Die Götter des Zweistromlandes : Kulte, Mythen, Epen
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BRIGITTE GRONEBERG

Die Götter des Zweistromlandes

Brigitte Groneberg Die Götter des Zweistromlandes

Brigitte Groneberg

Die Götter des Zweistromlandes Kulte, Mythen, Epen

Artemis & Winkler

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliothek; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http//dnb.ddb.de abrufbar.

© 2004 Patmos Verlag GmbH & Co. KG Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich Alle Rechte vorbehalten. Druck und Verarbeitung: Clausen & Bosse, Leck ISBN 3-7608-2306-8 www.patmos.de

Inhalt

Vorwort Anleitung zur Benutzung des Buches

9 12

Einführung in die mesopotamische Geschichte

Mesopotamien: Land und Leute Die erste Schrift in Mesopotamien Tradition und Listen Götterwelt und Umwelt

13 20 25 27

Kult und Religion

32 33 35 37 39 43

Spielregeln der Kommunikation mit den Göttern Persönliche Gebete und die Rolle der Mittler Das Wesen des mesopotamischen Götterglaubens Das Götterleben Private und offizielle Religion Tempel und Priester Der Kosmos und der oberste Himmelsgott

Die Kosmologie Der oberste Himmelsgott Anu Ein Preislied auf Anu Seine Söhne und Töchter Die Bedeutung des Anu in der Königsideologie Der Mythos von Anu und Adapa

49 50 52 54 56 57

Der oberste Gott des Landes

Enlil als Herr des ideologischen Konzeptes »Sumer und Akkad« Der Menschenerschaffer im Lied von der Hacke Der Mythos von Enlil, Ninlil und Sud Enlil und Sud Die Schicksalsbestimmung durch Enlil Anzu als Träger der Schicksalstafeln im Anzu-Mythos

58 62 63 65 67 70

5

Götterkarrieren: Der Aufstieg eines Reichsgottes

Ningirsu und Ninurta Die Symbole des Ningirsu bei Gudea von Lagasch Ninurta in religiöser Tendenzdichtung Von Ninurta zu Marduk Marduk im Weltschöpfungsepos »Enuma elisch« und der Zeitpunkt der Niederschrift Gebete an ihn Marduk in Assyrien? Ein Gottesurteil über Marduk

73 76 78 86 92 97 104 106

Assur: Stadt und Gott

Assur ist Assur Der Aufstieg Assurs Seine Herkunft Gebete an ihn

109 111 114 115

Der sanfte Gott Nabu

Nabu: >Berufener< und >Berufender< Der Gott in Mythologie, Hymnen und Gebeten Sein Name Der Schreibergott Nabus Teilnahme an Festritualen

118 122 125 126 127

Der Schöpfergott Enkl

Enki als Erschaffer von Lebewesen Seine Namen Das Apsu Der Schöpfergott und die Göttinnen Der Mythos von Enki und Ninhursag Der Mythos von Enki und Inanna Der Herr der Beschwörungskunst und Weisheit Der besondere Ansprechpartner der Menschheit Der janusköpfiger Botengott

130 135 136 137 138 139 140 143 148

Die Venusgöttin und Ihre Schwestern

Inanna/lschtar und ihr Symbol Eine Symbiose zweier Gottheiten? Die Herrin über die Weiblichkeit und die Männlichkeit

6

150 153 156

Der Antithesen-Hymnus Das Ritual der Verwandlung von Männern in Frauen Die große Göttin Gula Gula und Ischtar Enheduanna, Priesterin des Mondgottes in Ur Der Hymnus Ninmescharra Inannas Gemahl, Dumuzi Inannas Unterweltsgang Inanna in der Unterwelt Inanna und der Gärtner Alle Göttinnen sind: Ischtar

158 159 165 171 173 175 176 181 182 184 186

Die Unterwelt und Ihre Götter

Die Unterwelt der Eliten Der Aufbewahrungsort der Toten Götter und Dämonen der Unterwelt Nergal und andere Erra macht Krieg Der Mythos von Erra, Ischum und Marduk Erra und Nergal

190 194 197 199 200 202 206

Die astralen Gottheiten Sonne und Mond

Die Erfahrung der astralen Mächte Sonne und Mond Aja, die Morgenröte Der Sonnengott läutert in Reinigungsritualen Orakelanfragen an den Sonnengott Der Ort des Sonnengottes Das Licht der Toten Die Sonne begleitet jeden auf seinem Pfad.... Der große Sonnengotthymnus Der Mondgott Hochzeit und Geburt Mythen um den Mondgott Sonnen- und Mondfinsternis und Ersatzkönig

209 211 212 215 216 218 219 221 223 225 229 230

Der Wettergott

Namen und Funktionen des Wettergottes Der Gott der Eingeweideschau Seine Hauptkultorte

232 234 235

7

Ein altbabylonisches Heldenlied an Adad Sein Stiersymbol

237 238

Göttervielfalt und Götterordnungen

Wir wird man zum großen Gott? Die Götter der altsumerischen Könige Das Reichspantheon des Hammurabi von Babylon Die Götterlisten Polytheismus in mesopotamischer Ausprägung

240 241 242 247 252

Anhang

Anmerkungen Verzeichnis der Abbildungen Literaturhinweise Register

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256 265 270 287

Vorwort

Das Anliegen dieses Buches ist es, die wichtigsten mesopotamischen Göttergestalten typologisch zu erfassen und ihre Beziehungen unter­ einander sowie ihre Funktionen dem Leser nahe zu bringen. Ich möchte eine Götterwelt entstehen lassen, die den intellektuellen Reichtum der Völker Mesopotamiens widerspiegelt. Man darf sich die Welt des Alten Orients nicht als homogene menschliche Gemeinschaft vorstellen. Das kann sie in dem histori­ schem Zeitraum von etwa 2600 Jahren, den diese Darstellung um­ fasst, gar nicht sein. Die vielen Reiche, Länder und Stadtstaaten, die in dem geographi­ schen Gebiet des heutigen Syrien und Irak durch ihre schriftlichen Äußerungen lebendig werden, wurden von vielen verschiedenen Völ­ kern bewohnt, die sich in unterschiedlichen Dialekten oder Sprachen äußerten. Fast alle Regionen standen in einem regen Austausch, führ­ ten aber auch kämpferische Auseinandersetzungen. Und dennoch pflegten wahrscheinlich alle diese Völker in dem Kulturraum von Süd- bis Nordmesopotamien einen Kern gemeinsamer Traditionen als schriftliches und mündliches kulturelles Erbe. Die Götterwelt des vorliegenden Buches ist durch meine subjektive Auswertung der Quellen entstanden. Die gesamte Anzahl der viel­ leicht hunderttausend vorhandenen Quellen auszuwerten, war nicht möglich und auch gar nicht mein Ziel, weil ich nur die mir am wich­ tigsten erscheinenden ideologischen oder religiösen Aspekte vermit­ teln will. Eine Reihe meiner Ausführungen entsprechen dem Wissen, das durch die Vorarbeiten meiner Kollegen erarbeitet wurde: Ich habe sie dankbar ausgewertet, ohne dass ich alle diese Quellen in den knappen Anmerkungen zu den Kapiteln nennen könnte. Da die alt­ orientalische Archäologie und Philologie Jahr für Jahr neue Erkennt­ nisse erwirbt und die Bestandsaufnahme längst nicht abgeschlossen ist, sind manche Schlussfolgerungen in diesem Buch deshalb eher als vorläufig zu betrachten. Dieses Buch will keineswegs als eine Religionsgeschichte verstanden werden. Es ist sogar weit davon entfernt. Es erfasst nicht annähernd sämtliche Aspekte eines jeden Gottes, wie es überhaupt nicht jeden der

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vielen Götter vorstellen will. Um verständlich zu bleiben, und um des Überblicks willen, gehe ich oft nicht detaillierter auf die Quellen ein. Auch das Auf und Ab von theologischen Konzepten und religiösen Ideen, das existiert haben muss, kann nur gelegentlich angesprochen werden. Um überhaupt zu Synthesen zu gelangen, habe ich die einzel­ nen und manchmal hunderte von Jahren auseinander liegenden Quel­ len miteinander in Verbindung gebracht und bin davon ausgegangen, dass die kulturellen Verbindungen so viel Gemeinsames hergestellt ha­ ben, dass solche Überbrückungen gerechtfertigt sind. Der Impuls zum Schreiben dieses Buches entstand durch Diskus­ sionen mit Kollegen und Besuchern in den altorientalischen Semina­ ren in Hamburg und Göttingen: Es besteht ganz offensichtlich ein re­ ges Interesse am Alten Orient, an seiner reichhaltigen Literatur, aus der vieles über das Alte Testament und die griechische und römische Welt in den Okzident Einzug hielt. Dank des hohen Grades an Schriftlichkeit in Mesopotamien und seiner Umwelt kann man an der indigenen Interpretation der eigenen Wirklichkeit dieser frühen komplexen Kulturen teilnehmen. Damit gewinnt man einen Einblick in das Leben und Denken der Menschen der allerersten städtischen Kulturen der Menschheitsgeschichte. Im Vorderen Orient selbst dagegen gerieten diese Kulturen für lan­ ge Zeit in Vergessenheit, bevor sie in den letzten 150 Jahren von den Archäologen und Epigraphisten wieder, zum Leben erweckt wurden. Leider sind es nicht diese alten Kulturen, welche die Region in der neuesten Geschichte fast täglich in die Schlagzeilen der Zeitungen ge­ rückt haben. Die gehobene Literatur der Assyrer, Babylonier und Sumerer, die sich im Gebiet des heutigen Irak und Syrien zwischen 3100 und 500 v. Chr. entwickelte, befasst sich fast ausschließlich mit weltanschauli­ chen oder religiösen Themen. Es geht um Rituale aller Art, besonders aber um Anfragen an die göttlichen Mächte und um deren Antwor­ ten, die als Vorhersagen und Ratschläge zur Bewältigung des täglichen Lebens genutzt wurden. Aber daneben existiert auch ein umfangrei­ ches Corpus aus Mythen, Epen und religiöser Lyrik, in dem in poeti­ scher Sprache altorientalische Vorstellungen vom Leben und Wirken der Götter und ihrer Einflüsse auf die Menschen beleuchtet und indi­ rekt kommentiert werden. Besonders attraktiv sind neben den poetischen oder hochliterari­ schen Quellen einige Texte zum Alltag - Briefe und Wirtschaftsdoku-

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mente die über das Leben der gewöhnlichen Einwohner Mesopota­ miens informieren. Königsinschriften andererseits dokumentieren die wichtigsten politischen Ereignisse - und die propagieren die Ideologien der Eliten. Mein Dank gilt Frau PD Dr. Astrid Nunn für wertvolle Hinweise und Anregungen und meinem Kollegen Gebhard Selz, Universität Wien, für seine kritischen und aufbauenden Kommentare. Frau Valeska Hente zeichnete die Abbildungen und leistete noch manch andere Hilfestellung bei der Erstellung des endgültigen Buch­ manuskripts.

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Anleitung zur Benutzung dieses Buches

Da sich das Buch auch an ein allgemeines Publikum richtet, habe ich die fachübliche Schreibung der Buchstaben 5, s und t durch sch, ß und t (ohne Punkt) aufgelöst und in der Regel auch keine Länge oder Kontraktion bei Vokalen angegeben. Um die Lektüre zu vereinfachen, erscheinen die meisten Götter, deren Name sich im Laufe der Jahrtausende veränderte - wie z. B. Gott Enki, der von einer bestimmten Zeit an nur noch als Ea bezeich­ net wurde -, nur unter einem Namen, selbst wenn »Enki« für die spä­ tere Zeit nicht mehr völlig korrekt ist. Eine Tabelle der Götter, die erwähnt werden, folgt nach der Einlei­ tung. Sie soll das Nachvollziehen dieser für Außenstehende kompli­ ziert erscheinenden Schriftzeichen sumerischer und akkadischer Na­ men erleichtern, und gleichzeitig einen Einblick in das Schriftsystem der mesopotamischen Keilschriften gewähren. Da sich die Geschichte des altorientalischen Mesopotamiens nur in der Zeit vor der Zeitenwende abspielt, habe ich auf die Kennzeich­ nung »v. Chr.« verzichtet, auf die Angabe »n. Chr.« jedoch nicht. Eine absolute Chronologie ist in Mesopotamien erst ab etwa 1400 (v. Chr.) gesichert. Alle Zeitangaben davor sind relativ, d. h. meist auf die Länge der Regierungszeiten der Herrscher bezogen (>Hammurabi regierte n Jahre und ihm folgte Samsuiluna, der n Jahre regierte*) und können sich durch neue Forschungsergebnisse noch um viele Jahr­ zehnte verschieben. Bei den Datierungen der Könige wird jeweils nur der Beginn ihrer Regierungszeit angegeben. Die Zeitangaben richten sich nach der »mittleren Chronologie«, die in den meisten gängigen Fachbüchern verwendet wird. Die Zitate in den abgesetzten Textteilen werden bibliographisch nachgewiesen, wobei ich um des Verständnisses und der besseren Les­ barkeit willen die bisweilen sperrigen, aber philologisch genauen Übersetzungen meiner Kollegen verändert habe.

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Einführung in die mesopotamische Geschichte

Mesopotamien: Land und Leute

Das alte Kulturland Mesopotamien lag etwa im Gebiet des heutigen Nordsyrien und Irak. Schon in den Jahrhunderten vor der Zeiten­ wende wurde es von den Griechen mesopotamia »zwischen den Flüs­ sen« (dem Euphrat und Tigris) genannt und auch heute noch be­ zeichnet man damit diese Region. Hier wohnten bis etwa zur Mitte des 2. Jahrhunderts die Völker, die man Sumerer, Babylonier und As­ syrer nennt. Obgleich sie nicht die einzigen waren, die dieses Land besiedelten, spricht man doch fast nur von der sumerischen, babylonischen oder assyrischen Kultur. Und ganz sicherlich prägten die Sumerer, dann die Babylonier und schließlich die Assyrer Mesopotamien ganz ent­ scheidend. Obgleich Schrift auf gebrannten Tontafeln erst gegen Ende des 4. Jahrtausends üblich wird, lebten die noch schriftlosen Gesellschaften seit dem 7. Jahrtausend in Siedlungen von beachtlicher Ausdehnung mit monumentalen Gebäuden, die man als repräsen­ tative Mehrzweckgebäude deutet. Schon gegen 2800 lassen sich zwei verschiedene Sprachen unter­ scheiden. In den sumerisch geschriebenen Quellen findet man viele Fremdwörter, besonders in den Eigennamen, die der semitischen Sprachfamilie angehören. Aus dieser Zeit sind nun die ersten Königs­ inschriften, Götterlieder und Sprichwörter überliefert, während Epen und Legenden über Eroberungszüge von Stämmen und Königen noch fehlen. Dennoch kann man annehmen, dass wohl schon jetzt und vermehrt in den folgenden Jahrhunderten Stamm nach Stamm in das fruchtbare Flussland des Südens, nach Sumer, einwanderte. Wie das Reitervolk der Kassiten, das 400 Jahre lang den Süden des Landes dominierte und dort die Königsmacht stellte (etwa von 1500 bis 1100 v. Chr.), verdingten sich wohl auch anfangs diese Einwande­ rer als Söldner oder in andere Dienstleistungsberufe. Sie adaptierten schnell das elegante Leben in den mesopotamischen Städten, lernten

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viel, vor allen Dingen die dort gängige Sprache und gewöhnten sich an das für sie wohl weitgehend Neue: die Schrift. Auf diese Weise tra­ dierten sie die Errungenschaften der Kulturen, die sie vorfanden. Nur so ist zu erklären, dass sich für die 2600 Jahre schriftlich dokumen­ tierte Geschichte Mesopotamiens ein erstaunlich traditionsreiches und -bewusstes Bild ergibt. Alle einwandernden Völker beugten sich dem Gelehrtenwesen, dem Verwaltungswesen, dem Kultgebaren, der städtischen Kultur, einer Zivilisation, die schon die Sumerer bewusst pflegten. Mit den Einwanderern gelangte nicht nur eine andere Sprache ins Land, auch neue Ideen, aus denen sich neue Kunststile entwickelten, oft angelehnt an die Ausdrucksmittel der schon vorhandenen Kultu­ ren. Die Fremden brachten ihre eigenen Götter mit, die zumeist in die schon bestehenden Kulte integriert wurden. Greifbare Beispiele hierfür sind der Kult der Ischtar, des Nabu, des Adad und vielleicht auch des Marduk, die wir noch ausführlich behandeln werden. Die kulturelle Interaktion der verschiedenen Stämme oder Ethnien entwickelte sich sehr unterschiedlich. Manche Einwanderer, wie die Akkader, die zwischen 2330 bis um 2150 das erste semitisch-spra­ chige Reich auf dem Gebiet der früheren sumerischen Stadtstaaten gründeten, hatten einen großen Einfluss auf die babylonische Kultur nach der Wende zum zweiten Jahrtausends. Sie schenkten ihren Nachfahren die ersten Dokumente des täglichen Lebens in semiti­ scher Sprache. Aufbauend auf dem Know-how der Schreiber, die bis dahin in sumerischer Sprache Geschäftsdokumente und Briefnotizen, Königsinschriften, Hymnen und Sprichwörter formulierten, über­ setzten sie dieses Wissen in das »Akkadische«, wie man heute die erste semitische Schriftsprache nennt. Ihre Pionierarbeit war so dominie­ rend, dass das Sumerische, nach einer etwa hundert Jahre umfassen­ den Phase einer Wiederbelebung (2100 - 2000), als lebendige Spra­ che endgültig verschwand. Ab dem zweiten Jahrtausend waren mit Si­ cherheit umgangssprachlich nur noch akkadische Dialekte wie das Babylonische oder Assyrische in Gebrauch. Das Sumerische starb jedoch keineswegs aus, sondern wurde von den Gelehrten und Gebildeten benutzt und blieb vorerst auch die do­ minierende Sprache des Palastes und offiziellen Kultes. Es hielt diesen Status für viele kultische Bereiche so lange, wie auch die alten meso­ potamischen Kulte in einer persischen oder griechischen Umwelt noch bezeugt sind: bis in das vorletzte Jahrhundert vor der Zeiten-

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wende. Die letzte Keilschrifttafel, eine Urkunde, stammt aus dem Jahr 142 nach Christus. Erst zu Beginn des zweiten Jahrtausends wird eine größere Anzahl von sumerischen Erzählungen aufgeschrieben - fast gleichzeitig mit den wenigen ersten akkadischen Dichtungen. Dies geschah auch mit der Mehrzahl der Kultlieder, der Hymnen und Gebete. Nur die Kö­ nigsinschriften sind in größerer Zahl in sumerischer Sprache schon vor der Mitte des 3. Jahrtausends bezeugt. Auch Beschwörungen wur­ den in sumerischer Sprache etwa ab der Mitte des 3. Jahrtausends aufgezeichnet - in akkadischer Sprache aber erst unter den Herr­ schern von Akkad, die ab 2330 regierten. Da ab dem 2. Jahrtausend die Briefe gewöhnlicher Leute, aber auch die von Funktionären und von Königen in einem der akkadi­ schen Dialekte, entweder Babylonisch oder Assyrisch, verfasst wur­ den, darf man schließen, dass damit die Umgangssprache der Ein­ wohner des Landes schriftlich festgehalten wurde. Die zahlreichen umgangssprachlichen Schriftdokumente verweisen auf einen hohen Bildungsstand in der Bevölkerung. Die Verwendung der Umgangs­ sprache zeigt auch das Bedürfnis einer Schicht von Gebildeten, dem Volk Traditionen und Kulte näher zu bringen. 15

Zeit v. Chr.

Herrscher

Epochen

4500

Obed-Zeil

4000

Uruk-Zeil

Babylonien

Assyrien

3500

3000 Friibdynastiscbe Zelt (ab etwa 2800)

Umansche (Beginn der Königsinschriften) Eanaium v. Lagasch

2500

2000

Altsumeriscbe Zeit (ab 2500)

Altakkadtecbe Zelt (ab 2350)

Sargon v. Akkade (2334-2279) Naron-Sin (2254-2218)

Ur-111- Zelt (ab 2100)

Umanma v. Ur (2112’ 2095) Schulgi (2094-2047)

FrÜhallbabylouischc Zell (ab 2000) Allbabyloniache / Allassyrlscbe Zelt (ab 1850)

Sumuiael v. Babylon (1880-1845) Hammurobi (1792-1750)

Gudea v. Lagasch (2122-2102) Ischbi-Erra v. Isin (2017-1985) Iddin-Dagan (1974-1954) Ischme-Dagan (1953-1935) Rim-Sin Schamschi-Adad v.Larsa (1813-1781) (1822’1763)

Kaasiten-Zeit (ab 1570)

1500 Mittelbabylonische/ Mittelassyrische Zelt (ab 1400)

Assur-ubailit I (1365-1328) Bumaburiasch II (um 1350)

Tukulti-Ninurta I (1243-1207) Memdachbaladan l (1173-1161)

Tiglaipilesar 1 (1115-1077)

Nebukadnezurl (1126-1105)

1000 Neuaasy rieche / Neubabylonische Zeil (ab 900)

AchAmenlden* («Perser-) Zeit (ab 559)

Nabupolassar (626-605) NebukadnezarU (604-562) Nabonid (556-539)

Kyros I v, Persien (640-600) Kyros II (559-530)

Sargon II (721-705) Sanherib (704-681) Assurhaddon (680-669) Assurbanipal (668-631) Assur-ubailit II (611-609)

500

Abb. 2) Zeitleiste; mit ausgewählten Angaben nach den Erläuterungen im Text

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Der Vormarsch des Babylonischen und Assyrischen als Amts- und Umgangssprachen war nicht mehr aufzuhalten. Um die Mitte des 2. Jahrtausends übernahm ein neues Volk mit einer ganz anderen Sprache, die Kassiten, die Herrschaft. Doch ihr Einfluss auf das alte Kulturland ist viel schwieriger einzuschätzen. Zwar manifestiert sich in Bauwerken und Kleinkunst, den Rollsiegeln und Reliefs, ein neuer Stil, im Wesentlichen scheinen die Kassiten aber die schon vorhandenen organisatorischen und kulturellen Ein­ richtungen übernommen zu haben. Schriftzeugnisse aus den ersten Jahrhunderten ihrer Herrschaft sind bisher äußerst spärlich. Ihre eigene Sprache manifestiert sich nur in ganz wenigen Texten, in denen als neues Motiv die Pflege und Aufzucht von Pferden vor­ kommt. In einer Auflistung von Götternamen stellen sie ihre eigenen Götter neben die alten sumerischen und akkadischen Götternamen. Die Kassiten scheinen sich der vorgefundenen Schriftkultur völlig an­ gepasst und das alte Kulturland als so ehrfurchtgebietend und faszi­ nierend empfunden zu haben, dass sie - jedenfalls nach dem gegen­ wärtigen Forschungsstand - auf ihre Sprache als Schriftsprache weit­ gehend verzichteten. Und dennoch äußert sich das Bewusstsein ihrer Andersartigkeit und ihrer eigenen politischen Identität in der Beibe­ haltung der meisten kassitischen Königsnamen. Wie schon beim Entstehen des ersten akkadischen Reiches gegen 2300 lässt sich auch die kassitische Herrschaft - vielleicht schon ab etwa 1500 - als Anpassung an eine schon vorhandene Kulturland­ schaft begreifen, ohne dass dieses Mal die kassitische Sprache als eine weitere Sprache neben dem Sumerischen und Akkadischen Fuß fas­ sen konnte und ohne dass ein eigenständiger kassitischer Einfluss auf die Kulturlandschaft richtig greifbar wird. In der gesamten Region versuchten immer wieder neu einströ­ mende Völker, den vorgefundenen kulturellen Reichtum zu nutzen. Bekämpft wurden zwar einzelne Städte, Stämme oder auch Könige, mit ganz wenigen Ausnahmen aber nicht die kulturellen Institutio­ nen. Ein Reich, das unter dem Namen Elam bekannt ist und im Ge­ biet des heutigen Iran lag, und das selbst seit dem Beginn des 3. Jahr­ tausends zu den hochentwickelten Schriftkulturen zählt, befand sich fast bis zum Ausgang des neuassyrischen Reiches im 7. Jahrhundert in einer ständigen militärischen Auseinandersetzung mit Mesopota­ mien. Die Elamiter raubten mehrmals mesopotamischen Städten ihre hervorragenden Götterbilder und Stelen: Die babylonischen und as­

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syrischen Könige holten sie stets wieder zurück. Die Elamiter gaben diesen Bildern einen Ehrenplatz im Tempelbezirk ihres eigenen Got­ tes. Sie zerstörten also die religiösen Kunstwerke nicht, sondern be­ wahrten sie und verehrten sie vielleicht sogar. Auch die Assyrer, die etwa ab 1400 im Norden des Landes ein Reich formten und sich ausbreiteten, bis sie um 700 fast den gesam­ ten Vorderen Orient beherrschten, akzeptierten die alten gewachse­ nen sumerisch-babylonischen Traditionen und betrachteten sie als ihr eigenes Erbe. Wie schon ihre Vorgänger schrieben sie Altes traditi­ onsbewusst ab. Eine Standardphrase in den Unterschriften der Ritua­ le, Hymnen und Erzählungen, die ihren Weg in die neuassyrischen Städte gefunden haben, ist: »Gemäß seinem Original geschrieben und kollationiert (d. h. nachgeprüft)«, worauf die namentliche Unter­ schrift des Gelehrten oder Schreibers folgt. Das geschriebene Wort ist in Mesopotamien Wiedergabe und gleichzeitig Deutung des Denkens dieser Menschen. Denn Siegel-, Vasen- oder Reliefbilder sind zwar auch Zeugnisse intellektueller Prozesse, sie können aber nur aufgrund schriftlicher Informationen sicher gedeutet werden. Schrift aber beherrschten nicht alle. Sie ist äußerst exklusiv. Diese Exklusivität erzeugt auch ihren magischen Charakter. Fluchformeln der Königsinschriften verdammen denjenigen, der »diese Inschrift tilgt oder in seinem eigenen Namen umformuliert« zur lebenslangen Kinderlosigkeit. Unter einigen der religiösen Texte findet man die Notiz, dass dieser Text zum »Geheimwissen« gehörte. Nur einer der assyrischen Könige versuchte in einer zornigen Akti­ on, den Kult des Marduk in Babylon und die Stadt Babylon völlig auszulöschen. Diese Tat schien sich zu einem Trauma für seinen Nachfolger entwickelt zu haben, so dass sich auch an diesem Beispiel bestätigt, dass die vorgefundenen kulturellen Traditionen als schüt­ zenswert und manchmal gradezu heilig galten. Auf diese Weise werden alte, schon fast vergessene Götterkulte über die Jahrhunderte weitergeführt und neben allen Neuerungen zumindest namentlich erinnert. Kultiviert werden sie durch eine Symbiose mit den neuen religiösen Manifestationen des Göttlichen. Beispiele hiervon sind der Kult der Venus-Gottheit (Inanna-Ischtar), der Kult des Unterweltgottes (Nergal-Erra) und des Wettergottes (Adad). Wir werden noch sehen, dass auch der Gott Marduk mit 18

einem einheimischen babylonischen Gott Asaluhi verbunden wurde. Essenzielle Weltanschauungen, wie z. B. die Sicht der Unterwelt, blei­ ben mit geringfügigen Änderungen bis weit in das erste Jahrtausend erhalten. Ein Beispiel dafür ist der Mythos vom Abstieg der Göttin Inanna-Ischtar in die Unterwelt, der teilweise aus dem Sumerischen des frühen 2. Jahrtausends in das Akkadische des 1. Jahrtausends übersetzt wurde. Dieser Mythos wird in der jüngeren Fassung gering­ fügig modernisiert: Die Göttin Inanna heißt in der akkadischen Fas­ sung nun Ischtar und der Schöpfergott Enki wird nur noch Ea ge­ nannt. Die Unterweltbewohner, die in der älteren sumerischen Fas­ sung noch wie Menschen sind, werden nun wie dämonenartige Vögel beschrieben. Der Erzählstrang des Mythos entspricht in der kürzeren jüngeren Fassung der sumerischen Vorlage, die teilweise ziemlich wortgetreu ins Akkadische übersetzt wurde. Ganz ähnlich werden auch die Episoden des Gilgamesch-Epos, die über die Unterwelt berichten, über Jahrhunderte hinweg aus dem Sumerischen übersetzt und in mehreren Text­ zeugnissen in einer aktuellen »modernen« Sprache mit dem gleichen Inhalt bewahrt. Die wechselnden Herrschaf­ ten auf mesopotamischem Bo­ den und das Weiterführen des kulturellen Erbes erwecken den Eindruck eines beharrenden Tra­ ditionalismus allen Wissens, das die Menschen an diesem Ort der Welt in den ersten Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte ent­ wickelten. Sie nutzten das Wis­ sen durch Adaption ihrer neuen Werte an die alten. Selbst im 1. Jahrtausend, in dem das Aramäi­ sche sich als Umgangssprache durchgesetzt hatte, und wo ne­ ben dem assyrischen König nicht nur der Schreiber mit Keil­ schriftgriffel und Tontafel, sonAbb. 3) »Zwei Schreiber am Hofe«

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dem auch der aramäische Schreiber stand, verfasste man noch neue Hymnen, Gebete und Erzählungen nach traditionellem Muster. Die erste Schrift In Mesopotamien

Seit dem 7. Jahrtausend benutzte man im Vorderen Orient Stempel, deren Siegelflächen zuerst mit geometrischen Mustern, dann auch mit Tieren und menschenartigen Figuren verziert waren. Sie dienten der Identifikation von Eigentum. Etwa gegen 3400 kamen runde längliche Siegel auf, die auf Tonverschlüssen von Körben oder Ge­ fäßen abgerollt wurden, die »Rollsiegel«. Auf ihnen gravierte man ganz verschiedene Motive ein. Neben Tierkampfszenen, in denen Löwen wilde Tiere reißen, sind auch Jagdszenen zwischen Mensch und Tier üblich. Andere Szenen enthalten neben Tieren und Men­ schen bauliche Elemente, die man als Kultsymbole und Kultgebäude deuten könnte. Auch kriegerische Motive, wie gefesselte Gefangene, die einem Mann zugeführt werden, sind Themen dieser kleinen be­ wegten Bilder. Es gab auch statische Darstellungen aus heraldischen Motiven mit einer kunstvollen symmetrischen Aufteilung des Bildes durch Pflanzen und auf den Hinterbeinen stehenden Tieren. Jedes dieser Siegel scheint Eigentumsmerkmal eines Individuums oder Repräsentanten einer Gruppe zu sein. Die Szenen zeigen eine Gesellschaft, die wilde Tiere wie Gemsen und Wildschweine jagt, Horntiere weidet, eine Herrschaftsperson zu haben scheint und Gebäude mit Symbolen besaß, zu denen Prozessionen führten. In der Zeit, in der die­ se Siegel entstanden (ab 3400), begann man in großem Um­ fang im Süden Mesopotamiens zu siedeln. Schon vor der Entwicklung der Keilschrift wurden an ver­ schiedenen Orten Mesopota­ miens und des iranischen Hochlandes kleine Tonkegel in ganz unterschiedlichen geometrischen Formen ange­ fertigt, die zum Teil durch Ritzungen verziert waren und zum Teil wie Amulette gelocht Abb. 4 a) Tokens/'Zählsteine

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wurden. Die Ritzungen ähneln in der Formgebung manchen der ers­ ten Keilschriftzeichen, geben aber keinen weiteren Hinweis auf ihre Bedeutung als Begriffs- oder Schriftsymbol. Kurz bevor die ersten richtigen Tontafeln mit Schrift auftauchten, werden ähnliche Gebilde in dicke Tonklumpen eingeschlossen. Sie werden von außen mit Rollsiegeln gesiegelt und noch mit anderen Zeichen versehen, die den eingeschlossenen Tonzeichen ähneln können. Die dicken Klumpen dienten ebenso wie Tontäfelchen mit Zeich­ nungen, so genannte »tags«, als Siegel und »Lieferscheine«. Sie hingen an den Verschlüssen der Töpfe und Verpackungen der Waren, die im Nah- und Fernhandel versandt wurden. Obwohl die figürliche Darstellung von Gegenständen und Tieren auf den Rollsiegeln gang und gäbe war, wurden schon in der frühes­ ten Zeit abstrakte Kürzel verwendet, um Zahl und Art der Handels­ güter anzugeben. So hatte man mehrere Symbole für das Maß der verschiedenen Getreidesorten und andere für die verschiedenen Tie­ re. Mit diesen Verbuchungsvermerken hatte man den Schritt von der bildhaften Darstellung zu einer konventionierten, von einer Gemein­ schaft Gleichgesinnter anerkannten, symbolhaften Darstellung voll­ zogen. Dieser Fortschritt zeigt sich auch auf den fast gleichzeitig entstan­ denen ersten Keilschrifttäfelchen, auf denen man Maßangaben für Getreide, öle oder Tiere notierte. Alle diese frühesten Tafeln dienten nur dem Buchungswesen und Handel. Annähernd parallel zu den ersten numerischen Tafeln entstanden Schrifttafeln, die andere Sachverhalte als Han­ delsware und Kalkulationen wiedergeben. Hier verwendete man eine Schrift mit Piktogrammen (Bildzeichen), aus der sich im Wesentlichen die jüngeren Keilschriftzeichen entwickelt haben. In den Bildzeichen kann man verschiedene Dinge wieAbb. 4 b) Token und Eindruck dererkennen, die auch auf Sie-

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geln oder Reliefs abgebildet werden. Manche dieser Zeichen findet man in ganz abstrakter Form in den jüngeren Zeiten wieder. Bei an­ deren dieser Zeichen kann man trotz des leicht abstrahierten Bildes nachvollziehen, für was das Zeichen stehen sollte, und so seine Be­ deutung zumindest vermuten. Die kleine Zahl 3 hinter diesem Zeichen bedeutet, dass es das drit­ te Zeichen musch ist, es gibt noch zwei weitere mit diesem Lautwert. Aber nur das Zeichen musch} steht für einen ganz bestimmten Sach­ verhalt. Manche Begriffe werden aber durch Zeichen wiedergegeben, deren Symbolgehalt erst noch entschlüsselt werden muss. Ein Beispiel ist das Zeichen musch^ für die Göttin Inanna, das zu mehreren Interpre­ tationen Anlass gab. Sollte es ein zeremonielles Kopftuch symbolisie­ ren oder eine gebundene Strohgarbe? Wie dieses harren viele der nicht dinglichen Bildzeichen noch der Identifizierung und, wenn sie nicht mit den schon bekannten jüngeren Formen der Keilschriftzei­ chen identifiziert werden können, selbst einer ersten vorsichtigen Deutung. Bisher wurden etwa 1900 einzelne Bildzeichen dieser archaischen Schrift gesammelt. Im 1. Jahrtausend unterscheidet man etwa 700 einzelne Keilschriftzeichen. Die erste archaische Schrift gibt keinen Hinweis auf die Sprache, die ihr zugrunde liegt. Manche Keilschriftforscher gehen davon aus, dass sie weder für die Sumerer noch für die Akkader erfunden wurde und daher die geistige Leistung einer ganz anderen Bevölkerungs­ schicht darstellt, die bisher nicht identifiziert werden konnte. Die Ar­ chäologen hingegen betonen die Einheitlichkeit und Kontinuität der ikonographischen und architektonischen Hinterlassenschaften in den Siedlungen von Süd nach Nord seit dem 7. Jahrtausend. Sie vermu­ ten, dass die Sumerer schon lange vor dem Ende des 4. Jahrtausends das Zweistromland bevölkerten. Sie wären dann die Erfinder der Schrift - es sei denn, sie hätten sie von auswärts importiert. Elemente der sumerischen Sprache hat man jedoch erst auf Tafeln aus der Zeit der ersten Dynastie von Ur (zwischen 2900 und 2800) erkennen können. Die Bildzeichen werden in dieser Zeit abstrakter und sind nicht mehr ohne Weiteres in ihrem Bildgehalt zu erkennen. Sie werden nun auch für gleich lautende grammatische Elemente verwendet. Damit wird die Bilderschrift zu einer Lautschrift, die in einem bestimmten

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Ideoyamin

Abstrahierte Keibchriftzeichen

Logogramme

(= Wortzeichen)

(- Büdzochen)

4^

Bedeutung

at>2

Kuh

gll4

Stier

dug

Gefäß

Göttin inanna Inanna (= ischtar) (= Ischtar)

*

«4

dingir/ an

Gott/ Himmel

Abb. 5) Keilschriftzeichen und ihre Bedeutung

Umfang die Silben der gesprochenen Sprache wiedergeben will. Jetzt kann eines der Keilschriftzeichen ein ganzes Wort (mit der ganzen Bandbreite seiner Bedeutungen) meinen oder auch ein grammati­ sches Element. Die eigentliche Deutung und Lesung des Zeichens er­ gibt sich erst beim Verstehens des Textes. 23

Das soll durch ein Beispiel erläutert werden:

T1 Das Keilschriftzeichen En ist das sumerische Wort en, welches »Herr« heißt. En als grammatisches Element ist z. B. in der Endung der su­ merischen Verbform: »... me-e n: ... bin i c h« bezeugt. Spätestens seit 2600, seit den Archiven aus der Stadt Fara, kommen in den Texten außer dem Sumerischen auch eine Reihe semitischer Wör­ ter vor. Neben einer sumerisch sprechenden scheint es nun eine semi­ tisch sprechende, vorakkadische Bevölkerung zu geben, die nicht näher bestimmt werden kann. Sie nahm offenbar gleichberechtigt an der sehr komplexen städtischen Kultur des südlichen Zweistromlandes teil. An einigen wenigen semitischen Lehnwörtern in den Texten und natürlich auch den Eigennamen kann man erkennen, dass auch sie ih­ re Sprache mit den schon vorhandenen und vererbten Möglichkeiten der Keilschrift zu verschriften beginnen.

T2 Das Akkadische und die vielen anderen Sprachen: Im 2. Jahrtausend brechen in immer neuen Wellen Einwanderer in Mesopotamien und Nordsyrien ein. Außer den Westsemiten streben nun auch kassitische, hurritische und hethitische Völkerschaften in das Kulturland. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und Kultur nutzten sie aber alle die syllabische Keilschrift der Mesopotamier. Nur die Ugariter, die um 1300 an der heutigen nordsyrischen Küste zwischen Hethitern, Hurritern und Ägyptern wohnten und wie diese bemüht waren, das nordsyrische Handelsgebiet zu beherr­ schen, erfanden eine eigene Schrift. Sie entwickelten ein eigenes Zeicheninventar aus Konsonanten­ zeichen, das wir heute die »ugaritische Schrift« nennen. Die meso­ potamische Keilschrift blieb stattdessen immer eine reine Silben­ schrift, die Konsonanten und Vokale nicht voneinander trennte: der Name Ugarit z. B. konnte in der syllabischen akkadischen Schrift nur als u + ga + ri + it umschrieben werden. Aber auch die Ugariter notierten noch Bezeichnungen, Begriffe oder ganze Verbformen der Einfachheit halber mit komplexen Wort­ 24

Zeichen (Logogrammen), die ursprünglich dem Sumerischen ent­ lehnt wurden. Das Akkadische ist in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausend im gesamten Vorderen Orient als Diplomatensprache in Gebrauch. Alle Völker verwendeten das Schreibmedium der Me­ sopotamier, den dreieckigen Griffel, der nach Eindruck in den feuchten Ton die typische Form der Keilschriftzeichen hervorruft. Gelehrte Keilschriftschreiber übersetzten für die Einheimischen Texte aus allen diesen Kulturen und hielten auch die Quellen der Sumerer und Akkader in fremden Sprachen fest. Sie fertigten dreioder viersprachige »Wörterbücher« an, in denen neben dem Keil­ schriftzeichen und dem sumerischen Wort auch das hurritische und akkadische Wort aufgezählt wurden. In einer dreispaltigen Lis­ te führte man das sumero-akkadische Zeichen neben dem hurritischen und ugaritischen Wort auf. Tradition und Listen

Als man gegen Ende des 3. Jahrtausends im Süden des Irak begann, Handelsvorgänge auf den Keilschrifttafeln aus Ton zu verbuchen, wurden Getreide, Kleider oder auch Tiere und andere Güter, die man bis in weit entlegene Gegenden, zum Beispiel bis nach Nordsyrien, exportierte, sorgfältig schriftlich notiert. Obgleich die Chronologie nicht ganz gesichert ist, könnte es sich um die ältesten überlieferten menschlichen Schriftzeugnisse handeln: Ab jetzt beginnt die ge­ schichtliche Zeit der Menschheit. Nun entwickeln Menschen ein ge­ meinschaftliches, kulturelles Gedächtnis, das sich schon sehr bald nicht nur in Listen von Handelsgütern, sondern auch in Listen von Tieren, Orten, Pflanzen, Manufakturprodukten und Berufen äußert. Fast ein Zehntel (etwa 600) der etwa 5800 archaischen Tafeln aus den frühgeschichtlichen Schichten im südbabylonischen Uruk (um 3100) sind solche Listen, die man lexikalische Texte nennt. Seit dieser frühesten Zeit der Schriftgeschichte halten mesopota­ mische Schreiber Dinge des täglichen Lebens, aber auch Informatio­ nen zu Institutionen, kurze Zeit später auch ideelle Begriffe und Ideen, wie Götter, in Listenform fest. Alles Existierende, was für wich­ tig genug erachtet wurde, aufgeschrieben zu werden, ordnete man in diesen Listen nach ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten: Mal war die Form der Keilschriftzeichen ausschlaggebend, mal eine lautliche Assoziation, und dann wieder die sachliche oder ideologische Norm. 25

In einer der allerersten dieser Listen aus der Stadt Uruk (um 3000) werden eine Anzahl von Berufen aufgeführt, die in einem jüngeren lexikalischen Text aus dem Ausgrabungsort Fara (um 2600) auch wie­ der auftauchen. Es sieht also ganz so aus, als ob schon das früheste Zeugnis des Listenwesens einen Standard setzte. Diese Liste von Be­ rufen, die Lu »Mann« genannt wird, schrieben die mesopotamischen Gelehrten bis weit in das erste Jahrtausend immer wieder ab und erweiterten und aktualisierten sie. Obgleich man noch nicht jeden Eintrag in der frühesten und bisher ersten Liste aus der Stadt Uruk versteht, könnte die Reihenfolge der genannten Berufe schon eine hierarchische Ordnung enthalten. Gleichzeitig mit seiner Aufnahme in die Listen ist ein Schriftzei­ chen genormt. Es wird in einer bestimmten Form mit einer festen Be­ deutung benutzt. Die Zeichenform ist nun für einige Zeit verbindlich, verändert sich aber in den Jahrhunderten danach immer wieder. Oh­ ne seine alte Bedeutung zu verlieren, gewinnt das Keilschriftzeichen auch neue »Lautwerte«, die in etwa der Aussprache entsprechen dürf­ ten, hinzu. Die Schriftzeichen werden »modernisiert« und das lautli­ che Inventar wird erweitert. Die nächste Generation von Schreibern nutzte diese Listen zum Nachsehen und Lernen. Sie schrieben sie ab und überlieferten sie den Nachgeborenen. Erst am Ende des 3. Jahrtausends werden die Listen mehrspaltig. Die Aufzählungen werden durch nähere Erklärungen ergänzt. Ein Schriftzeichen steht nicht mehr allein, sondern andere Zeichen in der Spalte daneben geben die verschiedenen lautlichen Entsprechungen und Aussprachen des Zeichens an. Ein anderer Typ von Listen führt begriffliche oder wörtliche Ent­ sprechungen von Keilschriftzeichen auf. Zum Beispiel wurde das Keilschriftzeichen musch} in der Spalte daneben durch eine Zeichen­ folge i-na-an-na wiedergegeben. Während musch} der Name des Keilschriftzeichens ist, ist Inanna der Name der sumerischen VenusGöttin. Nachdem im 3. Jahrtausend die Akkader mit einer neuen Sprache, dem semitisch-akkadischen Dialekt, im Land die Herrschaft stellten, ergänzte man die Liste um den neuen Wortschatz. Das Zeichen musch3, das später noch näher erklärt wird, wird nun auch mit der Zeichenfolge isch-tar verbunden. Isch-tar ist die akkadische Bezeich­ nung für die Venus-Göttin Inanna.

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So nehmen ab dem 2. Jahrtausend zweisprachige sumerisch-akkadische Listen immer mehr zu, in denen die sumerische Grammatik bereits durch akkadische Formen erläutert werden muss. Mit anwachsendem und komplexerem Wissen werden alle Zeichen nacheinander aufgeschrieben, mit denen das gleiche Wort geschrie­ ben wird. Auch Synonyme werden jetzt verzeichnet. Wörter aus anderen als der akkadischen und sumerischen Sprache werden in besonderen Listen aufgenommen. Aber die Listen sind auch anwen­ dungsorientiert zusammengestellt und werden wie heutige Wörter­ bücher und Nachschlagewerke verwendet: Nur in den Gebieten mit hethitischem Einfluss entstehen Listen, die den sumerischen und akkadischen Wörtern das Hethitische zuordnen, während hethitische Spalten im Süden gar nicht vorkommen, da diese Sprache für dieses Gebiet ohne Belang ist. Die umfangreichen Listen zeigen auf anschauliche Art, was zum allgemeinen Kulturgut eines Gebietes gerechnet wurde, welche Höl­ zer es gab, welche Manufakturen unterschieden wurden, welche Lie­ der gesungen wurden und welche Priesterklassen bekannt waren. Ebenfalls seit dem 2. Jahrtausend ist der Aufbau der meisten Listen in großen Zügen genormt. Es gibt schon bald Kommentarlisten zu diesen standardisierten Listen, um den Inhalt, der schon wieder zu fremdartig geworden zu sein scheint, nochmals durch andere Wörter und Begriffe zu erläutern. Diese Listen dienten wohl hauptsächlich als Gedächtnishilfe für die Schreiber oder Gelehrten. Sicherlich war es aber auch ihre Aufgabe, Kenntnisse nicht nur zu bewahren, sondern zu ordnen. Denn was jetzt in die Listen Einzug hielt, gehörte wieder zu den neuen Normen des Wissens. Das Alte wurde dabei nicht generell abgeschafft, sondern das Bewahrenswerte durch die Gleichsetzung mit den neu aufgekomme­ nen Deutungen, Wörtern und Begriffen erklärt und erweitert. Götterwelt und Umwelt

Im Süden Mesopotamiens bestanden im 3. und 2. Jahrtausend städ­ tische Kulturräume mit teilweise tausendjähriger Tradition. Innerhalb der Stadtmauern und im Umfeld dieser Städte sind auch bäuerliche Lebensformen möglich und üblich. Denn aus der Produktvermark­ tung in den Städten entsteht ein reger kultureller Austausch. Das Handwerk, das nach Handwerksarten geordnet in den einzelnen

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Stadtgebieten zu leben scheint, produziert Lederwaren, Keramik, Schmuck, Textilien, Wagen, Türen, Möbel und Handwerkszeug aus der Wald-, Feld- und Viehwirtschaft und den importierten Edelwa­ ren. Zweifelhaft bleibt, ob auch Lebensmittelprodukte arbeitsteilig für die städtische Bevölkerung aufbereitet wurden - als Brote, Fleisch­ speisen, Kuchen und Suppen, die man erwerben konnte, oder ob die­ se Verarbeitung den einzelnen Häusern vorbehalten blieb. Das Bier jedenfalls, ein Grundnahrungsmittel der Mesopotamier, konnte in Schenken geordert und genossen werden. Wie weit eine bäuerliche Bevölkerung außerhalb der Städte unbe­ helligt leben konnte, wird nicht ganz deutlich. Da in anderen Quellen die Angst vor dem Da-Draußen, dem Ödland außerhalb der Städte und Gärten, auf viele Weise geäußert wird, kann man davon ausge­ hen, dass solche einsamen Siedlungen, wenn sie weiter entfernt von den Städten lagen, zumindest befestigt waren. Ortsnamen, die mit dem Element dimtu »Turm, Befestigung« oder »Mauer« + Personen­ name gebildet werden, lassen vermuten, dass einzelne Siedlungen aus Familienverbänden bestanden. Für manche Epochen, wie für die »Nuzizeit« (gegen 1400) lässt sich diese Annahme bestätigen. Ob die­ se Siedlungen ein eigenes religiöses oder herrschaftliches Zentrum besaßen, oder ob sie sich an der Stadt ihres Einzugsgebietes orientier­ ten, bleibt jedoch offen. Während so städtische und bäuerliche Lebensformen sicherlich ei­ ne enge Zweckgemeinschaft bildeten, ist als weitere, dritte Lebens­ form die nomadische Lebensweise regional bedeutend. Sie dominier­ te den mesopotamischen Norden, in dessen Steppen auch größere Herden weideten. Die Stämme betrieben die Weidewanderwirtschaft. In dieser halbnomadischen Lebensform zog ein Teil des Stammes mit den Herden in gute, wahrscheinlich auch wechselnde Weidegebiete, ein anderer Teil blieb in den Ortschaften. In der altbabylonischen Zeit formte die Stammeskultur oft das Rückgrat der Herrscherhäuser. Auch bei den Halbnomaden spielten die Städte als politische Macht­ zentren folglich eine große Rolle. In ethnologisch orientierten Religionsanalysen wird die These ver­ treten, dass bei Hirtenvölkern astrale Phänomene als Gottheiten im Vordergrund standen und weniger Pflanzen oder Bäume zu Göttern erhoben wurden. In bäuerlichen Gesellschaften sind Götter dagegen oft Pflanzen oder Wetterphänomene. In Babylonien und Assyrien sind aber alle diese verschiedenen Göttertypen zu Hause: Da ist Nisa-

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ba, vielleicht eine ehemalige Getreidegöttin, schon im 3. Jahrtausend auch die Patronin des Schreibens. Der Wettergott Adad beherrscht Regen und Sturm, Dumuzi ist ein Hirtengott, und einer der Aspekte der Inanna (oder Ischtar) ist der einer Fruchtbarkeitsgöttin, die für die Fortpflanzung auf der Erde sorgt. Hinzu kommt der Sonnengott Schamasch, der sich wie der Mondgott Sin in einer astralen Form manifestiert und Richter- und Weissagungsgott ist. Neben ihnen existiert noch eine große Anzahl weiterer Göttergestalten, wie die vie­ len Götternamen belegen. In den meisten Quellen ordnet man den Göttern Funktionen zu, die eher den Lebensbedürfnissen einer städtischen Bevölkerung ent­ sprechen. Zu den Göttern, die zu diesem letzten Typus gehören, ist der Gott Nabu zu rechnen, der als Weisheits- und Schreibergott ein typischer Stadtgott ist. Auch Kulturbringer gehören zu städtischen Lebensformen wie der Gott Enki, und in einem erweiterten Verständ­ nis von städtischen Gesellschaften die Landes- und Reichsgötter: Enlil, Marduk und Assur, aber auch heldenhafte Stadtgötter wie Ningirsu und Ninurta. Diese und andere Götter können schon in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends ziemlich komplexe Wesen sein. Archäologische Grabungen förderten aus der vorgeschichtlichen Zeit Monumentalbauten mit zum Teil gewaltigen Ausmaßen zu Tage, die aufgrund ihrer Architektur als Tempel galten, heute aber vorsich­ tiger als zentrale Multifunktionsbauten für die Bevölkerung der Sied­ lungen und ihrer Einzugsgebiete gedeutet werden. Kleinere Siedlun­ gen im Umfeld der größeren Städte waren immer vorhanden und deuten auf die Anziehungskraft der Zentren. In den zentralen Gebäu­ den wurde oft gar nichts gefunden, keine religiösen Objekte und schon gar keine eindeutigen Götterbilder. Schmuck und die Ausstat­ tung von Götterstatuen lässt sich aber durch - oft poetische - Anga­ ben in den Textzeugnissen erschließen. Da die kostbaren, mit Edel­ metallen verzierten Götterbilder in keiner Epoche in situ gefunden wurden, sind sie vermutlich geraubt, für andere Zwecke benutzt, oder schlichtweg an anderer Stelle aufbewahrt worden. Das religiöse Leben der Menschen in den vor- und frühgeschicht­ lichen Epochen entfaltet sich nur durch die moderne Interpretation der Architektur, der Bilder auf Siegeln oder Wänden oder durch Plas­ tiken, ohne dass auf die Deutung dieser Gegenstände durch die Me­ sopotamier selbst zurückgegriffen werden kann.

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Aber in frühgeschichtlicher Zeit (etwa ab 2900) lassen sich erste Schlüsse über die Namen der Götter aus Wirtschaftstexten, Listen und bald auch aus den Personennamen ziehen. Seit es Königsin­ schriften gibt (ab 2600), gewinnen die Götterpersonen Profil und re­ ligionspolitische Bedeutung. Jedoch fehlen noch immer Mythen und Legenden, welche sich mit den religiösen Vorstellungen beschäftigen. Das flache Land Mesopotamiens war für die Archäologie immer äußerst schwierig zu erkunden, denn die meisten Siedlungsplätze der Ebenen wurden zerstört. Siedlungsreste verwehten, wenn sie nicht durch immer währende Überbauung eher zufällig bewahrt blieben. Da mindestens seit dem 3. Jahrtausend Zentren mit einem größeren Einzugsgebiet von Gärten und weiteren kleineren Ansiedlungen be­ zeugt sind, tritt aus archäologischen und schriftlichen Quellen das Bild eines formellen, zeremoniellen Miteinanders vieler Menschen hervor. Alle Ideen, Analysen und Auswertungen, die in diesem Buch for­ muliert werden, entwerfen somit nur ein Bild der Götter in den städ­ tischen Kulturen des Zweistromlandes. Alle sicherlich vorhandenen anderen Erscheinungsformen in Feld und Land bleiben uns ver­ schlossen.

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Abb. 6) Götter und ihre Schreibweise

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Kult und Religion

Spielregeln der Kommunikation mit den Göttern

Widerfuhr einem Menschen, ob König oder normaler Einwohner, ein Unglück, so verstand er dieses Leid als Strafe für ein bewusstes oder unbewusstes Vergehen. Unglück resultierte im mesopotami­ schen Denken immer aus einer Schuld, selbst aus einer Schuld, die im Zustand des Unwissens begangen wurde. Um sich von dieser Sünde zu befreien, d. h. eine bewusst oder unbewusst begangene Verfehlung wieder gutzumachen und in der Folge wieder glücklich, gesund und wohlhabend zu werden, institutionalisierten die Meso­ potamier eine Unmenge an verbalen und nicht verbalen Kodizes mit den Göttern. Diese festgelegten Kommunikationswege konnten aus der Deu­ tung von aktuellen konkreten Vorgängen bestehen, die man beobach­ tete, wie der Lauf der Sterne und ihre Konstellationen zueinander, die Wetterphänomene, das Verhalten der Tiere, das Aussehen der Leber oder der Gedärme bei geopferten Schafen und Ziegen. Die göttlichen Aussagen konnten aber auch neu provoziert und definiert werden. Das geschah etwa durch die Interpretation der Fi­ guren, die beim Gießen von öl in Wasser entstanden, oder durch das Freilassen und den Flug von Vögeln. Eine große Rolle spielten hier Weissagepriester, die gelernt hatten, diese Kodizes zu deuten. Sie hat­ ten die Verrichtungen und Auslegungen auswendig gelernt oder sa­ hen in Nachschlagwerken nach, die immer wieder abgeschrieben wurden. Manche von ihnen hatten die besondere Gabe der Erleuchtung. Sie setzten sich selbst durch ekstatische, rauschhafte Praktiken in Trance. In diesem Zustand kamen sie mit dem Gott ins Gespräch und ver­ mittelten die göttliche Vorhersage, die oft in Rätsel verpackt war. Etwa zu Beginn des 2. Jahrtausends fing man an, all dieses, sowohl die Vorgänge, die beobachtet wurden, als auch das daraus resultieren­ de Geschehen, sei es positiv oder negativ, als gesetzmäßig wiederkeh­ rende »Fälle« schriftlich festzuhalten. Man erhielt auf diese Weise im Laufe der Jahrhunderte eine »Datenbank« von empirischen Erfah-

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rungen, die es dem Menschen ermöglichte, ein System im Weltge­ schehen und in seinem persönlichen Leben zu erkennen. Auf diese Art konnte der Mensch vorsorgen oder wenigstens versuchen, sein Schicksal zu lenken und so angenehm wie möglich zu gestalten. Man darf nicht vergessen, dass dem mesopotamischen Menschen die Mehrzahl der physikalischen, chemischen und biologischen Ab­ läufe mysteriös erschienen, so dass er die Natur als beängstigend selbstständig handelnd empfinden musste. Notgedrungen wurden viele göttliche Mächte als Regulierungsinstanzen eingesetzt, um der Anarchie, dem Chaos und der Willkür vorzubeugen. Dieses Göttliche manifestierte sich oft in den Naturphänomenen. Aber man schrieb auch die Errungenschaften des städtischen Lebens, die Handwerks­ künste, den Kanalbau und die Kunst der Agrarwirtschaft den Göttern zu. Diese göttlichen und von den Göttern den Menschen zur Nut­ zung überlassenen Regulierungsmechanismen und Gaben nannte man in Mesopotamien die me. Persönliche Gebete und die Rolle der Mittler

In den Ritualen werden in regelmäßigen Abständen formelhafte Ge­ bete »gesprochen«, in denen an vorgegebener Stelle der Name eines beliebigen Beters eingeflochten wird. Hier steht dann eine Zeichen­ folge, die annanna zu lesen ist, was nichts anderes bedeutet als »Soundso, irgendjemand«. Aus dem Wortlaut der Rituale selbst wird deutlich, dass diese Gebete nur mithilfe eines Fachmannes, des Beschwörungspriesters, an den Gott gerichtet wurden. Die Einhaltung des Wortlautes innerhalb des Rituals musste vermutlich strikt befolgt werden. Auch dieses deutet auf eine genau geregelte, systematisierte Kommunikation des Einzel­ nen mit den Göttern, und darüber hinaus auf eine Monopolstellung einer Kaste von Beschwörungsfachleuten. Es sind nur wenige schriftliche Dokumente mit persönlich formu­ lierten und nicht formelhaften Gebeten erhalten. Einige sind literari­ sche Kunstwerke. Formal bestehen sie aus Anreden oder Anschreiben an Götter, in denen der einzelne Beter auf eine sehr private, persönli­ che Weise um Erhörung bittet, wobei er den »Gott des Vaters«, wahr­ scheinlich den Familiengott, um Vermittlung mit dem verärgerten Gott bittet:

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T3 Aus einem altbabylonischen Gottesbrief: »Zu dem Gott, meinem Vater, sprichl Folgendermaßen (sagt) Apil-Adad, dein Diener: »Warum vernachlässigst du mich? Wer soll dir so viel geben, wie ich mich für dich hingebe! Schreibe dem Marduk, der dich liebt: Meine Schuld soll er lösen! Ich will endlich dein Gesicht wieder ansehenl Deine Füsse will ich küssen! Und auch meine Familie, groß und klein, sieh Du (freundlich) wieder an! Ihretwegen habe Erbarmen mit mir! Deine Hilfe möge mich erreichen!’« (Nach Sommerfeld [1982] S. 127)

Diese vorsichtige Annäherung, fast ein Herantasten an die Gottheit, beruht auf der Gewissheit, dass man einen der Götter schrecklich er­ zürnt hatte. Wahrscheinlich ging deshalb dem Schreiben ein Ritual mit der Befragung der Vorzeichen voraus. Nur so ist verständlich, dass man sich gezielt an einen bestimmten Gott wendet, den man für die Lösung dieses besonderen Konfliktes für zuständig hält. Denn die verschiedenen Götter haben zwar ein umfangreiches, aber für den Einzelnen wohl auch ein zielgerichtetes Aufgabenprofil. So ist es sinn­ voll, sich bei einem Rechtsstreit an den Richtergott Schamasch zu wenden und im Falle der Impotenz wird die Fruchtbarkeitsgöttin Ischtar um Heilung angefleht. Der in den Konflikt eingeschaltete Stellvertreter bittet im Namen des Betenden den erzürnten Gott um seinen »Prozess«, d. h. um seine Anhörung und eine Abwägung seiner guten und schlechten Taten. Im Zuge dieses »Prozesses« legt er dar, wie elend sein Leben ist und wie sehr er schon gebüßt hat, wie sehr er auch den Gott schon mit Opfern bedachte, so dass die Beilegung des Streites und die Gewährung der Genesung letztlich gerecht wären. Aus diesen Texten geht hervor, dass man sich nicht so ohne Weite­ res dem Gott nähern durfte, wenn die Kommunikation gestört war. Dieses Denken ist sicherlich nicht nur aus einer Ehrfurcht vor dem Göttlichen zu erklären, sondern auch wieder aus dem hierarischen Gesellschaftsgefüge des Lebens in den mesopotamischen Städten. 34

Auch dort konnte man sich den Fürsten oder dem König wohl nicht ohne Weiteres nähern. Vermutlich bedurfte man - vielleicht nicht zu allen Zeiten, zumindest aber in den Epochen der großen Reiche - eines Vermittlers, der den Zugang zur hohen Person vermit­ telte. Den Rang dieses Mittlers könnte im religiösen Bereich der »Gott des Vaters« oder der »persönliche Gott« einnehmen. Es gab aber auch bestimmte, dafür prädestinierte Götter, etwa die »Boten­ götter«, die einem der großen Götter als Helfer oder als Bote zuge­ ordnet waren. Sie werden sukkallu »Wesir« gerufen. Das Wesen des mesopotamischen Götterglaubens

Die Inanspruchnahme der verschiedenen Götter, sei es als »persönli­ che Götter«, als »Familien-« oder auch als »Botengötter«, zeigt einen differenzierenden Umgang mit den einzelnen lokalen Panthea. Im­ mer wieder erscheinen bestimmte Götter den Menschen besonders nahe, ohne dass die anderen, deren Existenz man sich durchaus be­ wusst war, vergessen worden wären. In der Regel wurden alle Götter nebeneinander toleriert und verehrt. Wenn ein Gott weniger wichtig war oder wurde, vielleicht weil er aus einer Stadt kam, deren Bedeu­ tung abgenommen hatte, so verschmolz er oft mit einem gerade sehr verehrten Gott ähnlichen Profils. Die Frage, ob eine oder mehrere Religionen in Mesopotamien existierten, stellt sich daher aus mesopotamischer Sicht überhaupt nicht. Es sind auch keine monotheistischen Ansätze erkennbar. Alle Texte, die sich im weitesten Sinn mit Religion und Kult befassen, ver­ mitteln ein einheitliches Bild, einen Konsens, der darauf hindeutet, dass zumindest die Menschen, die sich als Teil des assyrischen, baby­ lonischen oder sumerischen Landes oder Reiches verstanden, ein gemeinsames Konzept in der Erfahrung und im Umgang mit der Götterwelt hatten. Als Quellen für unser Wissen stehen uns neben den Ritualen persönliche oder formelhafte Gebete, Königsinschriften, Wirtschaftstexte und im 1. Jahrtausend auch ideologische Schriften zur Verfügung, die Fragen nach der Gerechtigkeit von Welt und Gott stellen. Religiöses Denken wird bereits ab dem Zeitpunkt schriftlich fest­ gehalten, ab dem Literatur eindeutig bezeugt ist, etwa seit 2600. Schon damals wurde das einmal Aufgeschriebene als Teil der kultu­ rellen Tradition betrachtet und von sumerischen Schreibern ebenso

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hoch gehalten und an die Nachwelt weitergegeben wie von den semitisch-akkadisch schreibenden Babyloniern und Assyrern. Die religiö­ se Haltung zu einzelnen Göttern kann sich zwar im Laufe der Jahr­ tausende verändern - nie aber wird meines Wissens in schriftlicher Form eine einmal zum Ausdruck gebrachte Idee verteufelt, für unsin­ nig erklärt und zur Tilgung empfohlen. Wenn bei einer der vielen Einwanderungswellen in das mesopota­ mische Kulturland eine neue Bevölkerungsgruppe mit ihren Göttern Fuß fasste, so ließ man die neuen Götter gelten, ohne den alten abzu­ schwören. Offenbar typisierte man die fremden Götter entsprechend den Vorstellungen, die man von den Alteingesessenen hatte. Vermut­ lich sind aber überhaupt die göttlichen Mächte für die Menschen einer bestimmten Zeit in ihrer Wirkungsweise sehr ähnlich. Soll ein hinzukommender Gott aufgrund der Machtbefugnisse einer sozialen Elite besonders hervortreten, so kann er Funktionen eines schon be­ stehenden Gottes übernehmen, ein Vorgang, der mit dem Begriff »synkretisieren« belegt wurde. Beispiele für dieses Verfahren geben die Kassiten, die sich völlig an die herrschende religiöse Struktur des von ihnen eroberten Landes anpassten und ihre eigenen Götter nur noch als persönliche Götter erwähnten. Ein weiterer Fall sind die Assyrer, die am Ende ihres Rei­ ches noch versuchten, ihrem Gott Assur die Maske des babylonischen Gottes Marduk überzustülpen. Man ist folglich versucht, von einer synkretistischen, allgemein gültigen, offiziellen Religion Mesopotamiens zu sprechen. Für diese Religion sind viele verschiedene Götter namentlich bekannt. Ein Reli­ gionstyp dieser Art wird von den Religionswissenschaftlern Poly­ theismus genannt. Ein abstraktes Konzept dieser göttlichen Welt, eine Theologie, wird nicht genau ausformuliert, genauso wenig wie eine einheitliche Kos­ mologie. Die Ausformulierung dieser Ideen wurde ebenso wenig für nötig befunden, wie die Aufstellung eines einzigen und unveränderli­ chen Pantheons. Man muss sich damit vertraut machen, dass selbst in den hochgebildeten Schreiberkreisen Mesopotamiens das Bedürfnis nach einer systematischen Ordnung der Welt und der Ausformulie­ rung ihrer Gesetzmäßigkeiten nicht bestand. Aber auch den Lehrsatz des Pythagoras, dessen geometrische Be­ dingungen in keilschriftlichen Rechenaufgaben durchaus formuliert wurden, fasste man nicht in eine abstrakte Regel. Ein weiteres typi­

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sches Beispiel sind die Gesetze des Königs Hammurabi, die das sozia­ le Leben in der Großstadt Babylon nach möglichen oder tatsächli­ chen Ereignissen regelten. Sie gehen über eine kasuistische Bestands­ aufnahme der möglichen juristischen Streitfälle nicht hinaus. In einer ebensolchen situationsgebundenen Anpassung ist die Wirkungsweise der Gebete, Mythen und Rituale zu verstehen, die einzelne und nur in unmittelbarem Zusammenhang wahre religiöse Tatsachen ausformu­ lierten. In dem einen Moment ist der Gott Marduk wichtig, in dem nächsten der Unterweits- und Kriegsgott Nergal. Diese religiöse Einstellung, die gefühls- oder zweckmäßig aus einer Reihe von Göttern einen einzelnen Gott herausnimmt, um ihn besonders zu verehren, ist charakteristisch für die mesopotamische Religion. Es ist eine besondere Form des Polytheismus - oder des Monotheismus, je nach Standpunkt. Das Götterleben

Ebenso wichtig wie die Evozierung der besonders potenten Eigen­ schaften eines einzelnen Gottes in einem bestimmten Kontext ist des­ sen Einbettung in seinen Wirkungs- oder Familienkreis. Er ist funk­ tional an einen ganz konkreten Ort gebunden. Sein Name oder ein Teil seiner vielen Namen werden genannt, seine familiären Verhält­ nisse erwähnt und der Ort oder die Orte, an denen er sich kultisch manifestiert, aufgezählt. Die großen mesopotamischen Götter werden menschenähnlich vorgestellt. Folglich haben sie auch eine Familie: Sie sind Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter anderer Götter. Ihre Familien können wechseln, je nach Ort und Zeit und nach ihrer Zu- und Unterord­ nung in ein lokales Pantheon. Dies zeigt, dass die Zusammensetzung der Götterfamilien offenbar nicht zu einer religiösen Doktrin erho­ ben wurde. Die Götter werden spätestens seit dem 3. Jahrtausend auch anthropomorph dargestellt. Da sie in ihren Symbolen oder als ihre Statuen leben, speisen sie wie die Menschen, nur luxuriöser, wie besonders be­ güterte Menschen. Täglich werden sie zu verschiedenen Zeitpunkten mit Mahlzeiten versorgt, die hauptsächlich aus Mehl bestanden, aber auch aus Datteln und Bier, Fetten, Obst, Kuchen, Fleisch und Fisch. Die Menschen empfanden die Lieferung dieser Speisung als Opfer, im politischen Leben der Gemeinden wurden sie als kultische Abgaben

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verstanden. Vermutlich ging den Opfern eine Eingeweidenschau oder andere Vorhersagebeffagungen voran. Ein Teil der Naturalien wurde als Versorgungsleistung an das Kultpersonal weitergegeben. Mesopotamische Götter schlafen. Sie haben im Tempel ein Schlaf­ gemach, das kummu. Sie werden angekleidet und sie gehen einem Geschlechtsleben nach, denn sie haben eine Gattin und Nebenfirauen. Sie unternehmen Spaziergänge im Garten und Ausfahrten mit Wagen oder Booten in Form von Besuchsreisen zu anderen Göttern. Ihnen werden menschliche Gefühle wie Eifersucht, Liebe und Hass zuge­ schrieben. Fast alle Götter sind makellos und schön. Das kann man nicht nur aus den Götterabbildungen auf Siegeln und Reliefs schließen, son­ dern auch aus den Vorschriften für bestimmte Priester, die festlegen, dass sie nur mit einem makellosen Körper in diesem Beruf beschäf­ tigt werden dürfen. Die vollkommene Gestalt gehört zum Konzept der Reinheit, das wesensmäßig zu den Götterpersonen gehört. Hie­ raus ergibt sich, dass ein Gott, der schielt oder humpelt, gewisserma­ ßen aus dem göttlichen Kreis der Himmelsgötter herausfällt. Auch er wird dann in das Pantheon eingegliedert, aber zu den Unterweltsgöt­ tern gezählt, wie im Falle des Seuchengottes Nergal, der in der My­ thologie mit der Unterweltsgöttin, der Göttin Ereschkigal (»Herrin große Erde«), verheiratet wird. So wie die obere Götterwelt eine bedeutende Funktion für die Menschen besitzt, denn sie ist Motor und Regulativ der konkreten Welt, werden auch der Unterwelt zahlreiche Funktionen zugeschrie­ ben. Alles Geschehen ordnet man den Göttern unter, ein sicheres Zei­ chen für eine hierarische Gesellschaft. Die Ambivalenz des konkreten Lebens mit all seinem Unglück und seinen Zufällen wird durch ein System von Instanzen ertragbar gemacht, die das Dasein regulieren. Diese Instanzen, die durch die Vorhersagepraxis in gewisser Weise be­ einflusst und gesteuert werden können, empfinden Mesopotamier als personenhaft. Die schlechten und bösen Elemente bleiben nicht in der konkreten Welt, sondern werden in die Unterwelt verbannt, von wo aus sie aber die Menschen wieder heimsuchen können. In die Unterwelt gehören Dämonen, personifizierte Mächte, die dem Men­ schen Unheil und Krankheit bringen. Während so das Böse konkret gebannt wird, werden andererseits Phänomene, die der Mensch wahrnimmt, und deren technischen Ab­ lauf er durchaus auch in profaner Hinsicht kennt, in guten Mächten

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vergöttlicht. Rein geistige oder psychische Konstrukte, wie etwa die Sünde, werden physikalisiert. Die Sünde wird oft auf ein Objekt übertragen und kann durch magische Praktiken z. B. auf ein Boot verladen werden und auf dem Unterweltsfluss in die Unterwelt gelan­ gen, weg von dem befallenen Menschen und gut versorgt unter Gleichartigem. Vergöttlicht (deifiziert) werden Gestirne wie die Göttin Ischtar als der Venusstern, die Sonne als der Gott Schamasch und der Mond als der Mondgott Sin. Flüsse wie Tigris und Euphrat sind ebenso Götter wie Naturphänomene, nämlich Regen, Blitz, Sturm und Donner oder Getreide. So wird die konkrete Welt vergeistigt und mit handelnden Subjekten gefüllt. Es ist typisch für diese mesopotamische Weitsicht, dass sie nicht nur zur Ordnung, Stabilisierung und Erklärung der konkreten Welt beiträgt, sondern als Spiegelwelt dieser Welt gegen­ übertritt, die beschrieben, interpretiert, systematisiert und kommen­ tiert wird. Private und offizielle Religion

Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Mensch in Mesopotamien in einer rigiden, von Tabus und Vorschriften geregelten Welt lebte, die überall mit Religiösem durchsetzt war. In den größeren Siedlungen errichtete man mehrere Kultplätze oder Tempelanlagen, von denen wir entweder konkret durch Ausgrabungen vor Ort wissen oder durch schriftliche Quellen. Mit ganz geringen Ausnahmen ist die gesamte Literatur Mesopota­ miens von religiösen Feststellungen durchdrungen: Könige widmeten ihre Annalen den Göttern, die Epen sind voller Bezüge auf göttliche Willensäußerungen und erzählen Episoden aus dem Zusammenleben von Mensch und Gott. Die Beschwörungs-, Weissagungs- und Ritual­ literatur wuchs im Laufe des 2. und 1. Jahrtausend auf viele Tausende Zeilen an und lässt sich praktisch auf jede Situation des menschlichen Lebens anwenden. Der erhabenste der Menschen, der König, ist Garant von Rechts­ und Ordnungsvorschriften, die man als göttliche Vorschriften auf­ fasste. Aber auch er ist strengen Tagesabläufen unterworfen. Er muss­ te sich nach Kleider- und Speisevorschriften richten, und sein per­ sönlicher Umgang mit den Göttern wurde registriert, begutachtet und kommentiert. Das dokumentieren seine Briefe und die seiner

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Beamten und Gelehrten an den Königshöfen in den neuassyrischen Städten Niniveh und Khorsabad. Die Briefe halten nicht nur fest, wie diese Funktionäre den König berieten, sondern auch die gegenseiti­ gen Konsultationen, die zu lebhaften Debatten über die Deutung der Zeichen und Weisungen der Götter führten. Es war den Beratern ein wichtiges Anliegen, die schriftlichen Dokumente der Vorzeichenkun­ de korrekt zu deuten, und darauf zu achten, dass dem König die richtige Entscheidung nahe gelegt wurde. Ein ganz ähnliches Bild zeichnen in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends Briefe aus dem nordsyrischen Reich von Mari auf das Leben der Könige von Mari. Die Quellen geben keine Auskunft darüber, ob der König über­ haupt einmal einen »normalen« Tagesablauf genießen durfte, an dem er keine offiziellen kultischen Verpflichtungen hatte. Es scheint so, als ob er jeden Tag seines Lebens dem Volk und den Göttern widmete. Ganz wenige Äußerungen offenbaren die persönliche Frömmigkeit eines Königs, und nur selten scheint die Wahl des theophoren Thron­ namens oder ein intimes Gebet eine besondere Beziehung zu einem der großen Götter des Landes aufzudecken. Die Bedeutung vieler Personennamen zeigt, dass die Bewohner des Landes vom kleinen Mann bis zum König sehr religiös waren, denn häufig bestehen sie aus kurzen Gebeten. Der Königsname TukultiNinurta bedeutet »mein Vertrauen ist der Gott Ninurta« und Assurbel-kala »Assur ist Herr über Alles«. Erkennbar liegt in den offiziellen Namen dieser assyrischen Könige ein Bekenntnis zu einem der Götter vor, einmal zu Ninurta und das andere Mal zum Landesgott Assur. Während die Wahl des Landesgottes für einen assyrischen König nachzuvollziehen ist, entgeht uns, warum Ninurta im Leben des an­ deren assyrischen Königs eine so bedeutende Rolle spielte. Bei einem gewöhnlichen Einwohner Mesopotamiens ist ein from­ mer und ganz üblicher Name: Mannum-kima-Marduk »Wer ist wie Marduk?« oder Manniim-balum-ilim »Wer ist ohne (persönlichen) Gott?«. Manche Namen lassen nachvollziehen, dass die Wahl des Perso­ nennamens mit der Geschichte der Familie zusammenhängt, denn es werden auch ganz persönliche Situationen zum Ausdruck gebracht. Ein Name wie Ilum-aham-iddin »Der Gott hat mir einen Bruder ge­ geben« deutet auf eine Familie, in der die Geburt eines neuen Famili­ enmitgliedes mit diesem Namen gefeiert wird. Auch die Herkunft der Personen lässt sich oft am Namen erkennen, wenn die Hauptgötter 40

des eigenen Wohnortes im Personennamen genannt werden. Selbst wenn der theophore Name nicht unbedingt einen Beweis für eine tie­ fe Religiosität darstellen muss, sondern seiner Konvention entspräche und die Opportunität gegenüber der Familie, dem Dienstherrn oder der Stadt widerspiegeln würde, so vermitteln die Namen doch den Eindruck, dass die Menschen von einem tiefen Glauben an die Exis­ tenz der Götter beherrscht wurden. Über den täglichen Kult des Individuums, über seine Gebete und rituellen Handlungen, über seine Beziehungen zu den großen und kleinen Tempeln der Städte ist leider kaum etwas bekannt. Berichte über das religiöse Alltagsleben fehlen, nur Ausnahmesituationen wur­ den aufgezeichnet. Es handelt sich meist um Notfälle, in denen ein Mensch die Götter um Hilfe anruft. Erhaltene Danksagungen sind seltener; wir wissen also mehr darüber, wie sich die Frömmigkeit in Situationen der Not äußerte als im Glück. In Unglück und Not werden komplizierte Verfahren in die Wege geleitet, die Ursache, Art und Rettung aus der Not erkunden sollen. Diese Verfahren wurden schriftlich festgehalten, und durch sie eröff­ net sich ein Blick auf die Rituale und Kulte, die der einfache Mensch praktizierte. Die Rituale beschreiben verbale und nicht verbale Handlungen, die in genau definierten Situationen vorschriftsmäßig ausgeführt werden mussten. Die Regulierungen betreffen das Zustandekommen der Audienz bei einem oder mehreren Göttern. Sie halten den Ort des Zusammentreffens oder der Kontaktaufnahme mit dem Göttlichen fest und nennen die lebenden und toten Dinge, mit denen man han­ tieren musste. Meist sind sogar die Gebete vorformuliert, die man an den Gott richten soll. Verbale Ritualakte wie Gebete und nicht verbale wie das Niederknien oder das Segnen folgen einander in einer Rei­ henfolge, die peinlich genau einzuhalten ist, denn die Befolgung die­ ser vorgeschriebenen Abläufe garantiert den Erfolg des ganzen Ver­ fahrens. Die planvolle Ausführung ist ein konstitutives Element des Rituals. Rituale fanden an den unterschiedlichsten Orten statt. Häufig wurden sie nachts auf dem Dach des Hauses zelebriert, weil man dort den Sternen besonders nahe war und die Sterne als die nächtliche Ge­ stalt der verschiedenen Gottheiten betrachtet wurden. Man prakti­ zierte die Rituale auch bei den Wasserquellen, den Flussläufen, dem Meer und den Kanälen, an denen das Wasser, die reinigende Kraft, als 41

Transportmittel für das Unheil diente, das exzorziert und weggespült werden sollte.

T4 Ritual gegen »Hand des Totengeistes«, Epilepsie und andere Krankheiten: 1 Liter... Brot bringst du zum Stall des Hirten und gibst es dem Hirten. Ein unbesprungenes Zicklein kaufst du (und) lässt es einen Tag lang Tamariske fressen. In der Nacht fegst du das Dach und ver­ sprengst reines Wasser. Vor [dem Standbild bzw. dem Symbol von] Ischtar stellst du ein Altärchen auf (und) schüttest feines Mehl und Datteln hin. Einen Kuchen aus Honig und Butter legst du hin (und) du stellst einen Räucherständer mit Wacholder auf, darauf­ hin libierst du Bier. Vor [dem Standbild bzw. Symbol von] Gula legst du ein ... Brot und ein ... Brot auf einen Tisch und libierst Bier. Eine Waage hältst du hoch, legst sein [des Kranken] Haupthaar und Gewandsaum darauf und wiegst es aus. Einen Ekstatiker-Priester lässt du Platz nehmen; er soll laut sein Lied zitieren. Das unbesprungene Zicklein schlachtest du, röstest sein Herz, ziehst ihm das Fell ab und legst es nahe bei dem vorbereiteten Opfer nieder. Der Kranke hebt seine Hand und rezitiert dreimal die Beschwörung: »Du bist die Kilili-Ischtar, die sich aus dem Fenster beugt, die Weise der Weisesten, die sich um die Äußerungen der Menschen kümmert (usw ...)«. »Ich bin der Soundso [der Kranke nennt hier seinen Namen], dessen persönlicher Gott der Gott Soundso ist [der Kranke nennt hier den Gott, der ihm am nächsten /st] und dessen Göttin die Göttin Soundso ist [der Kranke nennt hier die Göttin, die ihm am liebsten /st]. Der ich von Krankheit befallen bin: ich knie hier vor dir. Ich habe Dir ein reines Opfer vorbereitet...» [Es folgt die Aufzählung der Ingredienzien, die im Anfang ge­ nannt wurden, darauf die Beschreibung des Übels, das ihn befal­ len hat, und die Bitte, dass es doch mithilfe eines Mediums aus seinem Körper verschwinden möge.]

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Nachdem der Kranke dies vor Ischtar rezitiert hat, hebt der Be­ schwörungspriester das Fell des unbesprungenen Zickleins hoch und rezitiert... dreimal: [Der Ritualfachmann rezitiert dreimal ein Beschwörungsgebet an Ischtar >die große Herrin'.] (Danach) lässt du den Ekstatikerpriester den Kuchen, der vor [dem Standbild bzw. Symbol der] Gula lag und die Waage [mit den Haaren und dem Gewandsaum des Kranken, d. h. mit seinen ihn repräsentierenden Eigentumsmerkmalen] mitnehmen und schickst ihn zum Tor hinaus. Die Anrichtung des Opfers wird zerstört und du wirfst dich zu Boden. Das Fell des Zickleins präparierst du mit Milch einer gelbgrünen Ziege und mit Mehl. [Das Fell der Ziege wird mit weiteren Ölen eingerieben, mit Alaun wird es gegerbt und mit Sumach wird es rot gefärbt.] Danach wird es als Halsumschlag für die Behandlung der Krank­ heit wirken. [Beim Prozess des Präparierens des Zickleinfelles werden noch mehrere Beschwörungsgebete an andere Götter rezitiert.] (Färber [1977] S. 65, in eckigen Klammern sind Textpassagen zusammengefasst.) Tempel und Priester

Während das Aufführen der Rituale an Plätzen des privaten Lebens jedem ermöglichte, die Präsenz des Gottes herbeizurufen, ist unklar, inwieweit die Tempel für jedermann öffentlich zugänglich waren. Waren Höfe oder Vorkammern der Kultzellen für einfache Bürger be­ tretbar? Konnten die Gläubigen, die einen gewissen sozialen Status hatten, Zutritt erhalten, ihn vielleicht erkaufen? Denkbar wäre es, denn die größeren Tempelkomplexe mit ihren Höfen, Hallen, Maga­ zinen und Gärten waren den Repräsentationshäusern der Mächtigen des Landes sehr ähnlich. Es drängt sich der Eindruck auf, dass streng hierarisch gestaffelte Audienzen in einem gewissen Rahmen auch bei den Göttern möglich waren, analog zu dem menschlichen Herr­ schaftsgebaren. Ganz sicherlich waren der König und die Königin(nen) auch in den privaten Räumen der Götter zugelassen. Für den König galt: Die43

Abb. 7) Beterstatuetten

ser hohe staatliche Würdenträger war kultischer Funktionsträger, denn er stand stellvertretend für die Menschen seines Landes vor den Gottheiten. Er war Mediator zwischen der Götterwelt und seinen Landeskindern. Besonders häufig im 3. Jahrtausend wurden Statuen, die Personen in anbetender Haltung zeigen, im Tempelbereich und auch in der Cella aufgestellt. Sie wurden teilweise noch in situ in den Tempelanla­ gen gefunden. Die Menschen sicherten sich so eine ständige Präsenz durch Substitute ihrer selbst. Der Palast- und Tempelfunktionär, die Bürger, darunter auch Frauen, stifteten diese Statuen. In dauernder Anbetung und zur ewigen Erinnerung an den Spender standen sie stellvertretend für ihn im Tempel. Die Statuen sind so individuell ge­ staltet, dass sie porträthaft wirken. Aber man widmete den Göttern auch Ziegel, Waffen, Stein- und Tontafeln, deren persönlich formu­ lierte Inschrift das Anliegen des Einzelnen dauerhaft in das Gedächt­ nis des Gottes festschreiben sollte. 44

Abb. 8 a) Tempelgrundriss des Sin-SchamaschTempels in Assur. Fundament des altassyrischen Zustandes

Abb. 8 b) Tempelgrundriss des Sin-SchamaschTempels in Assur. Fundament zur Zeit TukultiNinurta I.

Abb. 8 c) Tempelgrundriss des Sin-SchamaschTempels in Assur. Rekonstruktion des Grund­ risses der mittelassyrischen Zeit

Kapellen ähnliche Heiligtümer an Straßen­ zügen einiger Städte be­ zeugen im 2. Jahrtau­ send private oder inoffi­ zielle Kulte - vielleicht ohne Beteiligung des Tempelklerus. Begräb­ nisplätze unter den Häusern und Opfer­ spenden an die Toten sind ebenfalls Hinweise auf einen privaten Hauskult. Aus indirekten Anga­ ben kann geschlossen werden, dass die Ein­ wohner einer Stadt an Götterumzügen teilneh­ men durften. Spätestens jetzt ergab sich die Gele­ genheit, die großartig und kostbar ausgestatte­ ten Götterstandbilder zu Gesicht zu bekommen. Diese Prozessionen, wie beim babylonischen Neu­ jahrsfest, dem Fest der Tag- und Nachtgleiche im Frühling, führten zu Tempelanlagen, die auf dem Land, jenseits der Stadtmauern lagen. Wie überall in der Welt war es das Ziel des mesopo­ tamischen Klerus, durch Götterumzüge den Kult aus den Tempeln heraus in die Bevölkerung zu 45

tragen. Dem gleichen Zweck, der öffentlichen Zurschaustellung, diente der Besuch anderer Götter aus anderen Tempeln und sogar aus anderen Städten, das Herumtragen ihrer kostbaren Statuen und ihrer göttlichen Symbole, ihrer Wagen, Boote, Tische, Betten und Waffen etc. Bei diesen Anlässen werden viele verschiedene Priester genannt. Überhaupt schienen die unterschiedlichsten Tempelbediensteten an den offiziellen Kulten teilzunehmen. Man findet aber kaum Hinweise auf ihre Aufgaben. Erwähnt werden der Sängerpriester oder »Liturg« (kalu), der »Butler« (ehemals »Hoffeger«), der Reinigungspriester, der Schangu-Priester, eigentlich ein »Haushofmeister«, und viele andere mehr, darunter auch Tänzer und Akrobaten. Die im Kult Beschäftig­ ten, die im Folgenden vereinfachend alle als »Priester« bezeichnet werden, wohnten oft in unmittelbarer Umgebung der Tempel. Wahr­ scheinlich bestand ihr Tagwerk im Tempel selbst oder in seiner Umgebung aus religiösen, magischen und zeremoniell-kultischen Verrichtungen. Die meisten beherrschten das Schreiben und Lesen. Viele erwar­ ben sich einen Namen als Schriftgelehrte und nutzten ihre Zeit, um Schüler auszubilden, die sich dem Lehrer wie einem Vater unterwar­ fen. Der Unterricht in der Keilschrift war gewiss eine lukrative Aufga­ be, da der Zugang zu den meisten Stellen in den Tempeln und Paläs­ ten nur über die Grundausbildung zum Schreiber vergeben wurde. Welche Priester von dieser Ausbildung ausgeschlossen blieben, viel­ leicht die Ekstatiker oder auch manche Musiker, wird in den Quellen nicht deutlich gesagt. Aus den vielen verschiedenen Kultbeschreibungen geht hervor, dass die Tätigkeit der verschiedenen Priester in allen Einzelheiten ge­ regelt war. Exakt werden die Stationen im Tempel angesprochen, die nach und nach durchlaufen wurden. Die Handlungen, die ausgeführt wurden, werden genannt, und es wird deutlich gemacht, dass der Zeitpunkt, an dem die Riten stattzufinden haben, eine große Rolle spielte. Man kann daraus sogar folgern, dass sich das akute Zeitrech­ nungssystem aus religiösen Voraussetzungen entwickelt hatte.

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T5 Ein neuassyrisches Tempelritual Am 17. des Monats Schabat [im Vorfrühling] betritt der König die Stadt Assur. Am 18. steigt er zum Tempel hinauf und bringt ein Opfer, beste­ hend aus einem Schaf, vor dem Gott Assur, dem Gott Ninurta, vor dem Gott Nuska und noch vor anderen Göttern, dar. Den goldenen Streitwagen holt er heraus [d. h. er exponiert ihn] [...] vor Bel und Nabu zieht er [irgendetwas] heraus. Die kalu-Priester veranlasst er, Platz zu nehmen. Danach geht er zum Seitenflügel. Der schangu-Priester des Assur umschreitet den Tempel und die anderen Heiligtümer. Jetzt veranlasst der König die kalu-Priester aufzustehen und ali­ mentiert den Tempel des Assur, indem er Geschenke an den Priester und an die [...] verteilt. Daraufhin küsst er den Boden und geht gradewegs [zurück] in den Palast. [Am 19. Tag werden die gleichen Handlungen wiederholt wie am 18. Tag.] Am 20. Tag geht der König [wieder] zum Assur-Tempel hinauf. Er bringt ein Schafopfer vor Assur und der Göttin Mullissu. Er veranlasst Assur aufzustehen und er lässt ihn (d. h. sein Standbild/Symbol) auf dem »Podest der Schicksale« Platz nehmen. Dann wendet er sich um [...] und lässt das Gesicht des Assur auf­ leuchten. Er bringt die Fackel [auch] an das Räucherbecken heran, bringt Schafopfer dar und geht dann weg. Er veranlasst die kalu-Priester Platz zu nehmen, während er [ei­ nen anderen] Tempel ... betritt [...]. Dann geht er gradewegs in den Seitenflügel, schließlich dreht er sich auch hier um [...]. Er versorgt (den Tempel) mit Kochfleisch. Dann veranlasst er, dass Assur auf seinem Tragesessel Platz nimmt. Er räumt den Opfer­ tisch nicht ab, sondern er teilt Geschenke aus; schließlich küsst er den Boden [...]. Am 21. Tag findet kein Hinabsteigen des Königs statt [d. h. der König bleibt im Tempelbereich!].

(Nach Menzel [1981] Bd. II T 41)

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Diese Tempelriten haben im Wesentlichen die Sequenzen: Opfer, große oder kleine Umläufe um heilige Stätten - oft nur von einigen Funktionsträgern und nicht von allen Beteiligten Sitz- und Stehpe­ rioden, Hantieren besonders mit Licht und heiligen Objekten, das Opfern und das Verteilen der Opfer, das Teil der Versorgung des Tem­ pelpersonals ist. Dennoch kann man kein ganz detailliertes Bild von den rituellen Vorgängen im Tempel gewinnen. Bisher wur­ de kein eindeutiges Raster auch nur für ei­ nes der vielen zykli­ schen Kultrituale er­ stellt. Darüber hinaus wissen wir nicht, wie die Priesterhierarchie aussah, ob alle Priester die Tempelräume be­ treten durften oder ob es bestimmte tabuisierte Zonen auch für niedrigere Priester gab, wie­ der in Analogie zu der Situation, die man am Palast oder in den hie­ rarischen städtischen Gesellschaften Mesopotamiens aufgrund der Quellen zu kennen meint.

Abb. 9 b) Relief mit Ischtar und dem »Gottkönig als Krieger«

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Der Kosmos und der oberste Himmelsgott

Die Kosmologie

In mesopotamischer Sicht stellen die beiden Urelemente Himmel und Erde den oberen und den unteren Horizont des Kosmos dar. Man hat sich den mesopotamischen Kosmos wohl als aufeinander folgende waagerechte Schichten (als mehrere aufgeschichtete Vier­ ecke?) vorzustellen. Über die Nutzung dieser Regionen sind sich die Quellen nicht einig. Es werden drei Himmel genannt, von denen der oberste Himmel dem höchsten Gott Anu gehört. Nach anderen Quel­ len wohnt dort aber die Gesamtheit der Himmelsgötter, Igigi. Der mittlere Himmel galt als Wohnsitz des Marduk (Bel). In den Konzepten, nach denen Anu im obersten Himmel haust, nehmen den mittleren die Igigi ein. In den unteren Himmel haben die Götter die Sterne gesetzt. Der Himmel wird als Kreis gesehen, möglicherweise als ein flacher, der nicht kugelig gewölbt ist. Die Himmel waren mit Seilen vertäut, einer der Götter hielt diese des öf­ teren, damit sie nicht hinwegschwebten. Häufig werden Tore des Himmels genannt, die man passieren musste, um zu den oberen Göt­ tern zu gelangen. Dahinter versteckt sich wohl die Vorstellung, dass auch die Himmelsgötter in menschenähnlichen Behausungen ihr Le­ ben verbrachten, wie man es sich auch bei den Unterweltsgöttern ausgemalt hatte. Ähnlich wie der Himmel war auch die Erde in drei Zonen unterteilt. Der tiefste Teil des Kosmos bestand aus der »unteren Erde«, in der die Toten weilten und die Unterweltsgötter, die Anunnaku. Darüber und darum lag der Süßwasserozean, der das Apsu hieß, die Sphäre des Schöpfergottes Enki. Auf der Erde selbst wohnten die Menschen. Be­ grenzt wurde die Welt der Menschen von den »vier Weltgegenden« erbet kibratim. Darunter sind die vier Himmelsrichtungen zu verste­ hen, die auch als die »vier Winde« umschrieben wurden, der Wind des Ostens, Westens, Südens und Nordens. Manchmal werden für die Himmelsrichtungen konkrete Landschaften als Richtungsbezeich­ nungen angeführt, wie das Land der Amurru-Leute, das im Westen lag, für den Westen. Als Begrenzungen der menschlichen Welt dien-

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ten Meere oder Binnenseen. Unter dem »oberen Meer« (tamtum elitum) verstand man das Kaspische Meer, in anderen historischen Zei­ ten aber das obere (zyprisch-türkische) Mittelmeer. Das »untere Meer« tamtum schaplitum war der Persische Golf. Gelehrte Abhandlungen mesopotamischer Wissenschaftler, die das Universum systematisch beschreiben, existieren nicht und auch keine konsequent ausformulierte und durch die Jahrtausende über­ lieferte einheitliche Interpretation des Universums. Himmel und Sterne werden als immer schon existierende physikalische Fakten aufmerksam und auf intelligente Weise beobachtet. Die Bewegun­ gen der Gestirne am Himmel werden aufgezeichnet, Regelmäßig­ keiten studiert und, so weit es damals möglich war, auch schon be­ rechnet. Diese durchaus nüchternen Bestandsaufnahmen stehen nicht im Widerspruch zur Animierung und Personifizierung des Kosmos mit seinen Winden und Stürmen, dem Regen und den Ster­ nen in Form von göttlichen Wesen. Die Elemente galten als astrale und physikalische Präsenz der Göttergestalten. In ihrer anderen, menschlicheren Form standen sie als Statuen an den dafür vorgese­ henen Kultplätzen. Der oberste Himmelsgott Anu

In einer frühen zweisprachigen Auflistung von Götternamen, die schon in der altbabylonischen Zeit (ab 2000) von gelehrten Schrei­ bern gesammelt und dann unter systematischen Gesichtspunkten schriftlich wiedergegeben wurde, steht an erster Stelle der sumerische Gott An zusammen mit den akkadischen Entsprechungen A-nu-um und An-tum. Auffallend ist, dass obgleich Antu hier erwähnt wird, eine Göttin Antu erst im 1. Jahrtausend kultisch verehrt wird. Wahr­ scheinlich muss man diesen Eintrag als philologische Notiz begreifen, der den Namen An einerseits als männlich kennzeichnet und ande­ rerseits als weiblich. Mit der doppelten Kennzeichnung des An wollte man wohl zum Ausdruck bringen, dass der Kosmos in der Urzeit zweigeschlechtlich, männlich und weiblich, war. In den rein sumerischen Listen wäre die sprachliche Differenzie­ rung nicht unbedingt nötig, weil das Sumerische nicht, wie das Akkadische, eine grammatische Unterscheidung des Geschlechts kennt: Der Begriff An ist neutral und könnte eine weibliche und eine männ­ liche Figur bezeichnen.

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Aber gehen wir zu der zweisprachigen Liste zurück. Der innere Zusammenhang der nächsten zwei Zeilen ist das weibliche und männliche Prinzip der Erde. Sie lauten: urasch und nin-urasch »Erde und weibliche Erde«. Es folgen An- schar2: Ki- schar2, was die »Ge­ samtheit des Himmels: die Gesamtheit der Erde« bedeutet. Anschließend wird die Zweigeschlechtlichkeit dieser Elemente als: En- schar2: Nin- schar2 »Herr Gesamtheit: Herrin Gesamtheit« noch­ mals erläutert. Das nächste Paar Duri: Dari »immer und immer« bedeutet wohl die ewige Zeit. Dann werden Lahmu: Lahamu und Alala: Belili aufge­ führt. Während die Bedeutung des Paares Paar Alala: Belili noch unklar ist, könnten Lahmu: Lahamu ein Paar von Torwächtern sein, die für zwei entgegengesetzte Pole des Universums stehen und den Kosmos begrenzen. Insgesamt zeigt der Anfang der Liste eine konsequent durchge­ führte kosmologische Zweiteilung nach Männlichem und Weibli­ chem, eine Vorstellung, die in Kosmologien keineswegs selbstver­ ständlich ist. In der Götterliste zeigt die Begrenzung von Ort und Zeit die Idee einer gradezu abstrakten Ordnung des Kosmos, die auch ein Mythos formuliert, der nach seiner Anfangszeile als Enuma elisch »Als dro­ ben ...« zitiert wird. In diesem Mythos werden als die Grundprinzipien der Welt ge­ nannt: Apsu, der Süßwasserozean. Er ist ein männliches Element. Ihm gegenüber steht Ti’amat, der Salzwasserozean, sein weibliches Pendant. Aus ihnen gehen die schon vorhin genannten Wächter Lah­ mu und Lahamu hervor. Auch in diesem Mythos stehen sie für die räumliche Begrenzung der vorhergehenden Elemente. Ihnen folgt die Totalität des Himmels und der Erde: Anschar und Kischar, und erst aus der Verbindung dieser beiden Elemente entsteht Anu, der oberste Gott der mesopotamischen Götterwelt, der dann das darauf folgende Götterpaar zeugt und diese wieder die nachfolgenden Generationen. Dieser Mythos, Enuma elisch, ist die einzige Quelle, in der die Idee von der kosmischen Erschaffung der Welt vor dem Dasein der Götter ausführlicher beschrieben wird. Dafür gibt es nur noch ein weiteres Zeugnis, den Harab Mythos, der auch »Die Theogonie von Dunnu« genannt wird. Dort werden, sofern die Entzifferung des Textes stimmt, die Elemente Meer und Erde als Mutter aller Dinge genannt.

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Der Text wurde erst gegen Mitte des 1. Jahrtausends von einem Vor­ läufer abgeschrieben, der nicht erhalten ist. Die erste Zeile des My­ thos ist zum Teil zerstört. Alle anderen Mythen, sumerische, babylonische und assyrische, behandeln Themen einer Welt, die längst von Göttern bevölkert war. Das Motto dieser Mythen ist oft die Erschaffung des Menschen oder der Pflanzen und Tiere oder es wird vom göttlichen Geschenk der Zi­ vilisation an die Menschen berichtet. Anu ist aber nicht nur das Element »Himmel«, sondern auch als Götterperson der oberste Himmelsgott Anu. Das Wortzeichen AN bedeutet »Himmel« und »Gott«. Es wird im Sumerischen dingir gelesen, mit dem sumerischen Wort für Gott. Das akkadische Wort dafür ist ilu. Noch in modernen semitischen Spra­ chen findet man es wieder, z. B. im Gottesnamen »Allah«. Um einen Götternamen im Text zu kennzeichnen, schreibt man häufig dieses Zeichen (dingir) vor den spezifischen Götternamen. Der Gott An wird demgemäß durch zwei An-Zeichen hintereinander ge­ schrieben: An An. Das erste Zeichen liest man in modernen Um­ schriften dingir und verkürzt es auf ein einfaches d, was dann unmit­ telbar vor dem Götternamen hoch gesetzt wird und diesen ganz augenfällig aus dem Satz heraustreten lässt: dAn. Das Wort An kommt häufig in Personennamen vor. Wichtig ist, dass es hier oft nicht den Gott An meint, sondern für das akkadische Wort für Gott, nämlich ilu, steht. Meistens ist damit ein anonymer Gott gemeint. Ein Personenname wie AN-bani bedeutet dann nicht: »der Gott Anu ist mein Erschaffer« sondern »der Gott ist mein Er­ schaffer«. Angesprochen wird damit der persönliche Gott des einzel­ nen Menschen, seine ganz persönliche Schutzmacht. In die Position eines persönlichen Gottes konnte, soweit bekannt, jeder der mesopo­ tamischen Götter erhoben werden. Derjenige wurde ausgewählt, dem sich der Mensch am nächsten fühlte. Er wurde dann häufig nur »Gott« genannt, selbst wenn es sich um Ischtar oder einen der großen anderen Götter handelte. Ein Preislied auf Anu

Für diesen Gott (sumerisch An, akkadisch Anu) ist nur ein Preislied bezeugt, das in einem relativ rezenten Exemplar von etwa 300 erhal­ ten ist. In diesem Hymnus wird der Gott in allgemeinen Redensarten

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gepriesen. Im Vergleich mit den Preisliedern auf andere Götter wer­ den ihm vorerst keine spezifischen, sondern nur solche Fähigkeiten zugesprochen, die auch für andere Götter gelten: seine großen Taten sind unendlich was er sagt, ist unumstößlich was er sagt, ist angenehm sein Wort ist das Fundament für Himmel und Erde, die Götter gehorchen ihm - er ist Berater seiner selbst.

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Anu wird in diesem Hymnus dennoch als ein mächtiges Wesen und in emotionaler Hinwendung als der hervorragendste aller Götter ge­ priesen. Da er für die Menschen als Herr der Götter nicht so leicht zugänglich ist, bleibt seine Entrücktheit das Einzigartige, das ihn aus der Reihe der anderen Götter heraushebt. Der Name der Gattin dieses Gottes, Antu, ist grammatisch gesehen die feminine Form des männlichen Namens. Sie wird in dem hier be­ sprochenem Hymnus so wie ihr Gemahl lobend angerufen und zwar nicht nur als Antu, sondern auch als Kischar, als Urmutter der Götter. Dieser Anu-Hymnus stammt aus der südmesopotamischen Stadt Uruk, in der seit jeher sein Kult gepflegt wurde. Und obgleich Anu zusammen mit seiner Gattin Antu angerufen und gelobt wird, ist der Hymnus hauptsächlich der Göttin Ischtar gewidmet. Er betont ihren rechtmäßigen Platz an der Seite des obersten Himmelsgottes. In der Überschrift steht: »Sie soll erhöht sein« und gemeint ist die Göttin Ischtar, die in diesem Text als höchste weibliche Göttin gepriesen wird. Sie ist völlig eins mit der Antu geworden und gilt keineswegs als eine Nebenfrau. Sie steht für sich selbst, als Ischtar, und gleichzeitig für die Göttin Antu und für die Urgöttin Kischar. Schon am Anfang des 1. Jahrtausends setzt dieser Prozess der Er­ höhung der Ischtar ein. Ischtar steht nun für den Begriff »Göttin« an sich. Obgleich Ischtar oder der Plural Ischtaratu »Ischtarinnen« als Bezeichnung für weibliche Göttinnen überhaupt verwendet wird, nehmen die Machtbefugnisse der Götterperson Ischtar nicht ab. Im Gegenteil, sie vereinigt nun allein andere Göttinnengestalten in ihrer Person, denn sie ist Kriegs-, Fruchtbarkeits- und Heilgöttin. Anu und Ischtar bewohnen im ausgehenden 1. Jahrtausend auch einen gemeinsamen Tempel, das Eanna »Haus des Himmels«, in der

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südmesopotamischen Stadt Uruk, sicherlich einer der ältesten großen Kulte der frühgeschichtlichen Zeit. In Uruk konnte sich der mesopo­ tamische Tempelkult noch fast bis zur Zeitenwende halten. In der mesopotamischen Frühzeit, zu Beginn des 3. Jahrtausends, war Uruk eine bedeutende, sehr ausgedehnte Siedlung, die sich durch monu­ mentale Bauten auszeichnete, wo schon damals beide Götter zusam­ men herrschten, wenn auch in zwei verschiedenen Komplexen. An wird seit der Fara-Zeit, seit etwa 2600, erwähnt und in den In­ schriften altsumerischer Könige (zwischen 2500 und 2300) als »Herr aller Länder« angerufen. Seine Söhne und Töchter

Als Sohn des Anu gilt seit der frühesten Zeit der Gott Enlil, der wie Anu den Titel »König aller Länder« und »Vater der Götter« erhält. Töchter des Anu werden verschiedene »Stadtgöttinnen«, die der Stadt Lagasch, Gatumdu, und die Baba, die in Nippur und später auch in Isin verehrt wird. Mit aufsteigender Bedeutung von Isin kommt nach der Wende zum 2. Jahrtausend als seine dritte Tochter die Göttin Ninisina hinzu: »Herrin von Isin«, die Hauptgöttin der altbabyloni­ schen Stadt Isin. Auch wenn die Göttin Ischtar in dem oben genannten AnuHymnus als seine Gattin bezeichnet wird, gilt sie in manchen Mythen dagegen als seine Tochter. Die familiäre Zuordnung unterstellt die Kinder den Vätergöttern, ohne dass man die Filiation wörtlich nehmen muss. Ischtar ist in anderen Texten auch noch die »Tochter« anderer Götter, z. B. des Mondgottes. Tochter wie Vater sind Ehren­ titel, mit denen man die enge Beziehung zwischen verschiedenen Göttern betonen will und damit auch die intime Fürsorge des Vater­ oder Gattengottes für die Stadt seiner Gattin oder Tochter. Die Fami­ lienbindung, die Götter und Göttinnen als Kind oder Gefährte/ Gefährtin eines anderen Gottes erhalten, ergeben sich aus ihrer jewei­ ligen Position im Pantheon. Ischtar wechselt noch häufiger als andere Götter die familiäre Zu­ gehörigkeit, was sicherlich an ihren vielen Funktionen und ihrem schillernden Wesen liegt. Die beiden »Töchter« des Anu, die Baba und die Göttin Gatumdu, gehen spätestens ab dem 15. Jahrhundert in anderen Göttinnen auf. Gatumdu, die »Mutter von Lagasch«, der Könige von Lagasch im aus-

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gehenden 3. Jahrtausend, kommt in Dokumenten ab etwa 2100 schon nicht mehr vor. Baba hingegen spielt auch weiterhin eine Rolle. Ihr werden später Aufgabenbereiche der Hauptgöttin von Isin, Ninisina, und der Göttin Gula, der »großen Ärztin«, zugeschrieben. Mehrere Gebete sind an Baba gerichtet, in denen sie jeweils als »Tochter des Anu« angeredet wird. Sie ist der Inbegriff einer Schutzgottheit für den einzelnen Menschen, die lamassu »Schutzmacht«. Die Vaterschaft des Anu über die Göttin Ninisina »Herrin von Isin« ist vielleicht nicht in alter Mythologie begründet, sondern könnte als besonderer Ehrentitel für diese Göttin gedacht sein. Denoch ist es möglich, dass sie zu den »uralten« Gottheiten gehört, wenn es richtig ist, dass ihr Name in der Götterliste von Fara (gegen 2600) als Nin-IN geschrieben wurde. Jedenfalls waren im mesopota­ mischen Denken das Alte, der gewachsene Glaube, die überlieferten Schriften und die Tradition an sich ein sehr hoher Wert, der unbe­ dingt bewahrt werden mußte. Die Stadt der Göttin Ninisina, Isin, entwickelte sich um 1900 zu ei­ nem regionalen Zentrum mit dem Herrschaftssitz einer Königsdy­ nastie. Nach dem Zerfall des letzten sumerischen Reiches, des Reiches von Ur III (um 2100-2000) gewinnt Isin die Vorherrschaft in Babylo­ nien und gilt als erster der beiden frühen babylonischen Stadtstaaten. Fast gleichzeitig wurde ein Nachbarstadtstaat um die Hauptstadt Larsa bedeutend, der schließlich Isin besiegte und dann für einige Zeit den gesamten babylonischen Süden beherrschte. Als Machtzentrum folgt beiden das erste babylonische Großreich mit Babylon und Sippar als Hauptzentren der Hammurabi-Dynastie. Die Kulte in den verschiedenen Herrscherzentren entwickelten sich parallel zu den politischen Geschehnissen. Weil Isin Sitz des Kö­ nigs wurde, rückte die Hauptgöttin von Isin sehr nahe an die überre­ gional bedeutende Göttin Ischtar heran: Sie wurde wahrscheinlich wie Ischtar selbst zur Tochter des Anu. Weiterhin ist Anu Vater des sumerischen Wettergottes Ischkur. Auch er wird schon in den frühen Götterlisten aus Fara erwähnt. Die­ se Filiation wird in der Mythologie nicht gedeutet. Der Sturm- und Wettergott wurde als starker, ungestümer, mächtiger Stier bezeichnet und eines seiner Attribute ist in bildlichen Darstellungen ein Stier, der ihn begleitet oder auf dem er steht. Der Stier ist aber gleichzeitig das Symboltier des Anu, denn in der Mythologie gesellt sich zu ihm

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ein mächtiger »Himmelsstier«. Vielleicht hat sich aus dieser gemein­ samen Symbolik die enge Beziehung zwischen beiden Gottheiten ent­ wickelt, ganz abgesehen davon, dass beide Erscheinungen des stürmi­ schen Himmels sind. Die Bedeutung des Anu In der Königsideologie

Die Zuordnung einiger der wichtigsten Göttinnen zum Hauptgott Anu zeigt, dass er in den älteren Epochen in der mesopotamischen Religion eine konstitutive Bedeutung gehabt haben muss. Er behält diese Rolle bis zum Ende des Stadtstaates Isin gegen 1800. Hammurabi von Babylon bezeichnete Anu als den erhabenen Gott und als Hauptgott aller Götter, der Anunnaku. Zudem erwähnt er einen Kult des Anu in der südlichen Stadt Uruk. Im Prolog seiner Gesetztestexte rühmt sich Hammurabi, »das Haupt des Heiligtums Eanna zu erhe­ ben und den Überfluss anzusammeln für Anu und Ischtar«. Obgleich dadurch auf den ersten Blick der Eindruck erweckt wird, als ob Anu eine ganz besondere Position einnähme, hat er dennoch nicht die gleiche religionspolitische Bedeutung wie »sein Sohn«, der Gott Enlil. Untrügliche Zeichen der kulturellen Bedeutung eines Gottes sind Schenkungen an die Tempel. Wichtig ist, was gestiftet wird, und wie viel man den einzelnen Göttern als Versorgungsgüter darbringt. Nach diesen Dokumenten hatte Anu im ausgehenden 3. Jahrtausend, wäh­ rend der ersten Akkad-Dynastie (um 2325-2150), etwa die gleiche Stellung wie die Götter Ischtar und Sin, d. h. wie die Kriegs- und Lie­ besgöttin und der Mondgott. Anu salbte den König und war auch da­ durch garantierendes Element der Herrschaft. In dieser Zeit erhält er opulente Stiftungen. Aber in den folgenden Epochen, in der Ur-IIIZeit und der Zeit der ersten Stadtstaaten Babyloniens wurden seinem Kult weit weniger Opferrationen als dem Gott Enlil zugeteilt. Er er­ hielt nur etwa soviel wie eine Reihe kleinerer Muttergottheiten. Da­ raus lässt sich folgern, dass er für den Königskult und in der Königs­ ideologie an Bedeutung verloren hatte. Wenn Anu in den Epochen nach der Hammurabi-Zeit noch an­ gerufen wurde, dann als Teil der Göttertrias Anu, Enlil und Ea. Auch die Verleihung von Szepter und Stab als Machtinsignien des Königs wurde nun einer Gruppe von Göttern, den »großen Göttern« übertragen, unter denen Anu, Enlil und Ea an erster Stelle genannt werden.

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Im jüngeren Königskult blieb Anu hinter dem Sonnen- und Rechtsgott Schamasch und dem Landesgott Marduk zurück. Stiftun­ gen und Segenswünsche für »Anu (und Enlil)« verlieren sich gegen Ende des 2. Jahrtausends völlig. Der Mythos von Anu und Adapa

Eine lebendige Rolle nahm Anu in einem babylonischen Mythos ein, der von dem Missgeschick des Urweisen Adapa erzählt. Die bisher bekannten Niederschriften dieser Dichtung stammen aus dem 2. und 1. Jahrtausend. Textzeugen wurden im königlichen Archiv in El Amarna in Ägypten ausgegraben und in Niniveh, wo sie zu einer Sammlung von Literatur am Hofe des Königs Assurbanipal gehörten. Dass der Mythos auf eine noch ältere schriftliche oder mündliche Tradition zu­ rückgeht, lassen neue sumerischsprachige Texte vermuten, die erst kürzlich bei Rettungsgrabungen im Irak gefunden wurden. Die Geschichte handelt von dem Urweisen Adapa, der dem »Süd­ wind« - sehr zum Ärger von Anu - die Flügel bricht. Mit dem Süd­ wind ist der Wind gemeint, der nur zu bestimmten Zeiten im Jahr über den Persischen Golf zwischen Indien und Mesopotamien weht. Auch dieses Element wird als göttliches Wesen verstanden. Gott Anu wacht über die Vorkommnisse im Himmel. Deshalb nimmt er wahr, dass der Südwind nicht mehr weht und beordert den Verursacher zu sich. Adapa legt Trauerkleider an und hält sich auch in Gegenwart des Gottes Anu an die ihm durch Enki, den Schöpfer­ gott vermittelten Trauerriten, die neben anderem auch Speiseverbote beinhalteten. Anu, der die Befolgung des Trauerritus erkennt, wird milde gestimmt, und bietet dem Weisen die Unsterblichkeit in Form von Brot und Wasser des Lebens an. Der Mensch in seiner Be­ schränktheit kann das aber nicht verstehen und hält an seiner Trauer fest. Daraufhin lachte Anu ihn aus. Ohne dass es in dem Mythos aus­ drücklich zur Sprache kommt, schickt er ihn wohl zur Erde zurück. Die Befugnis des Anu besteht in diesem Mythos darin, dass er die »Göttlichkeit« verteilen kann, denn die Unsterblichkeit gehört zu dem wenigen, was Götter wirklich von Menschen der Elite unter­ scheidet. Aber obgleich es anderen Göttern, darunter besonders dem Schöpfergott Enki, oft gelingt, den Menschen ihre Absicht mitzutei­ len, vermeidet Anu dieses bewusst oder unbewusst. »Er ist in der Tat der allerfernste der Götter im weiten Himmel.«

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Der oberste Gott des Landes

Enlll als Herr des Ideologischen Konzeptes »Sumer und Akkad«

So wie Anu den Inbegriff seiner eigenen Herrschaft, die »Anuschaft« Anutu vergeben konnte und mit seiner eigenen Vormacht andere Götter ausstattete, verlieh auch Enlil eine oberste Würde, die »Enlilschaft« Illilutu. Interessanterweise überträgt er diese Enlilschaft erst­ malig dem späteren Hauptgott Babyloniens, Marduk, und zwar zur Zeit der Herausbildung des ersten babylonischen Großreiches von Hammurabi in Babylon ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, als Mar­ duk selbst nur Stadtgott von Babylon war. Das geht aus dem Prolog zu den Gesetzestexten Hammurabis hervor und den Inschriften sei­ nes Nachfolgers Samsuiluna. Marduk wird zu diesem Zeitpunkt »der Enlil« der Götter. In etwa gleichzeitig gebildeten Personennamen erhalten noch an­ dere Götter diese Würde, etwa der Sonnengott Schamasch und der Gott Nabu, ein Gott der Schreiberkunst und Weisheit, der im 1. Jahr­ tausend bei den Menschen sehr beliebt war. Von etwa der Mitte des 3. bis fast zum Ende des 2. Jahrtausends galt der Gott Enlil als eine die Herrschaft konstituierende göttliche Macht. Da die Königsmacht als königlicher Auftrag verstanden wur­ de, legitimierten sich die Herrscher, indem sie sich auf den göttlichen Auftrag zur Herrschaft beriefen. Hieran waren immer mehrere Götter beteiligt, die in unterschiedlicher Weise als Paten für die Regierung beansprucht wurden - als Vater, Mutter oder Amme oder auch ein­ fach als Herr über das Land, den König und die Bevölkerung. In den älteren Perioden wird aber Enlil die Rolle des obersten Gottes zu­ geschrieben, der die anderen Götter beherrschte und den König als legitimen Herrscher über die Menschen bestätigte.

T6 Ein kurzer Überblick über Enlils Rolle in der Königsideologie: Unter den altsumerischen Königen wird er als »König von Him­ mel und Erde« bezeichnet. Ningirsu, der Stadtgott von Girsu, ist 58

der »Held des Enlil«, andere Königsinschriften nennen Enlil »Herr des Landes« (Sumer?). In der Akkadzeit (ab 2300) wird Enlil bei allen Königen als oberste Instanz erwähnt; einige Könige titulieren sich »Sohn des Enlil«. In der Ur-Ill-Zeit (ab 2100) gilt Nanna, der Mondgott und Stadt­ gott von Ur, als »Erbsohn Enlils« und ist diesem damit unterstellt. Ningirsu, der Stadtgott von Girsu ist der »Held Enlils«. Die Könige dieser Dynastie behaupteten, dass Enlil sie in Nippur zum König­ tum berief oder sie nannten sich »Geliebter des Enlil« oder »Er­ wählter des Enlil«. In der frühaltbabylonischen Zeit der verschiedenen Stadtstaaten (ab 2000) erhalten die Stadtgötter der einzelnen Stadtstaaten oft den Titel: »Erbsohn Enlils« oder »Held Enlils«. Ein König, Lipit-Ischtar von Isin (ab 1934), etabliert die Ordnung im Lande »auf Geheiß des Enlil«. Ein anderer König, Urdukuga, ist der »gerechte Arbeiter für An und Enlil«. Der letzte König, Damiqilischu von Isin (ab 1816), nennt sich »Hirte des Anu« und »Diener des Enlil«. König Sin-idinnam von Larsa (ab 1849) »erhält das Königtum von Anu, Enlil, Nanna und Schamasch« und die »Befehlsgewalt von Anu und Inanna mit dem Einverständnis von Enlil und Nanna«. Unter König Rim-Sin von Larsa (ab 1822) wird eine Inschrift an Enlil als Herrscher des Landes verfasst. In der altbabylonischen Zeit der Hammurabi-Dynastie wird König Hammurabi (ab 1792) zum Königtum »berufen von Anu und dem Enlil gehorchend«. Er behauptet, Enlil habe ihm das Schicksal bestimmt. Aber: Unter seinem Sohn Samsuiluna richten »Anu und Enlil ihre Blicke froh auf Marduk, ihren Nachfolger«! Dennoch ist immer noch Enlil »der König der Götter«, »der Hirte, der die Schick­ sale bestimmt«. Noch der neunte König dieser Epoche, Ammiditana (ab 1683), ist »der Günstling des Enlil«.

In den frühesten Königsinschriften wird Enlil als der Entscheidungen tragende Gott neben Anu angerufen. Aber nur zwei der damaligen sumerischen Könige, Entemena und Eannatum, widmeten ihm Ge­ genstände oder nannten ihn »Herr von Himmel und Erde«. Erst von König Lugalzagesi von Uruk an, der in der Zeit der Gründung des

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ersten semitischen Reiches von Akkad (gegen 2325) lebte, wird aber zum Ausdruck gebracht, dass die Herrschaft über das Land (Sumer?) von Enlil ausgehe. Diesen Gedanken griffen die folgenden Könige auf und in einer Erweiterung des Begriffs zum »König von Sumer und Akkad« setzte er sich in den nächsten Jahrhunderten bis zur Hammurabi-Zeit und darüber hinaus fort. Selbst im nordsyrischen Reich von Mari wird Enlil als Begründer des Königtums angerufen. Ab der Mitte des 2. Jahrtausends tritt dann die schon genannte Trias großer Gottheiten, »Anu, Enlil und Ea (Enki)«, als Legitimati­ onsträger für die Königsherrschaft auf. Enlils Hauptwohnsitz in Nippur ist das Ekur, an dem seit dem altakkadischen König Naram-Sin im 23. Jahrhundert noch viele wei­ tere Könige bauten und restaurierten. Nippur dominierte als kulturelles Zentrum während der Könige der Isin-Dynastie (etwa ab 2000 bis 1875). Es scheint damals auch ein ideologisches Zentrum zur Pflege der sumerischen Sprache gewesen zu sein, denn in Nippur wurden viele literarische Gebete, Preislieder und alte Erzählungen in sumerischer Sprache gefunden, die entweder an verloren gegangene uralte sumerische Traditionen anknüpfen oder aber sie neu erfinden. Vieles deutet daraufhin, dass sich in dieser Stadt ein überregional ausstrahlendes Schul- und Wissenszentrum etabliert hatte. Ein ähnlich bedeutendes Zentrum könnte auch in der Stadt des Mondgottes, Ur, bestanden haben, die religionspolitisch da­ mals - wie schon in den drei Jahrhunderten vorher - ebenfalls eine führende Rolle eingenommen hat. Als nach der Wende zum 2. Jahrtausend die semitischen Stadt­ staaten von Isin und Larsa entstanden, wollte man wohl an die äl­ tere und goldene Zeit, die der sumerischen Könige, anknüpfen. Vie­ le Indizien lassen vermuten, dass Sumer und das Sumerische zu Beginn des 2. Jahrtausends idealisiert wurden. Diese Entwicklung setzte vielleicht schon unter den Ur-III-Königen (ab 2100) ein. Das Sumerische behielt in den folgenden Jahrhunderten und Jahrtau­ senden seine herausragende Bedeutung und wurde - neben dem Akkadischen - noch bis zum Ende der mesopotamischen Reiche als die Wissenschafts- und Kultsprache einer Kaste von Gelehrten bewahrt und gehütet. Gemäß der Tradition, die Stadtgötter durch Familienbande mit ei­ nem der großen Regionalgötter zu verbinden, hatte Enlil mehrere 60

Söhne; er selbst ist im Pantheon von Uruk Sohn des dort obersten Gottes Anu. Unter Enlils Söhnen befindet sich der Hauptgott von Ur, mit su­ merischem Namen Nanna und semitischem Namen Sin. Die astrale Manifestation dieses Gottes ist der Mond. Enlils weitere Söhne sind die Götter Ningirsu, Ninurta und Nergal. Ningirsu ist trotz seines Namens, der mit Nin »Herrin« beginnt, der männliche Stadtgott von Girsu, einer Stadt im Süden Babylo­ niens. Die altsumerischen Könige (etwa ab 2400) priesen ihn als »Held« des Enlil und betonten damit die Oberherrschaft von Enlil. Dem Gott Ninurta übertragen die gelehrten Schreiber Anfang des 2. Jahrtausends Züge des älteren Ningirsu, des »Herrn von Girsu«. Ninurta besaß in seinem Tempel in Nippur, dem Eschumescha, einen uralten Kult. Mindestens seit der altakkadischen Zeit (ab 2300) ist er als der Hauptgott von Nippur greifbar und behielt diese Position auch in der altbabylonischen Zeit bei. Die ideologische Rolle des Enlil als Herrschergott für die Könige wird in den Stiftungen der Könige deutlich. Er bekam eine Anzahl reicher und kostbarer Stiftungen. Sein Haupttempel e2-kur »Haus Berg« galt in den ersten Jahrhunderten des 2. Jahrtausends als der Nabel des religiösen Lebens. Nur die Stellung der Stadt Ur war in die­ ser Zeit noch vergleichbar. Enlil war in Nippur auch dem Mondgott übergeordnet, denn er dominierte von hier aus eine ideologische En­ tität »Sumer und Akkad«, ein Konstrukt, das wohl nicht politisch zu verstehen ist, sondern die Einheit und das Vermächtnis der sumeri­ schen und babylonischen Kulturen betont. In seinem riesigen Tem­ pelkomplex, Ekur, leitete der Gott die Götterversammlung. Dort bestimmte er im Duku »heiligen Hügel«, der seine Vorfahren barg, das Schicksal des Landes. In den nächsten Jahrhunderten nach der Mitte des 2. Jahrtausends übernimmt der Gott Marduk - seit Hammurabi Stadtgott der immer wichtiger werdenden Stadt Babylon - seine Funktion und Position innerhalb des Reichspantheon. Jedenfalls werden schon vor dem aus­ gehenden 2. Jahrtausend alle Machtbefugnisse Enlils auf diesen strah­ lenden jungen Gott Marduk übertragen. Etwas Ähnliches spielte sich in Assur ab, wo der Landesgott Assur als »assyrischer Enlil« die Vor­ herrschaft übertragen bekam. Der Gott Nergal, der vierte der Söhne des Enlil unter den großen Göttern, ist ein Unheilsgott. Auch dieser eigentlich finstere und

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furchterregende Gott stammt von dem guten oberen Himmelsgott Enlil ab und nicht von einem Dämonen oder von anderen Unheils­ mächten. Als weiterer Sohn des Enlil gilt der Wettergott, der aber auch als Sohn des Anu geführt werden kann. Die ansteigende politische Bedeutung einer seiner Kultorte - vielleicht Eschnunna im Osttigris­ land - dürfte diese Filiation begünstigt haben. Die Gattin Enlils ist und bleibt die Göttin Ninlil (»Herrin Wind­ hauch«), In der älteren Zeit hatte der Gott noch andere Gemahlin­ nen, wie z. B. die Göttin Ninhursag (»Herrin des Gebirges«), die ebenfalls einen Kult in Nippur erhielt, wo sie sowohl im Ninlil-Tempel als auch in einem eigenen Heiligtum verehrt wurde, das sie aber dort mit ihrem Gemahl Schulpae teilte. Der Menschenerschaffer Im Lied von der Hacke

Anders als beim Gott Anu, der außer im Adapa-Mythos kaum eine Rolle in Erzählungen spielt, ranken sich um den Gott Enlil eine Reihe von Mythen. Einer dieser Texte, der in 70 Exemplaren allein aus der Stadt Nippur, dem Hauptwohnsitz des Enlil, überliefert ist, wird als satirisch angesehen. Der hymnisch-erzählerische Text enthält Wort­ spiele und Alliterationen um das Wörtchen al, das im Sumerischen die Hacke bezeichnet, und mit der Silbe und dem grammatischen Element al. Ob die Idee, dass Enlil mithilfe der Hacke die Erde öffnet, um in einer Ziegelmulde die Menschen wie Pflanzen aus der Erde hervorsprießen zu lassen, auch als witziger literarischer Topos zu verstehen ist, entzieht sich unserer Beurteilung. Jedenfalls erschafft er in diesem »Lehrgedicht von der Spitzhacke« die Menschen, deren Zweck es ist, mit der Hacke Enlils Tempel Ekur zu errichten.

T7 Enlils Menschenschöpfung: »Enlil ... beeilte sich nicht nur, den Himmel von der Erde zu ent­ fernen, [...] und die Erde vom Himmel: Um in Uzumua* die ersten Menschen hervorsprießen zu las­ sen, brachte er die axis mundi in Duranki [ein Name für Nippur] an. Er tat dieses mit der Hilfe der Spitzhacke - und der Tag brach an! 62

Er gründete die Arbeitsaufgaben und bestimmte die täglichen Pflichten. Und für die Spitzhacke und den Tragkorb bestimmte er Löhne. Dann pries Enlil seine Hacke: (...) Hier in Uzumua* setzte er die Hacke zur Arbeit ein. Er ließ sie das erste Model der Menschheit in die Ziegelform legen. Und seine Menschen begannen vor ihm durch die Erde zu bre­ chen, und er schaute wohlwollend auf seine »Schwarzköpfigen« (Sume­ rer). Die Anunna-Götter stellten sich zu ihm (und) sie verlangten die »Schwarzköpfigen« von ihm. Die Dame, die einst Geburt gegeben hatte dem Herrscher, dem König, die Göttin Ninmena, sie setzte nun die menschliche Repro­ duktion in Gang.« [* Uzumua ist ein künstlich erfundener mythischer Ort, der in wörtlicher Übersetzung heisst: »wo das Fleisch wächst«.] (Nach Färber [1997] S. 511 f.) Der Mythos von Enlil, Ninlil und Sud

Auch in einer anderen Erzählung, dem Mythos von »Enlil und Nin­ lil«, wird dem Gott Enlil die Rolle des Schöpfers übertragen. Dieses Mal jedoch zeugt er Götter. Enlil, so beschreibt ihn der Mythos, ist der »junge Mann« der Stadt Nippur. Ninlil ist ihr »junges Mädchen«. Eine sonst uns wenig be­ kannte Göttin namens Nunbarschugunu, eine Getreidegottheit, ist die »weise Alte« dieser Stadt. Das Epitheton »weise Alte« kennzeichnet sie als Traumdeuterin. In diesem Mythos ist sie aber auch die leibliche Mutter der Ninlil, die mit dem Gott Enlil noch nicht verheiratet ist. Nunbarschugunu prophezeit ihrer Tochter, dass sie von Enlil be­ gattet und geschwängert werde und dass er sie dann verlasse. Als Nin­ lil im Fluss badet, versucht Enlil, der dort spazieren geht, sie zu ver­ führen. Sie aber widersteht ihm, wobei sie sagt, dass »sie küssen nicht kenne und auch Schwangerschaft nicht kenne«, also noch Jungfrau sei. Sie droht, ihrer Mutter Mitteilung von seinem Verhalten zu ma­ chen und sagt zu ihm: »Wenn meine Mutter es erfährt, wird sie meine

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Hand schlagen, und wenn mein Vater es erfährt, wird er dich packen.« Enlil jedoch insistiert und versucht, sie im Wasser zu ergreifen. Sein Botengott - es ist der Gott Nuska, der Gott des Feuers - bringt ihm ein Boot. Hiermit nähert er sich der badenden Ninlil und be­ mächtigt sich ihrer. Er begattet sie und schwängert sie. Das bleibt nicht ohne Strafe: Als er im Tempel umhergeht, wird er von den Göt­ tern entdeckt. Sie ergreifen ihn und weisen ihn aus der Stadt. Die will Enlil nun selbst verlassen. Aber als er hinausgeht, folgt ihm Ninlil, die schon mit Sin, dem Mondgott, schwanger ist. An den verschiedenen Stadttoren von Nippur begattet er sie nochmals, jeweils in Verklei­ dung der verschiedenen Torwächter. Er zeugt mit ihr den Gott Nergal, den Unterweltsgott, den Gott Ninazu, der in Nippur als Gott der Vermessungskunst für die Kanäle gilt, und den Gott Enbilulu, dessen Aufgabe die Inspektion dieser Kanäle ist. Der Mythos findet keine - für uns - logische Lösung, sondern en­ det mit einem Preislied auf Enlil und Ninlil. In diesem Mythos werden verschiedene kulturelle Einrichtungen, wie die Vermessung der Felder und Kanäle und ihre Errichtung und Wartung, von denen der Reichtum des Landes abhing, dem Enlil zu­ geschrieben. Die beiden Götter Ninazu und Enbilulu werden hier erstmals mit den Göttern Sin und Nergal verknüpft, die schon vorher als Söhne des Enlil galten. Von diesen vier Söhnen ist Nin-azu (»Herr Arzt«) im Osttigris­ land, an der Grenze zum iranischen Hochland, ein bedeutender Gott. Als Heilgott ist sein Symbol die Schlange; er kann aber auch als Wet­ tergott gelten. Vielleicht wurde er aus dem fernen Elam, dem Gebiet um Susa auf dem heutigen iranischen Hochland, nach Mesopota­ mien gebracht und dann wie Nergal als ein Unterweltsgott aner­ kannt. Im Mythos von »Enlil und Ninlil« spielt er eine völlig andere Rolle, denn er wird als Kulturgott, der für die ordnungsgemäße Ver­ gabe der Felder zuständig ist, charakterisiert. Der andere im Mythos erwähnte Gott, Enbilulu, ist Gott der Be­ wässerung und des Ackerbaus und wird hier als Wettergott gestaltet, der die segensreiche Aufgabe der Bewässerung übernimmt, die neben dem Bringen von Sturm und Gewitter auch zu seinen Verantwort­ lichkeiten gehört. Im Mythos wird der Luxus der Stadt Nippur gepriesen, ihr groß­ artiger Anlegeplatz am Fluss, ihre Wasserwege und Kanalsysteme und 64

ihre Brunnen. Besonders eine der Errungenschaften der Zivilisation, die Einrichtung und Pflege der Kanalwirtschaft, wird verherrlicht. Der Kanalbau war eine der wichtigsten Maßnahmen für den Handel und die Agrarwirtschaft im regenarmen Süden Mesopotamiens. My­ theninhalte wie dieser zeigen, wie stolz die Bewohner Mesopotamiens auf diese zivilisatorischen Leistungen waren. In der Realität trug je­ doch wohl das Bewässerungssystem des mesopotamischen Südens dazu bei, die Böden verkümmern zu lassen. Das führte zeitweilig zu Ernteausfallen und möglicherweise zu Hungersnöten. Enlll und Sud

Zu dem Mythos »Enlil und Ninlil« wurde vor einigen Jahren noch ein weiterer Textteil als »Die Hochzeit der Sud« veröffentlicht. Sud war einst die Stadtgottheit der uralten Stadt Schuruppak (Fara), aus der von etwa 2600 einige der ältesten Literaturwerke über­ haupt stammen. Zur Blütezeit von Fara und noch einige Jahrhunder­ te danach wird die Göttin in menschlichen Personennamen erwähnt. Danach kommt sie kaum mehr vor und erhält auch nur noch selten Opfer. Sie ist im »Hochzeits«-Mythos Tochter der Getreidegöttin Nisaba und des Gottes Haya, der typologisch mit dem Schöpfergott Enki verwandt ist. Durch ihre Hochzeit mit Enlil wird sie offiziell mit der Göttin Ninlil verbunden, eine Nähe, die auch die Götterlisten aus Nippur betonen. Eine der Funktionen dieses Mythos ist die Synkretisierung der alten Gottheit Sud, die in dem uralten Kultort Fara verehrt wurde, mit der Gattin des Enlil, der Ninlil. Ort der Handlung im Mythos ist zuerst Nippur und im späteren Verlauf der Erzählung die Stadt Eresch, die bis heute noch nicht entdeckt wurde, vermutlich aber unweit von Fara lag. Der Mythos enthält viele wichtige Einzelheiten, die uns Riten be­ schreiben, welche im alten Mesopotamien vor und bei einer Ehe­ schließung üblich waren. Es wird Haya, der Vater der Göttin, vorge­ stellt und seine Gattin, als sie die Sud gebiert. Das war zu einer Zeit, als »noch keiner dem Enlil eine Gattin im Ki’ur (dem Tempel der Ninlil in Nippur) gegeben hatte und der Name Ninlil noch nicht ge­ nannt worden war im Ki’ur«. Zu jener Zeit reiste Enlil durch Sumer bis zum Ende der Erde. Schließlich trifft er Sud, die im Tor ihres väterlichen Hauses steht.

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Dieser Aufenthaltsort ist nicht schicklich, denn sie wird von Enlil zwar begehrt und er bietet ihr auch gleich die Ehe an, aber er bezeich­ net sie auch als »unreine Person«. Ähnlich wie in »Enlil und Ninlil« wehrt und weigert sie sich, um ihre Anständigkeit zu betonen, und beschimpft ihn sogar, dass er sie schändlich verleumde. Offenbar geht sie ins Haus und entkommt ihm so. Enlil sendet wieder seinen Boten, den Gott Nuska. Er gibt ihm den Auftrag, zur Mutter der Sud, der Göttin Nisaba zu reisen, und ihn als einen unverheirateten Mann, der ihre Tochter als Braut nehmen möchte, zu empfehlen. Nuska ist hier also der Brautwerber, der gemäß den Hochzeitssitten auch die Ehege­ schenke zu übermitteln hat. Die Ehegaben, die von Seiten des Bräutigams geschenkt werden so auch die zahlreichen Gaben im ersten Teil des Mythos »Enlil und Ninlil« - gehen über in den Besitz der Braut. Enlil verspricht, Sud als »seine Frau Ninlil« einzusetzen, ihr als Wohnung das Ki‘ur in Nippur anzuweisen, sie aber ebenso in seinem Tempel wohnen zu lassen und sie an allen seinen göttlichen Funk­ tionen teilhaben zu lassen, unter anderem auch an dem wichtigen Geschäft, die »Schicksale zu bestimmen«. Damit wird Sud mit Ninlil offiziell gleichgesetzt. Nun folgt die Geschichte dieser Brautwerbung: Der Botengott Nuska geht und wirbt um Sud genau mit den Wor­ ten, die Enlil ihm aufgetragen hat. Er wird, wie es üblich ist, gut emp­ fangen, und die Mutter der Braut stimmt der Eheschließung zu. Enlil habe ihre Tochter, die er durch seine Belästigung im Tor beleidigt ha­ be, durch seine Werbung wieder ehrbar gemacht. Dem Boten wird Bier ausgeschenkt und damit ist der Vertrag von Seiten des Bräuti­ gams rituell besiegelt. Die Braut nimmt die Geschenke an, und damit ist der Ehevertrag von ihrer Seite aus bindend. Nuska geht zu Enlil zurück und dieser freut sich ungemein und »hebt den Kopf«. Durch das Heben seine Kopfes kommen Tiere aus den Bergen, der Steppe und den Weiden und werden als Brautgabe zum Wohnort der Braut geschickt. Alle nur denkbaren Früchte wer­ den geschenkt und auch der Schmuck, kostbare Edelsteine, wird nicht vergessen. Dann sendet Enlil seine »Schwester«, eine Muttergöttin zur Braut, die sie für den Eintritt in ihren Tempel in Nippur vorbereitet. Mit ihrer Macht als Muttergöttin verleiht sie ihr Schönheit und Fruchtbarkeit. Der Mythos endet mit einem Preislied auf die Göttin Ninlil. 66

Obgleich die Textzeugen der sumerischen Mythen von Enlil und Ninlil und Enlil und Sud aus der altbabylonischen Zeit stammen, liegt der geschichtliche Kern mit der Nennung von Schuruppak (= Fara) weit vor der altbabylonischen Zeit. Die Verfasser (oder Schreiber) der Mythen bemühten sich augenscheinlich, durch die Vermählung der repräsentativsten Gottheiten von Nippur und Fara die religiösen und kulturellen Traditionen beider Städte miteinander zu verknüpfen. Fara spielte damals sicherlich politisch keine Rolle mehr, galt aber im 26. Jahrhundert als eines der Zentren von Literatur und Schreiberkunst. Die Stadt Nippur erhält durch diese Mythen das zusätzliche Flair einer uralten Traditionsstadt. Diesem Ruhm blieb sie in den folgenden Jahrhunderten durch die rührige Aktivität ihrer Schreiberzunft treu.

T8 Ehe in Mesopotamien: Da auch die Menschen nicht monogam waren, sondern, wenn sie wohlhabend oder sogar königlich waren, mehrere Frauen besit­ zen konnten, waren auch die Götter, wie die Menschen, polygam (in der besonderen Form der Polygonie). Zwar gab es eine »Herrin des Hauses« an der obersten Stelle unter den Frauen ihres Ehemannes, aber neben ihr wohnten im Haus oder in anderen Häusern (auf dem Gelände) eine Reihe von »Eingeschlossenen« und Sklavinnen. Die einen, die »Eingeschlos­ senen« (sekretu) konnten in den Rang von Ehefrauen erhoben wer­ den. Die anderen, die Sklavinnen, konnten dem Hausherrn ledig­ lich Kinder gebären, die dann je nach Wunsch des »Herrn des Hau­ ses« anerkannt und erbberechtigt wurden oder nicht. (Siehe Groneberg 2000) Die Schicksaisbestimmung durch Enlil

Eine der wichtigsten Funktionen des Gottes Enlil ist das Bestimmen der Schicksale. Diese Würde wird allerdings nicht nur Enlil verliehen, sondern auch anderen würdigen Göttern, wie Anu, Enki, Ischtar, Na­ bu und noch anderen. Der Ausdruck »Schicksal« schimtu geht zurück auf das akkadische Verb schiamu »bestimmen, entscheiden«. Unter schimtu ist daher ein Schicksal im Sinne einer Entscheidung, eines vorgegebenen Entwur-

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fes zu verstehen, der für Dinge und Erscheinungen des Kosmos vorliegt. Auch wenn es nicht explizit gesagt wird, kann man davon ausgehen, dass das fertige Universum in diesen geordneten Bahnen verläuft, während der unfertige Zustand vor der Etablierung der Ord­ nung noch mit »als die Schicksale (noch) nicht entschieden waren« beschrieben wird. Mit der Schicksalsentscheidung hängt die Ordnung der Welt, die Einrichtung und Bezeichnung von Dingen zusammen und der gere­ gelte Ablauf innerweltlicher Vorgänge. Im kosmischen Zusammen­ hang wird schimtu oft mit ußurtu verknüpft. Das ist - auch ganz kon­ kret - ein architektonischer Begriff und bezeichnet die Bauzeichnun­ gen, die als Pläne vor der Errichtung der offiziellen Gebäude angefer­ tigt werden. Ein berühmtes Beispiel sind die Zeichnungen auf dem Schoß der Statuen des Fürsten Gudea von Lagasch. Sie zeigen den Grundriss eines Tempels, den er für seinen Stadtgott Ningirsu er­ neuerte. Auf der sozialen Ebene sind die Schicksale die kon­ ventionellen etablierten Nor­ men, an denen sich König wie Volk zu orientieren haben. Ein synonymer Aus­ druck ist purussu »Entschei­ dungen«, der aus der Rechts­ terminologie entlehnt wurde. Im persönlichen Bereich ist das Schicksal der von den Göttern bestimmte Lebens­ plan des Einzelnen, der den Beginn und Endpunkt des Lebens enthält, ähnlich der griechischen moira. Wenn man stirbt, so »geht man zu seinem Schicksal«, und stirbt man unrühmlich oder zu früh, so geht man »vor seiner Zeit zu seinem Schicksal«. Abb. ¡0) Statue Gudeas mit Bauplan

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Das vorherbestimmte Schicksal schien man durch magische Prak­ tiken beeinflussen und zum Besseren wenden zu können. Es ist nicht statisch, obgleich es in Gang gesetzt wurde bei der Ordnung der Welt, zu der die Menschen gehören. Aus diesem Grund muss die Schick­ salsbestimmung immer wieder eingefordert und erneuert werden. Gegen Ende des 1. Jahrtausends erfolgte die Schicksalsbestimmung für das Land am 8. und 11. Tag eines mehrtägigen Festes zu Beginn des neuen Jahres (meistens im März/April). Unter dem Akt der Schicksalsbestimmung ist wohl ein Pakt oder Vertrag zu verstehen, der zwischen den Göttern oder einem Landes­ gott und dem Volk geschlossen wird. Zwar ist das Schicksal glück­ licherweise nicht ganz unabänderlich, aber es ist auch nicht völlig zu­ fällig. Es muss in einem bestimmten Umfang, einem fest umrissenen Rahmen, ausgehandelt werden. Zur Vorherbestimmung der Schicksale und zur Abwendung von schlechten Schicksalen dienen Omina und Lösungsrituale. Die Omi­ na zeigen an, was auf den Einzelnen, die Stadt, den König und das Land zukommen wird. Alle diese komplexen verschlüsselten Hinwei­ se, die sich aus den Vorhersagen ergaben, beschäftigten eine eigene Gruppe von Experten für ihre Deutung. Gab es Hinweise auf Krank­ heit und Unglück, für ein ungutes Schicksal also, so konnte man ver­ suchen, es abzuwenden. Dies geschah durch Rituale zur Lösung des Banns, durch Reinigungsrituale, begleitet durch das Know-how der Ritualfachleute. Der Mensch, das Volk, die Welt waren somit bis ins Kleinste der Ordnung unterworfen. Aber die Menschen konnten mit ihr kommu­ nizieren und sie beeinflussen. Repräsentanten dieser Ordnung waren jeweils die Höheren für die Niederen, die Götter in ihren verschiede­ nen Funktionen für die Menschen und über sie wieder ein Gott, der seinerseits ihre Schicksalentscheidung bewahrte und gegebenenfalls neu entschied. In der konkreten bildhaften Vorstellung der Mesopotamier sind diese Schicksale auf Tafeln aufgeschrieben. Und hier kommt Enlil ei­ ne Sonderrolle zu, die ab dem Ende des 2. Jahrtausends nur noch auf Marduk und auf Nabu übertragen wird. Unter den früheren Göttern ist es Enlil, der die Schicksalstafeln trägt und er erst überträgt sie auf den Gott Marduk. Im Weltschöpfungsmythos »Enuma elisch«, das ei­ ner Propagandaschrift zur Proklamation von Marduks Vorherrschaft über alle anderen Götter gleicht, übergibt die Urmutter Ti'amat (»das

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Salzwassermeer«) einem der von ihr geschaffenen Ungeheuer und Gatten, dem Kingu, die Schicksalstafeln. Nach einem wüsten und ge­ fährlichen Kampf mit ihr und Kingu, entreißt ihm Marduk die Tafeln und heftet sie an seine eigene Brust, ein Mythologem, das dem AnzuMythos entlehnt wurde. Die Vorstellung, dass der Lauf der Dinge auf einer Tafel schriftlich festgehalten werde, kann mit dem Niederschreiben der Sünden auf einer Sündentafel verglichen werden, ein Konzept, das auch in Meso­ potamien anzutreffen ist. Ähnlich wie die Schicksale werden auch die Sünden und die Verfehlungen des Einzelnen verzeichnet. Natürlich spiegelt diese Idee das tägliche Leben des hochbürokratisierten Meso­ potamiens wider. Fast für jedes Kännchen öl, das der König libierte, und für jede Unze Silber, die er ausgab, fertigte man auch in den ent­ legensten Orten eine Tafel an, die diesen Vorgang, den Ort, die Zeit, den Zweck und die Beteiligten festhielt. So werden erst recht auch die lebenserhaltenden oder -bedrohenden Vorgänge, ob sie den Einzel­ nen betrafen oder das Gemeinwesen, genauestens verbucht. Anzu als Träger der Schicksalstafeln Im Anzu-Mythos

In einem weiteren Enlil-Mythos, der den Kampf des Gottes mit ei­ nem Dämonenvogel, Anzu, schildert, trägt Enlil völlig rechtmäßig die Schicksalstafeln. Motto dieses »Anzu-Enlil-Mythos« ist wie im Welt­ schöpfungsmythos »Enuma elisch« ein Götterkampf. Die inhaltlichen Parallelen beider Dichtungen deuten auf Entlehnungen und ein ge­ meinsames Konzept: Ganz offensichtlich sollten in dem jüngeren »Enuma elisch«, das erst zu Beginn des 1. Jahrtausends niederge­ schrieben wurde, Charakterzüge des jungen heldenhaften Stadtgottes von Nippur, Ninurta, auf den Hauptgott des Landes Babylonien, Marduk, übertragen werden. Der »Anzu-Enlil-Mythos« hingegen scheint wie einige andere Mythen aus dem Beginn des 2. Jahrtau­ sends mythische Kämpfe und Siege um dunkle Mächte zu verarbei­ ten. Das dämonische, gottähnliche Anzu-Wesen wird als ein löwen­ köpfiger Adler stilisiert, der dem Enlil die Schicksalstafeln raubt. Der Mythos beginnt mit einem Preislied auf Enlil in seinem Tem­ pel Ekur in Nippur. Dort wird er täglich von diesem mythischen Ad­ lervogel beobachtet, der ihm seine Machtinsignien, besonders seine »Enlilschaft« sichtlich neidet. Enlil badet vor ihm im »reinen Wasser« und Anzu beabsichtigt bald, ihn zu berauben: »Ich«, so sagt er, »ich

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möchte die Schicksalstafeln übernehmen und die Gebote aller Götter auf mich vereinen. Den Thron möchte ich ganz besitzen, die Kultord­ nungen beherrschen.« Der Dämonenvogel plant einen Überfall am Eingang des Tempels, den er unter Beobachtung stellt. Als dann Enlil in der Morgendämmerung badet und seine Krone abnimmt und ne­ ben sich auf seinen Thron legt, da greift sich Anzu die Schicksalsta­ feln und flieht damit ins Gebirge. Der Effekt für das Land ist fürch­ terlich: Es herrscht Totenstille und der Glanz des Tempels erlischt. Der oberste Gott Anu ruft eine Versammlung ein. Die Götter bitten zuerst den Wettergott, Adad, und als nächstes den Gott Schara, den Stadtgott von Umma, der oft als »Sohn der Ischtar« gilt, gegen den Mythenvogel vorzugehen. Beide Götter aber weigern sich, weil Anzu unschlagbar sei, jedenfalls solange er die Schicksalstafeln besitze. An dieser Stelle gehen die ältere Erzählung und die einige Jahrhun­ derte später entstandene Variante des Mythos auseinander. In dem äl­ teren Teil des Mythos, der angeblich aus dem 2. Jahrtausend stammt, erklärt sich der Gott Ningirsu bereit, gegen Anzu zu kämpfen. Als er aber seinen Bogen abschießen will und seinen Pfeil auf ihn richtet, bäumt sich Anzu auf und macht alle Waffen magisch zunichte. In der Version aus dem 1. Jahrtausend ist der Gott Ningirsu, der »Herr von Girsu« in seiner ursprünglichen Gestalt ebenso vergessen wie die Stadt Girsu im Süden Mesopotamiens. Deshalb tritt im Mythos aus dem 1. Jahrtausend statt Ningirsu der Gott Ninurta auf, der frühere Stadtgott von Nippur. Er ist auch noch im 1. Jahrtausend sehr wir­ kungsmächtig. Als kriegerischer Gott ist seine Aufgabe, den König bei gefährlichen Auseinandersetzungen zu unterstützen. In der neueren Fassung holt sich Ninurta Rat beim weisen Gott Enki. Der ermuntert ihn, den dämonischen Adlervogel so zu beruhi­ gen, dass dieser mit ausgespannten Flügeln fliege. Dann könne er ihm die Flügel abschneiden und ihn rechts und links verstümmeln. Die Winde, die Hilfstruppen des Gottes Ninurta, sollen anschließend die Flügel in das Enlil-Heiligtum von Nippur, das Ekur, bringen. Dort soll Anzu getötet werden. So wird der Plan ausgeführt und der Heldengott wird wohl ge­ wonnen haben - jedoch ist leider am Ende des Textes die Keilschrift­ tafel abgebrochen. Deshalb bleibt bei der Deutung dieses Mythos einiges unklar, so z. B. die Bedeutung der Flügel, die den Tempel Ekur, die Stadt Nippur und den Ninurta bereichern sollen.

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Der löwenköpfige Mythenadler ist bis in das 4. Jahrtausend be­ zeugt, in dem er schon am Giebel des Tempels in Teil Obed abgebil­ det wird. Ein solches Mischwesen, das im Anzu-Mythos eine gefähr­ liche Instanz darstellt, ist in den Inschriften des Gudea von Lagasch das Attributtier des Gottes Ningirsu, und auch in diesem Mythos hilft es dem Gott die oberste Herrschaft zu erlangen. Der Gott Enlil wird jetzt als alter Herr charakterisiert, der Körper­ pflege betreibt und nicht daran denkt, einen Kampf zu versuchen. Viele märchenhafte Motive scheinen verarbeitet zu sein, die der rei­ nen Freude am Erzählen dienen und nicht nur theologische Aussagen enthalten. Der Zeitpunkt der Niederschrift der älteren Teile des Anzu-Mythos steht nicht ganz fest: Die alten Niederschriften stammen aus Elam, dem benachbarten iranischen Hochland. Motivisch wurde er viel­ leicht durch die sumerische Dichtung »Angim« beeinflusst, die Ereig­ nisse aus dem Jahrhundert vor der Wende zum 2. Jahrtausend erzählt. Der Anlass für die Ausformulierung und poetische Nieder­ schrift des Mythos könnte die Anbringung eines Symbols in Gestalt von Adlerflügeln am Enlil-Tempel in Nippur sein. Für dieses poli­ tisch-religiöses Ereignis, der Stiftung von Tempelschmuck, könnte eine gelehrte Schreiberzunft im königlichen Auftrag die passende Geschichte erfunden haben. Wurde der Mythos aber erst gegen Ende des 2. Jahrtausend ausformuliert, dann sind auch andere Interpreta­ tionen möglich, die im Zusammenhang mit der Erhöhung Marduks - oder Assurs? - und der Dichtung »Enuma elisch« stehen. Das soll im folgenden Kapitel dargestellt werden.

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Götterkarrieren: Der Aufstieg eines Reichsgottes

Nlnglrsu und Ninurta

Die Götternamen Nin-Girsu und Nin-urta beginnen mit dem Ele­ ment Nin, welches im Sumerischen »Herrin« bedeutet. Namenstypen dieser Art könnten zu dem Schluss fuhren, dass alle Götter des 3. und 2. Jahrtausends mit weiblichem Namenselement ursprünglich weibli­ che Götter gewesen seien. Erst als sie für den Königskult bedeutend wurden, seien sie zu männlichen Kriegern mutiert. Das aber ist bisher reine Spekulation, da die Entwicklungsgeschichte von Göttern hie­ rauf keine weiteren Hinweise gibt. Ningirsu wie Ninurta besitzen in geschichtlicher Zeit Ehefrauen: Nin-Girsu: »Herr von Girsu« ist mit der Stadtgöttin von Girsu, Baba, verheiratet. Auch dem Ninurta wird für einige Zeit die Göttin Baba beigesellt, später dann die Heilgöttin Gula. Das zweite Element des Namens Nin-urta, gehört zum sumeri­ schen Wort urasch »Erde«, so dass Ninurta »Herr der Erde« bedeutet. In der altbabylonischen Zeit werden beide Götter nebeneinander aufgeführt, aber in den älteren Götterlisten aus Fara (um 2600) wer­ den sie an ganz verschiedenen Stellen zitiert, so dass nicht sicher ist, ob sie damals schon zum gleichen Göttertyp gehörten oder vielleicht sogar Erscheinungsformen eines Gottes waren. Jedenfalls feiern die Inschriften altsumerischer Könige, etwa 200 Jahre nach der Nieder­ schrift der Götterliste aus Fara, Ningirsu als Held Nippurs - und nicht den Gott Ninurta, wie überhaupt Ninurta von altsumerischen Königen nicht bedacht wird.

T9 Durch den Fund einer Zylinderinschrift in der Nähe seines Tem­ pels in Nippur, die erst kürzlich neu übersetzt (und nun auch ver­ standen) wurde, ist der Herrschaftsanspruch des Gottes Ninurta aber schon mindestens zum Ende der altsumerischen Zelt, an der Wende zur altakkadischen Zeit, d. h. gegen 2350 bezeugt. In die­ ser mythologischen Erzählung(?), deren Geschehnisse noch nicht 73

ganz verständlich sind, spitzt sich die Handlung auf die Epiphanie dieses Gottes zu. Er trägt noch nicht die Insignien des Ningirsu, aber »Löwenhäute wie einen Panzer«. Die Kraft und Schnelligkeit des Löwen ist eine wohlbekannte Metapher für die kriegerische Herrscherkraft von Königen - und von Götterkönigen. Sie ist ver­ gleichbar mit dem Ungestüm und der Gewalt des Stiers. Der »Barton Zylinder«, B. Alster & Aage Westenholz [1994] S. 15-16. Der Gott Ningirsu, dessen Titel in den Inschriften altsumerischer Kö­ nige »Held des Enlil« lautete, bewohnt als Stadtgott von Girsu, das Teil des größeren Gebietes um Lagasch war, den Tempel E2-ninnu »Haus der 50 (weißen Anzu-Vögel)«. Ningirsu war sicherlich der am meisten angerufene Gott in den Inschriften der altsumerischen Könige und blieb auch im Königskult der dritten Dynastie von Ur (ab 2100) bedeutend. Diese Könige betrieben eine sumerisch orientierte Kulturpolitik nach einer etwa 100-jährigen Epoche akkadischer Herrschaft. Damals genoss der Gott eine besondere Verehrung unter Gudea von Lagasch, der ganz zu Anfang dieser Epoche (etwa 2120) als unabhängiger Stadtfürst herrschte bevor auch sein Gebiet in das Reich der dritten Dynastie von Ur einverleibt wurde. Die zahlreichen Inschriften sind auf einem bisher nicht dagewesenem hohen literarischem Niveau angesiedelt. Sie werden in einem sehr poetischen Sumerisch verfasst, das die elegante Sprache der Hymnen und Gebete vorwegnimmt, die erst aus Niederschriften des 2. Jahrtausends überliefert sind. In einer seiner Inschriften rühmt sich Gudea, den Eninnu-Tempel des Ningirsu in der Stadt Girsu nach einem Vorbild aus der uralten Stadt Eridu erneuert zu haben.

T 10 In seiner Zylinder-Inschrift berichtet Gudea (er lässt von sich in der dritten Person sprechen): »Der Hirte, den (die Göttin) Nansche beim Namen gerufen hatte, griff tief in die Lehmgrube [um Ton für Ziegel zu holen]; die Zeichnung, die er auf den Rahmen der Ziegelform [für die Ziegel des Tempels] eingeritzt hatte und die Lehmgrube, in die er tief gegriffen hatte, ergab den Anzu-Vogel, das Symbol seines Königs [Ningirsu], Zu einem glänzenden Symbol machte er es.«

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(In Anlehnung an Falkenstein [1953] S. 151 und Edzard [1996] S. 77 Kol. xiii Z. 18 ff.)

Der volle Name des Tempels als »Haus der 50 weißen Anzu-Vögel« verherrlicht die Schmuckausstattungen mit 50 Symbolen; ob tatsäch­ lich 50 Abbildungen von Dämonenvögeln sich im Tempel befanden, ist fraglich. Der Vogel selbst wird in der Inschrift als der löwenköpfige Adler eindeutig beschrieben. Er wird schon seit der Mitte des 3. Jahr­ tausends auch in Reliefs und Halbplastiken abgebildet. Er hat, wie es ein antiker Text treffend formuliert, einen Kopf »wie eine Fleder­ maus«, den wir als stilisierten Löwenkopf interpretieren.

Abb. 11 b) Löwendämon (Anzu-Vögel)

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Die Symbole des Ningirsu bei Gudea von Lagasch

In einer der Inschriften Gudeas, die Ausstattung und Pracht des Eninnu-Tempels preisen, werden eine ganze Anzahl von heiligen Ge­ genständen beschrieben, die Ningirsu zugeordnet werden. Zu dem Gott gehört eine Keule mit mindestens sieben »Köpfen«, die Scharur genannt wird: »Niedermäher einer Unzahl (von Feinden)«. In der poetischen Sprache dieses literarischen Kunstwerks »heult [sie] wie ein Sturm im Gebirge« und sie ist »eine Sintflut der Schlacht«. Es wird auch gesagt, dass der Gott viele Geschenke erhält, darunter: ei­ nen Wagen aus kostbarem Holz, gezogen von Eselhengsten, eine »Waffe mit Löwenkopf«, einen Bogen, die »heldenhafte Waffe«, min­ destens eine Standarte und schließlich noch eine Harfe, genannt »Drache des Landes«. An anderer Stelle der gleichen Inschrift werden diese Attribute des Gottes animiert und ihnen allen wird ein Platz im Tempel des Nin­ girsu, Eninnu, gegeben. T 11 »Der Erbauer des Hauses, Fürst Gudea von (der Stadt) Lagasch, machte ihm die folgenden Geschenke: »Den Wagen, genannt »Er hat die Berge unterworfen (...), den Eselshengst, ein wütender Wind (...), die siebenköpfige Keule, die mitum-Waffe, die löwenköpfige Waffe aus kostbarem Stein (...), die ... neun Standarten, den >Arm des Kriegers«, seinen Bogen, seine wütenden Pfeile, seinen Bogenköcher, verziert mit Löwen und Löwinnen, gegen die Schlangen züngeln.«

(In Anlehnung an Falkenstein [1953] S. 176 f. und Edzard [1996] Zyl. B xiii 18 ff.)

Ein Teil dieser Attribute, darunter ganz sicherlich die Scharur-Waffe, sind Symbole, mit denen man die Götterperson Ningirsu distinktiv kennzeichnen wollte. 76

Alle mesopotamischen Götter wurden vermutlich in den verschie­ densten Erscheinungsformen verehrt. Die feierlichste und repräsenta­ tivste Gestalt war eine eigens angefertigte Figur im Tempel, die in der geschichtlichen Zeit in Anlehnung an die Vorstellung vom König wie vornehme Menschen gekleidet wurde. Die Transformation von einem hölzernen, aber mit Edelmetallen und Steinen kostbar ausgestatteten und gekleideten Standbild zur Götterperson war durch aufwändige magische Belebungsrituale begleitet. Aber ein Gott wurde in noch anderen physikalischen Formen als präsent empfunden. Einige Götter manifestierten sich als Sternbild. Andere, leichter zu handhabende Erscheinungsformen, sind Symbole, die eine anthropomorphe Göttergestalt begleiteten und sie auch allei­ ne repräsentieren konnten. Das Symbol eines Gottes kann ein konkretes, realistisches Ding oder Tier sein, wie z. B. eine Harfe oder ein Hund, oder auch ein künstliches Ding oder virtuelles Tier, das die Form eines Fabelwesens, einer Zierwaffe oder eines bestimmten Ziermobiliars haben kann: irgendetwas, das man mit der Götterfigur ganz eng verbindet. Alle Symbole eines Gottes können in Texten als Attribute des Gottes er­ wähnt werden und auch auf Abbildungen neben dem Gott oder als Repräsentant für den Gott erscheinen. Sie verkörpern sinnbildhaft eine der göttlichen Eigenschaften oder Funktionen ihres Gottes. Diese Ergänzungen zur anthropomorphen Gestalt des Gottes, seine Attribute, sind entweder dem Gott zugewachsen, etwa in Über­ nahme von einem anderen Gott, oder sie wurden ihm zugeeignet, anlässlich einer Schenkung des Königs, oder sie gehörten ihm schon immer, so dass vergessen wurde, was sie ursprünglich symbolisieren sollten. Einige, vielleicht auch alle Göttersymbole werden mit einer eige­ nen Geschichte und durch kultische oder königliche Propaganda zu selbstständigen Göttern. Sie erhalten in schriftlichen Quellen das Zeichen für Götter, dingir, und agieren selbstständig in Vertretung ihres Gottes. Ausgestattet mit göttlicher Macht werden sie in bestimmten Kontexten vollgültiges Werkzeug ihres Gottes und ersetzten die körperliche Präsenz der Kultstatuen.

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Nlnurta In religiöser Tendenzdichtung

Ninurta hat als Sohn des Enlil eine Kapelle im Tempel des Enlil, dem Ekur, in der Stadt Nippur. Hier erfüllte er die Funktion des Stadtgot­ tes seit der altakkadischen Epoche (ab ca. 2300) - noch vor den Herr­ schern Gudea und Schulgi (ab 2120). Als Stadtgott von Nippur erhält er aufgrund der Bedeutung dieser Stadt während der dritten Dynastie von Ur (ab 2100-2000) regelmä­ ßig große Opfer wie auch während der 1. Dynastie von Isin zu Beginn des 2. Jahrtausends. Sein eigenes Heiligtum, der Tempel Eschumescha in Nippur ist na­ mentlich schon sehr früh bezeugt, ohne explizit mit dem Gott ver­ bunden zu werden. König Schulgi aber erneuert seinen Tempel und schon beim offiziellen Neujahrsfest in der Ur-III-Zeit wird Ninurta dann als Hauptgott von Nippur verehrt. Wie wichtig diese Ehrung ist, ergibt sich aus der Bedeutung der Ritualfeierlichkeiten des Neujahrs­ festes, die für die Königsherrschaft von grundlegender, konstitutiver Bedeutung waren. Auch in jüngerer Zeit war der Gott unter einigen Königen der Isin-Zeit besonders populär: Der altbabylonische Herr­ scher Ischme-Dagan von Isin (ab 1953) schenkte ihm eine Kultstatue und eine »fünfzigköpfige Waffe«, und etwa 100 Jahre später betonte Urdukuga von Isin mit einer Stiftung, wie sehr er seinen Tempelkult schätzte. Während der Herrschaft eines der genannten Könige könnten die Götter Ningirsu und Ninurta synkretisiert worden sein. Sowohl die Epoche des Königs Schulgi im 21. Jahrhundert als auch die des Königs Ischme-Dagan im 19. Jahrhundert - der Beginn der altbaby­ lonischen Zeit - war literarisch hochproduktiv. Schulgi selbst, der das Reich von Ur III einte, und dann auch über Girsu herrschte, pflegte den sehr poetischen Stil der sumerischen Sprache, der von den gelehrten Schreibern des Gudea von Lagasch noch vor seiner Zeit entwickelt worden war. Es liegt nahe, ihm die Betonung des Ninurta/Ningirsu-Kultes zuzuschreiben und bei den jüngeren frühaltbaby­ lonischen Herrschern Ischme-Dagan und Urdukuga schon ein Rück­ besinnen auf diese gute alte Tradition zu vermuten. Die theologische Botschaft der Herrschaft Ninurtas als strahlender junger kriegerischer Held wird in zwei Literaturwerken vermittelt, die im Wesentlichen erst im 2. Jahrtausend in akkadischer und in sume­ rischer Sprache niedergeschrieben wurden.

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Die eine der zwei Dichtungen, die von der Übertragung der Attri­ bute des Ningirsu auf Ninurta handelt, heisst An-gitn-dim2-ma: »ge­ schaffen wie An«, die andere Dichtung, die weitaus komplexer ist, wird nach ihrem Anfang zitiert als Lugale u4 me-lam2-bi: »König, Licht, dessen Glanz ...«. Die erste der Dichtungen, »Angimdimma«, verherrlicht die Hel­ denhaftigkeit des Ninurta, der verdientermaßen zu seinem Vater Enlil in dessen Haupttempel Ekur in Nippur einzieht. Schon ganz zu An­ fang wird die Stellung Ninurtas als oberster der großen Götter be­ tont. Aus der Stadt Eridu überführt er Riten und Kulte nach Nippur. Da Eridu eine der uralten Kulturstädte Sumers ist, wird durch diese Argumentation das rechtmäßige Erbe des Gottes in die traditionsrei­ che Frühzeit verlagert und seine Stellung in der Stadt Nippur durch Anciennität verstärkt. Schon die Tatsache, dass Ninurta in den Tempel des Enlil einzieht, etabliert ihn als rechtmäßigen Erben des Gottes Enlil. Der aber ist zu dieser Zeit der religionspolitisch bedeutendste Götterherrscher über »Sumer und Akkad«. Zu Beginn preist die Erzählung den Gott in seinen wichtigen Fa­ milienbezügen. Die ersten Worte gelten auch als Titel der Kompositi­ on: an-gim-dim2-ma dumu dEn-lil2-la2: »Geschaffen wie An, Sohn des Enlil«. Ninurta trägt die »heiligen von den Göttern verliehenen Eigenschaften (twe)« des Gebirges und der Stadt Eridu.

Abb. 12 a) Fragment der Geierstele mit Darstellung des Anzu-Vogels

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Abb. 12 b) Fragment der Geierstele aus Girsu (Tello)

Zu seiner Beute gehören auch Dinge, die schon dem Ningirsu zugeschrieben wurden, unter ihnen der Anzu-Vogel. Diese heiligen Attribute, die den Stiftungen des Fürsten Gudea von Lagasch an Ningirsu entsprechen - auch wenn sie in poetischer Sprache anders ausgeschmückt werden können -, hängt der Gott Ninurta an seinen eigenen Wagen, mit dem er in Nippur einzieht. Ähnlich wie seine Trophäen denen des Ningirsu entsprechen, sind auch unter seinen Waffen einige, die schon dem Ningirsu gehörten. Hierunter werden zum Beispiel mehrere Fangnetze genannt, mit de­ nen man Krieg führte. Eines dieser als Waffen benutzten Netze dürfte das große Fangnetz meinen, mit denen auf der Stele des altsumeri­ schen Königs Eanatum der Gott Ningirsu die besiegten Feinde des Landes zusammenpfercht (s. Abb. 12b).

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Ninurta wird mit einer Keule ausgestattet, »die sieben Köpfe hat«. Er trägt ein Schwert, und eine »fünfzigköpfige Axt«, genannt »die Flut«, den Bogen, den Schild, den Speer, das Langholz und eine weitere mit Gold und Lapislazuli verzierte Waffe. Die Namen aller dieser Waffen sind voller mythologischer Anspie­ lungen. Oft ist es ganz unmöglich zu unterscheiden, wo die Beschrei­ bung der einen Waffe, deren kostbarste Ausstattung und phantasti­ sches, fabelhaftes Machtpotenzial gepriesen wird, aufhört, und die Wirkung der nächsten Waffe einsetzt. Während »Angimdimma« in 209 Zeilen gegliedert wird, besteht das zweite Gedicht, »Lugale«, aus 728 Zeilen und ist damit um ein Vielfaches umfangreicher. Die ältesten Exemplare von »Lugale« stammen aus den ersten Jahrhunderten des 2. Jahrtausends. Das ist umso bemerkenswerter, weil in manchen Abschnitten auf die Bautätigkeit Gudeas am Eninnu (um 2120) angespielt wird, die alten Texte den Schreibern folglich si­ cherlich bekannt waren - wie auch aus anderen Indizien hervorgeht. Dass diese Erzählung große Aufmerksamkeit erweckte, zeigt sich in ihrer Beliebtheit bei den gelehrten Schreibern - oft waren sie An­ gehörige des Tempelpersonals -, die sie in etwa 200 Exemplaren und in beiden Sprachen, Sumerisch wie Akkadisch, bis in das 1. Jahrtau­ send hinein immer wieder abschrieben. Die komplizierte, hochge­ lehrte Dichtung verherrlicht Ninurta in allen möglichen Situationen: als Krieger, als Erschaffer und als den Schicksalsbestimmer. Die kom­ plexe Erzählung hat mehrere Erzählstränge, und man vermutet An­ spielungen auf kaum bekannte Mythen. »Lugale« beginnt mit dem Titel des Ninurta: lugale u4 melambi nirgal: »König, das Licht, dessen Glanz fürstlich ist«. Ninurta wird als Held gepriesen. Es werden ihm die gleichen Waffen und Attribute zu­ geschrieben, die schon in der Dichtung »Angimdimma« dem Ningirsu zugewiesen werden. Dann wird ein Fest beschrieben, das Ninurta an der Seite von Enlil und Anu zusammen mit seiner Gattin - hier ist es die Baba - feiert. Es folgt die erste Heldenepisode: Scharur, die personalisierte und sprechende Waffe des Gottes Ni­ nurta, unterrichtet ihn, dass die Erde ein Monster namens Asakku ge­ boren habe. Dieses Monster habe sich in den Bergen selbst vervielfäl­ tigt und bilde eine feindliche Liga mit Steinen, unter ihnen kostbare Steine wie Alabaster, Lapislazuli, Karneol und noch viele andere. Die­

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se feindselige Liga habe die Städte eingenommen und Asakku erhebe sich zum Gott dieser Städte und dominiere sie. Das Gebirge wendet sich an Ninurta um Hilfe. Es beschreibt Asak­ ku als wilde Macht, die sich jeder Kontrolle entziehe. Ninurta gerät in großen Zorn, und als die Situation entgleist und »das Gebirge in das Nichts fällt«, macht er sich zum Kampf auf. Da war es schon so, dass die Leute im Gebirge »nicht wussten, wohin gehen, die Vögel die Köpfe nicht mehr heben konnten« und »die Fische im heißem Wasser kochten«. Die Feinde erhoben sich »wie eine Flut« und überspülten das Ge­ birge. Die Bevölkerung von Land und Stadt wurde krank. Die Waffe des Ninurta, seine Scharur, überfliegt das Gebirge. Sie kommt zurück und berichtet ihm, was sie dabei alles besiegt hat. Und das sind nun die gleichen Dinge, die schon dem Ningirsu im Tempel Eninnu geschenkt wurden. Die Waffe Scharur warnt Ninurta, den Kampf gegen den Asakku persönlich aufzunehmen. Der jugendliche Heldengott jedoch hört nicht darauf und macht sich auf ins Gebirge, das vor Schreck erstarrt und »totenstill und pechschwarz« wird. Asakku greift ihn an und besiegt Ninurta vorerst. Ninurtas Waffe, Scharur, eilt nach Nippur, um Enlil um Hilfe zu ersuchen. Enlil erteilt jedoch nur die Weisung, der Gott solle weiterkämpfen. So kämpft Ninurta unermüdlich gegen den meuternden Berg, der sich schließ­ lich ebenso wie der böse Asakku ergibt. Daraufhin huldigen alle Götter Sumers Ninurta und der böse Asakku wird in einen Stein verwandelt. Es folgt nun eine historische Rückblende in die Zeit vor der Zivili­ sation. Damals, so heißt es, wurde alles von Eis bedeckt. Die Götter hun­ gerten, weil noch kein Kulturland angelegt war. Schon damals, so sug­ geriert die Dichtung, machte sich Ninurta ans Werk: Er legte den Weg der Wasserläufe fest und richtete die Bergzüge aus. Der Tigris wurde als Hauptflussader installiert. Durch diese Re­ gulierung der Wildnis kamen Ackerbau und Viehzucht in Gang. Die Muttergöttin Nin-mah: »erhabene Herrin« wurde als »Herrin des Ge­ birges«: Nin-hursag eingesetzt und sorgte für Fruchtbarkeit und Überfluss im Land. In der Tat ist Ninhursag eine der Kultgöttinnen der Stadt Nippur. Während der Held Ninurta nun im Kur, dem Ge­ birge, umherging, fordert ihn eine andere Muttergöttin auf, das Schicksal der Steine, die er im Gebirge besiegt hat, zu bestimmen.

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In einem langen Abschnitt werden viele bekannte Gesteinssorten als »verflucht« oder als »gut« klassifiziert, wobei zu den einzelnen Steinen kleine Geschichten erzählt werden. Mit dieser Zuweisung, die Ordnung schafft und als eine Art kulturelle Schöpfung zu verstehen ist, geht der aktive Teil der Erzählung zu Ende. Die Dichtung schließt mit einer Zusammenfassung der Heldentaten Ninurtas. Die Erzählung ist stilistisch durchdacht und sehr kunstvoll gestal­ tet. Sie arbeitet mit hochgelehrten Wortspielereien und theologischen Spekulationen. Eine beruht auf dem Begriff Kur. Kur bedeutet »Berg, Gebirge« und ist auch Bestandteil des Tempelnamens E2-kur: »HausGebirge«, Name des Enlil-Tempels in Nippur. Diesen Tempel bezieht nun Ninurta. Es könnte sein, dass Kur aus diesem Anlass belebt und als mythischer Ort animiert wird. Er wird mit Kräften ausgestattet und bekommt eine Geschichte. Kur ist aber auch Name des Berglandes. Das Bergland im Osten Mesopotamiens, im Gebiet des heutigen Iran, spielte immer eine herausragende Rolle. Hier lag das Land Elam, dessen Herrscher im­ mer wieder in die mesopotamische Politik einzugreifen versuchten. Möglicherweise verbirgt die wortgewaltige Dichtung neben aller theologischer Manipulation auch Anspielungen auf konkrete Kon­ flikte, die den Beginn des 2. Jahrtausend prägten. Die spielerische Beschreibung der verschiedenen Steine zeigt das Interesse des roh­ stoffarmen Mesopotamiens an den kostbaren Edelsteinen. Lapislazuli wurde sogar aus dem Bergland des heutigen Hindukusch bezogen. Auch das mag bei den Wortspielen um den Begriff Kur von Bedeu­ tung gewesen sein. Die Einordnung der Steine in Klassen von verder­ benden und heilenden könnte ihren Hintergrund in der Verwendung der verschiedenen Steinarten in magischen Ritualen haben; dagegen spricht, dass diese Klassifizierung der Steine in den verschiedenen Textzeugen widersprüchlich ist. Beide gelehrte Dichtungen, »Angimdimma« wie »Lugale«, wie auch die schon besprochene märchenhafte Erzählung vom Adlervogel Anzu, der im Gebirge wohnte und die Insignien der Enlilschaft raub­ te, sind Hinweise auf theologische Umbrüche. Ninurta erringt in die­ ser sumerisch/akkadischen Dichtung eine besondere Bedeutung, die über seine bisherige Rolle hinausgeht. Sie findet aber keinen Wider­ hall in der damals bestehenden Königsideologie: In den Königsin­ schriften dieser Zeit ist Ninurta ein Gott unter vielen anderen, er steht sogar weit hinter anderen zurück. In den Anrufungen der altba­

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bylonischen Könige ist er wenig präsent. Nippur aber blieb eine der kulturell wichtigsten Städte auch noch in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends. In dieser Situation fallen die beiden großen gelehrten Dichtungen, »Angimdimma« und »Lugale«, auf, die Ninurta gewidmet sind. Wel­ chen Zweck erfüllten sie und wem konnten sie nutzen, wen erfreuen? Denn die Dichte und Kompliziertheit der sumerischen Sprache in »Angimdimma« wie in »Lugale« und der komplexe Stoff der Erzäh­ lung dürften für die weniger gebildeten Bewohner Sumers wie Baby­ loniens unverständlich gewesen sein. Für die altbabylonische Zeit lässt schon die Verwendung der sumeri­ schen Sprache selbst vermuten, dass man sich nicht an das einfache Volk wandte, sondern an einen engeren intellektuellen Kreis, eine Elite. Privatbriefe, die ab 1900 in der akkadischen Sprache gehalten waren, lassen den Verdacht entstehen, dass man das Sumerische in breiten Kreisen nicht mehr pflegte und vielleicht auch zunehmend gar nicht mehr verstand. Nur rein akkadische Dichtungen, wie der Anzu-EnlilMythos waren den Babyloniern des 2. Jahrtausends verständlich. Deshalb können die literarischen Verherrlichungen der Helden­ haftigkeit des Gottes Ninurta nicht das Ziel gehabt haben, religiöse Propaganda unter das Volk zu streuen. In beiden dichterischen Kunstwerken kommen viele inhaltliche Entlehnungen und Abhängig­ keiten bis hin zu den Inschriften Gudeas von Lagasch vor. Bei »Luga­ le« spricht man sogar von einer Wiederbelebung der »Lagasch-Theologie«, denn in einigen wenigen Exemplaren wird sogar statt Ninurta »Ningirsu« als Protagonist eingeführt. Praktisch bedeutet das für das inhaltliche Verständnis des Textes die Kenntnis der alten, mindestens drei Generationen zurückliegenden Inschriften des Gudea von La­ gasch. Schon diese sprachlich schwierigen und literarisch komplizier­ ten Inschriften waren aber gewiss nur einem ausgesuchten Kreis von Gebildeten verständlich und bekannt. Die Struktur der Erzählung »Lugale« deutet auf einen mündlichen Vortrag des Gesamtwerks. Denn die Wiederholung langer Abschnitte und die Verwendung des Botenmotivs sind Merkmale erzählender Dichtung. Auch der animierte Ablauf der Geschichte, in dem Dinge wie die Waffe des Ninurta belebt werden, die Dramatisierung des es­ kalierenden Konfliktes und das Feed-back in eine Zeit vor diesem Konflikt, - ein unerhört modernes Stilmittel, - sind Kennzeichen einer mündlichen Erzählung. Nur, vor wem fand dieser Vortrag statt?

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Vor einem Publikum beim Kult im Ninurta-Tempel? Oder wurde die Dichtung im Kreise von Gelehrten am königlichen Hof vorgetragen? Keiner unserer Texte gibt hierauf eine Antwort. So deutet allein die sprachliche Ebene auf gelehrte theologische Spekulationen, die um die Wende zum 2. Jahrtausend möglicherweise Anstöße für den Kult der Stadt Nippur vermitteln sollten. Mit den noch jüngeren Abschriften des umfangreichen »Lugale« wurden gewiss schon wieder andere Ziele verfolgt. Zweck war die Be­ tonung der Vorherrschaft des Gottes Marduk, der Ninurta in seiner Machtfülle folgte und ihn noch überragen sollte. Hinweise auf dieses Ziel ergeben sich aus der Geschichte selbst, die in »Lugale« und im Weltschöpfungsmythos »Enuma elisch« erzählt werden: In der Kos­ mogonie von »Enuma elisch« geht es auch um die magischen Steine, deren Klassifizierung und Animierung einen so breiten Raum in »Lu­ gale« einnehmen. Die Waffe des Ningirsu und später des Ninurta, die Scharur, begleitet Marduk in seinem Kampf gegen das Ungeheuer. In Gebeten hat Ninurta die zwei Aspekte »Krieger« und »Kultur­ landbewahrer«. Seine Rolle als Gestalter des Kulturlandes wird in zwei Hymnen aus der altbabylonischen Zeit gefeiert. Dort heißt er »der gute Same«, der »den Kanal mit gutem Wasser füllt«. Er wird als Gott gelobt, der die fruchtbare kultivierte Erde bewahrt: »Du füllst die Wälder mit Wildschafen, lässt in der Steppe Tamarisken wachsen, füllst Obstpflanzung und Garten mit Honig und Wein«. Er schützt das Leben des Herrschers: »Du lässt im Palast langes Leben sprießen.« Als Krieger ist er wie ein Drache »mit den Vorderfüßen eines Löwen, mit den Hinterfüßen eines Adlers«. Er ist ein »König, der die Felder des aufsässigen Landes vernichtet«. Der Lobpreis sagt: »Herr Ninurta, dir erzeugt dein Leib immer wieder wütend Geifer wie der Leib der Schlange. Mein König, Umbruchpflug, der »den bösen Ort« auffeißt, »Egge, die über die Felder des aufsässigen Landes hinwegfährt«. Der Gott ist den Menschen so wichtig, daß er eine Reihe von Kult­ stätten in den Tempeln anderer Götter erhält. Als Gott »Lugal-Marad: König von Marad« bewohnt er im 3. Jahrtausend einen Tempel im Osttigrisgebiet, der dann wie so viele andere seiner Kultstätten, z. B. in Nippur, von den Kassiten zwischen 1400 und 1150 besonders ge­ pflegt wurde. Unter den neuassyrischen Königen wird ihm von Assurnassirpal II. (ab 883) ein Tempel im Norden Mesopotamiens, in Nimrud errichtet, den er nach manchen Quellen mit Enlil teilte, nach anderen aber allein bewohnte. 85

Abb. 13) Rollsiegel: »Kampf Ninurtasgegen den Anzu-Vogel«

Von Nlnurta zu Marduk

Ninurta ist einem Gottestyp zuzurechnen, der als männlich-kriege­ risch dargestellt wird, oft bei Herrschaftsantritt einen »älteren« Gott beerbt und zu dessen Aufgaben es gehört, durch Kämpfe die Ord­ nung zu beschützen. Das Gleiche gilt für Marduk, der über dieses Charakteristikum mit Ninurta verbunden ist. Der Zeitpunkt der en­ gen ideologischen Verknüpfung beider Götter ist noch nicht die alt­ babylonische Zeit. In dieser Epoche des Umbruchs vom - in sprachli­ cher Hinsicht - sumerisch orientierten Reich der Ur-III-Dynastie zum babylonischen Reich neuer sprachlicher und ideologischer Prä­ gung ist immer noch Enlil der Reichsgott und wird von den altbaby­ lonischen Herrschern zur Legitimierung ihrer Herrschaft bean­ sprucht. Marduk wird erst zur hochaltbabylonischen Zeit (etwa ab 1800) als Stadtgott von Babylon genannt. Erst sehr viel später, im 1. Jahr­ tausend, überträgt man ihm Züge des Ninurta, vor allen Dingen durch die beiden Mythen »Anzu-Enlil« und »Enuma elisch«. Spätes­ tens dadurch wird er mit den alten Traditionen des Landes »Sumer und Akkad« eng verknüpft. Er scheint von einem verhältnismäßig unbedeutenden lokalen Gott zu einem der mächtigsten Götter des Landes aufgestiegen zu sein.

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Der Name des Marduk ist sumerisch dAmar-utu »Jung(s)tier der Sonne« oder »Jung(s)tier des Sonnengottes«. In dem Weltschöp­ fungsmythos »Enuma elisch« wird sein Name regelrecht akkadisch uminterpretiert als Mar-(d)utu: »Sohn des Sonnengottes«. Im glei­ chen Mythos gilt Marduk als leiblicher Sohn des Gottes Ea und seiner Gattin Damkina, die jetzt im Duku, dem heiligen Hügel, wohnen. Al­ so wird sein Name auch als Mar-duku: »Sohn des Duku« gedeutet. Diese gelehrten etymologischen Spielereien zeigen, dass sich die Priester und Schreiber um Phantasie im Umgang mit dem Namen des Gottes bemühten. Die Deutungen sind zudem populistisch und auch von einem breiteren Publikum zu verstehen. In Schriften des 1. Jahrtausends, in denen Marduk schon an der Seite des Gottes Enki als Gott der Beschwörungskunst noch eine ganz andere Funktion erfüllt, wird er häufig Asaluhi genannt. Asaluhi ist als Heilgott bekannt, der schon in älteren Beschwörungen des 2. Jahr­ tausends zusammen mit dem Schöpfergott Enki angerufen wurde. Ursprünglich war er Hauptgott in einer Stadt in Südbabylonien, in Küara. Etwa zur gleichen Zeit, als Marduk in den Rang des Landes­ gottes erhoben wurde, gewinnt auch dieser Gott an Bedeutung. Marduk wird nun »König von Babylon« genannt. In zweisprachigen Beschwörungen aus der altbabylonischen Zeit erscheint in der sume­ rischen Fassung dann der Gott »Asaluhi«, in der akkadischen Fassung wird hingegen Marduk genannt. Der Eindruck entsteht, dass Marduk Charakteristika dieses Gottes »Asaluhi« erhielt, wobei die Magie das verbindende Element zwischen den Göttern darstellt. Asaluhi gilt als Gott, der seine Beschwörungskunst in der alten Kulturstadt Eridu erlernte, und erst durch die Verbindung mit ihm wird Marduk zu einem altehrwürdigen, traditionsreichen Gott Sumers. Da der Gott erst so spät in den Quellen auftaucht, soll seine Kar­ riere zu dem Landesgott Babyloniens genauer verfolgt werden. Marduks Name kommt weder in den alten Götterlisten der FaraZeit (gegen 2600) noch in den Königsinschriften der altsumerischen, altakkadischen und Ur-III-Könige, noch in den Dokumenten des täg­ lichen Lebens aus diesen Epochen vor. Diese Dokumente gehen aber in die Zigtausende: Gerade aus der Zeit der dritten Dynastie sind si­ cherlich mehr als 50000 Texte erhalten geblieben. Auch hier taucht niemals Marduks Name als Empfänger von Opfern auf, ein fast siche­ res Indiz, dass er zumindest unter diesem Namen nicht bekannt war. Auch in der folgenden, der altbabylonischen Zeit, scheint er in Süd­

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babylonien vor der Zeit Hammurabis überhaupt nicht erwähnt zu werden. Möglicherweise war er aber schon immer ein lokaler Gott der Stadt Babylon. Allerdings wissen wir aus der Zeit vor der ersten babylonischen Dynastie kaum etwas, weil die vor dem 2. Jahrtausend anzusetzenden archäologischen Schichten im Grundwasser verbor­ gen und uns daher unzugänglich sind. Nachdem sich das erste babylonische Reich unter dem altbabyloni­ schen Herrscher Sumula’el (ab 1880) konsolidiert hatte, begann Baby­ lon eines der kulturellen und kultischen Zentren zu werden. Marduk gewinnt nun eine religionspolitische Bedeutung, wie sich aus den Rechtsurkunden ablesen lässt. Darin wurden die Annahme und Richtig­ keit einer Aussage »beim Eid von Schamasch und Marduk« beschworen. König Sumula’el rühmte sich in einer Datenformel, einen »aus Gold und Silber angefertigten Thron« für Marduk gestiftet zu haben. Der aber wurde sicherlich in einem Heiligtum aufgestellt. Das würde bedeu­ ten, dass es bereits einen Tempel des Marduk gab, vielleicht schon sei­ nen Tempel in Babylon, das E-sag-ila^ »Haus, das den Kopf erhebt«. Unter den Königen der Hammurabi-Dynastie gewinnt Marduk an Popularität und Wichtigkeit. Er begegnet jetzt in Personennamen, im Grußformular der Briefe und in Siegellegenden. Fromme Bürger nennen sich: ßilli-Marduk: »Mein Schutz ist Marduk« oder Mardukdajan: »Marduk ist Richter«. In der Anrede der Briefe wird dem Adressaten im Namen Marduks und anderer Götter Glück und Wohlergehen gewünscht: »Schamasch und Marduk (oder Ischtar und Marduk) mögen dich am Leben erhalten«. Jedoch fehlen mit Ausnah­ me der Stadt Nippur im südlicheren Mesopotamien immer noch theologische Hinweise auf den Gott oder gar auf seinen Kult. In Randgebieten des babylonischen Reiches, etwa im Osttigrisland und besonders in Mari, existiert kein Kult des Gottes. Wenn in diesen Gegenden Personennamen mit Marduk auftreten, stammten diese Personen in den bisher gefundenen Texten immer aus Babylon und sie sind Gesandte oder Boten. Zur Zeit Hammurabis gewinnt der offizielle Kult des Gottes politi­ sche Bedeutung. Der König selbst führt in dem Epilog zu seinem be­ rühmten Gesetzeswerk, dem Kodex Hammurabi, seine Königsherr­ schaft zurück auf Enlil, Enki und auf dessen Sohn, den Gott Marduk, den er »Gott von Babylon und seines Tempels Esangila« nennt. Enlil jedoch delegiert seine Herrschaftsbefugnisse an Marduk, denn er übergibt dem jungen Gott die »Enlilschaft«.

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Marduk steht jetzt, zur Blütezeit Babyloniens, in einer Reihe mit den ganz großen Göttern des Landes wie Ischtar, Enlil, Enki - und Schamasch. Da viele der Inschriften aus Sippar stammen, wird Marduks Position scheinbar überschattet vom Rechts- und Sonnengott Schamasch, der auch eine zentrale Rolle in der Königsideologie zu spielen scheint, denn er wird in den Lobesformeln ihrer Inschriften besonders bedacht. Personennamen in dieser Zeit enthalten am häu­ figsten das Element »Schamasch«. Hammurabi erbaute möglicherweise dem Marduk einen Tempel, das E2-zida: »rechtmäßiges Haus«, in der Stadt Borsippa. Diese Stadt im Norden Babyloniens war eigentlich eine Kultstätte des Sonnengot­ tes und so diente dieser Tempelbau wohl dazu, seinen Kult neben dem dieses Gottes zu etablieren. Marduk wurde in Borsippa unter ei­ nem anderen Namen, nämlich Tutu, geführt. Dieser Name ist aber weder akkadisch noch sumerisch. Gegen Ende der altbabylonischen Zeit zeigt es sich, dass die Be­ kanntheit Marduks wächst. Nach dem Mondgott, der jetzt an erster Stelle in der Beliebtheitsskala steht, werden Personnamen gerne mit dem Gotteselement Marduk gebildet. Auch in den Datenformeln der Könige werden nun sehr häufig Geschenke an Marduk genannt. In der Königstitulatur kommt die re­ ligionspolitische Bedeutung des Gottes deutlich zum Ausdruck, denn er ist nun »der König, der die Regierung des Königs Soundso gefestigt hat«; der König seinerseits ist »getreuer Hirte und Günstling von Schamasch und Marduk« und »Geliebter des Marduk«.

T12 Ein sumerischsprachiger Hymnus des altbabylonischen Königs Abieschuh (ab 1711) beschreibt Marduks Stelle im Königskult folgendermaßen: »Dein Großvater Anu, der König der Götter, hat deine Herrschaft über die Heere von Himmel und Erde walten lassen. Er hat dir die Aufsicht über die erhabenen großen Weisungen von Himmel und Erde gegeben, dir den Herrschaftsstab, der alle feindlichen Länder beugt, in die Hand gegeben. Er hat dich größer als alle großen Götter gemacht. Darüber hi­ naus hat er dir zugeteilt, das Zepter des Königs und die Ordnun­ gen der Götter in richtiger Weise zu leiten«. (J. van Dijk [1966/67] S. 57 ff.)

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Zwischen 1800 und 1500 wurden mehrere Gebete an Marduk ver­ fasst. Eines dieser Gebete ist der Brief an den persönlichen Gott eines sonst unbekannten Bittstellers, (vgl. S. 33-35, T 3). Obgleich sie bisher noch nicht dort gefunden wurden, könnten diese privaten Bittbriefe im Tempel hinterlegt worden sein. Ein Hymnus an Marduk gehört zu den kreativsten Liedern des 1. Jahrtausends, er hat seinen Ursprung aber schon in der vorausge­ gangenen Epoche. Während aus dieser Zeit der ersten Verschriftung von literarischen Hymnen in der akkadischen Sprache nur wenige Zeilen bekannt sind, sind aus dem 1. Jahrtausend über 200 Zeilen und eine ganze Anzahl von Textzeugen aus den wichtigsten Städten Nordmesopotamiens überliefert. T 13 Ein Auszug aus dem altbabylonischen Marduk-Hymnus, in dem er als Gnaden erweisender Gott angefleht wird: »Marduk, du weißt, beim Aussprechen der Strafe Nachsicht zu üben, die Verfehlung in schwierigen Lagen zu lösen. Im barmherzigen Herz ist die Großzügigkeit gebettet, bei Strafe und Sünde übernimmst du das Gutmachen.«

(Nach Sommerfeld [1982] S. 131 Z. 9'- 12').

Für etwa 150 Jahre bis weit ins 14. Jahrhundert kann der Kult des Gottes nicht weiter verfolgt werden, weil die Quellen versiegen. Sobald die schriftlichen Quellen wieder einsetzen, wird deutlich, dass sein Kult noch immer gepflegt wurde. In Nippur, das kulturelles Zentrum Babyloniens geblieben war, übertraf seine Anrufung in Per­ sonennamen nun bei Weitem die Namen mit Enlil. Auffallend ist die Liebe, die man ihm entgegenbringt. Statt Marduk wird er in dieser Zeit häufig als scha}.zu: »(Gott,) der die Herzen kennt« angerufen. T 14 Widmungen auf Siegeln werden in dieser Zeit, der Zeit der Kassiten, als kurze Gebete stilisiert. In früheren Jahrhunderten enthielten diese Inschriften nur den Namen des Siegelinhabers und den seines Vaters, eventuell noch ihre Berufe und die Weihung an einen Gott:

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Marduk-schemi, dumu Marduk-ili, ir3 dutu, dub-sar. »Marduk-ist-mein-Erhörer [so heiße ich], [ich bin] Sohn des >Marduk-ist-mein Gott« und Diener des Gottes Schamasch, [von Beruf bin ich] Schreiber«. In der Kassitenzeit klingen diese Siegelinschriften wie Stoß­ gebete: »0 Marduk, vornehmer Herr, barmherziger Gott, der Gebete wohlwollend annimmt, der Leben gibt und seine Hilfe. Habe Mitleid mit ihm!«

(Limet [1971] Nr. 4.23 in sumerischer Sprache) oder: »Ich habe mich bemüht - es sei Gewinn, Ruhe, das Gute! Das sind meine Gebete an Marduk! Es möge für mich sein! Ich will das Gute sehen. Der es trägt [das Siegel] - er sei wohlauf.« (ibid. Nr. 9.1. in akkadischer Sprache)

Während schon zwischen 1400 und 1200 dem Marduk im privaten Kult die Oberaufsicht über Himmel und Erde zugeschrieben wird, hat er diese Rolle im Königskult noch keineswegs inne. In der offiziel­ len Titulatur der Kassitenkönige erhält nur der Gott Enlil den Titel »Herr der Länder«. Eindeutig soll die ältere sumerische und frühalt­ babylonische offizielle Theologie wiederbelebt werden, die Anu und Enlil als die Hauptgötter ansieht; von ihnen geht die Königsherr­ schaft aus. Dennoch ist Marduk auch bei den Kassitenkönigen nicht ganz in Vergessenheit geraten. In den Fluchformeln, mit denen sie ih­ re Inschriften beenden, um damit die Feinde des Landes zu verwün­ schen, fehlt nie die Nennung dieses Gottes. In diesen Formeln wird Marduk direkt nach Anu, Enlil und Enki genannt. Offenbar achteten die Kassitenkönige den lokalen Kult Marduks in der Stadt Babylon hoch: König Kurigalzu (ab 1327) hob die säkulare Verwaltung Babylons auf und ließ alle Einnahmen der Stadt dem Marduk-Tempel zukommen. Ob die Statue des Gottes, nachdem Ba­ bylonien von den Hethitern um 1531 gewaltsam geplündert wurde, in der Tat geraubt wurde, bleibt offen. Einem der frühesten Kassitenkö-

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nige aus dem 14. Jahrhundert Agum (Agum-kakrime?) wird in einem Text, der allerdings erst im 1. Jahrtausend niedergeschrieben wurde, die Rückführung dieser Statue zugeschrieben. Die Berichte lassen aber viele Fragen unbeantwortet und so gibt es über den Verbleib des Kult­ bildes des Gottes - ob in Babylon oder woanders - ebenso wenig gesi­ cherte Informationen wie über das Ende des altbabylonischen Reiches. Marduk Im Weltschöpfungsepos »Enuma ellsch« und der Zeitpunkt der Niederschrift

Das Weltschöpfungsepos »Enuma elisch«: (»Als oben«) beschreibt die Entstehung des Kosmos und den Aufstieg Marduks zum obersten Himmelsgott. Die Dichtung umfasst mehrere hundert Zeilen in akkadischer Sprache und ist in sieben Tafelabschnitte unterteilt. Seine gro­ ße Popularität zeigen die vielen Abschriften aus den Städten Assur, Niniveh, Kisch, Babylon und Uruk, die alle erst im 1. Jahrtausend nie­ dergeschrieben wurden. In dieser Komposition wird Marduk zum Herrn aller Götter erhoben. Diese mythologische Erzählung, die auch viele kunstvolle lyrische Abschnitte enthält, berichtet in epischer Breite von Kämpfen der Göt­ ter gegen das Urmeer »Ti’amat«, das als Ungeheuer stilisiert wird. Im zweiten Teil der Dichtung wird Marduk zum höchsten Gott im Pan­ theon aufgebaut und in einem dritten Teil wird erzählt, wie er das Universum erschuf. Die Komposition endet auf der letzten Tafel mit der Aufzählung von 50 Namen Marduks. Dieser Teil besteht aus hochgelehrten, phantasiereichen und manchmal spielerischen Erklä­ rungen aller Attribute, die Marduk zugewiesen werden. Der Text beginnt mit der Beschreibung des Kosmos, der ursprüng­ lich nur aus Süßwassern (Apsu) und Salzwassern (Ti’amat) bestand. Die Gewässer befruchten sich gegenseitig, so dass die Urgötter ent­ stehen können, (s. S. 51) Dann folgt die Geburt des Schöpfergottes Enki, der sich mit seinen Brüdern gegen Apsu, die personifizierte Süßwasserzone, wendet. Er blendet Apsu mit einer Beschwörungsformel, schläfert ihn ein und bindet ihn. Der Gezähmte wird fortan die Domäne des Enki, die die­ ser zusammen mit seiner Gemahlin Damkina bewohnt. Diese beiden erzeugen den Gott Marduk, der, verzärtelt von Göttin­ nen, seinen Großvater Anu zwar erfreut, den Apsu und die Ti’amat aber mit seinem neuen Spielzeug, den vier Winden, aufführt und zutiefst

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verärgert. Apsu ist schon gebunden, aber Ti’amat sinnt auf Rache und erschafft aus sich selbst heraus Drachenungeheuer, darunter Kingu, den Anführer dieser gefährlichen Meute. Sie erhebt ihn zu ihrem Gatten, überträgt ihm die Schicksalstafeln und die oberste Himmelsherrschaff, die Anutu: »Anuschaft«. Dann erklärt sie den Göttern den Krieg. Die Götter sind sehr beunruhigt und setzen eine emsige diploma­ tische Tätigkeit in Gang. Enki geht zum Urgott Anschar und schildert die Untaten der Ti’amat. Gemeinsam suchen sie nach einem Gott, der den Kampf gegen die Ungeheuer nicht scheut, und letztendlich fällt die Wahl auf Marduk. Der Schöpfergott Enki verrät ihm dafür seine Beschwörungsformeln, und Anschar freut sich, einen so kundigen Krieger gefunden zu haben. Als Preis für seinen Einsatz gegen das Ungeheuer fordert Marduk für sich die Vorherrschaft über die anderen Götter. Auch das bringt die Götter in rege Betriebsamkeit: Anschar schickt nach seinem Bo­ ten, dem Gott Kakka, der eine Versammlung der Götter einberufen muss, damit sie dem Marduk das Schicksal bestimmen können. Kak­ ka macht sich auf zu den Göttern, schildert die gefährlichen Pläne der Ti’amat und ihrer Ungeheuer, die Wahl des Marduk als Helfer in der Not und Marduks Einforderung seiner Belohnung. Nachdem die Ge­ schichte nochmals - jeweils von Anfang an - erzählt wurde, treffen die Götter einander, sie sind gut gelaunt, umarmen sich, tafeln und trinken voller Lebensfreude. Gemeinsam bestimmen sie dem Marduk das Schicksal und überreichen ihm Zepter und Thron, Pfeil und Bo­ gen und stellen die vier Winde als Helfer an seine Seite. Marduk selbst rüstet sich mit seinem Fangnetz aus. Er kämpft gegen die dämoni­ schen Ungeheuer und ihre Herrin, Ti’amat. Er erschlägt sie alle. Daraufhin gestaltet er aus dem toten Leib der Ti’amat, den er zer­ teilt, die Erde mit ihren Bergen und Flüssen und auch die Gestirne. Deren Lauf wird innerhalb von Zeit und Raum festgelegt. Danach be­ ziehen die Götter ihre Tempel und erst danach erschafft Marduk auch den Menschen. Das literarische Werk »Enuma elisch« ist stilistisch dicht gestaltet. Es enthält eine einfache Geschichte und eine komplizierte Erzähl­ struktur, in der das Geschehen immer wieder aufgerollt und äußerst beharrlich wiederholt wird, um es dann mit neuen Ereignissen vo­ ranzutreiben. Erst das letzte Drittel, die Erschaffung der Welt und die Aufzählung der vielen Namen des Marduk, ist sprachlich kompliziert, inhaltlich hochgelehrt und gar nicht mehr märchenhaft. 93

Der Mythos setzt sich in durchschaubarer Weise und propagan­ distischer Überspitzung für die Vorherrschaft Marduks vor Anu und Enlil ein. Der Inhalt spiegelt eine bewusste Marduk-Theologie wieder, ohne dass die Frage deutlich beantwortet werden kann, wer sie an­ regte. Zum literarischen und theologischen Spiel gehört, dass ganze Pas­ sagen des »Anzu-Enlil-Mythos« wörtlich zitiert werden. Dessen jün­ gere Textzeugen, die sicher erst aus dem 1. Jahrtausend stammen, befassen sich ausführlich mit dem Sukzessionsmythos vom Gott Ninurta auf seinen »Vater« Enlil. Die unsichere zeitliche Einordnung der Quellen erlaubt nun gerade bei diesem Mythos zu spekulieren, ob er nicht vielleicht im letzten Viertel des 2. Jahrtausend niederge­ schrieben wurde, als Marduks Aufstieg zum obersten Landesgott abgeschlossenen war. Der gesamte Mythos, von dem sicher ist, dass der Hauptteil erst im 1. Jahrtausend verfasst wurde, wäre dann unter dem Eindruck von Marduks Erhöhung gedichtet worden. Er verarbeitet eine ganze Anzahl an Motiven aus den Ninurta/Ningirsu-Dichtungen, deren Ursprünge schon im 21. Jahrhundert liegen können (s. S. 78-85 und S. 72). Dem oder den Verfassern des »Anzu-Enlil-Mythos« könnten diese Motive aus den alten wie jüngeren Abschriften dieser Dichtun­ gen bekannt sein. Man weiß, dass Literaturwerke gesammelt wurden und den gelehrten Schreibern auch in der jüngeren Zeit zur Verfü­ gung gestanden haben. Durch die ganz ähnliche Schilderung des Götterkampfes in beiden Dichtungen, im »Anzu-Enlil-Mythos« wie in »Enuma elisch« warf man dem Marduk den Mantel des Ninurta um. Damit betonte man die ideologische Gemeinsamkeit, seine Heimat im traditionsreichen Kult von »Sumer und Akkad«. Das würde auch die dominierende Rolle des Ningirsu/Ninurta im »Anzu-Enlil-Mythos« erklären, die dann als Parabel für den Aufstieg Marduks zu deuten wäre. In »Enu­ ma elisch« wird Marduk als Gründer und Gestalter der Welt aufge­ baut, ganz ähnlich wie Ninurta in »Angimdimma« und »Lugale«. Mit Hilfe von literarischen Zitaten wird eine enge Beziehung zur sumeri­ schen Tradition hergestellt bis hinunter zu Ningirsu, dem mehr als 1000 Jahren zuvor schon die gleiche Menge an 50 Attributen zuge­ wiesen wurden (s. S. 73-76). Die Belebung der alten Ninurta-Traditionen gegen Ende des 2. Jahrtausends äußert sich nicht nur in den vielen Abschriften der

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Dichtung »Lugale«, sondern auch durch seine Beliebtheit in der Kö­ nigsideologie: Die Könige wählen programmatisch Namen, die ihm verpflichtet sind, wie König Tukulti-Ninurta: »Mein Schutz ist Ninurta« oder Ninurta-apil-Ekur: »Ninuta ist der Erbsohn des Ekur« (des Enlil-Tempels in Nippur)! Die Pflege des Ninurta-Kultes hatte einen großen Anteil am Auf­ stieg Marduks und dem Bemühen um seine Geschichte, die zu erfin­ den ein wesentliches Anliegen der Literaten und Gelehrten gewesen sein muss.

Wann genau der Mythos »Enuma elisch« mit diesem gezielten reli­ gionspolitischem Anliegen, der Erhöhung des Marduk, formuliert wurde, kann noch nicht sicher bestimmt werden. Sprachlich ist der Text auffallend konservativ nach alter Art gestal­ tet. Die Grammatik seiner Sprache entspricht fast in authentischer Weise den altbabylonischen literarischen Kunstwerken der Hammurabi-Zeit. Mit diesem formalen Stilmittel sollte der Eindruck erweckt werden, das Werk sei in der alten babylonischen Blütezeit entstanden. Auch dadurch konnte die hervorragende Stellung des Gottes schon in die ältere Zeit verwurzelt werden - und das Alte war für die traditi­ onsbewussten Mesopotamier immer würdig und gut. Aus der Schreibweise und manchen lautlichen Erscheinungen, die nur in den Chronodialekten des ausgehenden 2. Jahrtausends vorkommen, wird aber deutlich, dass der Mythos nicht vor dem letzten Viertel des 2. Jahrtausends in die uns vorliegende Form gegossen wurde. In einer Inschrift des Königs Nebukadnezar I. (ab 1125) wird be­ hauptet, dass er die von den Elamitern geraubten Statuen des dBel (Marduk) und seiner Gattin ßarpanitum wieder nach Babylon zu­ rückgeführt habe. Dieses Ereignis wird auch literarisch ausführlich behandelt. Das wäre historisch ein Moment, in dem ein solches Gedicht wie »Enuma elisch« angeregt sein könnte. Dann wäre es dieser König, der auch mit dem Bau des Marduk-Tempel in Babylon, dem Stufenturm Etemenanki begonnen hatte, der die Komposition »Enuma elisch« in Auftrag gegeben hätte. Aber weder im Text noch in den Unterschriften zu den einzelnen Textzeugen findet man einschlägige Hinweise auf die Urheberschaft. Wie bei den meisten Erzählungen und Mythen Mesopotamiens ist die Erfindung des Kunstwerkes durch einen einzelnen Künstler nicht er-

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wähnenswert. Das Individuum tritt hinter das Konzept einer all­ gemeinen, anonymen Urheberschaft zurück; im besten Fall wird sie ohnehin einem Gott oder einem Urweisen zugeschrieben. Sicher ist, dass erst unter den Königen einer fast nur durch ihre Herrschernamen bekannten Dynastie, der »2. Meerlanddynastie« (von 1025 bis 1005) der Synkretismus von Marduk mit Enlil vollzo­ gen wird. Erst dann wird deut­ lich, dass die staatserhaltenden Funktionen des früheren Lan­ desgottes Enlil völlig auf Marduk übertragen wurden. Jedoch hatte die Erzählung nach gegenwärtigem Kenntnis­ stand erst nach der Zeit des Nebukadnezar I. ihren großen Erfolg. Denn »Enuma elisch« wurde wohl ab dem 9. Jahrhun­ dert geschrieben, danach aber in vielen Kopien in den gelehrten Kreisen der meisten größeren Städte verbreitet. Ein Ritual aus der Seleukidenzeit fast zur Zeitenwende hin be­ zeugt, dass der Mythos zumin­ dest in dieser Zeit, während des Rituals der mehrtägigen Feier­ lichkeiten zum Neujahrsfest im rituellen Rahmen zitiert wurde.

Abb. 14) Kudurru der Kassitenzeit

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T 15 In einer Inschrift des Königs Schimbarschipak (1025-1005) die allerdings nur in einer Abschrift aus dem 1. Jahrtausend über­ liefert wurde wird die Rückführung des Marduk-Thrones in sei­ nen Tempel nach Nippur erwähnt. Im Anfang wird zwar - neben Marduk - auch der Gott Enlil als »der hohe Herr, der ewige König, der erhabene Anführer, der Herrscher von Himmel und Erde, der die Schicksale bestimmt« gepriesen. Aber der Schluss der Inschrift lautet: »Daraufhin, wenn Marduk, der große Herr, der Enlil der Götter, der allergrößte(?), auf diesem Throne Platz nimmt, möge das Schicksal des Schimbarschipak gut werden.«

(Übersetzt nach Frame [1995] S. 71-73, besonders S. 73 Z. 25-27) Gebete an Ihn

Gegen Ende des 2. Jahrtausends bezeichnete man mit dem Wortzei­ chen tlEN, das im Akkadischen dBel »Gott, Herr« gelesen wird, die Ei­ gennamen in besonderer Ansprache hervorgehobener Götter. Auch Marduk kann mit diesem allgemeinen Begriff gemeint sein. Das macht Aussagen zur Beliebtheit Marduks in der Religion der Normal­ bürger schwierig. Viele Gebete an Marduk sind mit Ritualhandlungen verbunden und damit der verbale Akt eines oft sehr umfangreichen Rituals, das mehrere Tage dauern konnte. Diese Gebete wurden meistens mit ei­ ner besonderen Unterschrift auf der Tafel, die das Ritual verzeichnete, herausgehoben, und schiptu »Beschwörung« genannt.

T 16 Ein Beschwörungsgebet an Marduk: »[Großer Herr] des Landes, Herr aller Länder, [Erbs]ohn des Enki, der ohnegleichen ist in den Himmeln und auf der Erde, [Marduk], großer Herr des Landes, Herr aller Länder, [...]. der Götter, [Der allererste], der ohnegleichen ist in den Himmeln und auf der Erde.

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Der barmherzigste unter den Göttern, Barmherziger, der den Todgeweihten lebendig macht, Marduk, König der Himmel und der Erde. Herr von Babylon, Herr von Esangil, Herr von Ezida, Herr von Emahtila. Die Himmel und die Erde gehören dir, in den Himmeln und auf der Erde gehört dir alles. Die Beschwörung des Lebens gehört dir, der Speichel des Lebens gehört dir. Der reine Gesang, Rede des [Süßwasserozeans] Apsu, gehört dir. Die Menschheit, die »Schwarzköpfigen« (Mesopotamier), die belebten Wesen, so viele man benennen kann und so viele es im Lande gibt, die vier Weltgegenden, so viele es sind (und) die Igigi-Götter von der Gesamtheit der Himmel und der Erde, so viele es gibt, hören auf dich. Du bist ihr Gott! Du bist ihr Glück! Du lässt sie leben! Du rettest sie! (...)« Ich habe deinen Namen genannt, deine großen Taten genannt. Dass ich nicht aufhöre, deinen Namen zu verherrlichen unter den Göttern, dass ich deine Lobpreise singe! Was den Kranken betrifft: dass seine Krankheit sich fortmache! Dass der Namtaru-Dämon, der Asakku-Dämon, die SamanuDämonin, [weitere Dämonen werden in den nächsten 4 Zeilen genannt] die Hexen, die Verzauberungen, die Schicksale, das Böse, die bösen Verfluchungen, der Kopfschmerz, der Zahnschmerz, der Bauchschmerz, die Ma­ genbeschwerde [... noch andere Beschwerden werden genannt], der Böse, dessen Mund böse ist, dessen Gesicht böse ist, des­ sen Zunge böse ist, [dass sie alle sich fortmachen]: Durch die Nennung des Namens des Marduks: König der Him­ mel und der Erde! Durch die Nennung des Namens des Marduks: Herr von Baby­ lon, Herr von Esangil! 98

Durch die Nennung des Namens des Marduks: Herr vom [Tem­ pel] Ezida, Herr vom [Tempel] Emahtila! [der Rest ist abgebrochen] (Übersetzung nach Seux [1976] S. 234 ff.)

Obgleich betont wird, dass für den Betenden der Gott Marduk alles Unheil wegnehmen soll, darf die Hervorhebung »ohnegleichen im Himmel« nicht überbewertet werden, denn auch andere Götter wer­ den auf diese Weise gelobt. Darauf weist der Betende selbst hin, denn er sagt: »dass ich nicht vergesse, deinen Namen innerhalb der anderen Götter zu erwähnen«. Bei Gebetsbeschwörungen an Marduk können Abweichungen in den Formulierungen des Krankheitsbildes vorkommen, aber in der Art, wie man den Gott einführt und ihn evoziert, sind alle Gebete ziemlich formelhaft. Es ist immer extrem wichtig, die Filiation des Gottes zu nennen, seinen Rang im Himmel und auf der Erde zu beto­ nen und seine Kultstätten aufzuzählen. Das macht ihn konkret, denn er hat Familie, Würden und Kultplätze, an denen er sich manifestiert. Die Gebete drücken mit ihren formelhaften Wendungen keine un­ terschiedlich intensive Frömmigkeit aus, sondern der Stil des Gebetes ist von der Intention und Funktion des Textes abhängig. Gebete, die nicht im Rahmen eines Rituals zitiert werden, sind fast immer in ei­ ner sehr poetischen Sprache gehalten, während solche Gebete, die als verbaler Akt Teil eines Rituals sind, bedeutend weniger individualis­ tisch und formelhafter im Ausdruck sind. Für Marduk wie für Ninurta - mit fast den gleichen Formulierun­ gen -, Nabu und die Göttin Ischtar hat man besondere Gebete er­ dacht, die man »synkretistisch« nennen kann. Diese Gebete setzen den Gott oder Teile des Gottes mit anderen Göttern gleich: T17 »[Wie] Sin ist deine göttliche Natur, [wie] Anu ist dein prinzlicher Charakter, [wie] Dagan ist dein herrschaftlicher Charakter, [wie] Enlil dein königlicher Charakter. [Wie] Adad ist deine Macht, [wie] Enki, der Weise, deine Intelli­ genz. [Wie] der, der den Griffel hält, Nabu, ist dein Talent.

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Deine Vorrangstellung ist [w/e] Ninurta, deine Kraft ist [w/e] Nergal. Der Ratschlag deines Herzens ist [wie] Nuska, dein fähiger [Wes/r], Deine Fähigkeit zur richten ist [wie] der strahlende Schamasch(...), Dein bedeutendster Name, Marduk, ist >der kundigste der Götter*, Dein wütender Pfeil ist [w/e] ein Lö[we ohne Furjcht.« [In den nächsten etwa 7 Zeilen werden noch andere Gleichset­ zungen mit den Plejaden, den Himmelsgöttern, der kriegerischen Ischtar, das Apsu u .a. beschrieben.] »Die Witwe mit gebranntem Mehlopfer, der Reiche mit einem Schafopfer, sie laden euch ein: Lauft zum Wasser und zum Brot derjenigen, die euch gegenüber ehrfürchtig sind! Durch einen Spruch eures Mundes, der unwiderruflich sei, löst das Vergehen, das gegen euch begangen wurde. Dass ich deine großen Taten verherrliche, dass ich deinen Preis singe.«

(Übersetzt nach Seux [1976] 129ff.)

Dieser synkretistische Hymnus ist verwandt mit einem ganz ähnlich klingenden auf den Gott Ninurta, dessen Persönlichkeitsmerkmale Marduk übernommen hatte. Nur ist der Ninurta-Hymnus weniger abstrakt, weniger geistreich. In ihm werden die Brauen des Gottes mit dem Mondgott Sin (als Halbmond) verglichen, seine Lider mit den Sonnenstrahlen des Sonnengottes Schamasch, sein Mund mit der Venusgöttin Ischtar. Liest man die synkretistischen Gebete ohne Kenntnis der vielen anderen Gebete an andere Götter, wäre man sicher, dass hier Marduk zum obersten Gott des Pantheon erhoben würde. Das ist aber nicht der Fall. Wenn man ähnliche Gebete an Sin, Schamasch und Ischtar hört, so werden auch sie jeweils an die herausragende Stelle gesetzt. Der Gott, der im Gebet angeredet wird, ist in diesem Moment der oberste und der wichtigste Gott. Es besteht lediglich Unklarheit darü­ ber, ob es irgendwelche Vorgänge, Rituale oder Gebetsformen gibt, die für die Anrede oder Andacht einer dieser Gottheiten nicht geeig­ net wären. Darüber fehlen noch Untersuchungen. 100

Mehrere Könige, die während des 1. Jahrtausend regierten, richte­ ten Gebete an den Gott Marduk, die sie gelegentlich auch in ihre Inschriften integrieren ließen. Königsinschriften mesopotamischer Könige dienen der königlichen Selbstdarstellung: Sie stellen den König mit seinen Vorfahren vor, sie schildern seine Bautätigkeiten an den Tempeln der Götter oder an den eigenen Palästen oder sie be­ schreiben seine Kriegs- und Beutezüge. Im Rahmen dieser Präsen­ tationen, die im Verhältnis zu den Göttern eine Rechtfertigung bedeuteten, kommen auch direkte Ansprachen vor. Diese Gebete sind ganz im Stil der Königsinschriften, also in Prosa, gehalten. Die neubabylonischen Könige Nabopulassar, Nebukadnezar und Neriglissar widmeten dem Marduk Gebete in ihren Inschriften. Eines dieser Gebete, das von König Nabopulassar (ab 625) stammt, lautet:

T18 »Herr Marduk, betrachte freundlich meine guten Werke. Dass auf deinen erhabenen Befehl, der unabänderlich ist, das Werk, das meine Hände vollkommen gemacht haben, in dauerhaft gutem Zustand bleibe. Ebenso, dass die Ziegel des Tempels Etemenanki stabil für die Ewigkeit sind (und ein) solides Fundament für meinen Thron für die Tage, die kommen werden. 0 Etemenanki(-Tempel)! Segne den König, der dich restauriert hat. Wenn Marduk Platz in dir mit Jubel nehmen wird, o Haus, sprich für mich bei Mardukl« (Übersetzt nach Seux [1976] S. 505) Sicherlich spiegeln dieses und ähnlich platzierte Gebete die offizielle Gläubigkeit wieder. Aber die Königsgebete standen nicht nur für sich oder äußerten nicht nur die Frömmigkeit des Königs, sondern sie hatten auch für das Volk einen Sinn. Denn sie propagierten die Kö­ nigsgewalt und sie informierten das Volk - oder eine bestimmte Schicht des Volkes - über die Geschicke des Landes. Damit erfüllten sie eine wichtige integrative Funktion. Gebete konnten auch als unabhängige Kunstwerke formuliert wer­ den, die dann nicht in Prosa, sondern in lyrisch gebundener Sprache gehalten sind. Vermutlich gingen diese Kunstschöpfungen auf könig­ liche Aufträge zurück und unterstützten die religionspolitischen An­ liegen der Könige. Der Stil dieser Gebete ist anders als solche in Kö­

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nigsinschriften, geprägt von auffälligen - archaischen - grammati­ schen Formen und seltenen Wörtern, verbunden mit einer besonde­ ren Anordnung der Wörter und Zeilen im Text. T 19 Eines dieser lyrischen Gebete stammt aus einer Sammlung, die zur Zeit des neuassyrischen König Assurbanipal (ab 668) angelegt wurde: »[Mächtiger] Herrscher, Sohn des Enki!« [Die nächsten Zeilen sind nur mangelhaft erhalten.] »Der Herrischer], der En[//7], der Prinz, dessen Verständnis au­ ßergewöhnlich ist! Die Ordnung des Kampfes und Gefechtes ist in der Hand, die als die tüchtigste unter den Göttern gilt! Er, auf dessen Kampf die Götter warten, bei dessem Gebrüll der Apsu(-Süßwasserozean)* verstört ist, vor dessen Schwert die Götter zurückweichen! Es gibt niemanden, der gegen seinen wütenden Angriff angeht! Der beeindruckende Herr, dem niemand in der Versammlung der großen Götter gleicht! Im reinen Firmament ist sein Lauf herrlich, im wohl ausgestatteten Ekur(-Tempel) sind seine Funktionen er­ haben, im bösartigen [feindlichen] Wind brillieren seine Waffen, (und) mit seiner Hamme zerstört er das mächtige Gebirge!« [Weitere Zeilen folgen.] [*Apsu, das zweite Urelement neben Ti'amat, wird in dem Welt­ schöpfungsepos »Enuma elisch» von Gott Enki bezwungen und zu seinem Wohnsitz gemacht.] (Übersetzt nach Seux [1976] S. 76ff.)

In derselben Zeit wurde ein weiterer Hymnus auf Marduk niederge­ schrieben, der ganz sicher im Auftrag von König Assurbanipal in Form eines Akrostichons gestaltet wurde. Liest man die ersten Keil­ schriftzeichen einer jeden Zeile separat und verbindet man sie dann miteinander, so enthält man die Sätze: »A-na-ku Assurbanipal (usw.): Ich bin Assurbanipal, der dich an­ gerufen hat; lass mich gesund leben, Marduk, damit ich deine Preis­ lieder singe!«

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T 20 Das lange Gebet beginnt mit den Worten: »Ich singe deinen Namen, Marduk, der Mächtigste der Götter, Instandhalter der Kanäle des Himmels und der Erde! Der gut erschaffen wurde, der alleine erhaben ist! Du trägst die Würde des Anu, die des Enlil, die des Enki, die Herrschaft, das Königtum (usw.) [...] der den Schädel des Anzu(-Vogels)* geschlagen hat, der unterdrückt hat [....] (...) Du hast die weite Ti’amat (das Salzmeer) besiegt, und [....] Kingu ihren Geliebten.** Dass Babylon deinetwegen jubele, dass der Esangila(-Tempel) [deinetwegen yujbele, [du, der du gerecht Recht sprichst!] (....) Marduk ergreift fest in seinen Händen die Zügel der Igigu und Anunnaku, die Zügel von Himmel und Erde.« [ *Gott Ningirsu/Ninurta hat den Anzu-Vogel im Anzu-Enlil-Mythos geschlagen.] [**Marduk schlug das Urelement Ti’amat und den Dämonen Kingu im Weltschöpfungsmythos »Enuma elisch«] (Nach Seux [1976] S. 115 ff., Livingstone [1989] Nr. 2)

Dieses Gebet des Assurbanipal enthält die Propagierung der Vorherr­ schaft des Marduk, die sich eng an die Erzählung im Weltschöpfungs­ epos »Enuma-elisch« anlehnt. Vermutlich ist es nicht als Zeichen für die Unterwerfung unter die babylonische Marduk-Religion zu sehen, sondern als Verstärkung für die Synkretisierung von Assur und Mar­ duk (siehe Gebet des Assurbanipal an Anschar [Assur], S. 115f., T 24). Die Gemahlin Marduks ist die Göttin Zarpanitum, die im 1. Jahr­ tausend manchmal Charakteristika der Nanaya erhält, einer Liebes­ und Fruchtbarkeitsgöttin aus dem Umkreis der Göttin Ischtar. Der Name ßarpanitum dürfte »die Glitzernde« bedeuten. Manche jedoch meinen, dass er von einem Ort Zarpan abzuleiten sei, wo der Kult dieser Göttin »aus Zarpan« besonders zu Hause gewesen sein sollte. Als Sohn des Marduk und sein früherer Wesir gilt der Gott Nabu, der Gott der Weisheit und der Schreibkunst.

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Marduk In Assyrien?

Ungefähr im Jahre 1230 nahm der assyrische König Tukulti-Ninurta das noch kassitische Babylon ein. Ob er es nun war, der die Kultstatue Marduks nach Assyrien entführte, oder ob sie erst von dem dami­ schen König Kutur-Nahhunte um 1157 nach Elam - in den heutigen Iran - geschafft wurde, bleibt unklar. Die Quellen geben keine einheitliche Auskunft. Jedenfalls ist auffallend, dass zur Zeit dieses assyrischen Königs der Marduk-Kult in Assyrien populär wurde und der Gott sogar an assyrischen Staatsritualen teilnahm. Jedoch hielt sich seine Beliebtheit in Assyrien immer sehr in Gren­ zen, ganz so wie die des Assur in Babylonien. Sie scheint sich in den ersten Jahrhunderten des 1. Jahrtausend sogar noch drastisch zu ver­ ringern. Als Sargon II. von Assyrien 705 unter ungeklärten Umständen starb und sein Sohn Sanherib die Herrschaft über das assyrische Reich übernahm, gehörte Babylonien noch zum assyrischen Impe­ rium. Bald darauf begann aber der Zerfall der assyrischen Vor­ herrschaft und Assyrien musste eine fremde Königsmacht in Babylon tolerieren. Dieser neue babylonische König, Marduk-apla-iddina, ver­ bündete sich mit den Aramäerstämmen, die Babylonien umgaben, mit allen seinen Nachbarn im Süden und mit dem Land Elam im Osten. Er selbst stammte aus einem der aramäischen Fürstentümer im Süden des Landes. Mit dem Bündnis versuchte er, eine Allianz ge­ gen Assyrien aufzubauen. Um dieses Unternehmen finanzieren zu können, griff er auf die angehäuften Schätze des Esangila-Tempels in Babylon zurück - dem Tempel des Marduk von Babylonien. Er und seine Allianz wurden jedoch vernichtend von den Assyrern geschla­ gen und er floh in den Nachbarstaat im Osten, nach Elam. Assyrien setzte sogleich einen anderen König auf den babylonischen Thron: Aber auch dieser beteiligte sich kurz darauf an einer großen antiassy­ rischen Koalition. Der assyrische König Sanherib fühlte sich dadurch offenbar veran­ lasst, im Jahre 689 energisch gegen die Stadt Babylon vorzugehen. Er leitete den Arahtu, einen Teil des Euphrats, über die Stadt, machte sie dem Erdboden gleich und zerschmetterte die Götterstatuen in den Tempeln. Vermutlich schickte er die Statue des Bel (Marduk) nach Assyrien ins Exil. Diese Strafaktion war in ihrem Ausmaß ohne Präzedenz. Das Ver­ halten des Königs bedeutete den Bruch einer Ideologie. Denn Assyrer 104

wie Babylonier waren sich ihres gemeinsamen kulturellen Erbes sehr wohl bewusst. Zwar hatte es Deportationen von Kultstatuen in allen Zeiten gegeben, die Zerstörung der Tempel des Feindes blieb jedoch eine Ausnahme, die üblicherweise nur bei Barbaren oder bei Völkern angewandt wurde, die eine andere religiöse Kultur pflegten. Das Ver­ halten des assyrischen Königs muss als ein Wagnis verstanden wer­ den, das einer Selbstverfluchung gleich kommen musste. Im gleichen Atemzug mit der totalen Vernichtung der Stadt wurde auch Marduks Tempel zerstört. Chroniken bezeichnen diese Epoche von 688 bis 681 für Babylonien als »königlose Zeit«, und da der König Recht und Ordnung garantierte, kann diese Formulierung nur »Anarchie« be­ deuten. Noch aus anderen Indizien lässt sich schließen, dass das aufmüpfi­ ge Babylonien dem assyrischen König ein Ärgernis war. Er bemühte sich noch nicht einmal um den Titel »König von Babylon«. Babylo­ nien wurde damit ebenso gering geschätzt wie die Provinzstaaten im Umkreis von Assyrien. Man zerstörte sie, wenn sie sich mehrmals auflehnten und keinen Tribut mehr zahlen konnten oder wollten und man beraubte sie mit Mann und Maus. Die Götter dieser untergeord­ neten Völker wurden deportiert und den assyrischen Göttern unter­ stellt, in besonders schwerwiegenden Fällen zerstörte man auch ihre Kulte und Statuen. Dieses Verfahren wandte Sanherib nun auf Babylonien an. Selbst der Nachfolger Sanheribs, Asarhaddon, beließ die Statue des Bel noch zwölf weitere Jahre in Assur, wenn er sich auch sonst wohl bemühte, den Frevel, den sein Bruder begangen hatte, wieder gutzumachen. Während dieser Epoche fand der Kult des Marduk weder in Baby­ lon noch in Assyrien statt. Auch das Neujahrsfest, bei dem traditio­ nell von den Göttern das Schicksal des Landes bestimmt wurde - mit dem Ziel, dass der Gott dem Land eine gute Zukunft verheißen wür­ de - fiel aus. Nur an kleinen Indizien ist zu erkennen, dass sich die Gelehrten des assyrischen Reiches auf theologische Weise das kulturelle Erbe Babyloniens anzueignen versuchten. Denn zumindest in zwei Fassun­ gen des Weltschöpfungsmythos »Enuma elisch« wird statt des Na­ mens »Marduk« der Göttername »Anschar« in Anspielung auf den Gottesnamen »Assur« eingefügt. Auch ein Bett, welches Marduk ge­ hörte, wurde nun dem Assur gewidmet.

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Ein Gottesurteil über Marduk

Möglicherweise in dieser Epoche wurde ein Text verfasst, der als »Marduks Ordal« bezeichnet wird. Die assyrische Komposition, von der kein babylonischer Textzeuge existiert, ist in Abschriften aus den neuassyrischen Städten Kalhu, Assur und Niniveh bezeugt. Die Ab­ schrift aus Niniveh zeigt, dass die Tendenzschrift noch vor dem end­ gültigen Fall der Stadt, d. h. vor 612, verfasst wurde und sich damit nicht auf dieses Ereignis, sondern auf frühere Katastrophen beziehen muss. Bedauerlicherweise lassen sich die verschiedenen Versionen des Textes immer noch nicht zu einem logischen Ganzen zusammenstel­ len. Wahrscheinlich soll in verklausulierter Form die Überlegenheit des Gottes Assur über Marduk propagiert werden. Der Text beginnt mit der Gefangennahme von Marduk und dem Gott Nabu, seinem Sohn. Da Ischtar von Babylon sich für den Gott Marduk verwendet, wird auch sie gedemütigt und beschimpft. Gegen Marduk wird Gericht gehalten und sein Leben ist in Gefahr. Seine Gattin Taschmetum (»die Erhörende«), die sonst als die Gemahlin des Nabu gilt, kommt ihn besuchen. Einer der Söhne Assurs wird sein Wächter. Der Gott ist gefangen und wird wie ein normaler Mensch bewacht. Ein Kampf wird erwähnt und die Vernichtung und Plünde­ rung von Esangila, dem Tempel des Marduk in Babylon. Diese Tat­ sache wird so hingestellt, als ob es die Stadt selbst wäre, die gegen Marduk revoltiert habe. Marduk soll sich offenbar dem Gottesurteil, einem Flussordal, unterziehen, weigert sich aber. T21 Das Flussordal: Die Sitte, durch das Eintauchen in den Fluss ein Gottesurteil herbeizuführen, ist gute mesopotamische Tradition: Der Flussgott entscheidet, ob der gebunden in das Wasser Geworfene überlebt oder nicht. Ertrinkt er, so war er schuldig und ihm ist recht gesche­ hen. Ertrinkt er nicht - wenn sich etwa seine Fesseln lösen, oder er auf andere Art dem Wasser entkommt -, so ist seine Unschuld durch das Gottesurteil bewiesen worden. Die Anwendung dieser Strafe wird in den Gesetzen Hammurabis in § 2 beschrieben: »Wenn ein Mann einen (anderen) Mann der Zauberei bezichtigt, aber es nicht beweisen kann, soll der, der der Zauberei bezichtigt wurde, sich dem Flussordal unterwerfen und im Fluss untertau­

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chen. Wenn der Fluss ihn >ergreift< so soll sein Ankläger seinen Besitz erhalten. Wenn der Fluss diesen Mann aber >reinigt(...) Dein Schicksal, das ich erschuf, betet ständig zu mir, und zwar so: -Bringe Sicherheit in den Palast deine Seele betet ständig zu mir: -Verlängere Assurbanipals Le­ ben!- « »Assurbanipal kniet und betet ständig zu Nabu, seinem Herrn: -Bitte, Nabu, verlasse mich nicht! Mein Leben ist vor dir niederge­ schrieben, meine Lebenszeit ist dem Schoß der Mullissu (Ninlil) anvertraut (...)< Ein Totengeist des Nabu, seines Herrn, antwortet ihm: -Fürchte dich nicht, Assurbanipal! Ich werde dir langes Leben verleihen, gute Winde will ich deinem Lebensodem anvertrauen.- « »Assurbanipal öffnete seine Hände und betete ohne Unterlass zu Nabu, seinen Herrn:« [Es folgt die sinngemässe Wiederholung des Anfangsgebetes von Seiten Assurbanipals, dann antwortet ihm der Gott, ohne die­ ses Mal mit der Floskel »Pass auf» eingeführt zu werden.]

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»Du warst ein Kind, Assurbanipal, als ich dich (in der Obhut) der Königin-von-Nippur zurückließ. Du warst ein Milchbaby, Assurbani­ pal, als du dich in den Schoß der Königin-von-Nippur setztest (...). Du, Assurbanipal, du wirst vor den großen Göttern stehen und du wirst den Nabu preisenl«

(In Anlehnung an Livingstone [1989] S. 33 f.)

Alle Klagen und Gebete, die man an Nabu richtete, stammen aus den assyrischen Städten Niniveh, Assur und einer Garnisonsstadt, Huzirina, Sultantepe (im heutigen Norden Syriens gelegen). Nur von den Königen Assurbanipal und Nebukadnezar II. ist bekannt, dass sie ihre Schreiber anwiesen, Gebete an Nabu zu schreiben. Alle anderen Gebete stammen von anonymen Auftraggebern, sind aber dennoch sprachlich meistens von hoher literarischer Qualität, wie es einem Gott geziemt, der selbst als hervorragender Schreiber gilt. Sein Name

Nabu geht wahrscheinlich auf das akkadische Wort nabu zurück, das »beraten, ankündigen« bedeutet. Das verwandte Wort nebi heißt in vielen semitischen Sprachen »Prophet«. Als Wortzeichen werden für den Gott zwei Keilschriftzeichen, ein­ mal das Zeichen dAK und dann das Zeichen dPA verwendet. Mit dem längeren Zeichen AK wird Nabu in den Personennamen der altbaby­ lonischen Zeit geschrieben, während im 1. Jahrtausend öfter das Zei­ chen PA steht, das auch kürzer und einfacher ist. Mit Sicherheit ist unter PA der Gott Nabu erst seit der Zeit der Kassiten (etwa ab 1400) zu verstehen. Allerdings gibt es einen Gott, der in alten Texten aus der Mitte des 3. Jahrtausends auch mit diesem Wortzeichen PA geschrieben wird. Man bezweifelt aber, dass dieses Zeichen zu diesem Zeitpunkt den Gott Nabu bezeichnete, da er dann bis zum 2. Jahrtausend überhaupt nicht mehr erwähnt worden wäre. Würde sich dieses aber durch neu gefundene Quellen erweisen, so ist die ganze Theorie hinfällig, dass er erst nach der Wende zum 2. Jahr­ tausend zusammen mit Marduk nach Südmesopotamien eingewan­ dert sei. Schon seit Hammurabi von Babylon heißt die Gattin des Nabu Taschmetum (die Erhörung)«. Genau wie sein eigener Name Nabu »der

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Berufene, Berufende [der Menschen, als erhörender Gott]« ist auch das ein Hinweis auf ihre hervorragende Rolle in der persönlichen Fröm­ migkeit, die Gott und Götterpaar einnahmen. Der Schreibergott

Zu den ältesten Charakteristika des Nabu gehört seine Tätigkeit als Schreibergott. Bildlich wird er deshalb ab der Kassitenzeit mit einem einzelnen Keil oder einem Keil und der Tontafel dargestellt. In den Götterlisten der altbabylonischen Zeit (etwa ab 2000) wird er vor der Göttin Nisaba aufgeführt. Sie ist sein sumerisches Pendant, in histori­ scher Zeit eine Göttin der Schreiberkunst und Weisheit, in ffühgeschichtlicher Zeit aber vielleicht noch eine Erntegottheit. Als Schreibergott wurden ihm die Schicksalstafeln der Götter zur Buch­ haltung übertragen, denn in seinen Epitheta ist er »der Träger der Schick­ salstafeln der Götter«. Dahinter steckt die Vorstellung, dass auch die Götter einem vorgezeichneten Schicksal un­ terworfen sind, das irgendwo aufge­ zeichnet sein musste, um den geregel­ ten Verlauf ihres Lebens überprüfen zu können. Dieses Bestreben wurde einerseits aus dem Verlangen geboren, Ordnung in eine physikalisch-mecha­ nisch kaum verstehbare Welt zu brin­ gen. Andererseits dürfte diese An­ schauung dem allerseits üblichen Buchhalterwesen der altorientalischen Bürokratie nachempfunden sein. Seine Kenntnisse in der Kunst des Abb. 17) Nabu (auf seinem Schreibens lassen Nabu als einen Gott Schlangendrachen) der Weisheit und des Wissens erschei­ nen, denn Lesen und Schreiben konn­ ten außer den ausgebildeten Schreibern wahrscheinlich nur ausge­ wählte Menschen. Schon auf einem altbabylonischen Siegel wird er als »Herr großer Weisheit« angeredet. Ein weiterer seiner Titel ist Apkallu »Urweiser«, oder: »Derjenige, der die Weisheit öffnet«. Dieser

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Gott ist ein stiller, nachdenklicher, überlegender Gott, mehr ein Bü­ cherwurm als ein Krieger, obgleich auch diese Eigenschaft unter den lobenden Eigenschaften nicht fehlen darf, denn sonst wäre er un­ männlich, machtlos und nicht fähig, den großen Göttern des Pan­ theon anzugehören. Deshalb wird er auch als potenter, kriegerischer Mann in Texten des 1. Jahrtausends angerufen. Nabus Teilnahme In Festritualen

In der offiziellen Religion des 1. Jahrtausends spielt der Gott mit sei­ ner Gemahlin Taschmetum neben Marduk (jetzt oft Bel genannt) und dessen Gattin eine wirklich bedeutende Rolle. Im Ritual, das zur Feier des neuen Jahres abgehalten wurde, hat er seinen festen Platz: Er reist mit seinem Prozessionsschiff aus Borsippa nach Babylon, um mit Marduk zusammen das Neujahrsfest zu feiern. Die Chroniken vermerken, dass es Phasen während der Herrschaft des assyrischen Königs Sanheribs und seines Sohnes gab, in denen »Nabu nicht nach Babylon ging und Bel nicht hinaustrat«. Damit wird vermerkt, dass das Fest nicht gefeiert werden konnte, weil Mar­ duk seinen Tempel Esangila nicht verlassen konnte und er, wie auch die anderen Götter, nicht in das vor den Toren der Stadt liegende Festhaus einziehen konnte. Wahrscheinlich befand sich seine Statue noch in Assyrien, wo sie restauriert oder neu angefertigt wurde, bevor sie dann von König Asarhaddon, dem Sohn des Sanherib, wieder zu­ rückgeführt wurde. Die Quellen berichten noch über ein weiteres Fest, das aus einer zeremoniellen Zusammenkunft von Nabu und seiner Gattin bestand. Es wurde zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten zelebriert. Ort des Treffens ist ein Garten in blühender Natur. Das Ziel ist ein Liebesspiel und die Vereinigung der beiden Götter. Für die Fahrt in den Garten wird ein mit Edelmetallen geschmückter Wagen auf einen anderen, von Pferdegespannen gezogenen Wagen gesetzt. Ein anderer Text er­ wähnt eine ebenso kostbar ausgestattete Barke: Die Prozession fand in diesem Fall vermutlich auf einem Kanal statt. Der Ritualvorgang lässt sich nicht deutlich rekonstruieren, weil die Texte, sobald die bei­ den an ihrem Ziel im Garten angekommen sind, immer in lyrische Passagen übergehen. Der Schmuck, die Kleider und der Körper der Göttin werden mit Metaphern gepriesen, die an blühende, reiche und ertragreiche Natur erinnern.

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In den Götterlisten wird Nabu von der altbabylonischen bis zur neubabylonischen Zeit gelegentlich auch unter dem Epitheton Muati geführt, was etwa bedeutet »mein junger Held«. Ein Hymnus an Muati aus der Zeit des altbabylonischen Königs Abieschuh (ab 1711) ist ein frühes Zeugnis für dieses feierliche Zusammengehen der bei­ den Götter.

T29 Die Göttin Nanaya, eine Form der Ischtar, teilt mit Muati die kör­ perliche Liebe. »Muati, süß sind deine Genitalien, die Fülle deiner Liebe sättigt sich an Dattelsirup (...)■ Ich will immer wieder deine prall geformte Gestalt prüfen: Sie soll mit Liebesfreude angefüllt werden, Muati, deine so prall geformte Gestalt soll mit Liebesfreude an­ gefüllt werden.«

(In Anlehnung an Lambert [1966/67] S. 48, Z. 10, 12-14) Dieses Treffen der Göttergestalten wird mit einer rituellen Vereini­ gung in Verbindung gebracht, die man »Heilige Hochzeit« nannte. Sie hatte jedoch mit einer offiziellen Vermählung nichts zu tun. Vielmehr endete sie mit einem rituellen Beischlaf, der im 1. Jahrtausend mög­ licherweise an Götterstatuen simuliert wird. Man kann vermuten, aber nicht beweisen, dass in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends der Akt durch den Stellvertreter des Gottes (den König) und einer Stellvertreterin der Göttin (einer Priesterin) tatsächlich vollzogen wurde.

T30 Deutliche Anspielungen auf die Riten zur »Heiligen Hochzeit« lassen sich einem Hymnus des altbabylonischen Königs Iddin-Dagan von Isin (ab 1974) entnehmen:

»Am Neujahrstag, dem Tag, an dem die Kultriten ausgeführt werden, errichtet man meiner Herrin ein Lager. 128

Gerupftes Haifagras reinigt man mit Zedernparfüm, formt man in ein Lager für die Göttin. Man legt oben hinauf eine Decke, damit sie auf der Decke in Herzensfreude ruhe. Meine Herrin badet sich für den reinen Schoß, sie badet sich für den Schoß des Königs, sie badet sich für den Schoß [des Königs] Iddin-Dagans, es wäscht sich die reine Inanna mit Soda, sie sprengt auf den Boden duftendes Zedernöl. Der König tritt zum reinen Schoße hoch erhobenen Hauptes er tritt zum Schoß der Inanna hoch erhobenen Hauptes hin. Ama'uschumgalana* liegt bei ihr, er kostet ihren reinen Schoß. Nachdem die Herrin den reinen Schoss voll ausgekostet hat, berät sie sich auf ihrem Lager mit ihm.« [★Ama’uschumgalana ist hier als Titel des Königs gemeint. Er bezieht sich auf einen der Namen des Dumuzi, der als Gemahl der Göttin galt.] (Römer [1989] S. 670 f. Z. 175-191).

Von den Assyrern erhält Nabu Kultplätze auch in den nördlicheren assyrischen Städten Assur und Niniveh, die neubabylonischen Könige widmeten ihm einen Tempel für die Buchführung in Babylon und einen schon unter Hammurabi bedeutenden Tempel in Borsippa. Nabu bleibt weiterhin nicht nur in Mesopotamien beliebt, sondern er wird auch in Anatolien und selbst in Ägypten angerufen. Auch in aramäischer Schrift oder in griechischen Personennamen kommt Nabu bisweilen im Gebiet des Vorderen Orient vor.

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Der Schöpfergott Enki

Enkl als Erschaffer von Lebewesen

Am Ende der ersten Tafel des Mythos von dem weisen Atramhasis, der die Sintflut überlebte, wird die Erschaffung des Menschen erzählt. Der Schöpfergott Enki (oder Ea) wird von den anderen Göttern dazu erkoren, den Schöpfungsakt zu planen. Er bestimmt, wie die Erschaf­ fung vonstatten zu gehen hat. Er plant nicht nur das ideologische Konzept vom Menschen, sondern auch die praktischen Seiten der komplexen Vorgänge. Die Götter begründen ihren Wunsch, den Menschen in der Welt zu haben, durch ihre Arbeitsbelastung. Sie wa­ ren es leid, »den Schleppkorb zu tragen« und benötigten den Men­ schen, der ihnen diese Arbeit abnehmen sollte. So wandten sie sich zuerst an eine der Muttergöttinnen. Sie aber will den Menschen nur formen, nicht erschaffen, da das Erschaffen nicht zu ihren Fähigkeiten gehört. T31 Die Göttin sagt ihnen: »Ich bin nicht geeignet, dieses auszuführenl Enki ist für dieses Werk verantwortlich. Er ist es, der alles reinigt. Er soll mir den Lehm geben, und ich will es (praktisch) ausführenl«

(Übersetzt nach Lambert [1969] S. 56, 200-203)

Daraufhin ergreift Enki das Wort und entwirft den Plan für den Schöpfungsakt.

T32 Enki antwortet darauf: »Am ersten, siebten und fünfzehnten Tag eines Monats

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will ich ein reinigendes Bad ansetzen. Einen Gott soll man schlachten, reinigen sollen sich (danach) die Götter beim Eintauchen. Mit seinem (des Gottes) Fleisch und Blut soll [die Muttergöttin] Nintu Lehm mischen, Gott und Mensch sollen zusammen vermischt werden im Lehml«

(Übersetzt nach Lambert [1969] S. 56, 206-209)

Nachdem so der Mensch erschaffen wurde, weist die Göttin die Göt­ ter an, auf den Lehm zu spucken. Durch diese Prozedur wird das Werk vollendet.

T33 Danach fasst die Göttin zusammen: »Ihr habt mir eine Aufgabe gestellt und ich habe sie vollendet. Einen Gott habt ihr geschlachtet mit seinem Geist! Eure schwere Arbeit habe ich weggenommen, Euren Schleppkorb legte ich dem Menschen auf!«

(Übersetzt nach Lambert [1969] S. 58, 237-241) Hier endet die altbabylonische Fassung des Mythos, soweit er aus die­ ser Zeit, der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends, erhalten ist. Aber eine jüngere Version aus dem 1. Jahrtausend führt die Erzählung fort: Enki und die Göttin Mami betreten zusammen das »Haus des Schick­ sals«. Er knetet den Lehm in Gegenwart der Göttin, die Beschwörun­ gen murmelt, wobei der Gott, der vor ihr sitzt, sie anspornt. Nach­ dem sie geendet hat, trennt sie 14 Teile vom Lehm ab und formt daraus die gleiche Anzahl von Geburtsgöttinnen. Diese Göttinnen erschaffen zur rechten und zur linken der Muttergöttin je sieben männliche und je sieben weibliche Menschen. Dieser jüngere Teil des Mythos endet mit einem Ritual, das bei einer Geburt helfen soll. Wie im Atramhasis-Mythos wird auch in einem anderen litera­ rischen Text, einem Loblied auf die kriegerische Ischtar, dem »Aguschaya-Lied«, hervorgehoben, dass es keinem der anderen Götter

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zukommt, ein anderes Wesen zu erschaffen, außer dem Schöpfergott Enki, der in jüngeren akkadischen Texten in der Regel Ea genannt wird.

T34 Aus dem Aguschaya-Lied: »Die Götter versammelten und berieten sich: sie hielten sich selbst nicht für (dieses Werk) geeignet. An Enki richteten sie das Wort: »Nur Du bist geeignet, dieses auszuführen».

Enki geht auf den Vorschlag der Götter ein und erschafft ein Wesen, dass sich der Ischtar in den Weg stellen soll: »Den Schmutz seiner Nägel bis zu siebenmal kratzte er aus. In seine Hände nahm er etwas aus seinem Mund und erschuf die kriegerische Göttin ßaltum: »Streit'.« Hintergrund dieses merkwürdig anmutenden Schöpfungsaktes ist ein Kampf zwischen dem Gott Enki und der kriegerischen Isch­ tar. Enki fühlt sich durch ihre wilden Aktionen bedroht und veran­ lasst, einen Gegenzauber auszuführen. Er fertigt eine Figur an, die Gegengöttin »Streit«, in die er die kämpferischen und kriegeri­ schen Eigenschaften der Ischtar hineinzaubert. Diese Figur »aus dem Schmutz seiner Nägel« schickt er dann in den Kampf gegen Ischtar. Diese, mit ihren negativen, kriegerischen Zielen, wird durch das Mittel des magischen Gegenzaubers gebannt.

(Groneberg [1997] S. 57 ff.)

Nicht nur in diesen beiden zitierten akkadischen Kompositionen ist der Gott Enki an der Schöpfung beteiligt, sondern er erhält die gleiche Aufgabe auch im sumerischen Mythos »Enki und Ninmah«. Dieses Mal findet die Schöpfung im »Apsu« statt, wo schon das krie­ gerische Wesen ßaltum erschaffen wurde, das der Ischtar den Weg abschneidet. Das Apsu gilt als die Wohnstätte des Enki. Es ist ein Ort, dem die Quellen entspringen. Das ist Enkis Element, das lebensspen­ dende Süßwasser, in und mit dem magische Akte vollzogen werden.

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Teilnehmer am Schöpfungsakt ist wieder der Gott und die Mutter­ göttin, die hier Ninmah große »Herrin« genannt wird. Als Grund für die Schöpfung der Menschen wird auch dieses Mal auf das Missvergnügen der Götter über ihre viele Arbeit verwiesen. Enki, der auch schon »die zahlreichen Götter hat sein lassen«, liegt während dessen tatenlos in seinem Schlafgemach, ein Motiv, das auch im Atramhasis-Mythos aufkommt. Dort ist es aber der Gott Enlil, der ruht, und die anderen Götter arbeiten lässt. Die Götter klagen, sie wagen es aber nicht, zu Enki vorzudringen. Schließlich wenden sie sich an einen Vermittler. Das ist ein Verfahren, welches auch in Gebeten immer wieder vorkommt: Ist der erzürnte Gott nicht ansprechbar, so wendet man sich an einen anderen, zugänglicheren Gott, der in den inneren Kreis vordringen darf. In diesem Mythos ist der Mediator die Mutter des Enki, genannt Nammu. Sie weckt ihren Sohn und trägt ihm auf, die Götter von ihrer Last zu befreien. Enki erhebt sich folgsam und geht in einen heiligen Raum hinun­ ter. Er erschafft eine Art Rohfigur, die nicht weiter erläutert wird auch nicht, woraus sie besteht - und formt ihre Arme und Brust. Dann verleiht er ihr den Geist: »In das Innere seines eigenen Ge­ schöpfes lässt er seine eigene Weisheit eingehen.« Im Anschluss hieran befiehlt er seiner Mutter und einer Mutter­ göttin, Lehm über dem Apsu, seiner Wohnstätte, zu mischen und die Rohfigur mit dem Lehm zu verbinden. Die 14 Geburtsgöttinnen sol­ len ihnen dabei zur Hand gehen. Die vielen thematischen Entlehnungen in diesen Mythen, die alle zur gleichen Zeit entstanden sind, fallen besonders auf. Es scheint sogar möglich, dass der kunstvolle, gut erzählte Mythos um den wei­ sen Atramhasis einen solch großen Einfluss auf die Bevölkerung und die gelehrten Schreiber hatte, dass er alle anderen Erzählungen inspi­ rierte. Der Atramhasis-Mythos ist in der Tat in vielen Abschriften auch noch aus dem 1. Jahrtausend überliefert und einer seiner Moti­ ve, die Geschichte vom Bau der Arche (Noah), war so populär, dass sie in das Epos von König Gilgamesch und sogar in die Bibel ein­ gingEs wäre aber auch denkbar, dass alle diese Mythen aus einem gemeinsamen mündlichen Schatz an Anekdoten und Märchen schöpfen, die sich mit der Aufgabe und dem Leben der Götter und der Rolle der Menschen befassen. In verständlicher Weise würden so 133

Rituale, Feste und Glaubensaussagen gedeutet, mit denen jeder in sei­ nem persönlichen Leben umging. Die Schöpfungsmotive, die in den Mythen ausgeschmückt werden, tauchen noch in Ritualen des 1. Jahrtausends in kurzer prägnanter Form auf. Es bestand Übereinstimmung darin, dass der Mensch aus Lehm geschaffen war und auch darin, dass die Muttergöttinnen nur für die praktischen Abläufe, seien sie sprachlich oder manuell, zuständig waren, während der Gott den Planungsakt und die spiritu­ elle Seite der Schöpfung vollzog. In einer Beschwörung gegen Fieber aus dem 1. Jahrtausend wird plakativ auf diesen Schöpfungsakt, um den in Mythen ausgiebig fabuliert wird, referiert, wobei man sich auf die Rolle des Enki kon­ zentrierte. T 35 »[Die Muttergöttin] Belet-ili trat vor Enki, den König:

>Enki, durch deine Beschwörungsformel wurde die Menschheit geschaffen. Du kniffst erneut den Lehm für sie ab von der Ab­ deckung des Apsu. Durch deinen erhabenen Plan entschiedest du ihre Gestaltung.0h, Rohrhaus, oh, Ziegelwand, Rohrhaus höre, Ziegelwand, höre. Mann von Schuruppak ... reiß ab das Haus, erbaue ein Schiff, lass fahren Reichtum, aber dem Leben jage nach.Ach mein Ischullanu, genießen wir deine Kraft!««

(Übersetzt nach George [20002] S. 50: VI Z. 64 ff.) Im Gilgamesch-Epos bestraft sie den Gärtner nicht mit dem Tode, sondern sie verwandelt ihn in einen Krüppel - allerdings stahl er ihr auch nicht ihre göttlichen me. Im Mythos »Inanna und Schukaletuda« hingegen verheißt die Göttin dem Gärtner - Schukaletuda - den sicheren Tod:

T59 »Wohlan, du wirst sterben! Was ist daran? - Deinen Namen soll man nicht vergessen! Dein Name soll in einem Lied erwähnt wer­ den und er soll das Lied vergnüglich machen«. (Nach Volk [1995] S. 133 Z. 296 ff. ) Alle Göttinnen sind: Ischtar

Im Mythos »Inanna und Enki« überlistet die Göttin ihren »Vater« Enki durch Bier und Beischlaf, ihr die heiligen kulturellen Errungen-

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schäften, die göttlichen Kräfte der me zu überlassen und flieht damit in »ihre« Stadt Uruk. Dieser Mythos, der in weiten Teilen aus einer Auflistung der me besteht, soll nicht nur die vorherrschende Stellung der Stadt Uruk in Sumer feiern, sondern er soll auch sicherstellen, dass man sich auf den gestandenen alten Ursprung aller städtischen Traditionen besinnt. Dazu zählen nicht nur alle Institutionen, Götter und Handwerke, sondern sämtliche Erscheinungsformen der damals bekannten städtischen Zivilisation mit ihrer stark ritualisierten Welt. Der Mythos zeigt, dass die Menschen in der ersten Hälfte des 2. Jahr­ tausends ungeheuer stolz auf ihre Zivilisation waren. Teil dieser städ­ tischen Tradition war die Göttin Inanna, der zumindest in diesem Mythos die gleiche Wichtigkeit als Kulturstifterin zugeschrieben wird wie der Gott Enki. In den ganz frühen Götterlisten der Fara-Zeit (um 2600) ist der Rang der Göttin schon hoch: Sie wird nach Anu und Enlil genannt und noch vor dem Mondgott, dem Sonnengott und dem Schöpfer­ gott. In den altbabylonischen Listen wird der Mondgott vor ihr auf­ geführt, denn er gilt oft als ihr »Vater«, seine Gemahlin Ningal als ih­ re »Mutter«. Der Sonnengott ist der ihr ebenbürtige »Bruder«, denn Ischtar wie Schamasch befassen sich mit dem Schicksal der Toten in der Unterwelt. Kinder der Göttin werden selten erwähnt. Nur der Stadtgott von Umma, Schara, und ein gewisser Gott Latarak oder Lulal von der Stadt Badtibira erscheinen gelegentlich in dieser Funktion. Schara, in den meisten Quellen ein kriegerischer Gott, dient ihr in dem Mythos, der von dem Besuch der Göttin in der Unterwelt berichtet, als ihr »Friseur«; er gehört zu ihren Bediensteten. Unschwer ist zu erkennen, dass die familiäre Unterordnung dieser Stadtgötter als »Kinder« der viel bedeutenderen Göttin einem religionspolitischem Kalkül folgte: Beide Städte wurden wohl aus noch unbekannten Gründen zeitweise aufgewertet. Der oberste Himmelsgott Anu wird häufig als ihr Gatte dargestellt, mit dem sie das kummu »heilige Schlafzimmer« teilt. Sie kann schon in sumerischen Dichtungen als Gefährtin dieses Gottes genannt wer­ den und auch wieder in den letzten Jahrhunderten vor der Zeiten­ wende (s. S. 54f). Zu dieser Zeit vereinigte sie aber längst die Machtbefugnisse aller anderen Göttinnen auf sich. Gegen Mitte des 2. Jahrtausends wurde von ihrem Namen »Ischtar« das Epitheton »Ischtartum: die Ischta187

rin« abgeleitet, welches ab dem Ende des 2. Jahrtausend für »Göttin« ganz allgemein stehen kann und als Epitheton zu anderen Göttinnenamen tritt - vergleichbar dem Titel Enlil, den die obersten Landesgöt­ ter Marduk und Assur erhalten konnten. Die Göttin Ischtar hat aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung viele Kultorte. Seit alters her ist sie die »Nin-Unu: Herrin von Uruk«, wo sie auch noch in seleukidischer Zeit zusammen mit ihrem Gemahl Anu den Tempel Eanna bewohnte. Zusätzlich zu Uruk hatte sie auch in allen anderen wichtigen Kultzentren Mesopotamiens eine Gella oder einen Tempel, von Akkad bis nach Nippur und Assur. In Assur bekommt sie das Epitheton Assuritu »assyrische Ischtar« (Ischtar, die nach Assur gehört). Ihre bedeutendsten Kultplätze im Süden Meso­ potamiens waren Uruk, in Mittel- und Nordmesopotamien Nippur, Assur, Niniveh und Erbil. Da sie zu den bedeutendsten mesopotamischen Göttern zählt, wird sie seit der frühesten Zeit in sumerischen wie akkadischen Per­ sonennamen etwa im gleichen Ausmaß genannt wie der Sonnengott, der Mondgott und der Wettergott. Sie bleibt zwar auch im 1. Jahrtau­ send eine der Hauptgottheiten, gegenüber den Landesgöttern Mar­ duk und Assur muss sie aber zurücktreten. Ischtar hatte schon in altsumerischen Königsinschriften vor der Akkadzeit, vor 2300, einen überregionalen Namen und große Bedeu­ tung für die Herrschaftslegitimierung der Könige. Während der Fruchtbarkeitsaspekt zu dieser Zeit noch nicht erwähnt wird, betonen Personennamen schon den kriegerischen Aspekt der Göttin. Ihre kämpferische Natur scheint dann mehr und mehr an Gestalt zu gewinnen. Das Anwachsen dieser kriegerischen Macht könnte mit der Konsolidierung des ersten Reiches der altakkadischen Dynastie zusammenzuhängen (ab 2300), deren Könige Ischtar besonders ver­ ehrten, wie aus Inschriften und Mythen wie »Ninmescharra« hervor­ zugehen scheint. Erst nach der Wende zu den Stadtstaaten des 2. Jahrtausends, die in das Reich des Hammurabi von Babylon münden, gewinnt die Göt­ tin nachweislich zumindest für einige Jahrhunderte die zusätzliche Aufgabe der sehr intimen rituellen Partnerin der Könige. Sie wird zu der Göttin, die dem ganzen Land Fruchtbarkeit schenkt und dem König Wohlstand und eine lange Regierungszeit garantiert. In diesem Zusammenhang sind die Dumuzi-Inanna-Hymnen zu sehen, in denen die Rolle des Königs unter seinen Prunknamen Amauschum-

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gal, einer der Namen des Dumuzi, lyrisch besungen wird. Jetzt erst werden Rituale angedeutet, die Kleidertauschriten praktizieren und die Göttin als Magierin erstehen lassen. Sie betonen ihre wichtige Funktion als Abwenderin oder Umwandlerin von Unheil durch ihre magischen Kräfte, zu denen auch ein Rollentausch von Männern und Frauen gehört. Diese Riten werden als ein großes Mysterium zur Schau gestellt. Ohne ihren Kampf gegen der Mächte der Unterwelt, dem diese Ri­ ten im Wesentlichen zu dienen scheinen, ist jetzt an Fruchtbarkeit in der Welt nicht mehr zu denken. Das ist auch die Botschaft des My­ thos von ihrer Unterweltreise, in dem eine Erklärung für das Vorhan­ densein ihrer Kultdiener gegeben wird, die - verkleidet - jeweils zwi­ schen der oberen und der Unterwelt Verbindungen herstellen können und das Übel auf sich selbst kumulieren und abtransportieren. Zu­ gleich werden Sinn und Zweck der Ersatzrituale vielleicht mit neuem Inhalt gefüllt, weil aus diesem Mythos hervorgeht, das durch das Stel­ len eines Ersatzes das Böse aus der Welt in die Unterwelt befördert werden kann. Die Göttin Ischtar ist unabkömmlich für die Menschen, so wie der Sonnengott, der Mondgott, die Unheilsgötter und der Wettergott. Je­ doch hat sie als Frau - im Gegensatz zu den anderen bedeutenden Hauptgottheiten der Panthea - eine noch unberechenbarere Seite, die vielleicht einen zwiespältigen Umgang mit der Weiblichkeit verrät. Nur Ischtar wird gelobt und gepriesen, aber auch in manchen Königslegenden auf eine respektlose Art geschmäht. Auch scheint nur sie göttliche Dämoninnen zu beherrschen, die das Leben der Men­ schen äußerst gefährden.

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Die Unterwelt und ihre Götter

Die Unterwelt der Eliten

Die Unterwelt galt in Mesopotamien einheitlich als hoffnungsloser Aufbewahrungsort der Verstorbenen. Die Lebensform der Menschen nach dem Tod wird als etemmu »Totengeist« bezeichnet. Es gibt zwar keine Paradiesvorstellungen, aber manche Erzählungen erwecken den Eindruck, als ob einige Privilegierte Chancen auf ein angenehmeres Leben im Jenseits erhalten als andere. Tod und Vergänglichkeit beschäftigt besonders die Könige in der älteren sumerischen und babylonischen Geschichte. In einer Klage über König Urnammu, den ersten König der dritten Dynastie von Ur (gegen 2100), wird das The­ ma von dem drohenden Ende des Lebens in allen Farben ausgemalt. Eine andere wichtige Quelle über das Leben im Jenseits ist der Gilga­ mesch-Mythos, in dem die Suche nach einer Form des ewigen Lebens einen ganz zentralen Platz einnimmt. Der Schauplatz der Legende von König Gilgamesch ist die Stadt Uruk im äußersten Süden Mesopotamiens. Gilgamesch galt als Spross des sagenumwobenen Königs von Uruk, Lugalbanda. Da die Mutter des Gilgamesch eine Göttin war, hieß es, er sei zwei Drittel Gott und ein Drittel Mensch. Aber Helden des Gilgamesch-Epos sind neben der Stadt Uruk und ihrer Bevölkerung auch sein Gefährte und Diener Enkidu. Gilgamesch herrscht in der Stadt Uruk als ein starker, aber auch tyrannischer König, der das Herrenrecht rücksichtslos für sich in An­ spruch nimmt. Besonders seine Familienfeindlichkeit und die Aus­ übung des ins primae noctis erzürnt Mütter wie Töchter so sehr, dass sie sich hilfesuchend an die einzige übergeordnete Instanz, die Götter des Himmels wenden. Die hilfreichen Götter schaffen als Gegenge­ wicht zum bis dahin unbesiegbaren Gilgamesch einen gleich starken Widerpart, den Helden Enkidu. Beide suchen den Zweikampf, aber nach einem langen und unentschiedenen Kräftemessen werden sie intime Freunde und beschließen, gemeinsam die Welt zu erobern. Das Ziel ihres Heldenlebens ist es, sich einen so großartigen Namen zu erwerben, dass sie in der Erinnerung der Völker unsterblich würden. 190

Zusammen werden beide Helden recht übermütig: Sie beleidigen die Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar als Vernichterin ihrer Liebhaber. Während die Unverschämtheiten des Gilgamesch straflos bleiben, muss sein Freund Enkidu dafür mit dem Leben büßen, er siecht bald an einer geheimnisvollen Krankheit dahin. Und nun beginnt das end­ lose Thema vom Sterben, von Vergänglichkeit und dem Streben, diesem Schicksal zu entkommen. Tief berührt vom Ende seines Freundes trachtet Gilgamesch da­ nach, für sich das ewige Leben zu erlangen. Für dieses Ziel sucht er den einzigen Menschen auf, der als unsterblich gilt, Uta-napischtim »Er hat das Leben gefunden«. Gemeint ist der Weise, der die Sintflut überlebte. Im »Atramhasis-Mythos« heißt er Atram-hasis: »Der über­ aus Weise« und in der Bibel wird er Noah genannt. Trotz seiner Unsterblichkeit wohnt er aber nicht in der Unterwelt, bei den Toten, und auch nicht in den Himmeln, bei den unsterblichen Göttern, son­ dern zusammen mit seiner Frau in dem mythischen Land »an den Quellen der Flüsse«, hinter dem »Meer des Todes«. Dieser Unsterb­ liche bekommt zwar Zweifel, ob der ziemlich tolpatschige Gilgamesch seinem Todesschicksal entkommen könne, dennoch zeigt er ihm ein »Kraut des ewigen Lebens«. Begeistert steckt Gilgamesch es ein und plant sogleich, es zu seiner Stadt Uruk zu bringen, damit dort ewige vitale Jugend herrsche. Als aber der müde König während seiner Reise auf einen Brunnen trifft, beschließt er zu baden und legt dabei alle Kleider ab und mit ihnen auch das »Kraut des ewigen Lebens«. Sogleich schlängelt eine magische Schlange heran, findet das Kraut, verschlingt es und häutet sich - der König aber muss unverrichteter Dinge nach Uruk zurückkehren. Damit endet die akkadische Fassung des Gilgamesch-Epos, die in elf Tafeln im 1. Jahrtausend aus einem Guss komponiert wurde. Es folgt aber noch eine zwölfte Tafel, die aus einer älteren sumerischen Episode vom Beginn des 2. Jahrtausends übersetzt wurde und als Anhängsel gilt. Dieser Teil befasst sich ausschließlich mit dem Thema des Lebens nach dem Tode. Gilgamesch evoziert in diesem Erzählteil durch magische Praktiken den Totengeist seines früheren Gefährten Enkidu. Dieser steigt, schwach und bleich, aus einem Loch in der Erde empor. Gilgamesch befragt ihn daraufhin über die Zustände nach dem Tod:

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T60 »Sahst du, wie die Dinge in der Unterwelt geordnet sind? Wenn du es mir nur erzählen könntest!« Enkidu antwortete: »Oh, ich erzähle dir alles, sitz du nur dort und weine ... Denjenigen, den du geliebt hast, er fällt in sich zusammen. Wie ein altes Kleidungsstück ist er überzogen mit Läusen. Wie ein Riss im Boden ist er mit Staub angefüllt.«

Gilgamesch will weiterhin wissen, wie es für denjenigen aus­ sieht, der Kinder hat:

»Derjenige mit nur einem Sohn lamentiert und weint, derjenige mit zwei Söhnen sitzt auf zwei Ziegeln und isst einen Laib Brot. Hat jemand drei Söhne, geht es ihm noch besser: Er trinkt Wasser aus den Wasserflaschen, die am Sattel hän­ gen! Und der mit vier Söhnen freut sich wie ein Mann mit vier Eseln! Derjenige mit fünf Söhnen betritt wie ein feiner Schreiber mit geüb­ ter Hand den Palast... Der mit sieben Söhnen sitzt wie ein eine kleine Gottheit auf dem Thron und beobachtet alle Vorgänge.« (Nach George [2002] S. 187 f„ Z. 246 f, 250 f„ 254 ff.) Die Weltanschauung des Gilgamesch-Epos wirft ein bezeichnendes Licht auf die Rolle, die Söhne in der Welt der Babylonier spielten. Sie beleuchtet den Wert von Reichtum und Personenstand und das anti­ ke Gefühl für den eigenen Körper. So lässt sich aus dieser Passage erschließen, dass ein gutes Leben nach dem Tod durch eine große Anzahl von Knaben erwirkt werden konnte. Grund ist die Totenpflege, mit der ein Toter bedacht sein will. Denn derjenige, für den niemand die Bestattungsriten ausführt, muss Reste aus den Töpfen der Unterwelt kratzen und die Brotkrumen essen, die in die Straßen geworfen werden. Wenn es männliche Erben gab, übten sie die Totenpflege aus. Für die Töchter galt das nicht in

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jedem Fall: Sie mussten zuvor erst in den Stand des Erbsohnes erho­ ben werden. Menschen ohne Kinder wie Eunuchen oder kinderlose Frauen hat­ ten wenig Ansehen. Es herrschte die Vorstellung, dass der Tote in dem physischen Zu­ stand bleibt, in dem er stirbt. Diejenigen, die nicht unversehrten Lei­ bes in der Unterwelt ankommen, vegetieren dort weiter als Invalide oder Kranke, die Leiber zerfressen von Maden. Die Bedingung für Inhaber kultischer Ämter auf einen unversehrten, makellosen Körper lässt vermuten, dass körperlich Behinderte beklagenswert waren. Tot geborene Babys ruhen in der Unterwelt auf silbernen und gol­ denen Tischen und spielen inmitten von Honig und Sirup. Solche Totgeburten wurden angesehen wie verstorbene Personen. Es sollte wohl nicht nur das gute Leben von Babys aus Glimmer, Glanz und Süßigkeiten bestehen. Ein verbrannter Mensch hatte jedoch jede Existenzberechtigung verloren, da er sich nicht einmal als Totengeist manifestieren konnte. Der Tod durch Verbrennung war daher eine der Strafen, die am schwersten wogen.

T61 Königsgräber und Grabbeigaben: Nachdem Gilgamesch seinen nahenden Tod durch einem Traum erfuhr, sorgte er selbst für seine Bestattung. Er leitete das Was­ ser des Euphrats ab und baute ein Grab aus Stein: »Er fertigte die Steintüren für seinen Eingang: Die Riegel und Schwellen waren aus härtestem Dioritstein. Die Verstrebungen waren in Gold gegossen. Die ...[der Text ist hier zerstört] war hinter schweren Steinen verborgen, so dass niemand diesen Platz je finden würde ... So errichtete Gilgamesch inmitten von Uruk eine sichere Kam­ mer.«

Der König erhielt einen äußerst eleganten und edlen Übergang von den Lebenden zu den Toten. Zu seinen Grablegungsriten ge­ hörte auch eine Gefolgschaftsbestattung: »Seine geliebte Gattin, seine geliebten Kinder, seine erste Frau und seine zweite Frau, sein geliebter Sänger und sein Mund­

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schenk, sein Kammerdiener und die Diener, die früher den Palast nach allen Richtungen durchliefen und auch seine geliebten Gegenstände, die alltäglich verwendeten, gingen mit ihm. Nach­ dem sie an seine Seite niedergelegt waren und denselben Platz eingenommen hatten, den sie auch im Palast hatten, im Zentrum von Uruk, da präsentierte Gilgamesch [den Unterweltsgöttem] die Geschenke, die er vorbereitet hatte.« (Nach sumerischen Fragmenten zitiert in Anlehnung an George [2OOO2], S. 206, Z. 270 ff. und Fragment N3- Z. 1 ff.) Trotz dieser Erzählung aus dem Beginn des 2. Jahrtausends wurde ein Grab des Gilgamesch bisher nicht gefunden und es bleibt auch höchst zweifelhaft, ob er überhaupt eine historische Person war. Aber Gefolgschaftsbestattungen, wie sie in dieser Episode geschildert wer­ den, sind durch einen Königsfriedhof von Ur durch Grabbefunde si­ cher bezeugt. Nur in dieser Epoche, etwa um 2500, scheint es möglich gewesen zu sein, sich so begraben zu lassen, wie es in dieser Erzäh­ lung beschrieben wird. Die ruhige Lage der Toten deutet weniger auf ein Menschenopfer, sondern auf eine freiwillige Begleitung des Hof­ staates und auf die Einnahme von Gift. Der Aufbewahrungsort der Toten

In Mesopotamien ist die Unterwelt bis zu einem gewissen Grad ein Abbild der jeweiligen Menschenwelt. Das Werte- und Klassensystem des Diesseits galt auch im Jenseits. Jeder erhielt dort den sozialen Rang, den er während seines Lebens innegehabt hatte. Könige herrschten weiter, die Elite wurde durch regelmäßige Nahrung kom­ fortabel versorgt und Arme und Unterbemittelte vegetierten dahin, verdammt zu ewigem Durst. Die Alltagsliteratur befasste sich nicht mit Vorstellungen von der Unterwelt. Wurde sie überhaupt erwähnt, so bezeichnete man sie kurz als »staubigen Ort«, in dem brackiges Wasser gereicht wird. Die vielen Bezeichnungen für die Unterwelt sind oft ursprüngliche Beina­ men wie »Ort ohne Wiederkehr« oder »Wüstensteppe«. Ihr konkretester Name ist vermutlich Arallu, mit dem ursprüng­ lich ein Landstrich, vielleicht ein erinnerungsträchtiger Bestattungs­ ort im Süden Babyloniens gemeint war. Am häufigsten wird die 194

Abb. 22) (iefolgschaftsbestattung in Ur

Unterwelt einfach »die Erde« oder »untere Erde« genannt. Um zu ihr zu gelangen, musste man den Unterweltsfluss, den Hubur überque­ ren. Ein Eluss dieses Namens lag ganz im Nordosten Mesopotamiens, oberhalb des großen Zab-Flusses, im heutigen Kurdistan/Iran. Die namentliche Übereinstimmung war sicherlich von Bedeutung, wenn auch keine Quelle diesen Fluss mit dem Unterweltsfluss indentifiziert. Kommt der Tote in der Unterwelt an, so wird sein Eingang von ei­ ner Ciöttin, der lielct-ßeri »Herrin der Wüstensteppe« überprüft. Sie hält Buch darüber, ob der Verstorbene gemäß seiner Schicksalbestim­ mung, also zum richtigen Zeitpunkt, hier unten angekommen war. Der Abstieg in die Unterwelt war unvermeidbar. Es gab keinen Himmel als Aufenthaltsort der guten Menschen, aber auch keine Höl­ le, in der böse, sündhafte Verstorbene zur Strafe gequält wurden. Alle loten wurden in der Unterwelt nur verwahrt. Der löte hatte keine Chance, gemäß seiner guten oder schlechten Leistungen im Leben überprüft und in Folge bestraft oder erlöst zu werden, denn es gab keinen Glauben an eine bessere Zukunft, sondern nur das Wissen von Vergangenheit und Gegenwart. Der Tote lebte als Toter weiterhin in Verbindung mit seiner Familie, solange sie sich an ihn erinnerte, und er wurde in einem Totenritual, dem Kispum, regelmäßig angerufen, versorgt, getränkt und gespeist. Als gewöhnlicher Mensch erhielt er in

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der Unterwelt keine weiteren Funktionen, sondern er speiste, ruhte oder schlief. Der Platz der Toten war unmittelbar unterhalb der Erde, die wohl als sehr dicke Erdscheibe verstanden wurde. Das Grab ist der Eingang in diesen Bereich, gleichgültig ob es sich auf Friedhöfen befand oder unter den Wohnhäusern. In den Gräbern, die Archäologen freilegten, fand man nur ganz selten die namentliche Kennzeichnung der Ver­ storbenen, es sei denn, es handelte sich um Gräber der Eliten. Die Grabformen sind ebenso unterschiedlich wie die Grablegun­ gen. Die Form scheint nicht wesentlich zu sein. Von essenzieller Wichtigkeit ist aber die Ortung des Toten, das Bewusstsein, dass es ihn dort unten gab, dass er versorgt würde - und dass er dort gebannt war. Nur der gut bestattete Tote konnte den Lebenden nicht mehr schaden. Denn ein unversorgter Toter wurde zu einem herumirren ­ den Totengeist, der Schreckliches anrichten konnte und immer Un­ heil über die Lebenden brachte. Sobald dieser Verdacht bestand, wurde ein Totengeist rituell ge­ bannt und aus dem Bereich der Lebenden entfernt. Stabilisierende Elemente im Umgang mit dem Tod waren für die Mesopotamier wohl der Fortbestand als Person und eine Anzahl von verlässlichen Übergangs- und Totenriten. Die Eckpunkte des Wertesystems waren in den städtischen Gesell­ schaften Mesopotamiens soziale Elemente wie der Stand und die Familie. Kinder galten für alle dort Lebende, ob König oder Bauer, als Reichtum. Der einfache Mensch lebte in dem Bewusstsein, dass mate­ rielle Güter beim Tod ihren Nutzen verloren. Da Überlegungen zu Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit im dies­ seitigen Leben keine Rolle spielten, gab es auch kein Unterweltsge­ richt und keine ausgleichende Gerechtigkeit für Unglück oder Sünde. So ist jeder für sein gutes Schicksal selbst verantwortlich. Hielt man sich an die sozialen Regeln, ob sie nun formaler oder ethischer Natur waren, so bestand eine gute Chance, in der Unterwelt einigermaßen angenehm fortzubestehen. Die Ursache eines Unglücks war stets fremdes oder eigenes Ver­ schulden, da viele physische oder biologische Vorgänge in der Welt nicht erklärbar waren. Die Verursacher dieses Verschuldens mussten herausgefunden werden, um mittels spezieller Rituale eine Abwen­ dung des Unglücks zu erwirken. Denn einen Menschen an der Schwelle zum Tod erwarteten weder Himmel noch Hölle. Auch der

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Glaube an eine Wiedergeburt in schlechterer oder besserer Form be­ stand nicht. Götter und Dämonen der Unterwelt

Die Unterwelt war in Mesopotamien nicht ein Ort des Chaos, son­ dern eine geordnete Welt - ohne die Lebensqualität des Diesseits. Sie war ein Aufbewahrungsort, an den die Lebenden vieles Bedrohliche und Bedenkliche verbannten. Der Unterwelt konnte niemand entkommen, selbst die unsterbli­ chen Götter im Grunde nicht. Nicht umsonst ist eines der Epitheta der Unterwelt: »Erde ohne Wiederkehr«. So musste die Göttin Ischtar bei ihrem Besuch in der Unterwelt diesem Gesetz folgen und sie durfte die Unterwelt nur verlassen, wenn sie einen Ersatz stellte. Das ist bei anderen Göttern nicht so. Der Sonnengott zum Beispiel besuchte die Unterwelt regelmäßig des Nachts, wenn seine Himmels­ fahrt beendet war, und übte über die Toten das Totengericht aus wie auf der Erde das über die Lebenden. Andere Götter lebten sogar überwiegend in der Unterwelt. Die Menschen fürchteten ihr Hervor­ kommen, das als Unheil angesehen wurde. Die Herrschergötter der Unterwelt wurden oft als eine Gruppe begriffen, die Anunnaku, so wie die Himmelsgötter als Igigu bezeichnet werden. Der Herr der Anunnaku ist der Gott Nergal. Wie es dazu kam, dass er in der Unterwelt herrscht, erzählt der Mythos von »Nergal und Ereschkigal«. In diesem Mythos beschwert sich die Herrin der Unterwelt, die Göttin Ereschkigal, bei dem obersten Himmelsgott Anu über ihre eingeschränkte Lebensqualität. Sie beklagte sich, dass sie nie jubelnde Freude empfinden darf, das Spielen der anderen jungen Mädchen nicht kennen lernt und nun einen Gemahl wolle. Sie klagt, dass sie kein Gewand trage und dass ihre Brüste »schlaff« seien: ein Hinweis auf ihren unfruchtbaren Zustand. So wird anlässlich eines Besuchs von Nergal in der Unterwelt dieser als ihr Gatte bestimmt. Der Gott Nergal ist ein typisches Geschöpf der hässlichen Unter­ welt. Er wird als ein buckeliger und lahmer Gott beschrieben, der das Recht hat, die anderen Götter zu besuchen. Wenn er die anderen Göt­ ter im Himmel aufsucht, etwa um an einem gemeinsamen Bankett teilzunehmen, fällt er durch seine deformierte, unvollkommene Ge-

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stalt im Kreis der schönen Götter auf und ist sofort als nicht zu ihnen gehörig erkennbar. Für die Unterweltsgötter und die verstorbenen Könige ist die Unterwelt ein Herrschaftsort. Sie ist gestaltet wie eine Stadt, mit ei­ nem Palast und mit sieben Mauern und Toren. Da die Vorstellung, dass alles Negative in die Unterwelt verbannt werden könnte, konsti­ tuierender Bestandteil der mesopotamischen Weltordnung war, wurde auch das Böse ordnungsgemäß von den Göttern bewacht. Dämonen, die für einen großen Teil aller Krankheiten verantwortlich gemacht wurden, sind Teil der Unterwelt. Die bekannteren unter ih­ nen sind die Ardatlili »Windmädchen«, die löwenköpfige Lamaschtu, oder der böse Asakku, den Ninurta im Mythos »Lugale« als Dämonen besiegte (s. S. 81-83). Ardatlili und Lamaschtu werden als geflügelte Dämoninnen darge­ stellt. Lamaschtu hat Vögelkrallen und einen Löwenkopf und säugt an ihren schlaffen Brüsten Ferkel oder Hunde. Sie ist eine der interes­ santesten Dämoninnengestalten, da sie Tochter des Anu ist, obgleich sie als gefährliche, Unheil bringende Macht galt. Sie war bösartig, aber keine Inkorporation der Bosheit, denn sie war das Werkzeug der Götter und strafte in ihrem Namen. Obgleich sie als Ausgeburt an Hässlichkeit dargestellt wird, verkörperte und symbolisierte sie einen Teilaspekt der Göttin Ischtar und besaß einige ihrer zerstörerischen Potenzen. Das Gleiche gilt für die Dämonin Ardatlili. Sie wird als schönes junges Mädchen gezeichnet, hat aber Vogelfüße und Flügel. Als bedrohliches Mischwesen schlüpfte sie nachts durch Fenster und Tü­ ren und gefährdete das Leben der Menschen. Da sie und ähnliche Dämoninnen auch die Herrschaftsinsignien »Messlatte und -seil« und den kostbaren Halsschmuck der Ischtar tragen kann, verkörperte auch sie wohl einen Teilaspekt der Liebesgöttin, ohne diese in der Fülle ihrer komplexen Persönlichkeit zu ersetzen. Bezeichnend ist, dass beide Dämoninnen mit dem Determinativzeichen dingir für Göttergestalten geschrieben werden. Sie sind Grenzgänger zwischen der Welt der oberen Götter und der menschlichen Welt, und wie die Botengötter sind sie als Mächte einem übergeordneten Gott ver­ pflichtet und verfolgen dessen Ziele und Aufgaben. In dem Mythos »Ischtars Unterweltsgang« und verwandten My­ then (s. S. 180-183) werden andere und anonym bleibende Unter­ weltsdämonen als gefühl- und geschlechtslose Roboter beschrieben.

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Alle, Klein wie Groß, so heißt es, seien weder schlecht noch gut, da sie »Böses nicht vom Guten unterscheiden können«. Eine Familie wür­ den sie ebenso wenig kennen wie Liebe und Tod. Diese Wesen werden charakterisiert, als ob sie der sozialen menschlichen Gefühlsebene entzogen seien und stehen damit in einem deutlichen Widerspruch zu den Göttern, die sehr wohl Gefühle wie heftigem Zorn und Liebe unterworfen sind. Die Unterweltsgötter erfüllen die nützliche Funktion, das Böse und das Unheil zu bannen und an einem überschaubaren Ort einzu­ sperren. In Mythen und Gebeten wird ihre Macht betont, Vernich­ tung über die Menschen zu bringen. Denn mit diesen Göttern wer­ den auch soziale Agressionen wie Aufstand, Auseinandersetzungen und Krieg verbunden. Wodurch diese negativen Dinge als Teil der geordneten Welt integriert wurden. Nergal und andere

Für die Unterweltsgötter oder Unheilsgötter sind mehrere Namen be­ zeugt, von denen sind die wichtigsten: Nergal, Meslamtaea, LugalErra, Lugal-Gudua, und Lugal-Apiak. Der Name Nergal setzt sich aus den Zeichen dNe)-erin-gal zusam­ men, die den Namen phonetisch wiederzugeben scheinen. In einem Dialekt des Sumerischen, dem Emesal, wird er Umun-uru-gal »Herr der großen Erde« genannt. Das klingt wie das Pendant zum Namen seiner Gattin, der Eresch-ki-gal »Herrin der großen Erde (Unter­ welt)«. Bis auf den Namen Nergal beziehen sich die meisten dieser Namen auf konkrete örtliche Kultmanifestationen. Ihre Namen sind folglich eigentlich Epitheta, die an ihre Kultorte erinnern. Der Gott LugalApiak ist der »König (der Stadt) Apiak« und Lugal-Gudua der »König (der Stadt) Gudua«. In dieser Stadt (Kutha) schien man im 2. Jahr­ tausend den bedeutendsten Unterweltskult zu pflegen. Der sumerische Name Meslamtaea bedeutet »der aus dem Meslam-Heiligtum hervorgehende« und auch er ist mit dem Kultort Gu­ dua verbunden, da sich hier einer der Tempel des Unterweltsgottes, das E2-meslam »Haus Meslam«, befand. So können alle diese Namen als örtlich gebundene Beinamen des Göttertyps »Unterweltsgott« begriffen werden: Sie enthalten eher lo­ bende Aspekte, als dass sie eine bestimmte Götterperson konkret 199

benennen. Es scheint so, als ob man weibliche und männliche Unter­ weltsgottheiten lieber mit anonymen Beinamen bezeichnete und den eigentlichen Namen vermied, möglicherweise, um kein Unheil her­ beizurufen. Nicht der Name Nergal, aber sein Epitheton Lugal-Meslam »König von (dem Tempel) Meslam« wird schon in den ganz alten Götter­ listen von Fara und Abu-Salabih (ab 2600) zitiert. Das beweist, dass der Unterweltsgott schon zu dieser Zeit ein Kultgott war und mit all seinen weltanschaulichen Implikationen immer schon als Teil des Pantheon galt. Der Gott hatte in der altbabylonischen Zeit nicht nur in Gudua (Kutha), sondern auch in Dilbat, Isin, Larsa, Nippur, Sippar, Uruk und anderen wichtigen Städten Babyloniens Kultplätze. In den Jahr­ hunderten danach, von den Kassiten bis zu den Neubabyloniern, begleitete und leitete er kriegerische Aktionen der Könige. Man kennt bisher mindestens sechs Tempel(anlagen), in deren Namen das Element Emeslam+ vorkommt. Der älteste Tempel wurde von König Schulgi (etwa ab 2094) in Gudua (Kutha) erneuert. Ab der Kassitenzeit, (etwa ab 1400) wird der Name des Nergal fast ausschließlich dU-gur geschrieben. Ein Gott mit diesem Namen war in der älteren Zeit eigentlich nur als sukkal »Wesir« des Nergal be­ kannt und galt damit entweder als ein relativ unbedeutender Unter­ weltsgott oder als ein Symbol des Nergal. Durch die Übernahme von Ugur als Hauptschreibung des Namens des Nergal geht er nun aber ganz in seinem Hauptgott auf. Der Unterweltsgott steht an hinterer Stelle in der Götterhierarchie, denn er gilt als Sohn des Götterpaares Ninlil und Enlil, die lange Zeit eine Vormachtstellung im Land innehatten. Nergals Gattin ist die Herrin der Unterwelt, Ereschkigal, die auch Laß genannt wird, ein Name, der wohl mit »nicht Hinauskommen« zusammenhängt. Ein anderer ihrer Namen ist Mamitu »der (Unglück bringende) Eid«. Erra macht Krieg

Wie Nergal eine der Manifestationen eines sumerischen Unterwelts­ gottes ist, der schon seit der Mitte des 3. Jahrtausends genannt wird, so ist Erra ein semitischer Gott mit ganz ähnlichen Charakteristika, der schon früh, spätestens zur altakkadischen Zeit (etwa ab 2300), mit Nergal verknüpft wurde. Der Name taucht erstmalig in Erzählun200

gen von den Heldentaten des altakkadischen Königs Naram-Sin auf, die zu Beginn des 2. Jahrtausends aufgeschrieben wurden. Er ist Begleiter dieses Königs im Kampf, der ihm aus Dankbarkeit ein Heiligtum errichtet. T62 Aus dem Hymnus Naram-Sin und Erra:

»Der Gott Erra und Naram-Sin: Gemeinsam gingen sie, sein Gefährte und er. Sein Kampf stieß ihm das Land hin und her, (und) es begleitete ihn dabei der Held Erra.«

(Übersetzt in Anlehnung an Lambert [1973] S. 361, Z. 33-36) Leider geht aus dem Text nicht hervor, welcher Naram-Sin gemeint war: der altakkadische (etwa ab 2259), der noch Jahrhunderte später in Königslegenden gefeiert wurde, oder ein ganz anderer altbabyloni­ scher Herrscher eines Königreiches von Eschnunna, im Osttigrisland, vom Beginn des 2. Jahrtausends. Die Familie des Erra ist kaum bekannt, vielleicht weil er ein erst später nach Mesopotamien eingewanderter Gott ist, ebenso wie mög­ licherweise Marduk und Nabu. Er wird als »Sohn des Gottes Anu« bezeichnet und als seine Gemahlin gilt die Göttin Mami. Da Mami aber eine Muttergöttin ist, die eigentlich nicht in Verbindung mit dem vernichtenden Feuergott stehen kann, versuchte man Mami als Abkürzung für den Namen der Unterweltsgöttin Mamitu »der (böse) Eid« zu erklären. Andere Deutungen sehen eine Verbindung der bei­ den eigentlich unversöhnlichen Gottheiten Erra und Mami in dem »fruchtbaren Aspekt des Feuers«. Es war wohl üblich, das Feld abzu­ brennen, um durch die Asche den Ertrag bei der nächsten Ernte zu steigern.

T63 Erra und Raschap

Der Name Erra wird mit den Keilschriftzeichen /r3-ra geschrie­ ben. Er wird von der semitischen Wurzel h-r-r abgeleitet, die »ver­ brennen« bedeutet. Man nimmt an, dass Erra das Phänomen der 201

»verbrannten Erde« symbolisiert und als der Gott des vernichten­ den Feuers gilt. Bezeichnenderweise ist der Botengott Ischum »Feuer« derjenige der Götter, der »vor ihm geht«, also sein Wesir. Diese Annahme, dass Erra ein Feuergott sei, passt wiederum zur Gleichsetzung von Nergal mit dem ugaritischen Gott Raschap, denn Raschap ist ein typischer Feuergott, dessen Name mit der ugaritischen Wurzel r-sch-p »Brand, Flamme, Hitze, Pest« zusam­ menhängt. Dem (sumerischen) Gott Gibil wird die Funktion des läuternden Feuers in mesopotamischen Ritualen gegen Verhexung schon in den frühesten Listen zugeschrieben. Der Mythos von Erra, Ischum und Marduk

An der Gestalt des Erra lassen sich die Aspekte eines »Unheilgottes« aufzeigen. Als Hauptquelle dient eine mythologische Erzählung, die das Erra-Epos oder »Erra und Ischum« genannt wird. Aus der Unter­ schrift geht hervor, dass ein hoher Tempelfunktionär, dessen Familie seit Mitte des 8. Jahrhunderts namentlich bekannt ist, als Verfasser des Mythos gilt. Das Werk selbst ist unter den erzählerischen Dich­ tungen aus der neuassyrischen Zeit eine der seltenen Neuschöpfun­ gen. Der Mythos ist in einem sehr lebhaften Stil gehalten, in dem sich Anreden und Monologe abwechseln, oft fehlen die sonst üblichen einleitenden Sprechformel (»und der Gott fing an zu reden und sag­ te ...«). Das »Plot« der Erzählung ist einfach: Gott Erra nimmt den Platz des obersten Herrn Marduk ein, verwüstet Babylon und Babylonien und wird danach von Ischum beruhigt. »Akkad« (d. h. Babylonien) wird der Aufbruch in eine neue Epoche verheißen. Die mehreren 100 Zeilen dieser Erzählung breiten auf fünf Tafeln den Inhalt in epischer Breite aus. Es werden ganz verschiedene Stilar­ ten sehr kunstvoll miteinander verwoben. Das sind Loblieder an Erra und preisende Monologe, sowohl von Erra als auch von Marduk, die z. T. wie Rede und Gegenrede gestaltet sind. Die Beschreibungen der vernichtenden Taten des Gottes, die Verwüstung Babylons, wird in Prophezeiungen gekleidet. In geringem Umfang kommt auch ein Berichtsstil vor, in dem die ruhigen und gemäßigten Worte des Botengottes Ischum zu dem sonst sehr dynamischen und aufgeregten 202

Stil der Reden kontrastieren. Obgleich die Dichtung geprägt ist von vielen ausführlichen Wiederholungen, die für narrative Literatur in Mesopotamien typisch sind, deutet der große Redeanteil auf einen Vortrag oder sogar auf eine Aufführung hin. Der Mythos beginnt damit, dass der Gott Erra, der wie Enki im Schöpfungsmythos (s. S. 112f.) friedlich in seiner Kammer schläft, von seinen Hilfsgottheiten, den »Dämonischen Sieben: Sebettu« auf­ gestachelt wird, seine kämpferischen Mächte zu zeigen, damit ihm alle Götter des Himmels Ehrfurcht und Ehre erweisen. Der Gott Ischum versucht, ihn davon abzuhalten, dieses »Böse gegen die Göt­ ter zu planen und die Menschen zu zerstören«. Aber Erra hat sich mit der Vorstellung von Kampf und Krieg schon angefreundet:

T 64 »Weil sie (die Menschen) nicht länger meinen Namen fürchten, und weil Prinz Marduk sein Wort gebrochen hat und tut, was er möchte, werde ich Prinz Marduk erzürnen, ich werde ihn aus seinem Wohnort entfernen, und ich werde seine Menschen besiegen!« (Übersetzt nach Dalley [20002] S. 290)

Erra führt seinen Plan aus. Er geht nach Babylon, betritt den Tempel Marduks und beleidigt ihn, indem er dessen Herrschaftsinsignien als verschmutzt schmäht. Nach längeren Erklärungen des Gottes Marduk, der behauptet, seinen Thron nicht verlassen zu können, um seine Insignien zu reini­ gen, weil sonst eine Flut und Vernichtung über das Land herein­ brechen würde - er habe diese Erfahrung schon einmal gemacht -, bekommt Erra aber doch seinen Willen.

T65 Marduk sagt: »Ich werde mich erheben und die Kontrolle von Himmel und Erde wird sich auflösen. Die Wasser werden steigen und über das Land gehen. Der helle Tag wird Nacht werden. 203

Ein Sturm wird sich erheben und die Himmelssterne ver­ decken ... Die Unterweltsgötter werden emporsteigen und die Lebenden niedertrampeln, bis ich mich wieder mit meinen Waffen bekleide, wer kann sie (solange) zurückhalten?« (Übersetzt in Anlehnung an Dalley [20002] S. 292)

Erra verspricht, dass er während Marduks Verschwinden die Kon­ trolle über die Götter des Himmels ausüben und auch die Unter­ weltsmächte in Schach halten werde. Daraufhin verlässt Marduk Land und Thron und geht in die Un­ terwelt, denn er hat dort den Handwerkern, die seine Insignien repa­ rieren sollen, ihren Platz angewiesen. Nach einigen zerstörten Abschnitten, die schlechte Prophezeiungen für Land und Leute ent­ halten und in denen auch andere Götter wie Ischtar und Enki Ein­ fluss auf das Geschehen nehmen, beginnt Erra seinen Kampf. Als ob Marduk selbst ihm den Auftrag gegeben habe, zieht er eine Spur der Verwüstung über Babylon und die Städte des Landes, bis sich ihm alle Götter beugen. Schließlich kann ihn der Gott Ischum mit den Worten beruhigen: T66 »Was wäre, wenn du dich ausruhen würdest und wir dich bedie­ nen würden?« Wir alle wissen, dass niemand dir gleichkommt an einem Tag deines Zorns!«

(Übersetzt in Anlehnung an Dalley, [20002] S. 310) Der Gott Erra bezieht nach dieser Anrede wieder seinen eigenen Tempel, legt sich in seiner Kammer schlafen, und sorgt dafür, dass die Stadt Babylon von neuem in altem Glanz erstehen konnte. In diesem Mythos vereinigt der Gott Erra die Machtfülle Marduks auf sich. In langen Monologen preist er sich selbst. Er wird zu Mar­ duk, der sich als Verursacher einer vernichtenden Flut darstellt. Ihm beigegeben sind die Sebettu-Götter, die ihn als Hilfstruppen beglei­ ten, so wie Marduk im Weltschöpfungsmythos »Enuma elisch« von 204

ganz ähnlichen mythischen Waffen, darunter auch eine Siebenheit, in seinem Kampf gegen Ti’amat unterstützt wurde und vor ihm schon Ningirsu und Ninurta. Erra schlüpft auch in die Rolle des Enki, denn er liegt wie dieser in seiner Kammer und ruht, bevor er sich erhebt und nach Krieg und Vernichtung den Akkadern ein neues Schicksal bestimmt. Der Erra-Mythos erzählt die Vernichtung Babylons, wie sie durch Sanherib (von 704 bis 681) tatsächlich geschah. Bei allem Respekt, der dem Gott Marduk auch in diesem Mythos gezollt wird, so verliert er doch an Größe gegenüber Erra, der seine Position einnimmt und das Land und Babylon so verwüstet, wie es Sanherib tat. Wie in die­ sem Mythos Marduk freiwillig seinen Thron verlässt, überredet von Erra, der dann ein schreckliches Blutbad anrichtet, so ähnlich ver­ suchte der Nachfolger des Sanherib, Esarhaddon (680-669), die Ver­ wüstung Babylons und des Marduk-Tempels durch den freiwilligen Verzicht Marduks zu begründen. Der Mythos von einem Gott, der das Land verheert, dann aber mit versöhnlichen Worten die Restitution der alten Glorie dieses Landes und seiner Institutionen verheißt, hat sicherlich einen politischen Hintergrund und basiert wohl auf tatsächlichen Begebenheiten. Er sollte - mit gehörigem Abstand - das schreckliche Geschehen als göttliche Willkür erläutern, als ein launiges Spiel der Götter, das aber insofern hinzunehmen sei, weil es den göttlichen Charakteren ent­ spräche. Diese kunstvolle Dichtung enthält einige Zitate, die in Inschriften des Assyrers Sargon II. (von 721 bis 705) und seines baby­ lonischen Widersachers Merodach-Baladan II. (von 721 bis 710), den Sargon besiegte, ebenfalls vorkommen. Die Hervorhebung des Gottes Erra als oberster Gott ist so ungewöhnlich, dass schon diese Tatsache an sich ein religionspolitisches Eingreifen vermuten lässt. Die Inan­ spruchnahme des Kriegsgottes dürfte ein geschickter Schachzug der Könige gewesen sein. Diese Argumentation dient faktisch als apotropäische Maßnahme, damit sich der Terror auf den Gott konzentriert und nicht auf sie zurückfällt. Betont wird dieses Anliegen noch durch Sanheribs Unterstützung des Kultes der Unterweltsgötter durch den Bau eines Heiligtums für Nergal in der assyrischen Stadt Tarbißu. Nergal/Erra wird in dieser Zeit schon als eine Göttereinheit angese­ hen, die verschiedenen strafenden Effekte lassen sich kaum eindeutig Nergal oder Erra zuordnen.

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T 67 In der Schreiberunterschrift (dem Kolophon) auf der fünften und letzten Tafel des Erra-Mythos offenbart sich König Assurbanipal als Gelehrter: »Ich, Assurbanipal, der große und mächtige König, der König der Gesamtheit und des Landes Assur, Sohn des Asarhaddon, König von Assyrien, und Sohn des Sanherib, König von Assyrien, habe diese Tafeln geschrieben, gelesen und überprüft in der Mitte von Gelehrten und in Übereinstimmung mit (dem Wortlaut der Tex­ te auf) Ton- und hölzernen Schreibtafeln aus Assyrien, Sumer und Akkad und in meinem Palast für die königliche Lektüre installiert. Wer meinen geschriebenen Namen auslöscht und seinen eige­ nen Namen schreibt, dessen Name soll (der Gott) Nabu, der Schreiber par excellence, auslöschen!«

Übersetzt in Anlehnung an Dalley [2OOO2] S. 312. Erra und Nergal

Erst im 1. Jahrtausend wird Erra als der Gott der Pest und Seuchen infolge von Krieg und Vernichtung ausführlicher beschrieben. Ursprünglich galt er eher als Kriegs- und Feuergott, der wie Nergal an erster Stelle ein Gott der Unterwelt war. Auch für Nergal werden nun Beinamen geläufig, die ihn als Kriegsgott mit allen seinen Tod brin­ genden Auswirkungen beschreiben. Jetzt steht er auch in enger Ver­ bindung zu den Landesgöttern, in deren Reihe er den König im Krieg begleitet. Mit verschiedenen Ehrentiteln wird Erra - genau wie andere Göt­ ter - als Held, Aufseher, Herr allen Lebens, der Vegetation und der Tiere bezeichnet. Man richtete sich in den Gebetsbeschwörungen des 1. Jahrtausends, die alle Bestandteil von Beschwörungszeremonien waren, auch an den Unterweltsgott. Ein Hymnus auf Nergal oder ein Gebet, das nicht in Rituale eingebettet war, ist bisher weder für ihn noch für Erra oder eine der Unterweltsgöttinnen bezeugt. Das kann zufällig sein, oder aber der Horror, der mit diesen Göttern verbunden ist, lässt die Menschen davor zurückschrecken, ihn unzweckmäßig zu evozieren. Gegen diese letzte Vermutung spricht allerdings, dass sich 206

der Gott in der Namengebung seit der Mitte des 2. Jahrtausends über Jahrhunderte hinweg einer großen Beliebtheit erfreute und Namen, die mit Nergal gebildet wurden, nicht einmal besonders negativ sind.

T68 Aus einer Gebetsbeschwörung an Nergal: «Beschwörung: Mächtiger erhabener Herr, Erstgeborener des Nunammir Erster der Anunnaku, Herr des Kampfes ... dUgur (Nergal), Allgewaltiger der Götter, Geliebter der Ninmena (eine Ischtar). Du bist erhaben in den reinen Himmeln, hoch ist deine Posi­ tion. Du bist groß in der Unterwelt, hast keinen Gegner. Neben Enki ist in der Versammlung der Götter dein Ratschlag der am meisten geschätzte ... Es übergab dir dein Vater Enlil die >Schwarzköpfigen< (Men­ schen) (und) alles Leben. Das Getier der Weiden vertraute er deiner Hand an. Ich bin Soundso und Soundso, dein Diener. Die zornige Verfremdung des Gottes und der Göttin wurde mir zuteil! Verlust und Zerstörung ist [dadurch] in meinem Haus entstan­ den, Reden und Nicht-Erhören [mit den Göttern] machte mich ver­ stört.

Damit du (mir) vergebend bist, mein Herr, Nergal, umschlinge ich deine Gottheit. Damit du (mir) erbarmend bist, suche ich dich inständig auf! Damit du (mich) anblickend bist, prüfe ich dein Antlitz. Damit du (mich) begnadend bist, habe ich mich vor dir hinge­ stellt. Blicke mich ständig an, höre mein Gebet! Dein erzürntes Herz soll sich mir gegenüber beruhigen! Löse mein Vergehen, meine Schuld und Verfehlung! Die Verhärtung im Herzen deiner großen Gottheit soll mir gelöst werden, 207

Die Zornigen, Verfremdeten und Grollenden, Gott und Göttin, sie sollen mit mir wieder freundlich sein! Dann will ich deine großen Taten verherrlichen und deinen Lob­ preis singen.«

(In Anlehnung an Mayer [1976] S. 478 ff. und Von Soden [1953] S. 313 f.)

Soweit man aus der Literatur Schlüsse ziehen kann, wurden Erra und Nergal sehr eng miteinander verbunden und wohl (fast) als identisch angesehen. Mit dem Namen Nergal wurde vielleicht mehr der Aspekt des Herrschers der Unterwelt verbunden, während Erra mehr als die Personifizierung des Krieges mit all seinen Schrecken wahrgenom­ men wurde. Eine der Folgen waren Seuchen und Hungersnöte, die diese Götter einerseits verursachen, andererseits auch wieder an sich binden konnten. Als negative Kräfte des mesopotamischen Univer­ sums gehören sie in die Sphäre der Unterwelt, wo sie aber keineswegs ihren sozialen Status als Herrscher verlieren, sondern wie Könige, je­ doch gemindert an Lebensqualität, die Ordnung aufrecht erhalten. Beide - der sumerische Nergal und der semitische Erra - waren wohl schon zur sargonischen Zeit zusammengewachsen, da sie dem glei­ chen semantischen Göttertyp angehörten.

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Die astralen Gottheiten Sonne und Mond

Die Erfahrung der astralen Mächte Sonne und Mond

Mond und Sonne, mit denen die natürlichen biologischen Lebens­ perioden, das Tagewerk (im Hellen) und die Nachtruhe (in der Dun­ kelheit), verknüpft sind, sind die Ursachen dafür, dass über Zeit und Zeitabschnitte reflektiert wird. Die Sonne bestimmt den regelmäßi­ gen Übergang vom Tag zur Nacht, während der Mond über die Peri­ ode der nächtlichen Dunkelheit und über längere Zeitabstände, einen Zyklus von etwas mehr als 28 Tagen, herrscht. Tag und Nacht wurden ihrerseits von den Mesopotamiern in mehrere kleinere »Doppelstun­ den« unterteilt, mit denen auch Entfernungen gemessen wurden. T69 Die Zeitrechnung:

Das Sonnenjahr bestand aus 365 Tagen und 12 Monaten, jeder davon aus 29 oder 30 Tagen. Ein Monat begann bei Neumond. Da ein Mondjahr nur 354 Tage hat und Sonnen- und Mondjahr nicht übereinstimmen, führte man Schaltmonate ein. Damit wanderten in Mesopotamien die Monatsnamen nicht mehr durch die verschie­ denen Jahreszeiten, wie es heute im Vorderen Orient durchaus noch üblich ist.

(Hunger 1976-1980) Diese beiden großen astralen Götter, die als Himmelsleuchten in den ihnen zuordnenden Tagesabschnitten ständig präsent waren, die alles und jeden sahen und das alltägliche Leben miterlebten, griffen tief in das Schicksalsempfinden der Mesopotamier ein. Der Sonnengott Schamasch (die Sonne) bewirkte bei seinem morgendlichen Aufge­ hen, dass alles Sein wiederbelebt wurde. Wenn er im Westen abends unterging, durchquerte er auf seiner nächtlichen Reise die Unterwelt und spendete den Toten Licht und Rechtssicherheit. Wie auch in anderen Gebieten des Vorderen Orients ist das Mondlicht zeitweise

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ungeheuer hell; die Mondkugel kommt den Menschen beeindru­ ckend nahe vor. Als lebensfördernde Nachthelligkeit und als Schutz vor den Gefahren der undurchdringlichen Dunkelheit war die leuch­ tende Helligkeit des Mondes unabkömmlich und umso gesuchter, je länger der Mond verschwand. Die Sonne wurde trotz ihrer sengenden Kraft wegen ihres sichtba­ ren Einflusses auf die Flora in Mesopotamien als etwas Positives und Fruchtbarkeit schenkendes gesehen. Die Hitze des Sommers und die Dürre verband man nicht mit dem Sonnengott, sondern mit Unheils­ oder Unterweltsgöttern wie Erra, Nergal oder auch dem unglückli­ chen Dumuzi, dem Gemahl der Inanna. Die Sonnenstrahlen symbo­ lisierten etwas Heiteres, Heilendes und Gutes. Da sie in jeden Winkel dringen, sieht die Sonne alles, erkennt alles und bewacht alles. Sie überprüft die Richtigkeit der Dinge und den regelgetreuen Ablauf des Tages. Deshalb ist der Sonnengott nicht nur derjenige, der durch seine Strahlen belebt und wärmt, sondern er ist auch der Gott, der überwa­ chend ordnet und richtet. Einer seiner Titel ist dajjanu »Richter«. Er ist der Garant für Gerechtigkeit und wacht darüber, dass die soziale Verantwortung für die Armen, Kranken und Schwachen in der menschlichen Gesellschaft wahrgenommen wird, eine Aufgabe, die er den Königen übertrug und die auch König Hammurabi von Babylon ausdrücklich in sein Herrschaftsprogramm aufgenommen hat. Auf seiner Gesetzesstele rühmt er sich dieser ehrenvollen Aufgaben, die ihm vom Sonnengott mit den Herrschaftsinsignien übertragen wurden. Der Sonnengott wurde zu Beginn des 2. Jahrtausends besonders in den Städten Larsa und Sippar zusammen mit seiner Gemahlin Aja verehrt. Im Tempel von Sippar wurde in dieser Zeit eine offizielle Maßeinheit festgesetzt, mit der der aktuelle Wert des Silbers be­ stimmt wurde. Silber in seinen verschiedenen Formen galt damals als Zahlmittel, das gegen andere Güter (Gerste, Zwiebeln, Tiere) ver­ rechnet werden konnte. Diese Maßeinheit hieß »das Maß des Schamasch«. Der Sonnengott garantierte durch die ideelle Berech­ nungsnorm in seinem Namen den gerechten Verlauf des wirtschaftli­ che Lebens in Babylonien, eine Funktion, die auch noch in Gebeten des 1. Jahrtausends lobend erwähnt wird. Anders als die Sonne, die sehr beständig ist und sich in ihrer Gestalt nicht verändert, zeigt sich der Mond in ganz verschiedenen Formen. Man sah wohl in dem regelmäßigen und dadurch leicht 210

berechenbaren Wechsel seiner Erscheinungsformen etwas mystisch Geheimnisvolles. Seine dunklen Phasen, sein Verschwinden, das als Abwesenheit des Gottes interpretiert wurde, beobachteten die Gelehrten sehr genau und sie verkündeten sein Wiedererscheinen, das Anbrechen eines neuen Monats, mit Feierlichkeiten. Den Wechsel seiner Gestalt, mal als Mondsichel und mal als runde Kugel (inbu »Frucht«) und wieder als umgekehrte Sichel, begleiteten verschiedene Rituale. Dafür vorgesehen waren in der Regel der 1., 7. und 15. Tag des Monats, oft auch noch der 21. Tag. Die ungewöhnliche Verdunkelung des Mondes bei Mondfinster­ nissen beobachtete man intensiv in ihrem Entstehen und Abklingen, besonders alle auftretenden Begleitumstände. Durch diese Erfahrung war es schon früh möglich, eine Finsternis im Voraus zu berechnen. Wenn eine Mondfinsternis zu erwarten war, so galt sie meistens als Bedrohung, deren Ausmaß durch die Konstellationen mit anderen Gestirnen beeinflusst wurde. Wenn eine sehr bedrohliche Finsternis vorhergesagt wurde, so hielt man sie für das Zeichen einer ernsten Warnung an die Bevölkerung und das Land. Ihr begegnete man auf höchster königlicher Ebene durch ein abwehrendes Ritual. Die Beobachtungen der astralen Konstellationen mit Wolkenfor­ mationen und anderen Himmelserscheinungen wurden schon ab dem 2. Jahrtausend von den Gelehrten schriftlich festgehalten und in den folgenden Jahrtausenden als Sammlungen wichtiger Regulative des Lebens an die Nachfahren weitergegeben und studiert. Aja, die Morgenröte

Akkadisch wie sumerisch trägt der Sonnengott den gleichen Namen wie das Gestirn, sumerisch Utu, akkadisch Schamasch. Das Zeichen des Sonnengottes ud bedeutet - ohne das Schriftzeichen, das den Götternamen kennzeichnet - »hell, glänzend, rein, Tag«, alles Aus­ drücke, die Licht, helles Material und das Leuchten beinhalten. Der Sonnengott wird in enger genetischer Verbindung zu den Gestirnen Mond und Venus gesehen: Er ist der »Bruder« der Venus­ göttin Ischtar und ebenso wie Ischtar das »Kind« des Mondgottes. Als Gattin des Sonnengottes galt die Göttin Scherda, mit anderem Namen Aja. Der Name Scherda ist schon in den ältesten Götterlisten aus Fara (um 2600) bezeugt, während der Name Aja erst gegen Ende des 3. Jahrtausends üblich wird, sich dann aber einer großen Beliebt­ 211

heit erfreut. Wie Schamasch personifiziert auch diese Göttin ein Him­ melsphänomen, sie ist nämlich die Göttin der Morgenröte. Es sind auffallend viele Personennamen mit dem Element Aja aus der Kult­ stadt des Schamasch, Sippar, bezeugt, die im Norden Babyloniens lag. Am Ende der altbabylonischen Zeit, als die südlichen Städte schon verlassen waren und alle Quellen aus diesen Gebieten versagen, war Sippar Kern des babylonischen Restreiches. In dieser Stadt trugen vie­ le Offizielle Namen mit Aja, unter ihnen auch Priesterinnen des Scha­ masch. Diese Priesterinnen, die nur aus der altbabylonischen Zeit be­ kannt sind, taten ihren Dienst im Tempel, ohne dass man über ihre genauen kultischen Aufgaben informiert wäre. Sie konnten verheira­ tet sein, mussten aber wohl auf leibliche Kinder verzichten. Ihre Berufsbezeichnung naditu »die Brachliegende« könnte darauf hin­ deuten, dass sie auf sexuellen Kontakt mit ihrem Mann ganz zu ver­ zichten hatten oder zumindest auf eine Form des Beischlafs, durch die sie geschwängert werden konnten. Eine legale zweite Frau ihres Man­ nes wurde ihnen wie ein zweites Ich völlig unterstellt; sie hatte ihre Herrin zu bedienen und »trug ihren Sessel in den Tempel des Gottes«. Aja erhält als Gattin des Schamasch den Standestitel kallatu »junge Braut« und nicht aschschatu »Ehefrau«. Beide Titel sind auch im nor­ malen Menschenmilieu üblich und bezeichnen einmal die Herrin des Hauses (aschschatu) und die Braut und jüngere Ehefrau (kallatu). Aufgabe der als junge Frau gesehenen kallatu Aja war die Fürsprache bei ihrem Gatten, dem Sonnengott, denn in dieser Rolle wird sie in den wenigen mythologischen Quellen, die sie neben Schamasch erwähnen, beschrieben. Sie gehört zu dem Typ Göttin, deren Haupt­ rolle es ist, die »Gattin« eines bedeutenden Gottes zu sein. In Zeiten der Not erleichterte sie dem betroffenen Menschen den Zugang zum unerreichbaren, fernen und großen Göttergemahl. Wie wichtig im Kult des Schamasch seine Gemahlin Aja ist, zeigt sich in den Widmun­ gen der Siegelinschriften, die sehr häufig beide zusammen, Schamasch und Aja nennen. Das trifft auch auf viele andere Götterpaare zu. Der Sonnengott läutert In Reinigungsritualen

Nach dem Ausklang der sumerischen und altbabylonischen Epochen gegen Mitte des 2. Jahrtausends nimmt der Sonnengott in Ritualen und rituellen Gebeten eine zentrale Rolle ein. Von den bisher bekann­ ten Gebetsbeschwörungen richten sich über 100 verschiedene Gebete

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alleine an ihn. Alle diese Gebete sind Teil von Reinigungs- oder Übel abwehrenden Ritualen, die sich gegen die unterschiedlichsten, das Böse oder Unheil auslösende Dinge oder Personen richten. Oft geht das Ritual gegen gefährliche bekannte und anonyme Zauberinnen und Zauberer vor. Dem Sonnengott hilft als sein Handlanger der Gott der Flamme und des Feuers. Der Anlass für diese Vergesellschaf­ tung bestand wohl in der Vorstellung von den sengenden Strahlen der (strafenden) Sonne, der Hitze mit den Flammen eines Feuers. Diese Lösungsrituale, bei denen das Böse vernichtet wurde, führte man ent­ weder am frühen Morgen vor Sonnenaufgang aus, oder sie fanden nachts statt. Zu diesem nächtlichen Zeitpunkt wird dann Schamasch, der dann ja nicht präsent sein kann, da er in der Unterwelt weilt, durch seinen Handlanger Nuska oder einen anderen Flammen- oder Feuergott vertreten. Die Beschwörungsgebete haben zwar ganz unterschiedlichen Wortlaut, sie wurden aber als verbaler Bestandteil von Riten von ei­ nem Ritualexperten wortgetreu rezitiert. Der Name des Ritualherrn, des betroffenen Menschen, der dieses Ritual anregte, musste von dem Ritualexperten an einer vorher gekennzeichneten Stelle des Textes eingefügt werden. Die Gebetsbeschwörung stand also jedem Betroffe­ nen zu Verfügung, sofern er, wie anzunehmen ist, die Ausführung des Rituals bezahlen konnte.

T 70 Ein Beschwörungsgebet an den Sonnengott: »Schamasch, König von Himmel und Erde bist du! Der alle Menschen in Ordnung hält, der das Leben bewahrt, bist du. Den Todkranken, dem Gesunden Leben zu erhalten, den Gebun­ denen zu lösen ist mit dir! Den, welchen Behexung (...) gelähmt hält und den Zauber gebunden hat, zu heilen, ist mit dir! (...) 0 Schamasch! Der Soundso, Sohn des Soundso, dem man Zau­ ber und Zauberei antat, damit sein Leben erhalten, seine Verhexung gelöst werde, sein Rechtsspruch gefällt werde, Entscheidungen über ihn ge­ troffen werden, steht er nun flehend vor dir im Gebet.

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Schamasch! Auf deinen Befehl soll sein [persönlicher] Gott* be­ reit stehen, er soll zu dir sein Gebet sprechen, seine [persönliche] Göttin* soll bereit stehen und für ihn zur dir ■Erbarmen«! sagen. Schamasch! Zauber und Behexung zu lösen gehört zu dir! Schamasch! Mein Herr! Großer Herr, der die Rechtsprozesse von Gott und Mensch entscheidet bist du!« [*/n diesem Gebet stellt man sich, wie oft im 1. Jahrtausend, die persönlichen Götter des Menschen als ein Paar vor.] (Nach Mayer [1976] Nr. 76, Z. 14 ff., 26 ff.)

Man bevorzugte den Sonnengott in diesen Gebeten, weil es seit alters her zu seiner Funktion als gerechter Richter passte. Er durchschaute alles und konnte die (eigentliche) Unschuld seines Klienten erken­ nen. Darüber hinaus konnte er die erzürnten Götter, die aktiv oder passiv am unglücklichen Leben des Ritualherrn beteiligt waren, von der Unschuld des Klienten überzeugen. Mit genau vorher bestimm­ ten Reinigungsverfahren, die der Büßende vor dem Richtergott ver­ richtete, hoffte er, sich aus seiner Notlage befreien zu können. Die begleitenden Rituale sind oft sehr lang und komplex und kulminie­ ren in dem wesentlichen Moment des Verbrennens einer Ersatzfigu­ rine. Sie galt als Substitut, als Repräsentant dessen, der das Übel ver­ ursacht hatte. Man leitete durch magische Kraft das Übel um, so dass es von dem Büßenden entfernt war und nun zerstört werden konnte. T 71 Die Verrichtungen im Ritual Maqlu »Verbrennung«, das ursprüng­ lich bei Sonnenaufgang ausgeführt wurde:

Die Figurine der Zauberinnen werden vor Schamasch hochgeho­ ben und dann in einen (offenen) Ofen gesetzt. Nuska (der Wesir des Sonnengottes) wird angeredet, ein Feueranzünder wird ent­ facht. Das Holz im Ofen wird durch den Feueranzünder in Flammen gesetzt und die Statuen werden angezündet. Wolle wird verknotet und entknotet und dann in ein besonderes Feuer geworfen. Mehl und andere (Opfer-)Materialien werden verbrannt und dann in ein besonderes Feuer geworfen. In dem Ofen rührte man mit einem 214

Holz, dem magische Reinigungskraft zugesprochen wurde, die Asche. Mit Wasser wird die glühende Asche gelöscht und mit ei­ nem Stein »des Berges« verschließt man die Öffnung des Feuer­ ofens. Man zieht einen magischen Zirkel aus Mehl und anschlie­ ßend wird die Asche - aus der Umgebung der Ritualteilnehmer weggeschafft, meist in alle Winde zerstreut. (Nach Abusch [1990] S. 14 f.) Orakelanfragen an den Sonnengott

Aus der Zeit der neuassyrischen Könige Esarhaddon und Assurbanipal im 7. Jahrhundert sind Orakelanfragen an Schamasch geradezu Bestandteil assyrischer Politik. Eine umfangreiche Sammlung von Anfragen wurde in einem neuassyrischen Königsarchiv in Niniveh gefunden. Man formulierte die Fragen in sehr formelhaften Wendun­ gen, sicherlich, um die Wirksamkeit zu erhöhen und keine Missver­ ständnisse hervorzurufen. Antworten erhoffte man sich durch die Interpretation von Tiereingeweiden, deren Gestalt den Willen des Gottes offenbarte. Die Antworten ließen sich aufgrund der Farben und Formen an genau festgelegten Stellen herauslesen. Beschrieben und gedeutet wurden sie durch einen Kodex, der früh schon in festge­ legten Interpretationsmustern zwischen dem Gott und den Men­ schen vereinbart worden war, schriftlich festgehalten und der Nach­ welt immer wieder überliefert wurde. Die schriftlich formulierten Anfragen mit eindeutigen, klaren Fragen wurden nach einem festge­ legten Formular beantwortet. Die Themen, die man erläutert haben wollte, waren erstaunlich vielfältig. Krankheitsverläufe von Mitgliedern der königlichen Fami­ lie wollten ebenso gedeutet werden wie das Verhalten von feindlichen Völkern. Auch die Gesten und Bemerkungen von benachbarten Königen wurden in Frage gestellt, da man eine ihnen zugrunde liegende, wahre Bedeutung vermutete und sie mithilfe des Gottes zu erfahren hoffte.

T 72 Eine Anfrage an den Sonnengott Schamasch: »Schamasch, großer Herr, gib mir eine sichere, definitive Ant­ wort für das, was ich dich frage: Als Urtaku, der König von Elam,

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dieses Angebot für einen Frieden an Esarhaddon, den König von Assyrien gesandt hat: Hat er da ehrliche, vertrauenswürdige Worte der Versöhnung an Esarhaddon, den König von Assyrien, ge­ schickt? Sei in diesem Schafsbock anwesend, lege eine sichere, defini­ tive Antwort in ihn, positive Vorhersagen, positive Vorzeichen und Omen durch den Befehl deiner großen Göttlichkeit - und möge ich sie auch erkennen! (...) Die Beamten Schuma (und) Nabu-uschallim (...) 2. Monat, 6. Tag« (Starr [1990] Nr. 74) Die Eingeweideschau gehörte bereits im 2. Jahrtausend zu den gängi­ gen Vorhersagepraktiken und war neben der Beobachtung und Deu­ tung des Verlaufs der Himmelskörper das häufigste Verfahren, das individuelle Schicksal oder das des Landes zu erkunden. Der Ort des Sonnengottes

Eine Passage in der 9. Tafel des »Gilgamesch-Epos« gewährt Einblick in die mythologischen Vorstellungen vom Durchgangsort des Scha­ masch im Gebirge. Der König von Uruk, Gilgamesch, ist an diesem Punkt seiner Suche nach dem ewigen Leben auf dem Weg zu dem weisen Utnapischtim. Er kommt an einen Berg, der das maschu »Zwillings-Gebirge« genannt wird. Dort finden der Auszug und Ein­ zug des Sonnengottes statt. Als Wächter dieses Tores dienen zwei Skorpionmenschen. Gilgamesch muss nun diesen Bergzug durchque­ ren. Er hat viele Meilen in absoluter Einsterheit zurückzulegen, bis er durch einen »Juwelengarten« am »Meer des Todes« ankommt. Dieser »Berg des Sonnenaufgangs und Sonnenuntergangs« wird als eine gigantische zentrale axis mundi gesehen. In der Gebetslitera­ tur bekommt der Ort eine prominente Rolle als Mythologem. Mit solchen prägnanten Ausdrücken, voll von Assoziationen an Glau­ bensvorstellungen, Märchen und Erzählungen, die viele kannten, wurden komplexe ideologische Konzepte in stark verkürzter Form unter das Volk gebracht und dann sicherlich noch weiter ausge­ schmückt. Das Gebirge des Schamasch trägt Apfelbäume und ihm entsprin­ gen Quellen und Flüsse. Gelegentlich wurde es auch der »Zedern216

berg« genannt. Dieser mythische Ort barg Keime der Fruchtbarkeit, »seine Brust« reichte bis in die Unterwelt (Arallu) und seine Zinnen berührten die Gipfel des Himmels: Er ist umfassend allgegenwärtig, mit dem Oben und dem Unten verbunden. Schamasch geht darin unter und steigt daraus empor, wenn er des Morgens erstrahlt. Der morgendliche Aufstieg des Schamasch ist ein oft gewähltes Thema auf Siegelbildern: Der Gott setzt den Fuß auf einen Berg, vor ihm öffnen zwei Götter (vielleicht symbolisch das maschu »Zwillings­ gebirge«) die Tür. Oft trägt Schamasch eine Säge in der Hand, mit der er das Gebirge durchteilen soll. Die Säge ist das Symbol des Schamasch und kann in den Bildern der Rollsiegel auch für ihn alleine stehen. Da Aufgang und Unter­ gang der Sonne große reli­ giöse Bedeutung hatten, komponierte man für diese Zeitpunkte besondere Gebe­ te an den Sonnengott, die ki-^Utu-kam. Für den König werden gleich mehrere die­ ser offiziellen Gebete zitiert, wenn er sich für einige Tage einem aufwändigen Reini­ gungsritus zu unterziehen hat, dem bit rimki »Waschhaus«-Reinigungsritus. Mehr noch als der Son­ nenuntergang war es an je­ dem Tag ein besonderer Augenblick, wenn die Sonne den Horizont durchbrach. Dieser Moment, das ki-^utu-e-kam »Ort des Sonnenaufgangs«, war ein Schnittpunkt von Ort und Zeit. Er ver­ band den Ort am östlichen Horizont, an dem die Sonne aufging, mit einem ganz konkreten Zeitpunkt. Dieser Moment wurde als wir­ kungsmächtig empfunden, denn dann schien ein besonderer Kontakt mit dem Göttlichen möglich. So dachte man vermutlich, dass sich an diesem Moment das Schicksal der Götter und der Menschen jeweils neu entscheiden würde. Daher war jetzt der Augenblick gekommen, sich zu reinigen und Schuld zu lösen; nun wurden bevorzugt Reini­

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gungsrituale oder auch Anfragen in Form von Flussordalen (s. S. 106-108) ausgeführt. Reinigung und Läuterung wurden wie das Ge­ schenk eines neuen Lebens aufgefasst. Bei Ritualen, die die neu angefertigten Götterstatuen oder Kultob­ jekte beleben sollten, erweckte der aufsteigende Sonnengott diese Exponate zu göttlichem Leben. Der Blick des Sonnengottes und seine Überprüfung - gemeint ist wohl die Berührung mit seinen Sonnen­ strahlen - war ein ganz wesentlicher Bestandteil von komplexen magischen Verrichtungen, mit denen Dinge kultisch wirksam werden konnten. Ausdrücklich bezeugt ist das zum Beispiel in einem Ritual, das das Anfertigen einer neuen Kesselpauke für den Götterkult be­ schreibt. Hierfür findet das Schlachtopfer eines Rindes statt, mit des­ sen Haut die Pauke überzogen wird. Der Moment, in dem das Objekt den ersten Sonnenstrahlen ausgesetzt wird, schließt die Herstellung des vergöttlichten Dinges ab und stellt sicher, dass die Pauke als heili­ ges Wesen zu betrachten ist, das magische Kräfte enthält. »Ort des Sonnenaufgangs« konnte ein fester Bezirk im Tempel ge­ nannt werden, an dem das magische Geschehen des Eintritts der Son­ ne in den Tag und auf die Lebensebene der Menschen mit Kulthand­ lungen begleitet wurde. An diesem Ort fanden mit Kulthandlungen verbunden die sakralen Belebungsriten statt - der Sonnenaufgang war hier wohl auch optisch besonders eindrucksvoll erfahrbar. Das Licht der Toten

Das Düstere des Gebirges und das Verschwinden des Sonnengottes hinter dem Horizont wurde in eine enge Beziehung zu der Verbor­ genheit und Düsterkeit der Unterwelt gesetzt. Oft wird gesagt, dass der Sonnengott bei seiner nächtlichen Fahrt durch die Unterwelt den Toten Licht spendet und für sie dort unten, in der erßetu schaplitu »der Unterwelt«, die Ordnung aufrecht erhält.

T 73 Das Sonnenlicht als Trost der Toten in Elegien:

»Utu, ... wird im Arallu (der Unterwelt), nachdem er den dunklen Platz in hellen Tag verwandelt hat, dein Recht sprechen.« (Nach Heimpel [1986] S. 146) 218

In den Gebetsbeschwörungen an ihn heißt es:

»Du öffnest das Tor der »weiten Erde« (Unterwelt), du bringst den Anunnaku (Unterweltsgöttern) das Licht. Du vollendest den Richtspruch [für die Toten]*. (Ebeling [1915-19] 32, 30 f., nach Heimpel, ibid. ) Ohne dass dieser Gedanke explizit ausformuliert würde, bestand wohl die Vorstellung, dass der Sonnengott nachts, wenn er für die Menschen unsichtbar war, in der Welt der Dunkelheit regierte und dort - spiegelbildlich - mehrere seiner Funktionen ausübte, die er auch in der Welt der Lebenden innehatte. Er bewachte den geregelten Ablauf des täglichen Lebens in der Unterwelt und half den Unter­ weltsgöttern bei der Aufrechterhaltung der Ordnung. Der Tote wird, bevor er ins Grab geschlossen wird, einem taklimtu-Ritus ausgesetzt, einer »Sonnenschau« oder Exponierung vor der Sonne, die auch für die Substitute in apotropäischen Ritualen üblich ist. Dieser Ritus erwirkt eine Begutachtung oder Reinigung durch den Sonnengott. Vielleicht nahm man auch an, der Tote dürfe ihn bei seiner Reise in die Unterwelt begleiten. Die Sonne begleitet Jeden auf seinem Pfad ...

Schon in den älteren Königslegenden des 2. Jahrtausends erhielt der Sonnengott eine enge Beziehung zu den Königen als ihr Begleiter, Ratgeber oder als ihr Retter aus unangenehmen Situationen. Über Lugalbanda, den legendären Vater des Gilgamesch von Uruk, waren mehrere sumerische Dichtungen in Umlauf. In einer dieser Legenden ist Lugalbanda inmitten unwirtlicher Gebirge in einer Höhle gefan­ gen. Er wendet sich hilfeflehend an den Sonnengott als den Gefährten aller Wanderer bei ihren gefährlichen Expeditionen.

T 74 Aus dem »Lugalbanda-Zyklus«: In seinem Gefängnis betete der König inständig zum Sonnengott Utu (Schamasch): »Held Utu! Wenn du aufgehst, stehen auch die Menschen auf. Utu, ohne dich wird kein Vogel in der Falle gefangen und kein Sklave gefangen. 219

Für den einsamen Reisenden bist du der Begleiter! Oh Utu! Wo immer zwei wandern, bist du der dritte! Für den, der die Zügel hält bist du das Zaumzeug(?). Den Armen, den Verzweifelten, den Nackten: Deine warmen Strahlen kleiden ihn mit einem wollenen Mantel. Den Leib auch der einfachsten Dienerin bedecken sie wie ein schimmerndes Kleid! Die Ältesten, die Noblen und mit ihnen selbst die alten Frauen preisen deine Sonnenstrahlen - für alle Ewigkeit.«

(Nach Vanstiphout [2002] S. 277)

Die Rolle des Sonnengottes ist in einer Fabel, die vom Zwist zwischen einem Adler und einer Schlange berichtet, ganz ähnlich. Als Strafe für ein Vergehen sitzt auch der Adler in einer Grube fest und bittet den Sonnengott inständig um Erbarmen. Die Fabel gehört zum Mythos um einen anderen sagenhaften König, Etana, der später auf den Flügeln des Adlers zum Himmel hinauffliegt, um dort das Kraut des Lebens zu erbitten. Der Sonnengott ist einer der Befehlsinhaber in dieser Geschichte. Er entscheidet als Richter im Kampf zwischen Adler und Schlange und er ersinnt Hilfe für das Anliegen des Königs. In den verschiedenen Teilen der älte­ ren sumerischen und akkadischen Hel­ denerzählung »Gilgamesch und Huwa­ wa« war der Sonnengott Berater, Schutz­ gott und Freund des Königs in seinem Kampf gegen den sagenumwobenen »Herrn und Hüter des Zedernwaldes«, Huwawa. Auch hier weisen Märchenmo­ tive, wie die herumflitzenden Blitzküken des Huwawa und die Überheblichkeitsat­ titüden der vor Kraft strotzenden Helden Gilgamesch und Enkidu auf die volks­ nahe Unterhaltungsebene. Der dämonen­ hafte Widersacher des Gilgamesch mit Namen Huwawa wurde mehrmals mit fratzenartigen Zügen auf kleinen (preis­ werten) Terrakotten abgebildet und ge­ Abb. 24) »Huwawa« hörte wohl ebenso wie die vielen alten 220

Legenden um die mythischen Könige Lugalbanda, Gilgamesch und Etana zum Motivschatz einer allgemein bekannten Erzählliteratur. Auch im Mythos von »Inannas Unterweltsgang« war es der Son­ nengott, der dem König Dumuzi behilflich war: Er versteckte ihn vor den Dämonen, die ihn in die Unterwelt ziehen wollten, indem er Dumuzi in verschiedene Tiere verwandelte. Alle diese Erzählungen weisen auf einen reichen Fundus an Ge­ schichten über das Wirken dieses allgegenwärtigen Lichtgottes im Leben der Könige und seiner Menschen hin. So ist es neben Enki und Inanna dieser Gott, der als lebensnahe, allzeit präsente Instanz bei der Bewältigung der Probleme nicht nur der Könige, sondern der Alltagsprobleme der Bevölkerung half. Der große Sonnengotthymnus

Alle Eigenschaften, die man dem Sonnengott zuschrieb, besingt ein umfangreicher Hymnus aus dem 1. Jahrtausend, der so populär war, dass er in zahlreichen Abschriften gefunden wurde. Dieses 200 Zeilen umfassende Gedicht beginnt mit dem Lobpreis des strahlenden Him­ melskörpers:

T 75 »0 Sonne, Licht der Gesamtheit aller Himmel, Erleuchter der Finsternis für die Menschen nah und fern (...). Die entferntesten Berge sind mit deinem Glanz überzogen, dein Leuchten erfüllt die Weite der Länder.« (In Anlehnung an Lambert [1960] S. 126 ff., Z. 3 f., Z. 19 f.; Reiner [1985] S. 68-84) Im zweiten und dritten Teil preist der Hymnus den Sonnengott als Begleiter des einsamen Wanderers, Kaufmanns und Seefahrers und als Richtergott, der den Gerechten belohnt und den Betrüger emp­ findlich straft:

T 76 »Solche, die Rituale [abhalten] sind hingeworfen vor dir, vor dir sind niedergeworfen der Schlechte und der Gerechte. Ohne dich schreitet niemand hinab in das Apsu (die Unterwelt), 221

du bist derjenige, der den Prozess des Bösen und des Kriminellen verkündet. (...) Du stehst dem Reisenden bei, dessen Pfad beschwerlich ist, du gibst dem Seefahrer [Hilfe], der die Wogen fürchtet. Du führst immer wieder den Jäger auf einsame Wege (...). Du zeigst dem betrügenden Richter das Gefängnis, der Geschenke annimmt und das Recht verweigert, auf den lässt du Strafe hinabregnen.« Derjenige, der kein Geschenk akzeptiert und dennoch für den Schwachen eintritt: »Er gefällt dem Sonnengott, er wird sein Leben verlängern! (...) Derjenige, der den Messbecher hält und betrügerisch misst, das mittlere Maß angibt, aber das Große einfordert, der wird der Menschen Fluch (den Tod) erfahren, bevor seine Zeit um ist, wird gefordert zu zahlen, bevor es fällig ist und die Last erfahren. Sein Erbe wird seinen Besitz nicht erhalten noch werden seine Brüder in seinen Besitz eintreten!« (In Anlehnung an Lambert [1960] S. 126 ff. Z. 55 ff., 65 ff., 97 ff., 112 ff.; Reiner [1985] S. 68-84) Im letzten Teil wird des Sonnengottes Macht als Herr der Beschwö­ rungskunst besungen und sein Fest am 20. Tag des Monats geschil­ dert:

T 77 »Ihre (der Menschen) Opferschau lässt du gut ausgehen, du bist im Opfer(tier) anwesend. Du enthüllst ihre Zukunft, so weit wie die vier Winde (gehen), du gibst Zugang zu allem Wissen in der bewohnten Welt. (...) Am zwanzigsten Tag jubelst du, freust dich und feierst, du isst, du trinkst ihr reines Getränkeopfer, das Bier, das vom Schankwirt gekauft wurde.« (In Anlehnung an Lambert, [1960] S. 126 ff. Z. 151 ff., 156 ff.; Reiner [1985] S. 68-84)

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Die letzten 15 Zeilen sind zu schlecht erhalten geblieben, um das Ende des Hymnus rekonstruieren zu können.

Der Mondgott

Im Norden Mesopotamiens, in der Stadt Assur, teilte der Sonnengott nach der Mitte des 2. Jahrtausends einen Tempel mit dem Mondgott, später dann auch in Niniveh. Im Süden Mesopotamiens hatte der Mondgott einen viel bedeutenderen und auch älteren Tempelkult in der Stadt Ur, im äußersten Süden Mesopotamiens. Aber auch in anderen Städten wie Nippur und Babylon wurde der MondgottGlaube kultisch unterstützt. Jedoch ist abgesehen von Ur eines seiner bedeutendsten Heiligtümer erst wieder in der nordsyrischen Stadt Harran, etwa 800 Kilometer weiter nördlich. Ur wie Harran werden im Alten Testament als Stationen der Sippe des Abraham erwähnt. Der Mondgott ist ein alter Gott und taucht schon in den Götterlis­ ten aus Fara (ab 2600) mit Namen Su’en (Sin) auf. Nicht in Mesopo­ tamien, aber in den Nachbarkulturen entsprach einer seiner Namen oft den jeweils gültigen Bezeichnungen für den Monat. Im engeren Gebiet des Vorderen Orients konnte der Mondgott im 13. Jahrhun­ dert in Ugarit, einem Stadtstaat der Levante am Mittelmeer, Yarih ge­ nannt werden. Das Wort gehört zur gleichen semitischen Wurzel wie die akkadische Bezeichnung für den Monatsabschnitt: warhum. Obgleich man in Mesopotamien zwischen den Bezeichnungen für den Mond und den Monat unterschied, wird schon früh - spätestens seit der altbabylonischen Zeit etwa ab 2000 - ein Kürzel für die Schreibung des Gottesnamens üblich. Es besteht aus dem Zahlzeichen für 30 (10 + 10 + 10), das wiederum an eine etwas schematische Zäh­ lung der Tage im Monat erinnert. Die Tochter und der Sohn des Mondgottes haben kleinere Zahlsymbole als er: Das Schriftzeichen für Inanna ist das Zahlzeichen 15 und Schamasch wird durch das Zahlzeichen 20 (10 + 10) wiedergegeben. In sumerischen Texten wird der Mondgott »Nanna« genannt. Die beiden Keilschriftzeichen, mit denen dieser Name geschrieben wird, sind die Zeichen schesch + ki [Zeichen], Der älteste Hauptkult des Mondgottes Nanna wurde in der Stadt Ur gepflegt, deren Name mit den drei Keilschriftzeichen: schesch + esch} + ki wiedergegeben wird. So besteht sicherlich eine Verbindung zwischen dem Gott Nanna und

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seinem Wohnsitz, der Stadt Ur. Das dritte Zeichen des Städtenamens esch„ bedeutet,Kultplatz«. Der Stadtname von Ur ist demnach als »Kultplatz des Mondgottes (Nanna)« zu deuten: Dieses Heiligtum stiftete folglich der Stadt die Identität, gab ihr den Namen, und der Gott Nanna ist höchstwahrscheinlich eine örtliche Manifestierung des Mondgottes Sin. Der Mondgott von Ur ge­ noss ein großes, über die Grenzen der Stadt hinausge­ hendes kultisches Ansehen. Ur galt neben Nippur als religiöses Zentrum des UrIII-Reiches. Jedoch begriff schon vor dieser Zeit König Sargon von Akkad (gegen 2300) diesen Kult als Schlüs­ sel zur Kontrolle der sumeri­ schen Gegenmacht: Er setzte in Ur und nicht in seiner Hauptstadt Akkad, seine Tochter Enheduanna als Ho­ he Priesterin des Mond­ Abb. 25) Mondgott gottes ein (s. S. 173-175). Zu Beginn des 2. Jahrtausends fand der Mondgott-Kult in Ur noch großes religiöses Ansehen. Und fast am Ende des neubabylonischen Reiches, unter Nabonid (ab 556), lebte der Kultplatz Ur nochmals auf, als dieser König wiederum seine eigene Tochter als Hohe Prieste­ rin des Mondgottes einsetzte und damit bewusst an seine erfolgrei­ chen Vorgänger anknüpfte. Das südmesopotamische Ur blieb fast durchgehend einer der wichtigsten Kultorte des Mondgottes - neben dem nordsyrischen Harran. Der Tempel in Harran erfreute sich im 2. Jahrtausend bei den Beduinenstämmen großer Beliebtheit. Denn es berichten Briefe aus Mari, dass die Scheichs ihre Bündnisse hier besiegelten und sich bei Schlichtungen um das Mitwirken des Gottes bemühten. Durch al­ le Jahrhunderte, bis weit in die neubabylonische Zeit, hatte der Mondgott in dieser Stadt eine hervorragende politisch-religiöse Bedeutung.

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Hochzeit und Geburt

Bei den frommen Mesopotamiern war der Mondgott Sin einer der am meisten erwähnten Götter in Eigennamen. Auch in einer Reihe von Hymnen und Beschwörungsgebeten wird er angerufen. Obgleich sein Licht in der Nacht nicht so stark strahlte wie das des Schamasch am Tag, wird er als ein heller Gott gesehen. Er ist Schutzgott und Wächter für die Menschen, Gestalter ihres Schicksals wie der Sonnen­ gott. Er gilt als willfährig und barmherzig und wie alle Hauptgötter wird auch er als »Herr des Himmels und der Erde« angerufen, als der »Große, Starke« und »Erhabene«. Weil er ständig seine Gestalt veränderte, von einem schmalen Strich zu einer runden Kugel und wieder zurück, regte seine äußere Form lebhafte Vergleiche an. Einer seiner Rufnamen ist: »Frucht, die aus sich selbst hinaus erschaffen wird«, weil er sich im Zyklus aus sich selbst heraus zu erneuern scheint. Wenn die Mondsichel fast waage­ recht stand, verglich man sie mit einem Boot und der Gott erhielt Beinamen wie »Himmelsschiff«. Vielleicht ist auch der Anblick der hochstehenden Mondsicheln dafür verantwortlich, dass er als »gehörnter Stier« bezeichnet wird, denn dieser Beiname wird sonst nur für die Wettergötter verwendet. Als Stier agiert er in einer Beschwörung, die eine kleine mythologi­ sche Erzählung enthält. Sie ist Teil von Geburtsritualen. Eine »Kuh des Sin« wird von einem »Jungstier« geschwängert und gebiert unter Brüllen und Mühen ein Kalb. Der Gott hilft ihr bei der Geburt, in­ dem er ihr Schutzgottheiten schickt, die sie mit heiligen ölen salben und dadurch für eine sichere Niederkunft sorgen. In diesem Text ist es wohl der Mondgott selbst, der als miru »Jungstier« eine Kuh begat­ tet. Bei den Wehen wird er als Geburtshelfer angerufen. T 78 Die Beschwörung vom »Mondgott und der Kuh«:

»Eine Kuh des Sin, mit Namen »Dienerin des SinÖI des puru-GefäßesÖI der Wehen«. Sie berührte mit dem >ÖI des puru-Gefäßes« die Stirn, mit dem >ÖI der Wehen«, besprenkelte sie den ganzen Körper der Kuh. Nachdem die beiden sie das dritte Mal berührt hatten, fiel das Kalb auf den Boden wie das Junge einer Gazelle: «Milchkalb« nannten sie das Kalb.« »Gerade so wie die 'Dienerin des Sin« heil gebar, so soll das junge Mädchen eine Wohlgebärende sein. Die Hebamme soll sich nicht verspäten, und die Schwangere soll wohlbehalten sein.« (Nach Veldhuis [1991] S. 9) Die Gattin des Mondgottes, Ningal »große Herrin«, war auch im Hurritischen, Hethitischen und weiter im Westen am Mittelmeer be­ liebt. Eine mythologische Erzählung aus Ugarit berichtet vom Treffen und der Ehewerbung von Nikkal und Yarih, dem ugaritischen Mond­ gott. Ein Kind wird geboren und von sieben Hilfsgöttinnen versorgt. Ein thematisch verwandter Mythos, der die »Jugend des Mondgot­ tes« oder die »Hochzeit von Sin und Ningal« genannt wurde, ist frag­ mentarisch aus dem altbabylonischen Süden überliefert. Vielleicht

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wurde er aber bis nach Ugarit tradiert und dort könnte der ugaritische Mythos von »Yarih und Nikkal« einen der in babylonischen Tex­ ten nicht erhaltenen Teil des Mythos wiedergeben. Der altbabylonsiche Mythos berichtet wie in dem Mythos »Enlil und Ninlil« vom Tabubruch des unerlaubten Beischlafs: T 79 In diesem Mythos verführt Sin die Göttin Ningal. Dafür kleidet er sich wie für die Jagd, nähert sich aber der Göttin und beschläft sie, bevor sie ihren Vater fragen kann, ob er mit der Hochzeit ein­ verstanden ist. Der Rest des Textes ist nur in Bruchstücken erhalten und scheint eine ganz andere Geschichte über andere Götter zu er­ zählen. (Römer [1966])

Auch im ugaritischen Mythos »Yarih und Nikkal« lieben sich die beiden und die Göttin gebiert ein Kind. Dieses Kind wird liebevoll von Göttinnen versorgt. Als der Mondgott dann die Ehe vom Vater der Braut verlangt, wird er zuerst zurückgewiesen. Danach zahlt er den Brautpreis und heiratet sie. (Caquot et al. [1974] S. 383-397)

Der Mondgott wurde bei Riten einbezogen, die im Zusammenhang mit Hochzeiten und Geburten stehen. Über diese ganz normalen Vor­ gänge im Leben der Mesopotamier sind nur wenige Ritualanweisun­ gen und eine geringe Anzahl von Beschwörungen zu finden. Ausführ­ liche Ritualbeschreibungen der Übergangsriten fehlen, und lediglich Schwangerschaft und Geburt sind von Interesse: Eine Hochzeit scheint eine Privatangelegenheit zweier Familien zu sein und verlangte offen­ bar keinen besonderen religiösen Ritus. Geburten hingegen sind gefährliche Vorgänge für das Leben der Frauen und des Kindes und sie dürften immer mit magisch-medizi­ nischen Verrichtungen begleitet worden sein. Bisher ist jedoch nur eine fast zerstörte Ritualtafel gefunden worden, die Geburtsbeschwö­ rungen - darunter die des »Mondgott und der Kuh« (siehe oben) und Geburtsrituale wiedergibt.

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T 80 Ritual für eine Schwangere kurz vor der Geburt? »Ritual dafür: Staub von einer Wegkreuzung, Staub von der Schwelle der Eingangstür, Staub vom oberen und unteren Behäl­ ter, Staub vom Behälter der Tür. Von einem besonders dicken Rohr schneidest du das obere und untere Ende ab. Die genannten Staubsorten wirfst du in Öl, rezi­ tierst diese Beschwörung siebenmal darüber. Du füllst den dicken Rohrstengel und reibst von oben nach unten über ihren Bauch.«

(Nach Färber [1987] S. 276) Auffälligkeiten oder Abnormitäten bei den Geborenen - seien es Menschen oder Tiere - wurden sorgfältig beobachtet und notiert, da ungewöhnliche Ereignisse das Konsultieren von Fachleuten erforder­ ten, die diese Erscheinungen als gute oder schlechte Vorhersagen deu­ teten. Diese Omina sind in Kompendien zusammengefasst und wur­ den in der Serie »Wenn eine Missgeburt« überliefert, die in vielen Exemplaren abgeschrieben und der Nachwelt vermacht wurde.

Sobald das Kind geboren war, kamen kleinere Beschwörungesrituale gegen Kinderkrankheiten und schreiende Babys zur Anwen­ dung. In einem dieser Rituale wird der Mondgott angeredet: T81 •Wenn Epilepsie ein Kleinkind ergreift [/egt man Pflanzen und Haar einer unberührten Ziege in einem Lederbeutel; man holt ein fremdes Kind - dessen Eltern man nicht kennt - und lässt es Wasser aus dem Fluß schöpfen. (Damit muss es später den magischen Lederbeutel besprengen.) Der Beschwörer richtet ein Schüttopfer mit Speisen und Bier an, bringt den Patienten in eine angemessene Stellung und sagt.-] »Beschwörung: Sin, du bist der Erbsohn; Sin du bist der Herr der Lebenskraft; Sin du bist der, der beim Namen nennt; Sin, du bist der, der al­ les Leben liebt; Sin, du bist zuständig für Nachkommenschaft; Sin, du bist der, der Nachwuchs verleiht (...);

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Sin, du bist der Herr der weit verbreiteten Menschen: (...) für Soundso, Sohn des Soundso (...) habe ich dieses Ritual durchgeführt! Sin, möge die Fallsucht, die ihn ergriffen hat, sich ihm nicht nä­ hern - vertreibe sie von seinem Körper! Möge sie ihn nicht nochmals ergreifen!« Dreimal sagst du es (...), dann legst du diesen Lederbeutel um des kranken Kindes Hals und die Fallsucht wird es nicht wieder ergreifen.«

(In Anlehnung an Färber [1989] S. 117-121) Geburtshoroskope wurden erst in den Jahrhunderten vor der Zeiten­ wende, etwa ab dem 4. Jahrhundert, verfasst. Sie enthalten allerdings nur die Beschreibung der Himmelskonstallationen; die Interpretatio­ nen der nüchternen Fakten wurden nicht mitgeliefert. Mythen um den Mondgott

Über das Leben und Wirken des Mondgottes sind nur wenige My­ then bezeugt, die allesamt sumerischsprachig sind und aus dem Be­ ginn des 2. Jahrtausends stammen. Auffallend ist, dass der Mondgott in der großen mesopotamischen Erzählliteratur, im GilgameschEpos, dem Mythos von Atramhasis, den Königslegenden und anderen Werken kaum eine aktive Rolle spielt - vielleicht, weil er am Tagesab­ lauf der Menschen nicht teilnimmt. In einem Mythos, »Ninlil und Enlil«, wird über die Zeugung eini­ ger männlicher Götter fabuliert, zu denen auch er gehört. Dieser Mythos «vergöttlicht« die zivilisatorische Errungenschaft des Kanal­ baus. Er schreibt dieses handwerkliche Können der göttlichen Einge­ bung und Oberaufsicht zu. Durch die Mythologisierung des Vorgangs bemüht man sich um eine enge Beziehung zwischen den vier gezeug­ ten Göttern Bilulu, Nergal, Ninazu und dem Mondgott Sin. Vermut­ lich ist das konkrete Thema des Mythos eine engere Verbindung der Hauptkultorte dieser Gottheiten, die vielleicht durch einen Kanalbau oder die Instandsetzung bestehender Kanäle angeregt wurde. Das dürfte dann die Städte Ur, Enegi, Kutha und Nippur betreffen, in denen die vier Götter kultisch verehrt wurden. Denn Sin hatte sonst keine Beziehung zu dem Unterweltsgott Ninazu, der ein chthonischer

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Gott war und einen Tempel in der Stadt Enegi besaß, und auch nicht zu dem Unterweltsgott Nergal mit Hauptkult in der Stadt Kutha (s. S. 199 f.). Bestandteile dieses Mythos gehen aber sicherlich auch auf genuine Mythenstränge zurück. Man findet zum Beispiel das Märchenmotiv der »Verkleidung zur Unsichtbarwerdung«: Enlil wird an jedem Tor der Stadt, durch das Ninlil hinausgehen will, von ihr nicht erkannt: Er schlüpft in andere Rollen, ist verwandelt und kann sie so immer wieder begatten. Auch der Tabubruch ist Teil der Erzählung. Die gött­ liche Zeugung findet statt, indem Gott Enlil gewalttätig die Göttin Ninlil schwängert und den Mondgott Sin, den Erstgeborenen, zeugt. Er wird daraufhin auf göttlichen Beschluss aus der Stadt verwiesen, schwängerte die Göttin aber bei jedem Stadttor von neuem und zeug­ te so die anderen Götter. Der zweite Nanna-Mythos, der ebenfalls sicherlich ein politisch­ religiöses Ziel verfolgt, wird »Nannas Reise nach Nippur« genannt. Nanna besucht hier seinen »Vater« Enlil mit wertvollen Geschenken und fährt auf einem Kanalsystem über die Städte Enegi, Larsa, Uruk, Shuruppak und Tummal nach Nippur. Er bat Enlil um seinen Segen, damit er den Wohlstand bis zu seiner Stadt Ur weitergebe. Dieser My­ thos enthält wichtige religionspolitische Aussagen, die das Verhältnis der alten Kulturplätze betreffen. Eines seiner Ziele könnte die Beto­ nung der ideologischen Vormachtstellung der Stadt Nippur sein, der sich das große Mondzentrum Ur unterordnet. Der Mondgott besaß schon vor dem 2. Jahrtausend einen Kult in Nippur, aber keinen eige­ nen Tempel. Sonnen- und Mondfinsternis und Ersatzkönig

Der Mond und seine verschiedenen Erscheinungsphasen, aber auch sein merkwürdiger Lauf am Himmel in Konstellation mit den Plane­ ten Mars, Venus und Jupiter, wurde sehr sorgfältig beobachtet. Diese Beobachtungen hielt man schließlich im 2. Jahrtausend schriftlich fest. Damit konnten in der mesopotamischen Moderne, der neuassy­ rischen Zeit (ab 900), die gelehrten Fachleute Monddaten aus langen Zeiträumen auswerten. Jede der Bewegungen des Mondes wurde als ein Zeichen gesehen, hatte einen Sinn und konnte als Vorhersage interpretiert werden. Da die Mondfinsternis mit ganz geringen Ausnahmen als ein besonders 230

schlechtes Zeichen bewertet wurde, versuchte man mit allen Mitteln, den Zeitpunkt, die Dauer der Finsternis und die Größe und Richtung der Bewegung des dunklen Schattens auf der Mondscheibe zu berechnen. Das gelang aber nicht bei den viel selteneren Sonnenfinsternissen. Die genauen Daten und Erscheinungsformen einer Mondfinster­ nis wurden immer mit älteren Deutungen verglichen. Schließlich er­ stellte man ein Omen: Man versuchte ihre wahre Bedeutung zu erkennen. Um den negativen Auswirkungen eines solchen Omens zu entgehen, existierten eine große Anzahl von Riten, die das Unheil, das über das Land hereinzubrechen drohte, abwenden sollten. Eines der spektakulärsten Mittel zur Abwehr des vorhergesagten Unheils bestand in einem Ersatzritual mit realen Menschen, nämlich dem König (und seiner Gattin) und einem Stellvertreter (und dessen Frau). Nach sorgfältiger Auswahl wurde eine Person bestellt, die den König ersetzen sollte, während er selbst sich in dem anberaumten gefährlichem Zeitraum an einem ganz anderen Ort verborgen hielt. Bei einem Ersatzritual für den König Esarhaddon betrug diese Va­ kanz 100 Tage. Während dieser Zeit, in der eine Sonnenfinsternis drohte, nannte sich der richtige König auch nicht mit seinem Titel oder Namen, sondern er hieß anonym »Bauer« oder »Gärtner«. Der Ersatzkönig wurde streng bewacht, repräsentierte aber den König in dessen königlichem Ornat und in dessen Palast innerhalb eines exakt bestimmten Bewegungsradius. Ob zu seinem Amt auch die Erfüllung der täglichen Rituale gehörte, bleibt unklar. Auch die Königin wurde durch eine andere Frau ersetzt. Der Ersatzkönig war sich bewusst, dass er großer Gefahr zu trotzen hatte. Alte Quellen berichteten, dass einer von ihnen sich während seiner Ersatzregentschaft an einem zu heißen Brei verschluckte und starb. Ohne Zweifel wurde dieses Ereignis als Beweis für die Richtig­ keit der Anwendung des Ersatzrituals gedeutet! Auch in der neuassy­ rischen Zeit berichtete ein Brief an den (richtigen) König, dass der Ersatzkönig und auch seine Frau starben und begraben wurden. Der Wortlaut des Ersatzrituals deutet daraufhin, dass der Stellvertreter mit seiner Frau umkommen sollten, falls es zu den Erfordernissen der Vorhersage und des Ritualvorgangs gehörte. Erst nach einem langen und sorgfältig ausgefuhrten Reinigungsri­ tual konnte einige Zeit später der König seine wahre Position wieder einnehmen.

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Der Wettergott

Namen und Funktionen des Wettergottes

Wie bei Schamasch und Sin, die als Sonne und Mond das Urelement Licht verkörpern, repräsentiert der Gott Adad ein Naturphänomen, das atmosphärische Phänomen »Wetter«, Wind, Sturm, Regen und Gewitter. Der akkadische Name Adad hängt wahrscheinlich mit einer semi­ tischen Wurzel zusammen, die »zerbrechen, zerreißen, zerstören, Krach verursachen, das Geräusch des herabfallenden Regens« bedeu­ tet. Logischerweise ist sein Wesir und Botengott der Blitz oder Don­ ner, der im Sumerischen dNim-gir, geschrieben wird. Auch der Wettergott tritt in Mesopotamien schon in den ältesten Götterlisten in der Schreibung mit dem Keilschriftzeichen IM auf. Sein sumerischer Name ist Ischkur, akkadisch wird er am häufigsten Adad gerufen. Aber ebenso wie beim Sonnengott verwendet man in Eigennamen und selbst in akkadischen Texten bis zum Ende der Keil­ schriftperioden das Wortzeichen IM, das mit dem Gottesdetermina­ tivzeichen dingir versehen wird: d(,n^,r)lM. Mit diesen Keilschriftzei­ chen verband dann jeder den Wettergott seiner Region, entweder den sumerischen Ischkur oder den akkadischen Adad oder Personifizie­ rungen des Wettergottes mit anderen Namen. Ohne das Gottesdeter­ minativ bezeichnet IM nur den Wind oder Sturm. Da der Gott schon so früh in südmesopotamischen Texten Einzug gehalten hat, kann er keine Erfindung des natürlichen Regenbauge­ bietes im heutigen Nordsyrien sein. Für ganz Mesopotamien waren Regengüsse schon immer lebensnotwendig, so dass dieser Gott schon immer dieses Element verkörpert haben muss, wobei ihm bald wesentlich mehr Wirkungsweisen und Charakteristika zugeschrieben wurden als der Aspekt eines Sturm- und Gewittergottes. Neben dem Sonnengott wird er in der Vorzeichenbefragung der wichtigste Ansprechpartner für die Menschen. Denn Sonne und Wind waren im täglichen Leben immanent und spürbar und bezeug­ ten ihre ständige Präsenz durch Sonnenstrahlen und Windhauch. Sie wurden deshalb in ihren verschiedenen Ausdrucksformen als Zeichen göttlicher Willensäußerungen gedeutet.

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Durch seine Beinamen wird deutlich, dass der Wettergott sowohl positiv als auch negativ empfunden wird. Er ist einerseits der Frucht­ barkeit bringende Regen und andererseits besitzt er die zerstörerische Macht der Überflutung, des Hagels, des Unwetters und Sturms. Als vernichtende Kraft heißt er »Herr des Blitzes und des Regens« und »Herr der Flut«, auch »Herr des Donners« oder ilu murtaschnu »der laute Gott«. Seine Namen in den Götterlisten sind: »Wirbelsturm, Gewittersturm, Herr der Zerstörung, brüllender Herr, Sturm des Himmels, Herr, der die Felder überschwemmt«. Im altbabylonischen Mythos von der Sintflut, im »Atramhasis-Mythos«, verursacht er zuerst eine Dürrekatastrophe, denn er hält den Regen zurück, um dann in der folgenden Plage auf Beschluss der Götter die Sintflut zu schicken. Als Gott der agrarischen Fruchtbarkeit wird er als »Herr des Über­ flusses«, der »das Land mit Überfluss« beschenkt, angebetet. Diese Beinamen haben aber auch andere Götter. Im Kontext sollen sie wohl seine Funktion als Regenmacher, der die Pflanzen sprießen lässt und das Vieh labt, betonen, denn »er öffnet die Zitzen des Himmels«. Als einer der großen Götter des babylonischen Pantheons wird er neben seiner regulativen Tätigkeit als Spender des Regens auch als Bezwinger des Wassers, als »Kulturbringergott«, gewürdigt. Im My­ thos »Enlil und Ninlil« heißt er Enbilulu und gilt als einer der Götter von Nippur, der zuständig ist für den Kanalbau, für die Versorgung mit Trinkwasser. Als Hüter dieser Süßwasserquelle gilt er als »Zwil­ ling« von Enki, der ebenfalls Herr des Süßwassers ist, nämlich des Grundwasserozeans Apsu. Ähnlich wie der Gott Ninurta kann Adad als Kriegsgott eingesetzt werden, weil er im Gebirge oder gegen das mythische Gebirge kämpft, das als Symbol für die Macht des Feindes schlechthin gelten dürfte. Dieses Mythologem wird in zahlreichen sumerischsprachigen »Erschemma-Liedern« besungen, die zu einer Pauke rezitiert oder gesungen wurden, die Erschemma heißt. Das Instrument gibt somit diesen Klageliedern seinen Namen und vermittelt durch seinen Klang eine ganz besondere (wohl düstere) Stimmung, die den Text der Lie­ der untermalt. Der Wettergott rückt in diesen Gesängen, die schon in altbabyloni­ scher Zeit aufgeschrieben wurden und bis ins 3. Jahrhundert tradiert wurden, nahe an den Gott Ninurta heran. Ninurta aber verleiht viele seiner Eigenschaften dem im 1. Jahrtausend ranghöchsten babyloni233

sehen Gott, Marduk. Deshalb wohl, durch die semantische Nähe zu Ninurta, wird er auch im Weltschöpfungsepos »Enuma elisch« er­ wähnt und tritt dort seine Befugnisse an den Gott Marduk ab: Einer der 50 Titel des Marduk ist bei zunni »Herr des Regens«. Der Gott der Eingeweideschau

Wie Schamasch offenbarte Adad den Menschen seine Entschlüsse durch die Eingeweideschau. »Adad wird Getreide und Menschen erschlagen«, »Adad wütet«, »Adad wird donnern und den Regen zurückhalten und damit das Vieh vernichten«, »Adad wird das Heer des Feindes erschlagen«: So oder ähnlich lauteten die Antworten, die aus den Opferschauen her­ vorgehen. Die Deutungen bezogen sich auf das Aussehen von Herz, Innereien oder der Leber der Opfertiere. Die Interpretation oblag den Opferschauern. Diese Baru »Opferschau-Fachleute« orientierten sich an bestehenden Berichten über das Aussehen der Eingeweide - die Farbe, die Erhöhungen, Verletzungen, Vertiefungen usw. - und wie sie interpretiert werden sollten. Sie konsultierten dabei alle traditionellen Handbücher, in denen fiktive oder wahre Ausgänge historischer Kon­ flikte in Verbindung mit dem damaligen Aussehen der Eingeweide festgehalten wurden und benutzten sie als Muster. Die Reaktion und der Machtakt des Wettergottes auf die Anfrage, die durch die Eingeweideschau beantwortet wurde, galt in den ein­ zelnen Fällen immer gleich bleibend als vernichtend (Sturm, Don­ ner, d. h. Zerstörung). In der Analyse unterschied man, gegen wen seine Reaktion gerichtet sein würde: Gegen einen Feind? Dann war es ein gutes Omen! Aber wendete es sich gegen den Fragenden selbst, galt es als ein schlechtes Omen. In einem solchen Fall setzte man schleunigst Rituale in Gang, die das schädliche Tun des Gottes ver­ hindern sollten. Die Opferschauen wurden in Mesopotamien wie überall in der Antike als Teil von komplexen Gerichten und Rechtsentscheidungen der Götter betrachtet, in denen ein Betroffener seine Rechte vor der göttlichen Macht einklagen konnte. Er bat dann um »seinen Prozess«, und die Aussage des Gottes wurde als Beweis im Rechtsprozess ange­ nommen. In Unterstreichung dieser Funktion wird dem Adad als eines seiner Kinder der Gott Mischarum (»Gerechtigkeit«) beigesellt. Er ist das 234

personifizierte und vergöttlichte Recht, das als Wesir auch den Son­ nengott begleiten kann. Seine Hauptkultorte

Die alten Kulte des Wettergottes wurden in einigen der größeren Städte Süd- und Mittelmesopotamiens wie Adab, Nippur, Uruk, Um­ ma, Girsu und Ur gepflegt. Hier wurden ihm eigene Tempel oder zumindest Kultstätten eingerichtet, die zum Teil auch mit einer Ho­ hen Priesterin ausgestattet waren. Das unterstützte sicherlich seine Stellung unter den großen Landesgöttern im Pantheon. Anu oder auch Enlil galten als seine »Väter«. Mit diesem Ehrentitel wird ange­ geben, dass er ihnen in der Rangordnung folgte. Schon der Name seiner Kultstadt Karkar, die mit dem Logogramm llIMk: geschrieben wird und deshalb »Stadt des IM« bedeutet, weist darauf hin, dass eine der überregionalen Wettergottheiten, wahr­ scheinlich der sumerische Ischkur, auf diese lokale Gottheit zurück­ zuführen ist. Trotz des dominanten Hauptkultortes dieser schon im 3. Jahrtausend bekannten Wettergottgestalt, hat sich ihr Kult wohl nicht von hier aus in die anderen Städte verbreitet, sondern er dürfte schon lange an vielen Orten mit anderen Gottesnamen wie Mer (Wer) oder Adad praktiziert worden sein. Und dennoch gewinnt man den Eindruck, dass der Gott im eigentlichen mesopotamischen Kerngebiet weniger prominent ist als andere Götter, aber umso mehr zu Bedeutung gelangte, je mehr man gen Norden, in die traditionellen Regenbaugebiete, geht. Wahrschein­ lich war er hier deshalb noch wichtiger, weil dieses Gebiet von Vieh­ zucht und Getreideanbau lebte. Das fruchtbare Land im Deltagebiet des Habur, im Grenzgürtel zwischen dem heutigen Syrien und der Türkei, diente als Kornkammer des Landes. Beide Landwirtschafts­ formen sind vom natürlichen Regenfall abhängiger als die Garten­ bauwirtschaft, der durch ein weit verzweigtes Kanalsystem ausrei­ chend Wasser zugeführt werden konnte. In den nördlichen Gebieten Mesopotamiens nahm der Wettergott seit dem frühen 2. Jahrtausend eine führende Position in vielen Stadtund Landespanthea ein. In Ugarit hatte ein Wettergott Hadad - eine westsemitische Variante des akkadischen Namens Adad - sogar den Beinamen Baal »der Herr«. Seine vielen Funktionen wurden unter 235

diesem Namen durch Regenzauber und Fruchtbarkeitsriten evoziert und in zahlreichen ugaritischen Mythen erzählt. Der Name des Wettergottes, wie auch immer sein ausgesprochener Name war, wurde auch in allen diesen Gebieten und Sprachen der Kürze halber gerne mit dem Wortzeichen dIM wiedergegeben. Der Gott Assur blieb zwar immer der Hauptgott der Stadt Assur, die auf einem natürlichen Felsen am Tigris in Nordsyrien lag. Aber gleich neben ihm stand der Wettergott Adad. In einem hamrum »hei­ ligen Bezirk« schwor man schon im 19. Jahrhundert vor den Symbo­ len des Assur und des Adad. Einige Jahrzehnte später errichtete König Schamschi-Adad, ein Zeitgenosse des Hammurabi von Babylon, dem Adad zu Ehren einen Doppeltempel, in dem der Gott mit seinem Vater, dem obersten Himmelsgott Anu, ein Heiligtum erhielt. Der Name des assyrischen Königs zeigt die besondere Stellung, die er dem Gott einräumte, denn er bedeutet: »Meine Sonne ist Adad.« Weiter nach Westen, im Gebiet von Mari, das Schamschi-Adad bald darauf beherrschte, wurden gleich mehrere Wettergötter kultisch verehrt. Adad galt als Haupt­ gott von Ekallatum, Residenzstadt einer der Königssöhne. Sogar ein Monatsname im nordsyrischen Reich von Mari, der Monat »Mahanu« ist nach einem Wettergott »Mahanu« benannt, ähnlich wie Dumuzi im Süden einem der trockenen Sommermonate seinen Namen lieh. Als helfender, das Reich stabilisierender Königsbegleiter im Krieg und als mitbestimmender Gott im Pantheon des Landes behält der Wettergott in den kommenden assyrischen Reichen des 2. und des 1. Jahrtausends immer seine Machtstellung. Als seine Gattin galt jetzt die Göttin Schala, eine der farblosen Göttergemahlinnen, ohne eigene wesentliche Funktionen. Hier im nordsyrischen Bereich und unter hurritischem Einfluss bekommt Adad eine enge Beziehung zu einer Ischtar-Gestalt, die mit hurritischen Völkergruppen schon im 3. Jahrtausend einwanderte. Dem Gott wird jetzt eine noch größere Machtfülle zugesprochen als in Babylonien, und sein Eingreifen ist konkreter zu begreifen, weil dieses Gebiet oft von Erdbeben oder Unwettern gestraft wird. So ist seine Verbindung mit einer Göttin, deren Wirkungskreis größer ist als der anderer Göttergemahlinnen, nachzuvollziehen. Er wird hier mit einer der mächtigsten und kriegerischsten Erscheinungsformen der Ischtar, der hurritischen Göttin »Ischtar-Schawuschka« vermählt.

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Ein altbabylonisches Heldenlied an Adad

T 82 kummu »Kammerlied« an Adad aus der altbabylonischen Zeit:

»Wir hören: Sein Kampfeswunsch ist wild! Er wendet das Land um, nicht lässt er es leben. Erhebe dich! Gehe hinaus! Befehle ihm, er soll zuhören! Dein Wort soll ihn einlenken lassen! Enlil hub an zu reden in der Versammlung (und) spricht zu allen Göttern: ■Ein einziger ist der Berg, er beauftragt die Götter, den Kampf ergreift er auch über den Friedensvertrag hinaus. Man soll die Belet-ili (= eine Muttergöttin) schicken und soll sie zu mir eintreten lassen.' Nach Belet-ili schickte man (und) Enlil sprach zu ihr: (...) 'beruhige deinen Bruder, (...) entferne aus einer Hand!' [Der Rest der 1. Kolumne ist fast ganz zerstört.) Der Vater der Götter, Enlil, empfing ihn, Worte des Lobes sprach er zu ihm: Erster unter deinen Brüdern, Stier des Himmels, das Leben aller Menschen ist mit dir. In meinem Land hast du Totenstarre ausgegossen, (denn) alle Wohnstätten pflügte deine Schlacht um. Die »Herren der Podeste« (die Götter) übergab ich dir, (und auch) die Menschen vertraute ich deiner Hand an. In meinem Land sollst du einen ständigen Wohnort haben, (und) wie der Wind gehst du vorneweg. Es seien (Opfer)tische! An seinem Festtag soll er sich freuen!

Der rechtmäßige König (aber) soll dich ehren! Du aber, erhöre auch die Zustimmung, (die) aus seinem Munde (kommt), lass Überfluss regnen in seinem Land, (und) mache sein (gutes) Schicksal jährlich besser. 237

Die Länder beuge unter seinen Fuß. Wenn er zum Zweikampf ins Feld zieht, gehe mit ihm und zwinge seinen Widersacher nieder. Unter seinen Fuß beuge das Landl« (In Anlehnung an W. Ph. Römer [1967] S. 185-199)

Durch die Überschrift ist der Text dem Adad gewidmet. Die Titulie­ rung »Stier des Himmels« im zweiten Teil zeigt, dass sich auch die dort erwähnten Taten und Ereignisse auf Adad beziehen. Wie häufi­ ger in dieser Zeit enthält der Hymnus lyrische und gleichzeitig auch erzählende Passagen. In diesem Gedicht wird Adad als Kriegsgott angesprochen. Das Lied ähnelt besonders am Ende der zweiten Ko­ lumne dem Heldenlied für den Gott Erra, das ebenfalls aus der altba­ bylonischen Zeit stammen könnte, und den Erra als Kriegsbegleiter eines Königs Naram-Sin bezeichnet (s. S. 200f.). Stilistisch gesehen kann die Dichtung durchaus in die Regierungszeit des Hammurabi oder seiner Nachkommen gehören und ein reales Kriegsereignis ver­ arbeiten. Da aber keine Stadt genannt ist, lässt sich bei den vielen Auseinandersetzungen, die in dieser Zeit geführt wurden, kein realer Anlaß, bei dem das Reich in Schrecken versetzt wurde, zuordnen. Die Inanspruchnahme des Adad als Herr des Krieges kommt indi­ rekt auch durch die Schlussfolgerungen («Apodosen«) der altbabylo­ nischen Omina zum Ausdruck, in denen prophezeit wird, dass »Adad im Lande des Feindes dreinschlagen wird« oder dass er das Heer des Feindes vernichte. Im Allgemeinen hat Adad aber im Königskult die­ ser Zeit noch nicht die große Bedeutung, die er ab der Mitte des 2. Jahrtausends im späteren Assyrien in seiner Funktion als Begleiter des Königs im Krieg erhält. Denn kostbare Stiftungen babylonischer Könige ergehen kaum an ihn. Hammurabi stiftete ihm in seinem 20. Jahr einen goldenen Thron in Babylon und der viertletzte König der altbabylonischen Zeit, Abieschuh (etwa ab 1711), schenkte seiner Kultstätte goldene und silberne Blitze. Sein Stiersymbol

Eine andere Götter überragende Bedeutung bekam der Wettergott erst in den westlichen Gebieten Nordsyriens, in der Stadt Halab, dem heutigen Aleppo in Syrien. Halab war damals, in der zweiten Hälfte 238

des 2. Jahrtausends, ein religiöses Zentrum innerhalb des hurritischen Reiches. Die Wettergottgestalt galt als Haupt des Pantheons der Hurriter. Der Gott wurde dort Teschschub genannt. Er und seine Gemahlin Hebat wurden von zwei stiergestaltigen Wesen, Scheri und Hurri, begleitet. Überall seit dem 2. Jahrtausend wird als sein Symboltier ein Stier abgebildet. Der Stier ist in seiner Nähe oder der Gott steht auf ihm. Auch die beiden stiergestaltigen Begleitwesen Scheri und Hurri sind figürliche Darstellungen dieser Metapher, die den Gott mit den Kräf­ ten dieses als besonders stark empfundenen Tieres verbindet. Es ist sicherlich das Brüllen, das Toben und die Kraft des Unwetters, die dieses Vergleichsbild entstehen ließ. In vielen Königsinschriften erhält es in der Königstitulatur als Trope Einzug: Der König besiegt dann wie der brüllende und donnernde Adad seine Feinde. Ein stiergestaltiges Objekt, sein kakku »Zeichen«, ein ge­ sondert angefertigtes und ver­ göttlichtes Symbol, kann in Vertretung für den Gott bei Eidesleistungen aufgestellt wer­ den und ihn dann außerhalb seines Kultraumes repräsen­ tieren.

Abb. 26) Stele des Wettergottes Adad (mit Attributen)

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Göttervielfalt und Götterordnungen

Wie wird man zum großen Gott?

Alle obersten Götter des Landes hatten eine ideologische Funktion, deren wesentliches Ziel die Identifikation des Königs mit seinem Volk ist. Der König hütete die Kultordnungen, garantierte die Versorgung der großen Tempel mit Opfern und Abgaben, und er bekannte stell­ vertretend und pauschal für das Land »Sünden«, von denen er in einem Ritual befreit wurde. T83 Bezeugt ist dieser Ritus zumindest bei einem Neujahrsfest in Babylon. Im Verlauf des Rituals nimmt der Priester dem König die königliche Tiara ab, schlägt die Wange des Königs, zieht ihn an den Ohren und veranlasst ihn, sich auf den Boden zu knien. Er muss vor dem Hauptgott Babylons Abbitte leisten mit den Worten: »Ich habe nicht gesündigt, Herr der Länder, deine Gottheit habe ich nicht vernachlässigt. Nicht habe ich Babylon zerstört und nicht seine Zerstreuung befohlen. Auch habe ich nicht Esangila [den Stufentempel des Marduk] geschändet oder seine Riten vernach­ lässigt.« Nach diesem Bekenntnis erhält der König seine Insignien zu­ rück und bekommt dadurch wieder seinen »üblichen königlichen Anblick«, wie es heißt. Er wird noch einmal geschlagen und seine Reaktion auf diesen Schlag wird als Vorhersage betrachtet: Kommen dem König die Tränen, so geht es dem Land gut, aber weint er nicht, so nimmt man an, dass der oberste Gott weiterhin zürnt. Dann sieht das Omen vor, dass »der Feind sich erheben und seinen Fall verursa­ chen wird«. (Färber [1987] S. 215 ff. besonders S. 222 mit Z. 201 ff.)

Die Wahl eines Gottes in die besondere Verantwortung des Landes­ oder Reichsgottes hing sicherlich mit gewachsenen, traditionellen

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Vorstellungen zusammen. Dazu ist aber sehr wahrscheinlich auch das Moment der politisch-theologischen Entscheidungsarbeit einer be­ stimmten gesellschaftlichen Gruppe, die aus religiös-politischen Funktionsträgern besteht, gekommen. Diese Gruppe, die sich in den Quellen nicht selbst vorstellt und die vermutlich aus Kultbeamten und Wissenschaftlern bestanden hat, wurde bisher nicht identifiziert, ebenso wenig wie die Beweggründe, die zur Erhebung eines oder mehrerer Götter führten. Zwar lässt sich der Aufstieg des Assur von einem lokalen Gott zu einem Landes- und dann Reichsgott mit dem Anwachsen der politischen Entität »Assyrien« innerhalb von etwa einem Jahrtausend nachvollziehen. Der Aufstieg Marduks ist aber nicht so einfach zu erklären. Was ließ ihn gegen Ende des 2. Jahrtau­ sends so prominent erscheinen? Seine Herkunft bleibt im Dunkeln, und auf babylonischem Boden wechselte im 2. Jahrtausend mehrmals die Herrschaft, nicht nur politisch, sondern auch ethnisch. Gerade vor diesem Hintergrund ist die dauerhafte religiös-politische Hervor­ hebung dieses sich plötzlich und neu darstellenden Götterglaubens mehr als erstaunlich. Neben einer Vielzahl lokal verehrter Götter agieren nur eine be­ schränkte Anzahl mit funktionalen Zuweisungen in den offiziellen politischen Dokumenten, den Königsinschriften, in denen die Könige auf immer ausführlichere Weise ihre politischen Ziele und Aktivitä­ ten öffentlich bekannt machten oder zu rechtfertigen versuchten. Die Götter der altsumerischen Könige

Schon in den altsumerischen Inschriften der Stadtfürsten aus der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends werden Götter als Helfer des Königs und der verschiedenen Regionen angesprochen. Die Stadt­ fürsten beherrschten damals nur ein kleines Gebiet jeweils um die königliche Hauptstadt. In den Grenzstreitigkeiten wird einem Gott die Rolle des Auftraggebers zugeschrieben. Ningirsu zum Beispiel ist der Hauptgott des Stadtreiches von Lagasch, der bei kriegerischen Auseinandersetzungen - in mythologischer Sprache - selbst die Schlacht für sein Herrschaftsgebiet schlägt. Die Legitimation des poli­ tischen Oberhauptes als gerechter Stadtfürst leitet sich ab von der Namensnennung durch Ningirsu und durch die Verleihung des Szep­ ters durch den übergeordneten obersten Gott, welcher hier Enlil ist. Sein Königtum wird darüber hinaus noch durch Enki legitimiert, der

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ihm Weisheit verleiht, und durch die Liebe einer wohl altehrwürdigen Stadtgöttin, der Göttin Nansche. Sein eigener ganz unbedeutender Schutzgott, Schulutul, steht vor den beiden obersten Gottheiten der Stadt, vor Ningirsu und Nansche, um ständig präsent zu sein und für den Fürsten zu bitten: T84 »Ningirsu, der Held des Enlil, hat auf sein gerechtes Wort hin mit der Stadt Umma eine Schlacht geschlagen ... Entemena, der Stadtfürst von Lagasch, der mit Namen benannt wurde von Ningirsu .... dem das Szepter verliehen wurde von Enlil, dem Weisheit verliehen wurde von Enki, der im Herzen erwählt wurde von Nansche (...), der Mann, der das Wort der Götter begriffen hat sein Schutzgott Schulutul möge für das Leben des Entemena [Fürst von Lagasch] für immer bei Ningirsu und Nansche stehen.«

Inschrift des Entemena von Lagasch (Steible [1982] S. 231 ff., I 22-27; V 24-28; VI 1-8, 11-20) Das Reichspantheon des Hammurabl von Babylon

Etwa 700 Jahre später leitete Hammurabi das Recht auf sein »ewiges Königtum« von Schamasch, dem Hauptgott der Stadt Sippar, ab. Er nennt sich in dieser Inschrift aus Sippar, einem der Zentren des Son­ nengottkultes, König (lugal) von Babylon. Beide Städte, Sippar wie Babylon, gehörten zu seinem Reich. T85 Schamasch habe ihm das Land zur Herrschaft übergeben, da­ mit er den Menschen von Sippar und Babylon eine friedliche Wohn­ stätte ermöglichen möge. Die Gattin des Sonnengottes (Aja) »liebt ihn«. Er »erfreut das Herz seines Herrn«, des Gottes Marduk.

In dieser Inschrift, anlässlich des Baues der Stadtmauer von Sippar, wird Schamasch in eine intensivere Beziehung zu Hammu­ rabi gebracht als Marduk. Der Richtergott Schamasch ist für Ham242

murabi, dessen besonderes Anliegen die Regulierung eines ord­ nungsgemäßen Zusammenlebens seiner Untertanen war, in allen Inschriften »sein Herr«.

(Die Sippar-Inschrift: Frayne [1990] S. 334 ff.) Eine der bemerkenswertesten Inschriften Hammurabis ist die Geset­ zesstele, auf der bis zu 300 Gesetzesvorschriften niedergeschrieben wurden, die das soziale und geschäftliche Leben in seinem Reich regelten. Dass diese Stele über die Jahrhunderte hinweg abgeschrie­ ben wurde, beweist ihre Bedeutung für die Mesopotamier, die sie oh­ ne Zweifel als eines ihrer wertvollen Kulturgüter betrachteten. Im Prolog ehrte Hammurabi zuerst die obersten Götter des Lan-

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des: Anu als den Herrn aller Himmelsgötter und Enlil als den Herrn von Himmel und Erde. Gleich danach folgte Marduk, mit dem das Vorwort auch schließt. Er wird in diesem Text hervorgehoben als der Gott, der von den obersten Göttern die »Enlilschaft« (d. h. Herr­ schaft) über die Gesamtheit der Menschen erhält. Da Marduk »den Namen von Babylon berühmt macht«, ist er sicher in dieser Zeit Stadtgott von Babylon. Am Ende des Prologs führt Hammurabi die Gesetze auf eine Anweisung Marduks zurück: T86 »Ich bin Hammurabi, der Hirte, erwählt von Enlil (...), der fähige König, der die Stadt Eridu restauriert (...), der Aufrührer der vier Weltgegenden, der den Namen Babylons groß macht, das Herz seines Herrn Marduk wohlgefällig macht (...)• Der Same des Königtums, den Sin erschuf, der die Stadt Ur bereichert. (...) König der Erhörung, der auf Schamasch hört ... und die Funda­ mente der Stadt Sippar befestigt (...), das Heiligtum der Göttin Aja mit grün(en) Pflanzen(?) verziert (...), der Krieger, der die Stadt Larsa verschont und den Tempel (...) für Schamasch, seinen Helfer, erneuert, der Herr, der die Stadt Uruk belebt, sie mit reichlich Wasser ver­ sorgt ... der reichlich Versorgung für die Götter Anu und Ischtar an­ häuft (...).« (Auszug aus Roth [1997] S. 76 ff.)

Es folgt eine Auflistung aller Städte, die zu seinem Reich gehörten, zusammen mit ihren Hauptgöttern. Er erwähnt auch die Götter der unterworfenen Länder und Städte. Interessanterweise fehlen in die­ sem Prolog zu den Gesetzestexten die Götter der uralten Stadt Eridu und auch die der Städte Isin, Lagasch und Girsu. Den Schreibern wa­ ren hier die Kulte entweder nicht geläufig, oder die Tempel lagen dort, vielleicht in Folge der Kriege, danieder. Gott Assur wird zu jener Zeit, die noch kein Reich Assur hervorgebracht hat, nur als die Stadt Assur »mit seinem Schutzgeist« erwähnt und nicht als großer Gott »Assur«. Sonst wird jeweils ein Gott oder ein Götterpaar einer Stadt genannt. Sie alle fördern, so sagt Hammurabi, auf vielfältige Weise 244

seine Herrschaft und er versorge ihre Tempel, die ebenfalls oft namentlich genannt werden.

T87 Die folgende Liste gibt einen Überblick über die für seine Regentschaft wichtigsten Gottheiten in diesem Gebiet. Das Reichspantheon des Hammurabi auf der Höhe seiner Regentschaft: Anu Enlil Marduk (Babylon) Sin (von Ur), Schamasch & Aja (von Sippar und Larsa), Anu & Ischtar (von Uruk), Zababa & Ischtar (von Kisch), Erra (von Kutha), Tutu (von Borsippa), Urasch (von Dilbat), Mami (von Kesch), Ischtar-Manifestationen (von Zabala, Akkad, Ninive, Babylon), Adad (von Karkar), Enki & Damkina (von Malgium), Dagan (von Mari und Tuttul), Tischpak & Ninazu (von Babylon).

Anu und Enlil werden ebenso wie Marduk besonders hervorgehoben, sowohl hinsichtlich ihrer Bedeutung für alle Menschen als auch we­ gen der Beziehung zum Königtum. Das Szepter und die Krone der Königswürde habe ihm die Geburtsgöttin Mami von der Stadt Kesch anvertraut, behauptet er. Auf dem Relief seiner Gesetzesstele ist es je­ doch der Richtergott Schamasch, der ihm die Herrschaftsinsignien überreicht und ihn dafür auszeichnet, Recht und Ordnung in seinem Land hergestellt zu haben. Alle anderen Götter, die Hammurabi nennt, stehen für die Gemein­ schaften der Städte und Gebiete, in denen ihre Kultstätten sind. Sie werden nicht als Mächte mit besonderen Wirkungen oder Charakteri­ sierungen beschrieben, sondern als bloße Repräsentanten der Einwoh­ ner. Es werden folglich Götter aufgezählt, die über lokale oder ethni­ sche Gruppen und über Glaubensgemeinschaften stehen, keine funk­ tionalen Kriegs-, Fruchtbarkeits-, Unterweits-, oder Muttergottheiten. Die Panthea der Städte, die Hammurabi zu seinem Reich rechnete, hatten ein ganz anderes Profil. Schaut man nach Larsa, einen Haupt­ kultort des Sonnengottes, so sind die am meisten erwähnten Götter dieser Stadt mit einem eigenen Kult und eigenen Kultstätten - seien 245

es Tempel, Kulträume oder Tore - der Sonnengott Schamasch mit seinem Hofstaat und die Göttin Ischtar in verschiedenen Erschei­ nungsformen. In Larsa wurde ihr als Inanna von (der Stadt) Zabala, als nin-me} »Herrin der Schlacht«, als Ninegala, als Ninsiana und als Liebesgöttin Nanaya geopfert. Auch ihr Symbol, die göttliche Harfe Ninigizibarra und ihr Wesir Ninschubur wurden dort verehrt. Der Gott Amurru, der den Namen des Stammes trägt, auf den Hammurabi und seine Nachkommen ihre Familienbande zurück­ führten, hatte in Larsa einen eigenen alten Kult wie auch in anderen Städten. Eine eher nebensächliche Rolle spielten in Larsa der oberste Himmelsgott Anu und der Schöpfergott Enki - auch schon vor Hammurabis Eroberung der Stadt. Adad, der Mondgott und der Unterweltsgott, die ihren Hauptkult in den Städten Karkar, Ur und Kutha hatten, wurden zwar auch von den Bewohnern von Larsa ange­ betet: Ob aber die Zielrichtung dieser Gebete und Opfer den fernen Göttern in ihren dortigen Hauptkultorten galt oder ob sie auch in Larsa durch eigene Statuen präsent waren, bleibt offen. Festzustellen ist, dass einige Götterkulte in Larsa, wie auch in anderen Städten, ein­ gestellt oder zumindest nicht mehr gefördert wurden. Hammurabi selbst erwähnte in seiner Inschrift für Larsa nur den Kult des Sonnengottes, denn dieser repräsentierte die Stadt Larsa. Im Pantheon der Stadt Nippur spielten hingegen der Sonnengott, Ischtar und der Mondgott, der Weisheitsgott Enki und der Wettergott Adad kaum eine Rolle. Wesentliche Kulte waren die des Enlil, des Ninurta, der Heilgöttinnen und einer bestimmten Ischtar-Manifestation, der »Herrin von Nippur«. Außer ihnen werden noch eine Viel­ zahl anderer Götter angebetet und kultisch versorgt. Die Kriterien, die zur Auswahl dieser Götter führten, sind nicht mehr nachzuvoll­ ziehen. Wahrscheinlich spielten die Vererbung von Ideologien, die Lokalität an sich und das Amt, das man innehatte, bei der Gotteswahl eine Rolle. Ansonsten fühlte man sich augenscheinlich frei, denjeni­ gen Göttern Verehrung entgegen zu bringen, die man selbst erwählte. Die Sonderstellung eines lokalen Gottes scheint somit historisch gewachsen zu sein, die Verehrung aller anderen hingegen auch im Ermessen des Individuums zu liegen. In Nippur wird die Zusammenlegung von Kultplätzen der wich­ tigsten Götter, wie Enlil und Ninurta, in einer Tempelanlage deutlich, was andernorts wohl auch geschehen ist, aber hier besonders gut nachzuvollziehen ist. 246

Hammurabi wiederum erwähnt von den Göttern von Nippur nur den Gott Enlil, den er folglich für den Repräsentanten der Stadt hält. Ein Kult des Marduk war zur Zeit des altbabylonischen Großrei­ ches in beiden Städten unbekannt und wurde weder in der eroberten Stadt Larsa noch in Nippur eingeführt. Marduks Bedeutung be­ schränkte sich auf Babylon und möglicherweise auf die Stadt Borsippa, wenn es richtig ist, dass er dort unter dem Namen Tutu verehrt wurde, und nicht der Gott Nabu gemeint ist. Hammurabi bedachte in seiner großen Gesetzesinschrift als Herr­ scher über das gesamte Land alle großen Götter und konstituierte ein göttliches Herrschergremium mit Göttern aus den Städten seines neuen Reiches. Die obersten Götter waren seiner Liste zufolge die Himmels­ götter Anu, Enlil und der Stadtgott Marduk, dann kamen mehrere Ischtar-Manifestationen, der Unterweltsgott, der Weisheitsgott, die Mutter­ göttin, der Sturmgott und noch andere, wie Dagan aus dem Reich von Mari, der hiermit neu in das südliche Pantheon aufgenommen wurde. Die Berufung dieser Götter ins Pantheon des Landes ist mit weni­ gen Ausnahmen, die die großen Götter betrifft, rein politisch moti­ viert, denn das Pantheon spiegelt nicht nur die regionale Verteilung der Hauptgötterkulte wieder, sondern auch die politische Lage. Bei den lokalen Panthea ist auffallend, dass in den Städten Larsa und Nippur nicht alle Hauptgötter von Hammurabis Reichspantheon mit gleich wichtigen Kulten bedacht wurden: Einige Götter genossen eine besondere lokale Verehrung, andere nicht. Für die eroberte Stadt Larsa zeichnet sich eine große individuelle religiöse Freiheit ab, denn ein bestimmter Kult eines dem Herrscher nahe stehenden Gottes scheint nicht erzwungen worden zu sein. Überträgt man diese Ver­ hältnisse auf das gesamte Babylonien in dieser Zeit, so ist auf eine große religiöse Toleranz von Seiten der Herrschenden und auch der Bevölkerung zu schließen. Für uns mag das ganz ungewöhnlich sein, für Mesopotamien ist dieses Verhalten aber sicherlich einer der Schlüssel für die lautlose Herrschaft eines kassitischen Fremdvolkes nach dem Untergang des babylonischen Restreiches gegen Mitte des 2. Jahrtausends. Die Götterlisten

Schon aus den ersten Ausgrabungsorten, in denen mesopotamische Literatur gefunden wurde, sind »Götterlisten« bezeugt. Sie nennen 247

nacheinander die wichtigsten Götter, die den Schreibern aus ihrer Umgebung oder aus ihrem Lehr- und Lernmaterial bekannt waren. Die frühesten uns Überlieferten Götterlisten stammen aus Fara, dem antiken Schuruppak (um 2600) und aus Teil Abu Salabikh. Fara ist mit Adab und Abu Salabikh der dritte Ausgrabungsort, an dem eine große Zahl von Literaturwerken gefunden wurden. Sie bestehen aus Hymnen und Sprichwörtern, möglicherweise auch schon aus Erzählfragmenten, und dann auch aus den Listen, die als antike »Wörterbücher« oder »Zeichenlisten« Verwendung fanden. In diesen ältesten Listen werden schon in der Frühzeit der mesopotamischen Geschichte viele der später bekannten Götter genannt.

In manchen Götterlisten fällt auf, dass die einzelnen Namen nach dem Prinzip männlich-weiblich aufgelistet werden. Im Sumerischen bedeutet das Wort En »Herr« und das Wort Nin »Herrin«. Die ersten vier Namen können nach diesem Oppositionsprinzip gelistet werden:

T88 en-ki: Herr Erde en-lil2: Herr Luft/Wind

nin-ki: Herrin Erde nin-lil2: Herrin Luft/Wind

Diese Liste erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, als ob die bei­ den ersten Götterpaare die mesopotamischen Hauptgötter Enki und Enlil mit ihren Gattinnen seien. Dann würde an der Spitze des Pan­ theons der Gott Anu fehlen. Außerdem ist merkwürdig, dass die Eigennamen nicht mit dem Determinativzeichen dingir geschrieben wurden, das sie als Götternamen kennzeichnen würde. Das Determi­ nativzeichen gilt als ein »stummes« Zeichen, das einen Sachverhalt visuell als zu einer bestimmten Gruppe gehörig kennzeichnet. Warum dieses Zeichen hier fehlt, ist unklar. Auch die Bedeutung der Götter ist missverständlich. Es wäre möglich, dass die Reihung En-ki und En-lil2 »Herr-Erde« und »Herr-Luft« bewusst auf die noch nicht vergöttlichten Elemente »Luft« und »Erde« anspielt und auf ei­ nen Zustand vor der Ordnung eines Pantheons verweist. Dieser Eindruck scheint sich durch eine andere Gattung von Tex­ ten zu bestätigen. In den gleichzeitig entstandenen Beschwörungstex­ ten werden ebenfalls die vergöttlichten Elemente En-ki und Nin-ki aufgeführt und zwar neben den »großen« Gottheiten dEnki und dNinki. In diesen und ähnlichen Texten, die zur Alltagsliteratur gehö­

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ren und nicht nur von der Elite genutzt wurden, kommen überhaupt auffallend viele vergöttlichte Tiere und geographische Elemente vor, wie der Schlangengott Irhan, der mit dem Fluss Euphrat gleichgesetzt wird und der vergöttlichte Fluss Balih. Daneben werden die Schlan­ gengöttin Ningirima mit Kultsitz Uruk und ein Gott Ninkilin ge­ nannt, der wohl eine Mungogottheit repräsentiert. Einerseits wird ei­ ne Anzahl von greifbaren, konkreten und auch kleineren Elemente in den Listen und den frühen Beschwörungen jener Zeit vergöttlicht, andererseits aber auch die imponierenden Formen der Natur, wie die Sonne, der Mond, der Sturm oder die Venus. Auch das ist neben den großräumigen Besiedlungen und Städten ein Zeichen dafür, dass die­ se Götterlisten aus der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends in bereits sehr differenzierten Gesellschaften verfasst und überliefert wurden. Zu Beginn des 2. Jahrtausends werden mehrere Götterlisten zu­ sammengestellt, darunter eine Götterliste der Stadt Nippur. Sie be­ ginnt mit dem obersten Himmelsgott Anu und seiner Gemahlin An­ tu. Es folgt der Gott Urasch (»Untere Erde«) und dann der Gott Enlil als oberster Gott. Wie ein eigener Göttername wird nach dem Namen Enlil sein Titel Nu-nam-nir aufgeführt. Es handelt sich aber um ein lobendes Beiwort: »der Wichtige«. Erst dann folgt seine Gattin Ninlil. Der nächste Gott ist Schulpae. Der Name bedeutet aus dem Sumeri­ schen übersetzt »der strahlend erscheinende Jüngling«. Dieser Gott lässt sich kaum als Figur mit eigenen Charakteristika fassen, er ist ein »Jünglingsgott«. In den alten Epochen wird er fast ausschließlich in Listen aufgeführt und in Nippur wegen seiner Nähe zur Muttergöttin Ninhursag (»Herrin des Gebirges«) genannt, deren Gatte er ist. Schon die Benennung deutet auf die Verselbstständigung eines Epitheton ei­ nes der größeren Götter. Ninhursag, die zu den wichtigeren weiblichen Gottheiten von Nip­ pur gehörte, ist bereits eine der Hauptgottheiten des altsumerischen Stadtstaates von Lagasch und bleibt dies bis zum Beginn des 21. Jahr­ hunderts, wo sie noch als Amme des Stadtfürsten Gudea von Lagasch gilt. Der Topos vom Herrscher, der am Busen der göttlichen Amme genährt wird und dadurch die Herrscherlegitimation erhält, hat sich den gelehrten Schreibern eingeprägt. Nicht nur Gudea ernährt sie mit ihrer »rechtmäßigen Muttermilch«, sondern auch Hammurabi von Babylon zu Beginn des 2. Jahrtausends, und König Nebukadnezar I. von Babylon am Ende des 2. Jahrtausends. In einer der Götterlisten, der Nippur-Liste, wird Ninhursag als Nin-dingir-re-e-ne »Herrin der 249

Götter« betitelt und als Nin-tnah »große Herrin« oder Nin-tu »Her­ rin der Geburtshütte«. Alle diese und noch andere Ehrentitel und Namen, die sie als Muttergöttin klassifizieren, werden wie der Götter­ name einer eigenen Gottheit angeführt. Diese Angewohnheit, auch Epitheta und göttliche Symbole als eigene Namen zu verwenden, trug wesentlich dazu bei, dass die mesopotamische Götterwelt den Listen nach aus einer kaum fassbar großen Anzahl von Göttern besteht. In der Tat führte eine der Götterlisten aus dem Beginn des 2. Jahr­ tausends fast 500 Namen nach dem Ordnungsprinzip der familiären Zugehörigkeit auf. Noch vor dem Himmelsgott Anu stehen als seine männlichen und weiblichen Urahnen nicht weniger als 16 Götter­ paare:

T89 An erster Stelle werden wieder »Herr und Frau Erde« (Enki und Ninki) angeführt, gefolgt von »Herr und Frau Stern (mu/)«, »Herr und Frau Blume (ul)«, »Herr und Frau Fürst (nun)«, »Herr und Frau Berg (kur)«, »Herr und Frau großes Werk« (kin-gal) und »Herr und Frau der Gesamtheit (schar2)«.

Die Götternamen selbst sind nun auch vergöttlichte Abstrakta wie »Fürst, Hoheit (nun)«, der »heilige Hügel (du-ku,)« oder die »Gesamtheit aller göttlichen Künste (me)«. Ganz offensichtlich wer­ den im Zusammenhang mit den Namen, die konkrete Göttergestalten bezeichnen, auch religiöse Begriffe und Gegenstände aufgeführt. Es scheint so, als ob die Listen schon früh - und immer wieder von neuem - Bezeichnungen und Begriffe aufnahmen, die den Schreibern im Zusammenhang mit den einzelnen Göttergestalten begegneten, wenn sie diese aus älterer Literatur exzerpierten, wodurch diese Begriffe fester Bestandteil des allgemeinen (Listen-)Wissens wurden. T90 Der Kolophon auf einem kassitenzeitlichen Textzeugen der kanonisch gewordenen Götterliste »An-Anum« lautet: »Summe: 600 + 600 + [abgebrochen]. Bis An: dA-nu-[um x] (...) 250

Der Platz wurde viel [...], deshalb [schrieb] ich [es] zusammen. Ein später lebender Mensch soll sie nicht [zerstören?], aus ihrer Serie soll er zitieren! Nach dem Wortlaut einer alten großen Tafel hat Kidin-Sin, der Schreiber, der Sohn des Sutu, des Schreibers des Königs, es aufgeschrieben und kollationiert.« (Nach H. Hunger [1965] S. 32, Nr. 51)

Bald enthalten die Götterlisten nahezu 2000 Einträge. Dabei werden die Götter oft durchgezählt und in Gruppen zusammengefasst: T91 »21 Herren, Vater und Mutter, die zu den Anu gehören« oder: »42 Herren; Mutter und Vater des Enlil«.

Während zur Fara-Zeit (gegen 2600) noch viele Elemente und kon­ krete Dinge aus der Umwelt mit göttlichem Leben versehen wurden und sich damit in wirkungsvolle Schutzmächte für die Menschen ver­ wandelten, wurden im Laufe der Jahrhundete die großen, im Staats­ kult und in der Mythologie lebendigen Götter bei weitem wichtiger. Ihnen wurden die deifizierten Elemente und Dinge bei- und unterge­ ordnet. Man spricht dann von einem »Kreis«, in dem der einzelne Gott Mittelpunkt ist und dem unbedeutendere Götter und Kultob­ jekte, die allerdings auch beopfert werden konnten, zugeordnet sind. Zum Teil dürfte die Zusammenfassung der Götter in den einzelnen, örtlich überlieferten Listen darauf zurückzuführen sein, dass sich Kultgegenstände und Götter einen Tempelkult teilten und deshalb zusammen aufgezählt wurden. Oft repräsentierten diese Beiordnun­ gen aber auch einen besonders wichtigen Aspekt des großen Gottes. Ein großer Gott manifestiert sich in seinen Wesiren, Boten und den ihm zugeordneten Gegenständen, dabei ist sein Erscheinungsbild abhängig von Funktion oder Ort. Die Götterwelt wird in diesen Listen unter funktionalen Gesichts­ punkten geordnet. Sie enthält die wichtigsten Göttertypen, den Son­ nen- und Mondgott, den Schöpfergott, die Fruchtbarkeitsgöttin, die Muttergöttin, den wichtigsten Gott eines Landes, einer Stadt, des Ein­

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zelnen, den Botengott, den Schreibergott, einen oder mehrere Boten­ götter, den Unterweltsgott, den Kriegsgott, die Jünglingsgottheiten und noch viele andere Gottheiten, die sozialen Hierarchien, analog zur Welt der Menschen, unterworfen waren. Da den Mikrokosmos des menschlichen Lebens die Familie be­ stimmte, hatten auch die Götter Familien, Ehefrauen, Nebenfrauen und Kinder. Im Gegensatz zu den Menschen können die Götter ihre Ahnen bis in die Zeit vor der Zivilisation zurückführen. Dieses Denken in Ahnengenerationen ist auch bei den großen königlichen Dynastien üblich, während für den durchschnittlichen Mesopotamier die Erin­ nerung an seine Vorfahren nicht weiter als drei Generationen zurück­ gereicht haben dürfte. Die Götterlisten, die den Gelehrten als Nachschlagewerk dienten und die auch im Unterricht eingesetzt wurden, informieren nicht über die jeweils aktuelle Ausgestaltung der Götterwelt, sondern tra­ dieren oft bereits lange Bekanntes und zu Bewahrendes. Obgleich mehrere unterschiedliche Ordnungsprinzipien bei den verschiedenen Götterlisten zu erkennen sind, scheint es nicht die Aufgabe dieser beobachtenden Schreiber, Sammler und Gelehrten gewesen sein, die Götterwelt theologisch feiner zu analysieren. Vielmehr ordneten und verbuchten sie die Resultate der religiösen und theologischen Pro­ zesse, die in den Ländern und Städten wuchsen oder angestoßen wur­ den. Im Alltag der Mesopotamier spielten die Listen wohl keine Rolle. Hier stand die Bewältigung aktueller Probleme, die sie mit ihren Göt­ tern in Kontakt brachte, im Vordergrund. Eine schwere Krankheit, ein schlechtes Omen, ein drohender Krieg oder ein Totenritual ließ den mesopotamischen Mensch seine Götter anrufen. Die Auswahl des Gottes in diesen Situationen wurde durch Rang, Wissen und andere persönliche Umstände bestimmt und durch das historisch gewach­ sene Profil der Gottheit. Polytheismus In mesopotamischer Ausprägung

Polytheismus, die Anerkennung der Macht und die Liebe zu einer Vielzahl von Göttern und in bestimmten Situationen die Konzentra­ tion auf einen bestimmten Gott, war in Mesoptamien nicht nur bei den normal Sterblichen üblich, sondern auch Bestandteil der offiziel­ 252

len Religionspolitik. Die Wahl eines bestimmten Gottes war für das Individuum wohl situationsgebunden und hatte familiäre oder beruf­ liche Beweggründe. Bisher blieb ununtersucht, auf welchem Weg die Könige ihre persönlichen Schutzgottheiten wählten und ob und aus welchem Grund sie den einen oder anderen Gott bevorzugten. Es ist ebenso wenig geklärt, auf welche Weise ein Gott und seine göttlichen Mitstreiter ins Zentrum des offiziellen Pantheons rücken konnten, da die mythologischen Erzählungen kaum Anhaltspunkte bieten, die religionspolitischen Entwicklungen zu erschließen. Ein Glücksfall ist unter diesem Gesichtspunkt der Weltschöp­ fungsmythos »Enuma elisch«, der klar die theologischen Ziele seiner Verfasser oder ihrer Auftraggeber benennt. Er will die Vorherrschaft Marduks etablieren und vermittelt daher eine nachvollziehbare und durchsichtige ideologische Aussage: Marduk sei die Summe aller Göt­ ter. Selbst einer der Orte und die Zeit der Propagierung dieser Ziele kann beispielhaft belegt werden: »Enuma elisch« wird zumindest in den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende beim Neujahrsfestival der Stadt Babylon rezitiert. Ähnlich wie das Weltschöpfungsepos geben auch der Mythos von Anzu und Enlil und der Mythos vom Kampf des Ninurta im Gebirge, »Lugale«, Hinweise auf theologische Neukonzeptionen eines höchs­ ten Gottes. Diese stofflich komplizierten und stilistisch durchgefeilten Mythen zeigen insgesamt, dass die Inauguration eines höheren Gottes ein religionspolitischer Akt war, der von Eliten für Eliten ausgeführt wurde, während die Einwohner der Städte sich höchstwahrscheinlich auf eigene private Götter bezogen. Aus allen Quellen geht hervor, dass ein Pantheon von Göttergestal­ ten gebildet wurde, das je nach Zeit und Ort verschieden, mit großer Machtfülle ausgestattet, dem König zur Seite stand. Dieses gesamte Pantheon, in jeweils anderer Zusammensetzung, bestimmte die Geschicke der ideologischen Entitäten »Stadt«, »Land« oder »Reich« und vermittelte dem Volk eine emotionale Zugehörigkeit. Dank der zahlreichen Quellen aus 2600 Jahren war es möglich, den Verlauf und die Gestaltung der religiösen Konzepte zu verfolgen. Die Manifestierungen des religiösen Empfindens der Mesopotamier, seien sie Angehörige der Elite oder ganz gewöhnliche Bewohner des Lan­ des, offenbaren sich in den Bauten, in Reliefs, Malerei und Glyptik oder den schriftlichen Quellen. Über diesen kaum vorstellbar langen Zeitraum hinweg erweisen sie sich geprägt durch den Polytheismus 253

und darin zeigen sie sich überwiegend konservativ und bewahrend. Dieser Eindruck ergibt sich trotz der vielen Lücken in der Dokumen­ tation. Und obgleich sich manches durch neue Funde relativieren mag, ist es legitim, davon auszugehen, dass der Kern der religiösen Ideen und Gedanken erfasst werden konnte. Das entstandene Gesamtbild zeigt eine polytheistische Götterwelt ohne Präferenzen für einen bestimmten Gott. Die großen Götter gal­ ten als Teil einer Gruppe: der Wettergott Adad, der oberste Himmels­ gott Anu, der Schöpfergott Enki, die politischen Hauptgötter Enlil, Marduk, Ninurta, Ningirsu und Assur, der Unheilsgott Nergal, der Mondgott Sin und der Sonnengott Schamasch. Nur die großen Göt­ ter werden in vielen Kultplätzen verehrt. Im Vergleich zu ihnen hat der überaus bedeutende Gott Assur die wenigsten Tempel, was sicher­ lich mit seiner lokalen Gebundenheit zusammenhängt. Am überra­ gendsten aber wird, gemessen an den Kultplätzen, die Fruchtbarkeits­ und Kriegsgöttin Ischtar (Inanna) bedacht, umso mehr, wenn man sie mit der Gula (Ninisina und Ninkarrak) als Repräsentantin einer hochfunktionalen Götterperson annimmt, wie es im 1. Jahrtausend der Fall zu sein scheint. Von den Göttergattinnen haben Ningal, die Gattin des Mondgottes, und Ninlil, die Gattin des Enlil, eine Anzahl von Kultplätzen. Damgalnunna, Ninhursag und Damkina, die meist als Enkis Gattinnen gelten, sind ebenfalls öfter vertreten. Der Kult der Göttergattinnen wurde noch nicht angemessen untersucht und könnte mit einem religiösen Kult für spezielle Anliegen der Frauen Zusammenhängen. Die zahlreichen Kultplätze der politisch bedeutenden Götter sind oft auf die großen Städte konzentriert und zeigen den offiziellen Kult des Königs und der Eliten. Die außerordentlich vielen Erwähnungen der Ischtar (Inanna) und ihrer Schwestern deuten dabei auch auf Volkskulte und auf ihre große Bedeutung im täglichen Leben des Einzelnen. Erstaunlich ist, dass diese Göttergestalten, die teils auch unter anderen Namen bekannt waren, zumindest ab dem 2. Jahrtausend nicht nur in Babylonien angebetet wurden, sondern auch in Assyrien: Die gleichen Götter genossen kultische Verehrung von Nord nach Süd und West nach Ost. Der echte Polytheismus Mesopotamiens kontrastiert mit dem Monotheismus, der im Alten Testament propagiert wird und der nicht nur die christlichen Religionen bestimmte, sondern auch den 254

Islam beeinflusst hat. Dieser Konflikt, der vielleicht schon in der ers­ ten Hälfte des 1. Jahrtausends bestanden hat, gewinnt durch die in diesem Buch beschriebene polytheistische Situation in Mesopota­ mien schärfere Konturen. Im mesopotamischen Polytheismus glaubte man in letzter Zeit Tendenzen zu einer Entwicklung zum Monotheismus entdecken zu können, wie er im Alten Testament gezielt propagiert und im Islam und dem Christentum gelebt wird. Aber die Erwartung einer Entwicklung vom Polytheismus zum Monotheismus wird gewiss durch die gemeinsamen kulturellen Wur­ zeln des Zweistromlandes mit den westlichen Kulturen beeinflusst. Denn neben allem Neuem ist der Traditionsfluss von Mesopotamien nach Griechenland, Rom und in die europäischen Kulturen nicht zu leugnen. Dennoch muss man sich fragen, ob man den Polytheismus mesopotamischer Ausprägung auf dieses Ziel hin fokussieren kann. Vielleicht ist es Zeit, den Blick nach Osten zu lenken, nach Mittel­ asien, Indien, China und Japan. Die nicht monotheistischen Religio­ nen, darunter besonders der Hinduismus, könnten das Empfinden für den Glauben der alten Mesopotamier in vielfacher Hinsicht schärfen. Es scheint sich herauszukristallisieren, dass im Hinduismus noch ähnliche Rituale gepflegt werden, wie sie in mesopotamischen Texten beschrieben wurden. Dieses Phänomen sollte sorgfältig beobachtet und in einem Kulturvergleich untersucht werden. Viel­ leicht ist das Bedürfnis nach dem einen und alles überragenden aus­ schließlichen Gott ein typisch westlicher Weg, dessen Wurzeln nicht im Alten Vorderen Orient zu suchen sind.

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Anhang

Anmerkungen (In diesem Kapitel werden Kurztitel verwendet, für weitere Hinweise siehe die Bibliographie S. 270-286) Einige grundlegende Abhandlungen zu mesospotamischen Göttern, ohne die dieses Buch nicht hätte geschrieben werden können, sind: D. O. Edzard. 1962-65. Die Mythologie der Sumerer und Akkader. D. O. Edzard. (Hg.). 1972-2001. Reallexikon der Assyriologie. Band 4-9 (verschiedene Artikel). E. E Weidner / W. v. Soden. 1957-1971. Reallexikon der Assyriologie. Band 3 (verschiedene Artikel). A. L. Oppenheim. 19772. Ancient Mesopotamia. E. Reiner. 1995. Astral Magic in Babylonia. G. Contenau. 1940. La Divination. J. J. M. Roberts. 1972. The Earliest Semitic Pantheon. Th. Richter. 1999. Untersuchungen zu den lokalen Panthea. G. J. Selz. 1995. Untersuchungen zur Götterwelt. D. Schwemer. 2001. Die Wettergottgestalten.

S. 13-31: Einführung in die mesopotamische Geschichte M. Roaf. 1991. Atlas de la Mésopotamie et du Proche-Orient Ancien. B. Hrouda (Hg.) 1991. Der Alte Orient. H. G. Nissen. 1998. Geschichte Altvorderasiens. S. 20-27: Zur ersten Schrift und »Wörterbüchern« R. K. Englund. 1998. Texts from the Late Uruk Period. H. J. Nissen / P. Damerow / R. K. Englund. 1990. Frühe Schrift und Techniken der Wirtschaftsverwaltung. W. v. Soden. 1974. Sprache, Denken und Begriffsbildung im Alten Orient. P. D. Gesche. 2000. Schulunterricht in Babylonien. A. Cavigneaux. 1980-83. Lexikalische Listen.

S. 32 - 48: Kult und Religion - Personennamen: R. Albertz. 1978. Persönliche Frömmigkeit.

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R. A. di Vito. 1993. Third Millennium Sumerian and Akkadian Personal Names. M. Stol. 1991. Personal Names. J. J. Stamm. 1939. Namengebung. M. P. Streck / S. Weninger (Hg.) 2002. Onomastik. - Tempelkult, Priester, Reinheit: B. Menzel. 1981. Assyrische Tempel. D. Charpin. 1986. Le clergé d’Ur. K. Watanabe (Hg.) 1999. Priests and Officials in the Ancient Near East. K. van der Toorn. 1985. Sin and Sanction. Wilson, E. J. 1994. »Holiness« and »Purity«. - Kultbilder: A. Berlejung. 1998. Die Theologie der Bilder, S. 31 -172 B. Pongratz-Leisten. 1994. Ina Schulmi Irub. I. J. Winter. 1992. Idols of the King. - andere Kultobjekte. G. Selz. 1997. The holy Drum, the Spear, and the Harp, S. 167-213. J. Krecher. 1957-71. Göttersymbole und -attribute. B. Groneberg. 2000. Tiere als Symbole. - Kommunikation mit den Göttern, privates Ritual: A. L. Oppenheim. 19772. Ancient Mesopotamia, S. 172-183. W. v. Soden. 1985. Einführung in die Altorientalistik, S. 165-193. T. Abusch / K. van der Toorn (Hg.). 1999. Mesopotamian Magic. E. Matsushima (Hg.). 1993. Official Cult and Popular Religion. E. A. Braun-Holzinger. 1977. Frühdynastische Beterstatuetten. E. A. Braun-Holzinger. 1991. Mesopotamische Weihgaben. S. M. Maul, Zukunftsbewältigung. 1994, bes. S. 1-12 und 37-107. B. Böck. 2002. Physiognomie und Schicksal? B. Böck. 2003. »When you perform the ritual of rubbing«. D. O. Edzard. 1993. Private Frömmigkeit in Sumer. - Tod der Götter. W. G. Lambert. 1980. The Theology of Death.

S. 49-57: Kosmos und Himmelsgott - Kosmogonien, Kosmologien: W. G. Lambert. 1980-83. Kosmogonie. W. G. Lambert. 1975. The Cosmology of Sumer and Babylon. W. Horowitz. 1998. Mesopotamian Cosmic Geography. J. Bottéro / S. N. Kramer. 1989. Lorsque les dieux. - Lahmu: F. Wiggermann. 1983. Exit Talim! - Anu - Anu-Hymnus: B. Hruska. 1969.

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- Lugalbanda-Mythos: C. Wilcke. 1969. Das Lugalbandaepos. - Adapa-Mythos: S. Izre’el. 2001. Adapa. [Rim-Sin v. Larsa beruft sich in seiner Datenformel für Jahr 29 auf »den getreulichen Rat von An, Enlil und Enki«, B. Kienast. 1978. Kisurra, S. 61, Nr. 67, 14] S. 58-72: Gott des Landes Enlil: - Mythos von der Spitzhacke: G. Farber. 1997. The Song of the Hoe; D. O. Ed­ zard. 2000. Lied von der Hacke. - Enlil und Ninlil-Mythos: H. Behrens. 1978. Enlil und Ninlil. - Enlil und Sud-Mythos: M. Civil. 1984. Enlil and Ninlil; The Marriage of Sud. - Sud als Göttin von Fara: M. Civil. 1984, S. 44. - Schicksalstafel, Schicksalsentscheidung: F. Rochberg-Halton. 1982. - Sündentafel: I. L. Finkel. 1984. The Dream of Kurigalzu. - im Anzu-Mythos: B. Hruska. 1975. Der Mythenadler Anzu. - Anzu-Mythos und Enuma elisch: W. G. Lambert. 1986. - Anzu als Symboltier (Löwenadler): E. A. Braun-Holzinger. 1987-90. Löwen­ adler [stellt die Identifizierung mit Anzu in Frage]. S. 73-108: Götterkarrieren S. 73-85: Ningirsu/Ninurta M. P. Streck. 2001. »Ninurta/Ningirsu«; E-A. Braun-Holzinger. 2001. - in Gudeas Inschriften: D. O. Edzard. 1997. Gudea and his Dynasty. 1997; A. Falkenstein. 1953. Sumerische Hymnen. - der Namensbestandteil Nin: W. Heimpel. 2002. The Lady of Girsu. - Eninnu: A. George. 1993. House Most High, S. 134-897 (mit Übersetzung). - Angimdimma: J. Cooper. 1978. The Return of Ninurta. - Lugale: J. van Dijk. 1983. Lugale; ders. 1987-1990. Lugale; St. Seminara. 2001. Versione Accadica del Lugal-E; W. Heimpel. 1987. The Natural His­ tory of the Tigris; G. Selz. 2001. Nur ein Stein. - Ninurtas Reise nach Eridu: B. Alster. 1972. Ninurta and the Turtle. - in Hymnen: A. Falkenstein / W. v. Soden 1953. Sumerische und akkademische Hymnen und Gebete, Nr. 1 und 2. - der synkretistische Hymnus auf Ninurta: M.-J. Seux. 1976. Hymnes et prieres, S. 130 ff. [In Angimdimma wird zwar eine Ninurta-Theologie proklamiert, während in Lugale eine Lagasch-Theologie zum Tragen kommt. Dadurch erscheint der ältere Text (Angimdimma) als der modernere. In meinem Argument ist die Lagasch-Theologie in Lugale gewollt, um den Symbolgehalt der Ningirsu/Ni­ nurta Erzählungen zu stärken.]

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Göttersymbole (Anzu): B. Groneberg. 2000. Tiere als Symbole. Nippur. W. Sallaberger. 1997. Nippur als religiöses Zentrum.

S. 86 -108: Marduk Marduk: W. Sommerfeld. 1983. Der Aufstieg Marduks; ders. 1987-1990. Marduk; D. Rittig. 1987-1990. - Marduk als Enlil der Götter: (A) im Kodex Hammurabi: M. Roth. 19972. Law Collections, S. 76 (i 11) (B) bei Samsuiluna: D. Frayne. 1990. Old Ba­ bylonian Period, S. 381, Z. 14-15. - seine 50 Namen: J. Bottéro. 1977. Les noms de Marduk, S. 5-28 - im Weltschöpfungsmythos Enuma elisch: W. G. Lambert 1994. Enuma elisch. - im sumerischen Abi-eschuh-Mythos: J. van Dijk. 1966/67. - im altbabylonischen Gebetsbrief. W. Sommerfeld. 1982. Der Aufstieg Marduks, S. 127. - im kassitischen Siegelgebet: J. Limet. 1971. Les légendes, Nr. 4.23 und 9.1. - im Marduk-Hymnus: W. G. Lambert. 1974-76. Three Literary Prayers, S. 55 ff.; W. Sommerfeld. 1982, S. 130. M. J. Seux. 1976. Hymnes et Prières, S. 70 ff. - im Gebet ki-‘‘Marduk-kam, M. J. Seux. 1976, S. 234 ff. - im Akrostichon: M. J. Seux. 1976, S. 115 f. - im synkretistischen Hymnus: M. J. Seux. 1976, S. 127 ff. - im Gehet des Nabopolassar. M. J. Seux. 1976, S. 505. - Ritual mit Marduk in Assur. F. Köcher. 1952, S. 192 ff., B. Menzel. 1981. Assyrische Tempel, S. 78 f. - Raub der Kultstatue des Marduk am Ende der altbabylonischen Zeit: ( 1 ) in der Marduk-Prophetie: R. Borger. 1971. S. 5, Z. 11 und 13 f. K. Hecker. 1986. Die Marduk-Prophetie, S. 65-68. ( 2 ) Raub der Kultstatuen des Marduk gegen Ende des 2. Jahrtausends: - von den Elamern: bei Nebukadnezar L: G. Frame. 1995. Rulers of Babylo­ nia, S. 17-19 (Nr. 5), 19-23 (Nr. 6), S. 28-31 (Nr. 9). - unter Tukulti-Ninurta I. (um 1230): E. Weidner. 1939-41. Marduk und die Kassiten, S. 109 f.; K. Grayson. 1975. Assyrian and Babylonian Chronicles, S. 175, v. 5-6 (Chronik 22 = P). (4) Raub der Statue des Marduk im 1. Jahrtausend - von Sanherib und Zerstörung der Stadt Babylon: A. Brinkman. 1984. Through a Glass, S. 35-42, besonders S. 39. Über den Verbleib der Statue in Assur unter Sanherib und noch unter Asarhaddon wird berichtet in: K. Grayson. 1975. Assyrian and Babylonian Chronicles, S. 127, Z. 31-33 (Chronik 14). - Die Situation am Ende der altbabylonischen Zeit: H. Gasche. 1989. La Babylonie au 17e siècle; R. Pientka. 1998. Die spätaltbabylonische Zeit, S. 257-274.

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- Das Marduk-Ordal: A. Livingstone. 1986. Mystical and Mythological Explanatory Works, S. 208-251; ders. 1989. Court Poetry, S. 82-91. - Neuwidmung eines Bettes des Marduk an Assur. B. Landsberger. 1965. Brief des Bischofs, S. 25 f. - Götterkampf des Assur gegen Ti’amat: B. Pongratz-Leisten. 1994. Ina Schulmi Irub, S. 74-78 [am Akitu-Haus in Assur in Inschriften Sanheribs beschrieben], S. 109-117: Assur Assur W. G. Lambert. 1983. Der Gott Assur, S. 82-86. - zu Privatbriefen aus Mari: J.-M. Durand. 1997-2000. Les Documents épistolaires. - zu Privatbriefen aus Assur. C. Michel. 2001. Correspondance des mar­ chands. - Vergöttlichung von Bergen und Flüssen: M. Stol. 1979. On Trees, Mountains, and Millstones; V. Haas. 1982. Hethitische Berggötter; F. A. M. Wigger­ mann. 1993-97. Mischwesen, S. 236. - Fassungen von Enuma elisch mit Anschar (= Assur) statt Marduk: E. Ebe­ ling. 1915-19. Keilschrifttexte aus Assur Nr. 117 Rs. 3-4 (Tafel I) und Nr. 173, v. 1.10.13. Rs. 19 (Tafel III). - Gebet an Assur von Assurbanipal, A. Falkenstein / W. v. Soden. 1953. Sume­ rische und akkadische Hymnen und Gebete, Nr. 8, S. 254 ff. S. 118-129: Nabu Nabu: F. Pomponio. 1978. Nabu.; ders. 1998. Nabu; U. Seidel. 1998. - in Siegelgebeten: H. Limet. 1971. Les légendes, 2.2; 5.8; 4.21. - in einer Gebetsbeschwörung: W. R. Mayer. 1975. Untersuchungen zur For­ mensprache, S. 400. - in einem Gebet, W. v. Soden. 1971. Der große Hymnus an Nabu. - in der »Heiligen Hochzeit«, F. Pomponio. 1978. »Nabu, S. 132 ff. (Quellen). - allgemein zur »Heiligen Hochzeit«: E. Matsushima. 1988. Les rituels du ma­ riage divin. S. 130-149: Enki Enki: H. Galten 1983. Der Gott Ea/Enki. - im Atramhasis-Mythos: Lambert, W. G. / A. R. Millard. 1969. Atra-hasis. - im Aguschaya-Hymnus: B. Groneberg. 1997. Lob der Ischtar, S. 55-72. - im Enki-Ninmah-Mythos: C. A. Benito. 1969. »Enki and Ninmah«; W. W. Hallo (Hg.). 1997. The Context of Scripture, S. 516-518. - im Enki und Ninhursaga-Mythos: P. Attinger. 1984. Enki et Ninhursaga. - im Enki und Inanna-Mythos: G. Färber-Flügge. 1973. Der Mythos »Inanna und Enki«; dies. 1987-1990. Me.

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- im Mythos Inannas-Unterweltsgang: W. Sladek. 1974. Inanna’s Descent; R. Borger. 19792. Babylonisch-assyrische Lesestücke, S. 95-104. - Apsu als Name für die Unterwelt und das Wasser der Flüsse und Marschen: W. Horowitz. 1998. Cosmic Geography, S. 334-347. - zu Apsu und Nammu: H. Galten 1983. Der Gott Enki, S. 83-84; E A. M. Wiggerman. 1998. Nammu, besonders S. 139 f. Zum Botengott Isimu/Usmu: A. Nunn. 1992. Die Mehrgesichtigkeit. Zum Botengott: F. A. M. Wiggermann. 1987. The Staff of Ninschubura. S. 150 -189: Die Venusgöttin und ihre Schwestern Inanna/Ischtar. C. Wilcke. 1976-80. Inanna/Ischtar; U. Seidl. 1976-80; E Bruschweiler. 1987. Inanna. La Déesse triumphante. - ihr Symbol Schilfringbündel oder Turban: K. Szarzynska. 2000. Cult of the Goddess (Schilfbündel); P. Steinkeller. 1998. Inanna's archaic Symbol (Turban). Nanaya: J. G. Westenholz. 1997. Nanaya. [mit Trennung von Inanna und Nanaya!]. - zur Deutung der vielen Namen der Göttin: G. Selz. 2000. Five Divine Ladies. - zum Problem der Symbiose zweier genetisch verschiedener Gottheiten und des männlich-weiblichen Aspekts: W. Heimpel. 1987. A Catalog; B. Groneberg. 1986. Die sumerisch-akkadische Inanna/Ischtar; R. Harris. 1991. InannaIshtar as Paradox. - Ischtar-Manifestationen in Mari: I. J. Gelb / B. Kienast. 1990. Die altakkadischen Königsinschriften, S. 5 (dInanna.nita), S. 6 (dInannaxza.za), S. 7 (dInanna-ßarbat), S. 11 (desch4-tär-ra-at). - Ischtar mit dem Bart: A. Livingstone. 1989. Court Poetry, S. 18-20 (im Assurbanipal-Hymnus K 1286);- für einen Zusammenhang dieses Phäno­ mens mit ihren beiden astralen Erscheinungen als Morgen- und Abend­ stern: E. Reiner. 1995. Astral Magic, S. 6. - im Antithesen-Hymnus (Inninschagurra): A. Sjöberg. 1975. in-nin-scha,. gur-ra. - im Hymnus mit transvestitischem Ritual » Ischtar-Louvre«: B. Groneberg. 1997. Lob der Ischtar, S. 1-54. S. 165-173: Gula: R. Frankena. 1957-71. Gula; B. Hrouda. 1957-71. S. 697; Th. Richter. 1999. Untersuchungen zu den lokalen Panthea, S. 154-203 [diverse Heilgöttinnen]: B. Groneberg. 2000. Tiere als Symbole, S. 297-320. - zu Arzt und Beschwörungsfachmann: I. Finkel. 2000. On Late Babylonian Medical Training, S. 137-223 [für die Trennung der Aufgaben beider]: M. J. Geller. 2001/2. West meets East, S. 50-75 {gegen eine Trennung von Medi­ zin und Beschwörung],

261

- Hundebeschwörungen: R. Whiting. 1985. An Old Babylonian Incantation; O. R. Gurney. 1989. Literary Texts, No. 4; I. L. Finkel. 1999. On Some Dog; J. S. Cooper. 1996. Magic. - zum synkretistischen Gula-Ischtar-Hymnus: E. Reiner. 1974. A Sumero-Akkadian Hymn of Nana. - zu Enheduanna: A. Zgoll. 1997. Der Rechtsfall der En-hedu-Ana, S. 42 mit Anm. 135. - ihre Inschriften: D. R. Frayne. 1993. Sargonic and Gutian Periods, S. 37-39. - im Ninmescharra-Hymnus: A. Zgoll. 1997. Der Rechtsfall der En-heduAna. - im Ritual der »Heiligen. Hochzeit«: E. Matsushima. 1988. Les Rituels du Mariage Divin; W. Ph. Römer. 1989. Ein Lied, S. 659-673. - im Mythos Inannas Unterweltsgang: W. Sladek. 1974. Inannas Descent. R. Borger 19942- Babylonisch-assyrische Lesestücke, S. 95-104. - im Hymnus Inanna und Enki: G. Färber-Flügge. 1973. Der Mythos »Inanna und Enki«. - im Mythos Inanna und Schukaletuda: K. Volk. 1995. Inanna und Schukaletuda. - zum Motiv ihrer Liebhaber im Gilgamesch-Epos: T. Abusch. 1986. Ischtar s Proposal. - im Mythos Inanna und Ebih: P. Attinger. 1998. Inana et Ebih. S. 190-199: Unterwelt und ihre Götter Tod und Unterwelt: B. Alster (Hg.). 1980. Death in Mesopotamia [verschiede­ ne Artikel]-, B. Groneberg. 1990. Unterweltsvorstellungen; M. J. Geller. 2000. The Landscape of the »Netherworld«; D. Katz. 2003. The Image of the Netherworld. - zu den Begräbnissitten: 2000. Verschiedene Artikel in Altorientalische For­ schungen. Band 27; 1. Winter. 1999. Reading Ritual. - zum Unterweltsfluss: W. Horowitz. 1998. Mesopotamian Cosmic Geogra­ phy, S. 353-356; T. Frymer-Kensky. 1977. The Judicial Ordeal. zu den Dämoninnen: - Lamaschtu: W. Farber. 1980-83. Lamaschtu. - Ardatlili: W. Farber. 1980-83. Lilu, Lilitu, Ardat-Iili. E. Porada. 1980-83. S. 199-208: Nergal, Erra und andere: E. v. Weiher. 1971. Der babylonische Gott Nergal; F. A. M. Wiggerman. 1999. Nergal. [auch Lugalirra, Meslamtaea und anderen Namen von Unterweltsgöttern]; W. G. Lambert. 1987 bis 90. Lugal-irra und Meslamta-ea. Erra und Raschap: J. J. M. Roberts. 1971-72. Erra. - zum Hymnus Naram-Sin und Erra, J. G. Westenholz. 1997. Legends of the Kings of Akkade, S. 189-201; W. G. Lambert. 1973. Studies in Nergal.

262

- zum Erra-Ischum-Marduk-Mythos: L. Cagni. 1969. L’Epopea. [Kolophone s. S. 130-132], ders., 1970. Das Erra-Epos. Keilschrifttext; St. Dailey. 20 002. Myths, S. 285-312. zu den Zitaten aus den Inschriften Sanheribs/Merodachbaladans: J. A. Brinkman. 1984. Prelude, S. 49.

S. 209- 223: Astrale Gottheiten Sonne und Mond Zeit und Zeitbestimmung: H. Hunger. 1976-80. Kalender; ders. 1993-97. Mond (Astronomisch) D. Collon. 1993-97. Mond. S. 356-358. Scherda/Aja, die Gattin des Sonnengottes: M. Powell. 1989. Aia = Eos. Sonnengott Utu/Schamasch: W. Heimpel. 1986. The Sun at Night. - Reinigungsrituale vor Schamasch: T. Abusch. 1990. An Early Form of the Witchcraft Ritual; S. Maul. 1994. Zukunftsbewältigung, S. 60-71 [Der Rechtsstreit vor Schamasch]. - in Gebetsbeschwörungen: W. Mayer. 1976. Handerhebung [verzeichnet etwa 105 verschiedene Texte], Orakelanfragen an Schamasch: I. Starr. 1990. Queries to the Sungod. - im Gilgamesch-Epos, 9. Tafel: A. R. George. 2OOO2. The Epic of Gilgamesch, S. 71-75. - der Ort des Sonnenaufgangs: J. Polonsky. 2000. ki-dutu-ö-a. - im Ritual des »Handwerkshauses«: M. J. Seux. 1976. Hymnes et prieres, S. 232. - in den Puschkin-Elegies: S. N. Kramer. 1960. Two Elegies. - im Lugalbanda-Epos: C. Wilcke. 1969. Das Lugalbandaepos; H. L. J. Vanstiphout. 2002. Sanctus Lugalbanda. - im Etana-Mythos: M. Haul. 2000. Das Etana-Epos. - im sumerischen Epos von Gilgamesch und Huwawa: A. R. George. 20002. The Epic of Gilgamesch, S. 149-161, bes. S. 161-166; zur akkadischen Ver­ sion ibid. S. 107-115 und S. 119-121. - im Mythos Inannas Unterweltsgang: W. Sladek. 1974. Inannas Descent. - im großen Schamasch-Hymnus: W. G. Lambert. 1960. Babylonian Wisdom, S. 121-138; E. Reiner. 1985. Your Thwarts in Pieces. S. 223 - 231: Mondgott Nanna/Sin: M. Krebernik. 1993-97. Mondgott.; D. Collon. 1993-97, dies. 1997. Moon. Boats and Battle; G. Colbow. 1997, S. 19-31. - zur Abraham-Tradition (Ur, Harran) B. Groneberg. 2003. Abraham. - zur Mondfinsternis, H. Hunger. 1993-97. Mondfinsternis. - in Hymnen: A. Sjöberg. 1960. Der Mondgott Nanna-Suen. - im fragmentarischen Mythos Sin und Ningal: W. H. Ph. Römer. 1966. Ein Lied.

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- im Mythos Yrh und Nkl: A. Caquot, [u. a.\ 1974. Textes Ougaritiques, S. 383-397. - Geburtsrituale (babylonisch) M. Stol. 2000. Birth in Babylonia and the Bible, bes. S. 64-70. - Geburtsrituale (hethitisch): G. M. Beckman. 19832. Hittite Birth Rituals. - Omina zur Deutung von Missgeburten (schumma izbu): E. Leichty. 1970. Schumma Izbu. - im Mythos Mondgott und die Kuh: N. Veldhuis. 1991. A Cow of Sin. - zum Ritual gegen kranke Babys unter Beteiligung des Mondgottes: W. Farber. 1989. Schlaf, S. 117-121. - Horoskope: F. Rochberg. 1998. Babylonian Horoscopes. - im Mythos Nannas Reise nach Nippur: A. J. Ferrara. 1973. Nanna-Suen’s Journey. - zum Ersatzkönig: S. Parpola. 1983. Letters from Assyrian Scholars, S. XXII XXXII [ The Substitute King Ritual], S. 232-239: Der Wettergott Ischkur/Adad/Mer: D. Schwemer. 2001. Die Wettergottgestalten Mesopota­ miens. - in den Erschemma-Liedern: M. Cohen. 1981. Sumerian Hymnology. - im kummu-Lied: W. H. Ph. Römer. 1967. Ein kummu-Lied. S. 240-255: Göttervielfalt und Götterordnungen - zur büßenden Rolle des Königs im Ritual: W. Farber. 1987. Rituale und Be­ schwörungen 1, S. 222, Z. 203 ff. - in den altsumerischen Königsinschriften: H. Steible. 1982. Die altsumeri­ schen Bau- und Weihinschriften. - in den Gesetzestexten Hammurabis: M. Roth. 19972. Law Collections, S. 71142. - zu Göttern der Städte Larsa und Nippur. Th. Richter. 1999. Untersuchungen zu den lokalen Panthea, S. 22-150 und S. 287-354. - zu den Götterlisten: W. G. Lambert. 1957-71. Götterlisten. - zu verschiedenen Götterklassen, Götterordnungen: J. v. Dijk. 1957-71. Gott, S. 535-538 und S. 538-540 und passim: R. Litke. 1958. Assyro-Babylonian God-Lists. - zu alten Götterlisten des 3. Jahrtausends: P. Mander. 1986. II Pantheon di Abu-Salabikh; M. Krebernik. 1986. Die Götterlisten aus Fara. Analyse der alten Götterlisten: G. Selz. 1997. - »Jünglingsgott« geht auf eine mündliche Mitteilung von G. Selz (Universi­ tät Wien) zurück. - zu pro und contra der Entwicklung zum Monotheismus: B. N. Porter. 2000. One God or Many?

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Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1) Karte des Vorderen Orients Abb. 2) Zeitleiste Abb. 3) »Zwei Schreiber am Hofe« Zwei Schreiber von einem Relief aus dem Südwestpalast von Niniveh (etwa Mitte des 7. Jahrhunderts). Einer von ihnen hält Griffel und (Ton-?)Tafel, um den Text in assyrischer Keilschrift niederzuschrei­ ben, der andere Papyros und Feder, um in aramäischer Buchstaben­ schrift zu notieren. Umzeichnung nach einem Foto aus P. Matthiae. 1999. S. 98 f. S. 20 f.: Abb. 4 a) Tokens / Zählsteine Vorläufer der Schrift am Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. Zählsteine und Tokens aus gebranntem Ton, gefunden in Uruk (Warka). Origi­ nalgröße etwa 1-3 cm. Entnommen dem Ausstellungskatalog. 1992. Das Vorderasiatische Museum Berlin, S. 56, Abb. 9 (VA 13343, VA 13682, VA 14837, VA 14838, VA 14839). Abb. 4 b) Token und Eindruck Bildschrifttafel mit den Eindrücken von Zählsteinen und einem pas­ senden Token aus Uruk (Warka). Gebrannter Ton, etwa um 3000 v. Chr. Entnommen dem Ausstellungskatalog. 1992. Das Vorderasiati­ sche Museum Berlin, S. 57, Abb. 10 (VA 13622). S. 23: Abb. 5) Keilschriftzeichen und ihre Bedeutung S.31: Abb. 6) Götter und ihre Schreibweise S. 44: Abb. 7) Beterstatuetten Standbilder von Privatpersonen oder vom König, die im Tempel­ bereich aufgestellt wurden und den Beter in ständiger Präsenz vor der Gottheit zeigen sollte. Umzeichnungen nach Fotos in E. A. BraunHolzinger, Frühdynastische Beterstatuetten. Fotos aus E. A. BraunHolzinger (1977) Tafeln 4 a) und b) und 6 a) und b) S. 45: Abb. 8 a-c) Tempelgrundriss des Sin-Schamasch-Tempels in Assur a) Fundament des altassyrischen Zustandes. b) Fundament zur Zeit Tukulti-Ninurta I. c) Rekonstruktion des Grundrisses der mittelassyrischen Zeit. Da im Fundament Eingänge nicht zu erkennen sind, ist die Raumver­ bindung nicht eindeutig. Die beiden Tempel des Gebäudes liegen sich mit einem symmetrischen Grundriss gegenüber. Die Cellae (8 und 17) werden von je sechs Nebenräumen (10-15 und 19-23) umschlossen, vorgelagert sind den Cellae je zwei Vorräume (7, 9 und 18, 16), an welche sich seitliche Treppenhäuser anschließen (5 und 6), die einen einzelnen Breitraum einschließen (4). Der Eingangsbereich des TemS. 15: S. 16: S. 19:

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pels besteht aus drei Räumen (1-3), die Mitte bildet ein großer Hof, von welchem die Vorräume zu den Cellae zu erreichen sind. Außer zu den Cellae und Vorcellae sind kaum Aussagen zur Funktion der Räu­ me möglich. Umzeichnungen nach E. Heinrich. 1982. Abb. 290, 292 und 323 und A. Haller. 1955. Abb. 14 und 17. S. 48: Abb. 9 a) Symbolsockel des Tukulti-Ninurta I. Dieser Sockel zeigt den König bei zwei zeitlich wohl aufeinander fol­ genden rituellen Gesten: Zunächst steht er im Gestus der Anbetung, dann kniet er betend vor dem Standbild des Gottes Nabu, der durch sein Symbol, den Griffel, repräsentiert wird. Da das Anbetungsobjekt mit dem Symbolsockel übereinstimmt, dürfte es sich um einen Altar handeln, auf dem ein Symbol des Gottes Nabu gestanden hat. Umzeichnung nach einem Foto in E. Strommenger. 1962. Abb. 188 a. Abb. 9 b) Relief mit Ischtar und »Gottkönig als Krieger« Anubanini, König der Lullubäer, steht mit seinen Waffen, der Doppel­ axt und Pfeil und Bogen auf einem am Boden liegenden besiegten Feind, der, wie üblich, nackt ist. Die Göttin Ischtar führt ihm weitere Gefangene am Nasenriemen zu und überreicht ihm gleichzeitig die Herrscherinsignien. Im unteren Register werden ebenfalls besiegte und gebundene Feinde mit ihrem Führer, einem Mann mit Federkro­ ne, herangeführt. Umzeichnung nach einer Abbildung in J. Börker- Klähn. 1982. Abb. 31. S.68: Abb. 10) Statue Gudeas mit Bauplan Statue aus hartem Diorit von Gudea, dem Herrscher des Stadtstaates von Lagasch (gegen 2120) mit einem Tempelgrundriss auf den Knien. Entnommen B. Hrouda. 1991. S. 258. S. 75: Abb. 11 a) Löwendämon (Anzu-Vogel) Dieser Dämonenvogel, ein Adler mit einem Löwenkopf, stammt von einem Amulett aus der Stadt Mari in Nordsyrien. Umzeichnung nach einem Foto aus W. Orthmann. 1975. Abb. 122 a. Abb. 11 b) Löwendämon (Anzu-Vogel) Teile eines Tempelreliefs aus Teil el-Obed. Zwei Hirsche flankieren dort den Anzu-Vogel. Umzeichnung nach einem Foto aus W. Orth­ mann. 1975. Abb. 97. S. 79 f.: Abb. 12 a) Fragment der Geierstele mit Darstellung des Anzu-Vogels Der Anzu-Vogel in der Hand des Ningirsu verschließt das mit besieg­ ten Feinden gefüllte Netz. Umzeichnung nach einem Foto aus W. Orthmann. 1975. Abb. 90 und J. Börker-Klähn. 1982. Fig. 17 b. S.80: Abb. 12 b) Fragment der Geierstele aus Girsu (Tello) Foto: Fragment der Geierstele. B. Hrouda. 1991. S. 75.

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Abb. 13) Rollsiegel: »Kampf Ninurtasgegen den Anzu-Vogel« Umzeichnung nach A. Moortgat. 1966. Taf. 71 (VR 595 / VA 5180). Die Deutung der Siegelszene ist nicht ganz sicher. Siehe auch U. Seidl. 1998. S. 100-113. S. 96: Abb. 14) Kudurru der Kassitenzeit In sechs Register eingeteilter Kudurru aus der Zeit von Nebukadnezar I. 1. Register: Stern (Ischtar), Mondsichel (Sin) und Sonnenscheibe (Schamasch) 2. Register: Drei Symbolsockel mit Hörnerkronen (Enlil, Anu, Ea?) 3. Register: Symbolsockel mit Spaten und vorgelagertem Schlangen­ drachen (Marduk), Symbolsockel mit Griffel und vorgelagertem Zie­ genfisch (Nabu) und Symbolsockel (wahrscheinlich mit dem Band einer frühen Muttergöttin) 4. Register: mehrere Symbole. Sichelförmiges Gerät mit Vogelkopf­ schacht (Zababa), Doppel-Löwenkeule (Nergal/Ninurta), Adlerstab (Schumalia oder Schuqamuna) und Pferdebüste auf einem Sockel in­ nerhalb eines Bauwerks (Ereschkigal/Schumalia) 5. Register: Gula mit ihrem Symboltier, dem Hund und der Skorpi­ onmensch auf der Jagd 6. Register: Himmelsstier mit Blitzbündel auf dem Rücken (Adad), Schildkröte (Ea), Skorpion (Ischara) und Lampe auf einem Stab (Nusku) Über alle Register gehend am linken Rand: eine Schlange (häufig Symboltier der Gottheit Sataran). Umzeichnung nach einem Foto aus L. W. King. 1912. No. VI, Plate XCI und XC; siehe U. Seidl. 1989. Tafel 23 a). S. 117: Abb. 15) Geflügelte Sonnenscheibe Inmitten der geflügelten Sonnenscheibe wird wohl der oberste Lan­ desgott dargestellt. Unklar ist, ob die Strahlen hinter dem Rücken dieses Gottes (Assur?) seinen göttlichen Glanz symbolisierten oder ob hier der Sonnengott Schamasch dargestellt sein soll. Umzeichnung nach einem Foto aus R. D. Barnett. 1975. Abb. 39. S. 121: Abb. 16) Kudurru mit Symbolen des Nabu (Griffel und Schlangen­ drache) Kudurru aus der Zeit des Nabu-mukin-apli (etwa um 1000). 1. Register: Mondsichel (Sin), Sonnenscheibe (Schamasch) und Stern (Ischtar) 2. Register: Vier Symbolsockel mit zwei Hörnerkronen (Enlil; Anu), einer Schildkröte (Ea) und dem Band einer Muttergottheit (?) 3. Register: Symbolsockel mit Spaten und vorgelagertem Schlangen­ drachen (Marduk) und Symbolsockel mit Griffel und vorgelagertem Ziegenfisch (Nabu) S. 86:

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Umzeichnung nach einem Foto aus L. W. King. 1912. No. VI. Abb. 17) Nabu (auf seinem Schlangendrachen) Teil einer Bronzetafel, die wohl als Amulett getragen wurde. Er trägt einen Griffel und steht auf dem Schlangendrachen Muschhuschu. Umzeichnung nach einer Abbildung in H. W. E Saggs. 1962. PI. 56 B. Vgl. U. Seidl, Nabu B In: RIA Bd. 9, 27, Abb. 19. S. 148: Abb. 18 a) Siegel: Usmu Umzeichnung als Teil von Abb. 18 b) S. 149: Abb. 18 b) Siegelabrollung: Usmu und sein Herr Umzeichnung eines akkadezeitlichen Siegels (um 2300) nach Foto bei D.Collon. 1987. Abb. 761 (BM 89115). S. 150 f.: Abb. 19 a) Schilfhütten Schilfhütte aus dem Süden des Irak mit Charakter der Hütten auf den Rollsiegeln der Uruk-Zeit. Siehe M. Roaf. 1991. S. 51. S. 151: Abb. 19 b) Rollsiegel: Schilf-ZRohrgeflechthütten Abrollung eines archaischen Siegels mit urukzeitlichen Strohhütten; Fundort: Türkei. Umzeichnung nach einem Foto aus D. Collon. 1987. Abb. 11. S. 152: Abb. 20) Schilfringbündel Symbol der Göttin Ischtar/Inanna; nach einer Abbildung in P. Stein­ keller, Inannas Archaic Symbol, in: AGADE (1998), Fig. 4 und 5. S. 165 f.: Abb. 21 a) Siegel: Gula auf ihrem Symboltier Extrahiert aus einem neuassyrischen Siegel mit Inschrift, die es in das Jahr 786 datiert. Gula sitzt auf einem Stuhl, welcher sich auf dem Rücken ihres Sym­ boltieres, dem Hund, befindet. Umzeichnung nach einem Foto aus H. Göhde. 1998. S. 359. Siehe auch D. Collon. 1987. S. 129, Nr. 554. und B. Buchanan. 1966. S. 114, Tafel 41, Nr. 632. S. 166: Abb. 21 b) Siegelabrollung: Gula mit Symboltier und Adorantin Neuassyrisches Siegel mit der Heilgöttin Gula, welche ein medizini­ sches Instrument (Skalpell?) in der Hand hält. Vor ihr hockt ihr Symboltier, der Hund. Ein Adorant befindet sich in Ehrfurchtshal­ tung vor dieser Göttin, welche von neun Sternen umgeben ist. Umzeichnung nach einem Foto aus H. Göhde. 1998. S. 373. S. 195: Abb. 22) Gefolgschaftsbestattung in Ur Rekonstruktionsszene der Gefolgschaftsbestattung in den könig­ lichen Gräbern von Ur. Zeitungsausschnitt aus der Illustrated London News vom 23. Juni 1928.

S. 126:

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Siehe auch R. L. Zettler und L Horne. 1998. S. 38, Fig. 35. S. 217: Abb. 23) Siegel: Schamasch Der Sonnengott Schamasch mit seiner Säge beim Morgenaufgang im Osten, im Gebirge. Akkadzeitliches Siegel nach einem Foto in D. Collon. 1987. Abb. 103. S. 220: Abb. 24) »Huwawa« Umzeichnung nach einem Foto der Terrakotta bei F. Thureau-Dangin. 1925. S. 24. S. 224: Abb. 25) Mondgott Der Mondgott mit seinen Attributen, der Mondsichel und der sichel­ förmigen Axt, steht zwischen zwei Bergen und begrüßt eine thronen­ de Gottheit. Im Hintergrund befindet sich eine Standarte mit Tier­ füßen. Altakkadisches Rollsiegel aus Nippur (um 2250) Umzeichnung nach McG. Gibson undA. McMahon 1995, Fig. 13.1. S. 239: Abb. 26) Stele des Wettergottes (Adad mit Attributen) Auf dieser Stele aus Syrien ist der Wettergott Adad mit den Blitzbün­ deln in der Hand auf seinem Symboltier, dem Himmelsstier, stehend abgebildet. Umzeichnung nach einem Foto aus W. Orthmann. 1975. Abb. 217. S. 243: Abb. 27) Gesetzesstele des Hammurabi Über dem Keilschrifttext, der die etwa 300 Gesetzesvorschriften fest­ hält, wird im Bildteil dieser Stele König Hammurabi stehend und in Ehrfurchtshaltung abgebildet, während der vor dem sitzende Gott Schamasch ihm die Herrschaftsinsignien übergibt. Umzeichnung nach einem Foto aus W. Orthmann. 1975. Abb. 181.

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