schmälerung eines Rechtsguts). 7 5 A b e r V e r m u t u n g e n mögen darüber täuschen, daß die juristische Person für die schädigende Tat i m übrigen, also bis auf deren vermutetes E l e m e n t , nur über Zurechnungsregeln verantwortlich ist. cc) Sonstige materiellrechtliche Gründe für die Unerheblichkeit der A n k n ü p f u n g der Organhaftung D i e Organhaftung u n d erst recht ihre A n k n ü p f u n g sind ohne Bedeutung schließlich dann, wenn Elemente der materiellrechtlichen Ansprüche fehlen oder V e r j ä h r u n g durchgreift. Es fehlten 1. die Verletzung einer Sorgfaltspflicht in B G H , Urt. v. 17.3.1981 - V I Z R 286/78 „Benomyl" 7 6 : D u Pont de Nemours (Gesellschaft mit Sitz im amerikanischen Bundesstaat Delaware), deutsche Tochtergesellschaft und deutsche Vertriebsgesellschaft 77 haftung scheiterte, da Lufthansa und Alpha-AG die Flugscheine ohne schadensursächliches Verschulden dem Vermittler gegeben hatten; Deliktshaftung (§§ 823, 31 BGB) scheiterte, weil der Leiter der Münchener Zweigstelle die unbezahlten Flugscheine ohne Verschulden einbehalten durfte (§ 320 BGB). 7 5 So in BGH, Urt. v. 30.6.1976, VersR 1976, 832 (835) = IPRspr. 1076 Nr. 2 (zwei Professoren bei Flugzeugabsturz in Ankara getötet; türkische Luftfahrtgesellschaft konnte Verschuldensvermutung nach dem türkischen HGB nicht widerlegen); L G Hamburg, Urt. v. 7.9.1977, IPRspr. 1977 Nr. 33 (die Beschädigung eingeflogener Damenbekleidung ging ursächlich auf Verhalten „der Beklagten", einer Luftfahrtgesellschaft in Singapur, zurück; nach dem hypothetisch gewollten deutschen Vertragsrecht knüpfte sich daran eine Verschuldensvermutung [§ 282 BGB], die unwiderlegt blieb); OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.4.1978, VersR 1979, 824 = BB 1980, 286 = IPRspr. 1978 Nr. 24 - „Klapprad" - (Produzentenhaftung einer französischen Aktiengesellschaft [vgl. bezüglich der Rechtsnatur der Beklagten das Revisionsurteil vom 11.12.1979, VersR 1980, 380 = BB 1980, 443 sub II. 1. b)]); L G Bremen, Urt. v. 17.3.1981, IPRspr. 1981 Nr. 42 = VersR 1982, 237 mAnm Borgwardt (Seeverfrachterin war nach dem niederländischen Wetboek van Koophandel von einer Verschuldensvermutung betroffen und konnte sich bezüglich eines Mankos in der Schiffsladung nicht entlasten). 76 Β G H Z 80, 199 = IPRspr. 1981 Nr. 26 = W M 1981, 548 (mit vollständigem Sachverhalt); Vorinstanz: O L G Celle, Urt. v. 26.10.1978, IPRspr. 1978 Nr. 28. 77 Die Vertriebsgesellschaft war nur bis zur Berufungsinstanz beteiligt.

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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mußten nach deutschem Recht nicht für das resistenzbedingte Versagen des Spritzmittels „Benomyl" haften, denn die geschädigten Obstbauern waren Beweise für Tatsachen schuldig geblieben, die eine Warnpflicht begründet hätten. 78 Ob die Organe von D u Pont um diese Tatsachen hätten wissen können und ob ihnen ein Warnhinweis möglich und zumutbar gewesen wäre, das waren Fragen des Verschuldens, auf die es nicht mehr ankam. 2. die Verletzung einer Aufklärungspflicht in IPG 1982 Nr. 6 (München) 79 (keine Deliktshaftung einer Gesellschaft mit Sitz im amerikanischen Bundesstaat Delaware wegen unrichtiger Aufklärung des Käufers durch eine Vertreterin in München, da wegen Offenkundigkeit eine Aufklärungspflicht nicht bestand und der Käufer auf eigene Gefahr gehandelt hatte). 3. der Ursachenzusammenhang zwischen Deliktstat und Verletzung in B G H , Urt. v. 11.2.1953 80 (schweizerischer Versicherungsverein hätte die Einziehung des Rückkaufswerts einer Versicherung in Deutschland nicht abwenden können). 4. Widerrechtlichkeit der Tat in RG, Urt. v. 28.10.1932 81 : Eine deutsche GmbH hatte einen Verkaufsvertreter („Geschäftsführer") in den U . S . A . Dessen Provisionsansprüche wurden gepfändet. Die Gläubiger warfen der GmbH Verletzung des Pfändungspfandrechts vor. Das Reichsgericht verneinte § 823 BGB mangels widerrechtlichen Eingriffs, bemerkte aber 82 , daß die GmbH für unerlaubte Handlungen ihres Vertreters (Abzug der Provisionen von den eingenommenen Kaufgeldern) nicht einzustehen habe. Vgl. ferner O L G Freiburg, Urt. v. 26.10.1950 83 (Rücktransport von Hausrat aus der Schweiz nach Deutschland, wo die Polizei auf ihn zugriff). Verjährung griff durch in B G H , Urt. v. 6.11.1973 84 („die Beklagte" in Belgien vollstreckte unbegründet in Deutschland [und konnte sich auf § 852 BGB berufen]) und in O L G Karlsruhe, Urt. v. 25.2.1976 - „Fahrradgepäckträger" - 8 5 (schweizerische Beklagte verwarnte und klagte unberechtigt in Deutschland wegen angeblicher Patentverletzung). 86

Zwei Entscheidungen haben, obwohl sie die Rechtsprüfung an einer anderen Stelle abbrachen, die Zurechnungsfrage erreicht und zu deren Beurteilung nach dem Haftungsstatut geneigt: 1. O L G Hamburg, Urt. v. 30.12.1953 87 : Die Klägerin, eine Firma in Saarbrücken, hatte bei der Firma d'Y. in Paris Parfüm gekauft. Die Firma d'Y. beauftragte die Beklagte, eine offene Handelsgesellschaft in Hamburg, mit dem Transport der Ware. 78 Zur Beweislast vgl. den gleichzeitig entschiedenen Inlandsfall B G H Z 80,186, Urt. v. 17.3.1981 - V I Z R 191/79 - „Hoechst/Derosal". 79 S. 52, 57, 64. so B G H Z 9, 53; dazu oben § 1 I I . 2. a) bb) bei Fn. 63. 81 R G Z 138, 252, Urt. v. 28.10.1932 = IPRspr. 1933 Nr. 19. 82 R G Z 138, 256. 83 Oben § 1 II. 2. a) bb), Fn. 61. 84 VersR 1974, 197 = NJW 1974, 410 mAnm Geimer = IPRspr. 1073 Nr. 137. S5 WRP 1976, 381 = IPRspr. 1976 Nr. 13. 86 Zur Verjährung nach begrenzendem deutschem Recht (Art. 38 EGBGB bzw. Art. 12 EGBGB a.F.) oben § 1 II. 2. a) cc). 87 IPRspr. 1952 - 1953 Nr. 21.

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung

Eine Teillieferung kam bei der Klägerin nicht an. Die Klägerin verlangte deswegen von der Beklagten Schadensersatz. Ansprüche aus dem Vertrag zwischen der Firma d'Y. und der Beklagten waren nach dem maßgebenden französischen Recht verjährt. Zu prüfen blieben Ansprüche wegen Eigentumsverletzung. Denn die Ware war mit Übergabe an die Beklagte in das Eigentum der Klägerin übergegangen (französisches Recht der Belegenheit: Artt. 711, 1138, 1583 Cc nebst Konkretisierung einer Gattungsschuld). Das Oberlandesgericht entschied über diese Ansprüche nach dem deutschen Heimatrecht der Parteien. 88 Danach konnte die Beklagte aus § 823 Abs. 1 BGB haften (Fremdbesitzerexzeß). Aber ein schädigendes Tun ihrer Gesellschafter war nicht vorgetragen. Und eine Deliktshaftung durch Unterlassen war allein durch die Verletzung der Transportpflicht nicht begründet.

Der Anspruch wurde also schon mangels deliktischer Tat verneint. Auf deren Zurechnung kam es, streng genommen, nicht mehr an. Das Oberlandesgericht hatte jedoch vorausgeschickt, daß § 31 BGB entsprechend für Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft gelte. Das zeigt, daß es § 31 BGB über die deliktsrechtliche Kollisionsnorm für berufen hielt. Die Sorgfalt, mit der die Entscheidung begründet ist, läßt annehmen, daß das Gericht es nicht verschwiegen hätte, wenn es die Zurechnung anders als die Haftung hätte anknüpfen wollen. 2. O L G Frankfurt, Urt. v. 18.1.1979 89 : Die beklagte Hessische Landesbank war Minderheitsaktionär der „Banque de Crédit International" ( B . C . I . ) , einer Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts. Sie nahm Einfluß auf deren Geschäfte, indem sie drei ihrer höchsten Vertreter in den Verwaltungsrat, den Beirat und das Direktorium der B . C . I . wählen ließ. In sogenannten „Patronatserklärungen" wies sie darauf hin, daß sie für die Liquidität der B . C . I . sorgen werde. Als B . C . I . die Schalter schließen mußte, weigerte sich die Hessische Landesbank, den Einlegern, darunter dem Kläger, für den Schaden aufzukommen. Das Oberlandesgericht lehnte eine Verpflichtung der Hessischen Landesbank aus den „Patronatserklärungen" sowie Vertrauenshaftung ab, beides nach dem hypothetisch gewollten deutschen Schuldrecht. Deliktshaftung verwarf es sowohl nach deutschem als auch nach schweizerischem Recht mangels Widerrechtlichkeit (§ 826 BGB, Art. 41 OR). Nach schweizerischem Aktienrecht haftete die Hessische Landesbank aber möglicherweise wegen Verletzung der Pflichten eines Verwaltungsmitglieds (Art. 754 OR). Verwaltungsmitglied der B . C . I . waren zwar nur die Vertreter der Hessischen Landesbank und nicht diese selbst als juristische Person gewesen (Art. 707 Abs. 3 OR). Nach einer schweizerischen Lehrmeinung haftete aber nicht nur das delegierte Verwaltungsmitglied, sondern auch die delegierende juristische Person (Organhaftung). 90 Dieser Meinung schien das Oberlandesgericht zuzuneigen, zumal es schon im Zusammenhang mit der Deliktshaftung eine Verteidigung der Hessischen Landesbank aus Art. 707 Abs. 3 OR nicht hatte gelten lassen.91 Indes, die Einle88

§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Rechtsanwendungsverordnung (Jay me / Hausmann, S. 162). 89 IPRspr. 1979 Nr. 10b (S. 52, 54). 90 O L G Frankfurt, IPRspr. 1979 Nr. 10b, S. 55. Zitiert wird Schucany, Art. 707, Rn. 5. Dogmatisch handelt es sich um Organhaftung nach Art. 55 Abs. 2 Z G B (vgl. Züricher Kommentar / Bürgt, Art. 707, Rn. 33 mit Meinungsstand und Diskussion). 91 IPRspr. 1979 Nr. 10b, S. 52.

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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ger hätten nur dann über Art. 754 OR auf die Hessische Landesbank durchgreifen können, wenn über die B. C. I. der Konkurs eröffnet worden wäre (Art. 758 OR). Der aber war abgewendet. 92 3. Übergehung der Anknüpfung der Organhaftung D i e kollisionsrechtliche Frage ( A n k n ü p f u n g der Organhaftung) ist mitunter übergangen worden. a) Erklärliche

Übergehung

der

Anknüpfung

Für die Übergehung der A n k n ü p f u n g kann es Gründe geben. aa) Materiellrechtliche Prüfung der Organhaftung nach allen beteiligten Rechten m i t j e gleichem Ergebnis D i e A n k n ü p f u n g der Organhaftung ließ sich übergehen, wo die möglichen Organhaftungsnormen leicht zu ermitteln waren, i m wesentlichen dieselben Feststellungen bedingten u n d i n den Rechtsfolgen übereinstimmten. Vgl. RG, Urt. v. 2.5.1900 93 : Brenner hatte einen Geschäftspartner durch Geschäftsabschlüsse geschädigt, die er von Cincinnatti, Ohio, aus als Organ und im Namen der dort ansässigen Brenner Lumber Company getätigt hatte. Der Schaden trat in Hamburg ein. Das Reichsgericht ließ offen, ob Cincinnatti als Handlungsort oder Hamburg als Erfolgsort maßgebend sei. Denn das Berufungsgericht habe den Ersatzanspruch gegen die Company nach dem Recht von Ohio irrevisibel und nach dem gemeinen Recht von Hamburg ohne Rechtsfehler für begründet erklärt. Eine solche Übergehung des I P R durch mehrfache Sachrechtsprüfung ist ohne B e d e n k e n 9 4 und, da manchmal praktisch, auch heute i n Ü b u n g . 9 5 Anders als der Revisionsrichter darf (und wird) der Tatrichter freilich nie offen lassen, ob er allein nach deutschem oder allein nach irrevisiblem ausländischem Recht ent92 Das Landgericht Frankfurt als Vorinstanz (Urt. v. 8.3.1977, Die A G 1977, 321 = IPRspr. 1979 Nr. 10a) hatte allein deutsches Deliktsrecht geprüft, aber ein der Hessischen Landesbank zurechenbares sittenwidriges Handeln ihrer Organe verneint. Ähnlich, aber ohne Ausführungen zum Kollisionsrecht, L G Hamburg, Teilurt. v. 14.6.1957, IzRspr. 1960 - 1961 Nr. 63 (S. 154f.) (Außenhandelsorgan der D D R stoppte Lieferungen Volkseigener Betriebe an deren Kunden in der Bundesrepublik; es handelte nach den Umständen nicht sittenwidrig und haftete deshalb nicht wegen Verleitung zum Vertragsbruch [§§ 826, 31 BGB]). 93 JW 1900, 477 Nr. 27. 94 Soergel / Kegel, Vor Art. 7, Rn. 115 - 118 (im Einklang mit der im Text referierten, aber gegen die ansonsten praktizierte Ansicht des Reichsgerichts). 9 * Vgl. z.B. B G H Z 23, 65 (69), Urt. v. 21.12.1956 = IPRspr. 1956 - 1957 Nr. 14 (dazu unten § 2 III. bei Fn. 87) (keine Beschwer durch Anwendung der deutschen Gefährdungshaftung, da die schwedische übereinstimme).

§ 1. Deutsche Rechtsprechung

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schieden hat. 9 6 Sonst ist dem Revisionsgericht eine Nachprüfung versperrt (kollisionsrechtliche Entscheidung offen, sachrechtliche Entscheidung nicht eindeutig revisibel), und das Urteil verfällt wegen nicht ausschließbarer Gesetzesverletzung der Revision (arg. §§ 549, 550 ZPO). bb) Stillschweigende Erstreckung einer Parteivereinbarung über das Deliktsstatut auf die Organhaftung D i e A n k n ü p f u n g der Organhaftung w i r d möglicherweise auch dadurch übergangen, daß die Gerichte eine Parteivereinbarung über das maßgebende Recht als Freistellung von jeder kollisionsrechtlichen Prüfung verstehen u n d sie deshalb nicht nur auf das streitige Schuldverhältnis, sondern auch auf die Organhaftung beziehen. So ist in O L G Bremen, Urt. v. 7.10.1982 - 2 U 162/81 - 9 7 die Wahl deutschen Rechts durch die Parteien nicht verstanden als allein auf das deliktische Schuldverhältnis bezüglich, sondern als Verzicht auf eine kollisionsrechtliche Entscheidung schlechthin. Das Landgericht formulierte (und das Oberlandesgericht verlangte nicht mehr als) einen einzigen Satz zum IPR: „Der Rechtsstreit sei materiell nach deutschem Recht zu entscheiden, dessen Anwendung die Parteien zulässigerweise vereinbart hätten." 9 8 Wie in einem Inlandsfall entschied deshalb in jeder Beziehung - einschließlich der Organhaftung - deutsches Recht. Diesen Schematismus - W a h l deutschen Rechts durch die Parteien, also Entscheidung wie i n einem Inlandsfall - hat der Bundesgerichtshof zwar nie ausdrücklich gutgeheißen. Seine Anschauung v o n Parteivereinbarungen über das anwendbare Deliktsrecht spricht jedoch dafür, daß er i h n d u l d e t . " I m „ B e n o m y l " - F a l l sollte für die Produkthaftung deutsches Recht gelten, a) weil unter i h m die Parteien prozessiert hatten u n d b) weil der Kläger durch dieses Prozessieren auf weitergehende Ansprüche nach Auslandsrecht verzichtet h a b e . 1 0 0 Das paßt nur zueinander, wenn man die Rechtswahl als materiell-

96 Für die Praxis des Revisionsgerichts vgl. ζ. B. B G H , Urt. v. 12. 3.1981, NJW 1981, 1900 = FamRZ 1981, 651 (Revisionsgericht ermittelt ein weiteres Recht [§ 565 Abs. 4 ZPO] und bestätigt auch danach die Klageabweisung). 97 Oben § 1 II. 2. b) aa) bei Fn. 70. 98 In dieser Form wiedergegeben im Tatbestand des Berufungsurteils. 99 Als Beleg vgl. B G H , Urt. v. 8.7.1986 - V I Z R 47/85 - , dargestellt unten § 1 II. 5. bei Fn. 150. (Organhaftung als einziger Streitpunkt; Entscheidung nach deutschem Recht, weil beide Parteien nach dessen Vorschriften vorgetragen hatten). 100 Urt. v. 17.3.1981 - 6 Z R 286/78 - „Benomyl" , dazu oben § 1 I I . 2. b) cc), Fn. 76. Gleiche Konstruktion in den Urteilen des 6. Zivilsenats vom 23.6.1964, VersR 1954, 1027 (1028) = NJW 1964, 2012 sub 3. c); vom 6.11.1973, VersR 1974, 197 = NJW 1974, 410 mAnm Geimer = IPRspr. 1973 Nr. 137 (dazu oben § 1 II. 2. b) cc), Fn. 84; vom 20.12.1983, Β G H Z 89,198 (201) = IPRspr. 1983 Nr. 35; noch ohne die Konstruktion Urt. v. 10.6.1960, VersR 1960, 907 (908) und Urt. v. 27.11.1962, VersR 1963, 241. In der Diktion noch ausschließlicher der 2. Zivilsenat im Urt. v. 26.11.1964, B G H Z 42, 385 (388f.) = IPRspr. 1964 - 1965 Nr. 62, S. 209 und im Parallelurteil vom

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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rechtliche begreift; denn ein Verzicht auf Ansprüche nach einem kollisionsrechtlich nicht gewählten Recht wäre sinnlos. D a h i n deutet auch die K o n struktion v o n Raape, der die Anschauung des Bundesgerichtshofs begründet hat: Verzicht auf die ausländische „ H ä l f t e " des Deliktsstatuts nach dessen Maßgabe u n d Vertrag nach der deutschen „ H ä l f t e " , sich so zu stellen, wie wenn das D e l i k t sich i n Deutschland ereignet h ä t t e . 1 0 1 V o n hier aus ist es nur ein kleiner Schritt, über das ausländische Personalstatut der juristischen Person hinwegzusehen u n d einen Inlandsfall zu fingieren. Z w a r bewegt die K o n struktion sich i m Rahmen des Deliktsstatuts u n d ist auf deliktsrechtlich qualifizierte Haftungsnormen beschränkt. A b e r wenn es ihr Sinn ist, Ansprüche nach Auslandsrecht auszuschließen, kann dann der Richter für eine getrennt betrachtete Haftungszurechnung sich v o m deutschen Recht lösen und den Kläger über eine ausländische Zurechnungsnorm besser stellen? D i e Frage ist theoretisch, nämlich v o n der K o n s t r u k t i o n her, formuliert. Praktisch w i r d sie, falls jemals erhoben, durch Auslegung der Parteierklärungen beantwortet werden.102 Weniger im Konflikt zwischen kollisionsrechtlichen und materiellrechtlichen Rechtswahltheorien als anhand der Gedanken versäumter Berufung auf ausländisches Recht und prozessualer Präklusion entwickelte sich die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts. Im Urt. v. 25.2.1893 103 wurde auf einen Deliktsanspruch schweizerisches Recht angewandt, weil vor den kantonalen Gerichten niemand die Anwendbarkeit ausländischen Rechts behauptet hatte. 57 Jahre später hieß es im Urt. v. 10.5.1950 104 : „Der Umstand, dass [sie] sich die Parteien im Prozeß übereinstimmend auf ein bestimmtes Recht berufen, ist höchstens dann von Bedeutung, wenn zu entscheiden ist, nach welchem Recht die Wirkungen eines Vertrags sich bestimmen . . . " . Bezüglich vertraglicher Ansprüche ließ erstmals das Urt. v. 31.8.1953 105 eine nachträgliche Rechtswahl zu; es genüge, wenn die Parteien sich im Prozeß auf ein bestimmtes Recht berufen hätten (zuvor hatte dies nur als Indiz für den Parteiwillen bei Geschäftsabschluß gegolten 106 ). Die Frage, ob Schweigen im Prozeß die Wahl schweizerischen

gleichen Tage, VersR 1965, 152 (153 links). Zustimmend der 8. Zivilsenat im Urt. v. 24.9.1986, NJW 1987, 592 (594). Wohl für kollisionsrechtliche Rechtswahl L G Hamburg, Urt. v. 19.12.1973, IPRspr. 1973 Nr. 18. Nicht einzuordnen ist L G Aachen, Urt. v. 7.2.1973, IPRspr. 1974 Nr. 20. 101 FS Böhmer, 121 - 123; Lehrbuch, S. 579f.; anders früher in Staudinger / Raape, Art. 12, Anm. A I I I (prorogatio legis). Vgl. nunmehr Art. 4 Abs. 2 EGBGB und Art. 42 Abs. 1 S. 1 des Regierungsentwurfs (oben § 1 II. 1. a) aa), Fn. 29). 102 In der Regel wird der Tatrichter sich in vollem Umfang ins deutsche Recht entlassen fühlen, wenn er die Parteivereinbarung einmal in das Sitzungsprotokoll aufgenommen hat. Und eine Revisionsrüge dürfte kaum Erfolg haben, wenn nur die protokollierte Formulierung eindeutig ist. 103 BGE 19, 291 (298), Erw. 2. 104 BGE 76 I I I 60 (61), Erw. 1. 1Q 5 BGE 79 I I 295 (302), Erw. l a . 106 Vgl. BGE 63 I I 125, Urt. v. 9.6.1936; 63 I I 44, Urt. v. 2.3.1937; 65 I I 168 (170), Erw. 1, Urt. v. 25.10.1939.

§ 1. Deutsche Rechtsprechung

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Rechts bedeute 107 , entschied das Urt. v. 25.8.1961 108 : Die bloße Bezugnahme auf schweizerisches Recht genüge nicht; von Rechtswahl oder Verzicht könne nur gesprochen werden, wo den Parteien bewußt geworden sei, daß sich die Frage nach dem maßgebenden Recht überhaupt stelle. War diese Rechtsprechung auf Deliktsansprüche übertragbar? Im Urt. v. 2.5.1973 1 0 9 ging es um Ansprüche aus Gesellschaftsvertrag und Delikt. Der Vorderrichter hatte das Urt. v. 25.8.1961 zitiert und „mangels bewußten Willens" eine Rechtswahl verneint. Das Bundesgericht wandte gegen die Übertragung des Präjudizes auf Deliktsansprüche nichts ein, ließ aber die Frage einer Rechtswahl offen, weil es bereits über eine objektive Anknüpfung zum schweizerischen Recht gelangte. Im ganzen führt diese Rechtsprechung noch klarer als die des Bundesgerichtshofs zur Fiktion von Inlandsfällen: Wo die Parteien bewußt auf die Anwendung ausländischen Rechts verzichten, da ist dieses in jeder Beziehung als Prozeßstoff präkludiert. 110

b) Unerklärliche

Übergehung der Anknüpfung

Nicht immer ist klar zu sehen, warum die Anknüpfung der Organhaftung übergangen worden ist. So ζ. B. in folgenden Fällen: 1. RG, Urt. v. 5.1.1937 1 1 1 : Die Konkursverwalter einer niederländischen Aktiengesellschaft stritten mit einem vorgeblichen Gläubiger in Deutschland um Zinsen aus einer Hypothek der Aktiengesellschaft. Der Gläubiger konnte aus § 826 BGB die Freigabe der Hypothekenzinsen verlangen, wenn, neben anderen Voraussetzungen, die Organe der Aktiengesellschaft ihn schuldhaft davon abgehalten hatten, die Hypothek im Konkurs zu pfänden. Für das Reichsgericht war es selbstverständlich, daß ein solches Verhalten zurechenbar wäre, denn es sprach gleichzeitig vom Verhalten der Organe und „ihrem", der Aktiengesellschaft, Verhalten. 112 2. RG, Urt. v. 16.3.1887 113 : Die Bremer Vereinsbank, eine Aktiengesellschaft, ließ ihre Hamburger Schuldner B. & Co. bei der Baseler Handelsbank ein Darlehen, das in

107

Offen gelassen in BGE 80 I I 49 (50f.), Erw. 1, Urt. v. 30.3.1954; bejaht in BGE 80 I I 179 (180), Urt. v. 26.5.1954 („certains actes" nach kantonalem Prozeßrecht versäumt); verneint in BGE 81 I I 175 (176), Erw. 2, Urt. v. 24.6.1955 (Züricher ZPO verlangte keine Berufung auf ausländisches Recht). 108 BGE 87 I I 194 (200f.), Erw. 3d. 109 BGE 99 I I 315 (317f.), Erw. 3a (dazu unten § 8 I I I . 2. b) aa), Fn. 96). 110 Der Bundesrichter Schönenberger, eine im IPR der Praxis oft zitierte Stimme, hat sich der Meinung Raapes und damit des Bundesgerichtshofs angeschlossen (Züricher Kommentar / Schönenberger, Teilband V i a , Allgemeine Einleitung, Rn. 331). Art. 130 des Entwurfs eines IPR-Gesetzes erlaubt dagegen eine kollisionsrechtliche Rechtswahl, beschränkt auf das Recht am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsort der Parteien und das Recht am Gerichtsort (vgl. Begleitbericht, deutsch S. 148, französisch S. 333). 111 R G Z 153, 200 = IPRspr. 1935 - 1944 Nr. 759. 112 R G Z 153, 209f. 113 R G Z 18, 116.

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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einer Zeitungsannonce ausgeschrieben war, aufnehmen und an sich weiterzahlen. Als Sicherheit verpfändeten B. & Co. Eigenaktien der Vereinsbank, die sie von dieser erhalten hatten. Der Kurs dieser Aktien war durch eine falsche Bilanz hochgetrieben worden. Dies war dem Vorstand der Vereinsbank klar, als er B. & Co. die Aktien gab. Das Reichsgericht wandte ohne Diskussion das in Hamburg und Bremen geltende gemeine Recht an. Nach der gemeinrechtlichen actio doli 1 1 4 bejahte es den Durchgriff der Baseler auf die Bremer Bank: Die Aktiengesellschaft hafte aus einem Delikt des Vorstands jedenfalls soweit, als durch das Delikt etwas in ihr Vermögen gekommen sei. 3. RG, Urt. v. 22.1.1892 115 : Eine Witwe in Elsaß-Lothringen klagte gegen eine Versicherungsgesellschaft mit Sitz in Brüssel auf die Summe, mit der ihr Mann sein Leben versichert hatte. Zwar sei die letzte Prämie nicht bezahlt worden (Verwirkungseinrede der Versicherung), jedoch nur wegen eines Verschuldens des Versicherungsagenten in Elsaß-Lothringen; dieses müsse die Versicherung sich zurechnen lassen. Die Zurechnung hing nach Ansicht des Oberlandesgerichts Kolmar wie des Reichsgerichts von der Vertretereigenschaft des Agenten ab - offen bleibt, ob aufgrund belgischen oder elsässisch-französischen Rechts. Die Vertretereigenschaft hatte das Oberlandesgericht infolge einer in Elsaß-Lothringen bestehenden Übung bejaht. Das Reichsgericht hielt diese Übung nicht für unanwendbar, vermißte aber die Fragestellung, daß die Gesellschaft ein Handeln des Agenten gerade als Vertreter geduldet habe. D i e offenbare Übergehung der kollisionsrechtlichen Frage könnte darauf beruhen, daß das Reichsgericht die Voraussetzungen der Zurechnung aus „allgemeinen Privatrechtsgrundsätzen" gewonnen hat, auf die es sich i n der Endzeit der Partikularrechte h i n u n d wieder bezogen h a t . 1 1 6 Insbesondere die Organhaftung, eine Schöpfung des Reichsgerichts für das gemeine Recht, erschien möglicherweise als ein selbständiges Prinzip, das nicht auf die Geltungsbereiche seiner beispielhaften Niederlegungen ( z . B . § 82 A L R I I . 6.) beschränkt bleiben konnte. Die Entwicklung der Organhaftung war im wesentlichen folgende gewesen: RG, Urt. v. 29.6.1883 117 konnte die Haftung einer offenen Handelsgesellschaft für ihren vertretungsberechtigten Gesellschafter nach Art. 1384 Cc bejahen. RG, Urt. v. 5.2.1886 1 1 8 mußte jedoch untersuchen, ob es über Art. 1384 Cc hinaus einen Grundsatz solcher Haftung gab. RG, Urt. v. 17.4.1895 119 konnte im Hinblick auf frühere Rechtsprechung einen allgemeinen Rechtssatz der Organhaftung formulieren und § 82 A L R II. 6. als Beispiel anführen. RG, Urt. v. 29.9.1897 120 bezeichnete das Richterrecht zur Organhaftung als Grundsatz für das Gebiet des Allgemeinen Landrechts und des gemeinen

114

Dazu R G Z 18, 120. R G Z 28, 389. 116 So ist auch die dem amtlichen Abdruck vorangestellte Frage nicht wie sonst zur Zeit der Partikularrechte auf ein bestimmtes Recht bezogen: „Unter welchen Voraussetzungen kann der Unteragent einer Versicherungsgesellschaft als deren Vertreter angesehen werden?" 117 R G Z 10, 301. 1« R G Z 15, 121 (123 - 133). 119 R G Z 35, 317 (325). 120 Sächsisches Archiv 8 (1898), 347. 4 Schohe

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung

Rechts. Nach RG, Urt. v. 25.10.1900 121 sind bezüglich der Zurechnung die juristischen Personen, die nach römischem Recht für deliktsunfähig galten, durch gemeines deutsches Gewohnheitsrecht den physischen Personen gleichgestellt. 122

„Allgemeine Privatrechtsgrundsätze" stehen vielleicht auch hinter der folgenden Entscheidung: 4. RG (1. Zivilsenat), Urt. v. 25.6.1890 123 : Vorstandsmitglieder einer Leipziger Verlegergenossenschaft riefen im Leipziger Börsenblatt zum Boykott gegen Berliner Buchhändler auf. Das Reichsgericht gab den Vorstandsmitgliedern darin recht, daß die schädigende Handlung der Genossenschaft zuzurechnen sei. 124 Dies schließe aber die Haftung der Vorstandsmitglieder selbst nicht aus.

Redete das Reichsgericht hier von sächsischem oder von preußischem Zurechnungsrecht? Wohl von keinem, sondern von Grundsätzen, die beide angingen. Dafür spricht, daß es zur Widerrechtlichkeit des Boy kottauf ruf s sowohl das Allgemeine Landrecht als auch das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch zitierte. 125 Allerdings trifft die Annahme, dank einer Einheitsbetrachtung habe die Anknüpfung der Zurechnung übergangen werden können, nur auf den Rechtszug in Preußen zu. Als derselbe Fall vor sächsischen Gerichten erneut verhandelt wurde, kam allein das sächsische (interlokale und materielle) Recht zum Zuge: RG (6. Zivilsenat), Urt. v. 5.10.1893 126 : Nachdem die in Berlin erhobene Klage nur teilweise Erfolg gehabt hatte 1 2 7 , klagte einer der Buchhändler nochmals in Leipzig. Die Klage wurde nach sächsischem Recht mangels Verschuldens abgewiesen. Das Reichsgericht verwarf die dagegen gerichtete kollisionsrechtliche Revisionsrüge, denn das sächsische interlokale Privatrecht sei irrevisibel.

Nach allem verlief die Entwicklung vor der Jahrhundertwende vermutlich so: Die Zivilsenate des Reichsgerichts für die einzelnen Rechtsgebiete hatten verschiedene Zurechnungsregeln vor sich, im wesentlichen: „Deliktsunfähigkeit" juristischer Personen nach dem älteren römischen Recht und „Deliktsfähigkeit" nach einigen Kodifikationen. Hier galt es, entweder die Zurechnungsregeln konvergieren zu lassen oder räumliche Kollisionsregeln zu schaffen. Das Konvergenzstreben überwog. Während für die achtziger Jahre noch ein kollisionsrechtlicher Entscheid nachzuweisen ist 1 2 8 , wurde die Organhaf121

R G Z 47, 241. Siehe auch unten § 6 III. 1. bei Fn. 30. 123 R G Z 28, 238. 124 R G Z 28, 242. 125 R G Z 28, 248. 126 Bolze, Praxis, Bd. 17 Nr. 5. 127 Vgl. das zweite Revisionsurteil des 1. Zivilsenats vom 14.6.1891, Bolze, Praxis, Bd. 13, Nrn. 107, 108. 128 RG, Urt. v. 23.9.1887 („Hanau-Pforzheimer-Empfehlung"), dazu oben § 11. bei Fn. 1. Vielleicht war das Reichsgericht damals noch nicht bereit, die „Deliktsfähigkeit" der beklagten offenen Handelsgesellschaft auch nach dem gemeinen Recht anzuerkennen, das an ihrem Sitz in Hanau galt. 122

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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tung i n den Neunzigern vereinheitlicht, erst i n Partikularrechtsfällen 1 2 9 , dann, anscheinend, auch i n den vorgestellten interlokalen Fällen. 4. Übergehung der materiellrechtlichen Prüfung der Organhaftung A u c h die sachrechtliche Frage - die Organhaftung selbst - ist mitunter übergangen worden. M i t ihr war erst recht die kollisionsrechtliche Frage - die A n k n ü p f u n g der Organhaftung - aus dem Spiel. a) Übergehung der materiellrechtlichen der Verbandseigenschaft

Prüfung

infolge

Vernachlässigung

der beklagten Partei

D i e sachrechtliche Frage ist unterdrückt, w o die juristische Person ( „ d i e Beklagte") wie eine natürliche behandelt w i r d - so als ob sie selber, sittlich handelnd, ihre Pflichten erkennen u n d das Pflichtgemäße wollen könnte. Diese Vereinfachung war schon i n den Fällen zu beobachten, i n denen Verschuldenstatsachen f e h l t e n . 1 3 0 D o r t war sie zu verstehen, weil Zurechnung bei tadelfreiem Verhalten der Organe keine Rolle spielt. Dieselbe Vereinfachung w i r d aber auch da praktiziert, w o Verschuldenstatsachen feststehen u n d ein W o r t zu ihrer Zurechnung fallen m ü ß t e . 1 3 1 Vgl. ζ. B. L A G Frankfurt, Urt. v. 14.3.1951 132 : Der Schatzmeister und Sekretär der beklagten New Yorker Handelsgesellschaft verhandelte in Deutschland mit einem Briten über dessen Anstellung. Nach dem Recht von New York war kein Vertrag geschlossen. Nach dem deutschen Recht des Verhandlungsorts hatte der Brite aber einen Anspruch wegen Verhandlungsverschuldens „der Beklagten" - obwohl der Sekretär nach amerikanischem Recht nicht als deren Vertreter galt. 1 3 3 O L G Düsseldorf, Urt. v. 30.5.1958 134 : Die beklagte Firma (mit Sitz in Cincinnatti, Ohio, und einem Vertreter in München) habe nach deutschem Recht durch Verletzung eines Warenzeichens eine unerlaubte Handlung begangen; diese sei ihr zuzurechnen, weil „sie" die Kollision der Warenzeichen gekannt habe und deshalb über ihren Schweizer Großhändler die Einfuhr der unerlaubt bezeichneten Ware nach Deutschland hätte verhindern müssen. L G Berlin, Urt. v. 19.10.1959 135 : Die G E M A gewann gegen die Luther-Film-GmbH wegen Verletzung eines Urheberrechts im Inland, denn „die Beklagte" habe die mangelnde Übertragung der Musikaufführungsrechte durch den Komponisten gekannt oder kennen müssen. 136 BGH, Urt. v. 20.3.1978 137 : Nach dem stillschweigend vereinbar129 130 131

Soeben § 1 II. 3. b). Oben § 1 II. 2. b) aa). Z u dieser Praxis in Fällen des internationalen Wettbewerbsrechts oben § 1 I I . 1.

a) bb). 132

IPRspr. IPRspr. 134 IPRspr. 13 5 IPRspr. 136 IPRspr. 137 IPRspr. 133

*

1950 - 1951 Nr. 20. 1950 - 1951 Nr. 20, S. 54. 1958 - 1959 Nr. 160 (zu § 32 ZPO). 1958 - 1959 Nr. 15. 1958 - 1959 Nr. 15, S. 516. 1978 Nr. 11 = W M 1978, 873 sub IV.

§ 1. Deutsche Rechtsprechung

52

ten deutschen Recht habe „die Beklagte" (eine deutsche Sparkasse) bei den Vertragsverhandlungen fahrlässig eine Aufklärungspflicht verletzt. L G Mannheim, Urt. v. 30.5.1980 - „Kabelendhülsen" - 1 3 8 : Eine französische Aktiengesellschaft verwarnte unberechtigt eine Firma mit Sitz in Wangen/Allgäu wegen Patentverletzung. Sie wurde nach deutschem Recht wegen Eingriffs in den Gewerbebetrieb der Wangener Firma verurteilt. Das Landgericht stellte Verschuldenstatsachen fest 139 , bemerkte aber nichts zu deren Zurechnung. O L G München, Urt. v. 31.10.1984 140 : Die Inanspruchnahme von Bankgarantien durch eine belgische Bank begründete nach dem deutschen Tatortrecht 141 einen Ersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung. Das Verschulden der Bank ergab sich aus der Korrespondenz und wurde wie bei einer natürlichen Person geprüft. 142

b) Unerklärliche

Übergehung der materiellrechtlichen

Prüfung

Frei von einer „Vermenschlichung" der juristischen Person ist die folgende Entscheidung. Und doch schweigt auch sie bereits zur sachrechtlichen Frage. RG, Urt. v. 21.8.1938 143 : Die beklagte Kopenhagener Aktiengesellschaft hatte zusammen mit den Klägern in Deutschland eine andere Aktiengesellschaft gegründet. Später handelte der gesetzliche Vertreter der Beklagten angeblich bewußt zum Nachteil der Kläger. Dadurch sollten deren Aktien an Wert verloren haben. Das Reichsgericht bejahte die deliktische Verantwortung der Beklagten, verlor aber über deren Organhaftung kein Wort.

Dieses Schweigen mag man damit erklären, daß die Zurechnung wohl selbstverständlich erschienen sei. In einem anderen Fall hilft aber auch diese Erklärung nicht: O L G Neustadt, Urt. v. 21.3.1962 - 1 U 8/62 - 1 4 4 : Auf einer Ballon-Sport-Tagung in Neustadt/Weinstraße wurde der Flugballon „Basel" gestartet, um mit ihm ein Funkgerät zu erproben. Der Ballonführer hatte schuldhaft keine Wetterauskunft eingeholt und geriet in einen Orkan, bei dem ein Fluggast aus dem Korb geschleudert und verletzt wurde. Verklagt war, neben anderen, der Aero-Club der Schweiz, ein schweizerischer rechtsfähiger Verein, dem der Ballon gehörte und zu dessen Mitgliedern auch der Ballonführer gehört hatte. Nach dem Klage vortrag hatte der Verein durch dieses Mitglied dem Tagungsveranstalter erlaubt, die Fluggäste in dem Ballon entgeltlich zu befördern. Das Oberlandesgericht wies die Klage nach deutschem Recht ab. Es verneinte Ver138

IPRspr. 1980 Nr. 143 = GRUR 1980, 935.1 GRUR 1980, 937 links: Verkennung der Grenzen eines Vergleichs. 140 W M 1985, 189 (192 sub II. 3.). Zum Sachverhalt vgl. auch BGH, Urt. v. 16.10.1984, IPRspr. 1984 Nr. 145. 139

141

W M 1985, 191 sub. I. Vgl. ferner RG, Urt. v. 3.11.1937 (Danziger Schiffsmakler-GmbH), oben § 1 II. 2. b) aa), Fn. 69; B G H , Urt. v. 13.11.1953 - „Ouistreham" - , oben § 1 II. 2. a) bb), Fn. 64; O L G Karlsruhe, Urt. v. 25.2.1976 - „Fahrradgepäckträger", oben § 1 II. 2. b) cc), Fn. 85; B G H , Urt. v. 7.12.1979, IPRspr. 1979 Nr. 175 = G R U R 1980, 227 (231 sub V. 5.) - „Monumenta Germaniae Historica". 143 R G Z 158, 249 (251 sub 2., 255, dritter Absatz). 144 Auszug veröffentlicht in IPRspr. 1962 - 1963 Nr. 16. Die Wiedergabe im Text bezieht sich auch auf unveröffentlichte Teile der Entscheidung. 142

II. Entscheidungen ohne kollisionsrechtliche Fragestellung

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tragshaftung, Halterhaftung und Gehilfenhaftung, letzteres weil der Ballonführer im eigenen Interesse geflogen und kein Gehilfe gewesen sei (§ 831 BGB). I m Unterschied zu R G , U r t . v. 21.9.1938 (und anderen Entscheidungen) war hier die Schädigung einmal nicht handgreiflich die „eigene" Sache der juristischen Person gewesen. D i e Zurechnung von Organverhalten hätte deshalb als ein M i t t e l erscheinen können, u m sie zur V e r a n t w o r t u n g zu ziehen. (Möglicherweise war der schuldige Ballonführer eines ihrer Organe gewesen oder hatten die Organe, indem sie ihren B a l l o n für das Experiment hergaben, irgendeine Sicherungspflicht v e r l e t z t 1 4 5 . ) Indes, der V e r e i n war i n Deutschland nicht anerkannt (vgl. den früheren A r t . 10 S. 1 E G B G B ) u n d deshalb wie ein deutscher nichtrechtsfähiger V e r e i n zu behandeln (entsprechend dem früheren A r t . 10 S. 2 E G B G B , wie das Gericht ihn bei Prüfung der Parteifähigkeit las). Nach Anschauung der damaligen Rechtsprechung waren aber nichtrechtsfähige Vereine der Organhaftung nach § 31 B G B nicht unterworfen. 1 4 * 5. Anknüpfung der Organhaftung an das Personalstatut der juristischen Person Es sind keine Entscheidungen zu finden, i n denen die Organhaftung ausdrücklich

nach dem Personalstatut der juristischen Person beurteilt worden

w ä r e . 1 4 7 W i e eingangs dieses Abschnitts festgestellt 1 4 8 (und i n i h m demon145 Zumindest hätte das Gericht bemerken können, daß der Klage vortrag unter dem Gesichtspunkt der Organhaftung (trotz etwaigen rechtlichen Hinweises) nichts Stichhaltiges hergegeben hatte. 146 Zur Zeit der Entscheidung (1962) nahm man an, das Reichsgericht habe § 31 BGB wegen § 54 S. 1 BGB auf nichtrechtsfähige Vereine nicht angewandt. Jedoch wird keine der gewöhnlich angeführten Reichsgerichtsentscheidungen von dieser Meinung getragen. Im Urt. v. 11.12.1911, Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern 8 (1912), S. 136 ist die Frage offen gelassen. Das Urt. v. 18.10.1917, R G Z 91,72 (74f.) zitierte lediglich das Urt. v. 11.12.1911 und bezeichnete es als nicht passend. Im Urt. v. 25.9.1913, WarnRspr. 1913 Nr. 449, S. 546 war der ehrkränkende „Waffenverruf" zurückgenommen. Das Urt. v. 18.2.1923, R G Z 135, 242 (244) bestätigt die angefochtene Entscheidung aus einem anderen Grunde. Das Urt. v. 24.9.1932, JW 1933, 423 betrifft nur die Haftung der Vereinsmitglieder, und das vom 18.1.1934, R G Z 143, 212 (214) beruht auf § 278 BGB. Allein im Urt. v. 24.9.1932 - I X 506/31 - war möglicherweise die Erwägung tragend, daß für den Vorstand und den von diesem bestellten Geschäftsführer nach § 831 BGB und nicht nach § 31 BGB zu haften sei (aber nur Kurzinformation in L Z 1933, 310 Nr. 3; zur Haftung der Mitglieder L Z 1933, 310, Nr. 2). Zweimal hatte das Reichsgericht Tendenz zu strikter Haftung des nichtrechtsfähigen Vereins wie sie § 31 BGB entspräche: Im Urt. v. 26.9.1912, WarnRspr. 1912 Nr. 428, S. 470 hatte ein Boykott in der Willensrichtung der Mitglieder und des Vorstands gelegen, und im Urt. v. 12.4.1913, WarnRspr. 1913 Nr. 319 die Bestellung eines Feuerwerkers in der der Mitgliederversammlung. 147 In RG, Urt. v. 18. 3.1930, Swift Packing Company ./. Bürgerliche Vorschußkasse (oben § 1 II. 2. a) bb), Fn. 64) sollte das Mitverschulden der „Hamburg Branch" von Swift Packing zwar nach dem deutschen Recht beurteilt werden, aber eindeutig in dessen Funktion als Haftungsstatut. Auch ist nicht klar, ob die „Hamburg Branch" nur eine Filiale von Swift Packing oder eine selbständige juristische Person war. M Oben § 1 II.

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung

striert), ist die Anwendung eines anderen Rechts als des Haftungsstatuts bedingt durch eine von der Haftung gesonderte kollisionsrechtliche Fragestellung. Ohne eine solche unterfällt die Organhaftung, selbst wo ihre Anknüpfung entscheidungserheblich ist 1 4 9 , dem Haftungsstatut als dem einzigen überhaupt in Betracht gezogenen Recht. Stillschweigende Maßgeblichkeit des Personalstatuts ist zu beobachten in Entscheidungen, in denen die Organhaftung im materiellen Recht zum Hauptproblem wird. Wo die Prüfung materiellen Rechts nicht (oder weniger) dem Schuldverhältnis gilt, aus dem die Haftung entsteht, sondern konzentriert ist auf die Zurechnung der Haftung zu der juristischen Person, da gehen die Gerichte für deutsche juristische Personen mitunter wortlos vom deutschen Recht aus. Wiederum mangels spezieller kollisionsrechtlicher Fragestellung unterfällt die Organhaftung dem Recht, von dessen Seite her der Rechtsstreit in erster Linie angegangen wird: in diesem Falle dem (deutschen) Personalstatut der juristischen Person. Vgl. B G H , Urt. v. 8.7.1986 - V I Z R 47/85 - 1 5 0 : Das Vorstandsmitglied einer deutschen Genossenschaft bürgte in deren Namen gegenüber einer schweizerischen Bank. Es handelte zusammen mit einem ausgeschiedenen Vorstandsmitglied, um Gesamtvertretung (§25 Abs. 1 S. 1 GenG) vorzutäuschen. Mußte die Genossenschaft sich den Betrug ihres Vorstandsmitglieds zurechnen lassen oder stand der Schutzzweck der Gesamtvertretung dagegen? Obwohl im Brennpunkt, rief die Organhaftung die Frage nach dem auf sie anwendbaren Recht nicht hervor. Die Ausführungen zum IPR beziehen sich auf das für den Streitfall im ganzen, nicht auf das für die Organhaftung im besonderen maßgebende Recht: „ M i t Recht beurteilt das BerGer. den Streitfall aufgrund des insoweit übereinstimmenden Vorbringens der Parteien nach deutschen Rechtsvorschriften (Palandt-Heldrich, BGB, 45. Aufl., Vorb. Art. 12 EGBGB, Anm. 2abb m.w. Nachw.)." 1 * 1 (Die Belegstelle betrifft das Statut von Schuldverträgen.) Die Organhaftung wurde nach § 31 BGB bestätigt und die Revision der Genossenschaft zurückgewiesen.

Die Entscheidung konzentriert sich auf das Verhältnis der Organhaftung einer deutschen Genossenschaft zu den Vertretungsregeln des deutschen Genossenschaftsrechts. Das mag den Gedanken an schweizerisches Genossenschaftsrecht und die dort eingeordnete Zurechnungsnorm (Art. 899 Abs. 3 OR) unterbunden haben 152 - und mit ihm eine Ausrichtung der Frage nach 149

Oben § 1 II. 1. b). B G H Z 98, 148 = NJW 1986, 2941. 151 B G H Z 98, 150 = NJW 1986, 2941 sub II. 1. der Gründe. 152 Zum Recht der Schweiz vgl. zunächst BGE 48 I I 1 (9 - 11), Urt. v. 25.1.1922 (ein Organ einer Genossenschaft fälschte die Unterschrift des Zentralpräsidenten, der zusammen mit ihm die „rechtsverbindliche Unterschrift" führte, und erlangte so ein Darlehen; Haftung der Genossenschaft gegenüber der Bank nach Art. 55 ZGB bejaht). Aber die Entscheidung würdigt nur die Kompetenzüberschreitung „nach innen" (BGE 48 I I 9) und nicht den Schutzzweck der Gesamtvertretung nach außen; 150

ΠΙ. Die Sicht eines Praktikers

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dem anwendbaren Recht speziell auf die Organhaftung. (Z.B.: War das Prozeßverhalten der Parteien [auch] für die Anknüpfung der Organhaftung beachtlich? Falls nein, welche objektive Anknüpfung der Organhaftung war stattdessen geboten?) 153 Nichtsdestoweniger war die Anknüpfung der Organhaftung für die Revisionsentscheidung erheblich gewesen. Auf sie (nicht auf den Streitfall schlechthin) hätte, so scheint es, die kollisionsrechtliche Frage bezogen werden müssen. Denn wäre für die Organhaftung schweizerisches Recht zum Zuge gekommen, so hätte es ermittelt werden müssen. Eine Zurückweisung der Revision nach dem Stand der letzten Ermittlungen (§ 565 Abs. 3 Nr. ZPO) hätte sich dann verboten. I I I . D i e Sicht eines Praktikers

Die Rechtsprechung der Obergerichte hat, soweit veröffentlicht, keine entwickelten Lösungen geliefert. Das verwundert, denn Organhaftungsfälle mit Auslandsberührung sind gewiß häufig. Wenn sie dennoch praktisch bewältigt werden, so muß es, an Stelle einer entwickelten Lösung und ohne normative Verbindlichkeit, eine wiederkehrende und dadurch Gewohnheit gewordene Handhabung der Tatgerichte geben, mit der bestimmt wird, welchem der mehreren Beklagten - der juristischen Person, ihrem Organ oder beiden - die Schadensstiftung zuzurechnen ist. Der Verfasser hat deshalb den Vorsitzenden Richter einer Kammer für Wirtschaftssachen gefragt, wie man Organhaftungsfälle mit Auslandsberührung in der täglichen Praxis bearbeite. 154 Er erhielt sinngemäß die folgenden Antworten: Über die Anknüpfung der Organhaftung habe noch nicht entschieden werden müssen; die Frage stelle sich nur, wenn sie von den Parteien an die Kammer herangetragen werde. Gewöhnlich würden die Gesellschaft und ihr Geschäftsführer zusammen verklagt. Meist sei weniger die Passivlegitimation der Gesellschaft als die ihres Geschäftsführers fraglich: Stehe die Haftung der Gesellschaft fest, so erhebe sich die Tatfrage, ob der Geschäftsführer mit der schädigenden Handlung in einer Weise verbunden sei, die seine persönliche Haftung rechtfertige. Seien umgekehrt die einzelnen Verantwortlichen „schuldig", so verstehe sich die Haftung der Gesellschaft in der Regel von selbst; hier sei man eher großzügig. dessen Vernachlässigung ist deshalb kein tragender Entscheidungsgrund. Seit der Revision des Genossenschaftsrechts (1928) haften Genossenschaften nach Art. 899 Abs. 3 OR. Ob nach dessen Wortlaut („eine zur Geschäftsführung oder Vertretung befugte Person") auch Betrugshandlungen außerhalb erforderter Kollektiwertretung zurechenbar sind, ist bislang nicht entschieden. Möglich daher, daß der Fall des Bundesgerichtshofs nach schweizerischem Recht anders ausgegangen wäre. Vgl. aber, für die Wechselhaftung einer Aktiengesellschaft, BG, Urt. v. 22.11.1979, unten § 4 I. 1. bei Fn. 13. 153 Vielleicht liegt eine weitere Erklärung darin, daß die Revisionsbegründung eine auf die Anknüpfung der Organhaftung bezogene Sachrüge nicht enthalten hatte (§ 554 Abs. 3 Nr. 3a ZPO). Vgl. aber § 559 Abs. 2 S. 1 ZPO. 154 Der Richter, dem der Verfasser für das freundliche Gespräch vom 17. April 1985 zu Dank verpflichtet ist, möchte in künftigen Entscheidungen nicht festgelegt sein. Mit Rücksicht darauf bleiben sein Name und sein Gericht ungenannt.

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung W i e aber entschieden würde, wenn die Frage doch einmal an die K a m m e r

herangetragen werde? In Inlandsfällen bestimme sich die Zurechnung unerlaubter Handlungen zu einer Gesellschaft nach gesellschaftsrechtlichen Normen. Sei eine ausländische Gesellschaft verklagt, so fehle eine inländische gesellschaftsrechtliche Norm, die auf sie passe; man müsse dann über die Zurechnung das ausländische Heimatrecht der Gesellschaft befragen. Es liege ähnlich wie bei selbständigen Vermögensmassen angelsächsischen Rechts, z.B. Nachlässen; ob diese für „trustees" oder „administrators" hafteten, könne, weil es Vergleichbares bei uns nicht gebe, nur nach dem betreffenden angelsächsischen Recht entschieden werden. Natürlich hätten Praktiker eine „heilige Scheu" vor ausländischem Recht, und die Tatortregel, die oft von ihm wegführe, sei bequem. Es sei jedoch durchaus geläufig, über ausländische Gesellschaften deren Sitzrecht zu befragen. So z.B. bei der Anmeldung eines Warenzeichens bezüglich der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft oder bei der Zurechnung von Rechtsgeschäften bezüglich der Vertretungsmacht der Gesellschaftsorgane, insofern diese vom Personalstatut der Gesellschaft abhänge. Man müsse auch an die Vollstreckung des Urteils im Sitzstaat der Gesellschaft denken. Spreche das Sitzrecht der Gesellschaft die Rechtsfähigkeit ab, so brauche der Kläger Titel gegen alle Gesellschafter; ein Titel gegen die Gesellschaft, gestützt auf inländisches Zurechnungsrecht, nütze ihm nichts. 155 W i e sich dann aber erkläre, daß fast alle aufgefundenen Entscheidungen nach der Tatortregel verfahren seien? Die Tatortregel sei vermutlich in den Kommentaren als maßgebend bezeichnet und werde aus ihnen übernommen. In Wahrheit betrete man mit der Anknüpfung der Organhaftung Neuland. I V . Zur Unwahrscheinlichkeit einer Formulierung und Lösung des Problems durch die Gerichte Das Fehlen entwickelter Lösungen i n der Rechtsprechung hat sich m i t der kollisionsrechtlichen Fragestellung der Gerichte erklären lassen. Sie war meist allein auf das Deliktsstatut (oder ein sonstiges Schuldstatut) bezogen u n d damit zu grob, u m das D e t a i l der Organhaftung zu erfassen. Es bleibt zu klären, w a r u m sie sich nie verfeinert hat u n d ob sie es, der Wahrscheinlichkeit nach, jemals könnte. D i e Fragestellung der Gerichte hängt ab v o n der der Parteien. W o die A n w ä l t e aus der A n k n ü p f u n g der Organhaftung einen Streitpunkt machen, muß das Gericht auf sie eingehen; w o nicht, hat es oft keinen G r u n d d a z u . 1 5 6 A n w ä l t e aber stellen die A n k n ü p f u n g der Organhaftung nur selten „ i n Frage".

155 156

Zu diesem Argument unten § 7 I V . Oben § 1 I I . 1. b) und § 1 II. 5. bei Fn. 153.

IV. Lösung des Problems durch die Gerichte?

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Ihre erste Aufgabe ist es, Tatsachen vorzutragen, die einer Zurechnung entgegenstehen (bzw. sie stützen). Auf die Anwendung einer ausländischen Zurechnungsnorm zu drängen wäre ohne verläßliche Auskunft über das ausländische Recht zu riskant. Ergibt eine solche Auskunft, daß die Zurechnungsnormen einander ähneln, so lohnt es ohnehin nicht, die Anknüpfungsfrage anzusprechen. Aber selbst eine Verschiedenheit der Zurechnungsregeln würde oft nichts am Ausgang des Rechtsstreits ändern. Wo die schädigende Tat offensichtlich unter den Insignien der juristischen Person steht, da rechnen die Gerichte sie ihr ebenso zu wie einer natürlichen. 157 Die juristische Person haftet dann mehr aufgrund einer selbstredenden Tatsachenlage als aufgrund irgendeiner Zurechnungsnorm. Ebenso sind die „Wahlfeststellungen" zwischen Organhaftung, Organisationsmängeln und Gehilfenhaftung 158 bei Lichte nichts als Äußerungen einer allein durch die Tatsachen bestimmten Richterhaltung, die auf Zurechnung geht, was immer die Interna der juristischen Person gewesen sein mögen. Geht der schädigende Ablauf nicht auf die Tat eines Organs zurück (sondern auf die eines „einwandfreien" Gehilfen oder auf einen nicht weiter rückführbaren Defekt), so kann eben dies als ein „Organisationsmangel" erscheinen und einen alternativen Zurechnungsgrund ergeben. Solche Doppelbetrachtungen erübrigen, gleich ob sie bewußt angestellt werden oder selbstverständliche Perspektive des Richters sind, die nähere rechtliche - auch kollisionsrechtliche - Durchdringung der Verantwortlichkeit. Die kollisionsrechtliche Fragestellung der (Tat-)Gerichte könnte sich allerdings verfeinern unter der Aussicht einer möglichen Revisionsrüge und würde es sicher im Gefolge einer eingehenden (und veröffentlichten) Revisionsentscheidung. Aber die Anknüpfung der Organhaftung hat sich, soweit zu sehen, nie für eine Revisionsrüge angeboten. Durch die Feststellungen zum Verschulden (ggf. auch durch Hilfsfeststellungen 159 ) ist wohl immer so viel unangreifbarer Tatsachenstoff zusammengekommen (§ 561 Abs. 2 ZPO), daß die Zurechnung auch nach einer ausländischen Zurechnungsnorm hätte bejaht werden können (oder verneint werden müssen) und eine Revision nicht lohnte (zur Ermittlung ausländischen Rechts durch das Revisionsgericht vgl. § 565 Abs. 4 ZPO).

157 Oben § 1 I I . 1. a) bb), § 1 I I . 2. b) aa), § 1 II. 4. a). O L G München, Urt. v. 29.1.1959, oben § 1 I I . 2. a) aa), Fn. 60; O L G Schleswig, Urt. v. 3.3.1970, oben § 1 I., Fn. 11; O L G München, Urt. v. 22.3.1974, oben § 1 I I . 1. b), Fn. 47; vgl. auch B G H , Urt. v. 11.7.1957, oben § 1 II. 2. a) aa), Fn. 55 und unten § 2 II. 3.,Fn. 70. 159 Vgl. die Darstellung von B G H , Urt. v. 11.1.1955 - „Zahl 55" - , oben § 1 II. 1. a) bb) bei Fn. 42. 158

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§ 1. Deutsche Rechtsprechung

Verfeinerung der kollisionsrechtlichen Fragestellung ist nach allem ein Hauptanliegen der vorliegenden Untersuchung. Denn wie es in einem vollständigen materiellen Recht eine Regel über die Organhaftung (oder funktional Entsprechendes) geben muß, so in einem vollständigen IPR eine gerade auf sie bezügliche Kollisionsnorm. Daß eine solche Kollisionsnorm aus der Praxis heraus entwickelt werden wird, ist, wie dargelegt, unwahrscheinlich. Die vorliegende Untersuchung möchte deshalb einer Lösung durch die Gerichte (oder, vielleicht, den Gesetzgeber) vorarbeiten, zunächst aber - und wichtiger - einen Anstoß geben, nach einer Lösung überhaupt zu fragen.

§ 2. Deutsche Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen Der folgende Exkurs führt durch Entscheidungen zur Anknüpfung verschiedener sonstiger Formen von Zurechnung. Den Entscheidungen gemeinsam ist ein Konflikt zwischen dem Recht, mit dem das Zurechnungssubjekt am engsten verbunden ist, und jenem, dessen Anwendung dem Anspruchsteller und der Sicherheit des Verkehrs entgegenkommt. Gesucht werden kollisionsrechtliche Werte der Praxis, die an diesem Konflikt ansetzen und auf die Anknüpfung der Organhaftung übertragen werden können. Der Begriff „Zurechnung" wird im folgenden zentral; er soll nicht unbedacht verwendet werden. Im engsten Sinne dürfte er ethischen Ursprungs sein: Etwas Wahrnehmbares wird als Willensakt, als sittliche Betätigung einer Persönlichkeit erklärt („eine böse Tat zurechnen") oder, wo es von ihrem Willen losgelöst ist, sittlich mit ihr verknüpft („etwas noch der zweiten Generation zurechnen"). Im Privatrecht meint „Zurechnung" weniger eine sittliche Erklärung, als die personale Zielrichtung von Rechtsfolgen. Unserem Verständnis näher ist deshalb das Wort „imputare" (imputer, to impute): Eine Erklärung, eine Schmälerung von Rechtsgütern, eine bestehende Verbindlichkeit geht auf das Konto eines bestimmten Rechtsträgers, und dieser darf deswegen mit Rechtsfolgen belastet werden. I . Haftung für Leute

Der bezeichnete Konflikt besteht zunächst in den Fällen, in denen jemand für die Tat eines anderen haften muß, zu dem er eine besondere Beziehung unterhalten hat. Denn solche Haftung für Personen kann man betrachten als Folge sowohl der Innenbeziehung (zwischen dem Zurechnungssubjekt und dem „Täter") als auch der Außenbeziehung (zwischen dem Anspruchsteller und denen, die er in Anspruch nimmt). Entsprechend entscheidet, je nach Betrachtungsweise, das Statut der Innenbeziehung oder das der Außenbeziehung oder beides. Die Wahl der Betrachtungsweise ist durch den doppelten Aspekt der Haftungsformen freilich mehr eröffnet als vorbestimmt und hängt letztlich von kollisionsrechtlichen Werten ab. 1. Haftung für Treuhänder

Der Organhaftung am nächsten steht die Haftung betreuter Vermögen oder Personen für unerlaubte Handlungen des Treuhänders (Konkursverwalter, NachlaßVerwalter, Testamentsvollstrecker, Verwalter ehelichen Gesamt-

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§ 2. Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen

guts 1 ). Denn der Betreute setzt den Treuhänder nicht an seine Stelle, wo er selbst handeln könnte, sondern er kann überhaupt nur durch ihn handeln. Darin ähnelt er der juristischen Person und ähnelt der Treuhänder deren Organ. Nach einer Literaturmeinung 2 sind die Haftung des Konkursverwalters und der Konkursmasse anzuknüpfen und zu beurteilen wie folgt: Die persönliche Haftung des Verwalters (ζ. B. nach § 82 KO) ergebe sich aus dem Konkursstatut oder aus dem Deliktsstatut. Sei insoweit eine deutsche Haftungsnorm berufen und lasse diese den Verwalter haften, so entscheide das deutsche Zurechnungsrecht (§ 278 BGB), ob die Schuld des Verwalters auch aus der Masse befriedigt werden dürfe. 3 Das - deutsche oder ausländische - Konkursstatut müsse jedoch bestimmen, ob der Verwalter einem „gesetzlichen Vertreter" im Sinne von § 278 S. 1 BGB gleichgesetzt werden könne. (Ob, im Sinne einer allseitigen Kollisionsnorm, für ausländische Haftungsnormen ausländisches Zurechnungsrecht gelten soll, bleibt offen.) 2. Amtshaftung

Amtshaftung ist öffentliches Sonderrecht des Staates. Doch hat sie mit der Organhaftung eine Gemeinsamkeit: Der Schädiger ist dem Zurechnungssubjekt durch besonderes Organisationsrecht inkorporiert (Recht des öffentlichen Dienstes da, Gesellschafts- oder Vereinsrecht dort). Sein Handeln erscheint deshalb als Handeln der Korporation selbst. Der Bundesgerichtshof neigt dazu, die Amtshaftung dem Recht des Staates zu unterstellen, dem der Beamte angehört: „Die Haftungsvoraussetzungen hängen in diesen Fällen so sehr mit dem Beamtenrecht zusammen, daß möglicherweise auch für einen ausländischen Verletzten keine Ausnahme gemacht werden kann." 4

1 Ähnlich liegt die Haftung (oder Nichthaftung) der Mündel, Pflegebefohlenen oder minderjährigen Kinder für unerlaubte Handlungen ihrer Vormünder, Pfleger bzw. Eltern. 2 Jaeger / Jahr, §§ 237, 238, Rn. 384f., 389. 3 § 278 S. 1 BGB ist nicht die einzige denkbare Zurechnungsnorm; näher Jaeger / Henckel, § 6, Rn. 41 - 46. 4 Urt. v. 10.11.1977, IPRspr. 1977 Nr. 29 = NJW 1978, 495 sub III. (obiter, da Unfallort in Deutschland); implizit ebenso O L G Stuttgart, Urt. v. 25.11.1970, IPRspr. 1970, Nr. 89; B G H , Urt. v. 26.4.1976, IPRspr. 1976 Nr. 15 und Urt. v. 30.10.1986, NJW 1987,1696 (wo jeweils der Handlungsort in Deutschland gelegen hatte). Vgl. auch R G Z 167, 1 (9), Urt. v. 4.4.1941 (Verkehrsunfall deutscher Polizeitruppen im eben angeschlossenen Österreich; aber die Amtshaftung des Reiches war im Zeitpunkt der Entscheidung für Deutschland und Österreich dieselbe). - Der österreichische Oberste Gerichtshof differenziert; dazu unten § 4 II. 1., Fn. 52 und § 4 II. 2. bei Fn. 68.

I. Haftung für Leute

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3. Gehilfenhaftung und Reederhaftung

Gehilfenhaftung knüpft die Rechtsprechung deliktsrechtlich an, ebenso, nach anfänglichem Schwanken, die Haftung des Reeders oder Schiffseigners für Verschulden der Schiffsbesatzung. Diese Ergebnisse sind verständlich. Denn die Innenbeziehung verliert an Bedeutung, wo der „Täter" dem Zurechnungssubjekt nicht inkorporiert, sondern durch Vertrag oder tatsächlich untergeordnet ist. Die deliktsrechtliche Anknüpfung der Gehilfenhaftung begann mit R O H G , Urt. v. 19.1.1878 5 : Es galt Art. 1384 Cc, erstens weil der Tatort im Rheinischen Rechtsgebiet gelegen hatte und zweitens weil dort der Anstellungsvertrag geschlossen worden war, mit dem die Haftung des „commettant" zusammenhing. In der Folgezeit bezogen sich die Gerichte auf den Tatort allein. 6 Eine Ausnahme macht nur O L G Saarbrücken, Urt. v. 2./3.12.1930 7 : „ I I est vrai que la présomption légale de la culpa in eligendo suppose un acte et même un acte illicite. Mais quand on se demande en quel lieu l'obligation d'agir diligentement (Sorgfaltspflicht) incombe à l'employeur, on trouvera que ce lieu coïncide avec celui de son domicile." Die Rechtsprechung zur Anknüpfung der Reederhaftung ist verzweigt. Für das Deliktsstatut waren z.B. RG, Urt. v. 11.7.1896 8 - anders als die Vorinstanz, die wegen des „Willens des Gesetzgebers" das Recht am Wohnsitz des Schiffseigners angewandt hatte 9 ; O G H (britische Zone), Urt. v. 1.6.19501°; O L G Hamburg, Urt. v. 8.7.1958 11 :

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R O H G E 23, 174 (176f.). RG, Urt. v. 24.11.1885, Bolze, Praxis, Bd. 2 Nr. 26 (Haftung des Reichs für einen Unteroffizier in Sachsen) und Urt. v. 22.6.1894, Bolze, Praxis, Bd. 19 Nr. 13 (gleicher Fall Nrn. 4, 236, 237, 275) (Haftung für einen Dienstknecht als Frachtführer nach Art. 1384 Cc); O L G Karlsruhe, Urt. v. 27. 5.1927, IPRspr. 1928 Nr. 45 und Urt. v. 28.10.1931, IPRspr. 1932 Nr. 41 (S. 88f.) (zu Art. 55 OR); RG, Urt. v. 29.1.1939, Seufferts Archiv 93 (1939) Nr. 90 (Klage gegen eine offene Handelsgesellschaft und deren Gesellschafter; zu § 831 BGB); B A G E 15,79 (82), Urt. v. 30.10.1963 = IPRspr. 1962 - 1963 Nr. 40; B G H , Urt. v. 3.12.1964, VersR 1965, 230 (231 sub III.) = IPRspr. 1964 - 1965 Nr. 63 (Leitsatz); O L G Düsseldorf, wiedergegeben in B G H Z 49, 356 (359), Urt. v. 29.1.1968; L G München I, Urt. v. 15.7.1975, IPRspr. 1977 Nr. 31a (Haftung der A i r France nach Art. 1384 Cc für Angestellte in Martinique); implizit in: B G H Z 80,1 (3ff.), Urt. v. 8.1.1981 = IPRspr. 1981 Nr. 24; BGH, Urt. v. 22.10.1981, VersR 1982, 185 (187 links) = IPRspr. 1981 Nr. 28; B G H Z 86, 234 (236 - 240), Urt. v. 17.1.1983 = IPRspr. 1983 Nr. 43 (Vorinstanz: O L G Oldenburg, Teilurt. v. 26.10.1981, IPRspr. 1981 Nr. 29 = A W D 1983, 60, 52 links unten). 7 Rev. dr. int. p. 28 (1933), 146 (147f.). « R G Z 37, 181 = JW 1896, 414 Nr. 33 = HansGZ 1896 - Hauptblatt - Nr. 90; ebenso O L G Dresden, Urt. v. 29.5.1911, Sächsisches Archiv 7 (1912), Nr. 29, S. 342. 9 O L G Hamburg, Urt. v. 5.4.1895, NiemeyersZ 6 (1896), 170 = HansGZ 1895 Hauptblatt - Nr. 63; so wohl auch noch O L G Hamburg, Urt. v. 12.11.1906, Mugdan / Falkmann, OLGRspr. 14„ 391. 10 O G H Z 4, 194 (196f.); aufgegriffen in B G H Z 3, 321 (324), Urt. v. 6.11.1951 = IPRspr. 1950 - 1951 Nr. 30 (zweite Revisionsentscheidung nach O G H Z 2, 379, Urt. v. 17.11.1949). n IPRspr. 1958 - 1959 Nr. 72 = VersR 1958, 841 (842). 6

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§ 2. Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen

das Tatortrecht entscheide, ob neben dem Schuldigen ein Dritter haften müsse; B G H , Urt. v. 29.1.1959 12 - gegen das Argument, die Reederhaftung sei eine Folge des Anstellungsvertrags zwischen dem Reeder und dem Besatzungsmitglied und unterstehe deshalb dem Recht der Flagge des Schädigers 13; auch blieb offen, ob die Mithaftung von Sondervermögen - z.B. des Vermögens juristischer Personen - gesondert angeknüpft werden muß, denn Schiffsvermögen gehörten zu dieser Gruppe nicht. 14 Zuletzt B G H , Urt. v. 17.1.1983 15 . Anderer Ansicht: ROHG, Urt. v. 21.9.1878 16 : Der Reeder unterwerfe sich durch den Betrieb seiner Reederei allein dem Recht seines Heimathafens; die Richtigkeit dieser Ansicht ließ RG, Urt. v. 2.5.1894 17 offen. Vgl. aber RG, Urt. v. 21.6.1897 18 : Man unterwerfe sich einem anderen als seinem Heimatrecht, indem man sich freiwillig in den Geltungsbereich dieses anderen Rechts begebe. Dieser Gedanke war vorbereitet worden in RG, Urt. v. 25.6./9.7.1892 19 , wo er aus den Urteilen des Reichsoberhandelsgerichts vom 19.1.1878 20 und des Reichsgerichts vom 23.9.1887 („Hanau-Pforzheimer Empfehlung") 21 hergeleitet worden war; das Urteil des Reichsoberhandelsgerichts vom 21.9.1878 22 war dort (im Urt. v. 25.6./9.7.1892) mit dem Zusammentreffen von Heimathafen und Prozeßort erklärt worden. Anderer Ansicht auch O L G Karlsruhe, Urt. v. 18.12.1917 23 : Es gelte das Personalstatut des Schiffseigners, da dieser für fremdes Verschulden, also aus Quasidelikt, belangt werde. Sonderfälle sind die des Zwangslotsen: Wo dem Reeder der Schadensstifter aufgezwungen worden war, da bewahrte ihn „zwingendes" deutsches Recht (Art. 740 A D H G B , heute § 737 HGB) vor Haftung nach dem Tatortrecht (RG, Urt. v. 12.7.1886 24 : Curacao - deutscher Reeder), selbst wenn sich das angesichts geringer Inlandsbeziehung mit dem ordre public kaum begründen ließ (so in RG, Urt. v. 25.6./9.7.1892 25 : russisch Reval - englischer Reeder). Wer Zwangslotse im Sinne des freistellenden deutschen Rechts war, entschied allerdings das öffentliche Recht des Tatorts. 26 RG, Urt. v. 18.11.1901 27 beschränkte das Urt. v. 12.7.1886 auf die Haftung deutscher Reeder 28 , räumte aber den darin liegenden Widerspruch zum Urt. v. 25.6./9.7.1892 nicht aus. 29 12 B G H Z 29, 237 = IPRspr. 1958 - 1959 Nr. 73. 13 Näher zu dieser Betrachtungsweise unten § 4 I V . (französisches IPR). 14 B G H Z 29, 241 - 244; ebenso L G Hamburg, Urt. v. 21.11.1957, IPRspr. 1956 1957 Nr. 43 als Vorinstanz und O L G Hamburg, Urt. v. 8.7.1958, VersR 1958, 842 rechts. 15 B G H Z 86, 234 (237f.) = IPRspr. 1983 Nr. 43, S. 112 (Berufung auf B G H Z 29, 237, Urt. v. 29.1.1959). 16 R O H G E 24, 83. 1 7 R G Z 34, 72 (75). is R G Z 39, 304 (305f.). 1 9 R G Z 29, 90 (94). 2 Oben § 2 1 . 3.,Fn. 5. 2 1 Oben § l I . , F n . l . 22 Oben § 21. 3.,Fn. 16. 23 BadRpr 20 (1918), S. 99, Nr. 53. 24 R G Z 19, 7 (11 - 13). 2 5 R G Z 29, 90 (95f.). 26 R G Z 19, 13, Urt. v. 12.7.1886. 27 R G Z 47, 182 - 188. 28 R G Z 47, 185. 29 R G Z 47, 186.

I. Haftung für Leute

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Diese Sonderfälle zeigen, daß die A r t der Beziehung zwischen dem Schadensstifter und dem Zurechnungssubjekt auch im IPR (und nicht erst im Sachrecht) etwas bewirken kann.

Die Übereinstimmung der Ergebnisse für Gehilfen und Reederhaftung läßt aufmerken. Denn im deutschen Recht gründet die Gehilfenhaftung auf dem eigenen Verschulden des Geschäftsherrn (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB), die Reederhaftung dagegen auf dem fremden Verschulden der Schiffsbesatzung (§ 485 HGB). Die Rechtsprechung scheint im IPR beides in eins zu setzen: Nur das Gemeinsame, die Tat der Hilfsperson, zählt; das Unterscheidende, die Art des erforderten Verschuldens, zählt nicht. Deshalb kann man fragen: Würde die Rechtsprechung auch die „Eigenhaftung" der juristischen Personen mit der Fremdhaftung in eins setzen? Zählt, ähnlich wie bei der Gehilfenhaftung, nur die Tat des Organs und nicht ihr Zusammenhang mit der Organisation des Betriebs, aus dem heraus sie geschehen ist? Daß diese Fragen nicht gekünstelt sind, zeigt das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.7.1957 30 , in dem Präzedenzien zur Reederhaftung zitiert werden, um die deliktsrechtliche Anknüpfung der Organhaftung zu begründen. Für eine Antwort ist zu unterscheiden zwischen IPR und materiellem Recht: Materiellrechtliche Unterschiede werden durch übereinstimmende Anknüpfungen nicht verwischt, wo diese weniger auf einer Auslegung materieller Rechtsnormen im Hinblick auf deren räumlichen Anwendungsbereich beruhen als auf kollisionsrechtlichen Wertungen, die sich im Ergebnis treffen. So erklärt sich offenbar die übereinstimmende Anknüpfung von Reeder- und Gehilfenhaftung. Denn die Wertungen für die deliktsrechtliche Anknüpfung der Reederhaftung hätten ebensogut für die der Gehilfenhaftung verwendet werden können. 31 Sie passen auf die Haftung für Personen im ganzen, abstrahieren von sachrechtlichen Unterschieden und werden deshalb aufgegriffen werden müssen, sobald zur Anknüpfung der Organhaftung Stellung zu beziehen ist. Es handelt sich im wesentlichen um drei: 1. Man zerreiße einen einheitlichen Lebensvorgang, wenn man Voraussetzungen und Folgen einer unerlaubten Handlung nach verschiedenen Rechtsordnungen beurteile. Zu den Folgen gehöre auch die Bestimmung der Verpflichteten. 2. Es müsse einheitlich nach dem Recht des Tatorts (und nicht unterschiedlich nach den Rechten der jeweiligen Wohn- oder Geschäftssitze) entschieden werden, wer neben dem „Täter" für eine unerlaubte Handlung verantwortlich sei. 30 Oben § 1 II. 2. a) aa)., Fn. 55. 31 In den Fällen der Gehilfenhaftung geben die Entscheidungen (oben § 21.3.), soweit sie § 831 BGB betreffen und deliktsrechtlich anknüpfen, an Argumentation nichts her. ROHG, Urt. v. 19.1.1878 (oben § 2 I. 3., Fn. 5) ist zwar auführlich begründet, betrifft aber, klar unterscheidend (ROHGE 23, 175), die Fremdhaftung aus Art. 1384 Cc, die ein eigenes Verschulden des „commettant" nicht voraussetzt.

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§ 2. Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen

3. Nur das Recht des Tatorts sei berufen, den Kreis der Haftenden zu erweitern. Im einzelnen: Bei Schiffsunglücken streben die Gerichte von jeher nach einer einheitlichen Anknüpfung aller aufgeworfenen Fragen. Allgemein: RG, Urt. v. 30.5.1888 32 : Der Zusammenstoß zweier englischer Schiffe auf der Unterelbe unterlag deutschem Recht; Anknüpfung an die Nationalität der Schiffe führe zu „Verwicklungen und Unzuträglichkeiten", besonders bei wechselseitigen Ansprüchen 33 . RG, Urt. v. 1.7.1896 34 : „ . . . Einheitlichkeit und wechselseitige Bedingtheit der unmittelbaren und mittelbaren Haftung". 3 5 RG, Urt. v. 10.11.1900 36 : Im Anschluß an das Urt. v. 30.5.1888 wurde für einen englisch-norwegischen Zusammenstoß auf hoher See die Anwendung deutschen Rechts gebilligt (als „Auskunftsmittel" ohne inneren Grund 3 7 ). RG, Urt. v. 22.11.1902 38 : Eine Kombination verschiedener Rechtssysteme bezüglich Verschulden, Beweislast, Schadensteilung bei beiderseitigem Verschulden und Umfang der Haftung sei unmöglich und führe zu höchst unbilligen Ergebnissen. O G H (britische Zone), Urt. v. 1.6.1950 39 : „Das Recht des Tatorts i s t . . . maßgebend für alle durch den Zusammenstoß aufgeworfenen Rechtsfragen." O L G Bremen, Urt. v. 10.11.1983 40 : Für einen peruanisch-US-amerikanischen Zusammenstoß auf der Unterweser galt deutsches Recht. Zur Stellung des Schuldners: O L G Hamburg, Urt. v. 29.6.1932 41 : Die Art der Haftung mehrerer Schädiger richte sich nach dem Deliktsstatut (hier: mehrere „schuldige" Schiffe in deutschen Hoheitsgewässern; Gesamthaftung nach § 736 HGB). O L G Hamburg, Urt. v. 8.7.1958 42 : Das Recht des Tatorts entscheide nicht nur, ob eine dritte Person neben dem Schuldigen hafte, sondern auch wie und für wieviel. 43 Zur Stellung des Gläubigers: B G H , Urt. v. 2.2.1961 - I I Z R 164/59 Die Ansprüche eines Ladungsbeteiligten wegen kollisionsbedingten Verlustes der Ware sollten demselben Recht unterliegen wie die Ansprüche des Reeders wegen Beschädigung seines Schiffs 45 - obwohl das damit anwendbare deutsche Recht 46 weder mit dem Tatort, noch der 32

R G Z 21, 136 (139f.). Dazu unten § 7 I I I . 2. a), Fn. 242. 34 R G Z 37, 181 (182). 35 Diesen Gesichtspunkt hat z.B. Lewald, S. 267, übernommen. 36 HansGZ 1901 - Hauptblatt - , 26 = NiemeyersZ 11 (1901), 62. 37 So die Erläuterung in R G Z 49, 182 (186f.), Urt. v. 18.11.1901. 38 JW 1902, 635 Nr. 16. 39 O G H Z 4 , 194 (198). 40 VersR 1984, 735 (736 links) = IPRspr. 1983 Nr. 45, S. 116. 4 1 IPRspr. 1932 Nr. 6. 42 IPRspr. 1958 - 1959 Nr. 72 = VersR 1958, 841 (842 rechts). 43 Berufung auf RG, Urt. v. 22.11.1902 (dazu soeben bei Fn. 38) und O G H (britische Zone), Urt. v. 1.6.1950 (dazu soeben bei Fn. 39). Ähnlich B G H Z 29, 237 - 244, Urt. v. 29.1.1959 = IPRspr. 1958 - 1959 Nr. 73 (Reederhaftung, Berufung auf RG, Urt. v. 22.11.1902 und O G H [britische Zone], Urt. v. 1.6.1950); vgl. zu B G H Z 29, 237 die deutliche Anmerkung des Senatsmitglieds Liesecke, L M Nr. 6 zu Art. 12 EGBGB; L G Hamburg, Urt. v. 21.11.1957, IPRspr. 1956 - 1957 Nr. 43 (Berufung auf O G H [britische Zone], Urt. v. 1.6.1950); O L G Hamburg, Urt. v. 3.3.1977, IPRspr. 1977 Nr. 38 (Berufung auf BGH, Urt. v. 29.1.1959). 44 B G H Z 34, 227 (229) = IPRspr. 1960 - 1961 Nr. 47b. 45 Berufung auf RG, Urt. v. 30.5.1888, dazu oben bei Fn. 32. 33

II. Haftung für fremde Verbindlichkeiten

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Staatsangehörigkeit der Ladungsbeteiligten verknüpft war. Zweifelnd L G Bremen, Urt. v. 8.2.1962 47 : Das Gericht erwog die Anwendung der Flaggenrechte, da der Gerichtsort oder ein anderer einheitlicher Anknüpfungspunkt zufällig sei; dennoch folgte es im Interesse einheitlicher Anknüpfung - B G H , Urt. v. 29.1.1959. 48 Dagegen hielt O L G Hamburg, Urt. v. 14.11.1974 49 die Einheitlichkeit der Anknüpfung auch bei Anwendung des günstigeren Flaggenrechts für gewahrt, da in casu nur eine Seite Ansprüche stellen konnte. 50 Für die Gehilfenhaftung bietet nur die Entscheidung ROHG, Urt. v. 19.1.1878 51 eine echte Argumentation. In ihr heißt es, daß Gehilfenhaftung nach einem anderen als dem Deliktsstatut „zu einer sachwidrigen Zerreißung eines als einheitlich zu behandelnden Rechtsverhältnisses" führen würde. 52 Einheitliche Anknüpfung ist freilich kein unverbrüchliches Dogma. Vgl. z.B. RG, Urt. v. 2.1.1920 53 : Über die persönliche Haftung eines Gesellschafters für eine Gesellschaftsschuld entscheide das Recht am Ort der Gesellschaft. Die Einheitlichkeit der Beurteilung werde dadurch nicht gefährdet. Es genüge, daß die Schuld selbst auch gegenüber dem Gesellschafter nach dem Vertragsstatut beurteilt werde. 54 I I . Haftung für fremde Verbindlichkeiten D i e folgende Gruppe betrifft die H a f t u n g für fremde Verbindlichkeiten. Das Zurechnungssubjekt ist hier nicht wie aus eigenem D e l i k t verpflichtet („quasi ex d e l i c t o " ) , sondern es w i r d passivlegitimiert, damit die Haftungsmasse sich verbreitere. D i e Passivlegitimation kann aus einer Sonderbeziehung des Zurechnungssubjekts zum Schuldner folgen. M i t dieser entsteht wieder der K o n f l i k t zwischen „ i n n e n " u n d „außen". 1. Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer des Schädigers Für den Direktanspruch gegen den Versicherer v o n Kraftfahrzeugen scheinen deliktische Tat u n d Versicherungsgesetz i n gleichem Maße konstitutiv wie der Versicherungsvertrag. D e r Bundesgerichtshof hält jedoch die deliktsrechtliche Seite des Anspruchs für bestimmend, u n d die Praxis geht heute von der A n w e n d u n g des Deliktsstatuts nicht mehr ab. 46 Vgl. B G H Z 34, 222 - 229, Urt. v. 2.2.1961 - I I Z R 163/59 - = IPRspr. 1960 1961 Nr. 47a (gleicher Schiffszusammenstoß). 47 IPRspr. 1964 - 1965 Nr. 59b (S. 203). 48 B G H Z 29, 237. Bedenken beiläufig wiederholt in L G Bremen, Urt. v. 13.12.1962, IPRspr. 1964 - 1965 Nr. 60. 49 IPRspr. 1974 Nr. 40 (S. 107f.). 50 Anlehnung an R G Z 138, 243 (247), Urt. v. 12.11.1932 = IPRspr. 1932 Nr. 60 und O L G Oldenburg, Zwischenurt. v. 10.5.1967, IPRspr. 1966 - 1967 Nr. 46 (dazu unten §71. 5. b ) , F n . l 0 6 ) . 51 Dazu oben § 2 I. 3., bei Fn. 5; siehe auch oben § 2 I. 3., Fn. 31. 52 R O H G E 233, 177. Dazu oben § 2 I. 3., Fn. 5. 53 HansGZ 1920 - Hauptblatt - , S. 106. 54 Dazu noch unten § 2 II. 2. bei Fn. 69.

5 Schohe

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§ 2. Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen

Vgl. zunächst O L G Saarbrücken, Urt. v. 6.6.1956 55 : Die Leistungspflicht des Versicherers sei, wo ein Deckungsanspruch des Versicherten fehle, gesetzlich (§ 158c V V G ) und über das französische Deliktsstatut nicht berufen. Streit entfachte der 1965 eingeführte § 3 Nr. 1 PflVG. Mehrere Gerichte wandten auf den dort statuierten Direktanspruch die Tatortregel an. 56 Zum Statut des Versicherungsvertrags kam O L G Celle, Urt. v. 11.3.1970 57 ; Begründung: Der Direktanspruch habe eine Doppelnatur; der Versicherungsvertrag sei nicht bestimmend, da schon eine tatsächliche Innenbeziehung genügen könne, ebensowenig der Tatort, da Zurechnungsgrundlage nicht der Unrechtsgehalt der Schadenszufügung sei; richtig sei deshalb eine „Auflockerung" des Deliktsstatuts durch die kollektive Sonderbeziehung zwischen der Versichertengemeinschaft und den potentiellen Unfallopfern. Wenig später bestätigte der Bundesgerichtshof jedoch die deliktsrechtliche Anknüpfung 58 . Der Direktanspruch folge nicht aus dem Versicherungsvertrag, sondern aus gesetzlichem Schuldbeitritt und sei überwiegend deliktsrechtlich. Dieser Entscheidung sind die meisten Gerichte gefolgt. 59 Das Oberlandesgericht Celle versuchte vergeblich, seine Rechtsprechung fortzuführen. 60 O L G Köln (15. Zivilsenat), Urt. v. 11.7.1972 61 sah § 3 Nr. 1 PflVG auf ganz Europa erstreckt, denn so weit reiche die Leistungspflicht des Versicherers. Dem folgten A G Köln, Urt. v. 27.1.1975 62 und, teilweise, L G Köln, Urt. v. 23.2.1977 63 : Der Doppelcharakter des Direktanspruchs spreche bei Vorliegen weiterer Gesichtspunkte für den Normenbereich, der den Direktanspruch gewähre (obiter dictum). In späteren Kölner Entscheidungen über einen Autounfall in den Niederlanden wurde der Direktanspruch aber 55

IPRspr. 1956 - 1957 Nr. 51. A G Mönchengladbach, Urt. v. 14.2.1968, IPRspr. 1968 - 1969 Nr. 34; L G Hannover, Urt. v. 18.1.1969, IPRspr. 1968 - 1969 Nr. 38; L G Hamburg, Urt. v. 20.11.1970, IPRspr. 1970 Nr. 23 (der Direktanspruch entstehe durch gesetzlichen Zwang und sei quasideliktisch oder deliktisch); vgl. auch das Verfahren L G Hanau, Urt. v. 7.6.1971, O L G Frankfurt, Urt. v. 11.1.1972, beide IPRspr. 1972 Nr. 17, und B G H , Urt. v. 24.4.1974, VersR 1974, 689 (das Recht des Besuchslands des Inhabers der grünen Versicherungskarte gelte auch insoweit, als es sich um das Verhältnis zu seinem Versicherer handele). 57 IPRspr. 1972 Nr. 16; implizit ebenso im Urt. v. 17.12.1970, IPRspr. 1970 Nr. 24. 58 B G H Z 57, 265 - 267, Urt. v. 23.11.1971 = IPRspr. 1971 Nr. 18; fortgeführt in den Urteilen vom 18.12.1973, IPRspr. 1973 Nr. 17 und vom 5.10.1976, IPRspr. 1976 Nr. 17. 59 O L G Stuttgart, Urt. v. 3.10.1972, IPRspr. 1972 Nr. 23; O L G München, Beschl. v. 19.1.1973 - letzte Instanz! - , IPRspr. 1973 Nr. 15 (gegen Oberlandesgericht Köln, dazu sogleich); O L G Karlsruhe, Urt. v. 7.12.1978, IPRspr. 1978 Nr. 29; L G Berlin, Urt. v. 31.1.1979, IPRspr. 1979 Nr. 21, S. 21, wo der Direktanspruch eine „Auflockerung" des Deliktsstatuts mitmacht; KG, Urt. v. 31.1.1974, NJW 1974, 1055 (Meinung des Oberlandesgerichts Köln mißbilligt, aber offen gelassen) und Urt. v. 5.5.1980, IPRspr. 1980 Nr. 37 (internationale Zuständigkeit); A G Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 31.7.1984, IPRspr. 1984 Nr. 33; vgl. auch BayObLG, Urt. v. 19.9.1984, IPRspr. 1984 Nr. 143 (Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gilt auch für den Direktanspruch). L G Frankfurt, Urt. v. 17.5.1974, IPRspr. 1974 Nr. 21 ließ die Frage allerdings offen. 60 Aufgehoben in B G H Z 57, 265, Urt. v. 18.12.1973; vgl. dazu das zweite Berufungsurteil (vom 8.1.1976), IPRspr. 1976 Nr. 11 und die „linientreuen" Urteile vom 4.3.1982, IPRspr. 1982 Nr. 26 und 14.7.1982, IPRspr. 1982 Nr. 28. 61 IPRspr. 1972 Nr. 22. 62 IPRspr. 1975 Nr. 17. 63 IPRspr. 1977 Nr. 26. 56

II. Haftung für fremde Verbindlichkeiten

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nach niederländischem Recht geprüft. 64 Alternative Geltung des Deliktsstatuts und des Vertragsstatuts haben die deutschen Gerichte nie erwogen. So aber Art. 40 Abs. 3 des (deutschen) Regierungsentwurfs 65, Art. 139 des schweizerischen Entwurfs eines IPRGesetzes, Art. 9 des Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht 66 und, im Sinne einer einseitigen Kollisionsnorm, der österreichische Oberste Gerichtshof: Bereits vor Inkrafttreten des Haager Übereinkommens in Österreich konnte der Direktanspruch gegen einen österreichischen Versicherer nach österreichischem Recht, dem Vertragsstatut, durchgesetzt werden, soweit das ausländische Recht des Unfallorts ihn nicht kannte. 67 Das Vertragsstatut hatte noch eine weitere Funktion: Wo nach dem österreichischen Deliktsstatut ein Direktanspruch bestand, sollte das (ausländische) Vertragsstatut darüber entscheiden, ob der Umfang des Ersatzanspruchs, wie § 63 Abs. 1 des österreichischen Kraftfahrzeuggesetzes es verlangte, „im Rahmen des Versicherungsvertrags" lag. 68 2. Mithaftung der Gesellschafter einer Personengesellschaft für deren Schuld

Die Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft wird nach dem Gesellschaftsstatut beurteilt. Das ist ständige Praxis. Doch findet sich kaum eine Begründung. Die Mithaftung ist wohl von vornherein als genuine Einrichtung des Gesellschaftsstatuts erschienen. 69 64 A G Köln (gleiche Abteilung wie in A G Köln, IPRspr. 1975 Nr. 17), Urt. v. 19.10.1977, IPRspr. 1978 Nr. 32a = VersR 1978, 56; L G Köln, Urt. v. 31.5.1978, VersR 1978, 957; O L G Köln (19. Zivilsenat), Urt. v. 29.1.1982, VersR 1984, 527 = IPRspr. 1983 Nr. 28 (ebenso Oberlandesgericht Köln als Vorinstanz zu B G H Z 57, 265, Urt. v. 5.10.1976, dazu soeben bei Fn. 58). 65 Dazu oben § 1 II. 1. a) aa), Fn. 29. 66 Vom 4. 5.1971 (Jayme / Hausmann, S. 157). 67 OGH, 12.2.1974, SZ 47 Nr. 10, S. 61f.; 9.1.1979, bei Schwimann, IPRE 1/59, S. 59f. (obiter); 28. 9.1982, bei Schwimann, IPRE 1/57, S. 124; 22.11.1983, bei Schwimann, IPRE 1/58 (Anwendbarkeit des Haager Übereinkommens übersehen; vgl. die Anmerkung bei Schwimann, IPRE 1/58). 68 OGH, 13.9.1979, bei Schwimann, IPRE 1/56, S. 122; ähnlich bereits O G H , 2.9.1976, (öst.) ZfRV 1978, 53 (56, 3. Abs., 57 unten) mAnm Schwind. 69 Noch implizit R G Z 23, 31, Urt. v. 30.1.1889 (Wechselhaftung nach dem haitianischen Sitzrecht); ausdrücklich dann RG, Urt. v. 2.1.1920, HansGZ 1920 - Hauptblatt - , 106 Nr. 53 (dazu oben § 2 I. 3., bei Fn. 53) (ebenso O L G Hamburg, Urt. v. 7.5.1919, HansGZ 1919 - Hauptblatt - , 151 Nr. 93 als Vorinstanz); B G H , Urt. v. 17.12.1953, IPRspr. 1952 - 1953 Nr. 20, S. 55 - 57 sub II. (mit dem Vorbehalt abweichender Parteibestimmungen); L A G Stuttgart, Urt. v. 31.3.1955, IPRspr. 1954 - 1955 Nr. 1; L G Düsseldorf, Teilurt. v. 5.6.1957, IPRspr. 1956 - 1957 Nr. 47; B G H , Urt. v. 13.7.1959, IPRspr. 1958 - 1959 Nr. 3 = W M 1959, 111; O L G Hamburg, Urt. v. 25.11.1959, IPRspr. 1958 - 1959 Nr. 61; L G Tübingen, Urt. v. 16.2.1966, IPRspr. 1966 - 1967 Nr. 22: „Die Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten, die im Betrieb des Gesellschaftsunternehmens entstanden sind, ist zu den Auswirkungen des die Organisation der Gesellschaft beherrschenden Personalstatuts zu rechnen . . . " ; L G Hamburg, Urt. v. 21.6.1967, IPRspr. 1966 - 1967 Nr. 26; O L G Hamburg, Urt. v. 9.1.1975, IPRspr. 1975 Nr. 27, S. 45 (implizit); O L G Braunschweig, Urt. v. 20.2.1975 Nr. 7 (implizit); zur derzeit gesetzesvertretenden Bedeutung dieser Rechtsprechung vgl. Art. 37 Nr. 2 EGBGB. Ebenso BGE 107 I I 484 (485f.), Erw. 1, Urt. v. 7.12.1981,

5*

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§ 2. Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen 3. Gesellschaftsrechtliche Durchgriffshaftung Z u einer H a f t u n g für fremde Verbindlichkeiten führen schließlich der

Durchgriff der Gesellschaftsgläubiger auf die Gesellschafter und der umgekehrte Durchgriff der Gesellschaftergläubiger auf die Gesellschaft. Beide hat der Bundesgerichtshof dem Personalstatut der Gesellschaft zugeordnet: D e r Durchgriff hänge v o n der Tragweite u n d Bedeutung der ihr zukommenden Rechtsfähigkeit ab. A l s isolierte Leitsätze scheinen diese Aussagen eine A n k n ü p f u n g i m Interesse der Gläubiger auszuschließen. D o c h v o n solcher Ausschließlichkeit sind die Entscheidungen nicht getragen, und i n einem unbeachtet gebliebenen obiter dictum aus dem Jahre 1965 hat der Bundesgerichtshof eine abweichende A n k n ü p f u n g ernsthaft erwogen. So wollte B G H , Urt. v. 1.7.1957 70 den Durchgriff auf den Alleinaktionär einer niederländischen Aktiengesellschaft zwar nach niederländischem Recht beurteilt wissen. Darin lag aber nur ein unverbindlicher Hinweis, denn das Berufungsurteil wurde aus anderen Gründen aufgehoben (§ 565 Abs. 2 ZPO). Außerdem waren die Gläubiger ein zwangsverwaltetes niederländisches Vermögen und niederländische Unternehmen; die Frage, ob in ihrem Interesse eine andere Anknüpfung nötig war, stellte sich nicht. 71 Später bezweifelte B G H , Urt. v. 10.6.1965 72 die Maßgeblichkeit niederländischen Rechts für den Durchgriff wegen einer Deliktsschuld einer niederländischen Gesellschaft, denn die durchgriffsbegründenden Vorgänge hatten sich in Deutschland zugetragen; der Bundesgerichtshof lehnte den Durchgriff aber auch nach deutschem Recht ab und ließ die Anknüpfung deshalb offen. 73 Vgl. auch O L G Karlsruhe, Urt. v. 11.5.1977 74 : Das Gericht erwog nach deutschem Recht, ob die deutsche Klägerin auf die Tochtergesellschaft ihrer angeblichen Mailänder Schuldnerin durchgreifen konnte. In B G H , Urt. v. 5.11.1980 75 waren veruntreute Gelder aus Deutschland über ein schweizerisches Konto in das Vermögen einer liechtensteinischen Anstalt gelangt, die von einem Beteiligten der Untreue beherrscht war. Das Berufungsgericht hatte den umgekehrten Durchgriff der Geschädigten auf die Anstalt nach deutschem und liechtensteinischem Recht beurteilt. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf wegen mangelnder Aufklärung des liechtensteinischen Rechts (§ 293 ZPO); auf die alternative Anwendung deutschen Rechts war es für die Revisionsentscheidung nicht angekommen. Allerdings blieb die Anwendung des deutschen Durchgriffsrechts unüberprüft und damit von vornherein abgelehnt. Vgl. noch O L G Frankfurt, Urt. v. 18.1.1979 76 :

für das Verhältnis zwischen einem Kommanditisten und einer Gesellschaftsgläubigerin nach dem deutschen § 171 H G B (die in BGE 107 I I 486f. angeführten vorangegangenen Entscheidungen ergeben dazu allerdings nichts) und, unter Berufung auf § 12IPRGesetz, OGH, 22.3.1983, bei Schwimann, IPRE 1/11, S. 30. ™ W M 1957, 1047 (1049 sub D I.). 71 Zur Organhaftung in dieser Entscheidung oben § 1 II. 12. a) aa) bei Fn. 55. 72 W M 1965, 787 (788 sub V. 2.) = IPRspr. 1964 - 1965 Nr. 50. 73 Zur Umgehung des IPR durch mehrfache Sachrechtsprüfung oben § 1 II. 3. a) aa). 74 IPRspr. 1977 Nr. 126 (S. 391 f.). 75 B G H Z 78, 318 (334) = IPRspr. 1980 Nr. 31 (S. 133). 76 IPRspr. 1979 Nr. 10b, S. 52 („B.C.I.-Fall", dazu oben § 1 I I . 2. b) cc), bei Fn. 89.

. Haftung für fremde Verbindlichkeiten

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Das Deliktsrecht dürfe nicht zu einer Haftung führen, die der Versagung des Durchgriffs durch das schweizerische Aktienrecht als Gesellschaftsstatut widerspreche. In BG, Urt. v. 8.6.1982, - C 426/81/rt - 7 7 wurde der Durchgriff auf den Beherrscher einer liechtensteinischen Anstalt nach schweizerischem Recht versagt. Beiläufig ist bemerkt, daß die Bejahung der rechtlichen Selbständigkeit der Anstalt, „soweit liechtensteinisches Recht gilt [,] der Ueberprüfung [sie] durch das Bundesgericht entzogen" sei. Möglich daher, daß die Vorinstanz nach liechtensteinischem und das Bundesgericht fürsorglich nach schweizerischem Recht den Durchgriff abgelehnt haben. Doch Erwägungen zum IPR fehlen. Unklar Obergericht Zürich, 26.4.1962 78 : Über den Durchgriff wegen einer nach deutschem Recht entstandenen Forderung auf den Alleinaktionär einer liechtensteinischen Gesellschaft, der von Zürich nach New York umgezogen war, sollte schweizerisches oder New Yorker Recht entscheiden, vielleicht auch deutsches; tatsächlich aber wurde der Durchgriff nach Würdigung schweizerischer und deutscher Lehrmeinungen abgelehnt. Von ausschließlicher Anknüpfung an das Personalstatut getragen ist allein (öst.) OGH, 17.6.1981 79 : Die Durchgriffshaftung der amerikanischen Muttergesellschaft einer englischen company für deren Schulden wurde nach englischem Recht verneint und nach dem Gründungsrecht der Muttergesellschaft nicht geprüft. 80 M a n muß fragen, wie die A n k n ü p f u n g des umgekehrten Durchgriffs zu der Neigung der Rechtsprechung paßt, die Organhaftung dem Deliktsstatut zu unterstellen. D e n n auf den ersten B l i c k unterscheiden sich Organhaftung u n d umgekehrter Durchgriff nur danach, ob der Gesellschafter die Schulden i n A u s ü b u n g seiner F u n k t i o n e n gemacht hat oder nicht. Vielleicht ist folgende A n t w o r t plausibel: Zurechnungsgrund des Durchgriffs ist (nach einer Literaturmeinung, die die Rechtsprechung deutet), daß die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft geleugnet werden d a r f 8 1 ; der Ursprung der Schuld ist dafür gleichgültig. Zurechnungsgrund der Organhaftung ist dagegen die zum Schadensersatz verpflichtende Tat des Organs oder dessen Identifizierung m i t der juristischen Person oder beides, u n d die Rechtsprechung scheint zuvörderst von dem ersten geprägt.

77

Auszug in BGE 108 I I 213. Die Darstellung im Text bezieht sich auf das unveröffentlichte Original. 78 SchweizJZ 1964, 123f. 79 JB1. 1982, 257. 80 Fatal für die Klägerin, die die englische Gesellschaft in Österreich nicht verklagen konnte. Denn die Muttergesellschaft dürfte - wie alle überregionalen Gesellschaften in den U . S . A . - nach dem Recht von Delaware, New York oder Kalifornien bestanden haben, und in jedem dieser Rechte ist die Neigung groß, in gegebenen Fällen „den Schleier der Gesellschaft zu durchstoßen". Während das englische Recht nur zwei ganz enge Fälle des Durchgriffs kennt (vgl. O G H , JB1. 1982, 257 rechts), kennt ζ. B. das von New York vier (oder fünf) sehr weite (zur Fallgruppe „parent - subsidiary" zuletzt Matter of Sbarro Holding, Inc., 91 A . D. 2d 613, 456 N. Y. S. 2d 416, 417 [1982]); es tut alles „to prevent fraud or to achieve equity" (grundlegend Walkovsky v. Carlton, 18 N. Y. 2d 414, 276 N. Y. S. 2d 585, 223 N. E. 2d [Ν. Y. 1966]). 81 Mann, S. 234f. in FS Barz = S. 84f. in „Beiträge".

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§ 2. Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen

Allerdings reflektiert es zu einseitig die Sicht der Gesellschaft, wenn man den Durchgriff nur als Leugnung gesellschaftlicher Rechtsfähigkeit deutet. Aus der Sicht des Gläubigers geht es darum, die Haftungsmasse zu verbreitern. Das wird wichtig für Forderungen aus Delikt. Denn der Gläubiger kann sich den Schuldner seiner Deliktsforderung nicht aussuchen. Hier könnte die Rechtsprechung künftig nach dem Deliktsstatut entscheiden, zumal sie nicht abschließend festgelegt ist und ihre Kommentatoren sie dazu aufgefordert haben. 82 Organhaftung und umgekehrter Durchgriff würden dann übereinstimmend angeknüpft und unsere Frage erübrigte sich.

I I I . Gefährdungshaftungen Z u r Begründung einer Gefährdungshaftung muß der Belangte die Gefahrenquelle bloß tatsächlich gehalten oder betrieben haben. Eine Innenbeziehung, die i n die Richtung eines bestimmten Rechts verwiese, fehlt.

Die

A n w e n d u n g der Tatortregel scheint sich deshalb v o n selbst zu verstehen. Sie ist, soweit zu sehen, nur einmal gegen das Heimatrecht des Belangten verteidigt worden. O L G Karlsruhe, Urt. v. 28.2.1929 83 in einer Autounfallsache: Infolge Anwendung des Heimatrechts „wären bei einer Mehrzahl von Beteiligten je nach deren Staatsangehörigkeit die verschiedensten Rechte anzuwenden. . . . Wenn ein Staat die Einführung der Gefährdungshaftung nicht für geboten hält, dann können die auf seinem Gebiete erfolgenden Unfälle nicht auf Grund der in einem anderen Staat geltenden Gefährdungshaftung beurteilt werden." 84 D e r K o n f l i k t zwischen den Interessen des Belangten u n d des Geschädigten ist aber nicht aus der W e l t . E r verlagert sich auf die Frage, ob der Handlungsort da zu lokalisieren sei, w o der Belangte der Gefahr steuern konnte ( z . B . durch Verweigerung der Zündschlüssel) oder dort, w o sie i n einem Erfolg umgeschlagen ist. D i e A n t w o r t e n sind nicht einheitlich. 8 5 Gefährdungshaftung für Kraftfahrzeuge untersteht dem Recht des Unfallorts. 86 Leitentscheidung ist B G H , Urt. v. 21.12.1956 87 : Für die Gefährdungshaftung gelte die 82 Großfeld, Gläubigeranfechtung und Durchgriff, S. 177, sub II., vor Fn. 10: deliktsrechtliche Anknüpfung, soweit der Durchgriff „bürgerlichrechtlicher Interessenschutz" ist (ebenso in Staudinger / Großfeld, IntGesR, Rn. 261); immerhin erwogen von Hanisch, S. 576, sub. 2. 3.; beide zu B G H 78, 318, Urt. v. 5.11.1980 (liechtensteinische Anstalt), dazu oben § 2 II. 3., bei Fn. 75. Zur Anknüpfung des Durchgriffs in den Fällen der Organhaftung unten § 7 I I I . 2. b) cc). 83 IPRspr. 1930 Nr. 51 (S. 124f.). 84 Gegen Frankenstein, Raape und Zitelmann. 85 Vgl. einerseits Stoll, FS Ferid, passim (Unterscheidung nach der A r t des Schadens) und andererseits Kegel, L B , § 18 I V . 1. a) aa), S. 406. 86 Ältere Rechtsprechung: RG, Urt. v. 14.6.1915, L Z 1915, 1443 Nr. 16; O L G Karlsruhe, Urt. v. 28.10.1931, IPRspr. 1932 Nr. 41 (S. 88) (Gefährdungshaftung des Straßenbahnunternehmers); O L G München, Urt. v. 6.2.1932, IPRspr. 1932 Nr. 42 (Anwendbarkeit des österreichischen Kraftfahrzeuggesetzes vom 9.8.1908) und Urt. v. 13.2.1934, IPRspr. 1934 Nr. 27; L G Bayreuth, Urt. v. 5.7.1950, IPRspr. 1950 - 1951 Nr. 23.

ΠΙ. Gefährdungshaftungen

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deliktsrechtliche Kollisionsnorm (obiter dictum 88 ). Dies ist seitdem ständige Praxis. 89 Das Urt. v. 21.12.1956 ist aufgegriffen in B G H , Urt. v. 10.11.1977 90 für einen Luftverkehrsunfall und in B G H , Urt. v. 8.1.1981 91 für Gefährdungshaftung nach dem deutschen Wasserhaushaltsgesetz. Bei Emissionen von Frankreich nach Deutschland hat die Rechtsprechung durchweg das günstigere französische Recht entscheiden lassen.92 Das zeigt, daß der Handlungsort nicht ausschließlich maßgebend ist. In Art. 137 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes hat sich für Emissionen die Günstigkeitsregel erhalten - entgegen der Grundregel in Art. 129.

Nach L G München I, Urt. v. 15.11.1983 93 bestimmt ebenfalls und ausschließlich das Tatortrecht, wer „Halter" im Sinne einer berufenen Haftungsnorm ist. Der Entscheidung lag die Argumentation in einem Münchener Rechtsgutachten zugrunde 94 : Bestimme man den Halter nach einem Recht, das dem Tatort fremd sei, dem Belangten dagegen nahestehe, so verändere dies den Kreis der Verpflichteten und störe die Regelungsharmonie der Haftungsnorm. Zuweilen enthalte eine zweite Rechtsordnung gar keine Kriterien für die Bestimmung des Halters. Zwar habe der Belangte ein Interesse an Vertrauensschutz nach seinem Personalstatut. Dieses Recht komme aber für den Geschädigten, dessen Interesse überwiege, zufällig. Die Bestimmung des Verpflichteten sei eine Kernfrage des Deliktsstatuts, dessen Geltung die Gleichbehandlung aller Unfälle in einem Lande gewährleiste. Tatortfremde Regeln könnten nicht einmal als „data" bei der Subsumtion unter den Halterbegriff des Tatortrechts berücksichtigt werden. 95

87

B G H Z 23, 65 (67) = IPRspr. 1956 - 1957 Nr. 41. Vgl. B G H Z 23, 68. Die Stelle wurde für die Entscheidung nicht tragend, denn die Klägerin hatte den Höchstbetrag nach dem anwendbaren deutschen Recht der Gefährdungshaftung schon erhalten; in der Berufungsinstanz ( O L G Hamburg, Urt. v. 6.5.1955, IPRspr. 1954 - 1955 Nr. 29 = VersR 1955, 621) war es nur noch um weitergehende Verschuldenshaftung gegangen. 89 Vgl. z.B. O L G Stuttgart, Urt. v. 12.11.1959, IPRspr. 1958 - 1959 Nr. 69; L G Wiesbaden, Urt. v. 4.5.1971, IPRspr. 1971 Nr. 17; L G Aachen, Urt. v. 14.6.1984, IPRspr. 1984 Nr. 30 (türkisches Straßenverkehrsrecht). Als Kontrast vgl. Art. 4 des Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht vom 4.5.1971 (Jayme ! Hausmann, S. 157), wonach in Ausnahmefällen das Recht des Zulassungsstaats zu berücksichtigen ist. 90 IPRspr. 1977 Nr. 29 = NJW 1978, 495 sub II. 2. (dazu oben § 2 I. 2., vor Fn. 4). 91 B G H Z 80, 1 (3, 4 - 7) = IPRspr. 1981 Nr. 24 (ausgelaufener Tankwagen). 92 O L G Saarbrücken, Urt. v. 22.10.1957, IPRspr. 1956 - 1957 Nr. 42 = NJW 1958, 752; L G Saarbrücken, Urt. v. 4.7.1961, IPRspr. 1960 - 1961 Nr. 38 und O L G Saarbrücken, Urt. v. 22.10.1957 (Berufungsurteil), IPRspr. 1962 - 1963 Nr. 38; O L G Karlsruhe, Urt. v. 4.8.1977, IPRspr. 1977 Nr. 27 - „Lindan". 93 VersR 1984, 95 = IPRspr. 1983 Nr. 33 (Leitsatz) = IPRax 1984, 101 (Leitsätze) mAnm Jayme. 94 IPG 1983 Nr. 11. 95 A . A . Jayme, IPRax 1984, 101. 88

72

§ 2. Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen

I V . Stellvertretung Stellvertretung ist geradezu ein Exerzierfeld für Verkehrsschutz in der Außenbeziehung und Schutz vor unerwarteter Zurechnung in der Innenbeziehung. Greifen wir zwei Punkte heraus. 1. Zurechnung von Wissen

Der erste Punkt betrifft rechtlich bedeutsame Kenntnisse des Vertreters. Diese muß der Vertretene sich nach dem Recht des Ortes zurechnen lassen, an dem der Vertreter die Vertretungsmacht gebraucht. RG, Urt. v. 3.4.1902 96 : Eine Firma in New York mußte es sich nach deutschem Recht zurechnen lassen, daß ihr Abschlußvermittler in Frankfurt die Qualitätserwartung des Auftragsgebers („prima Hummer") gekannt hatte. RG, Urt. v. 23.3.1929 97 : Spieleinwand nach § 764 BGB wirkte nach deutschem Vertretungsrecht gegen eine englische Firma, deren deutscher Agent um die Spielabsicht des Gegners gewußt hatte oder hätte wissen müssen.98 O L G Köln, Urt. v. 29.5.1967": Wegen Bösgläubigkeit des Prokuristen (§166 Abs. 1 BGB) keine Berufung auf etwaigen Rechtsschein des Zahlungsempfangs; unklar, wo der böse Glaube entstanden war. O L G Düsseldorf, Urt. v. 28.9.1970 100 : Kenntniszurechnung nach dem gemeinen Recht der U . S . A . O L G Bremen, Urt. v. 6.4.1978 1 0 1 : § 166 Abs. 1 BGB erwogen für Kenntnis der italienischen Beklagten von Gebräuchen im deutschen Speditionsgewerbe. 102

Läßt die Zurechnung von Wissen sich materiellrechtlich mit der Organhaftung vergleichen und könnte ihre Anknüpfung auf diese übertragen werden? Die neuere Rechtsprechung hat die Wissenszurechnung von der Stellvertretung abstrahiert: Wissenszurechnung nach § 166 Abs. 1 BGB hängt nicht mehr von einem Vertretungsverhältnis ab; sie findet bei Tatbeständen statt, die Delikten ähneln (§§ 819 Abs. 1; 912 Abs. 1; 989,990 Abs. 1 BGB); sie belastet Gesellschaften mit dem Wissen ihrer Organe selbst dann, wenn diese an dem fraglichen Rechtsgeschäft nicht beteiligt waren. Vgl. B G H , Urt. v. 25.3.1982 (zu § 819 Abs. 1 BGB)i° 3 : Wer einen anderen - unabhängig von einem Vertretungsverhältnis - mit der eigenverantwortlichen Erledigung bestimmter Angelegenheiten betraue, müsse sich die dabei erlangte Kenntnis des ande96

R G Z 51, 147 (149, 150 unten f.), Urt. v. 3.4.1902. IPRspr. 1929 Nr. 29. 98 Ähnlich R G Z 134, 67, Urt. v. 14.10.1931 = IPRspr. 1931 Nr. 29. 99 IPRspr. 1966 - 1967 Nr. 25 = Z L W 1967, 238 (243) (dazu oben § 1 II. 2. b) aa), Fn. 74. 100 IPRspr. 1970 Nr. 15 (S. 56, 61). i°i IPRspr. 1978 Nr. 139. i 0 2 Vgl. auch B G H , GRUR 1955, 411, Urt. v. 11.1.1955 - „Zahl 55", dazu oben § 1 II. 1. a) bb), Fn. 42. i° 3 B G H Z 83, 293 (296). 97

V. Zurechnung eigener Rechtsgeschäfte

73

ren zurechnen lassen. Aufgegriffen in B G H , Urt. v. 1.3.1984 104 : Eine Bank wollte von der Zahlungseinstellung eines Gemeinschuldners nichts gewußt haben; aber die Kenntnis ihres Kassierers wurde dem Organ zugerechnet, das ihn bestellt hatte, und dessen Kenntnis der Bank als Aktiengesellschaft.

Im Lichte dieser Abstraktion scheint die Anknüpfung der Wissenszurechnung übertragbar auf die der Organhaftung. Jedenfalls in deliktsähnlichen Situationen verringern sich die Unterschiede in den Anforderungen der beiden Zurechnungsformen und scheint eine analoge Anknüpfung der Organhaftung möglich. Aber man darf sich nicht blenden lassen. Denn zur Wissenszurechnung in ihrer abstrahierten Form gibt es eine kollisionsrechtliche Entscheidung noch nicht. Auch kommt die Rechtsprechung schnell vom Recht des Handlungsorts ab und auf das Personalstatut der juristischen Person zurück, wo deren Vertretung nicht durch Bevollmächtigte, sondern durch Organe besorgt wird. Das führt zu unserem zweiten Punkt: 2. Gesetzliche Vertretungsmacht der Organe einer Gesellschaft

Die gesetzliche Vertretungsmacht der Organe untersteht im Grundsatz dem Personalstatut der juristischen Person; ausnahmsweise kann das Recht des Ortes berücksichtigt werden, an dem sie gebraucht wird. Diese gefestigte Praxis ist wenig kritisiert 105 und gibt vielleicht deshalb so gar nichts an Argumentation her. 1 0 6 V . Zurechnung eigener Rechtsgeschäfte Ob jemandem ein Verhalten als Rechtsgeschäft zuzurechnen ist und mit welchem Inhalt, darüber entschied früher ausnahmslos das Geschäftsrecht (ζ. B. das Recht des angebahnten Vertrags). Seit der „Küchenmöbel-Entscheidung" des Bundesgerichtshofs 107 ist aber bei Erklärungen über die Grenze „Rücksicht zu nehmen" auf das Recht am Wohn- oder Geschäftssitz des Zurechnungssubjekts. „Rücksicht" heißt: Im Grundsatz bleibt es beim Geschäftsrecht. Dieses Erkenntnis ist in fast allen Folgeentscheidungen formelhaft zitiert. Die Formel - keine Bindung entgegen dem Heimatrecht - hat aber kaum einmal wirklich den Spruch getragen. Die Entscheidungen der Oberlandesgerichte sind eher bestimmt vom Streben nach „Revisionsfestigkeit" (z.B. durch Prüfung von Geschäfts- wie Heimatrecht > obwohl schon eines die Zurechnung 104

NJW 1984, 1953. Wohl nur von Grasmann, Rn. 901, der eine Alternativregel vorschlägt. Zu Grasmanns Denken unten § 3 I I I . 2., ferner unten § 7 I I I . 2. a), Fn. 241. 106 Nachweise unten § 9 I I I . , Fn. 33 und § 9 III.2. a), Fn. 49. 107 B G H Z 57, 72 (77), Urt. v. 22.9.1971 = IPRspr. 1971 Nr. 133. 105

74

§ 2. Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen

versagt, oder durch Beweiserhebung über mehr Tatsachen als zur schlüssigen Begründung der Zurechnung nötig). D i e (Ausnahme-)Formel ist zudem verdrängt worden durch eine Unterausnahme zugunsten des Geschäftsrechts, die v o n den Umständen des Falls abhing. A u c h ist mancher Entscheid auf eine materiellrechtliche Lösung gestützt. B e i Durchsicht der Veröffentlichungen fragt man sich deshalb, ob j e eine Entscheidung so aufgebaut war, daß ihr Tenor m i t der Treue zum „KüchenmöbeP'-Erkenntnis stand u n d m i t der Untreue zu i h m fiel. Vgl. heute Art. 31 Abs. 2 EGBGB. Die vorangegangene Rechtsprechung begann mit B G H , 8. Zivilsenat, Urt. v. 22.9.1971 - „Küchenmöbel" - 1 0 8 : Ein Vertragshändler in Paris schwieg auf „Auftragsbestätigungen" aus Berlin, die Allgemeine Geschäftsbedingungen und in diesen eine Gerichtsstandsklausel enthielten. Für die Bedeutung des Schweigens war auf das Wohnsitzrecht des Schweigenden „Rücksicht zu nehmen" 109 . Der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs schränkte ein: Keine Rücksicht auf das Sitzrecht, wenn der Betroffene damit nicht rechnen durfte. 1 1 0 Der 3. Zivilsenat wiederholte die „Küchenmöbel"-Regel ohne die Einschränkung. 111 Offenbar für die Geltung des Wohnsitzrechts allein war O L G Nürnberg, Urt. v. 11.10.1973. 112 L G Zweibrücken, Urt. v. 5.3.1974 (letzte Instanz!) 113 ignorierte das „KüchenmöbeP'-Erkenntnis und entschied über die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nach dem italienischen Vertragsstatut (das mit dem Sitzrecht der Verwendungsgegnerin zusammenfiel). Die Tatgerichte machten die „Küchenmöbel"-Regel oft unerheblich durch Hilfsprüfung eines zweiten Rechts, zusätzliche Feststellungen oder Hervorhebung besonderer Umstände des Falls. Während L G Mainz, Urt. v. 10.12.1971 114 seiner Entscheidung die „Küchenmöbel"-Regel zugrunde legte, erhob die Berufungsinstanz Beweis über weitere Klagebehauptungen (Allgemeine Geschäftsbedingungen in englischer Sprache, Gegenzeichnung, Rücksendung) und brauchte so auf die „Rechtsfrage" nicht einzugehen (OLG Koblenz, Urt. v. 13.12.1974 115 ); im Urteil desselben Koblenzer Senats vom 9.1.1981 1 1 6 wurde „jedenfalls" aufgrund einer Doppelprüfung der Erklärungswert von Schweigen bejaht. Aus der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamburg sind veröffentlicht: 6. Zivilsenat, Urt. v. 4.5.1972 1 1 7 (offen gelassen) und Urt. v. 8.3.1973 1 1 8 : Gegen die Rechtswahl in einem laufend praktizierten „agreement" habe Widerspruch

108

B G H Z 57, 72. Das Wohnsitzrecht fiel in casu mit dem Geschäftsrecht zusammen; vgl. B G H Z 57, 75 - 77. 110 Urt. v. 13.7.1973, IPRspr. 1973 Nr. 25; Urt. v. 7.7.1976, IPRspr. 1976 Nr. 8; Tendenz schon im Urt. v. 18.6.1971, IPRspr. 1971 Nr. 15. 111 Urt. v. 13.5.1982, IPRspr. 1982 Nr. 139, S. 341 (obiter). 112 IPRspr. 1973 Nr. 12A; so auch IPG 1972 Nr. 2 (München), S. 13 - 15 und Artt. 118 Abs. 2, 124 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes (für Schweigen auf Anträge). 113 NJW 1974, 1060. 114 IPRspr. 1971 Nr. 135. 115 IPRspr. 1974 Nr. 159. 116 IPRspr. 1981 Nr. 14. 117 IPRspr. 1973 Nr. 128a. 118 IPRspr. 1973 Nr. 131. 109

VI. Drei Grundwertungen der Rechtsprechung

75

erwartet werden dürfen. Das Urteil des 11. Zivilsenats vom 1.6.1979 119 verneinte den Einbezug Allgemeiner Geschäftsbedingungen nach dem englischen Recht des Käufers und hilfsweise nach deutschem Recht; zitiert wurde die eingeschränkte „Küchenmöbel"-Regel. O L G Frankfurt, Beschl. v. 9.12.1975 120 hielt die „Küchenmöbel"-Regel für „einleuchtend" und wandte sie an (vgl. das Urt. v. 12.10.1982 121 ). In O L G Hamm, Beschl. v. 18.10.1982 122 wurde für den Einbezug Allgemeiner Geschäftsbedingungen sowohl deutsches als auch niederländisches Recht geprüft und so die „Küchenmöbel"Regel der Sache nach praktiziert. Unklar, aber hier nicht zu klären, ist das Verhältnis der „Küchenmöbel"-Regel zu materiellrechtlichen Lösungen, z.B. der Anwendung des § 2 Abs. 1 AGB-Gesetz auf Auslandssachverhalte. 123 Eine vom Geschäftsrecht abweichende Regel gilt auch in Portugal (Art. 35 Abs. 3 Código civil vom 25.11.1966 124 ) und ist vorgesehen in der Schweiz (Art. 120 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes). Vgl. auch die Schutzvorschriften in Art. 29 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB, § 12 Nr. 2 AGB-Gesetz und § 11 Nr. 2 unseres Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht. 125 V I . Synthese: D r e i Grundwertungen der deutschen Rechtsprechung bei der Anknüpfung von Zurechnungsfragen Einer abstrakten Festlegung, einem durchgängigen Leitgedanken bei der A n k n ü p f u n g v o n Zurechnung scheint die Praxis sich zu entziehen. Das zeigt die „Küchenmöbel"-Entscheidung. D e n n eben i n ihr ist der für Zurechnungsfragen typische K o n f l i k t - Maßgeblichkeit der Außenbeziehung (Geschäftsrecht) oder Schutz vor unerwarteter Zurechnung (Heimatrecht)? - auf eine unausweichlich abstrakte Spitze getrieben: E r hat bei schlichten Rechtsgeschäften keine Besonderheiten mehr, die seine Lösung erleichtern würden ( z . B . eine Hilfsperson, ein Schadensereignis, eine Sonderbeziehung, eine Gesellschaft). H i e r muß sich vor abstrakter Parteinahme hüten, wer, wie der Richter, i m m e r nur zwischen konkreten Parteien zu entscheiden hat u n d vor allem: haben wird. So konnte die „Küchenmöbel"-Entscheidung nur ein K o m promiß sein, u n d selbst diesen haben viele Folgeentscheidungen k o m p r o m i t tiert.

119

IPRspr. 1979 Nr. 15 (insbes. S. 72). IPRspr. 1975 Nr. 173. 1 21 IPRspr. 1982 Nr. 18 (S. 50). 122 IPRspr. 1982 Nr. 19 (S. 54). 1 23 Vgl. dazu B G H , 1. Zivilsenat, Urt. v. 16.1.1981, NJW 1981, 1905f. sub I. 4. (Vorinstanz: O L G Bremen, Urt. v. 6.4.1978, IPRspr. 1978 Nr. 139) und B G H Z 87, 112, 7. Zivilsenat, Urt. v. 10.3.1983. 124 Danach wird Schweigen auf ein Angebot beurteilt nach dem Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Kontrahierenden und hilfsweise nach dem Recht des Orts, an dem das Angebot empfangen wird. 125 Jayme / Hausmann, S. 156. 120

76

§ 2. Fallpraxis zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen

Aus der Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen lassen sich aber drei Werte der Praxis erkennen: 1. Zuweilen ein schwacher, zuweilen ein starker Wert ist der Zusammenhang der Zurechnung mit der Innenbeziehung (des Geschäftsherrn zum Gehilfen, des Versicherers zum Kraftfahrzeughalter, des Kraftfahrzeughalters zur Gefahrenquelle Auto). Schwach ist der Wert, wo die Innenbeziehung nur eine tatsächliche ist (vertragslose Unterordnung eines Gehilfen, Halten oder Betreiben einer Gefahrenquelle) oder sein könnte (Versicherungsverträge können unwirksam oder beendet sein, vgl. § 3 Nr. 5 PflVG). Stark wird der Wert in dem Maße, in dem die Innenbeziehung rechtlich verfestigt ist (durch zweiseitige Gestaltung, Satzung oder Organisationsgesetz); er wird namentlich stark, wo Gesellschaften oder Gesellschafter passivlegitimiert werden sollen (Mithaftung, Durchgriffshaftung, gesetzliche Vertretungsmacht der Organe). 2. Andererseits: Wer überraschend geschädigt worden ist, darf auf das Recht seiner Umgebung vertrauen. Dieser Wert dominiert bei der Haftung für Gehilfen und Schiffsbesatzung; bei der Organhaftung schwingt er, vielleicht unbedacht, mit; beim Durchgriff, ja selbst bei der Amtshaftung ist er nicht indiskutabel. Anders bei Rechtsgeschäften von oder gegenüber Gesellschaften. Hier schlägt der Wert (möglicherweise) durch, wo Wissen dem Verschulden ähnlich zugerechnet werden soll; ansonsten hat er nur die Kraft zu Korrekturen (Erweiterung der gesetzlichen Vertretungsmacht der Organe). 3. Stark, aber kein eigenständiger Wert ist schließlich das Streben, alle Fragen aus einem Schadensereignis demselben Recht zu unterstellen (besonders bei der Haftung für die Schiffsbesatzung). Im wesentlichen mit diesen drei Werten - Harmonie der Zurechnung mit der Innenbeziehung, Vertrauensschutz, Einheit der Anknüpfungen - wird die vorliegende Untersuchung es zu tun haben. Ihre Aufgabe ist es, unter ihnen im Punkt der Organhaftung das rechte Verhältnis herzustellen. 126

ι 2 6 Vgl. insbes. unten § 7 I. 1., § 7 I. 2. a) und § 7 III. 2. a)

§ 3. Deutsches Schrifttum I. Anknüpfung der Organhaftung juristischer Personen an das Deliktsstatut 1. Die Argumente für eine deliktsrechtliche Anknüpfung der Organhaftung

Die herrschende Lehre beurteilt die Organhaftung nach dem Deliktsstatut. Begründungen gibt es im wesentlichen vier: Die erste (und älteste) beginnt mit dem Gesetz: Anknüpfung an das Deliktsstatut sei geboten durch Art. 12 EGBGB (a.F.; heute: Art. 38 EGBGB) 1 bzw. durch den Zweck der Tatortregel 2 (so weite Teile des älteren Schrifttums). Die zweite setzt an am Schutz von Rechtsgütern und am Gebot der Gleichbehandlung im internationalen Deliktsrecht und ist entwickelt in einem Aufsatz von Beitzke 3: Rechtsgüterschutz könne wirksam und für alle Geschädigten gleich nur das Recht des Staates besorgen, in dem das Organ gehandelt habe und das geschmälerte Rechtsgut belegen sei. Wenn dieses Recht schon über die Ersatzpflicht bestimme, dann erst recht darüber, wer hafte. Das Gebot der Gleichbehandlung verstanden Eckstein 4 und, später, Robert Müller 5 als Sperre gegenüber schwächerem Auslandsrecht: Es erscheine unerträglich, daß ein Ausländer für eine im Inland begangene unerlaubte Handlung in geringerem Umfang hafte als ein Inländer unter gleichen Umständen; knüpfe man die Organhaftung an das Personalstatut der juristischen Person, so entscheide der Zufall des Gesellschaftssitzes; außerdem habe der Geschädigte, anders als bei Rechtsgeschäften, nicht von vornherein die Möglichkeit, sich zu schützen (z.B. sich über den Gegner zu erkundigen). Verwandt ist eine dritte Begründung, die auf Interessen aufbaut: Der Verkehr vertraue, was die Zurechnung betreffe, auf das Recht seiner Umgebung, und sein Interesse daran überwiege das der juristischen Person an ihrem Personalstatut. 1 Barazetti, S. 41; Beitzke, Juristische Person, S. 125 und 130, Fn. 68; Melchior, § 318; Niedner, Art. 10, Anm. 1 (S. 31); implizit auch Martin Wolff \ § 23 V , S. 120: Die lex loci delicti commissi entscheide, von Art. 12 EGBGB (a.F.) abgesehen, über eine unerlaubte Handlung, die eine deutsche Aktiengesellschaft durch ihren Vorstand begangen hat. 2 Staudinger / Raape, Art. 10, Anm. C H 1; zu Quasidelikten Art. 12, Anm. E I. 3 FS Mann, S. 113 unten, S. 117, 3. Absatz; ebenso in Recueil, Nr. 27, S. 86f.: „rattachement à la loi à laquelle est soumis le droit lésé". 4 S. 236. 5 S. 102f. - gegen Grasmann.

78

§ 3. Deutsches Schrifttum

So Ebersbach 6; Kraft 7 (der Schutz des deutschen Rechts dürfe dem im Inland Geschädigten nicht entzogen werden); Robert Müller* (Organhaftung nach dem Personalstatut würde die Interessen der juristischen Person überbewerten, weil es an einem freiwilligen Kontakt des Geschädigten zum Verletzten gefehlt habe); Stoll 9 (Ansässigkeit der juristischen Person im Ausland und abweichendes Statut des Innenverhältnisses schränkten das Deliktsstatut bezüglich der Organhaftung nicht ein). Ähnlich Sieg 10 (Norm über die Reederhaftung sei Schutzvorschrift zugunsten der Umwelt der Hilfsperson). Eine Einschränkung verlangte Nußbaum 11 : Der Prinzipal (Geschäftsherr oder juristische Person) hafte nur dann nach dem Recht des Tatorts, wenn sein eigenes Verhalten mit dem schädigenden Erfolg ursächlich verbunden sei. D i e vierte Begründung argumentiert m i t dem Nachteil jeder A b w e i c h u n g v o m Deliktsstatut: Entscheide über die Zurechnung ein anderes Recht als über die Haftung, so könne ein weitgehendes Haftungsrecht neben einem scharfen Zurechnungsrecht zur A n w e n d u n g k o m m e n ; das Ergebnis sei dann schärfer als beide Rechtsordnungen es w o l l t e n (Großfeld,

Ebenroth

12

).

2. Vorschläge zur Anwendung der berufenen Organhaftungsnorm W e r die Organhaftungsnorm dem Deliktsstatut e n t n i m m t , steht vor zwei Folgefragen: Welches Recht entscheidet über die Voraussetzungen, die i m Tatbestand der N o r m erscheinen? U n d wenn das Deliktsstatut entscheidet, was bedeuten dann die Regeln des Personalstatuts für den Zurechnungstatbestand? Während das Oberlandesgericht Schleswig die Voraussetzungen des § 31 B G B als „ V o r f r a g e n " verstand, die es gesondert anknüpfen w o l l t e 1 3 , geht es für die deutsche Lehre allein u m ein materiellrechtliches Problem:

Die

A n w e n d u n g der berufenen Organhaftungsnorm auf eine Personenverbindung anderen Rechts und deren Leute. Gegen eine „Vorfragenlösung" wendet sich insbesondere Stoll 14, weil die Rechtsbegriffe, auf welche deliktsrechtliche Sachnormen Bezug nähmen, auch bei Auslandssachverhalten selbständig nach dem Zweck jener Normen gedeutet werden müßten. 15 So 6

I. 17.4., S. 321 (für Stiftungen, vgl. §§ 86, 31 BGB). Kölner Kommentar / Kraft, 1. Aufl., Anhang zu § 5, Rn. 10 (in der 2. Aufl. gestrichen; vgl. dort § 5, Rn. 35 - 48). « S.102. 9 FS Lipstein, S. 267 bei Fn. 28; vgl. ferner Stoll, FS F er id, S. 404. 10 S. 552 sub 2. 11 S. 191 Fn. 6 und S. 291. 12 Staudinger I Großfeld, IntGesR, Rn. 229 (gegen Grasmann); Münchener Kommentar / Ebenroth, Nach Art. 10, Rn. 252. 13 Urt. v. 3.3.1970, IPRspr. 1970 Nr. 19 = SchlHA 1970, 186, dazu oben § 1 I. bei Fn. 11. Im Schrifttum läßt sich eine entsprechende Äußerung nicht finden (hinsichtlich des Bestehens der juristischen Person möglicherweise Rühland, S. 445). 14 In FS Lipstein. 15 S. 260. 7

II. Anknüpfung an das Personalstatut

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gehe es auch bei der Organhaftung nur um Anpassung der Zurechnungsnorm an einen Auslandssachverhalt. Sei § 31 BGB berufen, so sei nach deutschem Recht zu beurteilen, ob der Täter als Organ der juristischen Person gehandelt habe, ob er also nach deren organisatorischen Verhältnissen eine Stellung eingenommen habe, die der eines „verfassungsmäßigen Vertreters" entspreche. Dabei seien die Satzung und das Personalstatut der juristischen Person nicht als Recht anzuwenden, sondern bloß als Rechtstatsache materiellrechtlich zu berücksichtigen 16 , soweit es nach dem Normzweck auf sie ankomme. 17 Auch Beitzke 18 grenzt die § 31 BGB erfüllenden Sachverhalte allein auch deutschem Recht ab: Welche Personenverbindungen für wen und in welchen Zusammenhängen hafteten, sage das deutsche Recht; das ausländische Personalstatut könne aber einen nützlichen Fingerzeig für die Anwendung der deutschen Begriffe geben. Für Großfeld 19 geht es um „Substitution": Rechtserscheinungen, die von den Begriffen der berufenen Zurechnungsnorm an sich gemeint sind (z.B. Organe oder verfassungsmäßig berufene Vertreter), seien zu substituieren durch solche des Personalstatuts, die ihnen nach ihren typusbestimmenden Merkmalen glichen.

I I . Anknüpfung der Organhaftung juristischer Personen an das Personalstatut Eine M i n d e r h e i t beurteilt die Organhaftung nach dem Personalstatut der juristischen Person. So meinte Frankenstein

20

,

die juristische Person könne als

A b s t r a k t u m keine unerlaubten Handlungen begehen und hafte daher für Handlungen anderer nur, soweit ihr Heimatrecht es zulasse. Anders, nämlich unter Zurückstellung des Staatsangehörigkeitsprinzips, derselbe in seinem „Projet d'un Code", Art. 244: „La responsabilité d'une personne morale résultant de faits qualifiés délit, quasi-délit, ou quasi-contrat est déterminée par la loi du lieu où ces faits, aux fins des art. 532 - 534 et 538 se sont produits; la qualification dépend de la même loi." Für Quasidelikte vgl. Art. 537. Habicht stellte ab auf den Zusammenhang der Organhaftung m i t der gesetzlichen Vertretung der juristischen Person: O b der Täter durch seine H a n d l u n g eine von i h m vertretene Person verpflichte, könne sich nur nach dem „Gesetze" bestimmen, das das Verhältnis zwischen beiden b e h e r r s c h e . 2 1 ' 2 2 16

S. 267 f. S. 260. 18 FS Mann, S. 117 - 121. 19 Staudinger / Großfeld, IntGesR, Rn. 231, 239; ebenso Münchener Kommentar I Ebenroth, Nach Art. 10, Rn. 253; Münchener Kommentar / Kreuzer, Art. 12, Rn. 255; mit einer Einschränkung für die Frage der Existenz der juristischen Person auch Wengler, S. 448, 4. Absatz. Erläuterung des Begriffs „Substitution" bei Neuhaus, § 46 I I , S. 351. 20 Lehrbuch, S. 488f. 21 Art. 10, Anm. 5; ähnlich Schnorr v. Carolsfeld, Bemerkungen, S. 52 sub i) (Frage der inneren Struktur) und, ihm folgend, Ebert, S. 123. Wohl im gleichen Sinne Giesecke, S. 331 sub V. 17

80

§ 3. Deutsches Schrifttum

I I I . Gemischte Theorien Schließlich gibt es zwei gemischte Theorien. Sie sind nur aus den Grundannahmen ihren Autoren verständlich. 1. Kumulative Anwendung des Deliktsstatuts und des Personalstatuts der juristischen Person

Zitelmann - in dieser Beziehung oft mißverstanden - häufte Delikts- und Personalstatut: Die juristische Person begehe „ihr" Delikt dort, wo das Organ sich befinde. Das Delikt sei aber nur dann eines der juristischen Person, wenn ihr Heimatrecht dem Organ die Macht gebe, als Organ deliktisch zu handeln. 23 Für Zitelmann, der das IPR subsidiär auf das Völkerrecht gründete 24 , lag die Organhaftung im Schnittfeld zwischen Verschuldens- und Kausalhaftung 25 und damit zwischen völkerrechtlicher Gebiets- und Personalhoheit. Auf anderem Wege zum selben Ergebnis kam Schnorr v. Carolsfeld 26 : Jeder Staat habe seine eigene Theorie über das Wesen der juristischen Person. Darum müsse zunächst der Sitzstaat entscheiden, ob die „soziologische Ganzheit" „als deliktisch handelndes Etwas rechtlich existent" sei. Bejahe er, so habe auch das Deliktsstatut über die Deliktsfähigkeit zu befinden, denn sie sei Voraussetzung einer Ersatzpflicht. 2. Alternative Anwendung des Deliktsstatuts und des Personalstatuts der juristischen Person

Nach Grasmann 27 sind die Außenbeziehungen einer Gesellschaft so „verkehrsgünstig" wie möglich anzuknüpfen. Auf die Organhaftung sei daher ent22 Ohne Begründung für das Personalstatut sind Fikentscher, S. 73 sub II.3.) (Unterscheidung zwischen Organhaftung und Deliktsfähigkeit juristischer Personen); Ferid, IPR, 1. Aufl., §§ 1 - 55, 5 - 64 (aber Gehilfenhaftung nach dem Deliktsstatut, § 6 147); wohl für das Deliktsstatut in IPR, 3. Aufl., § 6 - 185 sub 4.) (vgl. auch §§ 6 - 185 sub 3. und § 5 - 24). Für das Personalstatut wohl auch Schwandt, S. 433, bei Fn. 815: Die Haftung einer juristischen Person für Delikte ihres Bevollmächtigten entspringe dem Vertrage der „agency"; daher gälten wohl die Kollisionsnormen über die Wirkung von Verträgen. 23 IPR I I , S. 128f. Zitelmann folgten Vogdt, S. 46 - 48 und Cohen, S. 50f. (kumulative Anknüpfung der Organhaftung empfohlen). Ebenso (ohne Begründung) Sanden, S. 5, der zusätzlich verlangt, daß das Organ in seiner Zuständigkeit gehandelt haben muß. 24 Erläuterung bei Kegel, L B , § 1 I V 1, S. 9f. 25 Für die Kausalhaftung (Quasidelikte) sei die ausschließliche Anknüpfung an das Personalstatut des Haftenden völkerrechtsmäßig (IPR I I , S. 531 - 535). Vgl. auch unten § 7 1 . 4., Fn. 89. 26 Internationale Idealvereine, S. 114f. 27 Rn. 36, 758, 768, 894f., 1184; allgemein Rn. 33.

ΙΠ. Gemischte Theorien

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weder das Deliktsstatut oder das Personalstatut anzuwenden - je nachdem, welches von beiden dem Geschädigten günstiger sei. Es sei hoffnungslose Begriffsjurisprudenz, eine Gesellschaft nach dem Deliktsstatut nicht für verantwortungsfähig zu halten, obwohl sie es nach ihrem Personalstatut sei. Auch rechne der Geschädigte möglicherweise damit, daß die Deliktsfähigkeit alternativ nach dem Personalstatut beurteilt werde.

6 Schohe

§ 4. Ausländische Stimmen I . Schweiz 1. Organhaftung nach dem Recht des Gesellschaftssitzes: Ein alter Bundesgerichtsentscheid und seine Rechtfertigung im Schrifttum Das schweizerische Bundesgericht hat über die H a f t u n g einer Aktiengesellschaft für ihren D i r e k t o r 1 nach dem Recht des Gesellschaftssitzes entschieden: Es handele sich hier u m Verhältnisse, die jeder nach den Gepflogenheiten seines Wohnsitzes gestalte. 2 Daneben gibt es wie i n Deutschland Fälle, i n denen die A n k n ü p f u n g der Organhaftung zwar berührt, aber nicht entscheidungserheblich war, oder i n denen der T a t o r t , verstanden als Handlungsort 3 , i m selben Staat lag (Schweiz) wie der Sitz der Gesellschaft - so daß überhaupt nur dieses Staates Recht i n Frage kam. 1. Die Organhaftung und erst recht ihre Anknüpfung waren unerheblich in BG, Urt. v. 14.7.1909 4 : Firmenich, der Londoner Repräsentant einer schweizerischen Gesellschaft, ließ Ware unter falscher Bezeichnung in England einreisen, um Zoll zu sparen. Der Empfänger wurde deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt und forderte von der Gesellschaft Ersatz (vereinfacht). Das Bundesgericht brauchte die Frage der Zurechnung (und ihrer Anknüpfung) nicht zu beantworten: „La question de l'existence d'un délit à la charge de l'employé des défendeurs devant être resolue d'après le droit anglais et comme, par suite, le Tribunal fédéral est lié par le prononcé de l'instance cantonale en tant qu'il implique la négation du délit reproché à Firmenich, la question de savoir si la responsabilité des défendeurs en raison du délit commis par leur employé est soumise au droit suisse perd tout intérêt, et le Tribunal fédéral n'a pas besoin de l'aborder. 5 "

1

Heute: Artt. 717 Abs. 2, 718 Abs. 3 OR. BGE 22, 471, Urt. v. 10.4.1896, in Anlehnung an Neumann, § 16 Abs. 2 seines Gesetzentwurfs und S. 92, 2. Absatz seiner Motive; beiläufig bestätigt in BGE 51 I I 327 (329), Urt. v. 10.9.1925. Gegen die Begründung des Bundesgerichts Berner Kommentar / Becker, Bd. V I , 1. Abt., Vorbemerkungen zu Art. 41 OR, Rn. 25: „Wer . . . seinen Geschäftsbetrieb über seinen Wohnsitz hinaus ausdehnt, hat sich auch hinsichtlich der Haftung für seine Angestellten nach dem dortigen Recht zu richten." Zum Direktanspruch gegen den Versicherer sagte das Bundesgericht, es komme dem Gesetz des Ortes, an welchem der Schaden angerichtet wurde, zu, den Kreis der hierfür ersatzpflichtigen Personen zu bestimmen (BGE 61 I I 202 [205], Urt. v. 13.9.1935). Diese Aussage läßt sich aber wegen ihrer fallbezogenen Begründung kaum verallgemeinern. 3 Siehe unten § 4 1 . 2 . bei Fn. 29. 4 BGE 35 I I 477. 5 BGE 35 I I 481. 2

I. Schweiz

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2. Handlungsort und Gesellschaftssitz lagen beide in der Schweiz in a) BG, Urt. v. 18.12.1922 6 : Pressepolemik zwischen dem „Vorarlberger Tagblatt" (VT) und der „Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) um den Anschluß Vorarlbergs an Deutschland bzw. die Schweiz. NZZ-Redakteur Rietmann schrieb: Das V T stehe „im Solde deutscher Interessen"; es sei ein „Blatt mit verkaufter Seele". Die Hintermänner des V T hatten aus Art. 49 OR einen Anspruch auf Ersatz ihres immateriellen Schadens. Aber die NZZ-Aktiengesellschaft war nicht passivlegitimiert, weil der Redakteur nach schweizerischem Recht nicht zu ihren Organen gehörte (Art. 55 ZGB) und sie sich für ihn als Hilfsperson entlastet hatte (Art. 55 OR). 7 b) Bernischer Appellationshof, 24.2.1933 8 : Der Berner Filialleiter der „Schweizerischen Bankgesellschaft" schädigte Schlössinger & Co. in Heidelberg durch eine falsche Bankauskunft über einen Kaufmann in Bern. Der Appellationshof entschied nach schweizerischem Recht: Danach war die Bankgesellschaft zwar passivlegitimiert (Organhaftung nach Art. 55 ZGB), aber Schlössinger & Co. hatten im gegebenen Fall wegen der falschen Auskunft nichts zu fordern. Das Bundesgericht bestätigte diese Entscheidung.9 c) BG, Urt. v. 1.7.1974 10 : Die Republik Algerien stritt mit der Genfer Banque Commerciale Arabe S.A. darum, ob diese an einen abtrünnigen Führer des „Front de Libération Nationale" ein Millionenguthaben auf einem Nummernkonto hatte auszahlen dürfen, das er für seine Bewegung eröffnet hatte. Das war nach Art. 479 Abs. 1 OR zu bejahen. 11 Die Zahlungsklage wurde deshalb abgewiesen. Aber die Haftung der Bank für Zouhair Mardam Bey, ihren mitverklagten „administrateur", hätte sicher der Organhaftungsnorm in Art. 718 Abs. 3 OR unterlegen. Denn schweizerisches Recht galt in jeder Beziehung, insbesondere auch für die persönliche Haftung des Mardam Bey als Organ. 12 d) BG, Urt. v. 22.11.1979 13 : Der Direktor einer Züricher Aktiengesellschaft fälschte auf einem Firmenwechsel die Unterschrift des Prokuristen, weil er nur zusammen mit diesem zeichnungsbefugt war. Eine ausländische Wechselinhaberin fiel mit diesem Wechsel aus. Sie belangte deswegen die Aktiengesellschaft aus unerlaubter Handlung des Direktors. Mit Erfolg: Alle Instanzen bejahten Organhaftung nach schweizerischem Recht (Art. 718 Abs. 3 OR). Nach den Worten des Bundesgerichts war die „ausservertragliche [sie] Haftung" der Aktiengesellschaft anzuknüpfen gewesen. 14 Von der Anknüpfung speziell der Zurechnung war nicht die Rede, obschon allein sie im eidgenössischen Berufungsverfahren noch streitig gewesen war. 1 5 - 1 6

6 BGE 48 I I 53. 7 Später, in dem Inlandsfall BGE 72 I I 65 (66), Urt. v. 13.2.1966 wurde die Redaktion der N Z Z als Organ angesehen und der Entscheid vom 18.1.1922 aufgegeben. « SchweizJZ 31 (1934/35), 121 = ZBJV 72 (1936), 221. 9 ZBJV 72 (1936), 221. 10 BGE 100 I I 200. 11 BGE 100 I I 214, Erw. 9 und 221 f., Erw. 16. 12 Artt. 41, 754 Abs. 1 OR mit Erweiterung des haftenden Personenkreises in Art. 41 des Bankgesetzes vom 8.11.1934; zum IPR BGE 100 I I 205f., insbesondere 210, Erw. 6; zum materiellen Recht BGE 100 I I 223, Erw. 17. 13 BGE 105 I I 289. 14 BGE 105 I I 291. 6*

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§ 4. Ausländische Stimmen D i e Anhänger der Bundesgerichtsentscheidung sind oft v o m schweizeri-

schen Sachrecht beeinflußt. Danach ist es eine Betätigung der „Handlungsfähigkeit" der juristischen Person, wenn sie durch unerlaubte Handlungen ihrer Organe verpflichtet w i r d ( A r t t . 54, 55 A b s . 2, 12 Z G B ) . I m I P R gehört die Handlungsfähigkeit aber zum Personalstatut. 1 7 Diese H e r l e i t u n g einer gesellschaftsfreundlichen

Anknüpfung

aus den

Begriffen des Sachrechts dürfte beim Bundesgericht auf fruchtbaren B o d e n f a l l e n . 1 8 D e n n sie ist dieselbe, m i t der es schon für den anderen T e i l der „Handlungsfähigkeit" - die Vertretungsmacht der Organe - zum Personalstatut gekommen i s t . 1 9 B e i dieser A n k n ü p f u n g hat es, was auffällt, den Schutz des Verkehrs überhaupt nicht erwähnt. Offenbar soll das Personalstatut weith i n und uneingeschränkt herrschen; es regelt „tous les problèmes relatifs à la condition j u r i d i q u e de la personne m o r a l e " . 2 0 U n t e r diesen Umständen ist es möglich, daß das Bundesgericht die Organhaftung auch nach erneuter Prüfung dem Personalstatut unterstellt.

15 Ähnlich B G H Z 98, 148, Urt. v. 8.7.1986 - V I Z R 47/85 - , dazu oben § 1 II. 5., bei Fn. 150. 16 Vgl. ferner BGE 76 I I 110, Urt. v. 11.5.1950 (Basier GmbH gegen Genossenschaft niederländischer Blumenzwiebelexporteure wegen Verbreitung verleumderischer Zirkulare in den Niederlanden und der Schweiz; schweizerisches Recht angewandt); BGE 87 I I 115, Erw. 2, Urt. v. 9.5.1961 (schweizerische gegen ausländische [wohl deutsche] Aktiengesellschaft wegen vergleichender Werbung in der Neuen Züricher Zeitung und einer in und außerhalb der Schweiz verbreiteten Fachzeitschrift; schweizerisches Recht angewandt); BGE 88 I I 430 (433), Urt. v. 27.11.1962 (Ritschard et Cie. S.A., Genf, haftete schweizerischem Versicherer nach schweizerischem Recht für Verschulden ihrer Organe und Angestellten, aufgrund dessen ein Flugzeug samt Goldbarren von Genf ins Ausland entführt worden war); ähnlich BGE 85 I I 267 (269 - 271), Urt. v. 22.9.1959 (Kapitän der beklagten Swissair mit Gold verschwunden, das von Genf nach Paris zu befördern war). 17 Schnitzer, IPR I, 3. Aufl., S. 306 (in der 4. Aufl. gestrichen). Verkehrsschutz nach Art. 7b N A G (entspricht Art. 7 Abs. 3 S. 1 EGBGB a.F., vgl. aber nunmehr Art. 12 S. 1 EGBGB) soll nicht stattfinden (IPR I, 3. Aufl., S. 268, 305); ebenso, aber deutlicher begründet, zur Deliktsfähigkeit physischer Personen Schnitzer in IPR I I , 4. Aufl., S. 676f. Ebenso Schnitzer, Internationales Handelsrecht, S. 114; Züricher Kommentar / Siegwart, Bd. V 5 a, Einleitung, Rn. 371 f.: jedenfalls das Organ hafte ja stets nach dem Tatortrecht. Gegen dieses Argument Berner Kommentar / Weiss, Bd. V I I , 2. Abt., Einleitung, Rn. 462: Die Haftung des Täters sei kein genügender Ersatz für die Haftung der meistens viel finanzkräftigeren Aktiengesellschaft. 18 Zumal es die Kommentierung von Siegwart, die dem Personalstatut weiten Raum gibt, zur herrschenden schweizerischen Doktrin rechnet (BGE 102 I a 406 [410], Urt. v. 4.2.1976). 19 BGE 95 I I 442 (448), Urt. v. 16.12.1969. 20 BGE 102 Ia 574 (580), Erw. 7a, Urt. v. 5.5.1976; in der Diktion nicht so weit, sondern auf die anstehenden Fragen beschränkt die dort angeführten Urteile der I. Zivilabteilung vom 30.3.1965, BGE 91 I I 117 (125), Erw. I I 2, und vom 16.12.1969, BGE 95 I I 442 (448), Erw. 1.

I. Schweiz

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2. Anknüpfung der Organhaftung juristischer Personen an das Deliktsstatut

Die Mehrheit des schweizerischen Schrifttums plädiert gegen die Bundesgerichtsentscheidung und für das Deliktsstatut 21 , im wesentlichen aus zwei Gründen: Erstens hänge die Organhaftung der juristischen Person mit der unerlaubten Handlung und dem Deliktsort so eng zusammen, daß dem Geschädigten die Anwendung des Statuts der juristischen Person nicht zugemutet werden könne 22 und der begriffliche Zusammenhang mit der „Handlungsfähigkeit" zurücktrete. 23 Zweitens: Mit der Aufstellung der mittelbaren Haftung bezwecke der Staat den Schutz aller Personen, die sich auf seinem Herrschaftsgebiet aufhalten. 24 Es sei kaum tragbar, daß eine schweizerische juristische Person für eine in der Schweiz begangene unerlaubte Handlung haften müsse und eine ausländische nicht (Niederer 25). Worin liegt der Unterschied zu den gleichlautenden deutschen Stimmen? 26 Die Gleichbehandlung ausländischer und inländischer juristischer Personen ist in den Augen der Schweizer durch den ordre public bewehrt. 27 Nur mit dem Anspruch unantastbaren („vorbehaltenen") Rechts behauptet sie sich gegen den verglichen mit Deutschland größeren Gegendruck: die Autorität des Bundesgerichts, das Argument aus dem Begriff der „Handlungsfähigkeit" und die anscheinend einflußreiche Anschauung, die Organhaftung sei in ihrem Ursprung eine Strukturfrage der juristischen Person und deshalb Sache des Personalstatuts. 28 Der Tatort, in der Schweiz oft verstanden als Ort der wichtigsten Handlung 29 , soll da liegen, wo das Organ gehandelt und geschädigt hat - auch wenn 21

Außer den folgenden: Ronca, S. 105, llOf., 116 (das Gesellschaftsstatut bestimme aber über die Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Täter); Schräg, S. 168; Wieland, S. 275. 22 Marugg, S. 108f. 23 Züricher Kommentar / Schönenberger, Teilband V i a , Allgemeine Einleitung, Rn. 144, 147, ebenso für Hilfspersonen in Rn. 322; Berner Kommentar / Beck, Schlußtitel, II. Abschnitt, Vorbem. zu Art. 7b, Rn. 20 (für die Deliktsfähigkeit des Menschen). 24 Delachaux, S. 124 und 207, Fn. 8; ähnlich Hieber, S. 194, 206f. 25 Niederer, S. 131. Ihm folgen z.B. Lehner, S. 170f., 174 vor Fn. 4; Diebold, S. 53; Vischer, Bemerkungen, S. 60f. 26 Oben § 3 I. 1. 27 Züricher Kommentar ! Weiss, Bd. V I I , 2. Abt., Einleitung, Rn 462; Vischer, Bemerkungen, S. 60f., insbes. S. 61, Fn. 22; Berner Kommentar / Beck, Schlußtitel, II. Abschnitt, Vorbem. zur Art. 7b, Rn. 20 (für die Deliktsfähigkeit des Menschen). 28 Vgl. Vischer, Bemerkungen, S. 60f. und Vischer / v. Planta, § 31, 3b, 67 und § 49, S. 205f., die das Bedenken aber überwinden. Die Zurechnung gesellschaftsrechtlicher Pflichtverletzungen obliege aber dem Personalstatut (Vischer, Bemerkungen, S. 60f.).

§ 4. Ausländische Stimmen

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der juristischen Person ein „eigenes" Verschulden vorgeworfen w i r d . 3 0 D a m i t ist verhindert, daß man, i m Gewände einer Auslegung der Tatortregel, auf den Sitz der juristischen Person (und damit auf das Ergebnis des Bundesgerichts) z u r ü c k k o m m t . 3 1 3. Sonstige Meinungen im schweizerischen Schrifttum Staehelin differenziert zwischen den Innen- und den Außenverhältnissen der juristischen Person 3 2 und rechnet zu den letzteren die H a f t u n g aus unerlaubten H a n d l u n g e n 3 3 ; es soll deshalb entweder das v o n den Parteien gewählte Recht oder das sogenannte „ O r t s r e c h t " (Recht des Deliktsorts) gelten. 3 4 Eppenberger

sympathisiert möglicherweise m i t der lex fori.

Im Anschluß an Ehrenzweig 35 meint er: „Wo der angerufene Richter sich seiner Aufgabe bewußt ist, ein gerechtes materielles Urteil zu finden, sollten unbillige Entscheidungen ausgeschlossen sein." 36 Inländische Aktiengesellschaften will Eppenberger schützen wie nach Art. 12 EGBGB (a. F.); die weitergehende ausländische Haftung sei Sache des angerufenen Gerichts. 37 Demgegenüber sollen ausländische Aktiengesellschaften im Inland gleich wie inländische haften. 38 Eine M i n d e r h e i t v o n Schriftstellern vertrat früher die kumulative A n w e n dung v o n Delikts- u n d Personalstatut. So meinte Mamelok 39 im Anschluß an Meili 40: Man dürfe die Organhaftung nicht als Haftung für fremdes Tun konstruieren; damit würde die Stellung der Organe verkannt. Das Handeln der Organe sei eigenes Handeln der juristischen Person und gehe nur dann auf deren „privatrechtliches Konto", wenn auch das Sitzrecht ihr „Deliktsfähigkeit" zuerkenne. Zusätzlich (und über die Ansicht von Meili hinaus) müßten die Organe nach der Anschauung des Personalstatuts in ihrer Zuständigkeit gehandelt haben. 29

Vgl. z.B. Niederer, Einführung, S. 186 sub I. 4. A . A . das Bundesgericht (Handlungs- oder Erfolgsort); vgl. z.B. BGE 76 I I 110, Urt. v. 11.5.1950; 87 I I 115, Erw. 2, Urt. v. 9.5.1961; 91 I I 117 (123f.), Urt. v. 30.3.1965 (Carl Zeiss Heidenheim ./. VEB Carl Zeiss Jena). 30 Niederer, Einführung, S. 186f. sub II.; Oftinger, erster Band, S. 506 sub 5; in Deutschland ebenso Beitzke, Recueil, Nr. 27, S. 87, nach Fn. 43 und FS Mann, S. 121. 31 Zu einer solchen Tendenz in der deutschen Rechtsprechung oben § 1 II. 1. a) aa). 32 Differenzierungslehre (S. 9 - 56), im Anschluß an Grasmann, Rn. 29 - 73. 33 S. 57 und insbes. S. 67f. 34 Dies ist nicht ganz klar und ergibt sich nur aus dem Gesamtzusammenhang der Äußerungen Staehelins. 35 Zu Ehrenzweigs Position unten § 4 IX. 3., Fn. 147. 36 S. 84f. 37 S. 85f. 38 S. 84 (Berufung auf Weiss; zu dessen Standpunkt oben bei Fn. 27). 39 S. 92 - 94; ihm folgt Luchsinger, S. 16. 40 IPR I I , S. 94 und S. 294 sub 5.

I. Schweiz

Umgekehrt empfiehlt Rechte.

Trutmann

41

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die alternative Anwendung beider

Sie meint: Der Zweck der Haftung für fremdes Tun sei Besserstellung des Opfers, ihre Rechtfertigung das Risiko des Handelns durch Hilfspersonen, das der belangte Unternehmer auf sich genommen habe. Der Unternehmer müsse sich deshalb, auch wenn er nach seinem Heimatrecht „unschuldig" sei, dem Recht des Erfolgsorts beugen. Wo dieses ihn nicht haften lasse, müsse, zum Schutz des „Schwächeren", das Heimatrecht des Unternehmers hinzutreten. Solche Alternativität entspreche auch der Erwartung des unmittelbaren Täters, nicht in erster Linie in Anspruch genommen zu werden. 4. Der schweizerische Entwurf eines IPR-Gesetzes (1978)

Nach dem deliktsrechtlichen Verweisungskatalog des Entwurfs (Art. 140 Abs. l h ) bestimmt das auf die unerlaubte Handlung anwendbare Recht „insbesondere" die „Haftung Dritter". 4 2 Es findet sich keine Äußerung zu der Frage, ob unter der „Haftung Dritter" auch die Haftung juristischer Personen für ihre Organe zu verstehen sei. 43 Doch spricht mehr dafür als dagegen. Dagegen spricht, daß man im schweizerischen Sachrecht sehr genau zwischen der Haftung für die Taten Fremder (Dritthaftung) und der Haftung für eigene Taten, darunter der Organhaftung, unterscheidet. 44 Im Lichte des Sachrechts wäre die Formulierung „Haftung Dritter" also eng zu verstehen. Indes, bedeutete „Haftung Dritter" im Entwurf dasselbe wie im Sachrecht, so erfaßte der Begriff von den schweizerischen Zurechnungsnormen nur Art. 55 OR (Gehilfenhaftung) und Art. 333 ZGB (Haftung des Familienhaupts für Hausgenossen). Die Haftung der juristischen Personen für ihre Organe (Prinzip: Art. 55 Abs. 2 ZGB, Anwendungsfälle: Artt. 743 Abs. 6, 718 Abs. 3, 814 Abs. 4, 899 Abs. 3 OR) wäre nicht ausdrücklich bedacht, ebensowenig die Haftung der Personengesellschaften für ihre Gesellschafter (Artt. 567 Abs. 3, 603 OR 4 5 ). Eine solche Lücke sollte man den Verfassern des Entwurfs nicht leichthin unterstellen. Wieso dann trotzdem der scheinbar enge Begriff im Entwurf? Der Katalog des Art. 140 samt seinen Begriffen ist nicht dem Sachrecht entlehnt, sondern steht sichtbar in der Tradition der Haager Übereinkommen über internationales Schuldrecht. 46 Sein Begriff, berechnet auf eine Vielzahl von Rechten, braucht mit dem des Sachrechts nicht 41

Nrn. 147 - 152. Der Gegenentwurf für ein schweizerisches IPR-Gesetz von Schnitzer (SchweizJZ 1980, 309 - 316) verzichtet von vornherein auf Kataloge über die Geltungsbereiche von Personal- und Deliktsstatut (vgl. Artt. 21 Nr. 2 und 72). 43 Die Haftung aus der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften untersteht nach Art. 153 Abs. l e des Entwurfs dem Gesellschaftsstatut. Aber das ist selbstverständlich und erlaubt keinen Gegenschluß. 44 Vgl. BGE 105 I I 289 (293), Urt. v. 22.1.1979; Oftinger, erster Band, S. 19, zweiter Band, erste Hälfte, S. 108. 45 Diese wird in BGE 105 I I 289, Urt. v. 22.1.1979 allerdings der Gehilfenhaftung nahegestellt. 46 Zu den Übereinkommen unten § 5. 42

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§ 4. Ausländische Stimmen

inhaltsgleich zu sein. 47 Er kann autonom nach den Zwecken der Kollisionsnorm gedeutet werden, z.B., wie in den Haager Übereinkommen und damit vereinheitlichend, dahin, daß er auch die Organhaftung umfasse. 48 Im übrigen hat der Begriff der „Haftung Dritter", selbst wenn man ihn im Sinne des Sachrechts deutet, nichts Ausschließliches. Der Katalog des Art. 140 erfaßt die „Haftung Dritter" nur „insbesondere", verbietet also nicht, die „Eigenhaftung" so anzuknüpfen wie er es für die „Haftung Dritter" vorschreibt - selbst wenn zwischen den Begriffen auch im Kollisionsrecht zu unterscheiden wäre. I I . Österreich 1. Rechtsprechung und Lehre vor dem IPR-Gesetz vom 15.6.1978 D e r B l i c k auf Österreich beginnt am besten m i t einem Lehrsatz v o n Schwind

49

:

Der Anwendungsbereich des Deliktsstatuts erstreckt sich auf die Frage, ob überhaupt ein Schadensersatzanspruch entstanden ist, wer zum Schadensersatz verpflichtet und wieviel zu leisten ist." (Herv. im Orig.) D e r Satz prägt (und spiegelt zugleich) das geltende R e c h t . 5 0 W o i m m e r es u m mittelbare H a f t u n g ging, hat der Oberste Gerichtshof entschieden, daß das „ w e r " der H a f t u n g sich nach dem Deliktsstatut bestimme (wegen seiner Verbundenheit m i t dem „ o b " u n d dem „ w i e v i e l " ) . 5 1 E i n e Ausnahme macht die Entscheidung v o m 10.8.1958 zur A n k n ü p f u n g der sog. „ A m t s h a f t u n g " (Organhaftung des Staates): H i e r galt das Recht der beklagten R e p u b l i k Österreich. 5 2 A b e r selbst dieser Entscheidung kann man entnehmen, daß der Anspruch, wäre er nicht gerade gegen den Staat gerichtet, trotz seiner Rechtsn a t u r 5 3 zum Deliktsstatut gehören würde. 47

Das ist eine elementare Einsicht der Qualifikationslehre. Zur Auslegung der Haager Übereinkommen unten § 5. 49 Handbuch, S. 328f. sub 9.2.7. 50 Er wird in der Rechtsprechung wörtlich aufgegriffen, z.B. in OGH, 2.9.1976, (öst.) ZfRV 1978, 53 (56) mAnm Schwind (aber ohne Bezug auf diesen); aus der Lehre vgl. - neben Schwind - z. B. Walker / Verdroß-Droßberg / Satter in Klang / Gschnitzer, §§ 33 bis 37 A B GB, S. 242 unten und, für die Zeit nach dem Inkrafttreten des IPRGesetzes, Rummel / Schwimann, A B G B , 2. Bd., § 48 IPRG, Rn. 6. 51 Vgl. z.B. O G H , 2.11.1910, Glaser / Unger , n.F., Nr. 6219 (quasideliktische Haftung der österreichischen Staatsbahnen für ein Zugunglück in Passau); 7.2.1962, SZ 35 Nr. 23 = JB1. 1962, 563 ([nach altem Recht] fingierter Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer, den der Geschädigte pfändet); 28.4.1976, (deutsches) VersR 1977, 946 rechts, 4. Absatz (Haftung des Kraftfahrzeughalters); 2.9.1976, (öst.) ZfRV 1978, 53 (56, 1. Absatz) (Direktanspruch gegen den Versicherer). 52 JB1. 1959, 599 (601) mAnm Schwimann JB1. 1959, 588 (Haftung der Republik Österreich für einen Diplomaten in Rumänien). 53 Zur Rechtsnatur des Anspruchs unten § 4 II. 2., Fn. 68. 48

II. Österreich

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Die - private - Organhaftung erörterte man vor dem Inkrafttreten des IPRGesetzes fast ausschließlich unter dem Begriff der „Deliktsfähigkeit", der beinahe aus sich selbst heraus zum Deliktsstatut führte. 54 Interessanterweise unterschied man meist nicht zwischen der „Deliktsfähigkeit" natürlicher und der „Deliktsfähigkeit" juristischer Personen 55; der Begriff scheint nur ein anderer Ausdruck für die beides umgreifende Frage nach dem „wer" der Haftung gewesen zu sein. 56 Unbeeinflußt von den Begriffen blieb Wahle 51: Die Organhaftung folge aus der Organisation der Gesellschaft und unterliege deshalb deren Personalstatut. Nach Dorait darf (unter anderem) die „Deliktsfähigkeit" der juristischen Person nicht unter dem Eindruck eines schon vorhandenen Personalstatuts angeknüpft werden (und man darf ergänzen: auch nicht unter dem eines schon vorhandenen Deliktsstatuts). Das Personalstatut sei Inbegriff der gleichen Anknüpfung verwandter Fragen - nicht Ausgangspunkt der dahin führenden Überlegungen. Nicht Zuweisung zu konkurrierenden Statuten sei geboten, sondern eine spezielle Interessenbewertung für jeden ihrer (potentiellen) Bestandteile. 58 Die Prüfung gilt isoliert dem Problem der Organhaftung, die Lösung einer Anknüpfung, die nur ihm allein (und nicht allen personen- oder deliktsverbundenen Fragen schlechthin) gerecht zu werden braucht. 2. Die Rechtslage nach dem IPR-Gesetz vom 15.6.1978 59

Das österreichische Sachrecht ordnet die Deliktsfähigkeit juristischer Personen dem Begriff der „Handlungsfähigkeit" unter. Auf die „Handlungsfähigkeit" ist nach § 12 IPR-Gesetz das Personalstatut anzuwenden.60 Das gilt auch für juristische Personen und die nach § 10 gleichstehenden Gesellschaften. Personalstatut ist das Recht, das an ihrem Sitz gilt (§ 10). Ob das Sitzrecht die Gesamtverweisung (§ 5 Abs. 1) annimmt, ist „wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich" zu entscheiden (§ 2, 2. Hs.). 6 1 Ist

54

Schöndorf\ S. 519; a. A . Köhler, S. 37 (für Anwendung des Heimatrechts). Bolla , S. 113; Armin Ehrenzweig, S. 106, 113; Gschnitzer, S. 49, 60. 56 Entsprechend fällt bei Schwind, Handbuch, S. 328, sub 9.2.7. das „wer" der Haftung mit der „Deliktsfähigkeit" in einem Satz zusammen: „Hinsichtlich des, Wer' untersteht nach hL die Deliktsfähigkeit ebenfalls dem Deliktsstatut." (Herv. im Orig., Fußnote weggelassen). 57 In Klang / Gschnitzer, § 1175, sub X I . 3., S. 568. 58 S. 183 (nur sinngemäße, weil in den Zusammenhang des vorliegenden Textes gebrachte Wiedergabe). 59 (öst.) BGBl. Nr. 304. 60 Auch in Österreich richtet sich die erste Stufe der Qualifikation nach dem System des internen Sachrechts; vgl. Duchek / Schwind, § 2, Anm. 1. 55

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§ 4. Ausländische Stimmen

Sitzrecht z . B . das deutsche Recht, so verweist es nach seiner h . M . auf das Recht am Tatort weiter. Liegt der T a t o r t i n Österreich, dann n i m m t das österreichische Recht die Rückverweisung an (§ 5 A b s . 2 ) . 6 2 Anscheinend gilt also für die Organhaftung das Personalstatut der juristischen Person. Diese - ihm unerwünschte - Folge der §§ 12, 10 IPR-Gesetz hat zuerst Mänhardt 63 aufgezeigt. Sie wird gutgeheißen ζ. B. von Schwimann (wohl als Ausnahme zur Bestimmung des „wer" der Haftung nach dem Deliktsstatut) 64 . Über die „Deliktsfähigkeit" juristischer Personen und Gesellschaften entscheide deren Sitzrecht, weil die Frage ihr „Leben" betreffe 65 bzw. weil es sich um eine Struktur- und Organisationsfrage handele. 66 Dieses Ergebnis gründet jedoch auf einer ausschließlich begrifflichen primären Qualifikation. I n Wahrheit hat das IPR-Gesetz gar keine Entscheidung über die A n w e n d u n g der Organhaftung getroffen. Koziol 67 will daher die Deliktsfähigkeit so wie vor dem Inkrafttreten des IPR-Gesetzes nach dem Deliktsstatut beurteilen: § 12 IPR-Gesetz widerspreche § 48 IPR-Gesetz und § 8 des in Österreich in Kraft getretenen Haager Straßenverkehrsübereinkommens. § 12 IPR-Gesetz sei deshalb auf die Geschäftsfähigkeit und die Verschuldensfähigkeit bei Verträgen zu beschränken. D e m Geist des IPR-Gesetzes dürfte es besser entsprechen, eine Regelungslücke anzunehmen u n d nach § 1 A b s . 1 das Recht zu suchen, das die stärkste Beziehung zur Organhaftung hat. D a m i t gelangt man zur Ausgangsfrage zurück. A n t w o r t auf diese Frage gibt möglicherweise die zweite Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur A n k n ü p f u n g der „ A m t s h a f t u n g " : O G H , 17.2.1982 68 : Auf einer Staatsjagd in Jugoslawien erschoß der österreichische Botschafter aus Unachtsamkeit den französischen Botschafter. Dessen Witwe und Kin61 Schwind, Entwurf, S. 201: Die Regelung [§ 8 des Schwind-Entwurfs = §§ 12, 10 IPR-Gesetz] bedeutet im Zusammenhang mit der Qualifikationsregelung in § 4 [ = § 3, 2. Hs. IPR-Gesetz], daß das Personalstatut darüber bestimmt, was zur Handlungsfähigkeit gehört." Es geht hier um Qualifikation zweiten Grades (Duchek / Schwind, § 3, Anm. 4) bzw. um sekundäre Anknüpfung (Raape / Sturm, S. 281, Fn. 37, S. 285). 62 Vgl. damit Art. 4 Abs. 1 EGBGB. 63 S. 88 - 90. 64 Vgl. Rummel / Schwimann, A B GB, 2 Bd., § 48 IPRG, Rn. 6. 65 IPR, S. 83, 88. Für die „Deliktsfähigkeit" natürlicher Personen, z.B. der handelnden Organe selbst, soll jedoch das Deliktsstatut gelten (IPR, S. 74). 66 Rummel ! Schwimann, A B GB, 2. Bd., § 12 IPRG, Rn. 12. Anders aber Schwimann, Deliktsstatut, S. 480: Das Deliktsstatut des § 48 Abs. 1 IPR-Gesetz umfasse die Auswahl von Berechtigten und Verpflichteten; es entscheide auch grundsätzlich über die haftungsrelevanten Eigenschaften jener Personen, für deren Verhalten gehaftet wird, z.B. die Eigenschaft als Organ einer juristischen Person (Berufung auf Stoll; zu dessen Standpunkt oben § 3 I. 2., bei Fn. 14 - 17). 67 Österreichisches Haftpflichtrecht I, S. 358 - 361.

II. Österreich

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der klagten gegen die Republik Österreich auf Schadensersatz. Nach dem Vorentscheid vom 10.9.1958 69 erstreckte sich der Geltungsbereich des österreichischen Amtshaftungsgesetzes vom 18.2.1948 auf das (jugoslawische) Ausland. Folglich haftete die Republik Österreich „nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben . . . " ( § 1 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes). Der Oberste Gerichtshof meinte: Ob das Organ „in Vollziehung der Gesetze" gehandelt habe, sei zwar nach österreichischem Sachrecht zu beurteilen. Aber der Umfang des Ersatzanspruchs richte sich „nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts". Z u diesen gehöre das IPR. Deshalb entscheide das jugoslawische Recht des Unfallorts (§48 Abs. 1 S. 1 IPR-Gesetz), falls nicht eine stärkere Beziehung zum österreichischen Recht bestehe (§ 48 Abs. 1 S. 2 IPR-Gesetz). Eine solche Beziehung bestehe da, wo der Geschädigte im Ausland die Vollziehung österreichischer Vorschriften begehrt habe (öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung), nicht aber dort, wo er durch unbeabsichtigten Kontakt in den schädigenden Wirkungskreis des Organs geraten sei. Für den Jagdunfall blieb es demnach beim jugoslawischen Recht. Soweit nicht die Sachnormen des Amtshaftungsgesetzes v o r g i n g e n 7 0 , hat der Oberste Gerichtshof die staatliche Orgarihaftung wie die private behandeln wollen, also gegebenenfalls nach ausländischem Recht. Diese Gleichstellung hat inzident zu unserer Frage geführt: Welches Recht würde entscheiden, wenn aus demselben Sachverhalt eine juristische Person des Privatrechts belangt würde ( z . B . die Steyr-Daimler-Puch A G m i t Sitz i n W i e n für den Todesschuß ihres für Jugoslawien zuständigen Direktors)? D e r Oberste Gerichtshof geht wie selbstverständlich v o n dem Grundsatz aus, daß für die Organhaftung das Tatortrecht u n d nicht das Sitzrecht gelte. Dieser Grundsatz

ist sicher übertragbar auf juristische Personen des Privat-

rechts: Organhaftung hat Einschlag i n eine verfaßte Organisation; wenn das schon für den Staat nicht durchweg zum Personalstatut führen kann, dann erst recht nicht für juristische Personen des Privatrechts. Dagegen scheint die Ausnahme nicht ohne weiteres übertragbar. W o der Geschädigte das Organhandeln i m A u s l a n d begehrt hat, da soll eine stärkere Inlandsbeziehung (§ 48 A b s . 1 S. 2 IPR-Gesetz) zugunsten der staatlichen Rechtsträger bestehen, ohne daß dasselbe für juristische Personen des Privat68

EvBl. 1982 Nr. 138 = JB1. 1983, 260 mAnm Schurig, JB1. 1983, S. 234. Dazu oben bei Fn. 52. 70 Diese allein begrenzten in casu den Geltungsbereich des Deliktsstatuts. Der Oberste Gerichtshof unterschied statt dessen zwischen Haftungsgrund (Amtshaftungsgesetz) und Haftungsumfang (Deliktsstatut); doch dürfte diese Unterscheidung praktisch nicht durchzuführen sein (näher Schurig, JB1. 1983, 236 rechts, 237 links). Das Amtshaftungsgesetz umschloß allerdings alle wesentlichen Elemente der Zurechnung (belangbare Rechtsträger, Zusammenhang der Tat mit den Aufgaben des Schädigers, wohl auch den Organbegriff), so daß dem Deliktsstatut nur zu bestimmen übrig blieb, daß unerlaubt gehandelt worden und wieviel Ersatz dafür geschuldet war (Haftung). Das trifft sich im Ergebnis mit einem Vorschlag von Kegel (in: LB, § 18 I V . c), S. 417). 69

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§ 4. Ausländische Stimmen

rechts gelten müßte. D e n n m i t einem Begehren gegenüber einem staatlichen Organ ( z . B . einem A n t r a g auf ein V i s u m ) entsteht eine öffentlich-rechtliche Sonderbeziehung, an deren A n k n ü p f u n g die des Deliktsstatuts sich anlehnt, u n d zu dieser gibt es bei einem ersten Vorsprechen gegenüber privaten Organisationen ( z . B . bei einer Stellenbewerbung) keine Entsprechung. Unbeschadet seiner anscheinenden Neigung zum Deliktsstatut könnte der Oberste Gerichtshof allerdings i m Wege der Bestimmung des Handlungsorts, der allein als T a t o r t gilt (§ 48 A b s . 1 S. 1 IPR-Gesetz), zu einer A n k n ü p f u n g an den Gesellschaftssitz gelangen 7 1 : Vgl. OGH, 17.6.1981 72 : Der Versicherer eines verunglückten Omnibusses klagte gegen die U. S.-Muttergesellschaft der englischen company, die die Reifen des Busses hergestellt hatte. Der Oberste Gerichtshof lehnte einen Durchgriff des Versicherers auf die Muttergesellschaft nach dem englischen Personalstatut der Tochtergesellschaft ab. Die Muttergesellschaft haftete jedoch aus eigenem Verschulden, wenn sie ein Organ der Tochtergesellschaft bestellt hatte, das nicht in der Lage gewesen war, die Produktion und den Vertrieb unzulänglicher Reifen zu verhindern. Dazu fehlte Parteivortrag. Werner Lorenz 73 hat jedoch weitergedacht: Die Haftung der Muttergesellschaft aus eigener unerlaubter Handlung habe dem Deliktsstatut unterstanden, ebenso die Frage, ob ihr die unerlaubte Handlung der abhängigen Gesellschaft als eigene zugerechnet werden könne. Es wäre, meint Lorenz, verständlich gewesen, wenn das Gericht aus § 48 Abs. 1 IPR-Gesetz, zusammen mit dem Prinzip der stärksten Beziehung (§ 1 Abs. 1 IPR-Gesetz), hergeleitet hätte, daß der Handlungsort am Sitz der Muttergesellschaft gelegen habe. I I I . Liechtenstein A r t . 235 des liechtensteinischen Personen- u n d Gesellschaftsrechts ( P G R ) 7 4 lautet: Abs. 1: „Die Rechts- und Handlungsfähigkeit einschließlich der Deliktsfähigkeit richtet sich bei Verbandspersonen nach dem Rechte ihres Hauptsitzes (Sitzes)." Abs. 3: „Sie kann jedoch im Inland nicht in weiterem Umfange Rechte erwerben und den Anspruch auf Rechtsschutz geltend machen, als dies den inländischen Verbandspersonen möglich ist." Abs. 6: „Ist eine Verbandsperson nach dem Rechte des Sitzes nicht rechts-, handlungs- oder deliktsfähig, wohl aber nach dem inländischen Rechte, so gilt letzteres für ihren inländischen Tätigkeitsbereich." Diese verkehrsgünstigen R e g e l n 7 5 gehen vermutlich auf die besonderen Bedürfnisse des Zwergstaats zurück: E r w i l l auch gegenüber fluktuierendem ausländischem P u b l i k u m H e r r i m eigenen Hause bleiben. 71 72 73 74 75

Zu einer solchen Tendenz in der deutschen Rechtsprechung oben § 1 II. 1. a) aa). JB1. 1982, 257f. S. 86. Vom 20.1.1926; Text bei Makarov, Bd. 1, Gesetzestexte. Sie entsprechen der Ansicht von Grasmann; dazu oben § 3 I I I . 2.

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Zwar ist auch nach liechtensteinischem Sachrecht die Deliktsfähigkeit ein Teil der „Handlungsfähigkeit" (Art. I l l PGR). 7 6 Aber das ist als gesetzgeberisches Motiv nicht plausibel. Denn die Deliktsfähigkeit natürlicher Personen ist, wiewohl begrifflich gleich, allein dem Deliktsstatut unterstellt (Art. 24 Abs. 3 PGR). D e r Liechtensteiner Guido

Meier

zieht gleichwohl eine deliktsrechtliche

A n k n ü p f u n g vor. Sie sei einfacher u n d sicherer u n d gelte allseitig. 7 7 I V . Frankreich Für viele französische A u t o r e n scheint die A n k n ü p f u n g der Organhaftung kein Problem zu sein. D e n n i m französischen Sachrecht versteht man die Haftung der juristischen Personen für

ihre Organe als Eigenhaftung

nach

A r t . 1382 C c . 7 8 So verstanden gibt ihre A n k n ü p f u n g offenbar nicht mehr zu denken als die der H a f t u n g natürlicher Personen nach derselben V o r s c h r i f t . 7 9 So erübrigen z.B. Batiffol / Lagarde für die Eigenhaftung der Gesellschaften nur einen einzigen Satz: „Mais il va de soi que les actes accomplis par la société obéiront, pour le reste, aux règles générales des conflits de lois, par example sur les contrats ou les délits." 80 Demgegenüber ist die A n k n ü p f u n g v o n Fremdhaftungen ein Problem, über das i n j e d e m L e h r w e r k zum I P R etwas zu finden ist. W o r a u f geht diese Einseitigkeit zurück? G i l t etwa die A n k n ü p f u n g der Fremdhaftungen als Muster, das eine besondere Erörterung der A n k n ü p f u n g der Organhaftung erübrigt? D i e französische D e n k a r t erschließt sich am besten über die v o n jeher diskutierte Frage, ob die mittelbare H a f t u n g für Personen dem Deliktsstatut oder dem Statut der Innenbeziehung zwischen dem Täter u n d dem Zurechnungssubjekt unterliege. 8 1 Vgl. dazu folgenden Fall: Ein niederländisches Schiff rammte und versenkte auf hoher See ein französisches. Der niederländische Reeder erkannte einen Verstoß seines Kapitäns gegen die Schiffahrtsregeln an. Man stritt, ob er dafür nach dem niederländischen Recht des Anstellungsvertrags oder nach der französischen lex fori haftete. Das 76 Guido Meier, S. 276, Fn. 350, und S. 277, vor Fn. 356; zur Bedeutung des Begriffs in der Schweiz oben § 4 I. 1. nach Fn. 17. 77 S. 277. 78 Mazeaud / Mazeaud, Nr. 1982f., 1985 a.E., 1987, 1992; Ferid, Französisches Zivilrecht, 1 D 138a, 1 D 146 a.E., 2 M 140; zur „société civile" nach der Reform von 1978 vgl. Ferid ! Sonnenberger, 2 L 1331. Der Begriff des Organs ist allerdings eng: Der „directeur général" ( „ P . D . G . " ) unterfällt ihm, der „directeur technique" nicht. 79 Bartin z.B. spricht sofort nach der Billigkeitshaftung Unzurechnungsfähiger von der Organhaftung (§ 333, S. 398f.): Beidemal geht es allein um rechtlich beachtliches Wollen einer „faute". 80 Band 1, Nr. 203, S. 248. Die Fremdhaftung ist dagegen besprochen (Band 2, Nr. 563, S. 225: Neigung zu großzügiger Anwendung des Deliktsstatuts; Nr. 557, S. 213, Fn. 3: Rechtsprechung zur Anknüpfung der Reederhaftung). 81 Vgl. z.B. Loussouarn / Bourel, Nr. 406, S. 513.

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niederländische Recht erlaubte eine Haftungsbeschränkung entsprechend der Tonnage, das französische Recht nur die befreiende Überlassung des Schiffs („abandon"). Das Tribunal de grande instance de Quimper 82 wandte das Recht des Anstellungsvertrags an ( „ . . . la responsabilité de l'armateur Lenten dérive exclusivement du mandat conféré par celui-ci à son capitaine."), die Cour d'appel de Rennes 83 das französische Recht als lex fori, weil es den Klägern günstiger war. 8 4 Ihr folgte der Kassationshof 85 ; allerdings ohne Drittgünstigkeit zu erwägen: Ersatzansprüche müßten nach demselben Recht beurteilt werden wie die Haftung selbst ( „ . . . le droit à la réparation du dommage subi, étant la conséquence de la responsabilité, est déterminé par la loi qui régit celle-ci"). 86

Eine vergleichbare Spannung zwischen Innen- und Außenbeziehung scheint man bei der Organhaftung nicht zu empfinden. So wurde z.B. die Grundpflicht, niemanden zu verletzen, unmittelbar an der juristischen Person festgemacht - so daß die Innenbeziehung zu dem eigentlich schuldigen Organ von vornherein außer Betracht blieb. Vgl. Cour d'appel de Paris, 23.11.1973, consorts Barthelet d Société anonyme Club Méditerranée 87 : Der Club Méditerranée organisierte in Tunesien einen Ausflug mit einer Kolonne Autos, die er gemietet hatte. Eines der Autos steuerte der Urlauber Barthelet. Auf der Wüstenpiste rammte das Auto links einen Esel mit Reiter, geriet dann nach rechts und überschlug sich. Barthelet war tot. Im Prozeß des Reiters verurteilte ein tunesisches Gericht den Autovermieter als „gardien" des Autos. Wohl deshalb verklagten Frau und Sohn Barthelets den Club ohne Bezug auf „garde": Barthelet sei im letzten Augenblick ans Steuer gesetzt worden und „si B A R T H E L E T a commis une faute dans la conduite du véhicule, le Club doit en répondre, soit comme ayant choisi ou agréé un conducteur insuffisamment experimenté, soit comme employeur d'un préposé occasionel." Entscheidung: Vertragliche Sorgfaltspflichten seien durch Überlassung des Steuers an Barthelet nicht verletzt, zumal im Club „chacun met de bon gré ses aptitudes à la disposition des autres." Aber der Club hafte nach tunesischem Recht als „gardien": „Considérant . . . que le contrat de location a transféré la garde de la voiture au Club" 8 8 ; die tunesische Entscheidung binde nicht. 8 9 ' 9 0 82

12.7.1960, Rev. er. dr. int. pr. 1962, 314. 13.3.1961, Rev. cr. dr. int. pr. 1962, 314 = D. 1962, 154f. 84 Gegen die Drittbegünstigung Jambu-Merlin, D. 1962,155 (156 rechts): Die lex fori „paraît s'imposer, faute d'autre solution, le seul argument inacceptable en sa faveur étant bien celui de la cour de Rennes, à savoir l'intérêt des demandeurs. C'est la négation du droit international privé." 85 Cass., Ch. civ. sect, com., 9.3.1966, Rev. cr. dr. int. pr. 1966, 636 - 638. 86 Marthe Simon-Dépître und Claire Legendr e wollen Zurechnung und Haftungsumfang kollisionsrechtlich trennen (Anmerkung, Rev. dr. int. pr. 1962, 322 oben). Da die mitgeteilten Entscheidungen aber eine solche Trennung nicht erkennen lassen, besitzen sie auch für die Zurechnung Aussagewert. 87 Unveröffentlicht. 88 Anders das Tribunal de grande instance de Paris als Vorinstanz. 89 Halterhaftung nach dem Tatortrecht entspricht Cass. Civ., 25.4.1948, Rev. cr. dr. int. pr. 1949 mAnm Batiffol; zum „transfert de garde" vgl. Mazeaud / Mazeaud, Nr. 1174, insbes. Fn. 1174 (2). 90 Zum weiteren Verfahren vgl. Cass, 2.7.1975, Bull. 1975 I Nr. 220, S. 187 (betrifft nur noch die Frage eines haftungsausschließenden Mitverschuldens Barthelets). 83

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Diese eindimensionale, auf die Außenbeziehung beschränkte Betrachtung hat vermutlich folgenden Grund: Die Zurechnung von Organ verhalten geht auf im Begriff der „responsabilité". Insofern dieser Begriff neben der Zurechnung zugleich die Haftung umschließt, wird die Norm, die ihn ausdrückt (Art. 1382 Cc), zur „Inbegriffsnorm"; sie kann nicht auf das eine angewendet werden und auf das andere nicht. 91 Diese Einschätzung bestätigt sich z.B. in folgendem Fall: Monsieur Thomas buchte bei der „Association Tourisme et Loisirs de Normandie" eine Gruppenreise zum „Schloß-Hotel" in Fierberbrünn, Tirol, das der „Association d'Installation et d'Exploitation d'Hôtels de Montagne" ( S . I . E . H . M . ) gehörte. Das „Schloß-Hotel" ließ Thomas mit einem Hotelf ahrzeug zu einer Privatunterkunft bringen. A m Steuer saß, gefälligkeitshalber, der Mitreisende Legrand, Sohn des Direktors beider Unternehmen. Legrand fuhr das Fahrzeug in einen Abgrund; Thomas wurde verletzt'. Das Tribunal de grande instance de Rouen entschied: Legrand hafte nach Art. 1382 Cc 9 2 , S . I . E . H . M . nach Art. 1384 al. 5 Cc und die „Erste Allgemeine", ihr österreichischer Fahrzeugversicherer, nach dem österreichischen Versicherungsvertrag. 93 Die Cour d'appel de Rouen 94 bestätigte im Ergebnis: „Tourisme et Loisirs" hafte weder als „gardien", noch als „commettant" - Legrand als einfacher Reisender habe sich nur der S . I . E . H . M . angeboten - , noch wegen „faute contractuelle" (implizit nach französischem Recht). Über die Verantwortung von S. I. E. H. M. für Legrand könne nicht nach französischem Recht entschieden werden 95 . „Attendu . . . que la loi applicable quant à la responsabilité civile extracontractuelle est donc celle du lieu où s'est produit l'accident; que c'est bien cette loi qui régit les conditions de la responsabilité ainsi que le mode et l'étendue de la réparation à laquelle la victime peut prétendre; . . . Que . . . il n'apparaît pas que la S . I . E . H . M . puisse etre rendue, . . . d'après le droit autrichien, civilement responsable de celui qui avait été son préposé momentané . . . " Man vergleiche damit die Ausführung des Kassationshofs im Fall des niederländischfranzösischen Schiffszusammenstoßes 96: „Responsabilité" ist der Drehpunkt der Anknüpfung, und alle Voraussetzungen und Folgen der Haftung sind miterfaßt. 97 Auf andere Weise bestätigt sich unsere Einschätzung auch in Cass., civ. Ire, 8.2.1983 98 : M. Daugas entwendete spanische Aktien des M. Horn y Prado und ließ sie auf der Börse in Barcelona verkaufen, teils durch die Filiale Biarritz des Crédit Lyo91

Vgl. Pierre Mayer Nr. 664: „La loi applicable au délit a compétence pour résoudre toutes les questions que peut susciter la mise en oeuvre de la responsabilité. Elle précise en particulier la définition de la faute, la notion de l'imputabilité . . . [et] l'existence d'une responsabilité du fait d'autrui." 92 Entscheidung vom 8.6.1964, unveröffentlicht. 93 Entscheidung vom 31.5.1965, unveröffentlicht. 94 Entscheidung vom 9.5.1967, Cie. Erste Allgemeine d Thomas, unveröffentlicht. 95 Teilweise obiter, da S. I. Ε. H. M. nur über die Aufteilung der Haftung stritt. 96 Oben bei Fn. 85. 97 Zum weiteren Verfahren: Cass, Ire Ch. civ., 15.12.1969, Rev. er. dr. int. pr. 1971, 512 mAnm Bourel verwarf die Kassationsbeschwerde von Thomas; Cour d'appel de Rouen, 16.2.1971, D.S., Jur., 349 mAnm Prévault bestimmte nach österreichischem Recht die Ersatzbeträge. Zur Berufungsentscheidung vgl. auch die Anmerkung von D ayant, Clunet 1967, 899. 98 Clunet 1984,123 mAnm Légier.

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nais, teils durch die Bank Veuve Morins-Pons in Lyon. M. Horn y Prado verklagte beide Bankgesellschaften aus Delikt und gewann. Über die drei Kassationsangriffe von Veuve Morins-Pons entschied der Kassationshof so: 1. Die Untergerichte seien zuständig gewesen. 2. Zu Recht hätten sie die französische Verjährungsregel angewandt, denn „ . . . la loi territoriale compétente pour gouverner la responsabilité civile extracontractuelle est la loi du lieu où le dommage a été réalisé . . . le dommage résultant des fautes imputées [!] par M. Horn y Prado à la banque Veuve Morin-Pons a été réalisé en France où a été donné l'ordre de vente des titres frauduleusement détournés." 3. Die Bankgesellschaften hätten, wie zu Recht entschieden, die Berechtigung des M. Daugas überprüfen müssen. Man beachte, wie der Ausspruch zu 2. über die allein beanstandete Anknüpfung der Verjährung hinausweist. Er betrifft die „responsabilité" im ganzen, weil diese (und nicht die Verjährung) der kleinste anknüpfbare Gegenstand war.

Nur wo die Zurechnung eine besondere „Erweiterungsnorm" erfordert (wie z.B. im deutschen Recht § 31 BGB neben § 823 BGB), könnte die in dieser geregelte Frage von der Haftung gesondert angeknüpft werden. Ein solcher Rechtszustand wäre für die Organhaftung beinahe eingetreten, und das wirft Licht auf ihr mutmaßliches kollisionsrechtliches Schicksal. Man hat nämlich früher darüber gestritten, ob die Haftung juristischer Personen für ihre Organe als Gehilfenhaftung zu konstruieren sei und deshalb die „Erweiterungsnorm" des Art. 1384 al. 5 Cc erfordere (die gegensätzlichen Stichworte waren „représentation" und „préposition"). 99 Diese Konstruktion hätte im IPR die geläufige Frage ausgelöst, ob das Statut der Innen- oder das Statut der Außenbeziehung zu entscheiden habe. Das Letztere wäre aber gewiß gewesen, denn in der Praxis entschied (und entscheidet) über die Zurechnung nach Art. 1384 al. 5 Cc das Deliktsstatut. 100 Daß man die Organhaftung heute als Eigenhaftung konstruiert, kann an ihrer Behandlung im IPR nichts ändern, auch wenn die Konstruktion, wie dargelegt, die Frage nach der maßgebenden Rechtsordnung verdeckt. Denn der Geschädigte steht nach Art. 1382 Cc wie nach Art. 1384 al. 5 Cc oder etwas besser (er muß keinen „lien de préposition" beweisen); der Rest - Eigenhaftung oder Fremdhaftung - ist folgenlose Phänomenologie. Die Praxis dürfte deshalb die Organhaftung über ein Vergleichsargument oder „à plus forte raison" dem Deliktsstatut unterstellen.

99

Mazeaud / Mazeaud, Nr. 1986, insbes. Fn. 5 bis. 100 Gehilfenhaftung nach dem Deliktsstatut ist selbstverständliche Praxis (so in den Entscheidungen oben bei Fn. 87 und 94, so übrigens auch in R O H G E 23, 174, Urt. v. 19.1.1878, dazu oben § 2 I. 3. bei Fn. 5, und in R G Z 19, 382, Urt. v. 23.9.1887, dazu oben § 1 I. bei Fn. 1 [zum Rheinischen bzw. Badischen Recht]), obwohl eine plakative Entscheidung fehlt. Denn die Innenbeziehung kann bloß „lien de fait" sein, der auf kein bestimmtes Recht verweist; zudem ist die Praxis bei sonstiger Fremdhaftung die gleiche (Batiffol / Lagarde, Band 2, Nr. 563, S. 225 und Nr. 557, S. 213, Fn. 3; Mazeaud / Chabas, Nr. 2237, S. 511).

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Unergiebig ist die Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte zum internationalen Gesellschaftsrecht. 101 In der Lehre vertrat Pillet m (1914) die Meinung, eine Gesellschaft sei mindestens so weit für ihre Organe verantwortlich, als ihre „statuts" und ihre „loi de constitution" es zuließen. Eine weitergehende Haftung nach der „loi locale" hänge vom Grad des Verschuldens der Organe ab: Gehe es um „actes frauduleux" auf dem französischen Staatsgebiet, so entscheide das französische Recht als „loi de police". 1 0 3 Gehe es um geringeres Verschulden, so bleibe es beim Statut der Gesellschaft. Denn einmal könnten Dritte sich über ausländische Gesellschaften erkundigen; zum andern könne es sein, daß die ausländischen Gesetze „donnent aux administrateurs étrangers des qualités et des fonctions moindres que celles de la loi locale pour les administrateurs nationaux." Mit der Unterscheidung nach dem Grad des Verschuldens hat Pillet keine Gefolgschaft gefunden. Aber die bei ihm anklingende Sorge vor einem „dépeçage" organisierter Personenverbindungen bewegt die Lehre und ist bis heute ein Impuls für die Befürwortung des Personalstatuts geblieben: Man könne, heißt es bei Hamel / Lagarde 104, den Organen nicht etwas als Verschulden vorwerfen, was in der Rechtsordnung, nach der die Gesellschaft funktioniere, erlaubt sei. 105 Ähnlich sieht Bourel die unerlaubte Handlung des Organs, wenn es in Ausübung seiner Funktionen gehandelt hat, als „incident de la vie interne de la société", als „,rayonnement' de son activité générale" und lokalisiert deshalb den Tatort „au milieu social dans lequel elle [la faute] s'insère". 106 Loussouarn hatte sich zunächst in ähnlichem Sinne geäußert 107 ; im Interesse der Geschädigten, die er nur über den ordre public hatte schützen wollen, bekehrte er sich später aber zum Deliktsstatut. 108

101 Sie begnügt sich mit der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts: Loi no. 66.537, 4.7.1966, sur les sociétés commerciales, Art. 3 (J.O., 26 juillet, 6402); Projet de loi complétant le Code civil en matière de droit international privé (1967), Art. 2302 (Text bei Makarov, Nationale Kodifikationen, S. 110 - 115). 102 Nr. 175, S. 259 - 261. 103 Ygi Art. 3 al. 1 Cc: „Les lois de police et de sûreté obligent tous ceux qui habitent le territoire."

i° 4 Nr. 881, S. 1002. i° 5 Ebenso Bourel , Urteilsanmerkung, S. 556f. sub I. 2.: „ . . . il est injuste que la loi du lieu du délit impose une obligation de réparer à une personne qui, selon sa propre loi, est innocente." 106 Obligations extracontractuelles, S. 238 - 240 (in Anlehnung an einen Ausdruck von Binder); zur Fremdhaftung S. 218 - 224, insbes. S. 223 (Tatortrecht). 107 Loussouarn, S. 403. 108 Loussouarn / Bredin, Nr. 446 - 448, insbes. Fn. 1, unter dem Eindruck von Art. 7 der Empfehlung der International Law Association zum internationalen Gesellschaftsrecht (dazu unten § 5 V.). 7 Schohe

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Lebendig geblieben ist auch die andere Grundlage Pillets

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die H a f t u n g für

Organe eventuell als Folge einer „ l o i de police et de sûreté" zu begreifen. 1 0 9 Soweit man das t u t , muß man, für D e l i k t e i n Frankreich, nach dem Deliktsstatut entscheiden. So z. B . Bartin:

„ I I s'agit de savoir si la responsabilité délic-

tuelle existe ou non. Question de détermination des éléments d u délit civil quant aux personnes qui sont réputées l'avoir commis. Question de police civile, du domaine de la l o i l o c a l e . " 1 1 0 ' 1 1 1 V . Belgien D i e belgische Rechtsprechung wendet auf alle A r t e n der Fremdhaftung, so heterogen sie auch erscheinen, das Tatortrecht an. 1. Tribunal civil de Bruxelles, 15.3.1957 112 : Die Haftung des Ehemanns für einen Autounfall seiner Frau in Deutschland wurde nach § 831 BGB beurteilt und verneint. 2. Kassationshof, 23.11.1962 113 : Eine finnische Gesellschaft haftete nach niederländischem Recht für den Zusammenstoß ihres Schiffs mit einem belgischen Schiff, den ihr Kapitän in niederländischen Hoheitsgewässern verschuldet hatte. Begründung: Der Ort des „fait générateur" sei Tatort im Sinne des Art. 23 al. 1 Cc und mithin auch für die Fremdhaftung maßgebend, ungeachtet der Nationalität der Haftenden. 3. Burgerlijke Rechtbank te Mechelen, 27.3.1975 114 : Belgische Eltern hafteten für den Schaden, den ihr Kind in Deutschland einem anderen Belgier zugefügt hatte, nach § 832 Abs. 1 S. 1 BGB; für die Aufsichtspflicht der Eltern waren die §§ 1626, 1631 Abs. 1 BGB maßgebend. Begründung: Das Deliktsstatut erstrecke sich auf die Frage der Verantwortlichkeit für die Taten von Personen, für die man einstehen muß (Berufung auf die Entscheidung des Kassationshofs vom 23.11.1962).

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Zur Verdrängung des Gesellschaftsstatuts durch „lois de police et de sûreté" Pierre Mayer, Nrn. 1014, 1032. 110 § 333, S. 398f.; zur Fremdhaftung S. 340 und 426 - 432: Tatortrecht; aber wer Geschäftsherr und wer Gehilfe sei, richte sich nach dem Statut der Innenbeziehung. Bartins Argumente sind aus seiner Überzeugung zu verstehen, das IPR sei berufen, den Bereich der eigenen Souveränität abzugrenzen; vgl. zu ihm Kegel, LB, § 7 I I I . 1. a), S. 186f. 111 Ebenfalls für das Deliktsstatut sind: Arminjon, Droit international privé, Nr. 120, S. 326, 2. Absatz; für die Gehilfenhaftung der Gesellschaft vgl. Nr. 203, S. 513; fast wortgleich Arminjon, Droit international privé commercial, Nr. 71, S. 134f. und Nr. 108, S. 220 unten; Niboyet, Bd. 5, Nr. 1567, S. 639 sub I.: „ . . . de même que pour les personnes physiques . . . " ; im Sinne einer einseitigen Kollisionsnorm ebenso (aber beiläufig) Thibierge, S. 269 (première partie, chapitre 1, section 1, § 3 I I Nr. 3): „Cette solution présente l'avantage de lier sans difficulté l'action civile à l'instance pénale." Dieser Satz läßt den Eindruck entstehen, daß der Autor möglicherweise (auch) die persönliche Haftung des Organs im Auge hat. 112 Revue générale des assurances et des responsabilités 1957, Nr. 5926. 113 Rev. crit. jur. beige 1963, 223 mAnm Rigaux, der auf S. 234 - 237 der Anknüpfung der Fremdhaftung zustimmt. 114 Rechtskundig Weekblad 1976 - 77, 822f.

VI. Ein Fall aus Luxemburg

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D e r Organhaftung am nächsten liegt folgender Fall: 4. Cour d'appel de Liège, 8.1.1931 115 : Ein Wagenführer der Aachener Kleinbahngesellschaft hatte auf belgischem Gebiet einen Unfall verschuldet, bei dem Verkehrsteilnehmer zu Schaden gekommen waren. Die Gesellschaft meinte, daß ihr insoweit der Entlastungsbeweis nach § 831 BGB offenstehe: Sie habe ihren Sitz in Deutschland; dort sei auch der Anstellungsvertrag mit dem Wagenführer geschlossen worden. Die Cour d'appel verurteilte sie dennoch nach Art. 1384 Cc: Man müsse die Sachnorm anwenden, deren Zweck („but social") sich durch die Anwendung verwirkliche. Bei Quasidelikten bestehe dieser Zweck in der Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnung und der natürlichen Billigkeit, unter deren Schutz der Geschädigte gestanden habe. 116 Wenn demnach der Gesetzgeber am Begehungsort die Schwere des Delikts zu würdigen habe, so sei am besten er für die Entscheidung geeignet, welche Personen den Schaden wiedergutzumachen haben. Im übrigen müsse der belgische Richter, der über die Haftung des Gehilfen entscheide, auch über die des Geschäftsherrn nach belgischem Recht urteilen dürfen. Läßt man i n dieser Weise die Ordnungsfunktion entscheiden, welche die M i t h a f t u n g D r i t t e r erfüllt, so ist konsequent auch die Organhaftung deliktsrechtlich a n z u k n ü p f e n . 1 1 7 - 1 1 8 D o c h hat andererseits die Ausgrenzung gesellschaftsrechtlicher Fragen aus dem Anwendungsbereich des E W G - Ü b e r e i n kommens über internationales Schuldrecht 1 1 9 zu der Gegenansicht geführt, die Haftung einer Gesellschaft für ihre Organe unterliege der „lex societatis". 1 2 0 V I . Ein Fall aus Luxemburg Tribunal d'arrondissement de Luxembourg, 26.4.1961, Burneil d Schiltz 121 : Generalmajor Nathaniel Α . Burneil war Kommandant der amerikanischen „Military Assistance Advisory Group" in Belgien und Luxemburg. Das Luxemburger Militär wollte 115

La Belgique judiciaire 1931, 210f. Anlehnung an Poullet, Nr. 317, S. 355f. Noch schärfer derselbe Nr. 319, S. 357: Die Haftung nach Art. 1384 Cc gehöre zum belgischen ordre public. - Die Theorie vom „but social" ist von Fillet und Poullet übernommen. Nach dieser Theorie (näher Kegel, § 3 X. 1. a], S. 112f.) dürfte wie folgt zu überlegen sein: Die Rechtssätze über die Haftung des Geschäftsherrn für seinen Gehilfen schützen die Gesellschaft gegen Exzesse einzelner („lois de garantie sociale ou de l'ordre public"). Sie erfüllen ihren Zweck nur, wenn sie im Staatsgebiet auf alle angewandt werden, und sind daher allgemein und territorial (im Gegensatz zu „permanent" und „extraterritorial"). 117 So de Vos I I , Nr. 719, S. 742, der im IPR offenbar nicht zwischen Fremdhaftung und Organhaftung der Gesellschaft unterscheidet: Im gleichen Satz ordnet er beide dem Deliktsstatut zu. 118 Der inneren Ordnung dient daneben Art. 198 Abs. 2 der „lois coordonées sur les sociétés" (Text bei Rigaux, Nr. 1398): „Les personnes préposées à la gestion de l'établissement belge [scil.: d'une société étrangère] sont soumises à la même responsabilité envers les tiers que si elles géraient une société belge." 119 Abgedruckt bei Jayme i Hausmann, S. 105f.; vgl. dort Art. 1 Abs. 2e). 120 Vander Eist I Weser, No. 55.2., S. 247f. Demgegenüber sollen die persönliche Haftung der Organe und die Haftung der Gesellschaft für ihre Gehilfen (art. 1384 al. 5 Cc) der lex loci delicti commissi unterliegen. 121 Unveröffentlicht. 116

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§ 4. Ausländische Stimmen

seine Bande zu dieser Einheit stärken, und der General wurde samt Gefolge zu einer Treibjagd eingeladen. Ort der Veranstaltung war der Kreis Bitburg in Deutschland; die Leitung, namentlich die Aufstellung der Schützen, lag bei dem Luxemburger Leutnant Wormeringer. Beim vierten Treiben brach ein Rehbock durch die Linie der Schützen, und zwar auf der Linie zwischen Burneil und dem Luxemburger Leutnant Schütz. Schütz drehte sich um, feuerte und verfehlte den Bock. Im selben Augenblick erlitt Burnell einen Durchschuß an der linken Ferse. Burnell erhob in Luxemburg Klage, unter anderem gegen das Großherzogtum, als dessen Organe er die Leutnants Wormeringer und Schütz ansah. Das Bezirksgericht hielt die Klage für schlüssig: Nach dem deutschen Recht des Tatorts seien die Voraussetzungen einer deliktischen Haftung gegeben (§ 823 B G B ) . 1 2 2 Die weitere Frage der Organhaftung sei nach luxemburgischem Recht zu entscheiden: „Attendu . . . qu'il devra etre démontré, suivant le droit luxembourgeois, que l'Etat peut valablement être mis en cause du chef des faits imputés à charge de Schütz et Wormeringer, pour les cas où ces derniers seraient à considérer comme organes de l'Etat; que cette dernière question, en effet, met en jeu des principes concernant l'organisation de l'Etat luxembourgeois; que lorsqu'il s'agit de relations politiques ou administratives avec l'Etat, la loi luxembourgeoise est seule applicable; . . . " . Nach luxemburgischem Recht galt, im Anschluß an eine belgische Entscheidung: „ . . . que les officiers, agissant dans l'exercice de leurs fonctions sont des organes de l'Etat; qu'ils engagent la responsabilité de celui-ci, si, au cours de leur service, par suite d'un acte fautif, ils causent une lésion a l'intégrité physique d'un tiers." Die Voraussetzungen dieses Rechtssatzes wurden bejaht. Die Leutnants hätten nicht privat und im eigenen Namen, sondern dienstlich und als Organe gehandelt. Die Anwesenheit des Kronprinzen und hoher Offiziere, die Versorgung der Teilnehmer durch Militärangehörige und aus Militärbeständen, das Fehlen einer disziplinarischen Maßnahme gegen die Leutnants wegen Überschreitung ihrer Befugnisse - all das zeige, daß hinter der Veranstaltung der Staat gestanden habe und daß die Leutnants zumindest dessen „organes apparents" gewesen seien. Im zweiten Rechtszug wies der Appellationshof Luxemburg die Klage gegen das Großherzogtum ab. 1 2 3 Er bestätigte zwar die Anknüpfung der Organhaftung: „Attendu que les questions de savoir si les officiers luxembourgeois . . . sont à considérer comme organes de l'Etat et si celui-ci est responsable du dommage causé par ses organes mettent en jeu des principes concernant l'organisation de l'Etat luxembourgeois; que d'après le principe de la souveraineté de l'Etat, ces questions d'ordre politique sont ... à décider d'après la loi de l'Etat qu'elles concernent, c'est-à-dire la loi luxembourgeoise. " 1 2 4 Nach luxemburgischem Recht sei das Großherzogtum aber für den Jagdunfall nicht verantwortlich. Die Jagd sei privat gewesen, da weder vom Generalstab, noch von der

122 Zitiert wird die Treibjagd-Entscheidung des Reichsgerichts (RGZ 128, 46, Urt. v. 17.3.1930). 123 Cour supérieure de Justice, 25.2.1964, Pasicrisie luxembourgeoise 19 (1963 1965), 414 (422). 124 S. 419f.

VII. Niederlande

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Militärverwaltung befohlen und organisiert. Eine private Veranstaltung könne unter keinem Gesichtspunkt die Haftung des Staats begründen.

Würdigung: Die Anwendung luxemburgischen Rechts scheint sich daraus zu erklären, daß die Zurechnungsfrage das öffentliche Recht des Großherzogtums berührte. Indes, erster Schritt der Erkenntnis war in beiden Entscheidungen, daß die Organhaftung mit der Organisation des Zurechnungssubjekts zusammenhänge. Diesen Schritt hätten die Gerichte auch bei privater Organhaftung tun können. Er ist deshalb für unsere Frage der entscheidende. Denn die perspektivische Zuordnung der Organhaftung zur Organisation des Zurechnungssubjekts führt zwangsläufig zu dessen Personalstatut. Daß dieses Personalstatut bei einem Staat nur dessen öffentliches Recht sein könne, das war der zweite, unwesentlichere Schritt der Erkenntnis. V I I . Niederlande In den Niederlanden ist Art. 9 der „algemeene bepalingen der wetgeving" der gesetzliche Ausgangspunkt. 125 Danach sind „verordeningen van policie" für alle Personen auf dem Boden des Königreichs verbindlich (Nr. 8), und das bürgerliche Recht ist vorbehaltlich gegenteiliger Regelung für Ausländer dasselbe wie für Niederländer (Nr. 9). Daraus folgert man: Das (inländische) Tatortrecht müsse entscheiden, inwieweit die Bürger geschützt werden. Dazu gehöre die Bestimmung des Täters einer unerlaubten Handlung und mithin die Frage, ob eine juristische Person durch ihr Organ eine unerlaubte Handlung begehen könne. Überlasse man diese Entscheidung dem Personalstatut der ausländischen juristischen Person, so genieße diese entgegen Art. 9 der „algemeene bepalingen" ein Vorrecht gegenüber den niederländischen. 126 Das Ergebnis entspricht dem hergebrachten Grundsatz, daß die Frage, wer aus einem Delikt belangt werden kann, sich nach dem Deliktsstatut beurteilt. 127 125

Abgedruckt bei Kosters / Dubbink, Bijlage I. Dubbink, S. 126f.; zur Haftung des Arbeitgebers für seine Arbeiter S. 54 - 57 (Tatortrecht); ebenso Kosters, S. 678f. für die Organhaftung und S. 796 für die Verantwortlichkeit für andere. Henriquez empfiehlt in seiner Zusammenfassung dieselbe Anknüpfung wie in Art. 7 des Entwurfs der International Law Association (englisch, S. 256, französisch S. 263; zu dem Entwurf unten § 5 V). Bei der Einzelbesprechung (S. 124f.) setzt er sich aber mit Art. 7 des Entwurfs nicht auseinander. Jitta meinte (1907), die Organhaftung könne Eigen- oder Fremdhaftung sein (S. 330, 357), doch obliege die Konstruktion erst dem anwendbaren Recht (S. 357, für die Organhaftung des Staates). Gelten sollten wohl die Kollisionsnorm für die indirekte Haftung: das Recht eines Landes sei anwendbar auf jede „relation juridique localenationale", und diese bestehe dann, wenn das Schadensereignis und seine Wirkungen sich im Land zugetragen hätten und wenn das Berufsgeschäft des indirekt Belangten sich mit den örtlichen Aktivitäten des Landes verbinde („trouble de l'ordre raisonable de la vie active locale") (S. 398f.). 126

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§ 4. Ausländische Stimmen

Zumindest i n der Nähe der Organhaftung liegt folgender Fall: Hof Amsterdam, 15.3.1956 128 : 1936 traf ein Filialangestellter der Twentsche Bank (Aktiengesellschaft in Amsterdam) nahe der deutsch-niederländischen Grenze mit einem deutschen Zollbeamten zusammen und machte ihn darauf aufmerksam, daß zwei deutsche Juden wesentliches Vermögen entgegen den damaligen deutschen Gesetzen bei seiner Bank untergebracht hatten. Kurz darauf wurden die beiden Juden verhaftet. Sie erlangten Straffreiheit nur durch Rückschaffung ihres Auslandsvermögens nach Deutschland, wo es beschlagnahmt wurde. Über ihre Klage gegen die Bank und deren Angestellten entschied der Hof Amsterdam so: Angesichts aller Umstände habe die Tat so sehr in der niederländischen „Rechtssphäre" gelegen, daß die Vorinstanz zu Recht niederländisches Recht angewandt habe. Jedenfalls schließe der niederländische ordre public es aus, die Tat nach den früheren deutschen Gesetzen zu rechtfertigen. 129 Der Einwand der Bank, ihre Organe treffe keine Schuld, gehe fehl; den Arbeitgeber brauche kein Vorwurf zu treffen. 130 D i e A n k n ü p f u n g nach „Rechtssphären" prägt das internationale Schuldrecht i n A r t . 17 u n d 18 der ersten Benelux-Konvention über I P R . 1 3 1 O b w o h l die K o n v e n t i o n nie i n Kraft getreten ist, hat die niederländische Rechtsprechung ihren A r t . 18 a n g e n o m m e n . 1 3 2 Danach gilt: O b eine Tatsache eine unerlaubte H a n d l u n g ist, entscheidet immer das Recht des Landes, i n dem sie eingetreten ist. Welche Obligationen aus der Tatsache entstehen, bestimmt dasselbe Recht, jedoch, wenn die W i r k u n g e n der unerlaubten H a n d l u n g 1 3 3 zur Rechtssphäre eines anderen Landes gehören, das Recht dieses Landes. Diese Bestimmungen versteht man so: W e n n nach dem Recht des „fait générateur" eine unerlaubte H a n d l u n g vorliegt, dann bestimmt das Recht, zu dessen Sphäre die W i r k u n g e n gehören, was gefordert werden k a n n u n d welche Personen es schulden. 1 3 4 D i e H a f t u n g für unerlaubte Handlungen anderer - bei K o n s t r u k t i o n als solche auch die Organhaftung - liegt m i t h i n i m Wirkungskreis des Rechtssphären-Prinzips, u n d die Entscheidung des H o f A m s t e r d a m ist nur ein Beispiel dafür.

127 Vgl. z.B. Lemaire, S. 277 (die traditionelle Anknüpfung formulierend, die er anschließend auf S. 284, 2. Absatz verfeinert): Das Recht des Landes, in dem eine Tatsache stattfindet, bestimme „of dit feit een aansprakelijkheid uit onrechtmatige daad oplevert en welke verbintenissen (tussen welke personen) daaruit voortkomen." (Herv. hinzugefügt). 128 Wiedergegeben in den Entscheidungsgründen von Höge Raad, 18.4.1958, NedJ 1958 Nr. 308, S. 641 - 655. 129

S. 643 sub 5. und 6. S. 645 sub 14. 131 Vom 15. 3.1950 (Text bei Makarov, Bd. 2, Texte der Staatsverträge, S. 126 138); weiteres bei Kegel, LB, § 4 I I I . 2., S. 145f. 132 Lemaire, 282, Fn. 16. 133 In den authentischen Texten heißt es: „les conséquences der l'acte illicite" bzw. „de gevolgen van de onrechtmatige daad". 134 Lemaire, S. 282. 130

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V i l i . Italien In Italien hängt die Anknüpfung der Organhaftung anscheinend davon ab, wie man Art. 17 Abs. 1 der „disposizioni preliminari" auslegt. Art. 17 Abs. 1 unterstellt die „capacità" einer Person dem Recht des Staates, dem die Person angehört. Nach den erreichbaren Stellungnahmen ist mit „capacità" nur die Personeigenschaft als solche bzw. die Handlungsfähigkeit („capacità di agire") gemeint, nicht aber die (besondere) Fähigkeit, durch unerlaubte Handlungen Pflichten auf sich zu nehmen. Über die Organhaftung entscheidet also das Recht, das über die Außenbeziehung herrscht, für die sie in Betracht kommt. Dabei versteht man die Zurechnungsvoraussetzungen, daß die belangte Personenverbindung eine Rechtsperson und der Täter ihr Organ ist, offenbar als Sachnormen-Vorfragen. Denn über sie soll das Personalstatut der Personenverbindung (Art. 17 Abs. 1) entscheiden. 135 Capotorti allerdings befürwortet die Anwendung des Personalstatuts allein: Es gehe um eine Frage der inneren Struktur und um die Rückwirkung der unerlaubten Handlung des Organs auf die juristische Person. 136 . IX. U.S.A. 1. Vorbemerkung und Überblick

Zwei große Kräfte beherrschen das Bild der amerikanischen Lösungen: Zunächst eine Regel des ersten Restatement; dann, ab den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts, jene der „neuen Ansätze", die das anwendbare Recht so wählen wollen, daß die rechtspolitische Absicht („policy") des interessierten unter den beteiligten Staaten zum Tragen kommt. Die „neuen Ansätze" berücksichtigen eine für uns ungewöhnliche Vielzahl von „Rechtswahlfaktoren". Die Gerichte müssen deshalb oft nicht „qualifizieren", d.h. wählen zwischen „Statuten" und deren eng umrissenen Anknüpfungsbegriffen. 137 Auch ist die Rationalität der Fallrechtsentwicklung eine andere als bei uns: Weniger die „Statute" in sich oder bestimmte Anknüpfungen unter sich müssen widerspruchsfrei sein als vielmehr die „policy"-Bewer135 Balladore-Pallieri, Nr. 123, S. 360f.; Venturini, Nr. 120, S. 305f.; Vitta, S. 517f., insbes. Fn. 185. Man beachte: Organhaftung ist nicht Haftung für einen anderen, sondern, wie in Frankreich, Eigenhaftung der juristischen Person (Art. 2043 Codice civile); vgl. Corte di Cassazione, 11.7.1957, Giur. Civ. 195711483 (insbes. 1484 links). 136 S. 254f. 137 Kann man z.B. bei der Anknüpfung von Deliktsansprüchen sowohl den Ort der Schädigung als auch das Gründungsrecht oder den Sitz der belangten Gesellschaft berücksichtigen (vgl. Restatement [Second] of Conflict of Laws § 145 [1971]), so verliert die Qualifikation eines Ersatzanspruchs als delikts- oder gesellschaftsrechtlich an Bedeutung.

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tungen, die ihnen zugrunde liegen. Rechtspolitische Bewertungen, die mit unserer Frage scheinbar nichts zu tun haben (z.B. Anknüpfung der Haftung des Fahrers gegenüber dem Mitfahrer), werden für eben diese aufgegriffen und an ihr fortentwickelt; scheinbar sich stoßende Anknüpfungen (z.B. Begünstigung von Bürgern des Gerichtsstaats und Benachteiligung von Fremden) werden erklärt durch die Harmonie der zugrunde liegenden „policy"Bewertungen. Man muß folglich bei der Betrachtung neuerer amerikanischer Entscheidungen den Wechsel des Hintergrunds beachten: Er ist nicht statutarisch, sondern staatspolitisch; es geht um rechtspolitische Absichten und die Interessen an ihrer Durchsetzung. Die Rechtswahl für die Haftung von Gesellschaften für ihre Leute („vicarious liability" oder „respondeat superior"-Haftung) wird in der Regel nicht problematisiert (unten 5.). Eine Ausnahme bilden die Fälle der „charitable immunity". Einige amerikanische Bundesstaaten haben nämlich den Satz „respondeat superior" zugunsten uneigennütziger Gesellschaften durchbrochen; diese haften für die Deliktstaten ihrer Leute entweder gar nicht oder beschränkt. Die Mehrzahl der Bundesstaaten dagegen läßt uneigennützige Gesellschaften so haften wie alle anderen auch. Für „Konfliktsfälle" gibt es verschiedene kollisionsrechtliche Lösungen (unten 2. und 3.) und eine materiellrechtliche (unten 4.). 2. „Charitable Immunity" unter dem Einfluß des ersten Restatement

Das Restatement of Conflict of Laws (1934), „territorialistisch" nach der Rechtsordnung urteilend, in deren Raum ein Recht entstanden ist („vested rights theory"), bestimmte: " I f an agent of a foreign corporation while acting in the course of his employment commits a tort, the law of the state where the act was done determines whether the corporation is liable for the tort and the extent to which it is liable therefor." 138

Der Boden, auf dem die Regel, mehr statuiert als restatuiert, Gestalt annehmen konnte, waren die Fälle der „charitable immunity".

138 § 166 comment b); ebenso Beale (Verfasser des ersten Restatement), S. 785, § 167.12. Im wesentlichen ebenso, aber weniger einflußreich (weil derzeit nur von dreizehn Bundesstaaten befolgt), Restatement (Second) of Conflict of Laws § 301 comment b) (1971); vgl. auch § 168 für „charitable immunity"; ebenso Reese (Verfasser des Restatement [Second]) in Reese / Kaufman, S. 1143. § 301 bestimmt, daß gegenüber Dritten die Rechte und Pflichten aus einem „corporate act of a sort that can likewise be done by an individual" bestimmt werden „by the same choice-of-law principles as are applicable to non-corporate parties"; alle anderen Fragen sollen dem Gründungsrecht der Gesellschaft unterliegen (§ 302).

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Der erste unter ihnen ist Hinman v. Berkman 139: Der Vertreter einer uneigennützigen Gesellschaft nach dem Recht von New York hatte in Missouri einen Autounfall verursacht. Nach dem Recht von Missouri konnte „respondeat superior" nicht gegen uneigennützige Gesellschaften geltend gemacht werden; allein der Vertreter war haftbar. Dieses Recht wurde angewandt unter Berufung auf die Regel des Restatement: „ . . if the law of Missouri grants immunity from liability for torts against strangers, . . . the foreign corporate defendant may take advantage of the exemption so granted by the laws of that state, though its liability may be otherwise by the laws of its domicile." 1 4 0

In späteren Entscheidungen lag es jeweils so wie in „Hinman": Gesellschaften, die nach ihrem Gründungsrecht hätten haften müssen, wurden nach dem Recht des Unrechtsorts („place of wrong") für immun erklärt 1 4 1 - selbst wenn dies der Rechtspolitik des Forumstaats zuwiderlief. 142 Doch wurde in einem Fall das Recht des Unrechtsorts verdrängt, um statt dessen die Immunitätsregel des Forumstaats anzuwenden. 143

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85 F. Suppl. 2 (W. D. Mo. 1949). In früheren Entscheidungen war die Rechtswahl für „charitable immunity" nicht problematisiert worden; vgl. Webb v. Vought, 127 Kan. 799, 275 P. 170 (1929) (Klage gegen die Heilsarmee, eine „Illinois-Gesellschaft", wegen Autounfalls in Kansas aufgrund von „charitable immunity" nach dem Recht von Kansas abgewiesen); Bodenheimer v. Confederate Memorial Association, 68 F. 2d 507, 510 (4th Cir. 1934) (Immunitätsregel von Virginia [Forum und Deliktsort] angewandt zugunsten einer „Mississippi-Gesellschaft"); Young v. Boy Scouts of America, 9 Cal. App. 2d 760, 51 P. 2d 191 (Cal. Dist. Ct. App. 1935) (Boy Scouts, inkorporiert durch „Act of Congress", genossen Immunität). 140 85 F. Supp. 3. 141 Hooten v. Civil Air Patrol, 161 F. Supp. 478, 481 - 482 (E. D. Wise. 1958) (Immunitätsregel von Wisconsin angewandt auf nichtwirtschaftliche, durch „Act of Congress" inkorporierte Organisation). 142 Jeffrey v. Whitworth College, 128 F. Supp. 219, 221 - 222 (E. D. Wash. 1955) (Anwendung der Immunitätsregel von Idaho auf Gesellschaft nach dem Recht von Washington verletzt nicht die „public policy" des Gerichtsstaats Washington); Kaufman v. American Youth Hostels, 13 Mise. 2d 8, 10 - 13, 174 N. Y.S. 2d 580, 584 - 586 ( N . Y . Sup. Ct. 1957) (Immunitätsregel von Oregon sollte auf Gesellschaften nach dem Recht dieses Staats beschränkt bleiben und auf eine New Yorker Gesellschaft nicht anwendbar sein), modifiziert in 6 A . D. 2d 223, 225 - 228, 177 N. Y. S. 2d 587, 589 - 592 (1958) ( „ . . . we believe that the fact that an institution has been incorporated in another state, and even in a state which in itself has a contrary law of liability, would be completely irrelevant in Oregon", a.a.O. 6 A . D . 2d auf S. 227 - 228, 177 N. Y.S. 2d auf S. 591 592), appeal zugelassen in 6 A . D . 2d 1016, 178 N. Y.S. 2d 623 (1958) (mem.), modifiziert aus anderen Gründen in 5 N . Y . 2d, 185 N.Y.S. 2d 268, 158 N . E . 2d 128 ( N . Y . 1959). 143 Menardi v. Thea. Jones Evangelistic Association, 154 F. Supp. 622 (E.D. Pa. 1957) („wohltätige" Gesellschaft, gegründet in Tennessee, nicht verantwortlich für Autounfall ihres Angestellten in New Jersey, weil „charitable immunity" zur „public policy" des Forumstaats Pennsylvania gehörte); vgl. auch Matute v. Carson Long Institute, 160 F. Supp. 827, 829 ( M . D . Pa. 1958).

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§ 4. Ausländische Stimmen 3. „Charitable Immunity" unter dem Einfluß der „neuen Ansätze"

Was die „neuen Ansätze" 144 für unsere Frage bewirkt haben, zeigt zunächst ein Fall, der einmal vor und einmal nach ihrem Durchbruch in der New Yorker Praxis entschieden wurde. 145 Kaufman ν. American Youth Hostels 146: Lynn Kaufman und Suzanne Blum, zwei Kinder aus New York, beteiligten sich an einer Reise nach Oregon, die von American Youth Hostels, einer Gesellschaft nach dem Recht von New York, veranstaltet wurde und in New York begann und endete. Beim Besteigen eines Bergs in Oregon stürzten beide Kinder ab; Lynn wurde getötet, Suzanne verletzt. Lynns Vater verklagte American Youth Hostels in New York. Er verlor, denn nach dem Tatortrecht von Oregon (anders als nach dem Recht von New York) war American Youth Hostels „immun" („charitable immunity"). Vier Jahre später erging die berühmte Entscheidung des Court of Appeals in Babcock v. Jackson, 147 Der Satz, daß materielle Rechte ausnahmslos nach dem Recht beurteilt werden, in dessen Raum sie entstehen, wurde durchbrochen; unter Ausflüglern mit New Yorker Domizil galt hinfort nicht mehr in jeder Beziehung das Recht des Ausflugs· und Unfallstaats (in „Babcock": Haftungsausschluß durch das damalige „guest passenger statute" von Ontario), sondern, soweit es besser paßte, das Recht von New York. Die analoge Beschaffenheit des Youth-Hostel-Falls lag auf der Hand. Im Zeichen von „Babcock" klagten jetzt auch Suzanne Blum und ihr Vater in New York gegen American Youth Hostels. Diesmal ließ der Supreme Court von New York die Verteidigung mit „charitable immunity" nicht gelten: Nach „Babcock" gelte das Recht von New York.148

„Blum" war der vorsichtige Ausnahmeentscheid eines Untergerichts, und er war zu erwarten gewesen (und leicht zu begründen) dank der vorgegebenen Regel aus „Babcock" (gemeinsames Domizil im Gerichtsstaat kann stärker verknüpfen als der Unrechtsort). Zu einer von Grund auf neuen, sogenannten 144

Überblick bei Kegel, L B , § 3 X. 2. b), S. 121 - 123. New York war der erste Bundesstaat, der ausdrücklich den Versuch einer Abkehr von den Anknüpfungen des (ersten) Restatement unternahm. Babcock v. Jackson (dazu sogleich bei Fn. 147) ist nicht der Anfang, sondern der berühmt gewordene Höhepunkt dieser Entwicklung. 14 6 13 Mise. 2d 8, 174 N.Y.S. 2d 580 (N.Y. Sup. Ct. 1957). 147 12 N . Y . 2d 473, 240 N.Y.S. 2d 743, 191 N . E . 2d 279 ( N . Y . 1963). Die wichtigsten Folgeentscheide sind dargestellt bei Kegel, L B , § 18 I V . 1. b), S. 412ff. Noch am Vorabend von „Babcock" hatte Ehrenzweig geschrieben, es gebe zu unserer Frage keine verbindliche Autorität und deshalb müsse möglicherweise die lex fori entscheiden („basic" oder, später, „residuary rule of the lex fori" [S. 417, Fn. 47; S. 425, Fn. 21; Ehrenzweig hat seine Position selbst zusammengefaßt, S. 349 - 351]). Auf Ehrenzweig hat sich bei uns Grasmann berufen (Rn. 35, 36, für seinen Vorwurf „hoffnungsloser Begriffsjurisprudenz", siehe oben § 3 II. 2.) und in der Schweiz Eppenberger (dazu oben § 4 L 3.). Amerikanische Gefolgschaft fehlt, soweit ersichtlich. 148 Blum v. American Youth Hostels, 40 Mise. 2d 1056, 244 N.Y.S. 2d 351 ( N . Y . Sup. Ct. 1963), bestätigt aus anderen Gründen in 21 A . D . 2d 683, 250 N.Y.S. 2d 622 (1964) (per curiam). 145

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„Rechtswahl-Leitlinien" mehr als irgendwelchen Regeln verpflichteten Lösung kam es erstmals in einem Fall vor dem Supreme Court von Rhode Island, der in seinem Kern so lag wie „Kaufman " „Blum" und „Babcock". Brown v. Church of the Holy Name of Jesus 149: Ein Einwohner von Rhode Island ertrank in Massachusetts, wo er an einem Ausflug unter Leitung der beklagten, in Rhode Island ansässigen Kirche teilgenommen hatte; Massachusetts gewährte ihr „charitable immunity", Rhode Island nicht. Seit Woodward v. Stewart 150 herrschte in Rhode Island der Ansatz von Leflar 151 : Anhand von fünf „Leitlinien" war abzuwägen, welche Rechtsordnung das bedeutsamere Interesse an der Entscheidung der konkreten Rechtsfrage hatte („the more significant interest with reference to the particular issue"). Als Folge von „Woodward " galt zwischen den Parteien der „wrongful death act" von Rhode Island. Doch wollte die Kirche speziell die Zurechnungsfrage nach dem Recht von Massachusetts beurteilt wissen. Damit hatte sie keinen Erfolg: Von Leflars „Leitlinien" waren drei nach Ansicht des Gerichts in casu irrelevant (Voraussehbarkeit der Ergebnisse, Erhaltung der interlokalen und internationalen Ordnung, Vereinfachung der richterlichen Aufgabe) und führten zwei auch für die Zurechnungsfrage zum Recht von Rhode Island: Förderung der Interessen des Gerichtsstaats („The instant relationship was apparently created by Rhode Island; the plaintiff and all defendants are residents of Rhode Island. Hence, only Rhode Island is concerned with the ultimate result." 1 5 2 und Anwendung der besseren Sachnorm („better rule of law").

Das Forum der weiteren Entwicklung ist New York. Drei Fälle ragen heraus. Sie wurden entschieden vor dem Hintergrund der New Yorker „policy", den eigenen Bürgern möglichst vollen Ausgleich ihrer Schäden zu gewähren.^ 1. Rosenthal v. Warren 154: Ein Einwohner von New York verstarb im Krankenhaus in Massachusetts. Seine Witwe klagte wegen angeblicher Fahrlässigkeit der Ärzte gegen das Krankenhaus; das Krankenhaus schützte die „Immunitätsregel" von Massachusetts vor. Anders als in „Babcock" war die Beklagte hier nicht in New York, sondern im Unfallstaat domiziliert. Auf dessen Sachregeln schien das Kollisionsrecht von New York zu verweisen. Denn seit Neumeier v. Kuehner 155, einer Entscheidung, die der Unsicherheit nach „Babcock" ein Ende gesetzt hatte, galten für die Haftung des Fah149

105 R. I. 322, 327 - 331, 252 A . 2d 176,179 - 181 (1969). 104 R. I. 290, 297 - 300, 243 A . 2d 917, 922 - 923 (1968). 151 Kurz vor „Woodward" waren zwei Aufsätze von Leflar erschienen: Choice-Influencing Considerations in Conflicts Law, 41 N. Y. U. L. Rev. 267, 282 - 302 (1966); Conflicts Law: More on Choice-Influencing Considerations, 54 Calif. L. Rev. 1584, 1586 1588 (1966). Mittlerweile scheint der kollisionsrechtliche Ansatz von Rhode Island auf die Linie von New York eingeschwenkt zu sein (was hier nicht nachgewiesen werden kann). 152 105 R. I. auf S. 330, 252 A . 2d auf S. 181. 153 Diese „policy" klingt an in der Verfassung von New York, art. I § 16. 154 374 F. Supp. 522 ( S . D . N . Y . 1974). 155 31 N . Y . 2d 121, 335 N. Y.S. 2d 54, 286 N . E . 2d 454 (N.Y. 1972). 150

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rers gegenüber dem Mitfahrer drei feste Regeln 156 , und deren zweite schien analogiefähig: Der Fahrer haftet nach dem Recht seines Domizils, wenn er die Schädigung im Staat seines Domizils verübt hat. 1 5 7 Dennoch wurde die Verteidigung des Krankenhauses verworfen: „Any doctrine as archaic as this one [„charitable immunity"] . . . does nothing but violate New York's expressed interest in the compensation of its domiciliaries." 158 „Neumeier" wurde interpretiert als Absage an unzeitgemäße Haftungsbeschränkungen fremden Rechts. 1 5 9 1 6 0 2. Rakaric v. Croatian Cultural Club 161 : Ein Junge aus New York folgte dem Aufruf des religiösen Clubs seiner Familie, in New Jersey ein Stück Land zu roden. Dort wurde er bei der Arbeit verletzt. Der Club war nach dem Recht von New Jersey gegründet, entfaltete aber seine Aktivität in New York. Er berief sich auf die Immunitätsregel von New Jersey und wieder verwarf das New Yorker Gericht „charitable immunity" als ein archaisches Prinzip. 162 Die Sachlage ähnelte der in „Rosenthal", doch hatte die Beklagte in „Rakaric" stärkere Beziehungen zum Domizilstaat des Klägers gehabt als in „Rosenthal" (beinahe ein eigenes Domizil). In einem künftigen Fall mit verschiedenem Domizil der Parteien und Schädigung im Domizilstaat des Beklagten könnte „Rakaric" als Fall mit beinahe gemeinsamem Domizil der Parteien „distinguiert" und „Rosenthal" als durch „Rakaric" fortentwickelt vernachlässigt werden. 163 Es würde dann eine Rückkehr zur zweiten „Neumeier"-Regel, zum Recht des Unrechtsorts, möglich. 3. Schultz v. Boy Scouts of America 164: Zwei Jungen aus New Jersey besuchten eine Schule der Erzdiözese Newark, N.J. Einer ihrer Lehrer und zugleich ihr Pfadfinderfüh156 Gegenwärtig sind die „Neumeier"-Regeln in der New Yorker Rechtspraxis das geltende Recht. Sie dienen als Muster und sind nicht auf die Haftung des Fahrers gegenüber dem Mitfahrer beschränkt. 157 31 N. Y. 2d auf S. 128, 335 N. Y. S. 2d auf S. 70, 286 N. E. 2d auf S. 457 - 458. 158 374 F. Supp. 525 - 526. 159 374 ρ Supp. 524; fragwürdig: man lese die dort interpretierte Stelle aus „Neumeier" im Original! 160

Ähnlich Schwartz ν. Boston Hospital for Women, No. 71 Civ. 1562, unveröffentlicht, S. 4 - 6 (S. D. Ν. Y. 1977). Der „Southern District" ging später sogar so weit, eine fremde Immunitätsregel zugunsten solcher Kläger zu unterdrücken, die erst nach Entstehung ihres Klagerechts ihr Domizil in New York bezogen hatten; vgl. Holzsager v. Valley Hospital, 482 F. Supp. 629 (S.D. N . Y . 1979); entgegengesetzt Perloff v. Symmes Hospital, 487 F. Supp. 426 (D. Mass. 1980), weil nach dem dort maßgebenden kalifornischen Kollisionsrecht ein „after-acquired domicile" nicht berücksichtigt werden durfte (seit Reich v. Purcell, 67 Cal. 2d 551, 63 Cal. Rptr. 31, 432 P. 2d 727 [1967]). 161 76 A . D. 2d 619, 430 N. Y. S. 2d 829 (1980). 162 Ein Gegenbeispiel zu „Rosenthal " und „Rakaric" ist Mason ν. Southern New England Conference Association of Seventh-Day- Adventists, 696 F. 2d 135 (1st Cir. 1982) (Kläger aus Maine, Unfallort und Sitz der beklagten Vereinigung in Massachusetts; nach dem Kollisionsrecht von Maine überwogen die Kontakte zu Massachusetts und kam dessen Haftungsbeschränkung für „wohltätige" Gesellschaften zum Zuge). 163 Daß „Rakaric" als Fall mit beinahe gemeinsamem Domizil interpretiert werden kann, zeigt Dowd v. Boy Scouts of America, Ν . Y . L . J . , 13. März 1984, S. 13, 1. Spalte ( N . Y . Sup. Ct. 1984) - ein „charitable immunity "-Fall, in dem der Unrechtsort in New Jersey lag und das Domizil beider Parteien in New York. Das Gericht fand, der Fall sei „Rakaric" analog, und kam so zum Recht von New York.

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rer war der Franziskaner Coakeley. Auf Pfadfinderausflügen im Staat New York mißbrauchte Coakeley beide Jungen sexuell (so sehr, daß einer später Selbstmord beging). Die Eltern verklagten in New Jersey die Erzdiözese, scheiterten aber an der „charitable immunity"-Regel dieses Staats. 165 Darauf verklagten sie in New York die Franciscan Brothers of the Poor, gegründet nach dem Recht von Ohio, und die Boy Scouts of America, gegründet nach Bundesrecht und mit dem Hauptsitz in New Jersey; der Klagevorwurf war, einen sexuell Abartigen beschäftigt zu haben. Sie verloren abermals, denn der Court of Appeals wandte auf beide Beklagte die Immunitätsregel von New Jersey an: In Verhältnis zu den Boy Scouts sei das gemeinsame Domizil der Parteien in New Jersey maßgebend. Das folge im Umkehrschluß aus Babcock v. Jackson (wo das gemeinsame Domizil im Forumstaat New York gelegen hatte). 1 6 6 Das Forum habe kein Interesse an der Anwendung seines Rechts, denn die Immunität wohltätiger Gesellschaften bezwecke nur die Schadensverteilung und nicht die Steuerung menschlichen Verhaltens (sie sei „loss-allocating" und nicht „conduct-regulating"). Im Verhältnis zu den Franziskanern galt an sich die dritte „Neumeier"-Regel. Danach entscheidet im Grundsatz das Recht des Unrechtsorts, wenn dieser und die Domizile der Parteien in drei verschiedenen Staaten liegen. 167 Das Gericht machte jedoch eine Ausnahme. Denn durch Anwendung der Immunitätsregel von New Jersey würden die wohltätigen Aktivitäten der Franziskaner in New Jersey unterstützt und damit das Interesse dieses Staates an der Durchsetzung seiner „policy" gefördert. 168

Wer die drei Fälle studiert, könnte schließen, daß New York die Immunitätsregeln fremder Staaten zugunsten von Klägern aus New York immer, zugunsten von Klägern aus fremden Staaten aber niemals unterdrückt. Doch sollte man sich zurückhalten, aus Entscheidungen Regeln abzuleiten, die sich 164 102 A . D. 2d 100, 476 N. Y. S. 2d 309 (1984) (mit abweichender Meinung des Richters Murphy), bestätigt in 65 N . Y . 2d 189, 491 N.Y.S. 2d 90, 480 N . E . 2d 679 (mit abweichender Meinung des Richters Jason). 165 Schultz v. Roman Catholic Archdiocese of Newark, 95 N.J. 530, 472 Α . 2d 531 (1984). 166 Das Ergebnis entspricht zugleich der ersten „Neumeier"-Regel. 167 Neumeier v. Kuehner, 31 N . Y . 2d auf S. 128, 335 N.Y.S. 2d auf S. 70, 286 N . E . 2d auf S. 458. 168 Ein aufgrund seiner „policy" interessiertes Recht kann, bei Verteilung des Tatorts und der Parteidomizile auf drei Staaten, das Tatortrecht auch in dem Sinne verdrängen, daß es Haftung nicht ausschließt (wie in „Schultz"), sondern begründet. So in Hepp v. Ireland, No. 66 Civ. 2128, unveröffentlicht (S.D.N. Y. 1970): Student aus Illinois verklagt einen Kommilitonen aus New York, mit dem er in Colorado studiert; beide sind in Colorado verunglückt in einem in Kansas versicherten Wagen eines Dritten. Die Haftpflichtversicherer des New Yorkers, die diesen verteidigen, berufen sich auf die Haftungsfreiheit des Fahrers gegenüber dem Mitfahrer nach dem Recht von Colorado. Das Gericht wendet jedoch das Recht von New York an: Die New Yorker Haftpflichtgesetze bezweckten den Schutz des Opfers eines in New York versicherten Autofahrers, wo immer es wohne oder der Unfall sich ereigne. Man stelle sich also vor, die beiden Jungen in „Schultz" hätten in New York gewohnt und wären, bei sonst gleicher Sachlage, auf einem Ausflug in New Jersey mißhandelt worden. Vermutlich hätte dann im Verhältnis zu den Franziskanern das Recht von New York gegolten.

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§ 4. Ausländische Stimmen

von ihrem kollisionsrechtlichen Ansatz her den festen, griffigen Regeln ( „ h a r d and fast rules") gerade verschließen. 1 6 9 4. Materiellrechtliche Lösung Einige Gerichte haben entschieden, die geltend gemachte Immunitätsregel wolle nur auf die Gesellschaften angewendet werden, die nach dem Recht, dem die Regel zugehört, gegründet sind. So zuerst in Heinemann v. Jewish Agricultural Society 170: Eine Gesellschaft nach dem Recht von New York betrieb in New Jersey eine Übungsfarm, auf der sie jüdische Einwanderer auf deren Zukunft als Farmer vorbereitete. Auf dieser Farm wurde Grete Heinemann von einem Angestellten der Gesellschaft verletzt. Das Gericht in New York meinte: Das Recht von New Jersey gewähre seine „charitable immunity" nicht solchen Gesellschaften, die nach dem Recht eines Staates gegründet seien, der sie ihnen verweigere. Für die Beklagte kämen die Rechte von New Jersey und New York folglich zu demselben Ergebnis, und es brauche nicht entschieden zu werden, welches von beiden anwendbar sei. Die Entscheidung ist seit Kaufman ν. American Youth Hostels 171 in New York aufgegeben. Die in ihr gewonnene materiellrechtliche Lösung ist aber bis heute in New Jersey und Pennsylvania geltendes Recht. 1 7 2 Sehr klar formulierte der Superior Court von New Jersey, daß „the State of New Jersey would have no prevalent policy considerations of protecting a foreign corporation from suit when the state of incorporation does not grant that protection." 173 5. Entscheidungen ohne Bezüge zu „charitable immunity " Rechtswahlregeln für „corporate vicarious l i a b i l i t y " i m allgemeinen sind wenig entwickelt. Meist bestimmt das für den Klageanspruch gewählte Recht auch über die Zurechnung; es fehlt an „ d é p e ç a g e " 1 7 4 , an Trennung der Fragen

169 Vgl. Hay du v. Hospital of Joint Diseases Orthopaedic Institute, 557 F. Supp. 577 ( S . D . N . Y . 1983) - eine Entscheidung, die zwar nicht unsere Frage betraf, in der das Gericht sich aber gegen die im Text erwogene Lesart wehrte und nach dem Kollisionsrecht von New York eine New Yorker Haftungsbegrenzung zugunsten eines Klägers aus Connecticut unterdrückte. 170 178 Mise. 897, 37 N. Y. S. 2d 354 (Ν. Y. Sup. Ct. 1942), bestätigt in 266 A . D. 907, 43 N. Y. S. 2d 746 (1943), appeal verweigert in 266 A . D. 941, 46 N. Y. S. 2d 219 (1943). 171 Dazu oben § 4 I X . 3. bei Fn. 146. 172 Prince v. Trustees of University of Pennsylvania, 282 F. Supp. 832 (E.D. Pa. 1968); Wuerffel v. Westinghouse Corporation, 148 N.J. Super. 327, 372 A . 2d 659 (1977); Feniello v. University of Pennsylvania Hospital, 558 F. Supp. 1365 (D. N.J. 1983). 173 148 N.J. Super auf S. 335, 372 Α . 2d auf S. 663. 174 Eine Ausnahme macht Muraski v. William L. Clifford Inc., 129 Conn. 123, 26 Α . 2d 578 (1942) (Haftung einer „Connecticut-Gesellschaft" für ihren Verkaufsagenten

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im Kollisionsrecht. 175 Da die Gerichte in der Regel nur über die Rechtsfragen entscheiden, die ihnen vorgelegt werden 176 , wird die Rechtswahlfrage zuweilen übergangen 177 oder nur mit Blick auf andere Haftungsfragen ge-

nach dem Recht von Massachusetts, wo dieser einen Unfall verursacht hatte; Berufung auf Restatement of Conflict of Laws § 387 [1934]). Die Technik der „dépeçage" - Fälle aufzulösen in einzelne Rechtsfragen und diese, nicht die Fälle im ganzen kollisionsrechtlich einzuordnen - war wohl unvereinbar mit dem ganzheitlich-territorialistischen Ansatz des ersten Restatement. Sie ist in der Nachkriegspraxis beobachtet, theoretisch unter dem französischen Begriff konzipiert und so an die Praxis zurückgetragen worden, und zwar im Zuge der Entwicklung des zweiten Restatement; bahnbrechend war dessen Verfasser Reese in: Dépeçage: A Common Phenomenon in Choice of Law, 73 Colum. L. Rev. 58 (1973). Gegen „dépeçage" wenden manche ein, sie kombiniere einander fremde Regeln und führe damit zu Ergebnissen, die keines der beteiligten Rechte wolle („new substantive law") - und dieser Einwand hat sich entzündet gerade an Fällen haftungsrechtlicher „Immunität". Berühmt wurde Haumschild v. Continental Casualty Co., 7 Wis. 2d, 130, 95 N . W . 2d 814 (1959) („interspousal immunity" für Deliktsanspruch, der kalifornischem Recht unterlag, nach dem ehelichen Domizilrecht von Wisconsin versagt - obwohl Kalifornien sie gewährt hätte). Für die Haftung von Gesellschaften für Repräsentanten vgl. Cavers, S. 34 - 43: Eine New Yorker uneigennützige Gesellschaft, deren Vertreter in Massachusetts ein unregistriertes Fahrzeug mietet und mit ihm schuldlos in einen Unfall verwickelt wird, soll einerseits (entgegen dem Recht von New York) der Gefährdungshaftung für unregistrierte Fahrzeuge nach dem Recht von Massachusetts unterworfen sein und andererseits (entsprechend dem Recht von New York) sich nicht auf die „charitable immunity "-Regel von Massachusetts berufen dürfen. Cavers berichtet, daß Currie und Reese gegen dieses Ergebnis protestierten, weil die Klage nach dem Recht beider Staaten hätte abgewiesen werden müssen. In der Tat wäre ein beiderseitiger Normen Widerspruch unerträglich; davon abgesehen ist aber auch bei uns das Bedürfnis dringend, die Fragestellung zu verfeinern und Haftung und Zurechnung jedenfalls im Ansatz der Anknüpfungen auseinanderzuhalten; dazu oben § 1 I V . und unten § 5 I. 175 Hervorzuheben ist Wallan v. Rankin, 173 F. 2d 488 (9th Cir. 1949) (kalifornische „partnership" nach dem Recht von Oregon haftbar für ihren Partner, der ihr Flugzeug über Oregon zum Absturz gebracht hatte). Vgl. ferner Bradbury ν. Central Vermont Ry., Inc., 299 Mass. 230, 233, 12 N . E . 2d 732, 733 - 734 (1938) (Zurechnung falscher Auskunft nach dem Recht des Unrechtsorts Vermont); Dennler v. Dodge, 201 F. Supp. 431, 436 - 437 (S.D. Conn. 1962) (Vermutung nach dem Recht des Unrechtsorts Connecticut, daß der schuldige Fahrer als „agent" seiner Arbeitgeber-Gesellschaft und in Ausübung seiner Arbeitspflichten gehandelt habe); Doody v. John Sexton & Company, 411 F. 2d 1119, 1121 - 1122 (1st Cir. 1969) (falsche Zusicherung durch Funktionäre in Massachusetts wurde deren Gesellschaft in Chicago zugerechnet; maßgebend für die Deliktsklage im ganzen war das Recht von Massachusetts) ; St. Louis Union Trust Company v. Merill Lynch, Pierce, Fenner & Smith, Inc., 412 F. Supp. 45, 60 - 61 (E. D. Mo. 1976) („stock repurchase"-Fall; „common law fraud" der „officers" und „directors" durch unterlassene Aufklärung über Aktienpreisentwicklung und „vicarious liability" ihrer „Delaware-Gesellschaft" nach dem am bedeutsamsten verbundenen Recht von Missouri), aufgehoben aus anderen Gründen, 562 F. 2d 1040 (8th Cir. 1977), certiorari verweigert, 435 U.S. 925 (1978); Rose Hall Ltd. v. Chase Manhattan Overseas Banking, 576 F. Supp. 107, 126 - 131 (D. Del. 1983) (Deliktsrecht von Jamaica bestimmte, ob Prozeßbetrug eines Direktors in Jamaica dessen Gesellschaft und der beklagten amerikanischen Muttergesellschaft zuzurechnen war). 176 In New York ζ. B. zu Eingang von Klageschrift oder Klageantwort oder in einem Antrag auf Vorabentscheid.

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§ 4. Ausländische Stimmen

stellt 178 , vor allem, wenn die Zurechnung nach Lage der Tatsachen ohne jeden Zweifel zu bejahen 179 oder zu verneinen ist. 1 8 0 In manchen Fällen schließlich entstammten alle zur Wahl stehenden Zurechnungsregeln dem „gemeinen Recht" der Vereinigten Staaten und waren sich so ähnlich, daß unter ihnen nicht gewählt zu werden brauchte. 181

177 Z . B . in S. H. Kress & Co. v. Powell, 132 Fla. 471, 476 - 477, 180 So. 757, 759 760 (1938) („false imprisonment" und „malicious prosecution" eines Kunden durch den Leiter einer Verkaufsfiliale). 178 Z . B . in Kaiser-Georgetown Community Health Plan, Inc. v. Stutsman , 491 A . 2d 502, 507 - 511 (D.C. 1985) („vicarious liability" zweier Gesellschaften aus dem District of Columbia für Kunstfehler der von der einen angestellten Ärzte in Virginia; das Recht des Districts wurde allein mit Blick darauf gewählt, ob die Arzthaftung nach dem Recht von Virginia beschränkt werden durfte oder nicht). 179 Z . B . in Kelly v. Loew's Inc., 76 F. Supp. 473, 482 - 485 (D. Mass. 1948) (da die beklagte Filmgesellschaft die strittige Filmvorführung selbst beabsichtigt hatte, weigerte der Richter sich, auf ihre Bedenken gegen „vicarious liability" näher einzugehen). 180 Ζ. B. in Corporacion Venezolana de Fomento v. Vintero Sales, 629 F. 2d 786,793 795 (2nd Cir. 1980), certiorari verweigert, 449 U.S. 1080 (1981) (schweizerische Bank wurde von dem venezolanischen Garanten venezolanischer „corporate notes" wegen Betrugs belangt; ohne Erfolg: ihren eigenen Leuten war nichts anzulasten, und ihr „business locator" in New York hatte keine Beziehung zu ihr, die Zurechnung gerechtfertigt hätte; ob die New Yorker Gesellschaften des „business locator" für den Leiter der beherrschten venezolanischen Gesellschaft - der Ausgeberin der „notes" - zu haften hatten, sollte nach venezolanischem Recht entschieden werden; insoweit Zurückverweisung); Corporacion Venezolana de Fomento ν. Vintero Sales, 712 F. 2d (2nd Cir. 1983) (zweite Rechtsmittelentscheidung; Ablehnung von „vicarious liability" nach venezolanischem Recht bestätigt). 181 Ζ. B. in Ruberoid Company v. Roy, 240 F. Supp. 7, 9 (E. D. La. 1965), wo offenbar nur das Recht von Florida in Betracht kam, da „Florida jurisprudence adopts the general agency principle that knowledge acquired by an agent while acting within the scope of his employment is imputed to his principal."

§ 5. Staats vertrage und Regel Vorschläge I. Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht1 Nach Art. 8 Nr. 7 des Übereinkommens bestimmt das auf die außervertragliche Haftung anzuwendende Recht (Artt. 1 und 3) „insbesondere" „die Haftung des Geschäftsherrn für seinen Gehilfen". Das Übereinkommen ist jedoch nicht anzuwenden „auf die Haftung für Dritte, ausgenommen die Haftung des Fahrzeugeigentümers oder des Geschäftsherrn" (Art. 2 Nr. 3). 2 Trotz der Wendung „insbesondere" scheint die Haftung juristischer Personen für ihre Organe also dem autonomen Kollisionsrecht der Vertragsstaaten überlassen zu sein. Nach dem Erläuterungsbericht zu dem Übereinkommen ist aber unter der „Haftung des Geschäftsherrn für seinen Gehilfen" auch die „responsabilité d'une personne morale pour ses organes" zu verstehen; die Regel in Art. 8 Nr. 7 entspreche dem „principe pilote de la convention d'assurer l'unité de lois applicables en ce qui concerne les différents coauteurs". 3

I I . Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht4 Auch in diesem Übereinkommen bestimmt das anzuwendende Recht „insbesondere" die Haftung des Geschäftsherrn für seinen Gehilfen (Art. 8 Nr. 7). Wieder rechnet der Erläuterungsbericht dazu auch die Haftung juristischer Personen für ihre Organe: „ I t is clearly desirable that the same law should be applied to determine the liability of both the person who did the act and the person who is claimed to be vicariously liable for the act." 5 1 Vom 4.5.1971; amtliche österreichische Übersetzung ins Deutsche in Jayme I Hausmann, S. 157 ff. 2 Man hat sich auf die häufigeren Fälle der Haftung des Fahrzeugeigentümers und des Geschäftsherrn beschränkt (Batiffol, S. 229), wollte aber andererseits dem anzuwendenden Recht durch Art. 8 den größtmöglichen Anwendungsbereich geben (Batiffol, S. 235). 3 Essén, rapport explicatif, in: actes et documents de la onzième session, S. 213f. sub 10.1. Vgl. auch das Gutachten von Dutoit, in: actes et documents de la onzième session, S. 24f., Nrn. 93,94. 4 Vom 21.10.1972; französischer und englischer Text in RabelsZ 37 (1973), S. 594ff. 5 Reese, explanatory report, in: actes et documents de la douzième session, S. 266 sub 8 (7).

8 Schohe

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§ 5. Staatserträge und Regel Vorschläge

I I I . Vorentwurf eines EWG-Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht6 Der Vorentwurf baute im internationalen Deliktsrecht auf den Haager Übereinkommen auf, ging aber für die mittelbare Haftung einen Schritt über deren Wortlaut hinaus: Nach Art. 11 Nr. 7 des Vorentwurfs bestimmt das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Art. 10) nicht mehr nur „die Haftung des Geschäftsherrn für seinen Gehilfen", sondern wieder „insbesondere" - „die Haftung für Handlungen Dritter" schlechthin.7 Dazu gehört m.E. auch die Haftung juristischer Personen für ihre Organe. Aus der Aufzählung deliktsrechtlich anzuknüpfender Fragen in Art. 11 sollte man nicht den Umkehrschluß ziehen, daß die „Deliktsfähigkeit" juristischer Personen im Vorentwurf nicht geregelt und weiter nach nationalem Kollisionsrecht zu beurteilen sei.8 Denn damit verlöre die Erweiterung des Wortlauts in Art. 11 Nr. 7 viel von ihrem Sinn. 9 Auch wäre Art. 14 des Vorentwurfs nicht mehr verständlich. Danach soll unter anderem Art. 11 nicht angewendet werden auf die Organhaftung juristischer Personen des öffentlichen Rechts. Das setzt voraus, daß Art. 11 auf die private Organhaftung anwendbar bleibt. Nach Art. 10 Abs. 3 untersteht die „Haftung eines Dritten für den Urheber" einem anderen Recht als die Haftung des Urhebers selbst, wenn es zwischen dem Geschädigten und dem Urheber eine gemeinsame Anknüpfung gibt und diese eine stärkere Beziehung zu dem anderen Recht begründet. Darin liegt anscheinend eine Abweichung von den Haager Vorbildern. I V . EWG-Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen10 Nach Art. 1 des Übereinkommens sind bestimmte Gesellschaften und gleichstehende juristische Personen (Art. 2) anzuerkennen, wenn sie nach

6 Text in RabelsZ 38 (1974), 211 ff. Der Vorentwurf ist mittlerweile überholt durch das EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (deutsche Originalfassung in Jayme / Hausmann, S. 105ff.), das in die Artt. 27 - 37 EGBGB übernommen worden ist. 7 Im übrigen hat die Expertenkommission der E W G fast wörtlich Art. 8 des Straßenverkehrsübereinkommens übernommen (Overbeck / Volken, S. 70 vor Fn. 53). 8 Diese Gefahr sehen Overbeck / Volken, S. 72 und Heller, S. 129 für die Deliktsfähigkeit natürlicher Personen. In der Tat soll für die „Handlungsfähigkeit" natürlicher Personen das nationale Kollisionsrecht maßgebend bleiben; vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a des Vorentwurfs und Siehr, S. 581. 9 Vgl. die Bemerkungen zum Begriff der „Haftung Dritter" in Art. 140 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes (oben § 4 I. 4.). 10 Vom 29.2.1968; deutscher Text in Jayme / Hausmann, S. 48ff.

IV. EWG-Übereinkommen über die Anerkennung von Gesellschaften

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dem Recht eines Vertragsstaats gegründet sind und im Geltungsbereich des Übereinkommens ihren Sitz haben. 1. Die Bedeutung der Anerkennung für die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts und der Organhaftung

Art. 1 wirft zunächst zwei Fragen auf: Erstreckt sich die Anknüpfung an das Gründungsrecht auf das Gesellschaftsstatut im ganzen (und betrifft sie die Anerkennung nur als dessen Anwendungsfall)? Und wenn ja: Gehört zu diesem Gesellschaftsstatut die Organhaftung? 11 M . E . ist schon die erste Frage zu verneinen. Das Gesellschaftsstatut ist Inbegriff der gleichen Anknüpfung verwandter Fragen. 12 Es ist nicht selbst der Anknüpfungsgegenstand. Die Vielfalt gesellschaftsverbundener Fragen verlangt Offenheit im IPR und erlaubt nicht, die Wahl ihrer Anknüpfung von vornherein auf wenige, für die Statute im ganzen entwickelte Anknüpfungsbegriffe zu beschränken. Die Anerkennung präjudiziert deshalb nicht die Anknüpfung sonstiger gesellschaftsverbundener Fragen. Dieser Standpunkt ist außerhalb des Übereinkommens anfechtbar. Für viele ist die Anerkennung untrennbar Teil des Gesellschaftsstatuts. Drobnig z.B. schließt aus der Überflüssigkeit eines staatlichen Anerkennungsakts 13 auf die der Anerkennung selbst; für ihn geht es allein um die Anwendung eines ausländischen Rechts - des Gesellschaftsstatuts - auf die Gesellschaft. 14 Allein, wenn das Übereinkommen sich auf die Anerkennung und deren Wirkungen beschränkt 15 , so hält es diese der gesonderten Behandlung für fähig und bedürftig. 16 Der Streit um die Absonderung der Anerkennung ist für das Übereinkommen erledigt, denn es hat ihn entschieden.

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Nach dem Begleitbericht von Goldman scheint auf beide Fragen eine positive Antwort möglich: „Cette loi [seil.: celle de la constitution] est en effet compétente pour régir leur statut personnel, dont la capacité est un des éléments." (zitiert nach Drobnig, Anerkennung von Gesellschaften, S. 127, Fn. 89). Vgl. aber Goldman, S. 216 (Beschränkung des Übereinkommens auf die Anerkennung). 12 Ähnlich Dorait, S. 183; dazu oben § 4 II. 1. bei Fn. 58. 13 Vgl. z.B. Art. 1 des Übereinkommens: „ohne weiteres". 14 Drobnig, Kritische Bemerkungen, S. 105 - 113, eigene Stellungsnahme S. 110 113, Zusammenfassung S. 119; ähnlich Kegel, LB, § 17 II. 2., S. 340. Entsprechend hat sich Beitzke, Handelsgesellschaften, S. 95 für eine Erstreckung des Übereinkommens (und des Gründungsrechts) auf das Personalstatut ausgesprochen. Wie hier dagegen Großfeld, Anerkennung, S. 1 - 3 und Staudinger / Großfeld, IntGesR, Rn. 135 - 149. 15 Wortlaut und Systematik des Übereinkommens sind so unzweifelhaft auf die Anerkennung beschränkt, daß der Stelle aus dem Begleitbericht (soeben in Fn. 11) keine Bedeutung zukommt. 16 Die Absonderung der Anerkennung wird bestärkt durch einen Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Hachenburg / Behrens, Einleitung, Rn. 96): Für Personenverbindungen mit Sitz in der Bundesrepublik gilt das zwingende deutsche Recht, 8*

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§ 5. Staats Verträge und Regel Vorschläge 2. „Deliktsfähigkeit" einer Gesellschaft oder juristischen Person als Folge ihrer Anerkennung

Es bleibt die Frage, ob die Haftbarkeit anerkannter Gesellschaften für ihre Organe - genannt „Deliktsfähigkeit" - eine Wirkung der Anerkennung und deshalb nach dem Gründungsrecht zu beurteilen ist (Art. 6 - 8 des Übereinkommens). 17 Begrifflich liegt das nahe: Nach Art. 6 haben anerkannte Gesellschaften „Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit" im Rahmen des Gründungsrechts. Zur Handlungsfähigkeit („capacité") gehören Geschäfts- und Deliktsfähigkeit. Da die Geschäftsfähigkeit in Art. 6 besonders benannt ist, hat der Zusatz der Handlungsfähigkeit nur mit dem Inhalt der Deliktsfähigkeit einen selbständigen Sinn. Dieser Schluß geht jedoch fehl. Aus den Begriffen des Übereinkommens darf nicht auf Rechtsfolgen geschlossen werden, die das Übereinkommen gar nicht zu regeln bezweckt. Zu diesen Rechtsfolgen gehört die Deliktsfähigkeit. 18 Das Übereinkommen will ausländischen Gesellschaften nur das Notwendigste: die rechtliche Existenz und die existenznotwendigen Fähigkeiten sichern (z.B. Geschäftsfähigkeit). Deliktspflichten bedürfen dieser Sicherung nicht, denn jeder Staat wird sie von sich aus statuieren. 19 Für sie gilt weiter das IPR der Vertragsstaaten. V . Der Vorschlag der International Law Association Die International Law Association hat ihre Beratung des internationalen Gesellschaftsrechts in ihrer 49. Sitzung (Hamburg 1960) mit einem Abkommensentwurf abgeschlossen. Dessen Art. 7 lautet: Section I: " I n relation to acts of the company's organs violating the provisions of company law, the (personal) law of the company decides whether the act is an act of the selbst wenn die Anerkennung allein von einem ausländischen Gründungsrecht abhängt (Art. 2 Abs. 2 S. 1 des Zustimmungsgesetzes vom 18.5.1972, abgedruckt bei Jayme / Hausmann, S. 49, Fn. 4). 17 So Scholz I Winter, Einleitung, Rn. 181; ebenso (beiläufig) Drobnig, Anerkennung von Gesellschaften, S. 126; a.a. Beitzke, Handelsgesellschaften, S. 96, vgl. auch S. 92 bei Fn. 10; Robert Müller, S. 103. - Außerhalb des Übereinkommens dagegen soll die Organhaftung sich nach dem Recht des Begehungsorts beurteilen (Scholz / Winter, Rn. 121, vgl. auch Rn. 124, 134). 18 Zu Recht klammert Robert Müller, S. 103 die Deliktsfähigkeit mit der Erwägung aus, die Parteien des Übereinkommens hätten die Abgrenzung von Personal- und Deliktsstatut nicht in ihre Überlegung einbezogen. Doch bewahrheitet sich die Vorhersage von Drobnig, Kritische Bemerkungen, S. 113: „Die Abgrenzung der ,capacité' ist durchaus nicht sicher. Auch wird es unweigerlich zu Spannungen mit den nicht vom Entwurf erfaßten Teilen der Kollisionsnorm für das Personalstatut kommen." 19 Vgl. Goldmann, S. 217: Es sei schwer vorstellbar, daß eine Rechtsordnung einer Gesellschaft, die geschäftsfähig sei, die Deliktsfähigkeit abspreche. Vgl. auch unsere Überlegungen unten § 7 I I I . 1. c) cc).

117

VII. Die siebte Haager Konferenz

company and whether the company or the organ is solely or whether they are jointly liable. Section II: " I n relation to other unlawful acts of the company's organs, the law of the place where the act has been committed determines the three questions mentioned in section I . " 2 0 V I . D e r Vorschlag des Institut de Droit International Das Institut hat am 11.9.1969 eine Entschließung über internationales Deliktsrecht

verabschiedet.

Die

einschlägigen

Artikel

haben

folgenden

Wortlaut21: Article premier Les obligations délictuelles sont en principe soumises à la loi du lieu où le délit a été commis. [Es folgen „Auflockerungen".] Article 4 Les principes exprimés aux articles premier, 2 et 3 s'appliquent à toutes les questions que soulève la responsabilité délictuelle, et notamment: c) à la question de la capacité délictuelle, y compris celle des mineurs et aliénés, et des personnes morales; e) aux questions de la responsabilité du fait d'autrui, y compris celle d'un commettant du fait de ses préposés et d'une personne morale du fait de ses organes, . . . Ü b e r die H a f t u n g aus der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften heißt es i n der Entschließung v o m 1 0 . 9 . 1 9 6 6 2 2 : Article 13 La responsabilité encourue du chef de violations de la loi de la société est régie par la loi de la société. V I L D i e siebte Haager Konferenz für I P R (9. bis 31. Oktober 1951) D i e zweite Kommission der siebten Haager Konferenz erörterte internationales Gesellschaftsrecht. Ihre A r b e i t war durch einen Fragebogen vorbereitet worden, den die Regierung der Niederlande den Regierungen der Teilnehmerstaaten vorgelegt h a t t e . 2 3 Frage 15 lautete: 20 The International Law Association, Report of the 49th Conference held at Hamburg, August 8th to August 12th, 1960, Resolution, International Company Law, S. IXff. 21 Ann. Inst. Dr. Int. 53 I I (1969), S. 370 - 374. Die veröffentlichten Materialien geben keinen Aufschluß über die Erwägungen für die vorgeschlagene Anknüpfung der Organhaftung. 22 Ann. Dr. Inst. Int. 51 I I (1965), S. 263ff.; deutsche Übersetzung in RabelsZ 31 (1967), S. 549ff.

118

§ 5. Staatserträge und Regel Vorschläge

„D'après qu'elle loi se détermine la responsabilité, vis-à-vis des tiers, de la société, de ses organes et représentants?" 24 D i e deutsche Bundesregierung antwortete: „Die Verantwortlichkeit der Korporationen für Handlungen ihrer Organe und Vertreter sollte sich nach Ansicht der Bundesregierung gleichfalls 25 nach dem Personalstatut richten. Jedoch sollte gutgläubigen Dritten derjenige Schutz zugebilligt werden, der ihnen nach dem Rechte des Landes, in welchen die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen ist, Korporationen gegenüber zusteht, deren Organe oder Vertreter ihnen unter dem Gesichtspunkt der Vertragsverletzung oder der unerlaubten Handlung Schaden zugefügt haben. Es ist dies der Gedanke, welcher der Vorschrift in Art. 7 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zum Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch zugrundeliegt." 26 D i e Mehrheit der anderen Regierungen vertrat, vereinfacht u n d zusammengefaßt, dieselbe Ansicht: I m Grundsatz entscheide das Personalstatut; ausnahmsweise dürfe der Staat, i n dem für die Gesellschaft gehandelt w i r d , seine E i n w o h n e r schützen. 2 7 Z w e i Regierungen entschieden kurzerhand für das Personalstatut 2 8 , zwei andere kurzerhand für das deliktische bzw. vertragliche Haftungsstatut. 2 9 Eine Regierung war für das Recht des Vertragsstaats, der als erster die Rechtspersönlichkeit der K o r p o r a t i o n anerkannt h a t . 3 0 23

31

Documents, S. 40 - 43. Die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf die „documents", soweit nicht anders angegeben. 24 Scheinbar denselben Gegenstand betraf Frage 5, die vom Begriff der „personnalité" ausging: „ . . . Comporte-t-elle encore la responsabilité de la société vis-à-vis des tiers pour les faits et negligences de ses organes et représentants (gérants, administrateurs, conseil de surveillance e.a.)?" 25 „Gleichfalls" bedeutet: ebenso wie die Form der Errichtung (Frage 13) und die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Gesellschaftern und zwischen ihnen und den Organen der Gesellschaft (Frage 14). 26 S. 116. Die Rolle des angeführten Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. haben jetzt Artt. 7 Abs. 1 S. 1 und 12 S. 1 EGBGB übernommen. 27 Das Schutzvorrecht wurde besonders für die Fälle der Deliktshaftung gefordert. Vgl. Belgien, S. 174f. (die „loi nationale" der Gesellschaft entscheide über vertragliche Verpflichtungen durch die Organe, das Deliktsstatut über die deliktische und quasideliktische Haftung für Organe und Gehilfen); Japan, S. 349 (grundsätzlich Geltung des Rechts, das der Gesellschaft Rechtspersönlichkeit verleiht, aber Berufung des Geschädigten auf das Recht des Staates möglich, in dem die Anerkennung beansprucht wird); Niederlande, S. 410 und Schweiz, S. 448 („loi de la constitution et du siège", doch Deliktshaftung nach dem Deliktsstatut). 28 Spanien, S. 227 („ley del lugar de la sede real", vgl. Frage 6); Italien, S. 322 („loi de la constitution et du siège"). 29 Frankreich, S. 265; Großbritannien, S. 295. 30 Österreich, S. 150f. Ausgangspunkt war die Antwort auf die Frage nach der Anerkennung (Frage 6): Anerkennung in einem Vertragsstaat soll Anerkennung in allen anderen Vertragsstaaten nach sich ziehen (S. 149). 31 Die skandinavischen Regierungen ließen den Fragebogen aufgrund gemeinsamer Beratung unbeantwortet. Er habe für sie keine praktische Bedeutung; auch fehlten Gerichtsentscheidungen (Dänemark, S. 205; Finnland, S. 246; Norwegen, S. 392; Schweden, S. 428).

VII. Die siebte Haager Konferenz

119

Bei der Bewertung dieser Stellungnahmen ist Vorsicht geboten. Die Formulierung von Frage 15 könnte verhindert haben, daß man zwischen der Haftung, der Haftungszurechnung und der gesetzlichen Vertretungsmacht der Organe genügend unterschied. 32 Im Verlauf der Konferenz ist es bei den Antworten zu Frage 15 geblieben: Der zugrunde gelegte Bericht einer Expertengruppe des Völkerbundes von 1926, der daran angelehnte Entwurf der Niederlande, die Beratungen der zweiten Kommission, die beiden Zwischenentwürfe, der Abkommensentwurf vom 29.10.1951 selbst - sie alle sind beherrscht von der Kernfrage der Anerkennung und gehen über die Randfrage der Organhaftung hinweg. 33 In der Sitzung vom 20.10.1951 hat die zweite Kommission von der Untersuchung der Frage 15 abgesehen.34 Eine Einigung über die Anknüpfung der Organhaftung wäre wohl schwer gefallen. Die Stellungnahmen der Regierungen zu dieser Frage waren zu verschieden ausgefallen und, mangels entwickelter nationaler Lösungen, zu unsicher. 35

32 Vgl. die „remarques préliminaires", S. 366, und die Antwort von Luxemburg, S. 370: „ I I semble que la réponse doive être la même que celle donnée à la question 14 [dort: „loi de la constitution et du siège"], encore que la portée de la question paraisse douteuse." 33 Völkerbund, S. 129 - 138; niederländischer Vorentwurf, S. 147f.; erster Zwischenentwurf, S. 165f.; zweiter Zwischenentwurf, S. 185f.; Abkommensentwurf, S. 198 - 201 (sämtlich in den „actes"). 34 Actes, S. 177. Das gleiche SchicksaPwiderfuhr sieben weiteren Fragen. 35 Anders Βösche, S. 174, in Übereinstimmung mit dem Konferenzteilnehmer Ernst Wolf, S. 394f.: Die Fragen 13 - 16 seien nicht etwa einem späteren Abkommen vorbehalten; für sie habe sich die Maßgeblichkeit des Personalstatuts von selbst verstanden. Beide Autoren sehen im Glanz des Erreichten die Lücken nicht.

Zweiter Teil

Lösungen § 6. Vorüberlegungen I. Zur Verfeinerung der kollisionsrechtlichen Fragestellung und ihrer dogmatischen Einordnung Wenn aus der deutschen1, schweizerischen 2 und, teilweise, der amerikanischen Rechtsprechung 3 eine Einsicht zu gewinnen ist, dann diese: Die Frage, welches Recht über den Haftungsanspruch entscheide, ist zu grob, um die Zurechnung bereits im IPR in den Blick zu bringen. Sie nimmt, indem sie über die Haftung hinaus deren Zurechnung erfaßt, für diese die Antwort vorweg: Die Zurechnung folgt dem Recht der Haftung. 4 Was deshalb not tut, ist Verfeinerung, ist kollisionsrechtliche Trennung („dépeçage") der Zurechnung von der Haftung, ist die Suche nach einer gerechten Anknüpfung für die Zurechnung allein. Denkt man den an den „Zahl 55"-Fall des Bundesgerichtshofs 5 oder an den „Brown"-Fall des Supreme Court von Rhode Island 6 , so könnte man diese Verfeinerung den Prozeßparteien überlassen. 7 Indes, die Anknüpfung der Organhaftung ist so oft grundlos übergangen worden 8 , daß sie - im doppelten Sinne des Wortes - vom prozessualen Geschick der Parteien nicht abhängen darf. Um der Gleichheit der Ergebnisse willen ist sie für alle Fälle theoretisch vorzubereiten. Verfeinerung bedingt, daß man sich löst von der groben Wahl zwischen Gesellschaftsstatut und Deliktsstatut, zwischen Gesellschaftssitz und Tatort 1 Vgl. die zusammenfassende Bewertung oben § 1 I V . sowie § 1 II. am Anfang, § 1 II. 1. b) vor Fn. 44 und nach Fn. 51, § 1 II. 2. b) und § 1 I I I . 2 Oben § 4 1 . 1. 3 Oben § 4 I X . 5. 4 Vgl. die einleitenden Bemerkungen zur deutschen Rechtsprechung oben § 1 II. am Anfang. 5 Urt. v. 11.1.1955, GRUR 1955, 411 = IPRspr. 1954 - 1955 Nr. 161; dazu oben § 1 II. 1. a) bb) bei Fn. 42. 6 Dazu oben § 4 I X . 3. bei Fn. 149. 7 Vgl. die Äußerung des Praktikers oben § 1 I I I . am Anfang. Vgl. aber andererseits den Luxemburger Treibjagdfall, oben § 4 V I . , in dem das Bezirksgericht Luxemburg von sich aus die Anknüpfung der Organhaftung getrennt hat von der der Deliktshaftung. s Oben § 1 I I . 1. b), § 1 II. 3. b), § 1 II. 4. b).

I. Verfeinerung der kollisionsrechtlichen Fragestellung

121

allein. 9 Gewiß ist es wichtig zu beachten, welche Sachrechtsfragen durch gleiche Anknüpfungen zu einem Statut verbunden sind. (Auch wird im folgenden, dem deutschen juristischen Sprachgebrauch entsprechend, durchweg von Delikts- und Gesellschaftsstatut die Rede sein.) Indes, die Einteilung in Statute ist da zu grob und die Zuweisung zu einem von ihnen ist da nicht ohne weiteres überzeugend, wo die zugewiesene Rechtsfrage mehrere Statute berührt, genauer: mit Rechtsfragen, die zu verschiedenen Statuten gehören, verwoben ist. 1 0 Denn die rechtspolitischen Gesichtspunkte, die in solchen Grenzfällen bei der Anknüpfung zu beachten sind, treten durch die Einteilung in Statute, durch die Homogenität bestimmter anderer Anknüpfungen, nicht genügend hervor. Natürlich sind die zwei Fragen, ob ein Statut (und seine Anknüpfung) auf eine bestimmte Rechtsfrage passe und, umgekehrt, welche Anknüpfung für eine bestimmte Rechtsfrage zu entwickeln sei, logisch dasselbe. Doch verbindet sich mit der ersten Betrachtungsweise die Gefahr jener zu groben Fragestellung, die die deutsche Rechtsprechung immer wieder von einer Lösung abgehalten hat. Zu leicht wird ein Fall im Ganzen einem bestimmten Statut zugeschrieben und bleibt ihm dann in jeder Beziehung verhaftet. Die individualisierende, nur der einzelnen Anknüpfung geltende Betrachtungsweise ist nicht auf die vorgegebenen Anknüpfungsbegriffe der Statute beschränkt und kann deshalb unbefangener als die statutarische das rechtspolitische Für und Wider erwägen. 11 Der dogmatische Ausdruck für den Weg zur Verfeinerung ist „Sonderanknüpfung einer Teilfrage": Aus dem anspruchserzeugenden Sachverhalt wird der Teil, der den Tatbestand einer Organhaftungsnorm ausfüllen soll, ausgegrenzt, um möglicherweise einer anderen Anknüpfung zugeführt zu werden als die übrigen Teile. (Statt dessen könnte man, von den Kollisionsnormen mehr als von den Sachrechtsfragen ausgehend, eine [primäre] Qualifikationsfrage formulieren: Bezeichnet die deliktsrechtliche oder die gesellschaftsrechtliche Kollisionsnorm das auf die Organhaftung anzuwendende Recht? 12 Aber damit schwenkte der Blick auf die Statute allein und würde, wie gezeigt, zu eng.)

9 Vgl. die Bemerkungen zum Verhältnis von Statut und Einzelanknüpfung im Zusammenhang mit dem Anerkennungsübereinkommen der EWG, oben § 5 I V . 1. 10 Vgl. Einleitung. 11 Hierin liegt eine Affinität zum kollisionsrechtlichen Ansatz von New York, und in der Tat: Unbefangenheit von Statuten ist seine stärkste Seite (vgl. die einleitenden Bemerkungen zum amerikanischen Recht oben § 4 IX. 1. und die Darstellung der New Yorker Fallrechtsentwicklung oben § 4 IX. 3. nach Fn. 152; siehe auch oben § 4 IX. 5., Fn. 174 [dépeçage]). Doch sollte am Ende mehr stehen als nur die unsichere Fortschreibung eines Ansatzes von Fall zu Fall: nach Möglichkeit eine feste Kollisionsregel (zur Armut des New Yorker Rechts an solchen Regeln oben § 4 I X . 3. vor Fn. 169). 12 Es ist freilich streitig, ob man die Auswahl der Kollisionsnormen als (primäre) Qualifikation bezeichnen sollte; dagegen Raape I Sturm, § 15 II. 5., S. 279.

122

§ 6. Vorüberlegungen

I I . Normative Vorgaben 1. Das Diskriminierungsverbot in Art. 7 Abs. 1 des EWG-Vertrags

Art. 7 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957 lautet: „Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten."

Nach Drobnig verstößt das IPR der Mitgliedstaaten gegen Art. 7 Abs. 1, soweit es im Wirtschaftsleben an die Staatsangehörigkeit anknüpft. 13 Daher, meint Drobnig, dürften die externen Rechtsverhältnisse juristischer Personen nicht nach dem Sitz- bzw. Gründungsrecht beurteilt werden. 14 Sonst seien ausländische juristische Personen und ihre Rechtsgegner gegenüber inländischen juristischen Personen diskriminiert. 15 Befugnisse und Fähigkeiten der ausländischen juristischen Personen seien vielmehr so anzuknüpfen wie die der inländischen. 16 Unausgesprochene Folge dieser Ansicht ist, daß die Anwendung des Personalstatuts auf die Organhaftung gegen Art. 7 Abs. 1 E WG-Vertrag verstößt. 17 Drobnig kann nicht gefolgt werden. Die juristische Person ist durch alleinige Anwendung ihres Personalstatuts niemals diskriminiert. Nicht diskriminieren heißt: mit der in Art. 220 EWGVertrag programmierten Anerkennung Ernst machen, nicht aber die fremde Personstruktur ignorieren. Der Rechtsgegner der juristischen Person ist durch die Anwendung des Personalstatuts möglicherweise diskriminiert, nämlich gegenüber anderen Teilnehmern des Rechtsverkehrs. Aber sein kollisionsrechtliches Parteiinteresse kann man auch ohne Art. 7 Abs. 1 E WG-Vertrag zur rechten Geltung bringen. 18 Zudem: Mit der Annahme einer Diskriminierung verläßt Drobnig die Denkvoraussetzungen des klassischen IPR. Er meint: Die Anwendung des forumfremden Personalstatuts diskriminiere 1. durch ihre praktische Schwierigkeit 19 , 2. durch Schmälerung der Wettbewerbsfähigkeit der juristischen Person 20 und 3. durch Herstellung materieller Rechtsverschiedenheit in einem Mitgliedsstaat. 21 13

Drobnig, Diskriminierungsverbot, S. 643 vor Fn. 17; zum Wirtschaftsleben als Anwendungsbereich des Vertrags S. 645 f. 14 S. 656. 15 S. 645. 16 S. 652f. 17 Dieselbe Folgerung aus Drobnigs Meinung zieht Guido Meier, S. 275, Fn. 349. 18 Unten § 7 1 . 1. und § 7 1 . 4. 19 S. 644 f. 20 S. 656; Kritik dieser Ansicht unten § 7 1 . 2 . c).

ΙΠ. Der Sinn der Zurechnungsnorm und sein Niederschlag im IPR

123

2. Die Bedeutung des Art. 38 EGBGB (Art. 12 EGBGB a.F.)

Art. 38 EGBGB hindert nicht, die Organhaftung nach einem anderen als dem Recht des Tatorts zu beurteilen. Die Vorschrift geht zwar davon aus, daß Ansprüche aus einer im Ausland begangenen unerlaubten Handlung dem Recht des Tatorts unterliegen. Aber ihr Sinn erschöpft sich im Schutz von Inländern und erzwingt nicht in jeder Beziehung die Geltung des Tatortrechts. Überdies wird Art. 38 EGBGB voraussichtlich aufgehoben werden 22 und hat deshalb für die Zukunft nur noch wenig Gewicht. Allerdings darf eine juristische Person mit Sitz in Deutschland durch ausländisches Deliktsrecht nicht schlechter gestellt werden als nach deutschem Recht. 23 Insbesondere darf ihr (grundsätzlich) nicht die Entlastung für Angestellte versagt werden, für die sie nach ausländischem Recht zwar strikt zu haften hätte, die aber nach deutschem Recht nicht ihre Organe sind. Beispiele: Ohne die Möglichkeit einer Entlastung haftet die juristische Person in Österreich für jeden „leitenden Mann" (auch wenn er nicht ihr Organ ist) 2 4 , in New York für die Fahrlässigkeit (manchmal auch die Vorsatztat) jedes „servant" im Rahmen von dessen Beschäftigung 25 , in Frankreich und Belgien für jeden „préposé", der in der Funktion geschädigt hat, für die er angestellt ist. 2 6

I I I . Der Sinn der materiellrechtlichen Zurechnungsnorm und sein Niederschlag im IPR Manche der vorgestellten Lösungen orientieren sich am Sinn der sachrechtlichen Zurechnungsnorm. In der Tradition der Statutenlehre fragen sie, wel21

S. 543f. Anders als Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25.7.1986 (BGBl. I, 1142) enthält der Regierungsentwurf (dazu oben § 1 II. 1. a) aa), Fn. 29) keine Inländerschutzklausel mehr. Zur Reform vgl. Spickhoff, S. 125, bei Fn. 16. 23 Die Inländerschutzklausel gilt auch zugunsten juristischer Personen mit Sitz im Inland; so Beitzke, Juristische Personen, S. 235 sub 4.; Birk, S. 272 vor Fn. 124; Martin Wolff, § 23 V , S. 119, § 31 I V a , Fn. I l a , S. 167; implizit ebenso R G Z 129, 385, Urt. v. 8.7.1930 - „Norsk Vacuum ./. Eagle Oil", dazu oben § 1 II. 1. a) bb), bei Fn. 31 und O L G Hamburg, IPRspr. 1930 Nr. 155, Urt. v. 18.10.1929, dazu oben § 1 II. 1. a) bb), Fn. 32 als Vorinstanz; B G H , VersR 1958, 109, Urt. v. 12.12.1957, dazu oben § 1 II. 2. a) cc) bei Fn. 65. 24 Näher unten § 6 I I I . 1., insbes. nach Fn. 33. 25 New York hat, mit richterrechtlichen Besonderheiten, die „common law"-Regel über „vicarious liability". 26 Art. 1384 al. 5 Cc. Man nehme etwa an, der Fall der Aachener Kleinbahngesellschaft, oben § 4 V. bei Fn. 115, wäre vor einem Gericht in Aachen verhandelt worden, und die Geschädigten hätten wegen ihrer Verletzungen eine höhere Geldrente verlangt als ihnen nach unserem Haftpflichtgesetz zugestanden hätte (vgl. §§ 1 Abs. 1, 8 und 9 HPflG). 22

124

§ 6. Vorüberlegungen

chen räumlichen Anwendungsbereich die N o r m sich nach ihrem Sinn erheische. Dieser Ansatz führt m . E . zu keiner eindeutigen A n t w o r t auf unsere Frage. Davon abgesehen bestehen generelle Bedenken gegen die Frage nach dem selbstbestimmten Anwendungsbereich des materiellen Rechts. Nach Neuhaus 27 sind es die folgenden: 1. Überbewertung der Interessen des Gesetzgeber-Staats; 2. Unergiebigkeit vieler Gesetze im Hinblick auf ihren räumlichen Anwendungsbereich; 3. Erschwerung der internationalen Vereinheitlichung des IPR. 1. „Eigenhaftung" der juristischen Person als Sinn der materiellrechtlichen Zurechnung: Eine Auseinandersetzung mit der Vorstellung von der Organhaftung in der deutschen Rechtsprechung O f t sieht man den Sinn der Organhaftung darin, die juristische Person bezüglich ihrer Pflichten aus unerlaubten Handlungen gleich wie eine natürliche Person zu stellen. Entsprechend der Prämisse v o n der Wesensidentität beider Persontypen ist die schädigende T a t des Organs eine solche der juristischen Person selbst 2 8 : Das Organ ist nicht Vertreter, sondern T e i l des Rechtsträgers, T e i l der juristischen Person. I n diesem L i c h t bedeutet Organhaftung nicht mehr als daß der juristischen Person ihre eigenen Taten zugerechnet werden. Dafür verwendet man folgerichtig denselben Begriff wie für die biologische Verantwortungsfähigkeit des Menschen: „ D e l i k t s f ä h i g k e i t " . 2 9 Über den Gleichstellungsgedanken hat das Reichsgericht die Organhaftung in das gemeine deutsche Recht eingeführt. 30 Diese Konstruktion hat sich, wiewohl durch § 31 BGB erübrigt, bis heute erhalten. Theoretisch konstruierend legitimierte sich auch das schweizerische Bundesgericht, als es, im Vorgriff auf das Zivilgesetzbuch, die Organhaftung einführte (Organtheorie Gierkes, „Eigenhandeln", Gleichstellungsgedanke [beiläufig]). Es sah aber, Eugen Huber zitierend, schärfer, daß die aufgegriffene Theorie keine Wahrheit an sich enthielt, sondern durch Verkehrsbedürfnisse bedingt war: „Die juristischen Personen würden auch mit Hinsicht auf die vermögensrechtlichen Folgen aus unerlaubten Handlungen ihrer Organe jederzeit unbehelligt bleiben, und nur die Einzelpersonen hätten zu haften." 31 27

§ 4 1 . 1. - 3., S. 30 - 32. * In B G H Z 1, 248 (251), Urt. v. 8. 3.1951 ist die Organhaftung allerdings beiläufig als Haftung für andere Personen charakterisiert und Art. 1384 Cc und § 831 BGB an die Seite gestellt worden. 29 Vgl. zu diesem Begriff auch die Bemerkungen unten § 7 1 . 3 . und § 71. 5. b), nach Fn. 110. 30 Es gibt zahllose Entscheidungen. A m wichtigsten ist R G Z 19, 348, Urt. v. 10.11.1887 mit den drei Kernpunkten: 1. Identifikation der Organe mit der juristischen Person (S. 350 Mitte); 2. Gleichstellung juristischer Personen mit physischen (passim, insbes. S. 349, 351); 3. Unterscheidung zwischen Eigenverschulden durch Willensorgane und Fremdverschulden durch Hilfspersonen (Leitsatz). Vgl. ferner RGZ 29, 141, Urt. v. 31.5.1892 und die Rechtsprechung oben § 11. 3. b), Fn. 117 - 122. 2

III. Der Sinn der Zurechnungsnorm und sein Niederschlag im IPR

125

In Österreich ist der Gleichstellungsgedanke in § 26 S. 2 A B G B niedergelegt. Diese Vorschrift ist unproblematisch als Grund, problematisch dagegen als Grenze der Organhaftung: Wie weit darf man den Kreis der Zurechnungsauslösenden Personen ziehen, ohne das Gleichstellungsgebot zu mißachten oder zu überfordern? 32 Koziol und Welser als Vertreter der herrschenden Literaturmeinung 33 ersetzen den Begriff des „Organs" (§ 31 BGB) durch den „elastischeren" Begriff des „Machthabers" (§ 337 ABGB). Der Oberste Gerichtshof hat die Zurechnung lange auf gesetzliche oder satzungsmäßige Vertreter beschränkt, ist aber durch Annahme von Organisations- und Überwachungsverschulden vielfach zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. 34 Spätestens in der Entscheidung vom 7.6.1980 35 hat er sich der Literaturmeinung geöffnet (Haftung für eine Person, die kein verfassungsmäßiger Vertreter war), wenngleich er auch in ihr den körperschaftlichen Organisationsmangel durchscheinen läßt. Eine Eigenhaftung der juristischen Person enthält schließlich auch, deutscher Vorstellung folgend, die polnische Organhaftungsnorm (Art. 416 Z G B ) . 3 6 Versteht man die Sachnorm so, dann ist ihre A n k n ü p f u n g , anders als die der Fremdhaftung, kein Problem. Welches Recht, wenn nicht das Deliktsstat u t , sollte entscheiden, ob eine Person - sei es eine natürliche oder eine juristische - für ihre eigenen Taten haften muß? So meinte Beitzke (1938) 37 , für die Deliktsfähigkeit des Menschen gelte das Tatortrecht, und es sei nicht einzusehen, warum für juristische Personen etwas anderes gelten solle. Ähnlich sieht es anscheinend das türkische IPR: Urteilsunfähige Ausländer sind der türkischen Billigkeitshaftung nach Art. 54 OR unterworfen, und entsprechend sind juristische Personen in der Türkei deliktsfähig. 38 A b e r die „Eigenhaftung" der juristischen Person ist in Wahrheit nur ein B i l d : Daß ein Mensch durch einen anderen handelt, kann man sich leicht vorstellen; daß ein Kunstgebilde, die juristische Person, durch eines ihrer Mitglieder handelt, dagegen nur schwer. Daher die A n a l o g i e zum Menschen, seinem K ö r p e r u n d seinen O r g a n e n . 3 9 31 BGE 31 I I 707 (710 - 715), Erw. 3, Urt. v. 19.12.1905 (Zitat S. 712); anders früher BGE 16, 812 (814), Erw. 3, Urt. v. 20.12.1890 (juristische Personen seien deliktsunfähig) ; Organhaftung dann aber mangels Organstellung des Handelnden offen gelassen in BGE 20, 955 (959), Urt. v. 19.10.1894 und BGE 20, 1088 (1121 - 1125), Urt. v. 22./23.12.1894 (noch mit Neigung zur „Fiktionstheorie"). 32 Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I I , S. 376 - 378 bei Fn. 3, 6 und 15. 33 Koziol / Welser, 3. Teil, 2. Kapitel, I. C. 4., S. 64f. bei Fn. 66; vollständige weitere Nachweise, auch aus der Rechtsprechung, bei Feil, §§ 1313 - 1315, Anm. 4. 34 Eingeräumt in der Entscheidung vom 30.11.1977, JB1. 1978, 543 (544 links) = EvBl. 1978 Nr. 112, S. 322 (323 rechts); Darstellung der Rechtsprechung bei Rummel / Aicher, A B G B , § 26, Rn. 26. 35 SZ 51 Nr. 80 = JB1. 1980, 482 mAnm Ostheim. 36 Zur Zurechnung in Polen unten § 7 I. 3., Fn. 61. 37 Juristische Personen, S. 138. 38 Özdemir, S. 138 (nach seiner Angabe überwiegende Lehre); vgl. auch die Anschauung von Bartin, dazu oben § 4 I V . , Fn. 79. 39 Der Mensch als Bild seiner Zusammenschlüsse ist eine klassische Vorstellungshilfe. Man denke, um nur ein Beispiel zu geben, an die berühmte Parabel des Menenius

126

§ 6. Vorüberlegungen

Gegen das Bild ist nichts einzuwenden. Aber das, was es rechtlich ausdrückt - kein weiterer Radius sanktionslosen Verhaltens unter dem Schirm der Rechtspersönlichkeit denn als Mensch, deshalb Haftung der Rechtsperson analog dem Menschen - ist nur ein Vergleichsmaßstab und nicht der eigentliche Sinn der Organhaftung. Dieser liegt in der Haftung einer Person für eine andere und, gegenüber der Gehilfenhaftung, im Wegfall des Entlastungsprivilegs. Die Grenzziehung zwischen Organen und Gehilfen ist fließend, und es ist eine Verkürzung, wenn die deutsche Rechtsprechung, wie so oft 4 0 , nur auf die Haftung für Gehilfen eingeht, hinsichtlich der „eigenen" Haftung aber juristische mit natürlichen Personen in eins setzt. Das Bild von der „Eigenhaftung" sollte deshalb nicht bestimmend sein für den räumlichen Anwendungsbereich des § 31 B G B . 4 1 Die Folge wäre, daß unsere Norm über Organhaftung, analog denen über die Deliktsfähigkeit des Menschen (§§ 827 - 829 BGB), von vornherein begrifflich mit dem Deliktsstatut verbunden wäre. Das Handeln durch und die Haftung für einen anderen, der internationalprivatrechtliche Konflikt zwischen der Innen- und der Außenbeziehung, wie er die deutsche Rechtsprechung ansonsten beschäftigt 4 2 , würden durch unseren Sachrechtsbegriff der „Deliktsfähigkeit" ähnlich verdeckt wie durch den der „responsabilité" (Art. 1382 Cc) in Frankreich. 43 Das IPR der Schweiz44 und Österreichs 45 sowie das Anerkennungsübereinkommen der E W G 4 6 zeigen, wie schnell die Sachrechtsbegriffe der „Handlungs-" und „Deliktsfähigkeit" zu einer kollisionsrechtlichen Folge führen können, für die sie nicht konzipiert sind, die Haager Übereinkommen, 47 der Vorentwurf der EWG zum internationalen Schuldrecht 48 und der schweizerische Entwurf eines IPR-Gesetzes49, wie wenig die Unterscheidung zwischen „Eigen-" und „Fremdhaftung" für das IPR besagt und wie schwer sie dort gleichwohl zu überwinden ist.

Agrippa vom Magen und den Gliedern, mit der er die rebellische plebs von der Sezession abgehalten haben soll (494 v. Chr.). 40 Oben § 1 II. 2. b) aa); siehe auch § 1 II. 1. a) bb) und § 1 II. 4. a). 41 Vgl. auch unten § 8 I I I . 2. b) bb) bei Fn. 109 - 113. 42 Oben § 2 am Anfang. 43 Oben § 4 I V . bei Fn. 91 und unsere Überlegung dazu oben § 4 IV. nach Fn. 100. 44 Oben § 4 I. 1. bei Fn. 17 - 20. 45 Oben § 4 II. 1. bei Fn. 54 - 56; § 4 II. 2. bei Fn. 60. 46 Oben § 5 IV. 2. 47 Oben § 5 I. und II. 4 * Oben § 5 III. 49 Oben § 4 1 . 4 .

III. Der Sinn der Zurechnungsnorm und sein Niederschlag im IPR

127

2. Rechtsgüterschutz als Sinn der materiellrechtlichen Zurechnungsnorm: Eine Auseinandersetzung mit der Lösung von Beitzke (1977)

Die Organhaftung erweitert den Kreis der Ersatzpflichtigen. Damit werden Rechtsgüter wirksamer vor Verletzungen bewahrt (weil mehr Personen abgeschreckt werden) und, wo beschädigt, mit größerer Sicherheit wiederhergestellt (weil die Haftungsmasse sich verbreitert). Das ist der Ausgangspunkt von Beitzke 50: Weil die Organhaftung dem Schutz von Rechtsgütern diene, sei die Rechtsordnung, in deren Hoheitsbereich ein Rechtsgut belegen sei, am besten geeignet, es durch Aufstellung einer Organhaftung zu schützen. Die Grundlage für diese Überlegung findet sich in Beitzkes Haager Vorlesung von 1965: „La question fondamentale, à mon avis, n'est donc pas de trouver la place du délit, mais de localiser le droit, bien ou intérêt lésé au moment de la lésion." 51 Beitzkes Folgerung für die Organhaftung ist konsequent; seine Grundlage indes ist angreifbar: Rechtsgüterschutz - präventiv wie kompensatorisch - ist kein Wegweiser zum Recht des Erfolgsorts. Denn er ist Anliegen aller Rechtsordnungen und deshalb kein Kriterium für deren räumliche Abgrenzung. (Z.B. kann französisches Recht so gut wie deutsches ein Grundstück in Deutschland vor Abgasen aus Frankreich schützen.52) Die Frage könnte allenfalls sein, welche Funktion des Rechtsgüterschutzes im gegebenen Fall die größere Bedeutung hat und welches beteiligte Recht sie am besten erfüllt. 53 Im übrigen werden Rechtsgüter nur bedeutsam als Gegenstand von Interessen ihrer Inhaber: Diese erwarten sich Schutz von dem Recht, das ihre Rechtsgüter umgibt. Der Unterschied zu Beitzke scheint gering. Aber wer in Interessen denkt, denkt an Gegeninteressen und kommt in Deliktsfällen zu dem des Schädigers am Recht des Handlungsorts. Damit wird Beitzkes Erfolgsort-Grundlage unsicher. Denn wie man bei der Unrechtslehre schwankt zwischen Erfolgsunrecht und Handlungsunrecht, zwischen kompensatorischem Rechtgüterschutz und Verhaltenssteuerung (bzw. Schutz des verkehrsrichtig Handelnden) 54 , so schwankt man im IPR zwischen dem Schutz

50

FS Mann, S. 113 unten ff., insbes. S. 116 - 118; siehe oben § 3 I. 1. bei Fn. 3. Recueil, Nr. 25, S. 85f. Gründe: Ohne Eingriff in ein Rechtsgut gebe es keinen Ersatzanspruch. Die Maßgeblichkeit des Erfolgsorts ermögliche eine einheitliche Anknüpfung aller Beziehungen zwischen der Gläubiger- und der Schuldnerseite sowie von Tun und Unterlassen; auch erleichtere sie den Rückgriff (Recueil, Nr. 24 und 27, S. 85 - 87; ebenso in „Auslandswettbewerb", S. 142, sub II. 4.). 52 So in O L G Karlsruhe, Urt. v. 4.8.1977, IPRspr. 1977 Nr. 27 - „Lindan". 53 Auch in der Reformdebatte hat man angenommen, daß in manchen Fällen das Recht des Handlungsorts den wirksameren Rechtsgüterschutz bietet (Spickhoff\ S. 124 f.). 51

128

§ 6. Vorüberlegungen

des Verletzten, der nach dem Recht des Erfolgsorts Ansprüche hat, u n d dem Schutz des Verursachers, dem nach dem Recht des Handlungsorts nichts vorzuwerfen i s t . 5 5 In abstracto

(in faktenarmen Schulfällen wie dem N o t w e h r

schuß über die Grenze) können der Verursacher wie der Verletzte sich gleichermaßen „ i m R e c h t " fühlen u n d sprechen ebenso gute Gründe für das Recht des Handlungsorts wie für das des Erfolgsorts. V o r diesem D i l e m m a findet die länderübergreifende Diskussion u m den T a t o r t oft kein anderes Ende als das ihres Abbruchs durch die nationalen Gesetzgeber. D e r e n Grundsatzlösungen gehen weit auseinander; i m A b s t r a k t e n , Grundsätzlichen scheint die Bestimmung des Tatorts einer schlagenden Lösung entzogen. Die zweite Kommission des deutschen Rats für IPR hat an der überlieferten „Ubiquitätsregel" festgehalten 56 - gegen ihren Gutachter Werner Lorenz 57 und eine Minderheit, die Rechtsgüterschutz nach dem Recht des Erfolgsorts gefordert hatte 58 ; Art. 40 Abs. 1 des Regierungsentwurfs 59 ist diesem Vorschlag der Kommission gefolgt. Die „Ubiquitätsregel" herrscht ferner in Jugoslawien60 und Ungarn. 61 Der Erfolgsort ist maßgeblich in Frankreich 62 und der Türkei 6 3 und war es früher in den U.S.A. (vgl. Restatement of Conflict of Laws § 377 [1934]: „last event necessary to make an actor liable"). Der 54

Kern der Frage ist folgender: Auch ein umfassendes System von Sorgfaltspflichten verhindert nicht, daß zuweilen durch ein Verhalten, das keine Pflicht verletzt, ein Rechtsgut beschädigt wird. Man streitet, ob das Risiko solcher „verkehrsrichtiger" Verletzungen den Verursacher oder den Verletzten trifft (soweit es um Haftung für objektives Unrecht geht). Denn meist werden Verursacher wie Verletzter sich gleichermaßen „im Recht" fühlen können. In der gleichwertigen Vertretbarkeit ihrer Positionen liegt das der Bestimmung des Tatorts ähnliche Dilemma. Der Große Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat vor einer Generation zum Handlungsunrecht geneigt ( B G H Z 24, 21 [26, 28], Beschl. v. 4.3.1957: „verkehrsrichtiges" Verhalten des Verrichtungsgehilfen als Rechtfertigungsgrund), was die Diskussion aber keineswegs beendet hat (vgl. stellvertretend v. Caemmerer, S. 126 - 134 in „Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben" = S. 542 - 551 in „Gesammelte Schriften I"). 55 In der Diskussion um die Bestimmung des Tatorts hat man anscheinend nie empfunden, daß man sich von ähnlichen Wertungen leiten läßt wie bei der Begründung des Unrechts. 56 Art. 3 Abs. 2 der Vorschläge (S. 2 in „Vorschläge und Gutachten 1983"). 57 „Vorschläge und Gutachten", S. 97f., 115 - 117. 58 „Vorschläge und Gutachten", S. 10f. 59 Dazu oben § 1 I I . 1. a) aa), Fn. 29. 60 Art. 1102 des Gesetzes vom 30.3.1978 (interlokal), französische Übersetzung in Rev. er. dr. int. pr. 1981, 382 und Art. 28 Abs. 1 und 3 des Gesetzes vom 15.7.1982 (international), deutsche Übersetzung in IPRax 1983, 6 (7) mit Aufsatz von Firsching IPRax 1983, Iff. 61 § 32 Abs. 1 und 2 der Rechtsverordnung Nr. 13 von 1979 über internationales Privatrecht, französische Übersetzung in Rev. er. dr. int. pr. 1981,167, englische Übersetzung erschienen als „Law Decree No. 13 of 1979 on Private International Law", hrsg. vom Justizministerium der Volksrepublik Ungarn, Budapest 1982. 62 Cass., civ. Ire, 8. 2.1983, Clunet 1984, 123 (125) mAnm Légier („loi du lieu où le dommage a été réalisé"; obiter, aber für die Zukunft bindend, vgl. Légier, S. 131, No. 18). 63 Art. 25 Abs. 2 des Gesetzes über Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht vom 22.5.1982, deutsche Übersetzung in RabelsZ 47 (1983), 131 ff. (135).

III. Der Sinn der Zurechnungsnorm und sein Niederschlag im

I P R 1 2 9

Handlungsort ist maßgeblich in Belgien 64 , Österreich (§ 48 Abs. 1 IPR-Gesetz) und Portugal (Art. 45 Código civil vom 25.11.1966), wobei seine Bestimmung ihrerseits umstritten ist. 65 Schillernd ist die italienische Anknüpfung an das Recht, in dessen Geltungsbereich das Ereignis eingetreten ist, aus dem der Anspruch hergeleitet wird (Art. 25 al. 1 der „disposizioni preliminari" 6 6 ' 6 7 ). Mit Blick auf die starren Fronten scheint es weise, auf eine Grundsatzanknüpfung zu verzichten. So Restatement (Second) of Conflict of Laws § 145 (1971), mit einer Lösung, die scheinbar Unvereinbares miteinander verbindet 68 ; so auch Art. 129 Abs. 2 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes: Das Gleichgewicht der Interessen in abstracto ist aufgehoben in besonderen Fallgruppen, in denen, je nach konkreter Interessenlage, das Recht des Handlungs- oder Erfolgsorts entscheidet; die bisherige alternative Anknüpfung 69 erübrigt sich. Nach all dem w i r d der Begründung Beitzkes

nur folgen, wer sich in der

Maßgeblichkeit allein des Erfolgsorts m i t i h m einig weiß. Das ist eine Voraussetzung, die unser Problem an Bedeutung übersteigt u n d die deshalb die Z u s t i m m u n g zu Beitzkes Lösung erschwert. Beitzkes Anknüpfungsgrundlage ist für die Organhaftung außerdem zu eng. I n d e m Beitzke v o m verletzten Rechtsgut ausgeht und v o n der juristischen Person auszugehen nicht ins A u g e faßt, n i m m t er das Ergebnis - das Recht des Erfolgsorts - vorweg. D i e Organhaftung liegt aber nicht v o n vornherein i m Spannungsfeld zwischen Handlungs- u n d Erfolgsort, sondern, zunächst, i n dem zwischen dem T a t o r t i m ganzen u n d dem Gesellschaftssitz (oder dem Gründungsrecht). Anders gesagt: Es ist nicht sicher, sondern unsere Frage, ob die Organhaftung so überwiegend F u n k t i o n e n des Rechtsgüterschutzes erfüllt (und so wenig F u n k t i o n e n der rechtspersönlichen Organisation), daß sie, wie der Rechtsgüterschutz selbst, dem Deliktsstatut unterfällt. Wieder führt die

64 Kassationshof, 23.11.1962, Rev. Crit. jur. beige 1963, 223 (224) („loi du lieu où le fait générateur de la responsabilité a été commis"). 65 Vgl. einerseits Stoll, FS Ferid, passim, andererseits Kegel, LB, § 18 I V . 1. a) aa), S. 406. 66 Vgl. aber Corte di cassazione, 15.7.1976, Giur. Civ. 1976 I 1782 (1785 - 1787) (Recht des Handlungs- und Recht des Erfolgsorts gleichermaßen berufen; ist aber eines von beiden das [italienische] Recht des Forums, so gilt dieses). 67 Ähnlich die von Lemaire ausformulierte traditionelle niederländische Regel, oben § 4 VII., Fn. 127, und Art. 10 Abs. 1 des EWG-Vorentwurfs über internationales Schuldrecht; Nachweise oben § 5 I I I . , Fn. 6. 68 Aufbauend auf frühen New Yorker Entscheidungen gilt das Recht mit der „most significant relationship to the occurrence and the parties"; das bedeutet Rechtswahl ohne Rücksicht auf den Inhalt der zur Wahl stehenden Rechte. Doch soll die „most significant relationship" bestimmt werden unter Beachtung der rechtspolitischen Absichten („policies") des Forums und der beteiligten Staaten (§ 145 sect. 1, § 6 subsections 2 [b] und [c]); das setzt inhaltliche Würdigung gerade voraus. Zu diesem Widerspruch z. B. Reppy, Eclecticism in Choice of Law: Hybrid Method or Mishmash?, 34 Mercer L. Rev. 645, 655 - 666 (1983). 69 Das Bundesgericht ließ bisher alternativ das Recht des Handlungs- oder Erfolgsorts entscheiden; Nachweise oben § 4 I. 2., Fn. 29.

9 Schohe

130

§ 6. Vorüberlegungen

Konzentration auf das Rechtsgut zur Vernachlässigung von Gegeninteressen, diesmal derer der juristischen Person. Allerdings, die Grundwertung Beitzkes - Rechtsgüter schützt man am besten nach dem Recht ihrer Umgebung - ist wichtig und, zusammen mit anderen Wertungen, in unsere Betrachtung einzubeziehen.70 I V . Internationalprivatrechtliche Interessen (Exkurs) Den räumlichen Anwendungsbereich der Sachnorm nach deren Zweck zu bestimmen, führt, wie gesehen71, zu minderer Aufmerksamkeit gegenüber ausländischen Sachnormen 72 und gegenüber kollisionsrechtlichen Gegeninteressen, die zu fördern der Zweck der Sachnorm nicht verlangt. Auch ist nicht klar, welches Staates Sachnormen zu gelten haben, wenn die Anwendungsbereiche der beteiligten Sachnormen sich nach deren Zwecken überschneiden, und wie der Anwendungsbereich einer Sachnorm zu bestimmen ist, die mehrere Zwecke hat oder, bei Streit oder Ungewißheit über ihren Sinn, den einen oder einen anderen Zweck haben kann. 73 Der Vorzug offenen Abwägens spricht dafür, die Anknüpfung der Organhaftung durch Ausgleich von Interessen an der Geltung verschiedener Rechte zu entwickeln und den Zweck der Sachnorm als Gegenstand eines dieser Interessen einzubeziehen.74 Die Position des Bundesgerichtshofs - genauer: seines 6. Zivilsenats - ist kaum einzuordnen. Während z.B. der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer nach Natur, Aufbau und Zweck der deutschen Sachnorm angeknüpft wurde 75 , spricht aus den Entscheidungen zur sog. „Auflockerung" des Deliktsstatuts mitunter Interessenjurisprudenz: „ . . . jedenfalls muß die Rechtsprechung der Interessenabwägung, auf der das Tatortsprinzip [sie] beruht, und seinen hierdurch gezogenen Grenzen in der Einzel-

70

Unten § 6 I V . vor Fn. 74 und § 7 I. 1. bei Fn. 4. Soeben § 6 I I I . 72 Dies war ein Nachteil der Statutenlehre; u. a. um in- und ausländische Sachnormen mit gleicher Berechtigung anwenden zu können, ist sie überwunden worden. 73 Daß die hermeneutisch-teleologische Methode der Vorgabe eines Sinnelements genannt „Vorurteil" - bedarf, das ist das Problematische an ihr: Unter Verwendung desselben methodischen Hilfsmittels lassen sich mehrere Zwecke (mehrfacher Sinn) in eine Rechtserscheinung hineinlesen, um Ergebnisse zu begründen, die auseinandergehen und dennoch gleichermaßen „Sinn" haben und methodisch legitimiert sind. 74 Kegel, FS Lewald, S. 269: „Der Zweck der Sachnormen besagt also nichts. Er wird nur bedeutsam als Gegenstand bestimmter Interessen und diese gilt es zu finden." (Herv. im Orig.). 75 B G H Z 57, 265, Urt. v. 23.11.1971 = IPRspr. 1971 Nr. 18. Die Begründung konnte denn auch in einem rein sachrechtlichen Zusammenhang aufgegriffen werden; vgl. B G H Z 79, 170 (172), Urt. v. 18.12.1980. Erweiterung der Begründung im Urt. v. 18.12.1973, NJW 1974, 495 mAnm Trenk-Hinterberger = IPRspr. 1973 Nr. 17; als selbstverständlich fortgeführt im Urt. v. 5.10.1976, VersR 1977, 56 = IPRspr. 1976 Nr. 17. Als Kontrast vgl. Soergel / Lüderitz, Art. 12, Rn. 62 (Begründung mit kollisionsrechtlicher Interessenbewertung). 71

IV. Internationalprivatrechtliche Interessen

131

fallanwendung nachgehen." 76 Doch überwiegen die heuristischen Begriffe aus der Literatur (z.B. „Sachgerechtigkeit", „kollisionsrechtliche Schwerpunkte", „räumlich bestes Recht", „Einbettung", „Beziehung"), und das Bild schließt sich am ehesten unter dem ihnen übergeordneten Topos der „most significant relationship." 77 Gegen die Interessenjurisprudenz i m I P R gibt es, soweit zu sehen, drei Einwände: Erstens 7 8 : Interessen k ö n n t e n nicht festgestellt, sondern müßten unterstellt werden; ihre Findung sei deshalb nicht i m m u n gegen V o r u r t e i l u n d Manipulation. I n der T a t kann man Interessen nicht empirisch feststellen. Sie sind keine Tatsachen, sondern W e r t e , die man geltend macht. M a n findet sie durch A b s t r a k t i o n der A r g u m e n t e , die i n den einzelnen Fällen typischerweise vorgebracht werden. Bereits i n ihrer Findung (in der Sonderung des Wesentlichen v o m Zufälligen) u n d nicht erst i n ihrer A b w ä g u n g liegt ein normativer V o r gang. 7 9 Dieser ist, wenn man es darauf anlegt, durchaus durch V o r u r t e i l u n d M a n i p u l a t i o n zu beeinflussen. 8 0 Indes, insofern die Sammlung v o n Interessen die denkbar ausgreifendste, umfassendste sein soll, verbürgt sie besser als die Feststellung nur eines sachrechtlichen Zwecks die O b j e k t i v i t ä t des Entscheidens.

76

Urt. v. 5.10.1976, VersR 1977, 56 rechts. B G H Z 87, 95, Urt. v. 8.3.1983 = IPRspr. 1983 Nr. 31 („Polen-Fall"); Urt. v. 31.5.1983, NJW 1983, 2771 = IPRspr. 1983 Nr. 32 („Ibiza-Fall"); B G H Z 90, 294, Urt. v. 13.3.1984 = IPRspr. 1984 Nr. 29 (jugoslawische Gastarbeiter); „Portugal-Fall": L G München I, Urt. v. 3.8.1982, IPRspr. 1982 Nr. 29, O L G München, Urt. v. 10.12.1982, VersR 1984, 745 mAnm Mansel = IPRspr. 1983 Nr. 29, B G H Z 93, 214, Urt. v. 8.1.1985 (Deutscher in Portugal verletzt durch Spanier, der in Deutschland lebte und mit einer Portugiesin verheiratet war; das Landgericht wandte deutsches Recht an, das Oberlandesgericht portugiesisches - unter Berücksichtigung der deutschen Verhältnisse - , der 6. Zivilsenat wiederum deutsches - als „Regulierungsstatut"; entgegen B G H Z 93, 215f. war die Anknüpfung nicht tragend, da das angefochtene Urteil nach deutschem Recht bestätigt werden konnte). Das Grundsatzurteil vom 5.10.1976 (Fn. 76) hat keine klare Richtung gewiesen; vgl. seine vom 6. Zivilsenat abweichende Interpretation in KG, Urt. v. 24.2.1983, IPRspr. 1983 Nr. 30 (S. 88) und, offenbar, L G Aachen, Urt. v. 14. 6.1984, IPRspr. 1984 Nr. 30 sowie A G Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 31.7.1984, IPRspr. 1984 Nr. 32 (jeweils Unfall zwischen Türken, die in Deutschland lebten, in der Türkei; türkisches Recht angewandt). Zur Position des Bundesgerichtshofs auch unten § 8 I., Fn. 13. 78 Der folgende Einwand ist dem Verfasser in Gesprächen mit deutschen Juristen begegnet. 79 Anders wohl Wieacker, S. 577, insbes. Fn. 48: Die Interessenjurisprudenz müsse einen Sprung vom Sein zum Sollen vollziehen. 80 Bezüglich unserer Frage ist eine positivistisch verpflichtete Interessenjurisprudenz in der Tat fürs erste hilflos und auf originär eigenes Entscheiden angewiesen. Denn im internationalen Delikts- und Gesellschaftsrecht geben das Gesetz (EGBGB i. d. F. vom 25.7.1986) und die gesetzesvertretende Praxis der Obergerichte (oben § 2 zur Anknüpfung sonstiger Zurechnungsformen) nur wenig an Interessen vor. (Allgemein zu diesem Problem Wieacker, § 29 I I I . 3. a), S. 578). 77

9*

132

§ 6. Vorüberlegungen

Zweitens: Spezifisch kollisionsrechtliche Interessen - solche an der A n w e n dung einer Rechtsordnung ohne Rücksicht auf deren I n h a l t 8 1 - „gebe" es n i c h t . 8 2 A l l e i n , auch insoweit geht es nicht u m die Feststellung von „Vorgegeb e n e m " , sondern u m die Schöpfung v o n Werten. Das I P R braucht eigene Werte,

damit

die

Rechtswahl

sich

von

den

Werten

des

heimischen

Sachrechts löst u n d die beteiligten Rechte m i t gleicher Berechtigung wählbar w e r d e n . 8 3 Für diese eigenen Werte setzt man Zeichen (kollisionsrechtliche Partei-, Verkehrs- u n d Ordnungsinteressen), damit man sie zueinander i n Beziehung setzen u n d abwägen kann. Drittens: Parteiinteressen i m grenzüberschreitenden V e r k e h r seien F i k t i o n ; wo ein Staat seine rechtspolitische Absicht m i t einem bestimmten räumlichen Anspruch verfolge, könne sich eine widerstreitende E r w a r t u n g der Parteien nicht e n t w i c k e l n . 8 4 Wieder muß das Werthafte der Interessen betont werden, das möglicherweise beeinflußt, aber nicht schlechthin abhängig ist v o n ihrer empirischen

Feststellbarkeit.85'86

Im

übrigen:

Mit

welchem

räumlichen

Anspruch ein Staat eine privatrechtspolitische Absicht verfolgt, sagt sein K o l l i -

81

Kegel, L B , § 2 I . , S . 73. U m wenigstens eine Gegenstimme zu Wort kommen zu lassen vgl. Leflar, Conflicts Law: More on Choice-Influencing Considerations, 54 Calif. L. Rev. 1584, 1586 1588 (1966): „ I f choice of law were purely a jurisdiction-selecting process, with courts first deciding which state's law should govern and checking afterward to see what that state's law was, this consideration [better rule of law] would not be present. Everyone knows that this is not what courts do, nor what they should do. Judges know from the beginning between which rules of law, and not just which states, they are choosing." 83 Überwindung der Statutenlehre, vgl. oben § 6 III. am Anfang und § 5 IV. bei Fn. 72. 84 In diesem Sinne der Court of Appeals von New York in Miller v. Miller, 22 N . Y . 2d 12, 20, 290 N.Y.S. 2d 734, 741, 237 N.E. 2d 877, 888 ( N . Y . 1968) (Berufung auf Cavers) und Tooker v. Lopez, 24 N. Y. 2d 569, 577 - 578, 301 N. Y. S. 2d 519, 249 Ν. E. 2d 394, 399 ( N . Y . 1969) (Richter Keating in einer von drei Mehrheitsmeinungen). Allerdings, zu den Beschränkungen der Rechtswahl, die der Oberste Gerichtshof aus der Bundesverfassung abgeleitet hat, gehört „due process of law" (U.S. Const, amend. X I V , § 1) - von einigen Richtern zusammen mit „full faith and credit" gelesen (U.S. Const, art. I V , § 1) - in der Bedeutung, daß die Anwendung des Rechts des Forums nicht von Grund auf unfair oder willkürlich sein darf. Dafür kommt es u.a. auf die Erwartungen der Prozeßparteien und die Fairness der Rechtswahl ihnen gegenüber an (Allstate Insurance Co. v. Hague, 449 U.S. 302, 333 [1981] [abweichende Meinung des Richters Powell, der der Chefrichter Burger und der Richter Rehnquist beitraten]; Philipps Petroleum Company v. Shutts, 53 U . S . L . W . 4879 [25.6.1985] [Mehrheitsmeinung des Richters Rehnquist, sub I I I . a.E.]). 85 Freilich werden kollisionsrechtliche Interessen im interlokalen Verkehr der U . S . A . (noch) weniger empirisch feststellbar sein als im internationalen Verkehr. Vor diesem Hintergrund steht der Vorwurf der Fiktion. 86 Gerade rechtspolitische Absichten werden regelmäßig unterstellt („constructive legislative intent" mit der Tendenz „pro-resident, pro-forum-law, and pro-recovery") und sind meist ungeeignet, den räumlichen Anwendungsbereich der Sachregeln zu bestimmen (so - ausführlich und weithin überzeugend - Lea Brilmayer, Interest Analysis and the Myth of Legislative Intent, 78 Mich. L. Rev. 392, 398ff. [1980]). 82

IV. Intemationalprivatrechtliche Interessen

133

sionsrecht (und nicht die privatrechtspolitische Absicht selbst). Unser Kollisionsrecht dient der Gerechtigkeit zwischen Privaten, und auf deren Interessen kommt es folglich an. Die Neigung, das „interessierte" und, weil am meisten „interessiert", das „beste" unter den beteiligten Rechten anzuwenden (meist das des Forums), hat einen Sinn in der amerikanischen interlokalen Ordnung; von jeher ist dort der Wettbewerb der Bundesstaaten um ihre Sachregeln und, letztlich, die „beste" Regel ein Antrieb zur Bereinigung und Fortentwicklung des „gemeinen Rechts" und der Mehrheitsgesetzgebung gewesen. Im internationalen Verkehr dagegen gibt es kein „gemeines Privatrecht" und verdient jede Sachregel bis zur Grenze des ordre public den gleichen Respekt.

§ 7. Grundsätze der Anknüpfung der Organhaftung und der Auslegung der berufenen Sachnorm (entwickelt für Schädigungen infolge eines unvorsätzlichen Zusammenstoßes des Organs mit dem Geschädigten außerhalb einer Sonderbeziehung) Wir untersuchen zunächst den Fall, daß das Organ einer juristischen Person und ein Außenstehender „zufällig", d.h. außerhalb einer Sonderbeziehung und beiderseits ungewollt 1 , zusammengestoßen sind und der Außenstehende dadurch zu Schaden gekommen ist. Zur Illustration: Der Lausanner Dekorateur René Β . hat seinen Betrieb als Familienaktiengesellschaft organisiert („René B. S. Α . " ) . Eines Tages führt er in die Niederlande, um dort den Auftrag eines Kunden auszuführen. Dabei benutzt er, „um bequemer zu fahren", nicht den Lieferwagen, sondern sein Privatauto, das auf seinen Namen versichert ist. Auf der Autobahn in Deutschland verschuldet er einen Auffahrunfall. Der geschädigte Vordermann klagt in Deutschland gegen René Β . , die Versicherung und die „René Β. S. Α . " , die auf der Visitenkarte von René Β . steht. I . Parteiinteressen 1. Interessen des Geschädigten

Der Geschädigte vertraut auf die Anwendung des Rechts, in dessen Hoheitsbereich er sich bewegt.2 (Wir stoßen damit auf einen Leitgedanken der deutschen Rechtsprechung zur Anknüpfung von Zurechnungsfragen. 3) Als Autofahrer auf deutschen Straßen vertraut er z.B. darauf, daß ihm bei einem Unfall Fahrer, Halter und Versicherer Ersatz schulden. Ebenso vertraut er darauf, daß ihm Gesellschaften, die ihre Organe auf die Reise schicken, nach deutschem Recht haften. Man sage nicht, daß ein solches weiteres Haftungssubjekt für den Geschädigten überraschend komme und er mit solchem Glück im Unglück nicht gerechnet habe. Vielleicht ist die Organhaftung in weiten Kreisen nicht so bekannt wie die Haftung des Halters oder der Versi1 Zu dem Fall, daß der Zusammenstoß seitens der juristischen Person gewollt ist, unten § 71. 4., Fn. 84; zu dem Fall, daß er es seitens des Geschädigten ist, unten § 8 V. 2 Das Gesetz schützt das Interesse am Recht der Umgebung vielfach. Vgl. Artt. 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, 11 Abs. 1, 2. Alt., 12 S. 1 EGBGB (ähnliche Auslandsregeln unten § 8 III. 2. a), Fn. 83), Artt. 29 Abs. 1, 30 Abs. 1,31 Abs. 2 EGBGB (ähnliche Auslandsregeln oben § 2 V. bei Fn. 124). 3 Oben § 2 V I .

I. Parteiinteressen

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cherung. Aber das ändert nicht, daß der Geschädigte alles nehmen will, was das ihn umgebende Recht ihm bietet. 4 Dagegen vertraut der Geschädigte nicht auf die Geltung des Personalstatuts der juristischen Person. Natürlich will er, daß ihm möglichst viele Personen den Ausgleich seines Schadens schulden. Aber es interessiert ihn nicht, welches Recht am Sitz (oder im Gründungsstaat) der juristischen Person gilt. Es ist für ihn fremd, zufällig und ohne Beziehung.5 Das Gegenteil vertritt Grasmann 6: Der Geschädigte rechne möglicherweise mit der Zurechnungsregel des Personalstatuts, wenn dieses das Recht des Forums sei und das Recht des Tatorts die Zurechnung ablehne. Denn dann versäume er es unter Umständen, die Organe persönlich in Anspruch zu nehmen. Diese Ansicht ist abzulehnen. Wie immer man die Organhaftung anknüpfen mag, die „schuldigen" Organe werden unabhängig von ihr mitverklagt. 7 Der Kläger will sie als Zeugen ausschließen8 und ihrer Vernehmung als Partei widersprechen können (vgl. § 447 ZPO). Außerdem braucht er Titel, aus denen er in ihre Rechte gegen die juristische Person vollstrecken kann. Zugegebenermaßen hat der Geschädigte ein Interesse an einem Anspruch gerade gegen die juristische Person. Denn er will da einen Titel gegen sie erwirken und da gegen sie vollstrecken, wo ihr Vermögen zu vermuten ist: im Sitz- bzw. Gründungsstaat, der in Grasmanns Hypothese der Forumstaat ist. 9 Dieses Interesse wird vordringlich, wenn die „schuldigen" Organe im Forumstaat nicht genügend Vermögen haben und ihr Verhalten der juristischen Person nach dem Recht des Tatorts nicht zuzurechnen wäre (ζ. B. wegen „charitable immunity"). Dann sucht der Geschädigte nach sonstigen Wegen, um auf das Verbandsvermögen zuzugreifen, und ein solcher wäre die alternative Anwendung des Personalstatuts.

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Es ist dies die Grundwertung von Beitzke; vgl. oben § 6 III. 2. bei Fn. 70. Ebenso für die Mithaftung von Schiffsvermögen B G H Z 29, 237 (243), Urt. v. 29.1.1959 (dazu oben § 2 I. 3., Fn. 12): „Es fehlt an einem ausreichenden Grund, dem durch einen Zusammenstoß mit einem deutschen Schiff in ausländischen Gewässern Geschädigten Ansprüche nach deutschem Recht unter Heranziehung des Schiffsvermögens auch dann zuzubilligen, wenn das Recht des Begehungsortes, das über die Rechtsfolgen des schädigenden Verhaltens befinden soll, solche Haftung nicht kennt." 6 Rn. 36. Näher zu Grasmann oben § 3 I I I . 2. 7 Vgl. die Äußerung des Praktikers oben § 1 III. nach Fn. 154. 8 Seil.: soweit sie nicht ohnehin als Partei zu vernehmen wären. 9 Zum Durchsetzbarkeitsinteresse in dem Fall, daß der Geschädigte zwar im Sitzbzw. Gründungsstaat, aber außerhalb des Forumstaats vollstrecken will, vgl. die Äußerung des Praktikers oben § 1 I I I . bei Fn. 155 und die Überlegungen unten § 7 IV. 5

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Indes, das geschilderte Interesse ist ein materiellrechtliches und kann die Anknüpfung der Organhaftung nicht beeinflussen. Der Geschädigte erstrebt Zurechnung, notfalls nach dem Personalstatut, aber er will nicht die Anwendung des Personalstatuts unabhängig davon, ob es zurechnet oder nicht. Nur wenn gerade die Auslandsberührungen des Falls die Schadlosstellung des Geschädigten verhindern (z.B. bei fraudulöser Verteilung des Gesellschaftsvermögens auf viele Staaten), schlägt sein materiellrechtliches Interesse durch auf das IPR 1 0 und gebietet, so nichts anderes hülfe, eine Vermehrung der Zurechnungschancen mit dessen Mitteln. 1 1 Das Interesse des Geschädigten, gegen die juristische Person im Forumund Sitzstaat zu vollstrecken, ist deshalb durch eine materiellrechtliche Lösung zu befriedigen. (Man kann ihm z.B. in weiterem Umfang als in Inlandsfällen gestatten, wegen seiner Ansprüche gegen die „schuldigen" Organe durchzugreifen auf die juristische Person. 12 ) Ausländische Zurechnungsnormen durch die des Forumstaats zu verdrängen ist nur äußerstenfalls möglich über den ordre public (Art. 6 EGBGB). 2. Interessen der juristischen Person

Die juristische Person vertraut auf die Anwendung des Rechts, nach dem sie besteht (Personalstatut). a) Zusammenhang der Organhaftung mit der Organisation der juristischen Person Die Bestellung von Organen und das Handeln durch diese ist nicht Folge von beliebiger betrieblicher Gestaltung - wie die Anstellung eines Gehilfen sondern von Geboten des Vereins- oder Gesellschaftsrechts bzw. der Satzung (vgl. z.B. § 26 Abs. 1 S. 1 BGB: „Der Verein muß einen Vorstand haben." [Herv. hinzugefügt]; vgl. auch § 30 BGB). Nicht freiwillige Anstellung, nicht Nutzen und Risiko fremder Arbeit ist der Daseinsgrund des Organs, sondern ein rechtlich erzwungener Schritt, ohne den die juristische Person nicht ins Leben träte. 1 3 ' 1 4 Die juristische Person will deshalb so haften wie das Recht,

10 Zum ausnahmsweisen Übergreifen der „materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit" auf das IPR vgl. Kegel, FS Lewald, S. 278. 11 Weitere Argumente gegen die alternative Anwendung von Delikts- und Personalstatut unten § 7 I. 5. b). 12 Der Durchgriff unterliegt dem Personalstatut der juristischen Person; Rechtsprechung oben § 2 II. 3., Überlegungen unten § 7 I I I . 2. b) cc). - Auch könnte man, wie in New Jersey und Pennsylvania (oben § 4 IX. 4.), die Zurechnungsregel des Tatortrechts notfalls beschränken auf juristische Personen, die nach eben diesem Recht bestehen, und eine versteckte Rückverweisung auf das Sitz- bzw. Gründungsrecht annehmen.

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dessen Gebote ihrer Organisation den R a h m e n geben, es i n deren Anbetracht für angemessen hält. Begeht ein Träger ihrer Organisation eine schädigende Handlung, so w i l l sie an dem organisatorischen R a h m e n gemessen werden, i n dem sie frei war, sich schadensverhütend zu organisieren. 1 5 Das Deliktsstatut enthält keine Organhaftungsnorm,

die diesen Rahmen beachtete 1 6 ; seine

N o r m richtet sich an die eigenen, bestenfalls ähnlichen Personenverbindungen, und an deren organisatorischem R a h m e n setzt sie an. Es ist deshalb Vorsicht nötig, bevor man aus der Gesellschaftsverfassung

des Deliktsstatuts die

Zurechnungsnorm herausgreift und sie auf anders verfaßte Gebilde überträgt. 1 7 Ähnlich ein Leitgedanke in der deutschen Rechtsprechung zur Anknüpfung von Zurechnungsfragen: Die Zurechnung muß harmonieren mit der Beziehung des Zurechnungssubjekts zu dem, für den es haften soll; wie sehr- das hängt ab von dem Maß, in dem die Innenbeziehung eine notwendig rechtliche ist und sich autonomer Gestaltung entzieht. 18 A b e r nicht nur i n ihrem Ursprung, auch i n ihrer Durchführung hängt die Organhaftung m i t der Organisation der juristischen Person zusammen. D i e Organe sind der juristischen Person so weit zu schadensfreier Geschäftsführung u n d , bei Schädigung D r i t t e r , so weit zu Ausgleich verpflichtet als das Personalstatut der juristischen Person es bestimmt (dazu s o f o r t ) . 1 9 Es ist dies die Rückversicherung der juristischen Person, soweit sie für ihre Organe haften muß. Entscheidet das Personalstatut zugleich über die Organhaftung, so ist die juristische Person i n abgestimmter Weise rückversichert. Entscheidet 13 Daß die deliktsrechtliche Anknüpfung der Haftung für Personen (oben § 21.) der Überprüfung bedarf, wo der Schädiger dem Zurechnungssubjekt durch rechtliche Gebote aufgenötigt ist, das lehrt die Rechtsprechung zum Zwangslotsen (oben § 21. 3. bei Fn. 24 - 29) - wobei die juristische Person natürlich, anders als der Reeder, die Person auswählen kann, deren Stelle zu besetzen ihre Pflicht ist. 14 Dies ist der zutreffende Ausgangspunkt von Zitelmann, Schnorr v. Caro Isfeld und Mamelok, die eine kumulative Anknüpfung befürworten (oben § 3 I I I . 1. und § 4 L 3. bei Fn. 39). 15 Das ist besonders klar für „Organisationsmängel", die zu beheben außerhalb des organisatorischen Rahmens gelegen hätte; näher unten § 8 V I . bei Fn. 188. 16 Vgl. die Äußerung des Praktikers, oben § 1 I I I . 17 Ähnlich R G Z 73, 366 (367f.), Urt. v. 27.5.1910: Man dürfe nicht eine einzelne Bestimmung - wie die über den Gläubigerschutz bei Herabsetzung des Grundkapitals (§ 289 H G B a. F.) - aus dem Zusammenhang der Vorschriften über die Rechtsverhältnisse der Aktiengesellschaften herausgreifen und diese gegenüber ausländischen Aktiengesellschaften anwenden. Vgl. ferner die Äußerung des Praktikers oben § 1 I I I . 18 Oben § 2 V I . 19 Beispiele für Ausgleichsregelungen im deutschen Recht: §§ 840 Abs. 1, 426 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 840 Abs. 2 BGB; gefahrgeneigte Arbeit; Anstellungsvertrag mit Rückgriffsregel. Personengesellschaften können wegen anderen als Sozialansprüchen auf Mitgesellschafter nicht zurückgreifen, soweit sie selber am Verlust beteiligt sind (RGZ 153, 305 [311f.], Urt. v. 5.1.1937 für die offene Handelsgesellschaft; BGH, Urt. ν. 1.12.1982, W M 1983, 30 [32 sub II. 2. c)] = NJW 1983, 749 für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts; str., ob umgekehrt der Mitgesellschafter nur mit der Quote seines Verlustanteils ausgleichen muß; vgl. B G H Z 37, 299 [302], Urt. v. 2.7.1962).

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ein anderes Recht, so verliert die Rückversicherung nach dem Personalstatut ihren Bezug zur Haftung der juristischen Person nach außen und kann ungenügend werden. Beispiel: Eine juristische Person haftet nach ihrem Personalstatut nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ihrer Organe, und die Organe schulden ihr nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit Ausgleich. Müßte die juristische Person dennoch nach einem anderen Recht für ein leichtes Organverschulden einstehen, so würde sie nicht nur unerwartet belastet, sondern hätte auch keine Handhabe, das „schuldige" Organ an der Belastung zu beteiligen.

Man beachte: Der Rückgriff der juristischen Person auf das „schuldige" Organ ist dem gesetzlichen Innenverhältnis zwischen beiden akzessorisch und unterliegt deshalb dem Personalstatut. 20 Die h . M . beurteilt den Rückgriff aus übergegangenem Recht nach dem Recht des Verhältnisses zwischen dem Zahlenden und dem Gläubiger, schützt aber den guten Glauben des Rückgriffsschuldners (an den Verbleib der Forderung beim Gläubiger) nach dem Recht der Forderung des Gläubigers gegen ihn. 2 1 Das ist ein Kompromiß, den man nicht braucht, wenn schon vor dem Schadensfall ein Rechtsverhältnis zwischen den Rückgriffsparteien entstanden ist. 20 Vgl. Doris Maria Meyer, S. 29 - 32 und S. 71: „Der Ausgleich zwischen Schuldnern, die bereits in einem vertraglichen oder gesetzlichen Rechtsverhältnis zueinander «stehen, bestimmt sich nach dem Recht dieses Kausalverhältnisses"; ebenso Rabel, S. 275, Birk, S. 79 vor Fn. 303 (Ausgleich zwischen Geschäftsherr und Angestelltem) und, im Sinne einer Ausnahme, Stoll, Rechtskollisionen bei Schuldnermehrheit, S. 643 vor Fn. 37, S. 660. Näher dazu - insbesondere zur Vereinbarkeit der Lösung mit Art. 33 Abs. 3 EGBGB - unten § 9 II. 1. Die Lösung hat allerdings einen Nachteil: Sie vernachlässigt das kollisionsrechtliche Interesse des Gläubigers. Diesen Nachteil (wie überhaupt den Dreiecks-Charakter der Problematik) herausgestellt zu haben, ist das Verdienst von Wandt („Zum Rückgriff im internationalen Privatrecht"). Doch sind Fälle, in denen dieser Nachteil wirklich fühlbar wird, m.E. nicht so regelmäßig und so ganz ohne Ausweg mit unserer Lösung verbunden, daß diese sich ausnahmslos verböte. (Beispiel von Wandt, S. 289 sub II. 1. a) dd): Der Gläubiger hat mit dem Rückgriffsgläubiger vereinbart, die Forderung des Gläubigers gegen den Rückgriffsschuldner solle nicht kraft Gesetzes übergehen können; die Vereinbarung ist wirksam nach dem Recht, das zwischen Gläubiger und Rückgriffsgläubiger herrscht, nicht aber nach dem des Innenverhältnisses zwischen dem Rückgriffsgläubiger und dem Rückgriffsschuldner. Hier kann man m.E. dem Interesse des Gläubigers dadurch entsprechen, daß man die gesetzliche Übertragbarkeit der Forderung gemäß Art. 33 Abs. 2 EGBGB nach dem Recht beurteilt, dem sie unterliegt.) Wandt dagegen stützt sich auf Art. 33 Abs. 3 S. 1 EGBGB und entnimmt dem Binnenrecht verbundener Schuldner allein die Ausgleichsquoten (S. 289 sub II. 1. a) dd); vgl. auch S. 292ff. sub II. 1. b) bb)). 21 Z . B . Kegel, L B , § 18 V I I . 2., S. 428ff.; ähnlich Art. 17 des EWG-Vorentwurfs über internationales Schuldrecht, oben § 5 I I I . Vgl. jetzt aber Art. 33 Abs. 3 EGBGB (in Verbindung mit Abs. 2): Für den Rückgriff durch Forderungsübergang gilt allein das Recht, nach dem der Zahlende dem Gläubiger verpflichtet war (vgl. aber Abs. 2). Nach Stoll, Rechtskollisionen bei Schuldnermehrheit, S. 659f., schuldet man dem Mitschuldner aber nur so weit Ausgleich, als das Recht, nach dem man dem Gläubiger haftet, es vorsieht; gehen die Lösungen des einen und des anderen Rechts auseinander, so müsse der Richter nach der Billigkeit eine von ihnen wählen.

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A l l dies steht unter einem Vorbehalt. D e r Zusammenhang der Organhaftung m i t der Organisation der juristischen Person wiegt u m so weniger, j e mehr die Organhaftung sich wegentwickelt von einer nur den Körperschaften wesensgemäßen Sonderhaftung für verfassungsmäßige Vertreter u n d hinentwickelt zu einem Anwendungsfall einer allgemeinen Risikohaftung, die jeden trifft, der einen anderen für seine Zwecke beschäftigt. 2 2 A m Ende dieser E n t wicklung würde die Zurechnung sich lösen v o n der Organisationsform ihres Subjekts, u n d die juristische Person hätte bezüglich der H a f t u n g für Organe kein stärkeres Interesse am „ H e i m a t r e c h t " als ein Einzelunternehmer bezüglich der H a f t u n g für Gehilfen. Ein solcher Rechtszustand besteht im „common law" 2 3 , dem von jeher das eine, in sich nicht weiter nuancierte Prinzip der „vicarious liability" genügt hat. Selbst Schädigungen außerhalb des Gesellschaftszwecks („ultra vires") sind kein Sonderproblem juristischer Personen, sondern nur ein Gesichtspunkt der Frage, ob der Vertreter im Rahmen seiner Beschäftigung gehandelt hat. In Deutschland ist der Risikogedanke ansatzweise lebendig in der Ausweitung des Organbegriffs. Zu Anfang war die Organhaftung, im Einklang mit dem Gesetzeswortlaut (§§ 31, 30 S. 1 BGB), auf diejenigen Vertreter beschränkt, deren Stellung in der Satzung vorgesehen und umschrieben war; seit etwa zwanzig Jahren genügt es, daß dem Vertreter eine „wesensmäßige Funktion" der juristischen Person zugewiesen ist und er sie auf diese Weise „repräsentiert" 24 ; in die Zukunft greift die Interpretation des § 31 BGB als Anordnung strikter, nicht auf juristische Personen beschränkter Unternehmenshaftung wie in § 3 HPflG. 2 5 Die fortschreitende Verallgemeinerung der Organhaftung könnte sich treffen mit der geplanten Abschaffung des Entlastungsbeweises (§ 831 Abs. 1 S. 2 B G B ) 2 6 , und die Haftungen für Organe und Gehilfen könnten schließlich konvergieren in einem beide umfassenden Risikoprinzip, für das die Organisationsform des Prinzipals keine Rolle mehr spielt. Vom körperschaftlichen Organisationsmangel hin zu eher risikoverbundenen Zurechnungsformen entwickelt sich auch die österreichische Auffassung von der Organhaftung. 27 Auf der Flanke dieser Entwicklung bewirkt der Gedanke der Gleichstellung juristischer und natürlicher Personen 28 , daß die gewonnene Risikozurechnung 22

Vgl. Rabel, S. 274, bei Fn. 87: „Vicarious liability, in general, has often been conceived as a special application of the doctrine that risk connected with an enterprise should be borne by the person entertaining the enterprise. Who has the profit should have the loss, on the principle of acting on one's own peril . . . " . 23 Eörsi, S. 12 Nr. 17 vor und in Fn. 32; S. 14 Nr. 22; S. 18 Nr. 34; S. 21 Nr. 41. 24 Seit B G H Z 49, 19 (20 - 21), Urt. v. 30.10.1967. 25 Karsten Schmidt , § 5 II. 4., S. 92 - 95. 26 Bereits der Referentenentwurf zur Änderung und Ergänzung schadensrechtlicher Vorschriften von 1967 hatte § 831 BGB in diesem Sinne ändern wollen. Vgl. jetzt von Bar, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. I I , S. 1758f., 1762, 1776f. (Haftung für vermutetes Verschulden des Gehilfen); Huber, Bd. I, S. 739; Medicus, ebenda, Bd. I, S. 491; Schlechtriem, ebenda, Bd. I I , S. 1616f. 27 Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I I , S. 377 vor Fn. 14; vgl. ferner die Bemerkungen zum österreichischen Recht oben § 6 III. 1. nach Fn. 31 und unten § 8 V I . 1. 28 Zum Gleichstellungsgedanken in Österreich oben § 6 III. 1. nach Fn. 31.

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sich von den Rechtsformen der Zurechnungssubjekte löst und zur allgemeinen Regel wird. Vgl. OGH, 28.8.1973 29 : Eine Witwe, die einen Baubetrieb fortsetzte, war persönlich von keiner gewerbespezifischen Sorgfaltspflicht betroffen und haftete allen falls für die Verletzung der Pflichten ihres Geschäftsführers. Gehilfenhaftung für den Geschäftsführer wäre wegen der Beschränkung in § 1315 A B G B 3 0 „eine Bevorzugung der Witwe im Vergleich zur Haftung anderer Gewerbetreibender" gewesen. Der Oberste Gerichtshof verschärfte deshalb die Zurechnung durch folgende Analogie: „Die Stellung des Geschäftsführers im Witwenfortbetrieb ist mit der des Organs einer juristischen Person vérgleichbar. Wie hier die juristische Person für ihr Organ haftet, ist die Witwe für ihren Geschäftsführer haftbar."

Gewiß ist das Parteiinteresse der juristischen Person noch nicht geschmälert, so lange nur eine Rechtsordnung, und sei es ihr Personalstatut, die Organhaftung in einer allgemeinen Risikohaftung für Leute aufgehen läßt. Aber die Vergleichung mehrerer Rechte mag einen solchen Wandel einmal auf breiter Front ergeben, und dann würden die Interessen anders stehen als noch heute. 31 b) Einheitliche Beurteilung der Organhaftung nach dem Personalstatut der juristischen Person Wo immer die Organe einen Schaden verursachen, die Fäden laufen zusammen am Sitz der juristischen Person. Nach dem Recht am Sitz hat sie sich eingerichtet - so der Gedanke des schweizerischen Bundesgerichts 32 - , und nach ihm allein will sie beurteilen, ob sie Deliktsansprüche, gleich welchem Recht sie unterliegen, befriedigen muß. Das ist ein Gebot der inneren „Kontenführung", ihrer Reibungslosigkeit und ihrer Gleichförmigkeit: Die juristische Person will in allen Fällen nach denselben Regeln (und damit einfach und schnell) entscheiden können, welche Belastungen allein auf das Konto des „schuldigen" Organs gehen und welche auf ihr eigenes.33 Diesem Bedürfnis entspricht es, daß man die gesetzliche Vertretungsmacht der Organe, wo immer sie ausgeübt werden mag, in erster Linie nach dem Personalstatut der juristischen Person bestimmt. 34 Denn vom „Standpunkt der Gesellschaft aus betrachtet, [sie] würde es kaum angehen, die Vertretungsverhältnisse immer davon abhängig zu machen, wo die handeln29 SZ 46 Nr. 78 (S. 339). 30 Dazu unten § 8 V I . 1. 31 In diesem Sinne bemerkt Neuhaus, § 9 II. 1., S. 85, daß der Vergleichung materieller Rechte für das IPR eine ähnliche Bedeutung zukomme wie der Rechtstatsachenforschung für das materielle Recht. 32 Näher oben § 4 I. l . , F n . 2. 33 Zur Deutung des Worts „Zurechnung" als Kontenbelastung oben § 2 am Anfang, zu seiner entsprechenden Verwendung durch Meili und Mamelok oben 9 41.3. 34 Rechtsprechung, auch zu den Einschränkungen, unten § 9 I I I . , Fn. 33 und § 9 I I I . 2. a), Fn. 49; Lehrmeinungen unten § 9 I I I . 2. a) bei Fn. 50 - 54.

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den Gesellschafter tätig werden (Wirkungsort) oder wo sie ihren Wohnsitz (oder den , M i t t e l p u n k t ihrer Tätigkeit 4 ) haben. A u c h würde die Einheitlichkeit der O r d n u n g der Gesellschaft oft z e r s t ö r t . . . " . 3 5 Für die juristische Person macht es indes keinen Unterschied, ob ihre Organe sie durch den Abschluß von Rechtsgeschäften oder durch sonstiges Verhalten verpflichten 3 6 ; beidemal geht es u m eine Belastung ihres Kontos und nicht zufällig regelt A r t . 55 A b s . 2 Z G B (der Schweiz) die Organhaftung u n d die gesetzliche Vertretungsmacht in einem Satz. D i e einheitliche Beurteilung der Organhaftung ist außerdem ein Gebot der Kalkulierbarkeit und Versicherbarkeit der H a f t u n g der juristischen Person. I n dem Z e i t p u n k t , in dem die juristische Person ein Organ bestellt, muß sie so viel K a p i t a l oder Versicherungsschutz haben, daß sie für solche Organdelikte aufkommen kann, die voraussichtlich ihrem K o n t o zugerechnet werden. B e i dieser Absicherung orientiert die juristische Person sich an den Zurechnungsregeln ihres Persoiialstatuts (und, vielleicht, den Zurechnungsregeln des vorgesehenen Tätigkeitsorts des Organs) und vertraut auf sie. 3 7 Allein nach diesen Regeln kann sie insbesondere bestimmen, für welche der Tätigkeiten ihres Organs sie eine Haftpflichtversicherung abschließen sollte, und, soweit sie sich nur gegen ihre eigene Haftung (und nicht auch gegen die des Organs) versichern kann, ob sie überhaupt ein versicherbares Interesse hat. 3 8 M e h r kann sie i m Z e i t p u n k t der Bestellung des Organs nicht t u n 3 9 ; denn alle Rechte ins A u g e zu fassen, m i t denen das Organ i n Berührung k o m m e n könnte, ist unmöglich. 35

V. Steiger, S. 30 betreffend die einfache Gesellschaft des schweizerischen Rechts (Artt. 530ff. OR) (Herv. im Orig.). 36 Vgl. Habicht, Art. 10, Anm. 5; dazu oben § 3 I I . l bei Fn. 21. 37 Das Vertrauen der juristischen Person auf die Zurechnungsregeln ihres Personalstatuts ist besonders deutlich, wo das Personalstatut die Haftung für die Organe auf eine bestimmte Summe beschränkt - so das Recht von Massachusetts in Schwartz ν. Boston Hospital for Women; Holzsager ν. Valley Hospital; Mason ν. Southern New England Conference; zu diesen Entscheidungen oben § 4 I X . 3., Fn. 160 und 162. Solche Beschränkungen werden illusorisch bei Anwendung einer im vornherein nicht abgrenzbaren Vielzahl anderer Rechte, ζ. B. des Rechts des jeweiligen Klägers wie anscheinend in New York (oben § 4 I X . 3. nach Fn. 168). Selbst wenn die juristische Person auch unter diesen Umständen noch Versicherung erhält, kann doch eben diese dazu führen, daß ihr Personalstatut die ratio der Haftungsbeschränkung - z.B. Schutz gespendeten Vermögens vor Auszehrung durch Ersatzansprüche - und damit die Haftungsbeschränkung selbst für weggefallen erachtet. So die richterliche Entscheidung in O'Quin v. Baptist Memorial Hospital, 184 Tenn. 570, 201 S.W. 2d 694 (1947), Michard v. Myron Stratton Home, 114 Colo. 251, 355 P. 2d 1078 (1960) (Vorbehalt, daß Befriedigung nur aus dem nicht „trust"-gebundenen Vermögen möglich sei), Cox v. De Jarnette, 104 Ga. App. 664, 123 S.E. 2d 16 (1961) bzw. die einschlägige Gesetzesstelle in Howard v. South Baltimore General Hospital, 191 Md. 617, 62 A . 2d 574 (1948) und Michael v. St. Paul Indemnity Co., 92 F. Supp. 140 ( W . D . Ark. 1950). 38 § 68 V V G ; man vergleiche § 149 V V G , dessen Wortlaut sich auf die Verantwortlichkeit nur des Versicherungsnehmers selbst bezieht, mit § 151 Abs. 1 W G .

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Eben solche universale Umsicht erwartet anscheinend Grasmann. 40 Indes, eine Verhaltenserwartung ist nur dann rational, wenn sie die Idealperson umschreiben kann, die ihr in jeder Hinsicht entspricht (ζ. B. die „reasonably prudent person" in einer bestimmten Situation). Grasmanns Ideal ist eine juristische Person, die ihre „Außenverhältnisse" nach dem „Innenstatut" und zugleich nach allen künftigen „Wirkungsstatuten" einrichtet. 41 Eine juristische Person, die das könnte (geschweige denn täte), gibt es nicht.

Die scharfen Folgen des Haftungs- und Zurechnungsrechts, nach moderner Einsicht nur vertretbar aufgrund ihrer Versicherbarkeit 42 , können zum unbeherrschbaren und damit un versicherbaren Risiko werden, wenn sie nach einer im vornherein 43 nicht abgrenzbaren Vielzahl von Rechten zu erwarten sind. Daneben tritt eine praktische Erwägung. Alle Rechte zu beachten, mit denen die Organe in einem Fall in Berührung gekommen sind, mag theoretisch begründet sein und kann doch die Möglichkeiten praktischer Rechtspflege übersteigen. Ein Beispiel dafür ist der „Kindersaugflaschen"-Fall des Bundesgerichtshofs: Eine deutsche Firma hatte das Fabrikat einer ausländischen sklavisch nachgebaut und ihr mit dem Nachbau in vielen Ländern Konkurrenz gemacht. Das Oberlandesgericht hatte den Wettbewerbsstreit einheitlich nach deutschem Recht entschieden44, aber der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf: Die beanstandeten Wettbewerbshandlungen seien „nach den jeweiligen Rechtsordnungen der Länder zu beurteilen, auf deren Absatzmärkten die Waren der Parteien zusammentreffen." 45 Weil diese Länder zahlreich waren, konnte 39 Anders in dem Zeitpunkt, in dem die juristische Person ein - bereits bestelltes Organ mit einer klar umrissenen Aufgabe in einem fremden Staat betraut. In diesem Zeitpunkt kann sie sich auf die fremde Zurechnungsregel einstellen, denn nur um diese eine, nicht um eine unbestimmbare Vielzahl geht es dann; näher unten § 71. 4. 40 Nachweise oben § 3 III. 2., Fn. 27. 41 Vgl. insbesondere Grasmann, Rn. 33ff. 42 Die Wirkung der Haftpflichtversicherung auf die Haftung - tendenziell Schärfung, größerer Umfang und leichtere Anerkennung der Haftung durch den Belangten oder das Gericht - ist besonders in den U . S . A . erkannt worden; daher der - freilich umgehbare - Grundsatz, daß der Beweis, eine Person sei (oder sei nicht) gegen ihre Haftpflicht versichert, nicht zulässig ist im Hinblick auf die Fragen, ob die Person fahrlässig oder sonst rechtswidrig gehandelt habe und ob sie eine beträchtliche („substantial") Urteilssumme bezahlen könne (vgl. z.B. Fed. R. Evid. 411 [„irrelevance"]). Demgegenüber hat man in Schweden die Frage der Haftpflichtversicherung nicht nur nicht unterdrückt, sondern anscheinend zum ersten und eigentlichen Gesichtspunkt der Deliktshaftung und im besonderen der Haftung für Beschäftigte gemacht: Wenn der Arbeitgeber sich gegen die Haftung für seine Beschäftigten versichert hat, so haften diese in der Regel weder ihm, noch dem Geschädigten; vgl. Skâdestandslagen (Deliktshaftungsgesetz) vom 2.6.1972, Kap. 4 § 1, Svensk författningssamling (Gesetzblatt) 1972: 207; Bengtsson in: Strömholm, Introduction, S. 268. Selbst die Haftung des Arbeitgebers gegenüber dem Geschädigten kann, soweit Eigentum beschädigt ist, herabgesetzt werden, wenn der Geschädigte sein Eigentum hätte versichern können; vgl. Deliktshaftungsgesetz, Kap. 3 § 6 (Gedanke mitwirkenden Verschuldens). Beides gilt, da eine allgemeine Organhaftung fehlt, anscheinend auch für juristische Personen. Der Grund (die „policy") solcher Regeln ist offenbar: Verlagerung von Schäden auf die Allgemeinheit der Versicherten und, übergreifend, der Gedanke sozialer Geborgenheit („folkehem"). 43 In der Regel bei Abschluß des Versicherungsvertrags. 44 O L G Hamburg, Urt. v. 11.2.1960, WRP 1960, 220.

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der Prozeß in der Berufungsinstanz nicht weiterbetrieben, sondern mußte verglichen werden. 46

c) Kein Interesse der juristischen Person an der Anwendung des Tatortrechts Entgegen der Ansicht von Grasmann 47 hat die juristische Person kein Interesse an der Anwendung des Tatortrechts. Die Behauptung eines solchen Interesses stößt sich unversöhnlich mit den geschilderten Interessen am eigenen Recht. Auch im Wirtschaftsleben hat die juristische Person kein solches Interesse. Es ist nicht wahr, daß sie nach dem Recht des Staates beurteilt werden will, auf dessen Markt (und mit dessen Angehörigen) sie in wirtschaftlichem Wettbewerb steht; es ist ebensowenig wahr, daß sie ansonsten diskriminiert würde 48 ; die dahin gehenden Ansichten von Staehelin 49 und Drobnig 50 verkennen die wirtschaftliche Wirklichkeit. Wie die juristische Person auf fremden Märkten Fuß faßt, hängt zuvörderst von ihren wirtschaftlichen Leistungen ab (Qualität, Preise, Entwicklungsstand, Zahlungsbedingungen, Lieferzeit, Garantien, Kundendienst); welches Recht über hypothetische Schadensfälle entscheidet - danach fragt der Markt zuletzt. Will die juristische Person wie ein einheimisches Unternehmen auftreten 51 , so gründet sie eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung 52; will sie es nicht (und verläßt sie sich auf Agenten, Vermittler, Zwischenhändler und Einrichtungen des internationalen Handels), so darf man es ihr nicht gleichwohl unterstellen. So aber Grasmann: Er spricht vom „wahren" Interesse, das für die Gesellschaft überwiegen „sollte". 5 3 Doch was jemand wollen sollte, ist nicht das, was er will, und nur letzteres kann zählen für eine Interessenfindung ohne Vorurteile. 54 45 B G H Z 35, 329 (336f.), Urt. v. 30.6.1961 - „Kindersaugflaschen". Vgl. nunmehr Art. 40 Abs. 2 Nr. 2 des Regierungsentwurfs, dazu oben § 1 II. 1. a) aa), Fn 29. 46 Mitgeteilt in IPRspr. 1960 - 1961 Nr. 155, S. 515, Fn. 9. 47 Rn. 33, 64b. 48 Zum Diskriminierungsverbot des EWG-Vertrags oben § 6 II. 1. 49 S. 54 - 56; siehe auch oben § 4 I. 3. bei Fn. 32 (Differenzierungslehre); Staehelin (S. 59 - 61) lehnt allerdings Grasmanns alternative Anknüpfungen ab (Günstigkeitsprinzip, dazu oben § 3 II. 2. und unten § 7 III. 2. a), Fn. 241). 50 Zu Drobnig oben § 6 II. 1. - Zum Gedanken der Wettbewerbsgleichheit durch gleiches Recht vgl. ferner Grasmann, Rn. 59; Großfeld, Anerkennung, S. 27; Raape, Lehrbuch, S. 579. 51 In diesem Falle wäre es geradezu fatalistisch, auf die Anwendung des Rechts des Marktes zu vertrauen und selber nichts zu unternehmen, um ihm näher zu kommen. 52 Zweigniederlassungen werden in vielfacher Hinsicht nach dem Recht ihres Sitzes beurteilt; vgl. z.B. §§ 13b Abs. 3 H G B , 44 Abs. 5 AktG. 53 Rn. 64b. 54 Zur Interessenjurisprudenz im IPR und dem Vorwurf der Unterstellung und Manipulation von Interessen oben § 6 IV., nach Fn. 78.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen 3. Interessen des Organs

Das „schuldige" Organ vertraut auf die Anwendung des Personalstatuts der juristischen Person. Dieses Recht soll die Rolle bestimmen, die es bei der Aufteilung des Schadens zwischen ihm, der juristischen Person und dem Geschädigten zu übernehmen hat. Vom materiellen Recht her argumentiert Trutmann 55 : Sehe das Sitzrecht des Geschäftsherrn dessen Haftung vor, so erwarte der unmittelbare Täter die (alternative) Anwendung dieses Rechts, um selbst nicht in erster Linie haften zu müssen. Aber nicht immer ergibt das Sitzrecht des Geschäftsherrn dessen Haftung. Die Frage ist deshalb: Will der Täter die Anwendung des Sitzrechts unabhängig davon, ob es den Geschäftsherrn haften läßt? 56

Die Rolle des Organs wird bestimmt durch seine Passivlegitimation gegenüber dem Geschädigten (bzw. deren Ausschluß) und durch den Innenausgleich gegenüber der juristischen Person. Daneben tritt die Organhaftung der juristischen Person. Sie entlastet das Organ durch einen zweiten Haftenden. Das materielle Recht kann sie neben die Passivlegitimation des Organs stellen oder eines von beiden ausschließen. Der Haftung der juristischen Person für ihre Organe entspricht auf Seiten des Organs die Passivlegitimation. Die Entsprechung versteht sich aus der übergeordneten Fragestellung, „wer" den Deliktsanspruch des Geschädigten (unterstellt er sei begründet) zu erfüllen hat. 57 Die „Deliktsfähigkeit" des Organs (§§ 827, 828 BGB) ist ein auf den Menschen beschränkter Gesichtspunkt dieser Frage und, trotz begrifflicher Übereinstimmung 58 , der Organhaftung nicht vergleichbar. 59

Die Regeln über die Passivlegitimation des Organs, die Organhaftung und den Innenausgleich sind Teile eines Systems, die einander vervollständigen. Nur aus ihrem Zusammenspiel gewinnen sie den Sinn des Ganzen, als das sie gedacht sind: den einer Kette der Schadensabwicklung, den einer umfassenden Bestimmung darüber, wer dem Geschädigten und wer allenfalls im Rückgriff haftet - oder, aus der Sicht der Gläubiger, wer sich bei wem erholen oder notfalls mit Insolvenz abfinden muß.

55

Rn. 152; hierzu oben § 4 I. 3. bei Fn. 41. Zum Gehalt kollisionsrechtlicher Interessen oben § 6 I V ; zu einer entsprechenden Überlegung bezüglich des Interesses des Geschädigten oben § 71. 1. vor Fn. 5. 57 Die Frage des „wer" ist das Gemeinsame der Zurechnungsformen; zu dieser Erwägung in Österreich oben § 4 II. 1. bei Fn. 49 - 53. 58 Zur Verwendung des Begriffs „Deliktsfähigkeit" für die Organhaftung oben § 6 I I I . 1. 59 In der Schweiz bezeichnet man die Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln als „Urteilsfähigkeit" (Artt. 13, 16 - 18, 19 Abs. 3 Z G B , 53, 54 OR); das Wort „Deliktsfähigkeit" ist vermieden. 56

I. Parteiinteressen

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Zur Veranschaulichung: Haften dem Geschädigten nebeneinander die juristische Person Und das Organ, so ist der Geschädigte zum Nachteil eines der Haftenden begünstigt: Wer von diesen den Schaden ersetzt und Ausgleich verlangt, trägt das Insolvenzrisiko des anderen. Haftet dem Geschädigten allein die juristische Person 60 , so trägt der Geschädigte ihr Insolvenzrisiko (soweit er nicht zugreifen kann auf ihre Ausgleichsansprüche gegen das Organ). Die juristische Person trägt, wenn sie gegen das Organ einen Ausgleichsanspruch hat, dessen Insolvenzrisiko. Das Organ selbst trägt kein Risiko und kann zusätzlich geschützt sein durch die besondere Ausgestaltung des Rückgriffs. Nach diesem System haften in den europäischen Oststaaten die staatlich verwalteten Betriebe für ihre M i t a r b e i t e r 6 1 6 2 , so z.B. in der D D R die Volkseigenen Betriebe für ihre „Werktätigen": Hat der „Werktätige" „in Erfüllung ihm obliegender betrieblicher 60

Gleichsam seitenverkehrt liegt es, wenn dem Geschädigten nur der Täter haftet; so das System der „charitable immunity" (dazu oben § 4 I X . 1. und 2.). 61 Eörsi, S. 65f., Nr. 121; Bemerkungen zu den einzelnen Ländern auf S. 67 - 70: Sowjetunion (RSFSR) (Nr. 128, vor Fn. 406); Ungarn: Haftung des „Werktätigen" gegenüber dem Geschädigten nur bei Absichtsschädigungen (Nr. 129); Tschechoslowakei (Nr. 130); D D R (Nr. 131, in Fn. 421 Rechtsprechung zur Einschränkung des ursprünglich fortgeltenden § 831 Abs. 1 S. 2 BGB); Jugoslawien: Haftung des „Werktätigen" gegenüber dem Geschädigten nur für absichtliche oder grob fahrlässige Schädigungen. - Dem sozialistischen Regelungsmuster entzieht sich auf originelle Weise Polen: Dort gibt es ein zivilrechtliches, ein arbeitsrechtliches und ein staatshaftungsrechtliches Haftungssystem. Das zivilrechtliche folgt deutschen und französischen Vorbildern: Juristische Personen haften für das Verschulden ihrer Organe als eigenes (Art. 416 des Zivilgesetzbuchs vom 24.4.1964, Gesetzblatt Nr. 16 Pos. 93 - ZGB - mit der Deliktsgeneralklausel des Art. 415 ZGB); Geschäftsherrn haften für (vermutetes) Verschulden bei der Auswahl ihrer Gehilfen (Art. 429 ZGB); Arbeitgeber haften für ihre Arbeiter strikt (Art. 430 ZGB); die Haftung ist in allen Fällen solidarisch (Art. 441 Abs. 1 ZGB). (Da ein Teil der polnischen Wirtschaft in privater Hand ist, sind diese Vorschriften keineswegs bedeutungslos.) Das arbeitsrechtliche System gilt für (staatliche und nichtstaatliche) Unternehmen: Für die Deliktstat eines Mitarbeiters, der Arbeitspflichten erfüllt hat, haftet dem Geschädigten nur das Unternehmen (Art. 120 des Arbeitsgesetzbuchs vom 26.6.1974, Gesetzblatt Nr. 24 Pos. 141 in Verbindung mit der zivilrechtlichen bzw. staatshaftungsrechtlichen Leutehaftung). Dies gilt auch dann, wenn der Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat (so die grundsätzliche Ansicht des Obersten Gerichts; abweichende Entscheidungen und eine Mindermeinung in der Lehre wollen solidarische Haftung des Unternehmens und des Vorsatztäters gegenüber dem Geschädigten). Der Rückgriff des Betriebs auf den Mitarbeiter darf drei Monatsgehälter nicht übersteigen, es sei denn, der Mitarbeiter trug wesentliche Verantwortung für Güter, die er gebraucht oder verkauft hat (Artt. 124, 125 Arbeitsgesetzbuch), oder er handelte vorsätzlich (Art. 122 Arbeitsgesetzbuch). Die Staatshaftung gilt für Behörden und staatliche Unternehmen und tritt für diese an die Stelle der zivilrechtlichen Haftung; vgl. Artt. 417 - 421 ZGB (insbesondere Art. 420: Für die Funktionäre staatlicher juristischer Personen haften diese und nicht der Fiskus). (Für Auskunft danke ich Herrn Dr. Andrzej Sleçak, Katedra Prawa Cywilnego, Adam-Mickiewicz-Universität, Posen.) 62 Ähnlich unser System der Amtshaftung; zur Passivlegitimation des Amtsträgers vgl. Art. 34 S. 1 GG und § 1 Abs. 3 des - nichtigen - Staatshaftungsgesetzes vom 26.6.1981 (BGBl. I 553); zum Rückgriff auf den Amtsträger vgl. Art. 34 S. 2 GG und z.B. § 46 Abs. 1 S. 2 Abs. 2 BRRG; zum System der österreichischen Amtshaftung oben § 4 II. 1. bei Fn. 52 und 53 und § 4 II. 2. bei Fn. 68. 10 Schohe

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

Aufgaben" gehandelt, so ist er nur dem Betrieb verantwortlich (arbeitsrechtliche Verantwortung) 63 , und der Betrieb haftet dem Geschädigten. Hat er es nicht, so haftet er dem Geschädigten selbst und allein (zivilrechtliche Verantwortung). 64 Das Beispiel lehrt, wie der Sinn des Systems, hier die kollektive Schadensabwicklung, sich nur in dessen Ganzem erfüllen kann, hier in der Verkettung der Außenhaftung des Betriebs mit der „arbeitsrechtlichen Verantwortung" des „Werktätigen". Doch hat zumindest eine Entscheidung das System kollisionsrechtlich aufgespalten: Das Recht der D D R entschied über die Haftung eines polnischen Betriebs für einen Mitarbeiter, der in der D D R tätig gewesen war 65 - obschon die Arbeits- und Regreßpflichten des Mitarbeiters ohne Zweifel dem polnischen Recht unterlagen. 66 Das Parteiinteresse des Organs leidet, wenn man die Haftungssysteme auseinandernimmt u n d ihre Teile verschieden anknüpft. W i e gesehen 6 7 unterliegt der Ausgleich zwischen dem Organ u n d der juristischen Person dem Personalstatut. W i r d die Passivlegitimation des Organs nach einem anderen Recht beurteilt, so w i r d das Organ überrascht durch eine fremde Regel über seine Verklagbarkeit. M e h r noch: W i r d es verklagt, so sind die Regeln über seinen Rückgriff nicht von vornherein eingerichtet auf die fremde Rechtslage 6 8 , oder es fehlen solche Regeln ü b e r h a u p t . 6 9 Man nehme an, eine New Yorker Gesellschaft sei nach dem auswärtigen Recht des Tatorts nicht haftbar für Taten ihrer Leute („charitable immunity"), und der Täter, ein einfacher Angestellter, hafte dem Geschädigten allein (ähnlich Hinman v. Berkmari 70). Kann der Angestellte auf die Gesellschaft zurückgreifen? Das Recht von New York gewährt Rückgriff („contribution") nur zwischen Mittätern („joint tortfeasors") 71 , und 63 §§ 260 - 266 des Arbeitsgesetzbuchs der D D R vom 16. 6.1977 (GBl. D D R I S.185). 64 So § 331 des Zivilgesetzbuchs der D D R (GBl. D D R 1975 I, 465). Ebenso die vorangegangene Rechtsprechung des Obersten Gerichts: Keine Entlastung des Volkseigenen Betriebs für den „Werktätigen" nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB, wenn dieser die Schädigung durch Verletzung seiner Arbeitspflichten verübt hat; denn der „Werktätige" hafte nur dem Betrieb, und dessen Entlastung setze voraus, daß der „Werktätige" auch dem Geschädigten hafte (Urt. v. 8.9.1964, O G Z 10, 116 = NJ 1965, 125); eine solche Haftung gebe es aber nur für vorsätzliche Schädigungen, soweit der Betrieb nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht für sie einstehen müsse (Urt. v. 5.9.1965, NJ 1966, 127). Weiteres zum Haftungssystem der D D R unten § 7 III. 1. a) bb), Fn. 142 und § 7 III. 1. c) bb), Fn. 207. 65 Bezirksgericht Neubrandenburg, Urt. v. 23.10.1969, NJ 1970, 495 mAnm Prüfer = IPRspr. 1968 - 1969 Nr. 56. 66 In casu nicht entschieden; vgl. aber Franz Schneider, NJ 1970, 710. 67 Oben § 7 1 . 2 . a) bei Fn. 20. 68 Zur Durchführung des Rückgriffs, wenn er einem anderen Recht unterliegt als die Organhaftung, unten § 9 II. 2. 69 Ein besonderes Problem sind die Prozeßkosten des Organs aus dem Rechtsstreit mit dem Geschädigten: Selbst wo es Rückgriffsregeln gibt und diese passen, ist es keineswegs sicher, daß die Prozeßkosten ausgleichsfähig sind (und kein eigener Schaden des Organs). 7 ° Dazu oben § 4 I X . 2., Fn. 139. 71 N Y . Civ. Prac. Law § 1401. Siehe auch unten § 9 II. 1., Fn. 13.

I. Parteiinteressen

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die gesellschaftsrechtlichen Regeln über „indemnification" gelten nur für „directors" und „officers". 72 Eine sonstige Rückgriffsgrundlage ist kaum zu konstruieren 73 , zumal das Argument Gewicht hat, der Rückgriff des Angestellten unterlaufe die Haftungsfreiheit der Gesellschaft. 74 Das organisch-systematische Zusammenspiel der Passivlegitimation m i t dem Innenausgleich ist für die Stellung des Organs k o n s t i t u t i v . 7 5 D e n n groß ist der Unterschied, ob das Organ dem Geschädigten haftet oder nur der juristischen Person i m Rückgriff. ( D i e Regeln über den Rückgriff fassen die V e r hältnisse gegenüber der juristischen Person ins A u g e , i n die das Organ gestellt ist, u n d bestimmen über seinen Schutz 7 6 ; die Regeln über die H a f t u n g gegenüber dem Geschädigten, z . B . die allgemeinen Deliktsregeln, fassen dagegen ein Verhältnis zwischen individuell Handelnden ins A u g e u n d haben keinen Bezug zum korporativen Handlungsgrund des Organs.) Gleich groß ist folglich die Bedeutung v o n Rückgriffsregeln, die berechnet sind auf die H a f t u n g des Organs u n d der juristischen Person nach außen. 7 7 Nach allem trifft das Interesse des Organs zusammen m i t dem der juristischen Person; es w i r d i m folgenden nicht mehr von diesem gesondert.

72

N . Y . Bus. Corp. Law § 723. Im Recht von New York könnte man allenfalls an „implied contractual indemnity" oder an „implied principles of substantive law" denken. 74 Arg. N . Y . Gen. Oblig. Law § 15 - 18: Ein Deliktstäter, den der Geschädigte von der Haftung entbunden hat („release"), schuldet seinen Mittätern keinen Ausgleich, sondern ist schlechthin frei. Diese Regel kann man arguendo auf die Haftungsfreiheit kraft Rechtssatzes erstrecken, vor allem wenn man „charitable immunity" als „contructive release" betrachtet. 75 Es bedeutet mehr als der Zusammenhang des Innenausgleichs mit der Organhaftung der juristischen Person. Denn für die juristische Person ist der Innenausgleich nur Teil einer Rückversicherung für das, was in erster Linie ihre eigene Sache ist (oben § 7 I. 2. a) nach Fn. 19). 76 So stellen unsere Regeln über „gefahrgeneigte Arbeit" zwar jeden Arbeitnehmer, der weniger als grob fahrlässig gehandelt hat, von Haftung frei ( B A G , Urt. v. 23.3.1983, NJW 1983,1693); sie gelten aber möglicherweise nicht für die Personen, die das „Betriebsrisiko" selber tragen: Organe und leitende Angestellte. Weit dagegen reicht der Schutz der „directors" und „officers" in den U.S. Α . , soweit es um Mißgriffe bei ihren Geschäften geht: Eine Verletzung der fiduziarischen Sorgfaltspflicht (z.B. nach N . Y . Bus. Corp. Law §§ 715, 717) verpflichtet den „director" oder „officer" fast nie persönlich gegenüber Gesellschaft, Aktionären oder Dritten. Denn die Gerichte hinterfragen geschäftliche Entscheidungen nicht, so lange sie in gutem Glauben auf die erhältlichen Informationen gestützt worden sind („business judgment rule"); vgl. z.B. Auerbach v. Bennett, 47 N . Y . 2d 619, 419 N.Y.S. 2d 920, 393 N . E . 2d 994 (N.Y. 1979). Auch prüfen sie die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden zuweilen außerordentlich streng; vgl. Barnes v. Andrews, 298 F. 614 ( S . D . N . Y . 1924) (noch immer beachtete Entscheidung). 77 Vgl. § 7 1 . 3 . bei Fn. 68. 73

10*

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen 4. Abwägung der Parteiinteressen

Das Interesse der juristischen Person an der Anwendung ihres Personalstatuts ist geringer zu werten als das Vertrauen des Geschädigten auf das Recht seiner Umgebung. Tatortrecht und Sitzrecht geraten in Konflikt, weil das „schuldige" Organ über den Sitzstaat hinaus gehandelt hat. Diesen Konflikt hat die juristische Person und nicht der Geschädigte zu vertreten; das Risiko fremden Rechts trifft deshalb sie. Das Risiko fremden Rechts (und die Verantwortung für die Auslandsberührung und den Rechtswahlkonflikt) sind zu unterscheiden vom materiellrechtlichen Risiko des Handelns durch andere (und der Verantwortung für deren Tat). Das Risiko des Handelns durch andere verbindet sich schon mit deren Anstellung, das Risiko fremden Rechts erst mit einem „Schritt ins Ausland". Wer das materiellrechtliche Risiko trägt, trägt deshalb nicht notwendig auch das Risiko fremden Rechts. 78 Umgekehrt hängen das Risiko fremden Rechts, seine Entstehung und seine Übernahme allein von internationalprivatrechtlichen Verknüpfungen ab - und nicht davon, ob die geltend gemachte Haftungsform sich materiellrechtlich mit einem Risiko erklären läßt oder, wie die Organhaftung, auch einer sonstigen Deutung zugänglich ist. 79

Der Kontakt des Organs mit dem Ausland 80 geht zurück auf eine Entscheidung der juristischen Person (d.h. ihrer Verantwortlichen und, vielleicht, des „schuldigen" Organs selbst). Anders als die Bestellung des Organs 81 ist diese Entscheidung freiwillig und in ihren Folgen kalkulierbar. Die Aufgaben, die das Organ antritt, und die Rechte, die es berühren wird, sind jetzt bestimmte einzelne und nicht mehr eine im voraus unbestimmbare Vielzahl. Die juristische Person kann sich über die fremden Rechte erkundigen und die Tätigkeit des Organs ihnen anpassen82, kann eine Versicherung abschließen83, kann, schließlich, auf den Auslandskontakt verzichten oder ihn trotz seiner Ungewißheiten hinnehmen - kurzum: sie kann informiert entscheiden, und diese Möglichkeit begründet ihre Verantwortung für die Auslandsberührung und den Rechtswahlkonflikt. 84 78 So aber anscheinend Trutmann, Nrn. 147 - 152, dazu oben § 4 I. 3. bei Fn. 41. Vgl. auch Rabel, S. 274f. 79 Dazu oben § 7 I. 2. a), insbes. bei Fn. 22 - 31. 80 Der Kontakt des Organs mit dem Ausland ist zu unterscheiden von seiner dort begangenen Deliktstat. 81 Dazu oben § 7 I. 2. a). 82 Z . B . durch die Weisung, bestimmte Länder zu meiden. 83 Zur Bedeutung der Versicherbarkeit der Haftung oben § 7 I. 2. b), nach Fn. 36. 84 Dasselbe gilt a fortiori, wenn die juristische Person nicht nur den Kontakt mit dem Ausland gewollt hat, sondern, mehr noch, den dort eingetretenen Zusammenstoß mit Rechtsgütern des Geschädigten (gleichgültig, ob vorsätzlich im Sinne unseres materiellen Rechts, also im Wissen um die Verletzung eines Rechtsguts und im Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, oder nicht). Vgl. die Sachverhalte in O L G Kiel, Urt. v. 25.10.1917, oben § 1 II. 1. a) aa) bei Fn. 16 (Angebot einer Forderung zum Verkauf, um dem Schuldner die Gründung einer Aktiengesellschaft unmöglich zu machen), O L G Ham-

I. Parteiinteressen

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Wo die Erkundigung nicht möglich oder eine Versicherung nicht erhältlich ist, oder wo die fremden Rechte oder die Tätigkeiten des Organs sich ausnahmsweise nicht im voraus bestimmen lassen, da handelt die juristische Person, das fremde Recht betreffend, auf eigenes Risiko: Gewiß, sie hat sich eingerichtet nur auf das Recht ihres Sitzes85; aber für eine einzelne Unternehmung im Ausland unterwirft sie sich dem Risiko fremden Rechts, das heißt: der Möglichkeit, daß fremdes Recht gilt und von den Sachregeln ihres Sitzrechts abweicht. Darin liegt scheinbar ein Zirkelschluß: Ob die Verantwortung für die Auslandsunternehmung einem anderen als dem Sitzrecht unterworfen ist, das ist gerade die Frage zumal der Gedanke der Unterwerfung unter fremdes Recht nicht schlechthin überzeugt. 86 Indes, es ist hier nicht die Rede von einer Unterwerfung unter fremdes Recht, sondern nur von der Möglichkeit, daß es gilt und von den vertrauten Regeln abweicht. Ob es wirklich gilt, das ist in der Tat die Frage, und insoweit darf man die Antwort nicht vorwegnehmen durch ihre Prämissen.

Unvorbereitet auf fremdes Recht und hilfloser als die juristische Person ist der Geschädigte. Für ihn ergibt sich der Auslandskontakt erst im Augenblick des „Zusammenpralls" mit dem Organ. Wie der „Zusammenprall", so trifft ihn auch der Auslandskontakt überraschend, gegen seinen Willen 8 7 und ohne die Chance, sich im voraus zu erkundigen oder abzusichern. Weil der Geschädigte das Risiko fremden Rechts nicht beherrschen konnte, verdient sein Interesse weitgesteckten Schutz. So weit er reicht (und soweit es nur um die Parteiinteressen geht), muß das gelten, woran der Geschädigte sich bei seinen Vorkehrungen allein hatte halten können: das Recht seiner Umgebung. Wo ist die Grenze zu ziehen? Nußbaum meinte, der Prinzipal müsse eine Beziehung zum Recht des Begehungsorts hergestellt haben, so daß sein Verhalten ursächlich verknüpft sei mit dem schädigenden Erfolg. 88 In der Tat, die bürg, Urt. v. 19.2.1970, oben § 1 II. 2. a) aa) bei Fn. 59; und O L G Köln, Urt. v. 22.5.1973, oben § 1 II. 2. a) aa) bei Fn. 58 (Angriffe und „Enthüllungen" durch die Presse); vgl. ferner § 1 II. 1. a) bb) (Wettbewerbshandlungen im Ausland). 85 So der Gedanke des schweizerischen Bundesgerichts, dazu oben § 4 L 1. bei Fn. 2. 86 Der Unterwerfungsgedanke entspringt territorialistischem Denken und ist in dem Maße lebendig oder überwunden wie dieses. Er findet sich (oder klingt an) in frühen Entscheidungen des Reichsgerichts, ζ. B. R G Z 39, 304 (305f.), Urt. v. 21.6.1897 (Reederhaftung, zu diesem Urteil oben § 2 I. 3. bei Fn. 18) und beherrscht das Restatement of Conflict of Laws (1934) (vgl. die Regel oben § 4 I X . 2. bei Fn. 138 sowie, für „vicarious liability", § 387 nebst comment a]). Gegen eine Anknüpfung von „vicarious liability" unter dem Gesichtspunkt einer Unterwerfung unter fremdes Recht z.B. Rabel, S. 268ff. (272 - 274) und Strömholm, S. 172, beide gegen Richter Brandeis in Young ν. Masci, 289 U.S. 253 (1933) (Unterwerfungsgedanke dort aber nur obiter : die Entscheidung beschränkt sich auf die Vereinbarkeit der getroffenen Rechtswahl mit der amerikanischen Bundesverfassung). 87 Ebenso Robert Müller, S. 102; näher oben § 3 I. 1. bei Fn. 8. 88 S. 191 Fn. 6 und S. 291; näher oben § 3 I. 1. bei Fn. 11; vgl. auch Rabel, S. 268f., 272 f.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

juristische Person muß nur die Risiken tragen, die sie beherrschen konnte; sie trägt nicht das Risiko solcher Rechte, deren Berührung sie nicht vermeiden konnte.89 D e r Rahmen ist freilich weit. D e n n i m allgemeinen steht das „schuldige" Organ für die juristische Person u n d entscheidet über den Auslandskontakt an deren Statt. ( U n w i c h t i g ist, ob es dabei seine Weisungen überschreitet. 9 0 Daß Weisungen überschritten werden ist das Risiko dessen, der sie gibt.) D i e Grenze verläuft erst da, w o die juristische Person, als V e r b a n d m i t begrenzten Rechten gegenüber dem Organ, die Entscheidung über den Auslandskontakt nicht hätte an sich ziehen können. W o das Organ nicht für die juristische Person, sondern für sich (oder einen anderen) den K o n t a k t m i t dem A u s l a n d herstellt, wo die Entscheidungsmacht der juristischen Person endet u n d die Selbstbestimmung des Organs beginnt, w o nicht mehr die juristische Person, sondern allein das Organ den V o r t e i l hat, i m A u s l a n d zu w i r k e n , da trifft auch dessen Kehrseite, die Geltung fremden Rechts, das Organ allein. Beispiel: Ein Vorstandsmitglied einer deutschen Aktiengesellschaft verbringt seinen Erholungsurlaub in Österreich. Dort läßt es sich bei einem als privat betrachteten Gespräch zu einer „Schmähkritik" an einem österreichischen Konkurrenzunternehmen hinreißen. Die österreichische Presse greift die Äußerung auf, und das Konkurrenzunternehmen verklagt die Aktiengesellschaft auf Schadensersatz. Maßgebend für die Organhaftung ist deutsches Recht, auch wenn österreichisches Recht über die zuzurechnende Deliktshaftung entscheidet. Die Aktiengesellschaft hat ihrem Vorstandsmitglied nicht vorschreiben können, in welchem Land es seinen Urlaub zu verbringen hatte. Organhaftung nach österreichischem Recht kann ihr deshalb nicht zugemutet werden.

89 Involviert ist die klassische Vorstellung von der Verantwortung - in dem Sinne, daß der Verantwortliche anders als geschehen hätte handeln können. Vgl. auch oben § 7 I. 4. nach Fn. 81. Die Vorstellung klang (und klingt) mitunter an bei der Anknüpfung der Haftung für Gehilfen und wird bezogen entweder auf den Kontakt des Haftenden zum Ausland oder, materiellrechtlicher Sicht entsprechend (zur Abgrenzung oben § 7 1. 4. bei Fn. 78 und 79), auf die dort verübte Tat des Schädigers. Nach Zitelmann z.B. treffen die Folgen eines Quasidelikts einen Unschuldigen, der den Schaden oft nicht habe verhindern können und der deshalb nur nach einem Heimatrecht hafte (S. 534, 541; siehe auch oben im Text bei Fn. 87; vgl. damit Nußbaum, S. 191 Fn. 6 und S. 29; anders Zitelmann für die Organhaftung juristischer Personen, vgl. oben § 3 III. 1. bei Fn. 23 - 25); ähnlich Bourel (zu ihm § 4 I I I . , Fn. 105, und, dessen Überlegung erwägend, Dutoit (zu ihm oben § 5 I., Fn. 3). Verwandt ist der Gedanke, die Anwendung fremden Rechts setze eine freiwillige Unterwerfung des Haftenden voraus (oben § 7 1 . 4.,Fn. 86). 90 Ebenso Trutmann, Rn. 149 vor Fn. 44.

I. Parteiinteressen

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5. Ausgleich zwischen den Parteiinteressen

a) Folgerungen aus der Interessenlage Überwiegt das Interesse des Geschädigten, so folgt daraus zweierlei. Erstens: Delikts- und Personalstatut dürfen nicht kumulativ entscheiden. Sonst würde dem Geschädigten die Durchsetzung eines Rechts erschwert, an dessen Geltung er alles Interesse hat. Die Befürworter kumulativer Anknüpfung (Zitelmann, Meili und Mamelok 91) sehen den Zusammenhang der Organhaftung mit dem Deliktsstatut einerseits, dem Personalstatut andererseits und wollen keinen von beiden zerreißen; zu kurz kommt dabei, was die denkbaren Lösungen für die Parteien bedeuten. Zweitens: Im Interesse des Geschädigten muß die Haftung für Organe bejaht werden, wenn das Deliktsstatut sie bejaht. Das Deliktsstatut gilt deshalb allein oder alternativ neben dem Personalstatut der juristischen Person. Alternative Anknüpfung ist durch eine spezifisch kollisionsrechtliche Erwägung nicht zu begründen 92 und folglich abzulehnen. Denn weder hat der Geschädigte ein Interesse am Personalstatut der juristischen Person 93 , noch diese eines am Deliktsstatut. 94 b) Im besonderen: keine alternative Anknüpfung Das Interessenkalkül allein entkräftet die Theorien von Trutmann und Grasmann nicht. Denn die von ihnen verfochtene Alternativität besticht gerade durch die Haltung, die ihr Fehler ist: es mit dem Geschädigten besser zu meinen als er es erwarten konnte. Durch Interessen ist diese Haltung nicht zu widerlegen. Denn sie bestätigt, verstärkt und schließt sich durch ihren eigenen Vollzug: Je mehr man den Rechtsgegner der juristischen Person schützt, desto schützenswerter erscheint er; eben die Gewährung von Schutz macht ihr Objekt, insofern es auf sie vertraut (oder zu vertrauen scheint), von sich abhängig (oder läßt es so erscheinen) und rechtfertigt sich damit selbst.95 Es

91

Oben § 3 I I I . 1. und § 4 1.3. Alternative Anknüpfungen bedingen eine spezifisch kollisionsrechtliche Erwägung; siehe Neuhaus, § 22 I I I . 1., S. 178. Vgl. auch den Ausspruch von Jambu-Merlin, oben § 4 I V . , Fn 84. 93 Oben § 7 I. 1. 94 Oben § 7 I. 2. c). 95 Mehr noch, die Gewährung von Schutz auf dem einen Gebiet hat Tendenz, sich auf andere Gebiete auszuweiten. Man prüfe unter diesem Aspekt die Beweisführung von Grasmann, Rn. 33ff., insbes. Rn. 36: Der Rechtsgegner der juristischen Person, in jeder Außenbeziehung durch alternative Anknüpfungen geschützt, erwartet diese, in den Augen von Grasmann, auch für die Organhaftung. 92

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

gilt daher, die Theorien v o n Trutmann

u n d Grasmann

als i n sich unrichtig zu

widerlegen. Trutmann

m e i n t 9 6 , eine alternative A n k n ü p f u n g der Zurechnung sei gebo-

ten durch das „allgemeingültige Prinzip des Schutzes des Schwächeren". M a n muß indes trennen zwischen kollisionsrechtlicher u n d materiellrechtlicher Schwäche. I m Kollisionsrecht ist schwach, wer, zwischen mehreren Rechtsordnungen hin- u n d hergerissen, die Orientierung v e r l i e r t 9 7 , wer die W a h l des ihn interessierenden Rechts von vornherein nicht durchsetzen k a n n 9 8 oder, schließlich, wer durch fremdes Recht überrascht 9 9 , ineffektiv oder wohlerworbener Rechte entkleidet w ü r d e .

101

behandelt100

I n allen anderen Fällen

ergibt sich jemandes Stärke oder Schwäche erst aus dem M a ß , i n dem das anwendbare materielle Recht seine Position festigt oder schutzlos läßt. I h n bereits i m Kollisionsrecht zu schützen, wäre deshalb ein V o r g r i f f .

102

96 Rn. 147 - 152. 97 So werden die Formgültigkeit von Rechtsgeschäften und manche Wirkungen von Ehe und Familie begünstigt durch alternative Anknüpfungen („objektive Alternativität"); vgl. Artt. 11 Abs. 1 - 3, 14 Abs. 4 S. 2, 26 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, Abs. 4 EGBGB (Form der Rechtsgeschäfte) und Artt. 19 Abs. 1 S. 2, 20 Abs. 1 S. 1 und 3, 21 Abs. 1 S. 2 EGBGB (eheliche Abstammung und deren Anfechtung, nichteheliche Abstammung, Legitimation durch nachfolgende Ehe). Auch werden wichtige Familienrechtslagen bei stark divergierenden Verknüpfungen mit dem Ausland vereinfacht durch Rechtswahlrechte („subjektive Alternativität"); vgl. Art. 10 Abs. 2, 3, 5 und 6 EGBGB (Ehe- und Familienname), Artt. 14 Abs. 3 S. 1, 15 Abs. 1 und 2 EGBGB (allgemeine Ehewirkungen und Güterstand, falls die Ehegatten nicht gemeinsam mit einem Staat eng verbunden sind); vgl. auch Art. 25 Abs. 2 EGBGB (Wahl deutschen Erbrechts für Liegenschaften im Inland). Für mehrfache Staatsangehörigkeit vgl. Art. 5 Abs. 1 EGBGB einerseits, Art. 14 Abs. 2 EGBGB andererseits. Selbstverständlich ist das IPR-Gesetz durch den „Schutz des Schwächeren" nicht allenthalben motiviert; doch die im Text diskutierte Alternativität muß in das Muster der Zusammenhänge passen, in denen das Gesetz zu diesem Mittel greift. 98 Vgl. Artt. 29 Abs. 1 - 3,30 EGBGB (Schutz des Verbrauchers und des Arbeitnehmers vor Nachteilen einer Rechtswahl im Interesse der anderen Seite; vgl. auch Art. 27 Abs. 3 EGBGB); ferner B G H Z 53, 332 (337f.) = IPRspr. 1970 Nr. 121b, Urt. v. 16.3.1970 und B G H , Urt. v. 9.3.1977, IPRspr. 1977 Nr. 22, S. 36 (Interesse des Handelsvertreters am Vertragsrecht seines Niederlassungsorts gehe vor, weil er „in der Regel" schwächer sei als der Unternehmer); das besondere Schutzbedürfnis bestimmter Personen ist ein Leitgedanke im internationalen Vertragsrecht der Schweiz (Artt. 122, 117 Abs. 2, 120 Abs. 2 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes). 99 Vgl. z.B. Art. 12 S. 1 EGBGB (Geschäftsunfähigkeit nach dem Recht eines anderen als des ßefindlichkeitsstaats der Vertragsparteien); vgl. auch Art. 31 Abs. 2 EGBGB (Vertragsbindung nach fremdem Recht). 100 Vgl. z. B. Art. 19 Abs. 3 EGBGB (Schutzmaßnahmen zum gefährdeten Wohl des Kindes können immer nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes getroffen werden); ähnlich Art. 24 Abs. 3 EGBGB (vorläufige Maßregeln bei Vormundschaft und Pflegschaft). 101 Vgl. z.B. Art. 23 EGBGB (keine Annahme als Kind ohne die Zustimmungen, die das Heimatrecht des Anzunehmenden voraussetzt). 102 Noch skeptischer bezüglich der Feststellbarkeit spezifisch kollisionsrechtlicher Schwäche ist Neuhaus, Besprechung: „Wenn es Aufgabe des Rechtes ist, den von Natur aus Schwächeren zu schützen, so kann im Einzelfall der von jeder beteiligten Rechts-

I. Parteiinteressen

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Wie sind kollisionsrechtlich Schwache zu schützen? Der Schutz ist auszurichten an seinem Zweck: dem Schwachen vergleichbare Sicherheit zu geben wie in einem Inlandsfall. Der Schweizer Charles Knapp, der den „Schutz des Schwächeren" zu einem Gesichtspunkt des IPR gemacht hat, empfiehlt dafür Anknüpfungsstufen 103 : „Quand une règle de rattachement conduit à des solutions manifestement préjudiciables aux intérêts des faibles, c'est-à-dire des personnes à qui l'ordre juridique accorde une protection caractérisée, cette règle de rattachement doit céder le pas à une seconde règle mieux propre à apporter des solutions justes et utiles. C'est le principe de la substitution des rattachements avec utilisation cascadante de ceux-ci." 104

Im Grundsatz gilt also, wie in einem Inlandsfall, für jede Rechtsfrage immer nur ein Recht. Alternative Anknüpfung ist der rechte Schutz nur für unsere erste Gruppe von Schwachen: für jene, die, zwischen mehreren Rechtsordnungen hin- und hergerissen, die Orientierung verlieren. Die Geschäftsform, die jemand, schwankend zwischen Geschäftsrecht und Ortsrecht, gewählt hat, die Legitimation eines Kindes, dessen Eltern verschiedenen Staaten angehören und nach seiner Geburt geheiratet haben - sie sind gültig, wenn auch nur eines der in Frage kommenden Rechte es bejaht. 105 Dieser Gruppe von Schwachen läßt sich der Deliktsgeschädigte, jedenfalls bezüglich der Organhaftung, nicht assoziieren. Der Schutz, sagten wir, muß sich ausrichten an der Lage in Inlandsfällen. In Inlandsfällen sind Geschädigte auf das beschränkt, was ein einzelnes Recht ihnen gibt. Sie haben nicht die Chance, daß ein anderes Recht ihnen mehr bietet und deswegen zum Zuge kommt. Warum soll man ihnen diese Chance geben, wenn zufällig ihr Fall das Ausland berührt? Die Antwort könnte lauten: weil auch die deutsche Deliktskollisionsnorm es tut. Die Sympathie mit dem Opfer sei im allgemeinen größer als die mit dem Täter, meint Kegel 106, und darum gälten Handlungs- und Erfolgsortrecht alternativ. Hinter die Deliktskollisionsnorm, altüberliefert und feststehend wie sie ist, wird man nicht leicht ein Fragezeichen setzen 107 - wohl aber hinter Ordnung gewährte Schutz bald unzulänglich sein, bald über das Ziel hinausschießen, so daß nun wieder der andere Teil der Schutzbedürftige ist. Generelle Regeln aufzustellen, welche Partei in kollisionsrechtlichen Fällen schutzbedürftig sei, ist wohl kaum möglich." 103 Man könnte auch sagen: hauptsächliche und hilfsweise Anknüpfungen. 104 S. 172f. 105 Artt. 11 Abs. 1, 21 Abs. 1 S. 2 EGBGB. 106 L B , § 18 IV. 1. a) aa), S. 405 - 407; ebenso O L G Saarbrücken, Urt. v. 5.3.1963, IPRspr. 1962 - 1963 Nr. 38, S. 97; für eine praktische Argumentation vgl. O L G Oldenburg, Zwischenurt. v. 10.5.1967, IPRspr. 1967 Nr. 46, S. 149, angelehnt an RGZ 138, 243 (247), Urt. v. 12.11.1932 = IPRspr. 1932 Nr. 60 (für Schiffszusammenstoß auf hoher See gilt bei einseitigem Verschulden das dem Geschädigten günstigere Recht). 107 Vgl. aber die ausländischen Lösungen oben § 6 I I I . 1. bei Fn. 60 - 69 und insbesondere die der Schweiz.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

ihre Begründung durch Kegel: Es gibt keine Klassen von „Opfern" und „Tätern", sondern nur Streitverwickelte in höchst unterschiedlichen Lagen 108 ; diese würden leicht verkannt oder nivelliert, beließe man die Parteien in der Dynamik spontaner Sympathien, wie der Eindruck eines Unglücks sie im Publikum hervorruft. Durchaus läßt die deutsche Deliktskollisionsnorm sich ohne den „Schutz des Schwächeren" erklären 109 , und sobald dieser als ihre ratio entfällt, entfällt auch die Brücke für die Übertragung der Alternativanknüpfung auf die Organhaftung. Grasmanns These 110 ist bei Lichte 1 1 1 diese: Eine juristische Person, die im Sitzstaat „deliktsfähig" ist, ist es überall. Impliziert scheint eine Parallelwertung zur Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit, wie die deutsche Bundesregierung sie der siebten Haager Konferenz vorgeschlagen hat 1 1 2 und das Gesetz in Liechtenstein sie enthält. 113 Die Parallele überzeugt zunächst, denn der juristischen Person geschieht durch die Anwendung ihres Personalstatuts kein Unrecht. Aber das Unerträgliche an alternativer Anknüpfung ist nicht die Anwendung des Personalstatuts (oder des Deliktsstatuts), sondern das Zusammenfügen der Zurechnungsnormen beider - so als wären sie Absätze einer neuen Zurechnungsnorm, die beide an Schärfe übertrifft. Beispiel: Das Deliktsstatut rechnet der juristischen Person selbst geringes Fehlverhalten ihrer Organe zu und erlaubt keine Entlastung; es begrenzt aber die Haftung für Organe auf eine Höchstsumme. Das Personalstatut rechnet der juristischen Person nicht jedes Fehlverhalten zu oder erlaubt eine Entlastung, setzt aber der Höhe der Haftung keine Grenze. Bei alternativer Anknüpfung müßte die juristische Person einerseits hohen Aufwand treiben, um jedes Fehlverhalten zu unterbinden, und andererseits sich in unbegrenzter Höhe zu versichern. Denn sie könnte nicht wissen, welches Recht gegebenenfalls zum Zuge kommt.

108

Oft ist es sogar Zufall, welche Seite klagt und die andere damit in die Rolle des „Täters" drängt (z.B. im Streit um Rechte im Wettbewerb). 109 Vgl. z.B. Neuhaus, § 22 I I I . 1., S. 178, bei Fn. 489: Die Wahl der dem Verletzten günstigeren Rechtsordnung entspreche der auch im materiellen Recht vordringenden Gefährdungshaftung, welche das Risiko einer Handlung auch ohne „Verschulden" des Handelnden diesem selbst und nicht einem anderen aufbürde. 110 Oben § 3 III. 2. 111 D.h. ohne den eher ablenkenden Vorwurf „hoffnungsloser Begriffsjurisprudenz". 112 Oben § 5 V I I . Zur Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit vgl. Art. 7 EGBGB a.F. und Artt. 7, 12 EGBGB i.d.F. vom 25.7.1986. Vgl. auch Kegel, LB, § 2 II. 2., S. 76 (Verkehrsschutz analog Art. 7 Abs. 3 S. 1 EGBGB a.F. hinsichtlich der Rechts- und Handlungsfähigkeit juristischer Personen mit Sitz im Ausland). Gegen eine Parallelwertung Eckstein, S. 236: Bei der Geschäftsfähigkeit stünden die Interessen der Person, um die es gehe, im Vordergrund, bei der Deliktsfähigkeit die des Geschädigten und des Verkehrs. 113 Oben § 4 I I I .

I. Parteiinteressen

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Eine solche Schärfung durch alternative Anknüpfung kann es bei der Geschäftsfähigkeit nicht geben. „Geschäftsfähigkeit" besagt in allen Rechtsordnungen mehr oder weniger dasselbe, und die Frage ist nur, ob jemand geschäftsfähig ist oder nicht. Ein Ausländer, der in Deutschland ein Rechtsgeschäft abschließt, muß allenfalls prüfen, ob er nach deutschem Recht geschäftsfähig wäre 114 ; er lebt nicht nebeneinander mit zwei Geschäftsfähigkeiten. Wohl aber lebte die juristische Person infolge alternativer Anknüpfung mit zwei „Deliktsfähigkeiten". Denn anders als der Begriff es glauben macht 115 , besagt korporative „Deliktsfähigkeit" nicht überall dasselbe und unterscheiden die Normen über Organhaftung sich mannigfach. 116 Die Geschäftsfähigkeit wird durch alternative Anknüpfung (an Heimat- und Verkehrsrecht) bloß gestaffelt nach ihren Voraussetzungen in den einzelnen Ländern 1 1 7 ; die korporative „Deliktsfähigkeit" wird eine doppelte. Verdoppelung der „Deliktsfähigkeit" bedeutet: Der Geschädigte geht den Weg des geringeren Widerstands und kann nur gleich oder besser stehen als nach dem Recht seines Interesses. Die juristische Person dagegen trägt die Härten des einen Rechts, auch wenn das andere sie nicht kennt, erreicht aber seine Haftungsgrenzen nur, wenn das andere zustimmt. Dafür gibt es keinen Anlaß. Die juristische Person hat sich dem Risiko eines fremden Rechts unterworfen, das ist richtig, aber doch dem Risiko dieses Rechts im ganzen. Wenn daraus folgt, daß sie seine Nachteile trägt 1 1 8 , so genießt sie umgekehrt die Vorteile (auch solche, die das Personalstatut ihr vorenthält). Denn wie das eigene so ist auch das fremde Recht ein abgestimmter Komplex von Vor- und Nachteilen. Mit ihm kann die juristische Person sich notfalls abfinden, und das hat es erlaubt, die Anwendung fremden Rechts zu erklären mit der freiwilligen Übernahme seines Risikos. 119 Nicht so bei alternativer Anknüpfung. Diese stellt der juristischen Person die jeweils schlechteste aller Möglichkeiten in Aussicht. Einem solchen Regime unterwirft niemand sich kraft freiwilliger Entschließung; man kann es ihm nur aufzwingen um des sachlichen Ergebnisses willen. Dann gilt (alternativ) fremdes Recht, nicht weil es der juristischen Person zuzurechnen wäre, sondern weil es das „bessere" Recht sein könnte, das den Geschädigten gewinnen läßt. 1 2 0

114

Vgl. Art. 12 S . l EGBGB. Zum Begriff der „Deliktsfähigkeit" oben § 6 I I I . 1. und § 7 1 . 3 . 116 Nämlich in Voraussetzungen und Folgen und im Zusammenspiel mit anderen Normen; zu letzterem oben § 7 I. 2. b) nach Fn. 36. 117 Ζ . B. jemand gilt in einem ausländischen Staat als geschäftsfähig ab achtzehn Jahren, ist es aber in seinem Heimatland erst ab neunzehn. 118 Oben § 7 1 . 4 . 119 Oben § 7 I. 4. 120 Zur Deplaciertheit des „better law"-Denkens in unserem IPR oben § 6 IV. am Ende; vgl. auch Kegel, L B , § 2 I., S. 71 - 73, § 3 X. 2. b), S. 122. 115

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

I I . Verkehrsinteresse Dem Verkehr ist gedient, wenn man leicht und sicher geht (Kegel 121). Sicher ginge man nicht, wenn jede juristische Person nach ihrem Personalstatut belangt werden müßte: Der eine Geschädigte hätte Glück und könnte sich voll, rasch und einfach erholen; der andere Geschädigte hätte das Nachsehen. Dem Verkehrsinteresse dient daher die gleichförmige Anwendung des Tatortrechts. In der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland 122 vergleichen manche nicht die Lage der im Verkehr befindlichen Geschädigten, sondern die der Haftenden: Es wäre unerträglich, sagen sie, wenn eine ausländische juristische Person für eine Deliktstat im Inland weniger haften müßte als eine inländische. 123 Diese Formulierung wendet sich gegen Ausländervorrechte, die bei Lichte keine sind: Eine ausländische juristische Person, die, wie eine inländische, an ihrem Personalstatut gemessen wird, wird im kollisionsrechtlichen Sinne gleich und nicht bevorzugt behandelt. Man darf deshalb die Strukturunterschiede in- und ausländischer juristischer Personen (und die damit verbundenen Parteiinteressen 124) nicht schon bei der Feststellung der Interessen verdrängen, sondern muß es, wenn überhaupt, bei ihrer Abwägung tun: Ist das Verkehrsinteresse so stark, daß eine ausländische juristische Person, trotz unterschiedlicher Struktur, so haften muß wie eine inländische? Stark ist das Verkehrsinteresse, je mehr die Schädigung aus den gleichartigen Bewegungen vieler hervorgeht. (Ζ. B. geht sie im Fall des Lausanner Dekorateurs 125 aus den Bewegungen des deutschen Straßenverkehrs hervor; dessen Interesse ist stärker als das Parteiinteresse der René B. S. A . am Recht der Schweiz.) Schwach ist das Verkehrsinteresse, je mehr die Schädigung aus eigentümlichen Bewegungen 126 oder aus den Beziehungen der Parteien hervorgeht 127 ; in diesem Fall entscheiden die Partei- und sonstigen Interessen allein.

Erst recht abzulehnen ist die schweizerische Meinung, die Organhaftungsnorm des Inlands gehöre zum ordre public, und ihr Geltungsanspruch für alle Deliktstaten im Inland sei unantastbar. 128 Denn wo die Parteiinteressen über121

L B , § 2 II. 2., S. 75 (Herv. im Orig.). Oben § 4 I. 2. bei Fn. 25, § 4 V I I . bei Fn. 126 und § 3 I. 1. bei Fn. 4 und 5. 123 Vgl. in diesem Zusammenhang Art. 16 Abs. 2 der „disposizioni preliminari" in Italien. 124 Oben § 7 I. 2. a). 125 Oben § 7 am Anfang. 126 Die dem Verkehr innewohnende Gleichartigkeit der Bewegungen fehlt z.B., wenn eine französische Körperschaft mit Sitz in Lothringen ein Elektrizitätswerk betreibt, aus dessen Schloten feiner Ruß auf Pflanzungen im Saarland niedergeht. So in O L G Saarbrücken, Urt. v. 22.10.1957, IPRspr. 1956 - 1957 Nr. 42 = NJW 1958, 752 (Halterhaftung nach Art. 1384 Cc; vgl. NJW 1958, 753 rechts, dritter Absatz). 127 Dem ist nachzugehen bei der Betrachtung von Sonderfällen (unten § 8). 128 Oben § 4 I. 2. bei Fn. 27. 122

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normen Widersprüchen

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wiegen, da toleriert die inländische Ordnung durchaus verschiedene Haftung für gleiche Tat. Verletzt ζ. B. ein Italiener in Deutschland durch dieselbe Handlung einen Deutschen und einen anderen Italiener, so haftet er dem Deutschen nach deutschem und dem Italiener nach italienischem Deliktsrecht (jedenfalls wenn beide Italiener sich gewöhnlich in Italien aufhalten). Begeht ein Deutscher die Handlung, so haftet er beiden Verletzten nach deutschem Recht. 1 2 9

I I I . Ordnungsinteressen am Einklang der Organhaftung mit der Haftung und sonstigen Zurechnungsformen: Kollisionsrechtliche Lösungen zur Verhütung und materiellrechtliche Lösungen zur Heilung von Normenwidersprüchen Das Ordnungsinteresse am inneren Entscheidungseinklang verlangt, daß Normen Widersprüche vermieden oder aufgehoben werden. 1. Wege zum Einklang von Haftung und Haftungszurechnung: Überwindung von Nonnenwidersprüchen infolge verschiedener und infolge gleicher Anknüpfung der beiden Fragen

Die Organhaftung liegt im Spannungsfeld zwischen Haftungs- und Personalstatut und gerät, wenn eines dieser Rechte über sie entscheidet, in möglichen Widerspruch zu Sachnormen des anderen. Es folgt zunächst ein Überblick über die denkbaren Erscheinungsformen solcher Normenwidersprüche (unten a) und über die denkbaren Abhilfen (unten b). Eine der Abhilfen wird sich als vorzugswürdig erweisen und ist zu vertiefen (unten c).

a) Erscheinungsformen

der Normenwidersprüche

aa) Erscheinungsform bei Maßgeblichkeit des Personalstatuts der juristischen Person für die Organhaftung: Zusammentreffen scharfer bzw. milder Haftungs- und Zurechnungsformen Entscheidet über die Organhaftung das Personalstatut, so können nebeneinander ein scharfes Haftungsrecht und ein scharfes Zurechnungsrecht (oder ein mildes Haftungsrecht und ein mildes Zurechnungsrecht) zur Anwendung kommen. 130 Die juristische Person haftet dann schärfer (oder milder) als es 129 Vgl. Art. 40 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 des Regierungsentwurfs, dazu oben § 1 II. 1. a) aa) bei Fn 29; für das derzeit geltende Richterrecht vgl. die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oben § 6 I V . , Fn. 77. 130 Ebenso Großfeld und Ebenroth, dazu oben § 3 I. 1. bei Fn. 12. Vgl. dazu das Beispiel oben § 7 1 . 2 . a) nach Fn. 19.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

dem gemeinsamen Inhalt von Haftungs- und Personalstatut oder als es dem Inhalt eines von beiden entspräche (beiderseitiger bzw. einseitiger Sollenswiderspruch 131 ). Die Worte „scharf" und „mild" sind allerdings mit einem Körnchen Salz zu nehmen. Der Normen Widerspruch ist nicht wie sonst festzustellen durch Vergleich der Ergebnisse der angewandten Rechte mit dem aus der Verbindung ihrer Teile. Denn die Rechtsfolgen der Zurechnungsnormen (Passivlegitimation und, vielleicht, Privilegierung der juristischen Person) sind von anderer Art als die der Haftungsnormen (z.B. Schadensersatzpflichten). Die einen können deshalb die andern nicht schärfen oder mildern (abgesehen vom Fall einer Begrenzung der Haftungsbeträge durch die Zurechnungsnorm). Man kann z.B. nicht gut sagen, die Zurechnungsfolge der Passivlegitimation werde verschärft durch die Haftungsfolge einer bestimmten Zahlungspflicht.

Der Normenwiderspruch ist deshalb festzustellen, nicht indem man die Rechtsfolgen, sondern indem man die Tatbestandsmerkmale der berufenen Haftungs- und Zurechnungsnormen zusammennimmt und sie vergleicht mit denen der angewandten Rechte für sich. Mit den zusammengenommenen Tatbestandsmerkmalen vermehren und vermindern sich die Verteidigungschancen der juristischen Person (und reziprok die Angriffschancen des Geschädigten). Besteht zwischen den Verteidigungschancen nach einem oder beiden der angewandten Rechte und denen nach ihrer Kombination keine Äquivalenz, so ist ein Normenwiderspruch angezeigt. Der Vergleich der Verteidigungschancen kann allerdings schwer fallen. Die Tatbestandsmerkmale der Zurechnung und der Haftung, die man jeweils zusammennehmen muß, können einander in ihrer Schärfe (oder Milde) unvergleichbar sein; denn soweit sie qualitativ verschieden sind, kann man sie nicht einem gemeinsamen Äquivalenzmaßstab zuführen und einander so vergleichbar machen. Ζ. B. läßt sich, was die Verteidigungschancen der juristischen Person angeht, kaum sagen, ob verschuldensunabhängige Haftung im einen Recht aufgewogen wird durch eine Verengung des Organbegriffs im anderen.

bb) Erscheinungsformen bei Maßgeblichkeit des Haftungsstatuts für die Organhaftung: Unstimmigkeiten zwischen der Organhaftungsnorm des Haftungsstatuts und der Organisation der juristischen Person Entscheidet über die Organhaftung das Haftungsstatut, so gilt eine Zurechnungsnorm, deren Tatbestand auf eine Gesellschaftsverfassung Bezug nimmt, die das belangte Gebilde nicht hat. 1 3 2

Begriffe nach Kegel, LB, § 8 II., S. 199 - 201. Dies zu vermeiden liegt mittelbar auch im Parteiinteresse der juristischen Person; dazu oben § 7 I. 2. a) vor Fn. 17. Vgl. auch die Äußerung des Praktikers oben § 1 I I I . 132

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenidersprüchen

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I m schlimmsten Falle stoßen die Begriffe der Zurechnungsnorm dann ins Leere. So wenn die § § 3 0 , 31 B G B berufen sind u n d das belangte Gebilde keine Sachwalter hat (oder zu haben verpflichtet ist), die auch nur annähernd die Eigenschaften eines „ O r g a n s " besäßen 1 3 3 ; oder wenn die „wesensmäßigen" Funktionen, die bei uns einzelne „Repräsentanten" erfüllen, nur durch Gremien wahrgenommen werden können oder, statt auf natürliche Personen oder Gremien delegiert zu werden, bei der Personenverbindung i m ganzen ( z . B . der Versammlung ihrer Mitglieder) verblieben sind. Es wäre ein I r r t u m zu glauben, die Angehörigen aller fremden Gebilde ließen sich ohne Gewalt entweder auf den Begriff des „ O r g a n s " oder auf den des „ G e h i l f e n " bringen.134 Z u d e m : Läßt sich niemand (oder lassen sich nur wenige) innerhalb des fremden Gebildes als „ O r g a n e " qualifizieren, ohne daß, i m Lichte des fremden Organisationsrechts, ein Organisationsmangel vorläge, so ist die Flucht i n den Entlastungsbeweis (§ 831 A b s . 1 S. 2 B G B ) leichter als i m Fall irgendeiner deutschen Personenverbindung, u n d der Inhalt des berufenen deutschen Zurechnungsrechts k o m m t nicht zu seiner wahren Geltung. Beispiele: 1. Die „Curl Up and Dye Beauty Supply, Inc." ist ein kleinerer Betrieb, der Haarkosmetika vertreibt und inkorporiert ist nach dem Recht von New York. Die Direktoren der Gesellschaft haben gegen festes Entgelt und mit fester Arbeitszeit einen Schönheitsberater angestellt, der, allein und selbständig, die Kundinnen für die Erzeugnisse begeistern und das Bild des Unternehmens in der Öffentlichkeit pflegen soll. Nach dem Recht von New York ist er „servant", und für die Gesellschaft heißt es deshalb gegebenenfalls „respondeat superior". 135 Wo indes § 31 BGB berufen ist, könnte man fragen, ob der Schönheitsberater „wesentliche Funktionen" erfülle und deshalb ein Organ der Gesellschaft sei. Die Frage läßt sich kaum beantworten. Das Business Corporation Law von New York kennt weder den Begriff des Organs, noch Rechtsstellungen, die ihm 133 Daher die Frage in O L G Schleswig, Urt. v. 3.3.1970, IPRspr. 1970 Nr. 19 = SchlHA 1970, 186 (dazu oben § 1 1 . bei Fn. 11), ob das dänische Personalstatut der belangten Aktiengesellschaft die Figur des Organvertreters überhaupt kenne. 134 Die Wiedergabe der Erscheinungen einer Rechtsordnung in den Begriffen einer anderen ist ein Grundproblem der Rechtsvergleichung und der internationalen Beratungspraxis. Vorliegend geht es um den Versuch, aus dem Geflecht von Berechtigungen und Beziehungen, als das die juristische Person sich darstellt, durch systemfremde Begriffe diejenigen herauszugreifen, die in den Begriffsumfang fallen, und sie „für sich" als das nach fremdem Recht Maßgebende vorzustellen (z.B. Berechtigungen und Beziehungen, die in den Umfang des deutschen Organbegriffs fallen). Ähnlich problematisch wäre etwa die Frage, wer innerhalb eines gestuften, gestückelten und zeitlich dimensionierten Geflechts amerikanischer Liegenschaftsberechtigungen zu einer bestimmten Zeit als Grundstückseigentümer im Sinne des deutschen Sachenrechts anzusehen sei. In der Unzulänglichkeit systemfremder Begriffe gegenüber dem Ganzen, in das sie hineingreifen (Selektivität), liegt eine Gefahr, die im Auge zu behalten ist. Näher unten § 7 III. 1. b) cc) und § 7 I I I . 1. c) aa). 135 Vgl. dazu die Bemerkungen oben § 4 I X . 1. am Ende, § 6 II. 2., Fn. 25 und § 7 I. 2. a) bei Fn. 23.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

entsprächen. Vielmehr verteilen sich die „wesensmäßigen Funktionen" der Gesellschaft auf Aktionäre, Direktoren und Geschäftsführende („officers"), und es kann höchst diffizil sein zu bestimmen, wer in welcher Angelegenheit und unter Beachtung welches Verfahrens das letzte Wort hat. 1 3 6 2. Nach dem Recht eines Entwicklungslandes kann die landwirtschaftliche Bevölkerung sich in Kooperativen mit eigener Rechtspersönlichkeit organisieren. In den Kooperativen werden alle Angelegenheiten auf den Versammlungen der Mitglieder durchgesprochen, entschieden und einzelnen Mitgliedern zur Ausführung überwiesen. Auf leitende Entscheidungsträger wird verzichtet. 137 Hier ist es kaum möglich, einzelne Mitglieder der Kooperativen als „Organe" im Sinne von § 31 BGB anzusprechen. 138

Aber selbst wenn der Sachverhalt den Begriffen der berufenen Zurechnungsnorm unterfällt, können diese, weil selektiv 139 , das Wesentliche der Zurechnungsfrage verfehlen: den rechtlichen Hintergrund des belangten Gebildes und die Eigenart der Stellung des Täters in ihm. Beispiele: 1. Ein Volkseigener Betrieb der D D R ist juristische Person und unterfällt deshalb, wo das Recht der Bundesrepublik Deutschland gilt, § 31 BGB (vielleicht mit § 89 Abs. 1 B G B ) . 1 4 0 Unser Begriff der juristischen Person verfehlt jedoch den Hintergrund durchweg staatlich-kollektivistischen Wirtschaftens und die ihm entsprechende kollektive Schadenstragung. 141 2. Das Vorstandsmitglied einer bundesdeutschen Aktiengesellschaft ist, wo das Recht der D D R gilt, vielleicht ein „Werktätiger" im Sinne von § 331 ZGB (der anscheinend einzigen Norm der D D R über die außervertragliche Haftung für Leute). 1 4 2 Der Begriff des „Werktätigen" verfehlt aber die herausgehobene Stellung des Vorstandsmitglieds und die ihr entsprechende Haftung sowohl der juristischen Person als auch des Organs nach außen. (Die Norm stößt außerdem bezüglich des Zurechnungssubjekts ins Leere, es sei denn, man behandelte die bundesdeutsche Aktiengesellschaft entsprechend dem Volkseigenen Betrieb, für den die Norm aufgestellt ist.) 1 4 3

136

Zu diesem Fall unten § 7 I I I . 1. b) aa) bei Fn. 190. Der Verfasser denkt besonders an den israelischen Kibbuz, konnte aber dessen Rechtssituation nicht aufklären. 138 Zu diesem Fall unten § 7 I I I . 1. b) cc) bei Fn. 167. 139 Zur Selektivität der Begriffe soeben Fn. 134 und unten § 7 I I I . 1. b) cc) bei Fn. 148 und § 7 III. 1. c) aa) bei Fn. 182 - 185. 140 So anscheinend L G Hamburg, Teilurt. v. 14.6.1957, IzRspr. 1960 - 1961 Nr. 63; dazu oben § 1 II. 2. b) cc), Fn. 92. 141 Zu diesem Fall unten § 7 I I I . 1. c) cc) bei Fn. 229; zur kollektiven Schadenstragung in der D D R oben § 7 1 . 3 . nach Fn. 60, insbes. Fn. 64. 142 Der kommunistische Gesetzgeber leugnet das Bestehen privater Abhängigkeitsverhältnisse wie z.B. § 831 BGB sie voraussetzt. Eine allgemeine außervertragliche Haftung für Dritte soll es deshalb nicht geben (so Posch, Zur zivilrechtlichen Verantwortung für Dritte, NJ 1977, 331 ff.; a. A . Göhring, Kennt das Z G B eine außervertragliche Verantwortung für Dritte?, NJ 1977, 302f.). 143 Z u diesem Fall unten § 7 III. 1. c) aa) bei Fn. 194 und § 7 III. 1. c) cc) nach Fn. 222. 137

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normen Widersprüchen

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Im strengen Sinne liegt weder im einen noch im anderen Fall ein Normenwiderspruch. Denn für die Haftungszurechnung wie für die Haftung selbst gelten die Rechtssätze des Haftungsstatuts, die aufeinander abgestimmt sind, und nicht Rechtssätze verschiedener Rechtsordnungen, die einander widersprechen. Widersprüche entstehen aber zwischen der Organhaftungsnorm des Haftungsstatuts und der Organisation der juristischen Person, an der ihre Anwendung ansetzt. Im Sinne einer Norm mit ihr fremdartigem rechtlichem Hintergrund (nicht im Sinne sich stoßender Normen, die berufen sind) soll auch für diese Gestaltung der Begriff „Normenwiderspruch" verwendet werden. b) Grundriß und Vergleich der Abhilfen für die beiden Erscheinungsformen des Normenwiderspruchs aa) Kollisionsrechtliche Lösungen und ihre Bewertung anhand der materiellrechtlichen Ergänzungen Normenwidersprüchen begegnet man, indem man ihnen vorbeugt durch Verschiebung der Geltungsbereiche der Kollisionsnormen oder durch Bildung einer besonderen Kollisionsnorm (kollisionsrechtliche Lösung) oder indem man sie heilt durch Umbildung der berufenen materiellen Rechtssätze oder Bildung einer materiellen Aushilfsnorm (materiellrechtliche Lösung). 144 Im Fall der Organhaftung führt jede kollisionsrechtliche Lösung, wie dargelegt 145 , zu einem Normenwiderspruch, der erst im materiellen Recht zu heilen ist. Es ist daher zu untersuchen, welche materiellrechtliche Lösung die einfachere und welcher Normenwiderspruch der geringere ist. Vom Standpunkt des Ordnungsinteresses am inneren Entscheidungseinklang verdient diejenige kollisionsrechtliche Lösung den Vorzug, die das geringere materiellrechtliche Folgeproblem erzeugt. bb) Materiellrechtliche Lösung bei Maßgeblichkeit des Personalstatuts für die Organhaftung: Anpassung der berufenen Sachnormen an den Inhalt eines der berufenen Rechte Der ärgere Normenwiderspruch ist der beiderseitige: Die Kombination der Organhaftungsnorm des Personalstatuts mit den Haftungsnormen des Haftungsstatuts ist schärfer oder milder als jedes der angewandten Rechte für sich. Die Verteidigungschancen der juristischen Person 146 müssen deshalb 144

Vgl. z.B. Kegel, L B , § 8 III. 1., S. 201 f. Soeben § 7 III. 1. a). 146 Dazu, daß die Normenwidersprüche von der Tatbestandsseite der berufenen Normen, von den Angriffs- und Verteidigungschancen der Parteien her zu betrachten sind, oben § 7 III. 1. a) aa). 145

11 Schohe

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

denen nach einem der angewandten Rechte angeglichen werden; das berufene materielle Recht ist entsprechend umzubilden (Reduktion des beiderseitigen auf einen einseitigen Normenwiderspruch). Die Umbildung hat anzusetzen an der Organhaftungsnorm des Personalstatuts. Das stört weniger als eine Umbildung der Haftungsnormen. Denn diese brächte die juristische Person unter ein anderes Haftungsregime als das Organ persönlich; soweit die Haftung der juristischen Person sich ableitet von der des Organs, wäre eine Zurechnung (im Sinne einer Überleitung der Haftung) von vornherein nicht mehr möglich. Von den Tatbestandsmerkmalen 147 der Organhaftungsnorm sind einzelne oder mehrere so zu verändern, daß die Norm sich der entsprechenden Norm des Haftungsstatuts nähert. Die Veränderung muß so weit gehen, bis ein Gleichgewicht eintritt zwischen den Verteidigungschancen der juristischen Person nach den berufenen Zurechnungs- und Haftungsnormen und denen nach einem der angewandten Rechte. Das Mittel dazu ist entweder eine Angleichung der Organhaftungsnorm des Personalstatuts an die des Haftungsstatuts (man streicht oder verkürzt Tatbestandsmerkmale, die das Haftungsstatut nicht kennt bzw. übernimmt solche, die es über das Personalstatut hinaus vorsieht) oder, wenn die Tatbestandsmerkmale beider Normen sich ähneln, deren Auslegung im Lichte der Deutung, die das Haftungsstatut ihnen gäbe. Die Aufhebung der Normenwidersprüche ist ähnlich problematisch wie ihre Feststellung. Wie zu dieser bemerkt 1 4 8 , können die Tatbestandsmerkmale der Zurechnung und der Haftung einander unvergleichbar sein; ihr Gewicht gegeneinander abzuwägen, fällt dann schwer. Aber selbst wo dies gelingt, kann die hergestellte Äquivalenz der Chancen fragwürdig sein. Denn für die Parteien haben die Tatbestandsmerkmale kein abstrakt-generelles Gewicht, das sich mittels irgendeines Maßstabs vergleichen ließe, sondern das des Beweismaterials, das sich für oder gegen sie anführen läßt. Welches von mehreren Tatbestandsmerkmalen soll man aber umbilden, wenn alle zwar für eine Umbildung geeignet sind, sich aber nach der Beweislage in ihrem Gewicht unterscheiden?

Einseitige Normenwidersprüche, seien es ursprüngliche, seien es solche, die durch die Reduktion beiderseitiger Normenwidersprüche entstanden sind, kann man bestehen lassen. Die Entscheidung bleibt real, denn die Verteidigungschancen der juristischen Person entsprechen denen nach wenigstens einem der angewandten Rechte.

147 Die Aufhebung der Normenwidersprüche muß an den Tatbestandsmerkmalen, nicht an den Rechtsfolgen ansetzen; denn durch jene, nicht durch diese werden sie erzeugt. 148 Oben § 7 III. 1. a) aa).

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normen Widersprüchen

163

cc) Materiellrechtliche Lösung bei Maßgeblichkeit des Haftungsstatuts für die Organhaftung: D i e Suche nach Entsprechungen zwischen dem gemeinten u n d dem angesprochenen Normgegenstand Entscheidet über die Organhaftung das Haftungsstatut, so sind nicht die Sachnormen verschiedener Rechte, sondern Sachnormen desselben einen Rechts b e r u f e n . 1 4 9 D e r Normenwiderspruch ist deshalb zu heilen nicht durch Anpassung der berufenen Sachnormen aneinander, sondern durch Anpassung der berufenen Organhaftungsnorm an ihren Gegenstand. D e r Maßstab dieser N o r m w i r d nämlich angelegt an ein ihr fremdes u n d nicht eigentlich maßverwandtes G e b i l d e . 1 5 0 E r ist deshalb so auf die fremde Gesellschaftsverfassung zu übertragen (bzw. diese auf i h n ) 1 5 1 , daß er einerseits auf das belangte Gebilde anspricht und es i n seiner Eigenart e r f a ß t 1 5 2 , andererseits aber den Sinn

bewahrt,

den er aus seiner A n w e n d u n g

auf inländische

Gebilde

b e z i e h t . 1 5 3 D i e Frage ist m i t h i n , ob sich in den maßgebenden Punkten eine Entsprechung

zwischen dem belangten und den von der Zurechnungsnorm

gemeinten Gebilden (und ihren Angehörigen) begründen läßt: Sind die Gesichtspunkte des berufenen Zurechnungsmaßstabs solche, unter denen beide Gebilde gemeinsam gesehen werden k ö n n e n ? 1 5 4 Die Suche nach Entsprechungen greift weiter als die simple Anwendung berufener Begriffe auf Erscheinungen eines unberufenen Rechts. Die Anwendung der Begriffe entfaltet, allein aus sich heraus, den Sinn ihrer Norm nur in bezug auf Gebilde gleichen Rechts. 155 Sie vermag es nicht in bezug auf fremde Gebilde. Wie ein Förmchen aus einem Stoff bestimmte Figuren stanzt, so greifen die Begriffe des berufenen Rechts bestimmte Beziehungen aus der Verwobenheit eines anderen Rechts heraus, ohne schon als Begriffe dafür zu bürgen, daß diese Beziehungen nach dem Sinn der angewandten Norm die Entsprechenden sind (Selektivität). 156 Deshalb ist nach Entsprechungen und nicht nur nach dem Einzugsbereich der berufenen Begriffe zu fragen; deshalb ist das belangte Gebilde als funktionierendes Ganzes und nicht nur in einem 149

Beschreibung des Normenwiderspruchs oben § 7 I I I . 1. a) bb) nach Fn. 143. Oben § 7 III. 1 a) bb). 151 Zu diesem Problem bereits oben § 7 III. a. a) bb), Fn. 134. 152 Die Begriffe der berufenen Zurechnungsnorm können den rechtlichen Hintergrund des belangten Gebildes und die Eigenart der Stellung des Täters in ihm verfehlen (oben § 7 III. 1. a) bb) nach Fn. 139. 153 Übertragungen von einem Recht auf ein anderes setzen, wie jede analogisierende Betrachtung, eine Begründung aus dem Sinn des Übertragenen voraus, die ein bestimmtes Gemeinsames der beiden Rechte, das „tertium comparationis", entwickelt. 154 Strukturell dieselbe Frage stellt sich seit langem im deutschen materiellen Recht: Welche deutsche Personenverbindungen entsprechen in den für die Organhaftung maßgebenden Beziehungen dem rechtsfähigen Verein, für den § 31 BGB konzipiert ist? Der Unterschied zu Ähnlichkeitsurteilen im IPR liegt darin, daß dort die Zurechnungsnorm mit etwas konfrontiert wird, das ihr Recht nicht enthält und vielleicht nicht einmal sinnvoll enthalten könnte; dazu oben § 7 III. 1. a) bb). 155 Näher unten § 7 I I I . 1. c) aa) bei Fn. 181 - 185. 156 Vgl. bereits oben § 7 III. 1. a) bb), Fn. 134. 150

1*

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

begrifflichen Ausschnitt zu betrachten; deshalb ist es zunächst aus sich heraus und nicht sogleich in ihm fremden Begriffen zu verstehen, bevor es, in einzelner Hinsicht, in die Sprache der berufenen Norm übertragen werden kann (bzw. diese Sprache auf das berufene Gebilde).

Bei Anwendung der berufenen Organhaftungsnorm ist also dreierlei in den Blick zu nehmen: neben der Gesellschaftsverfassung des Haftungsstatuts als dem Modell, dem zu entsprechen ist, und neben dem Zurechnungsmaßstab des Haftungsstatuts als „tertium comparationis" auch das möglicherweise Entsprechende: die Gesellschaftsverfassung des Personalstatuts in ihren angesprochenen Beziehungen. Die Gesellschaftsverfassung des Personalstatuts kann auf zwei Wegen ins Spiel kommen. Der erste Weg verläuft über die Formulierung des Obersatzes der Zurechnung. Die Begriffe im Tatbestand der berufenen Organhaftungsnorm (z.B. der des Organs) erscheinen als Ausdruck von Rechtsfolgen und mithin von Sachnormen-Vorfragen. Diese unterfallen, gleich ob man sie selbständig nach unserem IPR oder unselbständig nach dem des Haftungsstatuts anknüpft, dem Personalstatut der juristischen Person. Es ist folglich dieses Personalstatut, das die Begriffe im Organhaftungstatbestand definiert. Eine solche Vorfragenlösung haben das Oberlandesgericht Schleswig erwogen 157 und die oben angeführten italienischen Autoren vertreten. 158 (Das Personalstatut kann die Herrschaft über die Begriffsbestimmungen freilich auch ohne Annahme von Vorfragen erlangen; es genügt, daß man die Auslegung der berufenen Begriffe derjenigen anpaßt, die das Personalstatut den entsprechenden eigenen Begriffen gäbe. 159 ) Der zweite Weg verläuft über die Sammlung der Tatsachen, die mit dem Obersatz der berufenen Norm verglichen und unter ihn subsumiert werden. Die Begriffe im Tatbestand der Organhaftungsnorm definiert in diesem Fall das Haftungsstatut; das Personalstatut sagt nur, ob seine Regeln Zustände ergeben, die den Begriffen, wie das Haftungsstatut sie definiert, unterfallen. 160 Das ist, vereinfacht, die Lösung von Beitzke, Großfeld und StolL 161 157

Dazu oben § 1 1 . bei Fn. 11. Oben § 4 V I I I . bei Fn. 135. 159 Eine solche Lösung vertritt allerdings niemand. 160 Die Formulierung im Text entspricht dem Modell deduzierender Begriffsanwendung. Darin liegt eine Vereinfachung im Interesse des Überblicks. Denn wie erwähnt, können die Begriffe in Fällen mit Auslandsberührung den Sinn ihrer Norm verfehlen (oben § 7 III. 1. b) cc) bei Fn. 156). Die vorgestellte Lösung bedarf in dieser Beziehung der Verfeinerung; dazu unten § 7 I I I . 1. c) aa). 161 Nähere Wiedergabe oben § 3 I. 2. Vgl. aber L G München I, Urt. v. 15.11.1983 und das zugehörige Münchener Rechtsgutachten (oben § 2 I I I nach Fn. 93) (gegen Berücksichtigung ausländischen Rechts bei der Anwendung des deutschen Begriffs des Kraftfahrzeughalters). 158

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normen Widersprüchen

165

Das konkurrierende Recht (hier: das Personalstatut) wird also nicht berufen und angewandt, sondern, in seinen angesprochenen Beziehungen, wie eine Tatsache subsumiert. Rechtszustände gleich Tatsachen zu beschreiben und zu berücksichtigen ist eine Haltung im amerikanischen Rechtsrealismus. In dessen Geiste entstand Ehrenzweigs Datum-Theorie, die dem eben Vorgestellten in manchem nahesteht: in der tatsachengleichen Berücksichtigung fremden Rechts als Alternative zu seiner Anwendung kraft Anknüpfung 1 6 2 , in der stufenweisen Lösung von Rechtswahlkonflikten durch Berufung des einen Rechts auf der ersten Stufe und Berücksichtigung des anderen auf der zweiten. Doch während der radikale Rechtsrealismus, soweit er gegenüber der „Richtigkeit" des überkommenen Rechts gleichgültig bleibt, nihilistisch und zufallsgläubig wirkt, bleibt die vorgestellte Methode der Deduktion aus „werthaft-richtigen" Normen treu: Das fremde Recht wird zwar gleich einer Tatsache behandelt, dies aber nur nach Maßgabe und im Rahmen berufener Sollenssätze.

Der zweite Weg verdient den Vorzug. Die Begriffe der Organhaftungsnorm sind von dem Recht zu definieren, das sie beruft: dem Haftungsstatut. Denn das Haftungsstatut stiftet mit seinem Zurechnungsmaßstab, mit seinen definierten Begriffen den Sinn, der die Entsprechungen zwischen dem einen und dem anderen Recht verklammern soll. Dieser Sinn würde verfälscht, wenn man aus der sinntragenden Norm eine Vorfrage herausläse, die ein anderes Recht beantwortet 163 . Auch käme der Geschädigte auf diese Weise nicht zu seinem vollen Recht. Schließlich ist das Personalstatut, was die Definitionen betrifft, gerade in jenen schwierigen Fällen „überfragt", in denen es die Begriffe des Haftungsstatuts überhaupt nicht kennt. 1 6 4 Wir wollen genau, das heißt: vom Personalstatut, erfahren, wie das belangte Gebilde beschaffen ist und welche Rolle der Täter in ihm gespielt hat; aber wenn wir es wissen, ist es Sache des Haftungsstatuts, die Zustände des Personalstatuts zu bewerten und Schlüsse über die verantwortlichen Personen zu ziehen. Allerdings, die Lösung ist ungeeignet, wo eine Entsprechung im dargelegten Sinne sich nicht begründen läßt. Wo der berufene Zurechnungsmaßstab als „tertium comparationis" nicht taugt, wo der gemeinte und der angesprochene Normgegenstand einer inkommensurabel sind, da läßt die berufene Norm sich nicht übertragen. Das Haftungsstatut enthält dann zwar Zurechnungsnormen, darunter aber keine für das belangte Gebilde. Eine solche Lücke kann dem Sinn seines Zurechnungssystems widerstreiten. Man muß dann eine materielle Aushilfsnorm entwickeln 165 , die das belangte Gebilde und den Täter so erfaßt, wie es dem Sinn des berufenen Zurechnungssystems

162 Näher Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen - Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie. 163 Ähnlich das Münchener Rechtsgutachten, oben § 2 III. nach Fn. 94 (Störung der „Regelungsharmonie" der Haftungsnorm). 164 Man denke an den Fall der New Yorker Gesellschaft oben § 7 I I I . 1. a) bb) bei Fn. 135 und 136. 165 Zu den Möglichkeiten, Normenwidersprüche zu heilen, oben § 7 I I I . 1. b) aa).

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

am besten entspricht: Welche Zurechnungsregel würde der „berufene" Gesetzgeber aufstellen, wenn er Gebilde wie das belangte geschaffen hätte? 166 Beispiel: Im Fall der landwirtschaftlichen Kooperative 167 entspricht keines der Mitglieder einem Organ im Sinne der §§ 31, 30 BGB. § 31 BGB kann folglich nicht übertragen werden. Man kann indes prüfen, ob bestimmte Handlungen im Willen der Kooperative gelegen haben und ihr deshalb zuzurechnen sind. Denn innerhalb des deutschen Zurechnungssystems war früher eine ähnliche Lücke entstanden infolge der Ansicht, § 31 BGB sei unanwendbar auf nichtrechtsfähige Vereine (arg. § 54 S. 1 BGB). In zwei Fällen, in denen eine Entlastung des nichtrechtsfähigen Vereins für sämtliche Vereinsangehörige (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB) untragbar gewesen wäre, hat das Reichsgericht angenommen, die schädigende Handlung habe in der Willensrichtung der Mitglieder und des Vorstands 168 bzw. in der Willensrichtung der Mitgliederversammlung gelegen. 1 6 9 Es kam so zu einer Zurechnung ohne Entlastung einerseits und ohne § 31 BGB andererseits.

dd) Vergleich der materiellrechtlichen Lösungen Der Aufriß der Lösungen zeigt, daß Widerspruchsfreiheit im allgemeinen leichter herzustellen ist, wenn man die Organhaftung so anknüpft wie die Haftung. Widersprüche zwischen Haftung nach einem Recht und Zurechnung nach einem anderen sind die schwierigeren und, allgemein betrachtet, auch die ärgeren. 170 Ihnen begegnet man am besten so, daß sie gar nicht erst eintreten, also kollisionsrechtlich 171 durch die Wahl nur eines Rechts für Haftung und Zurechnung. Entscheidungen auf dieser Grundlage bleiben „real". Denn noch auf der Stufe des materiellen Rechts kann man Rücksicht nehmen auf das Personalstatut der juristischen Person. 172 Dadurch wird die berufene Sachnorm über ihren Gegenstand informiert und kann ihm, wo ihr Sinn es erlaubt, entsprechen. Auf der Grundlage verschiedener Anknüpfung wäre die berufene Organhaftungsnorm dagegen gegebenenfalls umzubilden. 173 Das hätte Tendenz zum „Irrealen", nämlich zu einer Sachnorm, die für den einzelnen Fall erfunden wird. 166 Bezüglich der Methode, Gesetzeslücken auszufüllen, erinnere man sich an Art. 1 Abs. 2 des schweizerischen Zivilgesetzbuchs, auf den die Textstelle anspielt. 167 Oben § 7 III. 1. a) bb) bei Fn. 137 und 138. 168 Urt. v. 26.9.1912, dazu oben § 1 II. 4. b), Fn. 146 a.E. 169 Urt. v. 12.4.1913, dazu oben § 1 II. 4. b), Fn. 146 a.E. 170 Zur Beschaffenheit und Schwierigkeit der einen und der anderen Erscheinungsform des Normenwiderspruchs oben § 7 III. 1. a) und b). 171 Zu den Möglichkeiten, Normenwidersprüchen zu begegnen, oben § 7 III. 1. b) aa). 172 Oben § 7 I I I . 1. b) cc) nach Fn. 159. 173 Oben § 7 III. 1. b) bb).

. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenidersprüchen

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Der Weg über das Haftungsstatut ist aus beiden Gründen der des geringeren Widerstands. 174 Vom Standpunkt des Ordnungsinteresses am inneren Entscheidungseinklang verdient er den Vorzug. 175 c) Die Durchführung der materiellrechtlichen Lösung bei Maßgeblichkeit des Haftungsstatuts für die Organhaftung Der „Weg des geringeren Widerstands" - die entsprechende Anwendung der über das Haftungsstatut berufenen Norm - ist bislang nur in seinem Grundgedanken vorgestellt. 176 Er soll nun im einzelnen durchgegangen werden, und zwar weniger am Beispiel einzelner Organhaftungsnormen (in der Annahme sie seien berufen) als, weiter greifend, in einer Gesamtschau solcher Normen und ihrer typischen Merkmale. Eine Typisierung der Tatbestandsmerkmale ist möglich unter dem Gesichtspunkt dreier Fragen, in deren Beantwortung sie sich in aller Regel erschöpfen: 1. Welche Eigenschaften muß der unmittelbare Täter haben (unten aa)? 2. Wie muß die Tat mit den Geschäften des belangten Gebildes zusammenhängen (unten bb)? 3. Welche Gebilde (oder Personen) erfaßt die berufene Norm als Haftende (unten cc)? 177 Die Gesamtschau des Typischen greift, indem sie den Regelmäßigkeiten der entsprechenden Anwendung nachgeht, weiter als die bloß beispielhafte Anwendung einer herausgegriffenen Sachnorm. Denn wie jede induktive Betrachtung so besagte auch diese kaum etwas Regelmäßiges für die Gesamtheit des Betrachteten, d. h. die berufbaren Sachnormen überhaupt.

aa) Die zurechnungsbegründenden Eigenschaften des unmittelbaren Täters Aus der Menge korporativ verbundener Personen muß die berufene Zurechnungsnorm diejenigen auswählen, deren Taten ohne weiteres den Verband verpflichten. Das tut sie durch Begriffe (und Begriffsbestimmungen), die ihrem eigenen Recht, dem Haftungsstatut, entlehnt sind 178 (z.B. „verfassungsmäßiger Vertreter", „organe social", „servant", „Werktätiger"). Die Begriffe 174

Zum „Gesetz des geringeren Widerstands" bei der Aufhebung von Normenwidersprüchen vgl. Kegel, L B , § 8 I I I . 1., S. 201f. 175 Zum Gehalt dieses Interesses oben § 7 III. am Anfang und § 7 I I I . a. b) aa). 176 Soeben § 7 I I I . 1 b) cc); ferner oben § 3 1 . 2 . 177 Unter dem Gesichtspunkt der drei Fragen vergleiche man mit § 31 BGB die entsprechenden Regeln des Auslands und der D D R ; Nachweise bzw. Wiedergaben oben § 4 I. 4. (Schweiz); § 6 I I I . 1. nach Fn. 31 und § 7 I. 2. a) bei Fn. 27 - 30 (Osterreich); § 4 I V . bei Fn. 78 (Frankreich); § 4 V I . (Luxemburg); § 4 V I I I . , Fn. 135 (Italien); § 4 IX. 1. , § 6 II. 2., § 7 I. 2. a) nach Fn. 23, § 7 I. 3. bei Fn. 70 - 74 ( U . S . A . und insbesondere New York); § 7 1 . 2 . b), Fn. 42, § 7 I I I . 2. c) bb) α, Fn. 290 - 292 (Schweden); § 7 I. 3. bei Fn. 61 - 66 (europäische Oststaaten und D D R ) ; § 7 I. 3., Fn. 61 (Polen). ™ Vgl. oben § 7 III. 1 a) bb) bei Fn. 132 und § 7 I I I . 1. b) cc) bei Fn. 163.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

bezeichnen bestimmte T y p e n v o n Schädigern, u n d diesen muß der Täter funktional nach seiner Einbettung i n die fremde juristische Person

entsprechen. 119

D a b e i ist die Entsprechung zu begründen aus dem Zurechnungsmaßstab, d . h . aus dem Sinn der berufenen N o r m . 1 8 0 D e r Kreis der haftbarmachenden Personen kann infolgedessen weiter oder enger sein als nach der Zurechnungsnorm des Personalstatuts. Entsprechungen ergeben sich allerdings nicht schon aus den berufenen Begriffen u n d ihrer A n w e n d u n g . D e n n die Begriffe verbürgen die Durchsetzung des Normsinns nur i n Bezug auf Erscheinungen ihres eigenen R e c h t s . 1 8 1 Erscheinungen fremden Rechts liegen außerhalb ihres Horizonts u n d verschließen sich ihnen i m Sinngefüge eines anderen Rechtssystems. Das ergibt sich aus folgendem: Der Gegenstand, auf den der berufene Begriff zu beziehen wäre, ist die Stellung des Täters innerhalb des belangten Gebildes. Diese ist Rechtserscheinung und nicht Tatsache. 182 Denn in ihrer konkreten Form ist sie jeweils nur in einem einzigen Rechtssystem möglich (während Tatsachen sich gleichermaßen unter jedem Recht ereignen können). Ihm gehört sie an als funktionales Teil in einem Ganzen: Sie ist nicht aus sich selbst heraus zu verstehen, sondern nur aus ihrer Wirkungsbeziehung zu anderen Teilen des Systems. 183 Die Stellung des Täters ist deshalb durch Begriffe nicht so faßbar wie eine Tatsache. Tatsachen lassen sich aus anderen Tatsachen herauslösen und „für sich genommen" auf einen Begriff bringen - gleichgültig, unter welchem Recht sie sich ereignet haben. Die Stellung des Täters dagegen erschließt sich nur als Teil eines komplexen Gefüges. Sie ist ihnen nur zu vermitteln durch einen übergeordneten Sinnzusammenhang, der beides, den Begriff und seinen rechtlichen Gegenstand, umgreift. 184 In Inlandsfällen ist dieser Zusammenhang vorgegeben. Denn die Teile des betreffenden Rechtssystems sind durchweg aufeinander abgestimmt: Der anwendbare Begriff ist ausgewählt und definiert mit Blick auf die inländischen Rechtserscheinungen und ihre systematischen Bezüge. Seine Anwendung auf diese bringt deshalb den Sinn der Zurechnungsnorm in aller Regel zum Tragen. 179

Zur Suche nach Entsprechungen oben § 7 I I I . 1. b) cc). 180 v g l . Text oben § 7 III. 1. b) cc) bei Fn. 153 und vor Fn. 163. 181

Oben § 7 I I I . 1. b) cc) bei Fn. 155 und 156. A n die dortigen Überlegungen wird im folgenden angeknüpft. 182 £)i e einzige Ausnahme ist die einer ausschließlich tatsächlichen Beziehung zwischen dem Täter und dem belangten Gebilde. 183

Ζ. B. ist die Stellung eines deutschen Vereinsorgans nur aus der betreffenden Satzung zu verstehen, die eines „servant" nur aus dem betreffenden „agency"-Recht, die eines „Werktätigen" nur aus dem „Gesetzbuch der Arbeit" der D D R , die eines „board of directors" nur aus der Wechselbeziehung zu den Aktionären aufgrund Gesetz, Inkorporationsurkunde oder Satzung. Selbst die Stellung eines „schlichten" Arbeitnehmers kann man nur unter Bezug auf ein bestimmtes Recht beschreiben. 184 w i r vermeiden es, von einem „Auslandssachverhalt" zu sprechen, soweit die berufene Norm nicht auf im Ausland eingetretene Tatsachen bezogen wird, sondern auf Erscheinungen eines unberufenen Rechts. Zum Auslandssachverhalt vgl. die Ansicht von Stoll; zu ihr oben § 3 I. 2. bei Fn. 14 - 17.

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenidersprüchen

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Dagegen fehlt ein umgreifender Zusammenhang bei Anwendung des berufenen Begriffs auf ausländische Rechtserscheinungen. Denn für diese hat der Begriff keinen systematisch vermittelten Sinn: Sie haben keinen Einfluß auf seine Konzeption und Entwicklung; sie liegen nicht in seinem Blickwinkel; ja, sie übersteigen den Horizont des Rechtssystems, als dessen Teil er zu verstehen ist. Die sprachlichen Grenzen des Begriffs können hier nur zufällig kongruent sein mit denen des Normsinns.

Beispiel: Es ist streng genommen sinnlos, den folgenden Satz aufzustellen: „Der PräsidentGeneraldirektor einer französischen Aktiengesellschaft ist Vorstand im Sinne des deutschen Aktienrechts." 185 Denn vom Sinn des deutschen Aktienrechts sind die Figuren des französischen von vornherein nicht erfaßt; im besonderen der Begriff „Vorstand" hat keinen Sinn für seinen Gegenstand, den „Präsident-Generaldirektor".

Zur Vermittlung zwischen der berufenen Norm und dem ihr. fremden Gegenstand bedarf es deshalb mehr als nur ihrer Begriffe und mehr als nur des Sinns, den sie aus ihrer Anwendung auf inländische Rechtserscheinungen bezieht. Es ist nicht einfach der berufene Begriff, entsprechend seinem Sinn, mit einem Sachverhalt zu vergleichen - so der Subsumtionsvorgang in Inlandsfällen - , sondern die fremde Rechtserscheinung, auf der Suche nach einem gemeinsamen Sinn, mit der oder denen im Umfang des berufenen Begriffs. 186 Die Frage lautet: Haben die Funktionen des Täters für das fremde Gebilde einen vergleichbaren Sinn wie die Funktionen des begrifflich erfaßten Tätertyps für heimische Gebilde? Die Frage übersteigt die einfache, am Sinn nur der berufenen Norm orientierte Begriffsanwendung in zweifacher Hinsicht. Sie übersteigt erstens den Begriff als solchen. Sie gewährleistet, daß nicht durch die Beziehung des Begriffs auf einen fremden Gegenstand oder, umgekehrt, durch die Betrachtung eines Gegenstands in einem fremdartigen begrifflichen Ausschnitt der Sinn der berufenen Norm verfehlt wird. 1 8 7 Die Frage übersteigt zweitens den Sinn der berufenen Norm selbst. Der Vergleich der Rechtserscheinungen und die Suche nach Entsprechungen bedingen nämlich eine Sinnanalyse auf beiden Seiten des Vergleichs: Gegen den Sinn der Norm, wie sie ihn durch ihre Begriffe den inländischen Rechtserscheinungen mitteilt und wie ihn einige 185 So der Leitsatz der Redaktion in O L G Saarbrücken, Beschl. v. 10.12.1951 - 2 W 36/51 - , IPRspr. 1950 - 1951 Nr. 15 (die dortige Angabe „ L G Saarbrücken" ist unrichtig). Die Entscheidung selbst ist ein Beispiel für die im Text zu entwickelnde Methode: Das Gericht ermittelte nach französischem Aktienrecht, daß allein der „PräsidentGeneraldirektor" gesetzlicher Vertreter der französischen Gesellschaft war; in diesem Punkt entsprach er dem „Vorstandsmitglied" des deutschen Aktienrechts, das seine Unterschrift zur Aufbewahrung beim Gericht der (saarländischen) Zweigniederlassung zu zeichnen hatte. 186 Praktisch kann man sich an den Auslegungsergebnissen des berufenen Rechts orientieren, d.h. an den Typen von Schädigern, die dem berufenen Begriff in Inlandsfällen zugeordnet worden sind. 187 Zu dieser Gefahr insbes. oben § 7 I I I . 1. a) bb) bei Fn. 139.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

unter diesen teilen, ist der Sinn der Stellung des Täters zu halten, wie er sich i n der fremden Gesellschaftsverfassung verwirklicht. D e r gemeinsame Sinn der begrifflich erfaßten u n d der angesprochenen fremden Erscheinungen w i r d so zu etwas, das sie u m g r e i f t 1 8 8 u n d damit die H o r i z o n t e ihres rechtssatzmäßigbegrifflichen Ausdrucks, der nur für Inlandsfälle gedacht ist, übersteigt. 1 8 9 D e r Unterschied i n der Betrachtung ist letztlich der zwischen einer begriffsgebundenen, allein am N o r m s i n n orientierten Rechtsanwendung einerseits u n d einer von den Begriffen gelösten, dem gemeinsamen Sinn der Erscheinungen verpflichteten Rechtsvergleichung andererseits. Beispiele: 1. Im Fall der New Yorker „Beauty Supply, I n c . " 1 9 0 ginge die Frage ins Leere 1 9 1 , ob der Schönheitsberater ein Organ im Sinne von § 31 BGB sei. Denn der Begriff des Organs ist konzipiert für deutsche juristische Personen und hat in einer ohne Organe verfaßten Gesellschaft keinen Sinn. 1 9 2 Man kann nur fragen, ob der Schönheitsberater als Organ zu qualifizieren wäre, wenn er, mit derselben Stellenbeschreibung, von einer deutschen Gesellschaft angestellt worden wäre. Erst in dieser Hypothese gewinnt die weitere Frage Sinn, ob er „wesensmäßige Funktionen" der Gesellschaft erfülle und sie auf diese Weise „repräsentiere". 193 Das ist trotz seiner selbständigen Stellung zu verneinen. Denn eine deutsche Gesellschaft, die Haarkosmetika vertreibt, verändert ihr Wesen und ihre Repräsentation nicht dadurch, daß sie ihre Kunden beraten und ihr Bild in der Öffentlichkeit pflegen läßt. 2. Wie über die gewöhnliche Begriffsanwendung hinauszugehen ist, illustriert die Zurechnungsregel der D D R (§ 331 ZGB) in bezug auf das Vorstandsmitglied einer bundesdeutschen Aktiengesellschaft. 194 Gewiß ist das Vorstandsmitglied „werktätig" und fällt damit in den Umfang des berufenen Begriffs; gewiß entspricht dies auch dem Normsinn, den Betrieb für alle Angehörigen ohne weiteres haften zu lassen. Aber dies allein rechtfertigt die entsprechende Anwendung des § 331 Z G B nicht. Der Begriff „werktätig" hat Unterscheidungskraft nur unter den Rechtsstellungen, die er ins Auge faßt, also denen des Rechts der D D R . Er verfehlt jedoch die herausgehobene Stellung des Vorstandsmitglieds und ihren gesellschaftsrechtlichen Hintergrund, denn der Gegensatz zwischen Organen und Hilfspersonen ist in ihm „aufgehoben" durch dialektischen Kunstgriff. Das kann bedeuten, daß eine Rechtsstellung, wie das Vorstandsmitglied sie hat, in der D D R überhaupt nicht existiert (ja nicht einmal existieren darf) und eine Entsprechung sich deshalb nicht begründen läßt. 1 9 5 In diesem Fall wäre die Norm 188 Zur Notwendigkeit eines „umgreifenden" Zusammenhangs oben § 7 I I I . 1. c) aa) bei Fn. 184. 189 Zur eventuellen Bildung einer materiellen Aushilfsnorm im Falle, daß eine Entsprechung sich nicht begründen läßt, oben § 7 I I I . 1. b) cc) bei Fn. 165. 190 Oben § 7 I I I . 1. a) bb) bei Fn. 135. 191 Zu dieser Problematik oben § 7 III. 1. a) bb) vor Fn. 133. 192 Dazu soeben in Fn. 184. 193 Rechtsprechungsnachweis oben § 7 I. 2. a), Fn. 24. 194 Oben § 7 I I I . 1. a) bb) bei Fn. 142 und 143. 195 Die Organstellung ist, anders als z. B. in Polen, im Recht der D D R ein Fremdkörper (zur Organhaftung in Polen oben § 7 I. 3., Fn. 61).

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenidersprüchen

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nicht anwendbar (oder nur entgegen ihrer Konzeption). Man müßte sich dann entweder mit einer Lücke abfinden 196 oder im Recht der D D R speziell für Vorstandsmitglieder eine materielle Aushilfsnorm entwickeln. 197 Deshalb ist neben dem Sinn der Norm auch nach dem ihres Gegenstands zu fragen, also dem des Vorstands in seiner Gesellschaft. Erst dieses zweite Sinnelement erlaubt zu sagen, ob das Vorstandsmitglied unter jenen der sozialistischen Rechtsstellungen, die dem Begriff des „Werktätigen" unterfallen, eine Entsprechung hat. Der Vorstand - als Träger der Gesellschaft, als Geschäftsführender und Vertreter (§§ 76ff. A k t G ) - steht in seiner Gesellschaft im Gegensatz zu Hilfspersonen. Er ist konstitutives Teil der Gesellschaft selbst, und deshalb haften für „amtliche" Delikte immer nur beide oder keiner (§ 31 BGB). Der Gegensatz ist in der D D R zwar aufgehoben, aber doch in dem Sinne, daß die Gegensätze in ihrer Aufhebung mitenthalten sind: Auch in der D D R gibt es „Direktoren" Volkseigener Betriebe und sonstige „Leitungsorgane" mit wesentlicher Verantwortung für den Betrieb, und diese sind „werktätig" im Sinne des berufenen Begriffs. Im Bezug auf sie offenbart der Sinn des § 331 Z G B sich in einer Weise, die dem Sinn der Vorstandsrolle entspricht: der Einbeziehung selbst solcher „Werktätiger", die ihre Funktionen in einer bundesdeutschen Aktiengesellschaft als Vorstandsmitglieder ausüben würden. Selbst in Anbetracht der aktienrechtlich konstituierten Stellung des Vorstands darf für die Zurechnung also nicht unterschieden werden zwischen ihm und anderen betrieblichen Beschäftigten. § 331 ZGB gilt deshalb für das Vorstandsmitglied entsprechend, und dem Geschädigten haftet allein die Aktiengesellschaft. 198 ' 199

Unsere Lösung dürfte sich in den Ergebnissen treffen mit denen von Beitzke, Großfeld (u.a.) und Stoll. 200 Was wir die „Suche nach Entsprechungen" nennen 201 , liegt der „Substitution" der Rechtserscheinungen nach Großfeld auch in der Methode nahe. 202 Soweit Beitzke und Stoll den Vergleich von Begriff und (Auslands-)Sachverhalt als Rahmen der Lösung beibehalten, bevorzugen wir aus den dargelegten Gründen den unmittelbaren Vergleich der Rechtserscheinungen.

196 Die Annahme einer Lücke ist unausweichlich, denn § 331 Z G B ist anscheinend die einzige Norm der D D R über außervertragliche Leutehaftung; Nachweise oben § 7 I I I . 1. a) bb), Fn. 142. 197 Zu dieser Möglichkeit oben § 7 I I I . 1. b) cc) bei Fn. 165 und 166. 198 Allgemein zu sinntragenden Eigenschaften ausländischer Rechtserscheinungen, die durch die berufenen Begriffe nicht erfaßt werden, unten § 7 I I I . 1. c) cc) bei Fn. 220. 199 Weitere Beispiele unten § 7 I I I . 1. c) cc) im Zusammenhang mit der Auswahl der Zurechnungssub j ekte. 200 Nachweise und Wiedergaben oben § 31. 2. 201 Dazu oben § 7 I I I . 1. b) cc) und § 7 I I I . 1. a). 202 Völlige Identität mit meiner Ansicht soll angesichts der Kürze, in der Großfeld sich ausdrückt, nicht behauptet werden. Vgl. Staudinger / Großfeld, IntGesR, Rn. 229, 238; allgemein zur Substitution Neuhaus, § 46 IV., S. 351 - 353.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

bb) Der Zusammenhang der Tat mit den Geschäften des belangten Gebildes Wie die Tat mit den Geschäften des belangten Gebildes (oder speziell den Aufgaben des Täters) zusammenhängen muß, entscheidet ebenfalls das Haftungsstatut. Denn wie die Umschreibung des Täters und des Zurechnungssubjekts den personalen Geltungsbereich der Norm bestimmt, so bestimmt der Aufgabenzusammenhang den sachlichen. Nur wenn beide Dimensionen sich ergänzen, gewinnt die Zurechnung die Qualität, die das Haftungsstatut will. Sinn und innere Abgestimmtheit der berufenen Norm würden deshalb verfälscht 203 , entschiede über den Aufgabenzusammenhang das Personalstatut des belangten Gebildes. Das Personalstatut führt zudem zu Widersprüchen, wo das Merkmal des Aufgabenzusammenhangs die berufene Zurechnungsregel abgrenzt von anderen Zurechnungsregeln, die alternativ gelten sollen (versteckte sachliche Kollisionsnorm). So in den europäischen Oststaaten: Soweit der Aufgabenzusammenhang reicht, ist die Haftung der juristischen Person begründet und die des Täters ausgeschlossen (oder gemildert) - und umgekehrt. 204 Bestimmte über den Aufgabenzusammenhang, soweit er Haftung begründet, das Personalstatut und, soweit er Haftung ausschließt, das Haftungsstatut, so entstünden Anpassungsprobleme: Die alternativen Zurechnungsregeln hätten nicht mehr eine einheitliche Trennlinie, sondern könnten sich planwidrig überlagern oder gleichzeitig ausgeschlossen sein. Beispiel: Der Bautrupp einer bundesdeutschen Aktiengesellschaft ist auf Montage in der D D R . Aus Verärgerung wirft ein Arbeiter des Bautrupps nach einem Arbeiter aus der D D R mit Mörtel und trifft ihn im Auge. Nach dem (Tatort-)Recht der D D R (§ 331 Z G B ) 2 0 5 haftet dem Geschädigten allein die Aktiengesellschaft. 206 Denn der schuldige Arbeiter hat, nach Ansicht der DDRRechtsprechung, „in Erfüllung ihm obliegender betrieblicher Aufgaben" gehandelt. 207 Dagegen haftet dem Verletzten niemand, wenn man den Aufgabenzusammenhang gesondert nach dem Personalstatut der Gesellschaft bestimmt: Die Gesellschaft haftet nicht, weil Schädigungen „bei Gelegenheit" der Arbeit für § 831 BGB nicht genügen 203

Zu dieser Gefahr insbes. oben § 7 III. 1. b) cc) bei Fn. 163. Oben § 7 I. 3. bei Fn. 61 - 66. 205 Oben § 7 I. 3., Fn. 64. 206 Es sei angenommen, § 331 ZGB erfasse auch bundesdeutsche Aktiengesellschaften (dazu unten § 7 I I I . 1 c) cc) bei Fn. 221 - 224). 207 O G Z 16, 206, Urt. v. 14.7.1981 (Lehrling wirft nach anderem Lehrling mit Mörtel und trifft ihn im Auge); weit auch OGZ 16, 19 = NJ 1979, 91, Urt. v. 28.11.1978 (Fahrerin, die Auto zu waschen hat, weicht von vorgeschriebener Fahrtroute ab, um ein Gerät zu holen, und setzt das Auto gegen einen Baum: Aufgabenzusammenhang bejaht). 204

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenidersprüchen

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würden. Der schuldige Arbeiter haftet nicht, weil nach dem (Tatort-)Recht der D D R ein Aufgabenzusammenhang besteht, der seine Haftung ausschließt. Notlösung: Man verengt den Aufgabenzusammenhang nach dem DDR-Recht auf den nach bundesdeutschem Recht (Anpassung). Dann haftet der Arbeiter allein. Voraussetzung wäre aber, daß das DDR-Recht dem Geschädigten in jedem Fall einen Schuldner geben und nicht den „Werktätigen" in jedem Fall durch einen weiten Aufgabenzusammenhang schützen will. D e r Aufgabenzusammenhang bestimmt sich demnach so: Welche Aufgaben der Täter (oder das Gebilde) haben, sagt das Personalstatut; wie diese Aufgaben m i t der T a t zusammenhängen müssen, das Haftungsstatut. 2 0 8 Dessen Formel über den Aufgabenzusammenhang 2 0 9 ist anzuwenden wie auf einen Inlandsfall; das P r o b l e m einer E n t s p r e c h u n g 2 1 0 stellt sich nicht. D e n n der eingetretene Z u s a m m e n h a n g ist Tatsache u n d die anzuwendende F o r m e l deskriptiv. Es genügt deshalb, den eingetretenen Zusammenhang unter die Formel zu subsumieren; der Aufgabenzusammenhang hat nichts zu t u n m i t Rechtserscheinungen, die miteinander zu vergleichen w ä r e n . 2 1 1 Beispiel: In der Schweiz endet die Organhaftung (Art. 55 Abs. 2 ZGB) erst da, wo das Organ „offensichtlich" („manifestement") nicht für die juristische Person, sondern als Privatperson gehandelt hat. 2 1 2 Diese Formel bezieht sich auf Tatsachen (Erkennbarkeit für Dritte) und läßt sich deshalb, in ihrer Begrifflichkeit, ohne weiteres übertragen und anwenden auf das Organ einer deutschen Gesellschaft in der Schweiz. Daß die deutsche Formel enger sein könnte, besagt nichts. 208 Das Haftungsstatut bestimmt in diesem Rahmen, ob auch Taten jenseits der Gesellschaftszwecke zurechenbar sind („ultra vires"-Problem). Die Frage hat echte Bedeutung freilich nur in einem System beschränkter Verleihung von Vereinigungsrechten durch Staat oder Krone: Zur Bewahrung des Verleihungsmonopols muß jede Anmaßung unverliehener Gesellschaftsmacht ein nullum bleiben. Indes, im heutigen anglo-amerikanischen Recht sind Gesellschaften, wenn auch im Gewände einer Einigung mit dem Gründungsstaat, frei gründbar und in ihren Zwecken regelmäßig nicht beschränkt („all purposes"-Gründungsklauseln; vgl. für New York N . Y . Bus. Corp. Law §§ 201 [a], 202, 402). Die „ultra vires"-Lehre kann deshalb, jedenfalls in den U.S. Α . , nur noch geltend gemacht werden für Klagen aus dem Recht der Gesellschaft gegen Direktoren oder „officers", für Klagen des Staats auf Auflösung der Gesellschaft und für Klagen der Aktionäre auf Verhinderung zwecküberschreitenden Handelns (vgl. für New York N . Y . Bus. Corp. Law § 203). „Ultra vires" gibt der Gesellschaft also niemals eine Verteidigung gegen Dritte (vgl. aber Beitzke, FS Mann, S. 120). Vgl. im übrigen oben § 7 I. 2. a) nach Fn. 23. 209 Z . B . „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen", § 31 BGB. 210 Oben § 7 III. 1. b) cc) bis § 7 I I I . 1. c) aa). 211 Dazu oben § 7 III. 1. b) cc) bis § 7 III. 1. c) aa) (zur Bestimmung der haftbarmachenden Personen). 2 2 * BGE 101 I b 422 (436f. ), Erw. 5b, Urt. v. 19.9.1975 (zu Art. 718 Abs. 3 OR); vgl. ferner BGE 96 I 474 (479), Erw. 2a, Urt. v. 25.9.1970 (der Schädiger muß in seiner Eigenschaft als Organ gehandelt haben) und BGE 48 I I 1 (9f.), Urt. v. 25.1.1922 (Kompetenzüberschreitungen gleichgültig, wenn die Tathandlung „angesichts der Natur der Organstellung an sich in den Rahmen der Organkompetenz" fällt); weiteres bei Oftinger, Besonderer Teil, erste Hälfte, S. 107, Fn. 50.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen cc) D i e A u s w a h l der Zurechnungssubjekte

Das Haftungsstatut entscheidet schließlich, welche Gebilde (oder Personen) haften und wie sie beschaffen sein müssen. 2 1 3 Das Spektrum der Haftenden ist infolgedessen ein anderes als nach dem Personalstatut; das Haftungsregime des belangten Gebildes kann sich ändern. Beispiel § 31 BGB gilt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts. 214 Folglich gilt er auch nicht für eine entsprechende ausländische Gesellschaft. Ob deren Personalstatut sie selbst haften ließe oder nur ihre Mitglieder, ist gleichgültig. Freilich, so wenig wie die haftbarmachenden Personen kann man die Zurechnungssubjekte bestimmen durch A n w e n d u n g der berufenen Begriffe auf ihnen fremde Rechtserscheinungen. D i e Begriffe ( z . B . „ V e r e i n " , „juristische Person", „ B e t r i e b " ) sind geboren aus der Anschauung der eigenen Rechtserscheinungen und erschöpfen sich in der Rückbeziehung auf diese. 2 1 5 M a n kann deshalb nur (und muß) die gemeinten m i t den angesprochenen Rechtserscheinungen vergleichen und nach Entsprechungen suchen 2 1 6 : Ist das belangte Gebilde vergleichbar einem Gebilde i m U m f a n g des berufenen Begriffs? 2 1 7 K a n n man beide unter den Gesichtspunkten sehen, nach denen 213 Das Personalstatut würde den Sinn der berufenen Norm verfälschen; oben § 7 I I I . 1. b) bb) bei Fn. 163 und § 7 III. 1. c) aa) bei Fn. 187 und § 7 I I I . 1. c) bb) bei Fn. 203. Vgl. aber unten § 7 I I I . 1. b) cc) bei Fn. 230. 214 B G H Z 45, 311 (312), Urt. v. 30.6.1966; aufgegriffen in BGH, Urt. v. 26.11.1974, NJW 1975, 533 (534 sub I. 5.), aber wegen „mehr körperschaftlicher Organisation" offen gelassen, da § 831 Abs. 1 BGB durchgriff. Im Urt. v. 30.6.1966 war es, herkömmlicher Sicht entsprechend, um Haftung nur des Mitgesellschafters gegangen. Der Bundesgerichtshof unterscheidet aber allmählich zwischen den Gesellschaftern und „der" Gesellschaft (z.B. B G H Z 79, 267, Urt. v. 8.11.1978 [rechtsgeschäftliche Doppelverpflichtung der Gesellschafter und „der" Gesellschaft]; Urt. v. 25.10.1984, NJW 1985, 619 [Beschränkung der Vertretungsmacht auf das Gesellschaftsvermögen]; vgl. andererseits Urt. v. 26.1.1983, NJW 1983, 1123 [kein Besitz „der" Gesellschaft durch Organe, sondern Mitbesitz der Gesellschafter]). Möglich daher, daß er nach erneuter Prüfung zu einer auf (körperschaftsähnliche) Gesellschaftsvermögen beschränkten Wirkung des § 31 BGB kommt. In der Schweiz haftet der Gesellschafter einer „einfachen Gesellschaft" für unerlaubte Handlungen eines Mitgesellschafters nur, wenn er im Sinne von Art. 50 Abs. 1 OR an der Tat beteiligt war (BGE 84 I I 381 [382f.], Urt. v. 17. 6.1958; aufgegriffen in BGE 90 I I 501 [508], Erw. 3, Urt. v. 1.12.1964 [obiter dictum]; vgl. aber BGE 71 I I 225 [261 - 266], Urt. v. 4.6.1946 [Geschäftsherrenhaftung der Gesellschafter nach Artt. 55, 544 Abs. 3 OR]). Art. 55 Abs. 3 Z G B kann auf die „einfache Gesellschaft" nicht erstreckt werden, denn sein Tatbestandsmerkmal „juristische Person" verlangt nach Artt. 52 Abs. 1, 53 Z G B eindeutig eine körperschaftliche Organisation. 215 Näher oben § 7 I I I . 1. b) aa) bei Fn. 181 - 189. 216 Näher oben § 7 III. 1. b) cc) und § 7 I I I . 1. b) aa). 217 Z . B . liegt im Umfang (genauer: im entsprechenden Anwendungsbereich) des Begriffs „Verein" (§ 31 BGB) die offene Handelsgesellschaft, und dieser ist die schweizerische Kollektivgesellschaft vergleichbar.

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenidersprüchen

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der Begriff die heimischen Gebilde unterscheidet? 2 1 8 U n d reflektiert diese Sicht die wesentliche Eigenart des belangten G e b i l d e s ? 2 1 9 D i e beiden ersten Fragen zielen auf Wiedererkennung der i m I n l a n d kritischen Gesichtspunkte i n ausländischen Gebilden (dazu nachfolgend Beispiel 1). A b e r der Sinn des fremden G a n z e n 2 2 0 kann beschlossen sein i n Gesichtspunkten jenseits inländischer Vorstellung ( z . B . i n besonderen Zwecken des Gebildes). E r würde dann durch die Assoziation des belangten m i t irgendeinem inländischen Gebilde entstellt, u n d die berufene N o r m wäre, trotz Entsprechung i n den kritischen Punkten, dem belangten Gebilde nicht adäquat. D e m soll die dritte Frage vorbeugen (nachfolgend Beispiele 2 u n d 3). Daß Eigenschaften, nach denen die berufene Norm nicht fragt, gleichwohl für den Sinn der fremden Erscheinung spezifisch sein können, das hat sich bereits für die Rechtsstellung des unmittelbaren Täters gezeigt. (Man erinnere sich an die bruchstückhafte Erfassung eines bundesdeutschen Vorstandsmitglieds durch die Zurechnungsnorm der D D R . 2 2 1 ) Die Fragen sind in solchen Fällen diese: Gilt die berufene Norm auch in Anbetracht des an sich unerfaßten Sinns ihres Gegenstands entsprechend? Falls nein, läßt sich eine materielle Aushilfsnorm bilden, die dem Sinn der ausländischen Rechtserscheinung einerseits und des berufenen Zurechnungsrechts andererseits so gut als möglich entspricht? 222 Beispiele: 1. Vgl. die Fälle oben § 7 III. 1. a) bb) bei Fn. 142 und 143 und § 7 I I I . 1. c) bb) bei Fn. 205 - 207: Haftet die bundesdeutsche Aktiengesellschaft entsprechend einem Volkseigenen Betrieb nach § 331 Z G B (DDR)? Aufs erste ist die Antwort nein: Eine Aktiengesellschaft ist kein VEB. Aber der Begriff ( „ V E B " ) kann über seinen Horizont (eine zentral verwaltete Wirtschaft) nicht hinausgreifen; er hat keine Unterscheidungskraft für private Gebilde mit streubaren Anteilsrechten. Die Frage ist deshalb, welches die kritischen Gesichtspunkte des § 331 ZGB sind und ob die Aktiengesellschaft in ihnen einem Volkseigenen Betrieb entspricht. Zweierlei ist denkbar: Erstens: Der Begriff ( „ V E B " ) ist eine Reduktion bestimmter allgemeiner Gesichtspunkte, die auch die Aktiengesellschaft umgreifen, auf seinen Horizont. Z . B . könnte er stehen für „Betriebe" oder „juristische Personen" schlechthin, und speziell sein nur deshalb, weil es in der D D R kaum andere Betriebe oder juristische Personen gibt als eben den VEB.

218 Ein solcher Gesichtspunkt ist im Falle des § 31 BGB die körperschaftliche Organisation: förmliche Gründung, gesondertes Vereinsvermögen, Gesamtname, Unabhängigkeit vom Wechsel der Mitglieder. Zur Fragestellung im Text vgl. oben § 7 III. 1. b) cc) vor Fn. 154. 219 In der Eigenart des belangten Gebildes liegt sein Sinn als ausländische Rechtserscheinung; mit diesem ist über die begriffliche Rechtsanwendung hinauszugehen (oben § 7 III. 1. c) aa) nach Fn. 187). 220 Zur Notwendigkeit, das fremde Gebilde als Ganzes zu sehen, oben § 7 III. 1. b) cc) nach Fn. 156. 221 Oben § 7 III. 1. c) aa) bei Fn. 194 - 197. 222 Dazu oben § 7 III. 1. b) cc) bei Fn. 165 und 166.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

Zweitens: Der Begriff bezeichnet sonstige Gesichtspunkte, die sich in einer Aktiengesellschaft nicht wiederentdecken lassen. Z . B . könnte er stehen für eine radikal andersartige Produktionseinheit, für ein System, das mit allen Ordnungen gebrochen hat, in denen private Aktiengesellschaften einen Sinn haben. 223 § 331 Z G B ist dann unanwendbar, und man kann allenfalls eine materielle Aushilfsnorm bilden. Für das erste spricht mehr. Innerhalb der D D R erfaßt § 331 Z G B (mit § 11 Abs. 1 ZGB) auch private Handwerks- und Gewerbebetriebe. 224 Umgekehrt erlaubt es der Sinn der Aktiengesellschaft, daß sie, kraft Stimmenmehrheit, beherrscht wird durch zentrale (öffentliche) Verwaltung. Die Erscheinungen sind also weniger durch Wirtschaf tsverfassungen getrennt, als durch etwas Gemeinsames verbunden: die Verselbständigung einer räumlich-technischen Einheit zum Betrieb. Darin liegt der kritische Gesichtspunkt der berufenen Norm, der Aktiengesellschaften und Volkseigene Betriebe umgreift. 2. Haftet eine „charitable" corporation entsprechend unseren juristischen Personen nach § 31 BGB, obwohl ihr Gründungsrecht sie immunisiert? 225 Der kritische Gesichtspunkt des § 31 BGB ist die körperschaftliche Organisation des Zurechnungssubjekts. 226 In ihm entsprechen amerikanische Gesellschaften den deutschen juristischen Personen gewiß. Aber jenseits des Horizonts des deutschen Rechts liegt der Gesichtspunkt der „Uneigennützigkeit" („charitableness"). 227 Und dieser Gesichtspunkt kann für den Sinn der „corporation" so spezifisch sein, daß man sie inadäquat behandelt, wenn man für die Zurechnung (und um eine Entsprechung zu begründen) von ihm abstrahiert. Die „Uneigennützigkeit" ist deshalb nicht als irrelevant auszublenden, sondern auf ihren Sinngehalt hin zu prüfen; wenn § 31 BGB begründeterweise anwendbar ist, so nur durch diesen Schritt über seinen Gesichtskreis hinaus: „Uneigennützigkeit" ist der „corporation" nicht immanent, sondern durch eine Sonderregel hinzugefügt. 228 Denn der Status kann jedermann zukommen, der aus „vicarious liability" haftet. Er ist folglich für den Sinn der Gesellschaft als Rechtserscheinung nicht spezifisch. 3. Vgl. den Fall oben § 7 I I I . 1. a) bb) bei Fn. 140. Haftet der Volkseigene Betrieb nach § 31 BGB, obwohl diese Regel unempfänglich ist für seine staatswirtschaftliche Eigenart? Durchaus: Denn was immer die Eigenart des VEB sei - sie schlägt sich nieder in § 331 ZGB ( D D R ) , und danach kann der Betrieb in keiner Beziehung besser stehen als nach § 31 B G B . 2 2 9

Ob ein ausländisches Gebilde einem inländischen entspricht (und deshalb für seine Organe haften muß), hängt nicht davon ab, ob wir (als Forumstaat) 223

Vgl. dazu die Einleitung zum Zivilgesetzbuch der D D R (GBl. D D R 19751, 465). Kommentar zum Zivilgesetzbuch, § 11, Anm. 1. 225 Dazu oben § 4 I X . 1. und 2. 226 Oben § 7 I I I . 1. c) cc), Fn. 218; vgl. auch oben § 7 I I I . 1. c) cc), Fn. 214. 227 „Jenseits unseres Horizonts" heißt: „Charitable immunity" ist bei uns nicht nur nicht statuiert, sondern liegt von vornherein außerhalb jeder Erwägung. 228 Sonst könnte man in den U . S . A . nicht von Fall zu Fall entscheiden a) ob eine Gesellschaft, die auch ohne dies funktioniert, das Privileg einer „charity" hat und b) ob dieses Privileg sie begleitet, wenn ihre Leute den Gründungsstaat verlassen. 229 Zu § 331 ZGB (DDR) oben § 7 I. 3., Fn. 64 (allgemein) und § 7 I I I . 1. c) bb), Fn. 207 (Aufgabenzusammenhang). 224

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normen Widersprüchen

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es als rechtsfähig anerkennen. Dagegen wenden manche ein: Verpflichtung durch Organhaftung u n d Versagung der Fähigkeit, Rechte u n d Pflichten zu haben, sei ein Widerspruch. Sei ein Gebilde nicht anerkannt, so hafteten nur die M i t g l i e d e r . 2 3 0 D e r E i n w a n d geht teilweise fehl. D e n n nicht jede Rechtsordnung verlangt für die Organhaftung Rechtsfähigkeit. 2 3 1 D e r Widerspruch kann allein dann entstehen, wenn das berufene Zurechnungsrecht i n Inlandsfällen nur rechtsfähige Gebilde erfaßt ( z . B . weil es Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit nicht kennt). A b e r dann k o m m t es darauf an, ob dieses Recht das fremde Gebilde anerkennt; ob w i r (als Forumstaat) es täten, ist nicht die Frage. Keine Rechtsfähigkeit verlangt z.B. das deutsche Recht in § 31 B G B . 2 3 2 Denn für uns ist es eine Frage, ob ein Gebilde so beschaffen ist, daß die Haftungsmasse auf sein Vermögen verbreitert werden darf (Organhaftung), und eine andere, ob wir in jeder Beziehung das Gebilde und nicht seine Mitglieder ansprechen (Rechtsfähigkeit). Es ist folglich kein Widerspruch, wenn wir § 31 BGB auf Gebilde anwenden, die wir zwar nicht anerkennen, die aber einem deutschen Gebilde im Sinne von § 31 BGB entsprechen. 233- 2 3 4 Ein berufenes fremdes Zurechnungsrecht mag zwischen Organhaftung und Versagung der Rechtsfähigkeit einen Widerspruch sehen und die Rechtsfähigkeit deshalb zum Tatbestandsmerkmal seiner Zurechnung machen. Steht dieses Merkmal für eine selbständige Organisation, dann prüfen wir, ob das belangte Gebilde in dieser Beziehung einem rechtsfähigen Gebilde des Zurechnungsrechts entspricht. Soll das Merkmal dagegen Rechtsfähigkeit und Organhaftung in Inlandsfällen aufeinander abstimmen (versteckte sachliche Kollisionsnorm), dann prüfen wir, ob das Gebilde nach dem IPR des Zurechnungsrechts anzuerkennen ist (unselbständige Anknüpfung einer Vorfrage); ob wir (als Forumstaat) es anerkennen würden, ist gleichgültig. Allerdings hat der E i n w a n d einen wahren K e r n : Das P u b l i k u m soll nur solche Zusammenschlüsse vor unsere Gerichte bringen, die, wenn schon nicht rechtsfähig, so doch rechtlich irgendwie existent s i n d 2 3 5 ( z . B . infolge Grün230 Vgl. Wengler, S. 448, vierter Absatz, letzter Satz; Rühland, S. 445; Beitzke, FS Mann, S. 119: Werde ein liechtensteinisches Treuunternehmen wegen seines Sitzes in Deutschland nicht anerkannt, so bleibe es bei der persönlichen Haftung seines Leiters. Wohl ebenso Münchener Kommentar / Ebenroth, Nach Art. 10, Rn. 253 vor Fn. 734. (Die Formulierung des Einwands im Text ist nur sinngemäß und stammt vom Verfasser.) 231 Daß zwischen Anerkennung und Organhaftung nicht notwendig eine Wechselbeziehung besteht, das zeigt das Anerkennungsübereinkommen der E W G (oben § 5 IV.). 232 § 31 BGB erfaßt bekanntlich auch nichtrechtsfähige Vereine (dazu oben § 1 II. 4. b), Fn. 146) - zumindest Gewerkschaften - und Personenhandelsgesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit. 233 Ähnlich Stoll, FS Lipstein, S. 268: Wenn nach § 31 BGB selbst nichtrechtsfähige Vereine hafteten, dann erst recht solche, die zwar nicht im Inland, aber immerhin nach einem ausländischen Recht als rechtsfähig anerkannt sind. 234 In der entsprechenden Anwendung des § 31 BGB liegt keine versteckte Anerkennung. Denn unser Rechtssatz über die Organhaftung ist, trotz § 54 S. 1 BGB, nicht verbunden mit denen über die Rechtsfähigkeit. Vgl. oben Fn. 232. 12 Schohe

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

dung nach einem fremden Recht). Denn Entscheidungen gegen rein tatsächlich Zusammenschlüsse gehen ins Leere und sind nutzlos. Aber dieser Vorbehalt fällt in den Rahmen der passiven Parteifähigkeit, und dieser ist von anderen Zwecken bestimmt und reicht weiter als die Rechtsfähigkeit: Schon immer dann, wenn wirksamer Rechtsschutz nicht möglich ist durch Klagen gegen die Mitglieder, muß der Zusammenschluß selbst vor Gericht gebracht werden können (Verkehrsinteresse, § 50 Abs. 2 ZPO analog; vgl. auch §§ 124 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB). Folgt man dem, so erledigt sich die Frage, ob im Forumstaat desavouierte Gebilde als solche haften, von selbst: Erkennen wir nämlich die passive Parteifähigkeit des belangten Gebildes an, so setzen wir voraus, daß es klagbare Pflichten haben kann und daß Titel wegen dieser Pflichten bei uns vollstreckt werden (§§ 735 ZPO, 124 Abs. 2, 161 Abs. 2 H G B ) . 2 3 6 Dem liefe es zuwider, dem Gebilde als solchem nur deshalb keine Deliktsfähigkeit aufzuerlegen, weil es im Forumstaat nicht rechtsfähig ist (oder nicht selbständiger, als die berufene Zurechnungsnorm es verlangt). Die Frage der Anerkennung im Forumstaat stellt sich also nicht. Lehnen wir dagegen die passive Parteifähigkeit ab, so ist die Klage gegen das Gebilde unzulässig. Auf die Organhaftung und ihren Zusammenhang mit der Anerkennung kommt es nicht mehr an. Ein dennoch erlassener Titel richtete sich gegen jemand, den es für uns nicht gibt. Wer immer aus dem Titel belangt wird, kann die Vollstreckung abwenden, weil der Titel sich nicht auf ihn bezieht (§ 766 Abs. 1 S. 1, 1. Hs. ZPO). Praktisch am wichtigsten sind Antinomien zwischen einer Sitz- und einer Gründungstheorie. Wir z.B. erkennen keine Gesellschaften an, die ihren Sitz in unserem Gebiet haben, aber nach einem fremden Recht bestehen. 237 Wir ignorieren sie im Verkehrsinteresse, um sie zur (Neu-)Gründung nach unseren Vorschriften zu zwingen. Aber eben das Verkehrsinteresse würde leiden, wenn solche Gesellschaften in jedem Falle gegen Klagen (passive Parteifähigkeit) und gegen Deliktspflichten (Organhaftung) immun wären. 238 235 Dieselbe „Existenzfrage" war aufgeworfen, wenn auch anders gelöst, bei Schnorr v. Carols feld (oben § 3 I I I . 1., Fn. 26); vgl. auch die Ansicht von Wengler; zu ihm oben §31. 2.,Fn.l9. 236 Die Anerkennung der passiven Parteifähigkeit umschließt im Regelfall die Anerkennung der Fähigkeit, klagbare Pflichten zu haben. Anders B G H Z 97, 297 (270f.), Urt. v. 21.3.1986 (ausländisches Unternehmen trotz Zweifeln an seiner Rechtsfähigkeit „als parteifähig behandelt" ; Rechtsfähigkeit erst im Rahmen der Begründetheit der Klage erörtert). Indes, der Streit betraf in diesem Fall die Rechtsfähigkeit selbst. Die Rechtsfähigkeit (samt der Fähigkeit, Pflichten zu haben) war deshalb sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit der Klage erheblich. Offensichtlich im Interesse an einem Sachurteil hat der Bundesgerichtshof sie für die Zulässigkeit unterstellt (ähnlich wie die Parteifähigkeit im Zulassungsstreit um Partei- oder Prozeßfähigkeit). 237 Vgl. z.B. B G H Z 97, 297 (270f.), Urt. v. 21. 3. 1986. 238 Vgl. O L G Nürnberg, Urt. v. 7.6.1984, W M 1985, 259: Eine englische Limited Company, die mit der Verlegung ihres Sitzes nach Deutschland die Rechtsfähigkeit verloren hatte, war passiv parteifähig und passivlegitimiert für einen Vertragsanspruch,

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normen Widersprüchen

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2. Wege zum Einklang von Organhaftung und sonstigen Zurechnungsformen: einheitliche Anknüpfung aller Zurechnungsformen oder Angleichung der berufenen Zurechnungsnormen aneinander? a) Begründung am Gleichlauf

eines Ordnungsinteresses aller

Zurechnungsformen

Das Ordnungsinteresse am inneren Entscheidungseinklang verlangt (neben der H a r m o n i e v o n Organhaftung u n d H a f t u n g 2 3 9 ) , daß die Verpflichtung mehrerer aus derselben Deliktstat i n sich abgestimmt bleibt: D e r eine soll dem Geschädigten sofort haften, der andere nachrangig, der dritte nur aus Billigkeit (oder nur i n begrenzter H ö h e ) , der vierte gar nicht (sondern nur den anderen i m Rückgriff) - aber erste die Beziehung zu allen ist die Rechtslage, die das jeweilige Sachrecht für den Geschädigten w i l l . 2 4 0 Es ist deshalb v o n Interesse, daß ein und dasselbe Recht entscheidet, wer aus einer Deliktstat verpflichtet ist (das Organ, die juristische Person oder deren Mitglieder) u n d wie er diese Verpflichtung einzulösen h a t . 2 4 1 ' 2 4 2 Wie wir gesehen haben, ist dieses Interesse ein Leitgedanke der deutschen Rechtsprechung zur Anknüpfung von Zurechnungsfragen 243 , des österreichischen IPR zum denn sie war im deutschen Verkehr als juristische Person aufgetreten und widersprach sich selbst, wenn sie plädierte, sie sei nicht anerkannt. 239 Ihr galt der vorige Abschnitt, § 7 I I I . 1. 240 Ebenso oben § 71. 3. nach Fn. 59 (Interdependenz von Organhaftung und Passivlegitimation des Organs). 241 Anders Grasmann, Rn. 894f.: Er versteht sein Günstigkeitsprinzip nicht so, daß alle Zurechnungsfragen nach einem, dem insgesamt günstigsten Recht zu beantworten sind. Sondern er kombiniert die jeweils für den Geschädigten günstigsten Zurechnungsregeln. Damit schafft er ein Kunstrecht, das nirgends existiert. Vgl. aber auch Art. 138 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes: „Waren an einer unerlaubten Handlung mehrere beteiligt, so wird das anwendbare Recht für jeden von ihnen gesondert bestimmt, unabhängig davon, ob sie als Urheber, Anstifter oder Gehilfe mitgewirkt haben." Dazu der Begleitbericht, deutsch S. 153, französisch S. 338: „Eine solche Regelung drängt sich auf, weil die für die Anknüpfung maßgebenden Faktoren in bezug auf jede mitwirkende Person ein anderes Gewicht erhalten und deswegen zur Anwendung eines anderen Rechts führen können." 242 Dagegen verlangt das Ordnungsinteresse nicht, daß bei gegenseitigen Ersatzansprüchen die Zurechnung für den einen wie den andern demselben Recht unterliegt. Anders R G Z 21, 136 (139), Urt. v. 30.5.1888 (Reederhaftung für Zusammenstoß zweier englischer Schiffe auf der Unterelbe) (dazu oben § 21. 3. bei Fn. 32): „Nun ist aber leicht ersichtlich, daß infolge eines so verschiedenartigen Rechtszustandes zahlreiche und kaum zu lösende Verwickelungen sowie Inkonsequenzen und Unbilligkeiten entstehen müssen, wenn - zumal bei gegenseitig erhobenen Schadensersatzansprüchen - der Reeder jedes der kollidierenden Schiffe nach dem Rechte seines Landes zu beurteilen wäre." Ähnlich R G Z 74, 46 (47); Urt. v. 6.7.1910 unter Berufung auf R G Z 47, 182 (187), Urt. v. 18.11.1901 (zu letzterem oben § 2 I. 3. bei Fn. 27); Anklang der Wertung auch in B G H Z 29, 237 (244), Urt. v. 29.1.1959 (dazu oben § 21. 3. bei Fn. 12 und § 2 I. 3., Fn. 43). Indes: Bei getrennten Prozessen würde der Richter die Anknüpfung im anderen Verfahren nicht beachten. Warum soll er es dann im Fall von Klage und Widerklage? 12*

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

„wer" der Haftung 244 sowie der Haager Übereinkommen über das IPR der Verkehrsunfälle und der Produkthaftung zur Haftung Dritter. 2 4 5 Der schweizerische Entwurf eines IPR-Gesetzes 246 und der EWG-Vorentwurf über internationales Schuldrecht 247 knüpfen zwar die Haftung für jede belangte Person gesondert an, übernehmen aber zur Haftungszurechnung den Einheitsgedanken der Haager Übereinkommen. 2 4 8 ' 2 4 9

Darüber hinaus meinen manche, die einheitliche Anknüpfung aller Zurechnungsformen erleichtere den Rückgriff unter den Haftenden. 250 Das trifft nicht zu. Die Anknüpfung des Rückgriffs wird schwierig, wenn er angestrengt wird zwischen Personen, die dem Geschädigten nach verschiedenen Rechten haften und keiner Regreßordnung gemeinsam verbunden sind. 251 Haftung nach verschiedenen Rechten ist aber auch dann möglich, wenn man alle Zurechnungsformen einheitlich anknüpft: Die Schwierigkeit besteht trotzdem und löst sich nur über eine der Passivseite gemeinsame und von den Haftungsstatuten unabhängige Regreßordnung: das Personalstatut der juristischen Person. 252 b) Aufgabe divergierender

Anknüpfungen im Interesse an Einheitlichkeit?

Ist das Ordnungsinteresse an einheitlicher Anknüpfung zu fördern? Die persönliche Haftung des Organs folgt dem Deliktsstatut, ebenso, nach dem bisher Gesagten, die Organhaftung der juristischen Person. Dagegen folgen die persönliche Haftung der Gesellschafter (z.B. nach § 128 HGB) und die Durchgriffshaftung dem Gesellschaftsstatut. 253 Die Frage ist, ob man einzelne dieser Anknüpfungen im Interesse an Einheitlichkeit aufgeben darf. 243

Oben § 2 V I . Oben § 4 II. 1. 245 Oben § 5 I. und II. (mit Zitaten aus den Erläuterungsberichten). 246 Art. 138; dazu oben § 7 I I I . 2. a), Fn. 241. 247 Oben § 5 I I I . , Fn. 6; Art. 10 Abs. 3. 248 Zur Notwendigkeit, im IPR zwischen der Haftung und ihrer Zurechnung zu unterscheiden oben § 6 I. 249 Vgl. auch Art. 40 Abs. 2 Nr. 1 des Regierungsentwurfs, dazu oben § 1 II. 1. a) aa), Fn. 29: Für die außervertragliche Haftung gilt an Stelle des Tatortrechts das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts von Geschädigtem und „Ersatzpflichtigem". Gemeint ist: des jeweiligen Ersatzpflichtigen. Doch zeigt die Wortwahl („Ersatzpflichtiger" und nicht „belangte Person" oder ähnliches), daß die Vorschrift die Zurechenbarkeit der Tat zu der belangten Person voraussetzt (und nicht selbst regelt); die Zurechnung ist also anscheinend eine Vorfrage, die man einheitlich anknüpfen kann, auch wenn das Deliktsstatut sich personal spaltet. 250 So Beitzke y Straßenverkehrsunfälle, S. 219 (für die Haftpflichtigen eines Verkehrsunfalls, „insbesondere wenn zwischen ihnen kein spezielles [etwa vertragliches] Ausgleichsverhältnis besteht"); ebenso in Recueil, Nr. 27 a.E., S. 87 und in Auslandswettbewerb, S. 142 links. Vgl. auch Rubel, S. 275 bei Fn. 90. 251 Ähnlich Hausheer, S. 354 links sub 3. 252 Näher oben § 7 I. 2. a) bei Fn. 20 und 21 und unten § 9 II. 1. 253 Oben § 2 II. 2. und 3. 244

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normen Widersprüchen

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aa) Vorrang des Interesses am Gleichlauf der Organhaftung und der Haftung des Organs Das Ordnungsinteresse an einheitlicher Anknüpfung ist überragend, soweit es Gleichlauf der Organhaftung und der Haftung des Organs verlangt. Wie dargelegt 254 , haben beide Zurechnungsformen nur zusammengenommen ihren vollen Sinn. Man darf sie deshalb nicht getrennt anknüpfen, sondern nur als ein Ganzes. Sonst schafft man Verwicklungen, die unentwirrbar sein können. Man stelle sich vor: Das Statut der Organhaftung enthält nur eine Haftung des Organs und das Statut der Haftung des Organs nur Organhaftung. Wäre nicht die Folge, daß der Geschädigte mangels Schuldners leer ausginge? Oder: Ein Recht mit scharfer Organhaftung und milder Haftung des Organs ist für die eine Zurechnungsform berufen und ein Recht mit milder Organhaftung und scharfer Haftung des Organs für die andere. Geriete nicht der Geschädigte in ein Haftungssystem, das irreal ist? Oder schließlich: Das Statut der Organhaftung konstruiert diese als übergeleitete Haftung des Organs. Wie soll man entscheiden, wenn das Statut der Haftung des Organs deren Übergang ausschließt oder eine Haftung des Organs gegenüber dem Geschädigten gar nicht kennt?

bb) Mithaftung der Gesellschafter: Keine Aufgabe der Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut Die Anknüpfung der Gesellschafterhaftung aufzugeben, fiele schwer. Denn bei ihr kommt das Parteiinteresse der Gesellschafter ins Spiel, nur nach Maßgabe des Gesellschaftsstatuts belangt zu werden. Bei der persönlichen Mithaftung (z.B. nach § 128 HGB) geht dieses Interesse vor. Dem Interesse des Geschädigten255 ist immerhin dadurch gedient, daß Haftungsgrund, Organhaftung und Haftung des Organs dem Recht seiner Umgebung unterliegen. Das Interesse der Gesellschafter aber würde durch jede unerwartete Haftung verletzt: Wer immer Gesellschafter wird, vertraut auf das Maß, in dem die Gesellschaft und ihre Schulden sich abheben von den Gesellschaftern und ihrem Vermögen. Die gemeinsame Sache der Gesellschafter verselbständigt sich und ihre Idee wird real erst durch definierte Grenzen, die das Gesellschaftsfrei-Private abschirmen. Solche Grenzen sind dem Gesellschafter vorgegeben und gewährleistet durch das Gesellschaftsstatut. Sobald die Möglichkeit besteht, daß fremde Rechte 256 diese Grenzen verschieben, verliert die gemeinsame Sache ihre definierte Gestalt und verschwimmt mit der des Gesellschafters selbst. Der Schirm der gesellschaftlichen Sonderung zerbricht; das umrissene Risiko der Beteiligung löst sich auf in Unwägbarkeit. 254 255 256

Oben § 7 1 . 3 . Dazu oben § 7 I. 1. Z . B . das jeweilige Haftungsstatut.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

Zum Beispiel kann der Gesellschafter einer schweizerischen Kollektivgesellschaft für Gesellschaftsschulden erst dann belangt werden, wenn er selbst in Konkurs geraten oder wenn die Gesellschaft aufgelöst oder erfolglos betrieben worden ist (Art. 568 Abs. 3 OR). Es kann seinen Ruin bedeuten, wenn gegen ihn über § 128 H G B ein Urteil erwirkt und vollstreckt wird, obwohl er sich auf die Auflösung oder den erfolglosen Betrieb der Gesellschaft nicht einzustellen brauchte. Stellt die Gesellschaft ihn nicht frei, so hängt alles davon ab, ob er auf sie zurückgreifen kann. 2 5 7 Gelingt der Rückgriff, so kommt er in die Vermögenslage zurück, die er unter Art. 568 Abs. 3 OR behalten hätte. Denn über den Rückgriff entscheidet das schweizerische Gesellschaftsstatut 258 , das die ihm entsprechenden Zustände mutmaßlich wiederherstellen will. 2 5 9 So bliebe dem Gesellschafter nur die Last unerwarteter Haftungs- und Rückgriffsprozesse. Neuralgischer Punkt des deutsch-schweizerischen Regelungsunterschieds ist indes der, daß die Gesellschaft insolvent, aber nicht in Konkurs gefallen ist. (Wäre sie solvent, so hätte der Gesellschafter sich bei ihr erholt; wäre sie in Konkurs, so hätte er auch nach schweizerischem Recht zu haften, Artt. 568 Abs. 3, 2. Fall, 574 Abs. 1 S. 1 OR). In solchen Fällen schwebender Insolvenz mißlingt der Rückgriff, und der Gesellschafter trägt Ausfälle, die unter schweizerischem Recht den Geschädigten getroffen hätten.

cc) Durchgriffshaftung der Gesellschafter: Keine Aufgabe der A n k n ü p f u n g an das Gesellschaftsstatut A u c h bei der Durchgriffshaftung geht das Parteiinteresse der Gesellschafter dem des Geschädigten vor. M a n darf es nicht leugnen m i t der Begründung, die Gesellschafter

mißbrauchten die Rechtseinrichtung der

Gesellschaft.

D e n n ob sie das t u n , entscheidet erst das zu berufende Sachrecht. A u c h darf man das Interesse der Gesellschafter nicht so abwerten wie das der Gesellschaft. 2 6 0 D e n n die Übernahme des Risikos fremden R e c h t s 2 6 1 betrifft nur die Gesellschaft u n d nicht das Privatvermögen der Gesellschafter, auf das der Durchgriff abzielt. Für die W a h l des Haftungsstatuts spricht allenfalls ein Verkehrsinteresse. Das Haftungsstatut als Verkehrsrecht beruft zwar die Organhaftung u n d die Haftung des Organs. Das genügt aber nicht, wenn entsprechende Gerichtsentscheidungen wegen der Auslandsberührung des Falls nicht durchsetzbar sind

257

Ein solcher Rückgriff ist im schweizerischen Recht nicht regelungsbedürftig. Denn er käme bei dessen alleiniger Geltung nicht vor (arg.: Ausfallhaftung der Gesellschafter). Aber weil das schweizerische Recht den Gesellschafter nicht hätte haften lassen, so wird es ihm vermutlich irgendeinen Ausgleich geben (z.B. über Artt. 568 Abs. 1, 143 Abs. 2, 148 Abs. 2 OR, obschon „Solidarität" nur unter den Gesellschaftern und nicht zwischen diesen und der Gesellschaft besteht). Zu konstruktiven Problemen dieser Art unten § 9 II. 2. b). 258 Vgl. oben § 7 I. 2. a) bei Fn. 19. 259 Korrektur der Haftung durch die Ausgleichsregeln des Pesonalstatuts; unten § 9 II. 1. 260 Zur Abwertung des Gesellschaftsinteresses oben § 7 1 . 4 . 261 Dazu oben § 7 1.4.

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenidersprüchen

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(z.B. weil die Gesellschaft und das Organ nur in solchen Staaten Vermögen haben, die die Entscheidung nicht anerkennen). 262 Denn wegen der Verkehrsfremdheit der Gesellschaft kann der Geschädigte sich dann nicht so erholen wie in einem Inlandsfall. 2 6 3 ' 2 6 4 Es liegt deshalb nahe, daß der Geschädigte auf die Gesellschafter durchgreift und diese sich bei der Gesellschaft erholen. 265 Ob der Durchgriff zulässig ist, könnte in diesem Fall das Haftungsstatut als Verkehrsrecht entscheiden. Denn der geltend gemachte Durchgriffsgrund beruht nicht auf der Kapitalstruktur der Gesellschaft (gesellschaftsrechtlicher Durchgriffsgrund), sondern darauf, daß die sonstigen Zurechnungsformen des Haftungsstatuts versagen gegenüber dem Verkehrsbedürfnis nach gleichmäßiger Befriedigung aller Geschädigten (haftungsrechtlicher Durchgriffsgrund). Ein ähnlicher Gedanke steht hinter Robert Müllers Idee von der „Auflockerung" des Durchgriffsstatuts. Müller will dem Verletzten bei jedem Delikt im Inland eine gleichwertige Haftung ohne Rücksicht auf die Person des Verletzers geben, und diesen Gedanken dehnt er aus auf den Durchgriff wegen Deliktsforderungen. 266 Ihm folgt Großfeld 267: Soweit der Durchgriff „bürgerlichrechtlicher Interessenschutz" sei, unterliege er den für das allgemeine Zivilrecht geltenden Kollisionsnormen. Einen besonderen Weg geht Bernstein 268: Das „Wirkungsstatut" sei mit Bedacht für die GläubigerSchuldner-Beziehung entwickelt und stehe deshalb der Regelung des Durchgriffs näher als das Gesellschaftsstatut; dieses gelte aber subsidiär „in favorem créditons Damit kommt Bernstein zum gleichen Ergebnis wie Grasmann 269, dessen kollisionsrechtliches Günstigkeitsprinzip er nicht unbillig findet. 2 7 0

Trotzdem geht ein genereller Wechsel der Anknüpfung zu weit. Der Durchgriff ist als enge Ausnahme vom Prinzip des gesellschaftlichen Sondervermögens erträglich und kalkulierbar, wenn er nur nach einem Recht, dem Gesellschaftsstatut, zu erwarten ist. Ist er dagegen nach allen irgendwie berührten Rechten zu erwarten, dann wird er unerträglich und unkalkulierbar. Diese Unsicherheit würde den korporativen Schutz für die kapitalgebenden Gesellschafter schmälern. Es ist deshalb besser, die gesellschaftsrechtliche Anknüp262

Zum Interesse an einer durchsetzbaren Entscheidung unten § 7 IV. Das widerstreitet dem Verkehrsinteresse; vgl. oben § 7 II. 264 Zwar kann auch das Vermögen von Gesellschaften, die nach dem Verkehrsrecht bestehen, der Vollstreckung entzogen sein. Aber in diesem Fall richtet der Durchgriff sich ohnehin nach dem Haftungsstatut als Verkehrsrecht, und die Frage einer abweichenden Anknüpfung des Durchgriffs stellt sich nicht. 265 Es handelt sich um jenen Durchbruch der materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit auf das IPR, wie er oben § 7 I. 1. bei Fn. 10 und 11 bei den Interessen des Geschädigten erwogen worden ist. 266 S. 103 f. 267 Staudinger I Großfeld, IntGesR, Rn. 257f., 261; vgl. ferner Münchener Kommentar I Ebenroth, Nach Art. 10, Rn. 293ff. und das obiter dictum in BGH, Urt. v. 10.6.1965 (dazu oben § 2 II. 3. bei Fn. 72). 268 S. 56 f. 269 Rn. 894f. 270 Bernstein, S. 55. 263

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

fung des Durchgriffs beizubehalten und ausländisches Recht, das bei Rechtsmißbräuchen keinen Durchgriff gibt, im Interesse materieller Gerechtigkeit 271 auszuschalten (ordre public, Art. 6 E G B G B ) . 2 7 2 Die Gründungstheorie muß das Gesellschaftsstatut zuweilen noch weiter zurückdrängen als der ordre public es zuließe - und zwar gerade in den kritischen Fällen der „pseudo-foreign corporations". 273 Vgl. IPG 1977 Nr. 11 (S. 99, 105f.) (Hamburg) mit Bezug auf die „eingeschränkte Gründungstheorie" von Behrens 274: „Auch wenn das panamenische Recht eine Durchgriffshaftung nicht kennt, so sind doch im Sinne eines effektiven Gläubigerschutzes hier die entsprechenden Grundsätze des deutschen Gesellschaftsrechts zu beachten." 275

dd) Organhaftung und Haftung des Organs: Keine Aufgabe der Anknüpfung an das Deliktsstatut Bei der Organhaftung (und, gleichlaufend, der Haftung des Organs 276 ) darf man dem Interesse an einheitlichen Anknüpfungen noch weniger nachgeben als bei der Gesellschafterhaftung: Gehen die Anknüpfungen auseinander, so muß man notfalls zwei Rechte anwenden und, wenn Normenwidersprüche entstehen, diese aufheben. Das ist eine Aufgabe, die schwer, aber nicht unlösbar ist. 2 7 7 Gibt man aber die deliktsrechtliche Anknüpfung der Organhaftung auf, so wird der Geschädigte des Schutzes durch das Recht seiner Umgebung entkleidet. 278 Das läßt sich, anders als ein Normenwiderspruch, nicht korrigieren. 279 ee) Ergebnis und Würdigung Aus dem Vorstehenden ergibt sich: Einheitliche Anknüpfung aller Zurechnungsformen ist erstrebenswert; aber die Interessen, die sich mit den einzelnen Anknüpfungen verbinden, sind stärker. Organhaftung und Haftung des Organs unterliegen dem Haftungsstatut, Mithaftung der Gesellschafter und Durchgriff dem Gesellschaftsstatut. 271

Vgl. oben § 71. l . , F n . l O . Gleiche Wertung oben § 71. 1. a.E. 273 Dazu z.B. Münchener Kommentar / Ebenroth, Nach Art. 10, Rn. 122. 274 Hachenburg / Behrens, Einleitung, Rn. 87. 275 IPG 1977 Nr. 11, S. 106. 276 Zum Gleichlauf beider oben § 7 I I I . 2. b) aa). 277 Dazu im folgenden Abschnitt, § 7 III. c). 278 Zu diesem Schutz oben § 7 I. 1. und § 7 I. 4. bei Fn. 87. 279 Auch der ordre public erlaubt keine Korrektur. Er ist nur verletzt, wenn die berufene Sachnorm offensichtlich unvereinbar ist mit wesentlichen Grundsätzen des Forumrechts (vgl. Art. 6 S. 1 EGBGB); ob die Norm für den Geschädigten überraschend kommt, ist gleichgültig. Anders gesagt: Der ordre public gilt nicht der internationalprivatrechtlichen, sondern nur der materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit der berufenen Sachnorm. 272

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenidersprüchen

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Dieses Ergebnis ist tragbar. Dem Ordnungsinteresse an einheitlicher Anknüpfung ist in den zwei wichtigeren Punkten entsprochen: Organhaftung und Haftung des Organs laufen gleich, ebenso Mithaftung und Durchgriff. Es kann also allenfalls die Abstimmung zwischen dem Organhaftungssystem einerseits und der Gesellschafterhaftung andererseits verloren gehen. Doch eine solche Abstimmung ist kaum denkbar. Mithaftung und Durchgriff sind angelegt auf Geldforderungen jeder Art und nicht besonders abgestimmt auf Forderungen aus Delikten der Organe. Sie erleichtern allerdings die Durchsetzung solcher Forderungen, und ihr Zusammenspiel mit einem fremden Organhaftungssystem kann unter dem Gesichtspunkt überschwerer oder überleichter Durchsetzung zu Normenwidersprüchen führen. Dem gilt der folgende Abschnitt. c) Normenwidersprüche infolge uneinheitlicher Anknüpfung der Zurechnungsformen und Widerspruchsfreiheit durch Angleichung Gilt für die Organhaftung (und die Haftung des Organs) ein anderes Recht als für die Gesellschafterhaftung, so entsteht die Gefahr von Normenwidersprüchen. Indem Zurechnungsformen des Haftungs- und des Gesellschaftsstatuts zusammentreffen, kann der Geschädigte für seine Deliktsforderung mehr oder weniger Schuldner finden als beide Rechte es wollen (beiderseitiger Normenwiderspruch) oder als eines von beiden es will (einseitiger Normenwiderspruch). Auch können bestimmte Rechtsfolgen der Zurechnung in einer Weise zusammentreffen, die keines (oder nur eines) der angewandten Rechte billigt. 2 8 0 Es herrscht dann Mangel oder Überfluß an Zurechnung, und entsprechend wird die Durchsetzung der Deliktsforderung überschwer oder überleicht.

280 Zur Fallgruppenbildung im Text: Man muß das „ob" der Zurechnung und ihre personale Zielrichtung trennen vom „wie" der zugerechneten Haftung. „ O b " jemand Schuldner ist, sagen die Tatbestände der berufenen Zurechnungsnormen, „wie" er haftet, ihre Rechtsfolgen. Die im Text zuerst genannte Gruppe von Widersprüchen (Schuldnermangel und Schuldnerhäufung) enspringt dem „ob" und damit den Tatbeständen. Sie ist die hauptsächliche. Denn die Rechtsfolgen, d.h. die Antworten auf die Frage des „wie" können allein in der Höhe der zugerechneten Haftung variieren und den angewandten Rechten widersprechen (vgl. auch unten § 7 III. 2. c) bb) Γ)). Eine scheinbar dritte Gruppe von Widersprüchen ist bestimmt durch das Zusammentreffen scharfer bzw. milder Zurechnungstatbestände. Aber diese Gruppe ist aufgehoben in der des Schuldnermangels und der Schuldnerhäufung. Denn was den Widersprüchen zugrundeliegt, das sind auch in der scheinbar dritten Gruppe die Zurechnungsergebnisse in casu und nicht die Zurechnungstatbestände in abstracto, das sind die Konstellationen von Personen, die in casu haften oder frei sind, und nicht die Gründe, aus denen diese Konstellationen entstehen.

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

aa) Erscheinungsformen beiderseitiger Normenwidersprüche In Fällen mit Auslandsberührung entscheidet das Haftungsstatut über Organhaftung und Haftung des Organs und das Gesellschaftsstatut über Mithaftung und Durchgriff (Kombination). 281 Daraus entstehen beiderseitige Normen Widersprüche, wenn die Kombination dem Geschädigten mehr bzw. weniger Schuldner gibt (genauer: die Tatbestände von mehr bzw. weniger Zurechnungsformen im konkreten Fall bejaht 282 ) als Haftungs- und Gesellschaftsstatut je für sich oder wenn die Koinzidenz bestimmter Rechtsfolgen dem einen wie dem anderen Recht widerspricht. Die Vielzahl der danach denkbaren Gestaltungen ist aber eingeschränkt durch folgenden Zusammenhang: Weder die Kombination, noch Haftungs- und Gesellschaftsstatut je für sich können Mithaftung oder Durchgriff zulassen ohne die Organhaftung der Gesellschaft. Denn Mithaftung und Durchgriff setzen eine Forderung gegen die juristische Person voraus, und diese kann sich in unserem Zusammenhang nur aus der Tat des Organs ergeben. 283 Im Anhang zu dieser Untersuchung werden alle Gestaltungen ausgesondert, die den eben dargelegten Bedingungen nicht entsprechen. Übrig bleiben einige wenige, über die zu reden ist (vgl. das Schaubild im Anhang). A n sie lehnt der folgende Text sich an.

bb) Heilung beiderseitiger Normenwidersprüche Wie sind die beiderseitigen Normenwidersprüche aufzuheben? Dem Ziel nach so, daß aus beiderseitigen Normenwidersprüchen einseitige werden (denn während beiderseitige Normenwidersprüche zu irrealen Rechtszuständen führen 284 , sind einseitige erträglich 285 ). Der Methode nach durch materiellrechtliche Heilung (denn die Anknüpfungen, die in die Widersprüche hineinführen, lassen sich, wie dargelegt, nicht ändern 286 ). 281

So das Ergebnis oben § 7 III. 2. b) ee). Ein Normenwiderspruch in Form einer Überzahl von Schuldnern entsteht nicht schon dann, wenn die Kombination zwar mehr Zurechnungsformen kennt und generell zu vergeben hat als jedes der angewandten Rechte für sich, im konkreten Fall aber nicht vergibt. 283 Man könnte außerdem fragen, ob das materielle Recht nebeneinander Mithaftung der Gesellschafter und Durchgriff zulassen kann. Mithaftung scheint für Personengesellschaften, Durchgriff für Kapitalgesellschaften typisch und reserviert. Aber Elemente beider Gesellschaftsarten können zusammenkommen. Dann ist nicht auszuschließen, daß Mithaftung und Durchgriff nebeneinander nötig werden. Man denke an eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, deren einziger persönlich haftender Gesellschafter eine GmbH mit dem minimalen Stammkapital ist. Hier muß die Auslegung des Durchgriffstatbestands ergeben, ob die Mithaftung der GmbH so ungenügend ist, daß man auf den wahren Kapitalträger durchgreifen darf. 284 Kegel, LB, § 8 I I I . 1., S. 202. Gleiche Wertung oben § 7 III. 1. b) bb) bei Fn. 146. 285 Unten § 7 I I I . 2. c) cc); vgl. auch oben § 7 I I I . 1. b) bb) a.E. 286 Oben § 7 III. 2. b) ee). 282

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenwidersprüchen

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a) Heilung bei Schuldnermangel Beispiel: Der Geschäftsführer einer schweizerischen Kollektivgesellschaft erledigt Geschäfte in Schweden und schädigt dabei einen Unbeteiligten. Nach schweizerischem Recht könnte der Geschädigte sich an die Gesellschaft 287 und an den Geschäftsführer halten 2 8 8 , an die Gesellschafter aber grundsätzlich nicht. 2 8 9 Nach schwedischem Recht könnte er sich an die Gesellschaft 290 und die Gesellschafter halten 291 , an den Geschäftsführer aber grundsätzlich nicht. 2 9 2 Nach beiden Rechten hätte der Geschädigte also neben der Gesellschaft mindestens einen weiteren Schuldner. Im Widerspruch dazu hat er allein die Gesellschaft als Schuldner, wenn das schwedische Recht nicht im ganzen, sondern nur als Haftungsstatut und das schweizerische Recht nicht im ganzen, sondern nur als Gesellschaftsstatut entscheidet. Dieses Ergebnis ist untragbar, denn es weicht vom gemeinsamen Inhalt der beiden Rechte ab.

Zurechnungsmängel in Form eines Mangels an Schuldnern sind zu heilen, indem man dem Geschädigten einen Schuldner mehr gibt. Das geschieht durch Angleichung des Zurechnungsergebnisses an das nach einem der angewandten Rechte. Mehr als einen weiteren Schuldner braucht man dem Geschädigten nie zu geben. Denn der Fall, daß die Kombination zwei oder drei Schuldner weniger zuläßt als jedes der angewandten Rechte, ist nicht möglich (vgl. das Schaubild im Anhang). Der weitere Schuldner muß allerdings hypothetisch haftbar sein nach dem Recht, an das man angleicht. Man darf ihn nicht beliebig herausgreifen (z.B. nach der Zahlungsfähigkeit). Sonst erhielte der Geschädigte zwar dieselbe Zahl von Schuldnern wie nach einem der angewandten Rechte, aber nicht notwendig dieselben Schuldnerpersonen. Eine solche Angleichung bliebe irreal und höbe den Normenwiderspruch nicht auf. 2 9 3 287

Art. 55 Abs. 2 Z G B bzw. Art. 567 Abs. 3 OR. Artt. 55, Abs. 3 Z G B , 41 ff. OR. 289 Artt. 568 Abs. 3 S. 1, 574ff. OR; dazu oben § 7 I I I . 2. b) bb) a.E. 290 Skâdestandslagen (Deliktshaftungsgesetz) vom 2.6.1972, Kap. 4, Svensk författningssamling (Gesetzblatt) 1972: 207 (umfassende strikte Haftung des Arbeitgebers für alle Beschäftigten; näher Bengtsson, in: Strömholm, Introduction, S. 264). Organhaftung in unserem Sinne gibt es nur bei Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten; vgl. Karnell, in: Strömholm, Introduction, S. 342. 291 Lag om handelsbolag och enkla bolag (Gesetz über offene Handelsgesellschaften und einfache Gesellschaften) vom 28.6.1895, Kap. 1 § 19, Svensk författningssamling (Gesetzblatt) 1895: 64, S. 1 (deutsch: „Für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften die Gesellschafter gegenüber den Gläubigern als Gesamtschuldner wie für eigene Schulden; . . . " ) . 292 Deliktshaftungsgesetz, Kap. 4 § 1. Danach haftet ein Beschäftigter für Verletzungen oder Schäden, die er im Zuge seiner Beschäftigung durch eine rechtswidrige Handlung oder Unterlassung verübt hat, nur insoweit, als dafür „besondere Gründe" vorliegen. 293 Das Schaubild im Anhang zeigt, daß der Geschädigte mit dem einen weiteren Schuldner, der nach dem Recht, an das man angleicht, zu haften hätte, nicht nur die288

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

(In unserem Beispielfall kommt in Frage, entweder den Geschäftsführer oder die Gesellschafter ergänzend haften zu lassen. Beides wäre zulässig. Denn der Geschäftsführer hätte nach der unberufenen Zurechnungsnorm des schweizerischen Rechts zu haften und die Gesellschafter nach der unberufenen Zurechnungsnorm des schwedischen Rechts.)

Im einzelnen kann man angleichen entweder an die Regeln des Haftungsstatuts über Mithaftung und Durchgriff oder an die des Gesellschaftsstatuts über Organhaftung und Haftung des Organs. Da der Normenwiderspruch ein beiderseitiger ist, wird er im einen wie im anderen Falle aufgehoben. Eine Angleichung an die Regeln des Gesellschaftsstatuts stößt aber auf den geringeren Widerstand und ist vorzuziehen 294 : Einerseits wird die Schuldnerseite nur insoweit ausgebaut, als das Recht ihres Interesses - das Gesellschaftsstatut - es zuläßt; andererseits hat der Geschädigte nichts zu verlieren, denn die sachlichen Ergebnisse werden allein zu seinem Vorteil korrigiert. 295 Die Alternative wäre: die Mithaftung bzw. den Durchgriff anzugleichen an das Haftungsstatut. Dadurch würde aber das Parteiinteresse der Gesellschafter grob verletzt und das des Geschädigten überbewertet. 296 Das Schaubild im Anhang zeigt, daß eine Angleichung an das Gesellschaftsstatut allein das Organ als weiteren Schuldner ins Spiel bringen kann. (So in unserem Beispielsfall den Geschäftsführer. Man muß deshalb versuchen, die für ihn geltende schwedische Zurechnungsnorm an die entsprechende schweizerische anzugleichen.)

Die Methode der Angleichung hängt ab von der Art der Normen, die sie nötig machen. Denkbar ist dreierlei. Erstens: Die Kombination enthält zwar einen Tatbestand über die Zurechnung zu dem fehlenden Schuldner, doch ist dieser in casu nicht erfüllt oder durch einen Ausnahmetatbestand verdrängt. Hier muß man den Tatbestand weit (bzw. den Ausnahmetatbestand eng) auslegen und hilfsweise eine Analogie zu der tatbestandlichen Zurechnungsform versuchen. Zweitens: Der benötigte Zurechnungstatbestand ist unterdrückt kraft sachlichen Kollisionsrechts (z.B. des Inhalts, daß ein anderer Zurechnungstatbestand, falls erfüllt, der ausschließliche ist.) Dann muß man die selbe Zahl von Schuldnern erhält wie nach beiden angewandten Rechten und auch nicht nur einen von mehreren Schuldnern, die allein nach einem der angewandten Rechte haften würden, sondern genau die Gruppe von Schuldnern, die sich unter einem der angewandten Rechte bilden würde. Die Angleichung mündet ein in das genaue Ergebnis eines der angewandten Rechte und ist insofern denkbar „real". 294 Zum „Gesetz des geringeren Widerstands" bei der Aufhebung von Normenwidersprüchen Kegel, LB, § 8 III. 1., S. 201 f. 295 Auch das Ordnungsinteresse an der Abstimmung der einzelnen Zurechnungsformen aufeinander (oben § 7 I I I . 2. a)) wird nicht verletzt. Denn die Schuldner, die nach Angleichung des Zurechnungsergebnisses haften müssen, sind dieselben wie bei Geltung des Gesellschaftsstatuts allein (vgl. das Schaubild im Anhang und oben § 7 I I I . 2. c) bb), α), Fn. 293); ihre Positionen sind deshalb so miteinander harmonisiert wie innerhalb dieses Rechts. 296 Vgl d i e Überlegungen zur Anknüpfung der Mithaftung und des Durchgriffs oben § 7 III. 2. b) bb) und cc).

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenwidersprüchen

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sachliche Kollisionsnorm so eng auslegen, daß sie den unterdrückten Zurechnungstatbestand freigibt. Drittens: Die Kombination enthält überhaupt keinen Rechtssatz über den fehlenden Schuldner. Sie hat dann eine Lücke, und diese ist auszufüllen durch eine eigens zu bildende materielle Aushilfsnorm. Der erste Fall liegt vor in unserem Beispiel. Denn die schwedische Zurechnungsregel für Beschäftigte ist geschmeidig und kann der des schweizerischen Rechts angeglichen werden: In Schweden muß der Beschäftigte (ausnahmsweise) haften, wenn der Arbeitgeber insolvent oder unversichert ist. 2 9 7 Unser Fall liegt ähnlich, denn dort wie hier braucht der Geschädigte einen weiteren Schuldner. Man darf und muß die schwedische Norm deshalb so auslegen, daß der Geschäftsführer einer Personengesellschaft, deren Gesellschafter in casu nicht haften, ausnahmsweise selber verantwortlich ist.

ß) Heilung bei Schuldnerhäufung Spiegelbildlich zu den Fällen des Schuldnermangels liegen die eines Überschusses an Schuldnern. Entsprechend läßt unser Beispielsfall 298 sich umkehren: Schädigt der Gesellschafter einer schwedischen offenen Handelsgesellschaft („handelsbolag") jemanden in der Schweiz, so haften dem Geschädigten die Gesellschaft und der Geschäftsführer nach schweizerischem Recht und die Gesellschafter nach schwedischem. Der Geschädigte hätte also mindestens einen Schuldner mehr als nach schwedischem Recht (nach diesem haften Gesellschaft und Gesellschafter) und als nach schweizerischem Recht (nach diesem haften Gesellschaft und Geschäftsführer). 299

Auch die Lösung ist spiegelbildlich: Man muß das Zurechnungsergebnis angleichen, indem man einen Schuldner streicht. Anzugleichen ist an die Regeln des Haftungsstatuts über Mithaftung und Durchgriff. Das Parteiinteresse des Geschädigten kann dadurch nicht verletzt werden; das der Gesellschafter ist nicht berührt, denn die Korrektur geht zu ihren Gunsten. (Eine Angleichung an die Regeln des Gesellschaftsstatuts verbietet sich: Die Organhaftung kann man überhaupt nicht streichen, denn sie ist beiden Rechten gemeinsam 300 , und die Haftung des Organs nur dann, wenn man das Parteiinteresse des Geschädigten übergeht. 301 ) Die Methode der Angleichung hängt davon ab, ob im konkreten Fall die Mithaftung oder die Durchgriffshaftung überschüssig ist. 3 0 2 Der Tatbestand des Durchgriffs kann, subsidiär und biegsam wie er in aller Regel ist, verneint werden, sobald die Schuldnerseite bereits in anderer Weise verbreitert ist. Das 297

Bengtsson, in: Strömholm, Introduction, S. 268. Oben § 7 III. 2. c) bb) α). 299 Nachweise oben § 7 III. 2. c) bb) α), Fn. 287 - 292. 300 Ygi dag Schaubild im Anhang. 298

301

Dazu oben § 7 I. 1.; zum Vorrang des Interesses des Geschädigten oben § 7 I. 4. Sind beide überschüssig, so ist der Durchgriff zu streichen, denn er ist regelmäßig subsidiär. 302

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

ist bei beiderseitigen Normenwidersprüchen durch Schuldnerhäufung der Fall; denn die Kombination von Haftungs- und Gesellschaftsstatut läßt hier einen Schuldner mehr zu als das Gesellschaftsstatut für sich. Schwieriger zu streichen ist der Tatbestand der Mithaftung: Ist er innerhalb des Gesellschaftsstatuts irgendwie subsidiär, so könnte man die Häufung von Schuldnern so behandeln wie die Fälle der Subsidiarität. Andernfalls muß man im Gesellschaftsstatut eine sachliche Kollisionsnorm bilden 3 0 3 , nach der die Mithaftung zurücktritt, wenn der Geschädigte bereits nach dem Recht seines Interesses - dem Haftungsstatut - einen weiteren Schuldner hat. Freilich: Bevor man angleicht, muß feststehen, daß ein Überschuß an Schuldnern nicht nur vorliegt, sondern auch den angewandten Rechten widerspricht. Aus der Sicht beider Rechte muß man sagen können: „So soll es nicht sein." Das kann man dann nicht, wenn eines der Rechte nur wenig oder gar nicht gestört ist durch den aus seiner Sicht überschüssigen Schuldner, genauer: wenn seine Zwecke 304 sich trotz dieses Schuldners durchsetzen lassen. 305 So verhält es sich in unserem Beispiel (vielleicht) mit dem schwedischen Recht, was die Haftung des Geschäftsführers betrifft. Denn die Haftung des Beschäftigten bedeutet in Schweden nicht viel 3 0 6 ; weit vor ihr rangiert die Haftpflichtversicherung des Arbeitgebers. Auch stört sie in nichts die Abwicklung des Schadens über Gesellschaft und Gesellschafter, also die, die im Normalfall allein zu haften hätten. Dagegen ist das schweizerische Recht in unserem Beispiel gestört. Denn die Haftung der Gesellschafter läuft seinen erklärten Zwecken zuwider (vgl. Art. 568 Abs. 3 S. 1 OR).

„So soll es nicht sein" kann man auch dann nicht sagen, wenn die Haftung einer bestimmten Person zwar ungewöhnlich ist, im konkreten Fall aber noch im Rahmen des rechtlich Möglichen liegt. So in unserem Beispiel auf seiten des schwedischen Rechts. Das „wer" und das „wieviel" der Haftung unterliegen in Schweden weithin richterlicher Gestaltung. 307 So darf der Richter in der Vertrauensposition des Geschäftsführers einen der „besonderen

303

Dazu Kegel, L B , § 1 V I I . 2. d), S. 28f. und § 8 I., S. 199. A n Stelle von „Zwecken" kann man auch von den „Leitgedanken" oder der „policy" des betreffenden Gesetzgebers reden. 305 Bei Schuldner mangel (oben § 7 I I I . 2. c) bb) α)) erübrigt sich dieser Vorbehalt, denn Schuldnermangel stört die Zwecke der angewandten Rechte immer. Wenn ein Recht die Haftung mehrerer Personen will, dann kann es sich nicht damit abfinden, daß infolge seines Zusammentreffens mit einem anderen Recht auch nur eine Person weniger haftet. (Sonst wäre seine Norm über die Haftung dieser Person zwecklos.) 306 Bengtsson, in: Strömholm, Introduction, S. 268. 307 Richterliche Gestaltung gehört zu den Leitgedanken des schwedischen Deliktsrechts (Bengtsson, in: Strömholm, Introduction, S. 269). Vgl. Kap. 4 § 1 des Deliktshaftungsgesetzes (Nachweis oben 9 7 I I I . 2. c) bb) α), Fn. 290; siehe auch oben § 71. 2. b), Fn. 42 a.E.) und die Generalklausel in Kap. 3 § 6 ebenda. 304

III. Ordnungsinteressen an der Vermeidung von Normenwidersprüchen

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Gründe" sehen, aus denen der Beschäftigte ausnahmsweise haftet. 308 Wenn der Richter aber - wohl gemerkt: bei unveränderter Sachlage - so gestalten darf, daß ein Ergebnis eintritt wie in unserem Beispiel, dann kann dieses dem schwedischen Recht nicht widersprechen 309 : Der Geschäftsführer erscheint in Schweden zwar als überschüssiger Schuldner - er wäre grundsätzlich nicht verantwortlich - , aber er gehört nicht zu denen, deren Verpflichtung neben bestimmten anderen Personen das schwedische Recht mißbilligt. 3 1 0 (Bejaht man statt dessen einen Widerspruch auch zum schwedischen Recht, so muß man, wie vorgeschlagen, die Mithaftung der Gesellschaft verdrängen durch eine im schwedischen Recht eigens zu bildende sachliche Kollisionsnorm.)

γ) Heilung bei beiderseits ungewollter Koinzidenz von Rechtsformen Auch wenn die Schuldner dieselben sind wie nach einem der angewandten Rechte - sei es von vornherein, sei es aufgrund einer Angleichung - , können die Rechtsfolgen der berufenen Zurechnungsnormen, so wie sie im konkreten Fall zusammenspielen, beiden angewandten Rechten widerstreiten. Man muß dann zwar nicht die Schuldner ändern, wohl aber das „wie" der ihnen zugerechneten Haftung. 311 Das Mittel der Änderung ist wie bei Schuldnermangel oder Schuldnerhäufung eine Angleichung: Wenn man auf der Passivseite einen Schuldner mit voller Haftung einfügen oder streichen kann, dann kann man erst recht die Haftung feststehender Schuldner mildern oder bis zur vollen Haftung schärfen. Wie bei Schuldnermangel und Schuldnerhäufung wird man vorzugsweise an das Recht angleichen, an dessen Geltung die durch die Angleichung zu benachteiligende Person interessiert ist 3 1 2 (z.B. an das Gesellschaftsstatut, wenn die Haftung des Organs verschärft werden soll). Die Bedeutung der Rechtsfolgenwidersprüche ist gering. Denn die Rechtsfolgen der Zurechnung können nur in der Höhe der zugerechneten Haftung auseinandergehen und nur in diesem Punkt zu Widersprüchen führen. 313 (Neben der gewöhnlichen Zurechnung in voller Höhe ist z.B. eine Zurechnung in begrenzter 314 oder billiger Höhe 3 1 5 oder in Höhe des Ausfalls bei

308

Bengtsson, in: Strömholm, Introduction, S. 268. Unser Beispiel zum Schuldnermßrcge/ (oben § 7 III. 2. c) bb) α)) liegt anders. Dort haftet ohne die Angleichung allein die Gesellschaft. Das widerspricht auch dem schwedischen Recht. Denn die - ergänzende - Haftung der Gesellschafter ist in Schweden unabänderlich; sie könnte nicht durch richterliche Gestaltung beseitigt werden. 310 Vgl. unsere Umschreibung des Normenwiderspruchs oben § 7 I I I . 2. c) vor Fn. 280 („es wollen"). 311 Diese muß, zumindest aus der Sicht eines der angewandten Rechte, ein stimmiges Ganzes werden. 312 Vgl. oben § 7 III. 2. c) bb) α) (Schuldnermangel) und § 7 III. 2. c) bb) ß) (Schuldnerhäufung). 313 Vgl. auch oben § 7 I I I . 2. c), Fn. 280 (Fallgruppenabgrenzung). 314 So z.B. nach dem Recht von Maine in Mason ν. Southern New England Conference, dazu oben § 4 IX. 3., Fn. 162. 309

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

einem anderen Schuldner denkbar.) Alle sonstigen Gesichtspunkte der Zurechnung betreffen ihr „ob" und damit Schuldnermangel und Schuldner häufung 316 (z.B. Stufungen der Zurechnung nach dem Grad des Verschuldens 317 , Rangfolgen unter mehreren Zurechnungssubjekten 318 , Zurechnung bei Ausfall von Versicherungsschutz oder eines anderen Haftenden 319 ). Aber selbst unter dem Gesichtspunkt der Höhe der zugerechneten Haftung sind beiderseitige Normen Widersprüche kaum denkbar. Ihre ärgste Erscheinungsform ist die, daß keiner der Schuldner auf das Ganze des Schadens haftet, obwohl beide angewandte Rechte mindestens einen Schuldner so weit haften ließen. Dieser Fall kann kaum eintreten. Denn er setzt voraus, daß die Haftung der Gesellschaft nach dem Haftungsstatut der Höhe nach begrenzt ist. Dann aber kann, innerhalb des Haftungsstatuts, die Gesellschafterhaftung in aller Regel nicht unbegrenzt sein. Folglich gibt es keinen Schuldner, der nach dem Haftungsstatut - und im Widerspruch zu dem ohne Angleichung eintretenden Ergebnis - in voller Höhe haften müßte. Ansonsten kann ein Widerspruch nur dann vorliegen, wenn die Zwecke eines der angewandten Rechte 320 vereitelt würden durch die Verquickung seiner Rechtsfolgen mit denen des anderen - anders gesagt: wenn das Bündel der ohne Angleichung eintretenden Rechtsfolgen nicht dem nach einem der angewandten Rechte gleichwertig ist. Man nehme an, in unserem Beispiel zum Schuldnermangel 321 würde der Geschäftsführer zwar auch nach schwedischem Recht haften, dies aber nur in Höhe von 50% des Schadens.322 Sowohl das schwedische als auch das schweizerische Recht bezwecken, daß der Geschädigte neben der Gesellschaft mindestens einen weiteren Schuldner hat, der ihm auf das Ganze seines Schadens haftet (im schwedischen Recht die Gesellschafter, im schweizerischen Recht das Organ). Die Verbindung der vollen Haftung der Gesellschaft mit der halben Haftung des Geschäftsführers widerspricht insofern beiden Rechten. Man muß deshalb die schwedische Norm über die Haftung des Geschäftsführers so angleichen an die entsprechende schweizerische, daß auch der Geschäftsführer in voller Höhe haftet.

315 In Schweden z.B. kann die Haftung des Arbeitgebers für seine Leute ermäßigt werden, wenn Eigentum beschädigt ist, das genügend versichert sein könnte; vgl. Bengtsson, in: Strömholm, Introduction, S. 268. 316 Vgl. auch oben § 7 III. 2. c), Fn. 280 (Fallgruppenabgrenzung). 317 So in einigen der europäischen Oststaaten; vgl. oben § 7 I. 3., Fn. 61. 318 Vgl. z.B. Art. 568 Abs. 3 S. 1 OR (Haftung der Gesellschafter einer schweizerischen Kollektivgesellschaft; dazu oben § 7 I I I . 2. b) bb). 319 Vgl. oben § 7 I I I . 2. c) α) bei Fn. 297 zum schwedischen Recht (Haftung des Beschäftigten, soweit sein Arbeitgeber ausfällt). 320 Dazu oben § 7 I I I . 2. c) bb) ß) bei Fn. 304 und 305. 321 Oben § 7 I I I . 2. c) bb) α). 322 Aufgrund Kap. 4 § 1 des Deliktshaftungsgesetzes (Nachweis oben § 7 III. 2. c) bb) α), Fn. 290).

IV. Das Ordnungsinteresse an einer durchsetzbaren Entscheidung

193

cc) Einseitige Normenwidersprüche Einseitige Normenwidersprüche sollte man bestehen lassen. Denn das Ordnungsinteresse an ihrer Aufhebung ist schwächer als die Parteiinteressen an den widerspruchserzeugenden Anknüpfungen. Einseitige Normenwidersprüche führen nicht zu „irrealen" Entscheidungen 323 ; das Interesse an ihrer Aufhebung ist deshalb nicht zwingend. Grundsätzlich zwingend sind jedoch die Parteiinteressen. Sie haben im IPR verboten, die einzelnen Anknüpfungen zu vereinheitlichen, um Widersprüche zu verhüten. Das wird (teilweise) im materiellen Recht unterlaufen, wenn man die Ergebnisse der einzelnen Anknüpfungen verformt, um Widersprüche zu heilen: Man weicht von den Rechtsanwendungsinteressen ab, weil man materielles Recht bildet, das so nicht berufen ist. Das Mittel der Angleichung muß deshalb reserviert bleiben für Widersprüche, die beiderseitig und darum untragbar sind. I V . Das Ordnungsinteresse an einer durchsetzbaren Entscheidung Das Ordnungsinteresse an einer durchsetzbaren Entscheidung kommt ins Spiel, wenn Forum- und Vollstreckungsstaat auseinanderfallen 324 (z.B. wenn der Geschädigte im Sitz oder Gründungsstaat der juristischen Person vollstrecken muß). Es berührt die Anknüpfung der Organhaftung aber nur dann, wenn der Vollstreckungsstaat gerade wegen ihr die Entscheidung des Forumstaats nicht anerkennt. Das ist denkbar in zwei Fällen: Entweder der Vollstreckungsstaat hält das verurteilte Gebilde nicht für so selbständig (z.B. „rechtsfähig"), daß es als solches haftet; er anerkennt nur Titel gegen die Mitglieder und vollstreckt allenfalls aus diesen in das Vermögen des Gebildes 325 (so das Bedenken des befragten Richters 326 ). Oder er hält, aufgrund seines IPR und des danach berufenen Rechts, die Tat des Organs nicht für zurechenbar und erkennt zurechnende Entscheidungen, die der Geschädigte im Ausland erstritten hat, nicht an (Eindämmung von „forum shopping"; vgl. dazu den „Schultz"-Fall 327). Angesichts dessen fragt es sich: Wenn wir (als Forumstaat) die Durchsetzbarkeit unserer Entscheidungen wahren wollen, dürfen wir dann auf Organhaftung und Rechtsfähigkeit des belangten Gebildes 328 andere Kollisions- und Sachregeln anwenden als der Vollstreckungsstaat? 329 323

Oben § 7 I I I . 2. c) bb), Fn. 285. Zur Vollstreckung im Forumstaat und ihrer Bedeutung für die Anknüpfung der Organhaftung oben § 71. 1. bei Fn. 6 - 12. 325 Vgl. z.B. § 736, aber auch § 735 ZPO. 326 Oben § 1 I I I . vor Fn. 155. 327 Oben § 4 I X . 3. bei Fn. 164. 328 Zur Bedeutung der Rechtsfähigkeit oben § 7 I I I . 1. c) cc) nach Fn. 229. 329 In dem Zusammenhang oben § 7 I I I . 1. c) cc) nach Fn. 229 geht es um Rechtsfähigkeit des Gebildes nach unserem IPR, an der Stelle im Text dagegen um Rechtsfähigkeit nach dem IPR des Vollstreckungsstaats. 324

13 Schohe

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

Die Durchsetzbarkeit wahren heißt: Entscheidungen zu verweigern, die nicht durchsetzbar sind. Das Gegenteil wäre: Entscheidungen so zu gestalten, daß sie für andere Staaten akzeptabel werden. 330 Wir wenden entweder unser eigenes Recht an (IPR und Sachnormen) oder gar keines (Ablehnung der Zuständigkeit). Das Durchsetzbarkeitsinteresse ist deshalb angesiedelt und zu wahren nicht bei der Wahl des anwendbaren Rechts, sondern bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit („jurisdiction"). 3 3 1 Für den Forumwie den Vollstreckungsstaat ist diese der Dreh- und Angelpunkt der Vollstreckbarkeit. Erklären die Gerichte des Forumstaats sich für international zuständig, so brauchen sie sich, bei der Wahl des anzuwendenden Rechts, um irgendwelche Vollstreckungsstaaten nicht zu kümmern. Denn ihr Dienst gilt zuvörderst der Rechtsstellung des Klägers im eigenen Land. So lange dort vollstreckt werden kann, ist das Durchsetzbarkeitsinteresse nie verletzt (und läuft die Rechtswahl ihm nie zuwider). Kann im Forumstaat nicht vollstreckt werden (und besteht auch keine Aussicht auf Vollstreckung im Ausland), so sind die Gerichte des Forumstaats nicht die räumlich Richtigen. Ihr Dienst wäre nutzlos, ihre Machtausübung aufdringlich gegenüber Staaten, die mit den Parteien und dem Streitgegenstand enger verbunden sind. Die beste Antwort auf ein dennoch unterbreitetes Rechtsbegehren ist deshalb nicht Anpassung der Rechtswahl an das IPR des Vollstreckungsstaats 332, sondern Ablehnung der internationalen Zuständigkeit. 333 Kann die internationale Zuständigkeit nach den geltenden Regeln nicht abgelehnt werden (z.B. wegen „zufälligen" Tatorts im Forumstaat), so ist es Sache allein des Klägers, ob er im Ausland klagt oder im Forumstaat eine folgenlose Entscheidung beantragt; die Gerichte jedenfalls brauchen von ihrer gewöhnlichen Rechtswahl nicht abzugehen. Auch aus der Sicht des Vollstreckungsstaats ist die internationale Zuständigkeit von zentraler und ungleich größerer Bedeutung als die Rechtswahl. Denn bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen geht es um staatliche Machtinteressen (und deren Abgrenzung) und nicht um private Rechtsanwendungsinteressen. Wenn Forum- und Vollstreckungsstaat darin einig sind, wer Recht zu sprechen hat (internationale Zuständigkeit), dann scheitert die Anerkennung grundsätzlich (meist bis zur Grenze des ordre public 334 ) nicht daran, welches Recht zu wählen wäre (IPR). Erkennt der Vollstreckungsstaat die Machtausübung des Forumstaats über Parteien und Streit330 Zur geringen Bedeutung des äußeren Entscheidungseinklangs für die Bestimmung der Anknüpfungen unten § 7 V. 331 Davon geht Kahn-Freund in seiner Studie über die Durchsetzbarkeit („Precedent and Policy") als selbstverständlich aus. Wohl anders Kegel, LB, § 2 II. 3. c), S. 80f. 332 Eine solche Anpassung wird den fremden Staat, so er nicht ohnehin zur Vollstrekkung bereit ist, kaum umstimmen. Vgl. Text unten § 7 IV. vor Fn. 338. 333 Aus diesem Grund knüpfen viele internationale Zuständigkeitsregeln an eine Vollstreckungsmöglichkeit oder an die Präsenz des Rechtsgegners im Forumstaat an; vgl. bei uns §§ 13, 17, 20 - 23, 31 f. ZPO (alle analog).

IV. Das Ordnungsinteresse an einer durchsetzbaren Entscheidung

195

gegenständ an, so anerkennt er zugleich deren Ergebnis, die Entscheidung selbst, und prüft deren Inhalt nicht von n e u e m . 3 3 5 D i e Vollstreckung der Entscheidung 3 3 6 kann folglich nicht abhängen von der i n ihr getroffenen Rechtswahl. Sie hängt ab erstens von staatsvertraglichen Pflichten (oder, w o solche fehlen, v o n der „comitas"

unter den Staaten 3 3 7 ) u n d zweitens von internem

Vollstreckungsrecht ( z . B . w i r d der Vollstreckungsstaat nicht gegen Gebilde vollstrecken, die er nach seinem I P R nicht wenigstens für passiv parteifähig hält). Weder die völkerrechtliche, noch die vollstreckungsrechtliche H ü r d e kann der Forumstaat durch seine Rechtswahl beeinflussen. D i e Rechtswahl ist umgekehrt auch dann ohne Einfluß, wenn Vollstrekkungs- und Forumstaat über die internationale Zuständigkeit streiten. Leugnet nämlich der Vollstreckungsstaat die Macht des Forumstaats über Parteien und Streitgegenstand, so w i r d er die Entscheidung selbst dann nicht anerkennen, wenn seine Gerichte genauso entschieden hätten wie die des Forumstaats. Vgl. z.B. Schultz v. Boy Scouts of America 338: Hätten die New Yorker Gerichte den Klägern recht gegeben, so hätte New Jersey die Entscheidung vermutlich anerkannt und vollstreckt („full faith and credit", U. S. Const, art. I, § 1, cl. 1), obwohl das höchste Gericht von New Jersey einen gleichgestellten anderen Beklagten „freigesprochen" hatte. Denn die New Yorker Gerichte hatten „in personam jurisdiction" gehabt 339 , und nach mehr ist, was die Anerkennung von Entscheidungen aus „Schwesterstaaten" angeht, grundsätzlich nicht zu fragen. Die Klageabweisung in „Schultz" ist denn auch nicht mit Vollstreckungsschwierigkeiten begründet, sondern, unter anderem, mit dem Streben nach äußerem Entscheidungseinklang. 340 334 Vgl. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Andere Rechte ziehen sich noch weiter zurück („ordre public atténué de la reconnaissance"), so ζ. Β. das künftige schweizerische und, zuweilen, das französische Recht (Nachweise unten § 7 IV., Fn. 341 bis 347). 335 Wer anerkennt, darf nicht neu erkennen - daher das verbreitete Verbot einer „révision au fond" (vgl. Text unten nach Fn. 340). 336 Die Vollstreckung folgt nicht schon aus der Anerkennung. 337 Vgl. Hilton v. Guyot, 159 U.S. 113 (1895) (Wirkung französischer Entscheidung in New York; bis heute beachtete Entscheidung, da, trotz „Erie "-Doktrin, möglicherweise „federal common law"). „Comitas" bedeutet, anderen das zu geben, was man seinerseits von ihnen erwarten würde: Wo in der Gemeinschaft der Staaten Verpflichtungen fehlen, da entscheiden übereinstimmende Verhaltenserwartungen und deren Gegenseitigkeit. (So wurde z.B. die französische Entscheidung in „Hilton " mangels Gegenseitigkeit nur als Beweismittel anerkannt.) Im Rahmen der „comitas" können auch Machtinteressen eines dritten Staates wichtig werden; vgl. z.B. Cass. Civ., 1.10.1985, R I W / A W D 1987, 55 mAnm Seidl-Hohenveidern (Immunität staatseigener algerischer Erdölgesellschaften im Vollstreckungsverfahren in Frankreich - abgelehnt, da Vollstreckung nur in Vermögenswerte, die privatrechtlicher Tätigkeit gewidmet waren). 338 Nachweis oben § 4 IX. 3., Fn. 164 und 165. 339 N . Y . Civ. Prac. Law § 302 (a) (2) („long-arm jurisdiction"). Infolge dieser weiten interlokalen Zuständigkeit hatte New York über einen Fall zu entscheiden, an dessen Ausgang es nach den Worten des Court of Appeals überhaupt nicht interessiert war (oben § 4 IX. 3. nach Fn. 166); vgl. dazu Text oben bei Fn. 332 und 333. 340 65 N . Y . 2d aufS. 201, 491 N. Y. S. 2d auf S. 98, 480 N . E . 2d aufS. 686 - 687.

13*

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§ 7. Anknüpfung und Sachrechtsauslegung bei Zufallsschädigungen

Der Fall ist paradigmatisch: Verzicht auf eine „révision au fond" ist Ziel der internationalen Entwicklung und in den meisten Staaten geltendes Recht 3 4 1 ; so z.B. in Deutschland 342 , Frankreich 343 und künftig in der Schweiz 344 ; so auch, jedenfalls im Ursprung des verzweigten Fallrechts, in den U . S . A . , was Entscheidungen des Auslands angeht. 345 Verzicht auf eine „révision au fond" ist ferner ein Hauptzweck der vielen Staatsverträge, die es heute gibt; vgl. z.B. Artt. 7 und 8 des Haager Abkommens vom 26.4.1966 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen346 und Artt. 29, 34 Abs. 3 des EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. 347 A u s all dem folgt: D i e W a h l des auf die Organhaftung anwendbaren Rechts beeinflußt A n e r k e n n u n g u n d Vollstreckung unserer Entscheidungen regelmäßig nicht (oder nur i m Rahmen des fremden ordre public). Das Durchsetzbarkeitsinteresse ist deshalb für die Rechtswahl zu vernachlässigen. V . Das Ordnungsinteresse am äußeren Entscheidungseinklang D i e deliktsrechtliche A n k n ü p f u n g der Organhaftung entspricht der M e h r zahl der vorgestellten ausländischen Lösungen. Sie liegt deshalb auch i m Ordnungsinteresse am äußeren Entscheidungseinklang. N u r wiegt dieses Interesse in unserem Fall nicht viel. B e i ungerechten ausländischen Entscheidungen führt das Streben nach äußerem Entscheidungseinklang zu deren Verfestigung i n der Gemeinschaft der Staaten. B e i gerechten ausländischen A n k n ü p f u n g e n ist es überflüssig (diese macht man sich schon wegen ihrer Gerechtigkeit zu eigen). Äußerer Entscheidungseinklang ist zwar das Ideal des I P R , aber i n der R e g e l 3 4 8 kein W e r t auf dem W e g zu dessen G e r e c h t i g k e i t . 3 4 9 341 Überblick über die autonomen Regelungen der Vertragsstaaten des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens bei Geimer / Schütze, S. 1201 1204: Nur Belgien und, teilweise, Italien praktizierten 1983 noch eine „révision au fond" . 342 § 723 ZPO. 343 Cass. Civ., 1.7.1964, Rev. er. dr. int. pr. 1964, 344 mAnm Batiffol (Abschaffung der „révision au fond", aber in bestimmten Fällen Nachprüfung anhand des französischen IPR). 344 Art. 25 Abs. 2 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes (bislang nur kantonale Regelungen, z.B. §§ 191 Abs. 3, 302 der zürcherischen ZPO: keine „révision au fond"). 345 Hilton v. Guyot , a.a.O. S. 284 Fn. 951. Vgl. auch Uniform Money-Judgments Recognition Act, 13 U . L . A . 269 (1975) (Empfehlung an die Bundesstaaten bezüglich Anerkennung ausländischer Zahlungsentscheidungen; das Erfordernis der Gegenseitigkeit aus „Hilton " ist gestrichen). 346 Abgedruckt in Rev. er. dr. int. pr. 1966, 329 (für die Bundesrepublik noch nicht in Kraft). 347 Jayme / Hausmann, S. 199 ff. 348 Anders bei dauerhaften Rechtslagen (z.B. des Familienrechts), die in mehreren Staaten zu behaupten sind. Hier verlangt die Gerechtigkeit internationalen Bestand (so

V. Das Ordnungsinteresse a

u e r e n Entscheidung

197

Das gilt i m besonderen für die Organhaftung. H i e r sind die vorgestellten ausländischen Lösungen wenig entwickelt; sie haben noch nicht die Verbindlichkeit geltenden Rechts (von der Liechtensteiner Lösung abgesehen 3 5 0 ). W i e dieses geltende Recht, müßte es geschaffen werden, aussähe, ist u n g e w i ß . 3 5 1 W o aber die A n k n ü p f u n g e n noch nicht m i t einiger Verbindlichkeit feststehen, da kann man nicht gut fragen, ob unsere Lösungen m i t ihnen i n Einklang stehen oder nicht. M a n kann und soll nur prüfen, ob sie international annehmbar sind.352

nachdrücklich Ferid, IPR, 3. Aufl., § 1 - 128, § 2 - 4.1.). Bei der Zurechnung einer Schädigung geht es aber nicht um dauerhafte internationale Anerkennung einer Rechtslage, sondern um die einmalige Abwicklung eines Schadens. Für sie genügt die Anerkennung von Zurechnungsfolgen im Forumstaat (oben § 7 III. 2 c) bb) ß) bei Fn. 304 und 305 [Durchsetzbarkeitsinteresse]). 349 Ebensowenig wie die Gerechtigkeit des materiellen Rechts von numerisch herrschenden Meinungen abhängt (ähnlich Neuhaus, § 6 I I I . 2., S. 54; zurückhaltend auch Kegel, L B , § 2 II. 3. a], S. 77f.). Der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs strebt zwar, neben vielem anderem (oben § 6 IV.), auch nach äußerem Entscheidungseinklang ( B G H Z 87, 95 [99f., 102], Urt. v. 8.3.1983 - „Polen"-Fall - ; B G H Z 93, 214 [219 oben], Urt. v. 8.1.1985 [Deutscher gegen Spanier in Portugal, näher oben § 6 I V . , Fn. 77]). Aber dieses Streben ist mehr Garnitur denn Stütze seiner Entscheidungen. Die sich verästelnde Kasuistik im deutschen IPR der Verkehrsunfälle spottet jeder Hoffnung auf gleichartige Anknüpfungen im Ausland. 3 *> Oben § 4 III. 351 Vgl. die Antworten der einzelnen Regierungen auf der siebten Haager Konferenz; oben § 5 V I I . 352 Neuhaus, § 6 I I I . 2., S. 54f.

§ 8. Sonderfälle Die bisherige Lösung könnte verwandelt werden in die Formel, die Organhaftung folge dem Recht der Haftung stets. Doch diese Formulierung wäre irreführend und unkritisch gegenüber Sonderfällen. Irreführend wäre sie, indem sie suggeriert, die Anknüpfung der Organhaftung sei der der Haftung durchweg akzessorisch. Man muß sich - wir wiederholen es - von der Vorstellung befreien, die Organhaftung sei vorgegebenen Statuten einzuordnen und folge dem Haftungsstatut, dem man sie einordnet, als Teil im Ganzen, wie immer dessen Anknüpfung sich auch bestimmt. 1 Das Gegenteil ist der Fall. Denn die Interessen, die für die Anknüpfung der Organhaftung ins Gewicht fallen, sind nur in einem Ausschnitt die, die über die Anknüpfung der Haftung entscheiden, und sie behaupten, beugen oder verändern sich autonom. 2 In Sonderheit das Parteiinteresse der juristischen Person ist in der Anknüpfung von Delikt oder Vertrag nicht erfaßt und wird überspielt, wenn man Interessen nur für die Haftungsanknüpfung abwägt und dieser die Organhaftung mechanisch folgen läßt. 3 Die Anknüpfung der Organhaftung analysieren heißt im reinen Sinn des Worts: sie durchweg trennen von der der Haftung 4 und beide nur so weit in einen Zusammenhang stellen, als dieser sich im einzelnen, d.h. in der ganzen Reihe denkbarer Fallgestaltungen erweist. Die Akzessorietätsformel wäre insofern unkritisch, denn sie projiziert das Ergebnis einer Fallgruppe auf alle anderen. Sie droht die Interessenlage im besonderen Fall zu deformieren anstatt sich an ihr zu erproben. Denn die Interessenabwägungen, die die Anknüpfungen der Haftung und der Organhaftung koinzidieren lassen5, können in besonderen Fällen anders ausfallen und dann auseinandergehen. Je für sich muß man bei der Deliktshaftung den Grenzen der Tatortregel, bei der Organhaftung den Grenzen der haftungsrechtlichen Anknüpfung nachgehen, an die sie stoßen, wenn die jeweils 1

Dazu oben § 6 I. Man kann für jedes der oben § 7 I. untersuchten Interessen die Testfrage stellen, ob sie für die Anknüpfung der (Delikts-)Haftung in gleicher Weise in Betracht kämen. Natürlich gibt es auch ein Interesse an einem Gleichlauf von Organhaftung und Haftung (oben § 7 I I I . 1. a) aa)); aber dieses Interesse ist eines von mehreren und unter diesen nicht das allein entscheidende. 3 Erinnert sei an die Auseinandersetzung mit der Lösung von Beitzke (oben § 6 I I I . 2. a.E.) 4 Oben § 6 I. (zur Verfeinerung der kollisionsrechtlichen Fragestellung). 5 Seil: in den Fällen der „Zufallsschädigungen" (Umschreibung oben § 7 am Anfang, bei Fn. 1). 2

I. Verbundenheit der Parteien mit demselben Recht

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zugrundeliegenden Interessen sich verändern. 6 Im Wege der Analyse, also von Fall zu Fall sind die Interessen neu zu würdigen, um eventuell einen Punkt in ihrer Veränderung zu finden, an dem das Pendel umschlägt zu einer anderen Anknüpfung, die ihnen besser entspricht. Darin liegt der Zweck der folgenden Abschnitte. I. Schädigungen bei Verbundenheit der juristischen Person und des Geschädigten mit demselben Recht Der Sitz, die Niederlassung, der Geschäftsort, das Vermögen, der Markt der juristischen Person können in dem Staat liegen, dem der Geschädigte angehört, in dem er lebt, arbeitet oder Vermögen hat. Für den Schaden können beide Seiten Risiken gesetzt haben, die nach dem Recht desselben Staats erlaubt sind (z.B. durch Anmeldung von Kraftfahrzeugen). Solche gemeinsamen Punkte können das Verkehrsinteresse am Recht des Tatorts zurücktreten und gemeinsame Parteiinteressen überwiegen lassen. In spezifischer Weise betrifft das nur die Deliktshaftung: Diese unterliegt einem anderen als dem Tatortrecht, wenn die Parteiinteressen stärker und gemeinsam mit ihm verbunden sind. 7 Die Organhaftung dagegen ist durch gemeinsame Punkte nicht spezifisch, sondern nur mittelbar betroffen: Sie folgt dem Haftungsstatut auch in dessen Wandlungen, es sei denn, die gemeinsamen Punkte stünden dagegen. Indes, es gibt keine gemeinsamen Punkte, die aus sich heraus die Anlehnung an das Haftungsstatut lösen könnten. Denn was immer an die Verbandsstruktur rührt und an die darin wurzelnde Sonderform der Zurechnung 8 , das ist der juristischen Person eigen und hat auf Seiten des Geschädigten keine Entsprechung. Doch bleibt zu fragen, ob nicht im Spiel der besonderen Kräfte, welche die Anknüpfung der Organhaftung bestimmen9, die gemeinsamen Punkte anders ins Gewicht fallen können als bei der Anknüpfung der Deliktshaftung. Beispiele: 1. (Ähnlich Brown v. Church of the Holy Name of Jesus 10) Ein Angehöriger des Staates R beteiligt sich an einem Ausflug, den eine Gesellschaft mit Sitz in R organisiert hat und der in R beginnt und endet. Während des Ausflugs verunglückt er im Staat M . 6 Eben darauf zielt die oben § 6 I V . vor Fn. 76 zitierte Stelle aus B G H , Urt. v. 5.10.1976. 7 Seit Binders Arbeit „Zur Auflockerung des Deliktsstatuts" ist die Deliktsanknüpfung in Fluß geraten. Vgl. für den gegenwärtigen Rechtszustand die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Nachweise oben § 6 I V . , Fn. 77) und, in die Zukunft weisend, Artt. 40 Abs. 2 Nr. 1, 41 des Regierungsentwurfs (dazu oben § 1 II. 1. a) aa), Fn. 29); vgl. auch Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB. 8 Dazu oben § 7 I. 2. a). 9 Dazu eingangs des Kapitels, § 8 am Anfang. 10 Nachweis oben § 4 I X . 3., Fn. 149.

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§ 8. Sonderfälle

Nach dem Recht von R ist der Gesellschaft die Haftung für das Unglück zuzurechnen; nach dem von M ist sie gegen solche Zurechnung immun. Die Gesellschaft argumentiert (wie die Kirche im ,,Brown"-Fall), die gemeinsamen Punkte (Zugehörigkeit beider Parteien zum Ausgangs- und Zielstaat des Ausflugs) verknüpften zwar die Deliktshaftung mit dem Recht von R; für die Zurechnung der Haftung bleibe es aber beim Tatortrecht von M. Zu Recht? 2. (Abwandlung und Umkehrung von Beispiel 1) Die Parteien residieren und der Ausflug beginnt und endet in M. Der Geschädigte, ein deutscher Staatsangehöriger, verunglückt während des Ausflugs im Staat R. Das angerufene Gericht will auf die Deliktshaftung das Recht von R anwenden, denn allein der gewöhnliche Aufenthalt des Geschädigten im Sitzstaat der Gesellschaft genüge nicht, um vom Tatortrecht umzuschwenken auf das Recht der gemeinsamen Residenz. Kann die Gesellschaft dennoch argumentieren, die gemeinsamen Punkte (vgl. Beispiel 1) verknüpften speziell die Zurechnungsfrage mit dem Recht von M? I m ersten Beispiel kann die Gesellschaft nicht recht haben. D i e internationalprivatrechtlichen Parteiinteressen verweisen (wie alle wesentlichen Punkte des Falls) auf das Zurechnungsrecht von R . Was die Gesellschaft verficht, ist i n Wahrheit nicht ihr internationalprivatrechtliches Interesse an der räumlich günstigeren, sondern ihr materiellprivatrechtliches Interesse an der inhaltlich günstigeren Sachnorm, ist nicht das Zurechnungsrecht von M , wie i m m e r es beschaffen sei, sondern die Sachnorm von M , weil sie immunisiert. N i e m a n d aber darf i m Wege einer A n k n ü p f u n g das angeblich „bessere" Sachrecht insinuieren, denn bis zur Grenze des ordre public verdient jede Sachnorm den gleichen R e s p e k t . 1 1 1 2 I m zweiten Beispiel ist die Lösung - w i r überspielen es nicht - höchst zweifelhaft. Öffnet man sich der ganzen Fülle von Anknüpfungspunkten, die i n Deliktsfällen denkbar sind, u m sie in ihrer konkreten Verbundenheit gegeneinander abzuwägen („contact-weighing"), dann neigt die Waage sich, was die Organhaftung betrifft, zum Recht von M . 1 3 Z w a r bleibt es für die Deliktshaf11

Näher oben § 6 I V . , insbes. nach Fn. 86; vgl. auch oben § 7 I. 5. b), insbes. bei Fn. 120 (gegen Begünstigung des Geschädigten) und Jambu-Merlin, oben § 4 I V . , Fn. 84, andererseits aber Leflar, oben § 6 I V . , Fn. 82. 12 Auch wenn der Geschädigte, wie im zweiten Beispiel, deutscher Staatsangehöriger wäre, würde sich nichts ändern. Auch dann verweist das internationalprivatrechtliche Parteiinteresse der Gesellschaft auf das Zurechnungsrecht von R; sie hat deshalb keinen Grund, für die Zurechnungsregel von M zu plädieren. Es wäre in dieser Abwandlung allerdings denkbar, daß das Gericht auf die Deliktshaftung das Recht von M anwenden will und der Geschädigte gleichwohl die Anwendung der Zurechnungsregel von R wünscht. Dann gilt entsprechend, was sogleich zu Beispiel 2 zu sagen ist. 13 Man denke an die Fülle von Punkten, die der Bundesgerichtshof im letzten Jahrzehnt bei seinen Deliktsanknüpfungen erwogen hat, und an die unausdenkbare Vielfalt, in der sie sich im Einzelfall miteinander verbinden können (Unfallort, Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, Heimkehrwille, früherer Lebensmittelpunkt, Registrierungsstaat der Unfallfahrzeuge, Versicherungsstaat, familiäre Verbundenheit, Staatsangehörigkeit des Ehegatten einer Partei, familienähnliche Gemeinschaft, Hausgemeinschaft, Reisegemeinschaft, Reisezweck) (Nachweise oben § 6 IV., Fn. 77). Die vormals eine Deliktskollisionsnorm scheint zu zerstieben in Partikel immer neuen Fall-

I. Verbundenheit der Parteien mit demselben Recht

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tung beim Recht des Tatorts, da dieser Punkt („Tatort") schwerer wiegt als die gemeinsamen Punkte der Parteien (so jedenfalls nach der hypothetischen Ansicht des Gerichts). Was indes die Organhaftung angeht, so fällt zugunsten des Rechts von M ein weiterer Punkt ins Gewicht, und dieser läßt die gemeinsamen Punkte überwiegen: der Bezug der Zurechnung zu den inneren Verhältnissen der Gesellschaft. 14 Was für den Umschlag der Deliktsanknüpfung (vielleicht) nicht genügt: der gewöhnliche Aufenthalt des Geschädigten im Sitzstaat der Gesellschaft, das reicht, nimmt man alles zusammen, für den der Zurechnungsanknüpfung aus. Denn die Zurechnungsanknüpfung neigt sich schon ohne die gemeinsamen Punkte mit einigem Gewicht zum Gesellschaftsstatut 15 , während eine solche Neigung bei der Deliktsanknüpfung nicht von vornherein feststellbar ist. Für den Umschlag bedarf es deshalb bei jener weniger als bei dieser. Wir meinen aber, daß dieses Ergebnis sich durch Interessen nicht begründen läßt. 16 Das Parteiinteresse an der Anwendung des Personalstatuts (oder des nächststehenden Rechts) deutet auf das „Hauptrecht" einer Person, d.h. auf die Ordnung, der sie sich im ganzen verbunden fühlt und nach der sie in allen wesentlichen Beziehungen lebt. Die Stärke des (gemeinsamen) Parteiinteresses kann folglich nicht danach variieren, welche materiellen Sätze des interessierenden Rechts in Frage kommen (hier die Rechtssätze über Haftung einerseits und Zurechnung andererseits): Man ist entweder einem Recht im ganzen verbunden, oder man ist es nicht. So ist der Deutsche im zweiten Beispiel entweder durch seine Staatsangehörigkeit allein dem deutschen Recht verbunden (dann gibt es ein gemeinsames Parteiinteresse nicht) oder durch seinen gewöhnlichen Aufenthalt allein dem Recht von M (dann aber für die Deliktshaftung ebenso stark wie für deren Zurechnung). Macht man das Parteiinteresse des Deutschen an dessen Staatsangehörigkeit fest (wie das Gericht im zweiten Beispiel), dann können die Parteiinteressen sich auch nicht deshalb treffen, weil die Gesellschaft bezüglich der Zurechnung stärker an ihrem Heimatrecht interessiert ist als bezüglich der Haftung; für beide Fragen bleibt es dann beim Recht des Tatorts. rechts, und dessen Nähe zu amerikanischem „contact-weighing" verblüfft: Bei uns steht in Blüte, was in Amerika abstirbt und fast verschwunden ist. (Wohl die letzte amerikanische Entsprechung ist Restatement [Second] of Conflict of Laws, § 145 [2] [1971]. Das letzte New Yorker Fallbeispiel für „contact-counting" ohne Rücksicht auf Inhalt und „policy" der Sachnormen ist Macey v. Rozbicki, 18 N . Y . 2d 289, 274 N.Y.S. 2d 591, 221 N. E. 2d 380 [Ν. Y. 1966] [Recht von New York gilt für Unfall unter Einwohnern des Staats New York in Ontario; überholt!]; auch in Dym v. Gordon, 16 N . Y . 2d 120, 262 N.Y.S. 2d 463, 209 N . E . 2d 192 [N.Y. 1965] [Recht von Colorado für Unfall unter New Yorkern in Colorado; überholt!] ist das Ergebnis wohl nur mit „contact counting" und nicht mit einer Analyse der „policies" zu erklären.) Im Lichte unserer derzeitigen Praxis ist es jedoch durchaus „real", das zweite Beispiel zunächst im Sinne einer „Kontaktabwägung" zu durchdenken. 14 Dazu oben § 7 1 . 2 . 15 Dazu insbes. oben § 71. 2. 16 Zur Interessenabwägung im IPR oben § 6 IV.

§ 8. Sonderflle

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Der entscheidende Unterschied? Was wir „Interessen" nennen, das ist bei Abwägung von „Kontakten" aufgelöst in kleinere und leichtere Teilchen (Punkte, „contacts"). Diese können für einzelne Rechtsfragen eher koinzidieren und damit ein Übergewicht des Gemeinsamen begründen als Parteiinteresse, die entweder im Großen und Ganzen koinzidieren (nämlich in einer gemeinsamen Rechtsumwelt) oder gar nicht. Aber die „Kontaktabwägung" hat Gefahren. Ihre Tendenz geht zum jeweils kleinsten Gemeinsamen der Parteien. Sie weicht darin festen Regeln aus, nach denen wir, trotz verfeinernder Sichtweise, streben. 17 Die haftungsrechtliche Anknüpfung der Organhaftung verändert sich also niemals, wenn die Parteiinteressen zusammenfallen, sondern allenfalls dann, wenn sie auseinandergehen und anders wiegen als in ihr vorausgesetzt. Um solche Fälle geht es in den folgenden Abschnitten. I I . Schädigungen nach Anbahnung eines Kontakts, aber außerhalb einer Sonderbeziehung zwischen dem Geschädigten und der juristischen Person Die folgenden Fälle liegen so: Der Geschädigte ist vor der Schädigung mit der juristischen Person in Kontakt gekommen und weiß um ihre ausländische Herkunft; er hat aber, als sein Rechtsgut verletzt wird, noch keine Sonderbeziehung zu ihr. Hier hat sein Interesse am Recht der Umgebung 18 von Fall zu Fall ein anderes Gewicht: Je mehr der Geschädigte infolge des vorangegangenen Kontakts gefaßt sein muß auf fremde Organhaftung, desto weniger wiegt es. Anders das Parteiinteresse der juristischen Person: Es gründet auf einer verfaßten Struktur 19 und bleibt wie diese immer gleich. Die Frage ist deshalb, ob innerhalb der Fallgruppe das Interesse des Geschädigten sich so verringern kann, daß das der juristischen Person es überwiegt. Beispiele: 1. Schädigungen im Gefahrenbereich der juristischen Person: a) RG, Urt. v. 4.1.1934 20 : Eine französische Aktiengesellschaft veranstaltet in Regensburg eine Kraftwagenvorführung, bei der ein Zuschauer durch einen schleudernden Wagen getötet wird. b) O L G Schleswig, Urt. v. 3.3.1970 21 : Ein Lotse verletzt sich, als er im Nord-Ostsee-Kanal an Bord eines Schiffs geht. Das Schiff gehört einer dänischen Aktiengesellschaft. 17

Oben § 6 I., Fn. 11 (Abgrenzung zum kollisionsrechtlichen Ansatz von New York). 18 Oben § 71. 1. 19 Oben § 7 I. 2. 20 JRPV 1934, 43; dazu oben § 11. bei Fn. 9. 2 * IPRspr. 1970 Nr. 19 = SchlHA 1970, 186; dazu oben § 11. bei Fn. 11.

II. Schädigungen nach Anbahnung eines Kontakts

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c) Münchener Rechtsfall von 1925 oder 1926 : 1919 oder 1920 gründeten Schweizer einen „Zürcher Hilfsverein e . V . " , der in München seinen Sitz hatte und im Vereinsregister eingetragen war. Mitglied konnten nur Züricher Kantonsbürger werden. Der Verein sollte Züricher Kantonsbürgern helfen, die in Deutschland lebten und nach dem ersten Weltkrieg in Not geraten waren. Auf einer Hilfsveranstaltung in Zürich warf der Vorstand einem der Anwesenden vor, er bereichere sich an den Spenden, die er in der Schweiz für Schweizer in Deutschland gesammelt habe. Der Beschuldigte gehörte einer Konkurrenzorganisation an 23 und war ebenfalls Schweizer. Er verklagte den „Zürcher Hilfsverein" in München und verlangte Schadensersatz und Genugtuung in Geld (Art. 49 OR). 2. „Exklave" des Gesellschaftsstatuts im Tatortstaat (ähnlich Bezirksgericht Luxemburg, 26.4.1961, und Appellationshof Luxemburg, 25.2.1964, Burnell c/ Schütz et autres 24 ): Eine Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg veranstaltet auf einem abgegrenzten Waldgebiet in Deutschland eine Treibjagd. Eingeladen sind, bis auf einen Belgier, der in Belgien lebt, ausschließlich Luxemburger. Die Jagd wird in Luxemburg vorbereitet; alle Teilnehmer reisen von dort aus an und kehren dorthin zurück. Während der Jagd schießt ein Organ der Gesellschaft dem Belgier ins Gesäß. Dieser verklagt die Gesellschaft auf Schadensersatz. 25 3. Falsche Auskünfte und aufgeschwindelte Sicherheiten: a) Ein französischer Gerbereibetrieb wendet sich zum erstenmal an die Pariser Vertretung einer deutschen Chemie-Aktiengesellschaft und fragt, welche ihrer Gerbsäuren sich für eine bestimmte, in Frankreich geläufige Verlederung von Kaninchenhäuten eigne. Die Vertretung empfiehlt eine Säure, die später das Rohmaterial des Betriebs verdirbt. - Vgl. auch Bradbury ν. Central Vermont RyInc. 26 (falsche Auskunft über Einfuhrmöglichkeit von Vermont nach Kanada). b) Jemand vertraut zu seinem Schaden auf solide geschäftliche Verhältnisse, die eine ausländische juristische Person ihm fälschlich versichert: RG, Urt. v. 16.3.1887 - „Bremer Vereinsbank" - 2 7 ; RG, Urt. v. 23.9.1887 - „Hanau-Pforzheimer Empfehlung" - 2 8 ; RG, Urt. v. 20.11.1888 - „Lyoner Handelsgesellschaft" - 2 9 ; Bernischer Appellationshof, 24.2.1933 - „Bern-Heidelberger Empfehlung" - 3 0 ; O L G München, Urt. v. 22.3.1974- „Teneriffa-Hypothek" - 3 1 ; O L G München, Urt. v. 11.8.1981 - „St. Gallener A G " - , 3 2

22 Berichtet von Ferid, IPR, 1. Aufl., § 5 - 55. Der Fall wurde für den Geschädigten günstig verglichen. Für nähere Auskunft danke ich Herrn Prof. Dr. Mur ad Ferid, München. 23 Dieses Detail ist nicht mehr sicher zu rekonstruieren. 24 Dazu oben § 4 V I . bei Fn. 121 und 123. 25 Vgl. auch (öst.) O G H , 17.2.1982, dazu oben § 4 II. 2. bei Fn. 68, wo der schuldige Schütze aber mit dem Organisator der Jagd nicht verbunden war. 26 299 Mass. 230, 12 N . E . 2d 732 (1938); dazu oben § 4 I X . 5., Fn. 175. 27 R G Z 18, 116; dazu oben § 1 II. 4. b) bei Fn. 113. 28 R G Z 19, 382; dazu oben § 11. bei Fn. 1. 29 R G Z 23, 305; dazu oben § 11. bei Fn. 4. 30 SchweizJZ 31 (1934/35), 121 = ZBJV 72 (1936), 221; dazu oben § 41. 1. bei Fn. 8. 31 W M 1974, 583 = IPRspr. 1974 Nr. 149; dazu oben § 1 II. 1. b) bei Fn. 47. 32 KTS 1982, 313 = IPRspr. 1981 Nr. 210; dazu oben § 1 II. 1. b) bei Fn. 50.

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§ 8. Sonderfälle

In den Beispielen 1 a) - c) folgt die Organhaftung dem Deliktsstatut. Denn wie bei den „Zufallsschädigungen" 33 ist hier der Geschädigte aus einem Verkehr heraus verletzt worden (dem des Publikums vor der Rennstrecke; dem der Lotsen, die an Bord gehen; dem der Spendensammler, die zusammenkommen, um zu diskutieren). Zwar war der Verkehr jeweils erkennbar von einer ausländischen juristischen Person eröffnet; doch hatten die Geschädigten keinen Anlaß, die Folgen dieser Auslandsberührung zu bedenken. Die Zuschauer hätten ebensogut zur Vorführung eines deutschen Automobilherstellers gehen können, der Lotse ebensogut an Bord eines deutschen Schiffs, der beschuldigte Schweizer ebensogut auf die Veranstaltung einer Hilfsvereinigung schweizerischen Rechts 34 , und alle hätten sie im einen wie im anderen Fall denselben rechtlichen Schutz erwartet (oder im Grundgefühl ihrer Sicherheit vorausgesetzt). Der ausländische Verkehrsträger war für sie jeweils austauschbar gegen einen inländischen und das verbietet eine Unterscheidung nach seiner rechtlichen Herkunft. Im zweiten Beispiel allerdings ist die luxemburgische Gesellschaft nicht kurzerhand austauschbar gegen eine deutsche. Denn was hier stattfand, war nicht deutscher, sondern luxemburgischer Verkehr: Man bewegte sich in einer geschlossenen luxemburgischen Jagdgesellschaft und trat sich in Deutschland nicht mit einem anderen Gefühl von Sicherheit und Verantwortung gegenüber als im Großherzogtum. 35 Auch zwischen dem Belgier und der luxemburgischen Gesellschaft sollte deshalb, für Haftung wie Zurechnung, luxemburgisches Recht gelten. Nach Art. 40 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 des Regierungsentwurfs 36 wäre auf die Deliktshaftung, vorbehaltlich der Ausweichklausel in Art. 41, das deutsche Tatortrecht anzuwenden, denn der Belgier hielt sich gewöhnlich nicht in Luxemburg auf. Doch darf man den „Ersatzpflichtigen" anscheinend nach einem anderen Recht bestimmen. 37 Davon ausgehend fällt die Entscheidung zwischen deutscher und luxemburgischer Organhaftung schwer: Ist der Fall so gelagert wie die Fälle gemeinsamer Rechtsverbundenheit und insbesondere die Ausflugsfälle vom Typ „Brown"? 3 8 Falls ja, so sind bloß gemeinsame Punkte der Parteien zu würdigen, und diese können die Organhaftung vom Haftungsstatut nicht lösen 39 ; das deutsche Recht entschiede folglich auch über die Organhaftung. Oder weist der Fall mehr auf als nur gemeinsame Punkte und läßt er sich vom „Brown"-Fall unterscheiden mit der Begründung, die Jagdausflügler hätten eine menschliche Exklave des luxemburgischen Rechts gebildet und den Bereich dieses Rechts nicht wirklich verlassen? Falls ja, so entscheidet über die Organhaftung das Recht von Luxemburg. 33

Umschreibung oben § 7 am Anfang. A . A . Ferid, 1 Aufl., § 5 - 64: Es gelte § 31 BGB (in der 3. Aufl. gestrichen). 35 Gemeint sind die privatrechtlichen Beziehungen. (Dabei können die „Verkehrsregeln" der Jagd ggf. die des deutschen öffentlichen Rechts sein.) 36 Dazu oben § 1 II. 1. a) aa), Fn. 29. 37 Oben § 7 III. 2. a), Fn. 249. 38 Oben § 81., nach Fn. 9. 39 Oben § 81. a.E. 34

. Schädigungen nach Anbahnung eines Kontakts

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Für das zweite spricht: Wenn der Belgier sich vor der Jagd fragte, wer ihm für waidmännische Unvorsicht haften würde - die Gesellschaft oder nur das „schuldige" Organ - , so mußte er an das Recht denken, unter dem er verkehren würde: das von Luxemburg (so wie die Geschädigten in den Beispielen l a ] - c] an das deutsche bzw. schweizerische Verkehrsrecht denken mußten). Der Fall läßt sich ja ohne Veränderung der Interessen dahin abwandeln, daß bis zuletzt offen bleibt, in welchem Land die Jagd stattfinden soll; für den Belgier bleibt in dieser Variante das Recht seines korporativen Gastgebers die einzige Konstante, an die er sich halten kann.

Bei den falschen Auskünften und den aufgeschwindelten Sicherheiten (Beispiel 3) ist der kritische Punkt der Fallgruppe erreicht: Auskünfte, die im allgemeinen Verkehr gegeben werden (Beispiel 3 a), sind zu trennen von solchen anderen, die in ihrem Empfänger die konkrete Frage nach den Gewährspersonen wecken müssen (Beispiel 3 b). Bei jenen überwiegt das Parteiinteresse des Geschädigten, bei diesen das der juristischen Person. Auskünfte, Ratschläge oder Versicherungen können Ereignisse des allgemeinen Verkehrs sein. Wie es einen Verkehr mit Fahrzeugen oder Produkten gibt, so gibt es - selbstverständlich - einen Verkehr mit Mitteilungen. Wie man sich auf verkehrsgerechte Fahrweise anderer oder auf verkehrsgerechte Sicherheit von Produkten einstellt (und deshalb vom Schaden überrascht wird), so vertraut man auf verkehrsgerechte Gewähr für Informationen, die jedermann erhältlich und ihrer Art nach überindividuell und umlauffähig sind. (Z.B. vertraut man darauf, daß Wetter-, Fahrplan-, Börsen- oder Preisauskünfte nicht betrügerisch sind und dem neuesten Stand entsprechen.) Wird dieses Vertrauen enttäuscht, so darf man, wie bei einem Straßenverkehrsunfall, Ersatz von den Personen verlangen, die ihn nach dem Verkehrsrecht, d.h. dem Deliktsstatut, schulden. Denn wenn die Auskunft für den Empfänger sachlich in Ordnung ist (wenn ζ. B. dem Gerbereibetrieb die Anwendungstechnik der Gerbsäure plausibel dargelegt ist), so braucht er sich über das Personalstatut der befragten Gesellschaft und insbesondere deren Haftung für Organe nicht zu erkundigen: Der Verkehr lebt durch das Vertrauen seiner Teilnehmer in die gleichförmige Handhabung des Unspezifischen, Verwechselbaren, gedanklich Austauschbaren, dessen, was ständig in gleicher Weise erscheint und sich mit jedem der Verkehrsteilnehmer verbinden kann; er stürbe ab, wenn man jeden unspezifischen Vorgang rechtlich hinterfragen müßte. So gibt es im Gerbsäure-Fall (Beispiel 3 a) einen Verkehr, nämlich den des französischen Chemiemarktes mit anwendungstechnischen Informationen. Auch ist die erteilte Information nicht besonders auf ihren Empfänger abgestellt, sondern hätte unverändert im Verkehr umlaufen können (ζ. B. in einer anwendungstechnischen Broschüre für Gerber). Wenn hier die Auskunft für den Gerbereibetrieb sachlich in Ordnung ist, so darf er darauf vertrauen, daß die deutsche Chemiegesellschaft ebenso für sie einsteht wie die französische Konkurrenz für die ihren. So wenig wie die Geschädigten in den Beispielen 1 a) - c) braucht er sich um die ausländische Herkunft der Gesellschaft zu sorgen; der gleichförmige Lauf der Dinge enthebt ihn der Obliegenheit, sich rechtlich rückzuversichern.

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§ 8. Sonderfälle

Es gibt aber auch A u s k ü n f t e , die einzigartig sind u n d insofern außerhalb des Verkehrs erteilt werden, z . B . solche, die besonders für den Empfänger erarbeitet und auf i h n abgestellt sind oder die, wenn auch umlauffähig, m i t Blick auf eine wichtige Entscheidung des Empfängers gegeben werden. ( E i n Indiz dafür ist Vertraulichkeit.) Dazu gehören die Auskünfte in Beispiel 3 b). Die zugehörigen Entscheidungen sind freilich kaum auf eine Regel zu bringen, die sie alle erklärt. Angewendet wurde, über die alternative Tatortregel oder stillschweigend, teils das Recht des Geschädigten („Hanau-Pforzheimer Empfehlung", „St. Gallener A G " ) , teils das der belangten Gesellschaft (übrige Fälle). Ein Kriterium, das beide Gruppen bündig trennte, gibt es anscheinend nicht. 40 Die Verschiedenheit der Ergebnisse wird einsehbar weder danach, ob das verantwortliche Organ die Unwahrheit der Auskunft gekannt hatte („Bremer Vereinsbank", „St. Gallener A G " ) oder nicht (übrige Fälle), noch danach, ob es die Auskunft zu Zwecken seiner Gesellschaft gegeben hatte („St. Gallener A G " ) oder zu Zwecken des Geschädigten (übrige Fälle), noch schließlich danach, ob der Kontakt zwischen den Parteien hergestèllt worden war durch den Geschädigten (die Baseler Bank in „Bremer Vereinsbank", anscheinend ebenso in „Hanau-Pforzheimer Empfehlung", „Bern-Heidelberger Empfehlung", „Lyoner Handelsgesellschaft"), durch die belangte Gesellschaft („St. Gallener A G " ) oder durch sonst jemand (den später insolventen Kaufmann in „Teneriffa-Hypothek"): Die Fälle sind ununterscheidbar und deshalb einheitlich zu lösen wie folgt. Individuelle („einzigartige") Auskünfte verlangen individuelle Vorsicht: M a n muß die Aufmerksamkeit schärfen, sobald der verkehrsmäßige V e r l a u f der Dinge unterbrochen w i r d durch Besonderes u n d so noch nicht Erlebtes. D e r Auskunftsempfänger muß sich deshalb selbst die Sicherheit verschaffen, die i h m ansonsten der V e r k e h r bietet. E r darf nicht glauben, die Gewährspersonen seien dieselben wie i m V e r k e h r , sondern muß sich entweder die Information garantieren lassen oder feststellen, wer i h m ohnedies für ihre Richtigkeit haftet: der Auskunftgeber, dessen Gesellschaft oder beide. D e r W e g der Feststellung lenkt ihn notwendig auf das Gesellschaftsstatut: W e r wissen w i l l , ob eine Gesellschaft haftet, hat keine andere Quelle als die, aus der die Gesellschaft entsprungen ist. Zur Illustration41: Der amerikanische Bundesstaat Michigan unterhält in Brüssel eine Handelsvertretung (The State of Michigan, Office of International Development, European Office). 40 Allerdings sind alle Fälle nach dem Recht des jeweiligen Forums entschieden worden (auch in RG, Urt. v. 23.9.1887 - „Hanau-Pforzheimer Empfehlung" - , denn dort hatte der Rechtsstreit in Karlsruhe, also im Forum des schließlich angewandten badischen Rechts begonnen; nur eine scheinbare Ausnahme macht RG, Urt. v. 20.11.1888 - „Lyoner Handelsgesellschaft" - , denn in diesem französisch-schweizerischen Fall stand das Recht des Forums nicht zur Wahl). Liegt darin ein Beleg für die Beobachtungen Ehrenzweigs (oben § 4 IX. 3., Fn. 147)? 41 Das Beispiel betrifft zwar Staatshaftung (und damit, aus der Sicht des deutschen Rechts, eine Sonderhaftung), beleuchtet aber wegen der involvierten Immunitätsregel (nachfolgende Fn. 42) die Interessenlage besonders klar.

II. Schädigungen nach Anbahnung eines Kontakts

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In Deutschland fragt ein Unternehmer den Direktor der Abteilung „Trade and Investment", ob eine bestimmte besonders gelagerte Investition, die er im einzelnen erklärt, in Michigan möglich sei. Der Direktor überdenkt den Fall und versichert, es gebe kein Bedenken. Liegt es für den Unternehmer nicht nahe, sich schriftliche Bestätigungen geben zu lassen oder sich zu erkundigen, ob der Staat Michigan ihm notfalls für die Information haften muß? 42 Und wäre es nicht gedankenlos zu glauben, die Dinge lägen so wie bei Auskünften einer deutschen Industrie- und Handelskammer mit Sitz in der Bundesrepublik? Das Parteiinteresse des Geschädigten am Recht seiner U m g e b u n g 4 3 ist hier entscheidend verringert, das der juristischen Person dagegen unverändert. 4 4 Das drängt zu einer A n k n ü p f u n g , die einerseits dem Interesse der juristischen Person entspricht, andererseits aber H a f t u n g und Zurechnung nicht leichthin t r e n n t . 4 5 Dieses doppelte Z i e l erreicht man am besten so: Sobald eine Auskunft den allgemeinen V e r k e h r m i t M i t t e i l u n g e n übersteigt, ist neben dem Deliktsrecht immer auch das Recht der Sonderbeziehungen zu p r ü f e n . 4 6 I n dieser Hinsicht bahnt A r t . 28 A b s . 2 S. 1 E G B G B einen W e g zum Personalstatut: D a die juristische Person die A u s k u n f t u n d damit die „charakteristische Leistung" erbringt, gilt i m Z w e i f e l 4 7 das Sitzrecht ihrer Hauptverwaltung (Personalstatut). Ergibt dieses Recht, daß eine Sonderbeziehung besteht, so sollte man i h m zugleich die Deliktshaftung unterstellen (akzessorische A n k n ü p f u n g 4 8 ) . Das Personalstatut herrscht dann einheitlich über die Haftung (aus Sonderbeziehung wie D e l i k t ) und deren Z u r e c h n u n g . 4 9 M i t Blick auf das 42 Involviert ist die angelsächsische Maxime, der Staat sei gegen Deliktsklagen immun („The King can do no wrong"; für die U . S . A . vgl. U.S. Const, amend. XI). Vgl. Mich. Comp. Laws Ann. § 3.996 (107) (West 1973) (Immunität aufgegeben [„waived"] für fiskalisches, aber nicht für staatliches Handeln). Im Jahre 1986 öffnete Michigan sich der vollen Deliktshaftung; die entsprechende Gesetzesstelle ist mir nicht zugänglich. Neben der Deliktsklage ist an Rechtsschutz in einem administrativen Verfahren zu denken. 43 Oben § 7 I. 1.; vgl. auch oben § 7 I. 4. bei Fn. 87. 44 Oben § 8 II. bei Fn. 19. Nicht ohne Grund ist das Reichsgericht für Briefdelikte von der Empfangsortregel abgerückt zugunsten einer Alternativanknüpfung an Absende- oder Empfangsort (oben § 1 I.). Damit konnte es, je nach Lage des Falls, dem kollisionsrechtlichen Interesse entweder des Absenders oder des Empfängers entsprechen. 45 Dazu oben § 7 III. 1. a) aa); § 7 I I I . 1. b) dd). 46 Man beachte, daß noch mit der Annahme der Auskunft, also mit der Verletzung des Rechtsguts selbst, eine Sonderbeziehung zwischen den Parteien entstehen kann. Die Fälle der Auskünfte außerhalb des Verkehrs (Beispiel 3 b) bleiben also im Rahmen der Fallgruppe (Umschreibung oben § 8 II. am Anfang). 47 Die Wertungsfrage, ob eine engere Verbindung mit einem anderen Recht bestehe (Art. 28 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 EGBGB), sollte man im Interesse der juristischen Person verneinen. 48 Dazu unten § 8 III. 1. b). 49 Die Entscheidungen in Beispiel 3b) sind, bis auf die im Fall der „Teneriffa-Hypothek", allein deliktsrechtlich begründet: Teils hatten die Klagen schon ohne Vertragsrecht Erfolg, teils fehlte für den Vertragsanspruch die internationale Zuständigkeit („St. Gallener A G " ) . Trotzdem hätte sich in allen Fällen eine Sonderbeziehung konstruieren lassen und mit dieser ein Weg zum Personalstatut der juristischen Person.

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§ 8. Sonderfälle

internationalprivatrechtliche Interesse der juristischen Person sind die materiellrechtlichen Anzeichen für eine Sonderbeziehung so weit als möglich zu interpretieren. 50 Ist dieser Weg nicht gangbar, so kann man hilfsweise die alternative Tatortregel so auslegen, daß sie, falls möglich, auf das Personalstatut der juristischen Person verweist. 51 I I I . Schädigungen im Rahmen einer schon bestehenden rechtlichen Sonderbeziehung Der Geschädigte kann zur Zeit der Verletzung seines Rechtsguts eine rechtliche Sonderbeziehung zu der juristischen Person gehabt haben und sie daraus wegen seines Schadens belangen. Die Organhaftung ist dann anzuknüpfen als spezifisch vertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer (und nicht als einheitliche Leutehaftung für alle Haftungslagen der juristischen Person). Denn die Funktion, die unsere Organhaftung in bezug auf Sonderbeziehungen erfüllt, wird in anderen Rechten wahrgenommen von spezifischem Vertragsrecht. Dieses ist ihr - erstens - unter dem Gesichtspunkt ihrer weiteren, der außervertraglichen Zurechnungsfunktion nicht vergleichbar; es ist ihr - zweitens - nur in einzelnen anderen Rechten vergleichbar unter dem Gesichtspunkt einer vertraglichen Haftung für das Verschulden von Leuten (zu beidem nachfolgend unter 1.). Im einzelnen geht es um eine doppelte Fragestellung: (1) Was hat man sich im IPR (nicht in unserem oder einem anderen Sachrecht) vorzustellen, wenn man von der vertraglichen Zurechnung des Verhaltens anderer spricht (also vom Inbegriff der Rechtserscheinungen mit der Funktion, die bei uns § 31 BGB in bezug auf Sonderbeziehungen erfüllt)? Welche Rechtserscheinungen qualifizieren sich funktional im Sinne einer solchen Zurechnung - mit der Folge, daß sie gegebenenfalls 50 Das fällt nicht schwer, wenn die Sonderbeziehung zu begründen ist mit einem weiten und aus den Umständen zu deutenden Kriterium. Bei uns z.B. entscheidet der rechtsgeschäftliche Wille der Parteien, der, tendenziell, immer dann indiziert scheint, wenn eine vertragsrechtliche Lösung die bessere ist. (Einen Eindruck davon geben die Kommentierungen zu § 676 BGB.) Auch im anglo-amerikanischen Recht scheitert die Konstruktion eines impliziten Vertrags kaum an der „Sprache" („language": Begriffe und Dogmen), in der sie zu begründen ist. Insbesondere das tradierte Erfordernis, ein vertragliches Versprechen müsse, um zu binden, eine Gegenleistung auslösen („consideration"), ist vielfach durch gemeines Recht und Gesetzesrecht durchlöchert (vgl. z.B. N . Y . Gen. Oblig. Law § 5 - 1105) oder durch alternative Erfordernisse substituiert. Vgl. für unseren Zusammenhang Restatement (Second) of Contracts , § 90 (1) (1981): Vertraut der Versprechensempfänger auf ein vertragliches Versprechen, und muß der Versprechende dies erwarten, so ist das Versprechen bindend, „if injustice can be avoided only by enforcement of the promise". 51 Vgl. § 8 II., Fn. 44. Vgl. auch die Ausweichklausel in Art. 41 des Regierungsentwurfs; zum Regierungsentwurf oben § 11. 1. a) aa), Fn. 29.

III. Schädigungen im Rahmen einer Sonderbeziehung

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Gegenstand derselben Anknüpfung sein und in dieselbe Verweisung einbezogen werden können? (Frage der Qualifikation: unten 1.). (2) Darf die vertragliche Organhaftung - soweit es sie in einzelnen Rechten gibt - so angeknüpft werden wie das, was sich so wie sie als vertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer qualifiziert? Oder ist wegen der ihr eigenen Interessenlage eine besondere Anknüpfung geboten? 52 (Frage der Anknüpfung: 2.) 1. Die Qualifikation von Rechtserscheinungen als vertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer

Die Gegenstände der Anknüpfung vertraglicher Zurechnung und den Umfang der zugehörigen Verweisung zu umschreiben, fällt schwer. 53 Nötig sind zwei Einsichten: Erstens sind die vertragliche und die außervertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer im IPR zu trennen. Denn im IPR kann nur das zusammengehören (d.h. als Gegenstand einer Anknüpfung und einer Verweisung qualifiziert werden), was sich funktional entspricht. Daß § 31 BGB vertragliche und außervertragliche Zurechnung in einem regelt, besagt also nichts. Die (nachfolgende) Vergleichung materiellen Rechts zeigt vielmehr, daß außervertragliche und vertragliche Zurechnung sich funktional unterscheiden und folglich verschieden zu qualifizieren sind: Außervertragliche Zurechnung des Verhaltens eines anderen betrifft die Pflichten des anderen gegenüber jedermann und ist Haftung, die der andere durch seine Tat ausgelöst hat (daher „Haftung für Leute" oder, kennzeichnender, „vicarious liability"); dabei ist typischerweise Verschulden im Spiel, sei es das des Haftenden, sei es das des anderen. Vertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer betrifft dagegen ein eigenes Versprechen gegenüber einem Vertragspartner und Haftung für Umstände,- die von diesem Versprechen abweichen und die man als Vertragsschuldner vertreten muß; dabei muß nicht notwendig Verschulden im Spiel sein. Vertragliche und außervertragliche Zurechnung können deshalb funktional nicht in eins gesetzt werden. Zweitens darf man die vertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer im IPR (d.h. zu Zwecken der Qualifikation) nicht als Haftung für das Verschulden von Leuten verstehen. Denn nur in einigen Rechten ist sie das. In den übrigen wird ihre Funktion erfüllt durch objektive Risikozuschreibung. Der Gesichtspunkt „Haftung für Leute" ist also als Vergleichsbasis („tertium comparationis") zu schmal, um alle Rechtserscheinungen zu erklären, die die ver52

Vgl. oben § 8 am Anfang und § 5 I. Zumal es eine rechtsvergleichende Untersuchung über die Vertragshaftung für vertragsfremde Personen m. W. nicht gibt. 53

14 Schohe

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§ 8. Sonderfälle

tragliche Zurechnungsfunktion unserer Organhaftung erfüllen. Die umgreifende Vergleichsbasis ist eine viel allgemeinere und breitere: die Haftung für (personal bedingte) Abweichungen von einem vertraglichen Versprechen, wie wir sie eben umschrieben haben. Rechtsvergleichung im einzelnen: (1) Außervertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer Jedes Recht hat mindestens eine außervertragliche Zurechnungsnorm. 54 Denn daß immer allein der Schädiger haftet, erscheint nirgends tragbar. Da aber Eigenverantwortung die Regel und Fremdverantwortung die Ausnahme ist, muß eine Regel statuiert werden. Die betreffenden Regeln 55 entsprechen sich durchweg in Funktion, Tatbestand und Rechtsfolgen. Die Funktion ist: das Prinzip der Eigenverantwortung zu durchbrechen. Der Tatbestand ist die Antwort auf immer die gleichen drei Fragen: Wer? Für wen? In welchem Zusammenhang?56 Die Rechtsfolge ist: Einer trägt („vicariously") Haftung, die ein anderer durch seine Tat begründet hat. Diese Regeln lassen sich einheitlich qualifizieren 57 ; ihre einheitliche Anknüpfung ist deshalb möglich (ob sie interessengerecht wäre, ist die zweite Frage 58 ). (2) Vertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer (a) Haftung für das Verschulden von Leuten Im deutschen Rechtskreis scheinen vertragliche und außervertragliche Zurechnung funktional vergleichbar: Beidemal geht das Verhalten einer Person auf das Konto einer anderen. 59 Wenn diese Zurechnung variiert, so nur graduell nach ihrem Zusammenhang. Sie ist, wo Hilfspersonen handeln, in Sonderbeziehungen schärfer als bei Delikten 6 0 und, wo Organe handeln, in jedem Fall strikt. 6 1 Während die Zweiteilung vertraglicher und außervertraglicher Zurechnung in der Schweiz auch für Organe durchgehalten wird (jedenfalls regeltechnisch) 62, erscheint sie in Deutschland überflüssig: 54

Allenfalls das Recht der D D R macht eine Ausnahme. Dazu oben § 7 I I I . 1. a) bb), Fn.142. 55 Nachweise oben § 7 I I I . 1. c), Fn. 2; vgl. auch oben § 7 I. 2. a), bei Fn. 23 - 26. 56 Oben § 7 I I I . 1. c). 57 Von der dafür vorauszusetzenden funktionalen Vergleichbarkeit konnte bei der Betrachtung außervertraglicher Zurechnung ohne weiteres ausgegangen werden. Z . B . war klar, daß „vicarious liability" in den U. S. A . in einem Ausschnitt dieselbe Funktion erfüllt wie bei uns die außervertragliche Organhaftung. 58 Vgl. unsere zweite Frage oben § 8 III. am Anfang. 59 Oben § 2 am Anfang; § 4 1 . 3 . nach Fn. 40. 60 §§ 831, 278 BGB; Artt. 55, 101 OR; §§ 1315, 1313a A B G B . 61 Zur Organhaftung in Österreich oben § 6 III. 1. bei Fn. 32 - 35, § 7 I. 2. a) bei Fn. 27 - 30; zu sonstigen österreichischen Zurechnungsformen unten § 8 I V . 1. am Anfang. Zum schweizerischen Recht vgl. nachfolgende Fn. 62. 62 Art. 55 Abs. 2 und die besonderen Organhaftungsnormen (oben § 4 L 4.) betreffen die außervertragliche Zurechnung von Organverhalten. Für die vertragliche Zurechnung von Organverhalten gelten die Regeln über den Vertragsschuldner selbst (Artt. 97, 99 OR; näher Portmann, S. 35f.) und nicht die Regel über „Hilfspersonen" (Art. 101 OR). Auch für die Freizeichnung vom Verschulden der Organe gilt nicht Art. 101 OR, sondern die Regel über den Vertragsschuldner selbst (Art. 100 OR; Han-

III. Schädigungen im Rahmen einer Sonderbeziehung

211

Juristische Personen haften so wie natürliche Personen für eigenes Verschulden strikt („Eigenhaftung") 63 , und dies bei Delikten nicht anders als in Sonderbeziehungen (vgl. § 31 BGB mit §§ 276 Abs. 1 S. 3, 827, 828 BGB). Daher die Einheitsregel in § 31 BGB, die, in den Allgemeinen Teil des Gesetzes gestellt, beides umgreift. 64 Indes, § 278 BGB kann die vertragliche Seite des § 31 BGB absorbieren 65 . Die Rechtsprechung hat für Organe bald zu der einen, bald zu der anderen Vorschrift gegriffen 66 , und in Österreich ist es zweifelsfrei, daß der mit § 278 S. 1 BGB fast wörtlich übereinstimmende § 1313 a A B G B auch für Organe gilt 6 7 und eine davon zu sondernde vertragliche Organhaftung erübrigt. Diese Äquivalenz der Normen zeigt, daß die Zurechnung, trotz Einheitsregel, funktional verzweigt ist nach der A r t der Haftung: Geregelt werden auf der einen Seite der Personenkreis, für dessen Delikte (oder sonstige Taten) man einstehen muß (§§ 31, 831, 832 BGB, 3 HPflG) und auf der anderen Seite die Umstände personaler Leistungsunfähigkeit, die man als Vertragsschuldner vertreten muß (§§ 31 bzw. 278 BGB, 431, 456 H G B ; vgl. auch § 351 S. 2 BGB). Mag auch die vertragliche Zurechnung eine Haftung für Leute bewirken, es sind die Regeln

delsgericht Bern, Urt. v. 21.2.1936, ZBJV 73 [1937], 437 [438f.]; BGE 102 I I 256 [264], Urt. v. 14.9.1976). In der Schweiz unterscheidet die vertragliche Zurechnung sich also danach, ob sie an Organen oder an „Hilfspersonen" ansetzt, während sie in Deutschland und Österreich jedenfalls im Ergebnis in beiden Fällen dieselbe ist (§§ 31, 278 BGB; § 1313a A B G B ; vgl. zu dieser Vorschrift unten bei Fn. 67). 63 Die deutsche Rechtsprechung stellt sich Organhaftung als Eigenhaftung juristischer Personen vor (oben § 6 III. 1.). 64 Der Anschein funktionaler Vergleichbarkeit von vertraglicher und außervertraglicher Zurechnung wird verstärkt durch sonstige Einheitsregeln wie §§ 485, 510 H G B , 3 BinnSchG. 65 Dahin deuten der Gesetzeswortlaut (§§ 278 S. 1, 26 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB) und die Gleichheit der Ergebnisse (einziger Unterschied: §§ 278 S. 2, 276 Abs. 2 BGB, 11 Nr. 7 AGB-Gesetz erlauben außerhalb Allgemeiner Geschäftsbedingungen eine Freizeichnung vom Vorsatz der Organe, §§ 31, 276 Abs. 2 BGB dagegen nicht [vgl. auch § 40 BGB]). 66 Soweit ersichtlich lehnt nur RG, Urt. v. 9.11.1932, L Z 1933, 310 Nr. 4 die Anwendung des § 278 BGB auf Organe ausdrücklich ab. Die Meinung könnte ferner impliziert sein in BGH, Urt. v. 18.1.1973, NJW 1973, 456 (457 sub I I I . ) , wo die Freizeichnung für grobe Fahrlässigkeit eines Organs für unwirksam erklärt wird (vgl. aber §§ 31, 276 Abs. 2 BGB!). Offen bleibt die Anwendbarkeit des § 278 BGB in RGZ 110, 145 (147), Urt. v. 30.5.1925 und in R G Z 138, 40 (42), Urt. v. 7.10.1932. Dagegen hat RGZ 122, 351 (358f.), Urt. v. 23.11.1928 zwischen Vertrag und Delikt unterschieden und auf ersteres § 278 BGB angewandt (möglicherweise ebenso RGZ, 152, 129 [132], Urt. v. 26.6.1936). Vgl. auch RG, Urt. v. 5.5.1930, JW 1930, 3473: Haftung für Vorstand nach § 278 BGB (nichtrechtsfähiger Verein); aufgegriffen in RG, Urt. v. 28.2.1938, JW 1938, 1329 Nr. 32: Haftung für „Fachgruppenführer", der für ein bestimmtes Gebiet bestellt ist, nach § 278 BGB (rechtsfähiger Verein). Die ansonsten gegen die Anwendung des § 278 BGB angeführten Entscheidungen bewegen sich bei Lichte nur im Umfeld der Frage: R G Z 162, 129 (169), Urt. v. 14.3.1939 stellt die „Eigenhaftung" der juristischen Person heraus; B G H , Urt. v. 8.2.1952, NJW 1952, 537 (538) betrifft die Anwendung des § 31 BGB auf offene Handelsgesellschaften; B G H Z 45, 311 (312), Urt. v. 30.6.1966 zitiert nur das Urt. v. 8.2.1952; B G H , Urt. v. 5.12.1958, W M 1959, 80 (84 links sub II. 5.) = NJW 1959, 379 (Leitsatz) betrifft Wissenszurechnung. 67 Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I I , S. 295; Feil, A B G B , §§ 1313 - 1315, Anm. 4. 14*

212

§ 8. Sonderfälle

über das vertragliche „Vertretenmüssen", über das, was man versprochen hat zu übernehmen oder was als versprochen gilt, die ihr den funktionalen Rahmen geben (§§ 276 - 279, 287, 300 Abs. 1 BGB). (b)

Sonstige vertragliche Zurechnungsformen

Es ist der eben genannte Gesichtspunkt des „Vertretenmüssens", der Haftung für Abweichungen vom Versprochenen, unter dem die Sicht des deutschen Rechtskreises sich vergleichen läßt mit solchen Rechten, die eine Haftung für Erfüllungsgehilfen (oder erfüllende Organe) entweder nicht regeln (Haager Kaufrecht, Schweden, Frankreich) oder von vornherein nicht brauchen (U.S.A.). Das Haager Einheitliche Kaufgesetz 68 setzt zwar an vier Stellen voraus, daß die Vertragsparteien für bestimmte Personen haften müssen (Artt. 35 Abs. 2, 74 Abs. 3, 79 Abs. 2d, 96), bestimmt den fraglichen Personenkreis aber nicht. Das ist m.E. keine Regelungslücke (dazu Artt. 9 und 17), sondern hat seinen Grund: Die Frage läßt sich nicht (wie in § 278 BGB) von den Vorschriften isolieren, in denen sie anklingt, sondern stellt sich jeweils als Teil der in ihnen geregelten umfassenderen Haftungsfrage. Art. 74 zum Beispiel regelt die Zuordnung erfüllungshindernder Umstände zur Risikosphäre der einen oder anderen Partei, und einer dieser Umstände kann menschliches Versagen Dritter sein. Die Frage in Art. 74 Abs. 3, für welche Personen der Vertragsgläubiger hafte, ist also in dem Sinn zu entscheiden, in dem Art. 74 über sonstige Erfüllungshindernisse entscheidet: Es geht letztlich um objektive Auslegung des Vertragsversprechens, d.h. dessen, was man übernommen hat zu vertreten (vgl. Art. 74 Abs. 1, 2. Hs.). Dem ähnelt das schwedische Kaufgesetz. 69 Eine Vorschrift über Erfüllungsgehilfen, über subjektives Vertretenmüssen gibt es nicht, denn die große Tendenz geht zu strikter Vertragshaftung (vgl. Artt. 14 und 17). Elemente persönlicher Verantwortung (für Umstände oder Verschulden) gibt es allerdings drei. Sie schärfen oder mildern die gewöhnliche Vertragshaftung: 1. Betrug: Hat z.B. der Verkäufer den Käufer betrogen, so haftet er bei Stückgut auch für geringe Fehler (Art. 42 Abs. 2); vgl. auch Artt. 43 Abs. 1 S. 2, 47, 53, 54. 2. Verschulden: Beim Stückkauf z.B. schuldet der Verkäufer keinen Ersatz von Verzugsschaden, wenn er beweist, daß die Säumnis ihm nicht als Fahrlässigkeit zuzurechnen ist (Art. 23); vgl. auch Artt. 24, 42 Abs. 2, 43 Abs. 2, 44, 53. 3. Von einer Partei zu vertretende Umstände: Z . B . kommt der Verkäufer nicht in Verzug („säljarens dröjsmäl"), wenn die Säumnis auf ein Ereignis zurückgeht, für das der Käufer die „Gefahr" trägt (Art. 21 Abs. 1); vgl. auch Art. 17, 24. In allen drei Fällen haften die Vertragsparteien anscheinend für ihre Sphäre schlechthin: Dort dürfen ein Betrug, ein Verschulden, ein hinderlicher Umstand - durch wessen Verhalten auch immer - einfach nicht vorkommen. Das erübrigt vertragliche Zurechnung nach der Art des deutschen Rechtskreises. Auch Frankreich hat im Grundsatz strikte Vertragshaftung. Die wichtigsten vertraglichen Haftungsnormen sind Artt. 1146 - 1148,1139 Cc. Danach hängt die Haftung auf Schadensersatz nicht davon ab, auf welche Personen Verzug, Nichterfüllung oder 68 Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 17.7.1973 (BGBl. I, S.856); abgedruckt in Jayme / Hausmann, S. 130ff. 69 Lagen om köp och byte av lös egendom (Gesetz über Kauf und Tausch von Fahrnis) vom 20.6.1905, Svensk författningssamling (Gesetzblatt) 1905: 38 s. 1. Ähnliche Gesetze gelten im übrigen Skandinavien.

III. Schädigungen im Rahmen einer Sonderbeziehung

213

Schlechterfüllung zurückgehen. (Kein Tun, das auf Erfüllung zielt, ist „cause étrangère" i.S. von Art. 1147 Cc; die Person dessen, der Erfüllung versucht, ist also gleichgültig.) Allerdings, nach Artt. 1136, 1245 Cc wird ein Stückschuldner durch Übergabe einer verschlechterten Sache befreit, wenn die Verschlechterung weder auf sein eigenes Verschulden zurückgeht, noch auf das von Personen „dont il doit répondre". Wer diese Personen sind, sagt das Gesetz nicht. Aber weil kein Richter behaupten darf, das Gesetz schweige (vgl. Art. 4 Cc), wendet man die Artt. 1382 und 1384 Cc entsprechend an. Vgl. im übrigen die Sonderregeln über vertragliche Zurechnung in Artt. 1735,1797, 1994 Cc. Über all dies geht das anglo-amerikanische Recht hinaus: Wird eine Vertragspflicht unbedingt und bleibt ihre Erfüllung aus, so ist der Vertrag gebrochen - gleich welche Personen mit welcher Sorgfalt versucht haben, ihn zu erfüllen. Natürlich ist es eine Frage der Konditionierung der Gegenleistung (genauer: der Erfüllung oder Entschuldigung ihrer Bedingungen), welche Anstrengungen der Schuldner und seine Leute mit Blick aüf die Erfüllung unternehmen müssen. 70 Auch kann man die strikte Vertragsbruchhaftung mildern, indem man eine im ganzen ordentliche Leistung als Erfüllung gelten läßt 71 oder sonst die Erfüllungspflicht beendet 72 , teilweise Erfüllung anerkennt 73 oder dem Schuldner einen Ausgleich gibt für das ohne Erfüllungswirkung Geleistete. 74 A l l das ändert aber nicht, daß unter dem strikten Vertragsbruch-Ansatz die Frage nicht aufkommen kann, für welches und wessen Verschulden die Vertragsparteien haften. 75 Das heißt freilich nicht, daß anglo-amerikanische Rechtsordnungen, zur Anwendung auf einen Fall mit Auslandsberührung berufen, keine Antwort auf diese Frage hätten („Normenleere"). Ihnen ist vielmehr eine Zurechnungsregel mit dem Inhalt immanent, daß Vertragsparteien für Erfüllung, sei es in eigener Person, sei es durch Leute, schlechthin haften müssen.

Als Summe der vorstehenden Vergleichung kristallisiert sich ein Kriterium heraus, nach dem die vertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer sich qualifizieren läßt: die von Personen verursachte und vom Vertragsschuldner zu vertretende Abweichung des schädigenden Ablaufs von einem vertraglichen Versprechen.

70

Restatement (Second) of Contracts, § 229 (1981) („disproportionate forfeiture"). Restatement (Second) of Contracts, § 241 („substantial performance"); anders U.C. C. §§ 2-601, 2-601, (2) (1978) (Warenkäufe erfordern „perfect tender"; Milderungen in §§ 2-608, 2-612, 2-508). 72 „Discharge", z.B. indem man anerkennt, die Leistung sei undurchführbar geworden: U. C. C. § 2-615 (1978) („impracticability"), übernommen in Restatement (Second) of Contracts, § 261; vgl. ferner U . C . C . §§ 2-613, 2-614, 2-616 und § 2-311 (3) (a) (1978). 73 Restatement (Second) of Contracts, § 240 („divisibility"). 74 Restatement (Second) of Contracts, § 388 („restitution": „quantum meruit" bzw. „benefit conferred"). 75 Das Problem der „delegation" von Erfüllungspflichten betrifft erstens die Übertragbarkeit der Leistung auf einen anderen und zweitens die Frage, ob der Gläubiger den „Delegierten" aus dessen Absprache mit dem Schuldner belangen kann (als „third party beneficiary"); es ist insofern mit dem Problem der Haftung für bloße Erfüllungsgehilfen nicht vergleichbar. 71

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§ 8. Sonderfälle

Das Kriterium ist mit der Einteilung unseres Zurechnungsrechts in „vertraglich" und „außervertraglich" nicht immer konform. So muß man unterscheiden, ob §§ 278 bzw. 31 BGB für eine genuin vertragliche Zurechnung in Frage kommen oder nur als Substitution für eine außervertragliche Zurechnungsnorm, die ungenügend erscheint (insbesondere § 831 BGB). Zuweilen wenden wir nämlich Sonderbeziehungsrecht an, obwohl die Parteien eine Sonderbeziehung weder haben, noch wollen: Der Gebrauchtwagenhändler haftet dem Käufer als Sachwalter des Verkäufers „wie aus Vertrag" (c.i.c.), der Wohnungsvermieter der Ehefrau seines Mieters aus einer Drittwirkung des Mietvertrags, der Kaufhausunternehmer dem Kind, das gar nichts kaufen will, sondern seine Mutter beim Einkauf begleitet, aus geschäftlichem Kontakt (c.i.c.). Ein Ziel solcher Konstruktionen ist es regelmäßig, § 831 BGB zu substituieren durch §§ 278, 31 BGB und so den Entlastungsbeweis (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB) auszuschließen. In dieser Funktion sind §§ 278, 31 BGB außervertragliches Zurechnungsrecht. Denn die Haftung rührt hier nicht aus Abweichungen von einem Versprechen her, sondern aus der Verletzung einer Pflicht gegenüber jedermann (z.B. der Pflicht des Vertragsmittlers, mit jedem Interessenten anständig zu verhandeln, oder der eines Grundstückseigentümers, ein zugängliches Grundstück so sicher zu machen, daß niemand sich verletzt.) Die fragliche Zurechnung ist jedenfalls immer dann eine außervertragliche, wenn die verletzte Pflicht in einem Vertrag oder in der Anbahnung eines Vertrags wurzelt, der exklusiv zwischen anderen Personen als denen der Anspruchsbeziehung geschlossen wurde oder werden sollte. 76 2. Die Anknüpfung der Organhaftung als spezifisch vertragliche Zurechnung des Verhaltens anderer

Soweit man die Organhaftung als vertragliche Zurechnung qualifiziert, ist sie anzuknüpfen entweder an das Vertragsstatut als Haftungsstatut oder an das Personalstatut als Statut der besonderen Interessen der juristischen Person. 77 Das Vertragsstatut herrscht selbstverständlich über alle vertraglichen Zurechnungsformen 78, die eine Affinität nur zum Vertragsrecht haben 79 (so 76 Eine ähnliche Qualifikationsfrage stellt sich für culpa in contrahendo. Die Rechtsprechung hat hier lange keine Unterschiede gemacht, sondern allein vertragsrechtlich qualifiziert (OLG München, Urt. v. 15.7.1954, RIW 1956, 127; O L G Hamburg, Urt. v. 2.6.1964, IPRspr. 1964 - 1965 Nr. 46; O L G Köln, Urt. v. 29.5.1967, IPRspr. 1966 1967 Nr. 25; B G H , Urt. v. 20.3.1978, IPRspr. 1978 Nr. 11 = W M 1978, 873 sub IV. [hier allerdings wohl Koinzidenz von Vertrags- und Deliktsstatut]; deliktsrechtliche Qualifikation nur in L A G Frankfurt, Urt. v. 14.3.1951, IPRspr. 1950 - 1951 Nr. 20). Jetzt zeichnet sich aber eine Unterscheidung nach Funktionen ab. Nach L G Hamburg, Urt. v. 9.11.1977, IPRspr. 1977 Nr. 28, S. 75 und O L G Frankfurt, Urt. v. 11.7.1985, IPRax 1986, 373 (377f.) mAnm Ahrens, IPRax 1986, 355ff. gilt für die Haftung eines Vertreters bzw. Sachwalters aus culpa in contrahendo das Recht des Tatorts. Vgl. auch O L G München, Urt. v. 24.2.1983, W M 1983, 1093 (1096f.) (Tatortanknüpfung erwogen, aber wegen Übereinstimmung mit der hergebrachten Anknüpfung offen gelassen). 77 Diese Interessen muß man in jeder Gestaltung neu würdigen; vgl. oben § 8 am Anfang. ™ Überblick oben § 8 III. 1. nach Fn. 58. 79 Implizit entschieden für Erfüllungsgehilfen in B G H Z 50, 32, Urt. v. 27.3.1968 (grenzüberschreitender Kauf). Vgl. ferner B G H Z 85, 30, Urt. v. 18.11.1982 (zum

III. Schädigungen im Rahmen einer Sonderbeziehung

215

wie das Deliktsstatut über die meisten außervertraglichen Zurechnungsformen herrscht 8 0 ), ist aber nicht unbesehen anwendbar i m Punkt der Organhaftung, die eine zweite A f f i n i t ä t zum Körperschaftsrecht h a t . 8 1 Zur praktischen Bedeutung der Anknüpfung: Ist die charakteristische Vertragsleistung zu erbringen von der juristischen Person, so gilt für den Vertrag im Zweifel das Sitzrecht der Hauptverwaltung (Personalstatut) (Art. 28 Abs. 2 S. 1 und Abs. 5 EGBGB); Vertrags- und Personalstatut sind dann eins, und die Anknüpfungsfrage erübrigt sich. Auch reicht die Haftung für Hilfspersonen meistens aus, wenn für den Vertrag deutsches oder schweizerisches Recht gilt (§ 278 BGB, Art. 101 OR). Denn die Haftung für Organe wird in diesen Rechten erst dann fraglich, wenn die Hilfspersonen ohne Organeigenschaft keine oder nur solche Schuld am Schaden haben, von der die juristische Person sich wirksam freigezeichnet hat (§§ 278 S. 2, 276 Abs. 2 BGB, 11 Nr. 7 AGB-Gesetz; Artt. 101 Abs. 2 und 3 OR).

a) Anknüpfung

der Organhaftung

bei Ansprüchen

aus Vertrag allein

Grundfall sei der, daß der Geschädigte allein aus einem Vertrag Ersatz verlangen kann. W i e stehen hier die Parteiinteressen u n d welches überwiegt? D e r Geschädigte w i l l Organhaftung nach dem Vertragsstatut. Sein grundsätzliches Interesse am Recht der U m g e b u n g 8 2 ist bis zur A n b a h n u n g des V e r trags noch l e g i t i m 8 3 , m i t dessen Abschluß aber erledigt. A n die Stelle des gesetzlichen Schutzes, der jedermann wie ein W a l l umgibt, t r i t t jetzt das selbstgewählte Recht des Vertrags. W o l l t e der Geschädigte bei den „Zufallsschädigungen" alles nehmen, was das i h n umgebende Recht i h m b o t 8 4 , so w i l l er jetzt alle Umstände geltend machen, die der juristischen Person i n der V e r -

Sachverhalt vgl. den Abdruck in W M 1983, 63 und das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Celle vom 18.11.1981, NJW 1982, 770): Bei einer Zwischenlandung in Bahrain wies der Flugkapitän einen „Pauschalurlauber" von Bord, weil er das Bordpersonal hartnäckig bei der Arbeit gestört hatte. Nach § 278 BGB wurden als Erfüllungsgehilfen des beklagten Reiseunternehmens angesehen: Hapag-Lloyd, dessen Flugkapitän und dessen Vertreter in Bahrain. Vgl. jetzt Art. 32 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB, der gewiß auch die Haftung für Erfüllungsgehilfen betrifft. 80 Überblick über die Rechtsprechung oben § 21. 3. 81 Oben § 71. 2. a). 82 Oben § 71. 1. 83 Das zeigt die verbreitete Wertung, man dürfe nach dem Recht des Vertragsschlußstaats auf die Geschäftsfähigkeit der anderen Seite vertrauen. So, zugunsten des inländischen Verkehrs, Art. 7 Abs. 3 S. 1 EGBGB a.F., Art. 7b Abs. 1 N A G , Art. 17 Abs. 2 der „disposizioni preliminari" und, zugunsten in- wie ausländischen Verkehrs, Art. 12 S. 1 EGBGB, Art. 28 des portugiesischen Código civil vom 25.11.1966 (die ihren Schutz solchen Personen entziehen, die über die fremde Rechtslage Bescheid wissen mußten) und Art. 34 Abs. 1 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes (vgl. auch Art. 123 Abs. 2 ebenda). Eine ähnliche Wertung liegt in den Regeln über den Schutz vor Zurechnung eigener Willenserklärungen nach dem Aufenthaltsrecht des potentiell Erklärenden (oben § 2 V.). 84 Oben § 71. 1. vor Fn. 4.

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§ 8. Sonderfälle

tragsordnung zur Last fallen. Zu diesen Umständen gehört für ihn jedes Verhalten, das vom Vertrags versprechen abweicht, also das der Organe nicht anders als das der Erfüllungsgehilfen: Für beides erwartet er die Anwendung des Vertragsstatuts. Ist der Geschädigte auch am Personalstatut der juristischen Person interessiert? Immerhin, es käme für ihn weder fremd, noch zufällig, noch ohne Beziehung wie bei den „Zufallsschädigungen". 85 Er weiß, daß die juristische Person nach ausländischem Recht verfaßt ist und an sich nur auf ihre Weise für Organe haftet. Indes: Er weiß es, aber es ist für ihn nicht von Interesse. Sonst hätten die Parteien ihren Vertrag dem Personalstatut unterstellt, zumindest im Punkt der Organhaftung (Artt. 27 Abs. 1 S. 2, 2. Alt., 4 Abs. 2 EGBGB), oder es gäbe Umstände, die den Vertrag mit diesem Recht entscheidend verbinden (Art. 28 Abs. 1 EGBGB). So aber überragt das Interesse, dem Vertragsstatut einen weiten Anwendungsbereich zu geben: Materiellrechtlich nehmen Vertragsschließende an, ihr Vertrag sei vollständig und lasse nichts Wichtiges offen; internationalprivatrechtlich nehmen sie an, das Vertragsstatut sei für alle Fragen aus dem Vertrag der beste Ausgleich ihrer Rechtsanwendungsinteressen. Die juristische Person ist unverändert an ihrem Personalstatut interessiert. Denn dieses Interesse ruht auf ihrer Struktur und ist wie diese immer gleich. 86 Als Vertragspartei teilt die juristische Person aber auch das Interesse des Geschädigten, dem Vertragsstatut einen weiten Anwendungsbereich zu geben. (Vor allem bei Streitbeilegung ohne Anrufung der Staatsgerichte werden die Verantwortlichen sich sagen, man müsse mit dem Gegner durchweg auf der Grundlage des Vertrags verhandeln, das verstehe er am besten; traktiere man ihn mit vertragsfremder Organhaftung, so schöpfe er vielleicht Mißtrauen und breche die Einigung ab: Besser schnell und leicht geeinigt als den Gegner mit einer Frage überrascht, die man nächstens vertraglich regeln kann.) Die Parteiinteressen halten sich anscheinend die Waage. Denn anders als bei den „Zufallsschädigungen" 87 haben jetzt beide Seiten den Auslandskontakt erstrebt. Dessen Nachteile nur einer von ihnen aufzubürgen, scheint unvereinbar mit der Idee einer Einigung von gleich zu gleich. Indes, dem Auslandskontakt immanent ist das Risiko fremden Rechts 88 , und welcher Seite dieses Risiko am ehesten zuzumuten sei, das ist, über das Zählen und Abwägen von Kontakten hinaus 89 , die eigentliche Frage: Muß die juristische Person 85

Oben § 71. 1. vorFn. 5. 86 Oben § 7 I. 2. a) und § 8 II. bei Fn. 19. 87 Umschreibung oben § 7 am Anfang. 88 Dazu näher oben § 7 I. 4., insbes. am Anfang und in Fn. 89. 89 Zu diesem Ansatz vgl. die Bemerkungen oben § 8 I. bei Fn. 13 - 17.

III. Schädigungen im Rahmen einer Sonderbeziehung

217

oder muß ihr Vertragsgegner sich über Organhaftung nach fremdem Recht erkundigen bzw., in Unkenntnis kontrahierend, deren Folgen tragen? Aus der Sicht der juristischen Person läßt sich anführen: Wer mit ihr kontrahiere, wisse, mit wem er es zu tun habe. Er könne sich über den Umfang ihrer „Handlungsfähigkeit" orientieren. 90 Das gelte einmal für den, der Verträge schließe und auf die Vertretungsmacht der Organe baue. Es gelte aber nicht minder für jenen, der den Vertragsschluß hinter sich und alles Interesse daran habe, eventuelle Schäden von sich abzuwälzen. Möge der sich über die Zurechnung von Schädigungen ebenso orientieren wie der andere über die Zurechnung von Erklärungen. Aus der Sicht des Geschädigten läßt sich erwidern: Es sei ein Widersinn (und zynisch), sich ernsthaft auf den Bruch eines Vertrags gefaßt zu machen und ihn dennoch zu schließen. Eben dies liege aber dem Ansinnen zugrunde, man müsse sich bei Vertragsschluß erkundigen, wer Organ und wie für ihn zu haften sei. Man wird dem Geschädigten recht geben müssen: Bei der Anbahnung des Vertrags darf er ohne Argwohn an die Vertretungsmacht der Organe denken. Sie ist ein Routinepunkt, der sich gerade aktualisiert. Anders die Organhaftung. Sie aktualisiert sich allenfalls später und hoffentlich nie. Der Vorsichtige kann sich natürlich auch über sie erkundigen. Wer aber so ernstlich mit ihr rechnet, daß er sich erkundigen muß, der wird den Vertrag erst gar nicht schließen. Das bedeutet: Nicht der Geschädigte, sondern die juristische Person muß sich erkundigen. Sie ist mit dem Vertragsstatut ohnehin befaßt. Ihm steht sie im eigenen Parteiinteresse nahe (während der Geschädigte kein Interesse an ihrem Personalstatut hat). Im Vertragsstatut sind die Interessen beider Parteien ausgeglichen; dieser Ausgleich ist das gemeinsam Verbindende, das im Zweifel zu entscheiden hat. Ein Verkehrsinteresse ist nicht im Spiel, denn das schädigende Ereignis hat nicht aus dem Verkehr heraus, sondern auf der Schiene einer angebahnten Beziehung stattgefunden. Die Ordnungsinteressen sind im wesentlichen dieselben wie bei außervertraglicher Zurechnung 91 ; insbesondere gibt es ein Interesse am Gleichlauf von Haftung und Haftungszurechnung. 92 Damit ergibt sich: Geht es darum, eine Vertragsverletzung zuzurechnen, so entscheidet über die Organhaftung das Vertragsstatut. 93 90 Niederer, S. 131 - geschrieben für den, der mit der juristischen Person Verträge schließt. 91 Ein Unterschied liegt darin, daß die persönliche Haftung des Organs entfällt, falls es nicht selbst durch den Vertrag gebunden ist. Das Interesse an einheitlicher Anknüpfung der Organhaftung und der Haftung des Organs (oben § 7 I I I . 2. b) aa) und dd)) kommt also in der Regel nicht auf. 92 Dazu oben § 7 I I I . 1. a) aa) und § 7 I I I . 1. b) dd); vgl. auch § 3 I. 1. vor Fn. 12.

§ 8. Sonderfälle

218 b) Anknüpfung vertraglicher

der Organhaftung

und deliktischer

Ansprüche

bei Konkurrenz des Geschädigten

aa) A n k n ü p f u n g der Organhaftung i m Falle akzessorischer A n k n ü p f u n g der deliktischen Ansprüche I n vielen Fällen gründet der Geschädigte seinen (prozessualen) Anspruch zugleich auf eine Sonderbeziehung und auf eine unerlaubte Handlung. Für solche Fälle w i r d empfohlen, die deliktsrechtliche Anspruchsbegründung nach dem Recht der Sonderbeziehung zu prüfen (akzessorische A n k n ü p f u n g der Deliktshaftung). Repräsentativ ist Art. 4 Abs. 2 des Entwurfs des Deutschen Rats für IPR 9 4 : „Standen der Haftpflichtige und der Geschädigte zur Zeit des Schadensereignisses in einer Sonderbeziehung rechtlicher oder tatsächlicher Art zueinander und stand der Eintritt des Schadensereignisses damit in sachlichem Zusammenhang, so ist in Abweichung von Artikel 3 und Abs. 1 des vorliegenden Artikels auf die außervertragliche Schadenshaftung das Recht anzuwenden, das diese Sonderbeziehung beherrscht." Vgl. damit Art. 41 Abs. 2 des Regierungsentwurfs 95: Akzessorische Anknüpfung soll nicht die Regel sein wie nach der Empfehlung des Rats, sondern bloß eine Möglichkeit und Ausnahme unter dem Gesichtspunkt der „wesentlich engeren Verbindung". Repräsentativ ist ferner Art. 131 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes: „Wird durch eine unerlaubte Handlung zugleich ein zwischen Haftpflichtigem und Geschädigtem bestehendes vertragliches oder gesetzliches Rechtsverhältnis verletzt, so unterstehen die Ansprüche daraus dem Recht des Staates, das auf dieses Rechtsverhältnis anwendbar ist . . . " . Doch es ist Vorsicht nötig. Der akzessorischen Anknüpfung mag in Deutschland wie der Schweiz die Zukunft gehören - der gegenwärtigen Praxis entspricht sie nicht. 96 Anders in Österreich. Der Oberste Gerichtshof hat akzessorische Anknüpfung 93 Der Begriff „Vertragsstatut" umfaßt, wo der Vertrag nicht zustandekommt oder nichtig wird, das Statut des angebahnten Vertrags. 94 Vorschläge und Gutachten 1983, S. 2. 95 Dazu oben § 1 II. 1. a) aa), Fn. 29. 96 So haben Vertrag und Delikt verschieden angeknüpft: O L G Freiburg, Urt. v. 26.10.1950, JZ 1951, 223 mAnm Ballerstedt = IPRspr. 1950 - 1951 Nr. 22, dazu oben § 1 II. 2. a) bb) bei Fn. 61; O L G Hamburg, Urt. v. 30.12.1953, IPRspr. 1952 - 1953 Nr. 21, dazu oben § 1 II. 2. b) cc) bei Fn. 87; KG, Urt. v. 26.11.1954, IPRspr. 1954 1955 Nr. 28 (bestätigt in B G H , Urt. v. 14.12.1955, IPRspr. 1954 - 1955 Nr. 73 [für sich genommen unergiebig]); L G Kiel, Urt. v. 11.11.1959, IPRspr. 1958 - 1959 Nr. 65; B G H , Urt. v. 28.3.1961, VersR 1961, 518; O L G Köln, Urt. v. 29.5.1967, Z L W 1967, 238 = IPRspr. 1966 - 1967 Nr. 25, dazu oben § 1 II. 2. b) aa) in Fn. 74 sub I.: „Allerdings ist die Anwendbarkeit des deutschen Rechts für die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen gesondert festzustellen"; B G H , Urt. v. 4.5.1976, W M 1976, 792 = IPRspr. 1976 Nr. 13, dazu oben § 1 II. 2. b) bb) in Fn. 69; dem Aufbau nach auch BGH, Urt. v. 29.3.1978, W M 1978, 733 = IPRspr. 1978 Nr. 21, dazu oben § 1 I I . 2. a) bb) bei Fn. 66 (aber Verjährung jeweils nach deutschem Recht); unerörtert in dem Verfahren O L G Oldenburg, Teilurt. v. 26.10.1981, IPRspr. 1981 Nr. 29 = A W D 1983, 60 und B G H Z 86, 234, Urt. v. 17.1.1983. Eine Ausnahme macht L G München I, Urt. v. 15.7.1975, IPRspr. 1977 Nr. 31a (S. 88, 90), wo akzessorisch angeknüpft wird. BGE 99 I I 315 (319), Erw. 3. c) bb), Urt. v. 2.2.1973 brachte die Deliktshaftung über den

III. Schädigungen im Rahmen einer Sonderbeziehung

219

abgelehnt. 97 Aber § 48 Abs. 1 S. 2 des IPR-Gesetzes sieht eine „Auflockerung" des Deliktsstatuts nach dem Leitprinzip der „stärkeren Beziehung" vor (§ 1 Abs. 1 IPRGesetz). 98 Diese „Auflockerungs"-Klausel soll eine akzessorische Anknüpfung ermöglichen und die frühere Rechtsprechung überholen. 99 D i e akzessorische A n k n ü p f u n g verändert allerdings nur den Anknüpfungspunkt der Deliktshaftung. Dieser muß m i t dem der Zurechnung nicht übereins t i m m e n . 1 0 0 D o c h die Organhaftung folgt bei „Zufallsschädigungen"

dem

Deliktsstatut und bei Vertragsverletzungen dem Vertragsstatut. W o jenes an dieses sich anlehnt, kann sie nur dem einen Haftungsstatut unterliegen, das beides umschließt. Organhaftung nach dem Personalstatut der juristischen Person entspräche den Interessen noch weniger als bei Vertragsverletzungen allein. D e n n bei doppelter Anspruchsbegründung schlägt das Ordnungsinteresse an einheitlicher A n k n ü p f u n g besonders stark zu B u c h e . 1 0 1 D i e akzessorische A n k n ü p fung trägt diesem Interesse Rechnung. Sie strebt nach innerem Entscheidungseinklang, indem sie den Geltungsgrund der Vertragsanknüpfung auf die Deliktshaftung überträgt (Rechtswahl, hilfweise E r m i t t l u n g des räumlichen Schwerpunkts, A r t t . 27, 28 E G B G B ) . M i t diesem Bestreben würde eine Sonderanknüpfung der Organhaftung sich stoßen. 1 0 2 D e n n die N o t w e n d i g k e i t , nur wegen ihr ein weiteres Recht zu ermitteln, kann allen E i n k l a n g i m übrigen

gemeinsamen Wohnsitz der Parteien und nicht über akzessorische Anknüpfung unter das schweizerische Recht einer Ferien-Gelegenheitsgesellschaft. Für Auslandsunfälle schweizerischer Fahrzeuge wird akzessorische Anknüpfung erübrigt durch ausschließliche Anwendung des Bundesgesetzes über den Straßenverkehr vom 19.12.1958, wenn es um entgeltliche Beförderung von oder nach der Schweiz oder um Ansprüche einer Person mit schweizerischem Wohnsitz geht (Art. 85 Abs. 2 des Gesetzes; dazu BGE 95 I I 630 [633f.], Erw. 1, Urt. v. 2.12.1969 [Anspruch gegen Versicherung] und BGE 108 I I 149 [150f.], Erw. 1, Urt. v. 16.3.1982). 97 Urt. v. 31.10.1974, SZ 47 Nr. 117 (S. 514, 516f.) = (öst.) ZfRV 1975, 227 mAnm Schwimann = JB1. 1975, 426 mAnm Schwind und Urt. v. 27.8.1975, (öst.) ZfRV 1977, 127 (128) mAnm Schwind (Busfahrten ins Ausland aufgrund von Beförderungsverträgen, die österreichischem Recht unterlagen). 98 Ähnlich Art. 10 Abs. 2 und 3 des Vorentwurfs eines EWG-Übereinkommens über internationales Schuldrecht, Nachweis oben § 5 I I I . , Fn. 6. 99 Duchek / Schwind, § 48, Anm. 6, S. 108 - 110 mit wörtlicher Übernahme der Ausführungen in der Regierungsvorlage (abgedruckt bei Feil, S. 252 - 254). Vgl. für die Zeit nach dem Inkrafttreten des IPR-Gesetzes OGH, 17.2.1982, EvBl. 1982, 138 = JB1. 1983, 260 (261 rechts) (obiter für akzessorische Anknüpfung; Anschluß an Mummenhoff). 100 Näher oben § 8 am Anfang und § 6 I. 101 Bei getrennter Anknüpfung können Anspruchshäufung oder Anspruchsmangel sowie die Unklarheit entstehen, welches Recht über die Anspruchskonkurrenz entscheidet (Kropholler, S. 633f. sub e)). 102 Zu Recht weist Kropholler die Umgehung von Teilfragen und Sonderanknüpfungen als einen Vorzug des einheitlichen Haftungsstatuts vor (S. 632 sub c), 634 sub f)). Ebenso der Begleitbericht zum Entwurf eines schweizerischen IPR-Gesetzes, deutsch S. 149, französisch S. 334.

220

§ 8. Sonderfälle

sinnlos machen. Hier verstärkt die doppelt maßgebliche und schon in sich um Einklang bemühte Anknüpfung die Wertung, daß Haftung und Haftungszurechnung gleichlaufen sollten. 103 Das drängt dazu, den Geltungsgrund der Vertragsanknüpfung auch auf die Organhaftung zu erstrecken. 104 Das verstärkte Ordnungsinteresse existiert allerdings nur unter zwei Voraussetzungen. Erstens muß die Sonderbeziehung zur Zeit der Schädigung das Verhältnis zwischen dem Geschädigten und der juristischen Person „bestimmt" haben. Sie darf nicht flüchtig oder völlig unbedeutend gewesen sein. Zweitens muß die Schadensverursachung sich als Verletzung der Sonderbeziehung darstellen. Das ist bereits ein Erfordernis der akzessorischen Anknüpfung selbst. Es hat aber für die Anknüpfung der Organhaftung eine eigene Bedeutung. Denn wenn die Schädigung mit der Sonderbeziehung nicht zusammenhängt, dann ist das „Opfer" vom Schaden ebenso überrascht wie bei einer „Zufallsschädigung". Es setzt dann auf das Recht seiner Umgebung. Beispiel: Ein Dauerkunde einer ausländischen Gesellschaft besichtigt deren inländische Betriebsstätte und wird infolge ungenügender Sicherung des „Werkverkehrs" verletzt.

bb) Anknüpfung der Organhaftung im Falle von Anspruchskonkurrenz ohne akzessorische Anknüpfung der deliktischen Ansprüche Es bleiben jene Fälle doppelter Anspruchsbegründung, in denen die Voraussetzungen einer akzessorischen Anknüpfung nicht vorliegen oder der Richter an der hergebrachten getrennten Anknüpfung festhält. 105 Hier gibt es zwei Lösungen: Entweder man trennt und knüpft die Organhaftung für den Vertragsanspruch an das Vertragsstatut und für den Deliktsanspruch an das Deliktsstatut. Oder man unterstellt die Organhaftung für beide Anspruchsbegründungen dem Vertrags- oder dem Deliktsstatut allein. 106 103

Oben § 7 III. 1. a) aa) und § 7 I I I . 1. b) dd). Vgl. Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I, S. 630, Fn. 13: „Da das Deliktsstatut von den Parteien einvernehmlich gewählt werden kann (§11 IPRG), führt die einheitliche Anknüpfung dazu, daß auch die Deliktsfähigkeit disponierbar ist. Auch wenn dies Bedenken erregen mag, so überwiegen die Vorteile einer einheitlichen Anknüpfung." 105 Nachweise dieser Praxis oben § 8 III. 2. b) aa), Fn. 96. 106 Innerhalb dieser Alternative wäre das Vertragsstatut die richtige Wahl. Denn es betrifft den anspruchserzeugenden Sachverhalt am speziellsten, und es ist das gemeinsame Verbindende der Parteien: Wie im materiellen Recht vertragliche Regeln auf die Deliktshaftung übergreifen und deren Regeln verdrängen können (z.B. § 548 BGB, §§ 621, 599 BGB, §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB, aus der Rechtsprechung vgl. zuletzt B G H Z 96, 221 [228 - 231], Urt. v. 7.11.1985 [keine Aushöhlung werkvertraglichen Nachbesserungsrechts durch konkurrierenden Schadensersatzanspruch aus Eigentumsverletzung]), so kann im IPR das Vertragsstatut auf das Deliktsstatut übergreifen und dessen deliktische Organhaftung verdrängen durch seine eigene. 104

III. Schädigungen im Rahmen einer Sonderbeziehung

221

Die erste Lösung ist vorzuziehen. Wie dargelegt 107 , hat die vertragliche Organhaftung, jedenfalls aus rechtsvergleichender Sicht, eine andere Funktion als die außervertragliche. Sie gehören im IPR nicht notwendig zusammen. Zusammen gehören jedoch, wenn irgend möglich, Haftung und Haftungszurechnung. 108 Deshalb muß man für die vertragliche und die deliktische Haftung je eine spezifisch auf sie bezogene Organhaftungsnorm berufen (bzw., wo eine solche fehlt, eine allgemeinere Zurechnungsnorm) - die eine über das Vertrags-, die andere über das Deliktsstatut. Doch es gibt Zweifel. Einer rührt her von den Stichworten „Eigenhaftung der juristischen Person" und „Einheitsanspruch", ein anderer aus der Gefahr von Normen Widersprüchen. „Eigenhaftung" bedeutet: Die juristische Person kann für die Tat, als sei sie ihre eigene, belangt werden. 109 Der Kreis der Handlungen des Organs in einem Schadensfall und der Kreis der entsprechenden Handlungen der juristischen Person sind integriert und restlos kongruent. Gegen die juristische Person entsteht im Wege der Organhaftung derselbe, alternativ mit Vertrag oder Delikt zu begründende „Einheitsanspruch" wie er gegen das Organ entstünde, wäre dieses selbst Vertragspartei 110 : Beide Personen sind Täter derselben einen Tat und verschiedenen Rechtsfolgen unterworfen nur insoweit, als das Organ an Sonderverbindungen nicht beteiligt ist. So gesehen kann es nur eine Zurechnung der Tat im ganzen geben (mit allem, was sie rechtlich bedeuten kann), nie aber eine Zurechnung ihrer vertraglichen oder deliktischen Folgen allein. (Darin liegt der Unterschied zur Haftung des Geschäftsherrn: Ihm werden, mit der Möglichkeit einer Divergenz, bald vertragliche, bald deliktische Folgen zugerechnet - zuweilen andere als dem Gehilfen selbst - , nie aber deren Ursprung, die Tat des Gehilfen im ganzen. Denn der Gehilfe ist dem Geschäftsherrn nicht so integriert - ja gleichgesetzt - wie das Organ der juristischen Person.) Es ist dies das Bild, das § 31 BGB von der Organhaftung zeichnet: Zugerechnet wird die eine „zum Schadensersatze verpflichtende Handlung", ganz gleich, auf welchen und wievielen Gründen die Ersatzpflicht, die sie auslöst, beruht. Doch darf man solche Deutungen des materiellen Rechts nicht ohne weiteres auf das IPR projizieren. 111 Die Bilder von der „Eigenhaftung" und vom 107

Oben § 8 III. 1. Oben § 7 I I I . 1. a) aa) und § 7 III. 1. b) dd); vgl. auch § 3 I. 1. vor Fn. 12. 109 In der Tat war es der ursprüngliche Zweck der Idee von der „Eigenhaftung", juristische Personen überhaupt erst belangbar zu machen (oben § 6 I I I . 1.). 110 Die Vorstellung vom „Einheitsanspruch", die sich heute mit Namen wie Larenz verbindet (Allgemeiner Teil, § 14 IV. 4., S. 251 - 255, insbes. S. 254 bei Fn. 65, mit Nachweisen), ist den Worten des § 31 BGB eigen und deshalb hier zu zitieren; unbestritten ist sie, als Gegenvorstellung zu den alten „Aktionen" und der ihnen entwachsenen Konzeption von materiellrechtlichen „Einzelansprüchen", natürlich nicht. 111 Näher oben § 6 III. 1. bei Fn. 41 - 49. 108

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§ 8. Sonderfälle

„Einheitsanspruch" sind entworfen, um alte römischrechtliche Dogmen zu überwinden - die „Deliktsunfähigkeit" juristischer Personen 112 und die Selbständigkeit und den numerus clausus der Aktionen. Sie besagen nichts für den räumlichen Anwendungsbereich all der ausländischen Normen, die der abgebildeten in ihrer Funktion entsprechen. Um auf sie alle vorzustoßen, bedarf es einer rechtsvergleichenden Anstrengung. Diese aber widerlegt, wie gesehen 1 1 3 , die Annahme einer Einheit von vertraglicher und außervertraglicher Organhaftung, die in den Bildern beschlossen ist und, wenn das IPR ihnen folgte, allseitig durchzuhalten wäre. Freilich, die kollisionsrechtliche Aufspaltung der Organhaftung kann zu Normenwidersprüchen führen, wenn Rechte beteiligt sind, in denen das Bild von der „Eigenhaftung" lebendig ist (deutscher Rechtskreis 114 ). 115 Denn in diesen sind vertragliche und außervertragliche Organhaftung entweder gleichgeschaltet (so bei uns) oder doch sonst, unter dem Gesichtspunkt strengerer Haftung für „eigene Tat", ein Ganzes und aufeinander abgestimmt (so in Österreich und der Schweiz). 116 Dennoch, die Zerreißung dieses Ganzen im IPR läßt sich heilen durch Angleichung der heterogen berufenen Zurechnungsnormen aneinander. Beispiel: Ein österreichischer Wirt verklagt einen schweizerischen Tourismus-Verein aus Vertrag und Delikt wegen grob fahrlässiger Schädigung durch einen Reiseleiter des Vereins. Für den fraglichen Vertrag ist die Geltung österreichischen Rechts vereinbart; das angebliche Delikt ist in der Schweiz begangen. Der Verein hat sich in dem Vertrag freigezeichnet von der Haftung „für jede, auch grobe Fahrlässigkeit seiner Organe und Hilfspersonen bei der Vertragserfüllung, unbeschadet sonstiger Ansprüche." Die Freizeichnung ist wirksam nach österreichischem Recht 1 1 7 und unwirksam nach schweizerischem. 118 Dabei sei angenommen, der Reiseleiter sei in Österreich ein „lei112

Vgl. auch oben § 1 II. 3. b) nach Fn. 116 und bei Fn. 128 und 129; § 6 I I I . 1. am Anfang. 113 Oben § 8 III. 1. 114 Oben § 8 III. 1. bei Fn. 63. Die Organhaftung ist „Eigenhaftung" auch in Frankreich (oben § 4 I V . bei Fn. 78), Italien (oben § 4 V I I I . , Fn. 135) und Polen (oben § 7 I. 3., Fn. 61). 115 Darin bestätigen sich die Befürchtungen von Kropholler (dazu oben § 8 I I I . 2. b) aa), Fn. 101 und 102). 116 Oben § 8 III. 1. nach Fn. 59. Zu Österreich und der Schweiz vgl. ferner das nachfolgende Beispiel im Text. 117 Die österreichische Sicht ist folgende: § 1313a A B G B gilt gleichermaßen für Organe und sonstige Erfüllungsgehilfen (oben § 8 I I I . 1. bei Fn. 67): Für beider Verschulden haftet der Vertragsschuldner „wie für sein eigenes". Er kann sich deshalb von ihrem Verschulden im gleichen Umfang freizeichnen wie von seinem eigenen. Nach der jüngsten Rechtsprechung verläuft die Grenze solcher Freizeichnung zwischen „schlichter" und „krasser" (dem Vorsatz gleichkommender) grober Fahrlässigkeit (OGH, 22.11.1984, EvBl. 53 [1985] Nr. 98 = ÖJZ 1985, 495 = JB1. 1986, 169; 9.5.1985, JB1. 1986, 172; so schon 12.7.1967, JB1. 1967, 369; die zwischenzeitliche Rechtsprechung

III. Schädigungen im Rahmen einer Sonderbeziehung

223

tender Mann", der deliktische Organhaftung auslöst 119 , in der Schweiz dagegen eine Hilfsperson, für die der Verein sich entlasten kann. 1 2 0 Wenn hier das österreichische Recht Vertragsstatut ist und, mangels akzessorischer Anknüpfung, das schweizerische Recht Deliktsstatut, so führt die getrennte Anknüpfung von vertraglicher und außervertraglicher Organhaftung zu einem beiderseitigen Normenwiderspruch : (1) Gilt einheitlich österreichisches Organhaftungsrecht, so obsiegt der Kläger, wenn die Klage zulässig und ansonsten durchweg begründet ist, mit dem Deliktsanspruch. (2) Gilt einheitlich schweizerisches Organhaftungsrecht, so obsiegt der Kläger, wenn die Klage zulässig und ansonsten durchweg begründet ist, mit dem Vertragsanspruch. (3) Gilt aber getrennt für die vertragliche Zurechnung österreichisches Recht und für die außervertragliche Zurechnung schweizerisches, so kann der Verein gegen den Vertragsanspruch die Freizeichnung und gegen den Deliktsanspruch die Entlastung einwenden und ist frei. Dieser Widerspruch läßt sich ausräumen wie folgt: (a) durch einheitliche Anknüpfung der vertraglichen und der außervertraglichen Organhaftung wie in den Varianten (1) und (2) (internationalprivatrechtliche Lösung); (b) durch Angleichung der berufenen Zurechnungsnormen mit dem Ziel, dem Verein, wie nach jedem der beteiligten Rechte für sich, die Schädigung zuzurechnen (materiellrechtliche Lösung): (aa) Angleichung des schweizerischen Organbegriffs an den österreichischen; (bb) Angleichung der österreichischen Freizeichnungsregel an die schweizerische. Lösung (b) (bb) ist vorzuziehen. Lösung (a) trennt entweder die Vertrags- oder die Deliktshaftung von ihrer Zurechnung und ist zu vermeiden. 121 Lösung (b) (aa) greift zu stark in das schweizerische Recht ein (die Begriffe „leitender Mann" und „Machthaber" i. S. von § 337 A B G B sind dort Fremdkörper). Lösung (b) (bb) dagegen stößt kaum auf Widerstand 122 , denn die österreichische Freizeichnungsregel ist nur ein Grundsatz, von dem im Einzelfall (z.B. mit Blick auf die gehobene Stellung des Schädigers) eine Ausnahme gemacht werden kann. 1 2 3

war uneinheitlich). Dabei gilt der biegsame Maßstab der Sittenwidrigkeit (§ 879 Abs. 1 A B G B ) , der im Einzelfall Ausnahmen zuläßt. 118 Artt. 100 Abs. 1, 101 Abs. 3 OR; Nachweise oben § 8 I I I . 1., Fn. 62. 119 So die in Österreich vordringende, an den Begriff des „Machthabers" (§ 337 ABGB) angelehnte Meinung; Nachweise oben § 6 I I I . 1., Fn. 33. 120 Art. 55 Abs. 1 OR. Zum schweizerischen Organbegriff unten § 8 V I . 1. bei Fn.199 - 205. 121 Oben § 8 III. 2. b) bb) bei Fn. 108. 122 Zum Gesetz des geringeren Widerstands bei der Aufhebung von Normenwidersprüchen Kegel, LB, § 8 I I I . 1., S. 201 f. 123 Vgl. vorige Fn. 117.

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§ 8. Sonderfälle

I V . Schädigungen durch Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten Eine Gesellschaft kann außervertraglich wegen Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten belangt werden. Sonnenberger hat diese Fallgruppe begutachtet 124 und vier Anspruchsbeziehungen unterschieden: Ansprüche von „Outsidern" bzw. „insidern" gegen die Gesellschaft; Ansprüche von „Outsidern" bzw. „insidern" gegen das „schuldige" Organ. Die Akzessorietätsregel 125 führe nur für Ansprüche der „insider" gegen die Gesellschaft zum Gesellschaftsstatut. Sie müsse deshalb so ergänzt werden, daß das Gesellschaftsstatut auch in den übrigen drei Fällen entscheide. Denn bei Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten wirkten Delikts- und Gesellschaftsstatut zusammen; vergabelte Anknüpfungen würfen Qualifikations- und Angleichungsfragen auf. Sonnenberger will also den Anwendungsbereich der Akzessorietätsregel erweitern auf Fälle, in denen nicht eine Sonderbeziehung, sondern eine gesellschaftsrechtliche Pflicht verletzt ist. 1 2 6 Die Organhaftung trifft insofern auf dasselbe Anknüpfungsmodell wie bei akzessorischer Deliktsanknüpfung an ein Vertragsstatut, und es scheine, aufs erste Hinsehen, die für diese gefundenen Lösungen übertragbar. 1. Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten gegenüber „Außenstehenden"

Gesellschaftsrechtliche Pflichten gegenüber „Außenstehenden" können sich ergeben aus dem Statut einer anderen als der belangten Gesellschaft (unten a) oder aus dem Statut der belangten Gesellschaft (unten b ) . 1 2 7 a) Verletzung von Pflichten aus dem Statut einer anderen als der belangten Gesellschaft Die Verletzung fremder gesellschaftsrechtlicher Pflichten kommt besonders bei verbundenen Unternehmen vor. Beispiel: Eine ausländische GmbH hält 51 % der Aktien einer deutschen Aktiengesellschaft. Der Geschäftsführer der GmbH veranlaßt „faktisch" (ohne Beherrschungsvertrag),

124

Vorschläge und Gutachten 1983, S. 464ff. Die Formulierung des Deutschen Rats für IPR ist wiedergegeben oben § 8 I I I . 2. b) aa) bei Fn. 94. 126 Gegenstand von Sonnenbergers Gutachten ist somit die Anknüpfung der Haftung; nur am Ende (sub U . C . a)) ist bemerkt, daß es sich hinsichtlich der Haftung der Gesellschaft „an sich" um Zurechnung handele. 127 Sonnenberger hat offenbar nur die unter b) zu erörternden Fälle im Auge. 125

IV. Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten

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daß die Aktiengesellschaft mit einem Tochterunternehmen der GmbH einen Beratungsvertrag schließt. Die Tochter erbringt tatsächlich keine Beratungsleistungen. Sie vereinnahmt aber eine jährliche Vergütung, die sich nach dem Umsatz der Aktiengesellschaft bemißt (verdeckte Gewinnabführung). Der Minderheitsaktionär klagt gegen die GmbH 1. auf Auskunft, 2. auf Rückzahlung an die Aktiengesellschaft, 3. auf Unterlassung, 4. auf Feststellung der Schadensersatzpflicht. 128

aa) Anknüpfung der Organhaftung im Falle akzessorischer Anknüpfung aller Haftungsgrundlagen an das Statut der verletzten gesellschaftsrechtlichen Pflicht Unser Beispiel betrifft die Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs gegenüber dem Minderheitsaktionär. Diese Pflicht entspringt einem Gesellschaftsstatut, nämlich dem der abhängigen Aktiengesellschaft. Man kann deshalb, mit Sonnenberger, alle Haftungsgrundlagen der Treuepflicht akzessorisch anknüpfen. Das Statut der abhängigen Gesellschaft wird damit zum einheitlichen Haftungsstatut. Ihm unterliegt, wie bei akzessorischer Anknüpfung an ein Vertragsstatut 129, auch die Organhaftung. bb) Anknüpfung der Organhaftung im Falle von Anspruchskonkurrenz ohne akzessorische Anknüpfung Schwierig wird die Anknüpfung der Organhaftung, wenn man, entgegen Sonnenberger, nicht alle Haftungsgrundlagen anknüpft an das Statut der verletzten Pflicht. Masi beurteilt die Haftung dann nicht mehr unqualifiziert nach nur einem Recht, sondern, je nach Qualifikation ihrer Grundlagen, teils nach dem Gesellschafts-, teils nach dem Deliktsstatut. Diese Spaltung wirft die Frage auf, ob die Organhaftung nach dem Statut jeweils der Haftungsgrundlage zu beurteilen sei, für die sie in Frage kommt, oder einheitlich nach dem Statut der verletzten Pflicht (Gesellschaftsstatut). 130 Dabei ist, wie immer man die Frage beantwortet, vorab zu klären, welche Zurechnungsnormen zum Gesellschaftsrecht gehören und welche zum Deliktsrecht (Qualifikation). Denn allein die einen dürfen auf die gesellschaftsrechtliche, allein die anderen auf die deliktsrechtliche Haftung bezogen werden. (Z.B. dürfen die impliziten Zurechnungsnormen in §§ 317 Abs. 1 S. 1, 318 A k t G weder auf eine konkurrierende deliktsrechtliche Haftung 128 Nach B G H Z 65, 15, Urt. v. 5.6.1975 (Inlandssachverhalt). - Man beachte, daß im Beispiel weder der Minderheitsaktionär, noch die abhängige Gesellschaft „Innenstehende" der belangten herrschenden Gesellschaft sind. 129 Dazu oben § 8 III. 2. b). 130 Die Frage ähnelt der bei getrennter (nicht-akzessorischer) Anknüpfung von Vertrag und Delikt (oben § 8 I I I . 2. b) bb) am Anfang), ist aber nicht notwendig ebenso zu beantworten.

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§ 8. Sonderflle

bezogen, noch ihrerseits durch Anwendung von Zurechnungsrecht unterlaufen werden, das nicht zum Gesellschaftsstatut gehört.) Anders gesagt: Aus den Zurechnungsnormen des Rechts, das für die Zurechnung eines der Haftungsgründe berufen ist (entweder das jeweilige Haftungsstatut oder das Gesellschaftsstatut als einheitliches Zurechnungsrecht), ist der Ausschnitt herauszugreifen, der sich so qualifiziert wie der Haftungsgrund selbst. Es liegt ähnlich wie bei getrennter (nicht-akzessorischer) Anknüpfung von Vertrag und Delikt. Dort darf man auf die vertragliche Haftung selbstverständlich nur vertragliche Zurechnungsnormen anwenden und muß aus den Zurechnungsnormen des Rechts, das für die vertragliche Zurechnung gilt, diejenigen auswählen, die sich so qualifizieren wie die Haftung selbst. 131

Für die Qualifikation der Zurechnungsnormen muß man sich die Kernpunkte gesellschaftsrechtlicher Haftung einerseits und die Möglichkeiten ihres regeltechnischen Ausdrucks andererseits vor Augen halten. Damit die Gesellschaft haftet, müssen erstens die Verletzung einer gesellschaftsrechtlichen Pflicht, zweitens eine daran ansetzende Haftung und drittens deren Zurechnung zu der belangten Gesellschaft zusammenkommen. Die drei Punkte können von vornherein zusammengefaßt sein in einer „Inbegriffsnorm" (z.B. § 317 Abs. 1 S. 1 AktG). Sie können aber auch in verschiedenen Normen geregelt sein, die dann zu einer Anspruchsgrundlage zusammenzunehmen sind (z.B. § 92 Abs. 1 AktG, § 823 Abs. 2 BGB und § 31 B G B 1 3 2 ) . In unserem Beispiel könnte man, wenn durchweg deutsches Recht gälte, folgende Anspruchsgrundlagen prüfen: 1) Verletzung der Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs mit § 31 BGB; 2) §§ 311 Abs. 1, 317 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 309 Abs. 4 S. 1 und 2 A k t G ; 3) §§ 826, 31 BGB.

„Inbegriffsnormen" enthalten eine gesellschaftsrechtliche Pflicht, um deretwillen sie bestehen und die sie charakterisiert. Die inbegriffene Zurechnungsnorm kann, dieser Charakterisierung folgend, nur gesellschaftsrechtlich qualifiziert und folglich nur über ein Gesellschaftsstatut berufen werden. 133 Nicht anders steht es mit selbständigen Zurechnungsnormen wie § 31 BGB, die sich mit einer gesellschaftsrechtlichen Pflichtennorm und einer Haftungsnorm verbinden. Auch sie können, in dieser Verbindung, nur über ein Gesellschaftsstatut berufen werden. Denn die Verbindung an sich selbständiger Normen ist nur ein konstruktiver Behelf, der für die Funktion der Zurechnung in casu nichts besagt. 134 Diese Funktion aber (und nicht ihr regeltechnisches Gewand) 131 Zur Frage der Qualifikation als vertragliche Zurechnung oben § 8 III. 1., insbes. nach Fn. 75. 132 Man denke an Vorstands- bzw. Verwaltungsmitglieder, die von einer fremden Gesellschaft delegiert sind wie in O L G Frankfurt, Urt. v. 18.1.1979 - „Hessische Landesbank/B. C. I . " , IPRspr. 1979 Nr. 106, dazu oben § 1 II. 2. b) cc) bei Fn. 89. 133 Zu einer ähnlichen Beobachtung im französischen IPR oben § 4 IV. bei Fn. 99 und 100. 134 Ähnlich die zweite Kommission des Deutschen Rats für IPR in Vorschläge und Gutachten 1983, S. 26.

IV. Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten

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ist das Kriterium, nach dem im einzelnen Fall zu qualifizieren ist: Wann immer eine Zurechnungsnorm sich nach Wortlaut und Auslegung eignet, gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzungen einer anderen Gesellschaft zuzuschreiben, kann sie gesellschaftsrechtlich qualifiziert werden; wann immer sie in dieser Funktion verwendet werden soll, muß sie so qualifiziert werden und kann dann nur über ein Gesellschaftsstatut berufen sein. Man nehme an, eine Handlung, die nach dem Statut der abhängigen Gesellschaft eine gesellschaftsrechtliche Pflicht verletzt, soll der herrschenden Gesellschaft zugerechnet werden. Hierfür darf § 31 BGB (in der Funktion der Zurechnung einer gesellschaftsrechtlichen Pflichtverletzung) nur dann verwendet werden, wenn die abhängige Gesellschaft und die verletzte Pflicht nach deutschem Recht bestehen (so in unserem Beispiel). Es genügt nicht, daß deutsches Recht auf andere Weise, z.B. als konkurrierendes deliktisches Haftungsstatut, berufen ist. Wiederum liegt es ähnlich wie bei getrennter Anknüpfung von Vertrag und Delikt: In deren Folge ist § 31 BGB aufzulösen in seine vertragliche und seine deliktische Komponente und möglicherweise mit der einen berufen und mit der anderen nicht. 1 3 5 Dort wie hier geht es darum, multifunktionale Zurechnungsnormen („Einheitsnormen") nicht ein für allemal gleich, sondern jeweils nach der Funktion zu qualifizieren, mit der sie in casu zum Zuge kämen.

Wie liegt es nun, wenn eine gesellschaftsrechtliche und eine deliktsrechtliche Haftungsgrundlage konkurrieren und die eine über das Gesellschaftsstatut, die andere über das Deliktsstatut berufen ist? Darf man die Deliktshaftung zurechnen nach dem Deliktsstatut und damit nach einem anderen Recht als die gesellschaftsrechtliche Haftung? (Wie liegt es insbesondere, wenn das Deliktsstatut eine Pflichtennorm und eine Haftungsnorm beruft und man die Wahl hat zwischen deliktsrechtlich qualifizierbaren Zurechnungsnormen des Deliktsstatuts und des Gesellschaftsstatuts?) Bei Konkurrenz von Delikt und Vertrag war eine Anknüpfung der Organhaftung an das jeweilige Haftungsstatut vorzuziehen. 136 Denn dort überwog das Ordnungsinteresse an durchweg gleicher Anknüpfung von Haftung und Haftungszurechnung; Normenwidersprüche, die aus der Spaltung der Anknüpfung entstehen mochten, erschienen heilbar. Hier indes liegt es umgekehrt. Die Gefahr von Normenwidersprüchen (und die Schwierigkeit ihrer Heilung) ist groß; das Ordnungsinteresse, sie durch einheitliche Anknüpfung zu verhüten, überwiegt. Denn auf dem Feld gesellschaftsrechtlicher Pflichtverletzungen werden Aktiv- und Passivlegitimationen, Prozeßführungsbefugnisse und der Personenkreis, an den zu leisten man verlangen kann, besonders mannigfaltig kombiniert oder gestaffelt. (Einen Eindruck davon gibt die Vergleichung materiellen Rechts im Gutachten von Sonnenberger. 137) Das System 135 Zur Qualifikation oben § 8 III. 1., insbes. nach Fn. 75; Lösung bei nicht-akzessorischer Anknüpfung oben § 8 III. 2. bb). 136 Oben § 8 III. 2. b) bb). 137 In: Vorschläge und Gutachten 1983, S. 467ff.

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§ 8. Sonderfälle

der kombinierten und gestaffelten Klagebeziehungen würde durch Einwirkung einer fremden (über das Deliktsstatut berufenen) Zurechnungsnorm gestört, oder es verlöre umgekehrt die fremde Zurechnungsnorm in diesem System ihren Sinn. Wer Kläger, wer Beklagter und wer Empfänger der eingeklagten Leistung sein kann, das muß also durchweg ein und dieselbe Rechtsordnung entscheiden: die, welche die verletzte Pflicht statuiert. 138 Im übrigen haben gerade abhängige Gesellschaften ein besonders starkes Parteiinteresse an der ausnahmslosen Anwendung ihres Gesellschaftsstatuts auf die Zurechnung. Denn der Mißbrauch von Leitungsmacht stört ihre Organisation. Wie diese Störung zu beheben sei, dieser Frage steht das gestörte Gesellschaftsstatut selbst am nächsten. 139 Denn zum einen betrifft es den anspruchserzeugenden Sachverhalt spezieller als das Deliktsstatut. 140 Zum andern gehört zum „wie" der Störungsbehebung, mehr als irgendwo sonst, die Zurechnung. Denn sie ergibt, ob das herrschende Unternehmen zentral getroffen und an weiterem Mißbrauch gehindert werden darf, oder ob nur das eine für sie tätig gewesene Organ den Kopf hinhalten muß. b) Verletzung von Pflichten aus dem Statut der belangten Gesellschaft Pflichten aus dem Statut der belangten Gesellschaft dienen, soweit sie „Außenstehende" schützen, der ordentlichen Geschäftsführung wie das Publikum sie erwarten darf. Sind sie zum Schaden von „Außenstehenden" (meist Gesellschaftsgläubigern) verletzt, so ist eben jene Haftungsmasse verkürzt oder vertan, auf die die Organhaftung zugreifen soll: das gesellschaftliche Sondervermögen. Eine Klage gegen die Gesellschaft wegen pflichtwidriger Geschäftsführung ihrer Organe stieße also ins Leere und wäre regelmäßig sinnlos. Statt ihrer wird der geschädigte „Außenstehende" sich an die „schuldigen" Organe halten (z.B. nach § 93 Abs. 5 S. 1 A k t G oder Art. 754 Abs. 1 138 Die Notwendigkeit einer einheitlichen Anknüpfung springt schneller ins Auge bei der verwandten Frage, ob Prozeßführungsbefugnisse vom Typ des § 309 Abs. 4 A k t G gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren seien (so daß sie in jedem Forum dieselben sind) oder als zum Recht des jeweiligen Forums gehörig. Hier ist klar, daß eine prozeßrechtliche Qualifikation die rechtstechnische Einkleidung entscheiden ließe (Prozeßführungsbefugnis hier, eigener Anspruch des Aktionärs und Gesamtgläubigerschaft da) und nicht das funktionale Gemeinsame der Rechtserscheinungen: die Klagemacht des Aktionärs. Damit wären Tür und Tor geöffnet für die Flucht in den günstigeren Gerichtsstaat („forum shopping") (teilweise anders Mann, FS Barz, S. 231 - 233 = S. 82 in „Beiträge"). 139 Daß Konzernhaftung dem Statut der abhängigen Gesellschaft unterliegt, ist theoretisch außer Streit (zusammenfassend Soergel / Lüderitz, Vor Art. 7, Fn. 250; als Einzeluntersuchung vgl. Mann, FS Barz, insbesondere S. 224 vor Fn. 12 und letzter Absatz, und S. 226f. = S. 75 vor Fn. 12 und dritter Absatz, und S. 77, dritter Absatz in „Beiträge"). Aber bezeichnende Praxis fehlt anscheinend. 140 Vgl. auch oben § 8 I I I . 2. b) bb), Fn. 106.

IV. Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten

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OR), denn nur bei ihnen kann er noch hoffen, sich zu erholen. Ob der Gesellschaft die Pflichtverletzung zuzurechnen sei und welches Recht darüber entscheide, das fragt sich nur in zwei Fällen: (1) wenn Schaden verhütet werden soll, also im Verfahren des vorbeugenden Rechtsschutzes (bzw. der „equitable injunctions") und (2) wenn der Schaden bei den Organen oder sonstigen alternativ Haftenden nicht zu liquidieren ist, also im Insolvenzverfahren der Gesellschaft. Beispiel (für den Fall der Insolvenz der Gesellschaft): Ein deutsches Unternehmen bezieht laufend Waren von einer kleineren schweizerischen Aktiengesellschaft. U m die Warenkäufe zu finanzieren, hat es bei einer deutschen Bank Kredit aufgenommen. Dabei hat die schweizerische Aktiengesellschaft der Bank die Rückzahlung des Kredits garantiert. Später schüttet das einzige Verwaltungsmitglied der Aktiengesellschaft (Artt. 707 Abs. 1, 711 Abs. 1, S. 2 OR) an gutgläubige Aktionäre Dividenden aus, die weder aus dem Reingewinn, noch aus dafür gebildeten Reserven stammen. Die Bank sieht infolgedessen die Grundlage der Garantie der Gesellschaft gefährdet und kündigt dem deutschen Unternehmen den Kredit. Das Unternehmen muß einen teureren Ablösungskredit aufnehmen. Über das Vermögen der Aktiengesellschaft wird Konkurs eröffnet; Ware, die dem deutschen Unternehmen geschuldet und fällig ist, wird nicht mehr geliefert. Das Unternehmen macht im Konkurs die Differenz zwischen den alten und den neuen Kreditkosten geltend. Eine Klage gegen den Verwalter auf Leistung an die Gesellschaft (Artt. 755, 758 OR) unterbleibt, weil er kaum Vermögen hat. Hier kann das deutsche Unternehmen sich für seine Forderung auf folgende Haftungsgrundlagen stützen: (1) Gesellschaftsrechtliche Haftung der Aktiengesellschaft nach deren schweizerischem Gesellschaftsstatut: Art. 41 OR (Haftungsnorm), 718 Abs. 3 OR (Organhaftungsnorm), 675 Abs. 2, 660 Abs. 1 OR (gesellschaftsrechtliche Pflichtennormen über die Verteilung von Dividenden) 141 ; 141 Sonnenberger (Vorschläge und Gutachten 1983, S. 467) nennt als Haftungsnorm, die sich mit der Zurechnungsnorm des Art. 718 Abs. 3 OR verbindet, nicht Art. 41 OR (allgemeine Deliktshaftung), sondern Art. 754 Abs. 1 OR (Haftung für pflichtwidrige Geschäftsführung). Die Frage ist im erreichbaren schweizerischen Schrifttum nirgends geklärt. Dennoch scheint es, daß nur das Organ aus Art. 754 OR haftet, während die Haftung der Gesellschaft sich aus Normen des Deliktsrechts herleitet, hier also aus Art. 41 OR (vgl. BGE 100 I I 200, Urt. v. 1.7.1974 in der Auswertung oben § 4 I. bei Fn. 10; Züricher Kommentar / Bürgi / Nordmann-Zimmermann, Art. 753/754, Nr. 34, 36). Denn zum einen ist pflichtwidrige Geschäftsführung (Art. 754 OR) keine „unerlaubte Handlung" im Sinne von Art. 718 Abs. 3 OR, sondern begründet einen Anspruch vertraglicher Natur (BGE 48 I I 449 [455], Erw. 4, Urt. v. 6.12.1920 zu Art. 674 OR a.F.: „malgré l'absence de rapports contractuels"; Schucany, Art. 754, Anm. 1). Zum andern ist Art. 754 OR das „Gegenstück" zur Haftung der Gesellschaft (von Grey er ζ , § 17 V I I , S. 210), kann also mit dieser nicht gut identisch sein. Auch hier zeigt sich, daß die Qualifikation von Haftung und Haftungszurechnung nicht abhängen kann von der materiellrechtlichen Einordnung der Normen, die sie ergeben (hier also nicht davon, ob die aktienrechtliche Norm des Art. 754 OR oder die deliktsrechtliche Norm des Art. 41 OR zum Zuge kommt). Vgl. oben § 8 IV. 1. a) bb) bei Fn. 130 - 135 und unten § 8 I V . 3.

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§ 8. Sonderfälle

(2) Haftung der Aktiengesellschaft aus dem der Garantie zugrundeliegenden Auftragsverhältnis mit dem deutschen Unternehmen; (3) Haftung der Aktiengesellschaft aus Delikt. 1 4 2

Die Lösungen gleichen zunächst denen bei Verletzung von Pflichten aus fremdem Gesellschaftsstatut: Die Organhaftung unterliegt dem Statut der verletzten gesellschaftsrechtlichen Pflicht, wenn man, mit Sonnenberger, alle Haftungsgrundlagen so anknüpft wie sie (akzessorische Anknüpfung). Auch bleibt es dabei, daß die Organhaftung nach ein und demselben Recht zu beurteilen ist, auch wenn man die gesellschaftsrechtlichen und die deliktsrechtlichen Haftungsgrundlagen verschieden anknüpft. Doch fragt es sich erneut, welches Recht diese Rolle übernehmen solle: das Gesellschaftsstatut (wie im Fall der Verletzung fremder gesellschaftsrechtlicher Pflichten) oder das Deliktsstatut. Denn während fremde gesellschaftsrechtliche Pflichten meist 143 den Schutz der Gesellschaft (samt Mitgliedern) bezwecken, deren Statut sie entspringen, bezwecken die eigenen Pflichten, soweit „Außenstehende" sie geltend machen können, den Schutz des Publikums und insbesondere der Gesellschaftsgläubiger. Betrifft die Organhaftung bei Verletzung fremder Pflichten die Frage, ob das herrschende (oder mitbestimmende) Unternehmen zentral oder nur in der Person seiner Organe getroffen werden darf 1 4 4 , so betrifft sie bei Verletzung eigener Pflichten die andere Frage, wer dem Verkehr für ordentliche Geschäftsführung hafte: die „schuldigen" Geschäftsführer oder die fehlgeführte Gesellschaft, obwohl sie selbst geschädigt ist. Im Lichte des Verkehrsschutzes und der Parteiinteressen der Gesellschaftsgläubiger könnte im zweiten Fall das Deliktsstatut als einheitliches Zurechnungsrecht geeignet erscheinen. 145 Dennoch spricht mehr für

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Die aktienrechtliche Verantwortung ist nicht abschließend, sondern kann mit der deliktsrechtlichen konkurrieren (BGE 62 I I 228 [233f.], Erw. 2, Urt. v. 25.9.1935 für die Haftung des Organs aus Art. 674 OR a.F.). 143 Namentlich in Konzernrechtsfällen wie dem Beispiel oben § 8 IV. 1. a). Eine Ausnahme machen Fälle wie der in O L G Frankfurt, Urt. v. 18.1.1979 - „Hessische Landesbank/B. C . I . " , IPRspr. 1979 Nr. 10b (dazu oben § 1 II. 2. b) cc), Fn. 89): Dort wurde die Hessische Landesbank wegen Verletzung von Geschäftsführerpflichten aus dem Statut von B . C . I . belangt (Art. 754 Abs. 1 OR) und dies von einem Mitglied des geldanlegenden Publikums, zu dessen Schutz die Pflicht bestanden hatte. 144 Oben § 8 I V . 1. a) bb) nach Fn. 140. 145 So das Ergebnis in St. Union Trust Company v. Meriti Lynch, Pierce , Fenner & Smith, Inc. 412 F. Supp 45, 60 - 61 ( E . D . Mo. 1976), aufgehoben aus anderen Gründen, 562 F. 2d 1040 (8 t h Cir. 1977), certiorari verweigert, 435 U. S. 925 (1978) (oben § 4 IX. 5., Fn. 175): Das am bedeutsamsten verbundene (Forum-)Recht von Missouri entschied über die Haftung einer nach dem Recht von Delaware bestehenden und in New York zentrierten Gesellschaft für Direktoren und Geschäftsführer („officers"), die Minderheitsaktien zurückgekauft hatten, ohne interne Informationen über künftig preisbildende Faktoren aufzudecken. Daß auf die Zurechnung ein anderes Recht als das von Delaware (oder New York) angewandt wurde, ist um so erstaunlicher, als die Kläger Minderheitsaktionäre und damit vielleicht sogar „Innenstehende" waren.

IV. Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten

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das Statut der verletzten gesellschaftsrechtlichen Pflicht. W e n n die Gesellschaftsgläubiger für die Geschäftsführung auf das Gesellschaftsstatut rechnen, dann auch für die Frage, wer ihnen für diese Geschäftsführung hafte. Das Statut der verletzten Pflicht betrifft auch hier den Sachverhalt spezieller als das D e l i k t s s t a t u t 1 4 6 und ist insofern als einheitliches Zurechnungsrecht vorzuziehen. In unserem Beispiel unterliegt die Zurechnung der deliktsrechtlichen Haftung also dem schweizerischen Recht, auch wenn Deliktsstatut ein anderes Recht ist. Allein dies bewahrt die Abstimmung zwischen der berufenen gesellschaftsrechtlichen Zurechnungsregel der Schweiz (Art. 718 Abs. 3 OR) und der deliktsrechtlichen Zurechnungsregel. Denn die Schweiz hat eine sachliche Kollisionsnorm, nach der die gesellschaftsrechtliche Zurechnungsregel des Art. 718 Abs. 3 OR die deliktsrechtliche Zurechnungsregel des Art. 55 Abs. 2 ZGB verdrängt. (Dadurch weitet sich die deliktsrechtliche Organhaftung von den eigentlichen Organen auf alle Personen aus, die mit selbständig entscheidenden Kompetenzen an der Geschäftsführung teilnehmen. 147 ) Entschiede über die deliktsrechtliche Zurechnung ein anderes als das schweizerische Recht, so erhöbe sich eine (sachrechtliche) Qualifikationsfrage, die Schwierigkeiten macht: Ist die fremde Zurechnungsnorm Art. 55 Abs. 2 ZGB so ähnlich, daß die sachliche Kollisonsnorm der Schweiz auch sie erfaßt und durch Art. 718 Abs. 3 OR verdrängt? Dagegen entscheidet über die vertragliche Zurechnung (wegen Verletzung des Auftrags) das Vertragsstatut. 148 Denn die Vertragshaftung beruht auf dem stillschweigenden Versprechen, alles zu vermeiden, was die abgegebene Garantie schmälert. Was diese Haftungsgrundlage von den anderen unterscheidet, ist, daß es für ihre Begründung zwar auf die Tatsache der Dividendenauszahlung ankommt (vor allem auf deren Höhe), nicht aber auf die darin liegende gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung. Die vertragliche Haftung des Garanten ist für die Fallgruppe untypisch, d.h.: sie ist nicht einbezogen in die Verbindung verschieden qualifizierbaren Rechts zu einem gesellschaftlichen Haftungsrecht, das gesellschaftsrechtliche Pflichten für den Fall ihrer Verletzung mit Ersatzpflichten bewehrt und das man im IPR nicht gut in seine rechtstechnischen Bestandteile spalten kann. Insgesamt ergibt sich für Ansprüche „Außenstehender" gegen die Gesellschaft folgendes: K a n n die H a f t u n g der Gesellschaft nicht begründet werden, ohne zu erwähnen, daß einer ihrer Angehörigen eine gesellschaftsrechtliche Pflicht verletzt hat, so entscheidet durchweg das Gesellschaftsstatut, dem diese Pflicht entspringt, ob die Gesellschaft sich die Pflichtverletzung als Organ verhalten zurechnen lassen m u ß . 1 4 9 Gleichgültig ist, welche materiellen 146

Vgl. die Wertung oben § 8 I V . 1. a) bb) bei Fn. 140 und § 8 I I I . 2. b) bb), Fn. 106. Vgl. BGE 101 I b 422 (436), Erw. 5a, Urt. v. 19.9.1975. 148 Oben § 8 III. 2. a) bei Fn. 93. Vgl. Art. 28 Abs. 2 S. 1 EGBGB. 149 Ebenso Vischer, Bemerkungen, S. 60f. (dazu oben § 4 I. 2., Fn. 28) und die Empfehlung der International Law Association, wiedergegeben oben § 5 V . ; vgl. auch Art. 153 Abs. l e ) des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes (oben § 4 I. 4.). Bei uns ist die Frage von der bisherigen Kodifikation des IPR nicht berührt; vgl. Art. 37 Nr. 2 EGBGB. 147

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§ 8. Sonderfälle

Rechte über die einzelnen Haftungsgründe zu entscheiden haben, und welchen Systemteilen des als Gesellschaftsstatut berufenen Rechts die Zurechnungsnormen angehören, die für die einzelnen Haftungsgründe in Frage kommen. 2. Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten gegenüber „Innenstehenden"

Leichter zu beurteilen ist die Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten gegenüber „Innenstehenden", also Mitgliedern oder Funktionären der Gesellschaft. „Innenstehende" unterhalten zu der Gesellschaft ein gesetzliches oder vertragliches Rechtsverhältnis, das dem Gesellschaftsstatut untersteht. Verletzt ein Organ eine gesellschaftsrechtliche Pflicht gegenüber dem „Innenstehenden", dann kommt immer auch eine Verletzung dieses Rechtsverhältnisses in Betracht. Für diese Fälle gilt dasselbe wie für die Verletzung bereits bestehender Sonderbeziehungen. 150 3. Zur Qualifikation der verletzten Pflichten und der Haftungsgründe

In jedem der durchgesehenen Fälle war das erste und eigentliche Problem die Qualifikation der Pflichten, mit deren Verletzung der Haftungsanspruch begründet wird. Denn jedenfalls soweit sie zum Gesellschaftsstatut gehören, sind diesem Recht auch die Haftungs- und Zurechnungsnormen zu entnehmen, mit deren Hilfe sie in Ersatzansprüche umzusetzen sind. 151 Auch wenn man (weitergehend) jede Haftungsgrundlage nach dem Statut der verletzten gesellschaftsrechtlichen Pflicht beurteilt (auch solche, die sich auf allgemeinere Pflichten stützen), ist ja vorab durch Qualifikation zu klären, ob eine solche gesellschaftsrechtliche Pflicht überhaupt im Spiel ist. Die Qualifikation der Pflichten (und, mit ihnen, der Haftungsgrundlagen) ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Es sei über sie nur eine Bemerkung gemacht. Nach dem zweiten Restatement 152 ist zu fragen, ob die Haftung entstanden sei „from a corporate act of a sort that can likewise be done by an individual .. . " . 1 5 3 Der Vergleich (corporation - individual) ist leicht in Fällen, in denen es um unvergleichbar gesellschaftsrechtliche Pflichten geht (z.B. Dividenden nur aus bestimmten Vermögensposten zu zahlen) - hier erübrigt ι » Oben § 8 III. 2. 151 Vgl. oben § 8 IV. 1. a) bb) nach Fn. 130 und bei Fn. 133 und 134. 152 Restatement (Second) of Conflict of Laws , § 301 (1971). Vgl. oben § 4 IX. 2., Fn. 138. 153 Ähnlich der Ansatz von Mann zur Qualifikation von Ansprüchen bei verbundenen Unternehmen. Mann empfiehlt zu fragen: Würde die Lösung auch gelten, wenn die Majorität sich in Händen eines Individuums befände? (FS Barz, S. 224 = S. 74 in „Beiträge"). Er kommt so zu einer deliktsrechtlichen Qualifikation z.B. des § 117 A k t G (FS Barz, S. 229, Fn. 29 und S. 233 = S. 83 unten in „Beiträge").

V. Herausgeforderte Deliktstaten

233

er sich eigentlich. 154 Aber zuweilen haben Einzelkaufleute ähnliche Pflichten wie Gesellschaften (Buchführung, Bilanzierung, vielleicht Konkursantragspflicht). Dann ist der Vergleich nur möglich über eine Wertung: Ist das Gleiche der Pflichten so wesentlich, daß es als „tertium comparationis" taugt? 155 Mit dieser Ergänzung ist die Formel des Restatement ein brauchbarer Fingerzeig. V . Herausgeforderte Deliktstaten Bislang wurden die Anknüpfungen der Organhaftung getragen (und einander verbunden) durch wesentlich dieselbe Interessenlage: Der Geschädigte war jeweils durch seine Verletzung überrascht und verdiente Schutz nach dem Recht seiner Umgebung 1 5 6 (bzw., statt dessen, nach dem Recht des Vertrags 157 oder der gesellschaftsrechtlichen Abläufe 1 5 8 , auf die er vertraut hatte). Die juristische Person dagegen hatte mit dem Auslandskontakt das Risiko fremden Rechts übernommen und mußte sich einer Organhaftung beugen, die von ihrer körperschaftlichen Struktur nicht ausgehen konnte. 1 5 9 Aber je weiter die Sachverhalte sich von unserem Grundfall 160 fortbewegen (indem das Interesse des Geschädigten in ihnen abnimmt), desto dringlicher stellt sich unsere Ausgangsfrage 161: Kann die Anknüpfung an ein sachverhaltliches Extrem stoßen, in dem der Sinn, den überraschten Geschädigten zu schützen, sie nicht mehr trägt und sie umschlägt in ihr Gegenteil: den Schutz der juristischen Person vor ihr fremder Organhaftung? Die Frage wird beleuchtet durch Fälle des „Schlagabtauschs" in einem Wettbewerb: 1. Klärung eines Streitpunkts im wirtschaftlichen Wettbewerb (ähnlich O L G Karlsruhe, Urt. v. 25.2.1976 - „Fahrradgepäckträger" - 1 6 2 und L G Mannheim, Urt. v. 30.5.1980 - „Kabelendhülsen" - 1 6 3 ) : In einem Vergleich verspricht die deutsche Gesellschaft A der französischen Gesellschaft B, ein bestimmtes Produkt nicht länger nach Frankreich zu exportieren. Später exportiert A eine Weiterentwicklung des Produkts. 154 Überzogen wäre es, die Formel des Restatement deswegen abzutun als eine Tautologie. Sie lenkt richtig auf eine vergleichende Wertung, ohne freilich diese Wertung selbst schon zu enthalten. Dazu sogleich im Text. 155 Vielleicht nicht zu Unrecht hat R G Z 36, 27 (28), Urt. v. 4.11.1895 (dazu oben § 1 II. 1. a) aa) bei Fn.17) nach dem Tatortrecht (das allerdings mit dem Sitzrecht der Gesellschaft zusammenfiel) entschieden, ob Aufsichtsratsmitglieder wegen Konkursverschleppung hafteten. 1 56 Oben § 7 I. 1., § 7 I. 4. bei Fn. 87. 157 Oben § 8 I I I . 2. a). 158 Oben § 8 I V . 1. a.E. 159 Oben § 7 1 . 4. bei Fn. 79 - 85. 160 Oben § 7 am Anfang. 161 Oben § 8 am Anfang. 162 WRP 1976, 381 = IPRspr. 1976 Nr. 13; dazu oben § 1 I I . 2. b) cc) bei Fn. 85. 163 IPRspr. 1980 Nr. 143 = GRUR 1980, 935; dazu oben § 1 II. 4. a) bei Fn. 138.

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§ 8. Sonderfälle

Ihre Organe „lassen es darauf ankommen", ob dadurch der Vergleich gebrochen wird; notfalls wollen sie die Frage gerichtlich klären lassen. Β verlangt von A eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, bekommt sie nicht und verliert den nachfolgenden Wettbewerbsprozeß. Jetzt klagt A in Deutschland gegen Β und mehrere von Β's Angehörigen und verlangt Schadensersatz wegen Eingriffs in ihren Gewerbebetrieb. Die Parteien einigen sich auf die Anwendung deutschen Rechts; doch solle die Frage, wer auf der Passivseite für etwaigen Schaden hafte, nach dem Recht entschieden werden, das nach deutschem IPR dafür berufen sei. 2. Verwicklung des Meinungsgegners in einen Schadensersatzprozeß (vgl. zunächst BG, Urt. v. 18.1.1922 - „Vorarlberger Tagblatt / Neue Zürcher Zeitung" 1 6 4 ). Ein Schriftsteller in Deutschland wünscht eine öffentliche Auseinandersetzung mit einer New Yorker Verlagsgesellschaft, wenn möglich vor Gericht. Er beginnt sie mit einem herausfordernden offenen Brief. Ein Chefredakteur der Verlagsgesellschaft recherchiert nachteilige Tatsachen über den Schriftsteller, die er bekanntgibt, als er im deutschen Fernsehen auf den Brief des Schriftstellers angesprochen wird. Der Schriftsteller verklagt die Gesellschaft deswegen in Deutschland auf Schmerzensgeld. Die Parteien einigen sich auf die Anwendung deutschen Rechts. Doch macht die Gesellschaft den Vorbehalt, daß eine etwaige Rufschädigung ihr nach New Yorker Recht nicht zuzurechnen sei: Der Kläger habe sich willentlich in eine öffentliche Kontroverse begeben, die von berechtigtem öffentlichen Interesse gewesen sei. Unter solchen Umständen sei sie für eine Rufschädigung nur verantwortlich, wenn sie, nach dem Übergewicht der Beweise, grob unverantwortlich gehandelt habe. 165 Das sei jedoch nicht der Fall: Selbst wenn der Chefredakteur die etwaige Unwahrheit der geäußerten Tatsachen gekannt hätte („guilty knowledge"), könne ihr dies nicht schlechthin (nach „agency"-Recht) zugerechnet werden. Sie hafte nur, wenn Personen ihrer Geschäftsleitung („managerial level") das Fernsehgespräch grob unverantwortlich zugelassen hätten. 166 Das aber sei nicht behauptet. Muß das Gericht diese Argumentation in Betracht ziehen?

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BGE 48 I I 53; dazu oben § 4 I. 1. bei Fn. 6. Grdl. New York Times v. Sullivan, 376 U.S. 254 (1964) („defamation" bedingt „malice", wenn der Kläger ein „public official" ist); Gertz v. Robert Welch, Inc., 418 U.S. 323 (1974) (die Regel aus „Sullivan " gilt auch zulasten einer „public figure", darunter desjenigen „who voluntarily injects himself into a particular public controversy"); in das Recht von New York umgesetzt in Chapadeau v. Utica Observer-Dispatch, Inc., 28 N. Y. 2d 196,199, 379 N.Y.S. 2d 61, 64, 341 N . E . 2d 569, 571 (Ν. Y. 1975) (Medien haften nicht aus „defamation", wenn die Angelegenheit „within the sphere of legitimate public concern" liegt und ihr Verhalten nicht „in a grossly irresponsible manner" erfolgt ist); Pollnow v. Poughkeepsie Newspapers, Inc., 107 A . D . 2d 10, 486 N.Y.S. 2d 11,16 (1985) („Chapadeau " gilt auch zugunsten medienfremder Beklagter, die in den Medien publizieren, in casu: Leserbriefschreiberin). 166 Autorität für diese Argumentation bietet Karduman v. Newsday, Inc., 51 Ν . Y. 2d 531, 547 - 550, 435 N.Y.S. 2d 556, 565, 416 N . E . 2d 557, 565 - 566 (N.Y. 1980) (keine „corporate liability" eines Verlags für einen von seinen Reportern recherchierten Bericht, der ohne Überprüfung in Buchform erschienen war); vgl. auch Rinaldi ν. Viking Penguin, Inc., 52 N . Y . 2d 422, 437, 438 N.Y.S. 2d 496, 502, 420 N . E . 2d 377, 383 ( N . Y . 1981). 165

V. Herausgeforderte Deliktstaten

235

1. Das Parteiinteresse des Geschädigten

In beiden Fällen geht das Interesse des Geschädigten am Recht seiner Umgebung 167 gegen null. Im ersten Fall hat er sich so verhalten, daß er mit einem Gegenschlag rechnen mußte; im zweiten hat er ihn sogar gewollt. Anders als in allen bisherigen Fällen erlebt er die Verletzung nicht als Überraschung, sondern als Teil seiner Strategie. Anders als bisher hat nicht die juristische Person, sondern, im Ursprung der Ereignisse, nur er die Möglichkeit gehabt, sich über Zurechnungsregeln ausländischen Rechts zu erkundigen und informiert über den Auslandskontakt zu entscheiden. 168 (Die juristische Person dagegen ist durch den Einbruch in ihre Interessen herausgefordert zu reagieren. Insofern ist sie in der Entscheidung über den Auslandskontakt bei weitem nicht so frei wie vor ihr der Geschädigte: Man läßt aggressive offene Briefe nicht auf sich sitzen, verwahrt sich gegen eine Schmälerung von Marktinteressen prompt und antwortet auf Anschuldigungen möglichst sofort und in derselben Öffentlichkeit, in der sie vorgebracht sind.) Damit kehrt die Interessenlage sich um: Wenn der Geschädigte sich, frei entschlossen, in eine Beziehung hineinbegibt, aus der er sich Verletzungen seiner Rechtsgüter erwartet 169 , so handelt er, das fremde Recht betreffend, auf eigenes Risiko. 1 7 0 Entfällt nämlich das „Bestürzende" der Verletzung, so entfällt auch jeder Grund, ihm von vornherein die Anwendung des Rechts zu garantieren, unter dem er geht, steht und zu Fall gekommen ist. Die Wertung geht vielmehr ins Gegenteil und lautet: Wer in die Welt hinaus agiert, darf nicht erwarten, er werde jede juristische Person, die reagiere, so fassen, so zum Gegner seiner Ansprüche machen können wie nach dem Recht am Ort seiner Handlung und Verletzung. 171 Vergleichbare Wertungen stehen fest für die Zurechnung rechtsgeschäftlichen Verhaltens. Wird ein Vertrag über die Grenze hin angebahnt, so kann der, der aus ihm haften soll, plädieren, er sei nach dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts nicht gebunden (Art. 31 Abs. 2 E G B G B ) . 1 7 2 Und kontrahiert jemand über die Grenze mit einer ausländischen juristischen Person, so weiß er, mit wem er es zu tun hat, und muß sich über die gesetzliche Vertretungsmacht der Organe erkundigen. 173 In beiden Fällen geht 167

Oben § 7 I. 1. Zu diesem Gesichtspunkt näher oben § 7 I. 4. 169 Darin unterscheidet sich die Situation von der bei Abschluß eines Vertrags; vgl. oben § 8 I I I . 2. a) nach Fn. 90. 170 Näher zu diesem Gesichtspunkt oben § 7 I. 4. nach Fn. 81. 171 Eine ähnliche Wertung war bereits oben § 8 II. bei Fn. 40 angebracht. Übrigens könnte der Geschädigte nicht selten das Recht des Orts seiner Handlung und Verletzung erschleichen und die juristische Person, durch die Herausforderung, in dessen Anwendungsbereich hineinlocken. 172 Vgl. auch die deutsche Rechtsprechung und die entsprechenden Regeln des Auslands oben § 2 V. 173 Vgl. Niederer, S. 131 (dazu oben § 8 I I I . 2. a) bei Fn. 90 und ferner oben § 2 V. und unten § 9 III). 168

236

§ 8. Sonderfälle

es um Rechtswirkungen, die der Initiator der Beziehung beabsichtigt hat und die sich unmittelbar aktualisieren. Sich über diese zu erkundigen, hat er allen Anlaß; es darf nicht in seiner Hand liegen, den Rechtsgegner allein durch eigenes, auf eine Antwort berechnetes Verhalten in die Sphäre eines fremden Rechts hineinzuziehen. Ähnlich beabsichtigt und von aktuellem Interesse ist auch die Organhaftung, wenn der Geschädigte die Tat des Organs bewußt und gewollt herausgefordert hat. Denn dann steht ihm die Frage am nächsten, an wen er sich im Fall seiner erwarteten Verletzung halten kann. 1 7 4 O b das Vorverhalten des Geschädigten rechtmäßig oder rechtswidrig ist, spielt keine R o l l e . 1 7 5 D i e Zurechenbarkeit fremden Rechts kann nicht v o n Ergebnissen eines materiellen Rechts abhängen, das erst zu bestimmen ist (hier: des Rechts, das über die Rechtmäßigkeit bestimmt). D e n n das I P R hat apriorischen oder Vorstufencharakter.

Was i n i h m zählt, sind nicht die

Rechtsfolgen wählbarer Rechte, sondern eigene W e r t e , genannt Interessen, u n d deren G e w i c h t . 1 7 6 Das muß so sein, denn die Rechtsfolgen, die sich m i t materiellrechtlicher Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit verbinden können ( z . B . Rechtfertigung oder Ersatzpflichten), sind nicht die, die das I P R zu vergeben hat (Verweisungen). A u c h wer sich, nach dem zu bestimmenden materiellen Recht, erlaubt verhält, darf deshalb m i t kollisionsrechtlichen Nachteilen belastet werden. Es ist ζ. Β. erlaubt, als Schweizer mit dem Auto nach Frankreich zu fahren; dennoch unterliegt man allein französischem Deliktsrecht, wenn man dort mit einem Franzosen kollidiert - selbst wenn man ohne Regelverstoß gefahren ist. Ähnlich ist es erlaubt, eine Vertragsofferte, sofern sie kein rechtliches Verhaltensgebot verletzt, von Berlin nach Paris zu schicken; dennoch kann man mit Erfolg entgegengehalten bekommen, daß Schweigen nach französischem Recht nicht als Annahme gelten könne („Küchenmöbel"Fall des Bundesgerichtshofs 177; vgl. jetzt Art. 31 Abs. 2 EGBGB). A u c h muß man, wie mehrfach b e m e r k t 1 7 8 , i m I P R den Ansatz verfeinern u n d die anzuknüpfenden Fragen trennen: O b eine H a n d l u n g zuzurechnen sei, ist die eine Frage, ob sie (oder sonst ein Verhalten) rechtswidrig sei, die davon zu trennende zweite. M a n darf die eine Frage nicht i m H i n b l i c k darauf anknüpfen, wie die andere, i m einen oder anderen Sinne angeknüpft, zu entscheiden wäre. 174

Ansonsten und grundsätzlich ist die Organhaftung ein Punkt, an dem man in der Sicherheit, in der man mit dem Gegner verkehrt, nicht zu denken braucht. Vgl. oben § 8 I I I . 2. a) nach Fn. 90. 175 In Fällen wie unseren Beispielen ist die Frage auch oft erst nach langem Rechtsstreit und in letzter Instanz zu klären. Man denke, Schriftsteller betreffend, an lange und schwierige Verfahren wie B G H , Urt. v. 30.5.1978, NJW 1978,1797, BVerfGE 54, 208, Beschl. v. 3.6.1980, BGH, Urt. v. 1.12.1981, NJW 1982, 635 (Boll ./. Waiden) oder B G H Z 80, 25 = NJW 1981,1089 (vollständiger), Urt. v. 20.1.1981, BVerfGE 66, 117, Beschl. v. 24.1.1984 (Springer Verlag A G ./. Wallraff). 176 Oben § 6 IV. 177 Oben § 2 V., Fn. 108. 178 Oben § 1 I V . a.E., § 6 I. und § 8 am Anfang.

V. Herausgeforderte Deliktstaten

237

Ob der Geschädigte sich rechtmäßig verhalten hat, ist somit eine Frage, die spezifisch internationalprivatrechtliche Interessen nicht berührt. Sie ist allenfalls zu erwägen, wenn das anwendbare materielle Recht in jeder Beziehung feststeht (z.B. beim Mitverschulden). Dasselbe gilt umgekehrt: Man kann dem Schwund des internationalprivatrechtlichen Parteiinteresses des Geschädigten nicht durch eine materiellprivatrechtliche Lösung Rechnung tragen (ζ. B. durch enge Auslegung des berufenen Zurechnungstatbestands). So haben in den Beispielen die deutsche Gesellschaft und der Schriftsteller zwar räumliche Beziehungen geschaffen, in denen sie sich nicht mehr ohne weiteres „wie zu Hause" fühlen durften. Aber nichts in ihrem Verhalten schmälert ihr materiellrechtliches Interesse, die gegnerische Gesellschaft selbst (und nicht nur deren Organ) zu belangen. (Im Gegenteil, ihr Verhalten kann der einzige Weg sein, die Berechtigung dieses Interesses zu erproben.) Das Recht, unter dem das materielle Interesse zu verfechten ist, mag aus kollisionsrechtlicher Fairness das des Herausgeforderten sein; aber das zu verfechtende Interesse selbst ist, unabhängig von der Herausforderung, unter jedem Recht dasselbe. 2. Sonstige Interessen und Interessenabwägung

Das Parteiinteresse der juristischen Person beruht auf ihrer körperschaftlichen Struktur und ist wie diese immer gleich. 179 Es läßt sich aber hier nicht mit der Begründung abwerten, die juristische Person allein habe den Auslandskontakt des Organs gewollt. 180 Denn der Geschädigte hat ihn in weit größerer Freiheit und mit entsprechend größerer Verantwortung herausgefordert als die juristische Person, in Zugzwang geraten, ihn schließlich hergestellt hat. 1 8 1 Gegen das Parteiinteresse der juristischen Person fällt allenfalls ein Verkehrsinteresse ins Gewicht - dann nämlich, wenn ihre Reaktion den allgemeinen Verkehr durchläuft (so die Äußerung des Chefredakteurs, die den Verkehr mit dem Fernsehpublikum durchläuft). Indes, auch dann erreicht die Reaktion den Herausforderer nicht als Verkehrsteilnehmer, sondern als Gegner einer schon angebahnten Beziehung. Ein Verkehrsinteresse ist so gesehen nicht im Spiel. Nach allem ist dem Parteiinteresse der juristischen Person zu entsprechen. Man darf allerdings nicht meinen, über die Organhaftung entscheide ihr Personalstatut allein. Denn dann könnten scharfe Haftungsrechte mit scharfen Zurechnungsrechten zusammentreffen (oder milde mit milden), und solche Normenwidersprüche sind nur schwer zu lösen. 182 Es empfiehlt sich vielmehr ein Kompromiß: Zurechnung in Form von Organhaftung ist nur möglich, 179

Oben § 7 I. 2. a), § 8 II. bei Fn. 19, § 8 III. 2. a) bei Fn. 86. Zu dieser Begründung und ihrer Bedeutung oben § 7 1.1 4. 181 Vgl. oben § 8 V. 1. nach Fn. 168. ι® Oben § 7 I I I . 1. a) aa), § 7 III. 1. b) bb) und dd).

180

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§ 8. Sonderfälle

wenn auch das Personalstatut der juristischen Person sie zuläßt. Das Personalstatut bekommt damit ein Vetorecht (ähnlich wie, nach Maßgabe des Art. 31 Abs. 2 EGBGB, das Aufenthaltsrecht des Vertragsgegners bezüglich der Bindungswirkung vorkonsensualen Verhaltens 183 ). Die juristische Person wird so davor geschützt, durch Verhalten des Geschädigten in eine ihr fremde Organhaftung hineingezogen zu werden. 184 Zugleich ist die Gefahr von Normenwidersprüchen gebannt: Normenwidersprüche zum Nachteil der juristischen Person (scharfes Haftungs- und scharfes Zurechnungsrecht) sind unmöglich. Normenwidersprüche zum Nachteil des Geschädigten scheinen möglich (milde Haftung nach dem Haftungsstatut und mildere Organhaftung des Personalstatuts), sind aber in der ärgeren beiderseitigen Form ausgeschlossen. Denn das Personalstatut kommt nur insoweit zum Zug, als es Organhaftung ablehnen würde (Vetorecht). In diesem Fall ist die Klage, vorbehaltlich sonstiger Zurechnungsformen, abzuweisen, und das Ergebnis ist kein anderes als nach dem Personalstatut allein. Das Ergebnis ist folgende Formel: Hat der Geschädigte die Tat willentlich herausgefordert, so ist sie der juristischen Person nur dann als Organ verhalten zuzurechnen, wenn auch ihr Personalstatut es zuläßt. (Man beachte: Die Herausforderung ist „willentlich" schon dann, wenn der Geschädigte, wie in unserem ersten Beispiel, mit der Tat rechnen muß und es dennoch auf sie ankommen läßt. 185 ) Zentrum der Formel ist das Merkmal der „Herausforderung". Dieses Merkmal ist objektiv zu verstehen - nämlich dahin, daß das Personalstatut nur dann ein Vetorecht hat, wenn der Geschädigte besser als die juristische Person in der Lage ist, das Risiko fremden Rechts zu tragen. Es genügt also weder, daß die juristische Person sich subjektiv herausgefordert gefühlt hat, noch genügt es, daß das Verhalten des Geschädigten bloß Anlaß zu der Tat gegeben hat. In unseren Beispielen ist die Tat „herausgefordert". 186 Die beklagten Gesellschaften haften also nur dann, wenn erstens § 31 BGB - als Organhaftungsnorm des (gewählten) Haftungsstatuts - und zweitens die entsprechende Zurechnungsnorm ihres Gesellschaftsstatuts es zulassen.

183 Diese wesentliche Entsprechung der Ergebnisse ist kein Zufall. Denn bei der Zurechnung von eigenen Rechtsgeschäften tut sich kollisionsrechtlich ein ähnlicher Zwiespalt auf wie hier: Anwendung des Geschäftsstatuts auf die Zurechnung liegt im Ordnungsinteresse an widerspruchsfreien Entscheidungen, Anwendung des Heimatrechts des Belangten dagegen in dessen Interesse, vor ungewohnten Folgen reaktiven Verhaltens geschützt zu sein. Zur Interessenlage bei der Zurechnung eigener Rechtsgeschäfte oben § 2 V. 184 Somit kann keine Seite die andere entgegen deren Personalstatut in einen „Schlagabtausch" verwickeln, und es entsteht kollisionsrechtliche Waffengleichheit. 185 In der Terminologie unseres materiellen Rechts würde man von bedingtem Vorsatz sprechen. 186 Vgl. die Betrachtung oben § 8 V. 1.

VI. Organisationsmängel

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V I . Organisationsmängel187 Von den vorstehenden Überlegungen sind möglicherweise die Fälle auszunehmen, in denen für die Schadensverursachung ein bestimmtes Organ nicht namhaft gemacht wird oder werden kann (Organisationsmängel). Denn bei ihnen geht es um Anlastung von Organverhalten nur im Rahmen einer Vorfrage: Haben die Organe es pflichtwidrig und zurechenbar unterlassen, für den schädlichen Gefahrenbereich ein weiteres Organ zu bestellen? Die Hauptfrage dagegen blendet Zurechnung aus: Kann der juristischen Person auch ohne Vorschaltung eines Organs der Vorwurf einer Schädigung gemacht werden. Die als „Organisationsmangel" bezeichnete Zurechnungsform steht im IPR unter einer Spannung zwischen ihrem Begriff und ihrer Funktion. Dem Begriff nach könnte sie nur über das Personalstatut berufen werden. Denn man kann die juristische Person nur so weit zu einer bestimmten Organisation verpflichten, als ihr Personalstatut es zuläßt. 188 Der Funktion nach gehört die Zurechnungsform dagegen zu einem Auffangtatbestand. Dieser soll einem Ausfall der Organhaftungsrechtsfolge vorbeugen. Die juristische Person soll so stehen, als ob ein Organ für sie gehandelt hätte. Der Auffangtatbestand kann aber nur so angeknüpft werden wie der Tatbestand, den er ersetzt. Im folgenden müssen wir der Funktion, nicht dem Begriff des Organisationsmangels nachgehen. Funktionen sind das Gemeinsame der verschiedenen Rechtsordnungen. A n sie muß man sich halten, wenn man am fremden Recht nicht vorbeireden will. 1. Die Beschränkung des Begriffs „Organisationsmangel" auf das deutsche Recht

In der Tat scheint der Begriff des „Organisationsmangels" ein Unikum des deutschen Rechts zu sein. Er ist vermutlich überflüssig, wo jene Zweiteilung 187 Vgl. zunächst RG, Urt. v. 4.1.1934 (Regensburger Kraftwagenvorführung), dazu oben § 1 1 . bei Fn. 9. 188 Dem entspricht im deutschen materiellen Recht der Einwand, man dürfe die juristische Person nicht zu organisatorischen Schritten verpflichten, die ihre Satzungsautonomie oder deren rechtliche Schranken verletzen (Münchener Kommentar i Reuter, § 31, Rn. 5). In der Tat: Die Frage, für welche Verrichtungen Organe zu bestellen sind, gehört zum Kern der Satzungsautonomie und ist Imperativen des Rechts, die nicht zwingende Gesetze (sondern Richterrecht) sind, entzogen. Die Rechtsordnung kann der juristischen Person daher grundsätzlich nicht vorwerfen, sie lasse gewisse Mängel in der Organisation bestehen und mache sich dadurch sektoral unzurechnungsfähig. Genauer gesagt: Sie könnte es nur dann, wenn die Organe es in Voraussicht und Billigung einer bestimmten Deliktstat oder aus diesbezüglicher Nachlässigkeit täten. Daß die deutsche Rechtsprechung das nicht verlangt (und nicht verlangen kann), das führt zu einer um das tatbezogene Verschulden verkürzten „actio libera in causa" und damit zu einer Aufgabe des gesetzlichen Verschuldensprinzips (§ 823 BGB).

240

§ 8. Sonderfälle

i n strikte und entschuldbare Zurechnung fehlt, die den deutschen Rechtskreis kennzeichnet. Zu dieser Zweiteilung vgl. §§ 31, 831 BGB; Art. 55 Abs. 2 Z G B , 55 OR. Ein gestuftes Zurechnungssystem besteht nach §§ 1313, 1315 A B G B 1 8 9 . Der Geschäftsherr haftet für die objektiv rechtswidrige Tat des Besorgungsgehilfen 1. ohne eigenes Verschulden, wenn der Gehilfe „untüchtig" war; 2. aufgrund Gefahrenkenntnis (hilfsweise aufgrund Kennenmüssens nebst Eigenverschuldens am Schaden 190 ), wenn er wissentlich einen „gefährlichen" Gehilfen verwendet hat; 3. aus eigenem Verschulden und unabhängig von § 1315 A B G B , wenn er den Gehilfen schlecht ausgewählt, ausgebildet oder überwacht hat. Die Beweislast trägt jeweils der Geschädigte. Die Kluft zwischen Organen und Gehilfen ist teilweise eingeebnet durch folgenden Satz der Rechtsprechung: Der Unternehmer eines gefährlichen Betriebs haftet für das Verschulden seiner Angestellten über §§ 1313a, 1315 A B G B hinaus, soweit es sich um die von ihm geschaffenen Betriebsgefahren handelt. 191 OGH, 28.8.1973 192 hat außerdem die Inhaberin eines ungefährlichen Betriebs für ihren Geschäftsführer wie für ein Organ haften lassen. Allerdings gibt es keine Betriebshaftung ohne Verschulden der Angestellten. 193 Zum Richterrecht der österreichischen Organhaftung oben § 7.1. 2. a) bei Fn. 27 - 29. - Den Entlastungsbeweis gibt es allerdings, obgleich vereinzelt, auch im romanischen Rechtskreis. Vgl. Art. 2048 Abs. 2 und 3 Codice civile (Haftung des Lehrherrn). A b e r selbst w o die Zurechnung zweigeteilt ist, kann man offenbar ohne den Begriff des „Organisationsmangels" auskommen. I n Österreich hat er begonnen, einem erweiterten Organbegriff Platz zu m a c h e n . 1 9 4 I n der Schweiz ist er, trotz entsprechender Sachverhalte, i n der Rechtsprechung nicht zu finden u n d i n der Lehre nie entwickelt w o r d e n . 1 9 5 A l l e i n i n Deutschland hält er sich. Einmal i n die W e l t gesetzt, u m eine L ü c k e zu schließen - die H a f t u n g juristischer Personen aus Verkehrssicherungspflichten 1 9 6 - , ist er inzwischen bald fünfzig Jahre a l t 1 9 7 u n d hat i m L a u f der Z e i t sogar zusätzliche F u n k t i o n e n gewonnen.198 Besonders das schweizerische Recht muß den deutschen Juristen überraschen: Trotz ähnlicher Gesetzeslage sucht man selbst in Einzeluntersuchungen wie der von Port-

189 Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I I , S. 352 - 358; Koziol / Welser, 3. Teil, 2. Kapitel, I I Β 3a, S. 373f. 190 Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I I , S. 353. 191 OGH, 10.9.1947, JB1. 1947, 493; aufgegriffen z.B. in den Entscheidungen vom 25.9.1957, JB1. 1958, 178 (180) und vom 5.3.1958, JB1. 1958, 550. 192 SZ 46 Nr. 78, S. 339; dazu oben § 7 1 . 2 . a) bei Fn. 29. 193 O G H , 29.2.1956, JB1. 1956, 407 mAnm Schwind. 194 Oben § 6 III. 1. nachFn. 31. 195 Dazu sogleich im Text. 196 Vgl. unten § 8 V I . 2. a). 197 Er wurde ins Leben gerufen durch Entscheidungen des Reichsgerichts von 1938 und 1939; dazu unten § 8 V I . 2. b), Fn. 213. 198 Vgl. die Analyse von Reuter in: Münchener Kommentar, § 31, Rn. 4f. - Den Funktionen der Rechtserscheinung wird im folgenden einzeln nachgegangen (unten § 8 V I . 2.).

VI. Organisationsmängel

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mann199 vergebens nach dem Stichwort „Organisationsmangel" oder entsprechendem. Offenbar hat das Bundesgericht es immer wieder verstanden, allein durch Auslegung des Gesetzes dem Gerechtigkeitsgefühl Genüge zu tun. 2 0 0 Dabei hat es den Organbegriff kaum weiter gezogen als der Bundesgerichtshof. (Vgl. die Merkmale des Begriffs z.B. in BG, Urt. v. 14.9.1976 201 : „Turatti vertrat die Zweigniederlassung nach aussen [sie], führte Einzelunterschrift und besorgte die Geschäfte des Filialbetriebs weitgehend selber. Dadurch beteiligte er sich massgebend [sie] an der Willensbildung der Beklagten, hatte folglich die Stellung eines Organs . . . " . 2 0 2 Zum gleichen Ergebnis kommt, ebenfalls für einen Filialleiter, der deutsche Leitentscheid des B G H , Urt. v. 30.10.1967 203 ). Der Unterschied zu Deutschland liegt also weder im Gesetz, noch im Verständnis des Begriffs „Organ", sondern vermutlich in einem gewissen helvetischen Realitätssinn, der sich zu lebensfernen Kunstgriffen wie der Lehre vom „Organisationsmangel" nicht versteigen mag: Wo man in Deutschland von „Organisationsmängeln" redet (und eine entsprechende Anwendung des § 31 BGB meint), da stellt sich in der Schweiz ein Problem allein der Auslegung. Vgl. z.B. BG, Urt. v. 6.10.1970 204 : Ein technischer Assistent der beklagten Schweizerischen Bundesbahnen hatte das Personal eines Tiefbauunternehmens gegen den Eisenbahnverkehr an der Baustelle zu sichern. Jedoch überhörte ein Polier die Warnsignale und wurde von einem Zug verletzt. Die schweizerische Zufallshaftung nach dem Eisenbahngesetz vom 28.3.1905 - E H G schien durch eine Versicherungsvorschrift aufgehoben. Da der Assistent kein Organ der Bundesbahnen war, hätte man in Deutschland wohl einen Organisationsmangel angenommen (wenn, entsprechend, § 1 HPflG weggefallen wäre). Nicht so das Bundesgericht: „ . . . Art. 1 E H G hat insoweit als nicht aufgehoben zu gelten. Haftet die Eisenbahnunternehmung für das Verschulden ihres Personals, so erübrigt es sich, den Begriff des Organs im Sinne des Art. 55 Z G B einem befriedigenden Ergebnis zuliebe so auszudehnen, daß er unglaubhaft wirken müßte." 2 0 5 Das Bundesgericht hätte sich also notfalls mit einfacher Gesetzesauslegung begnügt und den Haftungsanspruch, auch wenn das nicht befriedigt hätte, mangels Zurechenbarkeit zurückgewiesen. 2. Kollisionsrechtliche Unterscheidung nach den Funktionen der Lehre vom Organisationsmangel im deutschen Recht

Die Beschränkung der Rechtserscheinung auf Deutschland nötigt dazu, ihre Anknüpfung ausgehend von den Funktionen zu suchen, die das deutsche Recht ihr gibt. 2 0 6

199

Insbes. S. 92f. Kasuistik bei Oftinger, zweiter Band, erste Hälfte, S. 105f., Fn. 43, und, neueren Datums, bei Keller, S. 94. 2 i BGE 102 I I 256 (264), Erw. 4, Urt. v. 14.9.1976. 202 In der Literatur spricht man, mit BGE 61 I I 339 (342), Erw. 2, Urt. v. 27.11.1935, gern von „les personnes qui tiennent les leviers de commande de l'entreprise"; so Keller, S. 94. 203 B G H Z 49,19 (20 - 22), Urt. v. 30.10.1967 (Filialleiter einer Auskunftei); ebenso zuletzt B G H , Urt. v. 6.12.1983, NJW 1984, 921 (922) (Filialleiter einer Bank). 2