Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge: Band 8 Weisheitstexte, Mythen und Epen
 9783641219949

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Abkürzungen
I. Texte aus Mesopotamien
Sumerische Mythen und Epen
Der akkadische Bazi-Mythos und seine Performanz im Ritual
Akkadische Epen
II. Texte der Hethiter
Mythologische Texte in hethitischer Sprache
III. Texte aus Syrien
Mythen und Epen aus Ugarit
IV. Texte aus Ägypten
Ägyptische literarische Texte
Neuägyptische Texte
V. Texte aus Iran
Mittelpersische Inschriften
VI. Texte aus Transjordanien und Idumäa
1. Die aramäischen Wandinschriften von Tell Deir ʽAlla
2. Zwei Weisheitstexte aus Marissa/Maresha
VII. Griechische Texte aus Ägypten
Zeittafeln
Karten

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Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Neue Folge

Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Neue Folge

Begründet von Otto Kaiser Herausgegeben von Bernd Janowski und Daniel Schwemer in Verbindung mit Karl Hecker, Andrea Jördens, Jörg Klinger, Heidemarie Koch, Ingo Kottsieper, Matthias Müller, Norbert Nebes, Hans Neumann und Herbert Niehr Redaktion: Annette Krüger, Tübingen

Gütersloher Verlagshaus

Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Neue Folge Band 8

Weisheitstexte, Mythen und Epen Pascal Attinger, Anna Bauer, Erhard Blum, Andreas Dorn, Susanne Görke, Roman Grundacker, Karl Hecker, Andrea Jördens, Heidemarie Koch, Ingo Kottsieper, Vincent Pierre-Michel Laisney, Jürgen Lorenz, Catherine Mittermayer, Matthias Müller, Hans Neumann, Herbert Niehr, Elisabeth Rieken, Henrike Simon, Martin Andreas Stadler, Günter Vittmann, Annette Zgoll

Gütersloher Verlagshaus

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

I.

II.

Texte aus Mesopotamien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Sumerische Mythen und Epen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Neumann 1. Enmerkara und der Herr von Arata . . . . . . . . . . . . . . . . . Catherine Mittermayer 2. Bilgamesˇ, Enkidu und die Unterwelt . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Attinger 3. Innana und Ebih . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ˘ Pascal Attinger 4. Innana holt das erste Himmelshaus auf die Erde . . . . . . . . . . Annette Zgoll 5. Nin-me-sˇara – Mythen als argumentative Waffen in einem rituellen Lied der Hohepriesterin En-hedu-Ana . . . . . . . . . . . . . . . ˘ Annette Zgoll

1 3 24 37 45

55

Der akkadische Bazi-Mythos und seine Performanz im Ritual . . . . . . Annette Zgoll

68

Akkadische Epen . . . . . . Karl Hecker 1. Das Tukultı¯-Ninurta-Epos 2. Enu¯ma elisˇ . . . . . . . . 3. Atra-hası¯s . . . . . . . . ˘

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74

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75 88 132

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145

Texte der Hethiter

Mythologische Texte in hethitischer Sprache . . . . . . . . . . . . . Anna Bauer, Susanne Görke, Jürgen Lorenz und Elisabeth Rieken 1. Einheimische anatolische Mythen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Der Drachenkampf oder »Illuyanka« (CTH 321) . . . . . . 1.2 Telipinu und die Tochter des Meeres (CTH 322.1) . . . . . . 1.3 Vom Verschwinden und der Wiederkehr der Sonnengottheit (CTH 323.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Erste Version des Telipinu-Mythos (CTH 324.1) . . . . . . . 2. Der »Kumarbi-Zyklus« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 »Das Lied vom Ursprung« (CTH 344) . . . . . . . . . . . . 2.2 Mythos vom Königtum des Gottes LAMMA – Erste Version (CTH 343.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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145

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146 146 149

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150 155 160 162

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166

V

Inhalt

3. Verschiedene Mythen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Elkunirsˇa und Asˇertu (Erste Version, Text 1) (CTH 342.1.1) . 3.2 Das Märchen von Appu und seinen Söhnen – Erste Tafel (CTH 360.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Das Märchen von dem Sonnengott, der Kuh und dem Fischer (CTH 363.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III.

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168 168

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170

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173

Texte aus Syrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Herbert Niehr Mythen und Epen aus Ugarit . . . . . . . . . . . 1. Der Ba2al-Zyklus (KTU 1.1-6 + 1.8) . . . . . . 1.1 Erste Tafel (KTU 1.1) . . . . . . . . . . 1.2 Zweite Tafel (KTU 1.2) . . . . . . . . . . 1.3 Dritte Tafel (KTU 1.3) . . . . . . . . . . 1.4 Vierte Tafel (KTU 1.4) . . . . . . . . . . 1.5 Fünfte Tafel (KTU 1.5) . . . . . . . . . . 1.6 Sechste Tafel (KTU 1.6) . . . . . . . . . 2. Das Epos über König Kirta (KTU 1.14-1.16) . 2.1 Erste Tafel (KTU 1.14) . . . . . . . . . . 2.2 Zweite Tafel (KTU 1.15) . . . . . . . . . 2.3 Dritte Tafel (KTU 1.16) . . . . . . . . . 3. Das Epos über König Aqhatu (KTU 1.17-1.19) 3.1 Erste Tafel (KTU 1.17) . . . . . . . . . . 3.2 Zweite Tafel (KTU 1.18) . . . . . . . . . 3.3 Dritte Tafel (KTU 1.19) . . . . . . . . . 4. Die rapi3u¯ma-Texte (KTU 1.20-22) . . . . . . 4.1 VS Col I = KTU 1.22 VS I . . . . . . . . 4.2 VS Col II = KTU 1.22 VS II . . . . . . . 4.3 VS Col V = KTU 1.20 VS II + 1.21 RS . . 4.4 RS Col VI = KTU 1.20 VS I + 1.22 RS . .

IV.

VI

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177 183 190 195 202 212 224 229 237 241 251 257 267 270 282 286 296 298 299 300 301

Texte aus Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Ägyptische literarische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Müller

303

Neuägyptische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Erzählung vom verwunschenen Prinzen . . . . . . . Henrike Simon 2. Die Lehre Amunnachts . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Dorn 3. The Prohibitions – Ein Kompendium negativer Lehrsätze Roman Grundacker 4. Die Lehre des Amenemope . . . . . . . . . . . . . . . Vincent Pierre-Michael Laisney

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305 305

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312

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315

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328

Inhalt

Demotische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Günter Vittmann 1. Die Petition des Peteese – Papyrus Rylands 9 . . . . . . . . Günter Vittmann 2. Zwei Erzählungen über den Prinzen Setne . . . . . . . . . . Günter Vittmann 2.1 Die erste Setne-Erzählung . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die zweite Setne-Erzählung . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Kampf um die Pfründe des Amun (Papyrus Spiegelberg) Martin Andreas Stadler 4. Amasis und der Schiffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Günter Vittmann 5. Die Schwalbe und das Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . Günter Vittmann 6. Die Verurteilung des Djedher . . . . . . . . . . . . . . . . Günter Vittmann

V.

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348

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351

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386

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387 400 418

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438

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440

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441

Texte aus Iran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Heidemarie Koch

VI.

Mittelpersische Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

445

Die Inschriften des Ober-Magiers Karde¯r (KNRm, KKZ, KNRb, KSM) .

445

Die Reise ins Jenseits (KSM und KNRm) . . . . . . . . . . . . . . . .

452

Texte aus Transjordanien und Idumäa . . . . . . . . . . . . . . . . 459 1. Die aramäischen Wandinschriften von Tell Deir 2Alla . . . . . . . . Erhard Blum 1.1 Kombination A: Eine weisheitlich adaptierte Prophetenerzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Kombination B: Ein weisheitlicher Dialog über Vergänglichkeit und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwei Weisheitstexte aus Marissa/Maresha . . . . . . . . . . . . . . Ingo Kottsieper

459

461 469 475

VII. Griechische Texte aus Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Andrea Jördens 1. Fragment eines kosmogonischen Textes . . . . . . . . . . . . . 2. Die griechische Fassung des Mythos vom Sonnenauge . . . . . 3. Der sog. Traum des Nektanebos oder Die Prophezeiung des Petesis 4. Die Erzählung vom Propheten Tinuphis . . . . . . . . . . . . . 5. Neue Mythen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Wasser für Pharos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Austausch der Morai . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

480 481 490 493 495 495 496

VII

Inhalt

6. Sibyllinische Orakel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Parallelüberlieferung zu Buch 3 . . . . . . . . . . . . 6.2 Das Florentiner Fragment zu Buch 5 . . . . . . . . . 7. Reflexionen über das rechte Verhalten . . . . . . . . . . . . 7.1 Leitfaden für soziale Aufsteiger . . . . . . . . . . . . 7.2 Zum Umgang mit unterschiedlichen Charakteren im Freundeskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Allgemeine Lebensregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Weisungen des Amenotes . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Weisungen des Sansnos aus dem nubischen Talmis . . 8.3 Sprüche der Sieben Weisen . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Ostraka aus Narmuthis . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die sog. Menandersentenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Alphabetische Zusammenstellung von Alpha bis Ny . . 9.2 Alphabetische Zusammenstellung von Alpha bis My . 9.3 Alphabetische Zusammenstellung von Omega bis Alpha 9.4 Zehn Sentenzen mit Beginn auf Omega . . . . . . . . 9.5 Sechsundzwanzig Sentenzen mit Beginn auf Alpha . .

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498 499 501 503 504

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505 505 506 507 508 509 510 511 512 514 516 517

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Zeittafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519

VIII

Vorwort Weisheitstexte, Mythen und Epen – mit dem achten Band biegen die Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge gleichsam auf die Zielgerade ein. Das gilt nicht nur in formaler, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht. Denn mit den Begriffen »Weisheit«, »Mythos« und »Epos« sind Bereiche angesprochen, die für das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu den Göttern und zur Welt konstitutiv sind und die seit jeher auch das Bild von der Antike in der interessierten Öffentlichkeit prägen. Nehmen wir das Stichwort »Mythos«. Seine Definitionen sind zwar nicht Legion, aber doch sehr zahlreich und uneinheitlich, weil mit dem Begriff »Mythos« eine religionswissenschaftliche Kategorie, eine literarische Gattung oder auch ein polemischer Begriff gemeint sein kann. In ihrem Übersichtsartikel unterscheiden A. und J. Assmann (Art. Mythos, Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 4, 179-200) sieben Mythos-Begriffe: einen polemischen (Mythos als Unwahrheit), einen historisch-kritischen (zeitbedingte Einkleidung einer zeitlosen Wahrheit), einen funktionalistischen (legitimierende oder weltmodellierende Erzählung), einen alltäglichen (mentalitätsspezifische Leitbilder wie der »Amerikanische Traum«), einen narrativen (Gründungserzählung mit Anfang, Mitte und Ende), einen literarischen (Bedeutung europäischer Mythentradition für die abendländische Kultur) und einen ideologischen Mythos-Begriff (Hegels ›Weltgeist‹ oder Nietzsches ›Ewige Wiederkehr‹). Im vorliegenden Band stehen der funktionalistische, der narrative und der literarische Begriff von Mythos bzw. Mythen im Vordergrund, worunter Erzählungen verstanden werden, die »im Dienste einer vorwissenschaftlichen Erklärung und Beschreibung der Lebenswelt stehen und sich meist vor der Folie eines kosmischen oder übernatürlichen Bezugsrahmens abspielen« (A. Simonis, Art. Mythos, in: A. Nünning [Hg.], Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart / Weimar 2008, 525). Der vorliegende Band bietet dafür prominente Beispiele: aus Mesopotamien Enmerkara und der Herr von Arata, Innana und Ebih; aus Kleinasien Illuyanka, Teli˘ pinu und Kumarbi und aus Ägypten den Mythos vom Sonnenauge (griechische Fassung). Ähnlich komplex wie der Mythos-Begriff ist der Begriff des Epos, der gattungstheoretisch kaum von jenem unterschieden werden kann. Auch dafür finden sich im vorliegenden Band eindrückliche Beispiele: aus Mesopotamien Bilgamesˇ, Enkidu und die Unterwelt, Tukultı¯-Ninurta, Enu¯ma elisˇ und Atra-hası¯s und aus Syrien das Kirta- und ˘ das Aqhatu-Epos sowie den für das Alte Testament bedeutsamen Ba2al-Zyklus, der wie auch Enu¯ma elisˇ und Atra-hası¯s (vgl. TUAT.AF 3,565 ff.612 ff.) hier in einer Neu˘ bearbeitung geboten wird (vgl. TUAT.AF 3,1091 ff.1213 ff.1245 ff.). Warum K. Hecker eine Neubearbeitung etwa von Enu¯ma elisˇ angefertigt hat, wird von ihm unten S. 88 f. begründet (im Übrigen spricht Hecker nicht mehr vom »WeltschöpfungsEpos«, sondern nennt Enu¯ma elisˇ zu Recht »Marduks Aufstieg zum Herrn der Welt«). Ähnliches gilt für die Neubearbeitung von Atra-hası¯s (s. dazu unten S. 132 f.) ˘ und die Neubearbeitungen der Mythen und Epen aus Ugarit (s. dazu unten S. 183 ff.236 ff.267 ff.). Und schließlich die Weisheitstexte, die man mit dem Ägyptologen H. Brunner als IX

Vorwort

»Lehren für das Leben« bezeichnen kann. Und zwar deswegen, weil sie davon ausgehen, dass der Schöpfung von den Göttern eine Ordnung eingestiftet ist, die das »umfaßt, was wir Naturordnung nennen – wie den Lauf der Gestirne, den Wechsel der Jahreszeiten, Pflanzen- und Tierleben, Geburt und Tod –, wie auch die Sozialordnung der Menschen, so die Beziehung der Geschlechter, die vielfältige soziale Ordnung eines Volkes, die Scheidung der Völker nach Hautfarbe und Sprache, schließlich den Tempelkult und selbst die Beamtenhierarchie, die Steuerregelung und sogar Tischsitten« (H. Brunner, Altägyptische Weisheit. Lehren für das Leben, Zürich / München 1988, 13). Unser Band wartet u. a. mit einer Neubearbeitung der Lehre des Amunnachts und der Lehre des Amenemope (vgl. TUAT.AF 3, 222 ff.) sowie der aramäischen Wandinschriften von Tell Deir 2Alla (vgl. TUAT.AF 2, 138 ff.) auf. Auch hier wird die jeweilige Neubearbeitung ausführlich begründet. Insgesamt ist mit diesem Band ein großartiges geistiges Panorama entstanden, das, um mit dem Gräzisten M. L. West zu sprechen, The East Face of Helicon zum Leuchten bringt (vgl. M. L. West, The East Face of Helicon. West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth, Oxford 1997). Dass wir ihn fristgerecht vorlegen können, verdanken die Leser dem Enthusiasmus und der Kompetenz der Autorinnen und Autoren, der Sorgfalt der Redakteurin Frau Dr. A. Krüger, Tübingen, und der Pünktlichkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Verlag und Druckerei. Ihnen allen danken wir sehr herzlich für die intensive und gute Zusammenarbeit. Tübingen und Würzburg, im September 2014

X

Bernd Janowski / Daniel Schwemer

Abkürzungen Die Abkürzungen entsprechen dem Verzeichnis der Theologischen Realenzyklopädie, zusammengestellt von S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 2., überarb. und erw. Aufl., Berlin; New York 1992. Darüber hinaus werden verwendet: AAHL ABD ABoT AC ADD AE AfK AfO AG Äg Urk AGM AGS AHR AHw AJ AKT ALASP AlT AMD AMI AMT AoF AP APA APAW APE APF APOE ARET

J. M. Lindenberger, Ancient Aramaic and Hebrew Letters, SBL.WAW 14, Atlanta 2. Aufl. 2003 The Anchor Bible Dictionary I-VI, (ed. by) D. N. Freedman, New York / NJ u. a. 1992 Ankara Arkeoloji Müzesinde bulunan Bog˘azköy Tabletleri, Istanbul 1948 J. J. Koopmans, Aramäische Chrestomathie, Leiden 1962 C. H. Johns, Assyrian Deeds and Documents, Cambridge 1898-1923 B. Porten, Archives from Elephantine. The Life of an Ancient Jewish Military Colony, Berkeley / CA; Los Angeles / CA 1968 Archiv für Keilschriftforschung, Berlin 1923-1925 Archiv für Orientforschung, Wien R. Degen, Altaramäische Grammatik der Inschriften des 10.-8. Jh. v. Chr., AKM XXXVIII, 3, Wiesbaden 1969 Urkunden des ägyptischen Altertums, (hg. von) G. Steindorff u. a., Leipzig u. a. 1903 ff. (Sudhoffs) Archiv für die Geschichte der Medizin, Leipzig / Wiesbaden S. Segert, Altaramäische Grammatik mit Bibliographie, Chrestomathie und Glossar, Leipzig 1975 An Aramaic Handbook, (hg. von) F. Rosenthal, Wiesbaden 1967 = Porta linguarum orientalium, Neue Serie X W. von Soden, Akkadisches Handwörterbruch, Wiesbaden 1965-81, 1985 Antiquaries Journal, London / Oxford 1921 ff. Ankara Kültepe Tabletleri / Ankaraner Kültepe-Tafeln bzw. Texte I-II, Ankara 1990-1995; III: FAOS Beih. 3, 1995 Abhandlungen zur Literatur Alt-Syrien-Palästinas, Münster 1988 ff. D. J. Wiseman, The Alalakh Tablets, London 1953 Ancient Magic and Divination, Groningen 1999 ff. Archäologische Mitteilungen aus Iran, Berlin 1929 ff. R. Campbell Thompson, Assyrian Medical Texts, London 1923 Altorientalische Forschungen, Berlin 1974 ff. Aramaic Papyri of the Fifth Century B.C., (ed. by) A. Cowley, Oxford 1923 Aramaic Papyri Discovered at Assuan, (ed. by) A. H. Sayce (assist. A. E. Cowley), London 1906 Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse, Berlin 1908-1944 A. Ungnad, Aramäische Papyrus aus Elephantine, Leipzig 1911 Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete, Berlin 1901 ff. Aramäische Papyrus und Ostraka aus einer jüdischen Militärkolonie zu Elephantine, (hg. von) Ed. Sachau, Leipzig 1911 Archivi reali di Ebla. Testi, Rom 1981 ff.

XI

Abkürzungen

ARI ASAE ASJ ATTM ATTM.E AulaOr. BaF BAM I-VI BAM VII BAR BBR BBVO BCH BdE BE

BGU BiMes. BIN BKBM BL BMAP BMECCJ BoSt BRM BSA BSOAS BWL CAD CAL CANE CAT

CDLB XII

A. K. Grayson, Assyrian Royal Inscriptions, Records of the Ancient Near East I-II, Wiesbaden 1972 ff. Annales du Service des Antiquités de l’Égypte, Le Caire 1900 ff. Acta Sumerologica, Hiroshima 1979 ff. K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer, Göttingen 1984 ATTM Ergänzungsband, Göttingen 1994 Aula Orientalis, Barcelona 1983 ff. Baghdader Forschungen, Mainz 1979 ff. F. Köcher, Die babylonisch-assyrische Medizin in Texten und Untersuchungen I-VI, Berlin (/ New York) 1963-80 M. J. Geller, Renal and Rectal Disease Texts, Die babylonisch-assyrische Medizin in Texten und Untersuchungen VII, Berlin / New York 2005 J. H. Breasted, Ancient Records of Egypt I-V, Chicago / IL 1906 H. Zimmern, Beiträge zur Kenntnis der babylonisch-assyrischen Religion I-II, Leipzig 1901 Berliner Beiträge zum Vorderen Orient, Berlin 1982 ff. Bulletin de correspondance hellénique, Athènes / Paris 1877 ff. Bibliothèque d’Études, Institut Français d’Archéologie Orientale, Kairo 1908 ff. The Babylonian Expedition of the University of Pennsylvania, Pennsylvania / PA 1893 ff.; Series A: Cuneiform Texts (für Eimzelbände s. HKL II, xv) Ägyptische Papyri aus den Königlichen (später: Staatlichen) Museen zu Berlin, Griechische Urkunden, (hg. von) U. Wilcken u. a., Berlin 1895 ff. Bibliotheca Mesopotamica, Malibu / CA 1975 ff. Babylonian Inscriptions in the Collection of J. B. Nies, New Haven / CT 1917 ff. F. Küchler, Beiträge zur Kenntnis der assyrisch-babylonischen Medizin, Assyriologische Bibliothek 18, Leipzig 1904 Berichtigungsliste der Griechichen Papyrusurkunden aus Ägypten, (hg. von) F. Preisigke u. a., Berlin, Leipzig 1922 ff. E. G. Kraeling, The Brooklyn Museum Aramaic Papyri, New Haven / CT 1953 Bulletin of the Middle Eastern Culture Center in Japan, Wiesbaden 1984 ff. Boghazköi – Studien, (hg. von) O. Weber, Leipzig 1916 ff. Babylonian Records in the Library of J. P. Morgan, New Haven / CT 1917 ff. (für Einzelbände s. HKL II, xvi) Bulletin on Sumerian Agriculture, Cambridge 1984 ff. Bulletin of the School of Oriental and African Studies W. G. Lambert, Babylonian Wisdom Literature, Oxford 1960 The Assyrian Dictionary of the University of Chicago, Chicago (/ Glückstadt) 1956 ff. Comprehensive Aramaic Lexicon Project; URL: cal1.cn.huc.edu Civilizations of the Ancient Near East, (ed. by) J. M. Sasson, New York 1995 M. Dietrich / O. Loretz / J. Sanmartín, The Cuneiform Alphabetic Texts from Ugarit, Ras Ibn Hani and Other Places (KTU: Second, enlarged edition), Münster 1995 Cuneiform Digital Library Bulletin, Los Angeles

Abkürzungen

CDLJ CDOG CE CHANE CHD CM CPR CRIPEL CSF CST CT CTH CTN CTN IV DAE DAFI DAI DaM DARI DCS DDD

DLU DNWSI ElW ESE GGA GMP GOF HAE HAHL HANE/M HANE/S HdO

Cuneiform Digital Library Journal, Los Angeles Colloquien der Deutschen Orient-Gesellschaft, Saarbrücken 1997 ff. Chronique d’Égypte, Brussel 1925 ff. Culture and History of the Ancient Near East, Leiden / Boston / MA / Köln 2000 ff. The Chicago Hittite Dictionary, Chicago 1975 ff. Cuneiform Monographs, Groningen 1992 ff. Corpus Papyrorum Raineri (Archiducis Austriae), (hg. von) C. Wessely u. a., Wien 1895 ff. Cahiers de recherches de l’Institut de Papyrologie et d’Egyptologie de Lille, Lille 1973 ff. Collezione di studi fenici, Roma 1973 ff. T. Fish, Catalogue of Sumerian Tablets in the John Rylands Library, Manchester 1932 Cuneiform Texts from Babylonian Tablets in the British Museum, London 1896 ff. (für Einzelbände s. HKL II,xvii) E. Laroche, Catalogue des textes hittites, Paris 1971 Cuneiform Texts from Nimrud, London 1972 ff. D. J. Wiseman / J. A. Black, Literary Texts from the Temple of Nabû, Cuneiform Texts from Nimrud IV, London 1996 P. Grelot, Documents araméens d’Égypte, LAPO 5, Paris 1972 Cahiers de la Délégation Archéologique Française en Iran, Paris 1971 ff. Deutsches Archäologisches Institut, Berlin Damaszener Mitteilungen, Mainz 1983 ff. Die alt- und reicharamäischen Inschriften, FoSub 2m, hg. von D. Schwiderski, Berlin, New York 2004 Cybernetica Mesopotamica, Data Sets: Cuneiform Texts, Malibu / CA 1979 ff. Dictionary of Deities and Demons in the Bible, (ed. by) K. van der Toorn / B. Becking / P. W. van der Horst, Leiden 1995; 2. überarbeitete Aufl., Leiden 1999 G. del Olmo Lete / J. Sanmartín, Diccionario de la lengua ugarítica I-II, AulaOr Suppl. 7-8, Barcelona 1996-2000 J. Hoftijzer / K. Jongeling, Dictionary of the North-West Semitic Inscriptions, HdO I/21,1-2, Leiden u. a. 1995 W. Hinz / H. Koch, Elamisches Wörterbuch, Berlin 1987 M. Lidzbarski, Ephemeris für semitische Epigraphik I-III, Gießen 19021915 Göttingische gelehrte Anzeigen, Göttingen 1802 ff. The Greek Magical Papyri in Translation: Including the Demotic Spells, hg. von H. D. Betz, Chicago, IL u. a. 1986 Göttinger Orientforschungen, Wiesbaden 1973 ff. J. Renz / W. Röllig, Handbuch der althebräischen Epigraphik I-III, Darmstadt 1995-2003 D. Pardee, Handbook of Ancient Hebrew Letters, BL.SBS 15, Chicago / IL 1982 History of the Ancient Near East. Monographs, Padova 1996 ff. History of the Ancient Near East. Studies, Padova 1990 ff. Handbuch der Orientalistik, Leiden 1948 ff. XIII

Abkürzungen

Hermes HKL HPBM HSAO HThR I. Erythrai

IF IG I. Kios I. Kyme I. Louvre I. Memnon I. Metr. I. Philae I. Prose I. Syringes I. Vars. IFP IH II R

ILAP IRSA ITT JEA JARCE JEAS

JEN

JEOL

XIV

Hermes: Zeitschrift für klassische Philologie, Stuttgart 1866 ff. R. Borger, Handbuch der Keilschriftliteratur I-III, Berlin 1967-1975 Hieratic papyri in the British Museum Heidelberger Studien zum Alten Orient I (FS A. Falkenstein), Wiesbaden 1967; IIff.: Heidelberg 1988 ff. Harvard Theological Review, Cambridge 1908 ff. Die Inschriften von Erythrai und Klazomenai, H. Engelmann / R. Merkelbach (Hg.), 2 Bde., Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 1, 2, Bonn 1972, 1973 Indogermanische Forschungen, Berlin 1892 ff. Inscriptiones Graecae, Berlin 1873 ff. Die Inschriften von Kios, Th. Corsten (Hg.), Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 29, Bonn 1985 Die Inschriften von Kyme, H. Engelmann (Hg.), Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 5, Bonn 1976 E. Bernand, Inscriptions Grecques d’Égypte et de Nubie au Musée du Louvre, Paris 1992 A. & E. Bernand, Les inscriptions grecques et latines du Colosse de Memnon, Le Caire 1960 Inscriptions métriques de l’Égypte gréco-romaine, E. Bernand (Hg.), Paris 1969 Les inscriptions grecques et latines de Philae, A. & E. Bernand (Hg.), 2 Bde., Paris 1969 La prose sur pierre dans l’Égypte hellénistique et romaine, A. Bernand (Hg.), 2 Bde., Paris 1992 J. Baillet, Les inscriptions grecques et latines des tombeaux des rois ou Syringes, Le Caire 1926 A. Łajtar / A. Twardecki, Catalogue des Inscriptions grecques du Musée National de Varsovie, Varsovie 2003 M. G. G. Amadasi, Le iscrizioni fenicie e puniche delle colonie in occidente, StudSem 28, Rom 1967 A. Lemaire, Inscriptions Hébraiques I. Les Ostraca, LAPO 9, Paris 1977 E. Norris (/ H. C. Rawlinson), The Cuneiform Inscriptions of Western Asia II: A Selection from the Miscellaneous Inscriptions of Assyria, London 1866 R. Yaron, Introduction to the Law of the Aramaic Papyri, Oxford 1961 E. Sollberger / J. R. Kupper, Inscriptions royales sumériennes et akkadiennes, LAPO 3, Paris 1971 Inventaire des tablettes de Tello I-V, Paris 1910-1921 The Journal of Egyptian Archaeology, London 1914 ff. Journal of the American Research Center in Egypt, New York 1962 ff. B. Porton (collab. J. C. Greenfield), Jews of Elephantine and Arameans of Syene (Fifth Century B.C.E.). Fifty Aramaic Texts with Hebrew and English Translations, Jerusalem 1974 Joint Expedition with the Iraq Museum at Nuzi, Publications of the Baghdad School. Texts I-VI, Paris / Philadelphia / PA 1927-1939; VII: SCCNH 3, Winona Lake / IN 1989; VIII: SCCNH 14, Bethesda / MD 2003 Jaarbericht van het Vooraziatisch-Egyptisch Genootschap Ex Oriente Lux, Leiden 1933 ff.

Abkürzungen

JIGRE JJP JMC KADP

KAL II

KAR KBo KTU2

KUB LD LEM LKA LSAW LSS MAH MesCiv. Mesopotamia MesWi MHE

MIO MPAT MRE Mus. Helv. MVN NABU NATN Nbn.

NE NG

W. Horbury / D. Noy, Jewish Inscriptions of Greco-Roman Egypt, with an Index of the Jewish Inscriptions of Egypt and Cyrenaica, Cambridge 1992 The Journal of Juristic Papyrology, Warsaw 1946 ff. Le Journal des médecines cunéiformes, Saint-Germain-en-Laye F. Köcher, Keilschrifttexte zur assyrisch-babylonischen Drogen- und Pflanzenkunde. Texte der Serien uru.an.na : maltakal, HAR.ra : hubullu ˘ ˘ und Ú GAR-sˇú, Berlin 1955 D. Schwemer, Rituale und Beschwörungen gegen Schadenzauber, Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft in Assur E (Inschriften), IX. (Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts) 2, WVDOG 117, Wiesbaden 2007 E. Ebeling, Keilschrifttexte aus Assur religiösen Inhalts I-II, WVDOG 28 und 34, Leipzig (1915-)1919 und (1920-)1923 Keilschrifturkunden aus Boghazköi M. Dietrich / O. Loretz / J. Sanmartín, Die keilalphabetischen Texte aus Ugarit einschließlich der keilalphabetischen Texte außerhalb Ugarits I, ALASP 8, Münster 1995 Keilschrifturkunden aus Boghazköi C. R. Lepsius, Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien, Berlin 1849-1859 P. Michalowski, Letters from Early Mesopotamia, SBL Writings from the Ancient World 3, Atlanta 1993. E. Ebeling / F. Köcher (unter Mitarbeit von L. Rost), Literarische Keilschrifttexte aus Assur, Berlin 1953 Linguistic Studies in Ancient West Semitic, Winona Lake /IN Leipziger Semitistische Studien, Leipzig 1904-1932 Mélanges d’archéologie et d’histoire, Paris 1881-1970 Mesopotamian Civilizations, Winona Lake / IN 1989 ff. Mesopotamia. Rivista di Archeologia, Turin 1966 ff. Mesopotamian Witchcraft. Toward a History and Understanding of Babylonian Witchcraft Beliefs and Literature, AMD 5, Leiden u. a. 2002 Mesopotamian History and Environment (Series 1: NAPR, 1991 ff.; Series 2: MHEM-Mémoirs, 1989 ff.; Series 3: MHET-Texts, 1991 ff.; MHEO-Occasional Publications, 1991 ff.) Mitteilungen des Instituts für Orientforschung, Berlin 1953 ff. J. A. Fitzmyer / D. J. Harrington, A Manual of Palestinian Aramaic Texts, Biblica et Orientalia 34, Rom 1978 Monographies Reine Elisabeth, Brüssel 1970 ff. Museum Helveticum: schweizerische Zeitschrift für klassische Altertumswissenschaft, Basel 1944 ff. Materiali per il vocabulario Neosumerico, Rom 1974 ff. Nouvelles Assyriologiques Brèves et Utilitaires, Paris 1987 ff. D. I. Owen, Neo-Sumerian Archival Texts primarily from Nippur, Winona Lake / IN 1982 J. N. Strassmaier, Inschriften von Nabonidus, König von Babylon (555538 v. Chr.), von den Thontafeln des Britischen Museums copiert und autographiert (= Babylonische Texte I-IV), Leipzig 1889 M. Lidzbarski, Handbuch der Nordsemitischen Epigraphik, Weimar 1898 A. Falkenstein, Die neusumerischen Gerichtsurkunden I-III, München 1956-1957 XV

Abkürzungen

NRVN OBC OECT OGIS OMRO OPBF OPBIA OPSNKF OrNS OrOcc OSP P. Polit. Iud. PAT PBS PdÄ PGM Philologus PhW PIHANS POLO P. Oxy. PP P. Ross. Georg. PRSM PSAS PSBA PSD PSI QdS QGN RA XVI

M. Çıg˘ / H. Kızılyay, Neusumerische Rechts- und Verwaltungsurkunden aus Nippur, Ankara 1965 Orientalia biblica et christiana, Glückstadt u. a. 1991 ff. Oxford Editions of Cuneiform Texts, Oxford / Paris 1923 ff. Orientis Graeci Inscriptiones Selectae, 2 Bde., Leipzig 1903, 1905 Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden, 1907-1999 Occasional publications of the Babylonian Fund, Philadelphia / PA 1976 ff. Occasional Publications of the British Institute of Archaeology at Ankara, London 1949 ff. Occasional Publications of the Samuel Noah Kramer Fund, Philadelphia / PA 1988 (I-VIII: OPBF) Orientalia. Nova Series, Rom 1932 ff. Oriens und Occidens. Studien zu antiken Kulturkontakten und ihrem Nachleben, Stuttgart Old Sumerian and Old Akkadian Texts in Philadelphia Chiefly from Nippur (1 = BiMes. 1, Malibu) Urkunden des Politeuma der Juden von Herakleopolis (144/3-133/2 v. Chr.), (hg. von) J. M. S. Cowey / K. Maresch, Wiesbaden 2001 D. R. Hillers / E. Cussini, Palmyrene Aramaic Texts, Baltimore / MD / London 1996 University of Pennsylvania, the Museum, Publications of the Babylonian Section (für Einzelbände s. HKL II, xxv) Probleme der Ägyptologie, Leiden 1953 ff. Papyri graecae magicae. Die griechischen Zauberpapyri, hg. und übers. K. Preisendanz, Leipzig 1927, 1931, 1941 Philologus: Zeitschrift für antike Literatur und ihre Rezeption, Berlin 1846 ff. Philologische Wochenschrift, Leipzig 1881-1941 Publications de l’Institut historique archéologique néerlandais de Stamboul, Leiden 1956 ff. Proche Orient et Littérature Ougaritique, Sherbrooke, Québec The Oxyrhynchus Papyri, B. P. Grenfell / A. S. Hunt u. a. (Hg.), London 1898 ff. La Parola del passato: rivista di studi antichi. Napoli 1946 ff. Papyri russischer und georgischer Sammlungen, G. Zereteli u. a. (Hg.), Tiflis 1925 ff. Proceedings of the Royal Society of Medicine, London Proceedings of the Seminar for Arabian Studies, London 1970 ff. Proceedings of the Society of Biblical Archaeology, London The Sumerian Dictionary of the University Museum of the University of Pennsylvania, Philadelphia / PA 1984 ff. Papiri greci e latini della Società Italiana, G. Vitelli u. a. (Hg.), Firenze 1912 ff. Quaderni di Semitistica, Firenze 1971 ff. U. Hackle / H. Jenni / Chr. Schneider, Quellen zur Geschichte der Nabatäer, NTOA 51, Fribourg / Göttingen 2003 Revue d’assyriologie et d’archéologie orientale, Paris 1844/45 ff.

Abkürzungen

REG RES RGPAE RGTC RHA RHR RICIS RIME RlA RPh RSOu RT RTAT

RTC SAA SAAB SAAS SAB

SAHG SAIO SALPE SANTAG SARI SB SCCNH SEG SEL SemClas

SHCANE

Revue des Ètudes grecques, Paris 1888 ff. Répertoire d’Epigraphie Sémitique, Paris 1900 ff. A. Verger, Ricerche giuridiche sui papiri aramici di Elefantina, StudSem 16, Rom 1965 Répertoire Géographique des Textes Cunéiformes, BTAVO, Reihe B 7, 1 ff., Wiesbaden 1974 ff. Revue Hittite et Asianique, Paris 1930 ff. Revue de l’histoire des religions, Paris 1880 ff. Recueil des Inscriptions concernant les cultes isiaques (RICIS), L. Bricault (Hg.), 3 Bde., Paris 2005 The Royal Inscriptions of Mesopotamia. Early Periods, Toronto / Ontario 1990 ff. Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie, Berlin (/ New York) 1928 ff. Revue de philologie, de littérature et d’histoire anciennes, Paris 1845 ff. Ras Shamra-Ougarit. Publications de la Mission Française Archéologique de Ras Shamra-Ougarit, Paris 1983 ff. Recueil des Travaux relatifs à la Philologie et à l’Archéologie Égyptiennes et Assyriennes, Paris 1870-1923 Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament, (hg. von) W. Beyerlin, Grundrisse zum Alten Testament, ATD Ergänzungsreihe 1, Göttingen 1975 F. Thureau-Dangin, Recueil des tablettes chaldéennes, Paris 1903 State Archives of Assyria, Helsinki 1987 ff. State Archives of Assyria. Bulletin, Padua 1987 ff. State Archives of Assyria Studies, Helsinki 1992 ff. B. Kienast / K. Volk, Die sumerischen und akkadischen Briefe des III. Jahrtausends aus der Zeit vor der III. Dynastie von Ur, FAOS 19, Stuttgart 1995 A. Falkenstein / W. von Soden, Sumerische und akkadische Hymnen und Gebete, BAW.AO, Zürich / Stuttgart 1953 E. Lipin´ski, Studies in Aramaic Inscriptions and Onomastics I, Orientalia Lovaniensia Analecta I, Leuven 1975 Y. Muffs, Studies in the Aramaic Legal Papyri from Elephantine, Studia et documenta ad iura orientis antiqui pertinentia, vol. VIII, Leiden 1969 K. Hecker / H. Neumann / W. Sommerfeld, Arbeiten und Untersuchungen zur Keilschriftkunde, Wiesbaden 1990 ff. Sumerian and Akkadian Royal Inscriptions, New Haven / CT 1986 Sammelbuch griechischer Urkunden aus Ägypten, (hg. von) F. Preisigke u. a., Straßburg / Berlin 1913 ff. Studies on the Civilization and Culture of Nuzi and the Hurrians I-V, Winona Lake / IN 1981 ff.; VIff.: Bethesda / MD 1994 ff. Supplementum Epigraphicum Graecum, Leiden 1923 ff. Studi Epigrafici e Linguistici sul Vicino Oriente antico, Verona, 1984 ff. Semitica et Classica. Revue internationale d’études orientales et méditerranéennes / International Journal of Oriental and Mediterranean Studies, Turnhout 2008 ff. Studies in the History and Culture of the Ancient Near East, Leiden u. a. 1996 ff. XVII

Abkürzungen

SKIZ SMEA SO SPAW SpTU I SpTU II SpTU III SpTU IV SpTU V SR SSA StAT StBoT StEbl. StPhoen

STT I-II StudSem TADAE TAPA TCL TDP TDT THeth TLB TMH TOu TRU TSS UAVA UET UET VI/3

XVIII

W. H. Ph. Römer, Sumerische ›Königshymnen‹ der Isin-Zeit, Leiden 1965 Studi Micenei ed Egeo-Anatolici, Rom 1966 ff. Symbolae Osloenses, Oslo 1922 ff. Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1882 ff. Spätbabylonische Texte aus Uruk I, ADFU 9, Berlin 1976 E. von Weiher, Spätbabylonische Texte aus Uruk II, ADFU 10, Berlin 1983 E. von Weiher, Spätbabylonische Texte aus Uruk III, ADFU 12, Berlin 1988 E. von Weiher, Uruk. Spätbabylonische Texte aus dem Planquadrat U 18 IV, AUWE 12, Mainz 1993 E. von Weiher, Uruk. Spätbabylonische Texte aus dem Planquadrat U 18 V, AUWE 13, Mainz 1998 D. O. Edzard, Sumerische Rechtsurkunden des III. Jahrtausends aus der Zeit vor der III. Dynastie von Ur, München 1968 J. van Dijk, La sagesse suméro-accadienne, Leiden 1953 Studien zu den Assur-Texten, Saarbrücken 1999 ff. Studien zu den Bog˘azköy-Texten, Wiesbaden 1965 ff. Studi Eblaiti, Rom 1979 ff. Studia Phoenicia. Travaux du Groupe de Contact Interuniversitaire d’Études Phéniciennes et Puniques (Fonds National de la Recherche Scientifique), Leuven 1983 ff. O. Gurney (Bd. I mit J. J. Finkelstein, Bd. II mit P. Hulin), The Sultantepe Tablets I-II, London 1957 und 1964 Studi Semitici, Rom 1958 ff. B. Porten / A. Yardeni, Textbook of Aramaic Documents from Ancient Egypt I-IV, Jerusalem 1986-1999 Transactions of the American Philological Association, Baltimore / MD 1869 ff. Musée du Louvre, Département des Antiquités Orientales, Textes cunéiformes (für Einzelbände s. HKL II, xvii-xviii) R. Labat, Traité akkadien de diagnostics et pronostics médicaux I-II, Paris 1951 A. Yardeni, Textbook of Aramaic, Hebrew and Nabataean Documentary Texts from the Judaean Desert and Related Material I-II, Jerusalem 2000 Texte der Hethiter, (hg. von) Annelies Kammenhuber, München 1971 ff. Tabulae cuneiformes a F. M. Th. de Liagre Böhl collectae, Leiden 1954 ff. (für Einzelbände s. HKL II, xxix) Texte und Materialien der Frau Professor Hilprecht Collection Jena, Leipzig 1932-1934; NF: Leipzig 1937, Berlin 1961 ff. A. Caquot / M. Sznycer / Andrée Herdner, Textes ougaritiques I. Mythes et légendes, LAPO 7, Paris 1974 P. Xella, I testi rituali di Ugarit – I: Testi, Rom 1981 J. C. L. Gibson, Textbook of Syrian Semitic Inscriptions Iff., Oxford 1971 ff. Untersuchungen zur Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1960 ff. Ur Excavation Texts, London 1928 ff. (für Einzelbände s. HKL II, xxix) A. Shaffer, with a Contribution by M.-Ch. Ludwig, Literary and Religious Texts, 3rd Part, London 2006

Abkürzungen

UVB VBoT VO VS WAF WZKM W. Chr. ZA ZAR ZPE

Vorläufiger Bericht über die … Ausgrabungen in Uruk-Warka (1-11 in: AbhBerlin, 1930-1940; 12 ff. in ADOG, Berlin 1956 ff.) Verstreute Boghazköi-Texte, (hg. von) A. Götze, Marburg 1930 Vicino Oriente. Annuario dell’Istituto di Studi del Vicino Oriente dell’Università di Roma, Rom 1978 ff. Vorderasiatische Schriftdenkmäler der (Königlichen) Staatlichen Museen zu Berlin, Berlin 1907 ff. J. A. Fitzmyer, A Wandering Aramean. Collected Aramaic Essays, Society of Biblical Literature. Monograph Series 25, Missoula / MT 1979 Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, Wien 1887 ff. Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde, Bd. I: Historischer Teil, II. Hälfte: Chrestomathie, U. Wilcken (Hg.), Leipzig / Berlin 1912 Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie, Berlin / New York Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte, Wiesbaden 1995 ff. Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik, Köln 1967 ff.

XIX

I. Texte aus Mesopotamien

Sumerische Mythen und Epen Hans Neumann Die sumerischen Mythen und Epen 1) sind uns vornehmlich durch Abschriften aus der ersten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. überliefert, wobei nicht immer klar ist, in welchem Umfang der Verschriftungsprozeß in altbabylonischer Zeit zugleich auch eine Neuschöpfung der zuvor (mündlich?) tradierten Mythen bedeutete. 2) Die sumerische epische Literatur, die sich um die legendären Könige der 1. Dynastie von Uruk – Enmerkara, Lugalbanda und Bilgamesˇ 3) – rankt, 4) geht in ihrer literarischen Ausformung mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Periode der III. Dynastie von Ur (21. Jh. v. Chr.) zurück, wobei der diesen Epen zugrundeliegende Stoff zum Teil wohl noch älter ist. Die Ausrichtung der Epen auf die frühen Könige von Uruk dürfte mit dem für die Ur III-Herrscher Ur-Namma (2111-2094 v. Chr.) und Sˇulgi (2093-2046 v. Chr.) belegten und deren Königtum legitimierenden Anspruch zusammenhängen, von der Göttin Ninsuna und dem vergöttlichten Lugalbanda abzustammen und Bruder des Bilgamesˇ zu sein. 5) Auch ein Großteil des in altbabylonischen Textzeugen vorliegenden Mythenstoffs, der die Taten von Göttern sowie Götter-Ätiologien und kosmologische Vorstellungen zum Inhalt hat, geht im Ursprung auf die Erzähltradition des 3. Jt. v. Chr. zurück. 1. 2.

3.

4. 5.

Der Konvention folgend wird auch hier zwischen »Mythos« und »Epos« unterschieden, was gattungstheoretisch allerdings kaum zu begründen ist; vgl. dazu die Bemerkungen von W. H. Ph. Römer, TUAT III/3 (1993) 351 (mit Literatur). Zum Problem vgl. J. S. Cooper, Paradigm and Propaganda. The Dynasty of Akkade in the 21st Century, in: M. Liverani (Hg.), Akkad. The First World Empire (HANE/S V), Padova 1993, 14 Anm. 16; C. Wilcke, Literatur um 2000 vor Christus, in: J.-W. Meyer / W. Sommerfeld (Hg.), 2000 v. Chr. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung im Zeichen einer Jahrtausendwende (CDOG 3), Saarbrücken 2004, 205-218. Die Lesung des (sumerischen) Namens folgt der Konvention. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird man aber wohl auch für die sumerische Namensform die spätere Lesung ›Gilgamesˇ‹ anzunehmen haben; vgl. dazu jüngst G. Rubio, Reading Sumerian Names, II: Gilgamesˇ, JCS 64 (2012) 3-16. Vgl. G. Rubio, Sumerian Literature, in: C. S. Ehrlich, From an Antique Land. An Introduction to Ancient Near Eastern Literature, Lanham / Boulder / New York / Toronto / Plymouth 2009, 46-49. Vgl. C. Wilcke, Das Lugalbandaepos, Wiesbaden 1969, 1; Å. W. Sjöberg, Die göttliche Abstammung der sumerisch-babylonischen Herrscher, OrSuec 21 (1972) 93 f.

1

Hans Neumann

Die vorliegende Textauswahl ergänzt das seinerzeit von W. H. Ph. Römer und D. O. Edzard in TUAT III/3 (1993) 351-559 vorgelegte Corpus sumerischer Mythen und Epen. Die Dichtung »Enmerkara und der Herr von Arata« (Nr. 1) stellt ein zusätzliches Beispiel für die Epen um die legendären Uruk-Könige Enmerkara und Lugalbanda dar, die vor allem die Beziehungen bzw. den Konflikt zwischen dem südbabylonischen Uruk und der im südöstlichen Iran gelegenen Stadt Arata zum Inhalt haben. 6) Mit »Bilgamesˇ, Enkidu und die Unterwelt« (Nr. 2) wird eine weitere sumerische Bilgamesˇ-Erzählung nunmehr vollständig geboten. 7) Eine Besonderheit dieser Dichtung liegt in dem Umstand, daß ihr zweiter Teil – beginnend mit der Klage des Bilgamesˇ – in einer akkadischen Fassung als zwölfte Tafel dem späteren GilgamesˇEpos angefügt worden ist und deren schriftliche Überlieferung im ausgehenden 8. Jh. v. Chr. im neuassyrischen Kalhu wohl im Zusammenhang mit der Reaktion auf ˘ den Tod Sargons II. (721-705 v. Chr.) auf dem Schlachtfeld in Feindesland zu sehen 8) ist. Protagonistin der hier vorgelegten zwei Mythendichtungen (Nr. 3 und 4) und eines rituellen Liedes (Nr. 5), die zum Teil historisch-politische Vorgänge widerspiegeln bzw. Anklänge daran erkennen lassen, ist die Göttin Innana,9) die vor allem in der Akkade-Zeit (24.-22. Jh. v. Chr.) eine bedeutende Stellung einnahm und um die sich eine ganze Reihe von (altbabylonisch überlieferten) Mythen rankte. 10)

6. 7. 8. 9. 10.

2

Vgl. H. Vanstiphout, Epics of Sumerian Kings. The Matter of Aratta (SBL Writings of the Ancient World 20), Atlanta 2003. Vgl. bereits die Teilübersetzung (Z. 231-303) von W. H. Ph. Römer in TUAT II/1 (1986) 3645. Vgl. dazu E. Frahm, Nabû-zuqup-ke¯nu, das Gilgamesˇ-Epos und der Tod Sargons II., JCS 51 (1999) 73-90; ders., Geschichte des alten Mesopotamien, Stuttgart 2013, 206. Zur Lesung des Gottesnamens s. G. Marchesi, Notes on the Transliteration of Texts and the Transcription of Proper Names, in: G. Marchesi / N. Marchetti, Royal Statuary of Early Dynastic Mesopotamia (MC 14), Winona Lake 2011, 239 mit Anm. 18. Vgl. Rubio, From an Antique Land, 50-52; zur Bedeutung der entsprechenden Mythendichtung vgl. vor allem C. Wilcke, Politik im Spiegel der Literatur, Literatur als Mittel der Politik im älteren Babylonien, in: K. Raaflaub (Hg.), Anfänge politischen Denkens in der Antike. Die nahöstlichen Kulturen und die Griechen (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 24), München 1993, 40-58.

Texte aus Mesopotamien

1. Enmerkara und der Herr von Arata

Catherine Mittermayer Die insgesamt 637 Zeilen der mythischen Dichtung Enmerkara und der Herr von Arata sind auf 24 altbabylonischen Manuskripten überliefert, von denen 19 aus Nippur, zwei aus Ur und eines aus Kisˇ stammen; ein weiteres ist unbekannter Herkunft. 11) Die Verfassung des Werkes wie auch die des gesamten Uruk-Zyklus’ wird seit der Arbeit von C. Wilcke zum Lugalbanda-Epos der Ur III-Zeit (2111-2003 v. Chr.) zugeschrieben, 12) deren Könige sich als direkte Abkömmlinge von den legendären Herrschern der Uruk I-Dynastie – insbesondere von Lugalbanda und Gilgamesˇ, den Nachfolgern Enmerkaras – feiern ließen. Die Erzählung um Enmerkara und den Herrn von Arata ist Teil des thematisch orientierten Uruk-Zyklus, der die Vormacht Sumers über die östlichen, an Rohstoffen reichen Bergländer beschreibt. 13) Kern der Geschichten ist die Rivalität zwischen Uruk, dem heutigen Warka im Südirak, und der legendären Stadt Arata, welche den Inbegriff für den Reichtum und die Pracht des Ostens darstellt. 14) In vorliegendem Text wird diese Rivalität zwischen Enmerkara, dem Stadtherrn von Uruk, und seinem namenlosen Gegenspieler, dem Herrn von Arata, auf der intellektuellen Ebene ausgetragen. 15) In einem Rätselwettstreit buhlen sie um die Gunst ihrer gemeinsamen Göttin Innana. Im Prolog erfährt man, daß Enmerkara die Tempel von Uruk und Eridu mit kostbaren Metallen und Edelsteinen verschönern möchte. Um dies realisieren zu können, erbittet sich der Stadtherr von seiner göttlichen Geliebten, Innana, die Unterwerfung Aratas. Sie gewährt ihm seinen Wunsch und verspricht ihm Erfolg bei seinem Vorhaben (Z. 1-104). Auf den Rat Innanas hin wählt Enmerkara einen Boten aus und schickt ihn mit einer Botschaft nach Arata. In ihr verlangt er vom gegnerischen Stadtherrn als Zeichen der Unterwerfung die Lieferung von Edelmetallen und Lapislazuli (Z. 105-217). Ausgelöst durch diese Forderung entwickelt sich zwischen den beiden Herrschern (mit dem Boten als Mittler) ein erbitterter Wettstreit, im Laufe dessen sich die Kontrahenten gegenseitig Rätsel aufgeben und einander Forderungen stellen. 11.

12. 13. 14. 15.

Für eine detaillierte Liste der Manuskripte siehe C. Mittermayer, Enmerkara und der Herr von Arata. Ein ungleicher Wettstreit (OBO 239), Fribourg / Göttingen 2009, 98-106; seit dieser Edition ist ein weiteres Fragment (UM 29-16-74) identifiziert worden, siehe J. Peterson, Sumerian Literary Fragments in the University Museum, Philadelphia (BPOA 9), Madrid 2011, 96-98. C. Wilcke, Das Lugalbandaepos, Wiesbaden 1969. Für einen Überblick über diese vier Erzählungen siehe Vanstiphout, Epics, 1-21. Trotz zahlreicher Versuche seitens der Archäologen, Arata (zuletzt) im Südosten des heutigen Iran zu lokalisieren, konnte bis heute kein Beweis für die Existenz dieser Stadt erbracht werden; siehe zusammenfassend Mittermayer, Enmerkara, 36-39. Vgl. auch die formal sehr ähnlich gestaltete Erzählung Enmerkara und Ensukukesˇdana, Edition bei A. Berlin, Enmerkar and Ensuhkesˇdanna. A Sumerian Narrative Poem (OPBF 2), ˘ Philadelphia 1979 und C. Wilcke, The Sumerian poem Enmerkar and En-suhkesˇ-ana: Epic, ˘ (AOS Essay play, or? Stage craft at the turn from the third to the second millennium B.C. 12), New Haven 2012. Ensukukesˇdana ist der Name eines Herrn von Arata. Ob er mit demjenigen der vorliegenden Erzählung identisch ist, muß ungeklärt bleiben.

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Catherine Mittermayer

Während Enmerkara jede Aufgabe bravourös meistert, gerät der Herr von Arata mehr und mehr in Bedrängnis (Z. 218-496). Der entscheidende Schachzug gelingt dem Herrn von Uruk scheinbar zufällig: Da der Bote mit der siebten Botschaft aufgrund ihrer Komplexität überfordert ist, erfindet Enmerkara kurzerhand die Schrift und hält seine Worte auf einer Tontafel fest. Angesichts dieser Tontafel – für den Empfänger nichts weiter als ein Klumpen Ton – müßte sich der des Lesens unkundige Herr von Arata geschlagen geben (Z. 497-541). Doch just in dem Moment beginnt es in seiner Stadt zu regnen, was den Herrn von Arata fälschlicherweise zu der Überzeugung kommen läßt, daß Innana weiterhin auf seiner Seite stehen würde (Z. 542-562). Aber die Hoffnung währt nicht lange, denn die Göttin fällt ihr Urteil zugunsten Enmerkaras, wodurch dieser – wie es ihm versprochen worden war – als Geliebter Innanas und gleichzeitig als Sieger aus dem Wettstreit hervorgeht (Z. 563-637). 16) Die Erzählung verdankt ihre Prominenz der Passage, welche als Namsˇub (oder Beschwörung) des Nudimmud in die Literatur eingegangen ist. In ihr erläutert der Erzähler, daß zur Zeit Enmerkaras (am Ende des 4. Jt. v. Chr.), bevor Enki der Menschheit »fremdartige Sprachen in den Mund gelegt hatte«, alle Völker noch dieselbe Sprache hatten (Z. 150-155). Sie stellt durch das Thema der »Sprachverwirrung« einen Bezugspunkt für den biblischen Turmbau zu Babel (Genesis 11,1-9) dar. Auch wenn das Geschehen durch die Aufzählung einzelner Fakten wie der Erfindung der Schrift oder der Tatsache, daß die Menschen damals noch in einer einzigen Sprache kommunizierten, vordergründig in eine längst vergangene Blütezeit Uruks am Ende des 4. Jt. v. Chr. zurückversetzt wird, reflektiert die Erzählung doch mehrheitlich politische und religiös-kultische Aspekte ihrer Entstehungszeit oder der etwas jüngeren Isin-Zeit (2017-1937 v. Chr.), was dem Werk insgesamt einen pseudohistorischen Charakter verleiht. Editionen, Bearbeitungen und Übersetzungen: S. N. Kramer, Enmerkar and the Lord of Aratta. A Sumerian Epic Tale of Iraq and Iran, Philadelphia 1952 (Erstbearbeitung); S. Cohen, Enmerkar and the Lord of Aratta (Ph.D., University of Pennsylvania), Ann Arbor 1973 (Edition); Th. Jacobsen, The Harps that Once … Sumerian Poetry in Translation, New Haven 1987, 275-319 (Übersetzung); J. Black et alii, Enmerkar and the lord of Aratta, ETCSL c.1.8.2.3 (http://etcsl.orinst.ox.ac.uk) (Komposittext und Übersetzung); H. L. J. Vanstiphout, Epics of Sumerian Kings: The Matter of Aratta (WAW 20), Atlanta 2003 (Komposittext und Übersetzung); C. Mittermayer, Enmerkara und der Herr von Arata. Ein ungleicher Wettstreit (OBO 239), Fribourg / Göttingen 2009 (Edition). – Teilbearbeitungen und -übersetzungen: R.-R. Jestin, Le poème d’En-me-er-kar, RHR 151 (1957) 145-220 (Z. 28-637); Th. Jacobsen, Enmerkar and the Lord of Aratta (1.170), in: W. W. Hallo (Hg.), Canonical Compositions from the Biblical World (The Context of Scripture 1), Leiden / New York / Köln 1997, 547-550 (Z. 135-155, 498-Ende); C. Wilcke, Vom Altorientalischen Blick zurück 16.

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Die Erzählung hat in ihrer gesamten Struktur viel mit den Streitgesprächen (a-da-min3) gemeinsam, auch wenn das Thema hier weitaus poetischer, weitschweifiger und kunstvoller ausgeführt ist und damit immer wieder den Rahmen eines gewöhnlichen Streitgesprächs überschreitet. Das Werk besticht durch seinen Unterhaltungswert, und man kann sich gerade in dem äußerst lebhaft gestalteten Hauptteil leicht vorstellen, daß es im Rahmen eines königlichen Festmahls – wie es für die Adamin üblich war – dargeboten wurde; für den Sitz im Leben der Erzählung siehe zuletzt Vanstiphout, Epics, 13 f.

Texte aus Mesopotamien

auf die Anfänge, in: E. Angehrn (Hg.), Anfang und Ursprung. Die Frage nach dem Ersten in Philosophie und Kulturwissenschaft (Colloquium Rauricum 10), Berlin 2007, 3-59 (insb. 24-26, 47-49) (Z. 1-33). Kommentare zur Beschwörung des Nudimmud (Auswahl): S. N. Kramer, Man’s Golden Age: A Sumerian parallel to Genesis XI.1, JAOS 63 (1943) 191-194; J. van Dijk, La »confusion des langues«. Notes sur le lexique et sur la morphologie d’Enmerkar, 147-155, OrNS 39 (1970) 302-310; B. Alster, An Aspect of »Enmerkar and the Lord of Aratta«, RA 67 (1973) 101-110; C. Uehlinger, Weltreich und »eine Rede«: Eine Deutung der sogenannten Turmbauerzählung (Gen 11,1-9) (OBO 101), Fribourg / Göttingen 1990, 409-434; Th. Jacobsen, The Spell of Nudimmud, in: M. Fishbane / E. Tov (Hg.), Sha’arei Talmon. Studies in the Bible, Qumran, and the Ancient Near East presented to Shemaryahu Talmon, Winona Lake 1992, 403416; H. L. J. Vanstiphout, Another attempt at the ›Spell of Nudimmud‹, RA 88 (1994) 135154; J. Klein, The so-called ›Spell of Nudimmud‹ (ELA 134-155): A re-examination, in: S. Graziani (Hg.), Studi sul vicino oriente antico dedicati alla memoria di Luigi Cagni (IUO Dipartimento di studi asiatici, SM 61), Neapel 2000, 563-584; C. Wilcke, Altmesopotamische Feindschaften, in: M. Brehl / K. Platt (Hg.), Feindschaft, München 2003, 107-123 (insb. 109-111); J. Keetman, Enmerkar und Sulge als sumerische Muttersprachler nach literarischen Quellen, ZA 100 (2010) 15-25. (1) [Stadt,

furchterregender Stier von Himmel und Erde, in Ehrfurcht gebietenden Glanz gehüllt], (2) [Kulab]a, … […] (3) Sonnenschein, Ort, wo das Schicksal [bestimmt wird], (4) Uruk, großer Berg, Mittelpunkt [von …], (5) [wo] das abendliche Mahl [in] der großen Speisehalle von An [bereitet wird!] (6) In jenen fernen Tagen, als das Schicksal [entschieden wurde], (7) als Uruk, Kulaba und das E’ana […] begründet wurden, 17) (8) da […] bedeutende Fürsten erhobenen Hauptes […] (9) Der Überfluß ließ die Frühjahresflut anschwellen, (10) und der Regen ließ die Feldfrüchte gedeihen; (11) das Wasser trennte sich für Uruk und Kulaba. 18) (12) Das Land Dilmun gab es (noch) nicht, 19) … (13) Als das E’ana bei Uruk im Bezirk Kulaba gegründet wurde, ˆ epar der Innana (14) und das reine G (15) (sowie) die Mauern Kulabas wie eine Silberader erstrahlten, (16) wurde […] nicht hingetragen, denn Warentausch fand nicht statt, 20) 17. 18.

19.

20.

Verbalform nach UM 29-16-74 Vs. 1’ […] ki? gˆar-ra-a-[x] gelesen. Übersetzung nach UM 29-16-74 Vs. 5’ [… kul-ab]a4ki a bar-bar-r[a]; // unuki kul-aba4ki a ib-da-an-tab wörtlich etwa »das Wasser lief parallel für Uruk und Kulaba«. Die Zeile ist möglicherweise dahingehend zu interpretieren, daß sich Wasserläufe (relativ) parallel durch die Stadtteile Uruk und Kulaba ziehen. Dilmun darf in dieser Zeile entweder in seiner allgemeinen Bedeutung als »Handel« oder aber spezifisch als »Handel mit oder über Dilmun«, das heißt als »Seehandel (mit den Golfanrainerstaaten)« verstanden werden. Die Lesung kur in-nu-ha-[am3] in UM 29-16-74 Vs. 6’ von Peterson, Fragments, 97-98 ist im Bereich von -ha-[am˘ 3] epigraphisch unsicher und wird ˘ deshalb hier nicht übernommen. Text UM 29-16-74 Vs. 10’ spricht explizit von »Metallhandel« (ku3 bala – AK); s. Peterson, Fragments, 98.

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Catherine Mittermayer (17) und

kein […] wurde hergetragen, denn man betrieb keinerlei Fernhandel. Sil]ber, Kupfer, Zinn und Lapislazuliquader (19) […] brachte man allesamt nicht aus den Bergen herunter. (20) […] wurde nicht gewaschen, (21) man saß n[icht …], (22) […] nicht […] (23-24) […] (25) [… ist] bunt schillernd, ˆ epa]r, der reine Ort, ragt hoch […] auf; (26) [und das G (27) sein Inneres ergrünt in Früchten wie ein weißblühender Mes ˇ-Baum. 21) (28) Für Innana hatte der Herr von Arata (29) (zwar) die goldene Königspriesterkrone eingeführt, (30) (dennoch) gefiel er ihr nicht (annähernd) so wie der Herr von Kulaba, (31-32) (denn) er hatte Arata für Innana nicht (so prächtig) wie das Heiligtum E’ana, das ˆ epar, den reinen Ort, (oder auch) die Mauern Kulabas erbaut. G (33) Damals richtete der von Innana erwählte Stadtherr, (34) der vom ›Funkelnden Berg‹ 22) her in (ihr) glanzvolles Herz berufen worden war, (35) Enmerkara, der Sohn Utus, (36) an seine schwesterliche Geliebte, 23) die Herrin, welche (schon viele) Wünsche erfüllt hat, (37) an die glanzvolle Innana (folgende) Bitte: (38) »Meine Schwester, Innana! Für Uruk (39) soll man mir (in Arata) Gold und Silber meisterlich verarbeiten (40) und den hellen Lapislazuli aus den Quadern [schneiden]. (41) […] Schein des hellen Lapislazuli […] (42) In Uruk soll damit der ›Glanzvolle Berg‹ [geschmückt] werden, 24) (43) im Tempel, der bis zum Himmel [reicht], 25) deinem Aufenthalts[ort], (44) soll […] des Himmels gebaut werden. ˆ epars, wo … errichtet ist, (45) Das Innere deines reinen G (46) soll Arata für mich kunstvoll gestalten. (47) (Anschließend) werde ich selbst in seinem Inneren … wie ein glänzendes Kalb hängen lassen. (48) Ich will, daß sich Arata mir und Uruk unterwirft! (49) Nachdem die Bevölkerung Aratas (50) Steine aus dem Gebirge [vor] Ort heruntergebracht hat, (18) [Gold,

21. 22. 23. 24. 25.

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Der Mesˇ-Baum ist ein einheimischer, bis heute nicht identifizierter Baum, dessen Holz in der Möbelherstellung Verwendung fand. Nach den Zeilen 230-231 der vorliegenden Erzählung ist der ›Funkelnde Berg‹ (kur subi) ein Wohnsitz der Innana. Innana wird im Text von Enmerkara mit Schwester (nin9) angeredet, gemeint ist allerdings nicht eine leibliche Schwester, vielmehr wird mit demselben Wort oft die Geliebte angesprochen. Die Übersetzung beruht auf einer Ergänzung und Lesung der Verbalform als [sˇu] – ta3. Der Begriff ›Glanzvoller Berg‹ (kur ku3) darf möglicherweise mit dem E’ana, dem Heiligtum der Göttin Innana, in Verbindung gebracht werden. Wörtlich »der aus dem Himmel heraustritt«.

Texte aus Mesopotamien (51) soll

sie mir das ›Große Heiligtum‹ bauen und die ›Große Speisehalle‹ einrichten, ›Große Speisehalle‹, die Speisehalle der Götter, soll sie erstrahlen lassen! (53) (Dadurch) wird sie mir (alles für) meine Kultnormen in Kulaba vorbereiten. 26) (54) (Anschließend) soll man mir das Abzu so hoch wie den ›Glanzvollen Berg‹ (Uruks) bauen 27) (55) und Eridu wie das Gebirge kultisch reinigen; (56) das (ganze) Abzu-Heiligtum soll wie eine Silberader erstrahlen! (57) Wenn ich selbst (dann) ein Preislied im Abzu angestimmt (58) und die Kultnormen von Eridu (nach Uruk) überführt habe, (59) wenn ich die Krone wie … im Königspriestertum habe erblühen lassen (60) und (diese) glänzende Königspriesterkrone (schließlich) in Uruk-Kulaba eingeführt habe, 28) ˆ epar führen, (61) dann möge mich der (Herr) des ›Großen Heiligtums‹ ins G ˆ epars möge mich (später zurück) ins ›Große Heiligtum‹ geleiten. 29) (62) und der des G (63) Die (ganze) Menschheit soll mich (dabei) bewundern, (64) [und das Volk] möge es freudig mitansehen.« (65) Da sprach die Freude des glanzvollen An, die Herrin, die das Bergland beobachtet, (66) die Herrscherin, das Duftöl des Ama’us ˇumgalana, 30) (67) Innana, die Herrin aller Bergländer, (68) (folgendes) zu Enmerkara, dem Sohn Utus: (69) »Enmerkara! Komm, ich will dir einen Rat geben, und du sollst meinen Rat annehmen. (70) Ich will dir etwas sagen, und du sollst darauf achten. (71) Nachdem du aus dem Heer einen Boten erwählt hast, der wortgewandt und schnell ist,« (72) – Wo wird Innana, die weise Frau dieser Angelegenheit, (wohl) das bedeutende Wort hinbringen lassen? – (73-74) »soll er dein Wort 31) ins östliche Gebirge 32) hinauf- und von dort (wieder) hinabbringen. (75) (Ganz) Susa, bis zum Land Ans ˇan hin, (76) wird ihn (an deiner statt) ehrerbietig wie eine Maus grüßen, (52) (diese)

26.

27. 28. 29. 30. 31. 32.

Sowohl das ›Große Heiligtum‹ (esˇ3-gal) als auch die ›Große Speisehalle‹ (unu2-gal) gehören in den Bereich der religiösen Bauten und passen daher in die Thematik der Einrichtung des Kults in Uruk durch Enmerkara. Die Errichtung der Gebäude ist die Voraussetzung für die Überführung der Kultnormen (me) von Eridu nach Uruk (Z. 58). Wörtlich »wie den ›Glanzvollen Berg‹ wachsen lassen«. Das Abzu ist das zentrale Heiligtum des Gottes Enki in Eridu. In Uruk war der weltliche Herrscher gleichzeitig der höchste Priester der Stadtgöttin Innana; sein Titel »Königspriester« (en) vereinigt beide Aspekte. Die Zeilen nehmen Bezug auf das Ritual der ›Heiligen Hochzeit‹, in welchem sich der Stadtherr in seiner priesterlichen Funktion mit Innana (beziehungsweise einer Priesterin als dessen Stellvertreterin) vereint. Ama’usˇumgalana ist ein Beiname von Dumuzi, Innanas göttlichem Geliebten. Eigentlich »er soll dich (= Enmerkara) … hinauf- und hinunterbringen«. Die Strecke, die der Bote auf seinem Weg von Uruk nach Arata zurücklegt, wird als ›Gebirge Zubi‹ (hur-sagˆ zubi) bezeichnet. Es gibt Hinweise dafür, daß in dem Begriff Zubi möglicher˘ Idee von »im Osten gelegen« bzw. »die Ostgrenze bildend« enthalten ist. weise die

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Catherine Mittermayer (77) und

die großen Gebirge, in denen es (von Leben) wimmelt, vor ihm im Staub kriechen. (79) Arata wird sich Uruk für mich unterwerfen! (80) Nachdem die Bevölkerung Aratas (81) Steine aus dem Gebirge vor Ort heruntergebracht hat, (82) wird sie dir das ›Große Heiligtum‹ bauen und die ›Große Speisehalle‹ einrichten, (83) (diese) ›Große Speisehalle‹, die Speisehalle der Götter, wird sie erstrahlen lassen! (84) (Dadurch) wird sie dir (alles für) deine Kultnormen in Kulaba vorbereiten. (85) (Anschließend) wird man dir das Abzu so hoch wie den ›Glanzvollen Berg‹ (Uruks) bauen (86) und Eridu wie das Gebirge kultisch reinigen; (87) das (ganze) Abzu-Heiligtum wird wie eine Silberader erstrahlen! (88) Wenn du selbst (dann) ein Preislied im Abzu angestimmt (89) und die Kultnormen von Eridu (nach Uruk) überführt hast, (90) wenn du das Königspriestertum [wie] … durch die Krone [hast erblühen lassen] (91) und (diese) glänzende Königspriesterkrone (schließlich) in Uruk-Kulaba eingeführt hast, ˆ epar führen, (92) dann wird dich der (Herr) des ›Großen Heiligtums‹ ins G ˆ epars wird [dich] (später zurück) ins ›Große Heiligtum‹ geleiten. (93) und der des G (94) Die (ganze) Menschheit wird dich (dabei) bewundern, (95) [und das Volk] wird es freudig mitansehen. (96) Die Menschen von Arata (97) heben täglich … empor, (98) (doch) an (diesem) [Tag], wenn er langsam zur Neige geht, (99) werden sie sich am Ort des Dumuzi, wo Mutterschafe und Ziegenböcke […] zahlreich sind, (100) in der ›Mächtigen Flut‹, auf dem Feld des Dumuzi, 33) (101) vor dir wie Bergschafe ausruhen. (102) Geh wie die Sonne auf meiner glanzvollen Brust auf, (103) (denn) du wirst das Juwel an meiner Kehle sein! (104) Preis (sei) […] Enmerkara, dem Sohn Utus!« 34) (105) Der Stadtherr achtete auf das kostbare Wort Innanas (106) und erwählte einen Boten aus [dem Heer], der wortgewandt und schnell [war]. (107) – Wo wird Innana, die weise Frau dieser Angelegenheit, (wohl) das bedeutende Wort hinbringen lassen? – (108-109) »Du sollst mein Wort ins östliche Gebirge hinauf- und von dort (wieder) hinabbringen. (110) (Ganz) Susa, bis zum Land Ans ˇan hin, (111) wird [dich] (an meiner statt) ehrerbietig wie eine Maus grüßen, (78) werden

33. 34.

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Die Zeilen sind auf Arata zu beziehen. Sie spielen darauf an, daß die Stadt von Dumuzi gegründet wurde, wie später im Text explizit gesagt wird. Innana legt durch diese Worte bereits zu Beginn ihre Wahl fest. Der einzige, der nicht über diese göttliche Entscheidung Bescheid weiß, ist der Herr von Arata, entsprechend betont er immer wieder seine (nicht vorhandene) enge Beziehung zu Innana, was jedes Mal eine gewisse Situationskomik entstehen läßt.

Texte aus Mesopotamien (112) und

die großen Gebirge, in denen es (von Leben) wimmelt, vor dir im Staub kriechen. (114) Bote! Sag (dies) dem Herrn von Arata und füge (folgendes) an: (115) ›Wenn ich seine Stadt nicht wie eine wilde Taube von ihrem Baum verscheuchen (116) oder wie einen Vogel von seinem (selbst) gebauten Nest aufschrecken soll, (117) wenn ich sie nicht wie den festgelegten Marktpreis abwerten (118) oder wie eine vollkommen zerstörte Stadt in Staub verwandeln soll, 35) (119) wenn ich Arata auch nicht wie ein von Enki verfluchtes Dorf (120) oder einen von ihm zerstörten Ort vernichten soll, (121) und wenn ich auch seine Zukunft nicht [wie (etwas)], (gegen das) sich Innana erhoben, (122) gebrüllt und gedonnert hat, (123) und das sie (schließlich) ver[wüstet hat], zugrunderichten soll, (124) dann soll er, nachdem er [Roh]gold in Ledersäcke gepackt (125) und reine Edelmetallerze daneben gestellt hat, (126) nachdem er (diese) Metalle fest verpackt (127) und Berglandesel damit beladen hat, (128) für mich, den der ›kleine Enlil‹ von Sumer, (129) den der Herr Nudimmud auserwählt hat, 36) (130) daraus den ›Berg der unberührten Kräfte‹ 37) bauen. (131) So reizvoll wie den (immergrünen) Buchsbaum soll er ihn gestalten, (132) sein Strahlenglanz soll ebenso bunt schillern wie Utu, der aus (seinem) Gemach heraustritt, (133) und bei seinen Türpfosten soll (jeweils) eine Standarte erglitzern. (134) Wenn (schließlich) die glanzvollen Gesänge und die schicksalweisenden Lieder in seinen Gemächern erklingen, (135) dann rezitiere ihm das schicksalweisende Lied des Nudimmud!‹« (136) – (Ihr müßt wissen:) 38) Einst gab es weder Schlange noch Skorpion, (137) weder Hyäne noch Löwe, (138) weder Hund noch Wolf. (139) Es existierte nicht Furcht, nicht Schrecken, (140) und die Menschen hatten keinerlei Feind. ˇ ubur und Hamazi (141) Einst wandten sich (sowohl) die Gebiete S ˘ (113) werden

35. 36. 37. 38.

Wörtlich »den Staub halten lassen soll«. Sowohl ›Kleiner Enlil‹ als auch ›Nudimmud‹ sind Beinamen Enkis. kur me sikil-la »der Berg der unberührten Kräfte« ist auch eine Bezeichnung für Arata; an dieser Stelle scheint sich der Begriff aber eher auf einen Gebäudekomplex, vermutlich eine Tempelanlage, zu beziehen. An dieser Stelle erläutert der Erzähler, daß der Herr von Arata Enmerkaras (sumerische) Botschaft verstehen wird, weil damals noch alle Menschen dieselbe Sprache hatten (für diese Interpretation siehe erstmals van Dijk, OrNS 39 [1970] und später Klein, GS Cagni, 563584, und Mittermayer, Enmerkara, 57-62). Die Zeilen wurden lange als Inhalt des Namsˇub des Nudimmud aufgefaßt (siehe Kramer, JAOS 63 [1943] 191-194, Alster, RA 67 [1973] 101110 und Uehlinger, Weltreich). Jacobsen, FS Talmon, 414-416 (gefolgt von Wilcke, Feindschaften, 109-111), schlägt vor, die Zeilen als Einführung der Feindschaft und damit als göttliche Legitimation für Enmerkaras Handeln zu interpretieren.

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Catherine Mittermayer (142) (als auch) die (mit den heute) übersetzbaren Sprachen, (nämlich) Sumer, der ›Große Berg der fürstlichen Normen‹, (143) Akkad, das Land, das zur Zierde gereicht, (144) und das Gebiet der Martu, wo man auf sicheren Weiden ruht, (145) (ja) der gesamte Himmels- und Erdenkreis, (sämtliche) Völker, die gut umsorgt sind, (146) in einer einzigen Sprache an Enlil. (147) Einst, bis daß (wegen) der Wettstreite zwischen Stadtherren, Fürsten und Königen, (148) bis daß Enki (wegen) der Wettstreite zwischen Stadtherren, Fürsten und Königen, (149) (wegen) solcher Wettstreite zwischen Stadtherren, Fürsten und Königen, (150) Enki, der Herr, der Überfluß (bringt) und Wahres spricht, (151) der kluge Herr, der das Land beobachtet, (152) der Anführer der Götter, (153) zur Weisheit berufen, der Herr von Eridu, (154) ihr fremdartige Sprachen in den Mund gelegt hatte, (155) war die Sprache der Menschheit eine einzige gewesen! – (156) Als zweites fügte der Stadtherr dem Boten, der bald ins Bergland aufbrechen würde, (157) folgendes bezüglich Arata hinzu: (158) »Bote! (Auch) in der tiefsten Nacht (laß deine Füße) wie Regen niederprasseln, (159) am frühen Morgen sei (dennoch) aufrecht wie vom Tau (erfrischt)!« (160) Der Bote achtete auf das Wort (seines) Gebieters: (161) Des Nachts wandelte er mit den Sternen, 39) (162) und früh morgens zog er mit dem himmlischen Utu weiter. (163) – Wo läßt Innana, die weise Frau dieser Angelegenheit, (nun) das bedeutende Wort hinbringen? – (164-165) Er bringt sein Wort ins östliche Gebirge hinauf und von dort (wieder) hinab. (166) (Ganz) Susa, bis zum Land Ans ˇan hin, (167) grüßt ihn (an Enmerkaras statt) ehrerbietig wie eine Maus, (168) und die großen Gebirge, in denen es (von Leben) wimmelt, (169) kriechen vor ihm im Staub. (170) So manches Gebirge 40) überquerte er, (171) [und als er (schließlich seinen) Blick ho]b, hatte er Arata beinahe erreicht. (172) Freudig betrat er den Hof von Arata (173) und tat die Autorität seines Herrn kund. (174) Laut gab er die Worte wieder, die er sich gemerkt hatte, 41) (175) der Bote überbrachte sie dem Stadtherrn von Arata: (176) »Dein ›Vater‹, mein Gebieter, hat mich zu dir geschickt! (177) Der Herr von Uruk und Kulaba hat mich zu dir geschickt!« (178) »Wenn dein Gebieter etwas gesagt hat, was kümmert mich dies? Und wenn er etwas angefügt hat, was kümmert mich jenes?«

39. 40. 41.

10

Wörtlich »er ist ein Stern, er geht«. Wörtlich »fünf, sechs, sieben Gebirge«. Wörtlich »das Wort seines Herzens«.

Texte aus Mesopotamien (179) »Was

(also) ist es, das mein Herr gesagt und [angefü]gt hat? König, der seit (seiner) Geburt für die Königspriesterkrone bestimmt ist, (181) der Stadtherr von Uruk, die ›Wilde Schlange‹, die in Sumer lebt und Häupter wie zu Mehl zermalmt, (182) der Steinbock, der im hohen Gebirge (seine) enorme Kraft präsentiert, (183) der … eines mit Seife gereinigten Zickleins, der mit (seinen) Hufen stampft, (184) den die rechtschaffene Kuh 42) im Innern des Berglandes geboren hat, (185) Enmerkara, der Sohn Utus, hat mich zu dir geschickt! (186) (Höre), was mein Herr [sprach]: (187) ›Wenn [ich] seine Stadt nicht wie eine wilde Taube von ihrem Baum verscheuchen (188) oder wie einen Vogel von seinem (selbst) gebauten Nest aufschrecken soll, (189) wenn ich sie nicht wie den festgelegten Marktpreis abwerten (190) oder wie eine vollkommen zerstörte Stadt in Staub verwandeln soll, (191) wenn ich Arata auch nicht wie ein von Enki verfluchtes Dorf (192) oder einen von ihm zerstörten Ort vernichten soll, (193) und wenn ich auch seine Zukunft nicht wie etwas, (gegen das) Innana sich erhoben, (194) gebrüllt und gedonnert hat, (195) und das sie (schließlich) verwüstet hat, zugrunderichten soll, (196) dann soll er, nachdem er Rohgold in Ledersäcke gepackt (197) und reine Edelmetallerze daneben gestellt hat, (198) nachdem er (diese) Metalle fest verpackt (199) und Berglandesel damit beladen hat, (200) für mich, den der ›kleine Enlil‹ von Sumer, (201) den der Herr Nudimmud auserwählt hat, (202) daraus den ›Berg der unberührten Kräfte‹ bauen. (203) So reizvoll wie den (immergrünen) Buchsbaum soll er ihn gestalten, (204) sein Strahlenglanz soll ebenso bunt schillern wie Utu, der aus (seinem) Gemach heraustritt, (205) und bei seinen Türpfosten soll (jeweils) eine Standarte erglitzern. (206) Und wenn die glanzvollen Gesänge und die schicksalweisenden Lieder in seinen Gemächern erklingen, (207) dann rezitiere [ihm] für mich das schicksalweisende Lied des Nudimmud!‹ (208) Wenn du das, was du mir sagen möchtest, [mitgeteilt hast], (209) dann will ich [ihm], der erzeugt wurde, als der glanzbärtige (Utu) heruntergestiegen ist, (210) den seine mächtige Kuh [auf] dem ›Berg der unberührten Kräfte‹ [geboren hat], 43) (211) der auf dem Boden von Uruk großgezogen [worden ist], 44) (212) der vom Euter der rechtschaffenen Kuh Milch getrunken hat, (180) Mein

42. 43. 44.

Beiname der Ninsumun. Mit der ›mächtigen Kuh‹ wird erneut auf Ninsumun angespielt. Der Geburtsort Enmerkaras ist in der Deutung umstritten, da – wie bereits oben in Anm. 37 angedeutet – mit dem kur me sikil-la sowohl Arata oder aber auch ein Tempel(komplex) bezeichnet werden kann. Zwei Texte schreiben statt Uruk fälschlicherweise Arata, woraus die Mehrheit der Bearbeiter geschlossen hat, daß Enmerkara in Arata aufgezogen worden ist (anders nur Kramer, Enmerkar, 49 und Mittermayer, Enmerkara, 12-13).

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Catherine Mittermayer (213) der

für das Fürstentum in Kulaba, dem ›Berg der großen Kräfte‹, geschaffen ist, dem Sohn Utus, (215) über diese Angelegenheit im Heiligtum E’ana (nur) Gutes berichten. ˆ epar, das Früchte trägt wie ein junger Mesˇ-Baum, (216) In seinem G (217) will ich meinem König, dem Herrn von Kulaba, (deine Antwort) wiederholen.« (218) Kaum hatte er zu Ende gesprochen 45), (antwortete der Herr von Arata): (219) »Bote! Sag (dies) deinem Gebieter, dem Herrn von Kulaba, und füge (folgendes) an: (220) Ich bin der Stadtherr, der für die reinen Hände (Innanas) geschaffen ist! (221) Der ›riesige Zwingstock des Himmels‹, die Herrin von Himmel und Erde, (222) die Herrscherin über die zahlreichen göttlichen Kräfte, die glanzvolle Innana (223) hat mich nach Arata, zum ›Berg der unberührten Kräfte‹ gebracht! (224) Wie eine große Türe ließ sie mich die Bergfront versperren! (225) Wie könnte sich Arata Uruk (je) unterwerfen? (226) Daß sich Arata Uruk ergibt, wird es nie geben! Sag ihm das!« (227) Kaum hatte er zu Ende gesprochen, (228) erwiderte der Bote dem Herrn von Arata: 46) (229) »Für die große Herrin des Himmels, die auf furchterregenden göttlichen Kräften dahingleitet, (230) die im Gebirge des ›Funkelnden Berges‹ Platz genommen (231) und den Thron des ›Funkelnden Berges‹ (durch ihre Anwesenheit) geschmückt hat, (232-233) für die Herrin des E’ana hat man den Herrn, meinen König, ihren Diener eintreten lassen. (234) ›Der Stadtherr von Arata hat sich unterworfen!‹, (235) soll ich es ihm so in den Mauern Kulabas verkünden?« (236) In diesem Augenblick ward der Herr bekümmert und verzweifelt, (237) (denn) er konnte nichts entgegenbringen, obschon er nach einer Antwort suchte. (238) Schlaflos starrte er (lange) auf seine eigenen Füße, immer bemüht, eine Erwiderung zu finden. (239) (Plötzlich) fiel sie ihm ein! Er formulierte die Worte für sich 47) (240-241) und brüllte dem Boten die Antwort zu dieser Angelegenheit laut wie ein Stier entgegen: (242) »Bote! Sag (dies) deinem Gebieter, dem Herrn von Kulaba, und füge (folgendes) an: (243) ›Das große Gebirge (ist) ein Mes ˇ-Baum, der mit dem Himmel verwachsen ist, (244) seine Wurzeln bilden ein Netz, seine Äste sind eine Falle. (245) Die Krallen des … (sind) die des Anzu-Adlers, (246) … Innana, die (damit) … versperrt hat, (247) seine Adlerklauen, die das Blut des Feindes am Berg heruntertriefen lassen. (214) Enmerkara,

45. 46. 47.

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Wörtlich »während er (noch) so zu ihm sprach«. Bei den folgenden Zeilen handelt es sich um eine eigenmächtige Rede des Boten. Er versucht, den Herrn von Arata umzustimmen, indem er auf die enge Beziehung Innanas zu Enmerkara hinweist. Doch sein Gegenüber läßt sich davon nicht beeindrucken. Wörtlich »er ließ die Worte emporsteigen«.

Texte aus Mesopotamien (248) In

Arata [vergießt man keine] Tränen, wird Wasser libiert, Mehlopfer werden dargebracht, (250) und im Bergland richtet man sich im Gebet und Flehen fürbittend (an die Götter). (251) Ohne daß ein paar Männer hier sind, 48) (252) wie will das mobilisierte Uruk das östliche Gebirge angreifen? (253) Dein Herr hat sich (zwar) meinen Waffen entgegengestürzt, (254) ich (aber) will mich (ihm) in einem Wettstreit entgegenstellen. (255) Weder kennt er den Wettstreit, [noch] mißt er sich; (256) der Stier weiß [nicht], daß ein (anderer) Stier existiert! (257) (Erst) wenn er [den Wettstr]eit kennengelernt und sich gemessen hat, (258) wenn [der Stier] erfahren hat, daß ein (anderer) Stier existiert, (259) dann werde ich von ihm und dem Wettstreit ablassen. (260) (Und) sollte er etwas tun, dem keiner gleichkommen kann, 49) (261) werde ich (auch in Zukunft) von ihm ablassen.‹ (262) (Noch) etwas [Zweites], Bote, sage ich dir, (263) und ich werde das, was …, für dich geistreich formulieren, (damit) du dir alles merken kannst. 50) (264) (Inmitten des) E’ana, dem Löwen, der auf seinen Tatzen ruht (265) – aus seinem Inneren (dringt Lärm wie bei) einem laut brüllenden Stier –, ˆ epar, das wie ein junger Mesˇ-Baum Früchte trägt, (266) in seinem G (267) wiederhole (folgendes) für deinen Gebieter, den Herrn von Kulaba: (268) ›Wie ein Held ragt das Gebirge hoch auf und ist (tief im Boden) verankert. (269) Wenn Utu eines Abends zum felsigen Haus zurückkehrt 51) (270) und Blut aus den Augen (des heldenhaften Gebirges) heruntertriefen läßt, (271) wenn (später) Nanna majestätisch am Zenit steht (272) und seine Stirn in einen strahlenden Glanz hüllt, (273) wenn (das Gebirge dadurch) wie ein Baumstamm (den Zugang) zu den (dahinterliegenden) Bergländern abgesperrt hat, (274) und wenn (schließlich Innana), das Diadem Aratas, (275) der schöne Schutzgeist vom ›Berg der unberührten Kräfte‹, (276) Arata wie die glanzvolle Krone des Himmels (auf den richtigen Weg) geführt hat, (277) werde ich an diesem Tag meine Oberhoheit verkünden! (278) Dann braucht er nicht Gerste in Säcke zu füllen und auf Karren zu verladen, (279) er braucht (diese) Gerste nicht in die Bergländer hinaufzutragen (280) und, nachdem er … , sie dort hinzustellen. (281) Wenn er (aber) Gerste in großmaschige Netze gefüllt hat, (282) Packesel damit beladen (283) und Esel zum Wechseln in ihrer Nähe aufgestellt hat, (249) regelmäßig

48. 49. 50. 51.

Wörtlich »ohne daß fünf oder zehn Männer hier sind«; der Herr von Arata spielt darauf an, daß Enmerkara nur den Boten als einzigen Mann geschickt hat. Genauer »ihn, (der) etwas (tut), dem keiner gleichkommen kann« oder »ihn von der Sache, der keiner gleichkommen kann«. Wörtlich »das Ganze möge bei dir zupacken«. Wörtlich »zu seinem (= des Gebirges) Haus«. Gemeint ist ein Tag in der Zukunft, an dem sich zeigen wird, daß das Gebirge und damit auch Arata unbesiegbar ist.

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Catherine Mittermayer (284) und

wenn er sie (dann) im Hof von Arata haufenweise aufschüttet, nur falls) er sie tatsächlich aufhäufen sollte, sie, die Wonne des Getreide-

(285) (aber

haufens, (286) die Fackel der Bergländer, die Zierde der Dörfer, (287) (und auch nur falls) sie, welche die sieben Mauern geschmückt hat, (288) die heldenhafte Herrin, die sich für die Schlacht eignet, (289) Innana, die Heldin, die in der Schlacht auf Erden die Köpfe wie ein Springseil (durch die Lüfte) schwingt, (290) Arata tatsächlich wie einen Leichen jagenden Hund aus der Hand werfen sollte, (291) werde ich mich ihm an diesem Tag beugen (292) und seine Oberhoheit verkünden. (293) Zusammen mit meiner Stadt werde ich mich (ihm) als ›Sohn‹ unterwerfen.‹ Sag ihm das!« (294) [Kaum hatte er] zu Ende gesprochen, (295) drehte sich der Bote – der Herr von Arata (296) hatte ihm (dies) wie seine (eigene) Stimme in den Mund gelegt – (297) wie eine Wildkuh auf den Schenkeln um, (298) wie eine Sandfliege durchstreifte er im Morgengrauen den Wald. (299) Freudig betrat er die Mauern Kulabas (300) und eilte zum Haupthof, zum Hof der Versammlung. (301) Für seinen Gebieter, den Herrn von Kulaba, (302) wieder[holte er (alles)] mit der Stimme (des Herrn von Arata), (303) wie ein Stier brüllte er es ihm zu, (304) während (Enmerkara) ihm wie ein … Stier zu[hörte]. (305) (Anschließend) w[andte] der Herr seine rechte Seite dem Feuer zu, (306) seine linke lehnte er zurück. (307) (Zu sich selbst) sprach er: »Wenn Arata doch nur über den (von Innana) erteilten Rat Bescheid wüßte!« 52) (308) Ein (neuer) Tag brach an. Als Utu hervorgekommen war, (309) hob (Enmerkara,) der Sonnengott des Landes, (sein) Haupt. (310) Der König führte den Tigris mit dem Euphrat (311) und den Euphrat mit dem Tigris zusammen. 53) (312) Große Schüsseln wurden unter (freiem) Himmel angeordnet, (313) kleine ließ man wie Lämmer im duftenden Gras an ihrer Seite stehen, (314) und Schüsseln (mit dem Namen) ›Auge des Himmels‹ wurden ganz in ihrer Nähe aufgestellt, (315) während der Herrscher, der für die goldenen Es ˇda-Gefäße 54) (verantwortlich war), (316) Enmerkara, der Sohn Utus, breitbeinig dastand.

52. 53. 54.

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Enmerkara bezieht sich auf den Ratschlag, der ihm von Innana zu Beginn der Erzählung gegeben wurde, und der bereits den Sieg Enmerkaras impliziert. Der folgende Wettstreit müßte nicht stattfinden, wenn der Herr von Arata darüber Bescheid wüßte. Wörtlich »er läßt den Tigris und den Euphrat parallel laufen«; die Zeilen sind eine Metapher für das Zusammenführen von Reichtum in Uruk. Ein literarisches Wort für ein nicht näher zu bestimmendes Kultgefäß.

Texte aus Mesopotamien (317) In dem Moment öffnete die mit der Tafel … und dem Schreibrohr der Versammlung, (318) die goldene Statue, die an einem guten Tag erschaffen worden war, (319) die schöne Nanibgal, die das reine …, (320) Nisaba, die überaus kluge Herrin, (321) für ihn ihr glanzvolles ›Haus der Weisheit Nisabas‹. (322) Nachdem er in den Palast des Himmels eingetreten war, gab er acht. (323) Der Stadtherr öffnete (daraufhin) seinen gewaltigen Kornspeicher (324) und legte seinen riesigen Maßbecher auf den Boden. (325) Aus der (gesamten) Gerste nahm der Herrscher seine alte Gerste heraus (326) und ließ sie überall zu Malz [keimen], (327) (um dann mit) den bartartigen Keimlingen, 55) die wie Unkraut […], (328) die Maschen der Netze zu verkleinern. (329) (Anschließend) füllte er die Gerste, die (in Arata) aufgehäuft werden sollte, hinein und fügte (ein wenig) für die Gerste pickenden Spatzen hinzu. 56) (330) Nachdem er Packesel damit beladen (331) und (weitere) Esel zum Wechseln in ihrer Nähe aufgestellt hatte, (332) hatte der König, der überaus kluge Mann, (333) der Stadtherr von Uruk und Kulaba (334) die Reise nach Arata vorbereitet. (335) (In einer langen Reihe,) wie Ameisen in der Erdspalte, (336) bewegten sich die Menschen gemeinsam nach Arata. (337) Der Herr fügte dem Boten, der bald ins Bergland aufbrechen würde, (338) folgendes bezüglich Arata hinzu: (339) »Bote! Sag (dies) dem Herrn von Arata und füge (folgendes) an: (340) ›Die Wurzeln meines Zepters sind die fürstlichen Normen, (341) seine Äste bilden einen Schutz für Kulaba; (342-343) unter (diesem) weit verzweigten Geäst erfrischt sich Innana im Heiligtum E’ana. (344) Wenn er ein (gleichwertiges) Zepter herausgearbeitet hat, soll er es bei sich tragen; (345) wie ein Perlenstrang aus Karneol oder Lapislazuli soll es in seiner Hand liegen. (346) (Dies) soll der Herr von Arata zu mir bringen.‹ Sag ihm das!« (347) Kaum hatte er zu Ende gesprochen, (348) wirbelte der Bote auf seinem Weg nach Arata (349) (bereits) den Staub der Straße mit seinen Füßen auf (350) und ließ die Kieselsteine im Gebirge knirschen; (351) wie ein Drache, der die Steppe heimsucht, hatte er keine Widersacher. (352) Als sich der Bote Arata näherte, (353) versammelte sich die Bevölkerung der Stadt, (354) um die Packesel zu bestaunen.

55. 56.

Wörtlich »mit den Bärten (des Malz)«. Wörtlich »es ist die Gerste des Haufens, er füllte sie hinein und fügte den Zahn des/für den Spatzen hinzu«, das heißt, Enmerkara gibt mehr Gerste hinein als verlangt, um den Verlust durch die Spatzen, die die Gerste aus den Säcken herauspicken, auszugleichen.

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Catherine Mittermayer (355) Auf

dem Hof von Arata schüttete der Bote Gerste, die aufgehäuft werden sollte, hin und fügte (ein wenig) für die Gerste pickenden Spatzen hinzu. (357) Wie wenn es himmlischen Regen und Sonne gegeben hätte, (358) herrschte in Arata (plötzlich) Überfluß, (359) wie wenn die Götter an ihren Wohnsitz zurückgekehrt wären, (360) war der Hunger Aratas gestillt! (361) Die Menschen [von] Arata (362) […] das Feld mit dem gekeimten Malz. (363) Danach […] Berittene … […]. (364) Als sie […] am Ort zurückließen, 57) […], (365-366) […] … […] (367) Der Weise von Arata … […] (368) interpretierte das Geschehen für Arata (folgendermaßen): (369) »(Innana) hat (ihr) Interesse an Arata weg[geworfen], (370) (stattdessen) hat sie dem Herrn von Uruk ihre Hand [gereicht]! (371) Wir wollen uns in trügerischem Schein 58) (372) vor dem Herrn von Kulaba [mit …] Karneol zu Boden werfen.« (373) Die weisen Ältesten (374) standen händeringend an eine Wand gelehnt da, 59) (375) (doch schließlich) stellten sie dem Herrn ihre Schatzhäuser zur Verfügung. (376) … [im] Innern des Pal[astes], (377) [laut gab er die Worte wieder], die er sich [gemerkt hatte]: (378) »[Dein ›Vater‹, mein Gebieter] hat [mich] zu dir geschickt! (379) [Der Herr von Uru]k und [Kulaba] hat mich zu dir geschickt!« (380) »Wenn dein Gebieter etwas gesagt hat, was kümmert mich dies? Und wenn er etwas angefügt hat, was kümmert mich jenes?« (381) »Was (also) ist es, das mein Herr gesagt und [angefügt] hat? (382) ›Die Wurzeln meines Zepters sind die fürstlichen Normen, (383) seine Äste bilden einen Schutz für Kulaba; (384-385) unter (diesem) weit verzweigten Geäst erfrischt sich Innana im Heiligtum E’ana. (386) Wenn er ein (gleichwertiges) Zepter herausgearbeitet hat, soll er es bei sich tragen, (387) wie ein Perlenstrang aus Karneol oder Lapislazuli soll es in seiner Hand liegen. (388) (Dies) soll der Herr von Arata zu mir bringen.‹ (Das) hat er mir wahrlich gesagt!« (389) Kaum hatte er zu Ende gesprochen, (390) (da) trat (der Herr von Arata) in (sein) Privatgemach und legte sich mutlos nieder. (391) Der (nächste) Tag brach an, als bereits heftig diskutiert wurde. (392) (Der Herr von Arata) wählte Worte, die (sonst) nicht ausgesprochen wurden, (393) und er kaute auf der Angelegenheit herum wie ein Esel, der gefressenes Getreide (wiederkäut). (356) die

57. 58. 59.

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Jacobsen, The Harps, 303 ergänzt und übersetzt »[the grain], as it was left on the ground«. Wörtlich »auf leere und trügerische Art«; der Weise schlägt eine Scheinunterwerfung vor. Die Zeile beschreibt eine Geste der Verzweiflung und Hilflosigkeit.

Texte aus Mesopotamien

– Was sprach (da) der eine zum anderen? fügte der eine dem anderen im Einzelnen an? (396) Wie es der eine (eben) dem anderen vorgeschlagen hat, so sollte es (tatsächlich) geschehen! – (397) »Bote! Sag (dies) deinem Gebieter, dem Herrn von Kulaba und füge (jenes) an: (398) ›Ein Zepter (soll es sein, das) weder aus Holz ist noch (als) ›Holz‹ bezeichnet wird! (399) Wenn er … in seine Hand gelegt und ich es mir angesehen habe, (400) darf es weder aus Pappel noch aus Weihrauchbaum sein, (401) weder aus einer Konifere noch aus einem harzreichen Gewächs, (402) weder aus Zeder noch aus Wachholder, (403) weder aus Zypresse noch aus Buchsbaum. 60) (404) Es darf weder aus dem (starken) Holz einer … Euphratpappel, dem Wagenholz, (405) noch aus einem (zarten) Zweig, dem Griff einer Gerte, sein. (406) (Auch) soll es weder aus Gold und Kupfer, (407) noch aus reinem Edelmetall und Silber, (408) oder aus Karneol und Lapislazuli sein. (409) Wenn er (ein solches) Zepter herausgearbeitet hat, soll er es bei sich tragen, (410) wie ein Perlenstrang aus Karneol oder Lapislazuli soll es in seiner Hand liegen. (411) (Dies) soll der Herr von Kulaba zu mir bringen.‹ Sag ihm das!« (412) Kaum hatte er zu Ende gesprochen, (413) entfernte sich der Bote (bereits) schnaubend wie ein junger Eselhengst, der sich losgerissen hatte, 61) (414) er rannte dahin wie ein durch die Wüste galoppierender Steppenesel, (415) seine Nase in den Wind gestreckt. (416) Wie ein langhaariges Schaf, eines, das wütend angreift, nahm er den direktesten Weg (417) und betrat freudig die Mauern Kulabas. (418) Seinem König, dem Herrn von Kulaba, (419) übermittelte er die Botschaft Wort für Wort. (420) Enki verlieh Enmerkara die (nötige) Klugheit; (421) [aufgrund seiner] großartigen Zeichen erteilte der Herr Befehle. (422) … (423) Der Herrscher [… und] nahm […] heraus, (424) er … es, […] Hand und untersuchte es. (425) Er zertrümmerte es auf dem Na-Stein 62) wie malmende Zähne (es tun würden), (426) (dann) goß er es wie Öl in ein Rohr, das einen furchterregenden Glanz ausströmt. (427) Immer wieder kommt es von der Sonne in den Schatten, (394)

(395) Was

60. 61. 62.

Nach Text A lauten die Zeilen 401-403: »weder aus Zeder noch aus Zypresse / weder aus einer Konifere noch aus Wachholder / weder aus Ebenholz noch aus Buchsbaum«. Wörtlich »der (seine) Halterung (durch die er angebunden war) zerbrochen hatte« oder »dem (seine) Halterung zerbrochen worden ist«. Die Identifikation des Na-Steins ist unklar; es handelt sich aber um einen Stein, aus dem einerseits Stelen gehauen wurden, der andererseits aber auch pulverisiert werden konnte. Wie in vorliegender Zeile beschrieben, diente er bisweilen auch als eine Art Unterlage, auf der ein anderes Material bearbeitet werden konnte.

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Catherine Mittermayer (428) und

vom Schatten in die Sonne. viele Jahre vergangen waren, 63) (430) spaltete er das Rohr, das einen furchterregenden Glanz ausströmt, wie mit einer Axt. (431) Freudig betrachtete der Herr (das Ergebnis). (432) Er übergoß das Zerschlagene mit parfümiertem und gepreßtem Öl des ›Funkelnden Berges‹, (433) (anschließend) legte der Stadtherr dem Boten, der bald ins Bergland aufbrechen würde, (434) das Zepter in seine Hand. (435) Während der Bote nach Arata lief, (436) (zog er) wie eine Gans über die Gebirge und wie eine Fliege über die Wüste. (437) Indem er wie ein … durch das Bergland streifte, näherte er sich Arata. (438) Freudig betrat er den Hof von Arata (439) und legte – in der Tat! – das … Zepter hin. (440) Nachdem er sich verbeugt hatte, war (seine) Arbeit verrichtet. (441) Der Herr von Arata, der (wie gebannt) auf dieses Zepter starrte, (442) wurde im Privatgemach, in seiner prächtigen Wohnung, von Panik erfaßt. (443) Zu seinem Vertrauten sprach der Stadtherr: (444) »Arata ist [wie] ein erschlagenes Mutterschaf, seine Straßen sind Feindesland! (445) Nachdem die glanzvolle Innana Aratas Überlegenheit (446) dem Herrn von Kulaba (ab)gegeben hat, (447) läßt (nun) ihr Mann, der den Boten gesandt hat, (448) seine bedeutende Leistung erstrahlen, damit ihm Gerechtigkeit widerfahre. 64) (449) Jetzt blickt die glanzvolle Innana auf uns! 65) (450) Wo läßt sie (wohl) diesen trügerischen (Zustand) in Arata hinziehen? (451) Wie lange wird sie die (bedrohliche) Hacke gutheißen? 66) (452) Werden wir uns (tatsächlich) in trügerischem Schein (453) vor dem Herrn von Kulaba mit unserem Karneol, einer Lüge, zu Boden werfen müssen?« (454) Der Herr von Arata vertraute dem Boten (455) folgendes, wie (wenn es auf) einer riesigen Tafel (stehen würde), an: (456) »Bote! Sag (dies) deinem Gebieter, dem Herrn von Kulaba und füge (jenes) an: (457) ›Ein Hund (soll es sein, doch) er darf ihn weder schwarz noch weiß färben, (458) weder rotbraun noch dunkelrot, (429) Nachdem

63. 64. 65. 66.

18

Wörtlich »nachdem fünf, nachdem zehn Jahre vergangen waren«. Wörtlich »er läßt die gewichtige Angelegenheit erstrahlen, damit Utu aufgehe«. Der Herr von Arata spielt hier auf sein Versprechen an, daß er Enmerkara aus dem Wettkampf entlassen würde, falls er etwas Einmaliges leisten würde (Z. 281-293). Sie will sehen, wie der Herr von Arata reagiert. Genauer »wie lange ist es noch so, daß die (bedrohliche) Hacke gutgeheißen ist«. Die Hacke ist ein Zeichen für die Zerstörung einer Stadt und taucht oft in Städteklagen auf; hier stellt sie jedoch nur die Bedrohung durch Enmerkara dar. Der Herr von Arata interpretiert die Situation und damit die Überlegenheit seines Gegners als eine Art Trugbild, einen irrealen Zustand, der korrigiert werden muß, und er fragt sich, wie lange Innana noch tatenlos zusieht, bevor sie endlich zu seinen Gunsten eingreift.

Texte aus Mesopotamien (459) weder

grünlich noch bunt gefleckt; einen (solchen) Hund soll er dir mitgeben. Hund soll zusammen mit seinem einen Wettkampf austragen, (461) damit (alle) den Stärkeren erkennen!‹ Sag ihm das!« (462) Kaum hatte er zu Ende gesprochen, (463) eilte der Bote – endlich! – dahin. (464) Er brachte die Nachricht nach Kulaba, wie (wenn sie) eine gute Zukunft (versprechen würde). (465) Wie … richtete (Enmerkara daraufhin seine) Augen auf die Bergfront, (466) wie bei einer zornigen Schlange, die sich aus den Feldern herausreckt, hingen … herab. (467) … hob er das Haupt, (468) bei […] von Arata […] (469) Aus seinem Wohnsitz heraus rief er ihm [wie] eine heranrollende Sturmflut zu: (470) »Bote! Sag (dies) dem Herrn von Arata und füge (jenes) an: (471) ›Ein Gewand (soll es sein, doch) er darf es weder schwarz noch weiß färben, (472) weder rotbraun noch dunkelrot, (473) weder grünlich noch bunt gefleckt; ein (solches) Gewand soll er dir mitgeben. (474) (Erst danach) werde ich ihm meinen Hund, den ›Gudag ˆ al Enlils‹, senden. (475) Mein Hund soll zusammen mit seinem einen Wettkampf austragen, (476) damit (alle) den Stärkeren erkennen!‹ Sag ihm das! (477) Als Zweites sag ihm (dies), und füge (jenes) an: (478) ›(Er fragt sich), wie lange (Innana) diesen trügerischen (Zustand) in … hinziehen läßt? (479) Sollen sie in seiner Stadt (wieder) wie Schafe vor ihm hergehen? (480) Soll er ihnen (wieder) wie ihr Hirte folgen? (481) (Dann) soll er, wenn (Innana) kommt, – ein Berg von Edelmetall und Lapislazuli (482) ist für ihn (ja bereits) wie aufgehäuftes Rohr zusammengetragen worden –, (483) den Glanz von Gold und Silber (484) für Innana, die Herrin des E’ana, (485) im Hof von Arata haufenweise aufschütten.‹ (486) Als Drittes sag ihm (dies), und füge (jenes) hinzu: (487) ›Wenn ich seine Stadt nicht wie eine wilde Taube von ihrem Baum trennen soll, (488) wenn ich sie nicht wie […] schlagen (489) oder wie [den festgesetzten Marktpreis] abwerten soll, (490) und wenn ich ihn nicht … an Geistern vorbeiziehen lassen soll, (491) dann soll er mir, wenn sie kommt, (mit) den Steinen, die er im Gebirge erhalten hat, (492) das Heiligtum (von) Eridu, das Abzu und das Gemach, errichten. (493) Er soll mir seine Schilfbündelornamente (an den Türen) mit [zinnhaltigem] Ton (aus) dem Bergland schmücken (494) und seinen Schatten (weit) über Sumer und (alle) Bergländer breiten. (495) (Dann) soll die Anweisung des Nudimmud, (496) sein Omen, verkündet werden!‹ Sag es ihm!« (497) – Damals war es so, daß … (498) […] Fürst auf diese Anweisung hin … die fürstlichen Samen (460) Mein

19

Catherine Mittermayer (499) …,

das in einem einzigen … gewachsen ist. – war seine Forderung, (doch) ihr Inhalt war vollkommen verlorengegangen. (501) Der Bote war außerstande, sie zu wiederholen, (denn) die Angelegenheit war (zu) bedeutend. (502) Weil der Bote nicht in der Lage war, sie zu wiederholen – die Angelegenheit war (wirklich zu) bedeutend! –, (503) schlug der Herr von Kulaba (einen Klumpen) Ton (flach) und setzte (seine) Worte darauf, wie (wenn es) ein Siegel (wäre). (504) Früher hatte man nie Worte auf Ton festgehalten, (505) heute aber, unter der Sonne dieses Tages, sollte es tatsächlich so geschehen! (506) Der Herr von Kulaba hielt (seine) Worte [auf Ton] fest. So geschah es tatsächlich! (507) Der Bote schwang (seine) Arme (weit) aus wie ein Vogel (508) und blickte gefährlich wie ein Wolf, der ein Zicklein verfolgt. (509) (So) überquerte er manch ein Gebirge, (510) und als er (schließlich seinen) Blick hob, hatte er Arata beinahe erreicht. (511) Freudig betrat er den Hof von Arata (512) und tat die Autorität seines Herrn kund. (513) Laut gab er die Worte wieder, die er sich gemerkt hatte, (514) der Bote überbrachte sie dem Stadtherrn von Arata: (515) »Dein ›Vater‹, mein Gebieter hat mich [zu dir] geschickt! (516) Der Herr von Uruk und Kulaba hat mich zu dir geschickt!« (517) »[Wenn] dein Gebieter etwas gesagt hat, was kümmert mich dies? Und wenn er etwas angefügt hat, was kümmert mich jenes?« (518) »Was (also) ist es, das mein Herr gesagt und angefügt hat? (519) Mein König, […], … Nachkomme Enlils, (520) … mit [Himmel und Er]de verwachsen, (521) … ist es, [was … an den Himmel] … grenzt. (522) Wenn es […] steht, (523) erstrahlt er im [Königspriestertu]m und Herrscheramt. (524) Enmerkara, der Sohn Utus, hat mir den Ton mitgegeben. (525) Du, Herr von Arata, sieh (dir) den Ton an, erfahre den Inhalt der Worte. (526) Wenn du das, was du mir sagen möchtest, mitgeteilt hast, (527) dann will ich ihm, der [erzeu]gt wurde, als der glanzbärtige (Utu) heruntergestiegen ist, (528) den seine mächtige Kuh auf dem ›Berg der unberührten Kräfte‹ geboren hat, (529) der auf dem Boden von Uruk großgezogen worden ist, (530) der vom Euter der rechtschaffenen Kuh Milch getrunken hat, (531) der für das Königspriestertum in Kulaba, dem ›Berg der großen Kräfte‹, geschaffen ist, (532) Enmerkara, dem Sohn Utus, (533) über diese Angelegenheit im Heiligtum E’ana (nur) Gutes berichten. ˆ epar, das Früchte trägt wie ein junger Mesˇ-Baum, (534) In seinem G (535) will ich meinen Gebieter, dem Herrn von Kulaba, (deine Antwort) wiederholen.« (536) Kaum hatte er zu Ende gesprochen, (537) nahm der Herr von Arata vom Boten (500) Das

20

Texte aus Mesopotamien (538) den

Ton (Enmerkaras), auf dem alles festgehalten worden war, in Empfang. Herr von Arata blickte auf den Ton. (540) Damals war (dies Enmerkaras) Forderung, 67) es war eine wütende Willensäußerung, (541) (doch) der Herr von Arata starrte (nur lange) auf seinen Ton, auf dem alles festgehalten worden war. (542) In dem Moment lenkte der Herr, der für die Priesterkrone geschaffen ist, der Sohn Enlils, (543) Is ˇkur, der im Himmel und auf Erden laut brüllt, (544) der heranrollende Sturm, der große Löwendrache von Himmel und Erde …, seinen Schritt dorthin, (545) (woraufhin) die Bergländer […] erbebten (546) und das Gebirge […] vor ihm erzitterte. (547) Nachdem Regen … auf (Is ˇkurs) Brust herangetragen worden war, (548) hob er (sein) Haupt im prachtvollen Gebirge. (549) Weizen und auch Bohnen, die an Aratas ausgetrockneten Bergflanken, (550) im Inneren des Gebirges, (wie) von selbst gewachsen waren, 68) (551) – der (wie) von selbst wachsende Weizen war für die Lagerung bestimmt – (552) breitete man für den Herrn von Arata hin, (553) im Hof von Arata schüttete man ihn vor seinen Augen auf. (554) Der Stadtherr von Arata betrachtete den Weizen, (555) während der Bote seinen … Blick auf ihn gerichtet hielt. (556) (Da) sprach der Herr von Arata zum Boten: (557) »(Seht,) Innana, die Herrin aller Fremdländer, hat die Überlegenheit (558) ihrer Stadt, Arata, nicht entzogen, sie hat sie nicht Uruk zugesprochen! (559) Dem Lapislazulitempel hat sie sie nicht entzogen, sie hat sie nicht dem Heiligtum E’ana zugesprochen! (560) Dem ›Berg der unberührten Kräfte‹ hat sie sie nicht entzogen, sie hat sie nicht den Mauern Kulabas zugesprochen! (561) Dem prunkvollen Bett hat sie sie nicht entzogen, sie hat sie nicht dem nach Blumen (duftenden) Bett zugesprochen! 69) (562) (Auch) dem Herrn, der ihren reinen Händen (gehört), hat sie sie nicht entzogen, sie hat sie nicht dem Herrn von Uruk und Kulaba zugesprochen!« (563) – (Ihr müßt wissen:) Aratas rechte und linke Seite (539) Der

67.

68. 69.

Lies u4?-ba? du11-ga-ni-am3 (Mittermayer, Enmerkara, 65-66). Bis dahin wurde die Zeile enim du11-ga gag-am3 gelesen und im Sinne von »das gesprochene Wort waren Nägel« übersetzt; siehe H. L. J. Vanstiphout, Enmerkar’s invention of writing revisited, in: DUMUE2-DUB-BA-A. Studies in Honor of Åke W. Sjöberg (OPBF 11), Philadelphia 1989, 515-524. Die Lesung gag-am3 wurde zuletzt von J. Keetmann, Zwei Stellen aus Enmerkara und der Herr von Aratta, NABU 2010/63 verteidigt. Die Schilderung dieser Zeilen erfolgt aus der Sicht des Boten, der nur den künstlichen Bewässerungsanbau kennt; daher das Erstaunen, daß Weizen oder auch Bohnen ›von selbst‹ – nur durch Regen – wachsen können. Die Nennung der beiden Lagerstätten ist eine Anspielung auf Enmerkara und Ensukukesˇdana (siehe oben Anm. 15), wo die beiden Herren unter anderem darum streiten, wer das kostbarere Bett mit Innana teilt.

21

Catherine Mittermayer (564) umgibt

Innana, die Herrin aller Fremdländer, ihn (nur mehr) wie eine riesige, hervorquellende Wassermasse. 70) (566) Die Bevölkerung (Aratas) sind Leute, die aus (der gesamten) Menschheit auserwählt worden sind, (567) und die Dumuzi aus allen herausragen ließ; (568) sie waren es, die das kostbare Wort der Innana fest verankerten. (569) (Ihr Herr,) der Urigig ˆ ala, 71) der im Tempel geborene Diener Dumuzis, (570) …; (571) sie waren es, die in […] der Sintflut standen. (572) Nachdem die Sintflut (über die Stadt) hinweggeschleift war, (573) hatte Innana, die Herrin aller Fremdländer, (574) (die Bevölkerung Aratas) wegen (ihrer) großen Liebe zu Dumuzi (575) mit dem Lebenswasser besprengt (576) und ihnen Sumer untertan gemacht. – (577) Als (nun) der Urigig ˆ ala kam, 72) (578) bedeckte die bunte Königskappe sein Haupt, (579) und er war mit dem Fell und den Sehnen eines Löwen bekleidet. (580) Erhobenen [Hauptes] … er … über sein […] (581) und sprach über sich selbst … (582) […] schlug er … (583) Als Innana kam, (584) […] … (585) Ihr Lied gefiel Ama’us ˇ[umgalana], (586) (und so) hat sie, die glanzvolle Gattin, die […] des Dumuzi, seit diesem Tag (587) (das Lied) vor ihm vollendet, gesungen und die Worte bekannt gemacht. (588) Als (schließlich) die alte, weise Frau (= Nisaba) zum ›Berg der unberührten Kräfte‹ kam, (589) trat (Innana) vor ihm wie eine heiratsfähige Jungfrau heraus. (590) Sie hatte auf ihre Lider Kohl aufgetragen (591) und ein weißes […] an die Seite gebunden, (592) (leuchtend) wie das Mondlicht kam sie mit der rechtmäßigen [Herrscherkrone] hervor. (593) [Enmer]kara, der geradewegs auf sie zugegangen war, (565) für

70.

71.

72.

22

Innana hat zur Zeit der Erzählung in Arata nur noch eine Schutzfunktion inne, die aus den alten Zeiten vor der Sintflut herrührt. Die folgenden Zeilen beschreiben, wie Arata einst – wegen ihrer Liebe zu Dumuzi – im Mittelpunkt ihres Interesses stand. Die Zeiten gehören allerdings längst der Vergangenheit an. Die kurze Erläuterung wird eingefügt, um dem Publikum zu erklären, was tatsächlich Innanas Funktion in Arata ist, und daß sich der Herr von Arata gewaltig täuscht, wenn er sich seiner Oberhoheit rühmt. Urigigˆala scheint ein Titel des Stadtherrn von Arata zu sein; an dieser Stelle bezieht er sich möglicherweise auf den ersten Inhaber dieses Amtes. Nicht ausgeschlossen ist auch, daß in dem Titel eine Verbindung zur Funktion des Stadtherrn als Königspriester gesehen werden darf. Auch hier verweist der Titel auf einen Herrn von Arata, wobei dies nicht zwingend auf den aktuellen Stadtherrn, den Gegner Enmerkaras, zu beziehen ist; möglicherweise ist an dieser Stelle ein neuer Herr gemeint. In dem Fall könnte man an Enmerkara denken, der einige Zeilen später zusammen mit Innana in Arata auf den Thron geführt wird.

Texte aus Mesopotamien (594) ihr

[Gatte], Enmerkara, war mit ihr auf den Thron geführt worden. sie […] emporgehoben hatte, (596) vermehrten sich für Arata die Mutterschafe mit ihren Lämmern, (597) es vermehrten sich Ziegen und Zicklein, (598) es vermehrten sich Kühe und Kälber, (599) auch die Eselinnen mit ihren … Fohlen vermehrten sich für Arata. 73) (600) (Hört,) was (Innana damals) in Arata […] in (Enmerkaras) Gegenwart bestimmt hat: (601) »[…] soll aufgehäuft und zusammengetragen werden, (602) […] in deinem … , dein Überfluß.« (603) Nachdem sie den Herrn von Arata […] hatte machen lassen, 74) (604) war … im Bergland […] (605) Er … dort mit […] (606) […] ist vor … hervorgekommen, (607-610) … (611) »… als Zierde [… dien]en, (612) … fröhliche Musik […] (613) In … dein Überfluß … Himmel und Erde? … (614) [Vater] Enlil hat es dir geschenkt, bis […] soll (dies) bekannt sein!« (615) In […] waren die Felder nicht üppig gewesen und bewässert worden, (616) (doch) En[lil, der Vater] der Fremdländer hatte … (617) Sobald (jedem seine) Aufgabe zugewiesen worden war, (618) bereitete die Bevölkerung von Arata (619) (alles) vor, um Gold, Edelmetall und [Lapisla]zuli auszutauschen. 75) (620) Die Menschen, welche (gewöhnlich) Früchte von Bäumen neben (künstliche) Früchte aus Edelmetall stellen, (621) nachdem sie Feigen in ihrem Wein wie … in großen Mengen aufgehäuft hatten, (622) breiten sie am unteren Rand (dieses Haufens) hellen Lapislazuli aus, (623) an seiner Spitze reichten sie Metallklumpen hinüber. (624) Für Innana, die Herrin des E’ana, (625) werden sie (all das) im Hof des E’ana aufhäufen. (626) »Mein König, komm, ich will dir einen Rat geben, und du sollst meinen Rat annehmen. (595) Als

73. 74. 75.

Die ganze Passage mit Innanas Vorbereitungen, der Zusammenführung von Enmerkara und Innana und die daraus resultierende Fruchtbarkeit für Arata legt nahe, daß die beiden in einem Ritual, das an die ›Heilige Hochzeit‹ erinnert, zusammengeführt werden. Die folgenden fragmentarischen Zeilen beschreiben die Konsequenzen des Urteils für den Herrn von Arata. Die Bevölkerung von Arata bereitet hier den ersten Handelsaustausch vor, vermutlich will sie eine Gegenleistung zu den von Enmerkara im Laufe der Geschichte gelieferten Güter (die Gerste und das neue Material des Zepters) erbringen. Mit der Handelsthematik schließt sich der Kreis zum Anfang der Geschichte, wo der Warentausch als noch nicht existent beschrieben worden war. Die Erzählung wird deshalb zu Recht im Sinne einer Ätiologie des Fernhandels verstanden; siehe C. Zaccagnini, Ideological and procedural paradigms in Ancient Near Eastern long distance exchanges: The case of Enmerkar and the Lord of Aratta, AoF 20 (1993) 34-42.

23

Pascal Attinger (627) Ich

will dir ein Wort sagen, und du sollst darauf achten. das Volk … aller Bergländern ernannt hat, (629) […] Arata […], (630) und (dann) werden sie sagen ›Wohin ist [die Herri]n aufgebrochen?‹. (631) Wenn ich von hier fortgehe, (632) hat sie, die strahlende Herrin, mir meinen König gegeben. (633) Ges ˇtina[na …] (634) in dieser Stadt … […] (635) Ein Fest … nicht […] (636) Täglich […]« (637) [Nisaba sei Preis]! (628) Wenn

2. Bilgamesˇ , Enkidu und die Unterwelt

Pascal Attinger Die vorliegende Erzählung ist in 74 meist fragmentarischen altbabylonischen Abschriften erhalten. Die Mehrheit davon kommt aus Nippur, die restlichen aus Ur, Uruk, Isin, Sippar und Meturan. Der Sprache nach zu urteilen, wurde die Komposition spätestens am Anfang der Isin-Zeit (2019-1794 v. Chr.) zum ersten Mal verschriftet, möglicherweise aber viel früher. Die narrative Struktur der vorliegenden Erzählung ist ziemlich komplex, und ein »Kern der Geschichte« läßt sich kaum ermitteln. In einem Prolog (Z. 1-13) werden die Entstehung und Organisation der Welt und die Aufteilung der Herrschaftsbereiche zwischen den Göttern An und Enlil sowie der Unterweltsgöttin Eresˇkigala kurz dargestellt. Anschließend beginnt die eigentliche Handlung. Enki fährt mit einem Schiff in die Unterwelt (ein Grund für sein Unternehmen ist nicht angegeben) und wird von einem Sturm überrascht (Z. 14-26), in dessen Verlauf der Südwind einen Eichenbaum(?) entwurzelt (Z. 27-31). Diesen entdeckt die Göttin Innana, bringt ihn nach Uruk und pflanzt ihn wieder ein (Z. 32-37). Sie beabsichtigt, sich daraus einen Stuhl und ein Bett zu machen (Z. 38-39). Unerfahren im Gartenbau gießt sie ihn aber zu reichlich, so daß der Baum (in der Logik des Mythos) übergroß wird und nicht mehr gefällt werden kann (Z. 40-41). In ihm nisten sich drei Unholde ein: in seinen Wurzeln eine Schlange, in seinem Stamm das Mädchen der Winde und in seinem Wipfel der Anzu-Adler samt Jungen (Z. 42-44). Verzweifelt wendet sich Innana an den Sonnengott Utu und erzählt ihm das Geschehen (Z. 45-89). Utu aber verweigert ihr seine Hilfe (Z. 89a-90). Innana macht einen erneuten Versuch bei Bilgamesˇ (Z. 91133), diesmal mit Erfolg (Z. 134-135). Bilgamesˇ fällt mit einer mehr als zweihundert Kilogramm schweren Axt den Baum und verjagt die drei Unholde in die Einöde (Z. 136-143). Er übergibt Innana den zerlegten Baum (Z. 144-148), nachdem er für sich selber zwei Spielgeräte angefertigt hat: eine Holzkugel und einen Schläger (Z. 149-150). Damit spielt er auf den Straßen von Uruk eine Art Polo, wobei nicht auf Pferden, sondern auf Söhnen der Witwen von Uruk geritten wird (Z. 151-154), 24

Texte aus Mesopotamien

welche darunter schwer zu leiden haben (Z. 155-157). Infolge der Klagen ihrer Mütter und Schwestern lassen die Götter Holzkugel und Schläger in die Unterwelt hinabfallen (Z. 158-164). Nach vergeblichen Versuchen, sie mit der Hand oder dem Fuß zu erreichen, läßt Bilgamesˇ seinem Kummer freien Lauf (Z. 165-176). Sein Diener Enkidu erbietet sich, sie zurückzuholen (Z. 177-180). Bilgamesˇ nimmt den Vorschlag an und erklärt ihm, wie er sich im Totenreich zu verhalten habe. Um unerkannt zu bleiben, solle er sich nicht wie ein lebendiger Mensch, sondern wie ein Toter gebärden: kein sauberes Gewand anziehen, sich nicht mit Duftöl salben, usw. (Z. 181-205). Wie nicht anders zu erwarten war, mißachtet Enkidu die Ratschläge und wird von der Unterwelt gepackt (Z. 206-221). Bilgamesˇ sucht zuerst Hilfe bei Enlil, aber vergebens (Z. 222-230). Er wendet sich dann an Enki, der sich bereit zeigt, ihm in der Angelegenheit beizustehen (Z. 231-238). Der Sonnengott Utu, der während der Nacht durch die Unterwelt nach Osten zurückkehrt, soll veranlassen, daß man ein Loch in der Unterwelt öffnet, so daß Enkidu wieder zu seinem Herrn hinaufsteigen kann (Z. 239-241). Gesagt, getan. Dank des Traumgeistes kehrt Bilgamesˇs Diener auf die Erde zurück, ob als lebendiger Mann, als Totengeist oder in einem Traum, ist allerdings nicht klar (Z. 242-244). Er wird von Bilgamesˇ aufgefordert, ihm die Regeln der Unterwelt zu enthüllen, was er nur widerwillig tut (Z. 245-249). Nach einer unklaren Stelle, wo er möglicherweise das traurige Los einer früheren Gefährtin des Bilgamesˇ schildert (ihre Vulva ist von Ungeziefer befallen und voller Staub) (Z. 250-254), folgt eine je nach Version kürzere oder längere Liste von Fragen und Antworten über das Ergehen verschiedener Kategorien von Verstorbenen (Z. 255-303 und f 1-y 2). 76) Angeführt werden zum Beispiel Eltern mit einem bis sieben Nachkommen (je mehr Erben, desto günstiger das Schicksal) (Z. 255-268), Menschen ohne Kinder (Z. 269278), Kranke (Z. 287-290), wer eines gewaltsamen Todes gestorben ist (Z. 291-292, f 1-h 2), wer seine Eltern oder seinen Gott nicht achtete (Z. l 1-v 2), wer eines natürlichen Todes gestorben ist (Z. 298-299; er liegt auf der Ruhestatt der Götter) und kleine Frühgeburten (Z. 300-301; sie genießen Sirup und Sahne). Die Nippur-Fassung endet mit einem Scherz: Der Totengeist des Verbrannten hält sich nicht in der Unterwelt auf, sein Rauch ist zum Himmel aufgestiegen (Z. 302-303). In der Fassung aus Ur ist der Schluß ausführlicher. Enkidu berichtet über die Schicksale der Bürger ˆ irsu (Z. w 1-w 3), der Sumerer und Akkader (Z. x 1-x 2) und der aus der Stadt G Eltern des Bilgamesˇ (Z. y 1-y 2). Während die Sumerer und Akkader das trübe Wasser des »Schwindelortes« (ki-lul-la) trinken, genießen die Eltern des Bilgamesˇ das Wasser des »Oberortes« (ki-nim-ma). Nach einer Lücke befinden wir uns wieder in Uruk (Z. 1’ ff.). Bilgamesˇ ist zurückgekehrt und versucht anscheinend, mit seinem Vater und seiner Mutter in Kontakt zu treten oder sie wiederzutreffen, im Detail ist der Text aber schwer verständlich. In einer Spätfassung des Gilgamesˇ-Epos wurde Enkidus Gang in die Unterwelt (Z. 172-Ende) ins Akkadische übersetzt und als XII. Tafel »dem doch sonst wohl schon völlig abgerundeten Elftafelepos« (D. O. Edzard, OBO 160/4 [2004] 608) angehängt. 76.

Die Reihenfolge der Fragen und Antworten ist nicht fest, und es gibt je nach Abschrift größere Unterschiede.

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Pascal Attinger

Bearbeitung: S. N. Kramer, Gilgamesh and the Huluppu-Tree: A Reconstructed Sumerian Text (AS 10), Chicago 1938 (Teilbearbeitung); A.˘Shaffer, Sumerian Sources of Tablet XII of the Epic of Gilgamesˇ. Ph.D. dissertation, University of Pennsylvania, Philadelphia 1963; Th. Jacobsen, The Descent of Enki, in: M. E. Cohen / D. C. Snell / D. W. Weisberg (Hg.), The Tablet and the Scroll: Near Eastern Studies in Honor of William W. Hallo, Bethesda 1993, 120-123 (Teilbearbeitung); J. Black et alii, Gilgamesˇ, Enkidu and the nether world, ETCSL c.1.3.1, 1998-2000 (http://www-etcsl.orient.ox.ac.uk); A. Cavigneaux / F. Al-Rawi, La fin de Gilgamesˇ, Enkidu et les enfers d’après les manuscrits d’Ur et de Meturan (textes de Tell Haddad VIII), Iraq 62 (2000) 1-19 (Teilbearbeitung); A. R. George, The Babylonian Gilgamesh Epic II, Oxford 2003, 743-777 und 898-905 (Teilbearbeitung); A. Gadotti, »Gilgamesh, Enkidu and the Netherworld« and the Sumerian Gilgamesh Cycle. Ph.D. dissertation, The Johns Hopkins University, Baltimore 2005. – Übersetzung: S. N. Kramer, The Sumerians: their History, Culture and Character, Chicago / London 1963, 197-205; G. Pettinato, La saga di Gilgamesh, Milano 1992, 329-342 und 409-412; R. J. Tournay / A. Shaffer, L’épopée de Gilgamesh (LAPO 15), Paris 1994, 248-274; A. George, The Epic of Gilgamesh: A New Translation, New York 1999, 175-195; D. Frayne, Gilgamesh, Enkidu, and the Netherworld, in: B. R. Foster (Hg.), The Epic of Gilgamesh, New York / London 2001, 129-143; G. Pettinato, Mitologia sumerica, Torino 2001, 439-457; J. Black et alii, The Literature of Ancient Sumer, Oxford 2004, 31-40; P. Attinger, Bilgamesˇ, Enkidu et le monde infernal (1.3.1), http://www.arch.unibe.ch/attinger, 2008-2009, aktualisiert 2013 (Übersetzung mit ausführlichem philologischem Kommentar). – Teilübersetzung und Kommentar (in Auswahl): W. H. Ph. Römer, Aus »Bilgamesch, Enkidu und die Unterwelt«, Z. 231-303, TUAT II/1, Gütersloh 1986, 36-45; J. Bauer, Der »schlimme Tod« in Mesopotamien, in: H. Behrens / D. Loding / M. T. Roth (Hg.), DUMU-E2-DUB-BA-A: Studies in Honor of Åke W. Sjöberg (OPSNKF 11), Philadelphia 1989, 21-27; K. Hecker, Das akkadische Gilgamesch-Epos, Tafel XII, TUAT III/4, Gütersloh 1994, 739-744; J. Klein, A New Look at the »Oppression of Uruk« Episode in the Gilgamesˇ Epic, in: T. Abusch (Hg.), Riches Hidden in Secret Places: Ancient Near Eastern Studies in Memory of Thorkild Jacobsen, Winona Lake 2002, 187201; M. P. Streck, Die Prologe der sumerischen Epen, OrNS 71 (2002) 189-266 (zu Bilgamesˇ, Enkidu und die Unterwelt: 194-196); D. O. Edzard, in: P. Attinger / W. Sallaberger / M. Wäfler (Hg.), Annäherungen 4: Mesopotamien. Die altbabylonische Zeit (OBO 160/4), Fribourg / Göttingen 2004, 605-609; K. Radner, Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbstdarstellung (SANTAG 8), Wiesbaden 2005, 82-85; A. J. Ferrara, A Hodgepodge of Snippets: Some Thoughts on Narrative Now and Then, in: P. Michalowski / N. Veldhuis (Hg.), Approaches to Sumerian Literature: Studies in Honour of Stip (H. L. J. Vanstiphout) (CM 35), Leiden / Boston 2006, 47-66; R. Rollinger, Gilgamesch als ›Sportler‹, oder: pukku und mikkû als Sportgeräte des Helden von Uruk, Nikephoros 19 (2006) 9-44; J. Keetman, König Gilgamesˇ reitet auf seinen Untertanen: Gilgamesˇ, Enkidu und die Unterwelt politisch gelesen, BiOr. 64 (2007) 5-31; R. Rollinger, TUM-ba u5-a in »Gilgamesˇ, Enkidu und die Unterwelt« (Z. 154/161) und dessen Konnex zu den Spielgeräten gˆisˇellag/pukku und gˆisˇE.KID-ma/mikkû, JCS 60 (2008) 15-23; J. A. Lynch, Gilgamesh’s Ghosts: The Dead, Textual Variation, and Mesopotamian Scribal Tradition. Ph.D., University of California, Los Angeles 2010. (1) In

jenen Tagen, in jenen fernen Tagen, 77) jenen Nächten, in jenen lange zurückliegenden Nächten, (3) in jenen Jahren, in jenen entfernten Jahren,

(2) in

77.

26

Eine ausführliche philologische Begründung der folgenden Übersetzung findet sich in Attinger, Bilgamesˇ, Enkidu et le monde infernal.

Texte aus Mesopotamien (4) damals

zu Urzeiten, als die Urordnung strahlend erschienen war, zu Urzeiten, als die Urordnung gebührend beachtet wurde, (6) als in den Heiligtümern des Landes Brot verkostet wurde, (7) als in den Backöfen des Landes Feuerstellen vorbereitet wurden, – (8) als der Himmel von der Erde getrennt wurde (9) und die Erde vom Himmel abgegrenzt wurde, (10) als sich die Menschheit einen Namen gemacht hatte, (11) nachdem An sich den Himmel genommen hatte, (12) Enlil sich die Erde genommen hatte, (13) und nachdem sie Eres ˇkigala mit der Verwaltung der Unterwelt 78) beschenkt hatten, – (14) als er fuhr, als er fuhr, (15) als der Ehrwürdige zur Unterwelt fuhr, (16) als Enki zur Unterwelt fuhr, (17) da prasselten auf den König kleine (Hagelkörner), (18) da prasselten auf Enki große (Hagelkörner). (19) Die Kleinen waren Hämmer, 79) (20) die Großen waren Hagelkörner, die das Schilfrohr schwanken ließen. (21) Den Boden, die Barke – die von Enki – (22) bedeckten sie; 80) es sind aufeinander prallende Schildkröten. (23-24) Wie Wölfe schnappten die Wasser am Schiffsbug nach dem König, (25-26) wie Löwen schlugen die Wasser am Schiffsheck gegen (das Boot) vor Enki. (27) Zu der Zeit war da ein einzelner Baum, ein einzelner Eichenbaum, ein einzelner Baum, (28) der am Ufer des funkelnden Euphrats gepflanzt worden war. (29) Während er aus dem Fluß Wasser trank, (30) riß der kräftige Südwind an seinen Wurzeln, brach seine Äste, (31) und der Euphrat überschwemmte ihn. (32) Eine Frau, die auf das Wort Ans geachtet hatte, (33) auf das Wort Enlils geachtet hatte, (34) nahm den Baum in ihre Hand und brachte ihn nach Uruk hinein. (35) In den blumigen Garten Innanas wurde sie hineingeführt. (36) Nicht mit ihren Händen pflanzte die Frau den Baum, sondern mit ihren Füßen, 81) (5) damals

78. 79.

80.

81.

Wörtlich »das der Unterwelt«. Über NA4 sˇu(-k), einen als Hammer benutzten Stein zum Arbeiten auf einem Amboß, s. zuletzt M. Civil, AuOr.-S 22 (2006) 132 f. In diesem Zusammenhang wäre auch »Hagelkörner (von der Größe) einer Hand« denkbar (so George, The Epic of Gilgamesh, 179; vgl. Streck, OrNS 71 [2002] 195). Die Syntax der Hauptversion der Zeilen 21 f. // 64 f. // 108 f. ist ungewöhnlich: ur2 ist ein Pendens, gˆesˇma2-tur-(r)e ein von sˇu2-sˇu2 abhängiger Direktiv und den-ki-ga-ke4/kam ein Genitiv, gefolgt vom Direktiv bzw. von der Kopula. Diese abgehackte Struktur könnte ein Versuch sein, das Durcheinander auf dem Boot dichterisch nachzuahmen. Gemeint ist wohl »ungeschickt«; vgl. zum Beispiel italienisch »lavorare coi piedi«, wörtlich »arbeiten mit den Füßen«, im Sinn von »schlecht arbeiten«.

27

Pascal Attinger (37) nicht

mit ihren Händen goß sie den Baum (zu) reichlich 82), sondern mit ihren Füßen. ist es soweit, daß ich mich auf einen prächtigen Stuhl setzen kann, der aus ihm (gemacht ist)?«, sagte sie. (39) »Wann ist es soweit, daß ich mich auf ein prächtiges Bett hinlegen kann, das aus ihm (gemacht ist)?«, sagte sie. (40) Nachdem fünf Jahre, [zehn] Jahre [vergangen waren], (41) wurde der Baum (so) dick, daß nicht einmal seine Rinde sich spalten ließ. (42) In seinen Wurzeln baute eine Schlange, der Zauberworte fremd sind, ihr Nest, (43) in seinen Wipfel setzte der Anzu-Adler (seine) Jungen hinein, (44) in seinem Stamm errichtete das Mädchen der Winde (seine) Behausung. (45) Die junge Frau, (sonst) immer lachend und frohgemut, (46) die leuchtende Innana, wie sie (jetzt) weinte! (47) Bei Anbruch des Tages, als der Horizont sich zu erhellen begann, (48) als die Spatzen in der Morgendämmerung loszwitscherten, (49) als der Sonnengott Utu aus (seinem) Gemach herauskam, (50-51) da sprach seine Schwester, die leuchtende Innana, zum jungen Helden Utu: (52) »Mein Bruder, in jener Zeit, als die Geschicke bestimmt wurden, (53) als das Land Tage des Überflusses erlebte, (54) (damals), nachdem An sich den Himmel genommen hatte, (55) Enlil sich die Erde genommen hatte, (56) und nachdem sie Eres ˇkigala mit der Verwaltung der Unterwelt beschenkt hatten, – (57) als er fuhr, als er fuhr, (58) als der Ehrwürdige zur Unterwelt fuhr, (59) als Enki zur Unterwelt fuhr, (60) da prasselten auf den König kleine (Hagelkörner), (61) da prasselten auf Enki große (Hagelkörner). (62) Die Kleinen waren Hämmer, (63) die Großen waren Hagelkörner, die das Schilfrohr schwanken ließen. (64) Den Boden, die Barke – die von Enki – (65) bedeckten sie; es sind aufeinanderprallende Schildkröten. (66-67) Wie Wölfe schnappten die Wasser am Schiffsbug nach dem König, (68-69) wie Löwen schlugen die Wasser am Schiffsheck gegen (das Boot) vor Enki. (70) Zu der Zeit war da ein einzelner Baum – War es ein Eichenbaum? Oder ein Buchsbaum? 83) –, (71) der am Ufer des funkelnden Euphrats gepflanzt worden war. (72) Während er aus dem Fluß Wasser trank, (73) riß der kräftige Südwind an seinen Wurzeln, brach seine Äste, (74) und der Euphrat überschwemmte ihn. (75) Ich, eine Frau, die auf das Wort Ans geachtet hatte, (76) auf das Wort Enlils geachtet hatte, (38) »Wann

82.

83.

28

a de2 (so die Hauptversion in Nippur) bedeutet normalerweise »überfluten«. Die Texte aus Ur haben a du11-g »bewässern«. Mindestens in der Nippur-Version gießt Innana den Baum zu reichlich, so daß er (in der Logik des Mythos) übergroß wird und nicht mehr gefällt werden kann. Der Dichter macht sich über die Ignoranz Innanas in Sachen Gartenbau lustig.

Texte aus Mesopotamien (77) nahm

den Baum in meine Hand und brachte ihn nach Uruk hinein. den blumigen Garten der leuchtenden Innana wurde ich hineingeführt. (79) Ich, die Frau, pflanzte den Baum nicht mit meinen Händen, sondern mit meinen Füßen, (80) ich, die Frau, goß (zu) reichlich den Baum nicht mit meinen Händen, sondern mit meinen Füßen. (81) ›Wann ist es soweit, daß ich mich auf einen prächtigen Stuhl setzen kann, der aus ihm (gemacht ist)?‹, sagte ich. (82) ›Wann ist es soweit, daß ich mich auf ein prächtiges Bett hinlegen kann, das aus ihm (gemacht ist)?‹, sagte ich. (83) Nachdem fünf Jahre, zehn Jahre vergangen waren, (84) wurde der Baum (so) dick, daß nicht einmal seine Rinde sich spalten ließ. (85) In seinen Wurzeln baute eine Schlange, der Zauberworte fremd sind, ihr Nest, (86) in seinen Wipfel setzte der Anzu-Adler (seine) Jungen hinein, (87) in seinem Stamm errichtete das Mädchen der Winde (seine) Behausung«. (88) Die junge Frau, (sonst) immer lachend und frohgemut, (89) die leuchtende Innana, wie sie (jetzt) weinte! (89a) Nachdem seine Schwester zu ihm (so) gesprochen hatte, (90) stand ihr der junge Held Utu, ihr Bruder, in dieser Sache nicht bei. (91) Bei Anbruch des Tages, als der Horizont sich zu erhellen begann, (92) als die Spatzen in der Morgendämmerung loszwitscherten, (93) als der Sonnengott Utu aus (seinem) Gemach herauskam, (94-95) da sprach seine Schwester, die leuchtende Innana, zum Helden Bilgames ˇ: (96) »Mein Bruder, in jener Zeit, als die Geschicke bestimmt wurden, (97) als das Land Tage des Überflusses erlebte, (98) (damals), nachdem [An] sich den Himmel genommen hatte, (99) [Enlil] sich die Erde genommen hatte, (100) und nachdem sie Eres ˇkigala mit der Verwaltung der Unterwelt beschenkt hatten, – (101) als er fuhr, als er fuhr, (102) als der Ehrwürdige zur Unterwelt fuhr, (103) als Enki zur Unterwelt fuhr, (104) da prasselten auf den König kleine (Hagelkörner), (105) da prasselten auf Enki große (Hagelkörner). (106) Die Kleinen waren Hämmer, (107) die Großen waren Hagelkörner, die das Schilfrohr schwanken ließen. (108) Den Boden, die Barke – die von Enki – (109) bedeckten sie; es sind aufeinander prallende Schildkröten. (110-111) Wie Wölfe schnappten die Wasser am Schiffsbug nach dem König, (112-113) wie Löwen schlugen die Wasser am Schiffsheck gegen (das Boot) vor Enki. (114) Zu der Zeit war da ein einzelner Baum – War es ein Eichenbaum? Oder ein Buchsbaum? –, (115) der am Ufer des funkelnden Euphrats gepflanzt worden war. (116) Während er aus dem Fluß Wasser trank, (117) riß der kräftige Südwind an seinen Wurzeln, brach seine Äste, (118) und der Euphrat überschwemmte ihn. (78) In

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Pascal Attinger (119) Ich,

eine Frau, die auf das Wort Ans geachtet hatte, das Wort Enlils geachtet hatte, (121) nahm den Baum in meine Hand und brachte ihn nach Uruk hinein. (122) In den Garten der leuchtenden Innana wurde ich hineingeführt. (123) Ich, die Frau, pflanzte den Baum nicht mit meinen Händen, sondern mit meinen Füßen, (124) ich, die Frau, goß (zu) reichlich den Baum nicht mit meinen Händen, sondern mit meinen Füßen. (125) ›Wann ist es soweit, daß ich mich auf einen prächtigen Stuhl setzen kann, der aus ihm (gemacht ist)?‹, sagte ich. (126) ›Wann ist es soweit, daß ich mich auf ein prächtiges Bett hinlegen kann, das aus ihm (gemacht ist)?‹, sagte ich. (127) Nachdem fünf Jahre, zehn Jahre vergangen waren, (128) wurde der Baum (so) dick, daß nicht einmal seine Rinde sich spalten ließ. (129) In seinen Wurzeln baute eine Schlange, der Zauberworte fremd sind, ihr Nest, (130) in seinen Wipfel setzte der Anzu-Adler (seine) Jungen hinein, (131) in seinem Stamm errichtete das Mädchen der Winde (seine) Behausung«. (132) Die junge Frau, (sonst) immer lachend und frohgemut, (133) die leuchtende Innana, wie sie (jetzt) weinte! (134) Nachdem seine Schwester zu ihm (so) gesprochen hatte, (135) stand ihr der Held Bilgames ˇ in dieser Sache bei. (136) Einen Gurt, fünfzig Minen 84) (schwer) ist er, band er um seine Hüfte – (137) fünfzig Minen waren für ihn wie dreißig Schekel! 85) (138) Seine Axt, die Seine auf allen Fahrten, (139) mit ihren sieben Talenten und sieben Minen 86) nahm er in seine Hand. (140) In den Wurzeln (des Baums) schlug er die Schlange, der Zauberworte fremd sind, nieder; (141) in seinem Wipfel nahm der Anzu-Adler seine Jungen und zog zum Bergland hin; (142) in seinem Stamm gab das Mädchen der Winde (seine) Behausung auf: (143) (Alle drei) entschwanden in wüste Einöden. (144) Den Baum riß er an seinen Wurzeln, brach sein Geäst ab. (145) Die Söhne seiner Stadt, die mit ihm gezogen waren, (146) schneiden die Äste ab und bündeln sie. (147) Der leuchtenden Innana übergibt er ihn für ihren Stuhl, (148) übergibt er ihn für ihr Bett. (149) Für sich selber fertigt er aus seinem Stamm eine Holzkugel, (150) aus seinen Ästen einen Schläger an. (151) Er, der sich immer eine Holzkugel gewünscht hatte, spielt (nun) auf den breiten Straßen mit einer Kugel, (152) er, der sich immer wieder pries, preist sich (nun) auf den breiten Straßen. (153-154) Während er auf einer Truppe (von) Witwensöhnen reitet, (120) auf

84. 85. 86.

30

Etwa 25 Kilogramm. Etwa 250 Gramm. Etwa 213,5 Kilogramm.

Texte aus Mesopotamien (155) klagen

sie »Weh, mein Nacken! Weh, meine Hüfte!« 87) eine Mutter hat: sie bringt ihrem Kind Essen, (157) der eine Schwester hat: sie schenkt ihrem Bruder Wasser ein. (158) Als der Abend nahte, (159) nachdem Bilgames ˇ die Stelle, wo die Holzkugel lag, mit einer Markierung gekennzeichnet hatte, (160) hob er die Holzkugel vor sich auf und brachte sie nach Hause. (161) Als er am frühen Morgen (wieder anfing), an der Stelle, die er mit einer Markierung gekennzeichnet hatte, zu reiten, (162) auf die klagend erhobenen Hände der Witwen hin, (163) auf die Rufe nach Recht der jungen Mädchen hin (164) fielen seine Holzkugel und sein Schläger auf den Grund der Unterwelt hinab. (165) Mit der Hand griff er nach ihnen, konnte sie aber nicht erreichen, (166) mit dem Fuß griff er nach ihnen, konnte sie aber nicht erreichen. (167) Er setzte sich ans Tor Ganzir 88), vor der Unterwelt. (168) Bilgames ˇ kamen die Tränen, er schluchzte: (169) »Weh, meine Holzkugel! Weh, mein Schläger! (170) Meine Holzkugel, die ich noch nicht ausgekostet hatte, (171) mein Spiel, dessen ich noch nicht überdrüssig war! (172) Hätte sich nur meine Holzkugel bei mir im Haus des Schreiners befunden, (173) hätte nur die Gattin des Schreiners wie meine leibliche Mutter bei mir gestanden, (174) hätte nur das Kind des Schreiners wie meine kleine Schwester bei mir gestanden! 89) (175) Meine Holzkugel ist in die Unterwelt hinabgefallen, wer wird sie mir von dort heraufholen? (176) Mein Schläger ist ins Totenreich hinabgefallen, wer wird ihn mir von dort heraufholen?« (177) Sein Diener Enkidu antwortete ihm: (178) »Mein Herr, wie du weinst! Warum quält sich dein Herz? (179) Heute noch will ich selber dir deine Holzkugel aus der Unterwelt heraufholen, (180) will ich selber dir deinen Schläger aus dem Totenreich heraufholen!« (181) Bilgames ˇ antwortete Enkidu: (182) »Wenn du heute in die Unterwelt hinabsteigst, (183) will ich dir einen Rat geben, präge dir meinen Rat ein! (184) Ein Wort will ich dir sagen, auf mein Wort dein Ohr! (185) Zieh dein sauberes Gewand nicht an, (186) (die Toten) sollen dich an diesem Zeichen nicht als Fremden erkennen! (187) Salbe dich nicht mit Duftöl aus der Schale, (188) sie sollen sich nicht wegen des Wohlgeruchs um dich sammeln! (189) Wirf kein Krummholz in der Unterwelt, (190) die vom Krummholz Getroffenen sollen dich nicht umringen! (156) Der

87. 88. 89.

Für eine abweichende Deutung der Zeilen 151-155 und 161 s. Rollinger, JCS 60 (2008) 15-23; kontextuell ist sie gut, sprachlich aber schwierig. Ein Tor zur Unterwelt und ein vor dem Eingang zur Unterwelt gelegenes Gebäude. Wenn ich diese schwierige Stelle richtig deute, bereut Bilgamesˇ, nicht zum Familienkreis des Schreiners zu gehören, denn seine Holzkugel wäre dann in dessen Haus geblieben.

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Pascal Attinger (191) Nimm

keinen Stab aus Manu-Holz 90) in deine Hand, die Totengeister werden vor dir erzittern! (193) Ziehe keine Schuhe an, (194) denn du wirst die Unterwelt erschüttern! (195) Küß nicht deine geliebte Frau, (196) schlag nicht deine verhaßte Frau, (197) küß nicht dein geliebtes Kind, (198) schlag nicht dein verhaßtes Kind, (199) denn der Ruf nach Recht wird dich in der Unterwelt packen, (200) (und zwar) hin zur Liegenden, zur Liegenden, (201) zur liegenden Mutter Ninazus: 91) (202) Ihren reinen Schoß bedeckt kein Gewand, (203) ihre reinen Brüste sind nicht mit Leinen überzogen. (204) [Finger] hat sie wie eine Hacke, (205) sie reißt sich [das Haar] aus [wie Lauch].« (206) Enkidu beachtete das Wort seines Herrn nicht. (207) Er zog ein sauberes Gewand an, (208) als Fremden erkannten ihn (die Toten) an diesem Zeichen. (209) Er salbte sich mit Duftöl aus der Schale, (210) wegen dieses Wohlgeruchs sammelten sie sich um ihn. (211) Ein Krummholz warf er in der Unterwelt, (212) die vom Krummholz Getroffenen umringten ihn. (213) Er nahm einen Stab aus Manu-Holz in seine Hand, (214) die Totengeister erzitterten vor ihm. (215) Er zog Schuhe an, (216) er erschütterte die Unterwelt. (217) er küßte seine geliebte Frau, (218) er schlug seine verhaßte Frau, (219) er küßte sein geliebtes Kind, (220) er schlug sein verhaßtes Kind. (221) Der Ruf nach Recht packte ihn in der Unterwelt. (222) Der Held Bilgames ˇ, Ninsumunas Sohn, (223) begab sich allein zum Ekur, dem Tempel Enlils, (224) vor Enlil weinte er: (225) »Ehrwürdiger Enlil, meine Holzkugel ist in die Unterwelt hinabgefallen, mein Schläger ist ins Totenreich hinabgefallen. (226) Enkidu schickte ich, sie zurückzuholen, da packte ihn die Unterwelt. (227) Nicht Namtar 92) packte ihn, nicht Asag 93) packte ihn, die Unterwelt packte ihn. (228) Er fiel nicht wie ein Mann in der Schlacht, die Unterwelt packte ihn. (192) denn

90. 91. 92. 93.

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Ein sehr hartes Holz. Ninazu ist ein Unterweltsgott. Ein Unterweltsgott, wörtlich »der das Schicksal bestimmt«. Ein Krankheitsdämon.

Texte aus Mesopotamien (229) Nicht der Totengeist Nergals, der niemanden verschont, packte ihn, die Unterwelt packte ihn.« (230) Der ehrwürdige Enlil stand ihm in dieser Sache nicht bei, so ging Bilgames ˇ nach Eridu. (231) Er begab sich allein nach Eridu, zum Tempel Enkis, (232) vor Enki weint er: (233) »Ehrwürdiger Enki, meine Holzkugel ist in die Unterwelt hinabgefallen, mein Schläger ist ins Totenreich hinabgefallen. (234) Enkidu schickte ich, sie zurückzuholen, da packte ihn die Unterwelt. (235) Nicht Namtar packte ihn, nicht Asag packte ihn, die Unterwelt packte ihn. (236) Er fiel nicht wie ein Mann in der Schlacht, die Unterwelt packte ihn. (237) Nicht der Totengeist Nergals, der niemanden verschont, packte ihn, die Unterwelt packte ihn.« (238) Der ehrwürdige Enki stand ihm in dieser Sache bei. (239) Zum jungen Helden Utu, dem von Ningal geborenen Sohn, sprach er: (240-241) »Laß jetzt, nachdem ein Loch in der Unterwelt geöffnet worden ist, Bilgames ˇs Diener aus der Unterwelt zu ihm heraufkommen!« (242) Ein Loch in der Unterwelt wurde geöffnet, (243) so daß er Bilgames ˇs Diener dank des Traumgeistes 94) aus der Unterwelt heraufkommen lassen konnte. (244) Bilgames ˇ umarmte ihn und küßte ihn. (245) Sie fragen einander aus: (246) »Hast du die Regeln der Unterwelt gesehen? (247) Würdest du sie mir nicht enthüllen, mein Freund, würdest du sie mir nicht enthüllen?« (248) »Wenn du willst, daß ich dir die Regeln der Unterwelt enthülle, (249) so sollst du dich setzen und weinen!« »Dann werde ich mich setzen und weinen!« (250) »Als sie (dein) Glied berührt hat, da hast du dich von Herzen gefreut. (251) Sie sagte: ›Ich werde gehen … (dein) Glied [wie] ein(en) Balken!‹ (252) (Jetzt) ist (ihre) Vulva wie ein […] von Ungeziefer befallen, (253) wie eine Erdspalte ist sie voller Staub.« 95) (254) Darauf rief der Herr »Wehe!« und setzte sich auf den Boden. (255) »Der (nur) einen Nachkommen hatte, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (256) »Daß ein Pflock in seine Wand geschlagen ist, 96) bejammert er bitterlich.« (257) »Der zwei Nachkommen hatte, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (258) »Auf zwei Ziegeln sitzt er und ißt Brot.« (259) »Der drei Nachkommen hatte, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?«

94. 95. 96.

Wörtlich »mittels seines (Utus) Traumgeistes«. Zu den Zeilen 250-253 s. P. Attinger, Rez. zu A. Shaffer, Ur Excavation Texts VI (2006), JCS 60 (2008) 127 f., und ders., GEN 250-253, NABU 2009/23. Der Pflock ist das Zeichen dafür, daß das Haus verkauft ist.

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Pascal Attinger (260) »Er

trinkt aus dem Wasserschlauch, der am Sattel hängt.« 97) vier Nachkommen hatte, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (262) »Er freut sich wie einer, der vierspännig fährt.« (263) »Der fünf Nachkommen hatte, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (264) »Nachdem er wie ein vorzüglicher Schreiber die Arme ausgebreitet hat, betritt er geradewegs den Palast.« 98) (265) »Der sechs Nachkommen hatte, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (266) »Er freut sich wie einer, der den Pflug anschirrt.« 99) (267) »Der sieben Nachkommen hatte, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (268) »Dicht hinter den Göttern sitzt er auf einem Stuhl und hört bei Gericht zu.« (269) »Der keinen Erben hatte, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (270) »Er ißt Brot, das wie ein … Ziegel ist.« (271) »Der Eunuche, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (272) »Wie ein eingeritzter Alala-Stab 100) steht er in der Ecke angelehnt, die ihm zugewiesen wurde.« (273) »Die unfruchtbare Frau, hast du sie gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihr?« (274) »Wie ein … Gefäß liegt sie auf der Seite, 101) sie macht niemanden (mehr) glücklich.« (275) »Der junge Mann, der noch nicht das Kleid vom Schoß seiner Frau wegzog, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (276) »Er fertigt einen dreifach zusammengefalteten Stoff, er klagt darüber.« 102) (277) »Die junge Frau, die noch nicht das Kleid vom Schoß ihres Mannes wegzog, hast du die gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihr?« (278) »Sie fertigt handgemachtes Rohr, sie klagt darüber.« [8 Zeilen sind zerstört] (261) »Der

97. Wortspiel basierend auf der Homonymität zwischen taksˇû »Drilling« und taksˇû < dag-si eine Halterung für den Trinkschlauch (J. S. Cooper, zitiert bei Gadotti, »Gilgamesh, Enkidu and the Netherworld«, 511). 98. Wörtlich »Wie ein guter Schreiber hat er die Arme geöffnet, er betritt geradewegs den Palast.« »Die Arme geöffnet haben« bezeichnet eine feierliche Haltung, die vor einer als wichtig erachteten Tätigkeit eingenommen wurde. Es gibt einen impliziten Vergleich zwischen den fünf Kindern und den fünf Fingern der Hand, dem ›Werkzeug‹ par excellence des Schreibers (s. Radner, Die Macht des Namens, 84). 99. Ein altbabylonisches Pfluggespann konnte aus sechs Tieren bestehen (M. Stol, Old Babylonian Cattle, BSA 8 [1995] 190); üblich waren allerdings zwei oder vier. 100. Möglicherweise ein Meßgerät; die Einritzung könnte eine Anspielung auf die Kastration sein. 101. Wörtlich »liegt auf ihren Rippen«. 102. Das Bild erklärt sich durch Bilgamesˇ und Huwawa A 107, wo der dreifach zusammengefaltete ˘ zwischen Bilgamesˇ und Enkidu versinnbildlicht. Stoff die Unzerstörbarkeit der Freundschaft Hier konnte der junge Mann das Kleid nicht vom Schoß seiner Frau wegziehen, weil sie (oder er) vorzeitig gestorben ist. Im Gegensatz zu einem dreifach zusammengefalteten Stoff ist also ihre Liebe »zerrissen« worden.

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Texte aus Mesopotamien (287) [»Der

…, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?«] 103) Speise ist getrennt (von den anderen), sein Trank ist getrennt (von den anderen), man streckt ihm seine Speise hin, man streckt ihm seinen Trank hin, er sitzt draußen vor der Stadt.« (289) »Der Aussätzige, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (290) »Er schüttelt sich wie ein Rind, Ungeziefer nagt an ihm.« (291) »Der in der Schlacht gefallen ist, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (292) »Weder Vater noch Mutter halten sein Haupt, seine Gattin weint um ihn, sein Leichnam liegt in der Steppe.« (293) »Der Totengeist, dem niemand etwas schuldig ist, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (294) »(Alles) zusammenkratzend ißt er Brotstücke und …, die auf die Straße geworfen wurden.« (295) »Der Poller in die Erde trieb, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (296) »›Wenn nur jemand das meiner Mutter berichten könnte!‹ (, sagt er). Nachdem ein Poller herausgezogen wurde, überschwemmt ihn Wasser. 104) (297) Er häuft ›Holzköpfe‹ 105) an: (es sind) seine Brotstücke.« (298) »Der eines natürlichen Todes gestorben ist, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (299) »Auf der Ruhestatt der Götter liegt er und trinkt dabei reines Wasser.« (300) »Die kleinen Frühgeburten, die ihren eigenen Namen noch nicht kennen, hast du sie gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihnen?« (301) »An Tischen aus Gold und Silber genießen sie Sirup und Sahne.« (302) »Der verbrannt ist, hast du den gesehen?« »Den habe ich nicht gesehen. (303) Sein Totengeist ist nicht da, sein Rauch ist zum Himmel aufgestiegen.« 106) (f 1) »Der vom Dach heruntergefallen ist, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (f 2) »Seine Knochen wurden nicht wieder eingerenkt.« (g 1) »Der, den ein Löwe gefressen hat, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (g 2) »›Wehe, meine Hände, wehe, meine Füße!‹, ruft er bitterlich.« (h 1) »Der, den Is ˇkur 107) umgestoßen hat, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (h 2) »Er schüttelt sich wie ein Rind, Ungeziefer nagt an ihm.« (l 1) »Der die Worte seiner Mutter und seines Vaters nicht ehrte, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?«

(288) »Seine

103. In der Ur- und Meturan-Version ist die folgende Zeile 288 das Schicksal des Aussätzigen. 104. Gemeint ist wohl, daß Wasser durch das vom Poller zurückgelassene Loch in die Unterwelt hinabfließt. 105. Sind die »Spitzen« der Poller gemeint? 106. So endete die Nippur-Version. Mit wenigen Ausnahmen sind die folgenden Zeilen nur in den Texten anderer Herkunft (Ur, Meturan, unbekannt) belegt. 107. Der Wettergott.

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Pascal Attinger (l 2) »Er

wird solange durstig bleiben, bis daß er den in einem ganzen Jahr fallenden Regen getrunken hat.« (m 1) »Der, den der Fluch seiner Eltern getroffen hat, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (m 2) »Eines Erben ist er beraubt, sein Totengeist streunt herum.« (n 1) »Der den Namen seines Gottes in Verruf brachte, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (n 2) »Sein Totengeist ißt bittere Speise, trinkt brackiges Wasser.« (v 1) »Der einen Eid leistete und dabei die Götter betrog, hast du den gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« (v 2) »An der Totenopferstätte, auf dem Gipfel der Unterwelt […] trinkt er, ohne seinen Durst stillen zu können.« ˆ irsu … seines Vaters und seiner Mutter, hast du den (w 1) »Der Bürger aus der Stadt G gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihm?« ˆ irsu stehen tausend Amurriter. Sein Totengeist (w 2) »Vor jedem einzelnen Bürger aus G kann sie weder mit den Händen zurückdrängen noch mit der Brust anrempeln. (w 3) An der Totenopferstätte, auf dem Gipfel der Unterwelt haben die Amurriter mich 108) vorwärtsgetrieben.« (x 1) »Die Sumerer und die Akkader, hast du die gesehen?« »Das habe ich.« »Wie ergeht es ihnen?« (x 2) »Sie trinken das trübe Wasser des ›Schwindelortes‹.« (y 1) »Mein Vater und meine Mutter, wo halten sie sich auf? Hast du sie gesehen?« »Das habe ich. (y 2) [Beide] trinken das Wasser des ›Oberortes‹.« Die Rückseite der Abschrift Ur6 enthält das Ende der Komposition in der Fassung aus Ur. Der Text ist schwer verständlich. (1’) Sie

bringen […] zurück, bringen zu ihrer Stadt […] zurück. (3’) (Bilgames ˇ) nahm mit sich Werkzeuge, die Ankara-Waffe, eine Axt und eine Lanze. (4’) Er versetzte seinen Palast in große Freude. (5’) Die Männer und die Frauen von Uruk, die Notablen und die Matronen von Kulaba (6’) betrachteten diese Statue 109), heller Jubel herrschte. (7’) Als der Sonnengott Utu aus seinem Gemach heraus kam, … (Bilgames ˇ) den Kopf, erhob ihn vor ihm (8’) und gab ihm die folgende Botschaft auf: (9’) »Vater, Mutter, trinkt klares Wasser!« 110) (10’) Es war nicht einmal Mittag … und man war immer noch dabei, eine Krone für die (Statue) zu flechten, (2’) sie

108. Enkidu. 109. Es ist nicht klar, um wessen Statue es sich handelt. 110. Während der Nacht kehrt Utu durch die Unterwelt nach Osten zurück. Auf seinem Weg wird er die verstorbenen Eltern des Bilgamesˇ treffen.

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Texte aus Mesopotamien

sich Bilgamesˇ in den Kihulu 111) stürzte. ˘ sich in den Kihulu. neunten Tag stürzte er ˘ Notablen und die Matronen von Kulaba (13’) Die Männer und die Frauen von Uruk, die weinten. (14’) Kaum hatte er gesprochen, ˆ irsu an. (15’) da rempelte er die Bürger von G (16’) »Vater, Mutter, trinkt klares Wasser!« (17’) Held Bilgames ˇ, Ninsumunas Sohn, es ist schön, dich zu preisen. (11’) als

(12’) Am

3. Innana und Ebih ˘

Pascal Attinger Die vorliegende Erzählung ist in 86 meist fragmentarischen altbabylonischen Abschriften erhalten. Die Mehrheit davon kommt aus Nippur, die restlichen aus Ur, Uruk, Isin, Kisˇ, Babylon, Sippar, Meturan und Susa. Der Sprache nach zu urteilen, wurde die Komposition spätestens am Anfang der Isin-Zeit (2019-1794 v. Chr.) zum ersten Mal verschriftet, möglicherweise aber viel früher. 112) Gegenstand des Mythos ist die Unterwerfung des (vergöttlichten) Gebirges Ebih ˇ ebel Hamrı¯n entsprechend, zieht sich˘ durch die Göttin Innana. Ebih, dem heutigen G ˘ ˙ östlich des Tigris über 250 km von Assur zum Fluß Diyala hin. Obwohl nicht höher als 300 m, war es eine wichtige natürliche und politische Grenze zwischen dem Gebiet von Sumer und Akkad und den nördlichen und nordöstlichen Ebenen. Nach einem Prolog, in dem Innana sowohl als Kriegsgöttin wie auch als Venusstern besungen wird (Z. 1-23), folgt ein Monolog der Göttin (Z. 24-51), in welchem sie zum einen ihren Entschluß bekundet, das unbotmäßige Ebih zu unterwerfen, und zum ˘ anderen die beabsichtigten Kampfhandlungen einzeln aufzählt (Z. 32-51). Ebih soll ˘ »wie eine von An verfluchte Stadt nie wieder restauriert werden, wie eine von Enlil zornig angeschaute (Stadt) sein Haupt nie wieder erheben« (Z. 48 f.). Innana macht sich schließlich bereit und geht zu ihrem Vater An (Z. 52-63). In einer langen Rede (Z. 64-110) erinnert sie ihn daran, daß er sie selbst mit höchster Macht ausgestattet habe (Z. 65-78). Sie sollte die erste unter den Göttern sein (Z. 86 f.). Ebih habe ihr aber ˘ keine Ehrfurcht entgegengebracht (Z. 88-91) und müßte deswegen bestraft werden (91-110). In seiner Antwort rät An Innana von ihren Plänen ab (Z. 112-127). Ebih sei ˘ ein blühendes und fruchtbares Land, gegen das sie nicht angehen könne (Z. 115-127). Wutentbrannt setzt sich Innana über den Rat ihres Vaters hinweg, bereitet den Kampf vor (Z. 130-136), vernichtet das früher so prächtige Gebirge (Z. 128-150) und recht111. ki-hulu, wörtlich »der schlimme Ort«, war nach B. Jagersma »the place where the deceased lies˘ in state prior to burial« (BiOr. 64 [2007] 293 mit Anm. 15). Wenn ich die Zeilen 10’ ff. richtig deute, versucht Bilgamesˇ, durch den Kihulu mit seinen Eltern in Kontakt zu treten ˘ oder sie wiederzutreffen. 112. Für ein eher spätes Datum könnte die nicht seltene Verwechslung zwischen 1., 2. und 3. Person bei den Verbalformen sprechen.

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fertigt ihre Rache in einer Rede an ihn. Ebih sei der Hybris verfallen, wollte zu hoch ˘ aufragen, zu schön sein und sei unbotmäßig (Z. 152-163). Am Ende folgt ein teilweise schwer verständliches Selbstlob Innanas (Z. 166-179), in dem sie u. a. die Einrichtung ihres Palastes und die Einführung von verschiedenen Kultdienern in ihr Amt erwähnt. Die Mehrheit der Forscher geht davon aus, daß diese Erzählung einen historischen Kern enthält. Erwogen wurden z. B. die Beseitigung der Gutäer durch Utuhegˆal am ˘ Anfang der Ur III-Zeit 113) und die Abwehrkämpfe Sˇulgis und seiner Nachfolger gegen die Hurriter. 114) Populär ist heute vor allem die von W. W. Hallo und J. J. A. van ˘ Dijk vorgeschlagene115) und von C. Wilcke vertiefte Hypothese, 116) wonach Innana ˇ ebel und Ebih »den erfolgreichen Kriegszug eines Königs von Akkade in den G ˘ 117) Hamrı¯n in mythischer Form erzählt«. Verfasserin wäre Enhedu’ana, die berühmte ˘ ˙ Tochter Sargons, des Begründers der Dynastie von Akkad. 118) Punktuell können solche historisierenden Interpretationen fruchtbar sein, eine Gesamterklärung des Mythos – die es allerdings auch kaum geben kann – liefern sie jedoch nicht. Vor allem die ablehnende Haltung des Gottes An den Absichten seiner Tochter gegenüber bliebe schwer verständlich. Ganz andere Wege gehen J. S. Cooper und B. De Shong Meador. Nach Cooper 119) beschreibt unser Text die Phasen der Venus, während De Shong Meador 120) den »struggle in the psyche between the backward pull of the idealized world of paradisiacal bliss and the forward impetus toward states of competence, autonomy, and independence« zu erkennen glaubt. Wie auch immer Innanas Kampf und Sieg über Ebih zu deuten sein wird, es sei hier lediglich vermerkt, daß die vor˘ liegende Erzählung zu einer Gruppe von Mythen gehört, die Innana als eine machthungrige, mit den eigenen Befugnissen nie zufriedene Göttin darstellen (s. v. a. auch die Dichtungen Innanas Gang zur Unterwelt und Innana und Enki). Bearbeitung: H. Limet, Le poème épique »Innina et Ebih«. Une version des lignes 123 à 182, ˘ OrNS 40 (1971) 11-28 und Tafel 1 nach S. 132 (Teilbearbeitung); P. Attinger, Inana et Ebih, ˘ 113. A. Falkenstein, Zur Chronologie der sumerischen Literatur, in: Compte rendu de la seconde Rencontre Assyriologique Internationale, Paris 1951, 12-27 (zu Innana und Ebih: S. 15 f.). ˘ E. Cassin / 114. D. O. Edzard, Das Reich der III. Dynastie von Ur und seine Nachfolgestaaten, in: J. Bottéro / J. Vercoutter (Hg.), Fischer Weltgeschichte Band 2: Die Altorientalischen Reiche I. Vom Paläolithikum bis zur Mitte des 2. Jahrtausends, Frankfurt am Main 1965, 129-164 (zu Innana und Ebih: S. 139). 115. W. W. Hallo / J.˘J. A. van Dijk, The Exaltation of Inanna (Yale Near Eastern Researches 3), New Haven / London 1968, 3. 116. C. Wilcke, Sumerische Lehrgedichte, in: W. von Einsiedel et alii (Hg.), Kindlers Literatur-Lexikon 6, Zürich 1971, 2135-2142 (zu Innana und Ebih: S. 2139 f.); ders., Politische Opposition ˘ nach sumerischen Quellen: der Konflikt zwischen Königtum und Ratsverammlung. Literaturwerke als politische Tendenzschriften, in: A. Finet (Hg.), La voix de l’opposition en Mésopotamie. Colloque organisé par l’Institut des Hautes Études de Belgique 19 et 20 mars 1973, Brussels 1974, 37-65 (zu Innana und Ebih: S. 56 f.); ders., Anfänge politischen Denkens, 29˘ 75 (zu Innana und Ebih: S. 47-49). ˘ 117. Wilcke, ebd., 49. 118. Hallo / van Dijk, Exaltation, 3, von den meisten angenommen; zu Recht kritisch sind Zgoll, HANE/M III/2 (2000) 90 und J. Cooper, Literature and History: The Historical and Political Referents of Sumerian Literary Texts, in: T. Abusch et alii (Hg.), Historiography in the Cuneiform World (CRRAI 45/I), Bethesda 2001, 135 Anm. 20. 119. Cooper, ebd., 143. 120. De Shong Meador, Inanna, 90.

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Texte aus Mesopotamien

ZA 88 (1998) 164-195; J. Black et alii, Inana and Ebih, ETCSL c.1.3.2, 1998 (http://www. ˘ etcsl.orient.ox.ac.uk); M. Jaques, Inanna et Ebih: Nouveaux textes et remarques sur le vocabulaire du combat et de la victoire, ZA 94 (2004) 202-225 (Teilbearbeitung). – Partitur: P. Delnero, Variation in Sumerian Literary Compositions: A Case Study Based on the Decad. Ph.D. dissertation, University of Pennsylvania, Philadelphia 2006, 2291-2359. – Übersetzung: J. Bottéro / S. N. Kramer, Lorsque les dieux faisaient l’homme. Mythologie mésopotamienne, Paris 1989, 219-229; B. De Shong Meador, Inanna, Lady of Largest Heart. Poems of the Sumerian High Priestess Enheduanna, Austin 2000, 89-113 und 201-203; G. Pettinato, Mitologia sumerica, Torino 2001, 284-294; J. Black et alii, The Literature of Ancient Sumer, Oxford 2004, 334-338; P. Attinger, Innana et Ebih (1.3.2), http://www.arch.unibe.ch/attin˘ ger, 2011, aktualisiert 2013 (Übersetzung mit philologischem Kommentar). – Teilübersetzung, Kommentar (in Auswahl): C. Wilcke, Politik im Spiegel der Literatur, Literatur als Mittel der Politik im älteren Babylonien, in: K. Raaflaub (Hg.), Anfänge politischen Denkens in der Antike. Die nahöstlichen Kulturen und die Griechen (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 24), München 1993, 29-75 (zu Innana und Ebih: S. 47-49); R. A. Casey, Inanna ˘ and Enki in Sumer: an Ancient Conflict Revisited. Ph.D. dissertation, The California Institute of Integral Studies, San Francisco 1998, 232-257; A. Zgoll, Ebeh und andere Gebirge in ˘ der politischen Landschaft der Akkadezeit, in: L. Milano et alii (Hg.), Landscapes: Territories, Frontiers and Horizons in the Ancient Near East (CRRAI 44/II = HANE/M III/2), Padova 2000, 83-90; F. Karahashi, Fighting the Mountain: Some Observations on the Sumerian Myths of Inanna and Ninurta, JNES 64 (2004) 111-118; P. Delnero, »Inana and Ebih« ˘ and the Scribal Tradition, in: G. Frame et alii (Hg.), A Common Cultural Heritage: Studies on Mesopotamia and the Biblical World in Honor of Barry L. Eichler, Bethesda 2011, 123149. (1) Herrin

… von furchterregender Natur, mit Schrecken angetan, die auf allem großen Wesenhaften 121) reitet, (2) Innana, die die schimmernde Ankara-Waffe meisterhaft handhabt, die mit Schlachtenblut bekleidet ist, (3) die in den großen Kämpfen umhertobt, den (Belagerungs)schild auf den Boden gestützt hat, (4) die Sturm und Sturmflut (als Waffen) ergriffen hat, (5) große Herrin Innana, die es versteht, im Kampfgetümmel Pläne zu schmieden, (6) Fremdländerzerstörerin, von (deinem) Arm her hast du einen Pfeil weit abgeschossen, den Ländern hast du (deine) Macht aufgezwungen! (7) Wie ein Löwe hast du im Himmel und auf der Erde gebrüllt, hast die Völker erzittern lassen; (8) wie ein großer Ur hast du dich angriffslustig vor das feindliche Land hingestellt; (9) wie ein grimmiger Löwe löschst du mit deinem Geifer dem Starrköpfigen und dem Ungehorsamen (das Leben) aus. (10) Meine Herrin: daß du groß geworden bist wie der Himmel, (11) daß du, junge Innana, riesig bist wie die Erde, (12) daß du wie der König Utu aufgehst, daß du mit weit ausgebreiteten Armen ausgreifst, (13) daß du am Himmel dahinziehst und dabei Ehrfurcht einflößend strahlst, 121. Diese Übersetzung von me, konventionell mit »göttliche Kräfte« wiedergegeben, folgt einem mündlichen Vorschlag K. Volks.

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Pascal Attinger (14) daß

du auf der Erde hellen Glanz trägst, du, im Gebirge angekommen, leuchtende Strahlen aussendest, (16) daß du im blühenden Bergland gebadet hast, (17) daß du den ›Funkelnden Berg‹, 122) das unbefleckte Land, formst, (18) daß du wie (die Götter namens) ›Herr Knospe‹ und ›Herr All‹ 123) die Keule anlegst, (19) daß du in jenen Schlachten wie eine niedermähende Waffe die Köpfe rollen läßt – (20) dazu stimmten die ›Schwarzköpfigen‹ 124) ein Lied an, (21) darüber singen alle Länder liebliche Freudenlieder. (22) Herrin der Schlacht, älteste Tochter Suens, (23) junge Innana, ich will dich lobpreisen! (24) »Als ich, die Herrin …, den Himmel umkreist hatte, die Erde umkreist hatte, (25) als ich, Innana, den Himmel umkreist hatte, die Erde umkreist hatte, (26) als ich über Elam und Subir 125) gekreist war, (27) als ich über dem Bergland der Lulubäer 126) gekreist war (28) und auf das Berglandinnere einstieß, (29) da erwies mir das Bergland seine Ehrfurcht nicht, mir, der Herrin …, die ich mich ihm genähert hatte; (30) mir, Innana, die ich mich dem Bergland genähert hatte, erwies es seine Ehrfurcht nicht; (31) mir, die ich mich dem Gebirge Ebih genähert hatte, erwies es seine Ehrfurcht nicht. ˘ (32) Weil es mir nicht von sich aus (Ehrfurcht) erwiesen hat, (33) weil es sich vor mir nicht tief verbeugt hat, (34) weil es mir gegenüber den Bart nicht durch den Staub gewischt hat, (35) will ich an das sich aufbäumende Gebirge Hand legen, es die Ehrfurcht vor mir lehren. (36) Gegen seine größte Kraft will ich den größten Stier aufbieten, (37) gegen seine klein(st)e Kraft den klein(st)en Stier. (38) Dahin will ich mich beeilen und mit dem leuchtenden Springseil hüpfen. 127) (39) Im Gebirge will ich unaufhörlich in die Schlacht ziehen, darauf will ich das Kampfgetümmel richten. (40) Pfeile aus dem Köcher will ich genau darauf abzielen, (41) ihm will ich einen Gürtel aus Schleudersteinen flechten. (42) Mit der Lanze will ich es polieren, (43) Bogen- und Keulen(träger) will ich darauf richten. (44) Die angrenzenden Wälder will ich in Brand stecken. (15) daß

122. Für eine Diskussion des kur /subi/, eines oftmals eng mit Innana verbundenen Ortes, s. zuletzt C. Mittermayer, Enmerkara und der Herr von Arata. Ein ungleicher Wettstreit (OBO 239), Fribourg / Göttingen 2009, 224 f.; G. Rubio, Reading Sumerian Names, I: Ensuhkesˇdanna and Baba, JCS 62 (2010) 34. 123. Zwei Vorfahren des Hauptgottes Enlil, über die wir sonst nichts wissen. 124. Eine Bezeichnung für die in Sumer lebenden Menschen. 125. Eine Bezeichnung für Nordmesopotamien. 126. Ein Gebiet der westiranischen Randgebirge im Bereich um Sulaima¯nı¯ya; s. H. Klengel, Art. Lullu(bum), RlA VII (1987-1990) 164-168. 127. Die Assoziation zwischen Kampf und Springseilspiel ist ein auch sonst in Innana-Texten belegtes Motiv.

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Texte aus Mesopotamien (45) Gegen (46) in

die Bösen darin will ich die Axt einsetzen, seinen Teichen will ich den (Feuergott) Gibil, den Reinen, ganze Arbeit leisten las-

sen. (47) Die Furcht vor dem unberührbaren Gebirge Arata 128) will ich darin verbreiten. (48) Wie eine von An verfluchte Stadt soll es nie wieder restauriert werden, (49) wie eine von Enlil zornig angeschaute (Stadt) soll es sein Haupt nie wieder erheben. (50) Das Bergland soll meinen Wandel genau betrachten, (51) Ebih soll mir huldigen und mich lobpreisen!« ˘ die Tochter Suens, (52) Innana, (53) legte das Königinnenkleid an, umhüllte sich mit Blüten, (54) schmückte ihre Stirn mit einer Aura des Schreckens (55) und ordnete um ihren weißen Hals glanzrote Karneolsteine an. (56) Durch die siebenköpfige Keule an ihrer rechten Seite gab sie sich das Aussehen eines jugendlichen Helden. (57) Sie setzte ihren Fuß auf die leuchtende Treppenstufe (58) – in der Dämmerung bildete (Ebih ) einen Bogen – 129) (59) und öffnete das bestaunenswerte˘ Tor zur Straße hin. (60) Sie trat mit Trankopfern vor An hin und führte die Riten durch. (61) An, der sich über Innana freute, (62) zog sie zu sich und nahm auf seinem Sitz Platz. (63) Sie (selber) setzte sich an die Ehrenseite Ans. (64) »An mein Vater, ich bitte dich um Gerechtigkeit, höre meinen Worten zu! (65) An, du hast die Furcht vor mir auf diesem Himmel lasten lassen. (66) Du bist es, der meine Worte im Himmel und auf der Erde keinen Widerspruch hat haben lassen. (67) (Bis) zum Rand des Himmels sind sie eine Streitaxt, (68) ein Zeichen, ein mansium. 130) (69-70) Fundamente zu ebnen, mich um den Thron mit fester Basis und … zu kümmern, (alles) wie einen mubum-Baum 131) zu biegen, (71) sechs (Esel) einzuspannen und auf dem Weg zu bleiben, (72) vier (Esel) einzuspannen und die Zügel zu halten, (73) die Feldzüge zu vernichten, in den kriegerischen Unternehmen bis zu den Grenzgebieten (des Feindlandes) vorzudringen, (74) dem König in dem zum Himmel aufwirbelnden Staub wie das Mondlicht aufzugehen, (75) daß die von (meinem) Arm her abgeschossenen Pfeile auf die Felder losgehen wie Heuschrecken (auf) Gärtner und Haine, (76) die Häuser im aufständischen Land (wie mit) einer Egge niederzuwalzen, (77) am Stadttor den Riegel zu entfernen, die Türflügel dem Sturm zu …, 132) 128. Ein fiktives Land im Iran. »Die Idee ›Arata‹ umfaßt die östlich hinter Susa, Ansˇan und den angrenzenden Gebirgen gelegenen, an Rohstoffen reichen Gebiete.« (Mittermayer, Enmerkara, 38). 129. Gemeint ist wohl, daß sich das Gebirge gegen den dämmerigen Himmel abhebt; vgl. Z. 119. 130. Ein Insignum des Königtums, das auch im Fluch über Akkade Z. 68 belegt ist. 131. So die meisten Duplikate; M 3340 hat »wie eine Eiche«. 132. u4 -de3 KAxX (Np2) // u4-de3 KAxMIN/A (MS 3340 [unveröffentlichtes Manuskript

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Pascal Attinger (78) (das alles) hast du, König An, mir in die Hand gegeben, die Macht darüber hast du mir anvertraut. (79) An der Rechten des Königs ließ man mich eintreten, um die aufständischen Länder zu zerstören. (80) Am Fuß des Berges möge er dank mir wie ein Falke auf Köpfe einhacken. (81) König An, deinen Namen will ich bis an die Grenzen des Landes Sumer wie einen Faden abrollen lassen. (82) Alle Fremdländer mögen meinetwegen wie wegen ›Erdspaltenschlangen‹ ihre Kleider abklopfen, (83) mögen sich vor mir wie vor einer aus ihrem Schlupfwinkel hervorkriechenden ›Allererste-Schlange‹ in die Umgebung zerstreuen! (84) Ums Bergland habe ich! den Arm gelegt, ich! habe es angeschaut und dann gewußt, wie lang es ist. (85) Über den schimmernden Himmelsweg habe ich die Hand ausgestreckt 133) und dann gewußt, wie tief es ist. (86) Ich will die (anderen) Götter übertreffen, (87) ich, Innana, will den Anuna-Göttern vorangehen! (88) Nachdem mir also das Bergland weder im Himmel noch auf der Erde Ehrfurcht entgegengebracht hat, (89) nachdem mir, Innana, das Bergland weder im Himmel noch auf der Erde Ehrfurcht entgegengebracht hat, (90) nachdem mir das Gebirge Ebih weder im Himmel noch auf der Erde Ehrfurcht ent˘ gegengebracht hat, (91) will ich, weil es mir nicht von sich aus (Ehrfurcht) erwiesen hat, (92) weil es sich vor mir nicht tief verbeugt hat, (93) weil es mir gegenüber den Bart nicht durch den Staub gewischt hat, (94) an das sich aufbäumende Gebirge Hand legen, es die Ehrfurcht vor mir lehren. (95) Gegen seine größte Kraft will ich den größten Stier aufbieten, (96) gegen seine klein(st)e Kraft den klein(st)en Stier. (97) Dahin will ich mich beeilen und mit dem leuchtenden Springseil hüpfen. (98) Im Gebirge will ich unaufhörlich in die Schlacht ziehen, darauf will ich das Kampfgetümmel richten. (99) Pfeile aus dem Köcher will ich genau darauf abzielen, (100) ihm will ich einen Gürtel aus Schleudersteinen flechten. (101) Mit der Lanze will ich es polieren, (102) Bogen- und Keulen(träger) will ich darauf richten. (103) Die angrenzenden Wälder will ich in Brand stecken.

K. Volks]) ist unklar; zu erwarten wäre entweder u4-de3 gub-bu-de3 »dem Sturm auszuliefern« / »dem Tageslicht auszusetzen« (s. P. Attinger / M. Krebernik, L’Hymne à Hendursagˆa ˘ (Hendursagˆa A), in: R. Rollinger [Hg.], Von Sumer bis Homer, FS M. Schretter [AOAT 325], ˘ Münster 2004, 63 Anm. 129) oder u4-de3 gu7(-u3)-de3 »durch den Sturm verschlingen zu lassen« (vgl. Klage über Sumer und Ur Z. 2 und 113). 133. So sechs Duplikate (darunter fünf aus Nippur) // »den schimmernden Himmelsweg habe ich vermessen« (fünf Duplikate, darunter drei aus Nippur; wörtlich »dem schimmernden Himmelsweg habe ich die Meßleine herausgebracht«).

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Texte aus Mesopotamien (104) Gegen (105) in

die Bösen darin will ich die Axt einsetzen, seinen Teichen will ich den (Feuergott) Gibil, den Reinen, ganze Arbeit leisten

lassen. (106) Die

Furcht vor dem unberührbaren Gebirge Arata will ich darin verbreiten. eine von An verfluchte Stadt soll es nie wieder restauriert werden, (108) wie eine von Enlil zornig angeschaute (Stadt) soll es sein Haupt nie wieder erheben. (109) Das Bergland soll meinen Wandel genau betrachten, (110) Ebih soll mir huldigen und mich lobpreisen!« (111) An,˘der König aller Götter, antwortete ihr: (112) »Meine Kleine, du forderst das Bergland – was macht es aber für einen Sinn? (112a) 134)Du forderst, Herrin …, das Bergland – was macht es aber für einen Sinn? (113) Du forderst, Innana, das Bergland – was macht es aber für einen Sinn? (114) Das Gebirge Ebih forderst du – was macht es aber für einen Sinn? ˘ Götter hat eine Ehrfurcht einflößende Ausstrahlung. (115) Der Aufenthalt der (116) Der leuchtende Sitz der Anuna-Götter ist unheimlich. (117) Ehrfurcht einflößend ist (auch) die Ausstrahlung des Gebirges, die auf Sumer lastet, (118) Ehrfurcht einflößend ist seine Aura, die auf allen Fremdländern lastet. 135) (119) Nachdem es sich in die Höhe geragt hat, bildete es am Himmel einen Bogen. 136) (120) In seinen grünen Gärten hängen Früchte, es ist (alles) voller Pracht. (121) Seine Riesenbäume erreichen die ›Lippen‹ des Himmels, stehen bestaunenswert da. (122) In Ebih lagern unter schattenspendenden, vielverästelten Bäumen Löwenpaare. ˘ (123) Es wimmelt dort von Wildschafen und Hirschen. (124) Seine Ure ziehen durch das dichte Gras, (125) und seine Wildziegen paaren sich unter den Zypressen des Gebirges. (126) Ehrfurcht einflößend ist die Ausstrahlung des Gebirges – du kannst dort nicht eindringen! (127) Ehrfurcht einflößend ist seine Aura – junge Innana, man kann nicht gegen es angehen!« (128) Während er zu ihr so sprach, (129) wurde die Unberührbare zornig, schäumte vor Wut. (130) Sie öffnete das Zeughaus, (131) drückte den (mit) Lapis (verzierten) Türflügel auf. (132) Daraus holte sie die größte Schlacht, stellte einen gewaltigen Sturm auf den Boden. (133) Die Frau legte einen riesigen Pfeil an, (107) Wie

134. So Ur5 und M1; diese Zeile fehlt in den anderen Duplikaten. 135. Die Zeilen 115-118 (vgl. Z. 126 f.) sind rätselhaft, weil Ebih nirgendwo sonst als Wohnsitz der (Anuna-)Götter gilt. Nach der communis opinio wären Z. ˘115 f. so zu verstehen, daß die Götter (vor Ebih) Angst haben; kontextuell scheint dies schlüssig, sprachlich aber schwierig. Ich gehe davon ˘aus, daß diese Zeilen einen impliziten Vergleich zwischen dem Wohnsitz der (Anuna-)Götter und Ebih enthalten, was jedoch eine ad hoc Deutung bleibt. Zu betonen ist schließlich die Tatsache, ˘daß die idyllische Beschreibung von Ebih in den Zeilen 119-125 ˘ ni husˇ mit »schreckziemlich deplaziert erscheint, wenn man klassisch (und oft zu Recht!) 2 ˘ liche Furcht« und su-zi mit »Schrecken« übersetzt. 136. Vgl. Z. 58.

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Pascal Attinger (134) die

schimmernde Innana ergriff den Köcher. aufsteigenden Orkan ließ sie einen gefährlichen Staub aufwirbeln, (136) im aufsteigenden ›bösen Wind‹ ließ sie ununterbrochen Scherben losgehen. (137) Meine Herrin stieß auf das Gebirge ein, (138) mit großen Schritten begab sie sich dahin. (139) Sie schärfte ihren zweischneidigen Dolch (140) und faßte Ebih beim Nacken wie (wenn man) Halfagras (ausreißt). ˘ sie wutentbrannt, (141) Gegen es schrie (142) toste wie eine Woge. (143-144) Ebihs eigene Steine prasselten auf seinen Leib. (145) In den ˘schwer zugänglichen Orten schnitt sie den großen ›Mutterleibschlangen‹ das Gift. (146) Seine Wälder verfluchte sie, seine Bäume verdammte sie. (147) Seine Eichen ließ sie in ihren … absterben. (148) Seinen Leib steckte sie in Brand, ließ Rauchwolken aufsteigen. (149) Die Herrin … verbreitete tiefes Schweigen im Bergland, (150) die schimmernde Innana ließ (Ebih ) zu einem Freudenquell werden. ˘ (151) Sie trat zum Gebirge Ebih und sprach zu ihm: ˘ (152) »Gebirge Ebih, weil du dich erhoben hast, weil du (so) hoch aufgeragt bist, ˘ schön gemacht hast, weil du (so) grün geworden bist, (153) weil du dich (so) (154) weil du die Hände gerade zum Himmel gestreckt hast, (155) weil du den schimmernden Herrschaftsmantel angezogen hast, (156) weil du dich (vor mir) nicht tief verbeugt hast, (157) weil du den Bart nicht durch den Staub gewischt hast, (158) hat man dich getötet, ins (Erd)innere hinabgeworfen. (159) Wie einen gehörnten Ur hat man dich bei den Hörnern gepackt, (160) wie ein großer Ur wurdest du bei deinen stämmigen Schultern (ergriffen und) zu Boden geworfen, (161) wie bei einem Rind habe ich deine Riesenschultern zu Boden gedrückt, dich bösartig stürzen lassen. (162) Tränen sind das Los deiner Augen geworden, (163) Klagen das Los deines Herzens.« (164) Auf (Ebihs) Leib baute der ›Herzensleidvogel‹ (sein) Nest. ˘ (165) Zum zweiten Mal preist (Innana) (ihre) Ehrfurcht einflößende Ausstrahlung, gebührlich rühmt sie sich selbst: (166) »Mein Vater hat auf allen Fremdländern große Ehrfurcht vor mir lasten lassen. (167) Meinen rechten Arm hat er mit einer Keule ausgerüstet, (168) an meinem linken Arm … ich … ein Siegel. (169) Mein Zorn (ist) eine Egge mit großen Zähnen, (die) die Berge spaltet. (170) Ich habe einen Palast gebaut, ihn besser (als jeden anderen) eingerichtet. (171) Einen Thron habe ich dort hingestellt, dessen Fundament festgemacht. (172) Dem Kurg ˆ ara 137) hat man Dolch und Stilett gegeben, (135) Im

137. Ein Kultdiener Innanas, der eine wichtige Rolle in rituellen Handlungen spielte, in denen es bis zur Selbstverwundung kam.

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Texte aus Mesopotamien (173) dem

Kultsänger Trommel und Pauke. Pilipili 138) wurde kopfunter gehalten. 139) (175) Mein Triumph eilte (zu Ebih). ˘ (176) Wie eine gewaltige, überfließende Flut habe ich … gegen es gebracht, (177) wie ein aufsteigendes Wasser habe ich den Riesenstoff 140) entschlackt. (178) Im Bergland habe ich den Sieg davongetragen, (179) in Ebih habe ich den Sieg davongetragen.« ˘ daß Ebih zerstört worden ist, sei die junge Innana, die älteste Tochter Su(180-181) Dafür, ˘ ens, gepriesen! (174) Der

4. Innana holt das erste Himmelshaus auf die Erde

Annette Zgoll Die Dichtung Innana holt das Himmelshaus 141) ist auf vier Textzeugen erhalten, die zwischen dem Beginn des 2. und der Mitte des 1. Jt. v. Chr. geschrieben wurden142). Die Herkunft der Tafeln läßt sich in zwei Fällen eindeutig bestimmen: Uruk 143) und Nippur; eine weitere Tafel kommt vermutlich aus Sippar, die vierte schließlich ist von unbekannter Provenienz. Drei Tafeln sind rein Sumerisch abgefaßt, die jüngste Tafel aus Nippur hingegen zweisprachig in sumerischer und akkadischer Sprache. Auf Basis dieser Tafeln lassen sich ungefähr 110 Zeilen des ursprünglich etwa doppelt so langen, teils schwer verständlichen Textes rekonstruieren. Anspielungen auf den Mythos und dessen Umdeutung im rituellen Lied der Hohepriesterin En-hedu-Ana ˘ um 2300 v. Chr. (Nr. 5) lassen erkennen, daß der mythische Stoff vom Herabholen des Himmelshauses auf die Erde spätestens im 23. Jh. v. Chr. schon in Umlauf war. Wie die wesentlichen Teile der menschlichen Kultur und Zivilisation entstehen können und inwieweit sie dem Menschen zur Verfügung stehen und er sie nutzen darf, darum kreisen verschiedene sumerische Mythen mit je ganz spezifischen Ant138. Ein Kultdiener Innanas; s. zuletzt I. Peled, On the Meaning of the »Changing pilpilû«, NABU 2003/3. 139. Bedeutung hier unklar. In Ninisina A 78 dient dieselbe Handlung der Förderung des Atems bei Neugeborenen. 140. tu9 mah / TU9.MAH (»Riesenstoff«) ist ein Zeichen- und Wortspiel auf den Namen Ebih ˘ ˘ ˘ = ebih ). (geschrieben ESˇ2.MAH 2 ˘ 141. Bislang wurde der Mythos als˘ Innana raubt den großen Himmel oder als Innana und An bezeichnet. Aufgrund der hier vorgelegten neuen Deutung bietet sich als neuer Kurztitel für diesen Text nun Innana holt das Himmelshaus an. 142. Der zweisprachige Textzeuge aus Nippur (Sigle NiC) wurde von M. deJong Ellis und J. van Dijk in die mittelbabylonische Zeit (zweite Hälfte 2. Jt. v. Chr.) datiert (J. van Dijk, Inanna raubt den »großen Himmel«. Ein Mythos, in: S. M. Maul [Hg.], Festschrift für Rykle Borger zu seinem 65. Geburtstag am 24. Mai 1994: tikip santakki mala basˇmu … [CM 10], Groningen 1998, 9-38); die Cuneiform Digital Library Initiative datiert den Text in die neubabylonische Zeit, also fast tausend Jahre später (vgl. http://www.cdli.ucla.edu/cdlisearch/search/index. php?SearchMode=Browse&ResultCount=1&txtID_Txt=P260202, Abruf am 9. 9. 2013). 143. Zur Einordnung des Textzeugen aus Uruk vgl. G. Zólyomi, W 16743ac (= AUWE 23 101), NABU 2000/38.

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Annette Zgoll

worten. Gerade der Tempel als Zielpunkt der Schöpfung 144) und als eigene kosmische Einheit neben Himmel und Erde, wie die Kesˇ-Hymne proklamiert, fordert zum reflektierenden Nachdenken heraus. Man kann die Problematik so beschreiben: Der Tempel ist in der Welt, aber nicht von der Welt. Wie dieses Sowohl-Als-auch zu begreifen ist, das läßt sich analytisch-modern nicht in wenigen Worten aussagen; der antike mesopotamische Mythos hingegen ist in der Lage, diese für seine Zeit fundamental wichtige Erkenntnis in Gestalt einer knappen, eingängigen mythischen Erzählung narrativ-plastisch begreifbar zu machen. Und er macht deutlich, daß es sich nicht um eine abstrakte Erkenntnis handelt, die den Menschen gleichgültig läßt: Insofern der Tempel ein Gotteshaus ist, gehört er dem göttlich-himmlischen Raum an, ist selbst »der Himmel auf Erden«. Das Preislied mythischen Inhalts offenbart, daß der Himmel nicht »einfach so« auf die Erde kommt – etwa indem man einfach Ziegel aufeinander türmt –, sondern daß es der Überwindung massiver Widerstände uralter Gottheiten und d. h. kosmischer Großtaten bedarf, insbesondere einer gefährlichen Heldentat der Innana. Der Text ist sicherlich im Kult und für den Kult der Göttin Innana von Uruk entstanden. Plausibel ist die Hypothese, daß sich dies innerhalb derjenigen Epochen, während derer Uruk den Höhepunkt seiner Macht und kulturellen Blüte hatte, abgespielt hat. Über Weiteres läßt sich auf Basis des Vergleichs mit anderen Preisliedern spekulieren: Die situative Verankerung, der Sitz im Leben, könnte ein jährlich wiederkehrendes Tempelweihfest gewesen sein, wie man es beim Neujahrsfest eines jeden großen Tempels feierte. Ein weiteres Element dieses Festes, so legt der Text nahe, war das Hochzeitsfest von Innana und An, in dessen Verlauf sich Innana als Morgengabe das Himmelshaus wünschte (vgl. Z. 41-43). Es ist gut möglich, daß das »Preislied« mit musikalischer Begleitung aufgeführt wurde, vielleicht auch mit Wechselrede verschiedener Sprecher bzw. Sänger. Inwieweit dabei auch bestimmte geheiligte Instrumente und Teile des Tempels einbezogen waren und ob man vielleicht bei solchen rituellen Aufführungen auch mimisch und / oder szenisch agierte, entzieht sich unserer Kenntnis, ist aber durchaus nicht unwahrscheinlich vor dem Hintergrund des Agusˇaja-Liedes, eines Mythos’, der mit einem besonderen Tanz zusammenhängt, 145) des Bazi-Mythos (s. S. 75 ff.) 146) oder beim Vergleich mit dem Mythos vom Aufstieg des Marduk zum Götterherrscher, 147) der im Neujahrsfest des 1. Jt. v. Chr. u. a. durch einen rituellen Schnell-Lauf des Königs zur Darstellung gebracht wurde. 148) 144. Vgl. A. Zgoll, Welt, Götter und Menschen in den Schöpfungsentwürfen des antiken Mesopotamien, in: K. Schmid (Hg.), Schöpfung (Themen der Theologie 4), Stuttgart 2012, 17-70. 145. Vgl. B. Groneberg, Lob der Isˇtar. Gebet und Ritual an die aB Venusgöttin (CM 8), Groningen 1997 und die Bearbeitung von M. P. Streck und N. Wasserman, http://hudd.huji.ac.il/ ArtlidHomepage.aspx unter »Hymns and Prayers«. 146. Eine mögliche »Aufführung« dieses akkadischen Mythos im Kontext eines Inthronisationsund Tempelweihfestes des Gottes Bazi wird auf den Seiten 68-73 im vorliegenden Band rekonstruiert. 147. Vgl. Th. R. Kämmerer / K. Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos Enu¯ma elisˇ (AOAT 375), Münster 2012; G. Gabriel, enu¯ma elisˇ – Weg zu einer neuen Weltordnung. Pragmatik, Struktur und Semantik des »Lieds auf Marduk« (ORA 12), Tübingen (im Druck). 148. Vgl. A. Zgoll, Königslauf und Götterrat. Struktur und Deutung des babylonischen Neujahrsfestes, in: E. Blum / R. Lux (Hg.), Festtraditionen in Israel und im Alten Orient (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 28), Gütersloh 2006, 11-80.

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Texte aus Mesopotamien

Der Name des Tempels, das »Haus des Himmels(gottes An)«, sumerisch E-ana, bezeichnet den großen Haupt-Tempel der Innana, der »Herrin des Himmels«, in der Stadt Uruk, die schon vor 3000 v. Chr. eine riesige Metropole war. Zum anderen muß jeder Tempel als »Himmelshaus« begriffen werden. Der Mythos, wie das Himmelshaus auf die Erde kam, war daher aus verschiedenen Perspektiven an verschiedenen Orten relevant. Edition und Bearbeitung: J. van Dijk, Inanna raubt den »großen Himmel«. Ein Mythos, in: S. M. Maul (Hg.), Festschrift für Rykle Borger zu seinem 65. Geburtstag am 24. Mai 1994: tikip santakki mala basˇmu … (CM 10), Groningen 1998, 9-38 (Erstedition). – Übersetzung: J. A. Black et alii, Inana et An, ETCSL 1.3.5, 2005 (http://etcsl.orinst.ox.ac.uk); G. Pettinato, Mitologia sumerica, Turin 2001, 252-259. – Weitere Literaturhinweise (Auswahl): B. Alster, Gudam and the Bull of Heaven (PIHANS 100), Leiden 2004, 21-45 (darin 35-38 zu Fischergöttern in Innana holt das Himmelshaus); D. Brown / G. Zólyomi, »Daylight converts to Night-Time« – An Astrological-Astronomical Reference in Sumerian literary Context, Iraq 63 (2001) 149-154 (zu Z. 146 f.); E. Cancik-Kirschbaum, Rund-Zahlen und Ideal-Rhythmen. Beispiele aus dem alten Orient, in: B. Naumann (Hg.), Rhythmus. Spuren eines Wechselspiels in Künsten und Wissenschaften, Würzburg 2005, 71-91 (zu Z. 146 f.); A. Zgoll, Wie der Himmel auf die Erde kam … Der prototypische Charakter des E-ana-Tempels im Mythos Innana raubt den großen Himmel, in: M. van Ess u. a. (Hg.), Uruk – Altorientalische Metropole und Kulturzentrum, Wiesbaden [im Druck] (Gesamt-Interpretation auf Basis der hier in TUAT.NF vorgelegten völlig neuen Übersetzung).

(Der Anfang des Textes ist leider noch nicht identifiziert worden. Innerhalb der ersten 24 Zeilen ist mit Zólyomi, NABU 2000/38 das kleine Fragment aus Uruk (D) zu plazieren, worauf die Anfänge von sieben Zeilen erhalten sind. Dort werden die Protagonisten genannt: Die Stadtgöttin von Uruk, Innana, die auch die Macht der Fruchtbarkeit und des Krieges verkörpert und sich im Gestirn der Venus manifestiert, und der Sonnengott Utu, ihr Bruder. Schließlich könnte auch vom Himmelsgott An oder aber – nicht zu unterscheiden – vom Himmel die Rede sein. Außerdem erscheint das Wort »Nacht« und »Haus des Himmels«, was zugleich den Namen des Innana-Tempels von Uruk, E-ana, bezeichnet. Könnte hier ausgesagt sein, daß es noch keine Nacht gab und daß auch noch kein Himmelshaus auf Erden existierte? Das würde jedenfalls zum weiteren Verlauf des Textes passen. In Z. 26, wo ein neuer Textzeuge (Si?A) einsetzt, läßt sich erkennen, daß etwas, vielleicht das Himmelshaus / E-ana, »aus dem Bereich des Himmels herauskommen wird«.)

Innanas Plan, den großen Himmel wegzunehmen (27) [Eine

Gottheit, die Herr]in des Himmels richtete ihren Sinn darauf, den großen Himmel wegzunehmen! (28) [ … die strahlende] Innana richtete ihren Sinn darauf, den großen Himmel wegzunehmen! (29) [Vom weit entfernten Himmel 149), vom Inneren] des Himmels den großen Himmel wegzunehmen, darauf richtete sie ihren Sinn!

149. Für die Ergänzung vgl. Z. 80.

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Annette Zgoll (30) [Mit dem Helden], dem Jüngling Utu den großen Himmel wegzunehmen, darauf richtete sie ihren Sinn.

Innana gewinnt ihren Bruder Utu für den Plan (31) Zu

ihrem [Bruder], dem Helden, dem Jüngling Utu, hub die strahlende Innana an zu sprechen: (32) [Mein Bruder!] Ein Wort will ich zu dir sagen! Auf mein Wort (richte) dein Ohr! (33) [Utu] …, mein Zwilling, ein Wort will ich zu dir sagen! Auf mein Wort (richte) dein Ohr! (34) Ihr Bruder, der Held, der Jüngling Utu, hub an, der strahlenden Innana zu antworten: (35) […, das Le]ben (des) mächtigen Himmels (und) der …keit wird hiermit angerufen! (36) [Das Leben des] … (und) der Himmelswohnung (und) der … wird hiermit angerufen! (37) […] das Leben meines Thrones (und) meiner Mächtigkeit wird hiermit angerufen! (38) Dem Wort, das meine Schwester mir sagen wird – ich für mein Teil: ich werde ihm auf jeden Fall gehorchen! 150) (39) Dem Wort, das die strahlende Innana mir sagen wird – ich für mein Teil: ich werde ihm auf jeden Fall gehorchen! (40) [Die junge Frau] Innana hub an, dem Helden, dem Jüngling Utu zu antworten: (41) »[(An)], mein [Gemah]l 151), hat mit mir das Werk der Liebe vollführt, hat (mich) geküßt!«

Erzähler-Einschub 152) (42) Das

E-ana ist für sie (= Innana) dort gewünscht worden – es ist ihr nicht gegeben worden …! (43) [Das E-ana] – hat er es aus seinem Bereich 153) gegeben? (Nein!) … der erhabene An hat ihr das E-ana nicht gegeben!

150. Hier und in etlichen anderen Zeilen dieses Textes liegen Formen vor, die sich als Affirmative der Zukunft bestimmen lassen; vgl. A. Falkenstein Grammatik der Sprache Gudeas von Lagasˇ II. Syntax (AnOr. 29), Rom 21978 (= 11950), 212 und P. Attinger, Eléments de linguistique sumérienne. La construction de du11/e/di « dire » (OBO Sonderband), Fribourg / Göttingen 1993, 293 f. 151. Die Ergänzung basiert auf Z. 149. 152. Nimmt man die Schreibungen grammatikalisch ernst, sind die Zeilen als Erzähler-Einschub zu verstehen (für Erzähler-Einschübe und kommentierende Ausrufe vgl. auch die Bearbeitung des Mythos Wie der Gott Bazi Königtum und Tempel erlangt im vorliegenden Band S. 68-73): Der Erzähler-Einschub dient der Erklärung, daß Innana Grund hat, sich das Himmelshaus E-ana zu wünschen: Nach der Hochzeitsnacht hätte ihr Gemahl An es ihr als Morgengabe schenken können. Das nachfolgende »Rauben« wird damit schon im Vorfeld als nicht unberechtigt gekennzeichnet. 153. Die Übersetzung »Bereich« bringt die Bedeutung des sumerischen Kasus Komitativ im vorliegenden Kontext zum Ausdruck; wörtlich »mit/beim Himmel«. Gemeint ist hier und im Folgenden der Bereich, für den der Himmel(sgott) die Verantwortung trägt.

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Texte aus Mesopotamien

Innana spricht weiter (44) »Der

Himmel ist unser, die Erde ist unser, aus dem Bereich des Himmels werde ich das E-ana auf jeden Fall wegnehmen! (45) Nachdem jemand das E-ana ergriffen haben wird – höre auf das, was ich dir (jetzt) sagen werde! – (46) dann prüfe […] …! 154) Den Auftrag beh[alte] du, gerade du, im Auge! (47) … hat … gesagt / gemacht. Den bösen Wind, den Südsturm, [wird er (= An)] dagegen 155) sich [erheben lassen!]« (Die folgenden neun Zeilen fehlen (Z. 48-54) bzw. sind zu fragmentarisch für das Verständnis (Z. 55-56). Hier muß das Gespräch Innanas mit Utu geendet haben, ein Gespräch, das überaus bedeutsam ist, da Utu der Innana seinen Beistand eidlich zusichert, noch bevor er weiß, was sie von ihm wünscht. Vor dem Hintergrund ähnlicher Motive steht daher zu erwarten, daß der Schwur den Utu zu etwas zwingt, was er andernfalls nicht auf sich nehmen würde. 156) Obwohl uns die Erzählung in dieser Hinsicht im Stich läßt, ist doch aus dem Resultat eine Hypothese zu gewinnen, um was es sich gehandelt haben könnte.) 157)

Innana gewinnt den »Fischergott« für ihren Plan (Mit Z. 57 ff. beginnt ein Gespräch Innanas mit einer Gottheit, die als Fischer bezeichnet wird und die den Namen Adagbir (bzw. Adagkibir) trägt. Auch diese Passage, die auf einer zweisprachig überlieferten Tafel steht, hat sich nur sehr fragmentarisch erhalten. Man erkennt, daß Innana zu dieser Fischer-Gottheit von einem Schilfrohrdickicht und von totem, d. h. trockenem Schilfrohr, Binsen und Wald spricht. Sie, die »überaus Reizvolle«, macht dann etwas (bestimmte Laute?) an »seiner Brust«, d. h. an der Brust des Adagbir? Ab Z. 65 spricht Adagbir mit Innana. Er spricht sie als »meine Herrin« an und scheint ihr im Blick auf die Zukunft seine Hilfe zuzusichern: Wenn der böse Südsturm vorüber sein wird, dann wird etwas gesunken sein, sicherlich das E-ana (vgl. Z. 112-115). Dann wird er sein Beil im Schilfrohr einsetzen, vielleicht, um sich dorthin seinen Weg durch das Dickicht zu bahnen. Mit seinem Netz will er dann etwas tun, vermutlich das E-ana aus den Wogen retten. Die über 30 Zeilen zwischen Z. 75 und 111 sind entweder extrem fragmentarisch oder fehlen ganz. Immerhin läßt sich erkennen, daß von der strahlenden Innana die Rede ist, von Sumpf, Magur-Lastschiff, einem Seil, gräßlichen Stürmen, u. a. dem Südsturm, vom weit entfernten Himmel (Z. 80), einer weiteren Gottheit, die mit Fischerei zu tun hat, von Schilfrohr und von einem »jungen Mann«, womit hier sicherlich wieder der Sonnengott Utu gemeint ist (Z. 85). Diese Stichwörter deuten darauf hin, daß es hier weiterhin um Probleme beim Transfer des Himmelshauses vom Himmel auf die Erde geht. Ob man das sumpfige Schilfrohrdickicht, in welches das Himmelshaus her154. Es könnte sich möglicherweise darum handeln, daß Utu prüfen soll, ob der Weg beim astralen Skorpion frei geworden ist, vgl. Z. 133 und Kontext. 155. Gemeint sein kann »gegen mich« / »gegen dich« / »gegen es (= das E-ana)«. 156. Diesen Hinweis verdanke ich Christian Zgoll. 157. Vgl. dazu unten den Kommentar S. 52 f.

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Annette Zgoll

abfallen wird, in den himmlischen Gefilden vorzustellen hat oder im Randbereich zwischen Himmel und Erde, am Horizont? Mit Z. 108 dürfte eine weitere Rede des Adagbir beginnen, die er an Innana richtet. Wieder spricht er sie als »meine Herrin« an und erwähnt dann ihre Göttlichkeit, einen Fischer und einen Wind.) (112) »Meine

Herrin! Wenn es (= das E-ana) auf dem Magur-Lastschiff fährt, 158) wird sich ganz gewiß der Südsturm mit allen seinen Stürmen 159) dort gegen 160) mich erheben, 161) (114) (dann) wird sich ganz gewiß der Südsturm mit allen seinen Stürmen dort gegen mich erheben, (115) (dann) werden Magur-Lastschiffe und kleine Schiffe … in Schilfrohr und Sumpfgebiet dort sinken. (116) Mit Hilfe des großen Netzes werde ich seinetwegen 162) ganz gewiß dort herankommen an das E-ana?! (117) Wenn es (= das E-ana) (dann) aus der Flut, aus dem Meer, das sich erheben wird, hervorkommen wird, (118) (dann) darf man nicht zulassen, daß das Wasser es (= das E-ana) schlägt …!«

(113) (dann)

Innana erklärt dem Adagbir, wie der kosmische Transfer ablaufen wird (119) Die

strahlende Innana hub an, dem Fischer zu antworten: jemand – und zwar du! – das E-ana, [das vom] Hi[mmel hervorkommen wird?] 163), finden wird 164), (121) für jemanden, der diesen Ort [(…) besta]unen wird – nämlich ich –, 165) (122) (dann) wird es (= das E-ana) [aus dessen (= Ans) Bereich ganz sicher] durch den schmalen Pfad herabfallen – das hat er (= Utu) mir dort versprochen!« 166) (120) »Wenn

158. Wörtlich: »Es (= E-ana) wird das Magur-Lastschiff ganz gewiß für sich besteigen (und darauf fahren)!« 159. Wörtlich »der Südsturm mit seinem Südsturm«. 160. »Gegen mich« ist die Übersetzung des Dativ-Infixes in der Verbalform. Das Ablativ-Infix modifiziert die verbale Aussage »der Südsturm wird sich (von irgendwoher) weg erheben«, was als idiomatische Redeweise nicht ins Deutsche übertragbar ist. 161. Grammatikalisch liegt ein Futur II vor: »erhoben haben wird«. Solch schwerfällige Formulierungen werden vereinfachend übersetzt, vgl. Z. 114, 115, 117, 120, 125 etc. 162. Der Komitativ »seinetwegen« kann sich nur auf eine Person beziehen, z. B. auf Utu; falls damit der Himmelsgott An gemeint ist, liegt ein Dativus incommodi vor: »zu seinem Schaden«. 163. Für die Ergänzung vgl. Z. 117 und 125. 164. Wörtlich: »gefunden haben wird«. 165. Wörtlich: »bestaunt haben wird«. Zur Ergänzung vgl. Z. 128. 166. Daß hier und im Folgenden Utu handelt, liegt nahe, weil Innanas Gespräch mit Utu und sein Schwur, er werde ihr helfen (Z. 34-39), auf eine für das Gelingen des Plans wesentliche Handlung Utus zielen muß. Außerdem erklärt sich daraus, daß in Folge dieses seines ersten Untergangs, wo er das E-ana vom Himmel herabbringt, auch die Dunkelheit entsteht (Z. 146 f.). Schließlich fügt sich zu dieser Deutung der Befund, daß Utu auch in anderen mesopotamischen Texten als kosmischer Transporteur geschildert wird; vgl. A. Zgoll, Der Sonnengott als Transporteur von Seelen (Psychopompos) und Dingen zwischen den Welten im antiken Mesopotamien. Mit einem Einblick in den konzeptuellen Hintergrund des taklimtu-Rituals in: N. Koslova (Hg.), Studies in Sumerian Language and Literature, Winona Lake (im Druck).

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Texte aus Mesopotamien (123) Adagbir

[hub an, der strahlenden Innana zu ant]worten: die [großen] dunklen und in die [aufrecht(-grünen)] Schilfrohr-Dickichte hinein wird [das Haus] ganz gewiß aus dessen (= Ans) Bereich herabfallen! (125) Das E-ana, das vom Himmel hervorkommen wird, werde ich [ganz gewiß] für dich finden!« (124) »In

Das E-ana kommt herab und wird auf die Erde gebracht (126) Adagbir

……………… Enlils – die großen dunklen und in die aufrecht(-grünen) Schilfrohr-Dickichte hinein fiel das Haus aus seinem (= Ans) Bereich herab. (128) Dieses E-ana – als es gerade aus dem Himmel hervorkam, bestaunte sie (= Innana) es dort. (129) (Der Gott) Sul-a-zida, Ans Hirte, hatte dort das kosmische Seil ergriffen. (130) Nachdem das E-ana vom Himmelsfundament her aus seinem (= Ans) Bereich dort hervorgekommen war – dessen 167) Dämonen/Schutzgeister dürfen (es) nicht erreichen – (131) … machte er (= Utu) sich daran, 168) es (= E-ana) zu entfernen am Horizont. (132) Nachdem sie (= Innana) aus dem Ulaja-Fluß fürstlich-kostbares Wasser getrunken hatte, (133) während Innana (nun) den Skorpion attackierte, während sie ihm den Schwanz abschnitt, (134) da brüllte sie dort wie ein Löwe mit wütender Stimme, begann (dann), das Geschrei gegen ihn verebben zu lassen. 169) (135) Während [das E-ana] in dessen … herabgefallen war, während [Adagbi]r? es festgemacht hatte, (136) nachdem [… (=Utu?)] ihren Schrei … gehört hatte, (137) [……] aus … hatte er ausgegossen, Lehm der Schöpfung (138) [… machte er? sich daran,] es herabfallen zu lassen, hatte er (= Utu) sich dort niedergelegt. (127) In

(Z. 139-140 sind nicht erhalten)

Bericht der Innana an An (141) [Innana],

die große Himmelsherrin, berichtete dem An diese Neuigkeit. [An] diese Neuigkeit gehört hatte, (143) (da) schlug er [erschütter]t seine Schenkel, Wehklage ließ er seinen Mund erfüllen: (142) Als

167. Bezug auf den Himmel oder auf das E-ana? 168. Freie Wiedergabe der imperfektivischen Verbalform. Wörtlich: »war er dabei …«. 169. Wörtlich »erkalten zu lassen«. Der spezifische Schrei kann als Signal der Innana für Utu zu verstehen sein, das sie mit ihm abgesprochen hatte. Während Innana den astralen Skorpion, der ein kosmisches Torhüteramt innehat, außer Gefecht setzt, signalisiert sie Utu (evtl. zugleich auch dem Adagbir), daß er nun das Himmelshaus über die Grenze des Himmels auf die Erde bringen kann.

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Annette Zgoll (144) »Mein Liebling – was hat sie mit ihm (= dem E-ana) getan, sie, die dadurch größer geworden ist als ich, ich selbst! (145) Innana – was hat sie mit ihm (= dem E-ana) getan, sie, die dadurch größer geworden ist als ich, ich selbst!«

Die Festsetzungen des Himmelsgottes (Als Konsequenz aus dem Herabholen des Himmelshauses trifft An drei für das Leben auf Erden grundlegende Entscheidungen: Der Tempel wird tatsächlich der »Himmel auf Erden« sein, sowohl quantitativ, von ewiger Dauer, wie qualitativ, indem er einzigartig und überragend schön sein und das ganze Land Sumer umfassen wird (Z. 155 f., vgl. auch Textzeuge Si?A). Der Himmelsgott legt außerdem fest, daß die Menschheit bzw. die Bevölkerung Sumers der Göttin Innana unterstellt wird (Z. 157). Zuvor bestimmt An noch etwas anderes (Z. 146 f.): Aus der einmaligen Tat des Utu, der um des Transfers willen mit dem Himmelshaus die Himmelshöhen verlassen hatte und zum Horizont hinabgestiegen war, ergibt sich etwas Neues: die Entstehung der ersten Nacht! 170) Da Utu einen schwerwiegenden Schwur geleistet hatte, Innanas Plan zur Erfüllung zu verhelfen (Z. 34-39), erwartet man, daß die Tat, die er vollbringen muß, ihn schmerzhaft in die Pflicht nimmt. Die in den Zeilen 146 f. folgende Festlegung des An bestätigt, daß damit etwas ins Sein kommt, was noch nie dagewesen ist und was dem Sonnengott viel abverlangt. Aus der einmaligen Tat des Sonnengottes wird durch die Bestimmung Ans eine bleibende Einrichtung. Und so beginnt mit Utus erstem Untergang im Dienst des E-ana-Transportes der Wechsel von Tag und Nacht. Damit aber entsteht überhaupt erst die Zeit! Dabei geht es für mesopotamische Autoren und Rezipienten weniger um die Zeit als solche. Eine funktionierende Zeitbestimmung ist vielmehr für kultische Zwecke nötig, um die Termine zu erfassen, an welchen für die Götter Rituale auszuführen sind. Die Festsetzung ist somit grundlegend für das Funktionieren des Kultes. 171) Die Tat Utus ist somit aufs Engste mit den Taten Innanas verbunden: Während Innana die prototypische Tat vollbringt, daß ein Himmelshaus vom Himmel auf die Erde kommt und damit die Realisierung heiliger Räume auf Erden ermöglicht, tritt mit dem Untergang des Sonnengottes die Zeit und damit vor allem die Möglichkeit zur Bestimmung heiliger Zeiten ins Sein. Beides, heilige Orte und heilige Zeiten, stellen nach mesopotamischen Vorstellungen die Grundlage für die Kommunikation der Menschen mit den Göttern dar. Erst nachgeordnet, so der Text, werden auch die Menschen erschaffen werden (Z. 157). Der Mythos soll aufzeigen, daß die Entstehung von heiligen Räumen und heiligen Zeiten sich primär der Planung und Heldentat der Göttin Innana verdankt. Insofern ist es für diesen Text nur konsequent, wenn die gesamte Menschheit in Folge davon

170. Die Formulierungen verwenden zur Beschreibung, wie Nacht und Tag entstehen, das Verbum bur2 »lösen«, »ablösen«, das sich auch im Kontext von Beschreibungen des Äquinoktiums als »umwandeln, einwechseln, umformen« findet (Brown / Zolyómi, Iraq 63 [2001] 149-154). Im vorliegenden Kontext geht es aber nicht um die Tag-und-Nacht-Gleiche, sondern um die grundlegendere Entstehung der Zeit als Wechsel von Licht und Dunkelheit. Beide, Tag und Nacht, werden in Mesopotamien jeweils in drei Wachen eingeteilt und entsprechen sich daher formal. 171. Vgl. die analoge Zielsetzung der Zeitbestimmung in Gen 1,14.

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Texte aus Mesopotamien

genau dieser Göttin unterstellt wird. Der Mythos selbst ist Ausdruck dieses Lebensgefühls und als Dank gegenüber Innana zu verstehen.)

An bestimmt die Entstehung von Tag und Nacht (146) »Von

jetzt an hat sie es geschafft, des Lichtes Dauer zu verringern, sie hat es geschafft, daß der Tag sich ablöst mit seiner Nacht! (147) Von heute an sind die Wachen dafür (= für beide, Tag und Nacht) drei, sie hat es geschafft, daß der Tag seiner Nacht entspricht.« 172) (148) Jetzt, als Utu (zum ersten Mal wieder vom Horizont) hervorkam, war dies wirklich so!

An bestimmt das Schicksal des E-ana und die Unterwerfung der Menschen unter Innana (149) Zu

der Gottheit, die die Menschheit erschaffen (haben) wird, zur Lieblings-Gemahlin, … hub er an zu sprechen wie folgt, (150) An, nachdem er auf die strahlende Innana geblickt hatte, (151) – es war (ja) eine Selbst-Erhöhung, 173) es war (ja) eine Selbst-Erhöhung! – nachdem er keine Widerworte dagegen stellte, (152) – es war (ja) eine Selbst-Erhöhung, es war (ja) eine Selbst-Erhöhung! – nachdem An gegenüber Innana keine Widerworte dagegen stellte, hhub er an zu sprechen wie folgt: 174)i (153) »Mein Liebling, 175) weil du nicht zugelassen hast, daß es sinken würde 176) – es war (ja schließlich) das E-ana! –, und es damit geschafft hast, es aus dessen (= des Himmels) Bereich herbeizuholen, 177) (154) (oh du 178)), bekannte Innana, weil du nicht zugelassen hast, daß es sinken würde – es war (ja schließlich) das E-ana! – und es damit geschafft hast, es aus dessen (= des Himmels) Bereich herbeizuholen, (155) (deswegen) wird (auf jeden Fall) das Himmelshaus (E-ana) fest sein wie der Himmel, es darf auf keinen Fall ein (Vertreiben =) Ende haben. 179) 172. Der parallel erhaltene Textzeuge UnB schreibt leicht anders: »Von heute an sind seine (= des Tages) Wachen drei: Sie hat es geschafft, daß der Tag seiner Nacht entspricht, weil sie es geschafft hat, daß von jetzt an des Tages Dauer verringert ist, weil sie es geschafft hat, daß der Tag sich ablöst mit der zu ihm gehörigen Nacht!«. 173. Wörtlich »Sich-selbst-Ausbreiten«. 174. Die Rede-Einleitung von Z. 149 war bis hierhin reflektierend unterbrochen worden; jetzt folgt die zugehörige Rede. 175. Übersetzung nach Textzeuge UnB. Text Si?A: »[(Du), der Liebling], der nicht zugelassen hat, daß es sinken würde – es war (ja schließlich) das E-ana! – du hast es geschafft, es wegzunehmen!« Analog ist dort auch die folgende Zeile gestaltet. 176. Wörtlich »weil du, indem du nicht gesagt hast ›Es (= das E-ana) wird gesunken sein …‹«. 177. Wörtlich »rauben« mit Ventiv(!): »weil du dabei warst, es daraus (aus dem Bereich des Himmels) herbeizurauben«. – Die modale Ausdrucksweise »etwas können«, »etwas schaffen« ist in Textzeuge UnB der freien deutschen Übersetzung geschuldet; sie findet sich expliziert in Si?A. 178. Textzeuge UnB schreibt die Verbalformen eindeutig als 2. Ps., so daß auch der Anfang der Zeile als Anrede an Innana aufzufassen ist. 179. So nach dem Textzeugen UnB; im Textzeugen Si?A: »… das Entzücken darüber darf dort auf keinen Fall beendet werden!«

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Annette Zgoll (156) ›Gesamtheit der Siedlungen des Landes (Sumer)‹ werde ich auf jeden Fall (als) seinen Namen 180) ausrufen! Einen Rivalen wird es dort auf keinen Fall haben! (157) Wenn die Menschheit, die Bevölkerung zahlreich geworden sein wird, 181) wird sie (= Innana) 182) sie (= die Menschheit) auf jeden Fall unterwerfen 183)!« (158) Jetzt, oh Utu, am heutigen Tag, da ist es tatsächlich für sie (= die Menschheit) ganz genau so! 184)

Preis auf Innana als Rede über Innana im kultischen ›Heute‹ (Im Unterschied zu den Schlußzeilen ist der folgende Preis als Rede über Innana stilisiert. Es liegt nahe, die unterschiedliche formale Gestaltung mit verschiedenen Akteuren zu verbinden. So läßt sich hypothetisch ausmalen, daß Z. 159-162 durch einen Chor vorgetragen waren.) (159) Weil sie (= Innana) das E-ana aus dem Bereich des Himmels herbeigeholt hat, weil sie es auf der [Erde] festgemacht hat, 185) (160) weil Innana sich heute daran macht zu sagen: »Das E-ana ist das Haus, das die Erde [gut gemacht hat]!«, 186) (161) ist sie, die bekannte Herrin, nachdem sie den Sieg für die Erde errungen hat, diejenige, die das Ziel erreicht hat, (162) ist sie, die bekannte Innana, nachdem sie den Sieg für die Erde errungen hat, die, die das Ziel erreicht hat!

Preis auf Innana als Anrede an Innana (Die abschließenden Zeilen, welche die Göttin direkt ansprechen, könnten z. B. von einem Priester oder einer Priesterin gesungen vorzustellen sein.) (163) Weil

du dich daran gemacht hast, das E-ana aus dem Bereich des Himmels herzuholen, weil du dich daran gemacht hast zu sagen »Es histi das, was die Erde gut gemacht hat!«

180. Textzeuge Si?A: »als deinen Namen«. 181. Die Stelle nimmt die Entstehung und Entwicklung der Menschheit in den Blick, die hier noch als zukünftiges Ereignis zu denken ist. Vgl. dazu auch Textzeuge Si?A: »Wenn [die Menschheit, die Bevölkerung mit Namen] benannt worden sein wird«; die Namengebung ist Ausdruck von Entstehung und Bestimmung des Wesens. 182. Die Schicksalsfestsetzung durch den Himmelsgott An ist als Rede über Innana, nicht als Ansprache Innanas gestaltet. Formal handelt es sich damit um einen Orakelspruch. 183. Wörtlich »zu ihren Füßen stellen«. 184. Der präsentische Ausruf ist ein preisender Kommentar aus der Gegenwart des Rituals, dem kultischen Heute, in welchem der Mythos verortet ist. 185. Textzeuge Si?A: »Weil sie [das E-ana, indem sie sich daran machte, es aus dem Bereich des Himmels] herholen zu wollen, auf der [Erde?] festgemacht hat«. Die Übersetzung »auf der Erde« ist frei für »mittels der Erde«. 186. Zur Ergänzung vgl. Z. 163; in der vorliegenden Z. 160 scheint aufgrund des geringen Platzes auf dem Textzeugen UnB eine defektive Schreibung ohne Auslaut-Konsonant vorzuliegen: ki [du10-hgai]- am3 .

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Texte aus Mesopotamien (164) da (165) –

du die großen Fürsten(götter) 187) überragt hast, (oh) Jungfrau Innana! – ist das Preislied auf dich überragend!

5. Nin-me-sˇara – Mythen als argumentative Waffen in einem rituellen Lied der Hohepriesterin En-h edu-Ana ˘

Annette Zgoll Das vorliegende sumerische Lied »Herrin der unzähligen göttlichen Mächte« (sum. nin me sˇara) läßt sich auf der Basis von etwa 100 Tontafeln rekonstruieren. Die Dichtung Herrin der unzähligen göttlichen Mächte ist eine außergewöhnlich wichtige Quelle für das Verständnis und die Verwendung von Mythischem in altorientalischen Texten. Die Dichtung wurde für eine einmalige Situation geschaffen: Nachdem das Zusammenleben über mehrere Jahrhunderte hinweg durch größere Stadtstaaten geprägt war, hatten Sargon von Akkade und seine Nachfolger um 2300 v. Chr. – in Ausweitung einer loseren überregionalen Organisation um den »König von Kisˇ« – das erste Großreich auf mesopotamischem Boden gegründet. Dieser zentralistische Ansatz stieß nicht nur auf Anhänger. Viele traditionelle Stadtstaaten des sumerischen Südens schlossen sich immer wieder, u. a. zur Zeit des Sargon-Enkels Nara¯m-Sîn, in einer Koalition gegen dieses »Reich von Akkade« zusammen und konnten immer wieder große Erfolge erzielen. Auch die höchste Priesterin des gesamten Reiches, En-hedu-Ana, die sich als Tochter Sargons bezeichnete, wurde in ˘ diesem Zusammenhang von ihrem Kultort, dem Tempel des Mondgottes Nanna-Suen in der Stadt Ur vertrieben. In dieser gefährlichen Situation verfaßt sie ein Lied für ein Ritual, das den Zorn der Göttin von Liebe und Krieg namens Innana, einer Schutzgöttin der Akkader, entfachen soll. Das Lied soll den drohenden Untergang des großen Reiches und ihren eigenen Tod abwenden. Und sie hat, so die Sicht ihrer Zeit, offenbar Erfolg! Das äußerst kunstvoll-komplexe Lied wurde daher weiter tradiert und in den verschiedensten Städten abgeschrieben und aufbewahrt. Aus der Zeit zwischen 1800 und 1700 v. Chr. stammen die uns vorliegenden Abschriften. Den Erfordernissen der extremen Lage entsprechend muß sich das rituelle Lied einer ausgefeilten Argumentation bedienen. Dafür greift En-hedu-Ana auf verschie˘ dene Mythen zurück, aus denen sie bestimmte Ereignisse auswählt. Auch wenn wir sicherlich aus der Distanz von mehr als 4000 Jahren noch nicht sämtliche dieser Mytheme erfassen können, wird doch deutlich, wie die mythische Überlieferung lebendig eingesetzt und der aktuellen Situation entsprechend angepaßt wird. Denn im Dienst ihres Anliegens, die kriegerischen Mächte (sum. me) der Innana zu aktivieren und damit Innana zum Eingreifen in den Krieg zu bewegen, nutzt En-hedu-Ana diese ˘ Mythen nicht alle in einer Form, wie sie uns auch sonst überliefert sind. Vielmehr läßt

187. Textzeuge UrukD: »An (und) die Götter«.

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Annette Zgoll

sich in ihrem Lied gut das Phänomen der »Arbeit am Mythos« beobachten.188) Enhedu-Ana transformiert mythische Stoffe, um sie funktional passend auszurichten. ˘ So erhält z. B. der Mythos Innana holt das erste Himmelshaus auf die Erde (s. Nr. 4) ein völlig neues Gesicht. Anstelle der Heilstat der Innana wird im vorliegenden Fall von der Unheilstat eines Mannes namens Lugal-Ane berichtet, der laut En-hedu-Ana ˘ für ihre mißliche Lage in Ur verantwortlich ist. Während der episch ausgeführte Mythos Innana holt das erste Himmelshaus auf die Erde seinen Zielpunkt darin findet, daß An dem Himmelshaus ein dauerhaft gutes Schicksal bestimmt, wird im vorliegenden rituellen Lied eine Anklage daraus: Der gegnerische Anführer namens LugalAne habe sich gerade konträr zur Schicksalsbestimmung des An verhalten und die einmalige Schönheit des Tempels zerstört. Mit solchen teils wörtlichen Rückgriffen auf den Mythos wird Lugal-Ane mithin das schlimmste Sakrileg, die Tempelschändung, unterstellt. Andere mythische Stoffe, die um den Tod des Gottes Dumuzi-Ama-usˇumgal-ana kreisen, werden evoziert, wenn es heißt, daß Innanas Zorn »wegen ihres gepackten Gatten, ihres gepackten Lieblings« groß geworden sei (Z. 141 f.). Es sind Mythen, die als Klagelieder oder in epischer Form ausgestaltet sind (z. B. Dumuzis Traum und Tod) und beklagen oder berichten, wie Dämonen den Gemahl der Innana, Dumuzi-Amausˇumgal-ana, gepackt und ins Totenreich geschleppt haben. Wenngleich mit dem Begriff des »Gepackt-Seins« darauf angespielt wird, daß ein äußerst kritischer Moment erreicht ist, so ist doch noch nicht alles verloren. Gerade das rituelle Lied soll auch den Gatten und Liebling Innanas, den mit ihr durch das Ritual der Heiligen Hochzeit aufs engste verbundenen Herrscher, vor dem Äußersten retten und ihn den dämonischen Klauen des Krieges und der Feinde entreißen. Und weil er gerettet werden wird, so die Hoffnung, deswegen wird sich auch Innanas Zorn wieder beruhigen. Mehrfache Bezüge spannen sich auch zum Mythos Innana und Ebih (s. Nr. 3), wo˘ rin Innana das »Gebirge« Ebih hart bestraft, weil es sich ihr nicht unterworfen hat. ˘ Viele Bilder und Formulierungen im vorliegenden Lied sind der episch-narrativ ausgestalteten Version dieses Mythos ähnlich. So stimmen beide Texte darin überein, daß sie »Gebirge« als Chiffre für die sumerischen Stadtzentren einsetzen.189) Anders aber ist in beiden Texten die Haltung des Himmelsgottes An gegenüber diesen Vernichtungsschlägen, verschieden ist auch sein Verhältnis zu Innana. Während im Mythos Innana und Ebih die Göttin das »Gebirge« im Alleingang, gegen den expliziten Spruch ˘ des Himmelsgottes An mit Krieg überzieht, betont das rituelle Lied, daß alles, was Innana unternimmt, im Einklang mit An und als Umsetzung seiner Aufträge geschieht. Da der Text nin me sˇara rhetorisch komplex mit Anspielungen sowie Vor- und Rücksprüngen operiert, lohnt es sich, das argumentative Gerüst zu skizzieren: 1. Die Göttin Innana handelt im Einklang mit denjenigen Göttern, auf welche sich die aufständischen sumerischen Stadtstaaten berufen (An, Enlil, Nanna).

188. Vgl. dazu H. Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt/M. 1979; A. Zgoll / R. G. Kratz, »Arbeit am Mythos«. Leistung und Grenze des Mythos in Antike und Gegenwart, Tübingen 2013. 189. Vgl. A. Zgoll, Ebeh und andere Gebirge in der politischen Landschaft der Akkadezeit, in: ˘ L. Milano et alii (Hg.), Landscapes: Territories, Frontiers and Horizons in the Ancient Near East (CRRAI 44/II = HANE/M III/2), Padova 2000, 83-90.

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Texte aus Mesopotamien

2. Wer sich Innanas Herrschaftsanspruch widersetzt, wird völlig vernichtet, so wie es schon des öfteren geschehen ist, u. a. gegenüber dem aufständischen »Gebirge« (wie Ebih). ˘ 3. Ganz Sumer und all seine »Gebirge«, d. h. die Stadtstaaten, gehören Innana. 4. Dieses Bekenntnis zielt insbesondere gegen die Stadt Ur, die sich dem Stadtgott Nanna unterstellt hat. Dagegen hält die Hohepriesterin ihr Credo, daß Innana ihren Vater beerbt und der Stadtgott selbst diesen Anspruch anerkannt hat und unterstützt. 5. Daher besitzt nun auch Innana anstelle von Nanna die Oberhoheit über das Amt der Hohepriesterin von Ur. 6. Da sie Innana verantwortlich ist, versteht sich En-hedu-Ana noch immer als ˘ legitime Hohepriesterin für die Stadt Ur und das ganze Land, auch wenn sie vom Kultort vertrieben ist. 7. Innana soll jetzt ihren ganzen schrecklichen Zorn gegen Sumer dreinfahren lassen, besonders gegen den Gegner des Zentralreiches und »Usurpator« von Ur, den Lugal-Ane. 8. Innanas Zorn soll sich aber nicht gegen die Priesterin selbst richten. Diese betont vielmehr ihre Schuldlosigkeit. 9. Wenn die Schwierigkeiten überwunden sind, soll der Zorn Innanas wieder zur Ruhe kommen. Das Lied vereint zwei verschiedene Ritual-Typen: Zum einen ist es ein Ritual, um einen Krieg erfolgreich zu bestehen, und versucht insofern, den Zorn der Göttin anzuheizen und ihre kriegerischen göttlichen Mächte zu aktivieren. Zum anderen verfolgt das Lied das Anliegen, daß dieser Zorn nicht außer Kontrolle gerät und sich am Ende auch wieder beruhigt. Um diese Anliegen zu erreichen, verwendet En-hedu-Ana ˘ Mytheme, also mythische Motive, als argumentative Waffen. Bearbeitung: W. W. Hallo / J. van Dijk, The Exaltation of Inanna (YNER 3), New Haven / London 1968 (Erstedition); A. Zgoll, Der Rechtsfall der En-hedu-Ana im Lied nin-me-sˇara (AOAT 246), Münster 1997 (Edition inkl. neuer Textzeugen). – Übersetzung: M. Hart / T. Dorsch, http://www.angelfire.com/mi/enheduanna/Ninmesara.html (englische Übersetzung von Zgoll, Rechtsfall); J. A. Black et alii, The exaltation of Inana (Inana B), ETCSL c.4.7.2, 2003 (http://etcsl.orinst.ox.ac.uk); P. Attinger, Ninmesˇara (Innana B) (4.7.2), http:// www.arch.unibe.ch/attinger, 2011, aktualisiert 2013 (inkl. neuer Textzeugen). – (Literatur zur Interpretation und literarischen Gestaltung): C. Wilcke, Nin-me-sˇár-ra – Probleme der Interpretation, WZKM 68 (1976) 79–92.

Anrufung: Die Kriegerisch-Mächtige, deren Zorn gegen jeden Gegner verheerend ist

Die Kriegerisch-Mächtige und zugleich Liebevoll-Schöne (Der Anfang des Liedes läßt noch nichts von seinem dramatischen Hintergrund erahnen. Das Ritual, in dem dieses Lied seinen Platz hat, will die Göttin Innana bewegen, ihre kriegerischen Machtmittel gegen Feinde einzusetzen, die ihren Schützling, den Herrscher des Großreiches, in höchste Gefahr gebracht und die Hohepriesterin von 57

Annette Zgoll

ihrem Amt vertrieben haben. Neben teils brutalen Machtaussagen finden sich Bilder von Licht und strahlendem Glanz, die am Ende des Liedes wieder aufgenommen werden. In den ersten drei Wörtern des Textes – »nin me ˇsara«, »Herrin über die göttlichen Mächte (me), die unzähligen« – klingen schon verschiedene Mythen an, in denen berichtet wird, daß Innana solche me in ihren Besitz gebracht hat.) 190) (1) Herrin

über die göttlichen Mächte, die unzähligen, Licht, das strahlend aufgegangen

ist, 191) (2) Frau

voll gewaltiger Taten, in gleißendem Schreckensglanz, in Liebe verbunden mit (dem Himmelsgott) An und (der Erdgöttin) Urasˇ, 192) (3) Herrscherin über den Himmel, Besitzerin aller großen Insignien der Herrschaft (auf Erden), (4) die die wirkmächtige Tiara liebt, die ideal zum hohepriesterlichen Amt paßt, 193) (5) mächtig im Besitz der sieben göttlichen Mächte des Hohepriestertums!

Die Herrin über alle göttlichen Mächte (Daß immer wieder beteuert wird, daß die Göttin alle göttlichen Machtmittel besitzt, läßt erahnen, daß derartige Aussagen alles andere als selbstverständlich sind.) (6) Meine

Herrin! Du bist Hüter der großen göttlichen Mächte! Mächte hast du zu dir emporgehoben, diese Mächte hast du fest ergriffen. (8) Diese Mächte hast du alle zusammengebracht, diese Mächte hast du fest an dich gedrückt. (7) Diese

Die Unwiderstehlich-Vernichtende gegen jedes Feindland (Ein narratives Pendant zur mehrfach wiederkehrenden Proklamation, daß Innana sich feindliche Länder und sumerische Städte unterwirft, zeigt sich beispielsweise auch im Mythos Innana und Ebih; s. Nr. 3.) ˘ (9) Wie

ein Drache hast du auf das feindliche Land Gift geschleudert! du wie der Gewittergott Isˇkur donnernd gebrüllt hast, war die Getreidegöttin Ezinam (und damit die Ernte) um deinetwillen dahin. (11) Wasserflut, die von oben herab auf solch feindliches Land einstürzt, (12) die Ranghöchste, von Himmel und Erde die Innana bist du! (10) Wo

190. Die hier in TUAT.NF vorgelegte Übersetzung strebt eine gute Lesbarkeit an und verwendet daher teils freiere Formulierungen. Wortgetreuere Übersetzungen und Variantenschreibungen finden sich bei Zgoll, Rechtsfall, und Attinger, Ninmesˇara. Einige der hier in TUAT.NF vorgelegten Übersetzungen und Interpretationen sind allerdings völlig neu. 191. Konnotativ »Herrin der unzähligen Schlachten, die als Sturmeswüten ausgebrochen ist«. 192. Im Sumerischen sind partizipiale Formen hinsichtlich Aktiv oder Passiv unbestimmt. Sowohl »geliebt von An und Urasˇ« als auch »die An und Urasˇ liebt« können gemeint sein. – Eine Aussage wie diese kann gleichfalls auf einen uns bislang unbekannten Mythos anspielen. 193. Die Göttin selbst paßt zum Hohepriesteramt, ebenso auch die Tiara (poetisch-freie Wortstellung).

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Texte aus Mesopotamien

Die im Einklang mit den Göttern Sumers auch gegen Sumer vernichtend wirkt (Die gefährlichen, großen Rituale können die vernichtende Gewalt der Göttin entfachen – doch wer weiß, wie diese genau auszusehen haben und wie man sie durchführen muß, ohne selbst dabei Schaden zu nehmen?) (13) Feuer,

immer neu entfacht, auf das Land Sumer herniedergeprasselt, (der Himmelsgott) An die göttlichen Mächte gegeben hat, Herrin, die auf Raubtieren dahineilt, 194) (15) die das schicksalbestimmende Wort Ans durch ihr Wort zur Vollstreckung bringt: (16) All deine großen, die Herrschaft sichernden Rituale – wer kennt sie? (17) Zerstörerin der feindlichen Länder – dem Sturmeswüten hast du Kraft gegeben. (18) In liebender Übereinstimmung mit dem (sumerischen Staatsgott) Enlil hast du auf dem Land Sumer furchtbaren Schrecken lasten lassen. (19) Die Aufträge des (Himmelsgottes) An auszuführen, stehst du bereit. (14) der

Die in allen Ländern Entsetzen und Schrecken verbreitet (20) Meine

Herrin! Wenn sich vor deinem Kriegslärm alle feindlichen Länder beugen, (entsetzt) vor dem furchtbaren Schrecken, dem gleißenden Glanz und dem heulenden Sturm die Menschen (22) in furchtsamem Schweigen zu dir eilten, (23) – du hattest ja die allerschrecklichsten der göttlichen Mächte ergriffen – (24) dann war um deinetwillen die Schwelle der Tränen geöffnet, (25) dann begann man, den Weg zum Haus der großen Klagen zu dir zu laufen; (26) kampflos um deinetwillen, entblößt aller Waffen. (21) nachdem

Die auch das Land Sumer das Fürchten lehrt (27) Meine Herrin, welch eine Kraft ist dein! Wenn sie das härteste Material (d. h. Feuerstein bzw. Zähne) zermalmt, (28) wenn du wie das Sturmeswüten, das pausenlos faucht, pausenlos fauchend dreinfährst, (29) wenn du mit dem Sturmeswüten, das pausenlos tost, pausenlos tosend zuschlägst, (30) – mit dem Gewittergott Is ˇ kur brüllst du donnernd – (31) wenn du mit den grausigen Stürmen, den grausigen Gewitterstürmen dich unermüdlich stürmend verausgabst, (32) wobei du selbst keinerlei Müdigkeit kennst, (33) dann stimmt man mit der Harfe der Klagen 195) das Klagelied an: (34) Meine Herrin! Dann sind die Anuna, die großen Götter,

194. Eine Anspielung auf die Zitierzeile des Mythos Innana und Ebih (s. Nr. 3) »Herrin über die ˘ Mächten dahineilt«. Dort schrecklichen göttlichen Mächte, … die auf den großen göttlichen wie hier wird das Verbum »fahren, reiten« verwendet, hier als »dahineilen« übersetzt. – Im gesamten Lied finden sich viele wörtliche Bezüge auf Innana und Ebih, die hier aus Platz˘ gründen nicht überall im einzelnen vermerkt werden können. 195. Ein Teil der Textzeugen faßt die Harfe als Person auf, ein anderer als Sache. Eine solche »Harfe der Klagen« kann selbst als ein Element der göttlichen Mächte aufgefaßt werden.

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Annette Zgoll (35) wie aufgeschreckte Fledermäuse deinetwegen aufgeflattert, um sich in den Ritzen der Ruinenhügel zu verstecken. (36) Deinem grausigen Blick haben sie nicht standgehalten, (37) Deiner grausigen Stirn kann keiner von ihnen die Stirn bieten. 196)

Innanas Zorn ist nicht leicht zu beruhigen! (Der Zorn der Göttin muß entfacht werden gegen die Feinde. Das aber ist eine gefahrvolle Aufgabe, denn wer kann sicher sein, das richtige Ritual zu kennen, das den Zorn dann auch wieder beruhigt?) (38) Dein (39) Dein

zornglühendes Herz – wer wird es beruhigend abkühlen? Herz, wenn es von grausigen Plänen erfüllt ist, zu beruhigen, ist eine gewaltige

Aufgabe! (40) Herrin, ist das Gemüt schon beschwichtigt? Herrin, ist das Herz schon wieder fröhlich? (41) Wenn du noch zornig bist, werden sich dir Herz und Gemüt nicht beruhigend abkühlen, große Tochter des Suen (des Stadtgottes von Ur)!

Das Paradigma des »Gebirges«, d. h. der feindlichen Stadt (Wie in der Dichtung Innana und Ebih zeigt sich auch im vorliegenden Lied das Gebir˘ ge als Chiffre für ein städtisches Machtzentrum. Das hier intendierte Paradigma der feindlichen Stadt, die von Innana niedergeschmettert wird, zielt v. a. auch auf die Stadt, von welcher die Hohepriesterin selbst vertrieben worden ist, nämlich auf die Stadt Ur. Wer sich als Untertan des Stadtgottes Nanna-Suen versteht, der soll wissen, daß er damit zugleich Innana untersteht.) (42) Herrin,

jedem feindlichen Land überlegen – wer könnte je (ungestraft) deinem Hoheitsbereich etwas wegnehmen? (43) Wenn du ein ›Gebirge‹ deinem Herrschaftsgebiet eingliederst, dann ist ihm die Getreidegottheit Ezinam (und damit die Ernte) gänzlich verwehrt. (44) An seine großen Tore war Feuer gelegt. (45) In seinen Kanälen strömte das Blut um deinetwillen, seine Leute hatten nichts anderes zu trinken. (46) All ihre Truppen mußten sie vor dich führen. (47) All ihre Elitetruppen mußten sie dir zerschlagen. (48) All ihre kraftvollen Männer haben sie vor dir aufgestellt. (49) In die Vergnügungsplätze ihrer Stadt fuhr das Sturmeswüten. (50) Ihre besten Männer haben sie gefangen zu dir gejagt. (51) Wenn eine Stadt nicht gesagt hat »Das Land (gehört) dir!«, 196. Der Abschnitt thematisiert die kriegerische Macht Innanas, deutet auf die Macht der Rituale hin, zu denen auch das vorliegende Lied gehört, und könnte überdies verschiedene Mytheme umfassen, deren Bezugspunkte bisher noch nicht textlich zu fassen sind, z. B. das Zermalmen von Feuerstein (oder Zähnen), der Kampf Seite an Seite mit dem Gewittergott und schrecklichen Stürmen oder die entsetzte Flucht der großen Götter vor der kriegerischen Göttin.

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Texte aus Mesopotamien (52) wenn

die Leute nicht gesagt haben »Er (d. h. der Stadtgott) ist dein Vater!«, hat er dein schicksalbestimmendes Wort gesprochen und der Ort ist dir unterworfen. (54) Dann kann dort, in seinen Mutterleibern, 197) kein neues Leben mehr gedeihen. (55) Die Frau dort – mit ihrem Gemahl spricht sie dann nicht mehr in Liebe. (56) Zur Nacht pflegt sie nicht mehr des Rats mit ihm. (57) Ihren Leib, der die Hoffnung auf künftiges Leben birgt, enthüllt sie ihm dort nicht mehr. (58) Angreifende Wildkuh, große Tochter Suens, (59) Herrin, dem Himmel überlegen – wer könnte je (ungestraft) deinem Hoheitsbereich etwas wegnehmen? (53) dann

Ankündigung der rituellen Rezitation der göttlichen Mächte (60) Große

Herrin (nin gal) der Herrinnen! Für die wirkmächtigen göttlichen Gewalten schicksalsträchtigem Mutterleib hervorgekommen, (jetzt) deiner eigenen Mutter (Ningal) überlegen, (62) weise und vorausschauend, Herrin über alle Länder, (63) die vielen Menschen Leben gewährt, dein schicksalbestimmendes Lied will ich dir jetzt anstimmen! (64) Gottheit, gewaltig an Tat, der die göttlichen Mächte zukommen, dein großartiger Spruch ist am allermächtigsten! (65) Frau, gewaltig an Tat, mit unergründlichem, strahlendem Herzen, deine göttlichen Mächte will ich dir jetzt sagen! 198) (61) aus

Das Problem: Wer hat das endgültige Urteil gesprochen?

Schlimme Zeichen des Unheils: Die Rituale und Machtmittel der Hohepriesterin haben versagt (Was hier noch wie von ungefähr zu kommen scheint, wird im weiteren Verlauf zu einer Anklage gegen den Stadtgott von Ur und gegen einen als Usurpator gebranntmarkten städtischen Herrscher namens Lugal-Ane zugespitzt werden.) (66) In

meinen schicksalbestimmenden Teil der Tempelanlage 199) war ich zu dir hin eingetreten, (67) ich, die Hohepriesterin, ich, En-hedu-Ana 200). ˘ 197. Konnotativ »in seinen Ställen«; vgl. Attinger, Ninmesˇara. 198. Bevor die Rezitation der göttlichen Mächte tatsächlich erfolgt (Z. 121 ff.), müssen aber noch drängende Probleme einer Lösung zugeführt werden. ˆ ipar, eine Art »Palast« der Hohepriesterin innerhalb des 199. Es handelt sich um das sogenannte G Tempelbezirkes, der dem Stadtgott von Ur gehört. 200. Der hohepriesterliche Amtsname bedeutet »Hohepriester(in), Schmuck des Himmels«.

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Annette Zgoll (68) Während ich den Korb für ein besonderes Ritual trug, den Festjubel angestimmt hatte, (69) da hat man die Totenopfergaben aufgestellt, als hätte mein eigenes Leben schon geendet! (70) Dem Licht kam ich nahe: da wurde es mir sengend heiß. (71) Dem Schatten kam ich nahe: Nachdem (auch) er mir durch Sturmeswüten verhüllt wurde, (72) da wurde mein süßklingender Mund ekelerregend, (73) Alles, womit ich sonst Freude bewirkte, wurde zu Staub.

Appell: Innana soll vor dem Himmelsgott als Richter Beschwerde einlegen! (Jetzt erst nennt die Hohepriesterin mit Namen, wer sie hart bedrängt: Es ist der Stadtgott von Ur, Nanna-Suen, und der von ihm legitimierte König, der in der Koalition der sumerischen Stadtstaaten gegen das zentrale Reich akkadischer Prägung eine Führungsrolle innehat, ein Mann, der sich Lugal-Ane, d. h. etwa »König, den der Himmelsgott An (berufen hat)« nennt.) (74) Mein

Schicksal mit (dem Stadtgott) Suen und (dem Usurpator) Lugal-Ane (dem Himmelsgott) An! An möge es mir lösen! (76) Gleich jetzt berichtest du es An. An wird es uns lösen! (75) berichte

Das Urteil, verkündet im Orakelspruch des Himmelsgottes: Lugal-Ane wird beseitigt, die Stadt gestraft! (Nun, genau in der Mitte des Liedes, 201) folgt ein dramatischer Höhepunkt, indem ein Orakel des Himmelsgottes wörtlich zitiert wird. Dieser Orakelspruch – der früheste wörtlich zitierte – ist so etwas wie die letzte Bastion, auf die sich die Hoffnung der Enhedu-Ana stützt.) ˘ (77) (Spruch

Ans:) »Das Schicksal von Lugal-Ane wird eine Frau wegreißen. Berge (d. h. Feindländer) und Wasserfluten ihr unterworfen zu Füßen liegen, (79) weil diese Frau (auch gegenüber anderen Gegnern) gewaltig ist, wird sie die Stadt vor sich erzittern lassen. (80) Tritt (vor Gericht), damit sie mir das, was in ihrem Herzen rumort, beruhigend abkühle!« 202) (78) Weil

201. Vgl. C. Wilcke, Die Hymne auf das Heiligtum Kesˇ. Zu Struktur und ›Gattung‹ einer altsumerischen Dichtung und zu ihrer Literaturtheorie, in: P. Michalowski / N. Veldhuis (Hg.), Approaches to Sumerian Literature. Studies in Honour of Stip (H. L. J. Vanstiphout) (CM 35), Leiden / Boston 2006, 212. 202. So mit Wilcke, ebd., 213.

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Texte aus Mesopotamien

Appell: Das Ritual soll Innana dazu bewegen, das Urteil des Himmelsgottes zu vollstrecken (81) En-h edu-Ana

bin ich – ein Gebet will ich nun zu dir sprechen. Tränenklage, als wäre sie ein angenehmes Trankopfer, (83) will ich vor dir, schicksalbestimmende Innana, nun freien Lauf lassen, »Dein (ist es, das) Urteil zu vollstrecken!«, sage ich jetzt zu dir. ˘ (82) Meiner

Anklage: Die Untaten der Gegner (Dem Stadtgott von Ur unter seinem alten Beinamen Dilimbabbar und seinem Schützling Lugal-Ane werden nun die schlimmsten Untaten gegen den Himmelsgott An zur Last gelegt, darunter Sakrilegien gegen dessen Tempel und seine geheiligten Rituale. Während die Göttin Innana der mythischen Überlieferung zufolge das erste Himmelshaus auf die Erde geholt hat, hat Lugal-Ane die göttliche Heilstat in eine Unheilstat verkehrt. Infolge von Innanas Tat hatte An dem »Himmelshaus« nie endende Schönheit bestimmt. Infolge der Tat des Lugal-Ane hingegen ist die Schönheit des Tempels völlig zerstört.) (84) Was

Dilimbabbar angeht, so bekümmere dich nicht! (der Katastrophe, daß) bis hin zu den Reinigungsriten 203) des schicksalbestimmenden (Himmelsgottes) An alles, was diesen angeht, verdorben wurde, (86) hat er (Lugal-Ane) von An (dessen Tempel) E-ana (»Himmelshaus«) weggerissen! (87) Dem ehrwürdigsten Gott (An) hat er keine Ehrfurcht entgegengebracht! (88) Diesen Tempel, an dessen Wonne er (= An) wahrlich nie satt wurde, dessen Schönheit er niemals überdrüssig geworden wäre, (89) diesen Tempel hat er (= Lugal-Ane) ihm (= An) zu einer Stätte des Abscheus gemacht! (90) Eine Art »Gefährte« 204) … ! – Während er so zu mir eingetreten war, hat er (in Wahrheit vielmehr) seinen Neid an mich herangetragen! (85) Während

Appell: Aufforderung zur Vernichtung der Gegner an mehrere hohe Gottheiten (91) Meine

gewaltige göttliche Wildkuh! Den sollst du verjagen, den sollst du packen! Ort, der Leben ermöglicht – ich – was bin ich da noch? (93) Als ein rebellierendes Gebiet, deinem Nanna verhaßt, soll An sie (= die Stadt Ur) ausliefern! (94) Diese Stadt – An soll sie niederschmettern! (95) Enlil soll sie verfluchen! (96) Keine Mutter soll ein weinendes Kind dieser Stadt beruhigen! 205) (92) Am

203. Die Reinigungsrituale gehören zu den göttlichen Mächten (me). Es sind die grundlegenden Rituale, das Fundament des gesamten Kultes. Denn nur, wer rein ist, kann mit den Göttern kommunizieren, nur was rein ist, kann ihnen dargebracht werden. 204. Wörtlich mit Attinger, Ninmesˇara, »Seite an Seite (mit mir seiend)«; dabei klingt das sumerische Wort für »Gefährte« an. 205. Konkret bedeutet das, daß die Stadtgöttin von Ur ihr »Kind«, d. h. ihren Schützling Lugal-Ane seinem Schicksal überlassen soll.

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Annette Zgoll (97) Herrin! (98) nämlich

Das, was Klagen erregt hat, dein ›Schiff der Klagen‹ soll im feindlichen Gebiet zurückgelassen werden!

Anfechtung des Urteils und Anklage: Das Problem mit dem Stadtgott von Ur und die Vertreibung der En-hedu-Ana ˘ (Nun erst, zunächst noch immer zwischen den Zeilen, wird deutlich, daß es der Stadtgott von Ur höchstselbst ist, auf dessen Urteilsspruch sich die Gegenseite beruft. Innana muß schleunigst klarstellen, daß dieser angebliche Urteilsspruch völlig irrelevant ist, sei es, daß der Gott Nanna / Dilimbabbar in Wirklichkeit gar nichts entschieden hat, sei es, daß Innana sich aufgrund des revidierenden Orakels von An über einen solchen Spruch hinwegsetzen muß.) (99) Oder

muß ich sterben, weil ich mein schicksalbestimmendes Lied angestimmt habe? mich angeht – mein Nanna hat nicht nach mir gefragt, (101) als das abtrünnige Gebiet mich ganz und gar vernichtet hat. (102) Dilimbabbar hat das Urteil über mich ganz gewiß nicht gesprochen! (103) Ob er es gesprochen hat oder nicht – was ist nun zu tun? (104) Nachdem er (= Dilimbabbar bzw. Lugal-Ane) all seine Wünsche triumphierend erreicht hat, hat er es (= das Urteil) aus dem Tempel hervorkommen lassen. 206) (105) Wie eine Schwalbe hat er mich vom Fenster weggescheucht. Nachdem er dafür gesorgt hat, daß die Leute mein Leben vertilgt haben, (106) läßt du (Innana) zu, daß ich nun zum Dorngestrüpp des Feindlandes gehen muß? 207) (107) Die wirkmächtige Tiara des hohepriesterlichen Amtes hat er mir entrissen, (108) hat mir einen Dolch gegeben und gesagt: »Das ist nun dein Schmuck!« (100) Was

Die Lösung: Innana soll sich als die Mächtigste unter den hohen Göttern erweisen

Anrufung Innanas als Herrscherin über die großen Götter (Wie zu Anfang wird nun gerade das als großartig und verläßlich gepriesen, was aktuell Zeiten der Anfechtung und Bedrängnis erleben muß. Hält Innana wirklich noch zum Herrscher des Zentralreiches, hat das Ritual der Heiligen Hochzeit Bestand, so daß er noch immer als ihr geliebter Partner Usˇumgal-Ana gelten darf, wo er doch im Krieg völlig in die Enge gedrängt wird? Einstweilen ist zu betonen, daß Innana zu ihrem Gemahl hält und daß sie die Mächtigste unter den hohen Gottheiten geworden ist. Dann aber kulminiert alles in der rituellen Rezitation der göttlichen Mächte, Z. 121 ff.)

206. Zgoll, Rechtsfall, nimmt als Objekt En-hedu-Ana an, was textkritisch nicht unproblematisch ist, Attinger, Ninmesˇara, den Stadtgott˘ Dilimbabbar, was semantisch nicht einfach ist. Zu überlegen ist daher, ob es hier um das immer wieder virulente Thema des Urteilsspruches geht. Die Zeile besagt damit, daß Lugal-Ane unrechtmäßig einen Orakelspruch des Gottes induziert und als Urteilsspruch vom Tempel in die Öffentlichkeit getragen hat. 207. Vgl. Attinger, Ninmesˇara.

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Texte aus Mesopotamien (109) Einzigartige

Herrin, von An geliebt, schicksalbestimmendes Herz ist gewaltig (erzürnt): Möge es um meinetwillen (zu seinem Gebiet) zurückkehren! 208) (111) Gemahlin, die den (legitimen Herrscher) Us ˇumgal-Ana liebt! (112) Vom Fundament des Himmels bis zu seinem Zenit bist du die große Herrin (nin gal), (113) die hohen Götter, die Anuna haben sich dir unterworfen. (114) Von Geburt her warst du zwar eine kleine Herrin, (115) doch jetzt, da du die Anuna, all die großen Götter so übertroffen hast, (116) da küssen sie mit ihren Lippen den Boden vor dir. (110) dein

Verteidigung: En-hedu-Ana beteuert, daß sie sich korrekt verhalten hat, und beharrt ˘ auf ihrem Amt als Hohepriesterin (117) Obwohl mein eigener Prozeß noch nicht abgeschlossen ist, umgibt mich ein fremder, feindlicher Urteilsspruch, als sei er für mich bestimmt. (118) Das strahlend-reine Bett hatte er (= Lugal-Ane) nicht besudelt, 209) (119) die Sprüche der (Stadtgöttin) Ningal habe ich dem Kerl nicht offenbart. (120) Die strahlende en-Priesterin Nannas bin ich.

Zielpunkt des Rituals: Rituelle Rezitation der göttlichen Mächte, um die Theophanie der kriegerischen Innana herbeizuführen (121) Meine

Herrin, geliebt von An, möge sich dein Herz mir beruhigend abkühlen! soll bekannt sein, es soll bekannt sein: Nanna hat keinen Urteilsspruch ausgesprochen, 210) »Dein ist er« hat er gesagt! (123) Daß du wie der Himmel gewaltig hoch bist, soll bekannt sein! (124) Daß du wie die Erde unermeßlich weit bist, soll bekannt sein! (125) Daß du rebellierende Gebiete vernichtest, soll bekannt sein! (125a) Daß du gegen feindliche Länder brüllst, soll bekannt sein! (126) Daß du die Häupter (der Rebellion) zerschlägst, soll bekannt sein! (127) Daß du wie ein Raubtier (ihre) Kadaver frißt, soll bekannt sein! (128) Daß dein Blick grausige Vernichtung bringt, soll bekannt sein! (129) Daß du diesen Schreckensblick zum Einsatz bringen wirst, soll bekannt sein! (130) Daß dein Blick überall vernichtendes Funkeln versprüht, soll bekannt sein! (131) Daß du unerschütterlich und unnachgiebig bist, soll bekannt sein! (132) Daß du all deine Wünsche triumphierend erreichst, soll bekannt sein! (133) Daß Nanna keinen Urteilsspruch ausgesprochen hat, daß er »Dein ist er« gesagt hat, (134) das hat dich noch größer gemacht hat, meine Herrin, du bist die Allergewaltigste – (122) Es

208. Diese Wendung ist eine feste Formel der Herzberuhigung der Götter, die in diesem Kontext den Beiklang bekommt: »Möge dein Herz sich zu seinem Herrschaftsgebiet wenden.« 209. So mit Attinger, Ninmesˇara. – Die Aussage wehrt mögliche Vorwürfe an En-hedu-Ana ab, sie ˘ zustanden. könnte dem Lugal-Ane Zugänge zum Kult ermöglicht haben, die ihm gar nicht 210. Bezug auf die Zeilen 100-103, die darum ringen, ob der Stadtgott von Ur das Urteil gesprochen hat oder nicht.

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Annette Zgoll (135) und deshalb, du meine Herrin, die An liebt, will ich hiermit von all deinem unwiderstehlichen Wüten künden!

Verankerung des Rituals im regelmäßigen Kult

(Neue Ritualhandlungen werden nun eingeleitet, das Lied stimmt eine ganz neue Tonart an. Nachdem der Zorn der Göttin aufs Äußerste entfacht war und sie – so die Hoffnung – ihre kriegerisch-vernichtende Macht bewiesen hat, braucht es neue Rituale, um ihren Zorn schlußendlich wieder zu beruhigen. Die Reinigungsrituale sind dafür vorgesehen, die vom blutigen Kampf zurückkehrende Göttin in ihren Gemächern zu erfrischen und zu reinigen. Die Ankündigung, das Lied selbst in den regulären Kult aufzunehmen und vom Sänger der Klagelieder vortragen zu lassen, läßt sich als Versprechen des rühmenden Lobpreises zum Dank verstehen. Erst hier, wo das Ende der Schrecken in den Blick rückt, wird die globale Notlage in der Sprache des Mythos und der Klagelieder benannt und gedeutet: Der Gemahl der Göttin, also der Herrscher des gesamten Großreiches, war wie sein mythisches Vorbild, der (Ama-)Usˇumgal-ana, »gepackt«, d. h. dämonischen Mächten ausgeliefert worden. Aber anders als in den Klageliedern, hatte Innanas Zorn dem Einhalt geboten …) (136) Die

Kohlen habe ich aufgehäuft, die Reinigungsrituale dafür vorbereitet, Tempel Esˇdam-ku (»Schicksalbestimmende Herberge«) 211) steht für dich bereit: Wird sich dein Herz nicht um meinetwillen beruhigend abkühlen? (138) Da das Herz mir voll, da es mir übervoll geworden war, machtvolle Herrin, habe ich dies für dich geschaffen. (139) Was dir zur Nacht gesagt wurde, (140) soll der Kultsänger dir zur Mittagszeit wiederholen: (141) »Nachdem wegen deines gepackten Gatten, wegen deines gepackten Schützlings (142) dein Zorn groß geworden war, da hatte dein Herz keine Ruhe finden können …!« (137) der

Ausblick auf den Erfolg des Rituals: Auf Erden nimmt Innana das Ritual an, im Himmel herrscht Harmonie unter den Göttern

(Als Ausblick des Vertrauens oder als angefügter Rückblick zeigen die folgenden Zeilen, daß das Ritual mit seinem schicksalbestimmenden Lied tatsächlich Erfolg hatte: Auf Erden kommt alles wieder in Ordnung und im Himmel wird eine perfekte Harmonie zwischen dem Stadtgott von Ur und seiner Tochter gezeigt. Die Beschreibungen Innanas schlagen einen Bogen zum Beginn des Liedes, wo schon ihr strahlendes Hervorkommen angeklungen war: Jetzt, nachdem sie als Länder-Zerstörerin die Bedrohung ihres Schützlings vollständig abgewehrt hat, erglänzt die Göttin wieder voller Schönheit und verbreitet Entzücken.) ˆ irsu/Lagasˇ; daneben Bezeichnung eines in 211. Name eines Tempels der Innana im Stadtstaat G verschiedenen Innana-Tempeln bezeugten Heiligtums.

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Texte aus Mesopotamien (143) Die

machtvolle Herrin, die Herrscherin über die (Götter-)Versammlung, hat das Ritual von ihr angenommen. (145) Das Herz der schicksalbestimmenden Innana hat sich für sie zu seinem Gebiet gewendet. (146) Der Tag war angenehm für sie, Entzücken verbreitete sie, überreiche Schönheit verströmte sie reichlich. (147) Wie das aufgegangene Mondlicht (Nanna) kleidete sie sich strahlend schön. (148) Nanna gab seiner Bewunderung tatkräftig Ausdruck, (149) sie (= Innana) grüßte ihre Mutter Ningal, 212) (150) und während die Torhüter-Gottheiten ihr (= Innana) den Willkommensgruß entbieten, (151) ist das, was sie (= Ningal) der Herrscherin zuspricht, gewaltig! 213) (144) sie

Das Preislied gehört Innana

(Das Lied selbst ist nun zu einem der Machtmittel geworden, das Innana gehört.) (152) Dir,

Zerstörerin aller feindlichen Länder, die von An die göttlichen Mächte erhalten

hat, (153) meiner

Herrin, in Entzücken gehüllt, dir Innana gehört dieses Preislied!

212. So Attinger, Ninmesˇara. 213. Daß hier über En-hedu-Ana (Attinger, Ninmesˇara) gesprochen wird, erscheint mir unwahr˘ sie in den folgenden beiden Zeilen noch immer selbst als Sprecherin scheinlich, u. a. weil auftritt. Der Ausdruck »gewaltig« findet sich im gesamten Text auf Innana bezogen.

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Der akkadische Bazi-Mythos und seine Performanz im Ritual Wie der Gott Bazi Königtum und Tempel erlangt

Annette Zgoll Der Mythos, wie der Gott Bazi seine Feinde überwindet und damit das Königtum über die Götter erlangt, ist ein Unikat, auf einer altbabyl. Tontafel unbekannter Herkunft erhalten, die heute unter der Inv.-Nr. MS 2750 in der Schøyen Collection Oslo aufbewahrt wird. Der Bazi-Mythos ist, wie die hier vorgestellten Forschungsergebnisse zeigen, in Form eines Rituals erhalten. Das rituelle Lied liefert das erste Zeugnis für Mythos und Kult dieses Gottes. Außerhalb dieses Liedes ist Bazi geläufig als Personenname in Mari und Umgebung während des 3. Jt.; zwei Zeugnisse aus dem syrischen Raum erwähnen überdies einen »prominenten« Bazi: In einer Emar-Version der Ballade auf frühe Herrscher und in einem Exemplar der Sumerischen Königsliste aus Tell Leilan wird Bazi als Herrscher von Mari genannt, wobei die Königsliste ihm göttlichen Status zuschreibt 1). Der mythische Stoff läßt sich aus dem rituellen Lied folgendermaßen rekonstruieren: Bazi wünscht sich einen Kultort mit Stadt. Der Ritual- und Weisheitsgott Ea verspricht, ihm einen solchen zu geben, wenn er »alt«, d. h. mächtig, geworden sei. Bazi beweist seine Macht (»Männlichkeit«), indem er als »Widder« seine Feinde aufspießt und vernichtet. Dies wird nicht narrativ geschildert; vielmehr werden die erschlagenen Feinde im Ritual vorgeführt und gefeiert. Ea schenkt dem Bazi daraufhin einen besonderen Kultort, nämlich einen Tempel auf dem Gipfel eines Berges. Besonderes Merkmal dieses Tempels sind seine Wasser, die halb Leben, halb Tod bedeuten und als Ordalstätte zu verstehen sind. Bazis Tempel war ein Ort der Prüfung und Rechtsprechung und wurde als Zugang zur Unterwelt angesehen. Die Unterschrift weist diesen Text als ein Lied aus, welches zu einem bestimmten, wiederkehrenden Termin zu singen ist, nämlich dann, wenn die arbeitsfähigen Männer »hinaufkommen«. Das könnte den Zeitpunkt bezeichnen, an dem die ganze Gemeinschaft der Bazi-Anhänger zusammen war, auch die sonst mit den Herden durch das Land ziehenden Männer. Der Inhalt erweist das Lied als zentrales Element eines Festes, welches die Inthronisation des Gottes Bazi und die Erschaffung und Einweihung seines Tempels und seiner Stadt preist. Das wurde sicherlich jährlich gefeiert. Die Abfassung in akkadischer, nicht sumerischer Sprache, ist als Indiz zu werten, daß die Bevölkerung die Aufführung des rituellen Liedes miterlebte 2). Ritual-Handlungen lassen sich im Text v. a. in Gestalt einer Glossierung greifen: So sollen Hexer, Bluttäter und Zauberer in einer Reihe aufgestellt werden (Z. 33). Drei

1. 2.

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Vgl. A. R. George, aaO 11; Y. Cohen, »Where is Bazi? Where is Zizi?« The List of Early Rulers in the Ballad from Emar and Ugarit, and the Mari Rulers in the Sumerian King List and other Sources, Iraq 74 (2012) 137-152. Mit George, aaO 15.

Texte aus Mesopotamien

Gottheiten, Sˇamasˇ, Sˇakkan und die »Große (Ordal)flußgottheit« werden angerufen, um diese Übeltäter zu erschlagen. Ein solcher Vorgang läßt sich analog zu anderen Ritualen gut mit Figuren vorstellen, die rituell zu vernichten waren. Weitere RitualHandlungen sind zu erschließen: Der Gott besteigt seinen Thron und wird als König ausgerufen (Z. 35 f.). Die von ihm erschlagenen Feinde werden vorgeführt (Z. 37 f.). Dann wirft sich die Gemeinde der »reinen Leute« vor ihm zu Boden und huldigt ihrem König (Z. 34, 38a). Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, daß auch zu anderen Teilen dieses Ritual-Textes begleitende Handlungen durchgeführt wurden. Somit kann man von einer Art »Aufführung« des Mythos während des religiösen Festes ausgehen. Der Großteil des 59 Zeilen umfassenden Ritual-Textes ist gut erhalten, nur das letzte Viertel ist so fragmentarisch, daß es sich kaum verstehen läßt. Analysen von Modi, Tempora und Sprecherhaltungen legen nahe, daß dieser Text von verschiedenen Sprechern oder Sängern vorgetragen wurde. Die hier vorgelegte Übersetzung wagt auf dieser Basis eine Zuteilung zu verschiedenen solchen »Akteuren«. Wer diese Sprecher oder Sänger im einzelnen waren, ob es sich um Solisten oder Chöre handelte, läßt sich nicht entscheiden. Um der Verlebendigung der möglichen Vorstellung willen schlage ich hier ein Szenario vor, das auf Beobachtungen der genannten Analysen basiert. So gehe ich davon aus, daß eine imperativische Anrede an Gottheiten von einer Person durchzuführen ist, die einen priesterlichen Status hat; hymnische Passagen weise ich einem »Chor« zu. Dennoch ist zu betonen, daß diese Rekonstruktion hypothetisch bleiben muß. Der Text ist in vielfältiger Hinsicht höchst interessant: für die Mythosforschung, weil hier ein mythischer Stoff in Form ritueller Performanz greifbar wird, für die allgemeine Literaturforschung, weil sich hier ein frühes Zeugnis für das Phänomen findet, das man später im griechischen Raum als »Drama« bezeichnet, sodann religionshistorisch wegen seines bislang fast völlig unbekannten Protagonisten und der Einblicke in die Träger des Bazi-Kultes, die sich als »reine Leute« verstehen. Daß hier eine offenbar relativ kleine Ethnie im Westen Mesopotamiens ihrem Gott das Königtum über alle Götter zuschreibt, eröffnet interessante Vergleichsmöglichkeiten für die Henotheismus/Monotheismus-Forschung. Edition und Bearbeitung: A. R. George, Babylonian Literary Texts in the Schøyen Collection (CUSAS 10), 2009, Nr. 1; für eine immer wieder aktualisierte Übersetzung vgl. Streck / Wasserman, SEAL: http://hudd.huji.ac.il/ArtlidHomepage.aspx, sub Epics/Old Babylonian.

(Chor) (1) »Der Bewohner von …, (2) der Widder, der Sprößling des Ea , … [… Bazi] (3) der Gott, der die Menschheit prüft, (4) der das feindliche und das aufrichtige Herz kennt, (5) inmitten des Apsû ist genannt sein Name!«

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Annette Zgoll

(Erzähler) (6) Zum Königtum über die Götter hat Ea ihn erhöht (mit den Worten): (7) »Werde alt (d. h. gewichtig und erhaben)! (Dann) sollst du König sein, und zwar unter den Göttern 3)!« (Intermezzo? Vielleicht mit musikalischem oder mimischem Zwischenspiel 4)?) (Erzähler) Herr über den Rechtsspruch für das Land, oben (im Norden) und unten (im Süden) – (9) nachdem er mit seinen Armen die Fülle seiner Mannhaftigkeit bewiesen hatte 5), (10) da sprach er zu seinem Vater Ea: (8) Der

(Bazi-Sänger) (11) »Mein Vater! Ein Kultzentrum – wo kann ich das errichten? (11a) Widder und Schaf – wo kann ich sie groß werden lassen? (12) Besetzt und allesamt belegt sind die Kultsitze, (12a) wo die Anunakki wohnen, die großen Götter.« (Erzähler) sprach nun zu ihm der Ratgeber der Götter, sein Vater, (14) der Bewohner des Apsû, der Herr über die Schicksale, (15) zu Bazi, zu ihm sprach Ea, sein Vater, Lieder der Offenbarungen: (13) Es

(Ea-Sänger) ˇ asˇsˇa¯r und Basˇa¯r, den Berg 6). (16) »Ich gebe dir hiermit S (17-1) Welcher (Berg) wäre es denn (sonst), den du wirklich möchtest?« (Bazi-Sänger) der ist es (den ich möchte) – ich kenne (ihn)!« 7)

(17-2) »Genau

3. 4. 5. 6. 7.

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Da diese Rede des Gottes Ea im Unterschied zu anderen in diesem Text nicht eigens eingeleitet wird, läßt sich vermuten, daß sie von einer Art »Erzähler« zitiert wird. An dieser Stelle ist ein Intermezzo anzunehmen: Bazi wird »alt«, d. h. mächtig, und beweist seine Mannhaftigkeit. Diese wird später, Z. 37 f., rückblickend gepriesen: Er besiegt seine Feinde. Wörtlich: »nachdem seine Arme voll geworden waren von Männlichkeit«. Gemeint ist wohl ein Gebirge oder Berg mit zwei Gipfeln. Wörtlich mit Martin Worthington eine Frage. Diese muß rhetorisch gemeint sein: »Kenne ich (ihn) hetwa nichti?«. Hinter der Gabe des Berges verbirgt sich schon die Erfüllung aller Wünsche des Bazi, denn damit ist zugleich der ersehnte Kultsitz (parakku), verbunden, wie er in der folgenden Z. 18 dann versprochen wird. – Daß in Z. 17-2 Bazi spricht, ist eine Idee von Karl Hecker.

Texte aus Mesopotamien

(Ea-Sänger) ˇ asˇsˇa¯r wird ein Kultsitz hervorkommen, zum hBasˇa¯r wird ein Kultsitz hervor(18) »Zum S kommen 8)i.« (Priester) (18) »Boten (18a)laß doch emporsteigen und übereigne (den Kultsitz) dem König 9) (19) (und) der strahlenden Königin, der Tochter des Anum!« (Erzähler) (20) Er (= Bazi) begann nun, überall nach dem Berg zu suchen – wie nach Königinnen 10) – (21) er hielt Ausschau nach der Stadt, nach dem Nicht-Brachliegenden, das ihm (gehören würde) 11). (Intermezzo, welches die Suche darstellt?) (Chor) (22) »Da

ist die Stadt! Sie ist ihm nicht sehr fern!«

(Erzähler, dazu vielleicht parallele Handlung) (23) Er (= Bazi) schlug den Berg, die Erde (= Unterwelt) öffnete er. (Priester) Haus (= der Tempel) ist gebaut! Wasser kommen hervor! (25) Inmitten seiner (= des Hauses) Wasser ist sein (= Bazis) Haus gebaut! (26) Die Ziegel sind Lapislazuli, die Türen sind Glänzend-Reines (= Silber?) 12). (27) Die Schwellen sind von Gold. Schlangen sind die Torpfosten der Türen. (28) Ein Eselshengst ist sein (= des Torpfostens) Zapfen, Kupfer sind seine Türblatt-Beschläge. (29) Ein toter Gott hält den Riegel. Die Torhüter sind der Tod. (29a) Inmitten seines Hauses kreuzen sich die Wasser. Eine Hälfte ist Leben, eine Hälfte ist Tod.« (24) »Das

8. 9.

10.

11. 12.

Ergänzung durch Christian Zgoll in Anknüpfung an Z. 16; für die Notwendigkeit einer Ergänzung vgl. George aaO. Ich verstehe die Stelle so, daß eine Person des Kults, z. B. ein Priester, sich ins Geschehen einschaltet und Ea auffordert, aus dem Apsû heraus Boten hinaufzuschicken, damit dem neuen König Bazi und seine Gemahlin ihr Eigentum öffentlich übergeben wird. – Für (w)uddûm mit ana bzw. Dativ vgl. AHW 1454 ff. sub (w)adûm D 5. Die Übersetzung »suchen« folgt einem Vorschlag von Martin Worthington. – Spielt der Vergleich auf eine Brautschau an? – Der Plural läßt sich wegen des Bezugs auf zwei Sätze (Apokoinu) verstehen: Bazi sucht nach dem Berg und er sucht nach der Stadt, also nach zwei Größen. Die Idee, diese Aussage auf die Zukunft zu beziehen, verdanke ich Anja Piller: Gemeint ist eine zukünftige Stadt, die der Gott hier schon vorwegnehmend in einer Schau sieht. Wäre die Aussage adjektivisch gemeint, müßte pluralisch formuliert werden. Daher ist ebbum mit George aaO auf ein Edelmetall zu beziehen.

71

Annette Zgoll

(Chor) (30) »Das Haus ist voller Zeremonien festlichen Jubels 13)!« (Intermezzo? Der festliche Jubel könnte instrumental, vokal, mimisch etc. zum Ausdruck gebracht werden.) (Erzähler) der Zella ist Sˇamasˇ 14), im Haus Sˇakkan 15):

(31) In

(Priester) doch, o Sˇakkan, den mit Hexerei, doch,) o Sˇamasˇ, den mit Bluttaten, (33-2) (erschlage doch,) o Großer Ordalfluß, den mit Zauberei!« (32) »Erschlage

(33-1) (erschlage

(Darunter folgt eine Glosse in kleinerer Schrift. Es handelt sich um eine Handlungsanweisung, die parallel zu den Vorzeilen auszuführen ist) (33-3) In

Reihe stellen 16)!

(Intermezzo: (Figuren der) Hexer, Bluttäter und Zauberer werden aufgestellt und rituell erschlagen.) (Erzähler) (34) Über die reinen Leute 17) herrscht er (= Bazi) (jetzt)! (Chor; parallel besteigt Bazi seinen Thron, und man führt die besiegten Feinde vor.) Widder, der Edle seiner Stadt! (36) Siehe der König! Der Herr der Kultsitze! (37) Mit scharfen Hörnern, der Niederstoßer seiner Feinde! (38) Mit seinen Hörnern hat er die feindlichen Fürsten aufgespießt 18)!« (35) »Der

13. 14.

15. 16. 17. 18.

72

Gemeint ist der Jubel beim Fest der Einweihung des Hauses. Der Sonnengott Sˇamasˇ ist Gott der Rechtsprechung, auch im Totenreich. Für das hier beschriebene Ritual dürfte auch seine Eigenschaft als Geleiter der Verstorbenen in die Unterwelt wichtig sein, vgl. A. Zgoll, Der Sonnengott als Transporteur von Seelen (Psychopompos) und Dingen zwischen den Welten im antiken Mesopotamien. Mit einem Einblick in den konzeptuellen Hintergrund des taklimtu-Rituals in: N. Koslova (Hg.), Studies in Sumerian Language and Literature (Babel und Bibel 8), Winona Lake 2014, im Druck. Sˇakkan / Sumukan ist ein gerade auch im Westen besonders verehrter Gott der Herdentiere, der im vorliegenden Kontext v. a. als Unterweltsgottheit wichtig ist, vgl. den sumerischen Mythos Gilgamesˇs Tod und das akkadische Gilgamesˇ-Epos VII 202-204. Gemeint sind damit die genannten Übeltäter, die man parallel zu diesen Worten im Ritual vernichtet. Wahrscheinlich sind sie in Form von Figuren anwesend zu denken. Grammatikalisch liegt ein sog. »heischender Infinitiv« vor. Also über diejenigen, die nicht zur Gruppe der Hexer, Bluttäter oder Zauberer gehören; es handelt sich um die Gruppe derer, die nun das Fest ihres Gottes Bazi feiern. Hier wird die mythische Großtat des Bazi, die ihn »alt«, d. h. mächtig gemacht hat (Z. 7) und durch welche er seine »Mannhaftigkeit« bewiesen hatte (Z. 9) rückblickend gepriesen.

Texte aus Mesopotamien

(Erzähler; parallel Proskynese der Kult-Gemeinschaft vor dem thronenden Gott) (38a) Sie (= die Leute) werfen sich nieder zu seinen Füßen! (Chor; parallel könnte jemand auf die entsprechenden Personen und Teile des Tempels deuten) (39) »Ist etwa nicht groß und (mit Schätzen) angefüllt sein Wohnsitz? (40) Höflinge der Meere sind seine (= Bazis) Höflinge. (41) Ist sein (= des Hauses) Rand nicht hoch, kommt es (nicht) gleich einem Berg? (42) Er (= Bazi) hat es (= Haus) eine Bresche in die Erde (= Unterwelt) schlagen lassen und hat es an den Himmel gelehnt. (43) Sieh seine Befestigungen, oben ist es erhöht worden.« (44-57) (Fragmentarisch

oder unverständlich. Es könnte davon die Rede sein, daß der Gott, also wohl Bazi, etwas mit »seiner Beschwörung« (tûsˇu) macht; alternativ könnte dort auch von einer Plattform für seinen Thron die Rede sein (Z. 54). Die vorletzten Zeilen scheinen auf eine Schicksalsbestimmung zu deuten, wären also auf eine positive Zukunft gerichtet. Nach einem größeren unbeschriebenen Freiraum folgt noch eine zweizeilige Textunterschrift)

(58) Lied (59) am

auf Bazi, das, wenn die arbeitsfähigen Leute Tag [von …] hinaufkommen, gesungen wird.

73

Akkadische Epen Karl Hecker Epen und Weisheitsliteratur in akkadischer Sprache sind bereits ausführlich in den älteren TUAT- bzw. TUAT.NF-Bänden behandelt worden. Übersetzungen der »großen« Epen wie »Enu¯ma elisˇ«, »Atram-hası¯s«, »Gilgamesˇ«, »Anzû« oder »Isˇum und ˘ Erra« sind, wenn auch nicht immer mit allen bekannten Fassungen, zusammen mit einigen kleineren Erzählungen 1994 in Bd. III/4 565-801, »Adapa« und »Etana« 2001 in der Ergänzungslieferung S. 34-55 von verschiedenen Autoren vorgelegt worden. Ähnliches gilt für die großen Weisheitstexte, die sich wie »Preisen will ich den Herrn der Weisheit (Ludlul be¯l ne¯meqi)« oder die »Babylonische Theodizee« zumeist in Bd. III/1 (1990) 110-188 finden lassen. Eine Ausnahme bildet nur der in der Assyriologie ebenfalls zur Weisheitsliteratur gezählte große Hymnus auf den Sonnengott Sˇamasˇ, der erst im Band NF VII (2013) 66-72 übersetzt worden ist. Zusammenfassend muß man feststellen, daß der wesentliche Teil der einsprachig-akkadischen Epik und Weisheitsliteratur bereits in älteren TUAT-Übersetzungen vorliegt und weitere, meist nur sehr fragmentarische Weisheitstexte hier nicht mehr aufgenommen werden. Nun sind seit 1982, dem Erscheinungsjahr der ersten TUAT-Lieferung, inzwischen mehr als drei Jahrzehnte vergangen, in denen die Wiedererschließung der akkadischen Literatur weitere Fortschritte gemacht hat und auch zu den großen Epen und Weisheitstexten zahlreiche neue Zusatz- und Duplikatfragmente oder gar Parallelversionen entdeckt worden sind. Zu erwähnen wäre hier vor allem die schon 1986 entdeckte, aber erst zu einem kleineren Teil publizierte, aus der Zeit des Darius stammende Bibliothek aus Sippar, die teilweise komplett erhaltene oder kaum beschädigte Tontafeln geliefert hat 1), anderes kam auch in den Tafelsammlungen verschiedener Museen zum Vorschein 2). Die prinzipiell wünschenswerte Neubehandlung der betreffenden Texte kann hier nicht geleistet werden; übersetzt werden hier nur die drei Epen über Tukultı¯-Ninurta (Nr. 1, erstmals), Enu¯ma elisˇ (Nr. 2, Wiederholung) und die Atram-hası¯s-Spätfassung (Nr. 3, neu). ˘

1.

2.

74

Neue Textzeugen aus der Sippar-Bibliothek zu TUAT-Übersetzungen betreffen u. a. »Isˇum und Erra« (TUAT III/4 781-801): F. N. H. Ar-Rawi / J. Black, The Second Tablet of »Isˇum und Erra«, Iraq 51 (1989) 111-122; »Atram-hası¯s« (TUAT III/4 611-645): A. R. George / ˘ F. N. H. Ar-Rawi, Tablets from the Sippar Library VI. Atra-hası¯s, Iraq 58 (1996) 147-190, dazu unten Text Nr. 3; »Ludlul be¯l ne¯meqi«: dieselben, Tablets˘ from the Sippar Library VII. Three wisdom texts, Iraq 60 (1998) 187-206 (das ebenfalls dort publizierte neue Fragment des großen Sˇamasˇ-Hymnus ist bereits in TUAT.NF VII berücksichtigt worden). Für ein Duplikat aus dieser Bibliothek zu Enu¯ma elisˇ Tf. II vgl. unten S. 133. Zwei neue altbab. Gilgamesˇ-Fragmente hat A. R. George in seiner monumentalen zweibändigen Gesamtbehandlung »The Babylonian Gilgamesh Epic. Introduction, Critical Edition and Cuneiform Texts«, Oxford 2003, und zusammen mit weiteren Kleinstfragmenten erneut in CUSAS 10 (2009) 28-41 publiziert.

Texte aus Mesopotamien

1. Das Tukultı¯-Ninurta-Epos Der babylonische Feldzug Tukultı¯-Ninurtas I., in dessen Verlauf Kasˇtiliasˇ IV. von Babylon in assyrische Gefangenschaft geriet und das Kultbild des Marduk nach Assur verschleppt wurde 3), war als erfolgreiches militärisches Unternehmen in besonderem Maß dazu angetan, Ruhm und Ansehen des assyrischen Königs zu vermehren. Zu der immensen nach Assur verbrachten Beute 4) gehörten auch Tontafeln mit keilschriftlicher Literatur, deren Studium der darniederliegenden assyrischen Literatur›szene‹ neue und belebende Impulse vermittelte. In dieser Aufbruchstimmung ist auch das hier übersetzte Tukultı¯-Ninurta-Epos entstanden, dessen Verfasser wegen seines poetischen Stils und Vokabulars als ein hochgebildeter Autor gelten darf und der, wenn ihm wirklich auch das zweisprachig sum.-akkad. »Gebet Tukultı¯-Ninurtas« zugesprochen werden kann, zudem ausgezeichnete Kenntnisse auch der sum. Sprache und Literatur besessen haben muß. Womöglich stammte er – so darf man daher vermuten – sogar aus Babylon und war einer der von dort deportierten Gefangenen. Wie so oft im Alten Orient, wo zerbrochene Tontafeln die Regel sind, ist der Text des Epos nur sehr lückenhaft erhalten. Der Haupttextzeuge, eine große sechskolumnige Tafel aus Ninive, ist wegen seiner minutiösen Schrift und abgeschliffenen Oberfläche nur schwer lesbar, hinzu kommen die Besonderheiten der mittelassyrischen Paläographie und Orthographie mit einer größeren Zahl ausgefallener Lautwerte. Außerdem ist bislang nur eine Handvoll kleinerer Duplikatfragmente bekannt, die Textrekonstruktion und -verständnis verbessern könnten. Textzeugen aus Babylonien fehlen ganz, was angesichts der im Epos geschilderten Ereignisse nicht weiter verwunderlich ist. Die Sprache ist Mittelassyrisch mit gelegentlichen Babylonismen, und der Autor benutzt viele seltene Worte und Ausdrucksformen. In der Orthographie sind mehrfach ausgefallene Lautwerte zu beobachten, was das Textverständnis oft zusätzlich erschwert. Versbau und Stil sind gekennzeichnet durch oft überlang wirkende Wort- und Gedankenhäufungen. Selbst in der Übersetzung, die ja nicht immer alle Einzelheiten genauestens nachahmen kann, fällt der Unterschied zu den streng gegliederten drei- oder viergliedrigen – diese mit Mittelzäsur – Versen sonstiger akkadischer Poesie deutlich ins Auge. Textzeugen: (A) BM 121033, veröffentlicht in zwei Teilen von R. Thompson, 1. Archaeologia 79 (1929) 126 ff., Pl. XLVII – LII, Nr. 122A, 2. AAA 20 (1933) 116 ff., Pl. CI – CIV, Nr. 107; (B) BM 98730, (C) BM 98731, Kopie AfO 18 (1957-58) Tf. I-V; (D) VAT 9596 (= KAR 303) – 12960: E. Weidner, AfO 7 (1931-32) 281; (E) VAT 10358: E. Ebeling, aaO 42 (nur Umschrift); (F) Rm. 142 + 957: Kopie bei B; (x) K. 6007: H. Winckler, Sammlung von Keilschrifttexten II. Texte verschiedenen Inhalts, Leipzig 1893-94, 76; bearbeitet von R. Borger, 3.

4.

Vgl. TUAT.NF III, 2006, 108 für einen Brief aus Du¯r-Katlimmu, der die Versorgung des durchreisenden Tukultı¯-Ninurta und des sich in seiner Begleitung befindlichen kassitischen Königs zum Thema hat. Über den Feldzug gegen diesen und dessen Gefangennahme berichten die Inschriften RIMA I A.0.78.5 (S. 243 ff.) Z. 54-69 und 6 (S. 246 f.) Z. 23-24. Eines der Beutestücke war das Lapislazuli-Siegel des babylonischen Königs Sˇagarakti-Sˇuriasˇ. Das Siegel selbst ist zwar nicht erhalten, seine Beschriftung aber überliefert. Für eine Übersetzung vgl. TUAT.NF VI (2011) 53.

75

Karl Hecker

Einleitung in die assyrischen Königsinschriften I. Das zweite Jahrtausend v. Chr. (HdO 1.E 5/1), Leiden / Köln 1961, 73. Die Zuordnung dieses Textes geht auf W. G. Lambert bei Foster, aaO 317 zurück. Die Textzeugen A-C und F gehören zu einer sechskolumnigen Tafel mit ursprünglich über 700 Zeilen aus Ninive (jetzt im British Museum London); dafür, daß Vs. und Rs. dieser Tafel bei Thompson vertauscht sind, vgl. W. G. Lambert, Three Unpublished Fragments of the Tukulti-Ninurta Epic, AfO 18, 38-51. Die Textzeugen D und E stammen aus Assur und befinden sich heute im Berliner Vorderasiatischen Museum. Für ein unpubliziertes Fragment (VAT 10655) vgl. CAD P 434a s. v. pisˇtu, für ein weiteres Foster, aaO 317.

Abb.1: Tukultı¯-Ninurta-Epos, Textzeuge A-C, Rs. Bearbeitungen und Übersetzungen: E. Ebeling, Bruchstücke eines politischen Propagandagedichtes aus einer assyrischen Kanzlei (MAOG 12/II), 1938; P. Machinist, The Epic of Tukulti-Ninurta I, A Study of Middle Assyrian Literature, Diss. Yale University 1978; Kuk Won Chang, Dichtungen der Zeit Tukulti-Ninurtas I. von Assyrien (Europäische Hochschulschriften XXVII/5), Frankfurt-Bern-Cirencester 1979 (Umschriften weitgehend nach W. von Soden); B. R. Foster, Before the Muses, Bethesda / MD 32005, 298-317; W. van Soldt, Het Tukulti-Ninurta Epos, in: R. D. Demarée / K. R. Veenhof (Hg.), Zij schreven Geschiedenis. Historische documenten uit het oude Nabije Oosten (2500-100 v. Chr.), (Mededelingen en Verhandelingen van het Vooraziatisch-Egyptisch Genootschap »Ex Oriente Lux« XXXIII), Leiden / Leuven 2003, 200-214.

Zum Inhalt: Das zentrale Anliegen des Epos ist naturgemäß die Verherrlichung des assyrischen Königs Tukultı¯-Ninurta I. Es beginnt und endet dementsprechend wohl auch mit einer hymnisch stilisiertem Laudatio auf den König und die diesem zur Seite stehenden Götter. Auffällig ist dabei, daß diese vom Autor in der Ich-Form selbst vorgetragen wird. Tukultı¯-Ninurtas Gegenspieler Kasˇtiliasˇ wird dagegen als ruchloser Eidesbrecher beschrieben, dessen Götter Städte und Heiligtümer wegen seiner Freveltaten verlassen haben. Anlaß zum Krieg zwischen den beiden Kontrahenten ist offenbar die unterschiedliche Behandlung gefangen genommener Kaufleute: Die Assyrer handeln vertragsgemäß freundlich, die Babylonier jedoch nicht. Eine Protestnote bleibt 76

Texte aus Mesopotamien

erfolglos, in dem anschließenden Feldzug nehmen die assyrischen Truppen mehrere Städte Babyloniens ein, ehe Kasˇtiliasˇ, der sich anscheinend auf eine Art Guerilla-Taktik verlegt hatte, entscheidend geschlagen und zusammen mit großer Beute als Gefangener nach Assur verbracht wurde. Tukultı¯-Ninurta erweist sich den Lobesworten des Dichters zufolge als edelmütiger Sieger, da er seine Gefangenen human behandelt und die Beute den Tempeln seiner Götter schenkt.

Kol. I

1. Textzeuge x (1) Höre

das Preislied, den Lobpreis des Königs der [großen] Herren! Herrn der Länder, des assyrischen Enlils, [Stärke] will ich rüh[men]! (3) Seine erhabene Macht möge ausgespr[ochen] werden! (4) Daß seine Waffen größer sind als [alle Feinde, will ich verkünden]! (5) Ich rühme den Lobpreis des Assur, des Königs der [Götter], (6) und die großen Könige [… … …], (7) der inmitten der Schlacht gegen Kadm[uh i … …] 5), ˇ amasˇ˘[… …] (8) und der auf Geheiß des H[elden] S (9) außer 40 Königen der [Na3iri-Länder … … …] 6), (10) in dessen Regierungszeit [… … ……] (Reste von weiteren 4 Zeilen, dann ganz abgebrochen.) (2) Des

2. Textzeuge B, Vs. (1’-28’) (Nur

geringe Reste erhalten.) … …] Isˇtar die Hohen des Landes Akkad [… …] (30’) [… … …].. von der Herrschaft des Königs der Kassiten [… …] (31’) [… ein Vergehen], das nicht getilgt werden kann [… …]. (29’) […

(32’) [Die

Götter waren erzürnt über] den Betrug des Königs der Kassiten an dem Enbl[em des Sˇamasˇ], (33’) wegen des Eidbrechers Kas ˇtiliasˇ. Die Götter von Himmel [und Erde] (34’) [ergrimmten] über den König, das Land und [seine] Leu[te]. (35’) Mit ihrem widerspenstigen Hirten waren sie zornig und [… … …]. (36’) Bekümmert wurde des Herrn der Länder Herrenwürde, [und er verließ] Nippur. (37’) Dem Wohnsitz von Du ¯ r-Kurigalzu näherte ..[…] sich nicht mehr. (38’) Marduk gab sein erhabenes Heiligtum Ba[bylon] auf, (39’) [er] verfluchte seine geliebte Stadt Ka ¯ r-[…]. (40’) [Sîn] verließ Ur, [seine erhabene] Kultstätte. 5. 6.

Kadmuhi hieß das Gebiet westlich des heutigen Cizre. Von Tukultı¯-Ninurtas Feldzug dorthin berichtet˘ RIMA I A.0.78.1 (S. 231 ff.) Kol. III 21 ff. So auch RIMA I A.0.78.5 (S. 243 ff.) Z. 38 ff. Zu den Na3iri-Ländern vgl. M. Salvini, RlA IX (2001) 87-91 s. v. Nairi, Na3iri.

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Karl Hecker

Sippar und Larsa [wurde] Sˇa[masˇ verfeindet]. Eridu, das Haus der Weisheit, [wurde von seinem Gott Ea verlassen]. (43’) Is ˇtaran wurde zornig [mit De¯r, … … …]. (44’) Nicht näherte sich Annunı¯tu [ihrer … Stadt] Akkad. (45’) Uruks Herrin legte [ihr … … … ab]. (46’) [Verä]rgert waren die Götter [allesamt … … …]. (47’) (Geringe Spuren, dann mehrere Zeilen ganz abgebr.) (41’) Mit (42’) Eas

3. Textzeuge A/1, Vs. I + F (1’) (Geringe

Spuren.) … … … …]…seines […] Assur. (3’) [… … … … …] der Götter, Herr des Gerichts, (4’) [… … … … …], einen, der ihn beruhigen könnte, gibt es nicht. (5’) [… … … … …]… trägt ihn, (6’) [… … … … die] den Eid bei den Göttern nicht achten. (7’) [… … … … …]… Niederwerfung. (8’) [der Held, der den] Auftrag der Götter auf dem Schlachtfeld [ausführt], (9’) [… … … …] machte seine Waffen prächtig. (2’) […

(10’) Prachtvoll

ist sein Heldenmut, der die Furcht[losen] vorne und hinten [in Angst versetzt], (11’) Anfeuernd ist sein Ansturm, entzündet die Ungehorsamen links und rechts. (12’) Fürchterlich ist sein Schreckensglanz, wirft alle Feinde nieder, (13’) die Gesamtheit aller untertänigen Könige der 4 Weltufer ist dauernd in Furcht vor ihm. (14’) Wie (vor) Adad zittern bei seinem Gebrüll die Berge, (15’) und wie (bei) Ninurta geraten alle Weltteile, wenn er die Waffen erhebt, immer wieder in Nöte. (16’) Auf Bestimmung Nudimmuds wurden seine Glieder zum Götterfleisch gerechnet, (17’) auf Entscheidung des Herrn der Länder erhielt er seine rechte Statur aus dem Mutterleib der Götter. (18’) Er ist ein ewiges Abbild Enlils, hört auf die Worte der Leute, der Rat des Landes! (19’) Weil ihm der Herr der Länder die Anführerschaft zuwies, pries er (ihn) mit eigenem Mund 7). (20’) Wie

ein leiblicher Vater erhob ihn Enlil (in einen Rang) hinter seinem erstgeborenen Sohn 8), (21’) kostbar in seinem Wert 9), erhält er beim Streit von ihm Schutz. 7. 8. 9.

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Wörtlich »mit der Lippe«. Tukultı¯-Ninurta folgt damit gleich auf Ninurta, der in der Götterhierarchie als erster Sohn Enlils galt. a-qar ina sˇi-me-sˇu. Das letzte Wort dürfte zu ˇs¯ımu »Kaufpreis, Warenwert« zu stellen sein. Foster, aaO 302 mit Anm. auf S. 317 versucht auf Vorschlag von W. G. Lambert eine Lesung lì-me-sˇu und übersetzt mit »in (Enlils) Familie«. In den Wörterbüchern wird lı¯mu »Familie« als westsem. Fremdwort und ohne literarische Belege geführt.

Texte aus Mesopotamien (22’) Keiner

von allen Königen kam jemals seinem Angriff gleich, [anderer Herr]scher hielt auf dem Schlachtfeld ihm gegenüber stand. (24’) [… …] Falschheit, Vergehen, schlimmes Verbrechen, (25’) [… … …] Schwur bei den Göttern [und] änderte den Eid. (26’) [… … …] die Götter beobachteten sein heimliches Tun, (27’) [… … …] … … und folgte ihnen nach. (23’) kein

(28’) […

… …] … [der König] der Kassiten brach den Eid, … …] er beging ein schlimmes Vergehen. (30’-43’) (Nur geringe Reste erhalten. Soweit erkennbar, geht die Klage über das Fehlverhalten des kassitischen Königs weiter. Einzelne Worte sind: »… Sünden wurden viel« (Z. 33’) und »er sagte Feindliches« (Z. 353). (29’) […

Kol. II

Textzeuge A (Anfang abgebr., dann Reste von 2 Zeilen.) (3’) Aus dem Gebiet des Landes Assur dürfe, so erließ er ein Gebot, kein Geheimnis hinausgehen. (4’) Es zogen aber viele … … … .. hindurch. (5’) Kaufleute, die ein Ge[schenk] des Königs der Kassiten trugen, wurden nachts ergriffen. 10) (6’) Man führte [sie] allesamt gebunden vor Tukultı¯-Ninurta, den Herrn aller Menschen. ˇ amasˇ gütig, beging keine Hinterlist. (7’) Der König handelte an einem Ort des S (8’) Er war behilflich, tat dem König von Babylon eine Gefälligkeit. (9’) [Die …], die Geldbeutel trugen, (und) die Kaufleute ließ er frei, ˇ amasˇ auf und übergoß ihre Häupter mit Salböl. (10’) er stellte sie vor S (11’) Das Geschenk des Königs der Kassiten, das er mit seinem Siegel versehen hatte, ˇ amasˇ hin (und) wandte sich mit seinen Worten an die Götter: (12’) (das) legte er vor S ˇ (13’) »Samas ˇ, Herr des [Gerich]ts, ich habe den Eid auf dich geachtet, deine Größe gefürchtet! (14’) Der nicht […]te, überschritt deine [Satzung]. Ich aber achtete dein Gebot! (15’) Als unsere Väter vor deiner Gottheit ein Bündnis abschlossen, (16’) schworen sie einen Eid miteinander (und) riefen deine Größe an. (17’) Der seit jeher der unerbittliche Richter unserer Väter ist, der Held bist du, (18’) und der je[tzt] unsere Rechtschaffenheit sieht, der rechtleitende Gott bist du! (19’) Warum hat seit jeher der König der Kassiten deinen Plan und dein Gebot mißachtet? (20’) Er fürchtete nicht den Eid auf dich, übertrat deine Anordnung, plante Vergehen. ˇ amasˇ, verschaffe mir Recht (21’) Er beging gewaltige Vergehen vor dir, S

10.

Lesung a-bi-lu-ut t[a-mu]r-ti mit CAD A/I 53 s. v. a¯bilu und CAD T 140a s. v. tamka¯ru. W. G. Lambert bei Foster, aaO 317 schlägt stattdessen a-bi-lu ˇs[i-ki]n-ti »die das Ab[zeichen] trugen« vor.

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Karl Hecker (22’) und

dem, der dem König der Kassiten kein Vergehen antat, [stehe hilfreich zur Sei-

te]! (23’) [In]

deiner großen […] schenke dem, der den Eid auf dich achtete, den Gesamt-

sieg!« (24’) Der

[wei]se [Hirte], der Entscheidungskräfte kennt, wurde verwirrt. Er ergrimmte

[… und] [dem Kasˇtili]asˇ, dem Übeltäter, dem starrsinnigen Ungehorsamen, eine Botschaft: (26’) »Früher [hast du] der Feindlichkeit aus den Tagen unserer Väter [abgeschworen], ˇ amasˇ [… …] zu. (27’) [jetzt] aber wendest du dich [wieder] bösen Worten vor S (28’) [Enlil-ne ¯ ra¯]rı¯, der Vater meines Großvaters, der König aller Menschen, der [… …] 11), (29’) der [gegen Kas ˇtiliasˇ] dem Eid folgte, [… … … … …]. (31’) [Adad-ne ¯ ]ra¯rı¯, mein Großvater, [… … … … …]. (32’) [… …] Nazimarutas ˇ im Kampf [… … … … …]. ˇ ulma¯nu-asˇare¯d, dem Opferschaupriester …, [… … … … …]. (33’) [… …] S (34’-65’) (Geringe zusammenhanglose Reste, meist vom Zeilenende, dann ganz abgebrochen. In die Lücke bis zum Beginn von Kolumne III des Textzeugen A könnten die kleinen Fragmente D und F gehören, von denen aber wieder nur einzelne Worte, z. B. der Name des Kasˇtiliasˇ, erhalten sind, die eine Übersetzung nicht lohnen.) (25’) schickte

Kol. III

1. Textzeuge A (2’) Und

in den Grenzen deines Gebietes [… … …]. wendest du dich um und [betrittst] einen Pfad ohne Ausweg (4’) und wirst fortgespült ohne Vergleich und […] 12)? (5’) Mein ganzes Land hast du geplündert, Rauberei [ausgeführt], (6’) hast verhöhnt die Truppen des Assur, vor den Kämpfen hast du […]! (7’) In einem nicht vorherbestimmten Tod sind beständig [die Krieger] niedergeworfen, (8’) an einem nicht vorbezeichneten Termin sind [ihre Frauen] Witwen! (9’) Ich werde die Tafel unseres gemeinsamen Eides erheben und den Herrn des Himmels anrufen […]. (10’) Du hast ein Verbrechen begangen, das uns beide im Schlachtfeld [zusammenführt], (3’) Warum

11.

12.

80

Die Regierungdaten der bis Z. 33’ genannten assyrischen Könige: Enlil-ne¯ra¯rı¯ 1327-1318, Arik-de¯n-ili (nicht genannt) 1317-1296, Adad-ne¯ra¯rı¯ I. 1295-1264, Sˇulma¯nu-asˇare¯d (Salmanassar I.) 1263-1234, Tukultı¯-Ninurta I. 1233-1197. Kassiten-Könige: Kurigalzu II. 13271303, Nazimarutasˇ 1303-1277, Kasˇtiliasˇ IV. 1227-1220. ta-ásˇ-sˇa-ha-at/t am Zeilenanfang ist problematisch. CAD Sˇ/I 86a s. v. sˇaha¯tu A »waschen, ab˘ ˙ die Passage als obskur; sˇaha¯tu B »sich fürchten«, an das˘ Foster, aaO 306, ofspülen« erklärt ˘ a¯tu A »angreifen«, N-Stamm passiv dazu, scheint fenbar denkt, bildet keinen N-Stamm. ˇsah ˘ ˙ nicht in den Kontext zu passen, der eine negative Aussage erwarten läßt. Die hier vorgeschlagene Übersetzung geht von sˇaha¯tu B »entfernen, abziehen« aus. ˘ ˙

Texte aus Mesopotamien (11’) mit

den Worten »Ich ließ deinen Vater frei, übte keine Vergeltung [an ihm]« 13). du meine unbewaffneten Leute ausraubtest, hebt Vergehen von uns in Ewigkeit auf 14). (13’) Wenn wir im Kampf zusammentreffen, sei das Urteil zwischen uns ..[…]. (14’) Wir treffen an diesem Tag aufeinander wie ein Rechtschaffener, den Räuber ausplündern. (15’) Es wird kein Frieden gemacht werden ohne Kampf ..[…], (16’) es wird keine Freundschaft entstehen ohne Streit, bis du [… …], (17’) bis ich deine Mannhaftigkeit aufzeige (und) du zu einem nicht vorherbestimmten Tod [gelangst], (18’) bis meine funkelnden Augen deinen Kampf sehen und Gemetzel finden. (19’) Ich sagte: »Komm heran, und im Kampf der Männer laßt uns miteinander die andere Seite erkunden! (20’) Bei diesem Fest der Schlacht soll der Eidbrecher nicht der Sieger sein, seinen Leichnam sollen sie hinwerfen 15)!« (12’) Daß

(21’) Tukultı¯-Ninurta

vertraute auf die Einhaltung des Eides, plante (aber auch) Kampf. Kasˇtiliasˇ wurde, weil er die Ordnung der Götter überschritten hatte, innerlich verändert. ˇ amasˇ zu rufen und die Götter anzugehen, war er zu (23’) Er war verängstigt, und um S verschreckt und nachdenklich. (24’) Der Befehl des mächtigen Königs band seinen Leib wie ein Dämon. (25’) Kas ˇtiliasˇ überlegte: »Ich habe des Assyrers Boten nicht angehört, sondern warten lassen. (26’) Ich habe ihn nicht gut behandelt, seinen guten Vorschlag zuvor nicht akzeptiert. (27’) Jetzt sind die Vergehen meines Landes im Übermaß belastend, zahlreich wurden seine Sünden! (28’) Überwältigt hat mich eine unheilbare Strafe, gebunden hält mich der Tod! ˇ amasˇ und hält mich am Rocksaum! (29’) Mich bedrückt der Eid bei S (30’) Du hast mir vorbereitet eine unveränderbare Tafel mit dem Siegel [meiner Väter], (31’) und sie erwiderten vor mir mit einer, deren Wortlaut nicht vertauschbar ist. (32’) Den Vertrag meiner Väter, dessen Wortlaut mir nicht mißfiel, …[… …]. ˇ amasˇ, als (33’) Mich hat der Richter der Wahrheit, der Unveränderliche, der He[ld S Unrechttuer] bestätigt. (34’) Und die Plündereien, die meine Väter begingen, habe ich [noch übertroffen]. (35’) Ich habe meine Leute einem Schonungslosen in die Hand gelegt, einem Zugriff [ohne Entrinnen], (36’) in eine enge Grube ohne Ausstieg habe ich [mein Land] versammelt! ˇ amasˇ, [meine] Strafen [sind schwer]! (37’) Zahlreich sind meine Sünden vor S (38’) Wer ist der Gott, der meine Leute vor dem U[ntergang] verschont? (39’) Der Assyrer achtet ständig alle Götter [… … …] (22’) Und

13. 14. 15.

Am Zeilenende ul a-ri-ib gi-mi-il-[la-sˇu]. Am Zeilenende nach unpubl. VAT 10655 pi-sˇat-ni a-di ul-la i+na-sa-[ah]. Vgl. CAD P 434a. ˘ Lies am Zeilenende mit CAD P 14a pa-gar-sˇu li-du-ú.

81

Karl Hecker (40’) [und

w]endet sich an die Herren unseres Eides (und) [die Götter] von Himmel und Erde! (41’) Ich werde nicht die Eingeweide von Schafen anschauen, ob [mein Thron] fä[llt] (42’) (und ob) die Omen für das Heil meines Heerlagers aus meinem Land [verschwunden sind]! (43’) Mich haben inmitten von [… …] die Vorzeichen ge[…]en 16). (44’) Niemals war der Bestand des Fundaments meines Hauses verläßlich [gegründet]! (45’) Was immer ich träume, es ist erschreckend [… …] 17). (46’) Assur, der König des Alls, schaut mich grimmig an [… … …]!« (47’) Er sagte: »Ich will eiligst [meine Truppen] aufbieten, (48’) warum sollte ich meine Schwierigkeit(en) […]« (49’) Er sagte: »Informi[ert mich] über den Str[eit … …]! (50’) Bis wann … [… … …]. (Das Selbstgespräch des Kasˇtiliasˇ scheint sich noch bis Z. 56’ fortzusetzen. Die spärlichen Reste davon und von einigen weiteren Zeilen lohnen keine Übersetzung. Es folgt eine größere Lücke.)

2. Textzeuge C, Vs. (Das Fragment setzt mit zusammenhanglosen Resten zweier Zeilen ein.) (3’) [Er]

betrat die Stadt Akkad [… … … …] wie Adad den belebten Wesen [… … … …]. (5’) Kas ˇtiliasˇ, der König der Kassiten, der [den Kampf] ersehnt (6’) und dessen Lust sich auf den Kam[pf mit den Truppen der Assyrer] gefreut hatte, (7’) sprang von seinem Thron, seinen Tisch [… er]. (8’) Er blinzelte, spie das Fettfleisch aus, er [… … …]. (9’) Er ließ seinen königlichen Schmuck in [… … …]. (10’) Er schluckte keinen Bissen seines Mundes, er ..[… …]. (11’) Nicht … … den Tisch, wo er aufstand [… … … … …], (12’) die Stühle seines Palastes, die hingestellt waren, [… … … … …]. (13’) Er stieg auf den Wagen, beschimpfte die Men[ge … …]. (14’) Er sprach zu seinen Truppen: »Ich kämpfte [mit …]«. (15’) Der König der Kassiten rannte hin und her wie ein […], (16’) er suchte Zuflucht in den Wäldern … [… …], (17’) ging weg, kehrte um, … [… …]. (18’) Er floh erschreckt wie ein [… … …], (19’) er setzte kein Vertrauen auf [… … …]. (20’) Auf Anunnı¯tu … [… … …] 18). (4’) und

16. 17. 18.

82

Lesung der ersten 5 Zeichen um Zeilenanfang nach Kollation W. von Soden bei Chang, aaO 154 sa-al!-da!-ni-ma, was aber zu keiner sinnvollen Übersetzung führt. Lesung e- em sˇu-ut-t[i]-ja …. par-da-a nach Koll. P. Machinist in CAD Sˇ/III 407b. Die letzten erhaltenen Zeichen der Zeile lesen le-e-su, das zu einer Übersetzung »seine Backe« (zu le¯tu) oder »sein(en) Sieg« (zu lı¯tu) führen kann. Eine Entscheidung für die eine oder die andere Lösung ist, auch wenn manches für die zweite sprechen mag, mangels Kontext nicht möglich.

Texte aus Mesopotamien (21’) Er

wandte sich nicht um, (und weder) auf seine Leute [… …], auf seine eigenen Söhne [vertraute er]. (23’) Kas ˇtiliasˇ […] wie einer, der in [… … …]. (24’) Der Staub des Todes [… … … … …] (Eine Zeile geringe Reste, dann bricht das Fragment ganz ab.) (22’) (noch)

Kol. IV

1. Textzeuge C, Rs. (1’-3’) (Geringe

Reste.) vertraute der König der Kass[iten auf … …]. (5’) Er bot gegen ihn [… …] auf [… … …], (6’) ließ auf ihn […] regnen [… … …]. (7’) Kas ˇtiliasˇ verließ [… … … …]: (8’) »Warum [… …] die Eide unseres Herrn [… …]. (9’) Nicht wird er aufgeben das Inner[ste von …], (10’) bis er ihn lebend einfängt [… … … …]«. (4’) Nicht

(11’) Sie

brachten den König [… … … … …]. Held seiner Krieger [… … … … …] (13’) Er wurde nicht gefangen genommen und vor Tukul[tı¯-Ninurta geführt] 19) (14’) und vor seinen Kriegern ni[cht … … … …] (16’) Zertreten waren die Ufer, die Städte [waren …]. (17’) Der König nahm [die Stadt Akkad] ein, [… … … …] 20). (18’) Er wandte sich an die Annunı¯tu, [… … … …]. (19’) Er wurde der Herr der fernen Stadt [… … …] (20’) (und) zählte das Land zur Verw[üstung … …]. (12’) Und

(21’) Der

König machte sich auf nach [… … … …]. viele Meilen errichtete er [… … … … …]. (23’) Er verschloß die (Dammbrüche der) Kanäle [… … … …], (24’) setzte die Wege in Stand [… … … … …]. (25’) Er nahm [die Stadt …] ein, [… … … …]. (Lücke unbekannter Größe bis zum Beginn von 2.) (22’) Über

2. Textzeuge A (1’-10’) (Nur

geringe Reste -Zeilenanfänge- erhalten.) befahl, [… … … …],

(11’) Tukultı¯-Ninurta

19. 20.

ul i-pa-a-ad-ma in CAD P 9b s. v. pâdu A »fesseln, gefangen nehmen« dem G-Stamm zugeordnet und als obskur bezeichnet. Der orthographisch ebenfalls möglich passive N-Stamm ergibt aber einen brauchbaren Sinn: Kasˇtiliasˇ konnte zunächst entkommen. Vgl. Kol. I, 44’.

83

Karl Hecker

Boten zu Kasˇtiliasˇ nach [Babylon zu schicken], sagte: »Wieviele Tage noch zittern [deine Leute vor mir]? (14’) Du veränderst dauernd trickreich die Position deiner Truppen [… …]!« (15’) Er sagte: »Bis zu welchem Tag bewahrst du die Kam[pfgeräte … …] auf? (16’) Und welche deiner Waffen warten auf welchen Tag [für das Kämpfen]?« (17’) Er sagte: »Ich sitze in deinem Land, die Kultstätte al[le … …], (18’) ich raubte deine Städte aus, soviele es gibt, [ich führte de]ine Leute [gefangen fort!]« (19’) Er sagte: »Wann endlich wird deine beständige Überheblichkeit dich zur Schlacht [veranlassen]? (20’) Das Wüten und Gemetzel, das du wünschtest, werden wir (dir) zeigen! (21’) Vielleicht hast du jetzt noch Mut im Monat des Frühlingshochwassers: Das Wasser ist deine Hilfe! (22’) Und du legtest dein Heerlager an in schwer zugänglichem Gelände: Girra ist dein Vertrauen 21)! (23’) Doch in der heißen Zeit, wenn das Hochwasser abnimmt und Sirius aufscheint, (24’) auf welchen schwer zugänglichen Ort wirst du dann vertrauen, deine Leute zu retten? (25’) Nur wenige Meilen von dir, nicht fern, ist mein Heerlager angelegt. (26’) Deine Truppen, all deine Streitwagen sind bereit, versammelt ist dein Heerlager; (27’) los, komm herüber, beginn die Schlacht, die du suchtest, (28’) zeig deine Waffen, im Kampf, den du brennend wünschst, laß dein Herz ausatmen!« (12’) einen (13’) Er

(29’) [Kas ˇt]iliasˇ

las die Aufforderung zum Kampf, er war verängstigt und wütend. sagte: »Tukultı¯-Ninurta, deine Truppen seien aufgestellt, bis der Termin des Sˇamasˇ da ist (31’) [und bis] der rechte Zeitpunkt für die Schlacht mit mir herankommt, biete deinen Kampf nicht auf!« (32’) Er sagte: »Dies ist der Tag, da das Blut deiner Leute Steppe und Felder überflutet (33’) und ich über dein Heerlager wie Adad eine vernichtende Flut hinwegziehen lasse!« (34’) Bis er seine Krieger in Formation gebracht hatte, verlängerte er als List das Senden von Botschaften. (35’) Und bis er seine Schlachtordnung fertiggestellt, wurden die Streitwagen zurückgehalten. (36’) (Dann) schickte er seine Truppen los, (aber) Girra hielt sie mit Aufstand und Verzweiflung fest. (37’) Über geheime Nebenwege ließ er sein Heer gehen, besetzte die Marschroute. (38’) Der mächtige Held des [Assur] durchschaute die Taktik des Königs der Kassiten. (39’) Die Rüstung hatten sie nicht angelegt, sprangen (aber) an wie Löwen. (40’) Assurs unvergleichliche Waffe begegnete dem Angriff [seines] He[eres]. (41’) Und Tukultı¯-Ninurta, der wilde, schonungslose Sturm, vergoß [ihr Blut]. (42’) Assurs Krieger [überfielen] den König der Kassiten wie eine Schlange, (43’) einen mächtigen Angriff, einen unwiderstehlichen Ansturm [machten sie] gegen sie. (44’) Kas ˇtiliasˇ zog sich zurück, zur Rettung seines Lebens wandte er sich ab. (30’) Er

21.

84

Girra: Der Gott des Feuers.

Texte aus Mesopotamien (45’) Die

Waffe des Enlil, des Herrn der Länder, die die Feinde umzingelt, zerstreute [seine Truppen]. (46’) Niedergetreten waren seine Hilfstruppen, wie Rinder seine Fürsten geschlachtet. (47’) Statthalter gingen zugrunde, Krieger [… …]. (48’) [… …] der kleine Finger des Herrn der Länder [… …] 22). (49’-50’) (Geringe Reste; danach bricht die Kolumne ganz ab.)

Kol. V

Textzeuge A (Am Anfang der Kolumne sind geringe Reste von 9 Zeilen erhalten. Ab Z. 10 ist wieder eine zusammenhängende Übersetzung möglich. Es sprechen die assyrischen Soldaten zu ihrem König.) (10’) »Mein

Herr, vom Anfang deiner Regierung an [… … … …]. und Krieg waren unser Fest und unser Vergnügen [… …]. (12’) Du befiehlst uns, Handgemenge einzugehen [… … …]. (13’) Unter dem Zeichen deiner guten Herrschaft laßt uns Mannhaftigkeit beweisen! (14’) In deiner königlichen Regierungszeit hielt kein (anderer) König vor dir stand! (15’) Dein Ruhm ist im ganzen Land, auf dem Meer und im Gebirge aufgestellt 23)! (16’) Mit deinem zornigen Szepter hast du die vier Winde, alle Weltteile unterwürfig gemacht! (17’) Du hast die Macht deines Landes über unzählige Gebiete ausgebreitet, die Grenzen festgesetzt. (18’) Die Könige kennen dein Heldentum (und) fürchten den Kampf mit dir, (19’) und entsprechend dem lästerlichen Unwort, das dir angehängt war, tragen sie Furcht vor dir! (20’) Jetzt plane für den König der Kassiten das vorzeitige Niederwerfen seiner Mannschaft! (21’) Erschrecke den Trupp, den er aufgestellt hat, verbrenne seine Wagen 24)! (22’) Für wieviele Tage in Zukunft wird er sich Schlimmes für uns ausdenken? (23’) Sich zu unserem Unheil verbündend sinnt er beständig auf Mord! (24’) Täglich plant er, das Land Assur zu vernichten, (und) ist sein Finger (darauf) ausgestreckt. (25’) Dauernd ist er bemüht, die Macht über das Königtum der Assyrer zu erwerben. (26’) Laßt uns rangehen, Kameraden 25)! Es lebe, wer vorwärts geht, sterbe, wer umkehrt! (27’) Während ich friedlich war, beendete er unser Freundschaftsverhältnis, sann fürwahr auf Kampf! (11’) Kampf

22. 23. 24. 25.

Text »der vordere Finger«. Die genaue Bedeutung von te-lu-ut-ka, hier mit »dein Ruhm« wiedergegeben, ist unbekannt. CAD Q 76b liest qi-mi kibra¯ti (u[b].mesˇ) »verbrenne die Weltteile«. Lesung tap!-pu!-ú nach Koll. von Soden bei Chang, aaO 164.

85

Karl Hecker (28’) […]

bei dir, wenn sie dich früher auf dem Schlachtfeld ermutigten. auf Sˇamasˇs Geheiß wirst du, unser Herr, den Namen des Sieg(er)s über den Kassitenkönig gewinnen!«

(29’) Und

(30’) Ausgerichtet

waren die Schlachtreihen, auf dem Kampfplatz war die Streitordnung aufgestellt. (31’) Da entstand mächtiges Getümmel zwischen ihnen, die Männer gerieten in Bedrängnis. (32’) Vorneweg ging Assur, fauchte auf die Feinde Kampfesglut. (33’) Enlil zerstreute die Kämpfer der Feinde, ließ Feuerbrand rauchen 26). (34’) Anu setzte seine schonungslose Keule auf die Bösewichte. (35’) Das Himmelslicht Sîn legte Kampfesverwirrtheit auf sie. (36’) Adad, der Held, ließ eine Sintflut über ihren Kampf fließen 27). ˇ amasˇ, der Herr des Gerichts, verdunkelte die Augen der Truppen des Landes (37’) S Sumer und Akkad. (38’) Ninurta, der Held, der erste der Götter, zerbrach ihre Waffen, (39’) und Is ˇtar schlug ihr Springseil, das den Verstand ihrer Helden veränderte. (40’) Hinter

den Göttern, seinen Helfern, begann der König in Front der Truppen die Schlacht. (41’) Er schoß einen Pfeil ab, Assurs heftige, überwältigende Angriffswaffe, legte einen Leichnam nieder. (42’) Die Helden des Assur schreien sich an: »Auf zum Kampf!« und sehen dem Tod ins Auge, (43’) sie rufen »Is ˇtar, sei gnädig!« und rühmen in dem Durcheinander die Herrin. (44’) Grimmig sind sie, wild, wie Anzû verändert im Aussehn, (45’) anstürmend in Wut ins Durcheinander ohne Schutzkleid. (46’) Sie prüften die Bänder, legten die Kleider ab, (47’) sie banden die Haare fest, durchbohrten mit den Lanzen die Sehnen 28). (48’) Sie tanzten mit geschärften Waffen, die grimmigen, Heldenmänner, (49’) und brüllten einander an wie kämpfende Löwen mit funkelnden Augen, (50’) und wie eine Ansammlung von Gewitterstürmen jagte Verwirrung durch die Schlacht. (51’) Das Auge der Helden wurde wie an einem Tage des Dursts gesättigt mit Blut. (52’) [… …] rückte wütend vor (und) wandte sich nordwärts. (Nach zwei Zeilen mit geringen Resten bricht die Kolumne ganz ab.)

26. 27. 28.

86

Vgl. CAD S 174a s. v. sara¯qu B.2. Die dort unter 3. nur für den D-Stamm surruqu angegebene Bedeutung »zerstreuen« führt zu einem akzeptablen Sinn. Zur Lesung ú-sˇèr-di-im a-bu-ba am Zeilenanfang vgl. AHw 941a s. v. rada¯mu und CAD R 244a s. v. redû A, beide trotz unterschiedlicher Ableitung der Verbform mit sinngemäß gleicher Übersetzung. us-se-né-hi-lu iz-ma-a-ri tu-uh-ri ist vor allem wegen der unklaren Bedeutung des Wortes ˘ ˘ tuhru schwer verständlich. Gemeint ist vielleicht, daß die Soldaten die Spitze ihrer Lanzen ˘ an sich selbst prüften, indem sie sich damit ins Fleisch pieksten.

Texte aus Mesopotamien

Kol. VI

Textzeuge A (Die Anfänge der Zeilen sind überall abgebrochen. Dennoch ist erkennbar, daß die Assyrer nach der für sie erfolgreich verlaufenen Schlacht zahlreiche Gefangene und -Textzeuge B- auch immense Beute aus Babylonien fortführen.) (16’) […

… … …] die Bevölkerung der Städte. … … seine] Nachkommen, die Nachkomm[en der …]…, (18’) [… … … …], den Thron, einen Grenzstein, [… …].., (19’) [… … … …], die Töchter der Fürsten, die [in …] wohnten, (20’) [… … … …], ihre Kinder, Söhne und Töchter. (17’) […

(Der weitere Fortgang der Erzählung ist nur unvollkommen rekonstruierbar. Tukultı¯Ninurta eroberte Babylon und) (22’) [… … … …] plünderte den Schatz von [Esagila], (27’) [… … … … dem] verläßlichen Tempel (und) (29’) [… … … den Sch]atz des Königs der Kassiten. (Die Aufzählung der geraubten und nach Assur entführten Schätze setzt sich weiter fort bis zum)

Textzeugen B, Rs. (1’) (Spuren) (2’) Schatz

[… … [… … (4’) Tafelschreibkunst [… … (5’) Beschwörungstafeln [… … (6’) Herzberuhigungsklagen [… … 29), (7’) Opferschautafeln [… … Vorzei]chen von Himmel [und Erde], (8’) Schriften zur Heilkunst und Herstellung von Verbänden [… …, (9’) die früheren Sammlungen der Väter über [… …, (10’) die Listen der … … … und Soldaten […]: (11’) Keiner wurde zurückgelassen im Land Sumer und Akkad. (3’) Tontafeln

(12’) Mit

dem überschießenden Reichtum, dem Schatz des Königs der Ka[ssiten], er Schiffe im Überfluß für Assur […]. (14’) [und] der Ruhm seiner Macht wurde sichtbar [… … …]. (15’) seine[r] siegreichen Hand [… …] die Götter, [seine] Herren. (16’) [Den] Igigi-Göttern schenkte er gute [… … …], (17’) [nicht] war kostbar genug in seinen Augen Gold, Silber und [edles Gestein]. (13’) füllte

29.

Für Übersetzungen von Herzberuhigungsklagen (ér-sˇà-hugˆ-gˆá) und weiterführende Literatur ˘ zu diesem Genre vgl. St. M. Maul, TUAT.NF 7, 2013, 42-50.

87

Karl Hecker (18’) [Den

Hei]ligtümern der Götter seines Landes schenkte er [… … …]. schmückte er mit [… … …] 30), ˘ (20’) [Ekurm]es ˇarra, den Wohnsitz des assyrischen Enlil, [… … …]. (21’) Die […] von Baltil [verkleidete er] mit reinem roten Gold 31). (22’) [Die Z]ella der Igigi [… … … … …], (23’) [… …] … Schmuck von hellem Gold [… … …]. (19’) [Ehu]rsagkurkurra

(24’) (Die

folgenden Zeilen bis Z. 49’, wo der Text ganz abbricht, sind schlecht erhalten. In Z. 29’ wird Tukultı¯-Ninurta namentlich genannt, in Z. 45’ ist von seinen Inschriften die Rede. In Z. 30’-35’ spricht der Dichter selbst, ohne daß aber mehr als Wunschformen der 1. Person zu erkennen wären, am deutlichsten noch in Z. 34: […], seinen Gefährten, will ich erwä[hnen … …]. Daß in den nicht erhaltenen Teilen dieser Zeilen der Verfasser auch seinen Namen preisgegeben hätte, wäre ganz außergewöhnlich.)

2. Enu¯ma elisˇ Marduks Aufstieg zum Herrn der Welt

»Nochmals Enu¯ma elisˇ, warum denn das?« und »hat denn nicht TUAT bereits in Band III/4 (1994) 565-602 eine ausgezeichnete Übersetzung von W. G. Lambert?« so wird manch ein Leser fragen und eine Begründung für die hier vorgelegte Neubehandlung erwarten. Tatsächlich ist das »Babylonische Weltschöpfungsepos«, wie das Poem, das die Erhöhung Marduks vom Lokalgott der einst unbedeutenden Siedlung Pappila zum Oberherrn der Hauptstadt Ba¯b-ili und zum höchsten Gott des babylonischen Pantheons zum Thema hat, oft auch genannt wird, eines der am meisten übersetzten Werke der keilschriftlichen Literatur überhaupt. Seit 1994 sind u. a. folgende Neubearbeitungen und -übersetzungen erschienen: P. Talon, The Standard Babylonian Creation Myth Enu¯ma elisˇ. Introduction, Cuneiform Text, Transliteration, and Sign List with a Translation and Glossary in French (SAACT IV), Helsinki 2005 32); B. R. Foster, aaO 436-486; O. Wikander, Enuma elish, det babyloniska skapelseeposet, Stockholm 2005; W. G. Lambert, Mesopotamian Creation Stories in: M. J. Geller / M. Schipper, Imagining Creation (Studia Judaica 5), Leiden / Boston 2008, 15-59, speziell S. 37-59 33); F. L. Peinado, Enuma elish. Poema babilónico de la creación. Edición y tradición, Madrid 22008; Th. R. Kämmerer / Kai A. Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos Enu¯ma elîsˇ (AOAT 375), Münster 2012 (mit Par30.

31. 32. 33.

88

Ehursagkurkurra (»Haus ›Gebirge der Länder‹«): Name des Assur-Tempels in Assur; Ekur˘ ˇarra (Z. 20’: »Haus ›Berg aller göttlichen Kräfte‹«) hieß der Assur-Tempel in Ka¯r-Tumes kultı¯-Ninurta, der von Tukultı¯-Ninurta gegründeten kurzlebigen neuen Hauptstadt in Sichtweite von Assur auf der Ostseite des Tigris. Baltil: Ein alter Name der Stadt Assur. Wahrscheinlich hieß die Keimzelle der Stadt so. Keilschrifttext in Drucklettern, weitgehend übereinstimmend mit W. G. Lambert / S. B. Parker, Enu¯ma elisˇ – The Cuneiform Text, Oxford 1966, jedoch ohne Angabe der Zäsuren. Die in TUAT III 569 angekündigte »kritische Bearbeitung« aller »Babylonian Creation Myths« durch Lambert ist als MC 16, Winona Lake 2013, erst nach Ablieferung des hier vorliegenden Beitrags erschienen und konnte nicht mehr berücksichtigt werden.

Texte aus Mesopotamien

titurumschrift, mehreren neuen Textfragmenten in Foto oder Kopie und umfangreichen Kommentierungen und Indices). Lamberts Übersetzung in TUAT III lag ein von ihm selbst erstellter keilschriftlicher Komposittext aus dem Jahr 1964 zugrunde. Seitdem ist eine größere Anzahl neuer Textfragmente bekannt geworden, die hier jedoch nicht alle aufgeführt werden können. Eine Liste sämtlicher bislang publizierter Texte findet sich zudem bequem bei Kämmerer / Metzler, aaO 81-105. Trotz der Neufunde bestehen noch immer einige Textlücken vor allem in der wegen des Schöpfungsberichts bedeutsamen Tf. V. Lamberts Übersetzung in TUAT III war trotz ihrer hohen Qualität nicht in jeder Hinsicht befriedigend, was z. T. auf vom Herausgeber und Übersetzer des englischen Manuskripts angebrachte »Glättungen« zurückzuführen ist. Manches läßt sich heute auch infolge des inzwischen fortgeschrittenen assyriologischen Wissensstands anders fassen. Seiner Übersetzung hatte Lambert eine ausführliche Einleitung vorangestellt, die den Inhalt zusammenfaßt und religions- und literaturhistorische Aspekte erörtert; dagegen vermißt man oft Erläuterungen zu Einzelproblemen wie etwa zur Bedeutung und Kontexteinbindung der 50 Namen des Marduk oder zu den mannigfaltigen philologischen Schwierigkeiten, die das Textverständnis erschweren. Enu¯ma elisˇ ist das Werk eines gebildeten Verfassers, dessen Name, wie gewöhnlich im Alten Orient, zwar unbekannt ist, der aber zweifelsohne der Marduk-Priesterschaft in Babylon angehörte. Er war bestens bewandert in der mythologischen Vorstellungswelt seiner Zeit und war in der Lage, ihr entnommene Motive sinnvoll zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen, er verstand, wie seine Deutung der MardukNamen zeigt, Sumerisch und konnte lesen und schreiben. Er verwendet geläufig Sonderformen der aus dem älteren hymnisch-epischen Dialekt abgeleiteten hochbabylonischen Literatursprache und die formalen und stilistischen Ausdrucksmittel der akkadischen Poesie 34). Leider sind diese in der deutschen Übersetzung nicht immer ganz exakt nachahmbar. In einigen Handschriften aus Assur ist aus politischen Gründen der Name des Marduk durch Assur und entsprechend der von Ea und Damkina durch Lahmu und ˘ Laha¯mu ersetzt worden, ohne daß dies hier in der Übersetzung überall angezeigt ˘ wird 35). Auch die erhaltenen Kommentartexte werden nur ausnahmsweise zitiert 36).

Tafel I (1) Als

oben die Erde

(2) unten

34. 35. 36. 37.

die Himmel nicht benannt waren 37), mit Namen nicht ausgesprochen war,

Vgl. dazu zusammenfassend K. Hecker, Untersuchungen zur akkadischen Epik, AOATS 6 (1974). Für die Assur-Version vgl. Kämmerer / Metzler, aaO 26-33, 355-360. Eine Liste der bekannten Kommentartexte findet sich bei Kämmerer / Metzler, aaO 105-109. Akkad. ˇsamû »Himmel« wird in den Wörterbüchern als plurale tantum geführt. Nach altorientalischer Vorstellung existierten aber mehrere (wenigstens drei) schichtenmäßig über einander gelagerte Himmel. Vgl. dazu RlA IV (1972-1975) 411-412 s. v. Himmel.

89

Karl Hecker (3) (da)

war Apsû, Mummu Ti’a¯mat,

der Erste,

(4) (und) (5) sie

mischten ihre Wasser Weide war nicht gebildet,

zu einem, Röhricht nicht sichtbar.

von den Göttern Namen nicht ausgesprochen,

noch kein einziger entstanden war, Schicksal (ihnen) nicht zubestimmt war,

(6) aber (7) als

ihr Erzeuger 38), die sie alle gebar 39);

(8) mit

(9) (da)

wurden die Götter in ihnen Lahmu und Laha¯mu, ˘ ˘ (11) Bis sie groß wurden (12) wurden Ans ˇar und Kisˇar erschaffen,

erschaffen, wurden mit Namen ausgesprochen.

(13) Sie

vermehrten die Jahre, seinen Vätern gleich.

(10) entstanden

(14) da

machten lang die Tage, war Anu, ihr Erbsohn,

(15) Ans ˇar (16) und

machte Anu, Anu gebar

(17) (Und) (18) von

kräftiger als Ansˇar, hatte nicht seinesgleichen

(19) viel (20) Er

38. 39.

40. 41. 42.

90

Nudimmud, der war weitem Verstand, weise,

und alt, (die) sie übertrafen.

seinen Erstgeborenen, (sich) ähnlich, sein Ebenbild, den Nudimmud 40). seiner Väter Beherrscher 41), großartig an Geisteskraft, der Erzeuger seines Vaters 42). unter seinen göttlichen Brüdern.

Apsû: Das Süßwassermeer unter der Erde. Mummu, in den Wörterbüchern etwa mit »Lebenskraft« wiedergegeben, in TUAT I 569 mit »Schöpferin« übersetzt, ist in Ee noch mehrfach belegt, und zwar als Name von Apsûs Wesir (Tf. I 30, 31, 47, 48 u. ö.) und als 34. Name des Marduk (Tf. VII 86, 121). Außerhalb von Ee findet sich ein Mummu-Haus als Bezeichnung für die heilige Werkstatt, in der Götterstatuen und andere Kultgegenstände hergestellt werden (vgl. TUAT.NF VI 31 mit Anm. 31), und ein Schreiberlehrling kann »Mummu-Sohn« genannt werden. Es erscheint besser, das Wort hier unübersetzt zu lassen. – Ti’a¯mat: Trotz des Plädoyers für eine Lesung Tiamtu in AOAT 375, 388 wird in dieser Übersetzung weiterhin die traditionelle Namensform verwendet. Das in AOAT benutzte Argument, daß »eine eindeutige Schreibung des Namens ohne Kasusvokal nicht bezeugt« sei, ist deswegen nicht überzeugend, weil die Kasusvokale, wie aus den häufigen Falschschreibungen hervorgeht, in der in der gesprochen Sprache allgemein längst abgefallen waren und nur noch im Schriftbild erscheinen. Zudem kann das in der Ee-Schreibweise meist benutzte Ideogramm géme (Ti-géme) alle Deklinationsformen von amtu, also auch den Akk. amta oder den endungslosen St.abs. amat wiedergeben; wer den Nom. des St. rectus auf -u benutzt, sollte, wo es die Syntax verlangt, auch die anderen Kasusendungen einsetzen. Zu erinnern wäre noch an die Etymologie des Namens (hebr. teho¯m »Salzmeer«), die für dessen 2. Silbe ein a¯ verlangt. Ee verwendet hier wie auch sonst mehrfach das Verbum (w)ala¯du »gebären« auch mit mask. Agens. – Nudimmud: ein anderer Name des Gottes Ea. Lesart ˇsá-lit-su-nu. Die Var. a-lid-su-nu »ist ihr Gebärer« geht auf die relativ große Ähnlich˙ keit und entsprechend leichte Verwechselbarkeit der beiden Keilschriftzeichen a und sˇá zurück. Text »Gebärer seines Vaters«.

Texte aus Mesopotamien (21) Die (22) sie (23) Sie

göttlichen Brüder verwirrten sogar Ti’a¯mat ,

trafen zusammen, denn ihr Lärm schwoll an und ab 43).

brachten Ti’a¯mats Getanze verbreiteten sie

Gemüt durcheinander, Schrecken in Anduruna 44).

(24) durch (25) Nicht (26) auch (27) Ihr

verminderte Ti’a¯mat

Tun ihr Verhalten,

(28) ungut

war vor ihnen

wurde unangenehm für sie, dennoch wollte sie sie schonen.

(29) Damals: (30) rief

Apsû, Mummu,

der Erzeuger der großen Götter 46), seinen Wesir, und sprach:

(31) »Mummu, (32) komm, (33) Sie (34) Sie

Wesir, laßt uns

der mein Herz erfreut, zu Ti’a¯mat gehen!«

gingen und setzten sich berieten dann Worte

(35) Apsû

gegenüber Ti’a¯mat nieder. wegen ihrer göttlichen Erstgeborenen.

tat seine Mund auf und laut

(36) sprach (37) »Ihr (38) Tags (39) Ich

Verhalten finde ich keine Ruhe,

will vernichten Stille entstehe

ihr Verhalten

(und) zerstreuen, und wir dann schlafen können 48).

Ti’a¯mat sie wütend

dies

hörte, und schrie ihren Gatten an 49).

(42) wurde (43) Sie

schrie böse, Böse legte sie aber

(44) Das

(45) »Warum (46) Ihr

43. 44. 45. 46. 47. 48. 49.

zu Ti’a¯mat 47): wurde unangenehm für mich, Nachts schlafe ich nicht!

(40) damit (41) Als

Apsû ihr Geschrei 45), totenstill.

sollen wir, was wir Verhalten mag unangenehm sein,

war wütend für sich allein. aus ihrem Herzen weg: erschufen, vernichten? aber laßt uns in Güte aushalten!«

Vgl. CAD N 48b s. v. na¯siru und Sˇ 489a s. v. sˇapû A. Der Ansatz eines neuen Wortes nazı¯ru ˙ (AOAT 375, 114) ist unnötig. Lärm als schwere Belästigung auch im altbab. Atramhası¯s-Epos (Tf. II i 3 ff.: TUAT III/4, 629). ˘ Anduruna, deutsch »Anus Wohnstätte«, ist wieder gelehrtes Sumerisch. Vgl. W. Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography (MesCiv. 8), 1998, 107-109. Var. »nicht wurde im Apsû ihr Geschrei vermindert«. Hier nicht »Gebärer«! el-li-tam/ta-am-ma nicht wie in AOAT 375, 117 zu ellu »rein«, sondern zu elı¯tam-ma »mit erhobener Stimme, laut« AHw 202a, CAD E 97b. Ebenso auch Tf. IV 89. Var. »damit … du Ruhe hast«. In den verschiedenen Handschriften dieser Zeile wechseln ha¯miru »Gatte« und harmu »Ge˘ ˘ liebter«.

91

Karl Hecker (47) Es

antwortete Mummu, Wesir; nicht einverstanden

(48) der

(49) »Vernichte, (50) auf

mein Vater, daß du tags Ruhe findest,

(51) Apsû (52) weil

freute sich über ihn, sie Böses planten

(53) Mummu (54) setzte (55) All

umarmte

sich auf seine Knie

das, was sie bei ihrem Treffen sie dann Götter hörten (es) von Schweigen ergriffen,

(58) wurden (59) Der (60) Ea, (61) Er

hochverständige, der alles bedenkt,

entwarf für ihn 52) gestaltete er

(62) Kunstvoll (63) Er

beruhigte ihn mit Wasser. er schlief dann friedlich.

ließ Apsû einschlafen, sein Ratgeber,

(indem) er Schlaf ausgoß. war schlaflos benommen.

löste seinen Gurt, Schreckensglanz nahm er weg,

riß ihm die Krone ab, zog ihn selbst an 53).

band ihn, schloß er ein,

den Apsû,

und tötete ihn, verriegelte hinter ihm.

errichtete ergriff er,

auf Apsû

seine Wohnung, hielt ihn am Nasenseil.

(70) Mummu (71) Er

(72) Mummu

(73) Nachdem (74) Ea

50.

51. 52. 53.

92

und gerieten in Aufregung 51), saßen totenstill da.

rezitierte sie ihm und goß er über ihn aus,

(68) seinen (69) Er

ersonnen hatten, ihren göttlichen Erstgeborenen.

einen Gesamtplan, führte (ihn) aus. seine übergroße reine Beschwörung.

(66) Mummu, (67) Er

seinen Nacken, und küßte ihn.

erfahrene, fähige besah ihre Pläne.

(64) Schlaf (65) Er

das verwirrende Verhalten, nachts schlafen kannst!« sein Gesicht strahlte, gegen ihre göttlichen Söhne 50).

(56) berichteten (57) Die

(d)er Apsû berät, war der Rat seines Mummu.

er die Bösewichter sein Siegeszeichen

gebunden (und) erschlagen, über seine Feinde aufgestellt hatte,

Die Keilschrift der 2. Hälfte dieser Zeile bildet in einem Teil der Textzeugen mit dreifacher Wiederholung des Zeichens an (bzw. dingir) – an an an steht für an(a) ila¯ni – einen »bildhaften Reim«, der durch Längenvergrößerung der wagerechten Keile noch besonders hervorgehoben wird, dem Zuhörer natürlich aber verborgen bleibt. Das gleiche findet sich noch öfter, z. B. Z. 52, 56, Tf. VI, 1. idullu¯ wörtlich »sie liefen umher« (zu dâlu) mit vielleicht nur dem modernen Leser auffälliger Assonanz an das in Ee häufige dullu »Not« (zu dala¯lu). Ähnlich Tf. III 63-64. Gemeint ist Apsû. Var. »Ea« statt »er«.

Texte aus Mesopotamien (75) ruhte

er in seinem Gemach ihn Apsû

in Ruhe aus, und bestimmte die (heiligen) Räume.

(76) nannte (77) An (78) Ea

der Stelle gründete er und seine Gattin Damkina

seinen Wohnsitz. wohnten dann großartig 54).

Gemach der Schicksale, der Tüchtigste der Tüchtigen,

im Zimmer der Grundpläne, der Weise der Götter, der Herr, gezeugt 55).

(79) Im

(80) wurde

(81) Inmitten (82) inmitten (83) Es

des Apsû des heiligen Apsû

erschuf ihn

(84) Damkina,

wurde Marduk erschaffen, wurde Marduk erschaffen. Ea, seine Mutter,

(85) Dauernd (86) eine

sog er an den Brüsten Kindsmagd zog ihn auf,

(87) Prachtvoll (88) mannhaft (89) Es

war seine Gestalt, sein Wuchs,

sein Vater 56), gebar ihn. von Göttinnen, füllte ihn mit Schrecken. strahlend sein Augenerheben, kräftig war er von jeher.

(90) er

sah ihn Anu, jauchzte, strahlte,

der Schöpfer seines Vaters 57), sein Herz wurde voll Freude.

(91) Er

machte ihn vollkommen,

außergewöhnlich war seine Göttlichkeit 58), überragend in jeder Beziehung.

(92) erhöht

war er sehr über sie,

(93) Unbegreiflich (94) unmöglich

kunstvoll zu verstehen,

(95) Vier (96) bei

waren seine Augen, Bewegung seiner Lippen

(97) Groß (98) und

wurden ebenso die Augen,

(99) Hochragend (100) seine

unter den Göttern, Glieder waren lang,

(101) »Ma ¯ rı¯’utu, (102) Mein

54. 55. 56. 57. 58. 59.

Sohn ist die Sonne,

waren seine Glieder, mit Mühe anzusehen. vier seine Ohren, wurde Feuer ausgestoßen. seine vier Ohren, sie sehen alles. übergroß war seine Gestalt, übergroß von Geburt. Ma¯rı¯’utu! die Sonne der Götter 59)!«

Ein Textzeuge aus Assur liest am Zeilenanfang »[Lahmu und] seine Gattin Laha¯mu«. ˘ Be¯l, deutsch der »Herr« schlechthin, ist im 1. Jt. ein˘ Alias für Marduk geworden. Der Assur-Text hat Lahmu statt Ea, in Z. 84 Laha¯mu statt Damkina. ˘ Anu. ˘ Assur-Text: Lahmu statt ˘ Die Zeilen bis Z. 100 einschließlich sind zeitlose Zustandsbeschreibungen (grammatikalisch Stative oder Nominalsätze); der Leser weiß: so sieht Marduk auch jetzt und immer aus! ma-ri-ú-tu, Var. ma-ri-ju-ú-tu, in Z. 101 ist eine phonetische Wiedergabe von ma-ri dutu in Z. 102. Daß ma-ri dann für ma¯rı¯ »mein Sohn (ist)« steht, erhellt schon daraus, daß das aus-

93

Karl Hecker (103) Bekleidet

mit Schreckensglanz von zehn Göttern, war er hoch (damit) bekrönt, ihrer fünfzig, waren auf ihn gehäuft 60).

(104) Schrecklichkeiten, (105) Anu (106) er (107) Er

erschuf dann legte sie ihm in die Hand:

und gebar die vier Winde, »Mein Sohn soll (damit) spielen!«

bildete Staub, Schilfdickicht entstehen

ließ einen Sturm (ihn) forttragen, und wühlte Ti’a¯mat auf.

(108) ließ

(109) Aufgewühlt (110) die (111) Sie

war Ti’a¯mat, Götter wurden, ohne Ruhe zu finden,

planten sprachen

(112) (und) (113) »Als

in ihrem Inneren zu ihrer Mutter

er deinen Gatten du ihm nicht zur Seite

(114) gingst (115) Er

schuf die vier Winde des Schreckens, ist dein Inneres,

Tag und Nacht war sie in Bewegung, im Winde umgetragen. Böses Ti’a¯mat: Apsû tötete, und saßest schweigend da!

(116) aufgewühlt

und wir, wir können nicht schlafen!

(117) Nicht

Apsû, dein Gatte, Nun sitzst du allein da!

(118) und (119) Seit (120) und

war in deinem Herzen Mummu, der gebunden wurde!

dem Tag bist du aufgewühlt in Bewegung, wir, die wir uns nicht wehren können, uns liebst du nicht!

(121) [Si]eh

an unsere Fron, (122) Entferne das ruhlose Joch,

ausgetrocknet sind unsere Augen 61)! denn wir wollen schlafen.

(123) Mach?

übe Vergeltung, mache zu Wind 62)!«

(124) alles, (125) Es

einen Kampf, was [. . . .],

hörte Ti’a¯mat ihr geraten habt,

(126) »[Was] (127) [.

. . . . . . . . .]

(128) unternahmen (129) [Sie

60. 61. 62. 63.

94

[Böses]

rotteten] sich zusammen,

das Wort, (es) gefiel ihr. das wollen wir heute noch tun!« die Götter darin, gegen ihre göttlichen Schöpfer. erhoben sich zur Seite Ti’a¯mats 63),

lautende -ı¯ mit einer Ausnahme in allen Textzeugen so (und nicht wie ein Kasusvokal variabel) geschrieben ist. Die Ausnahme dann schreibt ideographisch dumu.mu = ma¯rı¯. »50« ist in Ee eine Symbolzahl. Ursprünglich die heilige Zahl des Gottes Enlil, dann auf Marduk übertragen, wurde sie in Tf. VI-VII in der Zahl von Marduks Namen wiederaufgenommen. Lies am Zeilenanfang [a]m-ra? Wind (zaqı¯qu): ein nicht nur im Alten Orient beliebtes Bild für Vergänglichkeit. Eine Nebenbedeutung ist »Traumgott« (nicht »Totengeist«, wie in AOAT 375, 341). In Z. 129 bietet ein Textzeuge statt der Normalschreibung Ti-amat die Variante Ta-wa-wa-ti.

Texte aus Mesopotamien (130) wütend,

planvoll, waren auf Streit aus, (132) Eine Versammlung hielten sie ab,

ruhelos bei Nacht und am Tag. zitterten vor Wut. wollten Krieg machen.

(133) Mutter

die alles hervorbringt 64), gebar Riesenschlangen.

(131) Sie

(134) fügte

Hubur, ˘ unwiderstehliche Waffen hinzu,

(135) Spitz

sind sie an den Zähnen, Gift statt mit Blut

(136) mit

(137) Wilde

Großdrachen sie Schreckensglanz tragen,

(138) ließ

(139) »Wer

schonungslos an den Fängen, füllte sie ihren Leib. bekleidete sie mit Schrecken, machte sie gottgleich.

(140) ihr

sie sieht, Leib möge dauernd anspringen,

wird kraftlos zusammenb[rechen] 65), ihre Brust sich nicht zurückwenden!«

(141) Sie

stellte Giftschlangen,

Schlangendrachen und Haarwesen hin, Skorpionmenschen,

(142) Großdämonen, (143) wilde

Wildhunde,

Stürme,

(144) waffentragend, (145) Gewaltig

schonungslos

Fischmenschen und Wisente, und ohne Furcht vor dem Kampf.

waren ihre 66) Weisungen, sie waren ohnegleichen. ließ sie noch elf dieser Art entstehen.

(146) Außerdem (147) Unter

ihren göttlichen Erstgeborenen, sie Qingu,

(148) erhöhte (149) Die (150) das (151) die

die ihr die Versammlung abhielten, machte ihn unter ihnen groß.

Anführerschaft über das Heer, Tragen von Waffen, das Kämpfen,

die Leitung der Versammlung, das Aufbieten zum Streit 67),

Kampfangelegenheiten, sie seiner Hand an

den Oberbefehl und ließ ihn auf dem Thron Platz nehmen.

(152) vertraute

(153) »Ich

führte eine Beschwörung für dich aus,

(154) die

Herrschaft über die Götter alle

machte dich in der Götterversammlung groß, gab ich dir in die Hand,

(155) du

sollst übergroß mögen auch deine Befehle werden

und mein einziger Gatte sein! über alle Anunnaki!«

gab ihm die Tafel der Schicksale Wort soll nicht verändert werden,

und befestigte (sie) an seiner Brust: beständig sei, was aus deinem Mund kommt!«

(156) Groß (157) Sie

(158) »Dein

64. 65. 66. 67.

Hubur hieß auch der Unterweltsfluß. ˘ 139-140 sind der Ti’a¯mat in den Mund gelegt. Es fällt auf, daß hier wie auch sonst öfters in Z. Ee die für die akkad. Epik typische Redeeinleitungsformel »Sprecher tat seinen Mund auf und sprach zu … « fehlt. Der Ti’a¯mat. Var. »das Aufstehen zum Streit«.

95

Karl Hecker (159) Da

jetzt Qingu erhöht war, er das Schicksal

die Anu-Würde übernommen hatte, für seine göttlichen Söhne 68).

(160) bestimmte (161) »Das (162) dein

Auftun eures Mundes aufgehäuftes Gift

möge den Girra zu Ruhe bringen, möge die Übermacht schwächen!«

Tafel II (1) Dann

versammelte rüstete zum Kampf

(2) und (3) Von (4) Daß (5) Es

Ti’a¯mat

da an verübte sie sie Streit vorbereitet hatte,

hörte Ea fiel er in Schweigen,

(6) bedrückt

(7) Nachdem (8) machte (9) Er

er sich beraten und er sich auf den Weg

ging hin zu Ansˇar, was Ti’a¯mat plante,

(10) alles,

(11) »Mein (12) Eine (13) Ihr

Vater, Ti’a¯mat, Versammlung hielt sie ab,

dem Vater seines Erzeugers 69), berichtet er ihm: die uns gebar, haßt uns. wild wütend.

erhoben sich zur Seite Ti’a¯mats, ruhelos bei Nacht und am Tag.

tragen Streit aus, Versammlung halten sie ab,

zittern vor Wut. wollen Krieg machen.

(17) Sie

(18) Eine

(19) Mutter (20) fügte

Hubur, ˘ unwiderstehliche Waffen hinzu,

(21) Spitz

sind sie an den Zähnen, Gift statt mit Blut

(22) mit

(23) Wilde (24) ließ

Großdrachen sie Schreckensglanz tragen,

(25) Wer

96

seine Wut sich beruhigt hatte, zu Ansˇar, seinem Vater.

rotteten sich zusammen, planvoll,

(16) wütend,

69.

dieses Wort, totenstill saß er da.

die Götter, sie alle, gehen an ihrer Seite.

(15) Sie

68.

Böses wegen Apsû. berichtete man dem Ea.

zugewandt haben sich die, die ihr schuft,

(14) auch

(26) ihr

ihre Geschöpfe gegen ihre göttlichen Nachkommen.

sie sieht, Leib soll dauernd anspringen,

die alles hervorbringt, gebar Riesenschlangen. schonungslos an den Fängen, füllte sie ihren Leib. bekleidete sie mit Schrecken, machte sie gottgleich. wird kraftlos zusammenbrechen, ihre Brust sich nicht zurückwenden.

isˇ-ti-ma kann auch »sie (Ti’a¯mat) bestimmte« bedeuten (so TUAT III 174). Da aber Qingu Anu-Würde und Schicksalstafel besitzt, ist er derjenige, der Macht über die Schicksale hat. a-na a-bi a-li-di-sˇu, wörtlich »zu dem Vater seines Gebärers«, korrrigiert die voraufgehende Z. 8, in der Ansˇar nur als Vater (und nicht als Großvater) des Ea bezeichnet wird. AOAT 375 hat übrigens nicht erkannt, daß in Z. 9 eine St. constr.-Verbindung vorliegt.

Texte aus Mesopotamien (27) Sie

stellte Giftschlangen,

(28) Großdämonen, (29) wilde

Wildhunde,

Stürme,

(30) waffentragend, (31) Gewaltig

schonungslos

sind ihre Weisungen, ließ sie

(32) Außerdem (33) Unter

ihren göttlichen Erstgeborenen, sie Qingu,

(34) erhöhte (35) Die

die ihr die Versammlung abhielten, machte ihn unter ihnen groß.

Kampfangelegenheiten, sie seiner Hand an

den Oberbefehl und ließ ihn auf dem Thron Platz nehmen.

(39) »Ich

führte eine Beschwörung für dich aus,

(40) [Die

He]rrschaft über die Götter alle

machte dich in der Götterversammlung groß, gab ich dir in die Hand,

[sollst] übergroß mögen auch deine Befehle werden

und mein einziger Gatte sein! über alle Anunnaki!«

gab ihm die Tafel der Schicksale Wort soll nicht verändert werden,

und befestigte (sie) an seiner Brust: beständig sei, was aus deinem Mund kommt!«

jetzt Qingu erhöht war, er das Schicksal

die Anu-Würde übernommen hatte, für seine göttlichen Söhne.

(42) Groß (43) Sie

(44) »Dein

(45) Da

(46) bestimmte (47) »Der (48) euer

Ausspruch eures Mundes aufgehäuftes Gift

(49) Anhs ˇari

hörte das Wort, weh!« rief er,

(50) »O

(51) Wütend (52) sein

war sein Inneres, Ruf nach Ea,

(53) »Mein (54) alles, (55) Du

sie sind ohnegleichen. noch elf dieser Art entstehen.

die Leitung der Versammlung, das Aufbieten zum Streit,

(38) vertraute

(41) du

Fischmenschen und Wisente; und ohne Furcht vor dem Kampf.

Anführerschaft über das Heer, Tragen von Waffen, das Kämpfen,

(36) das (37) die

Schlangendrachen und Haarwesen hin, Skorpionmenschen,

Sohn, der du zum Kampf was du allein getan hast,

gingst hin, den Apsû Ti’a¯mat, die du wütend machtest:

(56) und

(57) Der

den Rat bereit hält,

möge den Girra zu Ruhe bringen, möge die Übermacht schwächen!« es war sehr aufwühlend. biß sich auf die Lippen. unruhig sein Herz, seinem Erstgeborenen, wurde kleinlaut: aufr[ief]st, das ertrage auch du! zu töten, Wo ist, wer’s mit ihr aufnimmt?« der Fürst der Einsicht,

97

Karl Hecker (58) der

Schöpfer der Weisheit der Götter,

Nudimmud,

(59) ein

Wort der Besänftigung, er seinem Vater Ansˇar

einen Ausspruch der Beruhigung, begütigend zur Antwort:

(60) gab

(61) »Mein (62) bei

Vater, fernes Herz, dem Hervorbringen

der das Schicksal bestimmt, (und) Vernichten liegt,

(63) Ans ˇar, (64) bei (65) Ich

fernes Herz, dem Hervorbringen

der das Schicksal bestimmt, (und) Vernichten liegt,

sage dir ein Wort 70), ich eine gute Tat vollbrachte,

beruhige dich schnell! nimm dir zu Herzen!

(66) Daß

(67) Bevor (68) wer

ich hat da denn

(69) Bevor (70) (und)

ich eilte, ihn vernichtete,

hörte Ansˇar Herz besänftigte sich,

(71) Es

den Apsû dieses jetzt

ihn auszulöschen, was war da?« das Wort,

(72) sein

(73) »Mein

sind einem Gott angemessen, kannst du [ausführen]!

deine Taten wilden Schlag ohnegleichen

sind einem Gott angemessen, kannst du [ausführen]!

(76) einen

(77) Gehe (78) ihre (79) Er (80) er

hin zu Ti’a¯mat, Wut möge [beruhigt werden]

[seines Vaters] A[nsˇar], seinen Pfad verfolgte er.

ging und se]tzte sich, wurde totenstill und

erkundete Ti’a¯mats Pläne. kehrte wieder um.

t]rat ein bei Haltung nahm er an,

dem erhabenen Anu, dann sprach er zu ihm:

(82) [Er (83) [Er

(84) [fleh]ende (85) »[Mein (86) Ihren

Vater], zu sehr hat Ti’a¯mat Plan besah ich,

(87) Massig

ist ihre Kraft, der Versammlung ist sie mächtig,

(89) Ihr (90) Ich

70.

98

besänftige ihren Angriff, durch [deine] Beschwörung!«

hörte auf das Wort ergriff seinen Weg,

(81) Ea

(88) in

(es) gefiel ihm, er sprach zu Ea:

Sohn, deine Taten wilden Schlag ohnegleichen

(74) einen (75) Ea,

tötete, vorhergesehen?

Getose nimmt nicht ab fürchtete mich vor ihrem Geschrei

ihre Taten gegen mich vermehrt! aber nicht war wirksam meine Beschwörung! voll ist sie mit Schrecken, niemand tritt ihr entgegen! an Stärke, und kehrte wieder um.

»Wort« hier das aus dem Sum. entlehnte enimmû, dem in der Übersetzung am ehesten ein Fremdwort wie lateinisch dictum entsprechen würde.

Texte aus Mesopotamien (91) Mein

Vater, beunruhige dich nicht, schick nochmals gegen sie aus! Kräfte einer Frau mögen zwar stark sein, doch sind sie nicht wie die eines Mannes!

(92) Die

(93) Löse

ihren Anhang auf, sie ihre Hand

ihren Plan zerstreue du, an uns legt!«

(94) bevor (95) Ans ˇar (96) zu

Anu,

schrie seinem Sohn,

(97) »Getreuer (98) dessen (99) Eile

Erbsohn, Kraft gewaltig,

und vor ihr Gemüt,

(100) Beruhige (101) Wenn (102) rede (103) Er

sie nicht auf dein Wort ein flehentliches Wort zu ihr,

hörte auf die Rede seinen Weg,

(104) nahm (105) Anu (106) Er (107) Er

hört, auf daß sie beruhigt werde!« seines Vaters Ansˇar, seinen Pfad verfolgte er.

trat ein zu Ansˇar, Haltung nahm er an,

dem Vater seines Erzeugers 71), dann [sprach er zu ih]m:

(110) Ihren

Vater, zu sehr hat Ti’a¯mat Plan besah ich,

(111) Massig

ist ihre Kraft, der Versammlung ist sie mächtig,

(114) ich

Ti’a¯mat tritt hin, du! daß ihr Herz aufatmet!

besah ihre Pläne. kehrte wieder zurück.

(109) »Mein

(113) Ihr

machtvoller Held, dessen Angriff unwiderstehlich ist!

ging und setzte sich, wurde totenstill und

(108) flehende

(112) in

wütend, sprach er:

Getose nimmt nicht ab an Stärke, fürchtete mich vor ihrem Geschrei

[ihre Taten] vermehrt gegen mich! aber nicht war wirksam m[eine Beschwörung]! voll [ist sie] mit Schrecken, niemand [tritt ihr ent]gegen! und kehrte wieder um.

(115) Mein (116) Die

Vater, beunruhige dich nicht, schick nochmals gegen sie aus! Kräfte einer Frau mögen zwar stark sein, doch sind sie nicht wie die eines Mannes!

(117) Löse

ihren Anhang auf, sie ihre Hand

(118) bevor

wurde da Ansˇar, schüttelte den Kopf,

(119) Totenstill (120) er

(121) Versammelt (122) Ihre

71.

waren die Igigi Lippen waren verschlossen,

ihren Plan zerstreue, du, an uns legt!« zu Boden schaute er, nickte Ea mit dem Haupt zu. (und) alle die Anunnaki. schweigend saßen sie da.

a-na a-bi a-li-di-sˇu, wörtlich »zu dem Vater seines Gebärers«. Vgl. schon Anm. 69.

99

Karl Hecker (123) Kein

einziger Gott entgegenzutreten,

ging los auf [seinen] Befehl hin, zog keiner aus auf [sein] Wort hin.

der Herr Ansˇar, in seinem Herzen verärgert und

der Vater der großen Götter, [rie]f niemanden 72).

starken Erbsohn, zu den Kämpfen eilenden

den Rächer seines Vaters, Helden Marduk,

Ea ihm einen Plan seines Herzens

zu seinem geheimen Ort, anzusagen:

(124) Ti’a ¯ mat (125) Auch (126) war (127) Den (128) den (129) rief (130) um

(131) »Marduk,

höre bist mein Sohn,

(132) Du

Ansˇar deinen Mund auf,

(133) An (134) tu

einen Rat deines Vaters! der sein Herz erweitert! tritt beruhige

(135) Der

Herr freute sich trat nahe heran und

(136) er

(137) Ans ˇar (138) er

sah ihn, und

küßte seine Lippen,

(139) »Mein (140) Ich

Vater, nicht sei verschlossen, werde gehen und

(141) Ans ˇar, (142) Ich

nicht sei verschlossen, werde gehen und

(143) Welcher (144) Ti’a ¯ mat,

Mann denn

die eine Frau ist,

(145) [Mein (146) den

Vater], Erzeuger, Nacken Ti’a¯mats

(147) [An]s ˇar, (148) den

Erzeuger, Nacken Ti’a¯mats

(149) »Gehe, (150) bringe

72.

100

mein Sohn, Ti’a¯mat zur Ruhe

nahe heran, den Zornigen durch deinen Anblick!« über das Wort seines Vaters, stellte sich vor Ansˇar hin. sein Herz wurde des Wohlgefühls voll, seine Furcht legte er ab. sondern geöffnet deine Lippe! deinem Herzen entsprechend handeln! sondern geöffnet deine Lippe! deinem Herzen entsprechend handeln! hat gegen dich zum Kampf ausziehen lassen? geht gegen dich mit der Waffe an! freue dich und frohlocke, wirst du bald niedertreten, du! freue dich und frohlocke, wirst du bald niedertreten, du!« der alle Weisheit kennt, mit deiner reinen Beschwörung!

So nach einem von al-Rawi / George, Iraq 52, 157 aus einem Manuskript W. G. Lamberts zitierten unpublizierten Textfragment aus Assur.

Texte aus Mesopotamien (151) Fahre (152) ist

ganz schnell sie nicht von vorn zu bewegen,

(153) Da

freute sich der Herr Herz jubelte, und

über das Wort seines Vaters, er sprach zu seinem Vater:

(154) sein

(155) »Göttliche (156) Wenn

Herren, ich denn wirklich

Schicksale der großen Götter 74)! euer Rächer sein soll,

(157) Ti’a ¯ mat (158) (dann)

(159) Im

binden und setzt eine Versammlung ein,

Ubsˇu’ukinnaku mit Auftun meines Mundes

(160) und

(161) Nicht (162) nicht

mit dem Wagen der Stürme, wende (sie) nach hinten zurück 73)!«

darf verändert werden, auch wieder verändert werden

euer Leben erhalten soll, macht groß und verkündet mein Schicksal! setzt euch froh zusammen, will ich wie ihr die Schicksale bestimmen! was immer ich erschaffe, das Wort meiner Lippen!«

Tafel III (1) Ans ˇar

tat

(2) sprach

zu Kaka,

(3) »Kaka,

Wesir, Lahmu und Laha¯mu ˘ ˘ (5) [Zu su]chen verstehst du, (6) Meine göttlichen Väter (4) zu

(7) Sie (8) ein

[sollen] herbringen Gespräch sollen sie führen,

(9) Getreide

sollen sie essen, ihrem Rächer,

(10) [Mard]uk, (11) Geh, (12) alles,

73.

74.

75.

Kaka, was ich dir sage,

seinen Mund auf und seinem Wesir, (folgendes) Wort: der mein Herz erfreut, will ich dich schicken! mitteilen kannst du! lasse herkommen zu mir! die Götter allesamt, (während) sie beim Gastmahl sitzen! trinken sollen sie Starkbier, sollen sie das Schicksal bestimmen 75)! tritt vor sie hin, wiederhole ihnen!

Der Vers bietet dem Verständnis einige Schwierigkeiten. Die hier vorgelegte Übersetzung geht davon aus, daß mit dem Imp. te¯r »wende zurück« (D-Stamm, nicht wie in AOAT 375 »kehre zurück«, dies wäre tu¯r) Marduk angesprochen und Ti’a¯mat das logische Objekt ist (pa-nuusˇ-sˇu la ut-tak-ka-sˇu wörtlich passivisch »ihre(!) Vorderseite wird nicht in Bewegung gesetzt«). TUAT III 579 lag der Keilschrifttext der Zeile noch nicht komplett vor. Das auch in AOAT 375, Anm. zur Stelle, debattierte Problem, ob am Zeilenanfang »Herr« oder »Herren« zu lesen sei, ist zwar durch die Verwendung des Pluralzeichens in dem Ideogramm en.mesˇ epigraphisch entschieden, dem Kontext zufolge aber unauflösbar, da Z. 154 zufolge nur »sein Vater« angesprochen wird, Z. 156 ff. sich aber an die versammelten Götter wenden. Eine Tafel aus Assur schreibt statt Marduk hier und im folgenden an.sˇár. Gemeint ist damit der Gott Assur.

101

Karl Hecker (13) Ans ˇar, (14) [einen

euer Sohn, Bescheid] seines Herzens

(15) [Mutter

Ti’a¯]mat, Versammlung hie]lt sie ab,

(16) [eine (17) Ihr

hat mich geschickt, läßt er mich mitteilen: die uns gebar, haßt uns, wild wütend.

zugewandt haben sich die, die ihr schuft,

die Götter, sie alle, gehen an ihrer Seite.

rotteten sich zusammen, planvoll,

erhoben sich zur Seite Ti’a¯mats, ruhelos bei Nacht und am Tag.

tragen Streit aus, Versammlung halten sie ab,

zittern vor Wut. wollen Krieg machen.

(18) auch (19) Sie

(20) wütend, (21) Sie

(22) Eine

(23) Mutter

Hubur, ˘ unwiderstehliche Waffen hinzu,

(24) fügte (25) Spitz

sind sie an den Zähnen, Gift statt mit Blut

(26) mit

(27) Wilde

Großdrachen sie Schreckensglanz tragen,

(28) ließ

(29) »Wer

die alles hervorbringt, gebar Riesenschlangen. schonungslos an den Fängen, füllte sie ihren Leib. bekleidete sie mit Schrecken, machte sie gottgleich.

(30) ihr

sie sieht, Leib möge dauernd anspringen,

wird kraftlos zusammenbrechen, ihre Brust sich nicht zurückwenden!«

(31) Sie

stellte Giftschlangen,

Schlangendrachen und Haarwesen hin, Skorpionmenschen,

(32) Großdämonen, (33) wilde

Wildhunde,

Stürme,

(34) waffentragend, (35) Gewaltig

schonungslos

sind ihre Weisungen, ließ sie

(36) Außerdem (37) Unter

ihren göttlichen Erstgeborenen, sie Qingu,

(38) erhöhte (39) Die (40) das (41) die

die ihr die [Versammlung] abhielten, machte ihn unter ihnen groß. die Leitung der Versammlung, das Aufbieten zum Streit,

Kampfangelegenheiten, sie seiner Hand an

den Oberbefehl und ließ ihn auf dem Thron Platz nehmen.

(43) »Ich

führte eine Beschwörung für dich aus,

(44) [Die

He]rrschaft über die Götter alle

[sollst] übergroß mögen auch deine Befehle werden

(46) Groß

102

sie sind ohnegleichen. noch elf dieser Art entstehen.

Anführerschaft über das Heer, Tragen von Waffen, das Kämpfen,

(42) vertraute

(45) du

Fischmenschen und Wisente; und ohne Furcht vor dem Kampf.

machte dich in der Götterversammlung groß, gab ich dir in die Hand, und mein einziger Gatte sein! über alle Anunnaki!«

Texte aus Mesopotamien (47) Sie

gab ihm die Tafel der Schicksale und Wort soll nicht verändert werden,

befestigte (sie) an seiner Brust: beständig sei, was aus deinem Mund kommt!«

jetzt Qingu erhöht war, er das Schicksal

die Anu-Würde übernommen hatte, für seine göttlichen Söhne.

(48) »Dein

(49) Da

(50) bestimmte (51) »Das

Auftun eures Mundes aufgehäuftes Gift

(52) dein (53) Ich

schickte Anu, Nudimmud fürchtete sich

(54) (auch) (55) (Jetzt)

ging Marduk, entgegenzutreten,

(56) Ti’a ¯ mat (57) Er

tat seinen Mund auf ich denn wirklich

(58) »Wenn (59) Ti’a ¯ mat (60) (dann)

(61) Im

binden und setzt eine Versammlung ein,

Ubsˇu’ukinnaku mit dem Auftun meines Mundes

(62) und

(63) Nicht (64) nicht (65) Eilt

darf verändert werden, auch wieder verändert werden

und bestimmt ihm er geht und entgegentritt

(66) damit (67) Kaka

möge den Girra zu Ruhe bringen, möge Übermacht schwächen!« er konnte ihr nicht entgegentreten, und kehrte wieder zurück. der Weise der Götter, euer Sohn, trieb ihn sein Herz. und sprach zu mir: euer Rächer sein soll, euer Leben erhalten soll, macht groß und verkündet mein Schicksal! setzt euch froh zusammen, will ich wie ihr die Schicksale bestimmen! was immer ich erschaffe, das Wort meiner Lippen!« schnell euer Schicksal, eurem mächtigen Feind!«

ging, Lahmu und Laha¯mu, ˘ ˘ (69) Er warf sich nieder und küßte (70) er stand auf, trat hin und

verfolgte seinen Pfad seinen göttlichen Vätern.

(71) »Ans ˇar,

hat mich beauftragt, läßt er mich mitteilen:

(68) zu

(72) eine

euer Sohn, Weisung seines Herzens

(73) Mutter (74) eine (75) Ihr

Ti’a¯mat, Versammlung hielt sie ab,

die Götter, sie alle, gehen an ihrer Seite.

rotteten sich zusammen, planvoll,

erhoben sich zur Seite Ti’a¯mats, ruhelos bei Nacht und am Tag.

tragen Streit aus, Versammlung halten sie ab,

zittern vor Wut. wollen Krieg machen.

(78) wütend, (79) Sie

die uns gebar, haßt uns, wild wütend.

zugewandt haben sich die, die ihr schuft,

(76) auch (77) Sie

den Boden vor ihnen, sprach zu ihnen:

(80) Eine

103

Karl Hecker (81) Mutter (82) fügte

Hubur, ˘ unwiderstehliche Waffen hinzu,

(83) Spitz

sind sie an den Zähnen, Gift statt mit Blut

(84) mit

(85) Wilde

Großdrachen sie Schreckensglanz tragen,

(86) ließ

(87) »Wer

die alles hervorbringt, gebar Riesenschlangen. schonungslos an den Fängen, füllte sie ihren Leib. bekleidete sie mit Schrecken, machte sie gottgleich.

(88) ihr

sie sieht, Leib möge dauernd anspringen,

wird kraftlos zusammenbrechen, ihre Brust sich nicht zurückwenden!«

(89) Sie

stellte Giftschlangen,

Schlangendrachen und Haarwesen hin, Skorpionmenschen,

(90) Großdämonen, (91) wilde

Wildhunde,

Stürme,

(92) waffentragend, (93) Gewaltig

schonungslos

sind ihre Weisungen, ließ sie

(94) Außerdem (95) Unter

ihren göttlichen Erstgeborenen, sie Qingu,

(96) erhöhte (97) Die

die ihr die [Versammlung] abhielten, machte ihn unter ihnen groß. die Leitung der Versammlung, das Aufbieten zum Streit,

Kampfangelegenheiten, sie seiner Hand an

den Oberbefehl und ließ ihn auf dem Thron Platz nehmen.

(100) vertraute

(101) »Ich

führte eine Beschwörung für dich aus,

(102) [Die

He]rrschaft über die Götter alle

(103) du

(105) Sie

mein einziger Gatte sein! über alle Anunnaki!«

gab ihm die Tafel der Schicksale Wort soll nicht [verändert werden,

und [befestigte (sie) an seiner Brust]: beständig sei, was aus deinem Mund kommt]!«

jetzt Qingu erhöht war,

die A[nu-Würde übernommen hatte], für seine göttlichen Söhne.

(106) »Dein

(107) Da

(108) [bestimmte (109) Das (110) dein (111) Ich

machte dich in der Götterversammlung groß, gab ich dir in die Hand,

[sollst] übergroß und mögen auch deine Befehle werden

(104) Groß

104

sie sind ohnegleichen. noch elf dieser Art entstehen.

Anführerschaft über das Heer, Tragen von Waffen, das Kämpfen,

(98) das (99) die

Fischmenschen und Wisente; und ohne Furcht vor dem Kampf.

er] das Schi[cksal]

Auftun eures Mundes aufgehäuftes Gift

schickte Anu,

möge den Girr[a zu Ruhe bringen], möge Übermacht schwächen!« er ko[nnte] ihr nicht [entgegentreten],

Texte aus Mesopotamien (112) (auch)

Nudimmud fürchtete sich

und k[ehrte wieder zurück].

(113) (Jetzt)

ging Marduk, entgegenzutreten,

[der Weise der Götter, euer Sohn], [trieb ihn sein Herz].

(114) Ti’a ¯ mat (115) Er

tat seinen Mund auf ich denn wirklich

und [sprach zu mir]: [euer Rächer sein soll],

(116) Wenn

(117) Ti’a ¯ mat (118) (dann)

(119) Im

binden und setzt eine Versammlung ein,

Ubsˇu’ukinnaku mit Auftun meines Mundes

(120) und

(121) Nicht (122) nicht (123) Eilt

darf verändert werden, auch wieder verändert werden

und [bestimmt ihm] er geht und entgegentritt

(124) damit

(125) Lahha

und Laha¯mu alle ˘

(127) »Was

(129) Sie (130) die

war da denn feindlich, wir verstehen nicht

was immer [ich] erschaffe, das Wort [meiner Lippen]!« schnell euer Schicksal, eurem mächtigen Feind!«

bis sie [diese] Ent[scheidung] traf? Ti’a¯mats Tu[n]!«

liefen durcheinander und gin[gen], großen Götter alle,

die [das Schicksal] bestimmen,

bei Ansˇar ein und küßten sich – der eine den anderen –

wurden [von Freude] erfüllt. beim Gastmahl, [. . . . .].

(131) traten (132) Sie

[setzt euch froh zusammen], will ich wie i[hr die Schicksale bestimmen]!

hörten (das) und schrien laut 76), stöhnten schmerzlich:

˘ (126) die˘ Igigi (128) Wir,

[euer Leben erhalten soll], [macht groß und verkündet mein Schicksal]!

(133) Gespräch (134) Getreide

führten sie, aßen sie,

(während) sie beim Gastmahl [saßen], tranken Starkbier,

Abb. 2: Trinkszene77)

76. 77.

Lahha: Var. zu Lahmu. ˘˘ ˘ Siegelabrollung, Größe 2,7 x 1,3 cm.

105

Karl Hecker (135) Süßbier

ließen sie Trinken von Rauschbier

(136) beim (137) sie

wurden ganz sorglos, sie bestimmten Marduk,

(138) (und)

durch ihre Trinkrohre rinnen 78), schwoll ihnen der Leib, ihre Gemütslage hob sich 79), ihrem Rächer, das Schicksal.

Tafel IV (1) Sie

legten ihm er ließ sich vor seinen Vätern

(2) und

(3) »Du, (4) dein

du bist der geehrteste Schicksal ist ohnegleichen,

(5) Marduk,

unter den großen Göttern 80), deine Rede (wie die des) Anu!

du bist der geehrteste Schicksal ist ohnegleichen,

unter den großen Göttern, deine Rede (wie die des) Anu!

(diesem) Tag an soll dein Befehl und Erniedrigen,

nicht verändert werden, das sei in deiner Hand!

(6) dein (7) Von

einen fürstlichen Hochsitz an, zum Königsamt nieder.

(8) Erhöhen (9) Was

aus deinem Mund kommt, sei verläßlich, ohne Lug deine Rede 81), von den Göttern soll deine Grenze überschreiten!

(10) keiner

(11) Versorgung (12) am

ist notwendig Ort ihrer Zella

(13) Marduk, (14) wir

für das Heiligtum der Götter, sei beständig auch dein Platz! du bist

gaben dir das Königtum

(15) Nimm (16) deine

in der Versammlung Platz, Waffen sollen nicht fehlgehen,

wer auf dich vertraut, das Leben des Gottes,

(19) Sie

stellten zwischen sich sprachen

(20) (und)

(21) »Dein

78. 79. 80. 81. 82.

106

zu Marduk,

Schicksal, Herr,

(22) Verschwinden

dein Wort soll hoch sein, sondern erschlagen deine Feinde! dessen Leben verschone, der Böses annahm, vergieße!«

(17) Herr, (18) und

unser Rächer, über das ganze gesamte Weltall!

und Erschaffen

ein bestimmtes Sternbild auf ihrem Erstgeborenen: ist wahrlich den Göttern entsprechend! befiehl; es möge geschehen 82)!

ra¯tu »Rohr, Rinne« meint nicht die Kehle oder Speiseröhre, sondern das Rohr (»Stroh˙ halm«), mit dem man beim Gelage Bier aus dem Maischkrug saugt, eine Szene, die auf Rollsiegeln wiederholt dargestellt ist. Ergänze am Zeilenende zu i-te-el-[li]. Z. 3-18: Ansprache der Vatergötter an Marduk. Var. »ohnegleichen deine Rede«. Subjekt zum Pl. lik-tu-nu »es möge eintreten, geschehen« sind die beiden Infinitive a-ba-tum »vernichten« und ba-nu-ú »erschaffen«.

Texte aus Mesopotamien (23) Auf

das Auftun deines Mundes hin ihm wieder,

(24) befiehl (25) Er

befahl, und auf sein Wort hin befahl er ihm

(26) wieder (27) Als

(30) sie

was seine Worte vermochten 83), »Marduk ist König!«

fügten ihm Szepter, gaben ihm eine Waffe ohnegleichen,

Thron und Herrscherstab zu, die die Feinde niederwirft.

(31) »Geh (32) die (33) Es

und schneide Winde mögen dann ihr Blut

seine göttlichen Väter, ließen sie ihn als Weg ergreifen.

stellte einen Bogen her und Pfeil ließ er fest

bestimmte ihn zu seiner Waffe. auf der Sehne reiten.

erhob die Keule und und Köcher

ließ (sie) seine Rechte einnehmen, hängte er sich an die Seite.

stellte Blitze mit immerbrennendem

vor sein Gesicht, Feuerschein seinen Leib.

machte ein Netz, die vier Winde Stellung beziehen,

Ti’a¯mat darin zu umschließen, daß nichts von ihr entkommen konnte.

(36) Einen (37) Er

(38) Bogen (39) Er

(40) füllte (41) Er

(42) ließ

(43) Den (44) das

(45) Er

85. 86.

Südwind, den Nordwind, Geschenk seines Vaters Anu 85),

schuf den bösen Wind Böswind, Vierfachwind, den Siebenfachwind,

(46) den

83. 84.

Ti’a¯mats Kehle ab, als gute Nachricht tragen 84)!«

bestimmten das Schicksal des Herrn Pfad des Heils und der Erhörung

(34) den (35) Er

verschwand das Sternbild, und wurde das Sternbild erschaffen.

seine göttlichen Väter sahen, sie sich. Sie applaudierten

(28) freuten (29) Sie

verschwinde das Sternbild, und das Sternbild sei unversehrt!«

den Ostwind, den Westwind, stellte er nahebei seitlich vom Netz hin. den Südsturm, den Gewittersturm 86), den Wirbelwind, den Orkan.

Wörtlich »den Ausgang seines Mundes sahen«. Die Deutung dieser Zeile ist strittig, da a-na b/pu-uz/zu-ra-ti entweder zu puzru »Geheimnis« (AHw 885b) oder zu bussurtu »(gute) Nachricht« (CAD B 347b) gestellt wird. Alternativ wäre »die Winde mögen ihr Blut an geheime Orte tragen« zu übersetzen. Die aus der keilschriftlichen Orthographie resultierende Problematik besteht auch in Z. 132 und Tf. V 83. Bei diesem letztgenannten Beleg würde puzru »Geheimnis« wenig Sinn machen. Vgl. Tf. I 105 ff. ˇsa¯ru lemnu »böser Wind« ist Übersetzung des sum. Fremdworts imhullu »Böswind«, als Ap˘ position im akkad. Text nach-, in der deutschen Übersetzung vorangestellt. Daß kein eigenständiger Wind gemeint ist, erhellt daraus, daß Z. 47 nur von 7 Winden spricht. Einschließlich der 4 ihm von Anu geschenkten stehen Marduk also 11 Winde zur Verfügung, was der Zahl der besiegten Dämonen in Z. 116 entspricht.

107

Karl Hecker (47) Er

ließ die Winde heraus, in Ti’a¯mat Verwirrung zu schaffen,

(48) um

(49) Der

Herr erhob die Sintflut, dann den Sturmwagen,

seine große Waffe, den unwiderstehbaren, schrecklichen.

spannte ihm vier Gespanne an Schonungsloser,

und hängte sie ihm an die Seite: Renner (und) Flieger.

(50) bestieg

(51) Er

(52) Mörder,

(52) Geöffnet

waren die Lippen, kannten keine Ermüdung,

ihre Zähne trugen Gift, hatten niederzutreten gelernt.

stellte an seine Rechte seine Linke den Streit,

schrecklichen Kampf und Schlacht, der niederstößt alle Verschwörer.

(54) sie (55) Er (56) an

die er geschaffen hatte, die sieben, standen sie hinter ihm auf.

(57) Mit

einem schrecklichen Panzerkleid Schreckensglanz

(58) fürchterlichen (59) Der

Herr schritt voran und Ti’a¯mat wütete,

verfolgte seinen Weg, dorthin richtete er sein Antlitz.

seinen Lippen hielt er Gift abwehrendes Kraut

die Beschwörung, nahm er in seine Hand.

der Zeit liefen sie um ihn herum, seine göttlichen Väter um ihn herum,

liefen die Götter um ihn herum, liefen die Götter um ihn herum.

(60) wo (61) Auf (62) ein (63) Zu

war er bekleidet 87), trug er auf seinem Haupt.

(64) liefen (65) Der

Herr trat heran, (66) und erkundete Qingus,

um Ti’a¯mats Kampf anzuschauen 88), ihres Gatten, Pläne.

(67) (Als

wurde sein Vorgehen verwirrt, sein Tun in Aufruhr.

(68) sein

d)er (ihn) erblickte, Mut war geschwunden,

(69) Auch (70) sahen

die Götter, seine Helfer, den einzigartigen Held,

(71) Ti’a ¯ mat

führte ihre Beschwörung aus, hielt sie

(72) Falschheit (73) »[…].. (74) sie

87. 88. 89.

108

Herr,

versammelten sich an ihrem [Pl]atz,

die ihm zur Seite gingen, und ihr Blick wurde verwirrt. ohne den Nacken zu wenden, auf ihrer Lippe (und) Lügen: die Götter haben sich gegen dich erhoben, sind sie etwa an deinem Platz 89)?«

Dieser Vers ist ein besonders auffälliges Beispiel für Lautung: nahlapta apluhti pulhata halip˘ ˘ ˘ ˘ ma. Vgl. dazu K. Hecker, aaO 139 f. sub 3.). Oder »um Ti’a¯mats Bauch anzuschauen«, je nachdem, ob man sich für qablu I »Bauch, Mitte« oder II »Kampf« entscheidet. Z. 73-74 sind wegen ihrer schlechten Erhaltung problematisch. Z. 73 blieb daher in TUAT III 585 unübersetzt. Die hier vorgeschlagene Lösung benutzt die Ergänzung [ásˇ-r]u-usˇ-sˇú-un am Zeilenanfang nach AOAT 375, 213 und erschließt aus der Antithese »ihr/dein« für die 2. Vershälfte eine rhetorische Frage. Offenbar versucht Ti’a¯mat, Marduk (auch mit der schmeichlerischen Anrede »Herr«?) zu verunsichern.

Texte aus Mesopotamien (75) Der

Herr erhob die Sintflut, die wütende Ti’a¯mat

seine große Waffe, schickte er sie mit folgenden Worten:

(76) gegen

(77) »Was (78) wo

bringst du

doch dein Herz darauf sinnt,

(79) Schrien (80) dann (81) Den (82) und

die Söhne, haßtest du,

ihre Väter drangsalierend, ihre Gebärerin, Mitleid 91).

Qingu beriefst du setztest ihn ohne Geziem

zu deinem Gemahl in das Amt der Anuschaft ein:

Ansˇar, den König der Götter, gegen meine göttlichen Väter

suchtest du Böses, führtest du deine Bösheit aus.

(83) Gegen (84) und

(85) Deine (86) komm (87) Als

Truppe sei gerüstet heran, ich und du,

Ti’a¯mat sie in Raserei,

(und) angelegt deine Bewaffnung: laßt uns einen Zweikampf machen!« dies

(88) geriet

(89) Ti’a ¯ mat (90) bis (91) Sie

mit erhobener Stimme Freundlichkeiten 90), Kampf zu beginnen?

hörte, ihren Verstand verlor sie.

schrie untenhin zitterten

wütend, laut 92), in gleicher Weise ihre Glieder.

rezitierte eine Beschwörung, die Götter der Schlacht

wandte ihre magische Formel an 93) wetzten ihre Waffen.

(92) und

(93) Ti’a ¯ mat (94) in

Zweikampf verwickelt,

der Weise der Götter, traten aneinander, nah beieinander zur Schlacht.

(95) Er

breitete sein Netz aus, der Herr, Böswind, den er hinter sich hielt,

und umschloß sie (darin), ließ er auf ihr Gesicht los.

(96) den

90.

91. 92. 93.

und Marduk,

Die Übersetzung von elisˇ durch »mit erhobener Stimme« folgt den Wörterbüchern (AHw 202a und CAD E 97b jeweils s. v.). AOAT 375 bietet stattdessen »nach außen hin«, was zwar kontextkonform wäre, aber nicht durch das Bedeutungsspektrum von elû »hoch, oben« gedeckt ist. TUAT III 585 kommt zu einer Bedeutung »überheblich« und muß daher tubba¯ti »gute Worte/Dinge« zu »aggressiv« umdeuten. Für elisˇ bzw. elı¯ta im Sinn von »laut, ˙mit erhobener Stimme« vgl. noch Z. 89 unten und Tf. I 36. Der hier erhobene Vorwurf der Mitleidslosigkeit ist nicht recht verständlich, ist Ti’a¯mat in Tf. I 28-46 doch ganz anders beschrieben. Statt e-li-ta »laut« (dazu schon Anm. zu Tf. I 36 und IV 77) liest ein Textzeuge e-li-sˇu »(schrie …) gegen ihn«. Der Übersetzer steht hier vor dem Problem, daß das Akkad. zwei Worte für »Beschwörung« kennt, nämlich das genuin akkad. sˇiptu (in der 1. Vershälfte) und das sum. Fremdwort tû (hier mit »magische Formel« wiedergegeben). Dieses ist auch Bestandteil von Marduks 17. Namen in Tf. VII 33.

109

Karl Hecker

Abb. 3: Ti’a¯mat 94) (97) Ti’a ¯ mat (98) sie

tat ihren Mund auf, ließ den Böswind hinein,

(99) Die

wütenden Winde Inneres wurde aufgebläht,

füllten ihren Leib, und sie riß ihren Mund weit auf.

schoß einen Pfeil ab, Inneres zerschnitt er,

brach ihren Leib auf, durchbohrte ihr Herz.

band sie und löschte dann Leichnam warf er hin und

ihr Leben aus, stellte sich darauf.

(100) ihr (101) Er (102) ihr (103) Er

(104) ihren

(105) Nachdem (106) zerstreute (107) Auch

er Ti’amat, sich ihr Gefolge,

die göttlichen Helfer, in Zittern und Zagen,

(108) gerieten (109) Sie

versuchten, ihr Leben sie waren umzingelt,

(110) doch (111) Er (112) im

band sie, Netz lagen sie,

(113) Sie (114) mit

lehnten in Winkeln, seiner Strafe beladen,

(115) Und (116) der

94. 95. 96. 97.

110

um ihn zu verschlucken, so daß sie die Lippen nicht schließen konnte.

den elf Geschöpfen, Schar der Dämonen,

die Anführerin, getötet hatte, löste sich ihr Anhang auf. die ihr zur Seite gingen, wendeten ihren Lauf 95). herauszubringen und zu retten 96), zu fliehen war unmöglich. und ihre Waffen zerbrach er, in der Falle sitzend. voll des Jammers, festgehalten im Gefängnis. die Schrecken getragen hatten, die alle zu ihrer Rechten gegangen waren 97),

Abrollung eines Rollsiegels, Siegelgröße 3,4 x 1,75 cm. Lesung al-kàt-su-un mit Var. ar-kàt-su-[un] »ihre Rückseite«. Text nap-sˇá-tusˇ »sein Leben«. Dies ist gemeinsames Objekt zu den beiden verbalen Prädikaten, der Vers ist nach dem geläufigen Schema dreigliedriger Verse strukturiert (dazu K. Hekker, aaO 123 ff. sub 4.). Der Erklärungsversuch in AOAT 375, 219 Anm. 3 ist unnötig. mi-il-la »Schar« am Zeilenanfang ist hapax, Bedeutung geraten. ka-lu »alle« wurde in TUAT III 586 offenbar zu kallû »Eilbote« gestellt und dann mit »Pferdeknecht« wiedergegeben, was wenig sinnvoll ist, da in Ti’a¯mats Gefolge Pferde sonst unbekannt sind.

Texte aus Mesopotamien (117) legte

er Nasenseile an, mit ihren Waffen

(118) zusammen (119) Und (120) den (121) Er

Qingu, der unter ihnen band er und zählte ihn

(und) ihre Arme fesselte er, trat er (sie) unter sich nieder. der Größte geworden war, zu den toten Göttern.

nahm ihm die Tafel der Schicksale ab, die ihm nicht zustand, (sie) mit dem Siegel und befestigte Brust 98).

(122) siegelte

(123) Nachdem

gebunden (und) erschlagen, zum Sklaven gemacht 99),

Siegeszeichen Ansˇars Nudimmuds Wunsch

über all seine Feinde errichtet erfüllt hatte,

(126) (und)

(127) verstärkte (126) der (128) und

Held Marduk

zu Ti’a¯mat, die er gebunden hatte,

(129) Dann (130) mit (131) Er

trat der Herr seiner schonungslosen Waffe

durchschnitt ihre Adern ließ er den Nordwind

(132) dann (133) (Als)

seine Väter (das) sahen, und Geschenke

(134) Gaben (135) Der (136) den (137) Er

Herr ruhte aus, Körper zu zerteilen,

(140) ihr

seiner

(127) seinen

Zugriff auf die gebundenen Götter, kehrte er dann zurück.

Ti’a¯mats Unterteil nieder, spaltete er dann den Schädel. (voll) Blut, (es) ins Verborgene tragen 100). freuten sie sich und jubelten, ließen sie für ihn bringen. um ihren Leichnam zu betrachten, Kunstvolles zu schaffen.

brach sie wie Stockfisch einer ihrer Hälften

in zwei Teile, erstellte er das Himmelsdach.

breitete die Haut aus 101), Wasser nicht hinaus zu lassen,

Wachen setzte er ein. befahl er ihnen.

(138) aus (139) Er

an

er die Bösewichte starken Feind

(124) den (125) das

(sie)

98. Zum Siegel des Gottes Marduk vgl. TUAT NF VI (2011) 51. Das hier benutzte Wort kisˇibbu für »Siegel« (statt des gewöhnlichen kunukku) kann als Fremdwort aus sum. kisˇib als weiterer Hinweis auf einen gelehrten Verfasser dienen. 99. Verbinde mit AHw 976a s. v. re¯sˇu(m) zu ú-sˇá-pu-ú-sˇu re-sˇam. TUAT III 587 ließ die Passage unübersetzt, ebenso CAD Sˇ 491b, das ú-sˇá-pu-ú ˇsu-ri-sˇam liest. AOAT 375, 222 liest ebenso und übersetzt »… zum Schweigen gebracht hatte nach Art des Stieres«, leitet die Verbform also von sˇapû(m) III »schweigen« ab, das den D-Stamm im Babylonischen aber gewöhnlich mit e (usˇeppi) bildet, und denkt dann an eine adverbiale Ableitung auf -isˇam von sˇu¯ru(m) III »Stier«; in der nachaltbabyl. Zeit ist aber nach GAG § 67g »diese Bildungsweise nicht mehr produktiv«. 100. Vgl. schon Anm. 84. 101. Lesung masˇ-ku »Haut, Fell« auch in CAD Sˇ/I (1989) 22 s. v. sˇada¯du, P/I (2005) 341a hat jedoch stattdessen par-ku »Trennlinie«.

111

Karl Hecker (141) Er

durchschritt den Himmel,

(142) und

machte (ihm) das Ebenbild Apsû,

(143) Der

Herr vermaß als Esˇgallas Ebenbild

(144) und

(145) Es ˇgalla, (146) ließ

Esˇarra,

er Anu, Enlil und Ea

betrachtete prüfend die (Himmels)orte 102), die Wohnung Nudimmuds, ähnlich 103). Apsûs Gestalt, errichtete er Esˇarra. das er gebaut hatte, (und) den Himmel als ihre Heiligtümer einrichten.

Tafel V (1) Er

erschuf den Standort die Sterne,

für die großen Götter, ihr Abbild, als Sternbilder auf.

bestimmte das Jahr, die 12 Monate

bezeichnete (dessen) Grenzen, stellte er je 3 Sterne auf.

(2) stellte (3) Er (4) für

(5) Nachdem (6) gründete

er die Tage des Jahres er den Standort von Jupiter 104),

(7) Damit (8) legte (9) Er

niemand Fehler mache er den Standort von Enlil und Ea

als Aufriß gezeichnet hatte, um ihre Verbindungen anzuzeigen. oder nachlässig werde, mit ihm fest 105).

öffnete Tore brachte starke Riegel

in den Rippen beiderseits, links und rechts an 106).

ihren Bauch 107) setzte er ließ er aufstrahlen,

die Höhen 108), mit der Nacht betraute er (ihn) 109).

bestimmte ihn zum Schmuck der Nacht, ohne Unterlaß

um die Tage zu bestimmen, machte er (ihn) durch eine Krone er haben.

(10) (und) (11) In

(12) Nannar (13) Er

(14) allmonatlich

102. Für ásˇ-ra-ta (auch in Tf. V 121) mit Var. asˇ-ra-tum sind verschiedene Deutungen in Umlauf, denen aber gemeinsam ist, daß sie alle darunter den Himmel oder einen Teil desselben verstehen. CAD A/II 454b führt ein Lemma asˇratum »ein poetisches Wort für Himmel«, Horowitz, aaO 112 ff. und ihm folgend AOAT 375 225 denken an einen Himmelsnamen Asˇrata, während TUAT III 587 (»Himmelsteile«) offenbar von dem gut bezeugten fem. Pl. asˇra¯tum zu asˇru(m) »Ort« ausgeht, der vor allem von heiligen Lokalitäten gebraucht wird. Der mask. Pl. asˇru¯ kann ebenfalls mit dem Begriffsfeld »Himmel« verbunden werden, vgl. Tf. VII 135. 103. Der Vers ist in AOAT 375, 225 mißverstanden: usˇtamh ir mehrat Apsî ist figura etymologica, ˘ ˘ und Apsû ist der Wohnsitz Nudimmuds, nicht ihm ähnlich. 104. Jupiter, akkad. ne¯beru »Übergang, Furt«, war der Stern des Marduk. Weniger wahrscheinlich ist die Gleichsetzung von ne¯beru mit dem Planet Merkur (J. Koch, WO 22 [1992] 48-72). 105. Var. Anu statt Ea. it-ti-sˇú »mit ihm (Jupiter)« wohl nicht instrumental (»vermittels seiner«, so AOAT 375), sondern eher kontemporal (»gleichzeitig mit«) gemeint. 106. TUAT III 588 vertauscht die Seiten entgegen den Keilschrifttext. 107. ina ka-bat-ti-sˇá-ma eigentlich »in ihre (Ti’a¯mats) Leber«. 108. Ist e-la-a-ti »Höhen« hier Kurzform für elât sˇamê »Zenith«? 109. Nannar: der Mondgott; ursprünglich sum. Name des Sîn.

112

Texte aus Mesopotamien (15) »Am

Anfang des Monats,

(16) strahlst (17) Am (18) am

du mit Hörnern,

7. Tag Vollmondstag stehe in Opposition,

(19) Wenn (20) werde (21) Am (22) [am (23) I[ch

Sˇamasˇ im rechten Maß voll,

[sei] die Krone [hälf]tig, allmonatlich zur Monatsmitte 110)! dich am Horizont [sieht], nimm dann wieder ab 111)!

[Neumonds]tag nähere dich jeweils … des 3]0. Tages stehe wieder

der Bahn des Sˇamasˇ, in Konjunktion zu Sˇamasˇ!

bestimmte] das Zeichen, …] nähere dich,

folge seinem Weg! fälle Recht!

(24) …[…

(25-38) (Nur (39) Er

wenn du über dem Land aufleuchtest, um 6 Tage zu bestimmen!

ganz geringe Reste erhalten.)

schuf den Tag, Jahr sei ausgeglichen 112)!

[. . . . .],

(40) das

(41) Am (42) das

Neujahrstag Jahr in …

(43) Beständig

seien Riegel des Aufgangs

(44) der

[. . . . .], [. . . . .]. [. . . . .], [. . . . .].

(45) Nachdem (46) [richtete (47) Den

er die Tage [des Jahrs bestimmt hatte], er] die Wachen der Nacht und des T[ages gleichmäßig ein].

Speichel von Ti’a¯mat schuf

(48) Marduk (49) Er

sammelte (es) und

(50) Das (51) die

Entstehen von Winden,

Schwaden von Nebel, wies er sich selbst zu und

(52) (das)

[. . . .], [aus ihm . . . .]. ließ (es) zu Wolken zusammenfließen. den Fall von Regen 113), Anhäufung ihres Gifts 114), nahm er in seine Hand.

110. Zum Verständnis der Zeile vgl. Horowitz, aaO 117 sowie die Wörterbücher s. v. maha¯ru Sˇt. AOAT 375, 211 (»Der Sˇapattu möge [monat]lich ausgeglichen sein in Bezug auf seine˘ beiden Hälften«) hat den Textzusammenhang offenbar nicht verstanden. 111. Der Imp. sˇu-tak-si-ba-am wird in den Wörterbüchern und damit auch in den Übersetzun˙ wiedergegeben. AHw 456a schlägt für kasa¯bu Sˇt »abnehmen« (und für gen unterschiedlich ˙ werden, volle Kraft erreiTf. VII 121 »entlasten«) vor, CAD Sˇ/III 396a s.v ˇsutaksubu »voll ˙ chen«. »Nimm wieder ab« in der 2. Vershälfte ist bi-ni (nicht pé-ni!) ar-ka-nu-usˇ. 112. Zur Rekonstruktion dieser Zeile vgl. Horowitz, aaO 117 (sˇattu lu-ú sˇu-tam-hu-rat mit Hin˘ weis auf W. G. Lambert). AOAT 375, 233 (mit Lesung lu-ú ip-ta-am […] »möge reichen Ertrag […]«) übersieht, daß nach lu¯ entweder ein Prädikat oder ein weiteres lu¯ zu erwarten ist. 113. ˇsu-uz-nu-nu ka-sa-sa, wörtlich etwa »das Regnenlassen von Niederschlag«. AOAT 375, 234 ˙ ˙ Wort zu ka-sa-a(!) »kalt werden«, obwohl CAD K 263a s. v. kasa¯su diese emendiert das letzte ˙˙ ˙ Emendation ausdrücklich ablehnt. 114. Nebel gilt also als aufgehäuftes Gift der Ti’a¯mat.

113

Karl Hecker (53) Er

stellte ihr Haupt auf, Grundwasser öffnete er,

häufte dar[über einen Ber]g 115), mit Wasser wurde (es) gesättigt.

öffnete aus ihren beiden Augen Nasenlöcher verschloß er,

Euphr[at] (und) Tigris, ihr […] ließ er zurück.

häufte auf ihre Brust Brunnen,

die fernen B[erge], um Quellwasser zu bringen.

flocht ihren Schwanz …] … …

(und) band (ihn) zum Weltseil 116), Apsû unter seinen Füßen.

(54) das (55) Er

(56) ihre (57) Er

(58) bohrte (59) Er

(60) [… (61) [Er

band die eine Hä]lfte von ihm andere Hälfte] machte er

(62) [die

(63) [Nachdem] (64) [öffne]te (65) Er

das Werk an Ti’a¯mat er sein Netz,

formte [… … …] ihre Bindung

(66) […

(67) Nachdem

als Himmelsbefestigung [an] 117), als Bedeckung an der Erde fest. er ausgeführt hatte 118), ließ alles heraus. von] Himmel und Erde, war sehr fest.

(68) legte

er seine Riten umrissen, er [Leitse]ile an

seine Satzungen geformt hatte, (und) ließ (diese) Ea nehmen.

(69) [Die

Tafel der] Schicksale,

(70) (die)

trug er als Begrüßungsgabe

die er Qingu genommen (und) weggetragen hatte 119), zu Anu (und) schenkte sie (ihm).

(71) Das

[…] des Kampfes, das er

(72) führte

er […]

(73) [Und]

die elf Geschöpfe, [Waf]fen zerbrach er,

(74) deren

umgehängt und auf dem Kopf getragen hatte 120), vor [seine Vät]er. die Ti’a¯mat geschaffen und … hatte, und er schloß sie zu seinen Füßen ein.

115. So auch AOAT 375, 235. Vgl. Tf. VII 71. 116. Das »Weltseil«, dur.mah/du¯rma¯hu, ist das große kosmische Band, mit dem das Weltall zu˘ ˘ dem Auseinanderbrechen sammengehalten und vor bewahrt wird. Vgl. auch Tf. VII 95 (38. Name des Marduk). 117. AOAT 375, 236, TUAT III 589 und andere ergänzen am Zeilenanfang zu [isˇ-kun h]al-la-sˇá »[stellte] ihre (Ti’a¯mats) [Sche]nkel … [auf]«. CAD R 299a s. v. retû ergänzt das 2.˘ Wort zu [mi]sˇ-la-sˇá »ihre Hälfte« und bezieht das Pronomen ebenfalls auf Ti’a¯mat, was aber angesichts von Z. 62 und Tf. VI 138 problematisch ist. Bezieht man es jedoch auf zib-bat-sa Z. 59 (Komm.), ergibt sich ein anderer Sinn: Ti’a¯mats Schwanz bzw. das aus diesem geflochtene Weltseil wird mit dem einen Ende am Himmel, mit dem anderen an der Erde befestigt. 118. Das Verbum ist nicht wie in AOAT 375, 236 saba¯’u Sˇ »zittern, taumeln lassen«, sondern subbû ˙ Sˇt »nach Plan ausführen«. 119. ú-bi-lam-ma ist Subjunktiv! 120. i-tap-ru-sˇu gegen AOAT 375, 236 nicht ittaprusˇu¯ zu naprusˇu »umherfliegen«, sondern ¯ıtapru-sˇu zu apa¯ru »den Kopf bedecken«. Der Vers ist CAD A/II 167b zitiert.

114

Texte aus Mesopotamien (75) Er

machte Bildnisse [von ihnen] und [kü]nftig nichts vergessen werde,

(76) »(Daß) (77) Als

[die Götter] es sahen, und Laha¯mu ˘ ˘ (79) [Es um]armte ihn Ans ˇar und (80) [An]u, Enlil und Ea

jubelten sie freudenvoll, und alle seine Väter.

(78) Lahmu

(81) [Auch] (82) mit

Damkina, einem guten […]

(83) [De]m

verherrlichte ihn als König des Heils. schenkten ihm Geschenke. seine Gebärerin,

Usmû, der ihr Geschenk

(84) [vert]raute

ste[llte sie am] Apsû[-Tor auf] 121): (dafür) sei dies ein Zeichen!«

er das Wesiramt vom Apsû

jubelte ihm zu, ließ sie sein Antlitz erstrahlen 122). für die Nachrichten gebracht hatte 123), (und) die Betreuung der Heiligtümer an.

Abb. 4: Usmû

121. Apsû-Tor hieß der Eingang zu Marduks Tempel in Babylon. Vgl. A. R. George, Babylonian Topographical Texts (OLA 40), Leuven 1992, 301. 122. Der Zeilenanfang ist keilschriftlich unklar. TUAT III 589 und AOAT 375, 237 denken an ein Kleid als Geschenk (was zu Z. 83 passen würde), Foster, aaO 466 mit Anm. 2 an einen Ausruf der Damkina. 123. Zur Übersetzung von a-na b/pu-uz/zu-ra-ti vgl. schon Anm. zu Tf. III 32. Usmu/Isimu war der janusköpfige Bote des Ea. Vgl. W. G. Lambert / R. M. Boehmer, RlAV (1976-80) 178-181.

115

Karl Hecker (85) Versammelt

waren die Igigi, Anunnaki, so viele es gibt,

(86) die

(87) [Sie

hatten sich] gemeinsam versammelt, traten [vor ih]n, warfen sich nieder:

(88) sie

(89) [Nachdem] (90) [.

seine [göttlichen] Väter

. . . . ],

sie alle warfen sich vor ihm nieder, küßten seine Füße. um ihre Nase zu reiben, »Da ist der König!« sich an seinem Glanz gesättigt hatten, gegürtet mit dem Staub des Kampfes 124).

(91) (Zeichenreste

ohne erkennbaren Sinnzusammenhang) Zypressen- [und …(salbe)] machte er seinen Leib geschmeidig 125).

(92) mit

(93) Er

bekleidete sich königlichem Schreckensglanz

mit seinem fürstlichen Kleid, (und) ehrfurchtgebietender Krone.

ergriff die Keule, … …]

nahm sie in seine Rechte, hielt er in der Linken 126).

(94) (mit) (95) Er

(96) […

(97-99) (Bis (100) das

auf geringe Reste abgebrochen) Szepter des Heils und der Erhörung

(101) Nachdem (102) (und)

er den [königlichen] Anu sein Fangnetz

(103) setze (104) in (105) In

[hängte er] an seine Seite. Schreckensglanz [angelegt] mit glänzendem Schein [ausgestattet] hatte 127),

er sich wie [. . . [seinem] Thronsaal

. . . . . . . ], [. . . . . . ].

seiner Zella [… Götter, so viele es gibt,

. . . . . . . ], [. . . . . . .].

(106) die

(107) Lahmu

und Laha¯mu ihren ˘Mund auf

(108) sie˘taten

(109) »Früher (110) jetzt

war [Mar]duk 128) ist er euer König,

(111) Danach

sagten sie und ist sein Name,

(112) »Lugaldimmerankia (113) Als

sie Marduk sie zu ihm

(114) sagten

[. . . . . . .], (und) s[agten zu den gro]ßen IgigiGöttern: unser geliebter Sohn, auf seinen Befehl achtet!« sprachen zusammen: auf ihn, (nur) auf ihn, vertraut!« das Königtum gaben, einen Spruch von Glück und Erhörung:

124. TUAT III 590 ergänzt den ersten Halbvers nach einem Kommentartext zu »Bel lauschte ihren Worten«, was aber nicht recht in den Kontext zu passen scheint. 125. Lies am Zeilenende ú-sˇal-[baq]. 126. Reste von Z. 96–99 Parker-Lambert, aaO 30. 127. Letztes Wort ú- za-i -[nu]? 128. Var. Ansˇar/Asˇsˇur.

116

Texte aus Mesopotamien (115) »Von (116) was

heute an seist du immer du befiehlst,

der Versorger unserer Heiligtümer, das wollen wir tun, wir!«

(117) Marduk

tat seinen Mund auf und seinen göttlichen Vätern

(118) zu

(119) »Oberhalb

des Apsû,

(120) gegenüber

Esˇarra,

der Wohnung, die ihr mir anlegtet 129), das ich für euch baute,

(121) unterhalb

der Himmelsorte, ich ein Haus bauen,

(122) will

(123) In

ihm will ich Gemach anlegen,

(125) Wenn

zur Versammlung dort euer Nachtlager

ihr heraufsteigt vom Apsû, vor eurer Versammlung!

(127) Wenn

zur Versammlung dort euer Nachtlager

ihr herabsteigt vom Himmel, vor eurer Versammlung!

will [seinen] Namen [Babylon] nennen: wir, wir werden darin

»Häuser der großen Götter« 130), F[est]e begehen!«

hörten seine göttlichen Väter ihren Sohn,

diese seine Rede, fr]agten sie folgendermaßen:

(128) sei (129) Ich

(130) und (131) Es

deren Boden ich stark machte, es soll mein bequemer Wohnsitz sein! sein Heiligtum gründen, einrichten mein Königtum.

(124) mein

(126) sei

sprach, sagte er ein Wort:

(132) M[arduk, (133) Ȇber (134) wer

alles, hat [darüber

was deine Hände erschufen, Macht außer] dir?

(135) Über (136) wer

die Erde, hat [darüber

(137) Babylon, (138) An

dessen Namen

d[em Ort] errichte

(139) [Dorthin

die deine Hände erschufen, Macht außer] dir? du aussprachst 131): unser [Nachtla]ger auf ewig 132)!

auch]

möge man uns unser Regelopfer bringen, (140-148) (Weitgehend abgebrochen. Die geringen Zeichenspuren lassen vermuten, daß Marduk noch auf die Rede der Götter antwortet.) 129. ˇsu-bat tar-ma-ni mit AOAT 375, 242 nach AHw 953a s. v. ramû und 1560a s. v. hasˇma¯nu. ˘ TUAT III 590 und CAD Sˇ/III 181b s. v. sˇubtu lasen sˇu-bat hasˇ-ma-ni »amethyst(farb)ene ˘ Wohnung« mit einer für den Alten Orient zumindest auffälligen Bildhaftigkeit. Das DativSuffix in tar-ma-ni (=tarmâ-ni(m)) blieb in AOAT 375 unübersetzt. 130. Babylon, akkad. Ba¯b-ili, bedeutet jedoch »Tor des Gottes«. 131. In der Assur-Version ist Babylon durch Assur ersetzt. 132. Zur Ergänzung zu [nu-bat-t]a-ni »unser [Nachtla]ger« entsprechend Z. 126, 128 und Tf. VI 52. Die AOAT 375, 244 vorgeschlagene Ergänzung empfiehlt sich weder sprachlich, da »unser Wohnsitz« ˇsubat-ni lautet (so Tf. VI 144, 150), noch sachlich, weil die Götter meist außerhalb Babylons wohnen und dorthin nur zu kurzen Besuchen kommen.

117

Karl Hecker (149) Die

Götter warfen sich vor ihm nieder sagten zu Lugaldimmerankia,

(150) sie

(151) »Früher

war der Herr ist er unser König,

(152) jetzt

(153) des[sen (154) […

reine Besch]wörung … Sch]reckensglanz,

(155) [Er (156) er

besitzt ja] möge die Pläne anfertigen,

und sprachen zu ihm 133), [ihrem Herrn]: unser [geliebter] Sohn, der ..[. . . . . .], [uns] am Leben erhielt, Keu[le] und Ne[tz]. alle Han[dwe]rkskunst, wir [wollen die Arbeit]er sein!«

Tafel VI (1) Als

Marduk ihn sein Herz,

die Rede der Götter hörte, kunstvolle Dinge zu schaffen.

tat seinen Mund auf er im Herzen erwogen hatte,

und sprach zu Ea, gibt er zur Beratung:

(2) trieb (3) Er

(4) was

(5) »Ich (6) Lullû

will Blut sammeln will ich erstehen lassen,

(7) Erschaffen (8) auferlegt

will ich den Lullû, sei ihm die Mühsal der Götter,

(9) Verändern (10) Wie (11) Es

und kunstvoll gestalten einer verehrt,

antwortete ihm Ea und Plan, den Göttern Ruhe zu schaffen,

(12) einen

(13) »Gegeben (14) dieser

(15) Die (16) der

werde mir werde zerstört,

großen Götter Schuldige werde gegeben,

(17) Marduk (18) gütig (19) Auf (20) Der

versammelte befahl er und

das Auftun seines Mundes König sprach

(21) »Verläßlich (22) sprecht

war mir fürwahr (auch jetzt) verläßliche

und Knochen entstehen lassen, sein Name soll »Mensch« sein 134)! den Menschen, auf daß sie Ruhe haben! will ich die Wege der Götter: sollen sie zweifach geteilt sein!« sprach ein Wort zu ihm, trug er ihm vor: ein bestimmter Bruder von ihnen, auf daß Menschen geformt werden können! mögen sich mir versammeln, sie, sie mögen weiterbestehen!« die großen Götter, gab Anweisung. achteten die Götter. ein Wort zu den Anunnaki: eure frühere Zusage, Worte mit mir!

133. TUAT III 591 zählt diese Zeile aus unbekannten Gründen als Z. 151 und erhöht entsprechend auch die Zählung der folgenden Zeilen um zwei. 134. Lullû: gelehrtes Fremdwort aus sum. lú.u18/19.lu »Mensch«.

118

Texte aus Mesopotamien (23) Wer

war’s, zur Aufruhr brachte und

(24) Ti’a ¯ mat

(25) Gegeben (26) den

werde mir, will ich seine Strafe tragen lassen,

(27) Ihm

antworteten die Igigi, Lugaldimmerankia, dem König der Götter,

der den Streit erzeugte, den Kampf begann? der den Streit erzeugte, ihr aber sitzet in Ruhe!« die großen Götter,

(28) dem

(29) »Qingu (30) Ti’a ¯ mat (31) Sie

war’s, zur Aufruhr brachte und

banden ihn und hielten ihn legten ihm die Strafe auf und

(32) Sie

(33) Aus

seinem Blut erschuf er (ihr) die Mühsal der Götter auf,

(34) legte

(35) Nachdem (36) (und) (37) –

der weise Ea ihr die Mühsal der Götter

dieses Werk mit den Künsten des Marduk

(38) (denn) (39) teilte

Marduk, Anunnaki alle

(40) die

(41) Dem (42) 300

Anu wies er zu, stellte er im Himmel

(43) Mit (44) Im

nochmals der gleichen Zahl Himmel und auf der Erde

(45) Nachdem (46) (und)

er die Weisungen den Anunnaki von Himmel und Erde

ihrem Herrn 135): der den Streit erzeugte, den Kampf begann!« vor Ea fest. schnitten sein Blut durch. die Menschheit 136), die Götter stellte er frei 137). die Menschheit geschaffen, auferlegt hatte, ist zum Verstehen ungeeignet, schuf Nudimmud – der König der Götter, oben und unten. seine Weisungen zu bewachen, als Wache auf. regelte er die Wege der Erde: ließ er 600 wohnen. alle erteilt ihr Los zugeteilt hatte,

(47) taten (48) und

die Anunnaki ihren Mund auf sprachen zu Marduk, ihrem Herrn:

(49) »Jetzt, (50) Was (51) Laßt (52) dein

Herr, könnte denn unsere Wohltat

der du uns Freiheit verschafft hast: für dich sein?

uns ein Heiligtum machen, Gemach soll unser Nachtlager sein,

dessen Name bekannt ist, darin wollen wir Ruhe finden!

135. Sum. Lugaldimmerankia bedeutet »König der Götter von Himmel und Erde«. 136. Var. »schufen sie«. 137. Zur Übersetzung von dul-li dingir.dingir vgl. schon Z. 8. TUAT III 592 übersetzt dort mit »Mühsal der Götter«, hier mit »den Dienst für die Götter«. Gemeint ist aber an beiden Stellen das gleiche: Vor der Erschaffung der Menschen mußten die Götter, wie etwa im Atramhası¯s-Epos (TUAT III 612 ff.) geschildert, selbst harte Arbeit leisten; diese Mühsal wird jetzt ˘ den neugeschaffenen Menschen übertragen. auf

119

Karl Hecker (53) Laßt

uns ein Heiligtum anlegen, wir es fertig haben,

(54) sobald (55) Als

Marduk seine Mienen

dies

(56) leuchteten (57) »Baut (58) seine

Babylon, Ziegel mögen geformt werden,

(59) Die (60) ein (61) Als

Anunnaki Jahr lang

schwangen strichen sie

die Hacke, seine Ziegel.

bauten für Anu, Enlil, Ea und ihn

die hohe Ziqqurrat des Apsû, richtete sie den Wohnsitz ein.

Großartigkeit Fundament von Esˇarra

(66) am

(67) Nachdem

sie Esagilas Anunnaki, sie alle, (69) die 300 Igigi des Himmels und die 600 des Apsû, (68) die

(70) ließ

der Herr in dem erhabenen Heiligtum,

(71) seine

göttlichen Väter

(72) »Dies

ist Babylon, euch hier,

(73) vergnügt (74) Da

das Werk, das ihr verlangtet, und baut das Heiligtum hoch!«

herankam, des Ebenbildes des Apsû 139).

(64) und (65) In

hörte, gar sehr, wie der Tag:

das zweite Jahr sie Esagilas Haupt,

(62) erhöhten (63) Sie

(und) einen Kultsockel dort, wollen wir darin Ruhe finden« 138)!

setzten sich stellten sie hin,

(75) Bierkrüge

setzte er sich vor sie und betrachtet seine Hörner 140). Werk ausgeführt, ihre Heiligtümer gestaltet hatten, sie alle, versammelt waren 141), das sie als seine Wohnung erbaut hatten 142), zu seinem Gastmahl sich setzen. der Wohnsitz eurer Gründung, setzt euch in Freude darüber!« die großen Götter, setzten sich zum Gastmahl.

(76) Nachdem (77) hielten

sie dabei Freudengesänge veranstalltet hatten, sie im ehrfurchtgebietenden Esagila einen Fürbittritus ab.

(78) Gesichert (79) den

waren nun die Weisungen Standort von Himmel und Erde

(und) alle Richtlinien, verteilten alle die Götter.

138. ni-kasˇ-sˇá-da nicht »(sobald) wir ankommen« (so AOAT 375, 258). Zur Bedeutung »eine Arbeit erledigen« von kasˇa¯du vgl. AHw 460a unter 7). 139. Esagila deutsch »Haus, das das Haupt erhebt«. Das Wortspiel in der 1. Vershälfte wird durch Lautung in der 2. noch dadurch hervorgehoben, daß sum. íla hier nicht wie sonst üblich mit nasˇû »erheben«, sondern mit ul-lu-ú geglichen ist. 140. Gemeint: Esagilas Spitzen. 141. Die Zahlen in dieser Zeile passen nicht zu denen von Z. 45, wo sich die Gesamtzahl der Götter auf 600 beläuft. 142. Var. iz-zaq-ru »hoch gebaut hatten« (nicht iz-zak-ru »benannt hatten« wie in AOAT 375, 261 mit Anm. 3).

120

Texte aus Mesopotamien (80) Die (81) die

großen Götter, Götter der Schicksale, die sieben,

(82) Der

Herr empfing den Bogen,

(83) das

Netz, das er hergestellt hatte,

(85) Das

Werk, das er gemacht hatte, erhob (ihn) und

(86) Anu

(87) (wobei) (88) Er

er den Bogen küßte: nannte dann folgendermaßen

(89) »Langes

die fünfzig, setzten sich, bestimmten sie für die Entscheidung. seine Waffe, und legte sie vor sie hin 143), sahen seine göttlichen Väter. lobten seine Väter, sprach in der Versammlung der Götter, »Er ist wahrlich mein Sohn!« 144) die Namen des Bogens:

Holz« sei der erste, dritten Namen »Bogenstern« (91) Er bestimmte seine Position

der zweite »Er sei treffsicher!« ließ er am Himmel aufstrahlen. zusammen mit seinen göttlichen Brüdern.

(92) Nachdem

die Schicksale des Bogens er den Thron des Königstums, (94) dann ließ in der Götterversammlung

Anu bestimmt hatte, der unter den Göttern erhaben war, Anu ihn darauf sitzen.

(95) Es

die großen Götter, sie aber warfen sich nieder.

(90) seinem

(93) gründete

versammelten sich Schicksal erhöhten sie,

(96) Marduks (97) Sie (98) mit (99) Sie

sprachen über sich selbst Wasser und Öl schworen sie,

einen Fluch aus, faßten sich an die Kehle 145).

gaben ihm, das Königsamt Herrn über die Götter

über die Götter auszuüben, von Himmel und Erde bestellten sie ihn.

(100) zum

(101) Ans ˇar (102) »Beim (103) Auf

zusätzlich Asarluhi mit Namen 146): ˘ reiben 147). wollen wir die Nase

das Auftun seines Mundes Befehl sei überragend

mögen die Götter achten, oben und unten!

Hoch dem Sohn, Herrschaft sei überragend,

unserem Rächer! nicht soll er seinesgleichen erhalten!

(104) sein (105) Ein

nannte ihn Ausspruch seines Namens

(106) Seine

143. Var. »Enlil trug«. 144. qasˇtu »Bogen« ist im Akkad. feminin, der 2. Halbvers lautet daher eigentlich »sie ist meine Tochter«. 145. Dies ist ein Gestus, der die Folgen des Eidbruchs andeutet: Der Hals wird abgeschnitten. 146. »nannte ihn zusätzlich« im Sinn von »gab ihm einen weiteren Namen« für ú-sˇá-tir-ma … it-ta-bi erfüllt den Kontext besser als die in TUAT III 595 und AOAT 375, 265 gebotene Übersetzung, in denen an einen überhohen (o. ä.) Namen gedacht ist. Der Sˇ-Stamm von wata¯ru kann aber sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Steigerung zum Ausdruck bringen. 147. Die Nase zu reiben galt als Gestus der Unterwürfigkeit und Demut.

121

Karl Hecker (107) Er

möge das Hirtenamt ausüben

über die Schwarzköpfigen, seine Geschöpfe 148), (108) auf zukünftige Tage möge unvergeßlich sein Wirken erzählt werden! (109) Er

möge für seine Väter Versorgung übernehmen und

(110) ihre

(111) Rauchopfer (112) was

(113) Er

möge er (sie) riechen,

er im Himmel tat,

möge den Schwarzköpfigen zuweisen, sollen sie daran denken,

(114) untertänigst (115) auf

das Auftun seines Mundes hin mögen herangetragen werden

(116) Brotopfer

(117) unvergeßlich

möge ihr Gott Heiligtümer mögen errichtet,

(118) ihre

(119) Mögen

die Schwarzköpfigen auch sei er, mit welchem Namen immer

(120) Uns (121) So

laßt uns denn seine fünfzig Wandel sei glänzend,

(122) Sein (123) (1) (124) der (125) der (126) der

ihn zu verehren, ihren Gott anzurufen, sollen sie die Göttin achten! hfüri ihren Gott, ihre Göttin, im Gedächtnis gehalten werden, ihre Hochsitze gebaut werden! die Götter aufgeteilt haben 150): wir ihn auch benennen, unser Gott! Namen nennen! sein Wirken ebenso! sein Vater Anu benannte 151), ihre Ställe mit reicher Fülle versieht,

mit seiner Waffe, der Sintflut, seine göttlichen Väter

die Feinde band, aus der Not rettete,

der Sohn des Sˇamasˇ, seinem hellen Licht

(129) (Der) (130) die

sie über ihre Ausstattung jubeln lassen 149), möge er gleicherweise stets auch auf Erden tun!

Marduk, den von Geburt an Weide und Tränke bestellt,

(127) wahrlich, (128) in

große Speiseopfer einrichten, ihre Heiligtümer betreuen!

den Menschen, die er erschuf, Mühsal der Götter auflegte,

(131) Erschaffen, (132) geht

Beseitigen, fürwahr von ihm aus,

der Leuchtende 152) der Götter ist er, mögen sie dauerhaft wandeln! dem beseelten Wesen, damit diese Ruhe erhielten. Vergeben, Bestrafen sie schauen (daher) auf ihn.

148. »Schwarzköpfige«: Ein bildhafter Ausdruck für »Menschen«. 149. Das akkad. Pronomen ist deutlicher als das deutsche: »ihre Ausstattung« (ti-’a-a-sˇi-na) meint die Ausstattung der Heiligtümer. 150. lu-ú zi-za-a-ma wird gewöhnlich passivisch übersetzt (etwa »die Menschen seien aufgeteilt auf die Götter«), doch kann der akkad. Stativ auch aktivische Funktion haben. 151. Die den Marduk-Namen in Klammern vorangestellten Zahlen stehen nicht im Keilschrifttext, sondern sind vom Übersetzer hinzugefügt. 152. né-bu-ú, die Var. na-bu-ú könnte auch »der Berufene« bedeuten.

122

Texte aus Mesopotamien (133) (2) (134) der

Marukka ist fürwahr der Gott, die Herzen der Anunnaki erfreut,

der sie erschuf 153), den Igigi Ruhe verschafft.

(135) (3)

Marutukku ist fürwahr das Vertrauen

(136) ihn

sollen preisen

von Land, Stadt und seinen Menschen, die Menschen in alle Zukunft!

(137) (4)

Mirsˇakusˇu, wild und besonnen, ist sein Herz,

verärgert und vergebend 154), umfassend sein Gemüt!

(139) (5)

Lugaldimmerankia ist sein Name,

(140) was

sein Mund spricht,

den wir nannten in unserer Versammlung, haben wir erhöht über seine göttlichen Väter!

(138) weit

(141) Er

ist fürwahr der Herr König, über dessen Belehrung

(142) der

(143) (6)

Narilugaldimmerankia ist sein Name,

(144) der

in Himmel und Erde in der Not

(145) (und)

aller Götter von Himmel und Erde, die Götter oben und unten schaudern! den wir nannten, Betreuer der Götter alle, unseren Wohnsitz anlegte,

die Standorte zuteilte 155): auf ihrem Sitz zum Zittern gebracht und zum Zagen! (147) (7) Asarluhi ist sein Name, den sein Vater Anu nannte, ˘ das Licht der Götter, (148) er ist fürwahr der mächtige Anführer, (146) durch

den Igigi und Anunnaki seinen Namen werden die Götter

(149) der,

wie sein Name sagt,

(150) der

in hartem Zweikampf in der Not

(151) (8)

Asarluhi nannten sie zweitens Namtila, seinem˘ Wesen entsprechend

(152) der

(153) Herr, (154) der

der durch seine reine Beschwörung widerspenstige Feinde beseitigt,

Schutzgeist von Göttern und Land ist, unseren Wohnsitz rettete! Gott, der uns am Leben erhält 156), alle verlorene Götter wiederherstellte 157), tote Götter lebend machte, wollen wir ihn benennen.

153. Marukka und Marutukku (Z. 135): Selten bezeugte Götternamen, für die keine etymologische Erklärung bekannt ist. Vgl. M. Krebernik, RlA VII (1987-90) 440. 154. Der akkad. Text der Zeile gibt den sum. Namen wieder. Vgl. M. Krebernik, RlAVIII (1993-97) 221. 155. manza¯zu »Standort« hier gewiß mit der der astronomischen Terminologie entnommenen Nebenbedeutung »Himmelsstandort«. 156. Var. »den A. nannten die Götter … unseren Lebenserhalter«. Die 2. Vershälfte reflektiert sum. nam.ti.la »Leben«. 157. »alle« nicht in allen Textzeugen.

123

Karl Hecker (155) (9) (156) der

Asarluhi: Namru ist sein Name, ˘ reine Gott,

mit dem er drittens benannt ist, der unseren Wandel reinigt 158)!

drei seiner Namen benannten Ansˇar, Lahmu und Laha¯mu, ˘ ˘ sagten sie zu ihren göttlichen Söhnen:

(157) Je

(158) (dann) (159) »Wir, (160) wie (161) Es (162) sie

wir haben drei seiner Namen wir sprecht auch ihr

freuten sich die Götter, tauschten im Ubsˇu’ukkinaku

(163) »Des (164) (und) (165) Sie

heldenhaften Sohnes, Versorgers Namen

setzten sich in ihrer Versammlung, sagten mit allen Riten

(166) (und)

jeweils genannt, seine Namen!« als sie ihr Wort hörten, dann ihren Rat aus: unseres Rächers laßt uns erhöhen!« um die Schicksale zu benennen 159), seinen Namen.

Tafel VII (1) (10) (2) der

Asari, der Ackerland schenkt, Gerste und Flachs erschafft,

(3) (11) (4) die

Asari’alim, der im Rathaus angesehen, Götter achten (auf ihn),

(5) (11) (6) der (7) Er

Asari’alimnuna, der Geehrte,

die Weisungen von Anu, Enlil,

ist ihr Versorger, Feld dem Land

(8) dessen (9) (13) (10) er

Tutu, der ihre Erneuerung schafft, möge ihre Heiligtümer reinigen,

den Felderplan festlegt, Grünes aufgehen läßt, dessen Rat hervorragend ist, Furcht vor ihm haben sie angenommen 160). das Licht seines Vaters, der ihn gebar 161), Ea und Nisˇsˇiku lenkt 162). der [ihre] Anteile zuweist, Überfluß zufügt 163). ist er 164), auf daß sie Ruhe haben.

158. Akkad. namru »leuchtend, hell« hier nur ungenau mit »rein(igen)« geglichen. 159. Var. »zu schaffen.« 160. Lies nach Foto in AOAT 375, Tf. XLIII Textzeuge J a-dir-sˇu (statt a-dir la(!) in der Umschrift aaO S. 281). Auch STT 10 (Textzeuge I in AOAT 375) zeigt deutlich … [a]-dir-sˇu ah-zu. Das ˘ letzte Wort ist dann Pl. (ahzu¯), nicht Sg. Subjtv. (ahzu), für den sich auch kein Regens (wie ˘ daher in beiden Vershälften ˘ etwa ˇsa) findet. Subjekt sind »die Götter«; einen Subjektswechsel anzunehmen wie in AOAT 375, 281 ist unnötig. 161. Vgl. schon Anm. 41 (auch Männer »gebären«). 162. »und Nisˇsˇiku« ist nur in einem der drei Textzeugen erhalten, in den anderen beiden ist das Zeilenende abgebrochen. Da Nisˇsˇiku ein Beiname des Ea ist, sollte man die beiden Worte entweder ganz streichen oder als erklärende Glosse interpretieren. 163. ˇsu-ku-us-su genauer »das von ihm verliehene (-sˇu) Versorgungsfeld (sˇuku¯su)«. Dabei handelt es sich um Ländereien, die vom Palast oder Tempel an ihre Bedienstete zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgegeben wurden. 164. Tutu war ursprünglich der Name des Stadtgottes von Borsippa.

124

Texte aus Mesopotamien (11) Er

möge eine Beschwörung machen, wenn) sie sich wütend erheben,

auf daß die Götter ruhen, ihre Brust auch wieder abwenden!

ist wahrhaftig erhöht

in der Versammlung seiner göttlichen [Väter], kann sich ihm gl[eichstellen]!

(12) (und (13) Er

(14) keiner

unter den Göttern

(15) (14)

Tutuziukkinna, für die Götter

(16) der

(17) ihren

das Leben [seines] Heeres 165), die reinen Himmel einrichtete,

Gang regelte er nicht vergessen werden bei den Umwölkten,

und [ihren Standort] bestimmte 166): [mögen sie seine] Taten [behalten] 167)!

(19) (XV)

der für die Reinigung zuständig ist 168), Herr von Erhörung und Zustimmung,

(18) Möge

(20) Gott

(21) der

Tutu nannten sie drittens Ziku, des guten Windhauchs,

Reichtum und Wohlstand verschafft, alles, was gering an uns ist,

(22) der

(23) dessen

guten Windhauch mögen aussprechen, preisen

(24) Sie

(25) (16) (26) Herr (27) der (28) der

(29) der, (30) der

Tutu mögen viertens die Menschen der reinen Beschwörung,

Überfluß herstellt, zu Großem umwandelt, wir in schwerer Not einatmen: (und) singen sein Loblied 169)! als Agaku verherrlichen 170), der Tote belebt,

mit den gebundenen Göttern das auferlegte Joch

Mitleid bekam, auf die ihm feindlichen Göttern abwerfen ließ,

um sie zu schonen, Barmherzige,

die Menschheit erschuf, bei dem Belebung ist.

(31) Beständig (32) im

seien und unvergeßlich seine Worte Munde der Schwarzköpfigen, die seine Hände erschufen.

(33) (17)

Tutu ist fünftens Tuku – mögen sie seine reine Beschwörung stets im Munde tragen – 171), (34) der mit seiner reinen Beschwörung alle Bösewichte ausriß.

165. 166. 167. 168. 169.

Der 2. Halbvers ist Übersetzung von sum. zi.ukkina. Gemeint sind die astronomischen Bahnen und Positionen der Gestirnsgottheiten. »Die Umwölkten« ist ein beliebtes poetisches Synonym für »die Menschen«. zi.kù deutsch etwa »reiner/heiliger Hauch«. »Sie« meint die Menschen. Die hier gebotene Übersetzung versteht »sein Loblied« als gemeinsames Objekt zu den drei asyndetischen Prekativen »mögen aussprechen«, »mögen preisen«, »mögen singen«. Ähnlich auch AOAT 375, 286. 170. aga.kù: »heilige Krone«. 171. tu6.kù: »reine/heilige Beschwörung«.

125

Karl Hecker

Sˇazu, der das Herz der Götter kennt, den Übeltäter

das Innerste durchschaut 172), nicht entkommen läßt,

die Versammlung der Götter einrichtet, die Widerspenstigen unterwarf,

ihr Herz erfreut, ist nun ihr weiter Schirm;

Wahrheit gedeihen läßt, dem Lüge und Wahrheit

widersprüchliches Reden beseitigt, unterschieden werden.

(35) (18) (36) der (37) der (38) der (39) der (40) bei

(41) (21)

Sˇazu mögen sie als Zisi, der Angreifer zum Schweigen bringt, zweitens prei-

sen 173), (42) der

die Totenstille vertreibt aus dem Leib seiner göttlichen Väter.

(43) (XX)

Sˇazu ist drittens Suhrim, ˘

(44) der

ihre Pläne zerstreut

der alle die Feinde mit der Waffe ausrottet, (und) zu Wind macht,

(45) der

alle Bösewichte auslöscht, die Götter in der Versammlung

die ihm entgegentreten: beständig jubeln!

(46) Mögen (47) (21)

Sˇazu ist viertens Suhgurim, ˘

(48) der

die Feinde ausreißt,

der seinen göttlichen Vätern Erhörung verschafft, ihre Nachkommen vernichtet,

(49) der

ihre Taten zerstreut, Name möge im Lande

ohne etwas von ihnen übrigzulassen: gesagt und gesprochen werden!

Sˇazu mögen fünftens als Zahrim ˘ alle Feinde vernichtet

Zukünftige beraten, (und) die Ungehorsamen allesamt,

alle geflohenen Götter sein Name

in ihre Heiligtümer eintreten ließ: möge Bestand haben!

(50) Sein

(51) (22) (52) der (53) der

(54) Dieser (55) (23) (56) der

Sˇazu mögen sie außerdem

er alle Feinde

(57) (24) (58) der (59) der

sechstens als Zahgurim allesamt prei˘ sen, in der Schlacht vernichtete!

Enbilulu, der Herr, Mächtige, von ihnen Berufene,

der sie florierend macht, ist er 174), der Schauopfer aufstellt,

Weide und Tränke in Ordnung hält öffnete er,

(und) dem Land bereitstellt; verteilte Wasser in Überfluß!

(60) Kanäle

(61) (XXV)

Enbilulu mögen sie zweitens

Epadun, Herr von Weideland und Flut, nennen 175),

172. Sˇazu: sum. »Herz« (sˇà) + »wissen« (zu). 173. Sizi: si bedeutet als Ideogramm sˇuppû »zum Schweigen bringen«, zi tebû »angreifen«. Vgl. ˙ CAD Sˇ 491b. 174. Enbilulu war der sum. Gott des Bewässerungsfeldbaus, galt später auch als Adad von Babylon. 175. In be¯l namê(a.ri.a) u a-te-e ist das letzte hapax mit unsicherer Bedeutung. Statt a.ri.a liest ein Textzeuge za-ri-qi, das vielleicht zu zirı¯qu »Bewässerungsgerät« zu stellen ist.

126

Texte aus Mesopotamien (62) Kanalinspektor (63) der

von Himmel und Erde, reines Ackerland

(64) (XXVI)

Enbilulu mögen sie drittens als

Gugal, (65) Herr

des Überflusses,

(66) der

Reichtum erstellt,

(67) der

Korn gibt,

(68) (XXVII) (69) der

der die Saatfurche zieht, in der Steppe anlegt!

Enbilulu ist viertens Hegal, ˘

Fülle auf die weite Erde regnen,

Kanalinspektor der Wasserläufe der Götter, rühmen 176), der Fülle, der großen Erträge, den Wohnstätten Wohlstand verschafft, Getreide entstehen läßt! der den Menschen Überfluß aufhäuft 177), Grün sprießen läßt.

(70) (28)

Sirsir, der einen Berg über Ti’a¯mat häufte 178), (71) Ti’a ¯ mats Leichnam mit [seinen] Waffen plünderte, (72) der

das Land leitet, Haar Ackerland,

ihr getreuer Hirte 179), dessen Kopfbedeckung eine Saatfurche ist,

(74) der

das weite Meer

(75) der

wie auf einer Brücke immer wieder

immer wieder in seiner Wut überschritt, den Ort des Zweikampfs mit ihm querte,

(73) dessen

(76) (29)

Sirsir nannten sie zweitens Malah; ˘ ist sein Fahrzeug,

(77) Ti’a ¯ mat (78) (30) (79) der

Gil, der dauernd Getreidehaufen Korn und Schafe erschafft,

es sei so: er ist ihr Schiffer 180)! aufschüttet, riesige Hügel 181), dem Land Samen gibt.

(80) (31) Gilimma, der das Band der Götter einrichtet, (81) Reif, der sie umschließt,

Beständiges schafft, Gutes vergibt.

(82) (32) Agilimma, der Hohe, der die Krone ablegt,

für Schnee sorgt 182),

176. Sum. gú.gal »Kanalinspektor«. 177. Sum. hé.gál »Überfluß«. 178. Sirsir ˘war ursprünglich vielleicht das anthropomorph dargestellte Götterschiff, später ein Schiffer und wurde dann mit Ea und dessen Sohn Marduk gleichgesetzt. Vgl. M. Krebernik, RlA XII (2009-11) 554 f. 179. »ihr« bezieht sich, wie das akkad. Suffix -sˇina zeigt, auf einen Pl. fem. wie nı¯ˇsu¯ »die Menschen«. 180. Akkad. mala¯hu(m) aus sum. má.lah4 bedeutet »Schiffer«. ˘ 181. Zu den sonst˘schlecht bezeugten Namen 30-32 vgl. W. G. Lambert, RlA III (1957-71) 374b. Es scheint sich um Götter zu handeln, die in der Schöpfungsmythologie eine Rolle spielten. 182. »Krone«: die Schneekappe der hohen Berge, die im Sommer verschwindet.

127

Karl Hecker (83) der

die Erde über dem Wasser schuf,

(84) (33) (85) der

der den Göttern Weideland zuweist, Anteile (und) Brotopfer gibt,

(86) (34) (87) der

Mummu, Schöpfer von Himmel

Gott, der Himmel und Erde reinigt, an Macht kein zweiter

(88) dem

die Höhen einrichtete 183). die Erzeugnisse aufteilt, die Heiligtümer verwaltet. und Erde, der die Verirrten rechtleitet 184), ist zweitens Zulummu, unter den Göttern gleichkommt.

Gisˇnumunab: Schöpfer aller Menschen, der die Weltufer machte, Ti’a¯mats Götter vernichtete, aus Teilen von ihnen die Menschen machte!

(89) (35) (90) der

(91) (36)

Lugalabdubur, König, der die Taten Ti’a¯mats zerstreute, [ihre] Waffen ausriß 185), Fundament vorne und hinten sicher ist.

(92) dessen (93) (37)

Papgalgu’enna, erster aller Herren, unter seinen göttlichen Brüdern der größte ist,

dessen Kräfte erhaben sind,

(94) der

(95) (38) Lugaldurmah, König des Bandes ˘ der Götter, (96) der im königlichen Wohnsitz der größte

(97) (39)

Aranunna, Berater des Ea, (98) dessen fürstlichem Wandel (99) (40)

der edelste von ihnen allen. Herr des Weltseils 186), (und) unter den Göttern sehr erhaben ist. Erschaffer seiner göttlichen Väter 187), kein Gott gleichkommt!

Dumuduku, dessen reiner Wohnsitz im Heiligen Hügel erneuert wird, des Heiligen Hügels, ohne den Lugalduku keine Entscheidung fällt 188).

(100) Sohn

(101) (41)

Lugalsˇu’anna: König,

(102) Herr,

Stärke des Anu,

(103) (42)

Irugga, der sie alle plünderte (104) der alle Weisheit sammelte, 183. 184. 185. 186. 187. 188.

dessen Kräfte unter den Göttern hervorragen 189), Überragender, von Ansˇar Benannter! inmitten Ti’a¯mats 190), der erkenntnisweit ist.

Var. »der die Wolken über dem Wasser schuf«. mu-sˇe-sˇir pàr-si. AOAT 375, 297 hat pàr-+si+ »Kulte (in Ordnung Bringender)«. ˙ VII (1987-90) 109 f. Zu diesem Namen vgl. W. G. Lambert, RlA Zum Weltseil (dur.mah) vgl. schon Tf. V 59. Sum. a.rá.nun.na etwa˘ »fürstlicher Gang«. »Heiliger Hügel« (du6.kù) hieß der Thronsockel im Marduk-Tempel zu Babylon. Dumuduku (sum. dumu.du6.kù) bedeutet »Sohn des Heiligen Hügels«, Lugalduku »König des Heiligen Hügels«; mit diesem ist hier Ea gemeint, doch hieß nach einer anderen Tradition auch der Großvater des Enlil so. Vgl. W. G. Lambert, RlA VII (1987-90) 153 f. 189. Lugalsˇu’anna: »König von Sˇu’anna«. Sˇu’anna (sum. »Hand des Himmelsgottes An«) ist ein Name Babylons. 190. In ir.ug5.ga ist ir Ideogramm für ˇsala¯lu »plündern« (auch Z. 105).

128

Texte aus Mesopotamien (105) (43)

Irqingu, der Qingu plünderte, die Entscheidung von allem lenkt,

(106) der

Feind im Kampf 191), Herrschaft errichtet.

(107) (44)

Kinma, der die Gesamtheit der Götter leitet, der Rat gibt 192), dessen Namen die Götter vor Angst wie im Sturmwind schwanken!

(108) vor

(109) (45)

Esiskur möge im Haus des Gebets Götter mögen ihr Geschenk (111) bis er ihre Gabe

erhaben sitzen 193), zu ihm hineinbringen, annimmt.

(112) Niemand

kann ohne ihn vier Schwarzköpfigen (114) kein Gott außer ihm

Kunstvolles erschaffen 194), sind seine Geschöpfe 195), weiß Bescheid über ihre (Lebens)tage.

(115) (46)

Girra, der die Schärfe im Kampf mit Ti’a¯mat

der Waffen einrichtet, Kunstvolles erschuf,

weitem Verstand, tiefes Herz,

von tatkräftiger Erkenntnis, das die Gesamtheit der Götter nicht begreifen kann.

(110) die

(113) die

(116) der (117) von (118) ein

(119) (47)

Addu sei sein Name, er möge den gesamten Himmel verhüllen, gutes Getön möge über die Erde schallen, (121) der Donner möge die Wolken füllen und unten den Menschen Unterhalt geben 196)! (120) sein

(122) (48) As ˇaru, der seinem Namen entsprechend die göttlichen Schicksale betreute 197), (123) alle Götter insgesamt möge er umsorgen! (124) (49)

Ne¯beru möge den Übergang

von Himmel und Erde einnehmen 198), (125) oben und unten soll man nicht überschreiten, sondern auf ihn warten.

Lesung a-a-bi-isˇ (oder an a-bi) ta-ha-zi unsicher, Text unklar. ˘ (1976-70) 603b Emesal für Qingu. Kinma: Nach W. G. Lambert, RlA V Sum. é.siskur »Gebetshaus«. Var. »kein Gott kann … erschaffen«. »Die vier Schwarzköpfigen« verbindet in poetischer Verkürzung zwei im literarischen Vokabular beliebte Ausdrücke und steht für »die Schwarzköpfigen in den vier Weltufern«. 196. Vgl. schon oben Anm. zu Tf. IV 20. 197. »Betreuen« ist im Akkad. asˇa¯ru, »er betreute« ¯ısˇur. Ee interpretiert den Namen also über den lautlichen Gleichklang. 198. Die Zeile erklärt den akkad. Namen des Jupiter (ne¯beru) über seine Funktion als »Übergang von … « (ne¯beret …).

191. 192. 193. 194. 195.

129

Karl Hecker (126) Ne ¯ beru

ist sein Stern, 199)

(127) er

möge den Wendepunkt einnehmen,

den er am Himmel hat aufscheinen lassen, sie mögen auf ihn schauen 200)!

(128) Ja,

wer immer wieder die Meeresmitte Name sei Ne¯beru,

durchschritt, ohne auszuruhen, der die Mitte einhält!

(129) dessen (130) Der

Sterne des Himmels Wege Schafe möge er (132) (und) Ti’a ¯ mat binden,

möge er in Stand halten, die Götter allesamt weiden, auf daß ihr Leben eng und kurz werde!

(133) Für

(und) spätere Tage sondern beseitigt sein in Ewigkeit!«

(131) wie

zukünftige Menschen sie entfernt, nicht zurückgehalten,

(134) möge (135) Weil (136) (50) (137) Die

er die Himmelsorte geschaffen nannte Vater Enlil seinen Namen

Namen alle, Ea,

(138) hörte (139) »Ja, (140) er (141) Er (142) all

die die Igigi nannten, und sein Herz wurde froh:

der, dessen Namen ist wie ich,

seine Väter prachtvoll machten, sein Name sei Ea!

sei Herr über das Bündel meine Weisungen

all meiner göttlichen Kräfte, möge er an sich nehmen!«

(143) Mit

dem Wort »fünfzig« fünfzig Namen

großen Götter (und) machten seinen Gang überragend.

mögen übernommen werden,

der Erste möge (sie den anderen) zeigen, (sie) miteinander beraten!

(144) seine

(145) Sie

(146) Weiser (147) Der (148) des (149) Ist

(und) geformt hat die Erde, »Herr der Länder«.

und Wissender

Vater möge sie wiederholen Hirten und Hüters

er nicht nachlässig

(150) wird

sein Land blühen,

(151) Verläßlich (152) was

ist sein Wort, aus seinem Mund kommt,

(144) nannten (143) die

und seine Söhne lehren, Ohren möge er öffnen 201)! gegen den Enlil der Götter Marduk 202), er selbst heil sein! unabänderbar sein Befehl, kann kein Gott je abwandeln!

199. »sein« meint Marduk, als dessen Stern Jupiter galt. 200. kunsaggû »Wendepunkt« aus sum. kun.sag, hapax und weiterer Hinweis auf die Gelehrsamkeit des Verfassers von Ee. 201. »Hirte und Hüter« war im Alten Orient ein beliebtes Herrscherbeiwort. 202. Lesung lá ig-gi, Prohibitiv zu egû »nachlässig sein«, Var. (Hörfehler?) li-ig-gi »er möge freudig singen«, Prekativ zu nagû.

130

Texte aus Mesopotamien (153) Blickt (154) ist

er böse, er zornig,

(155) Weit (156) vor (157) Die

ist sein Herz, den Sünder und Frevler

hoch sein Gefühl, hintreten.

Unterweisung, die ein früherer er auf und legte sie nieder

vor ihm sprach, zum Anhören durch Spätere 203).

(158) schrieb

(159) »[Groß] (160) »Er

ist Marduk, ist der beste Sohn«

(161) (und) (162) der

wendet er den Nacken nicht zurück, kann seiner Wut kein Gott widerstehn.

das Lied von Marduk Ti’a¯mat band und

der die Igigi-Götter erschuf 204), mögen sie sagen 205) vortragen 206), das Königtum annahm!

Exkurs: Der folgende kurze Text – nicht zu Epik oder zur Weisheit gehörig – ist hier aufgenommen als weiteres Beispiel für die gegen Ende des 2. Jt. aufkommende Gleichsetzungstheologie. Auf der Vs. wird Marduk mit anderen Göttern geglichen und übernimmt deren Aufgaben oder Attribute (Sˇamasˇ: Gerechtigkeit, Adad : Regen etc.), auf der Rs. werden Menschen wegen der von ihnen ausgeübten Tätigkeiten als »Bild« eines Gottes bezeichnet. Text: Fragmentarische Tontafel BM 47406 im British Museum London, Kopie CT 24, 50, bearbeitet von S. Parpola, The Assyrian Cabinet. Appendix, in: M. Dietrich / O. Loretz, Vom Alten Orient zum Alten Testament. Festschrift für Wolfram Freiherrn von Soden zum 85. Geburtstag (AOAT 240),1995, 398-401. (Vs. 1) Uras ˇ

(ist) Marduk des Ackerbaus 207), (ist) Marduk des Grundwassers, (3) Ninurta (ist) Marduk der Hacke, (4) Nergal (ist) Marduk des Kampfes, (5) Zababa (ist) Marduk der Schlacht, (6) Enlil (ist) Marduk der Herrschaft und der Beratung, (7) Nabû (ist) Marduk der Abrechnung, (8) Sîn (ist) Marduk, Erheller der Nacht, ˇ amasˇ (ist) Marduk der Gerechtigkeit, (9) S (2) Lugalakia

203. Tontafeln wurden nicht wie heute Bücher stehend, sondern in Regalen liegend aufbewahrt. 204. Erstes Zeichen nach O. R. Gurney, AfO 17 (1954-56) 356 und AOAT 375, 3136 offenbar gal/ rabû »groß«. Marduk nur so zu bezeichnen, empfindet man aber eher als Geringschätzung, ist er doch sonst immer (wenigstens) übergroß. 205. resˇtû »erster« hier wie so oft in qualitativem, nicht in numerisch-reihendem Sinn. 206. ˇsasû mit der Grundbedeutung »(laut) rufen« kann, da man laut las, auch »lesen« und »(anderen) vorlesen« bedeuten. Man kann daher eine Tontafel auch als Leser anhören (Z. 158). 207. Urasˇ (»Erde«?) war der Stadtgott von Dilbad. Lugalakia sonst unbekannt; Ninurta war der erste Sohn des Enlil, in Assyrien aber auch des Assur; Nergal war der Unterweltsgott; Zababa der kriegerische Stadtgott von Kisˇ, Tisˇpak war in Esˇnunna beheimatet, Isˇtara¯n in De¯r. Mada¯nu war ein Richtergott und Sˇuqamunu ein von den Kassiten eingeführter Gott, Pabilsag ein sonst wenig bekannter Sohn des Enlil.

131

Karl Hecker (10) Adad

(ist) Marduk des Regens, (ist) Marduk der Truppen, (12) Is ˇtara¯n (ist) Marduk des … 208), ˇ uqamunu (ist) Marduk des Behälters, (13) S (14) (Zeichenreste, Rest der Vs. und Anfang der Rs. abgebrochen.) (Rs. 1’) [der … ist das Bi]ld des Zababa, (2’) der [Verwalt]er ist das Bild des Nabû, (3’) der Wagenlenker ist das Bild des Nergal, (4’) der Ausrufer ist das Bild des Mada ¯ nu, (5’) der Katasterbeamte ist das Bild des Pabilsag. (11) Tis ˇpak

(6’) Insgesamt

8 Bilder von großen Göttern.

(7’-9’) Vor[lag]e

aus Babylon. Nach dem Original geschrieben und kollationiert. Tafel des Kudurru, Sohn von Masˇtukku 209).

3. Atra-hası¯s ˘ Die spätbabylonische Fassung des Epos

W. von Sodens Übersetzung der altbabylonischen Fassung des Atram-hası¯s-Epos 210) ˘ in TUAT III/4 611-645 beruhte in der Hauptsache auf drei Tontafeln, die der Schreiberlehrling Nu¯r- oder Kasap-Aja (die Lesung des Namens ist strittig) zur Zeit des Ammi-saduqa von Babylon beschrieben hatte 211) und die von W. G. Lambert / A. R. Millard˙ als CT 46, 1-3 in Kopie veröffentlicht worden waren. Die monographische Erstbearbeitung durch die beiden gleichen Autoren, Atra-hası¯s. The Babylonian ˘ Story of the Flood, Oxford 1969, hatte auch die schon länger bekannten, bis auf zwei Babylon-Fragmente aus Assurbanipals Bibliothek in Ninive stammenden jüngeren Textzeugen aufgenommen und zur Ergänzung beschädigter Passagen der Kasap-AjaFassung benutzt, obwohl schon damals erkennbar wurde, daß sie zumeist eine eigene – eine assyrische – Version vertraten. Aus der bereits oben erwähnten Bibliothek von Sippar stammen dann fünf nahezu komplett erhaltene Tafeln einer spätbabylonischen Fassung, die von A. R. George / F. N. H. Ar-Rawi, Tablets from the Sippar Library VI. Atra-hası¯s, Iraq 58 (1996) 147-190 anhand von Fotos publiziert worden ˘ sind 212). Das gleichartige Format dieser Tafeln – alle einkolumnig und mit etwa iden208. Das letzte Wort (kìr-zi-zi) ist hapax, Bedeutung unbekannt. 209. Der Kolophon ist übersetzt von H. Hunger, Babylonische und assyrische Kolophone (AOAT 2), 1964, Nr. 432. 210. Atram-hası¯s ist die ältere Form des Namens, Atra-hası¯s die jüngere. ˘ ˘ 211. Der Kolophon von Tf. I gibt sogar den Tag ihrer Fertigstellung an: 21. Nisannu, Jahr 12 des Ammi-saduqa, dem entspräche ein Tag etwa Anfang April des Jahres 1634. ˙ 212. Auch wenn man wohl davon ausgehen kann, daß die Originalfotos erheblich schärfer und deutlicher waren als die Abdrucke in (GR), ist die Entzifferungsleistung der beiden Autoren großartig und im höchsten Maße anerkennenswert. Und es ist nur zu verständlich, daß viele Einzelheiten unsicher oder sogar ganz unlesbar geblieben sind.

132

Texte aus Mesopotamien

tischer Zeilenzahl – legte nahe, daß sie Teil einer standardisierten spätbabylonischen Fassung sind, und die Vermutung, daß diese trotz des unterschiedlichen Tafelformats und trotz einer Vielzahl inhaltlicher und sprachlicher Neuerungen die Tradition der altbabylonischen Kasap-Aja-Fassung fortsetzt, wurde durch einen Vergleich der beiden Fassungen bestätigt 213). Die Sippar-Fassung muß, da ihre Tf. V nur bis in Kol. iv von Tf. II der alten Fassung hinaufführt, noch wenigstens 4, wenn nicht sogar 5 weitere Tafeln umfaßt haben, sie käme damit auf rund 1500-1700 Verse und wäre damit erheblich länger als die Kasap-Aja Fassung, die dem Kolophon von Tf. III zufolge nur 1245 Verse aufweist 214). Zum Format der Übersetzung: Um Platz zu sparen, werden in einer Zeile meist zwei Verse zusammengefaßt, obwohl dann Strophen und Zäsuren nicht angezeigt werden können. Am rechten Rand wird versucht, den Textbestand der Sippar- und der aB Fassung zu vergleichen und symbolisch darzustellen. Dabei werden folgende Zeichen benutzt: = aB und spB identisch; + fehlt in aB; a000) abweichender Text, mit Anm.; [.] in aB abgebrochen. Kleinere Varianten bleiben aber oft unberücksichtigt. Als gleichlautend werden auch solche Verse bezeichnet, die in spB vollständig erhalten, in aB teilweise abgebrochen und dann von den jeweiligen Bearbeitern, insbesondere in TUAT III/4, abweichend ergänzt sind. Die Angaben zu den beiden Versen der Zeile werden durch Schrägstrich getrennt.

Tafel I Mus.-Nr. IM 124646, Grabungs-Nr. 2341, aus Bibliotheksfach 6 A, Fotos: George / Ar-Rawi, aaO Fig. 1-7; in der aB Version entspricht Tf. I, 1-131. Obschon selbst lükkenhaft, ermöglicht die spB Tafel eine nicht geringe Zahl von Ergänzungen der alten Fassung. Verbessert werden insbesondere die aB Zz. 13-24 || spB 13-24, die die Verteilung der Ämter und Aufgaben der Götter beschreiben, und aB Zz. 118-131 || spB 104’-117’, die von der Aussendung des Nusku handeln. Im spB Text nicht erhalten sind die Zeilen, in denen die Jahre der Fronarbeit der niederen Götter (»die des Enlil«) aufgelistet werden. Eine Neuerung des spB Texts wäre noch besonders hervorzuheben, obwohl sie nur die eine Z. 42 betrifft. Dort wird der Wortführer der revoltierenden Götter mit Namen genannt: Es ist der Gott Alla, den die mythologische Tradition zu den toten Gottheiten zählt und der spB Tf. II 103-104 zufolge geschlachtet wird 215). In

213. Auch die drei Kasap-Aja-Tafeln dürften aus Sippar stammen. Vgl. dazu Lambert / Millard, aaO 33 mit Anm. 1. 214. Der in TUAT III 645 nicht übersetzte Kolophon lautet »Fertig; 3. Tafel ›Als die Götter Mensch waren‹ ; 390 Zeilen; insgesamt 1245 Zeilen von 3 Tafeln; Hand des Kasap-Aja, Schreiberlehrling«. 215. Alla als geschlachteter Gott, aus dessen Blut der Mensch erschaffen wird, auch in Z. 25-26 des bereits in TUAT III/4 606-608 übersetzten Schöpfungsmythos KAR 4. Vgl. auch M. Krebernik, RlA IX (1998-2001) 74-75 s. v. nagˆar.

133

Karl Hecker

der aB Fassung fehlt der betreffende Satz – eine typische Wendung der epischen Redeeinleitung – zwischen Z. 40 und 41 216). (1) Als

die Götter Mensch waren,

die Götter das Joch, den Tragkorb. =/a 217) (3) Der Tragkorb der Götter war groß, (4) die Last war schwer, viel die Mühsal. =/= großen Anunnaki, die sieben, ihr Vater, war König, (9) Ihr Thronträger war Ninurta (11) [Das …].. hielten sie an seinen Backen 219), (13) Anu stieg hinauf zum Himmel,

(2) schufen

(5) Die

(6) ließen

(7) Anu,

(8) und

(15) Den

Riegel, die Falle des Meeres,

(17) Die

die Last die Igigi tragen. =/= ihr Ratgeber war der Held Enlil. =/= (10) und ihr Wärter der Gott Ennugi. =/a 218) (12) das

Los warfen sie, sie teilten dann: =/a 220) nahm die Erde für seine Untertanen. =/= (16) gaben sie dem weisen Ea. =/= (14) Enlil

des Anu stiegen hinauf zum Himmel, (19) Frei [von Lasten] waren die des Himmels,

(18)

(21) [Die

(22) die Kanäle der Götter, das Leben des Landes, (24) die Kanäle der Götter, das Leben des Landes.

(23) [die

…] gruben [die Flüsse], …] gruben [die Flüsse],

(25) [Zuerst

die des Ea stiegen in den Apsû hinab.

(20) die

Last trugen die des Enlil.

=/= =/a 221)

=/= =/=

gruben sie] den Tigris,

(26) [danach] den Euphrat. =/= erhalten bzw. unlesbar. »Die des Enlil« sind viele Jahre lang mit diversen Arbeiten belastet.) (38) trugen die [schwere] Last Nächte und Tage. /=

(27-37) (In beiden Fassungen schlecht

(39) […

(40) sie stöhnten in der Ausgrabung: …] und führten [Klage], laßt uns den Thronträger töten hund unser Joch zerbrecheni!«

=/=

(41) »Kommt,

a/– 222)

216. Man würde an einen Vergeßlichkeitsfehler des Kasap-Aja denken, würde der geschlachtete Gott vom ihm nicht anders benamt. Vgl. dazu unten Anm. 249. 217. aB: trugen sie Mühsal, schleppten den Tragkorb. 218. aB ohne »der Gott«. 219. Zeilenanfang unklar; die TUAT III/4 618 vorgeschlagene Lesung ku-tam »Losflasche« ist nach Koll. George / Ar-Rawi, aaO 184 nicht haltbar. 220. aB »die Götter teilten«. 221. aB »Igigi« statt »die des Enlil«. 222. Z. 41 ff. weichen erheblich von der alten Textfassung ab. Zunächst fehlt dort die typische Redeeinleitungswendung, die Sprecher und Angeredete vorstellt, und liest dann »[Kom]mt, laßt uns den Thronträger kontaktieren, / daß er unsere [schw]ere Last von uns nehme«. Darauf folgt dort dann noch eine vierzeilige Strophe, die auch Enlil als Beschwerdeobjekt anführt.

134

Texte aus Mesopotamien (42) Alla

tat seinen Mund auf und [wollen] den Thronträger der alten […],

(43) sprach

zu seinen göttlichen Brüdern:

+/+

(44) »Wir

(46-48’) (In

(45) […

…] wird Enlil errichten!

=/[.]

beiden Fassungen abgebrochen bzw. unlesbar.)

(49’) Den

Gott, den Ratgeber der [Götter, den Helden], (51’) Enlil, den Ratgeber der [Götter, den Helden], (53’) Anu sogar will ich anfei[nden],

(50’) [kommt,

(55’) Die

Götter hörten seine Rede. ihre Hacken Feuer, (59’) Sie machten sich auf und gingen

(56’) Sie

(57’) an

(58’) an

(61) Es

ist die Wache der Nacht;

(62’) (daß)

(63’) Es

ist die Wache der Nacht;

(65’) Kalkal

bemerkte es, beobachtete

laßt uns ihn aus seiner Wohnung holen!] (52’) [kommt, laßt uns ihn aus seiner Wohnung holen!] (54’) [… … … …].«

das Ekur umzingelt war, wußte kein Gott. =/a 225) (64’) (daß) das Ekur umzingelt war, wußte Enlil nicht. =/= faßte an den Rie[gel, prüfte das Tor]. (68’) sie hörten den Lärm […].

(69’) Nusku

(70’) ließ

Herr, dein Haus ist umzingelt, (73’) Enlil, dein Haus ist umzingelt,

=/= a 223)/

legten Feuer an ihre Werkzeuge, =/= ihre [Tra]gkörbe setzten sie Feuer. =/= (60’) zum Tor des [Heiligtums von Enlil, dem Held]. a 224)/=

[…], (67’) [Kalkal weckte Nusku], weckte seinen Herrn,

=/=

(66’) er

ihn von seinem Nachtlager aufstehen:

=/= =/= =/=

(71’) »Mein

(72’) Kampf (74’) Kampf

drängt zu deinem Tor! drängt zu deinem Tor!«

=/= =/=

(75’-89’) (Weitgehend

unlesbar. Die für diesen Abschnitt vollständig erhaltene alte Version (Tf. I, 84-100) schildert Enlils erschreckte Reaktion auf Nuskus Worte. Auf dessen Rat hin läßt er schließlich Anu und Ea herbeiholen.)

(90’) Anu

saß da, der Kön[ig des Himmels], (92’) Die großen [Anunnaki saßen da]. (94’) Enlil

[tat seinen Mund auf und] mir (das alles) [angetan]?

(96’) »[Wird]

(91’) der

König des Ap[sû, Ea, war auch dabei]. (93’) Enlil [erhob sich, das Gericht war bestellt].

=/= =/=

(95’) spra[ch (97’) [Ich

zu seinen göttlichen Brüdern]: =/= soll] Streit [mit ihnen machen]? =/=

223. Aus aB »Jetzt (a-nu-um-ma) … « (Tf. I 61) macht spB »Anu sogar (dA-nu-um-ma) … «, um dann anders fortzufahren. 224. aB »sie faßten sich an und gingen«. 225. Statt »Ekur« hat aB »das Haus« (Tf. I 71). Der Strophenbau der aB Fassung (Z. 70-73) wirkt dadurch lebhafter und eleganter als der der spB.

135

Karl Hecker (98’) Was

sah ich (da mit) eigenem

(99’) (daß)

Kampf [mein Tor bedrängt]?«

=/=

Auge, (100’) Anu

tat seinen Mund auf 226) die Igigi sich sammeln vor deinem Tor:

(102’) »Wieso

(104’) Enlil

tat seinen Mund auf 230) mach [dein T]or auf,

(106’) »Nusku, (108’) In

der Versammlung aller Götter

(110’) folgendermaßen:

(101’) und

sprach zu seinem Bruder Enlil: =/a 227) möge hinausgehen und ihre Sache erkunden!« a 228)/= 229) (103’) Nusku

(105’) und

sprach zu seinem Wesir Nusku: =/= deine Waffen und geh zu der Versammlung hinaus! =/= (109’) knie nieder, steh auf und wiederhole meinen Auftrag: =/= (107’) nimm

›Mich schickte euer Vater Anu (112’) euer Thronträger Ninurta

(111’) und

euer Ratgeber, der Held Enlil, a 231)/=

(113’) und

euer Wärter, der Gott Ennugi.

(114’) Wer

(115’) wer ist der Gott, der Herr der Schlacht? (117’) (daß) Kampf das Tor des Enlil bedrängte?‹«

ist der Gott, der Herr des Kampfes, (116’) Wer ist es, der den Streit anzettelte, (obere Kante) Nach

=/= =/= =/[.] 232)

Diktat geschrieben.

Tafel II Mus.-Nr. IM 124649, Grabungs-Nr. 2344, aus Bibliotheksfach 35/6 A, Fotos, Kopie: George / Ar-Rawi, aaO Fig. 8-13; bis auf einige kleinere Beschädigungen komplett erhaltene Tafel. Z. 1-18 decken sich wörtlich mit Tf. I, 100’-117’, was wohl auf einen Wiederholungsfehler beim Diktat zurückzuführen ist; diese Zeilen werden in der Übersetzung ausgespart. (19) Nusku (21) in

nahm den Auftrag an,

der Versammlung aller Götter

(20) machte das Tor auf, ging zu der Versammlung hinaus, (22) kniete er nieder und stand auf, wiederholte den Auftrag:

a/a a/a

226. Der Text von Z. 100’-117’ ist teilweise abgebrochen, kann aber durch die »Zweitschrift« Tf. II 1-18 ergänzt werden. Auf die Kennzeichnung des Nichterhaltenen durch Klammern kann daher verzichtet werden. 227. aB Tf. I 112: »sprach zum Held Enlil«. 228. aB Tf. I 114: »dein Tor umzingeln«. 229. In der aB Fassung folgen noch Reste von zwei weiteren Zeilen (Tf. I 116-117). 230. »Enlil« am Zeilenanfang nach Tf. II 5 (und aB Tf. I 117) statt des Schreibfehlers »Anu«. 231. »folgendermaßen« fehlt in der aB Version (Tf. I 124). 232. Z. 116’ = II 17 entspricht aB Tf. I 130. Darauf folgen dort dann noch die ganz geringen Reste der Zeilen 131-133, für die die spB Fassung keine Entsprechung hat. Die Bearbeitung der aB Fassung (Lambert / Millard, aaO 50-51) interpretiert die ebenfalls stark fragmentierten Zeilen 143-145 offenbar als eine dem epentypischen Stil geschuldete Wiederholung dieser Zeilen. Den aB Zeilen 144-145 entsprechen spB Z. 31-32; für diese Zeilen ist aber im spB Text zwischen II 18 und 19 inhaltlich kein Platz.

136

Texte aus Mesopotamien (23) »Mich

(24) und

(25) euer

schickte euer Vater Anu Thronträger Ninurta,

(26) und

(27) Wer

ist der Gott, der Herr des Kampfes, (29) Wer ist es, der den Streit anzettelte, der Ve]rsammlung antworteten die [Igigi],

euer Ratgeber, der Held Enlil, euer Wärter, der Gott Ennugi.

ist der Gott, der Herr der Schlacht? (30) (daß) Kampf das Tor des Enlil bedrängte?«

=/= =/=

(28) wer

=/= =/=

(31) [In

(32) die

Mannschaft [Enl]ils war in Aufruhr: =/=

(33) »Wir

(34) [mach]ten unsere Versammlung alle riefen [den Kampf aus] und in der Ausgrabung. (35) Der Tragkorb brachte uns fast um, (36) unsere Last war schwer, viel unsere Mühsal. (37) Und wir allesamt, alle Götter, (38) beschlossen, mit [Enlil] zu kämpfen.« (39) Nusku

nahm den Bescheid auf,

(40) kehrte zurück und sprach [zu seinem Herrn]:

=/= =/= =/= =/a 233)

(41) »Mein

(42) zog ich los, trat hin und überbrachte Herr, wohin du mich schicktest, den Bescheid. =/a 234) (43) Es hörten deinen großen Bescheid (44) alle Anunnaki, die Mannschaft […]: a 235)/? (45) ›Wir

(46) machten unsere Versammlung in alle riefen [den Kampf aus] und [der Ausgrabung]. (47) Der Tragkorb brachte uns fast um, (48) unsere Last war schwer, viel unsere Mühsal. (49) Und wir allesamt, alle Götter, (50) beschlossen, mit Enlil zu kämpfen.‹«

=/= =/= =/=

(51) Es

hörte dieses Wort Gott] erschrak, als er dies erfuhr, (55) [En]lil erschrak, als er dies erfuhr,

(52) Enlil,

(53) [Der

(54) er

und seine Tränen liefen. sprach zu seinem Bruder [Anu].

=/= +/+

(56) er

sprach zu seinem Bruder [Anu]:

a/a 236)

(57) »Ich

(58) trag

steige mit dir zum Himmel hinauf 237),

alleine!

das Amt fort, nimm (es) =/[.] 238)

aB Tf. I 154: »ging und? […]«. aB Tf. I 156: »ging ich«. aB Tf. I 157: »ich erklärte [deinen] großen [Bescheid]«. aB Tf. I 168-169: »erschrak (i-[ta-d]a-ar) über sein Wort und sprach zum Held Anu«. e-tel-li, aB Var. e-te-el-li wird von Lambert / Millard und George / Ar-Rawi als etellı¯ normalisiert und mit »mein Fürst« übersetzt. Diese Anrede benutzt Enlil gegenüber seinem Bruder aber sonst nie. Die hier gebotene Übersetzung geht von ebenfalls möglichem e¯telli (Gt elû »hoch sein«) aus (so auch TUAT III/4), erinnert an Tf. I 13 (aB und spB) und III iii 48 (aB) und vermeidet außerdem das unschöne Enjambement, das die anderen Übersetzungen benötigen. Enlil, dem die Verwaltung der Erde zugewiesen war, fühlt sich dieser Aufgabe nicht gewachsen, will seinen Aufgabenbereich verlassen und sein Amt einem anderen übergeben. 238. Den Zeilen 57 und 68 entsprechen in der aB Fassung Z. 170 und 189, auf 12 spB Verse würden demnach 20 aB kommen. Tatsächlich ist, wie George / Ar-Rawi, aaO 186-187, gezeigt haben, die auf aB 170 folgende Lücke in den älteren Bearbeitungen über die als Füllsel benutzten 233. 234. 235. 236. 237.

137

Karl Hecker (59) Die

Anunnaki sitzen bei dir,

(61) Anu

tat seinen Mund auf und

(63) »Was

(60) rufe einen Gott, daß man die Ämter erneuert!«

[.]/[.]

(62) sprach

[.]/[.]

zu seinen göttlichen Brüdern:

können wir ihre Klagen für unbegründet halten? (65) Tä[glich] ist die Erde […].

(64) Schwer

(67) Es

(68) Da

(66) Die

ist ihre Last, viel ihre Mühsal.

[.]/[.]

Last ist schwer, wir hören Lärm!

[.]/[.]

ist Be¯let-ilı¯, der Mutterleib!

[.]/=

gibt eine Sache, die man tun kann: (69) Der Mutterleib möge den Menschen erschaffen,

(70) dann soll den Tragkorb der Götter der Mensch tragen!

(71) Sie

(72) (d)er

möge den Lullû-Menschen erschaffen 239), (73) (d)er soll das Joch tragen, das Werk des Enlil!

soll das Joch tragen, das Werk der Herrschaft, (74) Den Tragkorb der Götter soll der Mensch tragen!«

(75) Die

(76) »Hebamme

=/= +/+ +/+

Göttin riefen und fragten sie: bist der Mutterleib, Schöpferin von Bestimmung! (79) das Joch soll er tragen, das Werk des Enlil!

Be¯let-ilı¯; we[ise Mamma]! =/= den Menschen, (d)er soll das Joch tragen, a 240)/= (80) Den Tragkorb der Götter soll der Mensch tragen!« =/=

(81) Mamma

(82) sprach

(83) »Bei

(84) aber

(77) Du

tat ihren Mund auf und mir allein ist’s fürwahr, es zu tun, (85) Er kann ja alles reinigen, (87) Ea

tat seinen Mund auf und

(78) Erschaffe

zu ihren göttlichen Brüdern: bei Ea liegt die Vorbereitung

dazu. (86) er möge mir Lehm geben, dann will ich es tun!« (88) sprach

a/a 241) a 242)/= =/=

zu seinen göttlichen Brüdern: =/a 243)

(89) »Am

Monatsanfang, am siebten und fünfzehnten Tag (91) Einen Gott möge man schlachten,

ich eine Reinigung ausführen, ein Bad! =/= (92) dann mögen die Götter darin gereinigt werden! =/=

(93) Mit

(94) möge

seinem Fleisch und seinem Blut und Mensch

(95) Gott

239. 240. 241. 242. 243. 244.

138

(90) will

Be¯let-ilı¯ den Lehm mischen! zusammen mit Lehm vermischt werden!

=/a 244)

(96) mögen

=/=

neuassyrischen Fragmente zu groß berechnet worden. Die auch hier weiterbenutzte traditionelle Zeilenzählung der aB Version liegt also um 8 zu hoch und wäre entsprechend zu korrigieren. Vgl. oben Enu¯ma elisˇ Tf. VI 5. aB Tf. I 194: »Schöpferin der Menschheit«. aB Tf. I 198: »Nintu … … sprach zu den großen Göttern«. aB Tf. I 200: »bei mir ist das Tun nicht möglich«. aB: »sprach zu den großen Göttern«. aB Nintu statt Be¯let-ilı¯. Ebenso Z. 106.

Texte aus Mesopotamien (97) Zukünftig

sei es sichtbar, mögen wir es hören 245): (99) Dem Lebenden möge er sein Zeichen kund tun,

(98) Aus dem Fleisch eines Gottes entstehe der Geist 246)! (100) ein unvergeßbares Zeichen, den Geist!

(101) Am

(102) führte

Monatsanfang, am siebten und fünfzehnten Tag (103) Alla, einen Gott, der Verstand hat,

(105) [Mit]

seinem Fleisch und seinem Blut (107) [Go]tt und Mensch

=/= =/= 247)

er eine Reinigung aus, ein Bad! =/=

(104) Alla schlachteten sie, einen Enlil von früher. (106) mischte

[Be¯le]t-ilı¯ den Lehm.

(108) [wurden]

a/a 248) =/a

zusammen mit Lehm

vermischt.

+/+

(109) [Zukü]nftig

wird es sichtbar, vernehmbar werden 249): (111) [Dem Leb]enden wird er sein Zeichen kund tun,

(110) [Aus dem Fl]eisch eines Gottes entstand der Geist! =/= (112) ein unvergeßbares Zeichen, den Geist! =/=

(113) Nachdem

(114) [rief sie] die Anunnaki (und) alle Igigi. =/a 250) (116) spieen Speichel auf ihren Lehm 251). =/=

sie ihren Lehm gemischt hatte, (115) [Die Igigi], die großen Götter, (117) [Mamm]a

tat ihren Mund auf

(118-119) [Tafel II »A]ls die Götter Mensch waren«. Nach dem Original schrieb (sie) [Nan]a¯’a-apla-iddina, Sohn von Da¯bibu, Beschwörungspriester.

Tafel III-IV Tafel III ist nicht erhalten. Aus der Fangzeile von Tf. II ist Z. 1 bekannt und Z. 2 erschließbar. Diese entsprechen Tf. I 234-235 der ebenfalls nur schlecht erhaltenen aB Version: (1) [Mamm]a

tat ihren Mund auf

(2) und

[sprach zu den großen Göttern]:

245. li-pa-a hier und i-pa-a Z. 109 »werde/wurde sichtbar« sprechen dafür, daß up-pa nicht wie in den älteren Übersetzungen zu uppu »Pauke«, sondern als Prs. G ebenfalls zu wapû zu stellen ist. 246. etemmu, eigentlich »Totengeist« (des getöteten Gottes). Streiche widimmu AHw 1419b und ˙ Diskussion in TUAT III/4, 614. die 247. In der aB Fassung folgen hier noch die beiden Zeilen Tf. I 218-219, in denen die Anunnaki ihre Zustimmung zu Eas Vorschlag erteilen. 248. Der Text von Z. 103-104 ist offenbar leicht verderbt. Der geschlachtete Gott Alla ist aus Tf. I 42 als der Wortführer der meuternden Götter bekannt (vgl. auch Anm. 215). Das An-we-e der aB Version Tf. I 223 ist noch immer eine Crux. Vgl. dazu George / Ar-Rawi, aaO 149-150. 249. Verbinde zu i-te-esˇ-me, wörtlich »wurde immer wieder gehört«. 250. aB Tf. I 232: »rief sie die Anunnaki, die großen Götter«. 251. Auf den Lehm der Mama.

139

Karl Hecker

Die sehr fragmentierte Tafel IV aus Fach 1 D der Sippar-Bibliothek war den Bearbeitern unzugänglich; einige Informationen bieten George / Ar-Rawi, aaO 172: Z. 1 entspricht Tf. I 356 der aB Fassung, die Fangzeile (identisch mit Tf. V 1) ist gleich aB Tf. II ii 9’. Aus den erhaltenen Parallelzeilen der aB Fassung erschließt sich für die beiden spB Tafeln folgender Inhalt: Mammi vollendet den Schöpfungsvorgang und erhält den neuen Namen Be¯let-kala-ilı¯ (»Herrin aller Götter«) zum Dank dafür, daß nun statt der Götter die Menschen arbeiten müssen. Bei ihrer Arbeit produzieren diese aber so großen Lärm, daß Enlil sich im Schlaf gestört fühlt und die Menschheit zu reduzieren beschließt. Er schickt als erste von drei Plagen den Frost. Der leidenden Menschheit kommt der Gott Namtar (»Schicksal«) zur Hilfe, dem man auf Anraten des Atra-hası¯s-Mentors Ea bevorzugte Verehrung erwiesen hatte 252). Menschen und ˘ Lärm nehmen wieder zu, Enlil findet erneut keinen Schlaf und schickt die zweite Plage, den Hunger infolge von ausbleibender Felderbewässerung und dadurch hervorgerufenen Mißernten 253).

Tafel V Mus.-Nr. 124473 254), Grabungs-Nr. 21, aus Bibliotheksfach 6 A, Fotos: George / ArRawi, aaO Fig. 14-17. Vollständig erhaltene Tafel, die bei Tf. II ii 9 der aB Fassung einsetzt, bis in deren Kol. iv hinabführt und damit die großen Lücken des aB Textes schließt. Es ist wieder Ea, der über »seinen Diener« (Z. 2) Atra-hası¯s die Not der ver˘ hungernden Menschen beheben hilft. (1) Ea

tat seinen Mund auf wurde der Fall, eine Versammlung fand statt,

(2) und

(3) »Gehört

(4) die

(5) Die

(6) …

Ältesten … …… daß Herolde rufen,

sprach zu seinem Diener: Götter beschlossen einen Eid.

… … in der Beratung: =/= im Land die Stimme laut erheben: =/=

(7) »Befehlt,

(8) (und)

(9) ›Verehrt

(10) betet

(11) Den

(12) bringt

eure Götter nicht, Adad sucht, sein Tor,

(13) Röstmehl

möge ihm als Opfer zugehen, (15) morgens Nebel regnen lasse

=/= =/=

nicht zu euren Göttinnen! gebackenes Brot zu ihm,

=/= =/=

(14) auf daß er nachts heimlich Tau regnen, =/a 255) (16) und das Feld wie ein Dieb Zwillinge trage!« /a 256)

252. Zur Erinnerung: Ea ist der Gott der Weisheit, Atra-hası¯s bedeutet etwa »Der überaus Kluge«. 253. Die dritte Plage wird die Sintflut sein, von der Tf. III˘ der aB Fassung handelt. 254. So als Unterschrift zu den Fotos bei George / Ar-Rawi, aaO Fig. 14-17, auf S. 172 jedoch als IM 124483 bezeichnet. 255. Z. 14-15 (und Z. 30-31) sind gegenüber der aB Fassung stärker verändert: aB 14-15 (bzw. 2829) sind ganz weggefallen und aB 16 (bzw. 30) den Zz. 17-18 (31-32) nachgestellt. Z. 11-16 der spB »Kurzfassung« sind mit kleineren Varianten in einem neuassyrischen astrologischen Text zitiert (H. Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings [SAA VIII], 1992, Nr. 461 Rs. 1-4). 256. aB »wie ein Dieb (heimlich) neunfach trage«.

140

Texte aus Mesopotamien (17) Atra-hası¯s

nahm den Bescheid auf,

(19) Atra-hası¯s

tat seinen Mund auf

˘ ˘

(21) »Gehört

wurde der Fall, eine Versammlung fand statt, (23) Befehlt, daß Herolde rufen,

(18) er versammelte die Ältesten zu seinem Haus. (20) und sprach zu den Ältesten:

+/+ +/+

(22) die

+/+

Götter beschlossenen einen Eid.

(24) (und)

im Land laut die Stimme

erheben: (25) ›Verehrt

(26) betet

(27) Den

eure Götter nicht, Adad sucht, sein Tor,

(28) bringt

(29) Röstmehl

möge ihm als Opfer zugehen, (31) morgens Nebel regnen lasse

(33) Die

Ältesten hörten seine Rede,

(35) Röstmehl (37) morgens

ging ihm als Opfer zu:

Nebel regnen,

(30) auf

+/+ nicht zu euren Göttinnen! gebackenes Brot zu ihm,

+/+ +/+

daß er nachts heimlich Tau regnen, +/+

(32) und das Feld wie ein Dieb Zwillinge trage!‹« (34) Adads

+/+

Tempel in der Stadt bauten sie. +/=

(36) da ließ er nachts heimlich Tau regnen, (38) und das Feld trug wie ein Dieb Zwillinge.

=/a245 =/a246, 257)

(39) Ihre

guten Mienen kehrten zurück, (40) da entstand wieder ihr früherer Lärm. =/+ (42) der Frauenleib war geöffnet, Tage ihres Wohlbefindens kehrten zurück, erzeugte Kinder. +/+

(41) Die

(43) Es

vergingen keine dreitausend Jahre: (45) Das Land tönte laut wie ein Stier, (47) Enlil

setzte erneut seine Versammlung ein

(49) »Zu

schwer ist mir der Lärm der Menschheit geworden, (51) Befehlt, daß Anu und Adad oben Wache halten (53) Den Riegel, die Falle des Meeres,

(44) Das

Land wurde weit, die Menschen wurden viel. (46) vor ihrem Lärm waren die Götter in Furcht. (48) und sprach zu seinen göttlichen Söhnen:

a 258)/= +/+ +/+

(50) wegen

ihres Geschreis ergreift mich der Schlaf nicht. +/+ (52) (und) Sîn und Nergal die Erde in der Mitte bewachen! +/+ (54) bewache Ea zusammen mit seinen Geistern!« +/+

257. In der aB Fassung folgen noch Reste einer weiteren Zeile. 258. Die Zahl lautet wörtlich »drei sˇa¯r«, dabei ist ˇsa¯r (= 3600) das höchste akkad. Zahlwort. In der aB Fassung wird ein kürzerer Zeitraum von nur 1200 Jahren genannt.

141

Karl Hecker (55) Er

befahl, und Anu und Adad hielten oben Wache, (57) Den Riegel, die Falle des Meeres,

(56) Sîn

und Nergal bewachten die Erde in der Mitte. +/+ (58) bewachte Ea zusammen mit seinen Geistern. +/+

(59) Und (61) Ein

er, Atra-hası¯s, der Mensch, 259) (60) weinte täglich immer wieder. ˘ trug er hzui einer Weide am Fluß. Traumopfer

(62) Als

der Kanal ruhig war,

(64) Der

Schlaf kam bald 262),

=/= a 260)

(63) teilte

er die Nacht und brachte das Opfer dar. =/a 261) (65) da sprach er zu dem Kanal: =/a 263)

(66) »Der

Kanal nehme und der Fluß trage (es), (68) Ea sehe es und möge sich meiner erinnern,

(67) als Geschenk (gelange es) vor Ea, meinen Herrn! =/= (69) auf daß ich nachts einen Traum sehe!« =/=

(70) Nachdem

(71) saß

er den Kanal abgeschickt hatte, (72) […] der Mensch bei dem Fluß, (74) Ea

hörte sein Rufen,

er bei dem Fluß und weinte.

(73) (während) seine Gabe zum Apsû hinabging.

=/=

a 264)/=

(76) »Der

Mensch, dessen [Weinen] das ist: (78) Und fragt ihn und berichtet mir

die Geister] und sprach zu ihnen: =/=? (77) geht eiligst und bringt mir seinen Bescheid! =/= über die Lage seines Landes!« =/+

(79) Sie

(80) im

Hafen des Apsû [stellten sie sich hin] (81) und wiederholten Eas Bescheid dem Atra-hası¯s: ˘ (82) »Du, wer du auch bist, der da weint, (83) deine Gabe ging zum Apsû hinab. (84) Ea hörte dein Rufen, (85) uns, uns hat er zu dir geschickt!«

+/+ +/+

(86) »Wenn

+/+

(88) Sie

überquerten das weite Meer,

(75) [versammelte

Ea mich hörte,

antworteten ihm alsbald,

(87) warum (89) (und)

dann […]?«

sprachen zu Atra-hası¯s: ˘ (90) »Der Schlaf kam bald . (91) Der Kanal nahm und der Fluß trug (es), (92) als Geschenk wurde (es) dem Ea hingestellt.

+/+ +/+

+/+ +/+ +

259. Statt »Atra-hası¯s, der Mensch« liest das mittelbabylonische Fragment BE 36669/24a (LM 116 ˘ ası¯s, dessen Gott Ea ist«. (y)), 10 »Atra-h ˘ 260. aB »trug er morgens«. Die folgenden 8 Verse der aB Fassung (Kol. iii 7-14) läßt der SipparText aus. 261. aB wohl »opferte er im [der Nacht] sein [Opf]er«. 262. Lies ha-am!-tum? ˘ ˙ 263. aB »zum Fluß«. 264. aB II ii 27: »am Ufer […]«.

142

Texte aus Mesopotamien (93) Ea

sah es und erinnerte sich deiner,

(95) Er

warf sich nieder, küßte den Boden vor ihnen.

(94) uns,

uns hat er zu dir geschickt!«

+/+

Geister [kehrten] ins Meer [zurück].

+/+

(97) Ea

(98) und

+/+

(99) »Zu

(100) wie

tat seinen Mund auf, sprach Atra-hası¯s geh hinaus und ˘ ich sage, sag ihm, was

(96) Die

sagte zu seinem Wesir Usmû: folgt: ›Der Plan für das Land ist wie der Plan für die Menschen!‹«

(102) wie folgt: ›Der Plan für das Land ist Eas Wesir, sprach zu Atra-hası¯s wie der Plan für die Menschen! ˘ das Wasser es verläßt, wird (104) (Geringe Reste)« (103) Wenn das Korn die [Menschen] verlassen 265),

+/+

(101) Usmû,

+/+ +/+

(105) [Na]chdem

[… …] sie verlassen hat, (107) [Na]chdem … … […],

(106) ist das Land ist wie … […] niedergeworfen. +/+ (108) wurde das Land wie […] niedergelegt. +/+

(109) Oben

war der Euter des Himmels versiegelt, (111) Die schwarzen Felder wurden weiß,

(110) verschlossen

war unten, drum liefen die Wasser der Tiefe nicht. =/a 266) (112) auf der Weide kam kein Kraut heraus, Korn [wuchs] nicht. =/a 267)

(113) Im

(114) Im zweiten Jahr beendeten sie die Vorräte. (116) wurden infolge des Hungers ihre Gesichtszüge verändert.

ersten Jahr aßen sie das alte (Getreide). (115) Als das dritte Jahr herankam, (117) (Rest

=/= =/=

unlesbar.)

Legende der Abbildungen und Herkunftsnachweise 1. Tukultı¯-Ninurta-Epos, Textzeuge A-C, Rs.: nach W. G. Lambert, AfO 18, 39; 2. Trinkszene: R. M. Boehmer, Die Entwicklung der Glyptik während der Akkad-Zeit (UAVA 4), 1965, Abb. 682; 3. Ti’a¯mat: W. H. Ward, Seal Impressions of Western Asia, Washington DC 1910, Nr. 579; D. Collon, First Impressions, London 1987, 180 Nr. 850; 4. Usmû: A. Moortgat, Die Kunst des Alten Mesopotamien, Köln 1967, Abb. 191.

265. In Z. 103-108 ist alles ganz unsicher. Die Rede des Usmû dürfte mit Z. 104 enden. 266. aB »unten lief die Flut nicht aus dem Grundwasser«. Die folgenden drei Zeilen der aB Fassung sind hier ausgelassen. 267. aB ganz anders: »die Steppe dazwischen war voll Salz«.

143

II. Texte der Hethiter

Mythologische Texte in hethitischer Sprache Anna Bauer, Susanne Görke, Jürgen Lorenz & Elisabeth Rieken Der Hauptteil des aus den hethitischen Texten bekannten mythologischen Materials in hethitischer Sprache läßt sich im Wesentlichen zwei verschiedenen Traditionen zuordnen: Es handelt sich einerseits um Mythenstoffe, denen man einen einheimischanatolischen Ursprung zuschreibt, und andererseits um solche, deren Herkunft aus dem hurritischen Kulturbereich allein schon durch die Namen der Protagonisten und durch die Orte der Handlungen evident ist. Daneben findet man auch vereinzelt mesopotamische Mythen und solche nordsyrischer Herkunft, während bei anderen, nicht zuletzt aufgrund ihres nur sehr bruchstückhaften Zustands, der kulturelle Hintergrund nicht sicher zu bestimmen ist. Während die Mythenstoffe einheimisch-anatolischen Ursprungs immer im Kontext von Kulthandlungen belegt sind und damit im religiösen Leben der Hethiter eine zentrale Rolle gespielt haben, handelt es sich bei den meisten anderen Erzählungen, in denen Götter und übermenschliche Wesen die Hauptrollen einnehmen, um Literatur aus der Schultradition. In der folgenden Auswahl werden zuerst Texte der einheimisch-anatolischen Tradition vorgestellt. Es folgen zwei Textbeispiele aus dem sogenannten Kumarbi-Zyklus, dem ein Großteil der mythologischen Texte mit hurritischem kulturellen Hintergrund zuzurechnen ist. Den Abschluß bilden drei Texte, die sich keiner der eben genannten Kategorien zuordnen lassen.

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Anna Bauer, Susanne Görke, Jürgen Lorenz & Elisabeth Rieken

1. Einheimische anatolische Mythen 1.1 Der Drachenkampf oder »Illuyanka« (CTH 321)

Die Erzählung um den Drachenkampf oder die Schlange Illuyanka ist eng mit dem althethitischen purulli-Fest verbunden, einem alten Frühjahrsfest, das für das Wohl des Königs und des Landes gefeiert wurde. Sie kann als der Text des purulli-Festes tituliert werden; inwieweit die geschilderten Mythen innerhalb des Festes nachgespielt oder inszeniert wurden, ist unklar. Obwohl alle überlieferten Abschriften junghethitischen Ursprungs sind, weisen doch zahlreiche Archaismen im Text auf ein althethitisches Entstehungsdatum (siehe dazu zuletzt Hoffner 2007, 120 f.). Der Fundort des Haupttextes A (KBo 3.7) ist unbekannt, ebenso wie die Fundorte der Texte B (KUB 17.5), C (KUB 17.6) und E (KUB 36.54). Aus dem Bereich des großen Tempels I der Unterstadt von Hattusˇa stammen die Texte D (gejoint aus Text D1 KBo 34.33 und D2 KUB 12.66) und ˘H (H1 KBo 22.99 + H2 KBo 69.2). Die Texte F (KBo 12.83) und G (G1 KBo 12.84 (+) G2 KBo 13.84) wurden im Bereich des »Hauses am Hang« gefunden. Der Text besteht aus zwei Erzählungen: einer ersten (§§ 1-17), in der die Schlange nach ihrem Sieg über den Wettergott mit Hilfe der Göttin Inara und des Menschen Hupasˇiya überwältigt und getötet werden kann; einer zweiten (§§ 18’-25’), in der die ˘ Schlange nach einem neuerlichen Sieg über den Wettergott diesem Augen und Herz raubt. Mit Hilfe seines mit einer Sterblichen gezeugten Sohnes, der die Tochter der Schlange ehelicht, erhält er seine Körperteile wieder und kann dadurch die Schlange überwältigen. Beide Fassungen gehen auf den Priester Killa/Kella zurück und lassen rituelle Handlungen erkennen, die im Anschluß an die Erzählungen geschildert werden (§§ 16-17, 26’’-31’’). Unterschiedlich sind die Erzählsituationen der beiden Teile: Während der erste aufgrund mehrerer Nennungen von Ortsnamen im Gebiet nahe Nerik nördlich von Hattusˇa lokalisiert werden kann, ist im zweiten nur die Rede vom ˘ Spezifizierung. Außerdem lebt die Schlange im ersten Fall in »Meer« – ohne weitere einem Erdloch, während sie in der zweiten Erzählung aus dem Meer herbeikommt (siehe dazu zuletzt Hoffner 2007, 125). Zuletzt verwies A. Gilan darauf, daß die mythischen Erzählungen in keinem Zusammenhang mit den rituellen Passagen stehen und daß es sich also u. U. bei dem Text um eine Kompilation handeln könnte (Gilan 2011). Literatur: G. Beckman, The Anatolian Myth of Illuyanka, JANES 14, 1982, 11-25; F. Pecchioli Daddi / A. M. Polvani, La mitologia ittita, 1990, 39-55; G. Beckman, in: W. W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture I, 1997, 150 f.; H. A. Hoffner, Hittite Myths2, WAW 2, 1998, 10-14; V. Haas, Die hethitische Literatur: Texte, Stilistik, Motive, 2006, 97-103; H. A. Hoffner, A Brief Commentary on the Hittite Illuyanka Myth (CTH 321), in: Fs Biggs, AS 27, 2007, 119-140; A. Gilan, Das Huhn, das Ei und die Schlange. Mythos und Ritual im Illuyanka-Text, in: M. Hutter / S. Hutter-Braunsar, Hethitische Literatur. Überlieferungsprozesse, Textstrukturen, Ausdrucksformen und Nachwirken. Akten des Symposiums vom 18. bis 20. Februar 2010 in Bonn, AOAT 391, 2011, 99-114; E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 321.

146

Texte der Hethiter

§ 1 (A Vs. I 1-7) [Folg]endermaßen Kill[a, der GUDU12-Priester] des Wettergottes von Nerik, für die [ … ] des W[ettergottes] des Himmels [ … ] (ist es) der Text des purulli. 1) Wenn man folgendermaßen spricht: 2) »Das Land soll wachsen (und) gedeihen. Das Land soll geschützt sein.«, und wenn es wächst (und) gedeiht, feiert man das purulliFest. § 2 (A Vs. I 9-11) Als der Wettergott und die Schlange 3) in der Stadt Kisˇkilusˇsˇa kämpften, besiegte die Schlange den Wettergott. § 3 (A Vs. I 12-14) Der Wettergott aber flehte al[l]e Götter an: »Tre[t]et herein zu mir!« Und Inara bereitete für sich ein Fest. § 4 (A Vs. I 15-18) Sie bereitete alles groß vor: Fässer mit Wein, Fässer mit marnuwant-Bier, Fässer mit [wa]lhi-Bier. 4) In den Fässern sc[haffte] sie Ü[be]rfluß. § 5 (A Vs. I 19-20) Inara ging ˘ [in die Stadt Z]iggaratta. Sie traf (dort) den Menschen Hupasˇiya an. § 6 (A Vs. I 21-23) Folgendermaßen (sprach) Inara zu Hupasˇiya: 5) »Ich mache˘ gerade diese und jene Sache, hilf auch du mir dabei.« § 7 (A Vs.˘ I 24-26) Folgendermaßen (sprach) Hupasˇiya zu Inara: ˘ »Wenn ich mit dir schlaf[e], [d]ann werde ich deinen Wunsch erfüllen.« [Und] e[r] (B Vs. I 3’-8’) Inara [s]chaffte Hupasˇ[iya] hin und versteckte ihn. Inara richschlief mit ihr. § 8 tete sich her. Sie rief die Schlang[e] aus der˘Grube nach oben: »Ich feiere hier ein Fest. Komm zum Essen und zum Trinken!« § 9 (B Vs. I 9’-12’) Die Schlange kam zusammen mit [ihren Kindern] nach oben. Sie aßen (und) trank[en]. Sie tra[nken] (etwas) jedes Fasses 6) und stillten ihren Durst. § 10 (B Vs. I 13’-18’) Dann wollten sie nicht zurück hinunter in die Gruben gehen. Hupasˇiya kam. Er fesselte die Schlange mit einem Seil. Der Wettergott kam und ˘tötete die Schla[ng]e. Die Götter aber waren bei ihm. § 11 (C Vs. I 14’-22’) Inara baute sich ein Haus auf einem Fels im Land der Stadt Tarukki und siedelte Hupasˇiya im Haus an. Inara gebot ihm: »Wenn ich auf das Feld gehe, sieh du aber nicht˘ aus dem Fenster! Wenn du aber hinaus schaust, wirs[t] du deine Frau (und) deine Kinder sehen.« § 12 (C Vs. I 23’-24’) Als zwanzig Tage vergangen waren, spähte jener aber aus dem Fens[ter], und er [sah] seine Frau (und) [seine] Kinder. § 13 (C Vs. I 25’-27’) [A]ls Inara vom Feld zurück kam, begann jener zu klagen: »Laß mich [zu]rück nach Hause!« § 14 (A Vs. II 9’-14’) [Folgender]maßen (sprach) Ina[ra zu Hupasˇiya … ? ]: »Fort [ … ].« [ … ] mit Verfehlung [ … ]. Die W[ie]se des Wettergottes˘[ … ] jener. Und ihn [ … ]. § 15 (A Vs. II 15’-20’) Inara [kam] in die Stadt Kisˇkil[usˇsˇa]. Und wie sie ihr Haus [und den Fluß?] der Flut [in?] die Hand des Königs legte, – weil wir das e[r]ste purull[i]-Fest feiern – [wird] die Hand [des Königs aber das Haus?] der Inara und den Fluß? der Flut [halten?]. 7) § 16 (A Vs. II 21’-24’) Der Berg Zaliyanu (ist) der er[ste] unter allen. 1.

2. 3. 4. 5. 6. 7.

Vgl. eine andere Übersetzung nach Güterbock: »Thus says Killa: the words of the purulli festival of the Storm-god of Nerik, [the son of] the Storm-god of heaven (are as follows).« Siehe dazu Hoffner 2007, 130. Beckman 1997, 150, übersetzt: »(This is) the text of the purulli (festival) for the [ … ] of the Storm-god of Heaven, according to Kella, [the »anointed priest«] of the Storm-god of (the town of) Nerik.« In Exemplar F fehlen nu ma¯n, so daß eventuell von einer Übersetzung »die Angelegenheit des purulli spricht man folgendermaßen« auszugehen ist. Hier und im Folgenden nicht als Eigenname übersetzt, vgl. J. Katz, Fs Watkins 1998, 318 und bes. 324. Zur Übersetzung mit Plural siehe Hoffner 2007, 132. Oder als Vokativ aufzufassen, vgl. Hoffner 2007, 133. So nach H. C. Melchert, Rez. zu D. Yoshida, Die Syntax des althethitischen substantivischen Genitivs, Kratylos 34 (1989) 182, Hoffner 2007, 134, und H. A. Hoffner / H. C. Melchert, A Grammar of the Hittite Language, 2008, 255. Die Übersetzung folgt weitgehend Beckman 1997, 150; vgl. Hoffner 2007, 136 f.

147

Anna Bauer, Susanne Görke, Jürgen Lorenz & Elisabeth Rieken

Wenn der Regen in Nerik strömt, 8) (dann) schafft der [H]erold aus Nerik Dickbrot herbei. § 17 (A Vs. II 25’-30’) Vom Berg Za[liyan]u forderte er Regen. Er brachte ihm [das Dick]brot herbei. Er legt es a[uf … ]. [Und] ihn [ … ]t er. [Und] er [ … ]t. [ … ] (Textlücke). § 18’ (D2 Rs. III 1’) [ … ] § 19’ (D2 Rs. III 2’-5’) Weil/was er/sie [aber … 9) ] sagt[e]. Die Sc[hlange] besiegte den [Wettergott]. Sie nahm H[erz und Augen]. [Auch] der Wettergott [fürchtete 10) ] sie [ … ]. § 20’ (A Rs. III 4’-8’) Er nahm die Tochter eines Armen zu seiner Frau und zeugte einen Sohn. Als (d)er aber groß geworden war, nahm er sich eine Tochter der Schlange zur Ehe(frau). § 21’ (A Rs. III 9’-12’) Der Wettergott instruierte den Sohn: »Wenn du zum Haus deiner Frau gehst, verlange von ihnen Herz und Augen.« § 22’ (A Rs. III 13’-19’) Als er aber ging, verlangte er von ihnen das Herz, und sie gaben es ihm. Später aber verlangte er von ihnen die Augen. Sie gaben ihm auch jene. Er brachte sie zum Wettergott, seinem Vater. Der Wettergott nahm sich das Herz und seine Augen zurück. § 23’ (A Rs. III 20’-28’) Als er in (bezug auf) seinen Körper wieder wie früher gesund war, 11) ging er nochmals ans Meer zum Kam[p]f. Als er sich mit ihr (d. h. der Schlange) einen Kampf lieferte und darüber hinaus begann, sie, die Schlang[e], zu besiegen, (war) auch der Sohn des Wettergottes bei der Schlange und rief hinauf in den Himmel zu seinem Vater: § 24’ (A Rs. III 29’-33’) »Nimm mich auch dazu! 12) Schone mich nicht!« Der Wettergott tötete die Schlang[e] und seinen 13) Sohn. Und hier [ … ] jener, der Wettergott. § 25’ (A Rs. III 34’-35’) Folgendermaßen (spricht) Kell[a, der GUDU12-Priester des Wettergottes von Nerik]: »Wenn die Gött[er … ]« (Textlücke). § 26’’ (D2 Rs. IV 1’-4’) [F]ür den GUDU12-Priester machte man die [ers]ten Götte[r] zu den [let]zten, und die [let]zten machte man zu den ersten Göttern. § 27’’ (D2 Rs. IV 5’-7’) Des Zaliyanu kultische Gabe (ist) groß. Des Zaliyanu Frau aber, Zasˇhapuna, ist größer als ˘ die Götter zu der Wettergott von Nerik. § 28’’ (A Rs. IV 4’-7’) Folgendermaßen (sprechen) dem GUDU12-Priester Tahpurili: »Wenn wir zum Wettergott von Nerik gehen, wo setzen wir uns hin?« § 29’’ (A˘ Rs. IV 8’-13’) Folgendermaßen (spricht) der GUDU12-Priester Tahpurili: »Wenn ihr auf dem Stuhl aus Basalt 14) sitzt (und) wenn die GUDU12-Priester das˘ Los werfen, wird der GUDU12-Priester, welcher Zaliyanu halten wird, – über der Quelle steht ein Stuhl aus Basalt – dort sitzen.« § 30’’ (A Rs. IV 14’-17’) Alle Götter werden ankommen und für sich das Los werfen. Von allen Göttern der Stadt Kasˇtama (ist) Zasˇhapuna die größte. § 31’’ (A Rs. IV 18’-23’) Weil sie aber Zaliyanus Frau (ist und) Taz˘ ˇi seine Konkubine, bleiben diese drei Personen in der Stadt Tanipiya.« In Tanipiya zuwas 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

148

Vgl. dazu H. Eichner, Zur hethitischen Etymologie (1. isˇtark- und isˇtarnik-, 2. ark-; 3. ˇsesˇd-), in: Gs Kronasser, 1982, 18: hinik- »regnen«. Anders Hoffner 2007, 137 mit weiteren Literaturhinweisen. Zu einer Ergänzung [Kella, the »anointed priest«] siehe Beckman 1997, 150. So nach Hoffner 1998, 13. Wörtlich: »Als er in seinem Körper wieder zum früheren Zustand zurück gesundet war«; vgl. CHD L-N, 53a. Nach Hoffner 2007, 138. Vgl. E. Rieken, Die hethitische »Ortsbezugspartikel« -apa, in: Th. Poschenrieder (Hg.), Die Indogermanistik und ihre Anrainer, 2004, 255: »Ergreife auch mich gleichermaßen!« Vgl. zur Frage des Bezugs (Sohn des Wettergottes oder der Schlange) Hoffner 2007, 139. Vgl. Hoffner 2007, 140, mit Literaturhinweisen zu den unterschiedlichen Übersetzungen mit »Basalt« oder »Diorit«.

Texte der Hethiter

(ist) ein Feld vom König zurückgegeben. § 32’’ (A Rs. IV 24’-28’) Ein Feld (von) sechs kapunu, 15) ein We[in]garten (von) einem kapunu, ein Haus und eine Tenne, drei Häuser (für) das Gesinde. [Auf] einer Tafel aber ist es (festgehalten). Und ich habe in der An[gelegenh]eit? Ehrfurcht. Ich habe diese (Worte) gesprochen. § 33’’ (A Rs. IV 29’-33’) Erste Tafel der Worte Kellas, des GUDU12-Priesters, vollend[et]. Pihaziti, [der Schreiber?], schrieb ˘ (sie) vor Walwaziti?, dem Obersch[reib]er.

1.2 Telipinu und die Tochter des Meeres (CTH 322.1)

Die Textgruppe »Telipinu und die Tochter des Meeres« (CTH 322) gehört zu der Gruppe der anatolischen Mythen aus Hattusˇa. ˘ ist in zwei Textvertretern überliefert: KUB Der hier vorgestellte Text (CTH 322.1) 12.60 (Text A), eine junghethitische Niederschrift des 13. Jh., deren Fundort unbekannt ist, sowie KUB 33.81 (Text B), eine mittelhethitische Niederschrift, die aus einem Sekundärkontext im Bereich von Gebäude C auf der Königsburg Büyükkale stammt. Darüber hinaus dürfte der Text Gurney 4 dem Ensemble angehören, in dem in sehr fragmentarischem Kontext Schafe, die sich auf die im unten vorgestellten Text erwähnten »1000 Schafe« beziehen könnten, sowie Telipinu und das Meer erwähnt werden (siehe zu dem Text zuletzt E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 322.4). Auch in KBo 26.128 wird in ausgesprochen fragmentarischem Kontext Telipinu sowie das Meer erwähnt (siehe zu dem Text zuletzt E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 322.3); nähere Aussagen zu Inhalt oder Zusammenhang sind bislang allerdings nicht möglich. Darüber hinaus weist Text B auf der Rückseite eine Passage auf, die an ein Ritual erinnert. In ihr werden Gegenstände für eine Opferung an Telipinu (nach Mazoyer 2003, 204) genannt, die auf ein Besänftigungsritual (nach Haas 2006, 115 Anm. 28) hinweisen. Literatur: F. Pecchioli Daddi / A. M. Polvani, La mitologia ittita, 1990, 87-89; A. Ünal, TUAT III/4, 1994, 812 f. (mit Lit.); H. A. Hoffner, Hittite Myths2, WAW 2, 1998, 26 f.; M. Mazoyer, Télipinu, le dieu au marécage: essai sur les mythes fondateurs du royaume hittite, Collection Kubaba: Série Antiquité 2, 2003, 205 ff.; V. Haas, Die hethitische Literatur: Texte, Stilistik, Motive, 2006, 115-117; E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 322.1.

§ 1 (A Vs. I 1) Früher, als das große Me[er … ], (A Vs. I 2) und Himmel (und) Erde (und) [die] Mensch[en? … ]. (A Vs. I 3-4) Es (i. e. das Meer) suchte Streit und brachte ihn[, den Sonnengott des Himmels], hinab und [versteckte] ihn. § 2 (A Vs. I 5-7) Im Land [wird?] es schlecht, es [v]erdunkelt sich, 16) und niemand widerste[ht dem] Mee[r]. (A Vs. I 7-8) [Der Wettergott rief Telipinu, seinen g]uten, erst[en Sohn]: § 3 (A Vs. I 9-10) »Auf, Telipinu! Ge[h] du [ … ] zum [M]eer. B[ring] den Sonnengott des [Him]mels [aus dem] Meer [zurü]ck.« § 4 (A Vs. I 11) Telipinu ging zum Meer. (A Vs. I 11-13) [Das Meer] fürchtete sich [vor 15. 16.

Ein Flächenmaß, s. RlA 7, 1987-1990, s. v. »Maße und Gewichte«, 522b. Vgl. dazu CHD L-N, 394b; anders Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 88 mit Anm. 2 (»umkommen«).

149

Anna Bauer, Susanne Görke, Jürgen Lorenz & Elisabeth Rieken

ihm] und [gab] ihm [seine] Tochter. Auch den Sonnengott gab es ihm. (A Vs. I 13-15) Telipin[u brachte den Sonnengott] und die Tochter des Meeres aus dem Meer zur[ück] und br[achte?] sie zum Wettergott. 17) § 5 (A Vs. I 16) Das Meer schickte (Folgendes) an den Wettergott: (A Vs. I 16-19) »Telipin[u], dein Sohn, [nahm sich] meine Tochter zur Frau und führte sie mit sich. [Was] wirst Du mir aber geben?« (A Vs. I 19) Der Wettergott sagte zu Hannahanna: (A Vs. I 19-21) »[ … ] kam ein Fluß? vom Meer [ … ] 18) (und) ver˘ Brautpreis ˘ langte [einen … ]. Soll ich ihn ihm geben? (Was,) wenn ich (ihn) ihm nicht ge[be]?« § 6 (A Vs. I 22) Folgendermaßen (sprach) Hannahanna zum Wettergott: »Gib ˘ ˘ … ] [u]nd ga[b] ihm alles (ihn) ihm.« (A Vs. I 22-25) Hier [ … ] nahm [ … ] zur Braut, dies[im Tausend: 19) Er gab [ihm einta]usend Rinder (und) eintausend Schafe. [ … ] § 7 (A Vs. I 26-27) [ … ] seine Brüder [ … ] (Textlücke). ˇ § 8’ (B Rs. IV 1’) [ … ] § 9’ (B Rs. IV 2’-12’) [Di]es aber [ … ] des [ … ] der/den GISisˇha¯uwar˘ ein Gegenstand [ … Er] nah[m?] ein Joch (und) einen Pflug. Gekochte [ … ], Wachs, [ … ], Lab, ein Käse, zwei [ … ], acht Speisen, Honig, parhu[ena- … ], eine Feige, eine Oli[ve] zusammen mit [ … ], Einkorn, Feuerhol[z? … ], ˘Schaffett, eingeritztes [ … ], alanza-Holz, [ … ]-Holz [ … ] (Der Text bricht ab.)

1.3 Vom Verschwinden und der Wiederkehr der Sonnengottheit (CTH 323.1)

Auch die Textgruppe »Vom Verschwinden und der Wiederkehr der Sonnengottheit« (CTH 323) gehört zu der Gruppe der anatolischen Mythen aus Hattusˇa. Dabei ist wie ˘ für CTH 322 feststellbar, daß die Erzählung in ein Ritual eingebettet gewesen sein dürfte. Der folgende Text enthält demnach die mythologische Erzählung in den §§ 1’-12’’, darauf folgt der rituelle Teil (§§ 13’’-22’’), in dem eine Beschwörerin sowie ein Gottesherr Opferungen für den Sonnengott sowie für Telipinu ausführen, die mit einer Liste der notwendigen Materialien beginnen. Zu bemerken bleibt, daß auch dieser Text nicht vollständig überliefert ist; neben dem Beginn und dem Ende fehlt ein Teil aus der Mitte, der ebenso umfangreich gewesen sein dürfte wie der erhaltene Abschnitt. Grundlage für die vorliegende Übersetzung bilden zwei Textvertreter: VBoT 58 (Text A), eine junghethitische Niederschrift, die aus Yozgat in der Nähe der hethitischen Hauptstadt stammen soll, sowie KUB 36.44 + KUB 53.20 (Text B), eine mittel17.

18. 19.

150

Siehe dazu H. A. Hoffner / H. C. Melchert, A Grammar of the Hittite Language, 2008, 299, und Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 89. Vgl. die abweichenden Übersetzungen von Haas 2006: »Und Tarhun(ta) br[achte] sie (die Tochter und den Telipinu) fort.«; Hoffner 1998, 26: »and the Storm God [kept] them with himself.«. Haas 2006, 116: »ein [Bote] kam vom Meer.«; vgl. die Diskussion bei Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 89 mit Anm. 3 und 4. Die Konstruktion ist unklar (vgl. dazu Hoffner 1998, 26). Vgl. zur Übersetzung H. G. Güterbock, Ist das hethitische Wort für »Frau« gefunden?, Historische Sprachforschung 105 (1992), 1-3. Neu 1990, 208 ff., erwägt für kuinnasˇsˇan einen Beleg für die syllabische Schreibung des hethitischen Wortes für »Frau« und übersetzt: »Und von ihm (d. h. dem Meer), [forderte er (d. h. Telipinu)] seine Frau (zusammen mit) tausend P.« Mazoyer 2003, 209, folgt Neu und übersetzt: »Et à lui, pour sa femme il don[na] mille (présents).« Ähnlich Haas 2006, 116. Hoffner 1998, 27: »So (the Storm God) gave to him a thousand of each.«. Ähnlich Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 89.

Texte der Hethiter

hethitische Niederschrift, deren genauer Fundort innerhalb der hethitischen Hauptstadt unbekannt ist. Im Gegensatz zu anderen mythologischen Erzählungen, die sich thematisch mit dem Verschwinden einer Gottheit, den Auswirkungen dieses Verschwindens sowie den Bemühungen anderer Götter um die Rückkehr des verschwundenen Gottes beschäftigen, nennt der vorliegende Text offensichtlich nicht den Zorn einer Gottheit als Grund für ihr Verschwinden (wie z. B. der Telipinu-Mythos CTH 324.1). Wenngleich der Beginn des Textes nicht erhalten und der Zusammenhang der ersten Zeilen unklar ist, scheint ein Streit zwischen einer – an dieser Stelle nicht namentlich erhaltenen/ genannten – Gottheit und dem Wettergott Ursache des Verschwindens des Sonnengottes zu sein, wenn nicht sogar von einer Entführung des Sonnengottes geredet werden kann (vgl. auch CTH 322.1 – Telipinu und die Tochter des Meeres). Aufenthaltsort des Sonnengottes scheint das Meer zu sein, dessen Tochter den Wettergott – hier als Vater des Sonnengottes – dazu auffordert, seine Söhne ihre Macht und Stärke demonstrieren zu lassen. Die Auswirkung des Verschwindens des Sonnengottes ist eine allgemeine Erstarrung, die das Land und alles Leben lähmt. So sendet der Wettergott verschiedene Götter aus, den Sonnengott zu suchen und zu finden. Sie werden aber alle – zumindest innerhalb des erhaltenen Textteils – ebenfalls von der Starre gelähmt. Geschildert wird das Geschehen mithilfe direkter Reden, deren Sprecher nicht immer klar benannt werden. Die Auffindung des Sonnengottes ist nicht erhalten und die mugawar-Anrufung des Sonnengottes und Telipinus endet mit der Beschwörung einer annanna-Frau und einem Dialog zwischen Sonnengott und Muttergöttin, bevor das oben bereits erwähnte Opferritual beschrieben wird. Literatur: F. Pecchioli Daddi / A. M. Polvani, La mitologia ittita, 1990, 57-71; H. A. Hoffner, Hittite Myths2, WAW 2, 1998, 27 f.; D. Groddek, Die rituelle Behandlung des verschwundenen Sonnengottes (CTH 323), in: Fs Popko 2002, 119-131; V. Haas, Die hethitische Literatur: Texte, Stilistik, Motive, 2006, 117-120; E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 323.1.

§ 1’ (B Vs. I 1’-4’) [ … ] mein [ … sp]richt [ … ]. Als [ … zu]m Wettergott [ … ] der [m]ächtige Sonnengott, sein So[hn … ]. Wenn sich [ … ], soll dein warsˇula- 20) an m[i]r/ für mich sichtbar werden. § 2’ (B Vs. I 5’-6’) »Ich werde den [Sonnen]gott? ergreifen und ihn verbergen. Was wird er machen, der Wettergott? [ … ]e ich.« (B Vs. I 6’-7’) Als sie begannen, sich zu rühmen, rief die Tochter des Meeres aber aus dem [Himme]l (hinab), und das Meer hört[e] sie. (B Vs. I 7’) Das Meer setzte sich die Kanne [ … ] auf seine Schulter?. 21) (B Vs. I 8’-10’) »Wohin der Sonnengott fällt, sei es auf einen [ … ], in eine Flamme, in einen Baum (oder) in ein Gestrüpp, wird [ … ] gelöscht?.« 22) § 3’ (B Vs. I 11’) [Das Me]er spricht zum Sonnengott: »Dies (ist es), was [ … ] dir [ … ].« 20. 21. 22.

Zur Bedeutung warsˇula- »Duft« siehe zuletzt A. Kloekhorst, Etymological Dictionary of the Hittite Inherited Lexicon, 2008, 975-978. HED 3, 22; vgl. die Diskussion bei H. C. Melchert, Hittite antaka- »loins« and an Overlooked Myth about Fire, in: Fs Hoffner, 2003, 286 f., der auf eine mögliche Bedeutung »Hüfte, Oberschenkel« aufmerksam macht. Die Übersetzung dieses Ausdrucks variiert in der Literatur: Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 64: »[tutto] rimarrà paralizzato!« mit Verweis auf HED 1, 354 f.; Hoffner 1998, 27: »[ … ] will be caught in a net(?).«; Haas 2006, 117: »er wird verlöschen!«.

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Anna Bauer, Susanne Görke, Jürgen Lorenz & Elisabeth Rieken (B Vs. I 12’-14’) Der

Sonnengott ging [ … ] zur Lende des Meeres, 23) und er verschloß die Ka[nne … mit] Wachs. Oben aber [legte er] außerdem einen kupfernen Deck[el? auf und sp]rach: (B Vs. I 14’-15’) »Seid gepriesen, 24) solange b[is … ]t.« (B Vs. I 15’-17’) Das Meer aber [ … ] seiner Tochter. Die [schö]ne/[al]te 25) Frau [ … ] zum Wettergott: »[Wel]ches Wunder vollbring[en sie … ] Berg? § 4’ (A Vs. I 2’) [ … ] deine Söhne [ … ].« (A Vs. I 3’-7’) Der Wettergott sa[gte] zu seiner Frau: »[ … ] Sag es mir! [ … ] meine [Söh]ne. Wenn ein Mann getötet (ist), machen sie [ihn? w]ied[er? lebendig]? [Wenn ein R]ind (oder) ein Schaf getötet (ist), mach[en sie] es wieder lebendig? [Und] welches Wunder vollbringen [dei]ne Söhne?« (A Vs. I 7’-9’) St[arre] 26) lähmte das ganze Land. Die Gewässer ließ sie vertrocknen. Die Starre (ist) mächtig! (A Vs. I 9’-11’) Er (i. e. der Wettergott) spricht zum Wind, seinem Bruder: »Der Berge Gewässer, die Gärten, die Wie[s]e, dein [w]arsˇula- soll gehen! Sie (i. e. die Starre) soll sie nicht lähmen! 27) § 5’ (A Vs I 12’-15’) Sie läh[mte] Pflanzen, Länder, Rinder, Schafe, Hunde (und) Schweine. Die Kinder in ihren Herzen (und) das Getreide lähmt sie [nic]ht. 28) Wenn [sie] sie l[ähmt], hält drinnen der T[a]lg (sie) aber. [ …? ] und sie lähmt sie nicht, wie [sie] alles [gelähmt hatte].« (A Vs. I 16’) Jener aber (i. e. wohl der Wind) ging (und) sprach zum Wettergott: »Dies (ist), was gesch[ah]!« (A Vs. I 17’-19’) Diese Starre da [ … ] spricht zu ihrem Vater (und) ihrer Mutter: »Ihr verspeist (und) trinkt dies; kümmert euch aber um nichts.« (A Vs. I 19’-20’) Der Schäfer (und) der Rinderhirt [ … ]. Die (i. e. die Starre) aber lähmte das Land. Der Wettergott aber merk[t] (es) nicht. § 6’ (A Vs. I 21’-22’) Der Wettergott sandte zum Sonnengott: »Geht (und) bring[t] den Sonnengott!« Sie [gi]ngen. Sie suchen den Sonnengott und find[en] ihn nicht. (A Vs. I 23’-25’) Der Wettergott aber spricht: »Und warum habt [ihr] ihn nicht gefund[en]? Meine Glieder [h]ier werden heiß. Wann ging er [hi]er zu Grunde?« (A Vs. I 25’-28’) Er schickte den Zababa: »G[e]h (und) bring den Sonnengott!« Und den Zababa ergriff die Starre. »[Ge]ht (und) ruft die Schutzgottheit! 29) Wird sie auch sie lähmen? Ist sie [nic]ht ein Kind des Feldes?« Und auch die ergr[iff] die Starre. (A Vs. I 29’-31’) »[G]e[h]t (und) ruft Telipinu (herbei)! 30) Der (ist) mein [mäc]htiger Sohn. Er reißt (die Erde) auf, pflügt, leitet das Wasser um, und das Getreide befreit er von kleinen Steinen [ … ].« Und auch den hält die Starre. § 7’ (A Vs. I 32’-33’) »[Geht] (und) ruft die Schicksalsgöttin und Hannahanna! Wenn jene ˘ ˘ 23.

24. 25. 26. 27. 28.

29. 30.

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Zu einer Diskussion von antaka- »Lende« siehe Melchert 2003. Zu weiteren Übersetzungen mit »Raum, Gemach« siehe Hoffner 1998, 27; Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 64; Haas 2006, 117; G. C. Moore, The Disappearing Deity Motif in Hittite Texts: A Study in Religious History, 1975, 165; CHD P, 21b. Oder Präteritum, siehe dazu bereits E. Neu, Interpretation der hethitischen mediopassiven Verbalformen, StBoT 5, 1968, 188 Anm. 2. Siehe die Diskussion der Vorschläge bei Haas 2006, 118. Im Sinne der Erstarrung aufgrund von Trockenheit; vgl. HED 3, 8, und Kloekhorst 2008, 693. Vgl. abweichende Übersetzungen von Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 64 f.; Hoffner 1998, 27; Haas 2006, 118. Vgl. auch HEG III, 375. Die Stelle ist umstritten – siehe H. A. Hoffner / H. C. Melchert, A Grammar of the Hittite Language, 2008, 131 mit Anm. 236, und die verschiedenen Übersetzungen von Haas, Hoffner und Pecchioli Daddi / Polvani. Vgl. Moore 1975, 166; M. Mazoyer, Télipinu, le dieu au marécage: essai sur les mythes fondateurs du royaume hittite, Collection Kubaba: Série Antiquité 2, 2003, 178. Dies sagt wohl erneut der Wettergott. Dies sagt wohl erneut der Wettergott.

Texte der Hethiter

star[ben], starben auch [di]ese vollen[ds].« (A Vs. I 33’-38’) Auch zu seinem (i. e. des Wettergottes) Tor [kam] die Starre. 31) [Die St]arre spricht zum [Wet]tergott: »Die[se] schickst du immer wieder, die [ … ] 32) und alle starben. Du (kannst) diesen Becher [nicht m]ehr halten. 33) Seine, des Hasˇamili Brüder (sind seine) [Halbbr]üder, und die ˘ (A Vs. I 38’-41’) Der Wettergott [sprich]t zur Starre: Starre ergriff sie nicht.« [ … ] rief sie. »Meine Hand (ist) am Becher festgekl[ebt], meine [Füße] haben sich festgeklebt. Wenn du auch diese Füße und Händ[e ergreifst], ergreife meine Augen nicht!« § 8’ (A Vs. I 42’-46’) [Die Starre] spricht zum Wettergott: »Du siehst [ … ] meinen Kindern [ … ]. 34) Ich werde hinauf in den Himmel gehen. Belebe [die Hände] (und) die Füße!« [ …]t. [ … ] (Textlücke). § 9’’ (A Rs. IV 1-3) [ … ] wandte er/sie [ … ]. Den Mondgott aber schleuderte er/sie. 35) [ … ] warf das [ … ] des Stadttores um. Die alten Männer (und) die alten Frauen [ …]en [ … ], und ich bin auch eine annanna-Frau. 36) § 10’’ (A Rs. IV 4-7) Ich x-te 37) [ … ] mit [lin]ks, und ich nahm sie nicht. Mit rechts aber x-te ich [ … ] und die Worte der Götter n[ah]m ich wieder. Ich schüttete sie [ … ]. Mein Mund (und) mein Kopf (sind) der Riegel, 38) [ … ] aber (ist) das isˇgarakka-. Ich stellte sie darauf. [ … ] Kop[f? … ] § 11’’ (A Rs. IV 8-10) Die Worte der [Göt]ter habe ich in keiner Weise zunichte gemacht. Falls Telipinu aber irgendjemandem zur Last wird, werde ich aber die Wo[rte] der Götter [spre]chen und ihn anrufen. (A Rs. IV 10-11) Der Sonnengott aber spricht: »Die Worte der Götter [sollen] gehen! Meine [Zute]ilung aber, wie (ist sie)?« (A Rs. IV 11-12) Die Muttergöttin (spricht) folgendermaßen: »Wen[n] du, Sonnengott, jemandem Gutes [gib]st, soll er aber dir neun (Schafe) geben. Wer ein Armer (ist), soll dir ein Schaf geben.« § 12’’ (A Rs. IV 13) (Tafel) der Anrufung des [Sonne]ngottes? und des Telipinu, fertig. § 13’’ (A Rs. IV 14-20) Die [Zuteil]ung (ist) dies: Eine Kanne aus Bronze und ihr Deckel aus Bronze, [ … aus B]ronze (sind) jeweils auf den Deckel gelegt, eine Tür aus Bro[nze], ein [arimp]a- 39) aus Bronze, zwei Fenster aus Bronze, ein Pflock aus Bronze, ein Spaten aus Bron[ze, ein Hammer aus B]ronze, ein Zweig der ippiya-Pflanze, 40) ein Zweig [ … ], ein kleiner Ständer aus sˇunila-Holz, Wachs, Räucher[substanz, … ], drei Kannen? mit

31. 32. 33. 34. 35. 36. 37.

38. 39. 40.

Vgl. zu anderen Bezügen die bislang genannten Übersetzungen. Vgl. teilweise andere Übersetzungen bei Hoffner 1998, 28; Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 66; Moore 1975, 168. Vgl. zu anderen Interpretationen dieser Verbalform die bislang genannten Übersetzungen. Die Übersetzung dieses Ausdrucks variiert in der Literatur: Haas 2006, 119: »Du wirst deine Kinder sehen.«; Hoffner 1998, 28: »You will look at your children.«; Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 67: »Vedi i vostri figli?«. Der Sinn ist unklar. Unklar. Haas 2006, 119, interpretiert annanna- als »Großmutter«; Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 68 mit Anm. 25, verstehen es als Eigennamen einer Beschwörerin. Die Interpretation dieser Verbalform ist unsicher. Moore 1975, 169 mit Anm. 22, stellt es zu ausˇ- »sehen« und übersetzt: »On [the left] I saw« mit Anm. zur Außergewöhnlichkeit der Form; Mazoyer 2003, 169, 180, liest: [ … -sˇ]a-li-it ah-ha-ti »… la réponse de l’oracle(?), je ˘ ˘ ne l’ai pas pris et avec la droite … la réponse de l’oracle(?), et je l’[ai pr]is«; Hoffner 1998, 28, läßt es unübersetzt, während Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 68 mit Anm. 26, und Haas 2006, 119 es als »verhexen« verstehen (mit einer Lesung/Interpretation UH7 für uh?). ˘ ˘ Anders Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 68 mit Anm. 28. Groddek 2002, 126-128, schlägt »Stütze, Säule (o. ä.)« vor. Nach Groddek 2002, 124, »Weinrebe«.

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Anna Bauer, Susanne Görke, Jürgen Lorenz & Elisabeth Rieken

Wasser [v]on drei Quellen. Alle[s …]en sie [ … ] und ihre drei puri-Holzobjekte. 41) § 14’’ (A Rs. IV 21-24) [ … ] großes Dic[kbrot], ein Gefäß Wein, ein Gefäß marnuwan, 42) ein Gefäß honighaltiges Bier, ein Gefäß hon[ighaltiger] Wein, [ein Becher Fein]öl, ein Becher Honig, ein Becher Schaffett, weiße Wolle, blaue Wolle, rote Wolle, grünge[lbe] Wolle, [schwarze Wolle, Wol]lschnur, ausgesuchtes Erstklassiges: sˇahi-Holz, [happur]iya-Holz, ˘ folgenderSüßrohr. Sie bespreng[t] sie mit Feinöl. § 15’’ (A Rs. IV 25-28) [ …˘ ] aber st[ellt] maßen im Haus zwei Tische ans Fenster: Überall legt sie ein Dickbrot darauf. Auf den einen Tisch legt sie diese Utensilien: Eine Kanne aus Br[on]ze zusammen mit (ihrem) Deckel, die Tür aus B[ronze], das arimpa- aus Bronze, zwei Fenster aus Bronze l[egt sie] auf den ersten Tisch für den Sonnengott. § 16’’ (A Rs. IV 29-33) Den einen Hammer aus Bronze, einen Spaten aus Bronze, einen Pflock aus Bronze legt sie auf den einen Tisch für den Sonn[engott]. Auf den zweiten Tisch aber st[ellt sie] in die Mitte neun große Dickbrote in einem Korb und darauf legt sie Lab und Käse hin. [Sie legt] Wolle dazu. Drei Gefäße aber mit Wein, marnuwan (und) honighaltigem Bier, drei Kannen? mit Wasser zusammen mit einem Becher Feinöl, einem Becher Honig (und) einem Becher Schaffett, ausgesuchtes Erstklassiges. Dies alle[s] vermeng[t sie]. § 17’’ (A Rs. IV 34-39) Sie stellt einen gedeckten Tisch für den Sonnengott auf. Sie stellt einen gedec[kten] Tisch für Telipinu auf. Wenn sie die Gottheit Platz nehmen läßt, is[t sie] fertig. Am Abend aber stellt sie Feuer aus dem Feuerbecken vor die Gottheit. Sie verbrennt Erstklassiges, und die Beschwörerin spricht die Beschwörungen 43) des Gottesherrn. 44) Dreimal opfert sie reihum. Sie verschließt den Tempel und geht hinaus. An diesem Tag macht sie nichts (mehr). § 18’’ (A Rs. IV 40-45) Wenn es aber hell wird, geht der Gottesherr vor die Gottheit, verbrennt Erstklassiges, spricht die Beschwörungen (und) opfert dreimal reihum. Er [b]richt ein süßes Dickbrot für den Sonnengott (und) legt (es) auf den Tisch des Sonnengottes. Er libiert für den Sonnengott marnuwan, honighaltiges Bier (und) Wein. Er bricht ein süßes Dickbrot für Telipinu (und) legt (es) auf den Tisch des Telipinu. Er libiert marnuwan, honighaltiges Bier (und) Wein [für Telipinu]. Er opfert einen Ziegenbock (und) ein Schaf zusammen für den Sonnengott und Telipinu. § 19’’ (B Rs. IV 20’-26’) Er [l]egt rohes [Fleisc]h, (also) Schulter, Brust, Kopf (und) Füße vom Schaf, [dem Sonnengott] hin. Vom Ziegenbock aber legt er Brust, Schulter, Kopf (und) Füße ebenso für Telipinu hin. Sie kochen L[eber] (und) Herz auf offener Flamme. [Er] brich[t] ein Dickbrot, legt (darauf) [die Schul]ter [des Schafes] (und) legt (es) auf den Tisch des Sonnengottes. [ … ] legt [ … auf] seinen Tisch. Er libiert marnuwan, honighaltiges Bier (und) W[ei]n de[m Sonnengott (und) Tel]ipinu. Danach aber stell[t er] eine Schüss[el] Rührkuchen? [dem Sonnengott (und)] Telipinu hin. § 20’’ (B Rs. IV 27’-33’) [ … ] halten sie drei Tage lang. Am ersten Tag [ …]en sie eine (Portion) Fleischsuppe und [ … ] eines Ziegenbo[cks]. Wenn es zum Essen gut ist, [geht] der Gottesherr [vor die Gottheit], ver41. 42. 43. 44.

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Nach Groddek 2002, 124, ein »Gefäßständer«. Wohl eine Art Bier. Wörtlich eine figura etymologica: »beschwört die Beschwörungen«. Vgl. dazu die Diskussion bei Groddek 2002, 129 f., der von zwei handelnden Personen in dem Ritualabschnitt ausgeht: der Beschwörerin, die die Ritualvorbereitungen und -handlungen am ersten Tag ausführt, sowie dem Gottesherrn, der das Ritual ab dem zweiten Tag weiterführt. Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 70 mit Anm. 39, gehen nur von einer Beschwörerin aus, die in Funktion des Gottesherrn agiert. Vgl. auch Moore 1975, 176.

Texte der Hethiter

brennt [Ers]tklassiges (und) beschwört dreimal reihum. [ … ] br[ic]ht ein süßes Brot (und) ein sˇiluha-Brot (und) [legt] (es) auf den Tisch des Sonnengottes. Er stellt [Fleisch]suppe ˘ vom Schaf für den Sonnengott hin, und für [T]elipinu bri[cht] er (es) ebenso. Er legt [es auf] seinen [Tisch] und [st]ellt Fleischsuppe vom Ziegenbock ebens[o] hin. Er l[ib]iert marnuwan, [honighaltiges Bier (und) Wei]n dem Sonnengott (und) Telipinu. § 21’’ (B Rs. IV 34’-39’) [Am zweiten Tag] geht der Gottes[her]r vor die Gottheit, verbrenn[t] Erstklassiges (und) [ …]t. Er nimmt das Dickbrot der Sättigung, die Fleischsuppe, [ … das F]leisch wieder weg. Der Koch [ … ] es. [ … ] bricht das süße [Dick]brot (und) [legt] (es) auf den Tisch des Sonnengottes. [Er bricht ein Dickbrot] (und) legt (es) [fü]r Telipinu ebenso hin. [ … ] § 22’’ (B Rs. IV 40’-43’) [Wenn es am dritten Tag zum Ess]en gut is[t], [geht] der Gottes[h]err [vor die Gottheit], [verbrenn]t [Erstklassiges] (und) besch[w]ört dreimal [reihum]. Er [l]egt [ … ] für den Sonnengott hin. [ … ] dem [Te]lipin[u … ] (Der Text bricht ab.)

1.4 Erste Version des Telipinu-Mythos (CTH 324.1)

Der Telipinu-Mythos darf als das Beispiel par excellence für einen anatolischen Mythos eines verschwundenen Gottes gelten. Der Haupttext KUB 17.10 + KBo 55.8 (Texte A1 und A2) ist in weiten Teilen erhalten, so daß die Grundzüge der Erzählung deutlich werden. Die mittelhethitische Niederschrift stammt aus dem Bereich des großen Tempels I aus der Unterstadt von Hattusˇa; KBo 55.8 wurde im alten Grabungsschutt vor Magazin 13 gefunden. ˘Ein Duplikattext B konnte aus KBo 34.24 (B1) + KUB 33.3 (B2) (+) KBo 38.162 (B3) (+) KUB 33.1 (B4) (+) KUB 33.2 (B5) zusammengesetzt werden; es handelt sich bei diesem ebenfalls um eine mittelhethitische Niederschrift, die aus Gebäude A von der Königsburg Büyükkale in Hattusˇa stammt. Ein drittes Textfragment KBo 48.246, des˘ sen Herkunftsort unbekannt ist, ist für eine Datierung zu klein. Die Erzählung beginnt mit dem Zorn des Vegetationsgottes Telipinu, dessen Gründe unklar bleiben. Der zornige Telipinu verschwindet, was zum Stillstand des natürlichen Wachstums und damit zu einer Notzeit für Tiere, Menschen, aber auch für Götter, führt. Telipinus Vater, der Wettergott, bittet verschiedene große und kleine Götter, seinen Sohn zu suchen. Hannahanna, eine Muttergottheit, sendet eine Biene aus (in ˘ ˘ Telipinu-Mythos, einer weiteren Version des CTH 324.3, findet sich eine detaillierte Schilderung der Anweisung an die Biene). 45) Diese findet den Telipinu letztendlich. Nach einer erneuten Schilderung des Ausmaßes seiner Wut werden rituelle Maßnahmen zur Besänftigung des wütenden Gottes unternommen, darunter die Zubereitung verschiedener Früchte und Speisen, die in Analogie zur Beruhigung des Gottes gesetzt werden, oder das Anlegen von mit angenehmen Speisen gesäumten Wegen, auf denen der Gott zurück gelockt werden soll, Maßnahmen, die auch aus anderen Texten der hethitischen Ritualistik bekannt sind. Offensichtlich gelingt es dann Kamrusˇepa, der Göttin der Zauberkünste und des Haushalts, den wütenden Telipinu zu besänftigen und von seinem Zorn und Groll zu reinigen. Es findet eine Götterver45.

KUB 33.9; s. E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 324.3.

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Anna Bauer, Susanne Görke, Jürgen Lorenz & Elisabeth Rieken

sammlung statt, bei der insbesondere Schicksals- und Vegetationsgötter genannt werden. Beschwörungen mit Analogiesprüchen, ausgesprochen wohl von einem Priester, sollen die reinigende Wirkung auf Telipinu verstärken. Zorn und Groll des Telipinu sollen das Haus verlassen – sie werden in der Unterwelt in bronzenen Kesseln verschlossen. Mit der Schilderung der Rückkehr des Telipinu, durch die die Notzeit für Menschen und Tiere ein Ende findet, endet der erhaltene Teil des Textes. Literatur: F. Pecchioli Daddi / A. M. Polvani, La mitologia ittita, 1990, 71-84; G. Beckman, in: W. W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture I, 1997, 151-153; H. A. Hoffner, Hittite Myths2, WAW 2, 1998, 15-18; J. V. García Trabazo, Textos religiosos hititas: mitos, plegarias y rituales, BCBO 6, 2002, 105-139; M. Mazoyer, Télipinu, le dieu au marécage: essai sur les mythes fondateurs du royaume hittite, Collection Kubaba: Série Antiquité 2, 2003, 43-53, 73-80; V. Haas, Die hethitische Literatur: Texte, Stilistik, Motive, 2006, 103-115; E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 324.1.

§ 1’ (A2 Vs. I 1’-5’) [ … ] ging. [ … ]. Telipinu aber [ … ]. [ … ] was [ … ]. [T]elipinu aber [ … ]. § 2’ (A2 Vs. I 6’-9’) [ … ] seine Stadt? befestigte? er. [ … ] warf [den Pfos]ten?. [ … ]te. Auch auf dieser Seite ging [ … ] wieder [ … ]. § 3’ (A2 Vs. I 10’-15’) [ … ] nichts [ … ] der mächtige Telipinu [begann zu spreche]n: »Vertreibt [ … ]! Fürcht[et] euch nicht!« [Und er] wurde [zo]rnig. Das Rechte ließ er links laufen, das Link[e aber] ließ er [rechts] laufen. Aus dem Haus g[in]g er. § 4’ (A1 5’-9’) Dunst ergriff die Fenster. Rauch [erst]ickte 46) das Haus. Im Herd aber erstickte[n] die Holzscheite. [Auf dem Altarpostament] erstickten die Götter. Im Viehhof die Schafe ebenso. Im Rinderstall erstickten die Rinder. Das Schaf stieß sein Lamm von sich. Die Kuh aber stieß ihr Kalb von sich. § 5’ (A1 Vs. I 10’-15’) Telipinu aber ging fort. Er schaffte Getreide, Fruchtbarkeit 47), Wachstum?, Gedeihen? und Sättigung fort, (nämlich) auf das Feld, auf die Wiese, in die Moore. 48) Telipinu aber ging (und) versteckte sich im Moor. Oben aber, (über) ihm wuchs (wörtl. »lief«) die halenzu-Pflanze. Nun gedeihen Getreide (und) Emmer nicht mehr. Rinder, Schafe (und)˘ Menschen werden nicht mehr trächtig und schwanger. Die aber, die schwanger (sind), auch die gebären nicht. § 6’ (A1 Vs. I 16’-20’) Die [Be]rge vertrockneten, das Gehölz vertrocknete, und kein Sprößling kommt mehr hervor. Die Weiden vertrockneten, die Quellen vertrocknete(n), und im Land entstand eine [H]ungersnot. Menschen und Götter sterben an Hunger. Der große Sonnengott bereitete ein Fest für sich und rief eintausend Götter (herbei). Sie aßen, und sie stillten ihren Hunger nicht. Sie tranken aber, und sie stil[l]ten ihren Durst nicht. § 7’ (A1 Vs. I 21’-22’) Und der Wettergott sorgte sich um Telipinu, seinen Sohn. »Telipinu, mein Sohn, ist nicht dabei. Geärgert hat er sich und alles Gute mit sich davongetragen.« (A1 Vs. I 23’-25’) Die großen [Göt]ter (und) die kleinen Götter begannen, Telipinu zu suchen. Der Sonnengott sandte den flinken Adler aus: »Geh (und) durchsuche die hohen Berge!

46. 47. 48.

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In den Paralleltexten wird an dieser Stelle eine transitive Verbalform e¯pta bzw. ISBAT »ergriff« ˙ zu Probleverwendet. Das hier belegte intransitive wisˇuriya- »ersticken« führt syntaktisch men. Hier mit Gottesdeterminativ geschrieben; vgl. RlA 5, 1976-80, s. v. »Immarni« (»Heth. Gottheit oder deifizierter Begriff der Fruchtbarkeit«). Vgl. zur Diskussion von marmarr(a)- CHD L-N, 192a.

Texte der Hethiter

§ 8’ (A1 Vs. I 26’-29’) Durchsuche die tiefen Täler! Durchsuche die ruhigen Fluten!« 49) Der Adler ging und fand ihn nicht. Er brachte die Botschaft zurück zum Sonnengott: »Ich habe ihn nicht gefunden, den Telipinu, den gewichtigen Gott.« (A1 Vs. I 29’-31’) Der Wettergott sprach zu Hannahanna: »Wie sollen wir handeln? Wir werden an Hunger ster˘ zum Wettergott: »Tue irgendetwas, Wettergott! Geh (und) ben.« Hannahanna˘ sprach ˘ ˘ such du Telipinu selbst!« § 9’ (A1 Vs. I 32’-34’) Er ging, der Wettergott, (und) begann, Telipinu zu suchen. An das Stadttor seiner Stadt [ko]m[m]t er 50) und vermag es nicht zu öffnen. Er zerbrach seinen Hammer (und) seinen Pflock. 51) [ … ], der Wettergott. Er hüllte sich (in sein Gewand) ein und setzte sich hin. (A1 Vs. I 34’-35’) Hannahanna [sandt]e [die ˘ Wettergott ˘ Biene]: »Geh (und) such du Telipinu!« § 10’ (A1 Vs. I 36’-39’) [Der sag]te [zu Hannahanna]: »Die großen Götter (und) die kleinen Götter haben ihn gesucht und ihn ˘ ˘ [nicht gefunden]. Und sie geht, diese [Biene], (und) [wird] ihn [finden]? Ihre [F]lügel (sind) klein, und sie (selbst ist) klein. [ … ] Außerdem schneiden sie sie entzwei.« 52) (Textlücke). § 11’’ (A2 Vs. II 1’-3’) 53)[ … ] ris[s]? sie n[ie]der, [die Ufer … ], zerstörte die Städte. § 12’’ (A2 Vs. II 4’-8’) Er vernichtete die Menschen, [vernichtete] die Rinder [(und) Schafe. … ] erhebt sich. Die Götter [ … ]ten ihm [ … ]. »Telipinu wur[de] wütend. Wie sollen wir handeln? Was sollen wir tu[n]? Er erheb[t] sich. § 13’’ (A2 Vs. II 9’-15’) Ruft den Menschen! De[r] soll ihm auf dem Berg Ammuna den Stachel 54) (der Biene) [nehmen]. Der Adler soll vortreten und [soll] ihn (i. e. den Stachel) ve[rbrennen.« … ] verbrannte [ … ]. Der Adler aber [ … mit den] Flüg[eln]. Sie ließen ihn erlöschen, und er? [ … ]. Die Wut nahmen sie. Und sie nahmen [seinen Zorn. Sie] n[ahmen] seinen Frevel. [Sie nahmen den Ärger.] § 14’’ (A2 Vs. II 16’-19’) Sowohl dort verbrannte er (etwas) [als auch dort] verbrannte er. [ … ] die gut[en … ]. (Es fehlen ca. drei Zeilen.) § 15’’ (A1 Vs. II 1’) [ … ] § 16’’ (A1 Vs. II 2’) Das Schlechte ab[er … ] § 17’’ (A1 Vs. II 3’-8’) Telipin[u … ]. Er zerstie[ß] Malz (und) Bierwürze. [ … ]. 55) [ … ] gut(e[/s) … ]. Er schnitt [ … ] Tor [ … ] ab. Telipinu[ … ]. Die erstklassige warsˇul[a- 56) … ]. Bedrückt aber [ … ] wieder [ … ]. § 18’’ (A1 Vs. II 9’-11’) »Hier [ … ] Wasser des Schlagens? 57). Deine, des Telipinu Seele [ … 49. 50. 51.

52.

53. 54. 55. 56. 57.

So nach HED 4, 303; EHS, 196, schlägt »dunkel, blau?« vor; wohl dem folgend Hoffner 1998, 15 (Blue Deep), Beckman 1997, 152 (blue sea); Haas 2006, 106 (blaugrüne Meereswogen); vgl. auch Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 79 (limpide acque). Hoffner 1998, 15, ergänzt das Verb anders: »In his city (the Storm God) [grasps] the city gate …« Ähnlich Haas 2006, 107: »In seiner (des Telipinu) Stadt [packt er] das Stadttor …«. Vgl. die unterschiedlichen Übersetzungen: Hoffner 1998, 15: »Instead the Storm God broke his hammer and his wedge(?).« Beckman 1997, 152: »He broke his mallet and wedge.« Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 80: »Allora (il dio della tempesta) spezzò con un martello la spranga.« Haas 2006, 107: »Und er zerbrach mit seinem Hammer seinen (des Stadttores) Riegel.« Unklar. H. A. Hoffner / H. C. Melchert, A Grammar of the Hittite Language, 2008, 13: »And furthermore, it (i. e. the bee) is hanti tuhsˇanza.« Vgl. dazu HED 3, 93 (»They also cut them ˘ II 14˘ (CTH 324.2). Der Sinn ist unklar; in der Mehrzahl in two.«); noch belegt in KUB 33.5 wird dieser Satz unübersetzt gelassen. Vgl. aber Mazoyer 2003, 75: »et en outre on les choisit (eux) de préférence!« Hier wird erneut die Wut des Telipinu geschildert – vgl. CTH 324.3 §§ 4’-5’. Vgl. HED 3, 263 f.; EHS 291, 501; HW2, H, 497: »Hacke?«. ˘ HEG II, 443. Unklare Wortform nach CHD P 138b, und Beckman und Hoffner: »smell, odor«. Vgl. A. Kloekhorst, Etymological Dictionary of the Hittite Inherited Lexicon, 2008, 975-978. Vgl. zu einer Interpretation als »(Heil)wasser des Schlage(n)s« V. Haas, Materia Magica et

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Wende dich im] Guten dem König zu. § 19’’ (A1 Vs. II 12’-14’) Hier liegt galaktar, 58) [deine Seele] soll beruhigt sein. Hier [liegt] parh[uena- 59)], (dein) Inneres [soll] ruhig werden. 60) ˘ 61) [ … ] soll (mit Öl) benetzt sein. § 20’’ (A1 Vs. II 15’-18’) Hier liegt eine sˇamamma-Frucht, ? Hier [liegt] eine Feige. Wie [die Feige ] süß (ist), ebenso so[ll deine,] des T[elipinu, Seele?] süß werden. § 21’’ (A1 Vs. II 19’-21’) Wie eine Olive aber sich ihr Öl im Innern [hält, wie eine Rosine aber sich] den Wein im Innern hält, ebenso ha[lte] auch du, Telipinu, [den König?] im Guten in (deiner) Seele (und) in (deinem) Innern. § 22’’ (A1 Vs. II 22’-27’) Hier liegt eine liti-Ölpflanze, und sie soll [deine?,] des Telipinu, Seele [ … ] salben. Wie Malz (und) Bierwürze sich im Wesen zusammenfüg[en], ebenso [soll] auch deine, [des Telipinu,] Seele mit den Worten der Menschen verbunden s[ein. So wi]e [Emmer] rein (ist), ebenso soll Telipinus Seele rein werden. [So wie] Honi[g] süß (ist), wie Butterschmalz weich (ist), ebenso soll auch Telipinus Seele süß werden, und ebenso soll sie weich werden. § 23’’ (A1 Vs. II 28’-32’) Mit Feinöl habe ich hier deine, des Telipinu, Wege, besprengt. Geh die mit Feinöl besprengten Wege, Telipinu. sˇahi-Holz und happuriyasˇa-Holz ˘ ˘ soll(en) vorne sein. 62) Wie das Rohr (oder die Seele) (und) das lazzai-Holz geordnet (sind), 63) ebenso sollst du aber, Telipinu, geordnet sein.« § 24’’ (A1 Vs. II 33’-36’) Wütend kam Telipinu (herbei), er do[n]nert mit dem Blitz. Unten schlä[g]t er auf die dunkle Erde. Sie erblickte ihn, die Kamrusˇepa, bewegte für sich den Flüg[el] des Adlers [ … ] und hi[elt] ihn an. § 25’’ (A1 Rs. III 1-2) Die Wut, sie hielt sie an. Der Zo[rn, sie hielt ihn an. Den Frevel] hielt sie an. Den Ärger hielt sie an. § 26’’ (A1 Rs. III 3-6) Kamrusˇepa spricht wieder zu den Göttern: »Ge[ht], Götter! H[ütet?] für Hapantali des Sonnengottes Schafe! Son˘ dert zwölf Widder aus, und ich behandle Telipinus w[ar]ku- 64).« (A1 Rs. III 6-7) Ich nahm ein Sieb (mit) eintausend Löchern (wörtl. »Augen«) und schüttete karsˇ-Getreide Kamrusˇepas Schafen hin. § 27’’ (A1 Rs. III 8-12) Ich 65) verbrannte über Telipinu hier (etwas), und dort verbrannte ich (etwas). Ich nahm Telipinu sein Böses von seinem Körper. Ich nahm seinen Frevel. Ich nahm seine Wut. Ich nahm seinen Zorn. Ich nahm sein warku-. 66) [Ich]

58. 59. 60. 61. 62.

63. 64. 65.

66.

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Medica Hethitica, 2003, 156; anders Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 80: »Eccovi il linimento per le contusioni!« Nach HED 4, 19, ein »Balsam« oder »beruhigende Substanz«; nach H. G. Güterbock, A Hurro-Hittite Hymn to Ishtar, JAOS 103, 1983, 162, mit Vorbehalt »Mohn«. Nach CHD P, 148-150 eine Getreideart. Vgl. dazu zuletzt H. C. Melchert, Hittite talliye¯(sˇˇs)- »be(come) calm, quiescent«, Fs Ivanov, 2010, 148 f., mit Hinweis auf abweichende Übersetzungen. Haas 2003, 261-263, nimmt »Flachs oder Sesam« an. ˇ HW2, H, 257b versteht vorliegendes GISha-ap-pu-ri-ya-sˇa-asˇ ha-an-ti-isˇ als Fehlschreibung GISˇ ˘ ˇ-za!-ti-ìsˇ mit der Übersetzung ˘ ˘ »sˇahi(-Holz) (und) und emendiert zu ha-ap-pu-ri-ya-sˇa-as ˘ sein«. Vgl. KUB 33.8 Rs. III 18’ f. (CTH 324.7) und Bo 69/1263 Blattwerk soll dein Bett (CTH 335.23). Vgl. die Diskussion in CHD L-N, 49b. Lesung nach Foto w[a-ar-k]u-usˇ-sˇu-usˇ, anders als in der Autographie angegeben. Daher finden sich in der Literatur bislang abweichende Übersetzungen. Haas 2006, 111, nimmt an, daß die handelnde Person hier ein Ritualist sei, der auch später in der Versammlung der Götter die Rezitationen spricht (§§ 31’’-33’’). Dies trifft sicher für den vorangehenden Satz zu, in dem Kamrusˇepas Schafen Getreide hingeschüttet wird. Daneben kann hier eventuell in Rückbezug auf §§ 24’’-25’’ auch die Göttin Kamrusˇepa die Ich-Person sein. So auch Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 81 f., die den Abschnitt §§ 26’’-32’’ einer direkten Rede der Kamrusˇepa zuschreiben. Vermutlich »Ärger« oder »Groll«.

Texte der Hethiter

na[hm] seinen Ärger. § 28’’ (A1 Rs. III 13-20) »Telipinu (ist) verärgert. Seine Seele (und) [sein] Inne[res 67)] erstickte(n) im Feuerholz. Wie man dieses Feuer[holz] verbrannte, ebenso soll[en] auch Telipinus Wu[t], Zorn, Frevel (und) Ärger verbrennen! Wie [das Malz?] trocken (ist), [man] es nicht auf das Feld brin[gt] und es (nicht) zur Saat macht, es aber nicht zu Brot mac[ht] (und) ins Vorratshaus legt, ebenso sol[l(en)] auch des Telipinu Wu[t, Zorn], Frevel (und) Ärger vertrocknen! 68) § 29’’ (A1 Rs. III 21-23) Telipinu (ist) verärgert. Seine Seele (und) [sein] I[nneres?] (sind) ein brennendes Feuer. [Wi]e dieses Feuer [erlischt], ebens[o sollen] aber die Wut, der Zorn (und) der Ärger [erlöschen!] § 30’’ (A1 Rs. III 24-27) Telipinu, laß die Wut los, [laß den] Zo[rn los], laß den Ärger los! So wie (das Wasser) des Rohrs nicht w[ieder rückwärts] fließt, 69) ebenso [sollen] auch des Telipinu W[ut, Zorn] (und) Ärger nicht wiederk[ommen].« § 31’’ (A1 Rs. III 2834) Die Götter (sind) unter dem Weißdorn am [Ort? der] Versam[mlung]. Unter dem Weißdorn aber [ … ] lange [ … ]. 70) Und alle Götter sitzen (dort): [Papaya?, Isˇt]usˇtaya, 71) die Schicksalsgöttinnen, Muttergöttinnen, der Getreidegott, der Genius des Gedeihens, Telipinu, die Schutzgottheit, Hapantal[iya] (und) [ … ]. Ich 72) beh[and]elte bei den Göttern Substit[ute?] der langen ˘Jahre, und Telipinu reinigt[e ich]. § 32’’ (B4 Rs. III 9’-12’) [Ich nahm] Telipinu das Böse [von seinem] K[örper]. Ich nahm [sei]ne [Wut]. [Ich nahm seinen] Zo[rn]. Ich nahm [se]inen [Frevel]. [Ich nahm den] Ärg[er]. Ich nahm die [böse] Zunge. [Ich nahm die] bö[se Fußsohle 73)]. § 33’’ (B4 Rs. 13’; B2 Rs. III 1’-4’) [ … ] sich Name? [ … ] (Textlücke). § 34’’’ (A1 Rs. IV 1-3) 74)Und du reißt [ih]m das St[irnha]ar aus. Das Schaf [läuf]t unter dir hindurch, und du reißt i[h]m das Vlies aus. Zieh auch dem Telipinu die [W]ut, den Zorn, den Frevel (und) den Ärger heraus! § 35’’’ (A1 Rs. IV 4-7) Wüt[e]nd kommt der Wettergott (herbei) und der Mann des Wettergottes hält ihn an. Der Topf aber kommt, 75) und der Löffel hält ihn an. Ebenso sollen meine, des Menschen, Worte [da]nn auch dem Telipinu die [W]ut, den Zorn (und) den Ärger anhalten! § 36’’’ (A1 Rs. IV 8-13) Gehen soll(en) des Telipinu Wut, Zorn, Frevel (und) Ärger! Das Haus soll sie loslassen. Der innere Pfeiler? 76) soll sie [lo]slassen. Das Fenster soll sie loslassen. Die Türangel?, der innere Hof soll sie loslassen. 77) Das Tor soll sie loslassen. Der Tor-

67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77.

Zum Ausdruck »Seele und Inneres« vgl. zuletzt Melchert 2010, 149. Vgl. zu diesem Abschnitt HKM 116 7-10 (CTH 335.24). Vgl. zur Diskussion der Übersetzung CHD P, 196 f. Zu einer Ergänzung »liegen lange Jahre« vgl. KBo 60.12 (CTH 325.1). Vgl. Haas 2006, 111: »[Ich aber habe] unter dem Weißdornstrauch lange [Jahre hingelegt.]« Papaya und Isˇtusˇtaya sind Schicksalsgötter. Vgl. dazu Fußnote 65. Zu einer übertragenen Bedeutung »Benehmen« vgl. CHD P, 239a. Davor dürfte »[Das Rind läuft unter dir hindurch,]« gestanden haben (so die übliche Formulierung, vgl. E. Neu, Interpretation der hethitischen mediopassiven Verbalformen, StBoT 5, 1968, 56). Vielleicht: »Der Topf kocht über.« Vgl. HEG III, 376; Haas 2006, 112. Hapax, wohl ein Gebäudeteil (Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 83 mit Anm. 23) oder »pillar, column« nach Laroche, siehe HED 1, 64. Beckman 1997, 153, und Hoffner 1998, 17, fügen ein tarnau ein, so daß zwei Sätze entstehen. wawarkima kann jedoch kein Nom.Sg.c. sein. Vgl. HED 1, 481, die die Form vielleicht als All. auffassen. Kloekhorst 2008, 990-992, versteht es als unreflektierte Form, die außerhalb des Satzes zu stehen scheint. Zu wawarkima- in Ritualen vgl. Haas 2003, 701 f.

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bau soll sie loslassen. Der Königsweg soll sie loslassen. In das gedeihende Feld, den Garten, den Wald sollen 78) sie nicht gehen. Sie sollen 79) den Weg der Sonnengöttin der Erde gehen. 80) § 37’’’ (A1 Rs. IV 14-19) Es öffnete der Torwächter die sieben Türen (und) zog die sieben Riegel zurück. Unten in der dunklen Erde steh(en) bronzene palhi-Gefäße, ihre Deckel (sind) aus Blei, ihre Verschlüsse? (sind) aus Eisen. Was hin˘ eingeht, kommt nicht wieder daraus hervor; es geht darin zugrunde. Auch des Telipinu Wut, Zorn, Frevel (und) Ärger soll er einschließen, und sie soll(en) nicht zurückkommen. § 38’’’ (A1 Rs. IV 20-26) Telipinu kam zurück zu seinem Haus und kümmerte sich um sein Land. Der Dunst verließ das Fenster. Der Rauch verließ das Haus. Auf dem Altarpostament kamen die Götter wieder in Ordnung. (Im) Herd ließ er (d. h. wohl Telipinu) das Holzscheit los. I[m] Viehhof ließ er die Schafe los. Im Rinderstall ließ er die Rinder los. Die Mutter erkannte ihr Kind an. Das Schaf erkannte sein Lamm an. Die Kuh erkannte ihr Kalb an. Telipinu aber (erkannte) den König und die Königin (an) und versorgte sie mit Leben, Kraft (und) Zukunft. § 39’’’ (A1 Rs. IV 27-31) Telipinu kümmerte sich um den König. Vor Telipinu steht ein eya-Baum. 81) Von dem eya-Baum (herab ist) das Vlies eines Schafes gehängt, darin liegt das Schaffett, darin liegt (etwas) an Getreide, vom Gott Sumuqan, 82) Wein, darin liegen 83) Rind (und) Schaf, [d]arin liegen 84) lange Jahre (und) Nachkommenschaft, § 40’’’ (A1 Rs. IV 32-35) darin liegt die sanfte Botschaft eines Lamms, 85) darin liegen 86) [Zusti]mmung (und) Gehorsam, 87) darin [ … ] desgleichen, darin liegt der rechte Schenkel, [dari]n [liegen Wach]st[um?], Ge[deihen? und Sättigung]. (Der Text bricht ab.)

2. Der »Kumarbi-Zyklus« Der sogenannte »Kumarbi-Zyklus« umfaßt eine Reihe von mythologischen Erzählungen hurritischer Herkunft, die zwar jeweils in sich geschlossen sind, aber aufeinander aufbauen. Thema ist der Kampf zwischen Kumarbi und Tesˇsˇub um die Herrschaft im Himmel, den Tesˇsˇub schließlich gewinnt und durch den er sich als Himmelsgott und Herrscher über die Götter etabliert (Lied vom Ursprung, CTH 344), während Kumarbi in der Unterwelt Zuflucht nimmt. Alle weiteren Lieder berichten über die vergeblichen Versuche Kumarbis, Tesˇsˇub mit Hilfe eines seiner eigenen Nachfahren zu stür78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87.

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Form ist Sg. Form ist Sg. Zur »Sonnengöttin der Erde«, der Herrin der Unterwelt, vgl. u. a. V. Haas, Geschichte der hethitischen Religion, HdO 15, 1994, 420 ff. Siehe zum eya-Baum Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 84 mit Anm. 25. Zu Sumuqan, dem Gott der in der Steppe lebenden wilden Tiere und des Viehs, siehe Haas 1994, 306, 443. Hier eventuell als Symbol der tierischen Fruchtbarkeit (so Hoffner 1998, 18, und Beckman 1997, 153). Form ist Sg. Form ist Sg. Vgl. CHD L-N, 307b: »(symbol of) a gentle bleating (»Blöken«) eines Lamms«; Haas 2006, 114: »eines Lammes glänzende (Orakel-)Botschaft«. Form ist Sg. Vgl. zu diesem Ausdruck E. Rieken, Zur Etymologie von luwisch nu¯(t)-, Fs Josephson, 2006, 284-297. Vgl. auch CHD L-N, 476b.

Texte der Hethiter

zen. Dies sind dLAMMA, der »Schutzgott« (CTH 343), das Waisenkind Silber (CTH 364), die Schlange Hedammu (CTH 348) und der Steinunhold Ullikummi (CTH 345) (Hoffner 1998, ˘40-42). Inzwischen ist auch die Zugehörigkeit weiterer mythologischer Fragmente erwogen worden (z. B. Ea und das Biest, in CTH 351; Das Lied vom Meer, in CTH 346), so daß unter den von den Hethitern überlieferten, im syrischen Raum angesiedelten Mythen allein der Mythos von Elkunirsˇa und Asˇertu (CTH 342) unabhängig wäre (Rutherford 2001; Archi 2002; Archi 2009, 211, 219-221; Singer 2007). Motive des Zyklus sind auch in der mesopotamischen, phönizischen und griechischen Literatur überliefert (West 1997; van Dongen 2011). Während man davon ausgehen kann, daß das »Lied vom Ursprung« in Ostsyrien unter dem Einfluß babylonischer Epik komponiert wurde, scheinen die anderen Lieder aus dem Westen Syriens zu kommen (Archi 2009). Dort fand sicher auch die Übernahme durch die Phönizier statt, während die Wege der Übermittlung in die griechische Literatur im Einzelnen ungeklärt sind. Vom Kumarbi-Zyklus sind nur sehr wenige hurritisch-sprachige Fragmente in Hattusˇa überliefert (dazu Giorgieri 2001). Die hethitisch-sprachigen Nie˘ derschriften aus Hattusˇa sind dagegen in großer Zahl vorhanden. Sie sind ganz über˘ wiegend in die junghethitische Zeit (1340-1200 v. Chr.) zu datieren, obgleich es für einen Teil der Texte verschiedene Indizien gibt, daß es auch ältere Versionen aus mittelhethitischer Zeit gegeben haben muß. Die meisten Fragmente stammen aus dem Tempel I, wenige wurden im »Haus am Hang« gefunden. Von den Hethitern werden diese Texte als SÌR »Lied« klassifiziert, was auch der Ausdrucksweise im Proömium des »Liedes vom Ursprung« (»ich besinge den PN«) entspricht. Die Sprache zeichnet sich durch einen ausgeprägten künstlerischen Gestaltungswillen aus, der sich in der Anwendung von Wort- und Gedankenfiguren wie Anapher, Assonanzen, affirmativer Wiederholung, Parallelismus und Klimax widerspiegelt. Der Gebrauch von Epitheta ornantia und der Einsatz typischer Szenen (z. B. Bewirtung, Schwangerschaft, Ratsversammlung), der direkten Rede und reflektierender Monologe sind typische Merkmale dieses Stils, während narrative Passagen nur etwa die Hälfte des Textes einnehmen (de Vries 1967; Haas 2006, 123-126; Archi 2009; Alaura 2011). Man darf daher auf eine orale Tradition der Rezitation schließen, die mit der schriftlichen einherging. Soweit sich erkennen läßt, sind die Hethiter mit den hurritischen Vorlagen in sehr unterschiedlicher Weise umgegangen, indem sie sie teils direkt übersetzt, teils aber auch erweitert, gekürzt oder frei nacherzählt und neu gestaltet haben. Die Texte dienten so vornehmlich der Schulung von Schreibern im Rahmen der Tradition der Keilschriftliteratur und bildeten gleichzeitig ein »cultural framework of reference and ideological justification« (Archi 2009, 210). Dagegen ist eine unmittelbare Einbindung in den Kult im hethitischen Raum selbst nicht zu erkennen (Lorenz / Rieken 2010). Literatur: B. de Vries, The Style of Hittite Epic and Mythology, Diss. Brandeis University 1967; F. Pecchioli Daddi / A. M. Polvani, La mitologia ittita, 1990, 115-162; A. Ünal, TUAT III/4, 1994, 802-805, 828-848, 856-858; M. L. West, The East Face of Helicon. West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth, 1997; H. A. Hoffner, Hittite Myths2, WAW 2, 1998, 4042; M. Giorgieri, Die hurritische Fassung des Ullikummi-Lieds und ihre hethitische Parallele, in: G. Wilhelm (Hg.), Akten des IV. Internationalen Kongresses für Hethitologie, Würz161

Anna Bauer, Susanne Görke, Jürgen Lorenz & Elisabeth Rieken

burg, 4.-8. Oktober 1999, 2001, 134-155; I. Rutherford, The Song of the Sea (SˇA A.AB.BA SÌR): Thoughts on KUB 45.63, in: G. Wilhelm (Hg.), Akten des IV. Internationalen Kongresses für Hethitologie, Würzburg, 4.-8. Oktober 1999, 2001, 598-609; A. Archi, Ea and the Beast. A Song Related to the Kumarpi Cycle, in: P. Taracha (Hg.), Silva Anatolica. Anatolian Studies Presented to Maciej Popko of the Occasion of His 65th Birthday, 2002, 1-10; V. Haas, Die hethitische Literatur: Texte, Stilistik, Motive, 2006, 130-176; A. Archi, Transmission of Recitative Literature by the Hittites, AoF 34, 2007, 185-203; I. Singer, The Origins of the »Canaanite« Myth of Elkunirsˇa and Asˇertu Reconsidered, in: D. Groddek / M. Zorman (Hg.), Tabularia Hethaeorum. Hethitologische Beiträge. Silvin Kosˇak zum 65. Geburtstag, 2007, 631-642; A. Archi, Orality, Direct Speech and the Kumarbi Cycle, AoF 36, 2009, 209-229; J. Lorenz / E. Rieken, Überlegungen zur Verwendung mythologischer Texte bei den Hethitern, in: J. C. Fincke (Hg.), Festschrift für Gernot Wilhelm anläßlich seines 65. Geburtstages am 28. Januar 2010, 2010, 217-234; S. Alaura, Aspekte der Gesten- und Gebärdensprache im »Ullikummi-Lied«, in: M. Hutter / S. Hutter-Braunsar (Hg.), Hethitische Literatur. Überlieferungsprozesse, Textstrukturen, Ausdrucksformen und Nachwirken. Akten des Symposiums vom 18. bis 20. Februar 2010 in Bonn, AOAT 391, 2011, 9-24; E. M. V. van Dongen, »The Kingship in Heaven« – Theme of the Hesiodic Theogony: Origin, Function, Composition, Greek, Roman, and Byzantine Studies 51, 2011, 180-201.

2.1 »Das Lied vom Ursprung« (CTH 344)

Das »Lied vom Ursprung« (para¯ pauwasˇ, wörtlich »des Hervorkommens«) bietet offensichtlich den Anfang der Ereignisse, die schließlich zur Herrschaft des Wettergottes im Himmel führen. Denn hier wird im Proömium die Gesamtheit der Götter zum Zuhören aufgefordert (Hoffner 1998, 40). Die eigentliche Erzählung beginnt mit dem Kampf zweier Götterlinien, die im Wechsel den Sieg erringen (Alalu, Anu, Kumarbi), bis Kumarbi dem fliehenden Anu die Genitalien abbeißt und dadurch mit drei gemeinsamen Nachfahren geschwängert wird, von denen einer, der Wettergott, ihm die Herrschaft rauben wird. Ausführlich werden die Schwangerschaften und die Probleme der Geburt der drei Nachkommen geschildert. Dieser Text weist die engsten Parallelen zur hesiodeischen Theogonie und anderen mythologischen Erzählungen der griechischen Literatur auf. Besonders hervorzuheben sind folgende Motive: die Sukzession der Götter – wenngleich im Griechischen nur drei statt vier Herrscher im Himmel auftreten; die Kastration des Himmelsgottes; das Verschlingen eines Steins anstelle des Sohnes, der die Herrschaft im Himmel zu übernehmen droht; die Kopfgeburt – im »Lied vom Ursprung« ist es der Wettergott, bei den Griechen ist es Athene. Auch die Sichel, mit der der hesiodeische Kronos den Himmelsgott entmannt und so Himmel und Erde trennt, taucht im Ullikummi-Mythos in einem anderen Kontext wieder auf. Die Niederschriften beider Exemplare stammen aus junghethitischer Zeit; sprachliche Archaismen lassen jedoch auf eine frühere Abfassung des Textes schließen. Der Fundort des Haupttextes A (Join aus den Texten KUB 33.120 + KUB 33.119 + KUB 48.97 + KUB 36.31 + KBo 52.10) ist der Tempel I in der Unterstadt, derjenige des Textes B (KUB 36.1) ist unbekannt.

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Texte der Hethiter

Literatur: F. Pecchioli Daddi / A. M. Polvani, La mitologia ittita, 1990, 115-124; A. Ünal, TUAT III/4, 1994, 828-830; H. A. Hoffner, Hittite Myths2, WAW 2, 1998, 42-45; J. V. García Trabazo, Textos religiosos hititas: mitos, plegarias y rituales, BCBO 6, 2002, 155-175; V. Haas, Die hethitische Literatur: Texte, Stilistik, Motive, 2006, 133-143; C. Corti, The SoCalled ›Theogony‹ or ›Kingship in Heaven‹ : The Name of the Song, SMEA 49, 2007, 109121; I. Rutherford, Hesiod and the Literary Tradition of the Near East, in Brill’s Companion to Hesiod, Leiden 2009, 9-36; G. Beckman, Primordial Obstetrics, in: M. Hutter / S. HutterBraunsar (Hg.), Hethitische Literatur. Überlieferungsprozesse, Textstrukturen, Ausdrucksformen und Nachwirken. Akten des Symposiums vom 18. bis 20. Februar 2010 in Bonn, AOAT 391, 2011, 25-33; E. M. V. van Dongen, »The Kingship in Heaven« – Theme of the Hesiodic Theogony: Origin, Function, Composition, Greek, Roman, and Byzantine Studies 51, 2011, 180-201; C. Corti / F. Pecchioli Daddi, The Power in Heaven: Remarks on the So-Called Kumarbi Cycle, CRRAI 54, 2012, 611-618; E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 344.

§ 1 (A Vs. I 1-4) [Ich besinge … ]. Die uralten Götter, die [ … ], [diese uralte]n Götter, die mächtigen, mögen zuhören. Na[ra (und) Napsˇara, Mink]i (und) Ammunki mögen zuhören. Amme[z]zadu [und … ] 88), Vater (und) Mutter der/s [ … ] 89) mögen zuhören. § 2 (A Vs. I 5-11) [ … ] 90) Vater (und) Mutter der Isˇ[h]ara mögen zuhören. Ellil (und) ˘ ? [NIN.LI]L, die [unten] und [obe]n mächtige (und) ruhm[r]eiche Götter (sind), [ … ] und der [R]uhe, mögen zuhören. Vormals, in früh[ere]n Jahren, war Alalu im Himmel König. Alalu sitzt auf dem Thron. Der starke Anu aber, der erste der Götter, steht vor ih[m] und verneigt sich hinab zu (seinen) Füßen. Trinkbecher aber gibt er ihm in seine Hand. § 3 (A Vs. I 12-17) Für neun gezählte Jahre war Alalu im Himmel König. Im neunten Jahr aber [lie]ferte Anu dem Alalu einen Kamp[f] (und) besiegte ihn, den Alalu. Der lief vor ihm davon. Er ging in die dunkle Erde hinab, er ging hinab in die dunkle Erde. Auf den Thron aber setzte sich Anu. Anu sitzt auf seinem Thron. Der starke Kumarbi aber gibt ihm zu Trinken (und) verneigt sich zu seinen Füßen hinab. Trinkbecher gibt er ihm in seine Hand. § 4 (A Vs. I 18-24) Für neun gezählte Jah[r]e war Anu im Himmel König. Im neunten Jahr aber lieferte Anu dem Kumarbi einen Kampf. Kumarbi, des Alalu Nachkomme, lieferte dem Anu einen Kampf. Kumarbis Augen hält er nicht mehr stand, der Anu. Dem Kumarbi entschlüpfte er aus seiner Hand, und er floh, der Anu, und er ging in den Himmel. Hinter ihm näherte er sich, der Kumarbi, ergriff ihn an den Füßen, den Anu, und zog ihn aus dem Himmel hinab. § 5 (A Vs. I 25-29) Er biß seine Genitalien? ab. Seine Männlichkeit vermischte sich in Kumarbis Innerem wie Bronze. 91) Als Kumarbi des Anu Männlichkeit hinuntergeschluckt hatte, freute er sich und lachte. Er drehte [si]ch zu ihm zurück, der Anu, (und) begann, zu Kumarbi zu sprechen: »Freust du dich über [de]in Inneres, weil du meine Männlichkeit verschluckt hast?« § 6 (A Vs. I 30-36) »Freu dich nicht über dein Inneres! In dein Inneres habe ich dir eine Last gelegt: Dabei habe ich dich geschwängert mit dem Wettergott, dem Gewichtigen; zum zweiten aber habe ich dich geschwängert mit dem Tigris, dem Unaufhaltsamen; und zum dritten habe ich 88. 89. 90. 91.

Haas 2006, 134, ergänzt: »[Alalu]«. Haas 2006, 134, ergänzt: »[des Himmel]s« mit Anm. 5. Vgl. auch Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 128 mit Anm. 3, mit Hinweis auf weitere Ergänzungsvorschläge. Vgl. Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 128, mit einer Ergänzung »[Anu, Ant]u«, sowie Haas 2006, 134, mit »[Enlil, Aband]u« (so auch Beckman 2011, 26). Als Resultat der Mischung von Kupfer und Zinn.

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dich geschwängert mit dem gewichtigen Tasˇmisˇu und dir drei schreckliche Götter in dein Inneres (als) Last gelegt. Später wirst du (damit) enden, die Felsen des Tasˇsˇa-Berges mit deinem Kopf zu schlagen.« 92) (Die Geburt des ersten Nachfahren erfolgt durch Ausspucken.) § 7 (A Vs. I 37-41) Nachdem Anu aufgehört hatte zu sprechen, g[ing] er hinauf in den Himmel und versteckte sich. Aus dem Mund spuckte [K]um[arbi], der weise König, aus, aus dem Mund spuckte er des Mundes [Speichel mit Sperma] vermischt aus. Was Kumarbi nach oben heraussp[uckte], na[hm] der Berg Kanzura als gefürchteten Gott auf. § 8 (A Vs. I 42-46) [Kuma]rbi aber ging gesundet? 93) [ … nach] Nippur und setzte sich auf den herrschaftlichen [ … ]. Kumarbi [ … ] nic[ht … z]ählt [ … ]. Der siebte Monat tr[at] ein. [ … ] in seinem Inneren [ … ] (Es kommt zur zweiten Schwangerschaft.) § 9’ (A Vs. II 1-3) »Komm (aus) dem Kumarbi [h]eraus und aus seinem kräftigen [ … ], 94) oder komm ihm aus der Sch[w]ellung? heraus, oder komm ihm aus dem guten Ort? heraus.« § 10’ (A Vs. II 4-14) A.GILIM begann, die Worte gegenüber Kumarbi, (nämlich) seinem Inneren, zu sprechen: »Du sollst leben, H[err?] der Quellen (und) der Weisheit! 95) Wenn [ … ] herauszukommen?: Er hat [dir], dem [K]umarbi, unte[n … ] gebissen. Welche [ … ]? Die Erde gibt mir ihre Mannhaftigkeit. Der Himmel gib[t mi]r [sei]ne Heldenhaftigkeit. Anu aber gibt mir seine Männlichkeit. Kumarbi aber gibt mir Verstand?. Nara gibt mir Mannhaftigkeit?. Napsˇara aber gibt mir [ … NN gibt mir] den Weinstock?. Ellil gibt mir seine Mannhaftigkeit, [ … ] seine Gewichtigkeit und seinen Verstand. 96) [ … ] des ganzen Inneren [ … ].« (Das Gespräch zwischen Ea, Anu, Kumarbi und dem noch ungeborenen Wettergott über die Suche eines sicheren Weges der Geburt setzt sich fort, bis die Entscheidung für die Geburt aus dem Kopf fällt.) § 12’ (A Vs. II 23-28) A[nu] begann zu sprechen?: »Komm [ … ]. Ich fürchtete dich, das zornig blickende [ … ] Du [ …]st. Die [ … ], die ich alle gab, komm [ … ] Himmel?! Wie eine Frau [ … ] des [ … -]en sie ihn, hervor mit [ … ], komm ebenso! Wettergott der Stadt [ … ], komm! Komm mit Donner? aus den [ … ]! 97) Komm [ … ] all[… ]. Wenn es gut (ist), [kom]m aus dem guten Ort.« § 13’ (A Vs. II 29-38) Er (scil. der in Kumarbi eingeschlossene Wettergott) begann, in Kumarbis Innerem zu sprechen: »[ … ] die stehenden [ … ] den Ort [ … ] Wenn ich heraus [ … ], zerquetscht er die [ … ] wie Rohr. Wen[n] ich [aus] dem guten Ort [he]rauskomme, wird er mich darin auch dadurch verunreinigen. Im Himmel (und) auf der Erde [ … ] wird er mich darin durch das Ohr verunreinigen. Wenn ich aus dem guten Ort aber herauskomme, schreit er mir [ … ] w[ie] eine Frau [ … ]. Als ich den Wettergott des

92. 93. 94. 95. 96. 97.

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Möglicherweise bezieht sich diese Stelle bereits auf die Geburt des Wettergottes aus dem Kopf des Kumarbi in § 13’ (vgl. auch Beckman 2011, 28 f., zur komischen Problematik der Geburt durch ein männliches Wesen). Anders Haas 2006, 137: »zornig« und Hoffner 1998, 43: »wailing(?)«. Anders Haas 2006, 137: »[ ] … den Kumarbi; aus seinem Schädel, [aus dem] K[örper] komm heraus …«; Hoffner 1998, 43: »… Kumarbi [Akk.]. From his … from the body come out!« So nach Haas 2006, 138; ebenso HED 3, 199. Anders Hoffner 1998, 43: »O lord of the source of wisdom!«; ähnlich Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 119. Haas 2006, 138: »[Aya] wird [mir] seine Gewichtigkeit und seine Weisheit geben.« Vgl. abweichende Übersetzungen »komm heraus aus dem Mund« bei Haas 2006, 138; Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 120; Hoffner 1998, 43.

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Himmels hine[in- … ], bestimmte er es.« 98) Wie einen Stein zerbrach er ihn, seinen Kopf, den Kumarbi; und (aus) diesem hinauf, aus seinem Kopf, kam er, KA.ZAL, der heldenhafte König. 99) (Kumarbi sinnt darauf, seinen Sohn zu vernichten. Man gibt ihm jedoch einen Stein, den er an seiner Stelle verschlingt.) § 14’ (A Vs. II 39-54) Als er ging, trat er vor Ea. Kumar[bi ve]rneigte sich und fiel nieder. Kumarbi [verf]ärbte sich au[s … ]. Er fra[gt]e nach NAM.HE, 100) der [Kumarb]i, [und begann], Ea gegenüber zu sprech[en]: »Gib mir den [So]hn!˘ Ich werde [ih]n auffressen. Die Fra[u], die mir [ … ], [ … ]. Auch die [ … ], die mir ihn, den Wettergott, [ … ], werde ich [au]ffressen. Ich werde [ … ] wie [dünnes? R]ohr zerbrechen. [ … -]te [ … ] verletze? ich vorne.« [ … or]dnete er [ … ] an. Er h[ör]te auf zu [ … ], der Ea. »Frage [ … ]! [S]ammelte er ihn von selbst zusammen?« [ … ] den Kumarbi [ … ] [ … ], Ea?. [Er begann], zu ihm hinzus[e]h[e]n. Kumarbi begann, [ … ] zu essen. Der [Diori]t aber [verletzte] dem Kumarbi in seinem Mund die Zähne. [A]ls er ihm die Zähne in seinem Mund [verletz]t hatte, [ … ]. Und er begann zu klagen. (Es folgt eine Aitiologie der Verehrung der Kultstelen.) § 15’ (A Vs. II 55-70) [ …, der Kum]arbi, und begann, die Worte zu sprechen: »Ich fürchtete [ … ]. 101) Ich [ … ].« Wie das Greisenalter? [ … ] Kumarbi [ … ]. Er begann, zu Kumarbi zu sprechen: »Man soll [ … ] nennen. Er soll [ … ] liegen.« Den Diorit aber warf [ … ] in [eine Grube?]. »Von jetzt an soll man ihn dich [ … ] nennen. Die [Reich]en, die Helden (und) die Herren sollen dir Rinder (und) [Schafe schl]achten. Die Armen aber sollen dir [m]it [memalSpeise] opfern. Nicht wie [ … ] sie [ … ]. Was [ … ] den Kumarbi aus dem Mund [ … ], [ … ] niemand wieder [ … ]. [ … ] sprach er, der Kumarbi: [ … ] entstand in seinem Körper!, [… ]-en die Länder oben und unten. § 16’ (A Vs. II 71-75) [Die Reichen] begannen, mit Rindern (und) Widdern ein Schlachtopfer darzubringen. [Die Armen aber] begannen, mit [m]emal-Speise zu opfern. [ … ] begannen [ … ]. Seinen Kopf verschlossen? sie [ … ] wie ein Kleidungsstück, seinen Kopf, den Kumarbi. Aus [dem guten O]rt kam der heldenhafte Wettergott heraus. (Nachdem der Kopf des Kumarbi geheilt ist, folgt die Geburt des dritten Nachkommen, des Tigris.) § 17’ (A Vs. II 76-87) [ … ], die [Schicksals]göttinnen. [ … ] seinen guten Ort wie ein Kleidungsstück [ … ] seinen [O]rt so wie [ … ] den zweitrangigen Platz [ … ]. Dem Tigris aber [ … ] danach [ … ]. [ … ] kam hervor. [ … ] ließen ihn gebären. Als [ … ] den Kumarbi wie eine Frau des (Kind)b[ettes? … ], [ … ] dem Berg Kanzura [ … ]. [Sie ließen] ihn [gebären], den Berg Kanzura. [ … ], der Held, kam (hervor). [ … ] k[am] aus dem guten Ort hervor. (Die folgenden stark zerstörten Paragraphen berichten von einer Diskussion unter den Göttern über die Herrschaft im Himmel, die den Wettergott verärgert und dazu ver98. Mit anderer Lesung und der Bestimmung der Verbalform als luwische 3. Sg. Prät. übersetzt HEG II, 1012: »und ein Fenster drinnen ist fest gemacht (= geschlossen?).« Ähnlich Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 120 mit Anm. 29. Anders Haas 2006, 138: »Den Schädel bestimmte er.« 99. Gemeint ist mit Beckman 2011, 30, der Wettergott (anders Corti / Pecchioli Daddi 2012, die die Göttin ISˇTAR hinter dem Logogramm vermuten). 100. Haas 2006, 139: »und er sucht die Namhe auf«. Nach Beckman 2011, 30, handelt es sich dagegen um eine weitere Benennung für den Wettergott. 101. Hoffner 1998, 44, faßt den Satz als Frage auf: »Who was I afraid of?« Ebenso CHD L-N, 346a.

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anlaßt, Ea zu verfluchen. Sˇeri weist den Wettergott zwar zurecht, doch Ea wird seinerseits böse und kehrt heim. Daraufhin gebiert zur Freude des Ea die Erde zwei Söhne.) § 27’’’’ (A Rs. IV 9’-16’) … Er nahm [Vers]tand für sich, 102) [ … ] Ea, [Herr der Weisheit … ] gi[ng] in die Stadt Abzuwa. [ … we]iß er. 103) Auch Ea, [der Herr der] Weis[heit, z]ählt [die Monate]: Der erste Monat, [der zweite] Mon[at, der dritte Monat verging]. Der vierte [M]onat, der fünfte Monat, der sechste Monat verging. [Der siebte Monat], der achte [M]onat, der neunte Monat verging, und der zehnt[e] Monat [trat ein]. [Im] zehnten Monat [begann] die Erde zu kreiß[en]. § 28’’’’ (A Rs. IV 17’-27’) Als die Erde kreißt[e], gebar sie [ … ] Söhne. Ein Bote ging. [ … ] erkannte [ … ] auf [sei]nem Thron an. Ea? sandte? das erstklassige Wort [ … ] aus: »Die Erde gebar zwei Söhne.« Ea [ … hö]rte [ … ] die Worte. Der Bo[te ab]er, der [ … ] zu ihm hinab gegangen war, [ihm] übergab [Ea], der König [der Weisheit], ein Geschenk. Ein Gewand [legte er] ihm [an seinen] K[örper an], einen Mantel? aber [legte er] ihm auf seiner Brust [an]. Ein IPANTU aus Silber [legt er] de[m B]oten dazwisch[en und] umwindet [es]. 104) (Der Kolophon bestätigt, daß die Erzählung nicht abgeschlossen ist.) § 29’’’’ (A Rs. IV 28’-35’) Erste Tafel des Liedes des GÁxÈ.A, nicht fertig. (Von der) Hand (des) As ˇhapala, ˘ Sohn des Tarhuntasˇsˇu, Enkel des Kuruntapiya und Urenkel des Warsˇiya. Ausgebildeter ˘ des Ziti. Die Tafel war abgerieben, und Asˇhapala hat sie vor Ziti (ab)geschrieben. ˘ 2.2 Mythos vom Königtum des Gottes LAMMA – Erste Version (CTH 343.1)

Die Erzählung berichtet davon, wie der Gott LAMMA den Wettergott besiegt und so die Herrschaft im Himmel erlangt. Er bewährt sich jedoch nicht, sondern setzt die Ordnung außer Kraft, indem er die Menschen in Reichtum leben läßt und bewirkt, daß den Göttern die ihnen zustehenden Opfer nicht mehr dargebracht werden. Ea, der stets die Aufgabe hat, in Notsituationen die Rettung zu bringen, setzt ihn daraufhin wieder ab. Die Identifikation des Gottes LAMMA ist umstritten, doch handelt es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit um den Hirschgott Kuruntiya. Das gemeinsame Auftreten mit Kubaba erlaubt eine Lokalisierung des Mythos im hurritisch-syrischen Kontext von Karkemisˇ. Der Haupttext A (bestehend aus KUB 33.114 + KBo 51.10 (+) KUB 36.2a (+) KUB 36.2b + Bo 7247 (+) KBo 22.86 + KUB 33.112 + KUB 36.2c (+) KUB 36.2d) wurde im Tempel I gefunden, während die Fragmente B (KBo 12.76) und C (KBo 12.82) aus dem nahe gelegenen »Haus am Hang« stammen. Die Herkunft von D (KUB 33.111 + HT 25) ist unbekannt. Sämtliche Niederschriften sind in junghethitischer Zeit entstanden. Merkmale älterer Sprache, die auf eine frühere Abfassungszeit des Textes hinweisen könnten, sind nur wenig und in festen Phrasen vorhanden, so daß ein entsprechender Nachweis nicht möglich ist.

102. Hoffner 1998, 45: »contrived a plan.« 103. Hoffner 1998, 45, ergänzt: »Ea, [lord of the source of] wisdom, knows what to do.« 104. Zur Deutung dieser Passage s. Beckman 2011, 31. Vgl. auch Corti 2007, 112 f.

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Literatur: H. A. Hoffner, Hittite Myths2, WAW 2, 1998, 46 f.; V. Haas, Die hethitische Literatur: Texte, Stilistik, Motive, 2006, 144-147; A. Archi, Orality, Direct Speech and the Kumarbi Cycle, AoF 36, 2009, 216-218; E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 343.1.

(Im fragmentarisch erhaltenen Anfang besiegt der Gott LAMMA den Wettergott im Kampf und verwundet auch seine Schwester Isˇtar durch einen Pfeil. Er vertreibt den Wettergott, entreißt ihm die Insignien der Macht, darunter das Eselhalfter.) § 3’ (A Vs. I 21’-29’; C 2’-11’) Zurück wandte er sich, der Wettergott, [und] begann zu sprechen: »Das Es[elhalfter … ], das er (mir) aus der Hand genommen hat, [ …]te [ … ] es [ … aus der] Hand. 105) Jene [solle]n das Eselhalfter [ … ]! Sie [ruf]en dich zum Haus des Fest[es]. Das Eselhalfter [sol]l di[ch]/di[r … ]! Das Schaf, das sie dem Eselhalfter o[pfe]rn, ißt [ … ]. 106) [Auch] ein Mann hält [ … ] § 4’’ (A Vs. II 1’-7’) [Als] LAMMA [die Wo]rt[e] des E[a hörte], bega[nn] er [ … ] zu [sprec]hen. Er aß (und) tr[a]nk [ … und … g]ing [in] den Himmel. [In den] Himmel [hi]nauf [ …]te er [ … ]. § 5’’ (A Vs. II 8’-22’) Neun Jahre war LAMMA im Himmel König. In den Jahren gab es keine Unwetter?, Wölfe (oder) Diebe. Die Stelle [des] Unwetter[s] küßte(n) Mehl (und) Gerstenbrei. An Stelle des [R]egens aber [r]egnete? es tawal-Bier (und) [w]alhi-. 107) Was aber [ … ] nachts [ … ] legt, (davon) nimmt er Butterschmalz. Was [ …˘ ] legt, (davon) nimmt er [ … ]. Im Tor aber [ … d]arin. Und sie (Akk.) [ … ] mahhurisˇ- [ … ]. [ … ] flossen [Bi]er (und) Wein. [ ˘ ]. Die Menschheit … …]ten die Täler mit ausgegossenem[˘ … (Die Göttin Kubaba fordert LAMMA auf, die großen Götter zu ehren. LAMMA weigert sich, so daß Ea seine Absetzung beschließt. Er teilt die Entscheidung sowohl LAMMA als auch den anderen Göttern mit.) § 6’’’ (A Rs. III 3’-20’; D Rs. 1’-12’) … [Kubaba be]gann zu sprechen: »Da drüben aber [ … ] große Götter, Älteste, dein[e …? ] Großväter. Ge[h] ih[nen] entgegen! [ … ] Vernei[ge] dich vor ihnen!« [LA]MMA begann, der Kuba[ba] zu antw[ort]en: »Die uralten Götter sind groß [ …? ]. Sie standen [ …? ] auf. Sobald ihnen [ …? ] das Brot nicht im Mund [ …, … ]. Den Weg aber [ … ] gehen sie, und sie kommen den Weg [ … ]. Werde ich, LAMMA, Köni[g] des Himmels, mich (etwa) vor den Göttern verneigen?« 108) Die starken Winde trugen des LAMMA böse Worte dem Ea auf dem Weg entgegen. Ea be[gann], zu Kumarbi zu sprechen: »Komm, gehen wir zurück! Wie jener LAMMA, den wir im Himmel zum König machten, feindselig (war), ebenso wur[den] auch die Länder feindselig, und nie[man]d gibt den Götter[n meh]r Dickbrot (und) Gußopfer.« § 7’’’ (A Rs. III 21’-31’) Ea (und) Kumarbi [w]andten [ … ] um. Ea [ging in] die Stadt Abzuwa. Kumarbi aber ging fort in die Stadt Du[ddull]a. Ea [st]ellte den Boten vo[r] sich und begann, ihn zu LAMMA zu sch[ick]en: »Geh (und) [ … ] diese Worte z[u … ]! ›[W]arum m[ac]hte[n] wir dich im Himmel zum König? Er machte nie [ … ]. [Ni]e [aber] rief er [ … ] .‹ 109) [ … ] tischt er [ … ] auf. [ … ] sendet er [ … a]us. 105. Vgl. zur möglichen Ergänzung Hoffner 1998, 46: »You have taken [my] reins [and whip] from my hand and [taken them into your own] hand.« 106. Zu einer Ergänzung »das ißt eine Frau nicht« vgl. Hoffner 1998, 46. 107. Die Übersetzung ist syntaktisch höchst problematisch. 108. Anders Hoffner 1998, 46 f.: »(But) [I do not fear] them at all. [Do I] not [put] bread into their mouths?« Vgl. auch HED 3, 289 f.: »what road they go, and what road they come, I, K., king of heaven, assign to the gods.« 109. Anders Hoffner 1998, 47, der diese und die folgenden Verbalformen in der 2. Sg. Prät. übersetzt.

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Ich [ … ].« Der Bote [g]ing. [ … kü]mmerte er sich ebenso. § 8’’’ (A Rs. III 33’-40’) [ … ] gehört hatte, begann er, z[u … ]. Ea begann, zu Izzumma, [seinem Wesir, zu sprec]hen: »Geh hinab [in die] dunkl[e Erde]! Die Worte, die [ich] dir sag[e], geh (und) sage [si]e zu Nara (und) Napsˇara, meinem Bruder! ›Nimm meine Re[de] und höre meine Worte! [LAMMA] machte mich wütend, und ich habe ihn im Himmel von der Königsherrschaft [a]bgesetzt. § 9’’’ (A Rs. III 41’-47’) LAMMA aber, den wir im Himmel zum Köni[g] machten, wie der feindseli[g] (war), ebenso wurden auch die [Lä]nder [fe]indselig, und [ni]emand gibt den Göttern [ … ] mehr Dickbrot (und) Gußopfer. Jetzt aber [h]öre mich [ …? ] an, Nara, mein Bruder! Scheuche alles Getier der Erde auf!‹« Er [ … ] den Berg Nasˇalma [ … ]. Seinen [Ko]pf aber [ … ] ihm. … (Nach einer Lücke beauftragt wohl Ea den Wettergott mit seinem Wesir, den besiegten LAMMA zu zerteilen. Im folgenden Gespräch scheint LAMMA die Herrschaft des Wettergottes anzuerkennen.) § 12’’’’ (A Rs. IV 15’-23’) [ … ] begann [ … zu spr]ech[en]: »[ … ] H[öre] meine [Wor]te! [Halte dein Ohr genei]gt! Und sie [ … ]. [ … ] vom Rücken hinauf [ … ] Lastkarren [ … ]. Der Unterschenkel aber [ … ] ihm vom Rücken unter siebenhundert [ … ].« § 13’’’’ (A Rs. IV 24’-29’) Der Wettergott (und) NIN.URTA, sein Wesir, [ … ] und den LAMMA behandelten sie ebenso. Sie traten [ … ] nieder. Und den LAMMA [ … ]. Sie schnitten ihm vom Rücken [ … ]. Den Unterschenkel aber schnitte[n] sie [ … ]. § 14’’’’ (A Rs. IV 30’-37’) LAMMA [begann], dem Wettergott [zu] ant[worten]: »Wettergott, mein Herr, früher [ … ]. [ … ] mir [ … ].« Der Wettergott [begann], zu LAMMA [zu] spr[echen]: »Sie sollen gehen (und) dir [ … ]. [ … ] mir [ … ]. Dich, den großen, [ … ] all[e … ]. Ich aber ihn dir [ … ]. (Der Text bricht ab.)

3. Verschiedene Mythen 3.1 Elkunirsˇa und Asˇertu (Erste Version, Text eins) (CTH 342.1.1)

Bei der Textgruppe CTH 342.1 »Elkunirsˇa und Asˇertu« handelt es sich um die hethitische Adaption eines Mythos über Tod und Auferstehen des Wettergottes. Der Mythos ist bisher immer als palästinensisch-kanaanäischer Herkunft beschrieben worden, doch Singer 2007 argumentiert, daß nichts im hethitischen Text zwingend zu diesem Schluß führe, und er schlägt stattdessen eine Klassifizierung als »westsemitisch« oder »syrisch« vor. Wann und wo die Anpassung an das hethitische Pantheon stattfand, ist nach Singer nicht auszumachen. Die hethitische Fassung des Mythos ist in zwei Versionen überliefert, von denen hier die erste vorgestellt wird. Der Text ist vergleichsweise bruchstückhaft erhalten. Version 1 stützt sich auf zwei Abschriften, die aus den Archiven in Hattusˇa stammen: ˘ und KUB 36.34 KUB 36.35 (Text A), spätjunghethitisch, genauer Fundort unbekannt, (Text B), junghethitisch, genauer Fundort ebenfalls unbekannt. Der Mythos handelt davon, daß Asˇertu, die Frau des Gottes Elkunirsˇa, den Wettergott Tarhuna um sexuelle Dienste bittet. Tarhuna wendet sich jedoch an Elkunirsˇa ˘ ˘ und berichtet ihm von Asˇertus Bitte. Daraufhin weist Elkunirsˇa Tarhuna an, Asˇertu ˘ zu demütigen. Diese aber gewinnt das Vertrauen ihres Mannes zurück und veranlaßt

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ihn dazu, Tarhuna in die Unterwelt zu verbannen. Von dort wird er von seiner Schwe˘ ster Isˇtar gerettet und durch Riten wieder zum Leben erweckt. Eine wichtige Rolle bei der Demütigung Asˇertus spielen die symbolischen Zahlen 77 und 88, die auch in einem ugaritischen Mythenzyklus um den Gott Baal zu finden sind, weshalb gemeinhin davon ausgegangen wird, daß der anatolische Tarhuna in ˘ CTH 342 Baal ersetzt (s. Haas 2006, 214). Die Warnung an Tarhuna, Asˇertus Essen ˘ nicht anzurühren, ist nach Hoffner 1998, 90, vergleichbar mit Genesis 39 und einer ägyptischen Volkserzählung. Literatur: G. Beckman, in: W. W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture I, 1997, 149; H. A. Hoffner, Hittite Myths2, WAW 2, 1998, 90-92; J. V. García Trabazo, Textos religiosos hititas: mitos, plegarias y rituales, BCBO 6, 2002, 141-153; V. Haas, Die hethitische Literatur: Texte, Stilistik, Motive, 2006, 213-216; I. Singer, The Origins of the »Canaanite« Myth of Elkunirsˇa and Asˇertu Reconsidered, in: Fs Kosˇak, 2007, 631-642; E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 342.

§ 1’ (A Vs. I 1’-7’) [»Sei hinter mir! 110) Dan]n [bin ich] für dich hi[nter] dir. 111) Mit [meinen] Worten drück[e ich dich] nieder, mit [meiner Sp]indel? [aber] steche ich [dich?]. [Mit meinem … ] aber treibe ich dich an.« 112) Der Wettergott hörte (dies), [und er] stand [auf]. Er gela[ngte] ins Quellgebiet des Mala-Flusses, [und er] gel[angte zu] Elkunirsˇa, Asˇertus Ehemann. [Er] ging in das Zelt [des] Elkunirsˇa. § 2’ (A Vs. I 8’-21’, B Vs. I 1’-7’) [Elkun]irsˇa sah den Wettergott und fragte ihn: »[Warum] kommst du her?« Folgendermaßen (antwortete) der Wettergott: »Als ich zu dir und (ins) Innere deines Hauses ka[m], [ … ] schickte mir Asˇertu (ihre) Töchter. 113) ›Komm, schla[f] mit mir!‹ [Ich aber] sagte [ne]in. 114) Die aber wurde mir böse? und sprach [folgender]maßen: ›Sei hinter mir! [Dann] bin ich für dich hinter dir. Mit meinen [Worten] drücke ich dich [ni]eder, mit meiner [Spindel] aber [stec]he ich dich.‹ Deswegen kam ich, mein Vater. Auch k[a]m ich nicht [durch einen B]oten zu dir, ich selbst [kam] zu dir. 115) Asˇertu weis[t] dich (in) deiner (Eigenschaft als) Ehemann zurück. 116) [ … ] deine [Fra]u, sie jammert mich an: ›[Schl]af [mit mir]!‹« Elkunirsˇa [began]n, dem Wettergott zu ant[worten]: »Geh und … [ … ] sie, [Asˇertu], meine [Fra]u! 117) Demütige sie!« § 3’ (A Vs. I 22’-27’) [Der Wettergott] hörte (des) Elkunirsˇa [Wo]rte und [ging] zu Asˇertu. Der Wettergott sagte zu Asˇertu: »Ich tötete [dei]ne 77 [Kinder], tötete 88.« [Als] Asˇer-

110. Vgl. CHD L-N, 443a, Beckman 1997, 149, und Hoffner 1998, 90. Anders Haas 2006, 214: »Sei du hinter mir (her)! Dann bin auch ich hinter dir (her)!« 111. Die Doppelung des Personalpronomens dürfte verstärkende Funktion besitzen. 112. Haas 2006, 214: »Mit meinen Worten werde ich dich bedrängen, mit meiner Spindel werde ich dich ritzen! Mit meinem … aber werde ich dir auflauern!« 113. Anders Beckman 1997, 149, und Hoffner 1998, 91: »When I came into your house, …«; Haas 2006, 214: »Als ich zu dir in dein Haus kam, …« 114. Vgl. CHD L-N, 261b, 263 f.: »I [re]fused«, denn hier dürfte eine Kontamination von UL mema- und mimma- vorliegen. 115. Anders Haas 2006, 214: »Nicht bin ich als Bote zu dir gekommen; ich bin zu dir in eigener Sache gekommen.« Ebenso Hoffner 1998, 91, und ähnlich Beckman 1997, 149. 116. Anders Hoffner 1998, 91: »Asˇertu is rejecting you, her own! husband.« 117. Anders Haas 2006, 214: »Gehe, empöre sie, ängstige sie und demütige Asˇertu, meine Gemahlin!« Ähnlich Hoffner 1998, 91, und CHD L-N, 87b.

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tu die [D]emütigung gehört hatte, wurd[e] in [ihr] die Seele böse. 118) Sie setzte [Klagefraue]n? ein, und sie klag[t] sieben Jahre lang. [ … ] essen und [tr]inken für sie. (Die folgenden zwei Paragraphen sind kaum erhalten.) § 7’’’ (B Rs. IV 1-9) [ … ] die [ … ] Seine Frau [(und) Kinder gingen … ] in Schlechtigkeit. [Sie richten … ] auf. [ … ] begann zu sprechen: »Ich [darf ihn nicht … ] hinführen.« (§ 8 nur in Bruchstücken erhalten.) § 9’’’’ (A Rs. IV 3-11) [A]ls [ … ] zu [ … ] machte? ich [ … ] mir die Kinder der A.NUN.N[A.KE … ] Elkunirsˇa [ … ] brachte [ … ] her. Isˇtar [ … ] führte [ … ] hin. [ … ] setzte [ … ] ein. Einer seiner Söhne [ … ] machte [sc]hläfrig [ … ] § 10’’’’ (A Rs. IV 12-20) Als [ … ] Mann [ … i]nnerer [ … ] [Er nahm ihm/ihr] das Haar vom [Kopf]. [Aus sei]nen/[ih]ren [Augen] nah[m er] ihm/ihr das Sehvermögen. [Aus seinen/ihren Ohren] nah[m er ihm/ihr] das Hörvermögen. Er nahm [ … ] Au[s … ] n[ahm er] den [ … ] [Au]s seinem/ihrem Körper [nahm er] ih[m]/ih[r] die [ … ] (Der Text bricht ab.)

3.2 Das Märchen von Appu und seinen Söhnen – Erste Tafel (CTH 360.1)

CTH 360.1, »Das Märchen von Appu und seinen Söhnen« und ist in einer Reihe von Exemplaren belegt: KUB 24.8 + KUB 36.60 (Text A), spätjunghethitisch, genauer Fundort unbekannt; KBo 7.18 (+) KUB 36.59 (+) KBo 19.101 (Text B), KBo 26.84 (Text C), KBo 19.108 (Text D), KBo 19.106 (Text E), KUB 43.70a (+) KUB 43.70b + KBo 19.107 (Text F), KBo 19.102 + KBo 26.85 (+) ABoT 48 (Text G), alle junghethitisch und in Tempel I gefunden, und schließlich Bo 3627 (Text H), Sprachstufe und genauer Fundort nicht bekannt. Hoffner 1998, 82, ordnet die Erzählung aufgrund grammatikalischer Archaismen in ihrer Entstehung der mittel- oder sogar althethitischen Periode zu. In seiner überlieferten Form behandelt der Text des Märchens von Appu und seinen Söhnen zwei verschiedene Aspekte. Im ersten Teil ist Unkenntnis das Thema, denn der Protagonist Appu ist zwar sehr reich, aber wie seine Frau sexuell so unbedarft, daß ihm der Sonnengott sagt, was er tun solle, um Kinder zu zeugen. Im Folgenden werden Appu und seine Frau dann gleich zweimal hintereinander Eltern. Bei dieser Gelegenheit werden wie so oft die Gestationsmonate durchgezählt, und Appu führt beide Male den Brauch der Anerkennung durch, indem er das jeweils neugeborene Kind auf seinen Schoß setzt und ihm einen Namen gibt. In prophetischer Manier nennt er seinen ersten Sohn ›Schlecht‹, und den zweiten Sohn tauft er ›Gerecht‹. Der zweite Teil des Märchens führt die Geschichte fort und konzentriert sich auf Appus Söhne in einer hethitischen Fassung des weitverbreiteten Motivs der zwei Brüder, die konträre Lebensstile, Moralvorstellungen und/oder Interessen verkörpern. Hier ist der ältere Bruder ›Schlecht‹ auf seinen eigenen Vorteil bedacht, während der jüngere Bruder ›Gerecht‹ genügsam ist und dafür vom Sonnengott belohnt wird; Haas 2006, 194-195, verweist auf analoge Brüderpaare wie Anubis/Anup, Bata/Bitiu, 118. Siehe zu diesem Ausdruck H. A. Hoffner / H. C. Melchert, A Grammar of the Hittite Language, 2008, 367 mit Anm. 13.

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Kain/Abel, Esau/Jakob etc. Die Erbschaftsteilung der beiden Brüder wird schließlich zur Rechtssache, jedoch ist der Ausgang der Geschichte unbekannt, da keine weiteren Textstücke erhalten sind. V. Haas legt dar, wie sehr der Aufbau des Märchens sich an dem babylonischer Epen orientiert. Nach einem kurzen Proömium erfolgt eine Beschreibung der Gegebenheiten und des Ortes, an dem das Geschehen angesiedelt ist, um dann zur eigentlichen Geschichte überzuleiten. Siegelová 1971, 33-34, und Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 165-166, widersprechen der früheren Auffassung, daß das Märchen deutlichen hurritischen Einfluß zeige. Sie gehen stattdessen davon aus, daß die Motive und Erzählstrukturen mesopotamischen Quellen entsprängen und in ihrer Umsetzung hier typisch für die Schreibertradition in Hattusˇa seien. ˘ Literatur: J. Siegelová, Appu-Märchen und Hedammu-Mythus, StBoT 14, 1971; F. Pecchioli Daddi / A. M. Polvani, La mitologia ittita,˘ 1990, 163-172; H. A. Hoffner, Hittite Myths2, WAW 2, 1998, 82-85; V. Haas, Die Erzählungen von den zwei Brüdern, vom Fischer und dem Findelkind sowie vom Jäger Kesˇsˇe, AoF 32, 2005, 362-365; V. Haas, Die hethitische Literatur: Texte, Stilistik, Motive, 2006, 194-199; E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 360.1.

§ 1 (A Vs. I 1-6, B Vs. I 1’-4’) [ … 119)], der die [g]er[echt]en Menschen er[h]öht, die schlechten Menschen [aber] wie Holz fällt, den schlecht[en] Menschen aber die sˇaksˇakila- 120) auf ihre Schädel schlägt [und] sie vernichtet. § 2 (A Vs. I 7-12, B Vs. I 5’-7’, F Vs. 1’’) (Es war einmal) eine [S]tadt – [Sˇ]udul ist ihr Name – und das Land von Lulluwa befindet sich am Meer, an seinem Ufer. 121) (Dort) oben (gibt es) einen Mann, Appu (ist) sein Name. Innerhalb des Landes ist er der Reich(ste). Seine Ri[nde]r und Schafe (sind) vi[e]l (an der Zahl). § 3 (A Vs. I 13-14, F Vs. 2’’-3’’) Ihm (ist) aber in S[ac]hen Silber, Gold (und) [Lapizl]azuli eine [M]enge wi[e] ein Haufen? (zusammen-)gescharrt. § 4 (A Vs. I 15-21, F Vs. 4’’-8’’) Und ihm fehlt nichts. Ihm feh[l]t (nur) eine Sache: Er hat weder [S]ohn noch Tochter. Die Ältesten von Sˇ[ud]ul 122) sitzen vor ihm zum Essen, und jeder gibt (seinem) Sohn B[rot] und Öl. [Ein jede]r aber gibt dem Sohn zu trinken. [A]ppu aber gibt niemandem Brot. § 5 (A Vs. I 22-26, F Vs. 9’’-11’’, H Vs. I 1’) Die [Taf]el (ist) mit [Lei]nen bedeckt [und] steht vor dem Altar. App[u st]and auf, 123) [g]ing zu seinem Haus und ging s[oglei]ch aber gestiefelt schlafen. § 6 (A Vs. I 27-30; F Vs. 12’’-14’’; H Vs. I 2’-4’) Des Appu [Frau] begann, die Hausgenossen zu fragen: »Er hat niemals Geschlechtsverkehr geha[bt]. 124) Hat er jetzt Geschlechtsverkehr gehabt?« Sie ging, die Frau, und legte sich mit Appu bekleidet schlafen. 119. Haas 2006, 195, ergänzt »Istanu«; ebenso Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 167 Anm. 1. 120. Nach Haas 2006, 195, »eine Art Keule«; vgl. CHD Sˇ, 51, mit Hinweisen auf verschiedene Übersetzungen. Vgl. auch Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 167 Anm. 4. 121. Anders Hoffner 1998, 83: »There was a city named Sudul. It was situated on the seacoast in the land of Lulluwa.« Ähnlich Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 176. 122. Vgl. zu dieser Bildung von Ethnika H. A. Hoffner / H. C. Melchert, A Grammar of the Hittite Language, 2008, 60. 123. Vgl. Hoffner / Melchert 2008, 381, für die Bedeutung von -apa in Zusammenhang mit arai-. 124. Vgl. die verschiedenen Übersetzungen von katta ep- »unten ergreifen«: Haas 2006, 196: »Niemals hat er (mich) beschlafen.«; Hoffner 1998, 83: »He has never had success (?) before.«; Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 168: »Non (mi) ha mai presa.« (vgl. dort auch Anm. 10); HED 1, 277: »never was there conception«.

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§ 7 (A Vs. I 31-37, H Vs. I 5’-8’) [A]ppu schreckte aus dem Schlaf hoch. Seine Frau begann, ihn zu fragen: »Du hast niemals (mit mir) Geschlechtsverkehr gehabt. Hast du jetzt Geschlechtsverkehr gehabt?« [A]ppu hörte (dies) und begann, ihr zu sagen: »Eine [Fra]u von weiblicher Art (bist) du, [und] du verstehst nichts.« § 8 (A Vs. I 38-45, H Vs. I 9’-13’) Es erhob sich Appu vom Bett und nah[m] ein weißes Lamm. Er gin[g] zum Sonnengott. Der Sonnengott sah vom Himmel herab. Er wurd[e] zum jungen Mann, und er ging zu ihm hin und beg[ann], ihn zu fragen: »[W]as ist dein Vergehen, di[r … ] es [ … ].« 125) § 9 (A Vs. II 1-8, H Vs. 1 14’, B Vs. I 1’’-7’’) [Appu] hörte (dies). Er begann, ihm zu ant[wort]en: »Man hat mir Reichtum gegeben. Man hat [ … ] gegeben?. 126) [M]ir fe[hl]t (nur) eine Sache: Weder Sohn noch To[cht]er habe ich.« 127) Der Sonnengott hörte (dies) und begann, ihm zu a[n]tworten: »Geh (und) trinke! Stille (deinen) Durst. Geh in dein Haus. 128) Schlafe gut mit deiner Frau. 129) Die Götter werden einen Sohn dir ins Bett geben.« § 10 (A Vs. II 10-18, B Vs. I 8’’-11’’, C 1’-7’) Appu hörte (dies) und ging zurück in sein Haus. Der Sonnengott aber ging hinauf in den Himmel. Der Wettergott bl[ic]kte dem Sonnengott drei Meilen (entfernt) entgegen. Er begann, zu seinem Wesir zu sprechen: »Dort hinten kommt e[r], der [Sonn]engott, der Hirte der Bevölkerung. Das Land ist doch ni[ch]t etwa irgendwo zu Grunde gegangen? Die Städte sind doch wohl nicht irge[n]dwo verödet? Die Truppen sind doch wohl nicht irgendwo geschlagen? 130) § 11 (A Vs. II 19-24) Beauftragt den Koch (und) den M[und]schenk! Geb[t] ihm zu ess[en (und) zu tr]inken!« (In dem folgenden nur fragmentarisch erhaltenen Textteil sprechen die Götter miteinander.) § 14’ (E 1’-6’, A Rs. III 1’) (Großteil des Absatzes nur bruchstückhaft erhalten und inhaltlich unklar.) Sie [g]ingen [in] die Stadt [ … ]. Un[d] Appu [ … ]. § 15’ (A Rs. III 2’-11’, E 7’-11’, B Vs. II 1’-7’) Des Appu [F]rau wurde schwanger. Ein Monat, zwei Monate, drei [Mon]ate, vier Monate, fünf Monate, sechs Monate, sieben Monate, acht Monate, neun Monate verg[ingen]. Der zehnte Monat trat ein, und des Appu Frau gebar einen Sohn. Die [Wärte]rin hob den Sohn hoch und setzte ihn Appu auf die Kn[i]e. Appu begann, sich über den Sohn zu freuen, begann, ihn zu wiegen, 131) und gab ihm den erstklassigen Namen ›Schlecht‹ : »Da ihm meine väterlic[hen] Götter nic[ht] den rechten Weg [wählten] und den [bös]en Weg (beibe-)hielten, soll sein Name [›Schlech]t‹ sein.« § 16’ (A Rs. III 12’-17’, B Vs. II 8’-14’) Dan[n] wurde [des A]ppu [Frau] zum zweiten Mal schwanger. Der [zehnte] Mo[nat tra]t ein, und die Frau gebar einen Sohn. Die Wärterin [ho]b [den Sohn hoch und setzte] ihn [Appu auf die Knie]. [Appu begann, sich über] den Sohn zu fre[uen], bega[nn, ihn zu wiegen], und gab ihm den Namen ›Gerecht‹ : 125. Vgl. für eine Ergänzung Haas 2006, 196: »Was ist dein Mangel? [ich werde] ihn dir [abnehmen].« Ähnlich Hoffner 1998, 83: »What is your problem, that [I may solve] it for you?« 126. Vgl. Haas 2006, 196, für eine Ergänzung: »man hat [mir Rinder und Schafe] gegeben«; ebenso Hoffner 1998, 83, und Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 168. 127. Wörtlich: »weder Sohn noch Tochter sind vorhanden«. 128. Text: »sein Haus«. 129. Vgl. zu dieser Figura etymologica CHD Sˇ, 307a: »Sleep well the sleep with your wife.« Anders Haas 2006, 196: »und mit deinem Eheweib schlafe in richtiger Weise im gemachten Bett!« 130. Vgl. zur Frage mit nikku Hoffner / Melchert 2008, 345 f. 131. So nach HED 4, 249; anders Haas 2006, 197: »ihn anzuschauen«; Hoffner 1998, 84: »to clean(?) him off«.

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»Fo[rtan] soll man ihn mit dem Namen ›Gerecht‹ rufen. Da für ih[n] meine [väterlich]en Götter den rechten Weg einschlugen [und den guten Weg beibehielten], soll (sein) Name fortan ›Gerecht‹ sein.« § 17’ (A Rs. III 18’-19’) [Des Appu Söhne wurden gr]oß, sie wurden erwachsen und gelangten [ins Mannesal]ter. § 18’ (A Rs. IV 1-3) [Als] des A[ppu] Söhne [groß ge]worden [und erwachsen geworden waren] und [si]e ins Mannesalter gelangt waren, [tei]lten sie [des] App[u … ] auf. Das Haus aber [ … ] unten [ … ] § 19’ (A Rs. IV 4-12, B Vs. II 1’’-4’’) Bruder [Schle]cht [begann], zu seinem Bruder Gerecht zu spr[echen]: »Laß [uns] aber teilen und uns ge[trennt nie]derlassen.« Bruder Gerecht begann, zum [Bruder Schlecht zu spr]echen: »Wer [ … ].« Bruder Schlecht [b]egann, zum Bruder Gerecht zu spr[echen]: »So wie die Berge [getrennt si]tzen, so wie die Flüsse ge[trennt f]ließen und wie die Götter getr[ennt si]tzen, das will ich dir erzäh[len]: § 20’ (A Rs. IV 13-20, F Rs. 1’) Der [Son]nengott bewoh[nt] Sˇippar, 132) der Mondgott aber bewoh[nt] Kuzina. Der Wettergott bewoh[nt] Kumme, Isˇtar aber bewoh[nt] Ninive. Nanaya aber [bewohnt] Kisˇsˇina, Babylon aber bewoh[nt] Marduk. Wie die Götter getrennt si[tzen], so laß uns auch getre[nnt woh]nen.« § 21’ (A Rs. IV 21-25, F Rs. 2’-5’, G 1’-4’) Und Schlecht und Gerecht begannen zu teilen. Der Sonnengott sah vom Himmel her[ab]. [Eine Hälfte] nahm sich Bruder Schlecht, [eine Häl]fte gab er seinem Bruder Ge[rec]ht. § 22’ (A Rs. IV 26-33, F Rs. 5’-8’, G 5’-9’) Sie [ … ]ten sich [ … ] (Es gab) ein Pflugrin[d], [und es gab eine K]uh. 133) Ein Pflug[rin]d, das gute Rind, nahm Schlecht (für) [si]ch, die [K]uh ab[er], das schlechte Rind, gab er s[einem Bru]der Gerecht. Der Sonnengott [sa]h vom Himm[el herab]. »Fortan soll die [K]uh [ … ] gut werden. Sie soll [ … ] gebären.« § 23’’ (D li. Kol. 1’-4’, G 1’’-5’’, H Rs. IV 1’-2’) »E[r? … ]. [ … ] ihnen [ … ] oben [ … ]. Legt/Nimmt [ … ] zurück.« [Als sie aber Sˇipp]ar erreichten, traten sie in der Rechtssache vor den Sonnengott, und [der Sonnengott] ließ [Brude]r Gerecht gewi[nn]en. § 24’’ (D li. Kol. 6’-7’, G 6’’-9’’, H Rs. IV 3’-5’) [Schlecht?] begann, den Sonnengott zu verfluchen. Der Sonnengott hörte die Flüche und sprach folgendermaßen: »Nicht werde ich sie euch [entschei]den, die Rechtssache. Isˇtar, die Königin von Ninive, soll gehen (und) sie eu[ch] entscheiden.« § 25’’ (D li. Kol. 9’-10’, G 10’’-11’’, H Rs. IV 6’-8’) Sie [gin]gen nach Ninive. Als sie aber Ninive erreichten, traten sie [in der Rechtssache] v[or] Isˇtar. [ … und hierhin] und dorthin [ … ] das Feld [ … ] ziehen [ … ]. (Weitere Paragraphen sind nur in Bruchstücken erhalten.) § 30’’’’’ (A Rs. IV 34) Erste [Taf]el de[s App]u. Nicht vollendet.

3.3 Das Märchen von dem Sonnengott, der Kuh und dem Fischer (CTH 363.1)

Der Text CTH 363.1 »Das Märchen von dem Sonnengott, der Kuh und dem Fischer« ist nur in einer Version nennenswert erhalten: KUB 24.7 (Text A), junghethitische

132. Vgl. zu der Konstruktion Hoffner / Melchert 2008, 246. Haas 2006, 198: »Gott … setzt sich in … nieder.« 133. Anders Haas 2006, 198: »das eine (ist) ein Pflugrind, [das andere aber] eine Kuh.« Ähnlich Hoffner 1998, 84, und Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 171.

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Abschrift eines wohl mittelhethitischen Textes (Haas 2006, 193), genauer Fundort unbekannt. Bei der Tafel handelt es sich um eine Sammeltafel, deren Vorderseite zu etwa zwei Dritteln von einem Ritual und der Hymne der Göttin Isˇtar (CTH 717) eingenommen wird, und erst danach folgt der Text des Märchens. V. Haas 2006, 199-202, geht davon aus, daß die Hymne und das Märchen zusammengehören; beide Texte zeigen deutliche hurritische Merkmale. Die Hymne handelt von Isˇtar und davon, wie sie die nahe beieinanderliegenden Emotionen Liebe und Haß verkörpert und unter den Menschen verbreitet. H. G. Güterbock (Kumarbi, Mythen vom churritischen Kronos,1946, 119-120) vermutet einen Zusammenhang zwischen dem hier behandelten Text CTH 363 und CTH 360 (Appu), da die letztgenannte Geschichte eine vom Sonnengott fruchtbar gemachte Kuh enthält und in CTH 363 von einer Kuh die Rede ist, die das sexuelle Verlangen des Sonnengottes weckt. Jedoch weisen schon J. Friedrich (Churritische Märchen und Sagen, ZA 49, 213-255) und später H. A. Hoffner 1998, 82, 85, auf diverse Probleme dieser Interpretation hin, u. a. auf die Tatsache, daß CTH 363 damit beginnt, daß der Sonnengott einer Kuh begegnet, die ihm unbekannt zu sein scheint. Das Märchen besteht aus zwei Teilen, deren Verbindung infolge zerstörter Textstellen nicht ganz klar ist. Im ersten Teil schwängert der Sonnengott eine Kuh, die daraufhin ein menschliches Kind gebiert und es auffressen will (§§ 1’-7’’). Der Sonnengott rettet das Kind, und ein kinderloser Fischer und seine Frau nehmen sich seiner an, indem sie es als ihren eigenen Sohn ausgeben (§§ 8’’-19’’’’’). An dieser Stelle endet die erhaltene Tafel, und der weitere Verlauf der Geschichte ist nicht überliefert. Das Märchen weist eine Reihe bekannter Motive auf, die auch in verschiedenen anderen Texten auftreten. So spiegelt eine Kuh als Geliebte eines Gottes ein Motiv wider, das auch in der griechischen Mythologie zu finden ist (Io und Zeus), sich aber auch schon in akkadischen Geburtsritualen aus verschiedenen Zeiten einiger Beliebtheit erfreut (Haas 2006, 202, 204). Ebenso ist das Abzählen der Schwangerschaftsmonate ein bekanntes Motiv, das vor allem im Kumarbi-Zyklus verwendet wird und hier zur Anwendung kommen kann, weil die Gestationsperioden von Mensch und Hausrind sich nur geringfügig (um etwa 14 Tage) unterscheiden. Auch die Passage zum Verhalten der Frau des Fischers ist nicht ohne Entsprechung, wie Haas 2006, 205, bemerkt, denn weiblicher Gehorsam wird u. a. in der babylonischen Literatur mehrfach thematisiert. Literatur: H. A. Hoffner, The Hurrian Story of the Sungod, the Cow and the Fisherman, in: Fs Lacheman, 1981, 189-194; F. Pecchioli Daddi / A. M. Polvani, La mitologia ittita, 172176; H. A. Hoffner, Hittite Myths2, WAW 2, 1998, 85-87; V. Haas, Die Erzählungen von den zwei Brüdern, vom Fischer und dem Findelkind sowie vom Jäger Kesˇsˇe, AoF 32, 2005, 366368; V. Haas, Die hethitische Literatur: Texte, Stilistik, Motive, 2006, 199-206; E. Rieken et al. (Hg.), hethiter.net/: CTH 363.1.

§ 1’ (A Vs. II 46’-59’) [ … ] der Olive [ … ] mächti[g … ]. Die [ … ] tr[ieb]en [ … v]ernachlässigte [ … ] die artati-Pflanze [ … ] und das [jun]ge G[rü]n. [ … a]ß das Rohr? [ … ]. Die Kuh gedi[eh] außerordentlich, [und] sie wurde [ … präch]tig?. Der Sonnengott blick[te] vom Himmel hinab, und (ihm) entspr[an]g Verlangen [n]ach der [gut gediehe-

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Texte der Hethiter

nen?] Kuh. [ … 134)] ein jun[ger] Mann?, [und] er kam vom Himmel herab. Er begann, [ … ] zur Kuh zu s[p]rechen: »Wer [ … ] du [unse]re Wiese abweidest? [ …? W]enn das junge Grün [ … ] i[st, … ]. Du zerstör[st] die Weide.« 135) (In den Paragraphen 2’–5’’ wird das Gespräch zwischen dem Sonnengott und der Kuh fortgesetzt und die Kuh wird im Verlauf offenbar schwanger.) § 6’’ (A Rs. III 15’-27’) Die [K]uh [ … i]n? [ … ]. Der zweite Monat, der dritte Monat, [der vierte Monat, der fünfte Monat, der sechste Monat, der siebte Monat, der achte Monat,] der neunte Monat, der zehnte Monat tr[at] ein. [ … ]. 136) Die Kuh [ … ] wieder [dem] Hi[mmel … ] 137) blickte wütend weg u[nd?] begann, [ … ] zu [sprec]hen: »Ich r[ufe] um Gnade! 138) [ … ] seine vier Füße [ … ]. Warum aber habe ich diesen Zweifüßer geboren?« 139) Die Kuh riß das Maul (weit) wie ein Löwe auf, und sie ging auf das Kind los, um es zu fressen. Die Kuh machte [ihr] Le[ibesinneres] tief wie eine Woge, und sie gin[g] zum Kind. [ … ] § 7’’ (A Rs. III 28’-31’) Der Sonnengott blickt[e vo]m Himmel hinab. [ … ] und e[r] tra[t] zur Kuh hin. [ … ] stellte [ … ] 140) hinunterzuschlucken [ … ]. (§§ 8’’–11’’’: Der Sonnengott rettet das Kind und nimmt es mit.) § 12’’’ (A Rs. III 61’’-70’’) Als der Sonnengott [ … ] ging [hina]uf in den H[i]m[m]el [ … ]-te das Kin[d]. Er [st]reichelt ihm über die Glieder zusammen m[it seinem Kopf]. Der Sonnengott begann, zu Sˇa-[ … ] zu [spreche]n: »Nimm den Stab in die Hand 141)! Zieh a[n deine Füße? als Schuhe e]ilende Winde! 142) Einmal [ … ]« Über dem [Kin]d? [ … ] d[ie] Vögel [ … ] zariyanalla-Vögel [ … ]. Die Vögel [ … ], arwanalla über dem Kind [ … ] die Adler 143) [ … Vo]n ihren Pflöcken aber sollen sie über ihm die [da]ran haftenden Schlangen abtrennen! 144) (Die Paragraphen 13’’’ und 14’’’’ sind weitgehend zerstört.) § 15’’’’’ (A Rs. IV 22’’-27’’) [ … ] begann [ … ] zu [sprechen]: »Ich will gehen (und mir das an)sehen.« [ … ] (sind) im [Ge]birge stehend. [ … ] erreichte den Sohn. [ … ] zariya-

134. Hoffner 1998, 85: »[He became] a young man«. Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 174: »[si mutò] in gio[vane uomo]«. 135. Vgl. Hoffner 1998, 85: »When the grass is tender and young, [and you graze here], you destroy the meadow.« Anders Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 175: »… che [mangi] i teneri germogli [app]ena sp[untati] e che stai rovinando l’erba del prato?« mit Verweis auf eine abweichende Übersetzung von Friedrich, 1950, 227. 136. Hoffner 1998, 86, ergänzt: »[and the cow gave birth].« Ähnlich Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 175. 137. Vgl. dazu Hoffner 1998, 86: »The cow [called] back up to the sky…« 138. Vgl. zum Ausdruck duddu halzai- »um Gnade rufen« K. van der Toorn, Sin and Sanction, ˘ Daddi / Polvani 1990, 175: »Io g[rido] misericordia!«; Hoffner 1985, 125; vgl. auch Pecchioli 1998, 86: »Now I ask you please« und CHD Sˇ, 138b. 139. Vgl. CHD Sˇ, 138b: »I have a complaint: [There should be] four feet on my calf! Why have I born this two-footed one?«; ähnlich Hoffner 1998, 86, und Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 175. 140. Vgl. Hoffner 1998, 86: »And who are you, [that you have approached …]« 141. Wörtl: »mit der Hand«. 142. Die Konstruktion ist unklar. In den Parallelversionen (vgl. CHD L-N, 62a) stehen die Winde im Akk. Pl. (liliwandusˇ). Hoffner 1998, 86: »Take a staff in hand, put the winds on [your feet as] winged [shoes]. Make the trip in one stage.« 143. Oder: »[ … ] Adler ihn [ … ]«. 144. Vgl. HEG III, 78: »angeschmiegte Schlangen aber ihn«. Hoffner 1998, 86, sieht dies als Teil eines neuen Kolons.

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Anna Bauer, Susanne Görke, Jürgen Lorenz & Elisabeth Rieken

nalla-Vogel? [ … ] Die Steinhühner? [ … ] erheben sich. Sie steigen hoch [ … ], und sie [geh]en in den Himmel. § 16’’’’’ (A Rs. IV 28’’-41’’) [ … ] die [Gif]tschlangen wichen weit zurück. 145) [ … ] streichelt [ … ] über die Glieder zusammen mit seinem Kopf. [ … s]treichelt [ … ]. Seine Augen aber [stre]ichelt er ihm [ … ]. Der Fischer begann, zu sich selbst zu sprechen: »Die Götter [ …]te ich irgendwie [ … ] 146) und sie brachten mir das ungünstige Brot vom Stein we[g]. Für den Sonnengott aber war ich sichtbar, 147) und er hat mich wegen des K[indes] fort gebracht. Weißt du über mich etwa, Sonnengott, 148) daß ich kein Kind habe? 149) Hast du mich wegen des Kindes fort gebracht? Wer dem Sonnengott lieb ist, dem legt er das [ … ] Brot hinein.« Der Fischer hob das Kind [von der] Erde? [e]mpor? und begann, es zu schaukeln, freute sich [ … ] 150) setzte es sich auf (seinen) Schoß [und] trug [es] fort. § 17’’’’’ (A Rs. IV 42’’-52’’) Der Fischer kam in der Stadt Urma an. Er [g]ing i[n] sein Haus und setzte sich auf einen Stuhl. Der Fischer begann, zu seiner Frau zu sprechen: »Was ich dir sage, halte mir (dafür) dein Ohr hin! Nimm dieses Kind und geh ins Schlafgemach! Leg dich nieder ins Bett und sc[hr]eie! Die ganze Stadt wird (dich) hören, und sie werden folgendermaßen sprechen: ›Die Frau des Fischers hat einen Sohn geboren.‹ Einer bringt uns Brot, ein (anderer) aber Bier, ein (dritter) Öl.« 151) Der Verstand einer Frau (ist) klug. Vom Befehlen aber hält sie (sich) [fe]rn, und sie (ist) [abhängig] von der Gewalt? der Gottheit. Die Frau aber (ist) gehorsam und verdreht nicht des Mannes [Wor]t. § 18’’’’’ (A Rs. IV 53’’-58’’) Sie hörte das Wort des Mannes 152) und ging ins Schlafgemach. [Sie] legt[e] sich nieder ins Bett [und begann zu schreien.] [A]ls die Menschen (der) Stadt (sie) hör[ten, begannen sie] zu [spre]chen: »Die Frau (des) [Fischers] hat da [einen Sohn gebor]en!« [ … ] die Menschen (der) Stadt [ … ] begannen zu [ …]en. [Einer aber b]rachte [ihr Bro]t, [e]in (anderer) Öl (und) [Bie]r. § 19’’’’’ (A Rs. IV 59’’) n+2-te [Taf]el des A[- … ], nicht vollendet.

145. Hoffner 1998, 86: »[When the fisherman approached], the poisonous snakes retired to a distance.« 146. Vgl. Hoffner 1998, 86, für den Ergänzungsvorschlag »Somehow I have pleased(?) the gods«; ähnlich Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 176: »In qualche modo io ho [impietosito (?)] gli dei«. 147. Für die gleichzeitige Verwendung von nu und -ma vgl. CHD L-N, 466a, wo dieser Gebrauch allerdings nur für Doppelfragen festgestellt wird. 148. Anders Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 176: »Tu sai bene, o dio Sole, che io non ho figli …«. Nach H. A. Hoffner / H. C. Melchert, A Grammar of the Hittite Language, 2008, 180, impliziert kuwatka »vielleicht, irgendwie« mit Verweis auf Beispiele. 149. Wörtl. »daß mir ein Sohn nicht ist«. 150. Hoffner 1998, 87, und Pecchioli Daddi / Polvani 1990, 176, ergänzen: »an ihm«. 151. Wörtlich: »Wer uns Brot, wer aber uns Bier, wer aber uns Öl bringt.« Vgl. Hoffner 1998, 87: »And one will bring us bread, another will bring us beer, and still another will bring us fat.« 152. Vgl. CHD P, 326b: »She does not disregard (her) husband’s word. So (the fisherman’s wife) heeded (her) husband’s word.«

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III. Texte aus Syrien

Mythen und Epen aus Ugarit Herbert Niehr Nach dem Beginn der Ausgrabungen in der nordwestsyrischen Hafenstadt Ugarit am 9. Mai 1929 förderten die Archäologen bereits am 14. Mai desselben Jahres eine erste Tontafel zu Tage. Dieser sollten bald viele weitere Tafeln folgen, so daß sich deren Anzahl bis heute auf ca. 5500 beläuft. Was die Tafeln mit den Texten religiösen Inhalts in keilalphabetischer Schrift (KTU 1) angeht, so ist deren Fundsituation insofern aufschlußreich, als die meisten von ihnen in der sog. Maison du Grand Prêtre auf der Akropolis freigelegt wurden. In diesem Haus sind zwei Bibliotheksräume voneinander zu unterscheiden: Der im Westen gelegene Raum 1 mit den Ritualtexten und Götterlisten und der im Süden gelegene Raum 7 mit den mythischen und epischen Tafeln. 1) Hiermit ist auch bibliothekstechnisch der Unterschied zwischen dem Bereich der Rituale auf der einen und dem Bereich der Erzählungen auf der anderen Seite angezeigt. 2) Konventioneller Weise belegt man die letztgenannten Texte mit der Genusbezeichnung »Mythen und Epen«. Der damit vorgenommene Rückgriff auf eine griechische Terminologie zeigt, daß uns die Eigenbegrifflichkeit der westsemitischen Welt der Spätbronzezeit in dieser Hinsicht noch verborgen ist. Mit »Mythos« bezeichnet man auch in der Altorientalistik Literaturwerke, die in der Götterwelt ohne menschliche Teilnehmer spielen, und denen das Anliegen zukommt, die Welt und ihre Ordnung grundlegend zu erklären. Mit »Epos« bezeichnet man hingegen Erzählungen, in denen Götter und Menschen zusammen auftreten, und die »historische« Begebenheiten wiedergeben. 3) 1. 2. 3.

Die genauen Angaben bei W. H. van Soldt, Studies in the Akkadian of Ugarit. Dating and Grammar (AOAT 40), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1991, 212-223. Dazu die Übersicht und Überlegungen bei H. Niehr, Zu den Beziehungen zwischen Ritualen und Mythen in Ugarit, JNSL 25 (1999) 109-136. Zur Diskussion von Mythos und Epos v. a. in der Altorientalistik vgl. bes. K. Hecker, Untersuchungen zur akkadischen Epik (AOATS 8), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1974; W. Heimpel, Art. Mythologie (mythology). A. I. In Mesopotamien, RlA 8, 1993-1997, 537-564; G. Beckman, Art. Mythologie. A. II. Bei den Hethitern, RlA 8, 1993-1997, 564-572; A. Green, Art, Mythologie. B. I. In der mesopotamischen Kunst, RlA 8, 1993-1997, 572-586; N. M. van Loon, Art. Mythologie. B. II. In der Kunst Kleinasiens, RlA 8, 1993-1997, 586-589; J. N. Bremmer, Mythen und Heiligtümer im antiken Griechenland, Darmstadt 1996; F. Graf, Griechi-

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Herbert Niehr

Für Ugarit ist bezeichnend, daß die Mythen und Epen nicht nur in ugaritischer Sprache, sondern auch in keilalphabetischer Schrift, die als eine Eigenkreation von Gelehrten der Stadt Ugarit gelten muß, vorliegen. Die beiden bislang ältesten datierbaren Schriftstücke in keilalphabetischer Schrift entstammen der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts v. Chr. Es handelt sich dabei um ein Verwaltungsdokument mit einer Auflistung von Titeln des Königs Ammisˇtamru II. (ca. 1260-1230/25 v. Chr.), 4) dem Sohn des Königs Niqmepa (ca. 1313-1260 v. Chr.) von Ugarit, (KTU 7.63), 5) und um den Entwurf eines Vertrages zwischen dem hethitischen Oberherrn Sˇuppiluliuma II. und König Niqmaddu IV. (ca. 1225/20-1215 v. Chr.) von Ugarit (KTU 3.1). 6) Als erster namentlich ausgewiesener Schreiber der keilalphabetischen Schrift begegnet ein Ugariter namens Tab3ilu. Dessen Name war aber bereits recht früh in der Forschung einer falschen Ergänzung in KTU 1.9,20 durch Ch. Virolleaud zum Opfer gefallen. 7) Die richtige Lesung des Namens durch O. Eissfeldt 8) wurde lange übersehen, ist aber mittlerweile anerkannt, so daß Tab3ilu nunmehr unter Zuweisung unterschiedlicher Texte an ihn – auch akkadischer und hurritischer Texte in keilalphabetischer Schrift – wieder zu seinem Recht als frühester namentlich ausgewiesener Schreiber der ugaritischen Keilschrift gekommen ist. 9) Ebenso ist seine im Bereich

4.

5. 6.

7. 8. 9.

178

sche Mythologie, Düsseldorf / Zürich 41997; A. Assmann / J. Assmann, Art. Mythos, HrwG IV, Stuttgart 1998, 179-200; R. M. Erdbeer / F. Graf, Art. Mythos, DNP 15/1, 2001, 636-648; K. A. Metzler, Tempora in altbabylonischen literarischen Texten (AOAT 279), Münster 2002, 304-309; H. Irsigler, Vom Mythos zur Bildsprache. Eine Einführung am Beispiel der »Solarisierung JHWHs«, in: ders. (Hg.), Mythisches in biblischer Bildsprache. Gestalt und Verwandlung in Prophetie und Psalmen (QD 209), Freiburg 2004, 9-42, bes. 9-18; V. Haas, Die hethitische Literatur. Texte, Stilistik, Motive, Berlin / New York 2006; U. Reinhardt, Der antike Mythos (Paradeigmata 14), Freiburg 2011; M. Krebernik, Götter und Mythen in Mesopotamien, München 2012; Th. Kämmerer / K. A. Metzler (Hg.), Das babylonische Weltschöpfungsepos Enûma elîsˇ (AOAT 375), Münster 2012, 2-4; A. Zgoll / R. G. Kratz (Hg.), Arbeit am Mythos. Leistung und Grenze des Mythos in Antike und Gegenwart, Tübingen 2013. Zu den Regierungszeiten der Könige Ugarits im 13. Jahrhundert v. Chr. vgl. I. Singer, A Political History of Ugarit, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HdO I/39), Leiden / Boston / Köln 1999, 603-733, hier 732-733, J. Freu, Histoire Politique du Royaume d’Ugarit (Collection KUBABA. Série Antiquité 9), Paris 2006, 260 und G. Saadé, Ougarit et son Royaume. Des origines à sa destruction (BAH 193), Beirut 2011, 70. Vgl. dazu D. Pardee, RS 15.117 et l’origine de l’alphabet cunéiforme d’Ougarit: rapport de collation, Or NS 79 (2010) 55-73. Vgl. dazu A.-S. Dalix, Sˇuppiluliuma II? dans un texte alphabétique d’Ugarit et la date d’apparition de l’alphabet cunéiforme. Nouvelle proposition de la datation des »Archives Ouest«, Sem 48 (1998) 5-15; D. Pardee, Le traité d’alliance RS 11.772+, Sem 51 (2001) 5-31; J. Freu, Sˇuppiluliuma I ou Sˇuppiluliuma (II) ?, RANT 1 (2004) 111-124 und die deutsche Übersetzung des Vertrags bei H. Niehr, TUAT.NF 2, 2005, 178 f. Vgl. Ch. Virolleaud, Fragments mythologiques de Ras Shamra, Syr 24 (1944-45) 1-23, hier 17-19. Vgl. O. Eissfeldt, Nachträge zu »Adrammelek und Demarus« und zu »Bist du Elia, so bin ich Isebel« (1. Kön 19,2), BibOr 26 (1969) 182-184; jetzt in O. Eissfeldt, Kleine Schriften V (hg. von R. Sellheim und F. Maass), Tübingen 1973, 39-42, hier 40 Anm. 1. Vgl. u. a. D. Pardee, Deux tablettes ougaritiques de la main d’un même scribe, trouvées sur deux sites distincts: RS 19.039 et RIH 98/02, Semitica et Classica 1 (2008) 9-38, bes. 13.40-42; P. Bordreuil / R. Hawley / D. Pardee, Données nouvelles sur le déchiffrement de l’alphabet et sur les scribes d’Ougarit, CRAIBL 2010, 1623-1635; D. Pardee, {G} as a Palaeographic Indica-

Texte aus Syrien

der Tranche T IV auf der Akropolis unmittelbar südlich des Ba2al-Tempels zu lokalisierende Arbeitsstätte, die sich in enger Nachbarschaft zur Maison du Grand Prêtre befindet, identifiziert. 10) Die Frage nach der Verfasserschaft der großen Mythen und Epen aus Ugarit ist aufgrund einiger Kolophone mit einem anderen Namen, dem des Schreibers Ilimilku, verbunden. 11) Fraglich und in der Forschung bis heute umstritten ist hierbei die Anzahl der dem Schreiber Ilimilku zuzuschreibenden Titel und Positionen. 12) Eine synoptische Übersicht macht deutlich, daß Ilimilku ein Schreiber (spr) und (t2y) war. Ist ¯ der erstgenannte Titel in seiner Funktion klar, so gibt es eine Diskussion um die Funktion des t2y. Auch hinter diesem Titel hat man einen Verwaltungsbeamten sehen ¯ wollen.13) Allerdings ist auffällig, daß der Titel t2y nur in Kult- und Beschwörungs¯ texten auftritt. 14) Insofern muß man diesen Titel als »Beschwörer« wiedergeben. Dazu paßt auch die Nennung des Ilimilku im Kolophon eines mythisch-magischen Textes aus dem Haus des Urtenu (RS 92.2016, 40). 15) Ilimilku stammte aus einem Ort des Königreichs Ugarit namens Sˇubanu und war ein Schüler des Oberpriesters Attenu. Ilimilku arbeitete in der Maison du Grand Prêtre auf der Akropolis von Ugarit und hatte zuvor eine Schreiberausbildung vermutlich am Königshof durchlaufen, aufgrund derer er auch mit den hohen Beamten des Hofes, wie z. B. Urtenu, und mit der Königsfamilie in Kontakt blieb. 16) A.-S. Dalix, hat bereits vor einigen Jahren die Ansetzung des Ilimilku in die Zeit des Königs Niqmaddu IV. (ca. 1225/20-1215 v. Chr.) aufgezeigt. 17) Somit war Ilimilku ein jüngerer Zeitgenosse des Schreibers Tab3ilu, der in die Zeit des Königs Ammisˇtamru II. (ca. 1260-1230/25 v. Chr.) zu datieren ist. Damit konnte Ilimilku bereits auf

10. 11. 12.

13. 14. 15. 16.

17.

tor in Ugaritic Texts, in: E. Devecchi (Hg.), Palaeographic and Scribal Practices in Syro-Palestine and Anatolia in the Late Bronze Age (PIHANS CXIX), Leiden 2012, 111-126, bes. 112115; R. Hawley / D. Pardee / C. Roche-Hawley, À propos des textes akkadiens alphabétiques conservés au Musée d’Alep: notes épigraphiques, in: V. Matoïan / M. al-Maqdissi (Hg.), Études Ougaritiques III (RSOu XXI), Leuven 2013, 395-401. Vgl. Bordreuil / Hawley / Pardee, Données, 1632. Vgl. KTU 1.4 VIII linke Seite; 1.6 VI 53-57; 1.16 VI linke Seite; 1.17 VI linke Seite; RS 92.2016,53. Dazu zuletzt mit unterschiedlichen Ansichten M. S. Smith / W. T. Pitard, The Ugaritic Baal Cycle II. Introduction with Text, Translation and Commentary of KTU/CAT 1.3-1.4 (VTS 114), Leiden / Boston 2009, 724-730 und D. Pardee, The Ugaritic Texts and the Origins of West Semitic Literary Composition (The Schweich Lectures of the British Academy 2007), Oxford 2012, 41-50. So W. H. van Soldt, The Titel t2y, UF 20 (1988) 313-321, der hierin ein Äquivalent zu sukkal sieht. Smith / Pitard, Ugaritic ¯Baal Cycle, 728 f. halten sowohl einen administrativen wie kultischen Hintergrund des Titels für möglich. Darauf hat Pardee, Ugaritic Texts, 46 aufmerksam gemacht. Vgl. A. Caquot / A.-S. Dalix, Un texte mythico-magique (no. 53), in: M. Yon / D. Arnaud (Hg.), Études Ougaritiques I. Travaux 1985-1995 (RSOu XIV), Paris 2001, 393-405, hier 394. Dies zeigen vor allem der Brief RS 94.2406 (vgl. P. Bordreuil / D. Pardee, Manuel d’Ougaritique I, Paris 2004, 152 pl. XXXIV; II, Paris 2004, 92-94 no. 31 und die deutsche Übersetzung bei H. Niehr, TUAT.NF 3, 2006, 285 f.) und das Ritual KTU 1.179 für Urtenu (vgl. Caquot / Dalix, Texte). A.-S. Dalix, Iloumilku, scribe d’Ougarit au XIIIe siècle avant J.-C., Thèse de doctorat, Paris 1997.

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Herbert Niehr

eine gewisse Erfahrung mit der Anwendung der keilalphabetischen Schrift Ugarits zurückgreifen. Es gibt eine Reihe von Einzelbeobachtungen, die diese Datierung des Ilimilku in die Zeit des Königs Niqmaddu IV. stützen. So ist auf die Zerstörung der beiden großen Tempel des El und des Ba2al auf der nördlichen Akropolis hinzuweisen. Diese ereignete sich aufgrund eines schweren Erdbebens um 1250 v. Chr. und führte dazu, daß bis zum Untergang der Stadt um 1185 v. Chr. nur Arbeiten am Ba2altempel ausgeführt wurden. 18) Diese Arbeiten hatten sich über mehrere Jahrzehnte hingezogen und reichten bis in die Regierungszeit der Könige Niqmaddu IV. (ca. 1225/20-1215 v. Chr.) und Ammurapi (ca. 1215-1185 v. Chr.). Ob die Rekonstruktion des Ba2alTempels vor dem Untergang Ugarits um 1185 v. Chr. vollständig abgeschlossen war, ist der heutigen Forschung zufolge eher fraglich, da noch einige Provisorien für das Abhalten des Kultes – etwa ein Kultbereich unter offenen Himmel südwestlich des Tempels, in dem u. a. die Stele des Ba2al au foudre stand – nachweisbar sind. 19) Auch der aus der Zeit des Königs Ammurapi stammende Briefwechsel zwischen ihm und dem Pharao Merenptah (1213-1203 v. Chr.) über die Entsendung von ägyptischen Handwerkern nach Ugarit zur Mitarbeit am Tempelprojekt, deutet in diese Richtung. 20) Dieser langanhaltende Prozeß der Wiedererrichtung des Ba2al-Tempels auf der Akropolis spiegelt sich in der Palastbauepisode des Ba2al-Zyklus (KTU 1.3-4) wider. 21) Dieser allgemeine Zeitansatz für das Wirken des Ilimilku läßt sich aufgrund präziserer Daten bestätigen. Hierfür sind zunächst die schon genannten Kontakte des Ilimilku mit einem hohen Beamten aus der Zeit des Königs Niqmaddu IV. mit Namen Urtenu wichtig. 22) Im Zusammenhang mit der Frage nach der zeitlichen Ansetzung des Ilimilku ist auf einen Brief aus dem Haus des Urtenu einzugehen. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts v. Chr. hatte ein Kaufmann aus Ugarit einen Frevel im Tempel des Wettergottes von Sidon begangen. Die dafür von der Bevölkerung Sidons geforderte Todesstrafe konnte der König von Sidon in eine Ausgleichszahlung von Gold und Silber verwandeln, deren Nichtbezahlung seitens des Königs von Ugarit allerdings diplomatische Verwicklungen nach sich zog. 23) Die Gelübde-Episode aus dem Kirta-Epos mit der Verärgerung der Ascherah, der Göttin von Sidon und Tyros, die die gefährlichen Konsequenzen für König Kirta (KTU 1.14 IV 32-43; 1.15 III 26-31) angesichts der Nichterfüllung des Gelübdes zeigt, dürfte wohl auf diesem Hintergrund zu lesen 18. 19. 20. 21. 22. 23.

180

Vgl. O. Callot, Les sanctuaires de l’acropole d’Ougarit (RSOu XIX), Lyon 2011, 61-63. Zu den Anfängen des Ba2al-Tempels in der Spätbronzezeit vgl. C. Sauvage, Le sondage de l’acropole, Syr 87 (2010) 40-45. Vgl. Callot, Sanctuaires, 63.97 f. RS 88.2158,10’-16’ und vgl. dazu die Bearbeitung von S. Lackenbacher, Une lettre d’Égypte, in: M. Yon / D. Arnaud (Hg.), Études Ougaritiques I. Travaux 1985-1995 (RSOu XIV), Paris 2001, 239-248 und die deutsche Übersetzung bei D. Schwemer, TUAT.NF 3, 2006, 256-258. So auch Callot, Sanctuaires, 62 f. Zu Urtenu vgl. Freu, Histoire politique, 155-157. Vgl. den Brief RS 86.2221 + 2225 + 86.226 + 86.2240 bei D. Arnaud, Lettres, in: M. Yon / D. Arnaud (Hg.), Études Ougaritiques I. Travaux 1985-1995 (RSOu XIV), Paris 2001, 257-322, hier 266-272.284 f. fig. 10 und 11; 290 fig. 16/13 und D. Schwemer, TUAT.NF 3, 2006, 261-264.

Texte aus Syrien

sein, auch wenn als weiterer Hintergrund dieser Episode das Motiv der Göttin als Fürsprecherin für den König zu sehen ist. 24) Darüber hinaus zeigt sich, daß Ilimilku in seinen Werken an zwei Stellen auf das Ritual für den Eingang in die Unterwelt des verstorbenen Königs Niqmaddu IV. (KTU 1.161) Bezug nimmt. 25) Dies geschieht im Ba2alzyklus, in dem die Aufforderung der Sonnengöttin an den Totengeist des Königs Niqmaddu, vom Thron hinabzusteigen und in die Unterwelt einzugehen (KTU 1.161,20-26), vom Gott El aufgegriffen wird (KTU 1.5 VI 11-14.25), und im Kirta-Epos, wonach König Kirta eine hohe Position unter der Führung des Ditanu innehat (KTU 1.15 III 2-4.13-15) und er somit den rapi3u¯ma von KTU 1.161,2-10 gleichgestellt ist. Die Tontafel KTU 1.161 stammt aus der Bibliothek des Hauses des Urtenu und weist insofern auch auf die Kontakte zwischen Urtenu und Ilimilku hin. Zu datieren ist sie unmittelbar nach dem Tode Niqmaddus IV., der sich im Jahre 1215 v. Chr. ereignete, womit ein teilweiser, aber nicht absoluter terminus post quem für die schriftstellerische Tätigkeit des Ilimilku gegeben ist. Der definitive terminus ante quem für seine Tätigkeit liegt beim Untergang der Stadt Ugarit um 1185 v. Chr. Worin liegt nun die besondere Leistung des Ilimilku? Es ist nicht so, daß Ilimilku als Dichter alle Stoffe seiner Mythen und Epen ersonnen und erstmals verschriftlicht hätte. Schriftliche Vorlagen für seine Werke sind bislang nicht bekannt. Man hat aber den Eindruck, daß Ilimilku vorgegebene Erzählstoffe in eine Abfolge brachte, redigierte und verschriftlichte. 26) Dabei sind die Hinweise auf eine ursprünglich mündliche Rezitation dieser drei Erzählungen, wie etwa der Parallelismus membrorum, die Verwendung konstanter Epitheta ornantia bei Gottheiten und Helden, formelhafte Wendungen sowie ausführliche Wiederholungen und einige Regieanweisungen erhalten geblieben. Im Falle des Ba2al-Zyklus (KTU 1.1-6) sind die thematischen Vorgaben deutlich (s.u. 1). Grundsätzlich wird es sich bei den Königsepen des Kirta (KTU 1.14-16) und des Aqhatu (KTU 1.17-19) ähnlich verhalten, allerdings sind hier die Nachweise schwieriger. Was die relative Abfolge der mythischen und epischen Werke des Ilimilku angeht, so hat M. C. A. Korpel aufgrund einer werkimmanenten Analyse des Ba2al-Zyklus (KTU 1.1-6), des Kirta-Epos (KTU 1.14-16) und des Aqhatu-Epos (KTU 1.17-19) einen wichtigen Vorschlag unterbreitet. Ihr zufolge läßt sich eine Sequenz und damit auch eine relative Chronologie vom Kirta-Epos (KTU 1.14-16), über den Ba2alzyklus (KTU 1.1-6) bis hin zum Aqhatu-Epos (KTU 1.17-19) anhand interner Kriterien ausmachen. Dazu gehören stilistische und inhaltliche Übereinstimmungen im KirtaEpos und im Ba2al-Zyklus auf der einen und stilistische und inhaltliche Übereinstimmungen im Ba2al-Zyklus und dem Aqhatu-Epos auf der anderen Seite, wohingegen das Kirta- und das Aqhatu-Epos untereinander nur wenige solcher Übereinstimmun24.

25. 26.

Vgl. H. Niehr, Königtum und Gebet in Ugarit, in: A. Grund / A. Krüger / F. Lippke (Hg.), Ich will dir danken Herr unter den Völkern. Studien zur israelitischen und altorientalischen Gebetsliteratur. Festschrift für Bernd Janowski zum 70. Geburtstag, Gütersloh 2013, 603-624, hier 609 f. Der Text bei H. Niehr, TUAT.NF 4, 2008, 248-253. Zur Diskussion der Rolle des Ilimilku vgl. zuletzt Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 10-14 und Pardee, Ugaritic Texts, 46-48.

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gen aufweisen. Ebenso scheinen sich die Götter El und Ba2al im Laufe der Entwicklung vom Kirta-Epos über den Ba2al-Zyklus bis hin zum Aqhatu-Epos in ihrem Rang abzuwechseln, so daß schließlich Ba2al eine einflußreichere Position als El einnimmt. 27) Die Intention der ugaritischen Mythen und Epen liegt in der theologischen Belehrung über die Grundlagen und Perspektiven des Königtums (Kirta-Epos), über das Königtum des Gottes Ba2al von Ugarit (Ba2al-Zyklus) und über die Beziehung zwischen Götterwelt und Königtum (Aqhatu-Epos). Den roten Faden, der die drei Erzählkomplexe durchzieht und sie alle in einen gewissen inhaltlichen Zusammenhang stellt, bildet also das Thema des Königtums. 28) Als Adressat für diese poetischen Werke ist die Oberschicht der Stadt, d. h. der Königshof, die Königsfamilie, die hohen Beamten und die Priester anzusehen. Allerdings darf man sich diese Adressaten nicht als ein Lesepublikum vorstellen, sondern man muß von einer mündlichen Rezitation der Mythen und Epen ausgehen. Leider bleiben uns mangels schriftlicher Informationen Ort und Anlaß dieser Rezitation verborgen.

27.

28.

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Vgl. M. C. A. Korpel, Exegesis in the Work of Ilimilku of Ugarit, in: J. C. de Moor (Hg.), Intertextuality in Ugarit and Israel (OTS XL), Leiden 1998, 86-111. Vorher hatte bereits J. C. de Moor, The Seasonal Pattern in the Legend of Aqhatu, SEL 5 (1988) 61-78 die Abfolge vom Ba2al-Zyklus zum Aqhatu-Epos deutlich gemacht. So auch zuletzt Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 14-22 und G. del Olmo Lete, Littérature et pouvoir royal à Ougarit. Sens politique de la littérature d’Ougarit, in: V. Matoïan / M. alMaqdissi / Y. Calvet (Hg.), Études Ougaritiques II (RSOu XX), Leuven 2012, 241-250.

Texte aus Syrien

1. Der Ba2al-Zyklus (KTU 1.1-6+1.8) Die sechs Tafeln des Ba2al-Zyklus umfassen drei Episoden: In KTU 1.1-2 wird vom Kampf des Wettergottes Ba2al gegen den Meeresgott Yammu erzählt, KTU 1.3-4+1.8 haben den Bau eines Palastes für den Wettergott Ba2al zum Thema und KTU 1.5-6 erzählen vom Kampf und dem Sieg des Wettergottes Ba2al über den Todesgott Motu. In der Abfolge dieser Tafeln ist ein zusammenhängender erzählerischer Duktus klar erkennbar. Trotzdem läßt sich zeigen, daß die Erzählinhalte der sechs Tafeln des Ba2al-Zyklus nicht auf der gleichen Ebene stehen. Vielmehr dürfte die Erzählung über den Palastbau (KTU 1.3-4+1.8) das Zentrum der Erzählung bilden, welches um zwei flankierende Episoden, den Kampf des Ba2al gegen Yammu (KTU 1.1-2) und den Sieg über Motu (KTU 1.5-6) gerahmt wurde. Die beiden flankierenden Erzählungen entstammen älteren, nicht ugaritischen Motivkomplexen. So läßt sich das Motiv des Kampfes des Wettergottes gegen den Meeresgott in Südanatolien und Nordsyrien nachweisen. Es ist hier zum ersten Mal in der Mari-Korrespondenz im 18. Jahrhunderts v. Chr. im Brief A.1968 erwähnt, verweist aber auf eine ältere Kulttradition, die mit dem Tempel des Wettergottes von Aleppo und den dort aufbewahrten Waffen des Wettergottes verbunden ist. 29) Das Motiv könnte bereits auf das Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. zurückgehen und seinen erzählerischen Haftpunkt an der Küste Nordsyriens haben. Von hier aus gelangte dieses Motiv nach Anatolien in die Mythen der Hethiter. Hier sind der Illuyanka- und der Hedammu-Mythos (CTH 321 und 348) sowie das ˘ drei Fällen handelt es sich um literarische TraLied vom Meer zu nennen. In diesen ditionen, die vom Kampf des Wettergottes, der gegen das als Schlange dargestellte Meer vorgeht, erzählen.30) Besonders eng mit den ugaritischen Erzähltraditionen ist der Hedammu-Mythos verbunden. 31) Das Motiv des gegen das Meer kämpfenden ˘ Wettergottes wurde in Ugarit mit den Protagonisten Ba2al, Anat und Yammu erzählt. 32) 29.

30.

31. 32.

Der Maribrief A.1968 ist publiziert von J.-M. Durand, Le mythologème du combat entre le dieu de l’orage et la mer en Mésopotamie, MARI 7 (1993) 41-61; vgl. auch J.-M. Durand, Documents épistolaires du Palais de Mari III (LAPO 18), Paris 2000, 83 f. Vgl. weiter P. Fronzaroli, Les combats de Haddu dans les textes d’Ebla, MARI 8 (1997) 283-290, D. Schwemer, Die Wettergottgestalten Mesopotamiens und Nordsyriens im Zeitalter der Keilschriftkulturen, Wiesbaden 2001, 226-237, ders., The Storm-Gods of the Ancient Near East: Summary, Synthesis, Recent Studies, JANER 7 (2008) 121-168, bes. 162-168 und J. Töyräänvuori, Weapons of the Storm God in Ancient Near Eastern and Biblical Traditions, Studia Orientalia 112 (2012) 147-180. Der Illuyanka- und der Hedammu-Mythos sind übersetzt bei H. A. Hoffner, Hittite Myths ˘ (SBL Writings from the Ancient World 2), Atlanta 1990, 10-14.48-52 und A. Ünal, Hethitische Mythen und Epen, in: O. Kaiser (Hg.), Mythen und Epen (TUAT III), Gütersloh 199094, 802-865, hier 808-811.844-848, der Gesang vom Meer bei Schwemer, Wettergottgestalten, 451-453. Vgl. zu diesen Mythen bes. Haas, Hethitische Literatur, 96-103.151-156. Vgl. M. Dijkstra, Ishtar seduces the Sea-serpent. A new join in the epic of Hedammu (KUB 36, 56 + 95) and its meaning for the battle between Baal and Yam in Ugaritic˘tradition, UF 43 (2011) 53-83. Vgl. P. Bordreuil / D. Pardee, Le combat de Ba2lu avec Yammu d’après les textes ougaritiques, MARI 7 (1993) 63-70 und Pardee, Texts, 25-28.

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Seit der Hyksoszeit findet sich der Gott Yammu auch in Ägypten. Dem Astarte-Papyrus zufolge ist Seth (Ba2al) der siegreiche Gegner des Yammu. Des Weiteren wird Yammu durch die Göttin Astarte verführt. Nach der Erzählung des zwei-Brüder-Märchens begehrt Yammu die schönen Töchter aus dem Tal des Libanon. 33) Im 1. Jahrtausend v. Chr. ist die Vermittlung dieses Mythenmotivs vom Kampf des Wettergottes gegen den Meeresgott an die Luwier anhand der Götterreliefs im Löwentor von Malatya 34) und an die Aramäer anhand der um 900 v. Chr. zu datierenden Stele von Tell 2Asˇara, dem alten Terqa, greifbar. Diese Stele zeigt den Kampf des Wettergottes gegen die Schlange. Der mit der Götterkrone und einem langen Band geschmückte Wettergott, der zudem mit einer Heldenlocke und einem Bart versehen ist, hält in seiner Rechten eine Kampfaxt und ergreift mit seiner Linken den Kopf einer sich windenden Schlange. 35) Was die Phönizier angeht, so kennt Philo von Bylos einen Gott Pontos, hinter dem sich der ugaritische Yammu verbirgt. Der Gegner des Pontos ist Demarus, in dem sich der Titel dmrn des Gottes Ba2al von Ugarit (vgl. KTU 1.4 VII 39; 1.92,30) spiegelt. 36) Sodann zeichnet das Alte Testament in unterschiedlichen literarischen Kontexten und unter Zuhilfenahme babylonischer Motive und Traditionen JHWH als den das Meer bekämpfenden Wettergott und als den Schöpfer des Meeres. 37)

33.

34.

35.

36. 37.

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Vgl. dazu R. Stadelmann, Syrisch-palästinensische Gottheiten in Ägypten (Probleme der Ägyptologie 5), Leiden 1967, 125-131; R. Giveon, Art. Yam, in: LÄ 3, 1980, 242 f.; W. Wettengel, Die Erzählung von den beiden Brüdern (OBO 195), Freiburg / Göttingen 2003, 127-129; N. Ayali-Darshan, »The Bride of the Sea«. The Traditions about Astarte and Yamm in the Ancient Near East, in: W. Horowitz (Hg.), A Woman of Valor: Jerusalem Ancient Near Eastern Studies in Honor of Joan Goodnick Westenholz (BPOA 8), Madrid 2010, 19-33, hier 2022; J. Töyräänvuori, The Northwest Semitic Conflict Myth and Egyptian Sources from the Middle and New Kingdoms, in: J. Scurlock / R. H. Beal (Hg.), Creation and Chaos. A Reconsideration of Hermann Gunkel’s Chaoskampf Hypothesis, Winona Lake 2013, 112-126. Vgl. dazu zuletzt M. Hutter, Die Götterreliefs im Löwentor von Malatya und die Religionspolitik des PUGNUS-mili, in: D. Groddek / S. Rössle (Hg.), Sˇarnikzel. Hethitologische Studien zum Gedenken an Emil Orgetorix Forrer (19. 02. 1894-10. 01. 1986) (DBH 10), Dresden 2004, 385-394, bes. 390 f. Vgl. zur Interpretation bes. M.-G. Masetti-Rouault, Cultures locales du Moyen-Euphrate: Modèles et événements IIe-Ier mill. av. J.-C. (Subartu 8), Turnhout 2001, 89-133 und dies., Cultures in Contact in the Syrian Lower Middle Euphrates Valley: Aspects of the Local Cults in the Iron Age II, in: Syria 86 (2009) 141-147, bes. 143-146. Eus., P.E. I 10,26-35; vgl. dazu A. I. Baumgarten, The Phoenician History of Philo of Byblos (EPRO 89), Leiden 1981, 131-139.195-197.207-209.236f.; D. Pardee, Les textes rituels (RSOu XII), Paris 2000, 77 f. Vgl. etwa O. Eissfeldt, Gott und das Meer in der Bibel, in: ders., Kleine Schriften III (hg. von R. Sellheim und F. Maass), Tübingen 1966, 256-264; O. Kaiser, Die mythische Bedeutung des Meeres in Ägypten, Ugarit und Israel (BZAW 78), Berlin 1959; H. Ringgren, Art. jâm, ThWAT 3, 1977-1982, 645-657; J. Day, God’s Conflict with the Dragon and the Sea. Echoes of Canaanite Myths in the Old Testament, Oxford 1985; C. Kloos, YHWH’s Combat with the Sea, Amsterdam / Leiden 1986; F. Stolz, Art. Sea, DDD 21999, 737-742; R. S. Watson, Chaos Uncreated. A Reassessment of the Theme of »Chaos« in the Hebrew Bible (BZAW 341), Berlin / New York 2005; H. Pfeiffer, König Jahwe und das Chaos: Zur Rezeption und Transformation des Chaoskampfmotivs im Alten Testament, in: P. Gemeinhardt / A. Zgoll (Hg.), Weltkonstruktionen. Religiöse Weltdeutung zwischen Chaos und Kosmos vom Alten Orient bis zum Islam (ORA 5), Tübingen 2010, 65-85; M. Bauks, Art. Chaoskampf, in: M. Fieger / J. Krispenz / J. Lanckau (Hg.), Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013, 94-98

Texte aus Syrien

Der zweite Motivkomplex, der den Sieg eines Gottes über den Gott des Todes zum Thema hat bzw. das temporale Herauskommen eines Gottes aus der Unterwelt beschreibt, verdankt sich Erzählungen aus Mesopotamien, die den Gang der Göttin Isˇtar in die Unterwelt zur Errettung ihres Bruders Tammuz schildern. Auch dieser Motivkomplex ist seit dem ausgehenden 3. Jahrtausend v. Chr. belegt. Seinen Haftpunkt hat er im Wechsel der Jahreszeiten. 38) Im 1. Jahrtausend v. Chr. findet sich dieses Motiv v. a. in der phönizischen Religion bei den Göttern Melqart, Adonis und Esˇmun,39) von wo aus es auch bis hin nach Jerusalem vorgedrungen ist. 40) Geht man wieder zurück nach Ugarit, so ist wichtig zu sehen, daß die Erzählung vom Kampf des Ba2al gegen Yammu keinen Urzeitmythos darstellt und es sich hierbei insofern auch nicht um eine Kosmogonie handelt, sondern, daß dieser Kampf in der zeitgenössischen Welt Ugarits stattfand. 41) Dem entspricht auch die zeitliche Verankerung der Palastbauepisode, d. h. des Zentrums der drei Erzählungen des Ba2al-Zyklus, in der Gegenwart des Autors, da diese mit dem Tempel des Wettergottes Ba2al auf der Akropolis von Ugarit zu tun hat. Es geht in diesen Passagen nicht, wie immer wieder angenommen wird, um die Baugründungslegende des Ba2al-Tempels im Sinne eines hieros logos vom Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. 42) Vielmehr war – wie schon oben erwähnt – der Tempel des Ba2al in einem Erdbeben um 1250 v. Chr. zerstört worden. Die Erzählung vom Palastbau für den Gott Ba2al begleitet auf der theologischen Ebene die Restaurierung des Ba2al-Tempels in Ugarit. Was den gesamten Ba2al-Zyklus in KTU 1.1-6 angeht, so sieht man, wie sich die drei Teile zusammenfügen: Zunächst führt die Erzählung vom Sieg des Wettergottes Ba2al über den Meeresgott Yammu zur zentralen Episode des Baues eines Palastes für den Gott Ba2al hin. Nach der Vollendung dieses Palastes wird der Todesgott Motu von Ba2al in den Palast eingeladen, woraus sich die Schwierigkeiten ergeben, die zum Tod des Ba2al und somit letztlich auch zu seinem Heraufkommen aus dem Reich des Motu führen. Die in KTU 1.1-4 gegebene Konstellation ist auch Enu¯ma-elîsˇ-Epos zu finden, während KTU 1.5-6 dem Erra-Epos entspricht. 43)

38.

39. 40.

41. 42. 43.

und die Artikel in J. Scurlock / R. H. Beal (Hg.), Creation and Chaos. A Reconsideration of Hermann Gunkel’s Chaoskampf Hypothesis, Winona Lake 2013. Vgl. dazu etwa T. N. D. Mettinger, The Riddle of Resurrection. »Dying and Rising Gods in the Ancient Near East« (CB.OTS 50), Stockholm 2001, 55-81.185-215; D. Katz, The Image of the Netherworld in the Sumerian Sources, Bethesda 2003, 251-308.389 f.; B. Alster, Art. Tammuz (/Dumuzi), RlA 13, 2012, 433-439. Vgl. dazu Mettinger, Riddle, 83-165 und C. Bonnet, Die Religion der Phönizier und Punier, in: C. Bonnet / H. Niehr, Religionen in der Umwelt des Alten Testaments II. Phönizier, Punier, Aramäer, Stuttgart 2010, 11-185, hier 67-72.125-127. Vgl. dazu kritisch H.-P. Müller, Sterbende und auferstehende Vegetationsgötter? Eine Skizze, ThZ 53 (1997) 74-82 und ders., Unterweltsfahrt und Tod des Fruchtbarkeitsgottes, in: R. Albertz (Hg.), Religion und Gesellschaft. Studien zu ihrer Wechselbeziehung in den Kulturen des Antiken Vorderen Orients (AOAT 248), Münster 1997, 1-13. Vgl. dazu A. Tugendhaft, Politics and Time in the Baal Cycle, JANER 12 (2012) 145-157 und ders., Babel-Bible-Baal, in: J. Scurlock / R. H. Beal (Hg.), Creation and Chaos. A Reconsideration of Hermann Gunkel’s Chaoskampf Hypothesis, Winona Lake 2013, 190-198, hier 194 f. So etwa J. C. de Moor, The Seasonal Pattern in the Ugaritic Myth of Ba2lu (AOAT 16) Neukirchen-Vluyn 1971, 48 f.59-62. Vgl. dazu M. S. Smith, The Ugaritic Baal Cycle I. Introduction with Text, Translation and

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Dieses gesamte erzählerische Werk steht im Horizont einer Ordnungskonzeption. Ba2al ist der Schutzgott des Königs und des Königtums von Ugarit und in seinem Schicksal spiegelt sich das Schicksal des Königs von Ugarit. Dieser Sachverhalt läßt sich in den drei Erzählungen des Ba2al-Zyklus aufweisen. Im ersten Teil, der den Sieg des Ba2al über den Meeresgott erzählt (KTU 1.1-2), verläuft die Verbindung zwischen Ba2al und dem König über zwei Themen, als deren erstes der Tribut zu nennen ist. Dies zeigt der bereits genannte Entwurf eines Vertrages zwischen dem hethitischen Oberherrn Sˇuppiluliuma II. und dem König von Ugarit (KTU 3.1), 44) der den Tribut (argmn) des Königs Niqmaddu IV. für seinen hethitischen Oberherrn zum Thema hat. Das Tributmotiv begegnet auch im Ba2al-Zyklus, da hier der Gott Ba2al dem Meeresgott Yammu Tribut (argmn) bringen soll (KTU 1.2 I 36-38), eine Szene, die man zu recht auf dem Hintergrund des Vertragsentwurfs KTU 3.1 interpretiert. 45) Sodann sind die Waffen des Wettergottes, die eine Rolle bei der Inthronisation des Königs spielen, zu nennen.46) Im zweiten Teil des Ba2al-Zyklus, der Palastbauerzählung (KTU 1.3-4), wird eine doppelte Motivik ersichtlich. Zum einen liegt eine Korrespondenz vor zwischen dem Bau eines Palastes für den Gott Ba2al und dem Bau eines Tempels, welche auf der Entsprechung von mythischem Palast und irdischem Heiligtum des Gottes Ba2al auf der Akropolis von Ugarit beruht. 47) Zum anderen ist hierin das Motiv des Gottes Ba2al und seiner Brüder entscheidend, da Ba2al keinen Palast wie seine Brüder hat und er insofern nicht als gleichberechtigt angesehen wird. Hiermit kommen die Beziehungen der spätbronzezeitlichen Könige Syriens in den Blick, deren Verhältnis untereinander als »Brüderlichkeit« bezeichnet wurde. 48) Aus dem dritten Teil des Ba2al-Zyklus (KTU 1.5-6) ist zunächst auf das Motiv der Beisetzung des Ba2al nach seiner Niederlage durch den Gott Motu einzugehen. Diese Beisetzung ist nach dem Vorbild der königlichen Bestattungspraxis von Ugarit gestaltet. 49) Sodann entsprechen sich auch das Motiv des Heraufkommens aus der Unter-

44. 45. 46. 47. 48.

49.

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Commentary on KTU 1.1-1.2 (VTS 55), Leiden / New York / Köln 1994, 110-114; W. T. Pitard, Temple Building in Northwest Semitic Literature of the Late Bronze and Iron Ages, in: M. J. Boda / J. Novotny (Hg.), From the Foundations to the Crenellations. Essays on Temple Building in the Ancient Near East and Hebrew Bible (AOAT 366), Münster 2010, 91-108, hier 99-101; Kämmerer / Metzler, Weltschöpfungsepos, 21 f. S. o. Anm. 6. Vgl. G. Mazzini, Baal and Niqmaddu. A Suggestion to Ugaritic KTU 1.2 I, 36-38, SEL 21 (2004) 65-69. S. o. Anm. 29. Vgl. dazu Pitard, Temple Building. Vgl. grundlegend M. Liverani, Prestige and Interest. International Relations in the Near East ca. 1600-1100 B.C. (HANE Studies 1), Padua 1990, 197-202 und zur Anwendung auf den Ba2al-Zyklus vgl. A. Tugendhaft, How to Become a Brother in the Bronze Age: An Inquiry into the Representation of Politics in Ugaritic Myth, Fragments 2 (2012) 89-104. Vgl. H. Niehr, Die Königsbestattung im Palast von Ugarit. Ein Rekonstruktionsversuch der Übergangsriten aufgrund schriftlicher und archäologischer Daten, in: A. Berlejung / B. Janowski (Hg.), Tod und Jenseits im alten Israel und seiner Umwelt. Theologische, religionsgeschichtliche, archäologische und ikonographische Aspekte (FAT 64), Tübingen 2009, 323346, hier 325 f.

Texte aus Syrien

welt bei Ba2al und den verstorbenen Königen, da auch diese zeitweilig die Unterwelt verlassen konnten.50) Bildet somit das Königtum des Gottes Ba2al die entscheidende Größe, die thematisch die drei Teile des Mythos durchzieht, so ist dies doch mit einer wichtigen Einschränkung zu versehen. Es wird in allen drei Teilen des Mythos gut deutlich, daß dem Gott Ba2al nur eine begrenzte königliche Macht zugestanden wird, worin sich auch die Stellung der Könige Ugarits im hethitischen Großreich spiegelt. 51) Der Gott Ba2al bleibt trotz seiner Siege dem Hauptgott des Pantheons, El, unterstellt. Dies zeigen neben den Mythen und Epen die Götterlisten und die Rituale Ugarits sehr deutlich. In seiner Dynamik lebt der Ba2al-Zyklus von einem grundlegenden Konflikt dreier Bereichsgottheiten. Der Gott Ba2al ist der Herr über die Erde und ihre Fruchtbarkeit sowie über die Mächte des Himmels, der Gott Yammu ist der Herr über das Meer und die Flüsse und der Gott Motu ist der Herr über die Unterwelt. Die hier genannten Bereiche stehen nun nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind miteinander als Teile einer Welt verbunden. Durch den Kampf der drei Bereichsgötter Ba2al, Yammu und Motu soll entschieden werden, wer der Herrscher aller Bereiche ist. Auch wenn Ba2al den Kampf gegen Yammu und den Kampf gegen Motu gewinnt, so ist deren Herrschaft damit doch nicht gebrochen. Nach wie vor bleiben die Bereiche des Meeres und der Flüsse sowie der Unterwelt den Göttern Yammu bzw. Motu unterstellt. Somit ist trotz des Königtums Ba2als die kosmische Ordnung gewahrt. Diese kosmische Ordnung zeigt sich auch im Ablauf der Jahreszeiten, die durch die An- bzw. die Abwesenheit und die Aktivitäten der Bereichsgötter Ba2al, Yammu und Motu geprägt sind. Das Jahr beginnt mit der Wiederkehr des Gottes Ba2al aus der Unterwelt, der den Regen und die Fruchtbarkeit mit sich bringt. Der anschließende Winter ist durch das Tosen des Meeres geprägt, während der Sommer mit seiner brennenden Hitze die Dominanz des Gottes Motu zeigt, der den Wettergott Ba2al zeitweilig in seiner Macht hat. Angesichts des Gesagten ist es nicht verwunderlich, daß der Ba2al-Zyklus mit einem Hymnus an die Sonnengöttin, die Garantin von Recht und Ordnung endet (KTU 1.6 VI 45-54). Dabei zeigt sich auf der inhaltlichen Ebene, daß dieser Abschlußhymnus sich auf die drei Teile des Mythos bezieht und sie wieder aufnimmt: Es begegnen aus dem letzten Teil des Mythos (KTU 1.4-6) die Bewohner der Unterwelt, aus dem mittleren Teil (KTU 1.3-4) Kotharu, der Gott der Architektur, des Schmiedens und der Kunst, sowie aus dem ersten Teil (KTU 1.1-2) die Bewohner des Meeres. Alle diese Wesen sind eingebunden in die Oberherrschaft der Sonnengöttin. Einzelne Themen des Ba2al-Zyklus finden sich auch auf anderen Tafeln aus Ugarit.

50. 51.

Vgl. M. S. Smith, The Death of »Dying and Rising Gods« in the Biblical World, SJOT 12 (1998) 257-313, hier 296. Vgl. zur Grundidee D. Fleming, A Limited Kingship: Late Bronze Emar in Ancient Syria, UF 24 (1992) 59-71 und im Hinblick auf das Königtum des Gottes Ba2al in Ugarit vgl. Smith, Ugaritic Baal Cycle, XXVf.96-114; ders., The Origins of Biblical Monotheism. Israel’s Monotheistic Background and the Ugaritic Texts, Oxford 2001, 158 f.; Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 16-21; Tugendhaft, Baal Cycle, 153-156.

187

Herbert Niehr

Hier ist KTU 1.9 mit einer ausführlicheren Version von KTU 1.2 IV 1-5 zu nennen,52) aber auch KTU 1.133 und 1.152, die als Schultafeln Themen des Ba2al-Zyklus aufweisen. 53) Der Untergang Ugarits brachte einen folgenschweren Wechsel für die religionsinterne Konstellation der Götter Ugarits mit sich. El wurde in einigen Panthea nördlich und südlich von Ugarit auch im 1. Jahrtausend v. Chr. noch weiterverehrt, auch wenn er nicht mehr die Stellung des höchsten Gottes bekleidete. Dies ist der Fall im Pantheon von Sam3al, 54) in Panthea der Luwier 55) und in einigen Panthea der Phönizier des Libanon. 56) Ba2al hingegen stieg zu einem universalen höchsten Gott auf. Wurde er in der Amarnazeit bereits als ba2alu ina sˇamê (Ba2al im Himmel«) angerufen, so begegnet er um 950 v. Chr. in Byblos als b2l ˇsmm (»Ba2al des Himmels«) (KAI 4), woraus dann der Gott »Ba2alsˇamem« wurde. Als transregionaler Himmelsgott wurde er vor allem von Phöniziern und Aramäern verehrt und sein Kult läßt sich in Syrien bis in das 6. Jahrhundert n. Chr. nachweisen. 57) Sechs Tontafeln der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Maison du Grand Prêtre Raum 7 und angrenzender Bereich. – Aufbewahrungsort: KTU 1.1 und 1.2: Musée du Louvre, Paris (AO 16.640; 16.640bis; 16.643); KTU 1.3 und 1.4: Nationalmuseum Aleppo (M 3352 = A 2737; M 8217 = A 2749; M 8221 = A 2777); KTU 1.5 und 1.6: Musée du Louvre, Paris (AO 16.641 + 16.642; 16.636); KTU 1.8: Nationalmuseum Aleppo (M 3353 = A 2738). – Erstpublikation: C. Virolleaud, Un poème phénicien de Ras-Shamra. La lutte de Môt, fils des dieux, et d’Aleïn, fils de Baal, Syria 12 (1931) 193-224; ders., Un nouveau chant du poème d’Aleïn-Baal, Syria 13 (1932) 113-163; ders., La mort de Baal. Poème de Ras-Shamra (I* AB), Syria 15 (1934) 305-336; ders., Fragment nouveau du poème de Môt et Aleyn-Baal, Syria 15 (1934) 226-243; ders., La révolte de Kosˇ contre Baal. Poème de Ras Shamra (III AB, A), Syria 16 (1935) 29-45; ders., La déesse 2Anat. Poème de Ras-Shamra (V AB), Syria 17 (1936) 335-345; ders., La déesse 2Anat. Poème de Ras Shamra, Syria 18 (1937) 85-102; ders., La déesse Anat. Poème de Ras Shamra (BAH 28), Paris 1938, 91-102 ; ders., Fragments mythologiques de Ras-Shamra, Syria 24 (1944-45) 1-23. – Autographien und Photos: A. Herdner, Corpus des Tablettes en Cunéiformes Alphabétiques découvertes à Ras ShamraUgarit de 1929 à 1939. Mission de Ras Shamra X (BAH 79), Paris 1963, 1-43; fig.1-27; pl. I-XIII. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: A. Caquot / M. Sznycer / A. Herdner, Mythes et Légendes. Textes Ougaritiques I (LAPO 7), Paris 1974, 101-271; J. C. L. Gibson, Canaanite Myths and Legends, Edinburgh 21978, 37-81; G. del Olmo Lete, Mitos y leyendas 52. 53. 54.

55. 56. 57.

188

Vgl. dazu Korpel, Exegesis, 92. Vgl. M. Dietrich / O. Loretz, Mythen als Schultexte, UF 23 (1991) 90-102. Vgl. dazu H. Niehr, Religion in den Königreichen der Aramäer Syriens, in: C. Bonnet / H. Niehr, Religionen in der Umwelt des Alten Testaments II. Phönizier, Punier, Aramäer, Stuttgart 2010, 189-324, hier 270-277 und ders., The Religion of the Aramaeans in the West: The Case of Sam3al, in: A. Berlejung / M. P. Streck (Hg.), Arameans, Chaldeans, and Arabs in Babylonia and Palestine in the First Millennium B.C. (LAOS 3), Wiesbaden 2013, 183-221, bes. 189-199. Vgl. I. Yakubovich, The West Semitic God El in Anatolian Hieroglyphic Transmission, in: Y. Cohen / A. Gilan / J. L. Millar (Hg.), Pax Hethitica. Studies on the Hittites and their Neighbours in Honour of Itamar Singer (StBot 51), Wiesbaden 2010, 385-398. Vgl. W. Röllig, El als Gottesbezeichnung im Phönizischen, in: R. von Kienle / A. Moortgat / H. Otten / E. von Schuler / W. Zaumseil (Hg.), Festschrift Johannes Friedrich, Heidelberg 1959, 403-416. Vgl. H. Niehr, Ba2alsˇamem. Studien zur Herkunft, Geschichte und Rezeptionsgeschichte eines phönizischen Gottes (OLA 123; StPh XVII), Leuven 2003.

Texte aus Syrien

de Canaán segu´n la tradición de Ugarit, Madrid 1981, 79-235; P. Xella, Gli antenati di Dio. Divinità e miti della tradizione di Canaan, Verona 1982, 73-146; J. C. de Moor, An Anthology of Religious Texts from Ugarit (NISABA 16), Leiden 1987, 1-108; M. Dietrich / O. Loretz, Mythen und Epen (TUAT III), Gütersloh 1990-97, 1091-1317, hier 1091-1198; M. S. Smith, The Ugaritic Baal Cycle I. Introduction with Text, Translation and Commentary on KTU 1.1-1.2 (VTS 55), Leiden / New York / Köln 1994; M. Baldacci, La scoperta di Ugarit. La città-stato ai primordi della Bibbia, Casale Monferrato 1996, 241-329; M. S. Smith, The Baal Cycle, in: S. B. Parker (Hg.), Ugaritic Narrative Poetry (SBL Writings from the Ancient World 9), Atlanta 1997, 81-180; D. Pardee, The Ba2alu Myth, in: W. W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture. Canonical Compositions from the Biblical World I, Leiden 1997, 241273; N. Wyatt, Religious Texts from Ugarit. The Words of Ilimiku and his Colleagues (The Biblical Seminar 53), Sheffield 1998, 34-146; M. S. Smith / W. T. Pitard, The Ugaritic Baal Cycle II. Introduction with Text, Translation and Commentary on KTU/CAT 1.3-1.4 (VTS 114), Leiden / Boston 2009; M. D. Coogan / M. S. Smith, Stories from Ancient Canaan, Louisville 22012, 97-153. – Weitere Literatur: J. F. Healey, Death, Underworld and Afterlife in the Ugaritic Texts. PhD Diss. University of London (School of Oriental and African Studies), London 1977; J. C. L. Gibson, The Theology of the Ugaritic Baal cycle, Or NS 53 (1984) 202-219; ders., The Mythological Texts, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HdO I/39), Leiden / Boston / Köln 1999, 193-202, bes. 193-199; M. S. Smith, Interpreting the Baal Cycle, UF 18 (1986) 313-339; M. C. A. Korpel, A Rift in the Clouds. Ugaritic and Hebrew Descriptions of the Divine (UBL 8), Münster 1990; N. H. Walls, The Goddess Anat in Ugaritic Myth (SBL DS 135), Atlanta 1992, 161-186; St. A. Wiggins, A Reassessment of ›Asherah‹. A Study According to the Textual Sources of the First Two Millennia B.C.E. (AOAT 235), Münster, 1993, 28-72; L. K. Handy, Among the Host of Heaven. The Syro-Palestinian Pantheon as Bureaucracy, Winona Lake 1994; H. Niehr, Zur Frage der Filiation des Gottes Ba2al in Ugarit, JNSL 20 (1994) 57-73; P. Bordreuil / D. Pardee, Le combat de Ba2lu avec Yammu d’après les textes ougaritiques, MARI 7 (1997) 63-70; A. R. Petersen, The Royal God. Enthronement Festivals in Ancient Israel and Ugarit (JSOT SS 259; Copenhagen International Seminar 5), Sheffield 1998; M. S. Smith, The Origins of Biblical Monotheism. Israel’s Polytheistic Background and the Ugaritic Texts, Oxford 2001, 104-131; St. U. Gulde, Der Tod als Herrscher in Ugarit und Israel (FAT II/22), Tübingen 2007, 79-117; P. Merlo, La dea Asˇratum – Atiratu – Asˇera. Un contributo alla storia della ¯ H. Niehr, Zu den Beziehungen zwischen Rireligione semitica di Nord, Rom 1998, 68-99; tualen und Mythen in Ugarit, JNSL 25 (1999) 109-136; N. Wyatt, The Religious Role of the King in Ugarit, in: K. L. Younger (Hg.), Ugarit at Seventy-Five, Winona Lake 2007, 41-74; J. Kutter, nu¯r ilı¯. Die Sonnengottheiten in den nordwestsemitischen Religionen von der Spätbronzezeit bis zur vorrömischen Zeit (AOAT 346), Münster 2008, 141-184; K. Spronk, The Delicate Balance between Life and Death. Some Remarks on the Place of Mot in the Religion of Ugarit, in: R. J. van der Spek (Hg.), Studies in Ancient Near Eastern World View and Society presented to Marten Stol on the occasion of his 65th Birthday, 10 November 2005, and his Retirement from the Vrije Universiteit Amsterdam, Bethesda 2008, 121-126; D. Pardee, La mythologie ougaritique dans son cadre historique, RANT 7 (2010) 167-178; ders., The Ugaritic Texts and the Origins of West Semitic Literary Composition. The Schweich Lectures of the British Academy 2007, Oxford 2012, 50-77; M. Dijsktra, Ishtar seduces the Sea-serpent. A new join in the epic of Hedammu (KUB 36, 56 + 95) and its mea˘ ning for the battle between Baal and Yam in Ugaritic tradition, UF 43 (2011) 53-83; J. Töyräänvuori, Weapons of the Storm God in Ancient Near Eastern and Biblical Traditions, Studia Orientalia 112 (2012) 147-180; A. Tugendhaft, How to Become a Brother in the Bronze Age: An Inquiry into the Representation of Politics in Ugaritic Myth, Fragments 2 (2012) 89-104; ders., Politics and Time in the Baal Cycle, JANER 12 (2012) 145-157; ders., 189

Herbert Niehr

Babel-Bible-Baal, in: J. Scurlock / R. H. Beal (Hg.), Creation and Chaos. A Reconsideration of Hermann Gunkel’s Chaoskampf Hypothesis, Winona Lake 2013, 190-198.

1.1 Erste Tafel (KTU 1.1)

Im Unterschied zur Ausgabe in CAT ist aus inhaltlichen Gründen von einer anderen Abfolge der Kolumnen auszugehen, so daß sich die Sequenz Kolumne V, IV, III und II ergibt. 58) Somit ist auf der inhaltlichen Ebene deutlich, daß die Handlung von der Entscheidung des Gottes El ausgeht, Yammu das Königtum zu verschaffen. Gespräch der Götter El und Yammu über ein Treffen mit Ba2al bei einem Mahl auf dem Berg des Ba2al, in dem Ba2al seine Befürchtungen einer Gefangenschaft durch El äußert RS

V.

(2) [

und ein Tag zwei Ta]ge (3) [vergingen 59) Ein Monat 60) kam.] Der Sinn (4) [ Had]du ging ihn zu suchen. 61) (5) [ ] auf dem Saphon 62) ˙ An der Quelle (6) [ ] eine Keule. (7) [ ] als er antwortete (8) [ Ich weiß] gewiß, (9) [ ] daß du mich einsperren wirst, (10) [Stier El], du wirst binden. (11) [ ] die Steine des Flußbettes. (12) [ ] und beschützen mein Geschenk. (13) [Du bist entflammt 63) ] (14) [ ] du beschützt sein Geschenk. (15) [ ] Und ein Tag, zwei Tage (16) [vergingen, ein Mo]nat kam. Der Sinn[ ] (17) [ ] des Haddu ging ihn zu suchen. (18) [Er ließ bereiten einen] Jungstier 64) auf dem Saphon, ˙ (19) [ ] die Keule einer Hirschkuh.

58.

59. 60. 61. 62. 63. 64.

190

Vgl. dazu bes. M. Dijkstra, Epigraphical Evidence for the Determination of the Column Order of the Tablets KTU 1.1 and KTU 1.20-22, UF 19 (1987) 49-60, Smith, Ugaritic Baal Cycle, 20 f.117-209, D. Pardee, La première tablette du cycle de Ba2lu (RS 3.361 [CTA 1]): mise au point épigraphique, in: J.-M. Michaud (Hg.), Le Royaume d’Ougarit. De la Crète à l’Euphrate. Nouveaux Axes de Recherche (POLO 2), Sherbrooke 2007, 105-130, ders., Ugaritic Texts, 67-69. Vgl. KTU 1.6 II 26. Zur Abfolge von Tagen zu Monaten s. u. Zeile 15-16 und vgl. auch KTU 1.6 II 25-27. Zum Suchen s. u. Zeile 17 und das Suchen der Anat nach Ba2al in KTU 1.6 II 27. Zu diesem Berg vgl. die Angaben bei H. Niehr, Art. Zaphon, DDD 31999, 927-929. S. u. Zeile 25. Lies hmr mit CAT z.St. ˙

Texte aus Syrien (20) [

] an den Quellflüssen. Er antwortete ] Ich weiß gewiß, (22) [daß] du mich einsperren wirst, Stier El, (23) [daß] du mich binden wirst zwischen den Steinen, (24) [zwischen den ] des Flußbettes. Er tritt ein (25) [ und beschüt]zt mein Geschenk. Du bist entflammt. (26) [ ] Du trittst ein beim Erdbeben. (21) [

Die letzten Zeilen dieser Kolumne sind unverständlich.

Eine Einladung zum Gott El IV.

(1) Die

[Höh]e des Saphon [ ] laut zu den˙ Na[hen ], (3) zu den Fernen, zur Ver[sammlung ] (4) ruft. El sitzt im m[arzihu ], 65) ˙ 2llmn 66) [ ] (5) die Schande des (6) die Götter. Das Haus deines Herren [ ] (7) der nicht schnell geht in die Un[terwelt ], (8) in den Staub, Vernichtung des Schlammes [ ]. (9) Er gibt zu trinken Schlamm im Überfluß, er gibt [einen Becher in die Hand] (10) ein Gefäß in beide Hände [ ] (11) wie Geriebenes (?), wie Kies wird es gesammelt [ ]. (12) … El seinen Sohn, der Stier [ ].« (2) »Ruft

Gespräch des El und der Aschera, in dem Yammu als Sohn des El proklamiert wird und der Auftrag zur Vertreibung des Ba2al ergeht (13) Und

es antwortete der scharfsinnige El, der Kl[ug]e 67): Name meines Sohnes sei Ya[mmu], 68) oh Göttin [ ].« (15) Und er proklamierte den Namen Yammu [ ]. (16) Sie antwortete: »Als unsere Hilfe [ ] (14) »Der

65. 66. 67.

68.

Zu El in seinem marzihu-Raum vgl. noch KTU 1.114. ˙ Ein Epitheton eines Mitgliedes der Gruppe der rapi3u¯ma im Sinne von »der Ewige«; vgl. G. del Olmo Lete / J. Sanmartín, A Dictionary of the Ugaritic Language in the Alphabetic Tradition (HdO I/67), Leiden / Boston 22004, 158 s. v. 2llmy/n. Zu diesem Titel des Gottes El vgl. J. Tropper / H. Hayajneh, El, der scharfsinnige und verständige Gott: Ugaritisch ltpn il dpid im Lichte der arabischen Lexeme lat¯ıf und fu3a¯d, Or NS 72 ˙ (2003) 159-182 und A.˙ Rahmouni, Divine Epithets in the Ugaritic Alphabetic Texts (HdO I/ 93), Leiden / Boston 2008, 203-206. Lies yhmiw; vgl. CAT z. St. Zu Yammu, dem Gott des Meeres, vgl. außerhalb des Ba2al-Zyklus noch KTU 1.14 I 20; 1.39,13; 1.47,30; 1.102,3; 1.118,29; 1.148,9 und dazu Stolz, Art. Sea und H. Niehr, Art. Yammu, RlA 14 (im Druck).

191

Herbert Niehr (17) bist

du als Herr proklamiert [ ].« der scharfsinnige El, [der Kluge, habe dich genommen] auf die Hände. (19) Ich habe proklamiert [ ] (20) dein(en) Namen, Geliebter des E[l ]. (21) Ein Haus meines Silbers, welches [ ] (22) aus der Hand des Aliyanu 69) Ba[2al wirst du erhalten]. (23) Weil er mich verachtet [ ], (24) vertreibe ihn vom Thro[n seines Königtums, vom Ruhesitz, vom Thron] 70) (25) seiner Herrschaft verscheu[che ihn ]. (26) Wenn du [ihn] aber nicht [vertreibst], (27) wird er dich zerschlagen wie [ ].« (28) El gab ein Bankett [in seinem Haus, ein Mahl in seinem Palast]. 71) (29) Er proklamierte [seinen] Sohn [ ]. (30) Er ließ Rinder schlachten, [auch Kleinvieh, er ließ niederstürzen] (31) Stiere und Mast[vieh, Kälber von einem Jahr], (32) Schafe, einen H[aufen von Lämmern]. 72) (18) »Ich,

Auftrag des Gottes El an seinen Boten III.

(1) »[Kre]ta

ist der Thron [seines Sitzes, Memphis das Land seines Erbes]. 73) (2) Über tausend Morgen, zehn[tausend Hektar 74) zu Füßen des Kotharu] (3) verneige dich und wirf dich nieder, er[weise ihm Huldigung und ehre ihn!] 75)

69. 70. 71. 72. 73.

74.

75.

192

Zu dem von der Wurzel l3y »vermögen, mächtig sein« abgeleiten elativischen Epitheton des Gottes Ba2al vgl. J. Tropper, Ugaritische Grammatik (AOAT 273), Münster 22012, 265 § 51.45a und die Belege und Diskussion bei Rahmouni, Epithets, 53-63. Ergänzt nach KTU 1.3 IV 2-3. Vgl. KTU 1.114,1-2 als mögliche Ergänzung. Ergänzt nach KTU 1.4 VI 40-43; 1.22 I 12-14. Mit dieser Nennung der beiden Wohnsitze des Kotharu-wa-Hasisu werden die Einflüsse der ˘ Kunst und Architektur der Ägäis und Ägyptens auf Ugarit verdeutlicht. Des Weiteren steht Kotharu-wa-Hasisu für eine Vermittlung von Wissen, Kunstfertigkeit und Weisheit aus Übersee; vgl. dazu˘ M. Dietrich, Zypern und die Ägäis nach den Texten aus Ugarit, in: S. Rogge (Hg.), Zypern. Insel im Brennpunkt der Kulturen (Schriften des Instituts für Interdisziplinäre Zypern-Studien 1), Münster / New York / München / Berlin 2000, 63-89, bes. 70-73 und P. Bordreuil, La littérature d’Ougarit, creuset de traditions venues d’Outremer et d’Outremonts, RANT 7 (2010) 33-44, bes. 37 f.43. Flächenmaße unbekannter Größe, die in poetischen Texten stereotyp eine sehr weite Entfernung anzeigen und die deshalb hier nur ungefähr wiedergegeben werden können; vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 445 f. s. v. kmn (I); 809 f. s. v. sˇd (II) und Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 280 Anm. 8. Hier wird das Botenpaar von El im Singular angesprochen, Zeile 18 zeigt, daß es sich um zwei Boten handelt. Zur formelhaften Darstellung der Huldigung vgl. Smith, Ugaritic Baal Cycle, 167-170.

Texte aus Syrien (4) Und

sprich zu Koth[aru-wa-Hasisu, 76) wiederhole Hayyanu 77)], (5) dem˘ Künstler der H[ände: ›Botschaft des El, des Vaters], 78) (6) Wort des Scharfsinnigen, [ ]: (7) Auf, Kotharu, Baumeister [ ], (8) lege in die Höhe (9) bereite auf dem Grund Wohn[sitze ]. (10) Dein Eilen, dein Drängen, [dein] H[asten zu mir; deine Füße sollen laufen] (11) zu mir, eilen [deine] Bei[ne inmitten des Hursˇanu], ˘ (12) des Berges Kassu. 79) Ein Wor[t habe ich und werde es dir sagen], (13) ein Wort und werde es dir wiederholen. [Ein Wort des Baumes und das Flüstern des Steines], (14) das Geflüster des Himmels mit [der Erde, der tiefen Flut mit den Sternen]. (15) Ein Wort, das die Mensch[en] nicht kennen, [und nicht versteht die Menge der Erde]. (16) Komm und ich werde es dir offenba[ren.‹« ] 80)

Antwort des Kotharu (17) Da

antwortete Kotharu-wa-Hasisu: ˘ »[Geht, geht, Diener Els]. (18) Ihr geht langsam, aber ich [will gehen von Kreta] (19) zum Fernsten der Götter, 81) (von) Memph[is zum Fernsten der Göttlichen]. (20) Zwei Schichten unter [den Quellen der Erde, drei Maß] 82) (21) (unter) den Tiefen.« 83) 76. 77.

78. 79. 80. 81. 82. 83.

Gott der Architektur, des Schmiedens und der Kunst; vgl. Smith, Ugaritic Baal Cycle, 170-172 und D. Pardee, Art. Kotharu, DDD 21999, 490-491. Titel des Kotharu; vgl. dazu bes. E. Lipin´ski, Ea, Kothar et El, UF 20 (1988) 137-143, M. Dietrich / O. Loretz, Das ugaritische Gottesattribut hrsˇ »Weiser, handwerklich Tüchtiger«. Eine ˙ Hyyn, UF 31 (1999) 165-173, N. AyaliStudie über die Götter El, Ea/Enki, Ktr-w-hss und ¯ in ˘Light of a Parallel from Emar, UF 43 (2011) 1-6 Darshan, The Meaning of Hyn dhrsˇ ydm ˙ und Rahmouni, Epithets, 156-158. Die Ergänzungen in den Zeilen 1-5 sind nach KTU 1.3 VI 12-24 vollzogen. Vgl. zu diesem Berg H. Niehr, Die Wohnsitze des Gottes El nach den Mythen aus Ugarit. Ein Beitrag zu ihrer Lokalisierung, in: B. Janowski / B. Ego (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (FAT 32), Tübingen 2001, 325-360. bes. 327-329. Die Zeilen 10-16 finden sich voll erhalten in KTU 1.3 III 18-29 und sind von hier ergänzt. Weniger überzeugend: »[Kaphtor] is indeed far, O Gods, Memph[is is indeed far, O Deities:]« bei Smith, Ugaritic Baal Cycle, 172. Es geht inhaltlich um den weit entfernt von Kreta und Memphis liegenden Sitz des Gottes El. S. u. die übernächste Anm. Die Zeilen 17-20 sind nach KTU 1.3 IV 32-36 ergänzt. ˇ ebel Ansariye östlich von Ugarit zu lokaliZu diesem Sitz des Gottes El, der im Bereich des G sieren ist und in dem die Wasser des Himmels und die Quellen der Erde zusammentreffen, vgl. Niehr, Wohnsitze, 330-339.

193

Herbert Niehr

Ankunft des Kotharu beim Gott El Da richtete er fürwah[r sein Gesicht zum scharfsinnigen] (22) El, dem Klugen, inmitten des Hur[s ˇanu, dem Berg Kassu]. ˘ des E[l und betrat (23) Er zeigte sich auf dem Vorplatz das Gemach des Königs], (24) des Vaters des Sˇanuma. 84) Zu [Füßen des El verneigte er sich und fiel nieder]. (25) Er huldigte [und ehrte ihn ]. 85) (26) Der Stier El [sein] Vater [ ]: (27) »Schnell so[llst du die Häuser bauen, schnell sollst du die Paläste errichten] 86) (28) inmitten [ ].« Die restlichen Zeilen dieser Kolumne sind zu fragmentarisch bzw. nicht mehr erhalten.

Neuer Auftrag an den Boten des Gottes El VS

II.

(1) »[Dein

Eilen, dein Drängen, dein Hasten z]u mir; deine Füße (2) [sollen zu mir laufen, eil]en deine Beine, (3) [inmitten des Hurs ˇanu] den [Be]scheid über dich. ˘ Und lege (4) [ ] unverständlich (5) [ L]apislazuli (6) [ b]ringen in die Mitte (7) [ ] binden (8) [ ] er stirbt,[ ] (9) [sein] [Tote]ng[eist] wie 87) Speichel.« 88)

Aussendung der Boten (10) [

Einen Zau]ber legte er auf die Erde, ] legte er. (12) [Ein Tag, zwei Tage] vergingen. 89) (11) [

84.

85. 86. 87. 88. 89.

194

Zum Titel ab ˇsnm des Gottes El und seiner Deutung vgl. als »Vater des Sˇanuma«, die zurückgeht auf C. H. Gordon, El, Father of Sˇnm, JNES 35 (1976) 261 f., vgl. noch Rahmouni, Epithets, 18-21. Zu Sˇanuma und Tukamuna, Kindern von El und Ascherah, vgl. KTU 1.39,3; 1.40,34; 1.65,4 und 1.123,8 und¯ dazu D. Pardee, Tukamuna wa Sˇunama, UF 20 (1988) 195199 sowie M. Dietrich / O. Loretz, Studien zu den¯ ugaritischen Texten I. Mythos und Ritual in KTU 1.12, 1.24, 1.96, 1.100 und 1.114 (AOAT 269/1), Münster 2000, 461. Die Lücken in den Zeilen 21-25 können aufgrund der formelhaften Wendungen ergänzt werden nach KTU 1.3 V 5-8; 1.4 IV 20-26; 1.6 I 32-38; 1.17 VI 46-51. Ergänzt nach KTU 1.4 V 53-54. Lies mit CAT k anstatt w. Vgl. dazu den Tod des Aqhatu in KTU 1.18 IV 24-25. S. o. KTU 1.1 V 2 u. ö.

Texte aus Syrien (13) [

ge]horchte. Dann 90) ] Inibab 91) über tausend Höfe. (15) [ Zu Füß]en der Anat. (16) [verneigte er sich und fiel nieder, erwies ihr Huldi]gung und (17) [ehrte sie. 92) Er erhob seine Stimme und ri]ef: »Botschaft (18) [des Stieres El, deines Vaters, Wort des Scharfsinnigen], deines Herrschers: (19) [›Opfere in die Erde Br]ot, lege in den Sta(20) [ub Liebesäpfel, gieße Frieden] in das Innere der Erde, (21) [Ordnung 93) in das Innere der Fe]lder. Dein Eilen, (22) [dein Drängen, dein Hasten zu mir deine Füß]e sollen laufen, (23) [zu mir eilen deine Bein]e inmitten des Hurs ˇanu ˘ (24) [ ] in deine Hand eine Liste (25) [ ] in deine Rechte.‹«

(14) [

1.2 Zweite Tafel (KTU 1.2)

Streit zwischen Ba2al und Yammu VS

I.

(1) [

]

(2) Sie

kehrten zurück [ ]. hast dich erhoben gegen [ ] (4) Aliyanu Ba2al [antwortete]: (5) »Deine Macht, die Herrschaft [ ]. (6) Auf dein Haupt Ayyamur.« 94) (3) Du

90. 91.

92.

93.

94.

Lies mit CAT z.St. idk. Hurritisch: Götterberg. Mythischer Sitz der Göttin Anat. Vgl. noch KTU 1.3 IV 34 f.; 1.12,32; 1.13,9; 1.100,20 sowie 1.44,4 und zu seiner Lokalisierung J. A. Belmonte Marín, Die Orts- und Gewässernamen der Texte aus Syrien im 2. Jt. v. Chr. (RGTC 12/2; BTAVO 7/12/2, Wiesbaden 2001, 142 f., der auf Anatolien verweist. Zu dieser noch in KTU 1.1 III 2-4.14-15; 1.2 III 5-6; 1.3 III 9-10; VI 18-20; 1.4 IV 25-26; VIII 26-29; 1.6 I 36-38; 1.17 VI 50-51 belegten viergliedrigen Huldigungsformel vgl. S. Kreuzer, Zur Bedeutung und Etymologie von hisˇtahawâh/ysˇthwy, VT 35 (1985) 39-60, bes. 42 f.52-54 und H. und M. Weippert, Der betende ˙Mensch. ˙Eine Außenperspektive, in: A. Grund / A. Krüger / F. Lippke (Hg.), Ich will dir danken Herr unter den Völkern. Studien zur israelitischen und altorientalischen Gebetsliteratur. Festschrift für Bernd Janowski zum 70. Geburtstag, Gütersloh 2013, 435-490, bes. 470-479. Vgl. dazu M. Dietrich / O. Loretz, Ug. arbdd/altaram. 3rmwddt »Erhaltung (der Ordnung), Stabilität. Erwägungen zu einem Begriff für Stablilisierung (sic!) der Ordnung im Nordwestsemitischen der Späten Bronzezeit und Eisenzeit, in: G. del Olmo Lete / L. Feliu / A. Millet Albà (Hg.), Sˇapal tibnim mû illaku¯. Studies Presented to Joaquín Sanmartín on the Occasion of his 65th Birthday (AulOrS 22), Barcelona 2006, 183-193. Name einer der beiden Keulen des Gottes Ba2al, mittels derer er den Gott Yammu besiegen wird; s. u. Anm. 116.

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Herbert Niehr

[Da antwortete Yammu, es sprach] (7) der Herrscher Fluß: 95) »Es wird zerbrech[en ] (8) dein Haupt, Astarte-N[ame-des-Ba2al, 96) deinen Schädel]. (9) Stab. Du mögest fallen im Berei[ch ] ˇ anuma sollst du zwei Frauen neh[men].« (10) [wie der] Vater des S

Yammu sendet Boten zu El (11) Boten

entsandte Yammu [ ]. großer Freude verließen sie [ ]. (13) Unverständlich »Brecht auf, Knab[en, setzt euch nicht; siehe, eure Gesichter] 97) richtet (14) nicht zur Versammlung in[mitten des Berges Lelu, zu Füßen des El] (15) fallt nicht nieder, werft euch nicht nieder (in) der Voll[versammlung, stehend übermittelt die Forder]ung. 98) (16) Wiederholt euer Wissen und sprecht zum Stier, dem Vater [El. Wiederholt vor der Voll-](17) Versammlung: ›Botschaft von Yammu, eurem Herrn, eurem Gebieter, dem Herrscher [Fluß]: (18) Gebt, Götter, den, den ihr beschützt, oh Menge, gebt Ba2al [und seine Diener], 99) (19) den Sohn des Dagan, 100) dessen Gold ich erben werde.‹« (12) Mit

95. Beiname des Gottes Yammu, der somit auch Macht über die Flüsse hat. Ob – wie oft angenommen – der Hintergrund des Titels in der Ordalpraxis liegt, ist allerdings umstritten. Vgl. zu diesem Beinamen Rahmouni, Epithets, 311-315. 96. Zu dieser engen Verbindung zweier Gottheiten, die sich auch in der phönizischen Religion findet, vgl. C. Bonnet, Le visage et le nom. Réflexions sur les interfaces divines à la lumière de la documentation proche-orientale, in: L. Badiou et al. (Hg.), Chemin faisant. Mythes, cultes et société en Grèce ancienne. Mélanges en l’honneur de Pierre Brulé, Rennes 2009, 205-214. Als zentralen Punkt dieser Theologie hebt Bonnet hervor: »La connaissance intime du dieu, de son nom ou de son visage, confère à la déesse des pouvoirs tout à fait spéciaux qu’elle met au service de son partenaire, d’une part, et des fidèles, d’autre part.« (213). Diese enge Beziehung zwischen Ba2al und Astarte ist insofern bemerkenswert, als außerhalb Ugarits Spuren einer Beziehung zwischen Astarte und Yammu existieren; vgl. Ayali-Darshan, Bride. Allerdings steht in Ugarit die Göttin Ascherah auf der Seite des Yammu, was nicht zuletzt in ihem Epitheton asˇrt ym zum Ausdruck kommt. S. u. Anm. 141. 97. Ergänzt nach der Schilderung in Zeilen 19-20. 98. Vgl. zu diesem Passus zuletzt H. und M. Weippert, Mensch, 477-479. Allerdings treten hier Boten des Yammu und nicht Boten des Motu auf. 99. Die Ergänzungen in den Zeilen 14-18 sind nach den Zeilen 20 und 30-35 vorgenommen. 100. Im Unterschied zu allen anderen Gottheiten Ugarits, die als Kinder des El und der Ascherah gelten, ist Ba2al der Sohn des Gottes Dagan. Dieser Umstand verweist auf einen mesopotamischen Hintergrund; vgl. Niehr, Filiation; D. Fleming, Baal and Dagan in Ancient Syria, ZA 83, 1993, 88-98; L. Feliu, The God Dagan in Bronze Age Syria (CHANE 19), Leiden 2003, 264266.

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Texte aus Syrien

Die Boten gelangen zur Götterversammlung Die Männer brachen auf, nicht setzten sie sich. Si[ehe, das Gesicht] (20) fürwahr wandten sie zum Berg Lelu, zur Vollversammlung. Da also saßen die Götter beim Es[sen], 101) (21) die Söhne des Heiligen beim Verzehr. Ba2al stand vor El. Siehe, (22) die Götter sahen sie, sie sahen die Boten Yammus, die Gesandtschaft des Herrschers [Fluß]. (23) Es senkten die Götter ihre Häupter auf ihre Knie und auf den Thron (24) ihres Fürstentums. Ihnen warf Ba2al vor: »Warum neigt, ihr Götter, eure Häupter (25) auf die Knie, und auf den Thron eures Fürstentums? Einzeln, (26) ihr Götter, sollt ihr beantworten die Tafeln der Boten Yammus, der Gesandtschaft des Herrschers Flu[ß]. (27) Erhebt, Götter, eure Häupter von euren Knien, vom Thron (28) eures Fürstentums. Auch ich werde antworten dem Boten des Yammu, der Gesandtschaft des Herrschers Fluß!« (29) Es erhoben die Götter ihre Häupter von ihren Knien, vom Thron ihres Fürstentums. (30) Danach kamen die Boten Yammus, die Gesandtschaft des Herrschers Fluß. Zu Füßen Els (31) fielen sie nicht nieder, nicht huldigten sie der Vollversammlung. Stehend übermittelten sie die Forderung, (32) sie [wieder]holten ihr Wissen. (Wie) ein Feuer, (wie) zwei Feuer sahen sie aus, ein scharfes Schwert, ein Dolch war (33) ihre [Zu]nge. Sie sprachen zum Stier, seinem Vater, El: »Eine Botschaft des Yammu, eures Herrn, (34) eures [Ge]bieters, des Herrschers Fluß: Gebt, ihr Götter, den ihr beschützt, den ihr beschützt, (35) oh Menge, gebt Ba2al und seine Diener, den Sohn des Dagan, dessen Gold ich in Besitz nehmen will!« (36) [Da ant]wortete der Stier, sein Vater El: »Dein Diener sei Ba2al, oh Yammu, dein Diener sei Ba2al, (37) [oh Flu]ß, 101. Mit CAT z.St. ist hlih[m] oder lh[mm] zu lesen. ˙ ˙

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Herbert Niehr

der Sohn des Dagan dein Gefangener. Er wird bringen deinen Tribut 102) wie die Götter, (38) [ ] er wird bringen deine Abgabe wie die Söhne des Heiligen.«

Abb. 1: Ba2al Zaphon, der Schutzgott der Schiffahrt, auf zwei Bergen

Da wurde zornig der Fürst Ba2al (39) [und er er]griff mit seiner Hand eine Axt, mit (seiner) Rechten eine Keule. Die Knaben er[hoben Geschrei]. (40) [Seine Hand] ergriff Anat, seine Rechte ergriff Astarte. »Wie (kannst) du erschlagen (41) [die Gesandt]schaft des Herrschers Fluß?« Der Bote wurde unverständlich [ ] (42) [ ] dem Boten zwischen seinen Schultern. Das Wort seines Herren und er [ ]. (43) Da wurde zornig der Fürst Ba2al. Die Terrassen mit den Weinstöcken [vertrockneten], (44) [ ] die Boten des Yammu, die Gesandtschaft des Herrschers Fluß[ ]. (45) »Ich sage zu Yammu, eurem Herrn, zu eurem Gebi[eter, Herrscher (46) Fluß ]: Hört das Wort des Kämpfers Haddu, ihr Genossen des Yammu.« Die Kolumne II ist für eine sinnvolle Übersetzung zu zerstört.

Kotharu gelangt zu El und erhält Anweisungen von ihm RS

III. Die erste Zeile ist zu fragmentarisch für eine Übersetzung (2) [von

Kret]a, zum Fernsten [der Gö]t[ter, von Memphis zum Fernsten] (3) [der Göttlichen,

102. Der Terminus argmn (»Tribut«) begegnet auch in KTU 3.1 (vgl. H. Niehr, TUAT.NF 2, 2005, 178 f.). Zum politischen Hintergrund vgl. Mazzini, Baal. Zur Relevanz dieser Passage aus dem Ba2al-Zyklus für die zeitliche Ansetzung des Ilimiku s. o. die Einleitung.

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Texte aus Syrien

zwei Schichten unter den Quellen der Erde, drei Maß unter den Gruben]. 103) (4) [Dann] wandte er sein Gesicht zu [E]l an der Quelle der beiden Fl[üsse, inmitten der Tiefe der beiden Meere]. (5) [Er zeigte sich] auf dem Vorplatz 104) des [E]l und betrat [das Ge]mach des Königs, [des Vaters des Sˇanuma. Zu Füßen des El] (6) [verneigte er sich] und fiel nieder, [er h]uldigt[e] und ehr[te ihn. Da]nach an[twortete El, der Stier, sein Vater] 105): (7) »Kotharu-wa-Ha[sisu], brich auf, ˘ für Yammu, baue die Gebäude [er]richte den Palast für den Herrscher F[luß], (8) [ für Na]haru inmitten [des Bettes des Meeres]. 106) Brich auf, Kotharu-wa-[Hasisu], ˘ des Fürsten Yammu, du wirst bauen die Häuser (9) [errich]ten 107) den Pala[st für den Herrscher] Fluß inmitten des Bet[tes des Meeres]. (10) [Eiligst] seine [Häus]er sollst du bauen, er[richten seinen Pa]l[ast]. [Tausend Längen umfasse] das Haus, (11) [zehntausend] Hektar der Palast. [Yammu] verlangt [ein Ha]us im Dunkel, im bitteren Feld des Meeres. (12) [Ba2al] wird auf jeden Fall sterben im Meer.« Es stan[d] dann auf Astar, der [ ]. (13) [ ] unverständlich: »Feuer werde ich leg[en] [ ] Feuer (14) unverständlich.« ˇ apsˇu, (15) [Es antwor]tete die Leuchte der Götter, S sie erhob ihre Stimme und r[ief: »Hör]e doch! (16) [Es wird Re]cht 108) verschaffen der Stier El, dein Vater, dem Fürsten Yammu, dem [Her]rscher Fluß. (17) [Wie] hört dich [nich]t der Stier E[l], dein Vater? Er wird fürwahr ausreißen die [Stüt]zen deines Sitzes, er wird fürwahr um[stürzen] (18) [den Thron] deiner Königsherrschaft, er wird fürwahr zerbrechen den Stab deiner Herrschaft.« 109) 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109.

Ergänzt nach KTU 1.1 III 19-22. Mit CAT z.St. ist dd zu lesen. ¯ Vgl. zu dieser Ergänzung CTA und CAT z. St. Ergänzt nach Zeile 9. Vgl. zur dieser Ergänzung CTA und CAT z. St. Ergänzt nach Zeile 21. S. u. auch KTU 1.6 VI 28-29 und vgl. damit auch den ähnlich lautenden Fluch über die Störer

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Da antwortete As[t]ar: (19) »[Fürwahr neh]me von mir, oh Stier, El, mein Vater: Was mich angeht, ich habe kein Haus [wie] die Götter und keinen Hof [wie die Söhne] (20) [des Hei]ligen. Allein steige ich hinab in meinem Totengeist, es waschen mich die Kotharuma. 110) [Es sitz]t in einem [Haus] [der Fürst] Yammu, in einem Palast (21) der Herrscher Flu[ß]. Es wird Recht verschaffen der Stier El, sein Vater, [dem F]ürsten Ya[mmu], (22) [dem Herrscher Fluß]. [Ob] du König bist oder nicht König bist: [D]u hast keine Frau w[ie] (23) [die Götter].« 111) [Da antwortete] der Fürst Yammu, es erwider[te] der Herrscher Fluß: »[El] wird mir senden.« Und es antwortete Astar [ ] Der Rest dieser Kolumne ist unlesbar. Zudem fehlen einige Zeilen. Vom Beginn der nächsten Kolumne fehlen ebenfalls einige Zeilen.

Rede des Ba2al und Antwort der Anat und des Kotharu IV. Die ersten vier Zeilen sind für eine Übersetzung zu unklar. (5) »Zur

Erde fiel meine Kraft und in den Staub meine Stärke.« (6) [Aus] seinem Mund das Wort war (noch) nicht heraus, von seinen Lippen sein Wort, da erhob sie ihre Stimme: »Er wird sinken (7) unter den Thron des Fürsten Yammu.« Da antwortete Kotharu-wa-Hasisu: »Wahrlich, ich sage (8) dir, oh ˘Fürst Ba2al, ich wiederhole, oh Wolkenfahrer 112): »Nun, deine Feinde, (9) oh Ba2al, nun, deine Feinde sollst du schlagen, der Totenruhe in der phönizischen Inschrift (KAI 1,2) auf dem Deckel des Ahirom-Sarko˙ phags aus Byblos. Es liegt in dieser Inschrift jedoch kein Zitat aus dem Ba2al-Zyklus, sondern ein Rückgriff auf das gemeinsame Repertoire der westsemitischen Königsideologie vor. 110. Ein nicht recht verständlicher Hinweis auf die Vorbereitung zur Bestattung; vgl. die Forschungsübersicht bei Smith, Ugaritic Baal Cycle, 254-256. 111. Dieser Satz ist völlig analogielos und daher unklar; vgl. die Übersicht der Forschungsmeinungen bei Smith, Ugaritic Baal Cycle, 257-259. 112. O. Loretz, Hippologia Ugaritica. Das Pferd in Kultur, Wirtschaft, Kriegführung und Hippiatrie Ugarits. Pferd, Esel und Kamel in biblischen Texten. Mit einem Beitrag von M. Stol über Pferde, Pferdekrankheiten und Pferdemedizin in altbabylonischer Zeit (AOAT 386), Münster 2011, 275-280 hat gezeigt, daß sich der Titel »Wolkenfahrer« auf einen von zwei Stieren gezogenen Wagen des Gottes Ba2al bezieht.

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Texte aus Syrien

nun, besiegen sollst du deine Gegner! (10) Übernimm dein ewiges Königtum, deine immerwährende Herrschaft!«

Ba2al besiegt Yammu (11) Kotharu

fertigte zwei Doppeläxte 113) und proklamierte ihre Namen: 114) Dein Name sei (12) Yagarisˇ. 115) Yagarisˇ, vertreibe Yammu, vertreibe, Yammu von seinem Thron, (13) den Fluß vom Sitz seiner Herrschaft. Du wirst springen aus der Hand des Ba2al, wie ein Ad(14) ler aus seinen Fingern. Schlage die Schulter des Fürsten Yammu, zwischen die Arme (15) [den Herrsche]r Fluß!« Es sprang die Doppelaxt aus der Hand des Ba2al, wie ein Adler (16) aus seinen Fingern. Sie schlug die Schulter des Fürsten Yammu, zwischen die Arme den Herrscher (17) Fluß. Stark war Yammu und schwankte nicht, nicht zitterte sein Rücken, nicht brach zusammen (18) seine Gestalt. Kotharu fertigte zwei Doppeläxte und proklamierte ihre Namen: (19) »Dein Name sei Ayyamur. 116) Ayyamur, vertreibe Yammu, vertreibe Yammu (20) von seinem Thron, den Fluß vom Sitz seiner Herrschaft. Abb. 2: Statuette eines Schwinge dich (21) aus der Hand des Ba2al, schlagenden Gottes vom Ba2al-Typ wie ein Adler aus seinen Fingern. Schlage den Schäde(22) l des Fürsten Yammu, zwischen die Augen den Herrscher Fluß. Es falle nieder Yammu, (23) und er falle zur Erde!« Und es sprang die Doppelaxt aus der Hand des Ba2al, (24) wie ein Adler aus seinen Fingern. 113. Zu smd vgl. Smith, Ugaritic Baal Cycle, 338-341, del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, ˙ 784-785 s. v. smd. und M. Dietrich / O. Loretz, smd I »Paar« und smd II »Axt, Doppelaxt« ˙ ˙ nach KTU 4.169, 4.363, 4.136; 1.65, UF 41 (2009)˙ 165-179. 114. Zur Diskussion des Vorliegens eines Duals bei den Waffen und ihren Namen angesichts von zunächst nur einer Waffe (s. auch unten die Zeilen 11-12) vgl. Smith, Ugaritic Baal Cycle, 338. 115. Der Name der Waffe leitet sich ab von grsˇ »vertreiben«; vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 309 s. v. g-r-sˇ. 116. Der Name der Waffe leitet sich ab von mrr I »vertreiben«; vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 577 s. v. m-r(-r) I.

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Sie schlug den Schädel des Fürsten (25) Yammu, zwischen die Augen den Herrscher Fluß. Es fiel nieder Yammu, er fiel (26) zur Erde. Es zitterte sein Rückgrat und es brach zusammen seine Gestalt. (27) Es zerrte Ba2al und legte nieder (?) Yammu, er vernichtete den Herrscher Fluß. (28) Mit Namen tadelte ihn Astarte: »Zerschmettere ihn, oh Aliyanu Ba2[al], (29) zerschmettere ihn, oh Wolkenfahrer. Fürwahr, unser Gefangener ist der Fü[rst Yammu, ja] (30) unser Gefangener der Herrscher Fluß!« Und es war hinausgegangen aus [ihrem Mund das Wort], (31) da zerschmetterte ihn Aliyanu Ba2al und [ ] (32) »Yammu ist wirklich tot, Ba2al herrscht als König [ ].« Die restlichen Zeilen der Tafel sind zu fragmentarisch für eine Übersetzung.

1.3 Dritte Tafel (KTU 1.3)

Gastmahl bei Ba2al auf dem Saphon ˙ Von der ersten Kolumne dieser Tafel fehlen ca. 25 Zeilen. VS

I.

(1) »Laß

nicht niedersinken [ ].« Radamanu, 117) der Diener des Ali[yanu] (3) Ba2al, bediente den Fürsten, den Herrn (4) der Erde. Er erhob sich, bereitete den Tisch (5) und gab ihm zu essen. (6) Er teilte eine Brust vor ihm, (7) mit einem gezückten Messer (8) Stücke eines Masttieres. Er eilte, (9) bediente ihn und gab ihm zu trinken. (10) Er gab einen Becher in seine Hand, (11) einen Krug in seine Hände, (12) den Becher eines mächtigen Führers, den Humpen (13) des Mannes des Himmels. Einen heiligen Becher, (14) den eine Frau nicht erblicken darf, (2) Dann

117. Vgl. dazu J. F. Healey, Das Land ohne Wiederkehr: Die Unterwelt im alten Ugarit und im Alten Testament, ThQ 177 (1997), 94-104, hier 100.

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Texte aus Syrien

einen Krug, (15) den nicht sehen darf Ascherah. 118) Tausend (16) Krüge nahm er von neuem Wein, (17) zehntausend richtete er mit einer Mischung. (18) Er erhob sich, musizierte und er sang, (19) die Zimbeln waren in den Händen des Lieblichen. (20) Es sang der Junge mit guter Stimme (21) vor Ba2al auf der Höhe (22) des Saphon. Es erblickte Ba2al (23) seine Töchter:˙ 119) Er sah Pidrayu, 120) (24) die Tochter des Lichtes, dann Tallayu, 121) (25) die Toch[ter des] Sprühregens: »Pidrayu, du weißt (26) [gewi]ß, ob die Bräute, (27) [die ehrenvol]len und [ ]« Es fehlen ca. 12-14 Zeilen vom Ende dieser Kolumne

Kampf der Göttin Anat Es fehlen ca. 25 Zeilen vom Beginn dieser Kolumne II. Die erste Zeile ist unleserlich. (2) (mit)

Henna die sieben Töchter, (mit) Duft von Koriander (3) und Purpurschnecken. Es schloß (4) die Tore der Häuser Anat und trat entgegen den jungen Männern (5) am Fuß des Berges. Und siehe, Anat käm(6) pfte in der Ebene, schlug sich zwischen (7) den (beiden) Städten. Sie bekriegte das Volk des M[eeres]ufers, (8) sie vernichtete die Menschen des Sonnenaufgangs. (9) Unter ihr waren wie Bälle Köpfe, (10) über ihr wie Heuschrecken Hände, wie Grashüpfer (11) eines Schwarmes die Hände der Krieger. Sie machte fest (12) die Köpfe an ihrem Rücken, sie gürtete (13) die Hände an ihren Gürtel. Die Knie tauch[te] sie (14) in das Blut der Krieger,

118. Es handelt sich wohl um die Umschreibung eines marzihu, zu dem die verheirateten Frauen ˙ Dietrich / Loretz, Mythen, 1136 nicht zugelassen waren, wohl aber unverheiratete; vgl. Anm. 14 und KTU 1.114. 119. Zum folgenen Passus und zu den Töchtern des Gottes Ba2al vgl. Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 115-121. 120. Der Name steht vielleicht für »Tautropfen«; vgl. W. G. E. Watson, The Goddesses of Ugarit: A Survey, SEL 10 (1993) 47-59, hier 54. Weitere Literatur und Belege bei del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 663 s. v. pdry. In den akkadischen Götterlisten von Ugarit ist Pidrayu mit der Göttin Hebat gleichgesetzt; vgl. z. B. RS 20.24,16. 121. Der Name kann als »Tauhafte« verstanden werden; vgl. Watson, Goddesses, 54. Weitere Literatur und Belege bei del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 889 s. v. tly. ˙

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die Schenkel in das geronnene Blut (15) der Kämpfer. Mit dem Stab vertrieb sie (16) die Gefangenen, mit der Sehne ihres Bogens die Unterworfenen. (17) Und siehe, Anat kam zu ihrem Haus, (18) es ging hinab die Göttin zu ihrem Palast. (19) Aber sie war nicht satt von ihren Kämpfen in der Ebene, (20) vom Krieg zwischen den (beiden) Städten. Sie bereitete (21) Stühle für die Kämpfer, sie bereitete Tische (22) für die Krieger, Schemel für die Helden. (23) Schwer schlug sie sich und schaute, (24) es kämpfte und beobachtete Anat. (25) Es schwoll ihr Inneres vor Lachen, es füllte sich (26) ihr Herz mit Freude, das Innere Anats (27) mit Triumph. Ja, die Knie tauchte sie ins Blut (28) der Krieger, die Schenkel in das geronnene Blut der Krieger. (29) Bis sie gesättigt war, kämpfte sie im Haus, (30) sie schlug sich zwischen den Tischen. Man wischte weg (31) aus dem Haus das Blut der Krieger, man goß Öl (32) des Heilens aus in eine Schale. Es wusch ihre Hände die Jung(33) frau Anat, ihre Finger die Schwägerin des Lim. 122) (34) [Sie w]usch ihre Hände vom Blut der Krieger, (35) ihre Finger vom Gerinnsel der Krieger. (36) Sie ordnete Stühle zu Stühlen, Tische (37) zu Tische[n], Schemel räumte sie zu Schemeln. (38) Sie zogen Wasser für sie und sie wusch sich (39) (mit) Tau des Himmels, Fett der Erde, Sprühregen (40) [des W]olkenfahrers, Tau, den die Himmel für sie ausgossen, (41) [S]prühregen, den die Sterne für sie ausgossen. III.

(1) Sie

schmückte sich mit den Purpurschneck[en; zehntausend Morgen] ist (2) (ihre) Wohnstätte im Meer [

].

Von Zeile 3 sind nur wenige Zeichen erhalten; im Anschluß daran fehlen ca. 20 Zeilen.

122. Dieser Titel der Göttin Anat ist auch in KTU 1.3 II 12; IV 22; 1.4 II 15-16; 1.7, 25; 1.10 I 15; II 3; 1.17 VI 19.25 belegt. Die Bezeichnung der Göttin als »Schwägerin des Lim« läßt eine Beziehung zum amurritischen Gott Lim erkennen, auch wenn der nähere mythische Hintergrund unbekannt ist. Zu diesem Gott vgl. M. Krebernik, Art. Lim, RlA 7, 1987-1990, 25-27. Vgl. zur Diskussion des Titels der Göttin Anat Rahmouni, Epithets, 186-192.

204

Texte aus Syrien

Gesandtschaft des Gottes Ba2al zur Göttin Anat »… sie wird die Leier (?) 123) setzen (5) an ihre Brust: Ein Lied über die Liebe des Aliyanu (6) Ba2al, die Leidenschaft der Pidrayu, der Tochter des Lichtes, (7) die Liebe der Tallayu, der Tochter des Sprühregens, die Liebe der Arsayu, 124) (8) der Tochter des Schauers. 125) ˙ Dann Boten (9) tretet ein, zu den Füßen der Anat verneigt euch, (10) und fallt nieder, huldigt, ehrt sie. (11) Und sprecht zur Jungfrau Anat, (12) wiederholt der Schwägerin 126) des Lim: (13) ›Eine Botschaft des Aliyanu Ba2al, ein Wort (14) des Mächtigsten der Helden: 127) Opfere in die Erde (15) Brot, lege in den Staub Liebesäpfel, (16) gieße Frieden in das Innere der Erde, (17) Ordnung in das Innere der Felder. (18) Dein Eilen, dein Drängen, dein Hasten (19) zu mir, deine Füße sollen laufen, zu mir (20) eilen deine Beine. Denn ein Wort (21) habe ich und werde es dir sagen, (22) einen Spruch und werde ihn dir wiederholen: Das Wort (23) des Baumes und das Geflüster des Steines, (24) das Geflüster des Himmels mit der Erde, (25) der tiefen Flut mit den Sternen. (26) Ich verstehe den Blitz, den nicht kennt der Himmel, (27) den Donner, den nicht kennen die Menschen und nicht versteht (28) die Menge der Erde. Komm und ich (29) werde (es) offenbaren inmitten meines Berges, des göttlichen Saphon, 128) ˙ 123. Zu einer möglichen Erklärung als eines Instrumentes mit einer Tierkopfverzierung vgl. Dietrich / Loretz, Mythen, 1140 Anm. 51 und Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 218 f. 124. Der Name klingt an die »Unterwelt« (ars) an, was auch die Gleichsetzung der Arsayu mit der anatolischen Unterweltsgöttin Allatum ˙in den den akkadischen Götterlisten von˙ Ugarit, vgl. z. B. RS 20.24,22, erklärt. Vgl. zum Namen und den Belegen noch Watson, Goddesses, 54 und del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 108 s. v. arsy. ˙ 125. Zur Etymologie vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 946 s. v. y2bdr. 126. Lies ybmt statt ymmt. 127. Über seine Züge als Kriegs- und Wettergott hinaus zeigt sich hier die Weisheit des Gottes Ba2al, mittels derer er die kosmische und soziale Ordnung zusammenhält; vgl. P. Xella, La « sagesse » de Baal, in: B. Pongratz-Leisten / H. Kühne / P. Xella (Hg.), Ana sˇadî Labna¯ni lu¯ allik. Beiträge zu altorientalischen und mittelmeerischen Kulturen. Festschrift für Wolfgang Röllig (AOAT 247), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1997, 435-446. 128. Zur Aufassung von il spn als »göttlichem Saphon« in KTU 1.3 III 29, IV 19; 1.101,2 vgl. auch ˙ 1.113,13-26. il nqmd »der göttliche˙ Niqmaddu« in KTU

205

Herbert Niehr (30) im

Heiligtum auf dem Berg meines Erbsitzes, der Lieblichkeit, auf dem Hügel des Sieges.‹« ————————————————————— (32) Siehe, Anat sah die Götter, in ihr die Füße (33) wankten, gebrochen wurde hinten ihr Rücken, (34) oben ihr Gesicht schwitzte, es zitterte das Grat (35) ihres Rückens, die Nerven ihres Gesäßes. Sie erhob (36) ihre Stimme und rief: »Wozu sind gekommen Gapnu-wa-Ugaru 129), (37) welcher Feind brach auf gegen Ba2al, (welcher) Gegner (38) gegen den Wolkenreiter? Habe ich nicht erschlagen den Liebling (39) Els, Yammu, habe ich nicht vernichtet Naharu, den großen Gott? 130) (40) Habe ich nicht gebunden Tunnanu, ihn völlig vernichtet? 131) (41) Ich habe erschlagen die sich windende Schlange, (42) die Mächtige mit den sieben Köpfen. (31) in

Untere Ecke

habe erschlagen den Liebling Els, Arsˇu, 132) habe vernichtet das Kalb Els, Atiku, 133) (45) ich habe erschlagen die Hündin der Götter, Is ˇatu, 134) (46) ich habe vernichtet die Tochter des El, Dabibu. 135) Ich werde erkämpfen das Silber, (47) ich werde in Besitz nehmen das Gold dessen, der vertreibt Ba2al (43) Ich

(44) ich

RS

IV.

(1) von

den Höhen des Saphon, ˙ einen Vogel (2) (von) seinem Nest, der ihn ausgehen läßt wie der ihn vertreibt vom Thron seines Königtums, (3) vom Ruhesitz, vom Thron seiner Herrschaft.

129. Götterbote des Vegetationsgottes Ba2al, dessen Namen »Weinstock-und-Acker« bedeutet. 130. Zu den Gegnern der Göttin Anat vgl. Smith, Ugaritic Baal Cycle, 52-55.246-258 und W. T. Pitard, Just How Many Monsters Did Anat Fight? (KTU 1.3 III 38-47), in: K. L. Younger (Hg.), Ugarit at Seventy-Five, Winona Lake 2007, 75-88. 131. So mit J. Tropper, Kleines Wörterbuch des Ugaritischen (ELO 4), Wiesbaden 2008, 124 s. v. ˇsmd. 132. Wörtlich »Begehren, Wunsch«; vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 108 s. v. arsˇ und Pitard, Monsters, 84. 133. Vielleicht der »Binder«, vgl. Pitard, Monsters, 84 f. 134. Wörtlich »Feuer«; vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 119 f. s. v. isˇt und Pitard, Monsters, 85. 135. Wörtlich »Flamme«; so mit Pitard, Monsters, 85; eher unwahrscheinlich ist »Fliege«, so del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 285.

206

Texte aus Syrien (4) Welcher

Feind brach auf gegen Ba2al, (welcher) Gegner gegen den Wolkenfahrer?«

Die Antwort der Boten (5) Da

antworteten die jungen Männer, sie antworteten ihr: »Kein Feind brach auf (6) gegen Ba2al, (kein) Gegner gegen den Wolkenfahrer. (7) Botschaft des Aliyanu Ba2al, Wort des Mächtigsten (8) der Helden: ›Opfere in die Erde Brot, (9) lege in den Staub Liebesäpfel, gieße Frieden (10) in das Innere der Erde, Ordnung in das Innere der Felder. (11) Dein Eilen, dein Drängen, dein Hasten zu mir, deine Füße (12) sollen [lau]fen, deine Beine zu mir [ei]len. (13) [Denn ein Wort habe ich] und ich werde es dir sagen, einen Spruch (14) [und ich werde ihn dir wiederholen. Das Wort] des Baumes und das Geflüster (15) [des Steines, das Wort, das nicht kenn]en die Men[schen und nicht ver]steht (16) [die Menge der E]rde. Das Ge[flüster des Himmels mit der E]rde, (17) der tiefen Flut m[it den Sternen. Ich verstehe den Blitz], (18) den nicht ken[nt der Him]mel. [Komme doch und ich] (19) werde [es] off[enbaren inmitten meines Ber]ges, des [gö]ttlichen Saphon, ˙ (20) im Heilig[tum auf dem] Berg meines [E]rbes.‹« (21) Da antwortete die Jungfrau [A]nat, es erwiderte die (22) Sch[wägerin] des Lim: »Ich werde opfern (23) [in die Erde] Brot, [ich werde le]gen in den Staub (24) Liebesäpfel; ich werde gießen [Frieden] in das Innere der Erde, (25) Ord[nung] in das Inn[ere der F]elder. Es setze (26) an den [H]im[mel] Ba2al seinen Donner, es entzünde (27) [der Wolkenfah]rer seinen [Bl]itz. Opfern werde (28) ic[h] in die Erde Brot, (29) ich werde setzen [in] den St[a]ub Liebesäpfel, ich werde gießen (30) Frieden in das Innere der Erde, 136) Ordnung (31) in das Innere der Fe[lder]. 137) Darüber hinaus habe ich ein Zweites (32) zu sagen: Geht, geht Götterboten! 136. Schreibfehler; lies mit CAT ars. ˙ vorliegenden Wiederholung der Zeilen 21-25 bekundet die 137. Mittels der hier leicht variiert Göttin Anat ihre Bereitschaft, dem Willen des Ba2al Folge zu leisten; vgl. Smith / Pitard, Ugaritc Baal Cycle, 295 f.

207

Herbert Niehr (33) Ihr geht langsam, aber ich will gehen (34) vom Berg 138) zum Fernsten der Götter, (von) Inibab,(35) zum Fernsten der Göttlichen. Zwei Schritte (36) unter den Quellen der Erde, drei Maß (unter) den Tiefen.« 139) (37) Dann wandte sie sich zu Ba2al (38) auf den Höhen des Saphon. Über tausend Morgen, ˙zehntausend Hektar (39) sah Ba2al das Kommen seiner Schwester, den Marsch der (40) Schwägerin seines Vaters. 140) Er ließ die Frauen von sich weggehen. (41) Er ließ ihr einen Ochsen vorsetzen, ein Mastschaf (42) direkt vor sie. Sie zogen Wasser und sie wusch sich (43) (mit) Tau vom Himmel, Fett der Erde, Tau, den der Him[mel] für sie [ausge]gossen hatte, (44) Sprühregen, den die Sterne ihr ausgegossen hatten. (45) Sie schmückte sich mit den Purpurschnecken; zehntausend Morgen (46) ist (ihre) Wohnstätte im M[eer].

Es fehlen ca. 15 Zeilen

Rede des Ba2al an Anat »(Es gibt kein) (47) Haus für [Ba2al wie (für) die Götter und keinen Hof] (48) wie (für) die Söhne der A[scherah. Der Wohnsitz des El ist das Obdach] (49) seines Sohnes, der Wohnsi[tz der Herrin Ascherah des Meeres], 141) (50) der Wohnsitz der Pid[rayu, der Tochter des Lichtes, das Obdach] (51) der Tallayu, der Tochter [des Sprühregens, der Wohnsitz der Arsayu], (52) der Tochter des Schauers, ˙ [Bräute]!« 142) [der Sitz der] (53) hehren

138. Vgl. dazu Dietrich / Loretz, Mythen, 1145 Anm. 87, die eine Lesung b!g˙r vorschlagen. 139. Vgl. auch dieselben Formulierungen in der Rede des Kotharu-wa-Hasisu in KTU 1.1 III 17˘ 21. 140. Hier steht ybnt (sic!) abh; der Vater des Ba2al ist der Gott Dagan; s. o. Anm. 100. Nach Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 302 hatte der Schreiber zunächst ybmt lim schreiben wollen, wechselte dann aber zu bnt abh »die Tochter seines Vaters.« 141. Dieser Titel der Göttin Ascherah begegnet nur im Ba2al-Zyklus und steht für eine enge Beziehung der Göttin zum Meeresgott Yammu. Zur Deutung des Titels vgl. bes. W. G. E. Watson, An Antecedent to Atirat and 2Anat, in: N. Wyatt / W. G. E. Watson / J. B. Lloyd (Hg.), Ugarit, ¯ Proceedings of the International Colloquium on Ugarit, religion and religion and culture. culture, Edinburgh, July 1994. Essays presented in honour of Professor John C. L. Gibson (UBL 12), Münster 1996, 315-362 und Rahmouni, Epithets, 278-285. Vgl. auch den YammuTitel »Geliebter des El« und den Sitz des El an den beiden Ozeanen und an der Quelle der beiden Flüsse. Die Boten der Ascherah heißen »Fischer der Ascherah«, s. u. 142. Die Zeilen 47-53 sind ergänzt nach KTU 1.3 V 38-43; 1.4 I 9-18; IV 50.57.

208

Texte aus Syrien

Antwort der Anat Und es antwortete [die Jungfrau Anat]: (54) »Es wird sich mir zuwenden der Stier El, [mein Vater ], (55) er wird sich mir zuwenden und ihm [werde ich mich zuwenden]. V.

(1) [

] Ich werde ihn niederziehen wie ein Lamm zur Erde, werde fließen las]sen sein graues Haar von Blut, das Grau seines Bartes von (3) [Gerinnsel], 143) wenn er nicht gibt ein Haus dem Ba2al wie den Göttern (4) [und einen Ho]f wie den Söhnen der Ascherah.« (2) [ich

Anat besucht El [Sie hob die Fü]ße auf zum Sprung (5) [und durchreiste] die Erde. [Sie wandte das Ge]sicht (6) [zu El] an der Quelle der beiden Flüs[se, inmit]ten [der Quel]len (7) [der beiden Ozea]ne. Sie zeigt sich auf dem Vorplatz des El und betrat (8) das Gemach des Königs, des Vaters des [Sˇanuma], 144) (9) [be]trat den Vorplatz des Schöpfers [und] Herrn [der Söhne El]s. (10) Ihre Stimme hörte der Stier [El], ihr Vater. Es an[t]wortete E[l] aus den sieben Ka[m]mern, (11) [aus den a]ch[t] geschlossenen [Eingängen]. 145) Die Zeilen 12 bis 16 sind weitgehend zerstört und unverständlich. Leuchte der Götter, Sˇapsˇu, war [stau]bfarben, war der Himmel du[rch den Sohn Els, Mo]tu. 146) (19) Da antwortete die Jungfrau Ana[t: »Am Bau] deiner Gebäu[de], (20) oh El, am Bau deiner Gebäude sollen sie sich nich[t f]reuen, (21) sie sollen sich nicht freuen über die Errichtung [deines] [P]alastes. (22) Fürwahr, ich werde sie ergreifen mit meiner Rechten [ ], (23) mit der Größe meines langen Armes. Ich werde niederschlag[en ](24) deinen Schädel, 147) ich lasse fließen deine Grauheit [von Blut], (25) die Grauheit deines Bartes von Gerinnsel.« (17) Die

(18) beschmutzt

143. Ergänzt nach Zeile 24-25 und KTU 1.18 I 11-12. 144. Das hierauf folgende msr »Festung« ist durch das Fehlen eines Satzteiles nicht verständlich. ˙ 145. Die Ergänzungen der Zeilen 4-11 sind aufgrund der an einigen Parallelstellen verwendeten formelhaften Sprache unstrittig. 146. Ergänzt nach KTU 1.4 VIII 21-24 und 1.6 II 24-25. Vgl. zu dieser Übersetzung und zum Hintergrund Kutter, nu¯r ilı¯, 147-164. Sie macht deutlich, daß die reinigende Wirkung von Regen und Tau ausfällt, wenn sich Ba2al in der Macht Motus befindet, der seinerseits den Staub und den Schmutz der Unterwelt bis zum Himmel aufsteigen läßt. 147. Vgl. zur folgenden Szene auch KTU 1.18 I 15-17.

209

Herbert Niehr

Da antwortete (26) El aus den sieben Kammern, aus den acht (27) geschlossenen Eingängen: »Ich kenne [dich], Tochter: Du bis[t] unerbittlich, (28) es gibt unter den Göttinnen deinen Spo[t]t nicht noch einmal. Was wünschest du von mir, (29) oh Jungfrau Anat?« Da an[t]wortete die Jungfrau Anat: (30) »Dein Bescheid, El, ist weise, deine Weisheit (31) gilt für immer, dein Wort ist ein glückliches Leben. (32) Unser König ist Aliyanu Ba2al, unser Herrscher! (33) Keiner ist höher als er! Wir alle seinen Krug (34) bringen ihm, wir alle bringen (ihm) seinen Becher.« (35) Es klagte, ja schrie der Stier El, sein Vater, El, (36) der König, der ihn geschaffen hatte. Es schrien Ascherah (37) und ihre Söhne, die Göttin und die Gruppe ihrer Verwandten: 148) (38) »Nun, es gibt kein Haus für Ba2al wie (für) die Götter, (39) keinen Hof wie für die Sö[hne] der Ascherah. Der Sitz des El ist (40) das Obdach [seines] Sohn[es, der Wohn]sitz der Fürstin Ascherah (41) des Meeres, der Sitz [der Pidray]u, der Tochter des Lichtes, (42) [das Obdach] der Tallayu [der Tochter] des Sprühregens, der Sitz (43) [der Arsayu, der Tochter des Schauers].« ˙ Es fehlen ca. 15 Zeilen und von den letzten acht Zeilen der Kolumne sind nur noch wenige Zeichen erhalten Aufgrund neuerer epigraphischer Untersuchungen ist deutlich, daß KTU 1.8 den Beginn der Kolumne VI darstellt. 149)

KTU 1.8 Auftrag an die Boten des Ba2al (1) »…

ein Geschenk 150) für die Fürstin Ascherah (2) [des M]eeres, Eine Gabe für die Schöpferin der Götter, (3) daß sie gebe ein Haus für Ba2al wie (4) (für) die Götter

148. Lies mit CAT aryh. 149. Vgl. dazu D. Pardee, A New Join of Fragments of the Baal Cycle, in: J. D. Schloen (Hg.), Exploring the Longue Durée. Essays in Honor of Lawrence E. Stager, Winona Lake 2009, 377-390; ders., Ugaritic Texts, 62-66; Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 4.364 f. 150. Es geht nicht um eine Bestechung der Göttin, sondern um die diplomatische Ebene des Austausches von Geschenken. So wie Ba2al den Status als »Bruder« erhalten will, so erfordert dies die Gabe von Geschenken. Zu dem dahinterstehenden Konzept vgl. Liverani, Prestige, 211223 und zur Anwendung auf den Ba2al-Zyklus vgl. Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 38.407409.

210

Texte aus Syrien

und einen Hof wie (für) die Söhne (5) der Ascherah.« Laut zu seinen Dienern (6) rief Ba2al: »Schaut, Gapnu-(7) wa-Ugaru: In Finsternis (8) ist das Meer verhüllt, in Dunkelhei[t] die hohen Gipfel. 151) Die Zeilen 10-12 sind unklar. In (13) Schauern ist das Band eurer Köpf(14) e, Blitz[e] sind zwischen euren Augen. (15) Oh Männer, [durchquert] tausend (16) s ˇ[ir im] Meer, zehntausend (17) [Hektar] in den Flüssen. 152)

KTU 1.3 VI VI.

(1) [

T]r[ag(2) t] [meine Botschaft in euren Kö]pf[en], Worte] zwischen euren Augen (4) [und überquert] tausend (5) Morgen] im Meer, (6) zehntausend [Hek]tar in den Flüssen. (7) [Ü]berquert Berge, überquert (8) Gebirge, überquert die Inseln (9) am Horizont des Himmels, (10) fahrt zum Fischer der Ascherah, (11) geht zu Quds ˇu-Amraru! 153) (12) Dann wendet doch (13) das Gesicht nach Memphis, (14) dem Göttlichen, in seiner Gesamtheit, nach Kreta, (15) dem Thron seines Sitzes, nach Memphis, (16) dem Land seines Erbes. (17) Über tausend Morgen, zehntausend (18) Hektar zu den Füssen des Kotha[ru] (19) verneigt euch und fallt nieder, beugt (20) euch und ehrt ihn. (21) Und sprecht zu Kotharu-(22) wa-Hasisu, wiederholt dem Ha(23) yyanu mit der˘ geschickten Hand. 154) (24) ›Botschaft des Al[iyanu Ba2al], (25) W[ort des Mächtigsten der Helden.‹«] (3) [meine

Es fehlen ca. 20 Zeilen vom Rest dieser Tafel.

151. Vgl. dazu Pardee, Ugaritic Texts, 64. 152. Vgl. zu den Zeilen 13-17 Pardee, Ugaritic Texts, 64. 153. Aufgrund der engen Verbindung der Göttin Ascherah mit dem Meer werden ihre Boten als Fischer bezeichnet. Vgl. Rahmouni, Epithets, 150 f. und zu den mit diesen Boten verbundenen Motiven der Navigation mittels der Gestirne und des Fischens bei Nacht vgl. F. Ernst-Pradal, Qodesˇ-Amrour et la pêche au feu, Sem 50, 2001, 217-220. 154. Zu Kotharu als Hayyanu/Ea vgl. E. Lipin´ski, Éa, Kothar et El, UF 20 (1988) 137-143 und M. Dietrich / O. Loretz, Das ugaritische Gottesattribut hrsˇ »Weiser, handwerklich Tätiger«. ˙ UF 31 (1999) 165-173. Eine Studie über die Götter El, Ea/Enki, Ktr-w-hss und Hyn, ˘ ¯

211

Herbert Niehr

1.4 Vierte Tafel (KTU 1.4)

Vom Beginn der Kolumne I fehlen ca. 20 Zeilen

Rede der Göttin Anat VS

I. Die ersten drei Zeilen sind für eine Übersetzung zu fragmentarisch. (4) »[Es

klagte, ja schri]e der Stier sein Vater, E]l, der König, (6) [der ihn geschaffen hatte. Es rie]fen Asche (7) [rah und ihre Söhne], die Göttin, (8) [und die Gemeinschaft ihrer Verwandt]en: (9) [›Und es gibt kein Haus für Ba2al] (10) [wie (für) die Götter und keinen Hof] (11) [wie (für) die Söhne] der Ascher[ah]. (12) Der Wohnsi[t]z Els ist das Obdach (13) seiner Söhne, der Wohnsitz der Fürstin 155) (14) Ascherah des Meeres, der Wohnsitz (15) der hehren Bräute, (16) der Wohnsitz der Pidrayu, der Tochte[r] des Lichtes, (17) das Obdach der Tallayu, der Tochter des Sprühregens, (18) der Wohnsitz der Arsayu, der Tochter des Schauers.‹ ˙ Worte (20) dir zu sagen: (19) Ferner habe ich folgende Besorge doch bitte (21) ein Geschenk für die Fürstin Ascherah des Meeres, (22) eine Gabe für die Schöpferin der Götter.« (5) [El,

Kotharu fertigt Geschenke an (23) Hayyanu

stieg auf die Blasebälge, der Hand des Hasisu war die Zange. ˘ (25) Er goß Silber, er schmo (26) lz Gold. Er goß Silber (27) zu tausenden, Gold goß (28) er zu zehntausend (Sˇeqel). (29) Er goß einen Baldachin 156) und ein Bett, ˇ eqel), (30) eine göttliche Plattform von zwanzigtausend (S (31) eine göttliche Plattform, einen Guß in Silber, (32) überzogen mit Rotgold, (33) einen göttlichen Stuhl, einen Ruhesitz (34) von Gold, einen göttlichen 157) Schemel, (35) der bedeckt ist mit Marmor, (36) eine göttliche Liege mit einer Kopfstütze 158) (37) darüber aus Gold, (38) einen herrlichen Tisch, welcher voll ist (39) mit allen möglichen Tieren, die (40) von den Grundfesten der Erde sind, (24) in

155. Vgl. zu den Zeilen 4-13 noch KTU 1.3 V 35-40 und 1.4 IV 47-52. 156. Vgl. dazu P. Xella, Baal Hammon. Recherches sur l’identité et l’histoire d’un dieu phénicopunique (CSF 32), Rom 1991, 182 f. 157. Mit CAT lies il statt id. 158. Anders Xella, Baal Hammon, 182, der hier »Widder« übersetzt.

212

Texte aus Syrien (41) eine

göttliche Schale, die vollendet ist wie eine (aus) Amurru, 159) Bearbeitung (ist) wie (aus) Yaman, 160) (43) in der zehntausend Wildstiere sind.

(42) deren

Besuch für die Göttin Ascherah Vom Beginn dieser Kolumne fehlen ca. 16 Zeilen II. Die ersten beiden Zeilen sind zu fragmentarisch für eine Übersetzung. (3) Sie

ergriff ihre Spindel [mit ihrer Hand], drehende 161) Spindel in ihrer Rechten. (5) Ihr Gewand, die Bedeckung ihres Fleisches, (6) wusch sie, ihren Umhang im Meer, die (7) zwei Gewänder in den Flüssen. (8) Sie setzte einen Kessel auf das Feuer, (9) einen Topf auf die Kohle. (10) Sie wollte verzaubern den Stier El, den Klugen, (11) gewinnen den Schöpfer der Geschöpfe. (12) Als sie die Augen erhob, da sah sie (13) das Kommen des Ba2al, Ascherah (14) sah fürwahr das Kommen der Jungfrau (15) Anat, das Schreiten der Schwägerin (16) [des Lim]. In ihr die Füße (17) [schlotterten, hin]ten das Rückgrat (18) [brach, oben ihr Ge]sicht schwitzte, (19) es zitterten die Wirbel ihres [Rücke]ns, (20) die Muskeln [ihres] Gesäßes. (21) Sie erhob ihre Stimme und rief: »Warum (22) ist gekommen Aliyanu Ba2al, (23) warum ist gekommen die Jun[g]frau (24) Anat? Meine Mörder sind sie, die [M]örder (25) meiner Söhne sind sie, [die Vernichter der G]ruppe (26) meiner Verwandten!« Als Ascherah [den Schein] des Silbers (27) sah, den Schein des Silbers und das Licht (28) des Goldes, freute sich die Fürstin Asche[rah] (29) des Meeres. Laut [rief sie] ihrem Diener zu: (30) »Schau, Erforscher der Tiefe [des Meeres], (4) die

159. Amurru steht für das westliche Syrien und den Libanon; vgl. Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 21-24. 160. Yaman steht für die Ägäis bzw. für Ionien; vgl. Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 339 f. 161. Zu den textkritischen Schwierigkeiten vgl. CAT z.St.

213

Herbert Niehr (31) Fischer

der Fürstin Ascher[ah des Meeres], 162) ein Netz in deine Hände [ ], (33) ein großes auf deine Hände, [ ] (34) auf den Geliebten Els, Y[ammu wirf es], (35) auf Yammu, den Gott, der [ ].«

(32) nimm

Der restlichen ca. 13 Zeilen dieser Kolumne sind für eine Übersetzung zu fragmentarisch. III. Von den ersten neun Zeilen ist zu wenig an Text erhalten.

Zwischenspiel in der Götterversammlung (10) Es

an[t]wortete Aliyanu Ba2al, erwiderte der Wolkenfahrer. (12) Er erhob sich, er stand auf und spottete. (13) Er erhob sich und schimpfte inmitten (14) der Versammlung der Götter: »Ich habe (15) ein unreines O[pf]er von meinem Tisch, (16) Schmach aus meinem Becher getrunken. (17) Denn zwei Opfer haßt Ba2al, drei (18) der Wolkenfahrer. Ein Opfer (19) der Schande und ein Opfer [und ein Opfer] (20) der Unzucht, und ein Opfer der Schande (21) der Mägde. Denn in ihm ist die Schande wirklich offenbar (22) und in ihm Geflüster der Mägde.« (11) es

Ba2al und Anat bei Ascherah (23) Danach

kam heran Aliyanu Ba2al, kam heran die Jungfrau Anat. (25) Sie beschenkten die Fürstin Ascherah des Meeres, (26) sie gaben Geschenke der Schöpferin der Götter. (27) Und es antwortete die Fürstin Ascherah des Meeres: (28) »Was beschenkt ihr die Fürstin (29) Ascherah des Meeres, beschenkt (30) die Schöpferin der Götter? Habt ihr beschenkt (31) den Stier El, den Scharfsinnigen, habt ihr beschenkt (32) den Schöpfer der Geschöpfe?« Da antwortete (33) die Jungfrau Anat: »Wir beschenken (34) so die Fürstin Ascherah des Meeres, (35) wir beschenken die Schöpferin der Götter. (36) Danach beschenken wir ihn.« (24) es

Die Zeilen 37-39 entziehen sich einer Übersetzung. 162. Gemeint ist der Götterbote Qudsˇu-wa-Amraru; vgl. zu dieser Stelle Ernst-Pradal, Qodesˇ-Amrour, 218.

214

Texte aus Syrien (40) [ ] Es aßen, es tranken (41) [die Götter und erhiel]ten Lämmer, [die noch saugen (42) an der Brust. Mit einem gezückten Messer schnitt er] Stücke (43) [vom Mastvieh. Sie tranken] (aus) Krügen Wein, (44) [und aus goldenem Becher Bl]ut des Weinstocks. 163)

Vom Ende dieser Kolumne sind ca. 10 Zeilen zerstört und vom Beginn der nächsten fehlen ca. 12 Zeilen.

Ascherah besucht El IV.

(1) »Der

Stier [El, unser Vater.« Und es antwortete die Fürstin] (2) Ascher[ah des Meeres: »Höre, oh Qudsˇu]-(3) wa-Amr[aru, oh Fischer der Fürstin] (4) Ascherah des Meeres: [Zäume auf den Esel], 164) (5) schirre an den Hengst; Le[ge auf das Zaumzeug] von (6) Silber, aus Gold [die Schabracken], (7) bereite das Zaumzeug [meines] Esels!« (8) Es gehorchte Qud[s ˇu]-wa-Amr[aru]. (9) Er sattelte den Esel, er schirrte an den Hengst, (10) er legte an das Zaumzeug aus Silber, (11) aus Gold die Schabracken, (12) er bereitete das Zaumzeug ihres Esels. (13) Es nahm (sie) in die Arme Quds ˇu-wa-Amraru, (14) er setzte Ascherah auf den Rücken des Esels, (15) auf die Pracht des Rückens des Hengstes. (16) Quds ˇu ergriff eine Fackel, 165) (17) Amraru war wie ein Stern vorn, (18) dahinter die Jungfrau Anat. (19) Und Ba2al brach auf zu den Höhen des Saphon. (20) Dann richtete sie ihr Gesicht (21) zu El ˙ an der Quelle der beiden Flüsse, (22) inmitten der Tiefe der beiden Ozeane. (23) Sie zeigte sich auf dem Vorplatz des El

163. Die Ergänzungen in diesem Passus folgen KTU 1.4 VI 55-59 und 1.4 IV 37-38. 164. Die Ergänzungen im folgenden Passus orientieren sich an der Parallelstelle KTU 1.19 II 3-5.811. 165. Nach J. L. Cooley, Poetic Astronomy in the Ancient Near East (HACL 5), Winona Lake 2013, 196-199 bilden die Zeilen 16-17 einen Verweis auf die Navigation anhand der Gestirne. Deshalb führt Qudsˇu-wa-Amraru den Zug der Göttin Ascherah an. So bereits schon Ernst-Pradal, Qodesˇ-Amrour, 219 und Bordreuil, Littérature d’Ougarit, 39. S. o. zu KTU 1.3 VI 10-11. Des Weiteren liegt hier eine Parallele zur Königstochter Pughatu im Aqhatu-Epos vor, die den Lauf der Sterne kennt und ebenfalls den Zug ihres Vaters anführt. Vgl. KTU 1.19 II 1-12 (s. u. Nr. 3).

215

Herbert Niehr

und betrat (24) das Gemach des Königs, des Vaters des Sˇanuma. (25) Zu Füßen Els verneigte sie sich und fiel nieder, (26) sie huldigte und ehrte ihn. (27) Siehe, als El sie sah, (28) entfaltete er die Braue und lachte. (29) Seine Füße legte er auf den Schemel und er wandt (30) seine Finger. Er erhob seine Stimme und ri[ef]: (31) »Wozu ist gekommen die Fürstin Ascher[ah des Me]eres, (32) wozu ist gekommen die Schöpferin der Gö[tter]? (33) Du bist gewiß hungrig, da du gereist [bist], (34) oder gewiß durstig, da du unterwegs warst. (35) Iß oder trink; i[ß] (36) von den Tischen Brot, trink (37) aus den Krügen Wein, aus dem Becher 166) aus Gold (38) das Blut des Weinstocks. Siehe, die Kraft des Königs El (39) wird dich beleben, die Liebe des Stieres muntert dich wieder auf.« (40) Da antwortete die Fürstin Ascherah des Meeres: (41) »Dein Wort, oh El, ist weise, Weisheit (42) auf Ewigkeit. Ein glückliches Leben (43) ist dein Wort. Unser König ist Aliya[nu] Ba2al, (44) unser Herrscher. Und es gibt keinen über ihm. (45) Wir alle b[rin]gen seinen Maßk[rug], (46) wir alle bringen seinen Becher.« (47) [Es klagte], ja schrie der Stier El, ihr Vater, (48) [E]l der König, der ihn geschaffen hatte, es riefen (49) Ascherah und ihre Söhne, die Göttin und die Gruppe (50) ihrer Verwandten: »Nun, es gibt kein Haus für Ba2al (51) wie (für) die Götter, und (keinen) Hof (wie für) die Söhne der Ascherah. (52) Der Wohnsitz des El ist das Obdach seiner Söhne, (53) der Wohnsitz der Fürstin Ascherah des Meeres, (54) der Wohnsitz der hehren Bräute, (55) der Wohnsitz der Pidrayu, der Tochter des Lichtes, (56) das Obdach der Tallayu, der Tochter des Sprühregens, (57) der Sitz der Arsay[u], der Tochter des Schauers.« 167) ˙ Untere Ecke (58) Da

antwortete der scharfsinnige El, der Kluge: ich denn ein Diener, ein Lakai der Ascherah?

(59) »Bin

166. Lies mit CAT b khsi. 167. Vgl. zu den Zeilen 50-57 J. Tropper, Ein Haus für Ba2al. Schwierige Passagen in KTU 1.4 IV-V, UF 35 (2003) 649-656, hier 649-652.

216

Texte aus Syrien (60) Bin

ich denn ein Diener, der die Ziegelform hält? hier etwa eine Magd der Ascherah, die streicht (62) die Ziegel? Man baue ein Haus für Ba2al (61) Ist

RS

V.

(1) wie

(für) die Götter und einen Hof wie (für) die Söhne der Ascherah!« 168) (2) Da antwortete die Fürstin Ascherah des Meeres: (3) »Du bist groß, oh El, du bist wahrlich weise. (4) Das Grau deines Bartes unterrichtet dich, (5) der Geist, der in deiner Brust ist.«

Auftrag des Gottes El (6) »Und

außerdem die Zeit seines Regens (7) soll Ba2al festsetzen, die Zeit der Ausschmückung mit Schnee (8) und des Gebens seiner Stimme aus den Wolken, (9) des Schleuderns der Blitze zur Erde. (10) Ein Haus aus Zedern werde für ihn vollendet, (11) ja, ein Haus von Ziegeln soll man für ihn errichten. (12) Man sage zu Aliyanu Ba2al: (13) ›Rufe eine Karawane in deine Häuser, 169) (14) Möbel in deine Paläste. 170) (15) Es sollen dir die Berge Fülle an Silber bringen, (16) die Hügel kostbares Gold, (17) sie sollen dir bringen Pracht der Edelsteine (18) und baue Häuser von Silber und Gold, (19) Häuser von reinem Lapislazuli.‹«

Abb. 3: Stele des Ba2al au foudre

Anat begibt sich zu Ba2al (20) Es

freute sich die Jungfrau Anat, sie stampfte auf (21) mit den Füßen und durchreiste die Erde. (22) Dann richtete sie das Gesicht (23) zu Ba2al auf den Höhen des Saphon ˙ (24) durch tausend Morgen, zehntausend Hektar. (25) Es lachte die Jungfrau Anat, sie erhob (26) ihre Stimme und rief: 168. Zu den Zeilen IV 61 – V 1 vgl. Tropper, ebd. 652-654. 169. Lies mit CAT bhtk. 170. Der auffällige Wechsel der Substantive »Haus« und »Palast«, die mal im Singular und mal im Plural verwendet werden, hängt entweder mit dem Blick auf die einzelnen Gebäude im Unterschied zur Gesamtanlage zusammen oder er soll allgemein die Pracht des Gebäudes betonen; so Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 568.

217

Herbert Niehr

»Sei benachrichtigt Ba2al (27) über die frohe Botschaft, die ich bringe. Es wird dir gegeben werden (28) ein Haus wie deinen Brüdern, und ein Hof (29) wie deinen Verwandten. Rufe eine Karawane (30) in deine Häuser, Möbel inmitten (31) deiner Paläste. Es sollen dir die Berge (32) Fülle an Silber bringen, die Hügel kostbares (33) Gold. Und laß bauen Häuser von Silber (34) und Gold, Häuser von reinem (35) Lapislazuli!«

Ba2al erteilt den Auftrag zum Palastbau Es freute sich Aliyanu (36) Ba2al. Er rief eine Karawane in seine Häuser, (37) Möbel inmitten seiner Paläste. (38) Es brachten ihm die Berge Fülle an Silber, (39) die Hügel kostbares 171) Gold, (40) sie brachten ihm die Pracht der Edelsteine. (41) Er sa[n]dte zu Kotharu-wa-Hasisu. ˘ (42) Und

kehre zurück zur Erzählung: »Wie gesandt wurden die jungen

(43) Män-

ner.« 172) (44) Nachdem

angekommen war Kotharu-wa-Hasisu, ˘ er ihm einen Ochsen vorsetzen, ein Masttier, (46) und zwar vor sein Antlitz. Es wurde ein Stuhl bereitet (47) und man setzte ihn zur Rechten des Aliyanu (48) Ba2al. Lange aßen und tranken [die Götter]. (49) [und] es antwortete Ali[yanu Ba2al]: (50) »[Siehe, br]ich auf, Ko[tharu-wa-Hasisu], ˘ (51) schnell [m]ögest du Häuser [b]a[uen], (52) schnell errichte Pa[läste], (53) schnell mögest du Häuser bau[en], (54) schnell mögest du Pa[läste] errichten (55) inmitten der Höhe des Saphon. ˙ das Haus, (56) Tausend Morgen umfasse (57) zehntausend Hektar der Palast.« 173) (58) Und es erwiderte Kotharu-wa-Hasisu: ˘ (59) »Höre, oh Aliyanu Ba2al, (45) ließ

171. Lies mit CAT mhmd. ˙ 172. Redaktioneller Hinweis zur Wiederholung einer Passage, die hier nicht zweimal abgeschrieben wird; vgl. Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 21 f. 173. Die Zeilen 51-57 sind nach KTU 1.2 III 10-11 ergänzt. Der Wechsel zwischen Plural und Singular hat zum einen die einzelnen Gebäude und zum andern die Gesamtanlage im Blick.

218

Texte aus Syrien (60) verstehe,

oh Wolkenfahrer: ich nicht setzen ein Fenster in die Häu[ser], (62) eine Öffnung inmitten der Paläste?« 174) (63) Und es antwortete Aliyanu Ba2al: (64) »Nicht sollst du setzen ein Fenster in die [Häuser, (65) eine Öffn]ung inmitten der Paläst[e]!« (61) Soll

Abb. 4: Blick in das Innere des Ba2al-Tempels

VI.

(1) Da

antwortete Ko[tharu-wa-Ha]sisu: ˘ auf [mein Wort].« wirst zurückkommen, Ba2al, (3) Es wiederholte das Wort K[otharu]-wa-Hasisu: ˘ (4) »Höre bitte, oh Al[i]yanu Ba2al: (5) Soll ich nicht setzen eine Öf[fnung] in die Häuser, (6) ein Fenster inmitten der [Pa]läste?« (7) Da antwortete Ali[yanu] Ba2al: (8) »Nicht sollst du setzen eine Öf[fnung] in die Häuser, (9) ein Fenster in[mitten der Pa]läste! (10) Nicht soll flie[hen Pidra]yu, die Tochter des Lichtes, (11) [ Tall]ayu, die Tochter des Sprühregens. (2) »Du

174. Zum Thema des Fensters im Palast liefert die in der Maison d’Ourtenu gefundene Tafel RS 94.2953 eine Vorlage, die D. Arnaud, Corpus des textes de bibliothèque de Ras Shamra-Ougarit en sumérien, babylonien et assyrien (AulOrS 23), Barcelona 2007, 201 f. publiziert hat. Vgl. dazu noch M. Dietrich, Der Einbau einer Öffnung in den Palast Baals. Bemerkungen zu RS 94.2953 und KTU 1.4 VII 14-28, UF 39 (2007) 117-133 und Pitard, Temple Building, 101105 sowie Callot, Sanctuaires, 46 f. zu den möglichen Konsequenzen für die archäologische Rekonstruktion des Ba2al-Tempels in Ugarit.

219

Herbert Niehr (12) [

Der Lieb]ling Els, Yammu ] verspottete mich und beschimpfte (mich)«. (14) [Da antwortete Kotharu]-(15) [wa-Hasisu]: ˘ Wort.« »Du wirst zurückkommen, Ba2al auf mein (13) [

Der Bau des Palastes für Ba2al (16) Die

Götter 175) bauten seine Häuser, ] sie errichteten seinen Palast (18) Sie g[in]gen zum Libanon und seinen Bäumen, (19) zum [S]iryon, zur Kostbarkeit seiner Zedern. (20) Siehe, zum [Li]banon und seinen Bäumen, (21) zum Siryon und der Kostbarkeit seiner Zedern. (22) Es wurde Feuer gelegt in die Häuser, (23) Fl[a]mmen in die Paläste. (24) Siehe, einen Tag und einen zweiten fraß (25) das Feuer in den Häusern, die Flammen (26) in den Palästen. Einen dritten, einen vierten 176) Tag (27) fraß das [F]euer in den Häusern, (28) die Flammen in den Palästen. (29) Einen fünften, einen sechsten Tag fraß (30) das Feuer [in] den Häusern, die Flammen (31) in[mitten der Pa]läste. Siehe, (32) am siebten T[ag], wurde entfernt das Feuer (33) aus den Häusern, die Fla[mm]en aus den Palästen. (34) Es war das Silber zur Platten geworden, das Gold (35) hatte sich gewandelt zu Ziegeln. Es freute sich (36) Aliyanu Ba2al: »Meine [H]äuser habe ich erbauen lassen (37) aus Silber, meinen Palast aus (38) Gold.« Die Ausstattungen [seiner] Häuser ließ [Ba]2al (39) bereiten, Haddu ließ bereiten [die Aussta]ttungen (40) seines Palastes. (17) [

Die Einweihung des Palastes Er ließ Ochsen schlachten, [auch] 177) (41) Kleinvieh, er ließ Stiere niederschlagen [und] Mast(42) widder, Kälber vo[n] (43) einem Jahr, ausgesuchte Böcklein und Z[i]cklein. (44) Er rief seine Brüder in seine Häuser, 175. An dieser Stelle wird wie in KTU 1.17 V 9-33 Kotharu-wa-Hasisu als zwei Gottheiten gesehen. ˘ 176. Lies mit CAT rb2. 177. Die Ergänzungen der Zeilen 40-43 folgen KTU 1.22 I 12-14.

220

Texte aus Syrien

seine Verwandten (45) inmitten seines Palastes. Er rief die (46) siebzig Söhne der Ascherah. (47) Er versah die Götter mit Widderjungen, (48) er versah die Göttinnen mit Lämmern. (49) Er versah die Götter mit Ochsen, (50) er versah die Göttinnen mit Kühen. (51) Er versah die Götter mit Thronen, (52) er versah die Göttinnen mit Sitzen. (53) Er versah die Götter mit Weinkrügen, (54) er versah die Göttinnen mit Gefäßen. 178) (55) Lange aßen, tranken die Götter, (56) und sie erhielten Tiere, die die Zitzen saugen, (57) mit einem gezückten Messer Stücke [vom Mast]tier. (58) Sie tranken aus Krüg[en den W]ein, (59) [aus] dem Becher von Gold Bl[ut der Rebstöcke]. Die Zeilen 60 bis 64 sind unleserlich. Vom Ende dieser Kolumne fehlen dann noch ein oder zwei Zeilen.

Ba2al kommt auf das Angebot des Kotharu zurück VII. (1) [ ] Lapislazuli. (2) [ ] Aliyanu Ba2al. (3) [ ] den Geliebten Els, (4) Yammu, [ ] auf seinen Kopf. (5) Der Gott [Haddu] entfernte sich vom Berg, (6) als [aßen] die Götter auf dem Saphon. (7) Er zog 179) von [Stadt] zu Stadt, ˙ (8) wandte sich von O[rt zu O]rt. (9) Sechsundsechzig Städte ergriff er, (10) siebenundsiebzig Orte. (11) Achtzig sch[lug] Ba2al, (12) neunzig vertri[eb] Ba2al. (13) In sein Haus [tr]at Ba2al, mitten(14) in sein Haus. Und es sprach Aliyanu (15) Ba2al: »Ich will einsetzen, Kotharu, heu(16) te, (ein Fenster) Kotharu, nunmehr (17) werde geöffnet ein Fenster in den Häusern, (18) eine Öffnung inmitten der Paläst(19) e. Ja, es werde [ge]öffnet ein Spalt der Wolken 180) (20) nach dem Wort des Kotharu-wa-Hasisu!« ˘ 178. Zu den Schwierigkeiten der Zeilen 47-54 vgl. Smith / Pitard, Ugaritic Baal Cycle, 594 f.630636. 179. Lies mit CAT 2br. 180. Zu den epigraphischen und grammatischen Schwierigkeiten von Zeile 19 vgl. J. Tropper, Zur Rekonstruktion von KTU 1.4 VII 19, UF 34 (2002) 799-803.

221

Herbert Niehr (21) Es

lachte Kotharu-wa-Hasisu, erhob seine Stimme˘ und rief: (23) »Habe ich dir nicht gesagt, oh Ali(24) yanu Ba2al, du wirst zurückkommen, Ba2al, (25) auf mein Wort: ›Es werde geöffnet ein Fen(26) ster in den Häusern, eine Öffnung (27) inmitten der Paläste?‹« Es öffnete (28) Ba2al einen Spalt der Wolken, (22) er

Abb. 5: Rekonstruktion des Ba2al-Tempels (29) seine

heilige Stimme ließ Ba2al erschallen, wiederholte Ba2al die Äußeru[ng] seiner Lippen, (31) seine hei[lige] Stimme erschütterte die Erde, (32) die Äußerung seiner [Lippen] die Berge: »Ich will eilen zum (33) unverständlich[ ], (34) die Uralten [ ]. (30) es

222

Texte aus Syrien

Die Höhen der Er[de] (35) schwankten. Die Feinde Ba2als flüchteten (36) (in) die Wälder, die Hasser Haddus (in) die Abhänge (37) des Berges.

Eine Einladung für Motu Und es sprach Aliyanu (38) Ba2al: »Feinde des Haddu, warum fürchtet ihr, (39) warum fürchtet ihr die Geschosse des Mächtigen?« (40) Es blickte Ba2al nach vorne, als in seiner Hand (41) die Zeder aus seiner Rechten schnellte. (42) Dann kehrte Ba2al zu seinen Häusern zurück: (43) »Wird ein König oder ein Nicht-König (44) sich (im) Land meiner Herrschaft niederlassen? (45) Ja, einen Boten werde ich senden zum Sohn (46) des El, Motu, einen Gesandten zum Geliebten (47) des El, des Helden. 181) Einladen soll Motu (48) in seinen Rachen, mich verbergen der Geliebte (49) in seiner Speiseröhre. Ich allein bin es, der herr(50) scht über die Götter, der 182) fett macht (51) Götter und Menschen, der sättig(52) [t] die Menge der Erde!« Mit lauter Stimme zu seinen Die(53) nern rief Ba2al: »Schaut (54) [Gapnu]-wa-Ugaru: In Finsternis (55) [ist verdunkelt] das Meer, in Dunkelheit die [?] Gi(56) pfel. Die Flügel des Schicksals … 183) Von hier bis zur Zeile 60 ist der Text zu fragmentarisch für eine Übersetzung. Es fehlen sodann ca. 7 Zeilen. VIII. (1) Seht, richtet fürwahr das Angesicht (2) zum Berg Targuzazu, (3) zum Berg Tarrumagi, 184) ¯ (4) zu den Ruinenhügeln am Rand der Erde. 185) 181. Zu Motu, dem Gott des Todes und der Unterwelt, vgl. außerhalb des Ba2al-Zyklus noch KTU 1.16 VI 6; 1.23,8; 1.82,5; 2.10.13. Bezeichnenderweise tritt Motu in den Ritualtexten aus Ugarit nicht auf; ihm werden keine Opfer dargebracht. Ebensowenig begegnet er als theophores Element von Personennamen. Vgl. zu Motu bes. J. F. Healey, Art. Mot, DDD 21999, 598-603 und Gulde, Tod, 79-117. 182. Lies mit CAT d. 183. Vgl. zu den Zeilen 54-57 KTU 1.8 II 5-11. 184. Zu diesen mythischen Bergen vgl. die Angaben bei Healey, Land, 97-99; del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 474 s.v, 506 s. v.; Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 290.301. Dabei steht der erstgennante Berg, Targuzazu, wohl mit der Region Tarhudasˇsˇa im Zusammenhang, so daß er im Karadag˘-Massiv zu verorten ist. Die Lokalisierung des zweiten Berges ist ungewiß. 185. Zur Vorstellung von Ruinenhügeln, d. h. von ehemals bewohnten Städten, am Eingang der Unterwelt vgl. M. J. Suriano, Ruin Hills at the Threshold of the Netherworld. The Tell in the

223

Herbert Niehr (5) Hebt

den Berg auf eure Hände, Gebirge auf die Handflächen, (7) und steigt hinab in das Haus der Flüchtlingsschaft 186) (8) der Unterwelt, seid gezählt zu denen, die (9) in die Unterwelt hinabsteigen. (10) Dann richtet fürwahr (11) das Angesicht in seine Stadt (12) Hamaraya. 187) Eine Grube ist (13) sein Thronsitz, eine Unratgrube ist das Land (14) seines Besitzes. Und hütet euch, (15) Götterdiener, (16) nicht nähert euch dem Sohn Els, (17) Motu. Nicht soll er euch bereiten (18) wie ein Böcklein in seinem Maul, (19) wie ein Zicklein im Rachen (20) seiner Röhre werdet ihr vernichtet. ˇ apsˇu, (22) ist staubfarbig, (21) Die Leuchte der Götter, S (23) der Himmel durch die Hand des Lieb(24) lings Els, Motu. 188) beschmutzt ist (25) In tausend Morgen, zehntausend Hek(26) tar zu Füßen des Motu (27) erniedrigt euch und fallt nieder, (28) werft euch nieder und e(29) hrt ihn. Und sprecht (30) zum Sohn des El, Motu, (31) wiederholt dem Geliebten (32) Els, dem Helden: ›Botschaft (33) des Aliyanu Ba2al, (34) [Wor]t des Mächtigsten der He(35) [lden]: Meine Häuser habe ich erbaut (36) [aus Silber], [ich habe errichtet (37) aus Gold] meine [Palä]ste.‹« (6) das

Von den Zeilen 38-47 sind nur noch wenige Wörter erhalten. Am Ende dieser Kolumne fehlen ca. 16 Zeilen. [Schreiber ist Ilimilku, der Be]schwörer des Niqmaddu, des Königs von Ugarit.

1.5 Fünfte Tafel (KTU 1.5)

Rede des Gottes Motu an den Gott Ba2al VS

I.

(1) »Fürwahr,

du hast erschlagen Lotan, die flüchtige Schlange, hast vernichtet die sich windende Schlange, (3) die Mächtige, die mit den sieben Häuptern, (4) du warst nachlässig (2) du

Conceptual Landscape of the Ba2al Cycle and Ancient Near Eastern Mythology, WO 42 (2012) 210-230. 186. Oder auch euphemistisch »Haus der Freiheit«; so Healey, Land, 98. 187. Zu diesem mythischen Wohnort des Gottes Motu vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 167 s. v. hmry und Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 103. In etymologischer Hinsicht steckt das Wort für »Schlamm« in diesem Ortsnamen; vgl. dazu die Forschungsübersicht bei Gulde, Tod, 85 f. Anm. 57. 188. S. o. Anm. 146 .

224

Texte aus Syrien

und schlaff ist der Himmel wie der Gürtel 189) (5) deines Gewandes. Ich werde (dich) verzehren spannenweise, (6) die Innereien in zwei Ellen. Fürwahr, wirst du hinabsteigen (7) in den Rachen des Sohnes des El, Motu, in den Schl(8) und des Geliebten Els, des Helden.«

Die Rede des Motu wird Ba2al übermittelt (9) Es

brachen auf und wandten sich nicht zurück die beiden Götter. Sodann (10) richteten sie ihr Angesicht zu Ba2al (11) auf den Höhen des Saphon. ˙ Und es sagten (12) Gapnu-wa-Ugaru: »Botschaft des Sohnes des El, (13) Motu, Wort des Geliebten, des Sohnes des El, (14) des Helden: ›Ja, mein Schlund ist der Schlund der Löwen (15) der Steppe, oder der Hunger des Walfischs (16) im Meer, oder des Teiches, den aufsucht (17) der Stier, die Quelle (nach der) die Herde der Hirschkühe (strebt). (18) Siehe, wahrlich, wahrlich (mein) Schlund verschlingt (19) Haufen, ja, wahrlich mit meinen beiden (20) Händen werde ich essen. Siehe, sieben sind (21) meine Teile in der Schüssel, siehe den Becher mischt (22) Naharu. Denn nicht hat mich eingeladen Ba2al mit (23) meinen Brüdern, gerufen mich Haddu mit meiner Sippe. (24) Aber er hat mit meinen Brüdern Brot gegessen, (25) und getrunken mit meinen Brüdern Wein, (26) und ich war vergessen, Ba2al. Ich werde dich vollständig zerstören. (27) [ ]. Du hast erschlagen (28) [Lotan, die] flüchtige [Schlange], du hast vernichtet (29) [die sich windende Schlange], die Mächtige, (30) [die mit den sieben Häuptern], du warst nachlässig, und schlaff ist (31) [der Himmel wie der Gürtel] deines [Gewandes]!‹« 190) Vom Ende dieser Kolumne fehlen ca. 30 Zeilen.

Rede über Motu II.

(1) [

]

(2) »[Eine

Lippe zur E]rde, eine Lippe zum Himmel, setzt] die Zunge an die Sterne. Eintreten wird (4) Ba2al in sein Inneres,

(3) [er

189. Lies mit CAT: krhkis. 190. Zu den Zeilen 27-31 s. o. die Zeilen 1-5.

225

Herbert Niehr

in seinen Mund wird er herabsteigen, (5) wenn der Olivenbaum vertrocknet, der Ertrag der Erde und die Frucht (6) der Bäume.«

Reaktion und Botschaft des Ba2al Es fürchtete ihn Aliyanu Ba2al, (7) es hatte Angst vor ihm der Wolkenfahrer. (8) »Brich auf, sprich zum Sohn des El, Motu, (9) wiederhole dem Geliebten Els, dem Helden: (10) ›Spruch des Aliyanu Ba2al, Wort des Mächtigsten (11) der Helden: Sei gegrüßt, 191) oh Sohn des El, Motu. (12) Dein Diener bin ich und der deiner Unterwelt.‹« 192) (13) Es machten sich auf und hielten nicht an die beiden Götter. Dann (14) wandten sie fürwahr das Gesich[t] zum Sohn des El, Motu, (15) inmitten seiner Stadt, Hamarayu. Eine Grube war [sein] Thron(16) sitz, eine Abfallgrube das Land seines Erbteils. Sie erhoben (17) ihre Stimme und riefen: »Botschaft des Aliyanu (18) (Sohn) 193) Ba2al, Wort des Mächtigsten der Helden: (19) ›Sei gegrüßt, Sohn des El, Motu. Dein Diener bin ich (20) und der deiner Unterwelt.‹« Es freute sich der Sohn des El, Motu, (21) [er erhob] seine Stimme und rief: »Wie kann bewirten (22) [Ba2al] [ ], wie kann Haddu … ?« Die Zeilen 23-27 sind nur sehr fragmentarisch erhalten. Sodan fehlen ca. 20-25 Zeilen vom Ende dieser Kolumne. Vom Beginn dieser Kolumne fehlen ca. 10 Zeilen

Rede der Sonnengöttin III.

(1) »[

]

(2) [W]eit

ist der Wohnsitz [ ], ist der Wohnsitz der Freud[e], (4) das Land der Freude [ ]. (5) Bereite vor, vollende [ ], (3) groß

191. Vgl. dazu Tropper, Wörterbuch, 23. 192. Vgl. zu dieser Übersetzung H. Niehr, Zur Semantik von nordwestsemitisch 2lm als ›Unterwelt‹ und ›Grab‹, in: B. Pongratz-Leisten / H. Kühne / P. Xella (Hg.), Ana sˇadî Labna¯ni lu¯ allik. Beiträge zu altorientalischen und mittelmeerischen Kulturen. Festschrift für Wolfgang Röllig (AOAT 247), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1997, 295-305, hier 295 f. 193. Schreibfehler.

226

Texte aus Syrien (6) weiß

seien [deine] K[leider], wie [der Mond], (8) rein wie die Stern[e]. (9) Dann will ich Motu rufen [ ], (10) den Geliebten aus der Mit[te ]. (11) Sicher werde ich machen [ ], (12) ich werde dich verwandeln in (13) unverständlich und gehen [ ] (14) und gehe, oh Gott [ ], (15) Lieblichster der Götter [ ], (16) große[n] Wunsch [ ], (17) großen Wunsch [ ]. (18) Dann werde ich Motu ruf[en], (19) den Gelieb[ten] aus der Mit[te ]. (20) Und geht, Götter [ ], (21) und sprecht zum Göttli[chen ]. (22) Mit viel Kleinvieh [ ], (23) viel Kleinvieh und [ ], (24) viel fleischigen Tieren [ ]. (25) Dann werde ich Motu ru[fen], (26) den Geliebten aus der Mitt[e ] (27) unverständlich und gehen.« (7) weiß

Von den Zeilen 28-30 sind nur wenige Zeichen erhalten. Es fehlen sodann ca. 20 Zeilen vom Ende dieser Kolumne. Vom Beginn der Kolumne IV fehlen ca. 20 Zeilen. Die ersten vier Zeilen von Kolumne IV sind zudem nicht verständlich.

Rede des Gottes Motu und Mahl der Götter RS

IV.

(5) Er

erhob seine Stimme [und rief]: ist also Ba2a[l ], (7) wo ist Haddu, d[er ]. (8) Es erscheine Ba2[al ] (9) in den acht [ ]. (10) Es nähere sich [ ]. (11) Das Brot [meines] Mahles.« (12) Wieder speisten, [tranken die Götter]. (13) Sie erhielten Milch[lämmer], (14) mit [gezücktem] Messer [Stücke von Mastvieh]. (15) Sie tranken Kr[üge von Wein], (16) aus golden[em] Becher, [Blut der Weinstöcke], (17) die Becher von Silber [füllten sie], (6) »Wo

227

Herbert Niehr (18) Krüge

[ ]. traten andauernd [ ], (20) Sie brachten Most[ ] (21) in das Haus des Gottes. (19) Es

Die nächsten fünf Zeilen dieser Kolumne sind nur noch sehr fragmentarisch erhalten, sodann fehlen ca. 11 Zeilen.

Rede des Motu an den Gott Ba2al V. Von Zeile 1 bis 5a ist der Text nicht lesbar. (5) »[

] Ich will ihn legen in die Grube (6) der Götter der Unterwelt. 194) Und du, nimm (7) deine Wolken, deine Winde, deinen Donner, (8) deinen Regen! Mit dir sei die Siebenzahl (9) deiner Jungen, die Achtzahl deiner Diener! (10) Mit dir sei Pidrayu, die Tochter des Lichtes, (11) mit dir sei Tallayu, die Tochter des Sprühregens. Dann (12) wende dich in die Mitte des Berges (13) meiner Röhre! Hebe den Berg auf beide Hände, (14) den Wald auf die Fläche der Hände und steige hinab (15) in das Haus der Flüchtlingsschaft der Unterwelt, lasse dich zählen zu denen, (16) die in die Unterwelt hinabsteigen. Und es werden die Götter wissen, (17) daß du tot bist.« Es gehorchte Aliyanu Ba2al. (18) Er liebte eine Färse im Land der Seuche, 195) eine junge Kuh (19) auf dem Feld des Todesflusses. Er lag (20) mit ihr sieben mal siebzig Mal. (21) Sie ließ ihn besteigen acht mal achtzig Mal. (22) Sie [ ] und sie gebar einen Knaben. (23) Al[iyanu Ba2]al bekleidete ihn (24) mit dem Ge[wand] seiner [ ], mit dem Geschenk (25) unverständlich. Vom Ende dieser Kolumne fehlen ca. 11 Zeilen und vom Anfang der letzten Kolumne ca. 30 Zeilen.

Rede der Boten an El VI.

(1) [Sie

zeigten sich auf dem Vorplatz des El] und betraten Gemach des Königs, des Vaters des] Sˇanuma. (3) [Sie erhoben ihre Stimme und rie]fen: »Wir umrundeten (4) [ ] [der Er]d[e ] (5) bis zur Ecke der Wiesen. (2) [das

194. S. u. zu KTU 1.6 I 17-18. 195. CAT z.St. schlägt harsi dbr vor; vgl. auch die Zeile 6 sowie VI 29 und 1.6 II 19-20. ˙

228

Texte aus Syrien

Wir erreichten (6) die Lieblichkeit, das Land der Seuche, (7) die Anmut, die Felder des Todes. (8) Wir erreichten Ba2al: Er war gefallen zur E(9) rde. Tot ist Aliyanu Ba2al, (10) zugrunde gegangen ist der Fürst, der Herr des Landes!«

Die Trauer des Gottes El (11) Sodann

der scharfsinnige El [ ], (12) der Kluge, stieg von seinem Thron, setzte sich (13) auf den Schemel und vom Schemel setzte er sich (14) auf die Erde. Er schüttete Asche (15) der Trauer auf sein Haupt, Staub der Erniedrigung (16) auf seinen Schädel. Als Kleid bedeckte er sich (17) mit einem Schurz. Die Haut mit einem Stein (18) kratzte er auf, die beiden Locken mit einem Schermesser. (19) Er verletzte Wangen und Kinn. (20) Er zerfurchte das Rohr seines Armes, er zerfurchte (21) wie einen Garten die Brust, wie ein Tal zerfurchte er (22) den Rücken. Er erhob seine Stimme und rief: (23) »Ba2al ist tot! Was wird aus der Sippe des Sohnes (24) des Dagan, was wird aus der Menge der Anhänger (25) des Ba2al. Ich will hinabsteigen in die Unterwelt!«

Die Trauer der Anat Da (26) wandelte Anat und durchstreifte das ganze Bergland (27) bis in die Mitte der Unterwelt, alle Hügel (28) bis in das Innere der Felder. Sie gelangte zur Lieblich[keit], (29) [zum Land] der Seuche, zur Anmut, dem Berg (30) des [Todes]flusses. Sie kam zu Ba2al. Gefal[len] war er (31) [zur E]rde. Als Kleid war sie bedeckt mit einem Sch[urz]. 196)

1.6 Sechste Tafel (KTU 1.6) VS

I.

(1) Zu

Ba2al. 197) Haut mit einem Stei[n] zerschnitt sie,

(2) Die

196. Hier ist das Trauergewand der Anat gemeint. 197. Bibliothekstechnischer Hinweis wie in KTU 1.14 I 1; 1.16 I 1; 1.19 I 1.

229

Herbert Niehr

die Locken [mit einem Messer]. (3) Wangen und Kinn z[e]rpflüg[te sie], (4) ihre Oberarme zerpflügte sie, wie einen Garten (5) die Brust, wie ein Tal zerfurchte sie den Rücken. (6) »Ba2al ist tot! Was wird aus der Sippe des Sohnes des Dagan, (7) was aus der Menge der Nachfolger des Ba2al? Laßt uns hinabsteigen (8) in die Unterwelt!«

Die Beisetzung des Ba2al Mit ihr stieg hinab die (9) Leuchte der Götter, Sˇapsˇu. Bis sie satt war vom Weinen, (10) trank sie wie Wein die Tränen. ˇ apsˇu: (11) Laut rief sie zur Leuchte der Götter, S (12) »Lade mir, bitte, auf Aliyanu Ba2al!« ˇ apsˇu. (13) Es hörte (auf sie) die Leuchte der Götter, S (14) Sie hob Aliyanu Ba2al hoch, auf die Schulter (15) der Anat legte sie ihn. Sie brachte ihn hoch (16) auf den Gipfel des Saphon. ˙ Sie beweinte ihn (17) und begrub ihn, (18) der Götter der Unterwelt. 198) sie legte ihn in die Grube (19) Sie ließ schlachten siebzig Wildstiere als Begräbnisopfer des Aliyanu (20) Ba2al, sie [ließ] schlachten siebzig Ochsen (21) als Begräbnisopfer des Aliyanu Ba2al, (22) sie ließ schlachten siebzig Schafe (23) [als Begräb]nisopfer des Aliyanu Ba2al, (24) [sie ließ schl]achten siebzig Widder (25) [als Begräbnisopfer] des Aliyanu Ba2al, (26) [sie ließ schlachten sieb]zig Steinböcke (27) [als Begräbnisopfer des Al]iyanu Ba2al, (28) [sie ließ schlachten siebzig Reh]böcke (29) [als Begräbnisop]fer des Aliyanu Ba2al. (30) [ ] unverständlich A[nat] (31) [ ] unverständlich für die Götter.

Suche nach einem Nachfolger des Ba2al (32) [Dan]n richtete sie den Sinn zu (33) [E]l an der Quelle der beiden Ströme, inmitten (34) der Tiefe der beiden Ozeane. Sie zeigte sich auf dem Vorplatz (35) des El und sie betrat das Gemach (36) des Königs, des Vaters des Sˇanuma. Zu Füßen (37) Els verneigte sie sich und fiel nieder,

198. In diesem Satz werden zwei Sachverhalte des königlichen Totenkultes komprimiert: Die Bestattung des Leichnams im Grab (»Grube«) und das Eingehen des Totengeistes zu den rapi3u¯ma. Letzteres ist das Anliegen des Rituals KTU 1.161 (vgl. dazu H. Niehr, TUAT.NF 4, 2008, 248-253 und insgesamt die Angaben zu KTU 1.16 I 1-3 in Anm. 320). Die Beisetzungsfeierlichkeiten für den Gott Ba2al sind wie die königlichen Beisetzungsfeierlichkeiten konzipiert.

230

Texte aus Syrien (38) sie

huldigte und ehrte ihn. erhob ihre Stimme und rief: »Es mögen sich jetzt freuen (40) Ascherah und ihre Söhne, die Göttin und die Grup(41) pe ihrer Verwandten, denn tot ist Aliyanu (42) Ba2al, denn zugrunde ging der Fürst, der Herr (43) der Erde!« Laut rief El (44) zur Fürstin Ascherah des Meeres: »Höre, (45) oh Fürstin, Asche[rah] des Meeres, gib (46) einen von deinen Söhnen; ich will ihn zum König machen!« (47) Da erwiderte die Fürstin Ascherah des Meeres: (48) »Sollen wir nicht zum König machen Yada2 Yilhanu?« 199) ˙ (49) Da erwiderte der scharfsinnige El, der Klu(50) ge: »Wer schwach an Stärke ist, wird er nicht unverständlich (51) gegen Ba2 al; wird er nicht die Knie beugen (52) vor dem Sohn des Dagan, unverständlich?« (53) Da erwiderte die Herrin Ascherah des Meeres: (54) »Sollen wir nicht den gewaltigen Astar zum König machen?« 200) (55) »König sei der gewaltige Astar!« (56) Da bestieg der gewaltige Astar (57) die Höhe des Saphon. (58) Er setzte sich auf den Thron des Aliyanu (59) Ba2al.˙ Seine Füße erreichten nicht (60) den Schemel, sein Haupt erreichte nicht (61) sein oberes Ende. Da sagte der gewaltige Astar: (62) »Ich will nicht König sein auf den Höhen des Saphon!« ˙ (63) Es stieg hinab der gewaltige Astar, er stieg hinab (64) vom Thron des Aliyanu Ba2al (65) und wurde König über die ganze Erde des El. (66) [ ] sie schöpften mit den Amphoren, (67) [ ] sie schöpften mit Krügen. (39) Sie

II. Vom Beginn dieser Kolumne fehlen ca. 30 Zeilen; zudem sind die ersten beiden fragmentarisch erhaltenen Zeilen nicht mehr lesbar.

Anat bei Motu (3) Der

Krug z[erbrach ], Krug fiel [ ]. [Ein Tag, zwei Tage] 201) (5) vergingen, und das Mädchen Anat (6) suchte ihn. (4) der

199. Eine sonst unbekannte Figur aus dem Pantheon Ugarits. 200. Zum Gott Astar vgl. bes. Smith, Ugaritic Baal Cycle, 240-250 und P. Xella, Les pouvoirs du dieu 2Attar. Morphologie d’un dieu du panthéon ugaritique, in: N. Wyatt / W. G. E. Watson / ¯ (Hg.), Ugarit, religion and culture. Proceedings of the International Colloquium J. B. Lloyd on Ugarit, religion and culture Edinburgh, July 1994. Essays in honour of Professor John C. L. Gibson (UBL 12), Münster 1996, 381-404. 201. Ergänzt nach Zeile 26-28.

231

Herbert Niehr

Wie das Herz der Ku[h] (7) nach [ ] ihrem Kalb, wie das Herz des Mutterscha[fs] (8) nach seinem Lamm, so war das Herz der An[at] (9) hinter Ba2al her. Sie ergriff Motu (10) am Saum des Gewandes, sie faßte [ihn] (11) am Ende des Mantels. Sie erhob ihre Stimme und r[ie](12) f: »Du, oh Motu, gib meinen Bruder her!« (13) Da erwiderte der Sohn des El, Motu: »Was (14) wünschest du von mir, oh Jungfrau Anat? (15) Ich wandelte umher und durchstreifte jeden (16) Berg bis in das Innere der Erde, jeden Hügel (17) bis inmitten der Gefilde. Mein Schlund entbehrte (18) Menschen, mein Schlund die Menge (19) der Erde. Ich erreichte die Lieblichkeit, das Land (20) der Pest, die Anmut, die Gefilde des Todesflusses. (21) Ich verfolgte Aliyanu Ba2al, (22) bereitete ihn zu (wie) ein Lamm in meinem Mund, (23) wie ein Milchlamm in der Öffnung meiner Speiseröhre wurde er vernichtet.« ˇ apsˇu, war staubfarben, (24) Die Leuchte der Götter, S (25) beschmutzt war der Himmel durch den Sohn des El, Motu. 202) (26) Ein Tag, zwei Tage vergingen, von Tagen (27) zu Monaten (dauerte es). Das Mädchen Anat ging ihn zu suchen. (28) Wie das Herz der Kuh nach ihrem Kalb, wie das Herz (29) des Mutterschafs nach seinem Lamm, so (war) das Herz (30) der Anat hinter Ba2al. Sie ergriff (31) den Sohn des El, Motu. Mit dem Schwert (32) spaltete sie ihn, mit dem Sieb worfelte sie (33) ihn, mit dem Feuer verbrannte sie ihn, (34) mit Mühlsteinen zermalmte sie ihn, auf das Feld (35) säte sie ihn. Sein Fleisch fraßen fürwahr (36) die Vögel, seine Glieder verzehrten die Vögel. Fleisch schrie zu Fleisch. Vom Anfang dieser Kolumne fehlen ca. 40 Zeilen

Rede der Anat III.

(1) »[ (2) oder

], ob zugrunde ging der P[rinz, der Herr der Erde], ob lebt A[liyanu Ba2al]?

202. S. o. die Erklärung zu 1.3 V 17-18.

232

Texte aus Syrien (3) Und

wenn (aber) existiert der Prinz, der He[rr der Erde]: einem Traum des scharfsinnigen El, des Klugen, (5) in einem Gesicht des Schöpfers der Geschöpfe, (6) soll der Himmel Öl regnen, (7) die Ströme sollen fließen von Honig. (8) Und ich werde wissen, daß lebt Aliyanu Ba2al, (9) daß existiert der Prinz, der Herr des Landes.« (4) In

Traum des Gottes El (10) In

einem Traum des scharfsinnigen El, des Klugen, einer Vision des Schöpfers der Geschöpfe, (12) regnete der Himmel Öl, (13) führten die Ströme Honig. (14) Es freute sich der scharfsinnige El, der Kluge, (15) seinen Fuß auf den Schemel setzte er, (16) er löste seine Braue und lachte. (17) Er erhob seine Stimme und rief: (18) »Ich will mich hinsetzen und ausruhen, (19) und es soll ruhen der Geist in meiner Brust, (20) denn es lebt Aliyanu Ba2al, (11) in

Untere Ecke (21) denn

es existiert der Prinz, der Herr der Erde.«

Rede des Gottes El (22) Laut

rief El zur Jungfrau (23) Anat: »Höre, oh Jungfrau Anat, ˇ apsˇu: (24) Sprich zur Leuchte der Gött[er], S RS

IV.

sind die Furchen der Äcker, oh Sˇapsˇu, sind die Furchen der göttlichen Felder. 203) Möge begießen lassen (3) Ba2al die Furchen des Ackers! (4) Wo ist Aliyanu Ba2al? (5) Wo ist der Prinz, der Herr des Landes?‹« (1) ›Ausgetrocknet (2) ausgetrocknet

Anat bei Sˇapsˇu (6) Es

ging fort die Jungfrau Anat. richtete sie ihren Sinn ˇ apsˇu. (8) auf die Leuchte der Götter, S (9) Sie erhob ihre Stimme und rief: (7) Dann

203. Der Tod des Gottes Ba2al zieht Schäden für die Vegetation nach sich. Vgl. auch die Auswirkungen der Ermordung des Kronprinzen Aqhatu auf die Vegetation in KTU 1.19 I 28-48 u. ö.; s. u. Nr. 3.

233

Herbert Niehr (10) »Botschaft

des Stieres El, deines Vaters, des Scharfsinnigen, deines Erzeugers. ˇ apsˇu, (12) Ausgetrocknet sind die Furchen der Felder, oh S (13) ausgetrocknet sind die Furchen der göttlichen Felder. Möge begießen lassen (14) Ba2al die Furchen seines Ackers! (15) Wo ist Aliyanu Ba2al? (16) Wo ist der Fürst, der Herr der Erde?« ˇ apsˇu: (17) Da erwiderte die Leuchte der Götter, S (18) »Gieße funkelnden Wein 204) in den Becher, br(19) inge das Gefolge deiner Familie, (20) und ich werde nach Aliyanu Ba2al suchen.« 205) (21) Da erwiderte die Jungfrau Anat: ˇ apsˇu, (22) »Wohin auch immer, oh S (23) wohin auch immer, El wird dich schützen, (24) es mögen dich beschützen (in) Frieden [die Götter]. (25) Es wird gegossen werden [ ].« (11) Wort

Nach einigen fragmentarischen Zeilen fehlen vom Ende dieser Kolumne ca. 35 weitere Zeilen.

Rede eines unbekannten Sprechers V.

(1) »Es

wird ergreifen Ba2al die Söhne der Ascherah, Großen wird er erschlagen mit der Axt, (3) die Angreifer wird er erschlagen mit der Doppelaxt, (4) die Kleinen schlägt er zu Boden. (5) Dann wird sich setzen Ba2al auf den Thron seines Königtums, (6) auf den Si[tz], den Thron seiner Herrschaft.« (7) Von [T]agen zu Monaten, von Monaten (8) zu Jahren. (2) die

Reaktion des Motu Dann im siebten (9) Jahr, da wurde wütend der Sohn des El, Motu, (10) über Aliyanu Ba2al. Er erhob (11) seine Stimme und rief: »Deinetwegen, oh Ba2al, (12) habe ich gesehen die Erniedrigung, deinetwegen habe ich gesehen (13) das Worfeln mit dem Schwert, deinetwegen (14) habe ich gesehen das Verbrennen im Feuer, (15) deinetwegen [habe ich gesehen das Mah]len mit den Mühlstei(16) nen, d[einetwegen] habe ich gesehen [das Sieb]en mit dem Sieb, (17) deinetwegen habe ich gesehen das Fallen [[auf die F]] (18) auf die Felder, deinetwegen habe ich gesehen (19) das Sinken im Meer. 204. Lies: ˇsd yn 2n (»Gieße Wein des Auges …«). 205. Vgl. auch die historiola KTU 1.100, derzufolge die Sonnengöttin, die auf ihrem Weg über den Horizont überall hingelangt, ein Gegengift gegen den Schlangenbiß suchen soll.

234

Texte aus Syrien

Gib einen (20) von deinen Brüdern, ich will (ihn) fressen und es wird fortgehen (21) (mein) Zorn, an dem ich leide! Wenn du aber (22) einen von deinen Brüdern nicht gibst, (23) dann [ ], (24) [ ] ich werde verzehren [die Menschen], (25) meine Speise wird sein die Menge [der Erde].« Die Zeilen 26 bis 29 sind weitestgehend zerstört. Vom Ende dieser Kolumne fehlen ca. 25 Zeilen. VI.

(1) [

er w]arf ihn, v]ertrieb ihn (3) [wie einen Vo]gel, [ (4) er gab] seine [Brüder] (5) [ ] Motu (6) [ ] des Vernichters der Völker, (7) [ ] der Sohn Els, Motu. (8) [ ] Sieben junge Männer. (9) [und] der Sohn des El, Motu. (2) [er

Rede des Gottes Motu (10) »Und

siehe, Brüder gab Ba2al (11) zu meinem Verzehr, die Söhne meiner Mutter zu meinem Verbrauch.« (12) Er kehrte zurück zu Ba2al auf die Spitze (13) des Saphon. ˙ Er erhob 206) seine Stimme und rief: (14) »Meine Brüder hast du gegeben, oh Ba2al, (15) zu meinem Verzehr, die Söhne meiner Mutter zu meinem Ver(16) brauch.«

Kampf zwischen Ba2al und Motu Sie schauten einander an wie zwei Kämpfer. (17) Motu war stark, Ba2al war stark. Sie stießen einander (18) wie zwei Wildstiere. Motu war stark, Ba2al (19) war stark. Sie bissen einander wie zwei Schlangen. (20) Motu war stark, Ba2al war stark. Sie zogen einander (21) wie zwei Hengste, Motu fiel, (22) Ba2al fiel. Von oben Sˇapsˇu (23) zu Motu rief: »Höre doch, (24) oh Sohn des El, Motu! Was kämpfst (25) du mit Aliyanu Ba2al? (26) Wie soll dich nicht hören der Stier, (27) El, dein Vater? Fürwahr, er wird ausreißen die Stützen (28) deines Sitzes, er wird fürwahr umstürzen den Thron deines Königtums, 206. Lies mit CAT: ysˇu.

235

Herbert Niehr (29) er

wird fürwahr zerbrechen den Stab deiner Herrschaft.« 207) fürchtete sich der Sohn des El, [M]otu, es ängstigte sich der Ge(31) liebte des El, der Held. Es erschrak Motu (32) durch ihren Ruf. Er [erhob seine Stimme und rief]: (33) »Ba2al soll man sich setzen lassen [auf den Thron] (34) seines Königtums, auf den Ru[hesitz, auf den Thron] (35) seiner Herrschaft [ ]«.

(30) Es

Die Zeilen 36 bis 42 sind für eine Übersetzung zu schlecht erhalten.

Eine Einladung an die Sonnengöttin als Garantin der kosmischen Ordnung (43) »[Das

Fl]eisch ist frisch! Ja, iß fürwahr (44) das Brot des Opfers, trink fürwahr (45) den Wein der Darbringung! Sˇapsˇu, (46) die rapi3u¯ma 208) sind unter dir, ˇ apsˇu, unter dir sind die Göttlichen. 209) (47) S (48) Deine Gesellschaft sind die Götter, 210) siehe, die Toten (49) sind deine Gesellschaft. Kotharu ist dein Beschwörer, (50) und Hasisu dein Zauberer. 211) ˘ sind Arsˇu und Tunanu. (51) Im Meer (52) Kotharu-wa-Hasisu vertreibe (sie), ˘ Kotharu-wa-Hasisu!« 212) (53) jage (sie) weg, ˘ Kolophon (54) Schreiber

ist Ilimilku, der Schubanite, Schüler des Attenu Purlanu, des Obersten (56) der Priester, des Obersten der Hirten, (57) der Beschwörer des Niqmaddu, des Königs von Ugarit, (58) der Herr von Yargabu, der Besitzer von Tarmana. 213) (55) der

207. 208. 209. 210. 211. 212.

Vgl. damit den Fluch in KAI 1,2: s. o. Anm. 109. Wörtlich »die Heilenden«; eine Bezeichnung für die königlichen Toten. Ein Synonym zu den rapi3u¯ma. Hiermit sind ebenfalls die königlichen Toten gemeint. Vgl. dazu Smith, Baal Cycle, 164.175 Anm. 205 und Kutter, nu¯r ilı¯, 175 f. Zu diesem Hymnus auf die Sonnengöttin als Abschluß des Ba2al-Zyklus vgl. etwa M. Dietrich / O. Loretz, Schriftliche und mündliche Überlieferung eines »Sonnenhymnus« nach KTU 1.6 VI 42-43, UF 12 (1980), 399 f.; J.-M. Husser, Shapash, psychopompe et le pseudo hymne au soleil (KTU 1.6 VI 42-53), UF 29 (1997) 227-244; Loretz, Götter – Ahnen – Könige, 307-336; Kutter, nu¯r ilı¯, 175-184. 213. Zu diesem Kolophon s. o. die Angaben in Anm. 11 und 12.

236

Texte aus Syrien

2. Das Epos über König Kirta (KTU 1.14-1.16) Das Epos über König Kirta erzählt von den schicksalhaften Wechselfällen an einem Königshof der Levante. Daß es sich bei diesem Kirta nicht um einen König von Ugarit, sondern um den König eines Reiches namens Bit Habura in Obermesopotamien (vgl. KTU 1.14 II 29; IV 10; 1.15 IV 8-9 [erg.].19-20; V ˘3-4 [erg.]) handelt, 214) ist auch daran ersichtlich, daß in den Königslisten aus Ugarit, die bis in das 20. Jh. v. Chr. zurückverfolgt werden können, ein König Kirta nicht belegt ist. 215) Dies gilt auch für alle anderen Dokumente aus Ugarit, die einen König Kirta nicht kennen. Der Name Kirta begegnet zum ersten Mal auf einem Siegel aus Alalah am Orontes. ˘ Das auf zwei Tontafeln der Epoche Alalah IV befindliche Siegel weist die Inschrift ˘ »Sˇuttarna, Sohn des Kirta, König von Mittani« auf. 216) Datiert wird das Siegel entweder in die Phase der Konstituierung des Mittani-Reichs um 1570 v. Chr., 217) oder aber in das 15. Jahrhundert v. Chr. 218) Bei dem in der Siegelinschrift genannten Kirta von Mittani ist aufgrund der Breviloquenz der Inschrift nicht sicher, ob dieser bereits König war oder erst sein Sohn Sˇuttarna. Sollte letzteres zutreffen, so wäre Kirta als der Ahnherr der späteren Dynastie aufzufassen. Das Reich des Kirta-Sohnes Sˇuttarna lag zwischen den Oberläufen des Euphrat im Westen und des Tigris im Osten mit dem Habur-Dreieck im Zentrum. 219) Dies paßt zu dem im ugaritischen Epos angegebenen˘Königreich Bit Habura des Königs Kirta. ˘ Vokalisierung des KöZugleich ist mit diesen Angaben der Siegelinschrift auch die nigsnamens als Kirta geklärt. Rechnet man mit einer hurritischen Vermittlung des Kirta-Namens nach Ugarit, die angesichts der starken hurritischen Präsenz in Ugarit gut vorstellbar ist, so könnte dieser Kirta das Vorbild für den Protagonisten des ugaritischen Kirta-Epos gewesen sein, 220) auch wenn bislang über diesen Hurriter Kirta 214. Vgl. dazu M. C. Astour, A North Mesopotamian Locale of the Keret Epic, UF 5 (1973) 29-39; ders., Place Names, in: L. R. Fisher (Hg.), Ras Shamra Parallels. The Texts from Ugarit and the Hebrew Bible II (AnOr 50), Rom 1975, 249-369, hier 284 f. no. 40; del Monte Marín, Ortsund Gewässernamen, 107. 215. Zu den Königslisten RS 88.2012, 94.2501, 94.2518 und 94.2528 vgl. D. Arnaud, Prolégomènes à la rédaction d’une histoire d’Ougarit II: Les bordereaux de rois divinisés, SMEA 41 (1998) 153-173; zur Datierung der Könige Ugarits s. o. die Literatur in Anm. 4; zur Frage der Historizität der ersten drei Könige vgl. P. Cˇech, Wer war der (erste ugaritische) König?, in: P. Charvát / P. M. Vlcˇková (Hg.), Who was King? Who was not King? The Rulers and the Ruled in the Ancient Near East, Prag 2010, 85-94. 216. Vgl. dazu D. Collon, The Seal Impressions from Tell Atchana/Alalakh (AOAT 27), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1975, 131 f. no. 230; G. Wilhelm, Geschichte und Kultur der Hurriter, Darmstadt 1982, 38; ders., Art. Mittan(n)i, Mitanni, Maitani. A. Historisch, in: RlA 8 (199397) 286-296, bes. 287; D. Stein, Art. Mittan(n)i. B. Bildkunst und Architektur, in: RlA 8 (1993-97), 296-299, bes. 296 fig. 1; J. Freu, Histoire du Mitanni (Collection KUBABA. Série Antiquité 3), Paris 2003, 40.221; ders., Histoire Politique, 25. 217. So Freu, Histoire Politique, 37. 218. Vgl. dazu Wilhelm, Hurriter, 38 f.; ders., Art. Mittan(n)i, 293-295; S. de Martino, Ittiti e Hurriti, in: ders. (Hg.), Le civiltà dell’Oriente mediterraneo (Storia d’Europa e del Mediterraneo II), Rom 2006, 167-226, hier 183 f.225. 219. Vgl. Wilhelm, Art. Mittan(n)i, 290 f. 220. Vgl auch W. F. Albright, Yahweh and the Gods of Canaan, London 1968, 103 und Astour, Locale, 32.

237

Herbert Niehr

nichts weiter bekannt ist. Zu beachten sind hierbei die Tatsache des Fundortes der Siegelinschrift in Alalah in der nördlichen Nachbarschaft von Ugarit und der Um˘ stand, daß der Schreiber des Epos, Ilimilku, ein Schüler des Oberpriesters Attenu war, der ihn mit der hurritischen Kultur vertraut gemacht haben dürfte. 221) In diesem Zusammenhang der Vermittlung von hurritischem Kulturgut nach Ugarit sei im Hinblick auf das Kirta-Epos auch auf thematische Parallelen wie z. B. die Kinderlosigkeit des Protagonisten und die Erhöhung des Gerechten durch die Götter zwischen dem hethitischen Appu-Märchen und dem Kirta-Epos hingewiesen. 222) Der Held der ugaritischen Erzählung, König Kirta, wird als »Sohn des El« und als Gründerkönig einer Dynastie dargestellt. 223) Über seine Position als Dynastiegründer und wegen seiner zahlreichen Nachfahren etabliert sich seine hohe Stellung auch bei den königlichen Ahnen (rapi3u¯ma). Gleich zu Beginn der Erzählung verliert er jedoch seine Ehefrau und seine Nachkommenschaft und bedarf zur Aufrechterhaltung der Dynastie und zur Sicherung seines Totenkultes göttlicher Hilfe. Kirta nimmt die aus der altorientalischen und alttestamentlichen Literatur bekannte Position des »leidenden Gerechten« ein, dessen wechselhaftes Schicksal trotz allem auf ein gutes Ende hinausläuft. 224) Es zeigt sich somit in der gesamten Erzählung eine Spannung zwischen der göttlichen Institution des Königtums, die von den großen Göttern, insbesondere El und Ba2al gestützt wird, und dem einzelnen Inhaber des Amtes, der sehr unterschiedlichen Situationen unterworfen sein kann. Es ist schon lange in der Forschung gesehen worden, daß die göttliche Gerechtigkeit durch den Gott El siegt und somit das Königtum trotz aller Wechselfälle erhalten bleibt. 225) Deutlich wird ebenfalls im Kirta-Epos, daß sich menschliche Nachlässigkeit den Göttern gegenüber nicht auszahlt, sondern nur negative Konsequenzen nach sich zieht. So legt Kirta ein Gelübde ab, um seinem Anliegen durch die Fürsprache der Göttin Ascherah mehr Aussicht auf Erfolg zu geben. 226) Angesichts der Nichterfüllung des Gelübdes zieht sich Kirta den Zorn der Göttin Ascherah zu; Kirta erkrankt auf Leben und Tod, muß zeitweilig seinem Sohn Yassubu den Thron überlassen, den ˙ ˙ Fluch seines Vaters Kirta ausdieser später nicht mehr räumen will, weshalb er dem

221. S. o. Anm. 11 mit den Belegen der Kolophone und vgl. dazu noch die Angaben in Anm. 12. 222. Das Appu-Märchen bei J. Siegelová, Appu-Märchen und Hedammu-Mythos (StBoT 14), ˘ Wiesbaden 1971, 1-34. 223. Vgl. auch G. del Olmo Lete, Mythologie et religion de la Syrie au IIe millénaire av. J.-C. (15001200), in: ders., Mythologie et Religion des Sémites Occidentaux II (OLA 162), Leuven 2008, 25-162, hier 133 f. 224. Vgl. dazu M. Dietrich / O. Loretz, Keret, der leidende »König der Gerechtigkeit«, UF 31 (1999) 133-164 und Loretz, Ahnen, 337-367.556-595. 225. Vgl. etwa H. L. Ginsberg, The Legend of King Keret (BASOR Suppl. Studies 2-3), New Haven 1946, 8; J. M. Sasson, The Numeric Progression in Keret I: 15-20. Yet another suggestion, SEL 5 (1996) 181-188, hier 186; Dietrich / Loretz, Mythen und Epen, 1215. 226. Vgl. dazu zuletzt H. Niehr, Königtum und Gebet in Ugarit. Das Gebet des Königs, das Gebet für den König und das Gebet zum König, in: A. Grund / A. Krüger / F. Lippke (Hg.), Ich will dir danken Herr unter den Völkern. Studien zur israelitischen und altorientalischen Gebetsliteratur. Festschrift für Bernd Janowski zum 70. Geburtstag, Gütersloh 2013, 603-622, hier 609 f.

238

Texte aus Syrien

gesetzt ist. Das Motiv der Verärgerung einer Göttin und der sich daraus ergebenden Probleme für das Königshaus spielt auch eine Rolle im Aqhatu-Epos (KTU 1.17-19). Des Weiteren stellt sich die Frage nach Leben und Tod des Herrschers. Bei dieser Frage zeigt sich auch wieder die Spannung zwischen dem Königtum als unsterblicher und ewiger Institution auf der einen und dem sterblichen und endlichen Leben des königlichen Amtsinhabers auf der anderen Seite. 227) Allerdings gibt es im Unterschied zum Rest der Gesellschaft für die Mitglieder des Königshauses eine privilegierte Fortexistenz nach dem Tode aufgrund einer temporären Rückkehr auf die Erde zum Neujahrsfest zusammen mit dem Gott Ba2al. 228) Zum grundlegenden Verständnis der Erzählung muß man sich über ihre Lokalisierung im Klaren sein. Auffällig ist hierbei das Ineinander von einer Fern- und einer Nahperspektive. Es wurde schon lange gesehen, daß die Erzählung nicht in Ugarit spielt, sondern jenseits der Berge in Innersyrien. 229) Dies zeigt sich u. a. an den hurritischen Namen des Königs Kirta und der Königin Hurriya. Diese und andere Personennamen des Epos treten sonst im Onomastikon von Ugarit nicht auf. Noch deutlicher wird dies durch die Geographie, weil Bit Habura in Obermesopotamien und Udummu im Gebiet östlich des Sees Gennesareth˘ liegen. Gleichzeitig aber weisen die Kulissen der Erzählung das Bild der Stadt Ugarit auf. So treten die Götter Ugarits auf, die Parallele von El- und Ba2al-Verehrung weist auf die Nachbarschaft beider Tempel auf der Akropolis der Stadt hin, das Königsgrab im Palast von Ugarit enthält ein hsˇt-Totenheiligtum sowie eine Ritualgrube (ap) wie sie ˘ das Epos in KTU 1.16 I 2-3 u. ö. voraussetzt und die heiligen Berge im Epos sind der Saphon und der Nanay (KTU 1. 16 I 7-8 u. ö.), die somit der sakralen Geographie ˙ Ugarits entsprechen. Des Weiteren spiegeln die Ritualpartien auch die Rituale, die wir sonst aus Ugarit kennen, wider 230) und die soziale Welt des Epos ist ebenfalls die aus Ugarit bekannte Welt. 231) Ebenso hat König Kirta einen Rang in der Gemeinschaft der rapi3u¯ma, der Vorfahren des ugaritischen Königshauses, unter der Leitung des Ditanu (KTU 1.15 III 2-4.13-15). Mit dieser Verschränkung von Fern- und Nahperspektive hat der Erzähler die Möglichkeit, eine von den Realitäten in Ugarit und seinem Königshaus unbelastete Hand-

227. Grundlegend dazu E. H. Kantorowicz, The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton 1957 und zur Relevanz für die Interpretation des Königtums in Ugarit vgl. H. Niehr, Ein Beitrag zur Konzeption des Königtums in Ugarit, in: R. Rollinger / B. Truschnegg (Hg.), Altertum und Mittelmeerraum: Die antike Welt diesseits und jenseits der Levante. Festschrift für Peter W. Haider zum 60. Geburtstag (OrOcc 12), Stuttgart 2006, 161181 und ders., The King’s Two Bodies. Political Dimensions of the Royal Cult of the Dead at Ugarit, Byblos and Qatna, in: P. Pfälzner (Hg.), Qatna and the Networks of Bronze Age Glo˙ ˙ balism. Akten einer internationalen Konferenz in Stuttgart im Oktober 2009 (Qatna Studien ˙ Supplementa 2), Wiesbaden 2014 (im Druck). 228. Vgl. dazu KTU 1.17 VI 25-33 aus dem Aqhatu-Epos. 229. Vgl. Bordreuil, La littérature d’Ougarit, 41 f. 230. Vgl. P. Merlo / P. Xella, The Rituals, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HdO I/39), Leiden 1999, 287-304, hier 290. 231. Vgl. D. Schloen, The House of the Father as Fact and Symbol. Patrimonialism in Ugarit and the Ancient Near East (SAHL 2), Winona Lake 2001, 352.

239

Herbert Niehr

lung zu entwickeln und andererseits doch die Relevanz der Erzählung auch für das Königtum in Ugarit zu betonen. Dies zeigt auch der Umstand, daß als göttliche Hauptakteure des Kirta-Epos die Götter El, Ba2al, Ascherah und Rasˇpu auftreten, mit denen ganz deutlich die Götterwelt von Ugarit begegnet. Dies gilt auch für den Götterboten Ilisˇu. Dabei verhält es sich dramaturgisch so, daß El und Ba2al auf Seiten des Königs und seiner Dynastie stehen. Diese beiden Götter entscheiden über das Geschehen, was aber menschliches Fehlverhalten und die sich daraus ergebenden Probleme nicht ausschließt. Ascherah allerdings verhält sich wegen der Nichterfüllung des ihr gemachten Gelübdes zeitweilig feindlich zu Kirta und Rasˇpu hat eine ambivalente Stellung inne, da er einerseits Todesfälle in der Familie des Kirta verursacht hat und er andererseits zur Hochzeit des Kirta geladen ist, da er über die Macht, vor dem Tod zu retten, verfügt. Das Kirta-Epos hat ursprünglich mindestens vier Tafeln umfaßt, von denen nur drei (KTU 1.14-16) erhalten sind. Auf die Existenz einer weiteren Tafel, die verloren gegegangen ist, weist der Umstand, daß das Epos kaum mit einer Verfluchung des Kronprinzen Yassubu (KTU 1.16 VI 54-58) durch König Kirta geendet haben kann. Es fehlt auf jeden˙ ˙Fall die Einlösung der Zusage, derzufolge das jüngste Kind, die Stelle des ersten einnehmen solle (vgl. KTU 1.15 III 16), um somit die Fortdauer der Dynastie und der gottgewollten Ordnung zu sichern. Drei Tontafeln der zweiten Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Maison du Grand Prêtre, Raum 7 (und 8). – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Aleppo (M 8218 = A 2750; M 8227 = A 2752; M 3392 = A 2751). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, La légende de Kéret Roi des Sidoniens. Publiée d’après une tablette de Ras-Shamra. Mission de Ras-Shamra II (BAH 22), Paris 1936; ders., Le roi Kéret et son fils (II K), 1re Partie. Poème de Ras-Shamra, Syria 22 (1941) 105-136; ders., Le roi Kéret et son fils (II K); (Deuxième Partie), ebd. 197-217; ders., Le roi Kéret et son fils (II K). (Troisème Partie), Syr 23 (1942-43) 1-20; ders., Le mariage du roi Kéret (III K). Poème de Ras-Shamra, ebd. 137-172. – Autographie und Photo: A. Herdner, Corpus des Tablettes en Cunéiformes Alphabétiques découvertes à Ras ShamraUgarit de 1929 à 1939. Mission de Ras Shamra X (BAH 79), Paris 1963, 58-77; fig. 36-52; pl. XX – XXVI. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: H. L. Ginsberg, The Legend of King Keret (BASOR Suppl. Studies 2-3), New Haven 1946; ders., Ugaritic Myths, Epics, and Legends, in: J. B. Pritchard (Hg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, Princeton 31969, 129-155, hier 142-149; G. R. Driver, Canaanite Myths and Legends (Old Testament Series III), Edinburgh 1956, 28-47; J. Gray, The KRT Text in the Literature of Ras Shamra. A Social Myth of Ancient Canaan (DMOA 5), Leiden 21964; ders., The Legacy of Canaan. The Ras Shamra Texts and Their Relevance to the Old Testament (VTS 5), Leiden 21965, 131-151; A. Caquot / M. Sznycer / A. Herdner, Mythes et Légendes. Textes Ougaritiques I (LAPO 7), Paris 1974, 481-574; C. H. Gordon, Poetic Legends and Myths from Ugarit, Berytus 25 (1977) 5-133, hier 34-59; J. C. L. Gibson, Canaanite Myths and Legends, Edinburgh 21978, 82-102; G. del Olmo Lete, Mitos y leyendas di Canaán segu´n la tradición de Ugarit, Madrid 1981, 239-323; P. Xella, Gli antenati di Dio. Divinità e miti della tradizione di Canaan, Verona 1982, 147-179; J. C. de Moor, An Anthology of Religious Texts from Ugarit (NISABA 16), Leiden 1987, 191-223; M. Dietrich / O. Loretz, Mythen und Epen (TUAT III), Gütersloh 1990-97, 1089-1317, hier 1213-1253; E. Greenstein, Kirta, in: S. B. Parker (Hg.), Ugaritic Narrative Poetry (SBL Writings from the Ancient World 9), Atlanta 1997, 9-48; D. Pardee, The Kirta Epic, in: W. W. Hallo (Hg.), Canonical Compositions from the Biblical World (The Context of Scripture I), Leiden 1997, 334-343; N. Wyatt, Religious

240

Texte aus Syrien

Texts from Ugarit. The Words of Ilimilku and his Colleagues (The Biblical Seminar 53), Sheffield 1998, 176-243; C. Peri, Poemi Ugaritici della Regalità (Testi del Vicino Orienta antico 5), Brescia 2004, 25-54; M. D. Coogan / M. S. Smith, Stories from Ancient Canaan, Louisville 22012, 65-95. – Weitere Literatur: H. Sauren / G. Kestemont, Keret, roi de Hubur, UF 3 (1971) 181-221; F. C. Fensham, Difficult Passages in Keret, JNSL 1 (1971) 11-22;˘ ders., Remarks on Keret 26-43, JNSL 2 (1972) 37-52; L. Badre / P. Bordreuil / J. Medarres / L. 2Ajjan / R. Vitale, Notes Ougaritiques I. Keret, Syria 53 (1976) 95-125; B. Margalit, Studia Ugaritica II. Studies in Krt and Aqht, UF 8 (1976) 137-192; S. Parker, The Historical Composition of KRT and the Cult of El, ZAW 89 (1977) 161-175; J. C. de Moor / K. Spronk, Problematical Passages in the Legend of Kirtu (I), UF 14 (1982) 153-171; dies., Problematic Passages in the Legend of Kirtu (II), UF 14 (1982) 173-190; K. Spronk, The Legend of Kirtu (KTU 1.14-16). A Study of the Structure and Its Consequences for Interpretation, in: W. van der Meer / J. C. de Moor (Hg.), The Structural Analysis of Biblical and Canaanite Poetry (JSOTSS 74), Sheffield 1988, 62-82; S. B. Parker, The Pre-Biblical Narrative Tradition. Essays on the Ugaritic Poems of Keret and Aqhatu, Atlanta 1989; S. E. Loewenstamm, On the Theology of the Keret-Epic, in: ders., From Babylon to Canaan, Jerusalem 1992, 185-200; G. N. Knoppers, Dissonance and Desaster in the Legend of Kirta, JAOS 114 (1994) 572-582; B. Margalit, K-R-T Studies, UF 27 (1995) 215-315; ders., The Legend of Kirta, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HdO I/39), Leiden 1999, 203-233; E. Greenstein, New Readings in the Kirta Epic, in: S. Isre3el (Hg.), Past Links. Studies in the Languages and Cultures of the Ancient Near East (IOS XVIII), Winona Lake 1998, 105-123; M. Dietrich / O. Loretz, Keret, der leidende »König der Gerechtigkeit«, UF 31 (1999) 133164; O. Loretz, Götter – Ahnen – Könige als gerechte Richter. Der »Rechtsfall« des Menschen vor Gott nach altorientalischen und biblischen Texten (AOAT 290), Münster 2003, 337-367.556-595.

2.1 Erste Tafel (KTU 1.14)

Ein König in großer Not VS

I.

(1) [Zu

Ki]rta. 232)

Die Zeilen 2-6a sind weitgehend zerstört. In ihnen wird König Kirta der Hörerschaft vorgestellt worden sein. (6) Die

Sippe (7) [Kirtas] war vernichtet, das Haus (8) [des Kö]nigs war zugrunde gegangen, 233) welches sieben (9) [Br]üder hatte, acht Söhne einer Mutter. (10) Was Kirta betrifft: Die Nachkommenschaft war vernichtet. (11) Was Kirta betrifft: Zerbrochen war der Sitz. (12) Eine Frau passend zu seiner Rechtschaffenheit 234) hatte er fürwahr gefunden, 232. Bibliotheksvermerk: »Zum Kirta-Epos gehörig«; vgl. noch KTU 1.16 I 1 sowie 1.6 I 1 im Ba2al-Mythos und 1.19 I 1 im Aqhatu-Epos. 233. Lies mit CAT z.St.: itbd. 234. Zu diesem für die Königsideologie wesentlichen Binom vgl. H. Niehr, The Constitutive Principles for the Establishing of Justice and Order in Northwest Semitic Societies with Special

241

Herbert Niehr (13) eine

Gattin passend zu seiner Redlichkeit. Frau hatte er geheiratet, aber sie war davongegangen. 235) (15) Die Nachkommenschaft der Mutter war ihm geblieben: (16) Ein Drittel starb gesund, 236) (17) ein Viertel krank, (18) ein Fünftel riß an sich (19) Ras ˇpu, 237) (20) ein Sechstel die Diener des Yammu, ein Siebtel von ihnen durch das Schwert (21) fiel. 238) Es sah seine Nachkommenschaft (22) Kirta an, vernichtet sah er seine Nachkommenschaft, (23) völlig zerbrochen war sein Sitz, (24) und in ihrer Gesamtheit war die Nachkommenschaft zugrundegegangen, (25) und in seiner Gänze das Erbe. (14) Eine

Der Gott El erscheint dem König im Traum (26) Er

trat in sein Gemach, er weinte Wiederholen der [K]lagen, ja, er vergoß Tränen. ˇ eqel zur Erde, (28) Es ergossen sich seine Tränen (29) wie S 239) (30) wie Fünftels ˇeqel auf das Lager. (31) Bei seinem Weinen da schlief er ein, (27) beim

235. 236. 237.

238.

239.

242

Reference to Israel and Judah, ZAR 3 (1997) 112-130 und Dietrich / Loretz, König der Gerechtigkeit. »Fortgehen« ist entweder ein Euphemismus für das Sterben oder – weniger wahrscheinlich – für eine Scheidung. Ähnlich auch M. M. Münnich, The God Resheph in the Ancient Near East (ORA 11), Tübingen 2013, 125; anders E. Lipin´ski, Reshep (OLA 181; StPhoen XIX), Leuven 2009, 116 f.: »at birth«. Vgl. dazu auch zwei Passagen aus einem Brief des Königs von Alasˇiya an den Pharao: »Siehe, die Hand des Rasˇpu liegt jetzt auf meinem Land; er hat alle Menschen meines Landes getötet …« (EA 35,13-14) und: »… die Hand des Rasˇpu war in meinem Land und in meinem Haus. Eine meiner jungen Gattinnen ist jetzt gestorben.« (EA 35,35-39). Die Texte bei W. L. Moran, Les Lettres d’El Amarna (LAPO 13), Paris 1987, 200-203. Es gibt hierzu zwei mathematische Lösungsversuche. J. Finkel, A Mathematical Conundrum in the Ugaritic Keret Poem, HUCA 26 (1955) 109-149 und Lipin´ski, Resheph 105 f. müssen bei ihrem Lösungsansatz die Existenz von 30 Verwandten des Kirta voraussetzen, wofür der Text aber keinen Anhalt bietet. Dagegen läßt Sasson, Progression die Zählung von hinten beginnen und gelangt so zu zwei überlebenden Kindern aus der ersten Ehe des Königs Kirta, Ilhu und Titmanatu, was allerdings den Kinderwunsch des Kirta eigentlich als überflüssig ˙ erscheinen läßt. Vermutlich ist die poetische Sprache freier und deshalb das Problem nicht mathematisch exakt erklärbar. Die neueste Monographie zum Gott Rasˇpu bringt in dieser Frage auch keine Lösung, da der Autor ohne überzeugendes Argument vom Tod der Gattinnen des Königs ausgeht, in der Erzählung aber die ersten beiden Gattinnen übersprungen werden; vgl. Münnich, God, 125.146 f. Lies: km hmsˇt; vgl. Tropper, Grammatik, 374 § 64.51 und del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 397˘ s. v. hmsˇt. Zu den Gewichten in Ugarit vgl. E. Bordreuil, Les systèmes pondéraux, in: Y. Calvet / ˘G. Galliano (Hg.), Le royaume d’Ougarit. Aux origines de l’alphabet, Paris / Lyon 2004, 135-139; ders., Les poids du Palais Royal d’Ougarit dans leur contexte archéologique et épigraphique, in: V. Matoïan (Hg.), Le Mobilier du Palais Royal d’Ougarit (RSOu XVII), Paris / Lyon 2008, 215-245.

Texte aus Syrien (32) bei

seinem Tränenvergießen da (kam) Schlummer. 240) überwältigte ihn 241) (34) und er legte sich hin, Schlummer (35) und er sank nieder. Und in seinem Traum (36) stieg El herab, in seiner Vision (37) der Vater des Menschen. 242) Und er näherte sich, (38) indem er Kirta fragte: »Wa[s] ist dir, 243) (39) Kirta? Daß er weint, (40) Tränen vergießt, der liebliche Knabe des (41) El 244)? (42) Wünscht er ein Königtum (wie das) seines Vaters, 245) oder eine Herrscha[ft] (43) wie die des Vaters des Menschen [ ]?«

(33) Schlaf

Es folgt eine Lücke von 9 Zeilen, in der – wie aus Kolumne II zu schließen ist – der Gott El dem König Schätze und Leibeigene sowie Rüstungsgüter, Militär und Gesinde zum Geschenk anbietet. Hierauf antwortet Kirta und macht sein Anliegen deutlich. Der Gott El zeigt daraufhin einen Weg für Kirta auf. (51) [»Was

II.

sollen] (52) [mir Silber und gelbes]

(1) [Gold] 246)

nebst seinem Ort 247) Leib]eigene, Kupfer, (3) [Pfer]de, Streitwagen vom Hof (und) Gesinde? 248) (4) [ Söh]ne will ich erhalten, (2) [und

240. Zu dem hier einsetzenden Inkubationstraum vgl. A. Zgoll, Traum und Welterleben im antiken Mesopotamien (AOAT 333), Münster 2006, 279-281.343-351.502 und K. Kim, Incubation as a Type-Scene in the 3Aqhatu, Kirta, and Hannah Stories (VTS 145), Leiden 2011, 163262. 241. Zur Graphie tluan und zur Ansetzung tlun!n vgl. Tropper, Grammatik, 617 § 75.222. 242. Der nur im Kirta-Epos belegte El-Titel 3ab 3adm (vgl. KTU 1.14 I 43; III 32.47; V 43; VI 13.31-32) wird zumeist als »Vater der Menschheit« aufgefaßt; vgl. Rahmouni, Epithets, 8-10. Wahrscheinlicher ist allerdings eine Konzentration auf den König (vgl. auch Caquot / Sznycer / Herdner, Mythes, 57), so daß ein Korrelat zu der Bezeichnung Kirtas als »geliebter Knabe des El« vorliegt. Ebenso wird El als der Vater des Kirta bezeichnet; vgl. KTU 1.14 I 41; II 6.24 u. ö. Vgl. aus dem Alten Testament noch Ps 80,18 in Bezug auf den König und Dan 7 zur Gestalt des Menschensohnes. 243. Lies mit CAT z.St: mhhiat. 244. Zu diesem Titel des Kirta vgl. noch KTU 1.14 II 8-9; 1.15 II 15-16.20. 245. Zur Lesung dieses Satzes vgl. Greenstein, Readings, 107. 246. Die Ergänzungen in Zeile 1-3 entsprechen KTU 1.14 III 33-37 und 1.14 VI 17-22. Zu yrq hrs ˘˙ vgl. M. Dietrich / O. Loretz, YRQ HRS »Gelb von Gold« im Krt-Epos und seine hurritischen Entsprechungen, UF 10 (1978) 427˘ f.; ˙alternativ del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 982 s. v. yrq »take silver and yellow (metal), gold together …«; ähnlich auch schon de Moor, Anthology, 193. 247. Es ist vom Text her offen, ob mit mqm der Fundort bzw. die Goldmine, so etwa Caquot / Sznycer / Herdner, Mythes, 511, de Moor, Anthology, 193 und del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 982 s. v. yrq, die Schatzkammer, so Dietrich / Loretz, Mythen, 1220 mit Anm. 45, oder eine bestimmte Art der Goldtechnologie, so O. Stehlik, A Divine Bribe. Multi-Disciplinary Approach to unravel Conundrum of KTU 1.14 ii 1-3 (and Parallels). Transfer of Prestige Technology as attested in Ugarit, UF 38 (2006) 665-673, hier 668 f., gemeint ist. 248. Kirta lehnt die Schätze und die teuersten Rüstungsgüter, Pferde und Streitwagen, ab. Zum Verständnis der Stelle vgl. O. Loretz, Ugaritisch 2bd »Sklave, Diener, Vasall.« Eine Studie zu ug.-he. 2bd 2lm // bn 3mt (KTU 1.14 III 22-32 et par.) in der juridischen Terminologie altorientalischer Verträge, in: UF 35 (2003) 333-384 und ders., Hippologia, 27-50. Allerdings ist

243

Herbert Niehr (5) [Nachkommen]schaft 249)

will ich vermehren.« [ant]wortete der Stier, sein Vater, El: (7) »Deine Sch[wäche] 250) kommt vom Weinen, Kirta, (8) vom Tränenvergießen, geliebter Knabe (9) des El. Du sollst dich waschen und schminken! (10) Wasche deine [H]ände 251) (bis zum) Ellbogen, (11) [deine] Fi[nger] bis zur Schulter. 252) (12) Tritt ein [in den Schatten der Kapelle 253)]. (13) Nimm ein Lam[m in] deine [Hand], (14) ein O[pfer]lamm [in] die Rechte, (15) ein Zicklein in b[eide Händ]e, (16) [dein] gesamtes Opferb[rot]. (17) Nimm die Inn[ereien] eines Opfervogels. (18) Gieße [in eine Scha]le von Silber (19) Wein, in eine Schale von [Go]ld Honig. (20) Steige auf die Spitze des T[ur]mes (21) [und steige auf die Spitze des Turmes], 254) besteige (22) die Zinnen der Mauer. Erhebe deine Hände (23) zum Himmel, opfere dem Stier, (24) deinem Vater, El, ehre 255) Ba2al (25) mit deinem Opfer, (6) Da

249. 250. 251. 252.

253. 254.

255.

244

gegen Loretz 2bd 2lm nicht auf König Pubalu als Vasall, sondern mit Stehlik, Bribe, 669 f. auf das technisch ausgebildetet Personal zu beziehen. Lies mit Greenstein, Kirta, 14.22 Anm. 14 [ta]rm . ¯ Ergänze z. B. d[lt]k; vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 271 s. v. dlt III. Zu den Ergänzungen in KTU 1.14 II 10 – III 49 vgl. die Parallelstellen. Das Waschen des Kirta umfaßt zwei Aspekte: Es geht zum einen um die Vorbereitung des Feldzugs (vgl. das Waschen und Schminken der Anat in KTU 1.3 IV 45-46 par. oder der Pughatu in KTU 1.19 IV 41-42) und zum andern um die kultische Reinheit des Königs vor einer Opferzeremonie (vgl. J.-M. de Tarragon, Le culte à Ugarit [CRB 19], Paris 1980, 79-91). Das Hapaxlegomenon hmt stellt eine Ableitung von hmn »Kapelle«, »Baldachin« dar. Vgl. ˘ 184-186. Sachlich geht es ˘wohl um eine im Bereich des Königsdazu Xella, Baal Hammon, palastes gelegene Kapelle. Doppelung durch Schreiberversehen. Im Hinblick auf das Verständnis des »Turmes« denkt man zumeist an einen der beiden Tempel auf der Akropolis (so etwa M. Yon, La cité d’Ougarit sur le tell de Ras Shamra [Guides Archéologiques de l’Institut Français d’Archéologie du Proche-Orient 2], Paris 1997, 120, Xella, Baal Hammon, 185 f. und Callot, Sanctuaires, 48). Allerdings wird nicht erzählt, daß Kirta nach dem Inkubationstraum den Palast verlassen habe, so daß – zumal auch die Kapelle im Palastbereich situiert werden kann – eher die Dächer des Palastes bzw. der temple royal im Palastbezirk gemeint sind. Zu einer Opferdarbringung des Königs von Ugarit auf einem Dach am Neumondstag vgl. auch das Ritual KTU 1.41,50-52. Auch möglich, aber im Parallelismus weniger wahrscheinlich, ist eine Form von yrd (Sˇ): »Laß herabsteigen …«; so J. Tropper, Der ugaritische Kausativstamm und die Kausativbildungen des Semitischen. Eine morphologische und semantische Untersuchung zum Sˇ-Stamm und zu den umstrittenen nichtsibilantischen Kausativstämmen des Ugaritischen (ALASP 2), Münster 1990, 30. Vgl. dagegen aber M. Dietrich / O. Loretz, Ugaritisch sˇrd »dienen«, *trt ¯ und sˇrt »Sängerin«, UF 28 (1996) 159-164 und del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 843 s. v. sˇrd.

Texte aus Syrien

den Sohn des Dagan 256) (26) durch deine Speise! 257) Sodann steige (27) Kirta von den Dächern, um zu bereiten (28) Speise für die Stadt, (29) Weizen für Bit Habura. ˘ (30) Er lasse Brot backen von einer Fünfzahl, (31) Verpflegung (von) einer Sechszahl von Monaten. (32) Eine Truppe sei mit Verpflegung versorgt 258) und sie ziehe aus, (33) eine riesige Armee 259) sei mit Verpflegung versorgt, (34) und es ziehe aus eine mächtige Truppe. 260) (35) Deine Armee soll eine starke Macht sein, (36) dreihundert Myriaden, (37) Söldner 261) ohne Zahl, (38) Bogenschützen ohne Angabe. (39) Sie sollen gehen zu Tausenden (wie) ein Wolkenbruch (40) und zu Zehntausenden wie ein Frühregen. (41) Nach zweien sollen zwei gehen, (42) nach dreien sie alle. 262) (43) Der Alleinstehende schließe sein Haus, 263) (44) die Witwe soll einen Söldner (45) dingen, der Kranke soll das Bett (46) tragen, der Blinde soll der Spur (47) folgen und es ziehe aus der Neu(48) verheiratete, er überlasse einem anderen (49) seine Frau, einem Fremden (50) seine Geliebte. Wie Heuschrecken (51) sollen sie das Feld bewohnen,

256. Zu Ba2al als Sohn des Dagan s. o. Anm. 100. 257. Lies: b msd wie in IV 8; vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 585 s. v. msd. Der Ter˙ allgemein für Speise, aber auch für erlegtes Wild stehen. Zur Diskussion ˙ minus kann vgl. zuletzt G. Minunno, Ritual Employs of Birds in Ancient Syria-Palestine (AOAT 402), Münster 2013, 83 f. 258. Vgl. O. Loretz, Akkadisch sidı¯tam nagib und ugaritisch 2dn ngb in der Beschreibung der Armee Kerets (ARM 2,69,6’; ˙KTU 1.14 II 32-34, IV 13-15), UF 40 (2008) 507-521. 259. Wörtlich: »eine Armee der Armee«; zu elativischen Funktion des Status constructus vgl. Tropper, Grammatik, 844 § 91.314. 260. Zum Heerwesen in Ugarit vgl. J.-P. Vita, El ejército de Ugarit, Madrid / Zaragoza 1995 und Loretz, Hippologia, 27-126.259-290. 261. hupsˇu meint eigentlich »freie Soldaten«. Vgl. dazu J. Vidal, Ugarit at War (2). Military ˘Equestrianism, Mercenaries, Fortifications and Single Combat, UF 38 (2006) 699-716, bes. 702-705 und Loretz, Akkadisch sidı¯tam, 516 Anm. 61. 262. Gemeint ist ein Marsch aller in˙ Zweier- und Dreiergruppen; vgl. Tropper, Grammatik, 771 § 82.39 und Loretz, Akkadisch sidı¯tam, 516 f. ˙ 263. In den Zeilen 43-50 wird ein Personenkreis angesprochen, der sonst vom Kriegsdienst befreit ist; vgl. etwa Dtn 20,1-9. Da auch sonst von Pferden, Kriegswagen und Waffen des Kirta nicht die Rede ist, wird hiermit seine militärische Unterlegenheit deutlich. S. u. Anm. 272.

245

Herbert Niehr

III.

(1) wie

Grashüpfer den Rand der Steppe. einen Tag und einen zweiten, einen dritten, einen vierten Tag, (3) einen fünften, einen sechsten Tag. Siehe, beim Sonnenuntergang (4) am siebten wirst du erreichen Udummu, 264) (5) die Große, 265) und Udummu, die Mächtige. (6) Dann fordere die Stadt zum Kampf heraus, bedrohe (7) den Ort, greife an auf den Feldern die (8) Holzsammler 266), auf den Tennen die Ährensammlerinnen. (9) Greife an die vom Brunnen 267) Schöpfenden, die von der Quelle 268) (10) Füllenden! Verhalte dich ruhig einen Tag und einen zweiten, (11) einen dritten, einen vierten Tag, einen fünften, 269) (12) einen sechsten Tag! Deine Pfeile laß nicht aufsteigen (13) zur Stadt (und nicht) die Steine deiner (14) Schleuderhand! Und siehe, beim Sonnenuntergang 270) (15) am siebten Tag, da schläft nicht ein Pubalu, (16) der König, wegen des lauten Brüllens seiner Jungstiere, 271) (17) wegen des lärmenden Schreiens seiner Esel, (18) wegen des Brüllens der Pflugochsen, (wegen) des Bellens (19) der Wachhunde. Und senden wird er (20) Boten zu dir, zu Kirta (21) ins Quartier: ›Botschaft des Königs Pubalu: (22) Nimm Silber und gelbes Gold (23) nebst seinem Ort und Leibeigene, (24) Kupfer, Pferde, Streitwagen (25) vom Hof (und) Gesinde! 272) (2) Gehe

264. Entweder ein Ort im Habur-Dreieck oder ein Ort östlich des Sees von Gennesareth; vgl. zu ˘ dieser Diskussion Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 304 f. Zugunsten der letztgenannten Annahme spricht der siebentägige Weg von Bit Habura, dem Reich des Kirta, nach Udummu sowie die Tatsache, daß der Weg über Sidon und˘Tyros führt (s. u. KTU 1.14 IV 3136). Zum näheren geographischen Umfeld von Udummu vgl. G. Galil, Ashtaroth in the Amarna Period, in: S. Isre3el (Hg.), Past Links. Studies in the Languages and Cultures of the Ancient Near East (IOS XVIII), Winona Lake 1998, 373-385. 265. Schreibfehler im Keilschrifttext; mit CAT z.St. ist rbt zu lesen. 266. Zur Beibehaltung der Lesung hbth vgl. gegen CAT z.St. Greenstein, Readings, 108. ˙ ˙ 267. Lies mit CAT nhpik. 268. Schreibfehler im Keilschrifttext; mit CAT z.St. ist mqr zu lesen. 269. Schreibfehler im Keilschrifttext; mit CAT z.St. ist hmsˇ zu lesen. ˘ 165. 270. Vgl. zur Diskussion de Moor / Spronk, Passages (I), 271. Vgl. dazu Loretz, Hippologia, 50. 272. In diesem Angebot des Königs Pubalu wird seine militärische Überlegenheit an Edelmetall, Kupfer, Pferden und Streitwagen über König Kirta, der u. a. mit Kranken, Blinden und Neu-

246

Texte aus Syrien (26) Nimm,

Kirta, Geschenke über (27) Geschenke, 273) und geh weg, König (28) von meinem Haus, entferne dich, Kirta, (29) von meinem Hof! Nicht greif an (30) Udummu, die Große, und Udummu, die Mächtige! (31) Udummu ist eine Gabe 274) Els und ein Geschenk (32) des Vaters des Menschen.‹ Und zurückschicken sollst du (33) die Boten zu ihm: ›Was sollen mir (34) Silber und gelbes Gold (35) nebst seinem Ort und Leib(36) eigene, Kupfer, Pferde, Streitwagen (37) vom Hof 275) (und) Gesinde? (38) Aber das, was es nicht gibt in meinem Haus, sollst du geben! (39) Gib mir das Mädchen Hurriya, (40) den anmutigen Sprößling, deine Erstgeburt: (41) Wie die Anmut der Anat ist ihre Anmut, (42) wie die Schönheit der Astarte ist ihre Schönheit. (43) Ihre Pupillen sind Gemmen von Lapislazuli, ihre Augäpfel sind (44) Schalen von Alabaster. 276) Unverständlich (45) Unverständlich (46) Sie hat (mir) in meinem Traum El gegeben, (47) in meiner Vision der Vater des Menschen, (48) zu gebären einen Nachkommen für Kirta, (49) und zwar einen Knaben für den Diener des El.‹«

Kirta erwacht von seinem Traum (50) Kirta

erwachte, und es war ein Traum, Diener Els, und es war eine Vision. (52) Er wusch und schminkte sich, (53) er wusch seine Hände (bis zum) Ellbogen, (54) seine Finger bis zur Schulter. (51) der

Untere Ecke: (55) Er trat ein in den Schatten der Kapelle. Er nahm (56) ein Opferlamm in seine Hand, (57) ein Zicklein in beide Hände, 277) (58) sein gesamtes Opferbrot.

273. 274. 275. 276. 277.

vermählten das letzte Aufgebot stellen muß, deutlich; vgl. auch Loretz, Akkadisch sidı¯tam, ˙ 518 f. und s. o. Anm. 248. Vgl. dazu Loretz, 2bd , 372-374 und ders., Hippologia, 48 sowie AHw, 1268 s. v. ˇsulma¯nu. Schreibfehler im Keilschrifttext; mit CAT ist ytnt zu lesen. Schreibfehler im Keilschrifttext; mit CAT ist btrbs zu lesen. ˙ Hurriya wird hier beschrieben wie eine Götterstatue; vgl. auch in Kol. IV die Votivstatue im Gelübde an Ascherah. Der Text ist leicht verändert im Vergleich zu KTU 1.14 II 13-15.

247

Herbert Niehr (59) Er

nahm die Innereien eines Opf[er]vogels.

RS

IV.

(1) Er

goß in eine Schale von Silber Wein, eine Schale von Gold Honig und er stieg (3) auf die Spitze des Turmes, bestieg (4) die Zinnen der Mauer. Er erhob (5) seine Hände zum Himmel, opferte (6) dem Stier, seinem Vater, El, ehrte (7) Ba2al mit seinem Opfer, den Sohn des Dagan (8) m[it] seiner Speise. Es stieg Kirta (9) von den Dächern herab, um zu bereiten Speise für die Stadt, (10) Weizen für Bit Habura. ˘ (11) Er ließ Brot backen von einer Fünfzahl, (12) Verp[fle]gung (von) einer Sechszahl von Monat[en]. (13) Eine Truppe war mit Verpflegung versorgt und [zog aus, eine riesige] (14) Armee war mit Verpflegung versorgt [und es zog aus eine] mächtige [Truppe]. (15) Seine Armee war eine [starke] Macht, (16) dreihundert Myriaden. 278) (17) Sie gingen zu Tausenden (wie) ein Wolkenbruch (18) und zu Zehntausenden wie ein Frühregen. (19) Nach zweien gingen zwei, (20) nach dreien sie alle. (21) Der Alleinstehende schloß sein Haus, (22) die Witwe dingte (23) einen Söldner, der Kranke trug (24) das Bett, der Blinde (25) folgte auf der Spur (26) und es zog aus 279) der Neuverheiratete, (27) er überließ einem anderen seine Frau, (28) einem Fremden seine Geliebte. (29) Wie Heuschrecken bewohnten sie (30) das Feld, wie Grashüpfer den Rand (31) der Steppe. Sie gingen (32) einen Tag und einen zweiten. Nach (33) Sonnenuntergang 280) am dritten (34) errei[chten sie] das Heiligtum (35) der Ascherah von Tyros und (den Tempel) der (36) Göttin von Sidon. 281) (2) in

278. 279. 280. 281.

248

Der Text ist leicht verändert im Vergleich zu KTU 1.14 II 35-38. Die Form wybl ist wohl ein Schreiberversehen für wys3 . ˙ Zur Diskussion vgl. de Moor / Spronk, Passages (I), 165. Vgl. zu dieser Bezeichnung der Göttin Rahmouni, Epithets, 69-71. Aufgrund der jüngeren phönizischen sdnm-Belege ist eher von einem Plural bzw. Dual der Stadtnamen Tyros und Sidon als von ˙einer Benennung der Bewohner auszugehen; vgl. zuletzt M. G. Amadasi Guzzo, »Re dei Sidonii«?, in: O. Loretz / S. Ribichini / W. G. E. Watson / J. Á. Zamora (Hg.), Ri-

Texte aus Syrien

Dort (37) gelobte Kirta, der Edle: 282) wahr die Ascherah von Tyros ist, (39) und die Göttin von Sidon: (40) Wenn ich Hurriya (in) mein Haus (41) nehme, das Mädchen 283) eintreten lasse 284) (42) in meinen Hof, ihr Doppeltes an Silber 285) (43) will ich geben und ihr Dreifaches an Gold!« 286) (44) Er ging einen Tag und einen zweiten, (45) einen dritten, einen vierten Tag. (46) Nach Sonnenuntergang 287) am vierten (47) erreichte er Udummu, die Große, (48) und Udummu, die [Mä]chtige. (49) Er forderte die Stadt zum Kampf heraus, (50) bedrohte 288) den Ort, (51) er griff auf den Feldern seine Holzsamm[ler] 289) an (52) und auf den Tennen 290) die Ährensammlerinnen. (38) »So

V.

(1) Er

griff die vom Brunnen Schöpfenden an und die von der (2) Quelle Füllenden. (3) Er verhielt sich ruhig einen Tag und einen zweiten, [einen dritten] 291) (4) einen dritten, einen vierten Tag,

282.

283. 284. 285. 286.

287. 288. 289. 290. 291.

tual, Religion and Reason. Studies in the Ancient World in Honour of Paolo Xella (AOAT 404), Münster 2013, 257-265. Zum zeitgeschichtlichen Kolorit der Affaire im Tempel des Wettergottes von Sidon s. o. die Einleitung zur Frage der Datierung des Ilimilku. Dieser Titel des Königs Kirta steht in KTU 1.39,1 auch für die nach ihrem Tode vergöttlichten Könige; vgl. dazu del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 892 f. s. v. t2. Kirta wird schon zu ¯ Ruhm des lebenden Lebzeiten proleptisch mit diesem Titel ausgestattet. Vgl. dazu auch dem Kirta im Kreise der rapi3u¯ma in KTU 1.15 III 2-4 (s. u.). Die Form g˙lmt entspricht dem g˙lm-Bezeichnung des Kirta. Beachte die juristischen Konnotationen der Verben lqh und 2rb. ˙ Lies kspm; vgl. CAT z. St. Dieses Gelübde zog wegen seiner Nichterfüllung lebensbedrohliche Konsequenzen für Kirta nach sich. Für den Fall der Erfüllung hatte Kirta der Göttin Ascherah zum Dank eine Statue der Hurriya aus Gold und Silber gelobt. Die nächste Parallele zu diesem Gelübde findet sich in einem Gebet der Königin Puduhepa an die Sonnengöttin von Arinna, welches ein Gelübde an ˘ die Unterweltsgöttin Lelwani zugunsten des Königs Hattusˇili III. (ca. 1265-1240 v. Chr.) beinhaltet (CTH 384). Text und Übersetzung bei H. Otten, Puduhepa. Eine hethitische Königin in ihren Textzeugnissen (Akademie der Wissenschaften und der˘ Literatur Mainz. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse. Jahrgang 1975 Nr. 1), Wiesbaden 1975, 23 f. und A. Ünal, TUAT II, 1986-91, 816. Vgl. des Weiteren dazu Niehr, Königtum, 609 f. Zu weiteren bezeichnenden Beispielen für derartige Gelübde von Statuen vgl. etwa aus Altsüdarabien die Inschriften J 608 bei A. Multhoff, TUAT.NF 6, 2011, 342 f. und Mahram-Bilqı¯s 2 ˙ roi de Saba3 bei F. Bron, Une nouvelle inscription sabéenne du règne de Lahay2athat Yarkham, ˙ et dhû-Raydân, Sem 54 (2012) 81-89. Zur Diskussion vgl. de Moor / Spronk, Passages (I), 165. Lies: ˇsrnn; vgl. CAT z. St. S. o. zu III 8 mit Anm. 266. Lies: grnt; vgl. CAT z.St. Irrtümlicherweise doppelt geschrieben.

249

Herbert Niehr (5) einen

fünften, einen sechsten Tag. beim Sonnenuntergang 292) am siebten (7) da schlief nicht ein Pubalu, (8) der König, wegen des [lauten] Brüllens (9) seiner Jungstiere, wegen des lärmenden Schreiens (10) [seiner] Esel, [wegen des Brüllens] (11) der Pflugochsen, [wegen] des Bellens der (12) [Wa]chhunde. [Da]nn ri[ef] (13) [P]ubalu, [der König, la]ut (14) zu [seiner] Frau: »Höre doch, (15) [oh anmu]tige Frau, (16) [ ] Botschaft.« (6) Siehe,

Die Zeilen 16-29 sind für eine Übersetzung zu zerstört. Man kann annehmen, daß König Pubalu mit seiner Frau, der Mutter Hurriyas, spricht und sodann Boten mit einer Mission zu Kirta beauftragt.

Ein Auftrag des Königs Pubalu an seine Boten (30) »Richtet

[eure] Aufmerksamkeit [fürwahr] Ki[rta ins La]ger (32) und spr[echt zu Kirta], dem Edlen: (33) ›Botschaft [des Königs Pubalu]: (34) Nimm [Silber und gel]bes (35) Gold [nebst] seinem [Ort], (36) Leib[eigene, Kupfer], (37) Pfer[de, Streitwagen] (38) vom H[of (und) Gesinde]! (39) [Nimm, Kirta, Geschenke über] (40) Ge[schenke! Nicht greif an] (41) [Udummu, die Große, und Udummu], (42) [die Mächtige! Udummu ist eine Gabe] (43) [Els und ein Geschenk des Vaters des Menschen]. (44) [Entferne dich, König, von meinem Haus], (45) [geh weg, Kir]ta, von meinem Hof!‹« 293) (31) auf

Am Beginn dieser Kolumne fehlen ca. 4 Zeilen, in denen berichtet wird, wie die Boten zu Kirta kommen. Kirta weist ihr Angebot zurück und bringt sein wahres Anliegen nach einer Heirat mit Hurriya vor. VI.

(1) [z]u

[Kirta ins Quartier]. erhob[en ihre Stimme und riefen]: (3) »Botschaft [des Königs Pubalu]: (4) ›Nimm Si[lber und gelbes] (5) Gold [nebst seinem Ort], (6) und Leib[eigene, (2) Sie

292. Vgl. de Moor / Spronk, Passages (I), 165. 293. Alle Ergänzungen nach KTU 1.14 II 22-29.

250

Texte aus Syrien

Kupfer], (7) Pferde, Str[eitwagen] (8) vom Hof [(und) Gesinde]! (9) Nimm, Kirta, Ge[schenke über] (10) Ge[schenke]! Gre[if] nicht [an] (11) Udummu, die Große, und U[dummu], (12) die [M]ächtige! Udummu ist eine Gab[e] (13) Els, ein Geschenk des Vaters des [Men]schen. (14) Entferne dich, König, von meinem Haus, (15) geh weg, Kirta, von [meinem] Hof!‹« (16) Darauf antwortete Kirta, der Edle: (17) »Was soll ich mit Silber (18) und gelbem Gold (19) nebst seinem Ort, und mit Leib(20) eigenen, Kupfer, Pferden, (21) Streitwagen vom Hof, (22) (und) Gesinde? Aber das, was nicht ist (23) in meinem Haus, sollst du mir geben. Gib (24) mir die Frau Hurriya, (25) den anmutigen Sprößling, deine Erstgeburt! (26) Wie die Anmut der Anat ist ihre Anmut, (27) wie die Schönheit (28) der Astarte ist ihre Schönheit. (29) Ihre Pupillen sind Gemmen von Lapislazuli, (30) ihre Augäpfel sind Schalen von Alabaster. (31) Sie hat (mir) in meinem Traum El gegeben, (32) in meiner Vision der Vater des Menschen, (33) zu gebären einen Nachkommen für Kirta, 294) (34) und zwar einen Knaben für den Diener (35) des El.« Es kehrten zurück die Boten, (36) sie ließen sich nicht nieder. Dann richteten sie die Aufmerksamkeit (37) fürwahr auf Pubalu, (38) den König. Sie erhoben (39) ihre Stimmen und riefen: (40) »Botschaft des Kirta, des Edlen, (41) Wort des lieblichen [Knaben des El].«

2.2 Zweite Tafel (KTU 1.15)

Von Beginn der ersten Kolumne dieser Tafel fehlen ca. vierzig Zeilen. In diesen ist wohl von den Verhandlungen mit Kirta erzählt worden. Der erhaltene Text fährt mit dem Lob der Hurriya, fort. Sprecher sind die Boten des Königs Pubalu, die die Tugend der Hurriya hervorheben und ihr künftiges Fehlen betonen.

294. Schreibfehler; ein kaph zu viel, lies: krt.

251

Herbert Niehr

Lob der Hurriya VS

I.

(1) »Den

Hungrigen faßt sie an der Hand, Dürstenden faßt sie an der Hand. (3) Sollen unsere Diener sie (4) zu Kirta ins Lager bringen? 295) (5) (Wie) die Kuh muht nach ihrem Kalb, (6) das freilaufende Vieh nach ihren Müttern, (7) so klagen die Udumiter.« 296) (8) Da antwortete Kirta, der Edle: (2) den

Vom Beginn der zweiten Kolumne fehlen ca. zwanzig Zeilen. In diesen Zeilen ist wohl der positive Ausgang der Verhandlungen zwischen Kirta und Pubalu erzählt worden. Der erhaltene Text führt die Hochzeitsfeierlichkeiten auf, die im Segen des Gottes El für das neuvermählte Paar gipfeln.

Die Hochzeitsfeier II.

(2) [Kirta

lud ein E]l, den Stier, Aliy]anu Ba2al, (4) [ Tharru]manu, 297) Yarihu, den Prinzen, (5) [ Ko]tharu-wa-Hasisu, ˘ ˘ (6) [ ]Rahmayu, 298) Rasˇpu, den Prinzen, 299) ˙ (7) [also] die Versammlung der Götter in ihrer Dreiheit. 300) (8) [Da]rauf setzte Kirta, der Edle, einen Tür(9) [wächter] 301) in seinem Hause ein. (3) [

295. Etwas unsicher; vgl. Tropper, Grammatik 594 s. v. tkr. Alternativ dazu könnte man übersetzen: »Sie priesen (sie) und zogen zu Kirta ins Lager.« Vgl. dazu J. M. Hutten, An Areal Trend in Ugaritic and Phoenician and a New Translation of KTU 1.15 I 3, UF 35 (2003) 243-258. 296. So mit Tropper, Grammatik, 747 § 81.31; dagegen denken Dietrich / Loretz, Mythen und Epen, 1233 und del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 18 s. v. 3udm an zwei Orte mit Namen Udummu, was aber unwahrscheinlich ist. 297. Gottheit anatolischen Ursprungs; in Anatolien und Nordsyrien war Sˇarruma Sohn des Wettergottes Tesˇsˇob und der Göttin Hebat. 298. Entweder Epitheton der Ascherah˘ oder der Anat; vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 737 s. v. rhmy. Aufgrund von KTU 1.23,16.28 spricht sich M. S. Smith, The Rituals and Myths ˙ of the Godly Gods of KTU/CAT 1.23. Royal Constructions of Opposition, Interof the Feast section, Integration and Domination (SBL Resources for Biblical Study 51), Atlanta 2006, 58 für eine Göttin Rahmayu aus. ˙ Gottes Rasˇpu bei der Hochzeitsfeier überrascht nach seiner tödlichen 299. Die Anwesenheit des Rolle in der Einleitung des Epos (KTU 1.14 I 18-19), zeigt aber die dem Gott eigentümliche Ambiguität von todbringender und todes- bzw. krankheitsabwehrender Stärke; insofern kann Rasˇpu im Alten Orient auch als theophores Element von Personennamen auftreten. Diese Ambiguität des Gottes wird bei Lipin´ski, Reshep, 118 und Münnich, God, 126 völlig übersehen. 300. Es ist wohl eine dreifache Abstufung des Pantheons in El und Ascherah, in die Söhne des El und der Ascherah und in Ba2al und seinen Kreis gemeint; so Dietrich / Loretz, Mythen, 1234 Anm. 139. Kaum zutreffend del Olmo Lete, Mitos, 303 der an das dreifache Gewicht der Hurriya, welches Kirta der Göttin Ascherah gelobt hatte, denkt. 301. Vgl. dazu Greenstein, Readings, 109 f.

252

Texte aus Syrien

Den Eintritt (10) in sein [Ha]us gestattete er, aber den Ausgang gestattete er nicht. (11) [Nac]h dem Eintreffen der Götterversammlung 302) (12) [da] sprach Aliy[anu] Ba2al: (13) »[Mögest du] dich erheben, oh scharfsinniger (14) [El], oh Kluger! 303) Mögest du segnen (15) [Kirta], den Edlen, mögest du stärken den lieblichen (16) [Knaben] des El!« 304) Den Kelch ergriff (17) [El mit] der Hand, den Becher mit (18) [der Rech]ten. Ja, er segnete (19) [seinen Diener], es segnete El den Kirta, (20) [den Edlen, er stärk]te den lieb[lichen] Knaben des El: (21) »Die Frau, die [du nimm]st, oh Kirta, die Frau, (22) die du nimmst (in) dein Haus, [das Mä]dchen, das du betreten läßt (23) deinen Hof, wird dir sieben Söhne gebären, (24) und acht wird sie dir geben. 305) (25) Sie wird dir gebären den Knaben Yassubu, (26) der die Milch der A[st]arte 306) trinkt,˙˙ (27) der an den Brüsten der Jungfrau [Anat] saugt, (28) den Ammen [ ]. 307) Vom Beginn dieser Kolumne fehlen ca. 15 Zeilen. Die Rede des Gottes El geht weiter. Es ist zu vermuten, daß in ihr in Entsprechung zum Vorangehenden die neugeborenen Söhne des Kirta aufgezählt werden. Diese Aufzählung schließt mit einer Verheißung, die Kirtas Stellung bei den vergöttlichten Ahnen in der Unterwelt zum Thema hat. Darauf erfolgt die Verheißung der Geburt der Töchter.

Abb. 6: Statuette eines segnenden Gottes aus Ugarit

302. 303. 304. 305.

In der hier sehr gerafften Erzählweise wird das eigentliche Hochzeitsbankett übergangen. Zu diesen Epitheta des Gottes El s. o. Anm. 67. Vgl. auch KTU 1.17 I 23-25. Zu den Schwierigkeiten der Morphologie und der Lesung der Wurzel tmn(y) an dieser Stelle ¯ vgl. Tropper, Grammatik, 348 f. § 62.182.a. 306. Vgl. zur Lesung 2ttrt Greenstein, Readings, 110-112 und die Parallelnennung dieser beiden Göttinnen auch in¯ KTU 1.14 III 41-42. 307. Zum ikonographischen Hintergrund vgl. auf Abb. 7 das große Elfenbeinpaneel mit u. a. dem Motiv der stillenden Göttin aus dem Königspalast in Ugarit und dazu Cornelius / Niehr, Götter, 41 Abb. 65 und 60 f. Abb. 101a.b und 102a.b sowie J. Gachet-Bizollon, Le panneau de lit en ivoire de la cour III du palais royal d’Ougarit, Syria 78 (2001) 19-82, bes. 28-36 und dies., Les ivoires d’Ougarit (RSOu XVI), Paris 2007, 130-146.275-281.

253

Herbert Niehr

Abb. 7. Die Königssöhne werden von einer Göttin gestillt

III.

(2) »[

Hoch erhaben ist] 308) Kirta (3) [inmitten der rapi3u ¯ ma] der Unterwelt, (4) [in der versammelten] Schar des Ditanu. 309) (5) [Und sie w]ird sich anschicken, zu gebären (6) Töchter für dich: (7) Sie wird gebären das Mädchen Tp[ ]tu, (8) sie wird gebären das Mädchen T[ ]ru, (9) sie wird gebären das Mäd[chen ], (10) sie wird gebären das M[ädchen ], (11) sie wird gebären das M[ädchen ], (12) sie wird gebären das M[ädchen ]. (13) Hoch erhaben ist [Kirta] (14) inmitten der rapi3u ¯ ma der Unter[welt], (15) in der versammelten Schar des Ditanu. (16) Die Jüngste von ihnen mache ich zur Erstgeborenen.« 310) (17) Die Götter sprachen den Segen und gingen, (18) es gingen die Götter zu ihren Zelten, (19) die Versammlung des El zu ihren Wohnstätten.

Eintreffen der Verheißungen (20) Und (21) und

sie schickte sich an, ihm einen Sohn zu gebären, sie schickte sich an, ihm Söhne zu gebären.

308. Erg. nach Zeile 13-15. 309. Die Kinder des Königs Kirta sorgen auch für seine Bestattung und den königlichen Totenkult und verschaffen ihm somit eine entsprechende Stellung bei den vergöttlichten Ahnen. Vgl. auch KTU 1.161 für das Geleit des Totengeistes des Königs Niqmaddu IV. in die Unterwelt; Ilimilku kennt dieses Ritual wie auch KTU 1.5 VI 11-14.25 aus dem Ba2al-Zyklus zeigt. Die hier gewählte Form der Suffixkonjugation bringt den performativen Aspekt zum Ausdruck. 310. Zur juristischen Veränderung des Erstgeborenenstatus in Ugarit vgl. D. Pardee, RS 94.2168 and the Right of the Firstborn in Ugarit, in: W. H. van Soldt (Hg.), Society and Administration in Ancient Ugarit (PIHANS XIV), Leiden 2010, 94-106.

254

Texte aus Syrien (22) Siehe!

Im siebten Jahr die Söhne des Kirta wie sie verheißen worden waren, (24) auch die Töchter der Hurriya (25) wie sie (verheißen worden waren). (23) waren

Das vergessene Gelübde Aber es gedachte Ascherah (26) ihres Gelübdes und die Göttin [ihres Versprechens]. (27) Und sie erhob ihre Stimme und [rief]: (28) »Schau doch, fürwahr, Ki[rta, der Edle], (29) ändert [die] Gelüb[de ]. (30) Ich will brechen die Verpflichtung [ ] wie [ ]. Es fehlen ca. sieben Zeilen am Ende dieser Kolumne.

Vorbereitung des Gastmahls und Einladung der Noblen Es fehlen ca. fünf Zeilen vom Beginn dieser Kolumne. Kirta ist mittlerweile aufgrund des gebrochenen Gelübdes erkrankt und läßt die Noblen seines Landes einladen. Kolumne IV 1-28 stellt einen in einer Vision (?) ergangenen Auftrag an Kirta dar, die Kolumnen V und VI berichten die Ausführung des Auftrags. 311) RS

IV.

(2) »Mit

lauter Stimme [soll er fürwahr] zu [seiner Frau rufen]: [oh Dame Hurriya] 312): (4) Laß die Fettesten deines Mastviehs schlachten, 313) (5) laß die Weink[rü]ge öffnen, (6) laß meine 70 Stiere rufen, (7) meine 80 Gazellen, (8) die Stiere von Habura, der Großen, ˘ Mächtigen.‹ 314) (9) von Habura, der ˘ Die Zeilen 10-13 sind für eine sinnvolle Übersetzung zu zerstört. (3) ›Höre,

(14) Es

soll gehorchen die Dame [H]urriya. soll schlachten lassen die Fettesten ihres [Ma]stviehs, (16) sie soll öffnen lassen die Weinkrüge. (17) Zu ihm soll sie seine Stiere eintreten lassen, (15) Sie

311. So auch Drijver, Myths, 39 und Dietrich / Loretz, Mythen, 1237 f. Die Annahme eines zweiten Festmahls bei Caquot / Herdner / Sznycer, Mythes, 545-548 ist dagegen nicht überzeugend. 312. Ergänzt nach Zeilen 14-16. 313. Zum Status Constructus in elativischer Funktion vgl. Tropper, Grammatik, 844 § 91.314.1. 314. Zu den Noblen im spätbronzezeitlichen Syrien vgl. B. Solans, Poderes colectivos en la Siria del Bronce Final, Diss. Zaragoza 2011. Die Bezeichnung der Noblen des Landes als »Stiere« und »Gazellen« ist in ihrer Bedeutung nicht eindeutig. Soll sie mit dem Stier das Symboltier der Götter El und Ba2al und mit der Gazelle das Symboltier des Gottes Rasˇpu und somit deren göttliche Eigenschaften benennen?

255

Herbert Niehr (18) zu

ihm soll sie seine Gazellen eintreten lassen, Stiere von Habura, der Großen, ˘ Mächtigen. (20) von Habura, der ˘ (21) Das Haus des Kirta sollen sie betreten, (22) zum Sitz [ ], (23) zum Pavillon der Bitternis 315) sollen sie schreiten. (24) Sie sollen die Hand zum Becher ausstrecken, (25) das Messer sollen sie ins Fleisch legen. (26) [Und] es soll sprechen die Dame Hurriya: (27) ›[Zum Sp]eisen, zum Trinken habe ich euch gerufen, (28) [und zwar als Opfer 316) für] Kirta, euren Herrn.‹« (19) die

Von den Zeilen 29 und 30 ist nichts mehr lesbar. Bis zum Ende der Kolumne fehlen ca. 13 Zeilen. Der an Kirta ergangene Auftrag wird ausgeführt.

Das Gastmahl der Hurriya V.

(1) Sie

ließ schla[chten die Fettest]en ihres [Mastviehs], 317) ließ öffn[en die Weink]rüge. (3) Zu ih[m] ließ sie [seine] Stiere [ein]treten, (4) zu [ihm] ließ sie [eintre]ten [seine] Ga[zellen].

(2) sie

Von den Zeilen 5 und 6 ist zu wenig für eine Übersetzung erhalten. (7) [

] Die Hand zur Schale stre[ck]ten sie aus, Messer in] das Fle[isch] legten sie. (9) [Und es sprach] die Dame Hurriya: (10) »[Zum Es]sen, zum Trinken habe ich eu[ch] gerufen (11) [und zum] Segnen [ ].« (12) [Über] Kirta weinten sie (13) [wie] das Gebrüll von Stieren, (14) [ ] (wie) einen Toten beweinten sie (ihn) (15) [ ] und im Herzen begruben sie (ihn). (16) Am Anfang [ ] Toten [ ]. (8) [das

Rede der Noblen und Antwort des Kirta (17) »[K]irta

schließt sich El an, Sonnenuntergang sucht fürwahr auf (19) Kirta, den Weggang der Sonne (20) unser Herr. 318) Und es wird König sein (21) [Y]assubu über uns.« ˙˙ (18) den

315. So mit dem Keilschrifttext. Zu hm »Pavillon« vgl. Xella, Baal Hammon, 186 f.; del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 395˘s. v. ändern zu hm gr »Pavillon des Gastes«. ˘ 316. Zu dbh als Opfer für Verstorbene vgl. KTU 1.161,1. ˙ 317. Die Zeilen 1-4 sind nach Zeilen 15-18 ergänzt. 318. Diese Umschreibung des Todes eines Königs im Horizont seiner Divinisierung ist in der Literatur Ugarits nur hier belegt und deshalb in ihren Einzelzügen auch nicht verständlich.

256

Texte aus Syrien

Da a[nt]wortete (22) [Kir]ta, der Edle: »Über uns wird ein Junge (23) [König] sein.« Von hier ab wird der Text bis zur Zeile 29 unverständlich. Es fehlen sodann 18 Zeilen am Ende dieser Kolumne. VI.

hörten unverständlich aßen [sie] und tranken. (3) Da sprach die Dame Hurriya: (4) »Zum Essen (und) zum Trinken habe ich euch gerufen, (5) als Opfer für Kirta, euren Herrn.« (6) Zu Kirta traten sie hin, wie (7) das Gebrüll von Stieren war ihr Gebrüll. (8) In [ihren] Visionen war Kirta [to]t. (1) Sie

(2) Lange

Es fehlen ca. 40 Zeilen vom Ende dieser Tafel.

2.3 Dritte Tafel (KTU 1.16)

Ein Klagelied über Kirta, als dessen Sprecher die Kinder des Königs anzunehmen sind. Vermutlich sind die Kinder noch unter sich; erst im folgenden Abschnitt wird Kirta direkt angesprochen. VS

I.

(1) Zu

Kirta. 319) ein Hund in deinem Hause jaulen wir, wie ein Welpe (3) (an der) Opfergrube deines Totenheiligtums. 320)

(2) »Wie

319. Bibliothekstechnischer Hinweis wie in KTU 1.6 I 1, 1.14 I 1 und 1.19 I 1. 320. Zur Semantik von ap (»Opfergrube«) und hsˇt (»Totenheiligtum«) vgl. O. Loretz, Der ugari˘ tische architektonische Begriff hsˇt »Totenheiligtum«, UF 33 (2001) 377-385; ders., Ugaritisch ˘ 3ap (III) und syllabisch-keilschriftlich abi/apu als Vorläufer von hebräisch 3ab/3wb Ugaritisch 3ap3ôb »(Kult/Nekromantie)Grube«. Ein Beitrag zur Nekromantie und Magie in Ugarit, Emar und Israel, UF 34 (2002) 481-519; ders., Hurr./akk. a¯bi = ug./heth.3ab/3wb »Totengeist(er)Grube« mit Hundeopfer, UF 37 (2005) 441-443; zu den Hundeopfern für die Unterweltsgottheiten am ap vgl. M. Kelly-Buccellati, Ein hurritischer Gang in die Unterwelt, MDOG 134 (2003) 131-148 und M. Dietrich / O. Loretz, Hunde im ap des königlichen ›Mausoleums‹ nach dem ugaritischen Keret-Epos, in: D. Groddek / S. Rößle (Hg.), Sˇarnikzel. Hethitologische Studien zum Gedenken an Emil Orgetorix Forrer (19. 02. 1894 – 10. 01. 1986) (DBH 10), Dresden 2004, 253-261; zu den archäologischen Gegebenheiten in der Königsgruft des Palastes von Ugarit vgl. H. Niehr, The Topography of Death in the Royal Palace of Ugarit. Preliminary Thoughts on the Basis of Archaeological and Textual Data, in: J.-M. Michaud (Hg.), Le Royaume d’Ougarit de la Crète à l’Euphrate. Nouveaux Axes de Recherche (POLO 2), Sherbrooke / Québec 2007, 219-242; zur Königsbestattung in Ugarit auf der Basis von Archäologie und schriftlicher Überlieferung vgl. H. Niehr, Ein König wird zum Gott. Bestattung und Nachleben der Herrscher von Ugarit, AW 37 (2006) 47-52; ders., Königsbestattung; ders., Bestattung und Nachleben der Könige von Ugarit im Spiegel von Archäologie und Literatur, in: A. Lang / P. Marinkovicˇ (Hg.), Bios – Cultus – Immortalitas. Zu Religion und Kultur – Von den biologischen Grundlagen bis zu den Jenseitsvorstellungen. Beiträge der interdisziplinären Kolloquien vom 10.-11. März 2006 und 24.-25. Juli 2009 in

257

Herbert Niehr

Abb. 8: Blick auf die Königsgruft im Palast von Ugarit mit Dromos und ap-Grube

Aber, Vater, wirst du wie 321) die Menschen (4) sterben? Wehe, dein Totenheiligtum wird zur (5) Klage, (zum) Klagelied einer Frau, oh Vater, die Höhe! 322) (6) Es wird dich beweinen, Vater, der Berg des Ba2al, (7) der Saphon, die heilige Festung, 323) ˙ die mächtige Festung, (8) Nanay, der Ludwig-Maximilians-Universität München (Internationale Archäologie 16), Rahden 2012, 145-156. 321. Entweder Fehler im Keilschrifttext, da in Z. 17 und in Kolumne II 40 k steht, oder ik vgl. Tropper, Grammatik 773 § 82.314. 322. Vgl. zum Textverständnis O. Loretz, Ugaritisch 2tq I-II, 2tq und hebräisch 2tq in Ps 6,8, UF 33 (2001) 303-324, bes. 320 f. Man beachte in den Zeilen 1-6 die poetischen Stilmittel und das Spiel mit ap »Grube«, ap »aber«, ab »Vater«, mt »Mensch«, mwt »sterben«, 2tq »jaulen« und 2tq »werden/klagen«. 323. Der Gott Ba2al wurde auf dem Berg Saphon bestattet; vgl. KTU 1.6 I 1-29. ˙

258

Texte aus Syrien (9) die

weitgespannte Festung. 324) ist Kirta ein Sohn des El, ein Nachkomme (11) des Scharfsinnigen und Heiligen.«

(10) Doch

Der Sohn Ilhu kommt zu seinem Vater und stimmt die Totenklage über ihn an ˙ Zu (12) seinem Vater trat er ein, 325) er weinte (13) und knirschte mit den Zähnen und sprach, (14) wobei er weinte: »Über dein Leben, unser Vater, freuen wir uns, 326) (15) deine Unsterblichkeit bejubeln wir. Wie ein Hund (16) in deinem Haus jaulen wir, wie ein Welpe (17) an der Opfergrube 327) deines Totenheiligtums. Aber, Vater, wirst du wie die Menschen (18) sterben? Wehe, dein Totenheiligtum wird (19) zur Klage, (zum) Klagelied einer Frau, oh Vater, die Höhe! (20) Wie kann man sagen: Ein Sohn Els ist (21) Kirta, ein Sproß des Scharfsinnigen (22) und Heiligen? Wehe, es sterben Götter, (23) der Sproß des Klugen lebt nicht mehr!« Reaktion des Königs Kirta (24) Da

antwortete Kirta, der Edle: Sohn, weine nicht, (26) trauere nicht um mich, erschöpfe nicht, mein Sohn, (27) die Quelle deiner Augen, das Wasser 328) deines Hauptes (28) (für) Tränen. Rufe deine Schwester, (29) Titmanatu, 329) die Tochter mit ihrer starken Wärme. 330) (25) »Mein

324. Der Nanay (= Anticasius) ist eine Erhebung auf dem Saphon-Massiv, der hier im Parallelis˙ mus zum Saphon (= Casius) genannt wird. Zur Geographie vgl. del Monte/Tischler, Orts˙ und Gewässernamen 6, 106 f.; P. Bordreuil, À propos de la topographie économique de l’Ougarit: Jardins du Midi et pâturages du Nord, Syr 66 (1989) 263-274, bes. 269-274; ders., La citadelle sainte du Mont Nanou, Syr 66 (1989) 275-279; Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 205. 325. Fehler im Keilschrifttext; mit CAT z.St. ist y2rb statt y2rs zu lesen. Das Subjekt ist Ilhu (s. u. ˙ Z. 46), bei dem es sich um einen jüngeren Bruder des Kronprinzen Yassubu handelt. ˙ 326. Fehler im Keilschrifttext; mit CAT z.St. ist wegen des Parallelverbs ngln˙ ˙auch nsˇmh statt asˇmh ˘ ˘ zu lesen. 327. Fehler im Keilschrifttext; lies wie in Z. 3 und 39 ap statt at; vgl. CAT z.St. 328. So der Keilschrifttext; besser CAT z.St.: my »Wasser« wegen des Parallelismus mit qr »Quelle«. 329. Der Name wird aufgrund des Anklangs an die Zahl »acht« (tmnt) gerne als »Octavia« (»die ¯ Achte«) verstanden; so etwa Gordon, Krt, 48; Caquot / Sznycer / Herdner, Mythes, 489 f.; Greenstein, Kirta, 10.45 Anm. 73; ders., Readings, 113. Zweifel daran äußert Sasson, Progression, 185. 330. So mit Tropper, Grammatik, 215 § 41.221.116 und ders., Wörterbuch, 45 s. v. hmhmt. ˙ ˙

259

Herbert Niehr (30) Sie wird weinen und klagen über mich. Erhebe dich. (31) Danach sage es nicht 331) deiner Schwester, (32) sag[e (es)] bei Nacht; denn deine Schwester ist, (33) (wie) ich weiß, mitleidig. (34) Sie soll nicht im Feld ihr Wasser ausgießen, (35) auf der Höhe den Ausgang ihres Inneren. ˇ apsˇu (36) Erwarte den Untergang der Herrin (37) S (38) großen Lichtes. und das Ausbleiben des Dann sprich zu deiner Schwester (39) Titmanatu: ›Kirta feiert ein (40) Opferfest, der König gibt (41) ein Bankett. Nimm dein Tamburin 332) in deine Hand, (42) deine [Tr]ommel 333) in deine Rechte! (43) Wohlan, singe auf den Höhen! (44) Als ein Gelübde 334) bringe Silber, (45) und Gold als dein Geschenk für alle (Götter)!‹«

Ilhu führt den Auftrag aus ˙ (46) Daraufhin ergriff der Held Ilhu (47) seine [L]anze mit der Hand, ˙ (48) seinen [S]peer mit der Rechten (49) [und] näherte sich im Lauf. (50) Als er dort angekommen war, wurde es dunkel. (51) Seine Schwester war zum Wasserschöpfen ausgegangen. (52) Seine Lanze stellte er ab, 335) ihr Blick vom Tor (53) kam heraus. Sobald sie ihren Bruder sah, (54) ließ sie ihren Krug auf dem Boden zerbrechen. (55) [Vor] ihrem Bruder weinte sie: (56) »[ ] ist krank der König, (57) [leidet etwa], Kirta, dein Herr?« (58) [Da antwortete] der Held Ilhu: (59) [»Nicht ist] krank der König,˙ (60) [nicht leidet K]irta, dein Herr. 331. Vgl. zur Diskussion von 3al als »nicht« oder »fürwahr« an dieser Stelle Caquot / Sznycer / Herdner, Mythes, 553 Anm. o. 332. Gegen CAT z.St. ist mit Greenstein, Readings, 112 f. tp zu lesen; vgl. ders., Kirta, 46 Anm. 122. 333. Gegen CAT z.St. ist mit Greenstein, Readings, 112 f. [m]rqstk zu lesen; vgl. ders., Kirta, 46 ˙ Anm. 123. 334. So mit Greenstein, Kirta, 32.46 Anm. 124 und ders., Readings, 114. Hierin dürfte eine Aufnahme des Motivs vom nicht erfüllten Gelübde des Königs Kirta vorliegen, wofür auch die Nennung von Silber und Gold spricht. 335. Unklar ist tl als »Türschwelle«, »Ständer« oder »Hügel«.

260

Texte aus Syrien (61) [Kirta] (62) [der

feiert ein Opferfest, König] gibt ein Bankett.« 336)

Die Zeilen 1-16 sind weitestgehend zerstört. Erst ab Zeile 17 ist wieder ein sinnvoller Text zu erkennen. In den verlorenen Zeilen muß Titmanatu von der schweren Krankheit ihres Vaters erfahren haben.

Titmanatu befragt ihren Bruder II.

(17) Sie

näherte sich dem Bruder [und fragte ihn:] hast du mich hintergangen? [ ], (19) Wie viele Monate ist es, daß kra[nk ist], (20) wie viele, daß leidend ist Kir[ta]?« (18) »Warum

Antwort des Bruders (21) Da

antwortete der Held [Ilhu]: ˙ Monate ist es, daß kra[nk ist], (23) vier, daß leidend ist K[irta]. (24) Vielleicht hat Kirta [den Untergang] erreicht (25) und ist bestattet.« (22) »Drei

Reaktion der Schwester Sie schluchzte mit l[auter Stimme], (26) sie schluchzte, erhob [ihren] Schr[ei] (27) wie Klageweiber (am) Tor [ ], (28) wie Frauen, die kreißen [ ]. Die Zeilen 29-32 sind bis auf wenige Worte unverständlich. [Vor dem] Ilhu weinte sie, die [Sti]mme˙ (34) erhob sie, sie schluchzte, erhob einen Schrei, (35) sie weinte und knirschte mit den Zähnen, erhob (36) weinend ihre Stimme: »An deinem Leben, unser Vater, (37) freuen wir uns, deine Unsterblichkeit bejubeln wir. (38) Wie ein Hund in deinem Haus jaulen wir, (39) wie ein Welpe an der Opfergrube deines Totenheiligtums. (40) Aber, Vater, wirst du wie die Menschen sterben? (41) Wehe, dein Totenheiligtum wird zum Weinen, (42) (zum) Klagelied einer Frau, oh Vater, die Höhe! (43) Wehe, es sterben Götter, der Sproß (44) des Scharfsinnigen lebt nicht mehr! (32)

(33) Helden

336. Die Ergänzungen sind dem Kontext angepaßt.

261

Herbert Niehr

Es wird dich beweinen, 337) (45) Vater, der Berg des Ba2al, der Saphon, (46) die heilige Festung, ˙ die mächtige Fes[t]ung, Nanay, (47) die weitgespa[nn]te Festung. (48) Doch ist Kirta ein Soh[n des El], (49) ein Sproß des Scharfsinnigen [und Heiligen].«

Titmanatu kommt zu ihrem Vater Kirta (50) Weinend (51) sie

trat sie [bei ihrem Vater] ein, betrat das Ge[mach des Kirta].

Der weitere Text ist bis zur Zeile 60 bis auf wenige Zeichen zerstört. Die ca. drei letzten Zeilen der Kolumne fehlen vollständig. Vom Beginn der dritten Kolumne fehlen ca. 30 Zeilen. Angesichts von Dürre und Not im Lande wird von einer unbekannten Person, vermutlich einem Beschwörungsspezialisten, ein Akt sympathetischer Magie vollzogen sowie ein Gott mit der Bitte um Hilfe angesprochen. III.

(1) Er

goß Öl in eine Schale und er spra(2) ch: »Durchziehe Erde und Himmel! (3) Wende dich zu den Enden des Landes, (4) schau zum Ende des Fruchtlandes. (5) Für die Erde sei der Regen des Ba2al, (6) und für das Feld der Regen des Höchsten. (7) Angenehm sei für das Land der Regen des Ba2al, (8) und für das Feld der Regen des Höchsten. (9) Angenehm sei er für den Weizen in der Furche, (10) im gepflügten Land wie Spezereien, (11) auf den Furchen wie eine Krone«. (12) Es erhoben die Pflüger ihr Haupt (13) zur Höhe (schauten) die Diener des Dagan. Zur Neige gegangen war (14) das Brot in ihren Vorratsräumen, zur Neige gegangen war (15) der Wein in ihren Schläuchen, zu[r N]eige gegangen war (16) das Öl in ihren K[rügen]. (17) Das Haus des Kirta [ ]. Es fehlen ca. 14 Zeilen von dieser Kolumne, sowie vier weitere Zeilen am unteren Rand.

El ruft seinen Herold Vom Beginn dieser Kolumne fehlen ca. 16 Zeilen. Dem Gott, den der Beschwörer um Hilfe gebeten hatte, wird wohl durch einen Boten ein Wort des Gottes El mitgeteilt. Es soll eine Götterversammlung einberufen werden. 337. Ergänzt nach KTU 1.16 I 6-12.

262

Texte aus Syrien RS

IV.

(1) »El

hörte dein Wort [ ]. El bist du weise, wie der Stier bist du scharf[sinnig]. (3) Rufe den Herold Els, Ilis ˇu, Ili[sˇu], 338) (4) und seine Frau, die Heroldin [der G]öttin.« (5) Unverständlich. (6) Er rief den Herold Els, Ilis ˇu, (7) Ilis ˇu, den Herold des Hauses Ba2als, (8) und seine Frau, die Heroldin der Göttin. (9) Dann sprach der scharfsinnige El, der Klu[ge]: (10) »Höre, oh Herold Els, Ili[s ˇu], (11) Ilis ˇu, Herold des Hauses Ba2als, (12) und deine Frau, die Heroldin der Göttin: (13) Begebt euch auf die Zinne der Gebäude, (14) auf die Brüstung der Terrasse. 339) (15) Dreimal in gleicher Weise unverständlich (16) [ ] vom Berg ruft mit lauter Stimme (17) [ ] hoch (?)!« (2) Wie

Vom Ende dieser Kolumne fehlen ca. 27 Zeilen.

Die Götterversammlung tagt Von den ersten neun Zeilen der folgenden Kolumne sind nur wenige Worte erhalten. Aus diesen Zeilen läßt sich auf das Zusammentreten einer Götterversammlung schließen, in der das Gelübde des Kirta ein Thema ist, da sich die Angaben »ihr Zweifaches« und »ihr Dreifaches« in den Zeilen 8-9 auf dieses Gelübde beziehen. Vermutlich ist das Gelübde in der Zwischenzeit erfüllt worden, so daß der Gott El jetzt die Heilung Kirtas in die Wege leiten kann. V.

(1) Es

trat [ein ] trat [ein ] (3) Es trat ein [ ] (4) Und er [ ] (5) In der Versammlung [ ] (6) Oh Ascherah, [ ] (7) Durch dich [ ] (8) Ihr Zweifaches [ ] (9) Ihr Dreifaches [ ] [Da sprach] (10) der scharfsinnige E[l, der Kluge: »Wer] (11) von den Göttern [entfernt die Krankheit], (12) vertreibt das L[eiden?« (2) Es

338. Es fehlt hier die Apposition »den Herold des Hauses Ba2als«, s. u. Zeile 7; zu Ilisˇu vgl. Rahmouni, Epithets, 64-66.236 f. 339. So mit Tropper, Wörterbuch, 81 s. v. msˇpy.

263

Herbert Niehr

Keiner unter den Göttern] (13) antwortete ihm. Ein zw[eites, ein drittes Mal] (14) sprach er: »Wer von [den Göttern entfernt] (15) die Krankheit, vertreib[t das Leiden?«]. (16) Keiner von den Göttern a[ntwortete ihm. Ein viertes], (17) ein fünftes Mal sprach er: »We[r unter den Göttern] (18) entfernt die Krankheit, ver[treibt das Leiden?«] (19) Keiner unter den Göttern antwort[ete ihm]. Ein sechstes, (20) ein siebtes Mal sprach er: »[Wer] unter den Göttern (21) entfernt die Krankheit, vertreibt das Leiden?« (22) Keiner 340) unter den Göttern antwortete ihm. (23) Da antwortete der scharfsinnige El, der Kluge 341): (24) »Kehrt zurück, meine Söhne, zu euren Wohnsitzen, (25) zu den Thronen eu[rer] Prinzenschaft. Ich (26) werde mich zum Handwerker machen, ich werde erschaffen, (27) erschaffen werde ich eine, die entfernt die Krankheit, die vertreibt (28) das Leiden.« Er füllte [seine] Handfläche (29) mit gutem Ton, L[ehm] kniff er ab. (30) Die in der Versammlung [ ]r. Von hier bis zum Ende der Kolumne sind die Zeilen 30-52 für eine sinnvolle Übersetzung zu zerstört. Am Ende der Kolumne fehlen ca. acht Zeilen. Unter inhaltlichen Gesichtspunkten geht es in diesem Text um die Erschaffung eines Wesens namens Sˇa2ataqatu (»die Vertreiberin«). Dieser Schöpfungsakt schließt mit einer Rede des Gottes El an die Vertreiberin, mit der die folgende Kolumne eröffnet wird. VI.

(1) »[Mo]tu

soll der sein, der vernichtet wird, Sˇa2ataqatu 342) diejenige, die (2) siegt.« Dann ging Sˇa2ataqatu fort. (3) Das Haus Kirtas betrat sie, sie betrat es,

340. Fehler im Keilschrifftext, lies mit CAT z.St. in für hn. 341. Fehler im Keilschrifttext, lies mit CAT z.St. d für b. 342. Es gibt im Wesentlichen zwei Erklärungen dieses Namens. Der ersten zufolge ist er von 2tq »vorbeigehen« abgleitet und steht für die »Vertreiberin«; vgl. etwa Gordon, Textbook, 462 und Greenstein, Kirta, 47 Anm. 154. Der zweiten zufolge steht akkadisch sˇu¯tuqu »die Erhöhte« im Hintergrund des Namens; so etwa Tropper, Kausativstamm, 90 f. und Watson, Goddesses, 56. Auch wenn dieser Titel in Ugarit mit RIH 78/12,4-5 belegt ist, so scheint mir aufgrund des Kontextes des Kirta-Epos die erste Erklärung sachgemäßer zu sein. Zur dieser gesamten Episode vgl. Th. J. Lewis, The Sha2tiqatu Narrative from the Ugaritic Story about the Healing of King Kirta, JANER 13 (2003) 188-211 und ders., The Identity and Function of Ugaritic Sha2tiqatu: A Divinely Made Apotropaic Figure, JANER 14 (2014) 1-28.

264

Texte aus Syrien (4) weinend

begab sie sich dorthin und ging hinein, trat sie ein. Von (6) der Stadt vertrieb sie [sein] Schick[sal], 343) (7) vom Ort vertrieb sie den Feind. (8) Mit dem Stab schlug sie eine Öffnung, wenn (9) die Krankheit auf seinem Kopf war, (10) und wiederholt wusch sie ihn vom Schweiß. (11) Seine Kehle öffnete sie zum Essen, (12) seine Speiseröhre zum Speisen. (13) Motu war derjenige, der vernichtet war, Sˇa2ataqatu, (14) diejenige, die siegreich war. (5) klagend

Kirta erholt sich und regiert wieder Es erteilte Anordnungen (15) Kirta, der Edle, er erhob seine Stimme (16) und rief: »Höre, oh Dame (17) Hurriya, lasse ein Lamm schlachten, (18) damit ich esse, ein Schlachttier, daß ich es verspeise.« (19) Es gehorchte die Dame Hurriya. (20) Sie ließ ein Lamm schlachten und [er] aß, 344) (21) ein Schlachttier, und er speiste. Siehe, ein Tag (22) und ein zweiter: Es kehrte Kirta zurück zu seinem Thronraum, (23) er setzte sich auf den Königsthron, (24) auf den Sitz, auf den Thron der Herrschaft.

Beginn der Revolte (25) Auch

Yassubu kehrte in den Palast zurück ˙ 345) sagte ihm: sein˙Inneres (27) »Geh zu deinem Vater, Yassubu, ˙˙ sprich, geh (28) [zu] deinem [Va]ter und (29) Ki[rta, deinem Herrn:] wiederhole ›Gib Ach[t] (30) und [laß dein Ohr aufmerken: Wenn Räuber rauben], 346) (31) sprichst du (nur) und [A]ngreifer [nimmst du auf 347)]. 348) (32) Du läßt deine Hände in Untätigkeit sinken. (33) Nicht verschaffst du Recht der Witwe, (26) und

343. 344. 345. 346. 347. 348.

Mit CAT z.St. ist mhntih zu lesen. Fehler im Keilschrifttext; lies ylhm statt lhm. ˙ Sonst gngn »Inneres«; vgl. KTU˙ 1.4 VII 47-49; zu ggn vgl. noch KTU 1.92,16. Ergänzt nach den Zeilen 42-43. Vgl. Tropper, Wörterbuch, 136. Ergänzt nach Zeile 44. Es geht bei diesem Vorwurf darum, daß der König seine militärischen Pflichten vernachlässigt; vgl. Caquot / Sznycer / Herdner, Mythes, 492.

265

Herbert Niehr (34) nicht

entscheidest du den Fall der Unglücklichen. 349) eine Schwester ist (dir) das Krankenbett, (36) (wie) eine Frau (dir) das Siechenlager. (37) Steig herab vom Königsein, König sein will ich, (38) von deiner Herrschaft, thronen will ich!‹«

(35) Wie

Yassubu und sein Vater ˙˙ (39) Es brach auf der Knabe Yassubu. ˙˙ Bei (40) seinem Vater trat er ein, er erhob seine Stimme (41) und rief: »Höre doch, oh Kirta, (42) Edler, gib Acht und laß dein Ohr aufmerken 350): (43) Wenn die Räuber rauben, sprichst du (nur) (44) und Angreifer nimmst du auf. Du läßt (45) deine Hände in Untätigkeit sinken: Nicht verschaffst du (46) Recht der Witwe, nicht entscheidest du den (47) Fall der Unglücklichen, nicht vertreibst du (48) den Räuber vom Armen. Vor dir (49) läßt du die Waise nicht essen, noch hinter (50) dir die Witwe. Wie (51) eine Schwester ist dir das Krankenbett, (wie) eine Verwandte (52) das Siechenlager. 351) Steig herab vom Königsein, (53) König sein will ich, von deiner Herrschaft, thronen (54) will ich!« Kirta verflucht seinen Sohn Da erwiderte Kirta, der Edle: »Es zerbreche (55) Horon, oh Sohn, es zerbreche Horon, (56) deinen Kopf, Astarte-Name-des-Ba2al, 352) (57) deinen Schädel. 353) 349. Zur Verantwortung des Königs für die personae miserae vgl. Loretz, Götter, 337-394. 350. Vgl. Gzella, Notes, 531 s. v. udm und 563 s. v. yqg˙. 351. Man beachte die Parallele von Vernachlässigung der königlichen Pflichten und dem Ausbrechen einer schweren Krankheit beim König als Zeichen der ausbleibenden Gunst der Götter. 352. Dieselbe Fluchformel begegnet auch in KTU 1.2 I 8. Zum Gott Horon vgl. etwa U. Rüterswörden, Art. Horon, in: DDD, Leiden 21999, 425 f. und zu dem hier vorliegenden Fluch vgl. N. Wyatt, ›May Horon Smash Your Head!‹ : a Curse Formula from Ugarit, in: G. del Olmo Lete / L. Feliu / A. Millet Albà (Hg.), Sˇapal tibnim mû illaku¯. Studies Presented to Joaquín Sanmartín on the Occasion of His 65th Birthday (AulOrS 22), Barcelona 2006, 471-479. Zum Typ von Göttinnen wie »Astarte-Name-des-Ba2al vgl. den in Anm. 96 genannten Artikel von C. Bonnet, Le visage et le nom. Zum ugaritischen Kontext vgl. Th. J. Lewis, 2Athtartu’s Incantations and the Use of Divine Names as Weapons, JNES 70 (2011) 207-227. Daß die Göttin Astarte auch mittels ihres eigenen Namens siegreich sein konnte, zeigt der Hymnus RIH 98/102; vgl. D. Pardee, Preliminary Presentation of a New Ugaritic Song to 2Attartu (RIH 98/02), in: K. L. Younger (Hg.), Ugarit at Seventy-Five, Winona Lake 2007, 27-39.¯ 353. Fehler im Keilschrifttext; lies mit CAT z.St. qdqdk anstatt qdqr.

266

Texte aus Syrien

Du mögest niederfallen auf der Höhe (58) deiner Jahre, wegen deiner Gier sollst du gedemütigt werden!« Linker Rand:

Schreiber ist Ilimilku, der Beschwörer.

Es fehlt eine letzte Tafel, auf der erzählt wird, wie sich die Auswirkung der Verfluchung des Kronprinzen Yassubu durch König Kirta gestaltet und wie seine Tochter Titmanatu ˙˙ den Thron übernimmt.

3. Das Epos über Prinz Aqhatu (KTU 1.17-1.19) Hatte die ältere Forschung den Titel des Epos nach seinen Protagonisten Dan3ilu 354) oder Aqhatu benannt,355) so orientiert sich die heutige Forschung an dem Bibliotheksvermerk »Zu Aqhatu« (laqht) auf der dritten Tafel des Werkes (KTU 1.19 I 1) und spricht vom Aqhatu-Epos. Das Aqhatu-Epos erzählt vom Schicksal einer Königsfamilie angesichts eines fehlenden Thronnachfolgers sowie vom Problem des vorzeitigen Todes des Kronprinzen. König Dan3ilu bittet die Götter um einen Sohn, den er in der Gestalt des Aqhatu auch erhält. Nach der Unterlassung der Übergabe der Erstbeute an den Tempel der Anat, vor allem aber nach einem Streit mit der Göttin Anat, im Verlaufe dessen Aqhatu die Göttin beleidigt und er sich ihren Zorn zugezogen hatte, verliert Aqhatu durch ein Mordkomplott der Göttin sein Leben. Im Hintergrund dieser Episode steht das Motiv vom Jagdfrevel, den die Göttin der Jagd mit dem Tode des Jägers bestraft. 356) Nach mühevoller Suche wird der Leichnam des Aqhatu geborgen und bestattet. Seine Schwester Pughatu schickt sich sodann an, die Rache am Mörder ihres Bruders zu vollziehen. Die auf die drei Tafeln des Aqhatu-Epos folgende Tafel mit den sog. rapi3u¯ma-Texten (KTU 1.20-22) läßt erkennen, daß Dani3lu wieder einen Sohn bzw. einen Enkel erhält und somit die königliche Thronnachfolge gesichert ist. 357) Somit ist deutlich, daß trotz des Todesfalles in der Königsfamilie das Königtum als Institution erhalten bleibt. Dabei wird gerade im Aqhatu-Epos klar, daß die verstorbenen Mitglieder des Königshauses nach ihrem Tode zusammen mit dem Gott Ba2al zum Neujahrsfest aus der Unterwelt zurückkehren (KTU 1.17 VI 26-33) und Opfergaben empfangen, ein Motiv, das auch in den rapi3u¯ma-Texten (KTU 1.20-22) begegnet. Wie bereits im Kirta-Epos (KTU 1.14-1.16) geht es auch im Aqhatu-Epos nicht um 354. So etwa Ch. Virolleaud, La légende phénicienne de Danel. Texte cunéiforme alphabétique avec transcription et commentaire, précédé d’une introduction à l’étude de la civilisation d’Ugarit. Mission de Ras Shamra I (BAH 21), Paris 1936. 355. So etwa Th. Gaster, The Story of Aqhat, SMSR 12 (1936) 126-149; ders., The Story of Aqhat, SMSR 13 (1937) 25-26; ders., The Story of Aqhat, SMSR 14 (1938) 212-215. 356. Vgl. P. Xella, Una »rilettura« del poema di Aqhat, in: Ders., Problemi del Mito nel Vicino Oriente Antico (SAION 7,2), Neapel 1976, 61-91, hier 71 f.81-85 und J.-M. Husser, Adonis et le chasseur tué: chasse et érotisme dans les mythes ougaritiques, in: J.-M. Michaud (Hg.), Le Royaume d’Ougarit de la Crète à l’Euphrate. Nouveaux Axes de Recherche (POLO 2), Sherbrooke 2007, 545-565. 357. S. u. Nr. 4.

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einen König aus Ugarit, sondern um den Herrscher Dan3ilu von Harnamu und seine Familie. Hinter dem Ortsnamen Harnamu hat man zu Recht den Ort Hermel in der nördlichen Beqa2 erkannt. 358) Der Name Dan3ilu begegnet insofern auch nicht in den Königslisten von Ugarit, ist allerdings bislang in Texten außerhalb von Ugarit ebensowenig belegt. Dies führte dazu, daß man in der Forschung Dan3ilu den Königstitel hat absprechen wollen.359) Dagegen sprechen allerdings mehrere Indizien des Aqhatu-Epos: So kümmert sich Ba2al, der Schutzgott der Dynastie, um Dan3ilu und El segnet ihn (KTU 1.17 I. 2324.34-35). Sodann stehen dagegen Dan3ilus Bezeichnungen »Mann aus Harnamu« (KTU 1.17 I 12.18.36-37 u. ö.) und »Mann des Rapi3u« (KTU 1.17 I 1[erg.].17.35.37 u. ö.), seine richterliche Tätigkeit in der Versammlung der Vornehmen (KTU 1.17 V 5-8), seine Nähe zu den rapi3u¯ma (KTU 1.20-22) wie auch die Nennung seines Palastes (KTU 1.17 I 26.43; II 25 u. ö.). Die enge Verbindung zwischen Götterwelt und Königtum zeigt sich zunächst an den Kontakten zwischen den Göttern und dem König. So im Inkubationstraum des Königs (KTU 1.17 I 12-19), dem Segen des Göttervaters El über den König (KTU 1.17 I 23-37), dem Beistand der Kotharatu bei der Geburt des Kronprinzen (KTU 1.17 II 26-42), dem Anfertigen eines Bogens für den Kronprinzen durch Kotharu (KTU 1.18 V 9-39), aber auch am Neid der Göttin Anat auf den Bogen des Aqhatu (KTU 1.17 VI 9-32). Über diese Konstellationen hinaus werden König Dan3ilu, der Kronprinz Aqhatu und die Königstochter Pughatu wie Götter inszeniert: Dan3ilu hat keine Kinder so wie Ba2al keinen Palast hat (vgl. KTU 1.17 I 17-20 mit KTU 1.3 IV 46-48; V 38-39; 1.4 I 9-11 u. ö.), er reagiert auf eine freudige Botschaft so, wie dies auch von El ausgesagt wird (vgl. KTU 1.17 II 8-14 mit KTU 1.6 III 14-19), er erschrickt wie die Götter in Erwartung einer schlechten Nachricht (vgl. KTU 1.19 II 44-47 mit KTU 1.3 III 3235; 1.4 II 16-20) und er erhält sein Pferd gesattelt wie die Göttin Ascherah (vgl. KTU 1.19 II 1-11 mit KTU 1.6 III 14-19). Der Kronprinz Aqhatu wird nach seinem Tode wie der Gott Ba2al »in der Grube der Götter der Unterwelt« beigesetzt (vgl. KTU 1.19 II 5-6 mit KTU 1.6 I 17-18). Die Prinzessin Pughatu schreitet wie Kotharu-wa-Hasisu ˘ auf (vgl. KTU 1.19 I 25-28 mit KTU 1.17 V 9-11), sie bereitet sich wie die Göttin Anat den Kampf vor (vgl. KTU 1.19 IV 41-43 mit KTU 1.3 IV 45-46) und sie wird von den Mördern ihres Bruders für die Göttin Anat gehalten (KTU 1.19 IV 50-52). Diese Beispiele belegen darüber hinaus die literaturgeschichtlichen Verhältnisse im Œuvre des Ilimilku, in dem Passagen, Motive und Wendungen aus dem Ba2al-Zyklus in das Aqhatu-Epos übernommen werden, welches sich somit als das jüngste der drei großen literarischen Werke aus Ugarit erweist. 360) 358. So zuerst W. F. Albright, The Traditional Home of the Syrian Danel, BASOR 130 (1953) 26 f. und zuletzt del Monte Marín, Orts- und Gewässernamen, 103. Zur Archäologie vgl. die Angaben bei L. Marfoe, Kâmid el-Lôz 13. The Prehistoric and Early Historic Context of the Site. Catalog and Commentary (SBA 41), Bonn 1995, 280-282 no. 375-379. 359. Vgl. zur Diskussion N. Wyatt, The Story of Aqhat, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HdO I/39), Leiden 1999, 234-258, bes. 249-251. 360. S. hierzu die in Anm. 27 genannten Werke von J. C. de Moor und M. C. A. Korpel, die weitere Belege liefern.

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Texte aus Syrien

Das bereits im Hinblick auf die Lokalisierung des Kirta-Epos (KTU 1.14-16) als bedeutsam erkannte Ineinander einer Fern- und einer Nahperspektive, 361) ist auch relevant für die Analyse des Aqhatu-Epos. Auch in diesem stammen die handelnden Personen aus Innersyrien, das Epos ist aber in Ugarit angesiedelt. So ist Dan3ilu König von Harnamu in der Beqa2. Auf Ugarit als Bühne des Geschehens verweisen die Parallele von Ba2al- und El-Tempel (KTU 1.17 I 31-32; II 21-22 u. ö.), die Götter El, Ba2al, Anat und Sˇapsˇu, der Weg des Dan3ilu vom Palast hinauf zum Tempel und zurück (KTU 1.17 I 4 [erg.].14; II 24-25), der Berg Saphon (KTU 1.19 II 35), der Sitz ˙ des Gottes El an der Quelle der beiden Flüsse, inmitten der Tiefe der Meere (KTU 1.17 VI 46-48), das Errichten von Totengedenkstelen (KTU 1.17 I 26-27 par. und KTU 6.13 und 6.14) sowie allgemein die Konstruktion der sozialen Welt. Die Rezeptionsgeschichte der Gestalt des Dan3ilu läßt sich anhand der Bücher Ezechiel und Daniel bis in das Alte Testament verfolgen. 362) In Ez 14,13-14 wird die Gerechtigkeit des Noah, des Daniel und des Ijob angesprochen, da diese aufgrund ihrer Gerechtigkeit ihr Leben retten können. In Ez 14,19-20 wird hinzugefügt, daß nicht einmal jemand aus diesem Personenkreis seinen Sohn oder seine Tochter retten könnte. In diesen beiden Passagen des Ezechielbuches wird auf die Figur des Dan3ilu aus Ugarit Bezug genommen. Dies ist auch der Fall in Ez 28,3, wo die vermeintliche Weisheit des Königs von Tyros an der Weisheit des Daniel gemessen wird. Was den Traditionsweg angeht, so wird dieser über die Phönizier verlaufen sein, darauf verweist auch Ez 28,3. Die Danielgestalt des Danielbuches als Gerechter, Traumdeuter und Abkömmling des judäischen Königshauses (Dan 1-2) steht auch wieder klar in der Tradition des Dan3ilu von Ugarit mit seiner magisch-mantischen Weisheit. Drei Tontafeln der zweiten Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Maison du Grand Prêtre, Raum 7 und angrenzender Bereich. – Aufbewahrungsort: Musée du Louvre, Paris (AO 17.324; 17.325; 17.323); seit 1961 ist die zweite Tafel als Leihgabe im British Museum, London (AO 17.325 = BM L84). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, La légende phénicienne de Danel. Texte cunéiforme alphabétique avec transcription et commentaire, précédé d’une introduction à l’étude de la civilisation d’Ugarit. Mission de Ras-Shamra I (BAH 21), Paris 1936. – Autographie und Photo: A. Herdner, Corpus des Tablettes en Cunéiformes Alphabétiques découvertes à Ras Shamra-Ugarit de 1929 à 1939. Mission de Ras Shamra X (BAH 79), Paris 1963, 77-92; fig. 53-62; pl. XXVII-XXX. – Bearbeitungen und Übersetzungen: H. L. Ginsberg, Ugaritic Myths, Epics, and Legends, in: J. B. Pritchard (Hg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, Princeton 31969, 129-155, hier 149-155; A. Caquot / M. Sznycer / A. Herdner, Mythes et Légendes. Textes Ougaritiques I (LAPO 7), Paris 1974, 399-458; H. H. P. Dressler, The Aqht-Text. A New Transcription, Translation, Commentary, and Introduction. Ph. D. Dissertation, Cambridge 1976; C. H. Gordon, Poetic Legends and Myths from Ugarit, Berytus 25 (1977) 5-133, hier 8-29; J. C. L. Gibson, Canaanite Myths and Legends, Edinburgh 21978, 103-122; F. Landy, The Tale of Aqhat, London 1981; G. del Olmo Lete, Mitos y leyendas di Canaán segu´n la tradición de Ugarit, Madrid 1981, 361. S. o. die Einleitung zum Kirta-Epos. 362. Vgl. dazu bes. H.-P. Müller, Magisch-mantische Weisheit und die Gestalt Daniels, UF 1 (1969) 79-94; J. Day, The Danel of Ugarit and Ezekiel and the Hero of the Book of Daniel, VT 30 (1980) 174-184; P. Bordreuil, Noé, Dan(i)el et Job en Ézékiel XIV,14.20 et XXVIII,3: entre Ougarit et Babylonie, in: J.-M. Michaud (Hg.), Le royaume d’Ougarit de la Crète à l’Euphrate. Nouveaux Axes de Recherche (POLO 2), Sherbrooke 2007, 567-578.

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327-401; P. Xella, Gli antenati di Dio. Divinità e miti della tradizione di Canaan, Verona 1982, 181-216; J. C. de Moor, An Anthology of Religious Texts from Ugarit (NISABA 16), Leiden 1987, 224-265; B. Margalit, The Ugaritic Poem of Aqht. Text. Translation. Commentary (BZAW 182), Berlin / New York 1989; M. Dietrich / O. Loretz, Mythen und Epen (TUAT III), Gütersloh 1990-97, 1089-1317, hier 1254-1305; K. T. Aitken, The Aqhat Narrative. A Study in the Narrative Structure and Composition of an Ugaritic Tale (JSS Monograph 13), Manchester 1990; M. Baldacci, La scoperta di Ugarit, Casale Monferrato 1996, 330-365; D. Pardee, The 3Aqhatu Legend, in: W. W. Hallo (Hg.), Canonical Compositions from the Biblical World (The Context of Scripture I), Leiden 1997, 343-356; S. B. Parker, Kirta, in: Ders. (Hg.), Ugaritic Narrative Poetry (SBL Writings from the Ancient World 9), Atlanta 1997, 145-216; N. Wyatt, Religious Texts from Ugarit. The Words of Ilimilku and his Colleagues (The Biblical Seminar 53), Sheffield 1998, 246-312; C. Peri, Poemi Ugaritici della regalità (Testi del Vicino Oriente antico 5), Brescia 2004, 55-82; M. D. Coogan / M. S. Smith, Stories from Ancient Canaan, Louisville 22012, 27-55. – Weitere Literatur: J. Gray, The Legacy of Canaan. The Ras Shamra Texts and Their Relevance to the Old Testament (VTS 5), Leiden 21965, 106-131; M. Dijkstra / J. C. de Moor, Problematical Passages in the Legend of Aqhâtu, UF 7 (1972) 171-215; B. Margalit, Studia Ugaritica II: Studies in Krt and Aqht, UF 8 (1976) 137-192; ders., The Geographical Setting of the Aqht Story and Its Ramifications, in: G. D. Young (Hg.), Ugarit in Retrospect, Winona Lake 1981, 131-158; P. Xella, Una »rilettura« del poema di Aqhat, in: Ders., Problemi del Mito nel Vicino Oriente Antico (SAION 7,2), Neapel 1976, 61-91; B. Margalit, Lexicographical Notes on the Aqhat Epic (Part I: KTU 1.17-18), UF 15 (1983) 65-103; ders., Lexicographical Notes on the Aqhat Epic (Part II: KTU 1.19), UF 16 (1984) 119-179; H. H. P. Dressler, Reading and Interpreting the Aqht-Text, VT 34 (1984) 78-82; J. C. de Moor, The Seasonal Pattern in the Legend of Aqhatu, SEL 5 (1988) 61-78; S. B. Parker, The Pre-Biblical Narrative Tradition. Essays on the Ugaritic Poems of Keret and Aqhat (SBL Resources for Biblical Study 24), Atlanta 1989; N. H. Walls, The Goddess Anat in Ugaritic Myth (SBL DS 135), Atlanta 1992, 186-210; J.-M. Husser, The Birth of a Hero: Form and Meaning of KTU 1.17 i-ii, in: N. Wyatt / W. G. E. Watson / J. B. Lloyd (Hg.), Ugarit, religion and culture. Proceedings of the International Colloquium on Ugarit, religion and culture, Edinburgh, July 1994. Essays in honour of Professor John C. L. Gibson (UBL 12), Münster 1996, 85-98; N. Wyatt, The Story of Aqhat (KTU 1.17-19), in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HdO I/39), Leiden 1999, 234-258; D. Wright, Ritual in Narrative. The Dynamics of Feasting, Mourning, and Retaliation Rites in the Ugaritic Tale of Aqhat, Winona Lake 2001; O. Loretz, Götter – Ahnen – Könige als gerechte Richter. Der »Rechtsfall« des Menschen vor Gott nach altorientalischen und biblischen Texten (AOAT 290), Münster 2003, 513-595; M. Dietrich / O. Loretz, Aqhats Ermordung als Mythos, in: W. G. E. Watson (Hg.), »He unfurrowed his brow and loughed.« Essays in Honour of Professor Nicolas Wyatt (AOAT 299), Münster 2007, 7385; C. Sun, The Ethics of Violence in the Story of Aqhat (Georgias Dissertations 34. Near Eastern Studies 9), Piscataway / NY 2008; S. Natan-Yulzary, Divine Justice or Poetic Justice? The Transgression and Punishment of the Goddess 2Anat in the 3Aqhat Story. A Literary Perspective, UF 41 (2009) 581-599.

3.1 Erste Tafel (KTU 1.17)

Von den ursprünglich drei Kolumnen der Vorderseite der Tafel sind noch die Kolumnen I und II, von den ursprünglich drei Kolumnen der Rückseite sind noch die Kolumnen V und VI erhalten. Diese ist die einzige Tafel des Zyklus mit sechs Kolumnen. Am linken 270

Texte aus Syrien

Tafelrand ist noch »… rln« zu lesen, was man zu »[Schreiber ist Ilimilku, der Sˇubanite, der Schüler des Attenu] Purlanu« ergänzt. Es fehlen ca. zehn Zeilen der ersten Kolumne der ersten Tafel.

Dan3ilu erbittet im Tempel Nachwuchs von den Göttern VS

I.

(1) [Sodann

ließ Dan3ilu, 363) der Mann des Rap]i3u, 364) sodann ließ der Held, (2) [der Mann aus Harnamu], 365) ein uza¯ru-Opfer 366) die Götter speisen, (3) [ein uza ¯ ru-Opfer] die Söhne des Heiligen [trinken]. Er legte (4) [sein Obergewand ab, stieg empor] und legte sich nieder. Er legte (5) [sein Untergewand] 367) ab und nächtigte. 368) Siehe, einen Tag (6) [und einen zweiten ein uza¯ru-Opfer] ließ Dan3ilu die Götter, (7) [ein uza ¯ ru-Opfer die Götter] ließ er speisen, ein uza¯ru-Opfer (8) [ließ er die Söh]ne des Heiligen 369) [trinken]. Einen dritten, einen vierten Tag (9) [ein uza ¯ ru-Opfer die Göt]ter ließ Dan3ilu, ein uza¯ru-Opfer (10) [die Götter ließ er s]peisen, ein uza¯ru-Opfer ließ er trinken die Söhne (11) [des Heiligen]. Einen fünften, einen sechsten Tag 370) ein uza¯ru-Opfer (12) [die Göt]ter ließ Dan3ilu, ein uza¯ru-Opfer die Götter ließ er speisen, (13) [ein uz]a ¯ ru-Opfer ließ er trinken die Söhne des Heiligen. Es legte sein Obergewand ab (14) [Dan]3ilu,

363. Der Personenname bedeutet »Ilu hat Recht verschafft« und er benennt die »Heilung« von der Kinderlosigkeit des Dan3ilu durch die Geburt des Aqhatu sowie durch den Erhalt eines weiteren Nachkommen nach dem Tod desselben. In beiden Fällen geht diese »Heilung« auf den Gott El zurück. 364. Rapi3u ist der Anführer der rapi3u¯ma (vgl. KTU 1.108) und Dan3ilu somit sein Schützling. Nach KTU 1.15 III 2-4.13-15; 1.124 und 1.161 ist Ditanu der Anführer der rapi3u¯ma. Gegen Baldacci, Scoperta, 333 Anm. 322 liegt mit rapi3u kein Ortsname vor. 365. Ortsname; Hermel in der Beqa2; s. o. Anm. 358. 366. Unbekannter Opferterminus; vgl. Dijkstra / de Moor, Passages, 172 f. In den Opfertexten aus Ugarit ist er nicht belegt; vgl. die Übersicht bei D. Pardee, Les textes rituels (RSOu XII), Paris 2000, 1024-1051. 367. Zu den Termini st »Obergewand« und mizrt »Untergewand« vgl. M. Dietrich / O. Loretz, ˙ Anats (KTU 1.5 VI 11-22.31-1.6 I 5), UF 18 (1986) 101-110, hier 108 f. Die Trauer Els und 368. Die Tafel bietet ynlln; vgl. CAT z.St. Zu dem hier geschilderten Inkubationsritual vgl. neben KTU 1.14 I bes. Zgoll, Traum, 279281.346-351, M. Dietrich / O. Loretz, Baal bittet El um Kindersegen für den Inkubanten Danil (KTU 1.17 I 1-24), UF 40 (2008) 191-204 und Kim, Incubation, 89-162. Aus Kolumne II 24-25 wird deutlich, daß das Inkubationsritual nicht im Palast zu lokalisieren ist. Aufgrund der Verben »hinaufgehen« (KTU 1.17 I 14) und »herabgehen« (KTU 1.17 25) ist im Rahmen der Topographie Ugarits an einen Tempel auf der Akropolis, näherhin an den Tempel des Schutzgottes Ba2al, vielleicht auch an sein Dach zu denken. Vgl. auch Zgoll, Traum, 347 f. 369. Das sˇ von qdsˇ ist nachträglich eingefügt; vgl. CAT z.St. 370. Die Tafel bietet davor noch ein zweites ym; vgl. CAT z.St.

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er legte ab sein Obergewand, er stieg empor und legte sich nieder. (15) [Er legte ab] sein Untergewand 371) und dann nächtigte er.

Der Gott Ba2al legt beim Gott El Fürbitte für Dan3ilu ein Siehe, am siebten der Tage: 372) näherte 373) sich Ba2al in seiner Güte: »Armut 374) des (17) [Dan]3ilu, des Mannes des Rapi3u, Elend des Helden, (18) des Mannes aus Harnamu! Er, der keinen Sohn hat (19) wie seine Brüder und keinen Sproß wie seine Verwandten! 375) (20) Soll er keinen Sohn wie 376) seine Brüder und keinen Nachkommen (21) wie seine Sippe haben? uza¯ru-Opfer ließ er die Götter speisen, (22) uza ¯ ru-Opfer ließ er die Söhne des Heiligen trinken. (23) Mögest du ihn segnen, oh Stier, El, mein Vater, (24) mögest du ihn stärken, 377) oh Schöpfer der Geschöpfe. (25) Und es sei sein Sohn im Hause, ein Sproß inmitten (26) seines Palastes, der errichtet eine Stele seines Vatergottes, 378) im Heiligtum (27) ein Denkmal seiner Sippe, 379) der aus der Unterwelt heraufsteigen läßt seinen Rauch, 380) (28) aus dem Staub den Beschützer seiner Nachkommenschaft, 381) (16) [Da]

371. Das h von mizrth ist später eingefügt; vgl. CAT z.St. 372. Zur Relevanz des siebten Tages und der Siebenzahl noch KTU 1.17 II 39; V 4; 1.19 IV 1415.17. 373. Die zu erwartende Traumerscheinung (s. o. zu Kirta) fällt hier dem gedrängten Stil und der elliptischen Gestaltung der Szene zum Opfer, in der der Gott Ba2al unmittelbar als Fürbitter für den König Dan3ilu vor El auftritt; vgl. auch Zgoll, Traum, 347-351. 374. Zur Schwierigkeit der Lesung 3byn vgl. Herdner, Corpus, 80 fig. 53 z.St. und D. Pardee, Illustrated Epigraphic Remarks to the First Tablet of the 3Aqhatu Text, Lines 1-24, UF 42 (2010) 903-918, hier 906.910 und zum Verständnis vgl. G. Mazzini, Miserable Daniel. Notes for a Reading of KTU 1.17 I,16, UF 28 (1996) 485-490. 375. Hierin liegt eine Anspielung auf die Klage des Gottes Ba2al wegen des Fehlens eines Palastes vor; vgl. KTU 1.3 IV 46-48; V 38-39; 1.4 I 9-11 u. ö. Zur politischen Konzeption des Bruderkonzepts vgl. Liverani, Prestige und Tugendhaft, Brother (s. o. Anm. 48). 376. Lies: km (»wie«); vgl. CAT z.St. 377. Vgl. dazu auch den Segen für Kirta in KTU 1.15 II. 378. Dan3ilu wird nach seinem Tode zum einen il3ib. Das Errichten einer Stele für den Totengeist des verstorbenen Vaters ist die vornehmste Pflicht des Sohnes. 379. Das Heiligtum ist entweder der hsˇt-Raum des Palastes (vgl. KTU 1.16 I 2-3 u. ö.), in dem ein Ahnenkult vor den Statuen der˘ verstorbenen Könige praktiziert wird; s. o. Anm. 320 oder der El-Tempel mit seinem Stelenheiligtum im Vorhof. Zu skn als Stele für den Totenkult vgl. KTU 6.13 und 6.14; bei dem Parallelterminus ztr liegt ein luwisches Lehnwort zur Bezeichnung eines spitzen Gegenstandes vor; vgl. F. Starke, Untersuchungen zur Stammbildung des keilschrift-luwischen Nomens (StBoT 31), Wiesbaden 1990, 408-416. 380. Der Totengeist des Verstorbenen steigt wie Rauch aus der Unterwelt empor; vgl. auch KTU 1.18 IV 25-26.37, wonach die Lebenskraft des Aqhatu wie Rauch entweicht. 381. Gemeint ist die neben der königlichen Gruft gelegene Ritualgrube (ap); s. o. Anm. 320.

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Texte aus Syrien

Abb. 9: Die Libationslöcher vor der Königsgruft

der schließt die Kinnlade (29) seines Verächters, der den vertreibt, der ihm etwas antut, 382) (30) der ergreift seine Hand bei Trunkenheit, der ihn sich auflädt, (31) [wenn] er gesättigt ist mit Wein, 383) der verzehrt seinen Anteil (im) Tempel des Ba2al, (32) [und] seine Portion (im) Tempel des El, 384) der verputzt sein Dach am Tage (33) des Schlammes, der wäscht sein Kleid am Tage des Schmutzes.« 385)

382. Hier geht es aufgrund des königlichen Kontextes der Erzählung um den Fall der Majestätsbeleidigung. 383. Zu diesem Motiv, welches vor allem im königlichen marzihu (vgl. KTU 1.114) eine Rolle spielt, vgl. J.-A. Zamora, L’ébriété à Ougarit et la Bible: un˙ héritage discuté, in: J.-M. Michaud (Hg.), La Bible et l’héritage d’Ougarit (POLO 1), Sherbrooke 2005, 183-241 und O. Loretz, Heimführung des betrunkenen Greises/Vaters nach KTU 1.17 I 30-31; Jes 51,18 und Xenophanes (B 1,17-18), UF 38 (2006) 437-443. 384. Es geht um die Teilnahme des Kronprinzen an den Totenopfern; vgl. auch die beiden Memorialstelen vom El-Tempel auf der Akropolis mit den Inschriften KTU 6.13 und 6.14 und dazu H. Niehr, TUAT.NF 6, 2011, 84-86 sowie ders., Two Stelae Mentioning Mortuary Offerings from Ugarit (KTU 6.13 and 6.14), in: H. Niehr / E. Pernicka / P. Pfälzner (Hg.), (Re-)Constructing Funerary Rituals in the Ancient Near East. Akten eines Internationalen Symposiums in Tübingen im Mai 2009 (Qatna Studien. Supplementa 1), Wiesbaden 2012, 145-156. ˙ 385. Nach K. Koch, Die Sohnesverheißung an den ugaritischen Daniel, ZA 58 (1967) 211-221, hier 217, liegt auch dem Motiv des Verputzens des Daches und des Waschens der Kleidung ein ritueller Charakter zugrunde, was angesichts des königlichen Hintergrundes des Aqhatu-Epos durchaus möglich ist. Vgl. im Kirta-Epos das Gebet auf dem Dach (KTU 1.14 II 20-27; IV 29) und die in den Ritualen genannte rituelle Kleidung der Könige, z. B. KTU 1.43, 22.

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Abb. 10: Blick auf den El-Tempel auf der Akropolis von Ugarit

El segnet Dan3ilu (34) [Den

Becher] ergriff El, seinen Diener segnete er: der Mann des Rapi3u, er möge stark sein, der Held, (36) [der Mann aus Ha]rnamu. (In seinem) Geist lebe Dan3ilu auf, (37) [der Mann des Rap]i3u, (in seiner) Lebenskraft der Held, der Mann aus Harnamu. (38) [ ] er reichlich. Zu seinem Lager steige er hinauf (39) [und lege sich nie]der. Beim Küssen seiner Frau [ ], (40) bei seiner Umarmung wird Hitze sein, 386) (41) [ ], die gebiert, Hitze (42) [für den Mann des Ra]pi3u. Und es soll sein sein Sohn (43) [im Hause, ein Sproß] inmitten seines Palastes, (44) [der errichtet eine Stele seines Va]tergottes, im Heiligtum (45) [ein Denkmal seiner Sippe, der aus der Unter]welt heraufsteigen läßt (46) [seinen Rauch, aus dem Staub den Besch]ützer seiner Nachkommenschaft, (47) [der schließt die Kinnlade seines Verächters, der den ver]treibt, der ihm etwas antut. …« 387) (35) »[Dan3i]lu,

Es fehlen die ca. zehn letzten Zeilen dieser Kolumne, die aber, soweit sie den Segen des El umfassen, aus Kolumne I 20-33 bzw. aus Kolumne II 1-8 bekannt sind. 386. Vgl. auch KTU 1.23,51. 387. Die hier fehlenden Zeilen dürften den Zeilen 30-34 entspechen.

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Texte aus Syrien

Vom Beginn der nächsten Kolumne fehlen ca. elf Zeilen. Der folgende Text entspricht dem Segen des El, ist aber jetzt als Anrede an Dan3ilu formuliert. Als Sprecher des Textes kann man den Gott Ba2al selbst annehmen. II.

(1) »

… ein Denk[mal deiner Sippe, der aus der Unterwelt heraufsteigen läßt deinen Rauch], 388) (2) aus dem Staub den Beschütz[er deiner Nachkommenschaft, der schließt] (3) die Kinnlade deines Verächters, der den ver[treibt, der dir etwas antut], (4) der verzehrt deinen Anteil (im) Tempel [des Ba2al und deine Portion] (5) (im) Tempel des El, 389) der ergreift deine Hand bei Tr[unkenheit], (6) der dich sich auflädt, wenn du gesättigt bist mit Wein, der verputzt (7) dein Dach am Tag des Schlammes, der wäscht (8) dein Kleid am Tag des Schmutzes.«

Reaktion des Dan3ilu An Dan3ilu 390) (9) freute sich das Gesicht und oben glänzte die Stirn. (10) Er entfaltete die Braue und lachte, (11) den Fuß stellte er auf den Schemel; er erhob (12) seine Stimme und rief: »Ich setze mich (13) und ruhe, und es ruht in meiner Brust (14) der Atem, 391) denn ein Sohn wird mir geboren werden wie (15) meinen Brüdern und ein Sproß wie meiner Sippe, (16) der errichtet eine Stele meines Vatergottes, im Heiligtum (17) ein Denkmal meiner Sippe, [der heraufsteigen läßt aus der Unterwelt meinen Rauch], 392) aus dem Staub den Beschützer [meiner] Nachkommenschaft, (18) der verschließt die Kinnlade meines Verächters, der vertreibt den, (19) der mir etwas antut, der ergreift meine Hand bei Tr(20) unkenheit, der mich sich auflädt, wenn ich gesättigt bin mit Wein, (21) der verzehrt meinen Anteil (im) Tempel des Ba2al und meine Portio[n] (22) (im) Tempel des El, der verputzt mein Dach am Tag des Schlammes, (23) der wäscht meine Kleidung am Tag des Schmutzes.« 388. 389. 390. 391.

Ergänzt nach I 27-32.45-47. Im Unterschied zum vorangehenden Text wird die Abfolge der Motive leicht geändert. Schreibfehler im Keilschrifttext, da w und d verwechselt sind; vgl. CAT z.St. Der erste Teil dieses Textes (Zeile 10-11) findet sich auch anläßlich der Ankunft der Göttin Ascherah bei El in KTU 1.4 IV 28; der gesamte Satz (Zeile 10-14) bei der Nachricht von der Rückkehr des Ba2al aus der Unterwelt in KTU 1.6 III 15-19. 392. Irrtümlich ausgelassen im Keilschrifttext.

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Herbert Niehr

Abb. 11: Rekonstruktion des El-Tempels

276

Texte aus Syrien

Dan3ilu begibt sich vom Tempel zu seinem Palast (24) Dan3ilu (25) es

erreichte sein Haus, ging hinab Dan3ilu zu seinem Palast.

Auftritt der Geburtsgöttinnen (26) Es

betraten sein Haus die Kotharatu, die Töchter (27) des Hilalu, die Schwalben. 393) Dann ließ Dan3ilu, (28) der Mann des Rapi3u, dann ließ der Held, der Mann (29) aus Harnamu, einen Ochsen schlachten für die Kotha(30) ratu. Er speiste die Kotharatu Und er (31) gab zu trinken den Töchtern des Hilalu, den Schwalben. (32) Siehe, einen Tag und einen zweiten: Er speiste (33) die Kotharatu und er ließ trinken die Töchter des Hila[lu], (34) die Schwalben. Einen dritten, einen vierten Tag: Er (35) speiste die Kotharatu und ließ trinken (36) die Töchter des Hilalu, die Schwalben. Einen fünften, (37) einen sechsten Tag: Er speiste die Kotharatu (38) und ließ trinken die Töchter des Hilalu, die Schwalben. (39) Siehe, am siebten der Tage: Da gingen weg aus seinem Haus (40) die Kotharatu, die Töchter des Hilalu, die Schwalben, (41) die Freundinnen der Anmut des Bettes der Empfängnis, 394) (42) der Schönheit des Bettes des Kreißens. (43) Es setzte sich Dan3ilu, [er be]rechnete ihre Monate. (44) Ein Monat, ein zweiter Monat verging, (45) ein dritter, ein vierter [Mo]n[at]. [Der zehn]te (46) der Monate kam [ ]. 395) Der Schoß [ ]. Vom Ende dieser zweiten Kolumne fehlen ca. zehn Zeilen. Im Folgenden wurden wohl u. a. die Geburt des Kronprinzen Aqhatu und die seiner Geschwister erzählt. Es fehlen sodann die dritte Kolumne der Vorderseite und die darauf folgende vierte Ko393. Bei Hilalu handelt es sich um den Gott des Neumondes, dessen Töchter als »Geburtsgöttinnen« den Zusammenhang von Neumond, Schwangerschaft und Geburt verdeutlichen; vgl. Theuer, Mondgott, 185. Zu den Kotharatu vgl. noch D. Pardee, Art. Kosharoth, in: DDD, 21999, 491 f. Ihr Beiname »Schwalben« läßt nach de Moor, Seasonal Pattern, 61-63 an das siebentägige Herbstfest denken, nach dessen Ablauf die Schwalben aus Syrien wegziehen. Vgl. zuletzt A. Rahmouni, The Epithets of the Kôtarâtu Goddesses at Ugarit, AulOr 30 ¯ (2012) 55-74. 394. Zur Lesung vgl. Herdner, Corpus, 81 Anm. 7 und Tropper, Wörterbuch, 42. 395. Zum zehnten Monat als Zeitpunkt der Geburt vgl. auch das Appu-Märchen RS III 8-9.18; der Text bei Siegelová, Appu-Märchen, 11.

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Herbert Niehr

lumne auf der Rückseite. Beim Neueinsatz der Erzählung ist Aqhatu ein junger Mann. Vom Beginn dieser Kolumne V fehlen ca. zwölf Zeilen.

Die Ankunft des Gottes Kotharu-wa-Hasisu kündigt sich an ˘ RS

V.

(1) Unleserlich (2) [

] »Ich werde den Bogen bringen als [Ge]schenk, 396) werde die Pfeile schenken.« Und siehe, am sieb[ten] der (4) Tage: Dann, Dan3ilu, der Mann (5) des Rapi3u, d[a]nn der Held, der Mann [aus] Harnamu, (6) erhob sich, setzte sich in den Eingang des Tores inmitten (7) der Noblen, die auf der Tenne waren. Er richtete (8) den Rechtsfall der Witwe, er verschaffte Recht der Waise. 397) (9) Beim Erheben seiner Augen sah er über tausend (10) Morgen, zehntausend Hektar das Kommen des Kotharu, (11) fürwahr, er sah es, und er sah das Schreiten des Hasisu. ˘ (12) Siehe, den Bogen brachte er, siehe, er (13) schenkte die Pfeile. Dann, Dan3ilu, (14) der Mann des Rapi3u, dann der Held, der Mann (15) aus Harnamu, laut rief er zu seiner Frau: (16) »Höre, Dame Danatiya: 398) Lasse bereiten (17) ein Lamm aus der Herde für den Hunger des Kotharu-(18) wa-Hasisu, ˘ für das Verlangen des Hayyanu mit der (19) geschickten Hand. 399) Gib zu essen, gib zu trinken (20) den Göttern, bediene, ehre sie, die Herren (21) des gesamten göttlichen Memphis!« 400) Es gehorchte (22) die Dame Danatiya. Sie ließ bereiten ein Lamm (23) aus der Herde für den Hunger des Kotharu-wa-Hasisu, (24) für das Verlangen des Hayyanu˘ mit den geschickten (25) Händen.

(3) ich

396. Vgl. zur Lesung und Ergänzung Herdner, Corpus, 82 und Tropper Grammatik, 666 Anm. 16. 397. Vgl. dazu den in KTU 1.16 VI 33-34.45-47 vorgebrachten Vorwurf an König Kirta, dies nicht geleistet zu haben. 398. Der Name der Frau des Dan3ilu ist auch auf der Basis dyn »Recht verschaffen« gebildet; vgl. dazu Gröndahl, Personennamen 56.123. 399. Zu Kotharu als Hayyanu/Ea s. o. die Angaben in Anm. 154. 400. Hier und teilweise im Folgenden wird Kotharu-wa-Hasisu als zwei Götter aufgefaßt. Vgl. auch KTU 1.4 VI 16-19. Zur Konstruktion des »gesamten göttlichen Memphis« vgl. Tropper, Grammatik, 245 § 45.21 d.

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Texte aus Syrien

Kotharu-wa-Hasisu bringt den Bogen für Aqhatu ˘ Danach kamen Kotharu-(26) wa-Hasisu an. ˘ den Bogen, In die Hand Dan3ilus gaben sie (27) (28) auf seine Knie legten sie die Pfeile. Dann gab die Dame Danatiya (29) den Göttern zu essen und zu trinken. (30) Sie bediente, sie ehrte sie, die Herren 401) (31) des gesamten göttlichen Memphis. Kotharu ging (32) zu seinem Zelt, Hayyanu 402) ging zu seiner Wohn(33) statt. 403) Dann, Dan3ilu, der Man[n] (34) des Rapi3u, dann der Held, der Mann (35) aus Harnamu, den Bogen spannte er, [er segn](36) ete (ihn), für Aqhatu span[nte] er [ihn]. (37) »Das Erste deiner Jagd, oh Sohn, [bring], (38) das Erste deiner Jagd, siehe, das e[rste] (39) der Jagd in ihren 404) Tempel [ ]!« Vom Ende dieser Kolumne fehlen ca. elf Zeilen und vom Beginn der folgenden Kolumne ca. neun Zeilen. Erzählt wird hierin wohl, daß Aqhatu sich weigert, das Erste der Jagdbeute den Göttin Anat zu weihen.

Aqhatu und Anat beim Mahl und auf der Jagd VI.

(1) Unleserlich (2) [

B]rot [ ] jed]weden [W]ein, b[is ]. (4) [ mit dem] gezückt[en] [Mes]ser [Stück]e 405) (5) [von Mastvieh. Sie tranken aus silbernen Bechern], Wein aus goldenen Bechern. (6) [Mit Blut der Weinstöcke füllt]en sie Kelch über Kelch. (7) [ ] und es schäumte der Most, (8) [ ] gepflegter Wein. Aus dem Gurt (9) [Aqhatu senk]te das Pfeilrohr, er stellte (10) [den Bogen] auf, [das Geschöpf des Koth]aru. 406) Beim Heben ihrer Augen da sah (11) [Anat ] seine Sehne wie einen Blitz, (12) [ ] wie ein Blitz das Meer bewegt. (13) [ ] seinen Pfeil. (3) [

401. 402. 403. 404.

Hier ist noch ein irrtümlich gesetztes h ist zu erkennen. Hier würde man Hasisu erwarten. ˙ ˘ Zu diesem Parallelismus vgl. auch KTU 1.15 III 18-19 u. ö. Hier ist mit Herdner, Corpus, 82 hklk bzw. hklh zu lesen. Die Göttin Anat hat als Göttin der Jagd Anspruch auf den ersten Teil der Jagdbeute. 405. Die Ergänzungen der Zeilen 4-6 werden mit CAT z.St. nach KTU 1.4 III 42-44; VI 57-59; 1.5 IV 14-16 vorgenommen. 406. Ergänzt nach Zeile 13-14.

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Herbert Niehr

Sie begehrte den Bogen, das Geschöpf des Ko(14) [tharu-wa-Hasisu, dessen Hör]ner ˘ wie eine Schlange gebogen waren.

Anat erbittet den Bogen des Aqhatu (15) [Ihren

Kelch warf sie] auf den Boden, ihren Becher schüttete sie aus (16) [in den Staub, sie erhob ihre Stimme] und rief: »Höre doch, (17) [oh Aqhatu, Held! F]ordere Silber und ich will es dir geben, (18) [Gold und ich werde es dir ge]währen! 407) Und gib deinen Bogen (19) der [Jungfrau] Ana[t], deine Pfeile der Schwägerin des Lim!« 408)

Weigerung des Aqhatu (20) Da antwortete Aqhatu, der Held: »Das Mächtigste der tqb-Hölzer (21) aus dem Libanon, ¯ von Wildstieren, die herrlichsten Sehnen (22) die mächtigsten Hörner von Bergziegen, (die mächtigsten) 409) Sehnen (23) von der Ferse eines Stieres, die herrlichsten Rohre aus dem Dickicht Els 410) (24) gib Kotharu-wa-Hasisu. ˘ für Anat, Er mache einen Bogen (25) Pfeile für die Schwägerin des Lim!«

Erneuter Versuch der Anat Da antwortete die Jungfrau (26) Anat: »Fordere Leben, oh Held Aqhatu, (27) fordere Leben, und ich werde es dir geben, Unsterblichkeit 411) (28) und ich werde sie dir gewähren. Ich lasse dich zählen mit Ba2al (29) die Jahre, mit den Söhnen Els 412) wirst du zählen die Monate. 413) (30) Wie Ba2al wahrlich zum Leben bringt, bewirtet, den Lebenden (31) bewirtet und ihm zu trinken gibt,

407. Zur Forderung von Silber und Gold vgl. noch KTU 1.14 I 52 [erg.]; III 33-35; VI 17-19 aus dem Kirta-Epos. 408. Zu diesem Titel der Göttin Anat s. o. Anm. 122. 409. Versehentlich ausgelassen; so ergänzt mit Dietrich / Loretz, Mythen, 1273 Anm. 119. 410. Es ist nicht klar, ob eine poetisch motivierte Unterbrechung der Status constructus-Verbindung vorliegt, oder einfach ein irrtümlicher Nachtrag. 411. Dazu bereits KTU 1.16 I 15; II 37. 412. Da Ba2al der Sohn Dagans und nicht der Sohn Els ist (s. o. Anm. 100), legt sich hier das pluralische Verständnis nahe. 413. Es geht um die Verheißung eines langen Lebens.

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Texte aus Syrien

spielt und singt vor ihm, (32) Liebliche[s re]zitiert, so werde auch ich wieder beleben (33) Aqhatu, [den H]elden.« 414)

Weigerung des Aqhatu und Verspottung der Göttin Und es antwortete Aqhatu, der Held: 415) mich nicht, oh Jungfrau, denn für einen Helden ist (35) dein Betrug ein Auswurf. Ein Mann, als Zukunft, was wird er erhalten? (36) Was kann ein Mann als sein Ende nehmen? Eine spsg-Schale 416) wird ausgegossen (37) [auf] dem Haupt, eine verzierte Schale über meinem Schädel. 417) (38) [Wie] jedermann [st]irbt, 418) so werde ich sterben, auch ich (39) werde sicherlich sterben. 419) [Sodann] ein weiteres will ich dir sagen: Der Bogen ist (40) [das Gerät] von Kriegern. Sollen etwa Frauen jagen?« (34) »Betrüge

Rachepläne der Göttin Anat (41) [Darüber]

lachte Anat [la]ut 420), und im Herzen schmiedete sie [einen Plan]. (42) »Hüte dich vor mir, oh Aqhatu, Held, hüte dich vor mir und geh! Gib Acht auf mich. [ ]. (43) Sollte ich dich je treffen auf dem Pfad des Frevels, (44) [ ] auf dem Pfad der Überheblichkeit, so lasse ich dich fallen [unter (45) meine Füße], ich, 421) dich, lieblichster, stärkster 422) der Männer!«

414. Hierin kommt das Privileg der Königsfamilie, zusammen mit Ba2al anläßlich des Neujahrsfestes aus der Unterwelt wiederzukehren, zum Ausdruck. Zu Gesang und Musik beim Neujahrsfest vgl. KTU 1.108 und dazu H. Niehr, TUAT.NF 7, 2013, 143 f. und ders., Königtum, 616 f. 415. Die folgende Szene der Beleidigung der Göttin Anat und ihrer Klage bei El hat ein Vorbild in der Zurückweisung der Göttin Isˇtar durch Gilgamesch; vgl. dazu Walls, Anat, 197-202. 416. Nach E. Neu, Hethitisch zapzagi-, UF 27 (1995) 395-402 handelt es sich bei spsg um eine Materialbezeichnung für kostbaren Stein. 417. Zur Salbung des Leichnams. 418. Lies [k y]mt kl amt; vgl. dazu Gzella, Notes, 547 f. s. v. kl (I). 419. Vgl. auch die Klage über den Tod des Königs Kirta in KTU 1.16 I. Im Hinblick auf das Sterben teilen auch die Könige das Schicksal aller Menschen; das Fortleben nach dem Tod gestaltet sich allerdings anders; s. o. Anm. 227 und 228. 420. Dahinter ein radiertes Zeichen; vgl. CAT z.St. 421. Lies a]nk statt a]tk mit CAT z.St. 422. Oder »weisester der Männer /Menschen«, vgl. Gzella, Notes, 535 s. v. 2mq.

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Herbert Niehr

Anat begibt sich zu El (46) [Sie

hob die Fü]sse auf und durchreiste die Erde. Dann 423) (47) [richtete sie den Si]nn auf El an der Quelle 424) der beiden Flüsse, (48) [inmitten der Tie]fe der beiden Meere. 425) Sie zeigte sich auf dem Vorplatz Els ˇ anuma. 426) (49) [und betrat das Ge]mach des Königs, des Vaters des S (50) [Zu Füßen Els ver]neigte sie sich und fiel nieder, sie huldig[te (51) und ehrte] ihn. Sie verleumdete Aqhatu, den Helden, (52) [sie setzte herab das Kind des Dan]3ilu, des Mannes des Rapi3u. Und es sprach (53) [die Jungfrau Anat, sie erhob] ihre Stimme und rief das Wort: Die Zeilen 54-55 sind für eine Übersetzung zu fragmentarisch. Es muß in ihnen um die Beschuldigung gegen Aqhatu gegangen sein. Sodann fehlen ca. zehn weitere Zeilen bis zum Ende der Kolumne. Linker Rand

[Schreiber ist Ilimilku, der Schubanite, Schüler des Attenu] Purlanu 427)

3.2 Zweite Tafel (KTU 1.18)

Von der Vorderseite dieser Tafel ist nur Kolumne I fragmentarisch erhalten, von der Rückseite nur die Kolumne IV. Die Zeilen 1-11 der Kolumne I sind für eine Übersetzung zu schlecht erhalten. Es liegen die Reste einer Rede der Göttin Anat vor dem Gott El vor. VS

I.

(11) »… [auf] deinen [Schä]del, ich lasse fließen [dein graues Haar von Blut], (12) das Gra[ue] deines [Bar]tes von Gerinnsel. 428) Dann [rufe zu 429) ] (13) Aqhatu und es wird dich retten der Sohn [des Dan3ilu ] (14) und dir helfen aus der Hand der Jungfrau [Anat

423. 424. 425. 426. 427. 428. 429.

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].«

Der folgende Text ist ergänzt nach KTU 1.3 V 4-8; 1.4 IV 20-26; V 20-23; 1.6 I 32-38. Lies mbk statt mbr ; vgl. CAT z.St. Zu diesem Sitz des Gottes El s. o. Anm. 79. Zu diesem Titel des Gottes El s. o. Anm. 84. Ergänzt nach KTU 1.6 VI 54-55. Eigentlich »Innereien«; vgl zu dieser Drohung auch KTU 1.3 IV. Sinngemäß ergänzt von Parker, Aqhat, 63.

Texte aus Syrien

Antwort des Gottes El (15) Da

erwiderte der scharfsinnige El, der Kl[uge]: kenne dich, meine Tochter: Du bist unerbittlich, und es gi[bt unter den Göttinnen] 430) (17) keinen Spott wie den deinen. Geh weg, meine Tochter; erzürnt ist [dein] Herz, [er](18) greife, was in deiner Leber ist, 431) du mögest machen, w[as in] (19) deiner Brust [ist]. Dein Verfolger wird auf jeden Fall zertreten werden [ ].« (16) »Ich

Anat begibt sich zu Aqhatu (20) Dann

richtete [die Jung]frau Anat [das Antlitz] A]qhatu, dem Helden, über tausend Mo[rgen], (22) [zehntausend] Hektar. Und es lachte die Jungfrau [Anat], (23) [sie erhob] ihre Stimme und rief: »Höre d[och, oh A(24) qhatu, du He]ld. (25) Komm, mein Bruder, und ich [ ]. (21) [zu

Die Zeilen 25-28 sind für eine sinnvolle Übersetzung zu zerstört. (29) [

] ich will dich lehren zu ja[gen ]. zur] Stadt Abiluma, A[biluma], 432) (31) [der Stadt des Fürsten] Yarihu. ˘ Deren Turm [ ], (32) [ ] Hektar, ihre Stadt [ ].« (30) [

Es fehlen ca. 20 Zeilen am Ende dieser Kolumne. Ebenso sind die zweite Kolumne der Vorderseite sowie die erste Kolumne der Rückseite nicht mehr erhalten. In diesen fehlenden Kolumnen II und III ist wohl die Einladung an Aqhatu, an einer Jagdgesellschaft mit Anat teilzunehmen, ausgesprochen worden.

Anat dingt den Mörder des Aqhatu Vom Beginn dieser Kolumne IV fehlen ca. 20 Zeilen. Die ersten halbwegs erhaltenen vier Zeilen sind für eine Übersetzung zu unklar. Erst mit der Zeile 5 setzt wieder ein verständlicher Text ein. RS

IV.

(5) [Es

gin]g weg die Jungfrau Anat. [Dann wandte sie fürwahr das Antlitz]

430. Ergänzt nach KTU 1.3 V 28; vgl. CAT z.St. 431. Zu den Schwierigkeiten vgl. Gzella, Notes, 531 s. v. 3-hd. 432. Mythische Stadt, deren Lage nicht gesichert ist; vgl.˘ Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 1.

283

Herbert Niehr (6) Yatupanu,

dem su[täischen] 433) Krieger, zu. ˙ [Sie erhob ihre Stimme] (7) und rief: ]. »Gib Acht, Yatup, 434) [ ˙ (8) Die Stadt Abiluma, Abiluma, [die Stadt des Fürsten Yarihu]. (9) Wie soll sich nicht erneuern Yarih˘u an [seinem linken Hor]n, (10) an seinem rechten Horn an der ˘[ ] Schwäche seines (11) Hauptes?« 435)

Rede des Yatupanu ˙ Da erwiderte Yatupanu, der [sutäische] K[rieger]: ˙ (12) »Höre, oh Jungfrau Anat: Willst du ihn w[egen seines Bogens] (13) erschlagen, (wegen) seiner Pfeile willst du ihn nicht am Leben [lassen ]? (14) Der liebliche Knabe hat Essen bereitet und [Trinken] (15) ist vorhanden auf dem Vorplatz und wir wollen uns freuen [ ].« Anat erklärt ihren Plan (16) Da antwortete die Jungfrau Anat: »Gib Acht, Yatup und [ ] zu (17) dir. ˙ Ich werde dich wie einen Adler 436) in [meinen] Gür[tel] 437) stecken,

433. Zur Deutung von ˇst als « Sutäer » im Aqhatu-Epos vgl. Margalit, Studia Ugaritica, 181-188; ders., Aqhat, 337-340.462.476 und zuletzt Rahmouni, Epithets, 223-225. Zu den Sutäern vgl. grundlegend J.-R. Kupper, Les nomades en Mésopotamie au temps des rois de Mari (Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l’Université de Liège fasc. CXLII), Paris 1957, 83-145, M. Heltzer, The Suteans (Istituto Universitario Orientale. Seminario di Studi Asiatici. Series Minor XIII), Neapel 1981 und zuletzt B. Kärger / S. Minx, Art. Sutäer, in: RlA 13 (2012) 365-369. Was Ugarit betrifft, so ist hervorzuheben, daß z. Zt. des Königs Ammisˇtamru II. (ca. 1260-1230/25 v. Chr.) ein von den Sutäern entführter Mann aus Ugarit für ein Lösegeld von 50 Sˇeqel losgekauft wurde. Dieses Ereignis trug sich in der Zeit des Ilimilku zu. Zum Brief RS 8.333 vgl. J. Nougayrol, Palais Royal d’Ugarit III, Paris 1955, 7-8 und S. Lackenbacher, Textes Akkadiens d’Ugarit (LAPO 20), Paris 2002, 173 f. Des Weiteren versprach ein königlicher Beamter, Erkundigungen über die Sutäer einzuziehen; zum Brief RS 34.151 vgl. F. Malbran-Labat, Lettres, in: P. Bordreuil (Hg.), Une bibliothèque au sud de la ville (RSOu VII), Paris 1991, 27-64, hier 40 f. no. 13. 434. Hier und in Z. 16 wird die Kurzform des Namens gewählt. 435. Der gewaltsame Tod des Königssohnes bringt die Gestirne und die Natur in Unordnung. Anat will mit ihrer Rede an Yatupanu dessen Bedenken zerstreuen, indem sie auf die regulären ˙ zu dieser Mondgottepisode bes. Theuer, Mondgott, 129-132; Mondphasen hinweist. Vgl. M. Dietrich / O. Loretz, Die ›Hörner‹ der Neumondsichel. Eine Keilschriftparallele (Ee V 14-18) zu KTU 1.18 IV 9-11, in: M. Dietrich (Hg.), Orbis Ugariticus. Ausgewählte Beiträge von Manfried Dietrich und Oswald Loretz zu Fest- und Gedenkschriften (AOAT 343), Münster 2008, 71-74; Cooley, Poetic Astronomy, 199-204. 436. Das westsemitische nsˇr steht im Allgemeinen für einen Greifvogel, wobei es sich je nach Kontext um einen Adler oder um einen Geier handeln kann; vgl. dazu T. Kronholm, Art. naesˇaer, in: ThWAT 5, 1984-86, 681-689 und Smith, Ugaritic Baal Cycle, 343-345. Im Aqhatu-Epos ist der Adler gemeint, da dieser Aqhatu angreift und tötet; vgl. auch die Doppelaxt des Ba2al, die sich wie ein Adler aus seiner Hand schwingt (KTU 1.2 III 11-15). 437. Die Ergänzungen in den Zeilen 17-21 folgen mit CAT z.St. den Zeilen 28-32.

284

Texte aus Syrien (18) wie

einen Falken in meinen Beutel. 438) Aqhatu, [wenn er sich setzt] (19) zum Essen, 439) und der Sohn des Dan3ilu zum Speisen, [über ihm] (20) werden Adler schweben, wird spähen [eine Schar von F](21) alken. Zwischen den Adlern werde (auch) ic[h] schweben. Über (22) Aqhatu werde ich dich plazieren. Schlag ihn zweimal (auf) den Schädel, (23) dreimal auf das Ohr. Vergieße wie ein Mörder (24) (sein) Blut, wie ein Schlächter über seine Knie. Es gehe hinaus wie (25) Wind sein Geist, wie Speichel seine Lebenskraft, 440) wie (26) Rauch aus seiner Nase. Und fürwahr, 441) ich lasse seine Kriegerkraft 442) (27) nicht leben!«

Aqhatu wird ermordet Sie nahm Yatupan, den sutäischen Krieger, ˙ (28) steckte ihn wie einen Adler in ihren Gürtel, wie einen Falken (29) in ihren Beutel. Als sich Aqhatu zum Es[sen] 443) setzte, (30) der Sohn des Dan3ilu zum Speisen, da (31) schwebten über ihm Adler, spähte eine Schar Falk[en]. [Zwischen] (32) den Adlern schwebte Anat. Über [Aqhatu] (33) plazierte sie ihn. Er schlug ihn zweimal [(auf) den Schädel], (34) dreimal auf das Ohr. Er ver[goß wie] (35) ein Mörder sein Blut, wie ein Schlächt[er über seine Knie]. (36) Es ging aus wie Wind [sein] Geist, [wie Speichel] (37) seine Lebenskraft, wie Rauch aus [der Nase ]. (38) Anat beim Zugrundegehen seiner Kriegerkraft [

Abb. 12: Eine Göttin im Flügelkleid (Anat?); Stele vom Areal des Ba2al-Tempels

]

438. Zum Hintergrund der Falkenjagd vgl. W. G. E. Watson, The Falcon Episode in the Aqhat Tale, JNSL 5 (1977) 69-75 und (eher zurückhaltend) K. Reiter, Falknerei in Ugarit, UF 22 (1990) 271-284. 439. Nach »Essen« steht ein versehentlich gesetztes bet. 440. Vgl. die Parallele zum Segen des Gottes El in KTU 1.17 I 34-38. 441. Lies wap statt bap; vgl. CAT z.St. 442. Schreibfehler; es fehlt ein liegender Keil. Lies mhrh wie in Z. 38 und vgl. dazu del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary 536.566; gegen CAT z. T., wo der Fehler übersehen und stattdessen Zeile 38 korrigiert wird. 443. Vgl. zu den Zeilen 29-37 oben Zeile 18-26.

285

Herbert Niehr (39) Aqhatu

und beweinte den K[naben des Dan3ilu: »[ ] (40) kann ich wieder herstellen. Und wegen [deines] B[ogens habe ich dich erschlagen, wegen] 444) (41) deiner Pfeile leb[st du nicht ]. (42) Und mögen zu[grunde]gehen die Vögel, die [dich] ver[nichtet haben

].«

3.3 Dritte Tafel (KTU 1.19)

Die Tafel weist wie die vorangehende Tafel auf der Vorder- und der Rückseite jeweils zwei Kolumnen auf. Sie ist aus drei Bruchstücken (RS 3.322; 3.349; 3.366) zusammengesetzt.

Die Reue der Anat VS

I.

(1) [Zu]

Aqhatu. 445) beugte sich [ ] inmitten [der Was]ser, (3) es fiel nieder A[nat ] Herz. Es brach (4) der Bogen und [die Lei]er brach. (5) Dort [ ] die Jungfrau Anat. (6) Sie setzte sich [ ]. Sie ergriff (7) die Waffen wie ein Held. Ihre Hände strichen wie ein Sänger (8) die Leier, ihre Fi[n]ger wie (die) eines Steinschneiders. (9) Ihr Mund ergriff ihre Zähne und als Speise in die Speiseröhre (10) legte sie … Die Zeilen 11-13 sind weitgehend unverständlich. Es folgt eine Rede der Anat.

(2) Es

»Wegen (14) seines Stabes erschlug ich ihn, gleichfalls wegen seines Bogens (15) erschlug ich ihn, wegen seiner Pfeile (16) ließ ich ihn nicht am Leben. Doch sein Bogen wurde (17) mir nicht gegeben.« Und durch seinen Tod verdorrte das junge Korn, (18) das Erste der Sommerfrucht neigte sich, die Ähre (19) auf ihrem Halm.

Dan3ilu hält Gericht Daraufhin Dan3ilu (20) [der Ma]nn 446) des Rapi3u, daraufhin der Held, (21) [der Mann aus Ha]rnamu, 444. Vgl. unten KTU 1.19 I 14-15 mit CAT z.St. 445. Bibliothekshinweis wie in KTU 1.6 I 1; 1.14 I 1; 1.16 I 1. 446. Die Zeilen 20-25 sind nach 1.17 V 4-8 ergänzt.

286

Texte aus Syrien (22) [erhob sich, setzte sich in den Eingang des To]res [un]ter (23) [die Noblen, die auf der Tenne waren]. Er richtete (24) [den Rechtsfall der Witwe, ver]schaffte (25) [Recht der Waise. Beim Erheben seiner Augen] (26) [über tausend Morgen, über zehntausend Hek]tar, (27) [das Nahen der Pughatu 447) sah er fürwahr], (28) das Kommen [der Pughatu sah er].

Dan3ilu und Pughatu sehen die Unordnung der Natur Beim Heb[e]n (29) ihrer Augen, da sah sie: [Die Gerste] (30) auf der Tenne war vertrocknet, [die Ähren] (31) hatten sich gesenkt, vertrocknet war die Frucht der Weingärten. (32) Über dem Haus ihres Vaters schwebten Adler, (33) spähte ein Schwarm von Falken. (34) Es weinte Pughatu im Herzen, (35) sie vergoß Tränen im Innern. (36) Zerrissen war das Kleid des Dan3ilu, des Mannes (37) des Rapi3u, das Gewan[d] 448) des Helden, des Mannes von Harnamu. 449)

Beschwörung des Dan3ilu (38) Daraufhin

Dan3ilu, der Mann (39) des Rapi3u, beschwor die Wolken, in (40) der unheilvollen Hitze: »Den Frühregen sollen die Wolken (41) regnen, während des Sommers der Tau soll tauen (42) auf die Trauben.« Sieben Jahre (43) war Ba2al abwesend, acht der Fahrer (44) der Wolken. 450) Kein Tau, kein Sprühregen, (45) kein Anschwellen der beiden Ozeane, 451) keine (46) Süße der Stimme des Ba2al. Denn zerrissen war (47) das Kleid des Dan3ilu, des Mannes des Rapi3u, (48) das Gewand des Helden, des Mannes von Har[namu].

447. Name der Tochter des Königs Dan3ilu, der »Mädchen« oder »Prinzessin« bedeutet; vgl. del Olmo Lete / Sanmartin, Dictionary, 666 s. v. pg˙t. 448. Schreibfehler, es fehlt ein lamed ; vgl. CAT z.St. 449. Das Zerrissensein des Gewandes steht für einen Selbstminderungsritus des Dan3ilu angesichts der Dürre im Land. 450. Vgl. das Motiv der sieben fetten und der sieben dürren Jahre im Traum des Pharao in der Josephsgeschichte (Gen 41,1-36). Zu Ba2al als Fahrer eines von zwei Stieren gezogenen Wagens s. o. Anm. 112. 451. Die beiden Süßwasserozeane des Himmels und der Erde treffen am Sitz des Gottes El zusammen; vgl. Niehr, Sitze, 332-335.

287

Herbert Niehr

Aufbruch von Dan3ilu und Pughatu (49) Mit

II.

lauter Stimme [rief Dan3ilu] seiner Tochter zu:

(1) »Höre,

Pughatu, Trägerin des Wassers, des Taues vom Vlies, (3) Kenner[in] des Ganges der Sterne: 452) Zäume auf den Esel, (4) schirre an den Hengst; lege auf mein Zaumzeug aus Silber (5) aus Gold meine Schabracken!« Es gehor[chte] (6) Pughatu, die Trägerin des Wassers, die Schöpferin des Taues vom [Vlie]s, (7) die Kennerin des Ganges der Sterne. (8) Dann zäumte sie den Esel auf, (9) dann schirrte sie den Hengst an, dann (10) hob sie ihren Vater hoch, setzte ihn auf den [Rü]cken des Esels, (11) auf die Pracht des Rücken des Hengstes. 453) (12) Dan3ilu trieb (ihn) an 454), er umkreiste sein Gestrüpp. (13) Einen Sproß sah er im Gestrüpp, einen Spro[ß] (14) sah er im Blattwerk. Den Sproß umarmte (15) und küßte er: 455) »Oh daß sich doch ein Sp[roß] (16) erheben 456) möge aus dem Gestrüpp, ein Sproß sich erheben möge aus dem Blattwerk. (17) Oh Pflanze, es ergreife dich die Hand des Aqhatu, (18) des Helden, sie lege dich inmitten des Speichers.« (19) Dan3ilu trieb (ihn) an, 457) er umkreiste sein Brachland, er sah (20) eine Ähre im Brachland, (2) Sammlerin

452. Wie KTU 1.19 IV 28 zeigt, handelt es sich um Titel der Königstochter Pughatu. Insofern geht es gegen Caquot / Sznycer / Herdner, Mythes, 445 Anm. m, de Moor, Anthology, 251 Anm. 180-182 und Dietrich / Loretz, Mythen, 1290 Anm. 262 nicht um die hausfraulichen Fähigkeiten der Pughatu, sondern um ihr divinatorisches Können im Hinblick auf Wasserriten und Gestirnsdeutung. Ginsberg, Aqhat, 153 Anm. 36 verstand die Fähigkeiten der Pughatu als »Apparently forms of weather-wisdom bordering on divination«, während Cooley, Poetic Astronomy, 204-206 einen Bezug zur Navigation anhand der Gestirne sieht. Zum Vergleich mit dem Götterboten Qudsˇu-wa-Amraru im Ba2al-Zyklus s. o. zu KTU 1.4 IV 8-19. Zum Zusammenhang von Zubereitung geweihten Wassers und den Gestirnen vgl. R. Strauß, Reinigungsrituale aus Kizzuwatna, Berlin / New York 2006, 34-44 und zum Motiv des Tausammelns vom Vlies in divinatorischer Absicht vgl. die Gestalt des Gideon im Alten Testament (Ri 6,36-40). 453. Die Zeilen 10-11 sind von Ilimilku aus KTU 1.4 IV 13-15 übernommen. 454. Mit CAT z.St. ist ydn zu lesen. 455. Akt der sympathetischen Magie 456. Lies yp2 mit CAT z.St. 457. Lies ydn hdnii hli mit CAT z.St.

288

Texte aus Syrien

eine Ähre kam heraus 458) (21) aus dem ausgedörrten Land. 459) Die Ähre um[armte] (22) und küßte er. »Oh daß doch eine Äh[re] (23) sich erhebe aus dem Brachland, eine Ähre sich erhebe [aus dem aus]gedörrten Land. (24) Oh Pflanze, es ergreife dich die Hand des Aqhatu, des Hel[den], (25) sie lege dich inmitten des Speichers.« (26) Aus seinem Mund das Wort war (noch) nicht hervorgekommen, von seinen Lippen [sein Ausspruch], (27) beim Heben ihrer Augen da sah sie: Es war keine gute N[achricht] (28) im Kommen der beiden jungen Männer. Die Zeilen 28b-29a sind unverständlich.

Die Boten unterhalten sich auf dem Weg (29) »Er

schlug (ihn) z[weimal] 460) (30) [auf den Sch]ädel, dreimal auf das Oh[r].« (31) Nicht [ge]bunden waren die Locken ihrer Häupt[er], (32) über der Locke waren nicht gebunden unverständlich (33) die Zöpfe. Und fürwahr vergossen sie Tränen wie (34) Viertelsˇeqel [ ]: 461) »Durch (35) die Macht des Saphon, siehe, siegen wir, ˙ [durch die Macht des Sa]phon, siehe, (36) triumphieren wir. Unverständlich ˙ (37) Wir teilen dir Neuigkeiten mit, Dan3ilu [ ], (38) das Haupt. Unverständlich Unter Anat fiel er. Nicht ließ sie ihn hochkommen. Sie [ließ] ausgehen wie Wind seinen Geist, (39) wie Speichel seine Lebenskraft, [wie Rauch aus seiner Nase].« 462)

Die Boten überbringen ihre Nachricht an Dan3ilu (40) Sie kamen an, sie erhoben ihre Stimme und [riefen]: (41) »Höre, oh Dan3ilu, Mann [des Rapi3u]! (42) Tot ist Aqhatu, der Held. [Es ließ ausgehen] (43) die Jungfrau Anat wie W[ind seinen Geist], (44) [w]ie Speichel seine Lebenskraft, [wie Rauch aus seiner Nase]. 463)«

458. 459. 460. 461. 462. 463.

Emendiert von del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 973 und CAT z.St. Lies aklt mit CAT z.St. Rasur, vgl. CAT z.St. Vgl. KTU 1.14 I 28-30. Ergänzt nach KTU 1.18 IV 24-26. Spuren von Radierung, vgl. CAT z.St.

289

Herbert Niehr

Reaktion des Dan3ilu [An ihm die Füße] 464) (45) zitterten, o[ben sein Gesicht brach in Schweiß aus, hinten] (46) (sein) Rücken beu[gte sich], [die Sehnen seines Rückens zogen sich zusammen], (47) die Muskeln d[er Rückseite. Er erhob seine Stimme] (48) und rie[f ]. (49) »Erschlagen [ ].« Die folgenden sechs Zeilen bis zum Ende der Kolumne sind nicht mehr erhalten.

Dan3ilu auf der Suche nach dem Leichnam des Aqhatu Untere Ecke (56) Beim

Heben [seiner Augen da sah er, da erblickte er], 465) (57) in den Wolken [Adler. Er erhob] RS

III.

(1) [seine

Stimme] und rief: »Die Flü[gel der Adler] 466) (2) möge Ba2al zerbre[chen], Ba2al möge zerbrechen [ihre Schwingen 467)]. 468) (3) Sie mögen herabfallen unte[r] meine Füße. Ich werde spalten [ihr Inneres (4) und] werde schauen, ob es Fett gibt, ob es g[ibt] (5) Knochen. Ich werde (ihn) beweinen und ihn begraben, (6) ich werde (ihn) legen in die Grube der Götter der Unterwelt.« 469)

Der Gott Ba2al kommt Dan3ilu zu Hilfe (7) Aus

seinem Mund das Wort war nicht heraus, von seinen Lippen [sein] Ausspruch, (8) da brach Ba2al die Flügel der Adler, (9) Ba2al brach ihre Schwingen. Sie fielen herab 470) (10) unter seine Füße. Er 471) spaltete ihr Inneres und [schaute]: (11) Es war kein Fett, es waren keine Knochen. 464. 465. 466. 467. 468. 469.

Die Zeilen 44-48 sind ergänzt nach KTU 1.3 III 32-36 und 1.4 II 16-21. Ergänzt nach III 14-16. Die Ergänzungen in Zeile 1-3 sind nach Zeile 8-11 vorgenommen. Hier liegt diy II vor; vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 259. Zur Konstruktion vgl. Tropper, Grammatik, 213 § 41.132 d. Fehler im Keilschrifttext; lies mit CAT ars. Vgl. zur Grube der Götter der Unterwelt noch die ˙ V 5-6 und 1.6 I 17-18. Bestattung des Gottes Ba2al nach KTU 1.5 470. Fehler im Keilschrifttext; lies mit CAT tqln. 471. Dan3ilu ist hier das Subjekt.

290

Texte aus Syrien

Er erhob seine Stimme (12) und rief: »Die Flügel der Adler möge (Ba2al) wieder herstellen, (13) Ba2al möge wiederherstellen ihre Schwingen. Oh Adler, (14) flattert und fliegt weg!« 472) Beim Heben seiner Augen da s(a)h er, (15) da erblickte er Hargabu, 473) den Vater der Adler. (16) Er erhob seine Stimme und rief: »Die Flügel des Har[ga]bu (17) möge Ba2al zerbrech(en), Ba2al möge zerbrechen seine Schwingen. (18) Er falle herab unter meine Füße. Ich werde spalten [sein] Inneres (19) und schauen, ob es Fett gibt, ob es [Knochen] gibt. (20) Ich werde (ihn) beweinen und ihn begraben. Ich werde (ihn) legen in die Grube (21) der Götter [der Unterwelt.« Aus seinem Mund das Wort war nicht heraus, von] seinen [Lipp]en (22) sein Ausspruch, da zerbrach Ba2al die Flügel des Hargabu, (23) es zerbrach Ba2al seine Schwingen. Und er fiel herab (24) unter seine Füße. Er spaltete sein Inneres und schaute: (25) Es gab kein Fett, es gab keine Knochen. Er erhob seine Stimme (26) und rief: »Die Flügel des Hargabu möge Ba2al wieder herstellen, (27) Ba2al möge wieder herstellen seine Schwingen. Hargabu, (28) du sollst flattern und wegfliegen!«

Erfolg der Suche Beim Heben seiner Augen 474) (29) da sah er, da erblickte er Samelu, 475) die Mutter der Adler. ˙ Stimme und rief: (30) Er erhob seine »Die Flügel der Samelu (31) möge Ba2al zerbrechen, ˙ Ba2al möge zerbrechen ihre Schwingen. (32) Sie falle herab unter meine Füße. Ich werde spalten (33) ihr Inneres und schauen, ob es Fett gibt, 472. Hier und im Folgenden wird die Heilung der Adler durch Ba2al nicht mehr erzählt, sondern stillschweigend vorausgesetzt. 473. Mythischer Name; zu einer möglichen Etymologie vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 346 s. v. hrgb und zum Hintergrund vgl. E. Lipin´ski, On the Skirts of Canaan in the Iron Age. Historical and Topographical Researches (OLA 153), Leuven 2006, 237. 474. Mit der Form 2nh liegt ein Druckfehler in CAT vor. ˘ vgl. dazu die Literatur in del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 786 s. v. 475. Mythisches Wesen; sml. ˙

291

Herbert Niehr

Abb. 13: Blick in die Königsgruft von Ugarit

(ob) es (34) Knochen gibt. Ich werde (ihn) beweinen und ihn begraben, ich werde (ihn) legen (35) in die Grube der Götter der Unterwelt.« Aus seinem Mund das Wort war nicht he[r]aus, (36) von seinen Lippen sein Ausspruch, da [zerbrach] Ba2a[l] die Flügel der Samelu, (37) Ba2al zerbrach ihre Schwingen. ˙ Sie fiel herab unter (38) seine Füße, er spaltete ihr Inneres und schaute: (39) Da war Fett, da waren Knochen.

292

Texte aus Syrien

Dan3ilu bestattet Aqhatu Da nahm er aus ihr (40) Aqhatu. Er bewei[nte] (ihn), aber nicht unverständlich; er bewein(te ihn) und begrub (ihn). (41) Er begrub ihn in einem Grab mit Siegel. 476) (42) Und er erhob seine Stimme und rief: »Die Flügel der Adler (43) möge Ba2al zerbrechen, Ba2al möge zerbrechen ihre Schwingen, (44) wenn sie fliegen über das Grab meines Sohnes, (45) sie ihn aufwecken vom Schlaf.«

Dan3ilu verflucht drei Städte Qiru Mayi[ma] 477) (46) verfluchte der König: »Wehe dir, Qiru Mayima, au[f dir] (lastet) (47) der Mord an Aqhatu, dem Helden. Mögest du als Aussätziger immer ein Fremder sein, 478) (48) jetzt sei ein Flüchtling für immer, jetzt und von Geschlecht zu Geschlecht!« (49) Er nahm das obere Ende des Stabes in seine Hand (50) (und) kam nach Mirartu-Tachallilu-Binuri. 479) (51) Er erhob seine Stimme und rief: »Wehe dir, Mirartu-(52) Tachallilu-Binuri, auf dir (lastet) der Mord an Aqhatu, (53) dem Helden. Aus der Erde soll dein Sproß nicht (54) auftauchen, der Kopf verwelke in der Hand deines Pflückers. (55) Jetzt sei ein Flüchtling für immer, (56) jetzt und von Geschlecht zu Geschlecht.« Er nahm das obere Ende des Stabes in seine Hand

476. So mit del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 450 s. v. Zugunsten der Deutung von knkt als »versiegeltes Grab« spricht, daß die Abfolge von zwei Ortsnamen nicht plausibel ist und v. a. der Schutz des Grabes vor den Greifvögeln und Grabräubern. Dagegen spricht sich W. T. Pitard, The Reading of KTU 19:III:41. The Burial of Aqhat, BASOR 293 (1994) 31-38 für die Lesung bknrt aus, läßt allerdings die Übersetzung offen. 477. Zu dem mythischen, nicht lokalisierbaren Ort vgl. Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 228. Mögliche Nebenbedeutung sind die Tränen der Trauer; vgl. de Moor, Anthology, 259 Anm. 223. 478. So mit D. R. Hillers, A Difficult Curse in Aqht (19 [1Aqht] 3.152-154), in: A. Kort / S. Morschauser (Hg.), Biblical and Related Studies Presented to Samuel Iwry, Winona Lake 1985, 105-107; F. Renfroe, Qr-Mym’s Comeuppance, UF 18 (1986) 455 f.; W. G. E. Watson, Notes on Some Ugaritic Words, SEL 6 (1989) 47-52, hier 47 f. Anders allerdings Caquot / Sznycer / Herdner, Mythes, 453, Parker, Aqhat, 74, Dietrich / Loretz, Mythen, 1299 und Gzella, Notes, 532 f., die die Stadt als Asylsuchenden bzw. Fremdling im Tempel Els sehen. 479. Zu dem mythischen, nicht lokalisierbaren Ort; vgl. Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 191. Mögliche Nebenbedeutung »Bitterkeit«; vgl. de Moor, Anthology, 260 Anm. 230.

293

Herbert Niehr

IV.

(1) (und)

kam zur Stadt Abiluma, Abiluma, (2) der Stadt des Fürsten Yarihu. 480) Er erhob seine Stimme (3) und rief: ˘ »Wehe dir, Stadt Abiluma, (4) auf dir (lastet) der Mord an Aqhatu, dem Helden. (5) Zur Blinden mache dich Ba2al. Von jetzt an (6) und für immer; von jetzt von Geschlecht zu Geschlecht!«

Dan3ilu kehrt in seinen Palast zurück (7) Er

nahm das obere Ende des Stabes in seine Hand. erreichte 481) sein Haus, es ging (9) hinab Dan3ilu zu seinem Palast. Es traten in (10) [sein] Haus die [Wei]nenden, 482) in seinen Palast die Trauerfrauen, in seinen Hof (11) die Hautritzer. Sie weinten über Aqhatu, (12) den Helden, sie vergossen Tränen über das Kind des Dan3ilu, (13) des Mannes des Rapi 3u. Von Tagen zu Monaten, (14) von Monaten zu Jahren. Bis zu (15) sieben Jahren weinten sie über Aq(16) hatu, den Helden, vergossen sie Tränen über das Kind (17) des Dan3ilu, des Mannes des Ra[pi3u]. (8) Dan3ilu

Das Ende der Trauer [Sie]he, im siebten (18) Jahr, da sprach [Dan3ilu, der Ma]nn, des Rapi3u, (19) es erwiderte der Held, der Ma[nn aus Harnamu, er er]hob (20) seine Stimme und rief: »Ge[het aus] meinem H[aus], (21) Weinende, aus meinem Palast, Klagende, (22) aus meinem Hof, Hautritzer!« 483) Und er brachte [dar] (23) Opfer für die Götter, er ließ emporsteigen ihren Weihrauch (24) in den Himmel, den Weihrauch des Harnamiten in die [St](25) erne. Unverständlich (26) Unverständlich Es [kehrten] zu seinem Palast die Zim(27) beln, zu [seinem] Haus die Kastagnetten aus Elfenbein 484) zurück.

480. Zu Abiluma s. o. Anm. 432; zu einer möglichen Nebenbedeutung »Trauer«, vgl. de Moor, Anthology, 243 Anm. 130. 481. Hier ist fälschlicherweise ein Trenner in das Verb gesetzt. 482. Fehler im Keilschrifttext; lies mit CAT z.St.: bbth bkyt. 483. Die Zeilen 7-22 haben stehen in Parallele zu KTU 1.17 II 24-42. 484. Zu diesen Musikinstrumenten vgl. A. Caubet, La Musique à Ougarit: nouveaux témoignages matériels, in: N. Wyatt / W. G. E. Watson / J. B. Lloyd (Hg.), Ugarit, religion and culture. Proceedings of the Colloquium on Ugarit, religion and culture Edinburgh, July 1994. Essays presented in honour of Professor John C. L. Gibson (UBL 12), Münster 1996, 9-31, bes.

294

Texte aus Syrien

Racheplan der Pughatu (28) Da

erwiderte Pughatu, die Trägerin des Wassers: Vater brachte dar ein Opfer für die Götter, (30) er ließ emporsteigen ih[ren] Weihrauch in den Himmel, (31) den Weihrauch des Harnamiten in die Sterne. (32) Segne mich doch! Ich will gesegnet gehen! (33) Stärke mich! Ich gestärkt gehen! (34) Erschlagen will ich den Mörder meines Bruders, ich will vernichten (35) den Vernichter des [N]achkommens meiner Sippe.« Da antwortete Dan(36) 3ilu, der Mann des Rapi3u: »Bei (meinem) Leben! Es lebe Pugha[tu], (37) die Trägerin des Wassers, die schöpft vom Vlies (38) den Tau, die kennt den Weg der Sterne 485) [ ]. (39) In ihrer Lebenskraft erschlage sie den Mörder [ihres Bruders], (40) sie vernichte den Vernichter des Nachkommens der Sippe [ ].« (29) »Mein

Pughatu verkleidet sich als Anat (41) [

] Im Meer wusc[h] sie sich (42) und schminkte sie sich. Sie schminkte sich 486) mit der Schnecke des Meeres, (43) deren Wohnstatt zehntausend Morgen im Meer ist. 487) Un[terhalb] (44) kleidete sie sich mit Kleidern eines Mannes; sie tat den D[olch] in (45) seine Hülle, das Schwert tat sie in seine Scheide, (46) und oberhalb bekleidete sie sich mit Kleidern von Frauen.

Die als Göttin Anat verkleidete Pughatu kommt zum Mörder Yatupan ˙ ˇ apsˇu, (47) [Beim] Weggang der Leuchte der Götter, S be[trat] (48) Pughatu das Lager in den Feldern, beim Unter[gang] (49) der Leuchte der Götter, Sˇapsˇu, erreic[hte] (50) Pughatu die Zelte. 488) Die Nachricht [b]rachte man Yatu[pan]: ˙ (51) »Die uns gedungen hat, hat deinen Vorplatz betreten, [Anat] 489) (52) hat betreten die [Z]elte.« Da antwortete Yatupan, der sutäische Krie[ger]: ˙ (53) »Nimm und trinke Wein,

485. 486. 487. 488. 489.

10 f.29 fig. 1-4 und M. Koitabashi, Music in the Texts from Ugarit, UF 30 (1998) 363-396, bes. 375 f. Lies: kbkbm. Lies tidm mit CAT. Vgl. auch die Vorbereitung der Göttin Anat zum Kampf in KTU 1.3 IV 45-46. Es handelt sich um die Zelte der als Nomaden lebenden Sutäer. Ergänzt dem Sinne nach; so auch Dietrich / Loretz, Mythen, 1304; gegen CAT z.St. pg˙t, da hier die Verkleidung übersehen wird. Zur Verkleidung vgl. auch Walls, Anat, 206-210.

295

Herbert Niehr

du mögest n[eh]men (54) den Becher aus meiner Hand, den Kelch aus meiner Rechten.« Es nah(55) m Pughatu und sie trank ihn, sie nahm 490) (56) [den Becher] aus seiner Hand, den Kelch aus seiner Rechten. Da sprach Yatu[pa]n, der sutäische [Krie]ger: ˙ (57) »Durch Wein, erstarke ich, Sutäer. Unverständlich (58) Unverständlich. Die Hand, die erschlug Aq[ha]tu, den Hel(59) den, wird tausende Feinde erschlagen.« Sie legte (60) Zauber auf die Zelte, und unverständlich (61) ihr Herz. Als [er] ihr ein zweites Mal Wein einfüllte, (62) zum zweiten Mal sie diesen Mischtrank trank, sie trank und … (?) Es fehlen einige Zeilen. Linker Rand (63) Und

hier kehrt man zur Erzählung zurück. 491)

Es fehlen die Erzählung vom Vollzug der Rache der Pughatu an den Mördern ihres Bruders und von ihrer Inthronisierung sowie der Übergang zu den rapi3u¯ma-Texten.

4. Die rapi3u¯ma-Texte (KTU 1.20-22) Mit diesem nur sehr fragmentarisch erhaltenen Textkorpus verbindet sich die immer wieder kontrovers beantwortete Frage, ob und inwieweit es die Fragmente der letzten Tafel des Aqhatu-Epos (KTU 1.17-19) umfaßt. Diese Annahme war mit unterschiedlichen Argumenten mehrfach vorgebracht worden. 492) Zuletzt konnte D. Pardee aber zusätzlich aus epigraphischen Gründen deutlich machen, daß die erhaltenen Fragmente zu ein und derselben Tafel gehören. Dabei ergeben sich folgende Entsprechungen: VS Col I = KTU 1.22 VS I, VS Col II = KTU 1.21 VS + 1.22 VS II, RS Col V = KTU 1.20 VS II + 1.21 RS und RS Col VI = KTU 1.20 VS I + 1.22 RS. 493) Auf

490. Schreibfehler im Keilschrifttext; lies tqh mit CAT z.St. ˙ 491. Diese Zeilen befinden sich aus Platzgründen auf dem linken Rand der Tafel auf der Höhe der Zeilen 23 ff., beziehen sich aber gegen de Moor, Anthology, 262 Anm. 242 und Dietrich / Loretz, Mythen, 1302 Anm. 343 nicht auf diese Zeilen, sondern verweisen auf den Fortgang der Erzählung auf einer weiteren Tafel. Zu einem vergleichbaren redaktionellen Hinweis, der allerdings auf eine Textwiederholung aufmerksam macht, vgl. KTU 1.4 V 42-43 (s. o.) und RS 96.2016,41, wo es sich um einen Kommentar handelt. Vgl. zur Diskussion bes. Gordon, Legends, 29 und Margalit, Notes (Part II), 178 f. 492. Vgl. etwa Caquot / Sznycer / Herdner, Textes, 463; M. Dijkstra / J. C. de Moor, Problematical Passages in the Legend of Aqhâtu, UF 7 (1972) 171-215, hier 171 f.; K. Spronk, Beatific Afterlife in Israel and in the Ancient Near East (AOAT 219), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1986, 265-273; de Moor, Anthology, 224.266-273; Korpel, Exegesis, 90. 493. Vgl. D. Pardee, Nouvelle étude épigraphique et littéraire des textes fragmentaires en langue ougaritique dits »Les Rephaïm« (CTA 20-22), Or NS 80 (2011) 1-65.

296

Texte aus Syrien

diesem Hintergrund, aber auch wegen der Handschrift des Ilimilku 494) und der inhaltlichen Einbindung der Fragmente in den Handlungsablauf des Aqhatu-Epos, ist die Plausibilität der Zusammengehörigkeit von KTU 1.17-19 und 1.20-22 noch größer geworden. Daraus resultiert folgender Handlungsablauf, der zumindest in Umrissen erkennbar ist. Nach einer Nachkommensverheißung an Dan3ilu erfolgt die Ankündigung eines Gelages der rapi3u¯ma, zu dem der Gott El in seinen Wohnsitz auf dem Libanongebirge einlädt. Bei ihrer Reise dorthin gelangen die rapi3u¯ma auf die Tenne des Dan3ilu. Hier bricht der erhaltene Text leider ab. Drei Tontafeln aus der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Maison du Grand Prêtre, Raum 7 und Umgebung. – Aufbewahrungsort: Musée du Louvre, Paris (AO 17.321; AO 16.648; AO 16.647), die beiden letzten Fragmente jetzt im Nationalmuseum Aleppo (M 3350 = A 2735; M 3351 = A 2736). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, La légende phénicienne de Danel (Mission de Ras Shamra I (BAH 19), Paris 1936; ders., Les Rephaïm, fragments de poèmes de Ras Shamra, Syria 22, 1941, 1-30. – Autographie und Photo: A. Herdner, Corpus des Tablettes en Cunéiformes Alphabétiques trouvées à Ras Shamra-Ugarit de 1929-1939. Mission de Ras Shamra X (BAH 79, Paris 1963, 92-96; fig. 63-66; pl. XXXI. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen in Auswahl: A. Caquot / M. Sznycer / A. Herdner, Textes Ougaritiques I. Mythes et Légendes (LAPO 7), Paris 1974, 459-480; C. H. Gordon, Poetic Legends and Myths from Ugarit, Berytus 25 (1977) 5-133, hier 29-33; F. Landy, The Tale of Aqhat, London 1981, 37-41; G. del Olmo Lete, Mitos y leyendas de Canaán segu´n la tradición de Ugarit, Madrid 1981, 405-414; J. C. de Moor, An Anthology of Religious Texts from Ugarit (NISABA 16), Leiden 1987, 266-273; M. Dietrich / O. Loretz, Mythen und Epen (TUAT III), Gütersloh 1990-97, 1089-1317, hier 1306-1317; T. Lewis, Toward a Literary Translation of the Rapiuma Texts, in: N. Wyatt / W. G. E. Watson / J. B. Lloyd (Hg.), Ugarit, religion and culture. Proceedings of the International Colloquium on Ugarit, religion and culture Edinburgh, July 1994. Essays Presented in honour of Professor John C. L. Gibson (UBL 12), Münster 1996, 115-149; ders., The Rapiuma, in: S. B. Parker (Hg.), Ugaritic Narrative Poetry (SBL Writings from the Ancient World 9), Atlanta 1997, 196-205; W. Pitard, A New Edition of the »Râpi3u¯ma Texts«, BASOR 285 (1992) 33-77; ders., The RPUM Texts, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HdO I/39), Leiden 1999, 259-269; M. Baldacci, Il libro dei morti della antica Ugarit, Casale Monferrato 1998, 91-98; N. Wyatt, Religious Texts from Ugarit. The Words of Ilimilku and his Colleagues (The Biblical Seminar 53), Sheffield 1998, 314-323; C. Peri, Poemi ugaritici della regalità (Testi del Vicino oriente antico 5), Brescia 2004, 83-86; D. Pardee, Nouvelle étude épigraphique et littéraire des textes fragmentaires en langue ougaritique dits « Les Rephaïm » (CTA 20-22), Or NS 80 (2011) 1-65; M. D. Coogan / M. S. Smith, Stories from Ancient Canaan, Louisville 22012, 60-63. – Weitere Literatur: K. Spronk, Beatific Afterlife in Ancient Israel and in the Ancient Near East (AOAT 219), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1986, 164-177; J. Aboud, Die Rolle des Königs und seiner Familie nach den Texten von Ugarit, Münster 1994, 127-139; J. L. McLaughlin, The marzeah at Ugarit. A Textual and Contextual Study, UF 23 (1991) 265˙ 281.

494. Vgl. Pardee, Étude, 11-14.

297

Herbert Niehr

4.1 VS Col I = KTU 1.22 VS I

Unverständlich (2) »Siehe, dein Sohn, siehe [ ] (3) der Enkel an deiner Statt, siehe [ ] (4) deine Hand, den Kleinen werden deine Lippen küssen.« (5) Dort, Schulter an Schulter stehen die Brüder (6) in Eile, dort feiern die Menschen den Namen des El, (7) feiern preisend den Namen des El die Helden. (8) Dort ist Tmq, 495) der Heiler des Ba2al, der Krieger ¯des Ba2al, (9) und der Krieger der Anat; dort ist Yahpanu, der mächtige (10) Prinz, ˙ 496) der König 2Allmy. Wenn sich erhebt (11) die Anat der Jagd, fliegen läßt die Vögel des Himmels, (12) opfert man Rinder, auch Kleinvieh schlachtet man, Stiere (13) und Mastvieh, einjährige Kälber, (14) Lämmer einen Haufen, Böckchen. Wie Silber sind (15) für die Vorbeiziehenden 497) die Oliven, (wie) Gold für die Vorbeiziehenden sind die Datteln. (16) Früchte der Tafel mit Blumen, mit Blumen (17) der Könige. Siehe, einen Tag schenken sie Wein von Tmk 498) aus, ¯ (18) Most, den Wein von Srnn, 499) ˙ ll, 500) den Wein des Landes (19) G 501) den Isˇryt-Wein von 2nq, smd 502) (20) des Libanon, den Rosé von Mrt 503), den anbaut El. ¯ und einen zweiten (21) Siehe einen Tag speisen die rapi3u¯ma, (22) sie trinken einen dritten, einen vierten Tag, einen fünften, (23) einen sechsten Tag, die rapi3u¯ma speisen, die rapi3u¯ma (24) trinken im Festhaus in den Klippen, (25) Unverständlich im Herzen des Libanon. 495. Eine kleine Gottheit; der Name geht zurück auf akk. dsumuqu; vgl. J. N. Ford apud Rahmouni, Epithets, 225 Anm. 13. 496. Unbekannter kleiner Gott. 497. Vgl. Pardee, Étude, 56. 498. Ortsname; vgl. del Monte Marin, Orts- und Gewässernamen, 300. 499. Ein unbekannter Ortsname, 500. Ortsname; vgl. del Monte Marin, Orts- und Gewässernamen, 101. 501. Unbekannter Ortsname. 502. Unklar. 503. Vielleicht eine Weinsorte; vgl. Pardee, Étude, 57.

298

Texte aus Syrien

Dann, am siebten (26) [ ] 2Aliyanu Ba2al Der weitere Text ist fragmentarisch und unverständlich.

4.2 VS Col II = KTU 1.21 VS + 1.22 VS II

Rede des Dan3ilu (1) »[

zu] meinem marzihu, kommt zu meinem Haus,˙ [rapi3u¯ma, (2) zu] meinem H[aus] lade ich euch ein (3) [ in] meinen [P]alast. Zu diesem Ort die rapi3u¯ma (4) [sollen gehen]; zu [diesem Ort] sollen gehen die Göttlichen (5) [ zu] meinem marzihu, oh rapi[3u¯ma], (6) meine˙Freunde. Siehe, ich gehe, [ ] (7) drei, ich gelange zu [meinem] Haus, (8) [ inmitte]n meines Palastes.«

Rede des Gottes El Da sprach El: (9) »[ ] kommt zu meinem Haus, rapi3u ¯ ma, (10) [in mein Haus la]de ich euch ein, (11) ich rufe euch [in] meinen [Pa]last. Zu diesem Ort sollen sich die rapi3u¯ma (12) [bewegen], [zu diesem O]rt sollen sich bewegen die Göttlichen. ….

Rede eines unbekannten Sprechers (1) »…. (2) In

meinen Palast [ ], in mein Haus, r[api3u¯ma], in mein Haus rufe ich] euch, (4) ich lade [euch, Göttliche, in meinen Palast]. (5) Zu diesem Ort die r[api3u ¯ ma sollen sich bewegen, zu diesem Ort] (6) sollen sich bewegen die Gö[ttlichen.« Da antwortete] (7) der Krieger des Ba2al, [der Krieger] (8) der Anat: »Kommt zu [meinem] Haus, rapi3u¯ma, in mein Haus (9) lade ich euch, ic[h rufe euch, Göttliche, in] (10) meinen Palast. (3) kommt

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Herbert Niehr

An diesen Or[t, rapi3u¯ma, sollt ihr euch bewegen], (11) an diesen Ort, fürwahr sollt [ihr euch bewegen, Göttliche].« Es antwortete (12) Yahpanu, die mä[chtige] Hoheit, der König 2Allmy]: ˙ (13) »Hört, geht [ ].« Die Zeilen 14-17 sind unverständlich.

Rede des Dan3ilu (?) (18) Er

ergreift den Thron seiner Herrschaft [ ]. will einladen die rapi3u¯ma, [ich will rufen die Göttlichen] (20) in [meinen] Pala[st]. An diesen Ort die rapi3u¯ma, fürwahr, (21) sollen sich aufmachen, an diesen Ort [fürwahr sollen sich aufmachen die Göttlichen].« (22) Sie schirren an [ihren] Kriegswagen, (23) sie besteigen [ihren] Kriegs[wagen], (24) ihre Esel. Sie gehen [einen Tag und einen zweiten, beim Untergang der Sonne] (25) am dritten erreichen [die rapi3u¯ma die Tenne], (26) die Göttlich[en] die …… . (19) »Ich

4.3 RS Col V = KTU 1.20 VS II + 1.21 RS (1) »Acht

in meinen Palast. An diesen O[rt die rapi3u¯ma] (2) sollen sich bewegen, an diesen Ort sollen sich bewegen die Gött[lichen. Ihre Kriegswagen] (3) schirren sie an, die Pferde satteln sie mit [ ] (4) Sie besteigen ihre Kriegswagen, sie (5) Sie gehen einen Tag und einen zweiten. Nach Sonnen[untergang am dritten], (6) erreichen die rapi3u ¯ ma die Tenne, die G[öttlichen] (7) die Pflanzung. Und es sprach Dan3ilu [der Mann des Rapi3u], (8) es erwiderte der Held, der Mann von Harnamu [ ]: (9) »Auf den Tennen die Götter, in der Pf[lanzung die Göttlichen]. (10) Es mögen speisen …« Der Rest der Kolumne ist unverständlich; es fehlen zudem einige Zeilen. Von KTU 1.21 RS ist nur »[er kehrte zurück] zur Unterwelt« erhalten.

300

Texte aus Syrien

4.4 RS Col VI = KTU 1.20 VS I + 1.22 RS (1) [

Die ra]pi3u¯ma schlachten, ] die Göttlichen (3) wie (4) wie inmitten des Feldes. (5) am Tag der Ernte (6) [ ] die rapi3u¯ma speisen, (7) [ ] trinken. (2) [

Unverständlich Von KTU 1.22 RS sind nur wenige Zeichenreste erhalten.

Legende der Abbildungen und Herkunftsnachweise 1. Ba2al Zaphon, der Schutzgott der Schiffahrt, auf zwei Bergen; Siegel aus Tell el Dab2a (Avaris), aus: I. Cornelius / H. Niehr, Götter und Kulte in Ugarit. Kultur und Religion einer nordsyrischen Königsstadt in der Spätbronzezeit (Zaberns Bildbände zur Archäologie), Mainz 2004, 47 Abb. 73. 2. Statuette eines schlagenden Gottes vom Ba2al-Typ aus Minet el-Beida bei Ugarit, aus: Cornelius / Niehr, Götter und Kulte, 48 Abb. 77. 3. Stele des Ba2al au foudre vom Areal des Ba2al-Tempels mit der Darstellung eines divinisierten Königs (rechts), aus: Yon, Arts et industries de la pierre (RSOu VI), Paris 1991, 326 fig. 5. 4. Blick in das Innere des Ba2al-Tempels auf der Akropolis von Ugarit, aus: O. Callot, Les sanctuaires de l’Acropole d’Ougarit (RSOu XIX), Lyon 2011, 222 fig. 132. 5. Rekonstruktion des Ba2al-Tempels, aus: O. Callot, Les sanctuaires, 162 fig. 38. 6. Statuette eines segnenden Gottes aus Ugarit, aus: Cornelius / Niehr, Götter und Kulte, 44 Abb. 67. 7. Die Königssöhne werden von einer Göttin gestillt. Ausschnitt aus dem großen Elfenbeinpaneel aus dem Königspalast, aus: Cornelius / Niehr, Götter und Kulte, 61 Abb. 102b. 8. Blick auf die Königsgruft im Palast von Ugarit mit Dromos und ap-Grube (links); © Sarah Lange, Tübingen. 9. Die Libationslöcher vor der Königsgruft; © Sarah Lange, Tübingen. 10. Blick auf den El-Tempel auf der Akropolis von Ugarit, © Mission de Ras Shamra 2010. 11. Rekonstruktion des El-Tempels auf der Akropolis von Ugarit, aus: Callot, Sanctuaires, 187 fig. 67. 12. Eine Göttin im Flügelkleid (Anat?); Stele vom Areal des Ba2al-Tempels, aus: Yon, Arts, 326 fig. 3. 13. Blick in die Königsgruft von Ugarit, © Sarah Lange, Tübingen.

301

IV. Texte aus Ägypten

Ägyptische literarische Texte Matthias Müller Die ägyptologische Beschäftigung mit literarischen Texten hat sich, neben dem philologischen Geschäft der Edition, das allerdings inzwischen fast zu einem Prärogativ der Demotistik geworden ist, seit Erscheinen des gleichnamigen Bandes der TUAT.AF weg vom grundsätzlichen Diskurs 1) zu Fragen der zeitlichen Entstehungshorizonte verlagert. 2) Was epische Texte anbelangt, haben die Ausführung von Gerald Moers in der Einleitung zum entsprechenden Kapitel in TUAT.AF nichts von ihrer Gültigkeit verloren.3) Da die wichtigsten ägyptischen literarischen Texte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends in verschiedenen Bänden der Alten Folge vorgelegt wurden, ergänzen die hier im ersten Teil präsentierten Texte diese in erster Linie. Unter den Texten bietet die Übersetzung der Erzählung vom verwunschenen Prinzen diesen, von den gut erhaltenen neuägyptischen Texten noch fehlenden Vertreter 4). Zu dieser gesellen sich 1.

2.

3. 4.

Der status quo schlägt sich inzwischen in regelmäßig überarbeiteten Einführungshandbüchern nieder, siehe G. Burkard / H.-J. Thissen, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte I (Einführungen und Quellentexte der Ägyptologie 1), Berlin 2003; G. Burkard / H.-J. Thissen, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte II. Neues Reich (Einführungen und Quellentexte der Ägyptologie 6), Münster / Hamburg / London 2008; J. F. Quack, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte III (Einführungen und Quellentexte der Ägyptologie 3), 2. Auflage Berlin 2009. Beredtes Zeugnis liefern die Bände G. Moers et al. (Hg.), Dating Egyptian Literary Texts (Lingua Aegyptia – Studia Monographica 11), Hamburg 2013 und A. Stauder, Linguistic Dating of Middle Egyptian Literary Texts (Lingua Aegyptia – Studia Monographica 12), Hamburg 2013. G. Moers, Epische Texte in ägyptischer Sprache, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.5: Mythen und Epen, Gütersloh 1995, 872-877. In Ergänzung zu den Übersetzungen des Streites zwischen Horus und Seth, s. F. Junge, Die Erzählung vom Streit der Götter Horus und Seth um die Herrschaft, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.5: Mythen und Epen, Gütersloh 1995, 930-950, des Zweibrüdermärchen, s. C. Peust, Das Zweibrüdermärchen, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001, 147-165, der Eroberung von Joppe, F. Junge, Die Eroberung von Joppe, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001, 143-146, der Reiseerzählung des Wenamun, s. G. Moers, Reiseerzählung des Wenamun, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.5: Mythen & Epen, Gütersloh 1995, 912-921 oder Geschichte des Wermai, s. G. Moers, Reiseerzählung des Wenamun, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.5: Mythen und Epen, Gütersloh 1995, 922-929.

303

Matthias Müller

Beispiele der ägyptischen Lehren: Die erste, versehen mit dem Autorennamen eines bekannten Schreibers aus Deir el-Medina, dem Dorf der Arbeiter an den ägyptischen Königsgräbern des Neuen Reiches, dürfte eines der wenigen Beispiele einer nicht-fiktionalen auktoriellen Selbstverortung sein. Der zweite Text besteht aus einer Sammlung von Verboten. Die Lehre des Amenemope findet sich zwar bereits in der Bearbeitung von Shirun-Grumach 5), doch ließ die umfassende Neubearbeitung durch Vincent Laisney 6), wie auch die ausführlichen Kommentare Pascal Vernus’ 7) die Idee einer Neubearbeitung gerechtfertigt erscheinen. Zwar stammt der maßgebliche Textzeuge aus dem 1. Jahrtausend, doch sind ältere Textzeugen überliefert. Die zweite Gruppe an Texten stammt aus dem 1. vorchristlichen Jahrtausend und ist auf Demotisch verfaßt. Während demotische Weisheitstexte8) und Mythen 9) in der Alten Folge Aufnahme fanden, sind erzählende Texte aus dieser Zeit bis auf die Übersetzung des Papyrus Vandier 10) nicht zu finden. Diesem Mißstand wird nun durch den vorliegenden Band Abhilfe geschaffen.

5. 6. 7. 8. 9. 10.

304

I. Shirun-Grumach, Die Lehre des Amenemope, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.2: Weisheitstexte, Gütersloh 1991, 222-250. V. P.-M. Laisney, L’Enseignement d’Aménémopé (StP.SM 19), Roma 2007. P. Vernus, La Sagesse d’Aménemopé: philosophie de la traduction, Or 79 (2010) 532-557. So die Lehre des Anchscheschonqi respektive die nach ihren Textzeugen benannten Lehren des pLouvre 2414 und des pInsinger, s. H. J. Thissen, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.2: Weisheitstexte, Gütersloh 1991, 251-319. Der Mythos vom Sonnenauge, s. A. Loprieno, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.5: Mythen und Epen, Gütersloh 1995, 1038-1077. F. Kammerzell, Mi’jare’ in der Unterwelt (Papyrus Vandier), in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.5: Mythen & Epen, Gütersloh 1995, 973-990.

Neuägyptische Texte 1. Die Erzählung vom verwunschenen Prinzen

Henrike Simon Die Erzählung vom verwunschenen Prinzen ist nur durch einen Textzeugen überliefert: Sie steht auf dem Papyrus Harris 500, der seinen Namen nach dessen Ankäufer Anthony C. Harris (1790-1869), einem in Alexandria ansässigen englischen Kunstsammler und Direktor der Egyptian Society, erhielt. Einige Jahre nach dem Tod des Eigentümers ging der Papyrus, dessen Fundumstände ungeklärt sind 1), in den Besitz des British Museums über, wo er bis heute unter der Inventarnummer BM 10060 aufbewahrt wird. Anfang und Ende des beidseitig beschrifteten Papyrus sind verloren, so daß über seine ursprünglichen Ausmaße keine Angaben mehr gemacht werden können. 2) Die Vorderseite der in ihrem aktuellen Erhaltungszustand 143,5 cm langen und maximal 19,5 cm hohen Schriftrolle trägt eine umfangreiche Sammlung von Liebesliedern und eine vollständige Abschrift des Antefliedes, das zur Gattung der Harfnerlieder gehört. 3) Auf der Rückseite, genauer auf den Kolumnen eins bis drei, findet sich das Fragment der Erzählung von der Eroberung der Stadt Joppe 4). Auf den Kolumnen vier bis acht folgt schließlich der hier näher zu behandelnde Text, der teilweise lükkenhaft und nur noch unvollständig erhalten ist. Von größeren Zerstörungen sind vor allem der obere Randbereich jeder Kolumne und die letzten beiden Seiten betroffen. Da das Manuskript auf der achten Seite der Höhe nach abbricht, ist der restliche Teil der Erzählung nicht überliefert. Der erhaltene Text ist in einer recht klein und im dicht gedrängten Duktus ausgeführten, partiell nur schwer lesbaren neuhieratischen Buchschrift geschrieben. Mit Ausnahme der rot hervorgehobenen Rubren und Gliederungspunkte, die zur Markierung von Abschnitten bzw. Teilsätzen dienen, hat der Schreiber, über dessen Identität nichts bekannt ist, bei der Anfertigung des Textes schwarze Tinte verwendet. Nach den Ergebnissen paläographischer Untersuchungen datiert seine Arbeit in die Regierungs1. 2.

3.

4.

Die Angaben zur Provenienz des Papyrus sind widersprüchlich. Eine Bewertung der verschiedenen, in der Forschungsliteratur kursierenden Angaben findet sich bei P. Grandet, Le Papyrus Harris I (BM 9999) (BEt 109/1), Le Caire 1994, 6 mit Anm. 46. Die Zerstörungen am Papyrus werden gemeinhin auf die Explosion einer Pulverfabrik zurückgeführt, die sich unweit des Anwesens der Familie Harris befunden hat, s. dazu G. Maspero, Le conte du prince prédestiné, JA 7, 10/2 (1877) 238. Gegen diese Annahme W. R. Dawson, Anastasi, Sallier and Harris and their Papyri, JEA 35 (1949) 166. Eine umfassende Bearbeitung dieser und anderer Liebeslieder findet sich bei R. Landgráfová / H. Navrátilova, Sex and the Golden Goddess I. Ancient Egyptian Love Songs in Context. Prague 2009 oder B. Mathieu, La poésie amoureuse de l’Égypte ancienne. Recherches sur un genre littéraire au Nouvel Empire (BEt 115), Le Caire 1996. Zu den Harfnerlieder, vgl. J. Assmann, Fest des Augenblicks – Verheißung von Dauer. Die Kontroverse der ägyptischen Harfnerlieder, in: E. Feucht / R. Grieshammer (Hg.), Fragen an die altägyptische Literatur, FS E. Otto, Wiesbaden 1977, 55-84. Vgl. dazu Junge, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT Ergänzungslieferung, 143-146.

305

Henrike Simon

zeit Sethos’ I. bzw. Ramses’ II. 5) Die Sprachform der Erzählung ist das so genannte Medio-Neuägyptisch, das zwar überwiegend neuägyptische Satzstrukturen aufweist, aber noch mit zahlreichen mittelägyptischen Formen und Schreibungen durchsetzt ist. Die fiktionale Erzählung, die seit ihrer ersten philologischen Bearbeitung durch Charles Goodwin im Jahre 1874 kaum Gegenstand umfangreicher ägyptologischer Arbeiten gewesen ist, gehört neben einer Reihe weiterer Texte zu jenen ägyptischen Literaturwerken, deren Konzeption mit der wachsenden Bedeutung des Militärs zu Beginn des Neuen Reiches in Verbindung gebracht werden kann. 6) Ausschlaggebend für die Zuordnung des Textes zur Gruppe der »Kriegs-« bzw. »Heldenerzählungen« 7), deren einheitliche Zweckbestimmung in der Vermittlung einer standesbezogenen Berufsethik und der Stärkung des gruppenspezifischen Selbstbewußtseins zu suchen sein dürfte, ist die positive Darstellung des Protagonisten und seiner außergewöhnlichen Leistungen: Ein dem Schicksal anbefohlener ägyptischer Königssohn begibt sich nach Jahren des Eingesperrtseins in einem Streitwagen auf eine abenteuerliche Reise, die ihn nach Naharina 8) führt, wo die einzige Tochter des Fürsten ihr Dasein hoch oben in einem Turm fristen muß und demjenigen versprochen ist, der als erster ihr Fenster erreicht. Unter Vorgabe einer falschen Identität beteiligt sich der Prinz an dem Wettkampf und erfüllt die gestellte Aufgabe, an der seine adligen Mitstreiter bisher kläglich gescheitert sind, bereits im ersten Versuch. Er gelangt zum Fenster des Mädchens, das er nach dem anfänglichen Widerstand ihres Vaters heiratet und mit dem er bis zur Konfrontation mit seinem Schicksal ein annehmliches Leben führt. Ob er die Gefahr für sein Leben am Ende überwinden kann oder ihr doch erliegen muß, ist aufgrund der Überlieferungssituation des Textes nicht mit endgültiger Sicherheit zu entscheiden. Berücksichtigt man aber, daß eine Prädestination entsprechend der im Alten Ägypten gültigen Schicksalskonzeption durch göttliche Allmacht verändert bzw. aufgehoben werden konnte, ist ein glücklicher Ausgang der Geschichte anzunehmen.9) 5. 6.

7.

8.

9.

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G. Möller, Zur Datierung literarischer Handschriften aus der ersten Hälfte des Neuen Reiches, ZÄS 56 (1920) 42 f. S. dazu ausführlich A. Gnirs / A. Loprieno, Krieg und Literatur, in: R. Gundlach / C. Vogel (Hg.), Militärgeschichte des pharaonischen Ägypten. Altägypten und seine Nachbarkulturen im Spiegel aktueller Forschung (KRiG 34), Paderborn / München / Wien / Zürich 2009, 243308. Dieser Gruppe können drei weitere Texte zugerechnet werden. Bei diesen handelt es sich um die ebenfalls auf dem Papyrus niedergeschriebene Erzählung von der Eroberung der Stadt Joppe, um eine Erzählung über eine militärische Expedition Thutmosis’ III. und eine weitere auf pLouvre N3136. Zu den letzten beiden Erzählungen, s. G. Botti, A Fragment of the Story of a military Expedition of Thutmosis III. to Syria, JEA 41 (1955) 64-71 und A. Spalinger, The Transformation of Ancient Egyptian Narratives: P. Sallier III and the Battle of Kadesch (GOF.Ä 40), Wiesbaden 2002, 359 ff. Das Toponym Naharina (westsemitisch: »Flußland«) wird ab der Mitte der 18. Dynastie als alternative Bezeichnung für das hurritische Großreich von Mitanni gebraucht, das in der Spätbronzezeit zu den bedeutendsten Mächten des Vorderen Orients gehörte, vgl. dazu etwa D. B. Redford, The Wars in Syria and Palestine of Thutmosis III. CAHNE 16, Leiden / Boston 2003, 16. S. Morenz, Untersuchungen zur Rolle des Schicksals in der ägyptischen Literatur (Abh. Leipzig 52/1) Berlin 1960, 35.

Texte aus Ägypten

Hieratisch beschriebener Papyrus. – Fundort: unbekannt. – Aufbewahrungsort: London, British Museum (pBM EA 10600). – Editionen: E. A. W. Budge, Facsimiles of the Egyptian Hieratic Papyri in the British Museum 2nd Series, London 1923, pl. 48-52; G. Möller, Hieratische Lesestücke für den akademischen Gebrauch, 2. Heft: Literarische Texte des Neuen Reiches, Leipzig 1910, 21-24; A. H. Gardiner, Late Egyptian Stories (BAe I), Bruxelles 1932, 1-9. – Maßgebliche Übersetzungen: C. W. Goodwin, Translation of a Fragment of a fabulous Tale. From an Egyptian Papyrus in the British Museum, in: TSBA 3 (1874) 349-356; H. P. Blok, De beide Volksverhalen van den Pap. Harris 500 Verso, Leiden 1925, 67-148; M. Lichtheim, Ancient Egyptian Literature. A Book of Readings II: The New Kingdom, Berkeley / Los Angeles / London 1976, 200-203; J. M. Galán, Four Journeys in Ancient Egyptian Literature, LingAeg StudMon 5, Göttingen 2005, 114-117. – Detailuntersuchungen: W. Helck, Die Erzählung vom verwunschenen Prinzen, in: J. Osing / G. Dreyer (Hg.), Form und Mass. Beiträge zur Literatur, Sprache und Kunst des alten Ägypten, FS G. Fecht (ÄAT 12), Wiesbaden 1987, 218-225; P. Hubai, Eine literarische Quelle der ägyptischen Religionsphilosophie? Das Märchen vom Prinzen, der drei Gefahren zu überstehen hatte, in: U. Luft (Hg.), The Intellectual Heritage of Egypt, FS Kakosy (StudAeg XIV), Budapest 1992, 277-300; H. Simon, »Die Jungfrau im Turm« – Zum historischen Gehalt eines vermeintlichen Märchenmotivs in der Erzählung vom verwunschenen Prinzen, in: Texte – Theben – Tonfragmente, FS G. Burkard (ÄAT 76), Wiesbaden (2009), 385-398.

Die Rubren werden durch Kapitälchen gekennzeichnet. Auf die Wiedergabe der Gliederungspunkte wird dagegen aufgrund syntaktischer Unterschiede zwischen dem Neuägyptischen und der deutschen Sprache verzichtet. war einmal, so sagt man, ein König, dem kein männlicher Nachkomme geboren worden war. [Als seine Majestät] für sich von den Göttern seiner Zeit einen Sohn [erba]t, (4,2) befahlen sie, daß ihm (einer) geboren werden solle, und so schlief er noch in derselben Nacht mit seiner Frau. Nun […] 10) schwanger und vollendete die Monate (4,3) bis zur Geburt 11). Endlich wurde ein männlicher Nachkomme geboren. Sogleich kamen die Hathoren 12), um ihm sein Schicksal zu bestimmen und sprachen: (4,4) »Er wird (4,1) Es

10.

11. 12.

Nach T. E. Peet, Notes of Recent Publications. De beide volksverhalen van Papyrus Harris 500 verso by Henri Peter Blok, JEA 11 (1925) 338 ist hier jst[w t y=f hm.t hr] jwr »Lo, his wife ˙ conceived« zu lesen. Der inhaltlich gut passende Vorschlag läßt sich˙ allerdings nicht mit den noch erhaltenen Zeichenresten in Einklang bringen und bleibt deshalb an dieser Stelle unberücksichtigt. Eine vergleichbare Formulierung für den Verlauf bzw. das Ende einer Schwangerschaft findet sich auch in assyrischen Texten, s. dazu AHW III, 1467, 5c. Bei den Hathoren handelt es sich um eine Gruppe von sieben Göttinnen, die vom Mittleren Reich bis in die griechisch-römische Epoche Ägyptens in unterschiedlichen Funktionen belegt ist. Die Hathoren erfüllen somit nicht nur die Aufgabe, Neugeborenen das Schicksal vorherzusagen, sondern treten unter anderem auch als Schutzgottheiten etwa zur Abwehr von Unheil oder Krankheit auf. Zu dem Göttinnenkollektiv, dessen Mitglieder in der 3. Zwischenzeit individualisiert werden, M. Rochholz, Schöpfung, Feindvernichtung, Regeneration: Untersuchung zum Symbolgehalt der machtgeladenen Zahl 7 im alten Ägypten (ÄAT 56), Wiesbaden 2002, 44 ff. und 64 ff.

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wahrscheinlich durch Krokodil, Schlange oder Hund 13) sterben.« 14) Da hörten (es) die Leute, die bei dem Prinzen 15) waren, und berichteten (4,5) es seiner Majestät. Seine Majestät wurde daraufhin unendlich traurig und ließ [für ihn ein Haus] aus Stein 16) (4,6) in der Wüste [errichten], ausgestattet mit Personal und allen guten Dingen des Palastes, damit der Prinz nicht hinausgehen konnte. Als der (4,7) Prinz älter geworden war, stieg er auf sein Dach, erblickte einen Windhund 17), der einem Erwachsenen folgte, der (4,8) auf dem Weg entlangging, und fragte seinen Diener, der neben ihm stand: »Was ist das, was dem Erwachsenen folgt, der auf [dem] Weg daherkommt?«; und er (4,9) antwortete ihm: »Das ist ein Windhund!« Und dann sagte der Prinz zu ihm: »Sorge dafür, daß man mir einen wie ihn bringt!« Daraufhin machte der Diener sich auf, (4,10) es seiner Majestät zu berichten, woraufhin seine Majestät sagte: »Laß ihm einen Welpen 18) bringen, [damit] er Ruhe gibt!« 19) Also brachte (4,11) man ihm einen Windhund. Als eine geraume Weile vergangen und der Prinz vollends erwachsen geworden war, (4,12) schrieb er folgendermaßen an seinen Vater: »Wie lange soll ich hier noch herumsitzen? Siehe, ich bin nun einmal dem Schicksal anempfohlen. Gestatte, daß man mich hinausläßt (4,13) , damit ich nach meinem Willen handeln kann, bis der Gott tut, wonach ihm der Sinn steht. 20) Darauf spannte man für ihn einen Wagen an, der ausgerüstet war mit (5,1) allerlei Kriegsgerät 21), [ließ] ihm [einen Diener] zur Begleitung folgen, 13.

14. 15. 16. 17.

18. 19.

20. 21.

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Krokodil und Schlange sind in der Funktion eines Todesmediums bestens bezeugt, während diese Rolle für den Hund, der als treuer Begleiter geschätzt wurde, nicht überliefert ist. Obwohl die Determinierung der Tierbezeichnungen mit dem bestimmten Artikel grundsätzlich darauf hindeutet, daß von allen Vertreter der drei Tierarten eine Gefahr für das Leben des Prinzen ausgeht, ergibt sich aus dem weiteren Verlauf der Erzählung, daß der Prinz sich gegen das eine Krokodil, die eine Schlange und den einen Hund zur Wehr setzen muß. So auch C. Eyre, Fate, Crocodiles, Judgement of the Dead, SAK 105 (1976), 105. Zur Wiedergabe der hier am absoluten Satzanfang gebrauchten, prospektiven Verbalform als Potentialis F. Junge, Neuägyptisch. Einführung in die Grammatik, Wiesbaden 32008, 150 f. Das Wort h rd eigentlich »(männliches) Kind« hat hier die spezifischere Bedeutung »Prinz« ¯ bzw. »Königssohn«. In Ägypten wurden ausschließlich Tempel und Grabanlagen aus Stein errichtet, während königliche Paläste und normale Wohnhäuser aus Ziegelmauerwerk bestanden. Bei dem als tzm bezeichneten Tier handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit um einen Saluki. ¯ dieser Windhundart zeichnen sich durch einen schlanken Körperbau, herDie Vertreter abhängende Ohren und einen leicht nach oben gebogenen Schwanz aus. Ihr Fell hat eine schwarze, braune oder gelbliche Färbung und kann gelegentlich braune bzw. schwarze Flekken aufweisen. Im Neuen Reich avancierte der Saluki zur bevorzugten Hunderasse der ägyptischen Oberschicht und wurde in erster Linie als Jagd- bzw. Wachhund eingesetzt, s. dazu O. Goldwasser, Prophets, Lovers and Giraffes: Wor(l)d Classification in Ancient Egypt (GOF.Ä 38), Wiesbaden 2002, 106 ff. und D. J. Osborn, The Mammals of Ancient Egypt (NHE IV), Warminster 1998, 65. Wörtl. »kleiner Zappler«. Die freie Wiedergabe der ägyptischen Formulierung [r] bg h tj=f »…, daß sein Herz müde ˙ wird« richtet sich nach I. Toro-Rueda, Das Herz in der ägyptischen Literatur des zweiten Jahrtausends v. Chr. Untersuchungen zu Idiomatik und Metaphorik von Ausdrücken mit jb und h tj, Göttingen 2003 (http://webdoc.sub.gwdg.de/diss/2004/toro_rueda/toro_rueda. pdf), ˙303 und 338. Wortwörtl.: »… bis der Gott tut, was in seinem Herzen ist.« Im Vergleich zu den Gespannen der 18. Dynastie, an denen lediglich ein Behältnis für Pfeil

Texte aus Ägypten

setzte ihn zum östlichen Ufer über und (5,2) sprach zu ihm: »Mögest Du nun gehen, wohin du willst!«, [während se]in Hund immer noch bei ihm war 22). Und so folgte er seinem Herzen nordwärts in die Fremde, wobei er von (5,3) Wüstentieren aller Art lebte. Schließlich gelangte er zum Fürsten (5,4) von Naharina. Dem Fürsten von Naharina aber war kein (Kind) außer eine Tochter geboren worden. Man hatte für sie ein Haus erbaut, dessen Fenster (5,5) 70 Ellen 23) vom Erdboden entfernt lag. Und so ließ er alle Söhne aller Fürsten des Landes Syrien 24) herbeibringen und sprach zu ihnen: (5,6) »Derjenige, der das Fenster meiner Tochter erreicht, erhält sie zur Frau 25).« Nachdem einige Zeit vergangen (5,7) war und sie ihrer Beschäftigung tagtäglich nachgingen, kam der Prinz auf seiner Reise an ihnen vorbei. Daraufhin (5,8) nahmen sie den Prinzen mit zu ihrer Unterkunft, wuschen ihn, gaben seinem (5,9) Gespann Futter und ließen dem Prinzen alle guten Dinge angedeihen, sie salbten ihn, verbanden seine Füße, (5,10) gaben seinem Adjutanten 26) Brot und fragten ihn in der Unterhaltung: »Woher kommst Du, hübscher (5,11) Junge?« Und er antwortete ihnen: »Ich bin der Sohn eines Streitwagenoffiziers 27) aus dem Land Ägypten. Meine Mutter starb und mein (5,12) Vater nahm sich eine andere Frau, (meine) Stiefmutter 28). Sie begann mich zu hassen, weshalb ich auf der Flucht vor ihr (hierher) kam.« Und sie (5,13) umarmten und küßten ihn [von Kopf bis Fuß]. 29)

22.

23. 24. 25. 26.

27.

28.

29.

und Bogen angebracht wurde, waren die der 19. Dynastie stark aufgerüstet. Zu den Waffen, die zu dieser Zeit für gewöhnlich am Wagen mitgeführt wurden, gehörten neben dem Bogen und den dazugehörigen Pfeilen, Speere mit Kugelbasis und Schlagstöcke mit gegabeltem Griff. Diese Jagd- und Kriegswaffen befanden sich in zwei überkreuz am Wagenkasten befestigten Taschen, deren Anzahl nach der Regierungszeit Sethos’ I. verdoppelt wurde, vgl. dazu U. Hofmann, Fuhrwesen und Pferdehaltung im alten Ägypten, Bonn 1989, 164-181. Die Gegenwart des Hundes wird hier durch einen Einschub des auktorialen Erzählers besonders betont, s. dazu C. Suhr, Zum fiktiven Erzähler in der ägyptischen Literatur, in: G. Moers (Hg.), Definitely Egyptian Literature. Proceedings of the Symposion »Ancient Egyptian Literature – History and Forms«, Los Angeles, March 24-26, 1995 (LingAeg StudMon 2), Göttingen 2005, 107. Die »Elle« (mh) ist ein Längenmaß, deren Grundeinheit 0,525 m beträgt. 70 Ellen entspre˙ Höhe von annähernd 37 Metern. chen somit einer Ägyptisch H rw, s. dazu W. Helck, Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3. und ˘ v. Chr. (ÄA 5), Wiesbaden 21971, 269 f. 2. Jahrtausend Wortwörtl. »Sie soll ihm zur Frau werden« bzw. »Dem ist sie Frau.« Das Wort sˇmsw, das gewöhnlich mit »Gefolgsmann« übersetzt wird, hat in diesem Kontext eine eindeutig militärische Konnotation. Wie A. Spalinger, The Paradise of Scribes and the Tartarus of Soldiers (LingAeg Studmon 6), Göttingen 2006, 36 treffend bemerkt, dürfte die Funktion dieser Person im Sinne eines »aide-de-champs« zu verstehen sein. Als Streitwagenoffizier (ägypt. znnj) wurde sowohl der Fahrer eines Streitwagens als auch sein kämpfender Begleiter bezeichnet. Im Verlauf der 19. Dynastie wird der Terminus durch das semitische qr2w ersetzt und ist dann nur noch in literarischen Texten zur Ansprache des Streitwagenfahrers in Gebrauch, s. dazu O. D. Langenbach, Exkurs: Aufbau und Organisation der ägyptischen Streitwagentruppe, in: R. Gundlach / C. Vogel (Hg.), Militärgeschichte des pharaonischen Ägypten. Altägypten und seine Nachbarkulturen im Spiegel aktueller Forschung (KRiG 34), Paderborn / München / Wien / Zürich 2009, 352. Das Kompositum jy-ms.y ist nur in dieser Erzählung belegt und in seiner Bedeutung unsicher. Andere Übersetzungsvorschläge stammen z. B. von P. Grandet, Contes de l’Égypte anciennes, Paris 1998, 90 oder G. Mattha, Notes and Remarks on the Tale of the Doomed Prince, from Pap. Harris 500, Verso, ASAE 51 (1951), 272. Wortwörtl. »… und küßten ihn an seinem ganzen Körper«.

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[Nachdem einige Zeit vergangen war], fragte er die (5,14) jungen Männer: »Was treibt [ihr (da eigentlich), (o ihr) Jünglinge?«]. [Und sie antworteten ihm: »Seither sind es nun drei volle Monate,] in denen wir hier die (6,1) Zeit [mit Springen] zubringen. [Denn derjenige, der das] Fenster der Tochter des Fürsten von Nahari[na] erreicht, dem [wird er] (6,2) sie zur [Frau] geben.« [Und er sagte] zu ihnen: »Ach, täten mir meine Füße nur nicht weh, dann würde ich (6,3) mit euch zum Springen gehen.« Und so fuhren sie mit dem Springen fort wie es ihre tägliche Gewohnheit war, der Königssohn aber (6,4) stand weit entfernt und schaute zu, während der Blick der Tochter des Fürsten von Naharina auf ihm ruhte. Als nun viele (6,5) Tage darber hingegangen waren, brach der Jüngling gemeinsam mit den Fürstensöhnen zum Springen auf. Er sprang (6,6) , erreichte das Fenster der Tochter des Fürsten von Naharina, und sie küßte ihn und umarmte ihn (6,7) innig 30). Sogleich machte man sich daran, ihrem Vater die freudige Nachricht zu übermitteln und sagte ihm, daß ein Mann das Fenster (6,8) seiner Tochter erreicht habe. 31) Darauf fragte der Fürst: »Um den Sohn welchen Fürsten handelt es sich?« und man antwortete ihm: (6,9) »Es ist der Sohn eines Streitwagenoffiziers. Er ist auf der Flucht vor seiner Stiefmutter aus dem Land Ägypten gekommen. Daraufhin (6,10) geriet der Fürst außer sich vor Wut und sprach: »Soll ich meine Tochter etwa einem Flüchtling 32) (6,11) aus Ägypten anvertrauen? Seht zu, daß er wieder verschwindet!« Und so kam man, um ihm auszurichten: »Kehre doch bitte dorthin zurück, wo du hergekommen bist!« (6,12) Die Tochter aber hielt ihn fest und schwor bei Gott: »So wahr Preharachte 33) Bestand hat: ›Wenn man (6,13) ihn mir entreißen sollte, werde ich nicht mehr trinken, ich werde nicht mehr essen, sondern werde auf der Stelle sterben.‹« Darauf machte sich der Bote (6,14) auf, jedes [Wort] zu übermitteln, das sie ihrem Vater bestellt hatte, weshalb ihr Vater Leute entsenden ließ, um ihn zu töten. (6,15) Er war immer noch an Ort und Stelle 34) und so sprach die Tochter zu [ihnen]: »So wahr Pre Bestand hat: ›Wenn man ihn ermorden sollte, so bin ich, wenn die Sonne untergeht, tot. (6,16) Ich werde keine Stunde länger leben als er.‹« Da [machte] man sich [(erneut) auf], um es ihrem Vater zu melden. Erst jetzt [ließ] (7,1) ih[r Vater] den [Jüngling zusammen mit] sei[ner] Tochter [vor] sich [bringen]. Als [der Jüngling vor] ihn [trat], (7,2) beeindruckte seine noble Erscheinung den Fürsten und er umarmte ihn und küßte ihn von Kopf bis Fuß und bat ihn dann: »Erzähle mir von deinen Lebensumständen! Schließlich bist Du (7,3) für mich nun wie ein Sohn.« Und der erzählte ihm: »Ich bin der Sohn eines Streitwagenoffiziers aus dem Land Ägyp30. 31. 32.

33. 34.

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Wortwörtl. »… und umarmte seinen ganzen Körper.« Zur Umformung der direkten Rede in die indirekte Rede C. Peust, Indirekte Rede im Neuägyptischen (GOF.Ä 33), Göttingen 1996, 67. A. Gnirs, Ägyptische Militärgeschichte als Kultur- und Sozialgeschichte, in: R. Gundlach / C. Vogel (Hg.), Militärgeschichte des pharaonischen Ägypten. Altägypten und seine Nachbarkulturen im Spiegel aktueller Forschungen (KRiG 34), Paderborn / München u. a. 2009, 95 gibt das Substantiv w 2r mit »Deserteur« wieder. Bei dem falkenköpfigen Sonnengott Re-Harachte handelt es sich um synkretistische Verbindung aus Re und Harachte. Mit dem Hauptsatz wird die nächste Szene eingeleitet: »Er war, wo er vorher schon war (scil.: Dort trafen ihn die Schergen an). Dagegen F. Hintze, Untersuchungen zu Stil und Sprache neuägyptischer Erzählungen (VIOF I), Berlin 1950, 62 f., der annimmt, daß der selbständige Adverbialsatz zur Vermittlung einer Nebeninformation eingesetzt wurde und sich deshalb für dessen Unterordnung ausspricht.

Texte aus Ägypten

ten. Meine Mutter starb und mein Vater nahm (7,4) sich eine andere Frau. Sie begann mich zu hassen, weshalb ich auf der Flucht vor ihr (hierher) kam. Darauf gab er ihm seine Tochter zur Frau, (7,5) übereignete ihm ein Haus mit Ackerland, außerdem Vieh und alle guten Dinge. Nachdem viele Tage darber hingegangen waren, (7,6) offenbarte sich der Jüngling seiner Frau: »Ich bin drei Schicksalen anempfohlen: Krokodil, Schlange und Hund.« Daraufhin sagte sie zu ihm: »Sorge dafür, daß man (7,7) den Hund, der dir folgt, töten läßt!«; er aber antwortete ihr: »[…] verlangen. 35) Ich werde meinen Hund nicht töten lassen. Schließlich habe ich ihn aufgezogen, (7,8) als er noch ein Junges war.« 36) Und so begann sie, ihren Ehemann auf das Sorgsamste zu behüten und ließ nicht zu, daß er alleine hinausging. (7,9) Nun verhielt es sich aber so, daß seit der Abreise des Prinzen aus dem Land Ägypten, um auf Wanderschaft zu gehen, das Krokodil, (7,10) sein Schicksal […….] und es weilte ihm gegenüber an dem Ort, an dem der (7,11) Jüngling mit [seiner Frau lebte, inmitten] eines Sees 37). Ein gewaltiger Dämon 38) war aber ebenfalls in ihm. Der Dämon hinderte (7,12) das Krokodil daran hinauszugehen und auch das Krokodil ließ den Dämon zum Umherstreifen nicht hinaus. Sobald die Sonne (7,13) aufging, […] begannen sie jeden Tag für einen Zeitraum von drei vollen Monaten miteinander zu kämpfen. (7,14) Nachdem einige Zeit vergangen war, schickte der Jüngling sich an, einen schönen Tag in seinem Haus zu verbringen. Nach dem (7,15) Abflauen des Abendwindes legte sich der Jüngling in sein Bett und der Schlaf übermannte seine Glieder. Daraufhin füllte (8,1) seine Frau eine [Schale mit Bier] und eine weitere Schale mit Wein. Auf einmal kam eine [Schlange aus ihrem] (8,2) Erdloch, um den Jüngling zu beißen. Seine Frau aber saß neben ihm, ohne zu schlafen. Als die [Schalen] so vor der Schlange [stand](8,3) en, trank sie, wurde trunken und drehte sich daraufhin auf den Rücken. In dem Mo[ment] zerteilte seine Frau (8,4) sie mit einer mjnb-Axt 39) in Stücke. Danach weckte sie ihren Ehemann [……](8,5) und sprach: »Siehe, dein Gott hat eines deiner Schicksale in deine Hand ge-

35. 36. 37.

38.

39.

Der Bedeutung »verlangen, fordern« des Verbs wh ist aufgrund der Schreibung der üblichen Wiedergabe mit »töricht sein« vorzuziehen, ˘s. dazu L. H. Lesko, A Dictionary of Late Egyptian I, Berkeley 1982, 126. Ein anderer möglicher Übersetzungsvorschlag bei P. Cassonnet, Les temps seconds ı’-sdm.f et ¯ ı’-ı’rı’=f sdm entre syntaxe et sémantique (EME 1), Paris 2000, 153. ¯ Zur Bedeutung des semitischen Lehnwortes ym als »Meer«, aber auch als »größeres Gewässer« s. Favard-Meeks, Le delta égyptien et la mer jusqu’à la fondation d’Alexandrie, SAK 16 (1989), 58 ff. und Hoch, Semitic Words in Egyptian Texts of the New Kingdom and Third Intermediate Period, Princeton 1994, 52 f. Ein Kommentar zu dieser Stelle bei C. Vandersleyen, Ouadj our : wadj wr. Un autre aspect de la vallée du Nil (Connaissance de l’Égypte ancienne 7), Brüssel 1999, 104. Die Schreibung des Wortes nht »Starker« mit dem Götterdeterminativ (Horus auf der Standarte) deutet darauf hin, daߢ es sich bei der nicht näher spezifizierten Gestalt um ein göttliches bzw. göttergleiches Wesen handelt. Die Übersetzung als »gewaltiger Dämon« folgt daher dem Vorschlag von G. Vittmann, Riesen und riesenhafte Wesen in der Vorstellung der Ägypter (VIAÄ 71, Beiträge zur Ägyptologie 13), Wien 1995, 3. Der Begriff wird im Neuen Reich als übergeordnete Bezeichnung für verschiedene Äxte gebraucht, die entweder als Kriegswaffe oder als Handwerksgerät zum Einsatz kamen. In der Erzählung ist nach W. V. Davis, Tools and Weapons 1: Axes (Catalogue of Egyptian Antiquities in the British Museum VII), London 1987, 66 mit mjnb »… a household hatchet« gemeint.

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legt, er wird [dich auch vor den beiden anderen bewahren]. [Darauf] (8,6) opferte [er] Pre, pries ihn und rühmte tagtäglich seine Ba-u 40). Als nun [viele Tage darber hingegangen waren], (8,7) ging der Jüngling hinaus, um spazieren zu gehen und sich auf seinem Anwesen zu vergnügen. [Seine Frau] begleitete [ihn] nicht [hinaus] 41). (8,8) Sein Hund aber folgte ihm. Plötzlich fing der Hund an zu sprechen: [»Ich bin dein Schicksal!«. Darauf(8,9) hin lief er vor ihm davon, erreichte den See und sprang [auf der Flucht vor dem] (8,10) Hund ins [Wasser]. Sogleich [packte] ihn das Krokodil und verschleppte ihn dorthin, wo sich der Dämon aufhielt […… das] (8,11) Krokodil sprach zu ihm: »O, ich bin dein Schicksal, das dir gefolgt ist. 42) [Seit drei vollen Monaten] (8,12) kämpfe ich mit dem Dämon. Aber siehe, ich werde dich freilassen, wenn [……](8,13) um zu kämpfen. […] und du sollst mir zurufen: »Töte den Dämon! 43) Siehst du den [Dämon], [wirst du] das (8,14) Krokodil [sehen].« Als der nchste Tag anbrach, kam […] An dieser Stelle bricht der erhaltene Text ab.

2. Die Lehre Amunnachts

Andreas Dorn Der Text weist sich durch Selbstdeklaration »Beginn der Erziehungslehre, Sprüche für den Weg des Lebens« als Vertreter der Gattung Weisheitstexte aus. Die Lehre Amunnachts zählt unter den ägyptischen Weisheitstexten zu den kleineren Lehren 44). Diese Klassifikation basiert primär auf der geringen Verbreitung und auf der kurzen Rezeptionszeit des Textes. Daß nur ein Teil der Lehre, wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte, erhalten geblieben ist, dürfte einen weiteren Faktor darstellen, der zur Klassifikation »kleine Lehre« geführt hat 45). 40.

41. 42. 43.

44. 45.

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Für den ägyptischen Terminus b .w existiert im Deutschen keine adäquate Entsprechung. Hinter ihm verbirgt sich ein komplexes Konzept, in dem verschiedene Faktoren wie die Gewahrwerdung, die Manifestation und der Erweis in erster Linie göttlicher, aber auch königlicher Macht zusammenwirken. Eine Definition findet sich bei H. Roeder, Das »Erzählen der Ba-u«. Der Ba-u-Diskurs und das altägyptische Erzählen zwischen Ritual und Literatur im Mittleren Reich, in: B. Dücker / H. Roeder (Hg.), Text und Ritual. Kulturwissenschaftliche Essays und Analysen von Sesostris bis Dada (Hermeia 8), Heidelberg 2005, 187-242. Emendiert nach einem Ergänzungsvorschlag von A. H. Gardiner, LES, 8a. Ebenfalls denkbar wäre: »O, ich bin dein Schicksal, das erschaffen wurde, um Dir zu folgen.« Nach D. B. Redford, The Sea and the Goddess, in: S. Israelit-Groll (Hg.), Studies in Egyptology. Presented to Miriam Lichtheim II, Jerusalem 1990, 828 mit Anm. 41 handelt es sich bei der Erzählung um eine Neubearbeitung des vorderasiatischen »Adonis-Mythos«, der den Kampf des Helden gegen das Meer respektive gegen ein Monster, sowie dessen Tod und anschließende Wiederbelebung durch einen treuen Freund thematisiert. Aufgrund dessen geht er davon aus, daß der Hund zum Retter des Prinzen wird und schlägt folgende Ergänzung vor: jr jw p y[=k jw r jy.t] r 2h [hr=j m]tw=k swh n=j h db p nht: »(I will let you go) if you[r ¯ on my˘ behalf (i. e. to the dog): ›Kill ˙ my ˙ behalf, and] you shout dog will come] to fight [on the giant!‹« Zur Bezeichnung vgl. Burkard / Thissen, Einführung 2, 123. Für die Fortsetzung des Textes wurden jüngst weitere Ostraka mit literarischen Passagen vorgeschlagen, die sich jedoch nicht nahtlos an den bisherigen Textbestand anfügen lassen. Siehe

Texte aus Ägypten

Zahlreiche Besonderheiten im Vergleich mit anderen Weisheitstexten machen deutlich, daß eine Beschäftigung mit der Lehre Amunnachts trotzdem lohnenswert ist. Bei Amunnacht, dem in der Einleitung genannten Verfasser des Textes, handelt es sich nicht wie bei den älteren Weisheitstexten, eine Ausnahme dürfte die nächst ältere Lehre des Ani darstellen (19. Dynastie, 1292-1186 v. Chr.), um einen Pseudoepigraphen, sondern um eine historisch bezeugte Person 46): Amunnacht war in der 20. Dynastie (1186-1075 v. Chr.) vom 16. Regierungsjahr Ramses’ III. (ca. 1167 v. Chr.) bis maximal zum 7. Regierungsjahr Ramses’ VI. (ca. 1134 v. Chr.) Oberschreiber der königlichen Grabbauverwaltung in Theben. In dieser Zeit erfolgte auch die Komposition seiner Lehre, deren Entstehungszeitpunkt aufgrund datierter Textträger noch genauer, und zwar auf das 25. Regierungsjahr Ramses’ III., bestimmt werden kann. Abgesehen von seiner Lehre umfaßt sein literarisches Schaffen Hymnen auf Könige und Götter, einen Text der Gattung laus urbis (Lobpreis der Stadt Theben), einen magischen Text sowie ein »satirisches« Gedicht. Aufgrund der Praxis Amunnachts, von ihm verfaßte Texte zu signieren, können ihm zudem über hundert Graffiti, eine Landkarte, ein Grabplan und zahlreiche administrative Texte zugewiesen werden. Die Lehre Amunnachts ist im Gegensatz zu den meisten anderen Weisheitstexten des Alten Ägyptens bisher nur auf Ostraka und nicht auf Papyrus bezeugt. Die Niederschrift des Textes auf Ostraka erfolgte weitestgehend im Schulkontext. Durch den Fund eines Textträgers aus Schülerhand in einem Schutthügel neben einer Ansammlung von Arbeiterhütten im Tal der Könige 47), von denen u. a. eine Amunnacht zugewiesen werden konnte, läßt sich sogar der Verwendungskontext der Lehre für einen konkreten Fall rekonstruieren. Auf der Baustelle für das Grab des regierenden Königs sind der Lehrer und Verfasser des Weisheitstextes Amunnacht sowie einer seiner Schüler anwesend, der eine längere Passage des Textes auf einem Ostrakon als Unterrichtspensum niederschrieb. Bis heute sind 20 Ostraka bekannt (von diesen sind 16 publiziert), die Teile des Textes enthalten. Da der Text eine geringe Verbreitung erfuhr, einzig reproduziert und rezipiert durch Mitglieder der Mannschaft, die für den Bau der Königsgräber zuständig waren und im Arbeiterdorf Deir el-Medine wohnten, ist es nicht erstaunlich, daß die einzelnen Textträger nur geringe Abweichungen untereinander aufweisen. Begünstigt wird die große Textübereinstimmung durch die Tatsache, daß sich keine gesicherten Hinweise darauf finden, daß die Lehre nach dem Tod Amunnachts weiter in Gebrauch war, womit sich für den Text eine nur gerade ca. 25-jährige Rezeptionsgeschichte nachzeichnen läßt. Das Ende der Rezeption der Lehre Amunnachts fällt zudem zeitlich mit einer allgemein beobachtbaren Abnahme der Rezeption lite-

46. 47.

dazu A. Dorn, Zur Lehre Amunnachts: Ein »Join« und »Missing Links«, in: ZÄS 140, 2013, 112–125. Da ihre Zuweisung und ihre Abfolge nicht gänzlich gesichert sind, wurde die postulierte Textfortsetzung bei der Übersetzung hier nicht berücksichtigt. Eine Verdoppelung des aktuellen Textbestandes ist jedoch aufgrund dieser Zuweisungen sehr wahrscheinlich. Ein gänzlich anderer Text Amunnachts, der sogenannte Turiner Streikpapyrus (pTurin 1880), wurde durch M. Müller, in: TUAT.NF 1, Texte zum Rechts- und Wirtschaftsleben, Gütersloh 2004, 165-184, vorgelegt. A. Dorn, Arbeiterhütten im Tal der Könige. Ein Beitrag zur altägyptischen Sozialgeschichte aufgrund von neuem Quellenmaterial aus der Mitte der 20. Dynastie (ca. 1150 v. Chr.) (Aegyptiaca Helvetica 23), Basel 2011.

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rarischer Texte in Deir el-Medine gegen Ende des Neuen Reiches (1550-1050 v. Chr.) zusammen. Innerhalb der Gattung Weisheitstexte nimmt der Text eine Sonderstellung ein, da er einerseits aus Elementen klassischer Weisheitstexte wie zum Beispiel der Lehre Ptahhoteps 48) besteht (Unterweisung des Schülers, Gehorsam gegenüber Vorgesetzten, Befolgen von Ratschlägen, korrektes Verhalten) und andererseits aus Elementen der jüngeren Lehrtexte, den sogenannten Miscellanies, wie sie sich im P. Lansing 49) finden. Die Dialogstruktur, die als neues Stilmittel erstmals am Ende der Lehre Anis (s. o.) bezeugt ist, stellt bei der Lehre Amunnachts das formale Gliederungselement dar. Eine weitere Besonderheit in Texten Amunnachts stellt die Verwendung von semitischen Wörtern dar. Dies ist im Neuen Reich (1550-1050 v. Chr.) nichts Außergewöhnliches, bei Amunnacht sind es jedoch Vokabeln, die in keinem anderen ägyptischen Text belegt sind. Auch in seiner Lehre findet sich ein Bespiel für dieses Phänomen bzw. für dieses autorenspezifische Alleinstellungsmerkmal. So verwendet er nicht das geläufige (onomatopoetische) ägyptische Wort c für Esel sondern das semitische hmr. ˙ Erstpublikation (Vers 1-24): G. Posener, L’exordre de l’instruction éducative d’Amennakhte (recherches littéraires, V), RdE 10 (1955), 61-72 mit Taf. 4. – Neubearbeitung (Verse 1-78): A. Dorn, Die Lehre Amunnachts, ZÄS 131 (2004), 38-55 mit Taf. 2-7. – Identifikation neuer Textträger: V. Ritter, Ostraca hiératiques et ostraca figurés. Quelques nouveaux raccords, GöMi 217 (2008), 83-84. – Kommentierte Übersetzungen: S. Bickel / B. Mathieu, L’Écrivain Amennakht et son Enseignement, BIFAO 93 (1993), 31-51 (Vers 1-24); P. Dils, oKV 18/ 3.614+627, Die Lehre des Amunnacht, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Vers 1-78; http:// bbaw.de/tla; 28. 2. 2013); P. Vernus, Sagesses de l’Égypte pharaonique, Paris 20102, 369-375 (Vers 1-58). P. Grandet, Un document relatif aux grèves de Deîr el-Médînéh en l’an 29 de Ramsès III, et un fragment de l’Enseignement d’Amennakhté, § 39-48: O. IFAO 1255 A-B (Vers 39-48) (im Druck).

In der Übersetzung wird auf Angaben zur Zeilenzählung sowie zu recto und verso verzichtet, da keiner der Textträger den ganzen Text abdeckt und ebenso auf die Wiedergabe von Rubra und Verspunkten, weil sie nicht auf allen Textträgern vorhanden sind. Hingegen sind die Verse (1–58) durchnumeriert und die Einleitung (E) sowie die Kapitelanfänge (K.I) angegeben. (E)(1) Beginn

der Erziehungslehre, (2) Sprüche für den Weg des Lebens, (3) die der Schreiber Amunnacht gemacht hat (4) [für] seinen Lehrling Hormin. 50) (K.I)(5) Er sagt: Du bist jetzt ein Mann, der Worte hören soll, (6) um Gutes von Schlechtem zu unterscheiden. (7) Sei aufmerksam, höre meine Worte, (8) und übergehe nicht, was ich dir sage. (9) Es ist sehr angenehm, als Mann befunden zu werden, (10) der fähig ist zu jeder Arbeit. (11) Laß dein Herz zu einem großen Damm werden, (12) neben dem die Flut gewaltig ist. (13) Nimm meine Rede an in all ihren Teilen, (14) weigere dich nicht, sie zu beachten. 48. 49. 50.

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Siehe G. Burkard, in: TUAT III/2 (Weisheitstexte II), Gütersloh 1991, 195-221. Siehe G. Moers, in: TUAT/Ergänzungslieferung, 109-142. Die Zueignung der Lehre an einen konkreten Empfänger (Schüler) ist nur auf einem Ostrakon belegt, so daß dieser Vers als optional zu klassifizieren ist.

Texte aus Ägypten (15) Blicke

mit deinen Augen auf alle Berufe (16) und auf alles, was schriftlich abgefaßt wurde. (17) Dann wirst du die Tatsache erkennen, daß die Worte vortrefflich sind, (18) die ich dir gesagt habe. (19) Wende dich nicht ab von den Worten und Sprüchen der alten Schriften. (20) Eine heftige Erwiderung ist nicht angebracht. (21) Laß deinen Verstand (Herz) groß sein, wenn er hastig ist. (22) Du sollst nur sprechen, nachdem man aufgerufen worden ist. (23) Du sollst Schreiber werden und im Lebenshaus umhergehen, (24) werde wie eine Bücherkiste. (K.II)(25) Ich will einen Platz einnehmen, mein Vater, bei deinem Smdt-Personal (26) wie ein Esel in seiner Herde. (27) Ich bin das Schiff, du bist das Ruder. (28) Ich gehe auf dem (richtigen) Weg, dann höre ich dich. (29) Ich entferne mich nicht von deinen Ratschlägen. (30) Ich bin so auf dem Wasser (im Fahrwasser), wie du es vorspurst. (31) Mein Herz war gütig und schwach, (32) jetzt aber ist es deiner Lehre zugewandt. (33) Ich habe die Ratschläge in der Zeit berücksichtigt, als du da warst, (34) als du meinen Rücken geschlagen hast. (35) Denn es ist angenehm, in der Schule geschlagen zu werden. (36) Siehe, es ist nützlicher, sie (die Schule) zu vollenden, (37) als das Riechen der Lotosblüten in der Sommerzeit (38) und als Salböl im Grabe. (K.III) (39) Du sollst dir ein Leben wünschen, (40) das ruhig ist, ohne beaufsichtigt zu werden, (41) ohne daß du die vielen, beschwerlichen (42) Aufträge Ägyptens kennst. (43) Mach dir ein vollkommenes Herz zu eigen (44) gemäß meinen Unterweisungen. (45) Du sollst [nicht] fliehen wie eine kleine Wachtel, (46) die sich entfernt und hierhin und dorthin flüchtet. (47) Es ist mühsamer, im Fangnetz umschlossen zu sein, wenn es geworfen ist, (48) als zu sagen: Ja. (K.IV) (49) Komm, damit man dir die beschwerlichen Tätigkeiten (50) eines uneinsichtigen Dummkopfs erzählt, (51) wenn er die Unterweisungen des Vaters nicht hört, (52) um ein trefflicher Schreiber zu werden. (53) Er (der Schreiber?) ist im Schiff, (54) während er (der Dummkopf?) beim Seil ist, (55) das über seinem Kopf zum Wasser hin ist (i. S. v. verläuft), (56) so daß er eins ist mit den Krokodilen und den Nilpferden. (57) Jedermann zieht zu ihnen hin (?), (58) /// nach draußen gelangt. /// 51)

3. The Prohibitions – Ein Kompendium negativer Lehrsätze

Roman Gundacker In Deir el-Medina, am Westufer Thebens, wo die mit der Errichtung der Königsgräber im Tal der Könige befaßte Arbeiterschaft wohnte, wurde ein reicher Schatz von Ostraka 52) gefunden. Diese stammen zum Teil aus dem lokalen Schulbetrieb, 53) zum Teil 51. 52.

53.

Die folgenden 20 Verse sind sehr fragmentarisch erhalten, weshalb auf ihre Wiedergabe verzichtet wird. Unter Ostraka sind in diesem Zusammenhang sowohl Tonscherben als auch Kalksteinsplitter zu verstehen. Die bedeutendsten Sammelpublikationen sind: G. Daressy, Ostraca. Catalogue Général des Antiquités Égyptiennes du Musée de Caire, Kairo 1901; G. Posener / A. Gasse, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médinéh (DFIFAO 1, 18, 20, 25, 43), Kairo 1934-2005; J. Cˇerny´ / Sir A. H. Gardiner, Hieratic Ostraca I, Oxford 1957; H.-W. Fischer-Elfert, Literarische Ostraka der Ramessidenzeit in Übersetzung (KÄT 9), Wiesbaden 1986. Vgl. Anm. 55. Vgl. z. B. A. G. McDowell, Student Exercises from Deir el-Medina: The Dates, in: P. Der Manuelian (Hg.), Studies in honor of William Kelly Simpson (FS Simpson), Boston 1996, II 601-

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scheinen sie aber auch zu Privatbibliotheken gehört zu haben. 54) Entsprechend ist die Qualität der Texte sehr unterschiedlich – neben den ersten, eher unbeholfenen Schreibübungen von Anfängern stehen auch qualitativ gute Abschriften –, doch haben beinahe alle Ostraka eines gemein: sie enthalten nur kurze Ausschnitte, seien es »Glanzpartien« oder unter besonderen Gesichtspunkten (etwa für den Unterricht) ausgewählte Passagensammlungen. Dieser »literarische Steinbruch« 55) bietet somit nicht nur neue, anderweitig unbezeugte Texte, sondern auch einen Einblick in den Schulbetrieb der Ramessidenzeit (XIX.-XX. Dynastie, 1292-1077 v. Chr.) 56) bzw. in das literarische Leben der schriftkundigen Mittelschicht. Die Rekonstruktion der ausschließlich auf Ostraka bezeugten Texte ist jedoch mit teils erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da nur Textüberschneidungen von meist kaum mehr als einigen wenigen Wörtern die Reihung der einzelnen Textpassagen erlauben. Die vollständige Erschließung eines Textes ist daher nur in seltenen Fällen

54.

55.

56.

316

608; A. G. McDowell, Teachers and Students at Deir el-Medina, in: R. J. Demarée (Hg.), Deir el-Medina in the Third Millennium AD. A Tribute to Jac. J. Janssen (Egyptologische Uitgaven 14), Leiden 2000, 217-233; J. Osing, School and Literature in the Ramesside Period, in: L. Brancoli (Hg.), L’impero ramesside. Convegno internazionale in onore di Sergio Donadoni (FS Donadoni) (Vicino Oriente 1), Rom 1997, 131-142; A. Dorn, Die Lehre des Amunnacht, ZÄS 131 (2004) 38-55; F. Hagen, Literature, Transmission, and the Late Egyptian Miscellanies, in: R. J. Dann (Hg.), Current Research in Egyptology 2004. Proceedings of the Fifth Annual Symposium which took Place at the University of Durham, January 2004, Oxford 2006, 84-99; F. Hagen, Ostraca, Literature and Teaching at Deir el-Medine, in: R. Mairs / A. Stevenson (Hg.), Current Research in Egyptology 2005. Proceedings of the Sixth Annual Symposium which took place at the University of Cambridge, 6-8 January 2005, Oxford 2007, 38-51; O. Goelet, Writing Ramesside Hieratic: what the Late Egyptian Miscellanies tell us about Scribal Education, in: S. H. d’Auria (Hg.), Servant of Mut: Studies in Honor of Richard A. Fazzini (FS Fazzini), Leiden / Boston 2008, 102-110; S. Bickel, Sichtbar und geheim: Aspekte altägyptischer Performanz von Wissen, in: T. Fuhrer / A.-B. Renger (Hg.), Performanz von Wissen. Strategien der Wissensvermittlung in der Vormoderne, Heidelberg 2012, 11-28. Vgl. zur Problematik um die Deutung der Ostraka als Übungsbuch bzw. alternativen Textträger sui generis neben den Papyri B. van de Walle, La transmission des textes littéraires égyptiens, Brüssel 1948, 18; H. Brunner, Altägyptische Erziehung, Wiesbaden 1957, 66; A. McDowell, Awareness of the Past in Deir el-Medina, in: R. J. Demarée / A. Egberts (Hg.), Village Voices. Proceedings of the Symposium »Texts from Deir El-Medina and Their Interpretation«, Leiden, May 31-June 1, 1991, Leiden 1992, 95-96 bzw. J. Cˇerny´, Rezension zu B. van de Walle, La transmission des textes litteraires égyptiens, Brüssel 1948, CdE 24 (1949) 68-71; J. J. Janssen, Literacy and Letters at Deir el-Medina, in: Demarée / Egberts (Hg.), Village Voices, 86; D. van der Plas, L’Hymne à la crue du Nil (Egyptologische Uitgaven 4), Leiden 1986, I 12-13; F. Hagen, »The Prohibitions« A New Kingdom Didactic Text, JEA 91 (2005) 154; E. Blumenthal, Privater Buchbesitz im pharaonischen Ägypten, in: E. Blumenthal / W. Schmitz (Hg.), Bibliotheken im Altertum, Wiesbaden 2011, 51-85; vgl. auch B. J. J. Haring, Writing in a Workmen’s Village. Scribal Practice in Ramesside Deir el-Medina (Egyptologische Uitgaven 16), Leiden 2003. Zumindest jene Ostraka, die einst den vollständigen Text eines Literaturwerkes trugen, dürften mit einiger Sicherheit einer (privaten) Bibliothek angehört haben. H.-W. Fischer-Elfert, Lesefunde im literarischen Steinbruch von Deir el-Medineh (KÄT 12), Wiesbaden 1997. Daneben existierten aber auch Papyri, die – mit derselben Problematik wie die Ostraka behaftet – als Schüler- bzw. private Sammelhandschriften gelten können, so etwa pChester Beatty V = pBM 10685 (Sir A. H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift, London 1935, pl. 23-29). Vgl. E. Hornung / R. Krauss / D. A. Warburton, Ancient Egyptian Chronology (HO I, Der Nahe und Mittlere Osten 83), Leiden / Boston 2006, 493.

Texte aus Ägypten

möglich, 57) doch ist meist zumindest eine Einschätzung über die Abfolge einzelner Textblöcke zu erzielen. Neben Auszügen klassischer literarischer Werke 58) fand im Schulunterreicht eine eigene Textform Anwendung, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Schulbetrieb und privater Beschäftigung mit Texten entstanden zu sein scheint: die sogenannten miscellanies. 59) Es handelt sich hierbei um eine bloß durch ihren Zweck und ihre Bezeugung beschriebene Textgruppe, die inhaltlich und motivisch völlig heterogen ist. Neben Texten, die den König oder die Hauptstadt (Theben bzw. die Ramsesstadt) lobpreisen, finden sich auch Berufscharakteristiken bzw. -satiren, die Schüler ermunternde Texte (Werde-Schreiber-Texte), aber auch Musterschriftstücke und kurze lehrhafte Texte. Diese letztere Gruppe umfaßt sowohl einzelne Lehrsätze (Maximen) aus den großen literarischen Lebenslehren als auch kurze zeitgenössische Lehren und verschiedenartige Texte mit lehrhaftem Charakter. 60) Zu dieser zuletzt genannten Gruppe gehört auch der hier zu behandelnde Text der Prohibitions. In geistesgeschichtlicher Hinsicht ist die Epoche des Neuen Reiches durch die sogenannte Persönliche Frömmigkeit geprägt, die über die formalisierte und hierarchische Kultstruktur hinaus eine individualisierte Bindung des einzelnen an eine bestimmte Gottheit kennt. 61) Der vorliegende Text ist jedoch nicht religiöser, sondern, soweit dieser Ausdruck in einer Kultur wie der ägyptischen überhaupt zulässig ist, profaner Natur. Er soll – wie alle ägyptischen Lehren – zwar auch zu einem moralisch guten Leben anleiten, doch ist dies stets als Teil des Zieles zu sehen, ein vor Gott und den Menschen erfolgreiches Leben zu führen.62) Dieser Erfolg war für den Ägypter primär an der beruflichen Karriere und am sozialen Status zu erkennen. 57.

58. 59. 60. 61.

62.

Musterbeispiel: Der Lehrbrief Kemit, vgl. Posener / Gasse, Catalogue, II pl. I-XXI, siehe jetzt auch E. Petersmarck, Die Kemit. Ostraka, Schreibtafeln und ein Papyrus (GöMi Beiheifte 12), Göttingen 2012; R. B. Parkinson, Poetry and Culture in Middle Kingdom Egypt. A Dark Side to Perfection, London 2002, 322-323; S. Jäger, Altägyptische Berufstypologien (Lingua Aegyptia Studia Monographica 4), Göttingen 2004, 158-167; C. Peust, Das Lehrstück Kemit. in: B. Janowski / G. Wilhelm (Hg.), Briefe (TUAT.NF 3), Gütersloh 2006, 307-313. Allem voran Lehren, so die Lehre des Duacheti mit über 250 (Jäger, Berufstypologien) und der eben genannte Lehrbrief Kemit mit weit mehr als 350 Textzeugen (zumeist Ostraka). Vgl. Sir A. H. Gardiner, Late Egyptian Miscellanies (BiAe 7), Brüssel 1937; R. A. Caminos, Late-Egyptian Miscellanies (BES 1), London 1954; Fischer-Elfert, Steinbruch; F. Hagen, Literature. Einen einleitenden Überblick bieten G. Burkard / H. J. Thissen, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte II: Neues Reich (EQÄ 6), Berlin 2008, 156-177. Grundlegend: G. Fecht, Literarische Zeugnisse zur »Persönlichen Frömmigkeit« in Ägypten (AHAW 1965.1), Heidelberg 1965; G. Posener, La piété personelle avant l’âge amarnien, RdE 27 (1975) 195-210; H. Brunner, Art. Persönliche Frömmigkeit. LÄ IV (1984) 951-963; J. Assmann, Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur, Stuttgart / Berlin / Köln; J. Assmann, Gottesbeherzigung: »Persönliche Frömmigkeit« als religiöse Strömung der Ramessidenzeit, in: Brancoli (Hg.), L’impero ramesside, 17-43; M. M. Luiselli, Die Suche nach Gottesnähe: Untersuchungen zur persönlichen Frömmigkeit in Ägypten von der 1. Zwischenzeit bis zum Ende des Neuen Reiches (ÄAT 73), Wiesbaden 2011; W. Friese / A. Greve / K. Kleibl / K. Lahn (Hg.), Persönliche Frömmigkeit: Funktion und Bedeutung individueller Gotteskontakte im interdisziplinären Dialog. Akten der Tagung am Archäologischen Institut der Universität Hamburg (25.-27. November 2010) (Hephaistos 28), Berlin 2011. Vgl. die etwa gleichzeitigen großen Lehren, die Lehre des Ani (J. F. Quack, Die Lehren des Ani. Ein neuägyptischer Weisheitstext in seinem historischen Umfeld [OBO 141], Freiburg / Göt-

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Roman Gundacker

Die Prohibitions weisen im Gegensatz zu den großen ungefähr kontemporären Lehren des Ani und des Amenemope keine Einleitung bzw. Rahmenhandlung 63) auf und verzichten überdies auf die meist obligate Zuschreibung an eine konkrete Lehrautorität. 64) Dies ist vermutlich als bewußter Schritt des nicht faßbaren Autors zu verstehen,65) wenngleich dies weder zwangsläufig für noch gegen einen kanonisch festen Text außerhalb der sehr freien miscellanies-Tradition ins Feld geführt werden kann. 66) Der lehrhafte Hauptteil zeichnet sich jedenfalls durch eine besondere formale Strenge aus, die in zweierlei Merkmalen begründet liegt: Für Lehren ist einmalig, daß ausnahmslos jeder Lehrsatz mit einer Anapher (hier: jm=k … »Du sollst nicht …«) beginnt. 67) Auffallend ist dabei auch, daß ausgerechnet eine Negation (Nega-

63.

64.

65. 66.

67.

318

tingen 1994) und die (etwas spätere) Lehre des Amenemope (V. P.-M. Laisney, L’enseignement d’Aménémopé [StP.SM 19], Rom 2007; vgl. außerdem I. Shirun-Grumach, »Weisheitstexte« in ägyptischer Sprache: Die Lehre des Amenenope, in: O. Kaiser (Hg.), Weisheitstexte II. Weisheitstexte, Mythen und Epen (TUAT AT III.2), Gütersloh 1991, 222-250, sowie die in diesem Band publizierte Neuübersetzung durch V. P.-M. Laisney). Für die Lehre des Ani ist jedoch bisher ausgerechnet der einleitende Teil der Rahmenhandlung nicht bezeugt; durch den ausführlichen Epilog mit der berühmten Erörterung des Sinns der Erziehung zwischen Vater und Sohn wird aber ein entsprechendes Gegenstück am Beginn des Textes zwingend vorausgesetzt. Die Lehre des Amenemope beschränkt sich hingegen auf die Nennung von Lehrautorität und Schüler am Beginn des Textes, ohne dies zu einer Rahmenhandlung im eigentlichen Sinn auszubauen; der Text endet auch unvermittelt mit dem Maximenkatalog. Vgl. K. Kitchen, The Basic Literary Forms and Formulations of Ancient Instructional Writings in Egypt and Western Asia, in: E. Hornung / O. Keel (Hg.), Studien zu altägyptischen Lebenslehren (OBO 28), Freiburg / Göttingen 1979, 265-268. Die Lehre des Hori: Cˇerny´ / Gardiner, Hieratic Ostraca, pl. 6; Fischer-Elfert, Literarische Ostraka, 1-4; Die Lehre des Amunnacht: Bickel / Mathieu, L’écrivain Amennakht et son enseignement, BIFAO 93 (1993) 31-51; Dorn, ZÄS 131 (2004) 38-55; Vgl. außerdem die Bearbeitung durch A. Dorn in diesem Band sowie einen von ihm in der Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde (ZÄS) angekündigten Beitrag. Die Lehre des Menena: Cˇerny´ / Gardiner, Hieratic Ostraca, pl. 78-79; W. Guglielmi, Eine »Lehre« für einen reiselustigen Sohn (Ostrakon Oriental Institute 12074), WdO 14 (1983) 147-166; H.-W. Fischer-Elfert, Literature as the mirror of private affairs. The Case of Mnn (i) and his son Mrj-Shm.t (iii), ˘ in: A. Dorn / T. Hoffmann (Hg.), Socio-historical Embodiment of Deir el-Medine Texts (Aegyptiaca Helvetica 19), Basel 2006, 87-92. Vgl. desweiteren die Anmerkungen zu Ostrakon British Museum EA 5631 weiter unten. Vgl. etwa die Lehre eines Mannes für seinen Sohn, die den Lehrer bewußt anonym beläßt: H.-W. Fischer-Elfert, Die Lehre eines Mannes für seinen Sohn. Eine Etappe auf dem »Gottesweg« des loyalen und solidarischen Beamten des Mittleren Reichs (ÄA 60), Wiesbaden 1999. F. Hagen, JEA 91 (2005), 150 weist darauf hin, daß die Prohibitions nur geringe Textvarianten aufweisen, die überdies nicht als Fehler gemäß der klassischen kritischen Methode (vgl. für die ägyptologisch adaptierte Variante J. Zeidler, Pfortenbuchstudien (GOF.Ä 36), Wiesbaden 1999, I 11-84), sondern als freie Varianten in einer offenen Überlieferung zu gelten haben (vgl. Quack, Ani, 13-26 und die kritischen Bemerkungen bei H.-W. Fischer-Elfert, Persönliche Frömmigkeit und Bürokratie. Zu einer neuen Edition der Lehre des Ani, WdO 28 [1997] 18-30). Es handelt sich somit sicherlich um den lokalen Traditionszweig Deir el-Medinas, wenngleich daraus keine allzu weitreichenden Schlüsse gezogen werden sollten (vgl. die Ausführungen weiter unten mit Anm. 71). Vgl. für anaphorische Elemente in der ägyptischen Literatur W. Guglielmi, Art. Stilmittel. LÄ VI (1986) 22-41; O. Goelet, The Anaphoric Style in Egyptian Hymnody, JSSEA 28 (2001) (FS A. R. Schulman), 75-89; W. Guglielmi, Der Gebrauch rhetorischer Stilmittel in der ägyptischen Literatur, in: A. Loprieno (Hg.), Ancient Egyptian Literature. History and Forms (PÄ 10), Leiden / New York / Köln 1986, 465-498 (bes. 470-472).

Texte aus Ägypten

tionsverb) gewählt wurde, sodaß jede Maxime mit einer Ermahnung ansetzt. Zwar ist diese Form der Einleitung einer Maxime seit dem Mittleren Reich bezeugt, doch stellt die absolute Einheitlichkeit ein singuläres Stilmittel dar. Da die Anapher zugleich ein syntaktisches Muster bedingt, entsteht somit gleichsam von selbst auch ein iteratives bzw. parallelistisches Moment, das vielleicht auch als mnemotechnische Stütze für den Unterricht gedacht war. 68) Ebenso herausragend ist, daß alle Maximen praktisch gleichlang sind und nach dem derzeitigen metrischen Verständnis 69) aus einem Verspaar bzw. aus einem Doppelvers bestehen, was es als gerechtfertigt erscheinen läßt, von einem stichischen Aufbau zu sprechen: Der erste (Halb)Vers ist auf Grundlage der Anapher stets eine Ermahnung, die im zweiten (Halb)Vers weitergedacht, begründet oder illustriert wird. Die verwendete Sprache ist eine eher frühe Variante des literarischen Neuägyptisch, 70) was in Verbindung mit dem Alter der Textzeugen für eine Abfassung in der Mitte der XIX. Dynastie spricht. Es ist allerdings unmöglich, den Ort 71) und exakten Zeitpunkt der Textentstehung zu bestimmen und ebenso, ob bzw. inwieweit zeitgenössische Sprichwörter, Aphorismen und dergleichen mehr integriert wurden. Die weitere Stilistik dieses Textes ist vor allem durch Vergleiche und Metaphern geprägt, 72) doch kommt auch wiederholten Schlüsselwörtern und Wortassoziationen eine bedeutende Rolle zu. Dies kann zum einen der Konstitution eines Doppelsinns oder einer über den Text hinausweisenden Anspielung dienen, vor allem aber bilden solch lose Assoziationsketten das strukturelle Grundgerüst des Maximenkatalogs. Dieser zeigt nämlich nur selten Gruppen thematisch zusammengehöriger Lehrsätze, während sich zumeist keine strenge, inhaltlich begründete Ordnung erkennen läßt und die Abfolge auf freien Wortketten bzw. Wortassoziationen beruht. 73) Der fragmentarische Erhaltungszustand, das Fehlen eines Prologs und die unsichere Interpretation der Ostraka als Schülerübungen oder Bestandteil von Privatbibliotheken macht es schwierig, den Sitz im Leben der Prohibitions zu bestimmen. Die 68. 69.

70.

71.

72. 73.

G. Moers, Der Parallelismus (membrorum) als Gegenstand ägyptologischer Forschung, in: A. Wagner, Parallelismus membrorum (OBO 224), Freiburg / Göttingen 2007, 147-166. Grundlegend Fecht, Persönliche Frömmigkeit; G. Fecht, Art. Prosodie, LÄ IV (1982) 11271154; G. Fecht, The Structural Principles of Ancient Egyptian Elevated Language, in: J. C. de Moor / W. G. E. Watson (Hg.). Verse in Ancient Near Eastern Prose (AOAT 42), NeukirchenVluyn / Kevelaer 1993, 69-94. Detailkritisch revidierend H. Buchberger, Transformation und Transformat. Sargtextstudien I (ÄA 52), Wiesbaden 1993, 21-25; Quack, Ani, 67-69; G. Burkard / H.-J. Thissen, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte I: Altes und Mittleres Reich (EQÄ 1), Berlin 2003, 218-230 (mit weiterer Literatur). S. I. Groll, The Literary and the Nonliterary Verbal Systems in Late Egyptian, OLP 6/7 (1975/ 1976) 237-246; J. Cˇerny´ / S. I. Groll, A Late Egyptian Grammar (StP.SM 4), 4. Auflage Rom 1993; Kritisch revidierend Quack, Ani, 29-31. Vgl. auch Hagen, JEA 91 (2005) 145, 150 [Anm. 52]. So gegen Burkard / Thissen, Literaturgeschichte II, 134, die aufgrund der Fundlage eine Entstehung in und Verbreitungsbeschränkung auf Deir el-Medina annehmen. Solange allerdings nicht vergleichbare und ähnlich ergiebige »literarische Steinbrüche« an anderen Orten Ägyptens entdeckt werden, ist jeder Schluß bezüglich der Entstehung und Verbreitung eines Textes nur anhand der Funde in Deir el-Medina unzulässig. Guglielmi, LÄ IV (1982); Guglielmi, Gebrauch, 484-486. J. F. Quack demonstrierte die innere Kohärenz des Maximenkatalogs der Lehre des Ani anhand solcher Assoziationen (Quack, Ani, 62-65). Vgl. Hagen, JEA 91 (2005) 153.

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bisher auf Deir el-Medina beschränkte Bezeugung dieses Textes darf gleichfalls nicht überbewertet werden, da dies nur eine Beschäftigung auch der dort angesiedelten Beamten und – soweit literat – Arbeiter mit diesem Text zu erkennen gibt. Somit kann mit Sicherheit nur ausgesagt werden, daß die Angehörigen der Mittelschicht Teil des Zielpublikums dieses Textes waren; es ist aber nicht möglich, die Oberschicht auszuschließen. Die stichische Struktur des Textes läßt ihn für den Schulunterricht besonders geeignet erscheinen, doch steht dem die eher geringe Bezeugung entgegen. Eine Klärung all dieser Fragen kann aber letztlich nur durch den kontextualisierten Fund weiterer Textzeugen erreicht werden. Die Prohibitions sind ausschließlich auf hieratisch beschriebenen Ostraka aus Deir el-Medina bezeugt; konkret liegen folgende Textzeugen vor: (i) Ostrakon British Museum EA 5631 verso (XIX. Dynastie) 74) – Fundumstände: unbekannt. – Aufbewahrungsort: British Museum, London. – Maße und Erhaltung: ca. 17,5  35,5 cm; Das Ostrakon ist an den Rändern bestoßen und zeigt Absplitterungen. – Text: Das verso trägt zwei Zeilen vom Anfang eines lehrhaften Textes (offenbar stichische Textordnung), das recto zeigt einen Brief 75) – Sonstiges: Die Identifikation des kurzen Textausschnittes ist durchaus problematisch, da nur der Titel einer Lehre und der Beginn eines ersten Lehrsatzes erhalten sind. Trotz der Kürze des Textstückes und der Unmöglichkeit eines direkten Anschlusses an die übrigen Fragmente wurde seit einer ersten Bemerkung G. Poseners 76) die Zugehörigkeit dieses Textanfangs zu den Prohibitions weitgehend 77) anerkannt. F. Hagen 78) äußerte sich demgegenüber eher zurückhaltend, wenngleich er die Möglichkeit einer Zusammengehörigkeit in Betracht zog. Unter den Argumenten zugunsten einer Zusammengehörigkeit sind besonders folgende zu nennen: Den kurzen Lehren der Ramessidenzeit (Lehren des Hori, Amunnacht und Menena) 79) ist gemein, daß sie keine Rahmenhandlung aufweisen, sondern nach einer kurzen Nennung der Lehrautorität und des Schülers sofort mit dem Maximenkatalog beginnen. Ähnliches ist auch für die Prohibitions zu erwarten, und der Text dieses Ostrakons erfüllt dies. Anstelle eines Lehrers werden jedoch auf dem Ostrakon British Museum EA 5631 die »alten Schriften« genannt, was grundsätzlich an die Tradition der großen Lehren (Lehren des Ptahhotep, Hordjedef, Imhotep) 80) erinnert, 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80.

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J. Winand, La grammaire au secours de la datation des textes, RdE 46 (1995) 196-197; S. Wimmer, Palaeography and the Dating of Ramesside Ostraca, LinAeg 9 (2001) 285-292. A. Erman, Aus dem Volksleben des neuen Reiches, ZÄS 42 (1903) 102-106; E. F. Wente, Letters from Ancient Egypt (SBL, WAW I), Atlanta 1990, 146; A. G. McDowell, Jurisdiction in the Workmen’s Community of Deir el-Medina, Leiden 1990, 237, 240. G. Posener, Les richesses inconnues de la littérature égyptienne, RdE 6 (1951) 42 [Anm. 54]. H. Brunner, Die Weisheitsbücher der Ägypter, Düsseldorf 1988, 215; P. Vernus, Sagesses de l’Égypte pharaonique, Paris 2001, 291. Hagen, JEA 91 (2005) 151. Vgl. hierzu oben Anm. 64. Die Lehre des Ptahhotep: G. Jéquier, Le Papyrus Prisse et ses variantes, Paris 1911; Z. Zˇába, Les maximes de Ptahhotep, Prag 1956; F. Junge, Die Lehre Ptahhoteps und die Tugenden der ägyptischen Welt (OBO 193), Freiburg / Göttingen 2003; F. Hagen, An Ancient Egyptian Literary Text in Context: The Instruction of Ptahhotep (OLA 218), Löwen 2012; Die Lehre des Hordjedef: W. Helck, Die Lehre des Djedefhor und die Lehre eines Vaters an seinen Sohn (KÄT 9), Wiesbaden 1984; H.-W. Fischer-Elfert, Ein neuer Mosaikstein im Hordjedef-Puzzle (§ 7): (Ostrakon Berlin P. 12383), in: D. Kessler (Hg.), Texte – Theben – Tonfragmente. Festschrift für Günter Burkard (ÄAT 76), Wiesbaden 2009, 118-127. Die Lehre des Imhotep: vgl. Burkard / Thissen, Literaturgeschichte I, 77-79. In der Lehre für Kagemni (Jéquier, Prisse; Sir A. H. Gardiner, The Instruction Addressed to Kagemni and his Brethren, JEA 32 [1946] 71-

Texte aus Ägypten

wenngleich in diesen eine Person der Vergangenheit als Referenzpunkt gewählt wird. Die nicht personalisierte Lehrautorität verlangt denn auch einen entsprechend weiten Rezipientenkreis, der im Ostrakon British Museum EA 5631 überhaupt unerwähnt bleibt und somit alle Menschen umfassen könnte. Daran schließt sofort der erste Lehrsatz an, während ansonsten meist mit einem Aufruf zum Fleiß oder zur Annahme der Lehre eröffnet wird, ehe der erste Lehrsatz im eigentlichen Sinne folgt. 81) Es ist folglich etwas unerwartet, daß der Hauptteil der Lehre des Ostrakons British Museum EA 5631 mit einem negierten Imperativ (»Du sollst nicht …«) einsetzt. Dies ist jedoch das auffälligste strukturell-stilistische Merkmal der Prohibitions und spricht daher am deutlichsten für eine Zugehörigkeit des Ostrakons British Museum EA 5631 zu ihnen. Letzte Sicherheit bezüglich der Textzugehörigkeit könnte zwar nur ein direkter Anschluß bzw. zumindest eine Fortsetzung der Kette von Lehrsätzen mit der charakteristischen Einleitung »Du sollst nicht …«, die dem Titel folgt, erbringen, doch ist die Zuweisung des Ostrakons British Museum EA 5631 an die Prohibitions auch dem bisherigen Kenntnisstand nach gut argumentierbar. Sofern man diese Zuweisung akzeptiert, hat man zugleich den altägyptischen Titel der Prohibitions vor sich: h .t-2 m ˙ wird s´b jj.t mtr.t ddhjj.ti m-s´n.t r sh .w js´w.t »Anfang der Erziehungslehre, die gesprochen ¯ ¯ 82) in Übereinstimmung mit den alten Schriften.« – Allgemeine Bibliographie: S. Birch, Inscriptions in the Hieratic and Demotic Character, from the Collections of the British Mu-

81.

82.

74) ist der Name der Lehrautorität nicht erhalten, da jedoch in den Autorenlisten späterer Zeit (allem voran dem pChester Beatty IV, vgl. Sir A. H. Gardiner, Hieratic Papyri, pl. XIX; Brunner, Weisheitsbücher, 224-226; G. Moers, Zur Relevanz der Namenslisten des pChester Beatty IV für Versuche einer funktionalen Binnendifferenzierung des gemeinhin als »literarisch« bezeichneten Gattungssystems des Mittleren Reiches, in: C. Peust (Hg.), Miscellanea in honorem Wolfhart Westendorf [GöMi Beihefte 3], Göttingen 2008, 45-52) ein Kagemni genannt wird, könnte daraus zu schließen sein, daß auch der lehrende Vater diesen Namen trug. Vgl. ferner die Lehre des Duacheti (Jäger, Berufstypologien), die Loyalistische Lehre, die nach neuen Funden auch als Lehre des Kairisu bezeichnet wird (G. Posener, L’enseignement loyaliste. Sagesse égyptienne du Moyen Empire, [HÉtOr 5], Genf 1976; B. U. Schipper, Von der »Lehre des Sehetep-jb-R« zur »Loyalistischen Lehre«, ZÄS 125 [1998] 161-179; U. Verhoeven, Von der »Loyalistischen Lehre« zur »Lehre des Kairsu«: Eine neue Textquelle in Assiut und deren Auswirkungen, ZÄS 136 [2009] 87-98), und die Lehre eines Mannes für seinen Sohn (Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes). Das Fehlen eines Schülers bzw. Rezipienten in der Einleitung, und somit zugleich einer symbolisch angedeuteten (sozialen) Gruppe als Zielpublikum, erinnert an die Lehre eines Mannes für seinen Sohn (Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, I 295-316). Vgl. auch die etwa zeitgleichen lehrhaften Texte: Die Lehre des Amunnacht: »Du bist ein Mann, der auf diese Worte hören soll …«; Die Lehre des Hori: »Setze dein Herz an die Schriften gar überaus sehr …«; Nur die Lehre des Menena beginnt mit einer längeren Mahnung, die offenbar mit Zitaten und Anspielungen auf andere Literaturwerke durchsetzt ist und insgesamt auf ein »Gelehrtenstück« hindeutet. Vgl. für die Ergänzung des Titels Hagen, JEA 91 (2005) 151; vgl. für den terminus technicus »Erziehungslehre« W. Spiegelberg, Varia, ZÄS 53 (1917) 115; Quack, Ani, 83; Hagen, JEA 91 (2005) 151 [Anm. 69] (mit weiterer Literatur). Alternativ wäre es auch möglich, statt des unpersönlichen Passivs ddhjj.ti »die gesprochen wird« (Partizip, vgl. F. Neveu, La langue des Ramsès. Grammaire du¯néo-égyptien, 2. Auflage Paris 1998, 142-144; J. Winand, Études de néo-égyptien I. La morphologie verbale, Liège 1992, 365-373; F. Junge, Neuägyptisch. Einführung in die Grammatik, 3. Auflage Wiesbaden 2008, 67-69) eine aktive Variante ddh.w/ ¯ t=ji »die ich spreche« (Relativform, im Neuägyptischen üblicherweise ohne Genuskongruenz) oder überhaupt den Beginn eines eigenständigen Satzes dd(w)h=ji »Ich will/werde spre¯ chen« (Prospektiv; freundlicher Hinweis von M. Müller) anzunehmen. Diese Auffassung wird auch durch das Fehlen der klassischen Urheberformel jrj.t.n XY »die XY verfaßt hat« anstelle des hier in Rede stehenden Wortes untermauert, da dadurch explizit jegliche auch nur vage Nennung einer Lehrautorität vermieden wird. Angesichts dessen scheint doch der

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seum, London 1868, pl. 18; Cˇerny´ / Gardiner, Hieratic Ostraca, 24, pl. 88; R. J. Demarée, Ramesside Ostraca. London 2002, 17, pl. 19-20. (ii) Ostrakon Deir el-Medina 1090 (XX. Dynastie). – Fundumstände: vermutlich 1930 von B. Bruyère in Deir el-Medina ausgegraben. 83) – Aufbewahrung: Institut Française d’Archéologie Orientale in Kairo. – Maße und Erhaltung: ca. 9  9 cm; Das Ostrakon weist mehrere Stellen mit Abrieb auf und war ursprünglich deutlich größer. – Text: Das erhaltene Fragment zeigt auf dem recto 6 Zeilen der stichisch geschriebenen Prohibitions, von denen die letzten vier stark berieben sind. Auf dem verso finden sich Schreibübungen, die aus dem Schulunterricht oder einer privaten Schreibübung stammen könnten.84) – Allgemeine Bibliographie: Posener / Gasse, Catalogue, I pl. 49, 49a; Hagen, JEA 91 (2005) 125, 142, 160 [fig. 1]. (iii) Ostrakon Deir el-Medina 1632 Ia-e+II+III (XX. Dynastie). – Fundumstände: 1930 von B. Bruyère in Deir el-Medina ausgegraben.85) – Aufbewahrung: Institut Française d’Archéologie Orientale in Kairo. – Maße und Erhaltung: Fragmentgruppe Ia-e: ca. 30  11 cm, Fragment II: ca. 3,5  5 cm, Fragment III: ca. 2,8  5,6 cm; Das ursprünglich recht große Ostrakon ist zerbrochen, weist mehrere Stellen mit Abrieb auf und ist zu einem unbekannten Teil verloren; es steht zu vermuten, daß das unbeschädigte Ostrakon einst den gesamten Text der Prohibitions trug. Die exakte Position der einzelnen Fragmente zueinander ist nicht restlos geklärt. – Text: Auf den fünf Stücken der Fragmentgruppe Ia-e sind Reste von 20 stichisch geschriebenen Lehrsätzen erhalten, auf Fragment II der Anfang von 3 Zeilen; Fragment III zeigt die Reste von 4 Zeilen, wobei zweimal die stichische Schreibweise durchbrochen und ein Lehrsatz in zwei Zeilen geschrieben wird, was vielleicht durch die ursprüngliche Form des Ostrakons oder aber, eher unwahrscheinlich, durch überlange Maximen bedingt war. Die Zeilen- bzw. Maximenanfänge sind jeweils rubriziert. – Allgemeine Bibliographie: Posener / Gasse, Catalogue, III.3 pl. 62, 62a; Hagen, JEA 91 (2005) 142, 156-159 [fig. 1-7], 160 [fig. 8]. – Sonstiges: Obschon nicht zwischen allen Teilfragmenten ein direkter Anschluß erreicht werden kann, ist die Zusammenordnung aufgrund der rubrizierten Anfangsworte jedes Lehrsatzes und des Schreiberductus gesichert. (iv) Ostrakon Deir el-Medina 1633 (XX. Dynastie). – Fundumstände: vermutlich 1930 von B. Bruyère in Deir el-Medina ausgegraben. – Aufbewahrung: Institut Française d’Archéologie Orientale in Kairo. – Maße und Erhaltung: ca. 4,6  4,6 cm; Sowohl die Anfänge als auch die Enden der Zeilen fehlen, das Ostrakon war also ursprünglich deutlich größer. – Text: Erhalten blieben die Reste von vier stichisch geschriebenen Lehrsätzen. – Allgemeine Bibliographie: Posener / Gasse, Catalogue, III.3 pl. 62, 62a; Hagen, JEA 91 (2005) 142, 159 [fig. 8]. (v) Ostrakon Turin 57089 (vermutlich XIX. Dynastie). – Fundumstände: 1905 von E. Schiaparelli in Deir el-Medina ausgegraben. – Aufbewahrung: Museo Egizio, Turin. – Maße und Erhaltung: ca. 14  14,5 cm, allseitig mit Textverlusten, die ursprüngliche Größe kann nicht festgestellt werden. – Text: Das erhaltene Fragment zeigt Reste von 6 Zeilen, wobei von der ersten nur minimalste Spuren vorliegen. Der Text ist nicht stichisch geschrieben, sondern fortlaufend, zeigt dafür aber Rubren und die Maximenordnung andeutende Verspunkte.86) – Allgemeine Bibliographie: J. López, Catalogo del Museo Egizio di Torino, III.1, Ostraca Ieratici N. 57001-57092. Mailand 1978, pl. 38, 38a.

83. 84. 85. 86.

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passivischen Interpretation der Vorrang zuzukommen, obwohl angesichts des derzeitigen Textbestandes keine endgültige Entscheidung möglich ist. Die Angaben in Hagen, JEA 91 (2005) 125, 142 sind widersprüchlich. Hagen, JEA 91 (2005) 154. Vgl. B. Bruyère, Rapport sur les fouilles de Deir el-Médineh (1930) (FIFAO 8), Kairo 1933. Zusammenfassend N. Tacke, Verspunkte als Gliederungsmittel in ramessidischen Schülerhandschriften (Studien zur Archäologie und Geschichte Altägyptens 22), Heidelberg 2001.

Texte aus Ägypten

(vi) Ostrakon Petrie 11 = University College 39614 (ramessidisch; vermutlich XX. Dynastie). – Fundumstände: unbekannt (wahrscheinlich aus Deir el-Medina). – Aufbewahrung: Sammlung des University College, London, ehemals Teil der Sammlung Sir W. M. F. Petrie. – Maße und Erhaltung: ca. 18  24 cm; geringe Absplitterungen am linken und rechten Rand, vermutlich größere Verluste am unteren Ende. – Text: Der Text ist stichisch geschrieben, wobei das recto des Ostrakons 7, das verso 10 Zeilen aufweist. – Allgemeine Bibliographie: Cˇerny´ / Gardiner, Hieratic Ostraca, pl. 1, 1a; Hagen, JEA 91 (2005) 142, 162-164 [fig. 12-14].

Der Text der Prohibitions kann dank der Bezeugung einzelner Textpassagen auf mehreren Ostraka teilweise rekonstruiert werden. Dennoch ist es bisher nur geglückt, eine Reihe von Textabschnitten wiederherzustellen, deren Abfolge ebenso unsicher bleibt wie die Größe der zwischen diesen liegenden Lakunen. Auch in diesem Zusammenhang können nur weitere Textfunde weiterhelfen.87) Die Erstbearbeitung der Prohibitions auf der Grundlage des Ostrakons Petrie 11 = University College 39614 erfolgte durch Sir A. H. Gardiner, 88) nachdem wenige Jahre zuvor G. Posener 89) erstmals auf diesen Text aufmerksam geworden war. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Prohibitions wiederholt in Anthologien und Sammelbände aufgenommen, 90) M. Lichtheim untersuchte auch die Rezeption der Prohibitions in ägyptischen Lehren des 1. Jahrtausends v. Chr. 91) Eine umfassende und erschöpfende Publikation erschien jedoch erst vor wenigen Jahren, als F. Hagen 92) die Quellen kollationierte und eine ausführlich kommentierte Übersetzung vorlegte; auf ihn geht auch der heute gebräuchliche Titel The Prohibitions zurück. Die intertextuellen Beziehungen der Prohibitions zu anderen Texten sind reichhaltig, wobei sie sowohl nehmender als auch gebender Teil sind. 93) Auf der Ebene der Motivik bzw. der Metaphern und Sprachbilder wäre sowohl die hier gebotene Auswahl als auch die Zusammenstellung F. Hagens noch weiter zu vermehren. Diese eher losen Anklänge können jedoch auch darauf zurückgeführt werden, daß die lehrhafte Literatur aus einem bestimmten Wort-, Formen- und Motivschatz schöpfte, der überhaupt allgemeine kulturelle Elemente widerspiegelt und für die Literatur urbar macht. In der Reihe der durch deutliche Anspielungen rezipierten Texte finden sich Klassiker der ägyptischen Literatur des Mittleren Reiches, 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93.

Das mitunter dieser Lehre zugewiesene Ostrakon Petrie 45 = UC 39644 hat Hagen, JEA 91 (2005) 152-153 überzeugend aus dem Quellenbestand ausgeschieden. Sir A. H. Gardiner, A New Moralizing Text, WZKM 54 (1957) 43-45. Posener, RdE 6 (1951) 43 [Anm. 56] und G. Posener, Ostraca inédits du Musée de Turin (Recherches littéraires, III), RdE 8 (1951) 184-185. Allem voran Brunner, Weisheitsbücher, 215-217, 469-470; A. G. McDowell, Village Life in Ancient Egypt: Laundry Lists and Lovesongs, Oxford 1999, 142-143; Vernus, Sagesses, 291297. M. Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature in the International Context (OBO 52), Freiburg / Göttingen 1983, 7-10. Hagen, JEA 91 (2005). Ausführlich hierzu Hagen, JEA 91 (2005) 145-149, im folgenden werden nur ausgewählte Einzelbeispiele geboten. Die nachstehend angeführten Stellenangaben aus den Prohibitiones beziehen sich auf die Übersetzung am Ende dieses Beitrages, stimmen aber mit jenen F. Hagens überein.

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Roman Gundacker

(A.9) ~ Lehre des Ptahhotep 343, 94) ~ Beredter Bauer B.214-215, 95) vgl. auch die Lehre für Kagemni, Papyrus Prisse 2, 2, 96) (A.13) ~ Lehre für Kagemni, Papyrus Prisse 2, 1-2 97) aber auch Beispiele der annähernd kontemporären Literatur: (B.4) ~ Lehre des Ani B 19, 10-12 98) Die Prohibitions werden aber umgekehrt auch in der nur unwesentlich späteren Literatur des ausgehenden Neuen Reiches und in der demotischen Weisheitsliteratur des 1. Jahrtausends v. Chr. rezipiert: (A.9) ~ Lehre des Amenemope L 22, 5-6 99) (A.10) ~ Lehre des Amenemope L 24, 8-11, 100) ~ Lehre des Papyrus Louvre 2414 II, 1 101) (A.12) ~ Lehre des Anchscheschonqi 11, 14 102) 94. »Man weiß nicht, was geschehen wird, während man (noch) über das Morgen nachsinnt.« Zeilenzählung nach E. Dévaud, Les maximes de Ptahhotep d’après le papyrus Prisse, les Papyrus 10371, 10435 et 10509 du British Museum et la Tablette Carnarvon, Freiburg 1916; vgl. Zˇába, Maximes sowie G. Burkard, Die Lehre des Ptahhotep, in: O. Kaiser (Hg.), Weisheitstexte II. Weisheitstexte, Mythen und Epen (TUAT.AF III.2), Gütersloh 1991, 195-221. 95. »Plane nicht das Morgen, wenn es noch nicht gekommen ist, man kennt nicht das Übel in ihm.« Vgl. R. B. Parkinson, The Tale of the Eloquent Peasant: A Reader’s Commentary, Lingua Aegyptia Studia Monographica 10, Hamburg 2012, s. v. B.214-215; Text nach R. B. Parkinson, The Tale of the Eloquent Peasant, 2. Auflage Oxford 2005. Zu bedenken ist auch die Schiffahrtsmotivik in (C.3)-(C.4), die sich im Beredten Bauern vielfach angewandt findet. 96. »Man weiß nicht, was geschehen wird, was Gott seinem Feind antut.« Jéquier, Prisse, pl. I. 97. »Sei nicht hochmütig wegen deiner Kraft mitten unter deinen Altersgenossen.« Jéquier, Prisse, pl. I. 98. »Du sollst nicht sitzen (bleiben), wenn einer steht, der älter ist als du oder höhergestellt in seinem Amt.« Quack, Ani, 104-105, 171. 99. »Du kennst nicht die Pläne von morgen – so beweine (auch) nicht das Morgen.« Laisney, L’enseignement, 201-204; vgl. auch die Bearbeitung in diesem Band. Gerade diese Stelle zeigt, wie schwierig die Feststellung intertextueller Bezüge ist, wenn derselbe Stoff in ähnlichen Wendungen auch frei in Sprichwörtern kursiert und vielfach literarisch rezipiert ist. 100. »Verspotte keinen, der älter ist als du, denn er sah Re vor dir; bringe niemanden dazu, dich der Sonnenscheibe bei ihrem Aufgang zu melden, sagend ›Noch ein Bursche hat einen Alten verspottet!‹ – Sehr schmerzlich ist für Re ein Bursche, der einen Alten verspottet!« Laisney, L’enseignement, 220-223; vgl. auch die Bearbeitung in diesem Band. 101. »Beschimpfe nicht, auf daß du nicht beschimpft werdest.« Vgl. A. Volten, Die moralischen Lehren des demotischen Pap. Louvre 2414, in: sine nomine (Hg.), Studi in memoria di Ippolito Rosellini (GS Rosellini), Pisa 1955, II 271-280, pl. 34-35; F. Hoffmann / J. F. Quack, Anthologie der demotischen Literatur (EQÄ 4), Berlin 2007, 299-301; vgl. Thissen, Die Lehre des P. Louvre 2414, in: Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.2, 277-280. 102. »Der Charakter eines Mannes ist eines seiner Glieder.« S. R. K. Glanville, Catalogue of Demotic Papyri in the British Museum, II, The Instructions of Onchsheshonqy (British Museum Papyrus 10508), London 1955; H.-J. Thissen, Die Lehre des Anchscheschonqi, in: Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.2, 251-277; Hoffmann / Quack, Anthologie, 273-299 (mit weiterer Literatur). Zum mittlerweile oft Chascheschonqi gelesenen Namen vgl. J. F. Quack, Über die mit 2nh gebildeten Namenstypen und die Vokalisation einiger Verbalformen, GöMi 123 (1991) ˘ 91-100. Hier ist insbesondere auch auf den Disput zwischen Ani und seinem Sohn im Epilog der Lehre des Ani hinzuweisen, in dem diese Thematik erörtert wird (Quack, Ani, 186-193;

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Texte aus Ägypten

(B.4) ~ Lehre des Anchscheschonqi 13, 23 103) (D.1) ~ Lehre des Papyrus Insinger 27,4 104) (E.2) ~ Lehre des Papyrus Louvre 2414 II, 4-5 bzw. III, 9-10 105) Die auffälligste äußere Parallele zu den demotischen Lehren 106) ist jedoch, daß diese meist ebenso stichisch geschrieben sind, wie die Prohibitions. 107) Ferner ist zu beachten, daß in demotischen Lehren vielfach Einzeiler an die Stelle der früher oftmals umfangreichen Maximen getreten sind, 108) wobei stellenweise noch deren Weiterentwicklung aus den in den Prohibitions verwendeten Verspaaren/Doppelversen erkenntlich ist, wie F. Hagen aufzeigte. 109) Überhaupt behandeln die Prohibitions Themen, die zum Kernbestand jeder Lehre gehören: Ehe und Gründung eines Hausstandes, Eigentum und Eigentumserwerb, Verhalten gegenüber anderen (Familie, Nachbarn, Vorgesetzte), angemessenes Verhalten und Bescheidenheit, Furcht und Vertrauen dem König und Gott gegenüber. 110) Die Prohibitions können somit mit Fug und Recht als ein zwar eher spärlich

103. 104.

105.

106.

107.

108. 109. 110.

vgl. ferner Brunner, Erziehung, 136-139; F. Lacombe-Unal, Les notions d’acquis et d’inné dans le dialogue de l’Enseignement d’Ani, BIFAO 100 (2000) 371-381. »Sitze nicht vor einem, der größer ist als du.« Glanville, Catalogue; Thissen, Anchscheschonqi, TUAT.AF III.2, 251-277; Hoffmann / Quack, Anthologie, 273-299 (mit weiterer Literatur). »Erhebe nicht deine Hand, während da einer ist, der (es) hören wird.« E. Lexa, Papyrus Insinger. Les enseignements moraux d’un scribe égyptien du premier siècle après J.-C. I. Texte, transcription, traduction et commentaire, Paris 1926, 86; A. Volten, Kopenhagener Texte zum demotischen Weisheitsbuch (Pap. Carlsberg II, III verso, IV verso und V) (AnAeg 1), Kopenhagen 1940; A. Volten, Das demotische Weisheitsbuch. Studien und Bearbeitung (AnAeg 2), Kopenhagen 1941; H.-J. Thissen, Die Lehre des P. Insinger, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.2, 280-317; Hoffmann / Quack, Anthologie, 239-273 (mit weiterer Literatur). »Bau dein Haus nicht auf […] bis du es abgerechnet hast.« bzw. »Bau dein Haus nicht auf deiner ewigen Ruhestätte, und bau dein Haus nicht nahe einem Tempel.« Volten, GS Roselini, II 271-280, pl. 34-35; Thissen, in: Kaiser (Hg.), TUAT.AF III.2; Hoffmann / Quack, Anthologie, 299-301. Allem voran die Lehren des Anchscheschonqi, des Papyrus Insinger und des Papyrus Louvre 2414, vgl. die voranstehenden Anmerkungen und J. F. Quack, Einführung III, 113-125, 128138, 140-141 (mit weiterer Literatur); Schließlich ist noch daran zu erinnern, daß auch die wichtigste Handschrift der Lehre des Amenemope (Papyrus British Museum 10474, Sir E. A. W. Budge, Facsimilies of Egyptian Hieratic Papyri in the British Museum. Second Series, London 1923, pl. I-XIV), die gleichfalls aus der Spätzeit (XXVI. Dynastie) stammt (vgl. U. Verhoeven, Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift [OLA 99], Löwen / Paris 2001, 290-303), stichisch geschrieben ist. Es dürfte sich hierbei also um eine weiterreichende Entwicklung im Bereich des ägyptischen Buchwesens handeln. Was im Mittleren und Neuen Reich noch eine seltene Ausnahme darstellt; stattdessen werden gerne Verspunkte gesetzt (vgl. Tacke, Verspunkte). Eine bemerkenswerte Ausnahme ist die Lehre des Papyrus Ramesseum II = British Museum EA 10755, der teilweise stichisch geschrieben noch ins Mittlere Reich datiert. Sir A. H. Gardiner, The Ramesseum Papyri, Oxford 1955, pl. 3-6; J. W. B. Barns, Five Ramesseum Papyri, Oxford 1956, 11-14, pl. 7-9; vgl. auch Parkinson, Poetry, 113. Lichtheim, Late Egyptian, 9-10. Hagen, JEA 91 (2005) 153-154. Zum Vergleich sei auf die älteren Lehren des Ptahhotep und des Ani verwiesen (vgl. Anm. 62, 80, 94), von den demotischen Lehren seien Lehren des Anchscheschonqi, des Papyrus Insinger und des Papyrus Louvre 2414 genannt (Anm. 101-102, 104, 106).

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Roman Gundacker

bezeugtes, für die Entwicklung der ägyptischen Lehren aber sehr bedeutsames Literaturwerk bezeichnet werden. Die nachstehende Übersetzung folgt in der Anordnung der einzelnen Abschnitte den Vorschlägen F. Hagens, auf dessen Arbeit auch wegen des ausführlichen Kommentars nochmals verwiesen sei. 111)

Fragment Z (Quelle: Ostrakon British Museum EA 5631 verso) (Z. 1) Anfang

der Erziehungslehre, die gesprochen wird in Übereinstimmung mit den alten Schriften: (Z. 2) Du sollst keinen Eid ablegen […] [Anschluß nicht möglich]

Fragment A (Quellen: Ostrakon Deir el-Medina 1632 Ia-d, Ostrakon Turin 57089, Ostrakon Petrie 11 = University College 39614 recto, Ostrakon Deir el-Medina 1633) (A.1) Du

sollst kein Grab schädigen […] sollst nicht faul sein […] (A.3) Du sollst nicht unnachgiebig sein bezüglich der Dinge […] (A.4) Du sollst nicht loben wegen […] als was man bringt, und sie werden dich lieben. (A.5) Du sollst nicht annehmen […] von ihm – es wird für ihn schlecht sein. (A.6) Du sollst nicht mit deinem Munde sprechen ohne daß […] wegen dessen, was getan wird. (A.7) Du sollst dir keine (zur) Frau nehmen, die mächtiger ist als du, damit du nicht […] [dein] Herz. (A.8) Du sollst nicht auf der Straße gehen ohne zu wissen […] (A.9) Du sollst dich nicht am heutigen Tag für das Morgen bereiten, wenn es noch nicht gekommen ist: das Gestern ist nicht wie das Heute in der Hand Gottes. (A.10) Du sollst nicht einen Greis oder eine Greisin verspotten, weil sie gebrechlich sind, damit sie nicht [dich verfluchen] zum Beginn deines Greisenalters. (A.11) Du sollst dich nicht alleine sattessen, wenn deine Mutter mittellos ist. Siehe doch, es wird durch [alle] vernommen werden. (A.12) Du sollst nicht das Krumme geradebiegen, sondern tun, was gewünscht wird. Jedermann wird von seinem Charakter geführt, als (wäre er) ein Körperteil von ihm. (A.13) Du sollst nicht mit deiner Kraft prahlen, wenn du jung bist. Es wird dir morgen als Geifer auf deiner Lippe gefunden werden. (A.14) Du sollst keinen großen Bissen vom Königsgut nehmen, auf daß man nicht verschlingt […] (A.15) Du sollst nicht laut sein im Palast des Königs, er lebe, sei heil und gesund, am Tor des […] (A.2) Du

[Anschluß nicht möglich] 111. Hagen, JEA 91 (2005).

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Texte aus Ägypten

Fragment B (Quelle: Ostrakon Deir el Medina 1632 Ie) (B.1) [nur

geringe, unlesbare Reste] sollst nicht] danken […] (B.3) Du sollst nicht teilen […] (B.4) Du sollst nicht sitzen […] (B.5) Du sollst dich nicht hetzen […] (B.6) Du sollst nicht […] (B.2) [Du

[Anschluß nicht möglich]

Fragment C (Quelle: Ostrakon Petrie 11 = University College 39614 verso) (C.1) Du

sollst deinen Leib nicht schonen, wenn du jung bist. Denn Nahrung entsteht aus deinen Armen und Überfluß aus hdeineni Beinen. (C.2) Du sollst nicht mit Reichtum prahlen, der nicht dein ist. Ein andermal wird hdasi Diebstahl und Übertreten von Gesetzen nach sich ziehen. (C.3) Du sollst nicht ein Vergehen anzeigen, das unbedeutend geworden ist – denn man sah (schon) einen Mast wie einen Fuß/eine Basis daliegen. (C.4) Du sollst kein geringfügiges Vergehen anzeigen, damit es nicht groß wird – was den Zimmermann betrifft, (er ist) der es aufrichtet wie einen Mast. (C.5) Du sollst nicht Pläne für das Morgen schmieden, ehe es gekommen ist: denn es ist heute, bis das Morgen kommt. (C.6) Du sollst am Tage ihrer Not nicht deine Nachbarn vergessen, dann wenden sie sich auch dir zu [deiner] Zeit zu. (C.7) Du sollst dein Fest nicht ohne deine Nachbarn begehen, dann werden sie sich am Tage (deiner) Bestattung dir trauernd zuwenden. (C.8) Du sollst nicht zur Zeit des Pflügens über die Feldfrucht prahlen. Man sieht (sie erst) auf der Dreschtenne. (C.9) Du sollst nicht starrsinnig sein im Streit mit deinen Nachbarn. Deine Unterstützer werden fallen […] (C.10) [Du sollst nicht …] Wachsamkeit. […] weiß […] [Anschluß nicht möglich]

Fragment D (Quellen: Ostrakon Deir el-Medina 1632 III, Ostrakon Deir el-Medina 1090) (D.1) Du

sollst nicht deine Hand erheben gegen […] für […] sollst keinen Besitz eines anderen [Mitgliedes?] des Ratskollegiums stehlen. Es ist im Besitz von […] (D.3) Du sollst nicht […] (D.4) Du sollst keinen Bericht erstatten […] (D.5) Du sollst nicht erheben […] (D.6) Du sollst nicht […] (D.2) Du

[Anschluß nicht möglich]

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Vincent Pierre-Michel Laisney

Fragment E (Quelle: Ostrakon Deir el-Medina 1632 II) (E.1) Du

sollst nicht Elend hervorrufen […] sollst kein Haus bauen […] (E.3) Du sollst nicht machen […] (E.2) Du

4. Die Lehre des Amenemope

Vincent Pierre-Michel Laisney Die Lehre des Amenemope ist der letzte Weisheitstext, der im Idiom des Neuägyptischen verfaßt wurde. Sein Autor ist nicht anderweitig bekannt; auch wenn Amenemope kein Pseudonym ist, haben wir keinen geschichtlichen Hinweis auf einen Amenemope, Sohn des Kanakht. Der Text wurde wahrscheinlich Anfang der Spätzeit (21.-22. Dynastie) oder ganz am Ende des Neuen Reiches verfaßt. Die vollständigere Handschrift, BM 10474, stammt aus der saitischen Zeit (26. Dyn.). Der älteste Zeuge, Ostrakon 1840 von Kairo, ist aus dem Ende des Neuen Reiches oder Anfang der Spätzeit. Die anderen Zeugen sind: ein sehr fragmentarischer Papyrus von Stockholm (MM 18416), drei Holztafeln (Louvre E 17173, Turin N. 58005 und 58001) und ein Graffiti in Medinet Habu, das aber nur den Titel enthält. Die Haupthandschrift hat die Besonderheit, stichographisch geschrieben zu sein. Das bedeutet, daß jeder Vers in einer eigenen Zeile geschrieben wurde. Sie ist in dreißig Kapitel geteilt. Sie beginnen mit dem Titel »Kapitel NN« mit Numerierung, aber ohne Angaben über den Inhalt, und im letzten Kapitel ist diese Zahl von dreißig erwähnt. Inhaltlich lassen sich nach dem Prolog drei Teile von je 10 Kapiteln unterscheiden deren Hauptthemen sich wie folgt identifizieren lassen: Kapitel 1-10: der »Heiße« und der wahre Schweiger; Kapitel 11-20: die Ungerechtigkeit und die Gerechtigkeit; Kapitel 21-30: der Schutz der Schwachen. Der Autor empfiehlt das Schweigen gegenüber dem »heißen Maul«. Man soll ihn nicht provozieren, aber wenn man schlecht behandelt wurde, darf man sich nicht rächen. Der Verfasser legt dem Adressaten das Befolgen der Gerechtigkeit ans Herz, besonders bei den Haupttätigkeiten eines Schreibers, dem Vermessen der Felder und dem Registrieren des Ernteertrags, aber auch im Hinblick auf die Götter direkt betreffende Orakel. Die Witwe ist das Beispiel der Armen und Schwachen, die man schützen muß. Der Autor empfiehlt sogar, den Armen die Steuer teilweise oder ganz zu erlassen. Ein Thema ist für den Verfasser von besonderer Bedeutung: die Zukunft und die Unbeständigkeit der Sachen. Drei Kapitel umfassen ganz oder teilweise dieses Thema: Kap. 5, 18 und 22. Für den Autor soll sich der Mensch nicht um die Zukunft sorgen. Der Gott selbst wird den Bösen bestrafen. Der Mensch soll sich den Händen des Gottes überlassen. Die ägyptische Weisheitslehre des Amenemope enthält eine große Anzahl von Götternamen. Wenn es in der Lehre heißt »der Gott«, darf man sich keinen monotheisti-

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Texte aus Ägypten

schen Zugang vorstellen, denn dahinter verbirgt sich entweder Thot, der Gott der Schreiber, oder der lokale und persönliche Gott der Adressaten der Lehre. Ein Passus des biblischen Buches der Proverbien/Sprichwörter (22,17-23,11) zitiert Amenemope. Alle 29 Verse dieser biblischen Textstelle kommen aus Amenemope, außer zweien, die Jahve nennen, ein Spruch über die Bürgerschaft und zwei andere, die nur eine Ergänzung sind. Die originalen Amenemope-Stellen sind aber nicht verbunden, und das Zitat ist nicht direkt. Die Stelle im biblischen Text hat den Titel: »Worte der Weisen« (22,17). Für weiteres s. V. P.-M. Laisney, L’Enseignement d’Aménémopé (StP.SM 19), Roma 2007, 239-246. Papyri, Holztafeln, Ostraka, Graffito. Aufbewahrungsorte: London, Stockholm, Paris, Moskau, Turin, Kairo. – Publikationen: (Pap. BM 10474) E. A. W. Budge, Egyptian Hieratic Papyri in the BM, Second Series, London 1923, Pl. 1-14; (Pap. MM 18416) B. J. Peterson, A New Fragment of the Wisdom of Amenemope, JEA 52 (1966) 120-128; (Tabl. Louvre E 17173) G. Posener, Quatre tablettes scolaires de la basse époque, RdE 18 (1966) 46-50; (Tabl. Turin N. 58005) J. López, Catalogo del Museo Egiziano Tabelle Lignee N. 58001-58007, Tav. 185-186; (Tabl. Turin N. 58001) J. López, op. cit. Tav. 183a-183; (Moskau I 1 d 324) G. Posener, op. cit. 50-54; (Ostrakon Kairo N. 1840) B. J. Peterson, A Note of the Wisdom of Amenemope, in Fs Wessetzky, Studia Aegyptiaca 1 (1974) 323-328; (Graffito Medinet Habu) W. F. Edgerton, Medinet Habu Graffiti Facsimiles, Pl 10, Nr. 30. – Standardpublikation: V. P.-M. Laisney, L’Enseignement d’Aménémopé (StP.SM 19), Roma 2007. – Weitere Bearbeitungen (in Auswahl): F. Ll. Griffith, The Teaching of Amenophis the Son of Kanakht, JEA 12 (1926) 191-231; H. O. Lange, Das Weisheitsbuch des Amenemope, Kopenhagen 1925; I. Grumach, Untersuchungen zur Lebenslehre des Amenope, Berlin 1972; Lichtheim, Ancient Egyptian Literature II, 146-163; P. Vernus, Sagesses de l’Égypte pharaonique2, Paris 2010, 389-440; P. Vernus, La Sagesse d’Aménemopé : philosophie de la traduction, Or 79 (2010) 532-557. (1,1) Anfang

der Lehre vom Leben, 112) für das Wohlhaben, (1,3) alle Regeln, wenn man den Großen nähert, (1,4) Gebräuche bezüglich der hohen Beamten, (1,5) Kunst, eine Antwort dem zu erwidern, der (eine Frage) gestellt hat, 113) (1,6) um eine Erwiderung dem zukommen zu lassen, der (eine Botschaft) geschickt hat, 114) (1,7) sich zu entscheiden, 115) auf dem Lebensweg (zu gehen), (1,8) um sich zu schützen 116) auf der Erde, (1,9) um sein Herz herunterzulassen zu seinem Heiligtum 117), (1,10) und sich vom Übel weg zu rudern, (1,11) um sich zu schützen vor dem Mund der Leute, (1,2) Hinweise

112. 113. 114. 115. 116.

Wörtlich: »Anfang in der Lehre im Leben«. Wörtlich: »der sie gesagt hat«. Wörtlich: »der sie geschickt hat«. Wörtlich: »um sich zu richten«. Von den beiden für das Wort sw d belegten Bedeutungen »schützen« und »gedeihen lassen«, ¯ passen allerdings beide an dieser Stelle. 117. Mit dem »Heiligtum« ist der Magen gemeint, da sich doert nach ägyptischer Vorstellung das Herz erholt.

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Vincent Pierre-Michel Laisney (1,12) und

gelobt zu sein im Mund des Volkes; vom Aufseher der Grundstücke, geschickt in seinem Amt, (1,14) Sohn eines Schreibers von Ägypten, (1,15) Aufseher des Korns, 118) der den Scheffel festsetzt, (1,16) der (ein Teil) der Ernte für seinen Herrn bestimmt, (1,17) der die neugekommenen Inseln als »Neuland« zuweist (1,18) auf den großen Namen seiner Majestät, 119) (1,19) der Stelen auf den Grenzen der Felder feststellt, (2,1) der den König durch seine Register ausstattet, (2,2) der das Kataster von Ägypten feststellt, (2,3) Schreiber, der die Opfer für alle Götter bestimmt, (2,4) der den Leuten Felder in Pacht gibt, (2,5) Aufseher des Korns, der die Nahrung [verteilt], (2,6) der Haufen von Korn beschafft, (2,7) wahrer Schweiger aus Tinis von Ta-Wer 120), (2,8) gerechtfertigt aus Akhmim, (2,9) Besitzer einer Pyramide im Westen von Senut, 121) (2,10) Besitzer eines Grabes in Abydos, (2,11) Amenemope, Sohn des Kanakht, (2,12) der Gerechtfertigte aus Ta-Wer, (2,13) [für] seinen Sohn, den jüngsten seiner Kinder, (2,14) den kleinsten seiner Verwandtschaft, (2,15) den Eingeweihten von Min-Kamutef, 122) (2,16) den Wasserspender von Wen-nefer, 123) (2,17) der Horus auf den Thron seines Vaters einführt, (2,18) der ihm in seinem erhabenen Heiligtum dient, (2,19) der Gottesvater derer, [die herrlicher als] die Großen [sind], 124) (3,1) der Aufseher im Dienst der Gottesmutter, 125) (3,2) der auf das schwarze Vieh der Terrasse von Min 126) achtet, (3,3) der Min in seinem Heiligtum versorgt, (3,4) Hor-em-maakheru 127) ist sein wahrer Name, (3,5) das Kind eines Vornehmen von Akhmim (1,13) gemacht

118. Alle Aufgaben des Amenemope stehen in Bezug zur Landwirtschaft. 119. Die neuen Felder, die nach dem Rückgang der Überschwemmung sichtbar geworden sind, gehören dem König. 120. Ta-Wer ist der Gau von Abydos, und Thinis ist die Stadt gegenüber von Abydos. 121. Senut ist das Heiligtum des Gottes Min gegenüber von Achmim. Aus dieser Beschreibung kann man entnehmen, daß Amenemope aus Achmim stammt, wo er sein Grab gebaut hat, und daß er ein Kenotaph in Abydos neben dem Heiligtum von Osiris errichtet hat. 122. Min war der Hauptgott von Achmim, wo der Sohn des Amenemope sein Dienst hatte. 123. Name des Osiris. 124. Einige Wörter sind am unteren Rand des Papyrus verloren, ihre Spuren stimmen aber mit dieser Rekonstruktion überein (s. Laisney, L’enseignement d’Aménémopé, 40-41). 125. Gemeint ist Isis. 126. Das Vieh, das für das Heiligtum von Min bestimmt ist. 127. Der Name bedeutet: »Horus ist gerechtfertigt«.

330

Texte aus Ägypten (3,6) Sohn

der Sistrum-Spielerin von Schu und Tefnut, der Musikantinnen von Horus, Ta-Useret.

(3,7) Chefin (3,8) Erstes

Kapitel 128) dein Ohr 129), höre (die Worte), die gesagt wurden, (3,10) Mache deinen Geist aufmerksam, 130) um sie zu verstehen. (3,11) Es ist nützlich, sie in dein Herz 131) aufzunehmen. (3,12) Wehe dem, der an ihnen vorübergegangen ist. (3,13) Lasse sie im Kasten deines Leibes 132) ruhen, (3,14) und sie werden als Schwelle für dein Herz dienen 133). (3,15) Auch wenn ein Sturm von Worten kommt 134), (3,16) werden sie als Pfahl für deine Zunge dienen. (3,17) Wenn du dein Leben damit in deinem Herzen verbringst, 135) (3,18) wirst du es als gelungene Tat finden, (4,1) du wirst meine Worte als Lebens-Speicher finden, (4,2) und du selbst wirst auf der Erde gedeihen. (3,9) Leih

(4,3) Kapitel

2 dich, einen Elenden zu rauben, (4,5) oder Gewalt einem Schwachen (Var: einem Hirten) anzutun. (4,6) Strecke nicht die Hand aus, um einen Greisen anzugreifen, (4,7) und schneide das Wort an einem Alten nicht ab. (4,8) Lasse dich nicht zu einer elenden Botschaft senden, (4,9) und suche nicht den Umgang mit jenem, der sie geschickt hat. 136) (4,10) Sei nicht schwach, wenn man dich angreift, (4,11) aber räche dich nicht selbst an ihm. (4,12) Jenen, der Böses getan hat, hat das Ufer weggeworfen, 137) (4,13) und die Flut hat ihn zurückgebracht. (4,14) Der Nordwind ist heruntergegangen, um seiner Stunde ein Ende zu bringen, (4,15) und hat sich zu der Brandung gesellt. (4,16) Das Gewitter tobt, die Krokodile sind böse. (4,17) »O Heißer, wie geht es (dir)?« (4,18) Er schreit, seine Stimme geht bis zum Himmel, (4,4) Hüte

128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137.

In der Lehre des Amenemope sind die dreißig Kapitel nummeriert. Wörtlich: »Gib deine Ohren«. Wörtlich: »Gib dein Herz«. Das Herz ist der Sitz der Gedanken und der Weisheit. Ägyptische Metapher: die Lehre soll im Herzen des Schülers ruhen wie ein Buch in einem Kasten. Die Schwelle ist hier eine Grenze, die man nicht überschreiten soll. Es ist der erste Hinweis auf das »heiße Maul«. Die folgenden Verse sind ein Art von Refrain (vgl. 5,18 und 17,15). Der ägyptische Text ist doppeldeutig und sagt wörtlich »der sie getan hat«. Er könnte die Person meinen, die die Botschaft überbracht hat, um einen Vorteil zu gewinnen; aber der Verfasser meint wahrscheinlicher den Urheber der Botschaft (s. Vernus, Or 79 [2010] 540). Die kleine Geschichte, die hier anfängt, beschreibt das Los der Bösen mit der Metapher eines Matrosen, der allein in einem Gewitter auf dem Nil ist.

331

Vincent Pierre-Michel Laisney (4,19) (aber)

der Mond stellt seine Schuld fest. so daß wir den Bösen überbringen, (5,2) wobei wir nicht tun, wie er (tut). (5,3) Erhebe ihn, gib ihm deine Hand, (5,4) laß ihn in den Händen des Gottes. 138) (5,5) Fülle seinen Körper mit Brot von dir, (5,6) so daß er gesättigt sei und den Blick senke 139).« (5,7) Eine andere gute Sache für das Herz des Gottes 140): (5,8) »Warten, vor dem Sprechen.« (5,1) »Rudere,

(5,9) Kapitel

3. keinen Streit mit dem »heißen Maul«, (5,11) und reize ihn nicht in Worten an. 141) (5,12) Warte vor dem Taugenichts; beuge dich vor einem Gegner; (5,13) (und) erhole dich 142) vor dem Sprechen. (5,14) Ein Sturm, der wie Feuer in Stroh hervorgeht, (5,15) so ist der Heiße in seiner Stunde. (5,16) Zieh dich vor ihm zurück, laß ihn bei sich selbst, (5,17) der Gott wird ihm zu antworten wissen. (5,18) Wenn du dein Leben damit in deinem Herzen verbringst, (5,19) werden deine Kinder es beobachten. (5,10) Stifte

(5,20) Kapitel

4. Heiße im Tempel 143) (6,2) ist wie ein Baum, der drinnen wächst. (6,3) Plötzlich läßt er seine jungen Zweige fallen, 144) (6,4) und sein Ende ist in einem Holzhaufen. (6,5) Er wurde fern von seinem (Ursprungs-)Ort geflößt, (6,6) die Flamme ist sein Sarg. (6,7) Ein wahrer Schweiger, der sich abseits hält, (6,8) ist wie ein Baum, der in einem Obstgarten gepflanzt wurde. (6,9) Er grünt und verdoppelt seinen Ertrag; (6,10) er steht gegenüber seinem Herrn. (6,1) Der

138. Amenemope sagt, daß man das Urteil über die Bösen dem Gott überlassen muß und sich nicht selbst rächen soll (s. oben v. 4,11). Im Gegenteil muß man ihnen Gutes erweisen. 139. Vor Scham. 140. D. h. »die dem Gott gefällt«. Am Ende der Kapitel gibt es oft zwei oder vier Verse, die ein kleines Sprichwort sind. 141. Wörtlich: »stecke ihn nicht«. 142. D. h. »nimm deine Zeit«. 143. Dieses Kapitel ist ein Vergleich zwischen den zwei Hauptcharakteren, dem »wahren Schweiger« und dem »Heißmaul«, und zwei Bäumen. 144. Dieser Baum in einem Gebäude, vielleicht in einem Hof, war möglicherweise für ein Fest gepflanzt, hatte aber wenig Erde und wenig Licht. Er hatte einen Ehrenplatz, aber nach dem Fest ist er abgestorben und wurde als Brennholz gebraucht.

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Texte aus Ägypten (6,11) Seine (6,12) und

Früchte sind süß, sein Schatten angenehm, sein Ende ist in einem Garten.

(6,13) Kapitel

5. nicht die Rationen des Tempels ab, (6,15) sei nicht gierig, und du wirst Überfluß finden. (6,16) Dränge nicht einen Diener des Gottes zur Seite, (6,17) um einem anderen nützlich zu sein. (6,18) Sage nicht: »Heute ist wie morgen; (6,19) wie wird dies vorkommen?« 145) (7,1) Der morgige Tag ist gekommen, der heutige Tag vergeht schnell. (7,2) Die Flut ist zum Ufer 146) geworden, (7,3) die Krokodile sind entblößt, die Flußpferde sind auf dem trockenen Land, (7,4) die Fische sind eingekesselt. (7,5) Die Schakale sind satt, die Vögel sind im Fest, (7,6) (aber) die Netze sind leer 147). (7,7) Alle Schweigenden im Tempel (7,8) sagen: »Die Gunst von Re ist groß«. 148) (7,9) Halte dich an den Schweiger, und du wirst das Leben finden, (7,10) und du selbst wirst auf der Erde gedeihen. (6,14) Presse

(7,11) Kapitel

6.

(7,12) Verschiebe

keine Stele auf der Grenze der Felder, verrücke nicht den Ort der Richtschnur. (7,14) Begehre nicht eine Elle vom Acker, (7,15) und berühre nicht die Grenzen einer Witwe. (7,16) Die (gestohlene) 149) Furche von Pflügen verkürzt das Leben; (7,17) Jener, der sie im Feld durch Gewalt nimmt 150), (7,18) auch wenn er (sie) durch falsche Schwüre erobert, 151) (7,13) und

145. Amenemope meint, daß der Gott die Lage der Dinge ändern kann, und daß der Böse nicht immer herrschen wird. Er nennt nachher Beispiele aus der Natur. 146. Wörtlich: »Rand (Mund) der Wellen«; nach den folgenden Versen ist diese Übersetzung besser als »Die Tiefe ist die Fläche der Flut geworden« (Vernus, Sagesses, 402). Für r , »Mund« als »Rand eines Gewässers«, s. Wb II 392,10. 147. Die Fischer, die viele Fische in den Wasserlachen des Nils gefangen hatten, finden jetzt nichts mehr. 148. Sie loben den Gott, auch wenn sich die Umstände ins Gegenteil verkehren, oder etwa wenn der Gott die Bösen straft. 149. Das Wort »gestohlene« steht nicht im Text. Wie so oft beginnt ein Kapitel des Amenemope mit einem rätselhaften Satz, aber die nächsten Verse erklären den Sinn. Die Übersetzung »Die durch die Zeit zerstörte Furche« (Vernus, Sagesses, 402) macht wenig Sinn, weil die Überschwemmung jedes Jahr die Felder bedeckt. 150. Der Text hat ein k über der Zeile. Gegen Laisney (L’enseignement d’Aménémopé, 92) folge ich hier Vernus (Or 79 [2010] 541), und nehme dieses k für einen Nachtrag des Schreibers, den ich nicht übersetze. 151. Wörtlich: »(wie Vögel) mit einem Netz fängt«, was mit dem nächsten Vers übereinstimmt: »er wird mit dem Lasso gefangen werden«.

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Vincent Pierre-Michel Laisney (7,19) wird

durch die zornige Macht des Mondes 152) im Lasso genommen. folgenden Tag wirst du jenen erkennen, der dies auf dem Land getan hat: (8,2) er ist ein Begehrer des Schwachen; (8,3) er ist ein Feind, der zerstören kann, für sich selbst, 153) (8,4) weil ihm das Leben durch sein Auge 154) genommen wurde; (8,5) sein Haus ist Feind in der Stadt, (8,6) seine Speicher sind zerstört worden; (8,7) seine Güter sind von der Hand seiner Kinder genommen worden, (8,8) und sein Besitz einem anderen gegeben. (8,9) Hüte dich, die Grenzen der Äcker anzutasten, (8,10) so daß kein Schrecken dich fortbringt. (8,11) Man befriedigt den Gott durch den »Zorn des Herrn«, 155) (8,12) der die Grenzen der Felder festgesetzt hat. (8,13) So wünsche dir selbst, wohlbehalten zu sein (8,14) und hüte dich vom All-Herrn. 156) (8,15) Betrete nicht die Furche eines anderen, (8,16) es ist besser für dich, von ihnen fern zu bleiben. (8,17) Pflüge in den Feldern, und du wirst deinen Unterhalt finden, (8,18) und du wirst Brot von deiner eigenen Tenne empfangen. (8,19) Besser ist ein Maß, das der Gott dir gegeben hat, (8,20) als fünftausend aus dem Unrecht. (9,1) Sie verbringen keinen einzigen Tag im Speicher und in der Scheune, (9,2) sie bringen keine Nahrung für den (Bier-)Krug hervor. (9,3) Ein kurzer Moment ist ihre Zeit im Speicher; 157) (9,4) der Tag wird aufbrechen, und sie werden ausgeflogen sein. (9,5) Besser ist Armut in den Händen des Gottes, (9,6) als Reichtum in einem Speicher. (9,7) Besser ist Brot, wenn das Herz zufrieden ist, (9,8) als Reichtum mit Sorgen. (8,1) Am

(9,9) Kapitel

7. dein Herz nicht nach Reichtümern: (9,11) es gibt keinen, der Schai und Renenet 158) nicht kennt. (9,12) Wirf dein Herz nicht nach draußen: (9,13) jeder Mensch hat seine Stunde. 159) (9,14) Suche nicht den Überfluß mit Gier, (9,10) Wirf

152. 153. 154. 155. 156. 157.

Der Gott Thot. Korrektur; im Text findet sich »für dich selbst«, was sehr wahrscheinlich ein Fehler ist. D. h. wegen seiner Gier. Wahrscheinlich der Zorn von Thot, der die Maße schützt und die Betrüger straft. Der höchste Gott. Hier fängt wieder eine kleine Metapher an, die im nächsten Kapitel ausführlicher entwickelt wird. 158. Schai und Renenet sind die Götter des Schicksals. 159. Wörtlich: »gehört seiner Stunde«. Man muß auf seine Stunde warten und nicht nach Reichtum streben oder sich über die Zukunft sorgen.

334

Texte aus Ägypten (9,15) und

dein Unterhalt wird gesichert sein. man dir Reichtümer aus Diebstahl bringt, (9,17) werden sie nicht die Nacht neben dir verbringen. (9,18) Am Morgen sind sie nicht mehr in deinem Haus; (9,19) man hat ihre Stelle gesehen, und sie sind nicht mehr da. (9,20) Der Boden hat seinen Mund geöffnet; er hat sie geebnet und sie geschluckt; 160) (10,1) er hat sie in die Unterwelt untertauchen lassen. (10,2) Sie haben sich ein ihnen passendes Loch gemacht, (10,3) sie sind in die Hölle untergetaucht. (10,4) (Oder) sie haben sich Flügel wie Gänse gemacht, (10,5) und sind in den Himmel aufgeflogen. (10,6) Freue dich nicht über den Reichtum aus dem Diebstahl, (10,7) und trauere nicht über die Armut. (10,8) Der Chef der Bogenschießer, der vordrängt, (10,9) seine Truppe wird ihn verlassen. 161) (10,10) Das Schiff des Gierigen wird im Schlamm stecken bleiben, (10,11) aber das Boot des Schweigers segelt. (10,12) Wenn die Sonne aufgeht, und du betest, 162) (10,13) (dann) sollst du sagen: »Gib mir Wohlbehalten und Gesundheit«. (10,14) Er (der Sonnengott) wird dir deinen Unterhalt geben für das Leben, (10,15) dann wirst du vor dem Schrecken sicher sein. (9,16) Wenn

(10,16) Kapitel

8.

(10,17) Erwecke

die Güte für dich in den Gefühlen 163) der Menschen, alle Leute werden dich grüßen. (10,19) Mache Jubel 164) für den Uräus, (10,20) aber spucke auf Apopis. 165) (10,21) Hüte deine Zunge vor schädlichen Worten, (11,1) und du wirst der Beliebte der Leute sein. (11,1) Du wirst deinen Platz im Tempel finden, (11,1) und deine Nahrung wird aus dem Brot deines Herrn kommen. (11,1) Du wirst ein »Ehrwürdiger« 166) sein, dein Sarg wird dich verbergen, (11,5) und du wirst unbeschädigt vom Zorn des Gottes sein. (11,6) Schreie nicht »Verbrechen« gegen einen Mann, (10,18) und

160. Diese Verse entwickeln eine lange Metapher, um das plötzliche Verschwinden der Reichtümer zu erklären. Eine ähnliche Geschichte findet sich in der Bibel (Sprichwörter 23,5). 161. Eine Annahme des Amenemope ist, daß man nicht nach zu viel Vollkommenheit streben soll (s. V. 20,1-2; 22,17-18) 162. Wörtlich: »Wenn du die Sonne (den Sonnengott) anbetest, wenn sie aufgeht«. 163. Wörtlich: »im Körper«. 164. Besser als »man möge jubeln« (Laisney, L’enseignement d’Aménémopé, 112), tw ist eine Verstärkung des Imperativs (Vernus, Or 79 (2010) 543). 165. Der Uräus ist eine Schlange, die auf der Stirn des Königs steht, um ihn zu schützen. Apopis dagegen ist die Schlange, die die Sonnenbarke in der Unterwelt angreift. Hier bedeuten die zwei Schlangen das Gute und das Böse. 166. ı’m h, »Ehrwürdiger« ist der Ehrentitel, den man den Toten gibt. ˘

335

Vincent Pierre-Michel Laisney (11,7) (aber)

verbirg die Umstände einer Flucht. du das Gute oder das Böse hörst, (11,9) laß es draußen: »es wurde nicht gehört«. 167) (11,10) Deine Zunge soll einen guten Bericht auf der Erde geben, (11,11) wobei das Böse in deinem Körper verborgen bleibt. (11,8) Wenn

(11,12) Kapitel

9.

(11,13) Verbrüdere

dich nicht mit dem Heißen, nähere dich ihm nicht, um zu plaudern. (11,15) Hüte deine Zunge, deinem Oberen zu antworten, (11,16) und hüte dich, ihn zu beschimpfen. (11,17) Laß ihn nicht seine Worte werfen, um dich mit dem Lasso zu fangen, (11,18) und sei nicht unbeachtet 168) in deiner Antwort. (11,19) Nimm Rat für eine Antwort, und zwar bei jemandem in deiner Kondition, (11,20) und hüte dich, voreilig zu sein. (12,1) Schneller ist das Wort aus einem gekränkten Herz, (12,2) als die Winde haufi dem Wasser (oder: hini einer Mündung) (12,3) Er (der »Heiße«) zerstört, er baut durch seine Zunge, (12,4) wenn er unbefriedigende Worte sagt. [oder: Zerstört er, baut er mit seiner Zunge, wird er dürftige Worte sagen]. (12,5) Er sagt eine Antwort, die Schläge verdient, (12,6) wenn ihr Ertrag Schaden verursacht. (12,7) Er reist zu allen Leuten (12,8) und ist von Worten der Falschheit belastet. (12,9) Er fängt mit Worten, wie der Fährmann mit dem Netz (fängt), 169) (12,10) er geht hin und her mit Streiten. (12,11) Ißt er, trinkt er im Inneren, (12,12) seine Antworten sind draußen. (12,13) Der Tag, an dem seine Verbrechen festgestellt werden, (12,14) ist eine Trauer für seine Kinder. (12,15) So, möge auch Chnum 170) eintreten, (12,16) der Töpfer zu dem »Heißmaul«; (12,17) Um das Herz (von seinen Verbrechen) abzulenken, muß er kneten. (12,18) Er ist wie der Junge des Schakals in einem Gehege, (12,19) er dreht seine Augen: das Eine zu dem Anderen, 171) (13,1) er stiftet die Brüder zum Streit an. (13,2) Er geht vor allen Winden wie die Wolken (Var.: wie die Seuche), (13,3) er zerstört die Farbe der Sonne. (11,14) und

167. Verhalte dich so, als ob du nichts gehört hättest. Amenemope wird vor den (unbegründeten) Gerüchten warnen. 168. Wörtlich: »ausgespannt«. 169. Wörtlich: »Er macht den Fährmann, der mit Worten in das Netz fängt«. 170. Der Gott Chnum ist als Töpfer dargestellt, der die Menschen auf seinem Rad formt. 171. Dieser Ausdruck soll bedeuten, daß der junge Schakal in alle Richtungen schaut.

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Texte aus Ägypten (13,4) Er

dreht seinen Schwanz wie das Junge des Krokodils, macht zum Krüppel den, den er trifft. (13,6) Seine Lippen sind angenehm, aber seine Zunge ist bitter, (13,7) das Feuer brennt in seinem Körper. (13,8) Fliege nicht, 172) um dich mit diesem Mensch zu verbinden, (13,9) so daß kein Schrecken dich wegbringe. (13,5) er

(13,10) Kapitel

10. nicht deinen »heißen« (Ansprechpartner), indem du dir Gewalt antust, (13,12) noch verletze dein eigenes Gefühl. 173) (13,13) Sage ihm nicht in Falschheit »Grüß dich«, (13,14) wenn der Schrecken in deinem Körper wohnt. (13,15) Sprich nicht mit einem Menschen in Falschheit, (13,16) das ist Greuel des Gottes. (13,17) Trenne nicht dein Herz von deiner Zunge, (13,18) und alle deine Pläne werden Erfolg haben, (13,19) und hdui 174) wirst wichtig vor den Leuten sein, (14,1) wobei hdui wohlbehalten in der Hand des Gottes bist. (14,2) Der Gott haßt die Falschheit in Worten, (14,3) ein großer Greuel ist ihm die innere Spaltung. 175) (13,11) Grüße

(14,4) Kapitel

11. nicht das Vermögen eines armen Untertanen, (14,6) und hab nicht Hunger nach seinem Brot. (14,7) (Was betrifft) das Vermögen eines Armen, es ist eine Verstopfung für die Kehle, (14,8) es macht eine Wunde am Hals. (14,9) Wenn er sich gegen sein eigenes Interesse 176) erhöht, es ist durch falsche Schwüre, (14,10) wobei sein Herz in seinem Bauch getäuscht 177) ist. (14,11) Lasse den Taugenichts nicht haufblüheni, 178) so daß der Vollkommene nicht geschwächt wird, (14,12) und daß ein Übel ein Gutes vereitelt. (14,13) So wie du vor deinem Oberen gescheitert sein wirst, (14,14) so bist du ohnmächtig in deinen Äußerungen. (14,15) Deine Schmeicheleien empfangen Schimpfe, (14,16) deine Kniefälle Schläge. (14,5) Begehre

172. 173. 174. 175. 176. 177.

D. h. »eile dich nicht«. Wörtlich: »Herz«. Dieses Wort wurde hier und im nächsten Vers vom Schreiber vergessen / weggelassen. Schwieriger Ausdruck; wörtlich: »das Leiden des Körpers«; s. Vernus, Or 79 (2010) 543-544. Wörtlich: »sich selbst«, es ist die Bedeutung der ägyptische Präposition r.f. Durch die Gier. Das Verb sh ist bei Amenemope ein technisches Wort mit der Bedeutung: »täuschen«. In diesem Vers könnte es seine etymologische Bedeutung behalten, d. h. »heruntergehen lassen«. Das Herz ruht im Magen, um sich zu erholen (s. Vers 3,13), aber wenn es bis zum Bauch heruntergeht, ist es schlimm. 178. In der Handschrift fehlt ein Wort.

337

Vincent Pierre-Michel Laisney (14,17) Was den großen Mundvoll Brot betrifft, du hast es geschluckt und (dann) ausgespuckt, (14,18) und du bist deiner Güte beraubt. (14,19) So kannst du den (gierigen) 179) Oberen eines Armen 180) erkennen, (15,1) wenn der Stock ihn getroffen hat, (15,2) wenn alle seine Leute in Fesseln gesetzt sind, (15,3) wenn jemand 181) auf dem Block geschlagen wird. (15,4) So wie du vor deinem Oberen schlechten Ruf haben wirst, (15,5) so wirst du von deinen Untertanen gehaßt werden. (15,6) Rudere fern von einem »Armen auf dem Weg«; 182) (15,7) wenn du ihn siehst, halte dich von seinem Besitz fern. (15,8) Kapitel

12. nicht gierig auf die Güter eines hohen Beamten, (15,10) und gib keinen großen Mundvoll mit zu viel Freigebigkeit 183). (15,11) Wenn er dich einsetzt, um seinen Besitz zu verwalten, (15,12) hasse, was ihm gehört, und so wird, was dir gehört, sicher bleiben. 184) (15,13) Stiehl nicht mit dem »Heißen«, (15,14) und verbrüdere dich nicht mit dem Taugenichts. (15,15) Wenn man dich sendet, um Stroh zu befördern, (15,16) hasse dessen Gewinn. 185) (15,17) Wenn ein Mann bei einem elenden Auftrag erwischt wird, (15,18) wird man ihn nicht wieder senden. (15,9) Sei

(15,19) Kapitel

13. keinen Menschen durch die Binse auf dem Papyrus, 186) (15,21) das ist ein Greuel des Gottes. (16,1) Mache kein Zeugnis mit falscher Rede, (16,2) und verdränge keinen anderen durch deine Zunge. (16,3) Mache keine Rechnung für den Besitzlosen, 187) (16,4) und fälsche nicht mit deiner Binse. (15,20) Betrüge

179. Nach dem Kontext dieses Kapitels handelt es sich um einen gierigen Oberen, der den Besitz seines armen Untertanen geraubt hat. 180. Vernus (Sagesses, 407.438-439) übersetzt: »ein Vorsteher, der zu einem Untertanen geworden ist«, aber der Kontext unterscheidet zwischen zwei Personen, dem Vorsteher und seinen Untertanen. Der Text beschreibt die Strafe des Vorstehers, sagt aber nicht daß er zum »tw «, d. h. »armen Untertanen« geworden ist. Das sind zwei verschiedene gesellschaftliche Zustände, s. O. D. Berlev, Obsˇcˇestvennye otnosˇenija v Egipte epochi srednego carstva, 1978, 64-68. 181. Von seinem Komplizen. 182. Ein Ausdruck für einen Armen, der keinen Helfer hat, und den man mißbrauchen kann. 183. Wenn du die Güter deines Herrn verwaltest, sollst du mit diesen nicht zu freigebig sein. 184. »Hassen« bedeutet »nicht zu viel lieben«; wenn du dich sparsam verhältst, wirst du deine Stelle und damit dein Besitz bewahren. 185. Auch einen leichten Betrug, den man mit Stroh begehen kann, sollst du vermeiden. 186. Das heißt: »auf den offiziellen Urkunden«, die du schreibst. 187. Der Schutz der Ärmsten ist für Amenemope sehr wichtig, auch wenn die Verwaltung einen kleinen Verlust dadurch erleidet; s. die nächsten Verse.

338

Texte aus Ägypten (16,5) Wenn

du einen großen Mangel bei einem Armen findest, davon drei Teile, (16,7) lasse zwei fallen und behalte einen; (16,8) und du wirst finden, daß es der Weg des Lebens ist. (16,9) Wenn du liegst, wirst du dich erholen bis zum Morgen, (16,10) du wirst finden, daß es eine gute Nachricht ist. 188) (16,11) Besser ist das Lob in der Liebe der Menschen, (16,12) als Reichtümer in einer Scheune. (16,13) Besser ein Stück Brot, wenn das Herz zufrieden ist, (16,14) als Reichtümer mit Sorgen. (16,6) mache

(16,15) Kapitel

14. keine Erinnerung an einem Menschen, (16,17) Und suche nicht seine Hand mit Gier. (16,18) Wenn er dir sagt: »Empfange ein Geschenk!«, (16,19) es gibt keinen Habnichts, der es verachtet. (16,20) Wende deinen Blick nicht ab, 189) beuge dein Gesicht nicht, (16,21) und erniedrige dich nicht durch deinen Blick. 190) (16,22) Grüße ihn mit deinem Mund. Sage ihm »Grüß dich«, (17,1) er wird aufhören 191) und du wirst dein Ziel erreichen. (17,2) Lehne ihn nicht in seiner ersten (Bewegung) ab, (17,3) ein anderes Mal wird ihn zurückbringen. (16,16) Mach

(17,4) Kapitel

15. das Gute, und du wirst Reichtum erreichen, (17,6) und tauche nicht deine Binse, um zu schädigen. (17,7) Der Schnabel des Ibis ist der Finger des Schreibers, 192) (17,8) hüte dich, ihn abzulenken. (17,9) Der Pavian ist im »Haus der Acht«, 193) (17,10) aber sein Auge durchzieht das Doppelland. (17,11) Wenn er jenen sieht, der mit dem Finger getäuscht hat, (17,12) nimmt er seine Nahrung für den Fluß weg. (17,13) Ein Schreiber, der mit dem Finger fälscht, (17,14) wird sein Sohn auf den Listen angemustert werden sein? 194) (17,5) Mache

188. Dein Herr und deine Kollegen werden es hören und dich dafür loben. 189. Dieses Verb ist nur hier und in der Lehre des Ani bezeugt, wo es »versteckte Blicke werfen« bedeutet. 190. Der Autor warnt vor falscher Demut / vor Erniedrigungen. 191. Dieser Ausdruck ist nicht ganz klar. Aus den nächsten Versen kann man wahrscheinlich den folgenden Sinn entnehmen: Dein Chef wird aufhören, dir ein Geschenk zu verweigern. 192. Wörtlich: »Was den Schnabel des Ibisses betrifft, es ist der Finger des Schreibers«. Der Ibis ist Thot, der Gott der Schreiber aber auch der Schützer der Maße und der Richtigkeit beim Messen. Der Schreiber der fälscht, verletzt den Gott selbst. 193. Die Stadt Hermopolis, die das Hauptsanktuar von Thot ist. 194. Die Antwort auf diese rhetorische Frage ist sicher »nein«.

339

Vincent Pierre-Michel Laisney (17,15) Wenn (17,16) deine

du dein Leben damit in deinem Herzen verbringst, Kinder werden es beobachten.

(17,17) Kapitel

16. nicht die (Schalen einer) Waage, und verfälsche nicht die Kite, 195) (17,19) und vermindere nicht die Teile des Maßes. (17,20) Bevorzuge nicht das Landmaß, (17,21) und verwirf nicht das des Schatzamtes. (17,22) Der Pavian 196) sitzt neben der Waage, (18,1) und sein Herz dient als Lot. 197) (18,2) Welcher Gott ist groß wie Thot, (18,3) jener, der es 198) gefunden hat, um es zu benutzen? (18,4) Verschaff ’ dir kein verkleinertes Kite-Gewicht. (18,5) Zahlreich sind die vielen Machterweise Gottes. 199) (18,6) Wenn du einen anderen siehst, der betrügt, (18,7) gehe fern an ihm vorbei. (18,8) Sei nicht nach Bronze 200) gierig, (18,9) hasse das feine Leinen; (18,10) wofür ist ein Luxus-Lendenschurz nützlich, (18,11) wenn man in Gegenwart des Gottes betrügt? (18,12) Wenn das Gold zu Feingold erzwungen worden ist, 201) (18,13) am Morgen wird es Blei sein. (17,18) Bewege

(18,14) Kapitel

17. dich, Gewalt dem Scheffel zu tun, (18,16) um seine Teile 202) zu verfälschen. (18,17) Mache keine Gewalt beim Überfüllen, (18,18) und laß nicht sein Inneres (des Maßes) leer. 203) (18,19) Lasse ihn nach seinem genauen Maß messen, (18,20) und (lasse) deine Hand mit Genauigkeit (den Scheffel) leeren. (18,21) Mache dir kein Maß, das zwei enthält, (18,22) das ist für den Fluß, wenn du (es) machen würdest. 204) (18,23) Das Maß ist das Auge des Re, (18,15) Hüte

195. Ein Gewichtmaß, das 9,1 Gramm entspricht. 196. Der Pavian ist, wie der Ibis (V. 17,7), der Gott Thot. 197. Auf den Vignetten des Totengerichtes im Totenbuch hat das Lot, das das Gleichgewicht zeigt, das Gestalt eines Herzens und der Gott Thot sitzt daneben mit einer Schreiberpalette, um das Gericht zu kontrollieren und dessen Ergebnis aufzuschreiben. 198. Der Gott Thot ist der Erfinder der Waage, und deshalb kann man ihn nicht betrügen. 199. Das Wort »b w«, bedeutet die »strafende Macht des zornigen Gottes«. 200. Die Bronze galt als Werteinheit für den Tausch. Es gab noch keine Währung. 201. Dies scheint eine Art von Betrug oder von Alchemie zu meinen. 202. Die als Maßeinheiten galten. 203. Gegen zwei Art von Fälschungen: zu versuchen, zu viel Korn in den Scheffel, der für den Schreiber selbst bestimmt war, zu füllen und zu wenig in den anderen. 204. Du wirst keinen Gewinn damit erringen.

340

Texte aus Ägypten (19,1) ein

Greuel für ihn ist der Dieb. der mißt und hinzufügt oder abnimmt, 205) (19,3) sein Auge (des Re) siegelt (seine Verurteilung) gegen ihn. (19,4) Wenn du empfängst die Kornsteuer des Bauern, (19,5) schreibe nicht auf dem Papyrus zu seinem Schaden. 206) (19,6) Vereine dich nicht mit dem, der mißt, 207) (19,7) um mit der Steuer der (Königs-)Residenz zu spielen. (19,8) Größer ist die Macht der Tenne, (19,9) als der Schwur des Großen Throns. 208) (19,2) Jener,

(19,10) Kapitel

18. nicht die Nacht, indem du den morgigen Tag fürchtest. (19,12) Am Frühmorgen: was wird der »morgige Tag« sein? (19,13) Der Mann kennt den folgenden Tag nicht. (19,14) Wie der Gott in seiner Vollkommenheit ist, (19,15) so ist der Mann in seinen Verfehlungen. (19,16) Einerseits gibt es die Worte, die der Mann gesagt hat, (19,17) anderseits was der Gott getan hat. (19,18) Sage nicht: »Ich habe keine Schuld«, (19,19) wenn du nach der Unruhe schnappst. (19,20) Die Schuld gehört dem Gott, (19,21) sie ist durch seinen Finger gesiegelt. (19,22) Es gibt keinen Vollkommenen in Gottes Hand, (19,23) (aber) es gibt keinen Unvollkommenen vor ihm. 209) (20,1) Wenn jemand sich zwingt, um die Vollkommenheit zu suchen, (20,2) kurz darauf wird er sich beschädigen. (20,3) Sei stabil in deinem Herzen, halte dein Herz fest, (20,4) und steuere nicht mit deiner Zunge. (20,5) Die Zunge des Menschen ist das Steuer des Boots, (20,6) (aber) der All-Herr ist sein Steuermann. (19,11) Verbringe

(20,7) Kapitel

19. du im Tribunal vor einen hohen Beamten trittst, (20,9) fälsche deine Worte nicht. (20,10) Geh nicht auf und ab mit deiner Antwort, (20,8) Wenn

205. Für diese Übersetzung s. Vernus, Or 79 (2010) 547. 206. Wörtlich: »gegen ihn, um ihm zu schaden«. 207. Der Kontrolleur soll nicht mit dem Messenden in betrügerischer Absicht gemeinsame Sache machen. 208. Leider ist der Eid, den die Beamten vor dem Pharao oder seinem Vertreter geleistet haben, gegen die Gier der Betrüger zu schwach. 209. Das ist ein Paradox, das Amenemope nicht versteht, aber einfach verkündet: Der Gott ist vollkommen und keiner ist hinreichend gerecht vor ihm. Aber in seinen Werken gibt es kein Verfehlen: er erreicht was er will (s. oben V. 19,14-17). Deshalb kann man nicht sagen, daß der Mensch, sein Werk, unvollkommen ist. Dieser Satz ist der Grund des Eintretens des Amenemope gleichzeitig für Richtigkeit und für Nachsicht gegenüber den Schwachen.

341

Vincent Pierre-Michel Laisney (20,11) wenn

die Zeugen über dich 210) aussagen. nicht durch die Schwüre des Herrn, (20,13) aber sprich (einfach) vor dem Ermittlungshof. (20,14) Sag die Wahrheit vor den hohen Beamten, (20,15) so daß er dir keine körperliche Gewalt antue. (20,16) (Dann) wenn du am Morgen vor ihn kommst, (20,17) wird er sich all deinen Worten zuneigen; (20,18) er wird deine Worte in der (Königs-)Residenz, vor dem Dreißig-Rat, sagen, (20,19) so daß er (der Rat) (es) für ein anderes Mal anmerke. (20,12) Zwinge

(20,20) Kapitel

20. niemanden vor dem Gerichtshof, (20,22) und verschiebe den Gerechten nicht. (21,1) Gib keine Aufmerksamkeit an einem glänzenden Kleid, (21,2) und verachte es nicht, wenn es in Lumpen ist. (21,3) Empfange kein Geschenk von einem Mächtigen, (21,4) und verschiebe nicht seinetwegen den Schwachen. (21,5) Die Maat 211) ist die große Gabe des Gottes, (21,6) und er hat sie jenem gegeben, den er liebt. 212) (21,7) Die Stärke jenes, der ihm ähnlich ist, (21,8) rettet den Elenden von seinen Schlägen. (21,9) Mache dir keine falschen Tagesberichte, (21,10) das ist ein großer Verrat, des Todes würdig, (21,11) dies (führt) zum großen Schwur von »Respekt-Leistung«; 213) (21,12) dies gehört der Ermittlung vor dem Herold. (21,13) Verfälsche kein Orakel auf dem Papyrus, (21,14) und beeinträchtige nicht die Pläne des Gottes. (21,15) Rechne dir nicht die Macht des Gottes zu, 214) (21,16) als ob es keinen Schai und Renenet 215) gäbe. (21,17) Befördere die Güter ihren Besitzern, (21,18) und suche für dich das Leben. (21,19) Laß nicht dein Herz in ihren Häusern bauen, 216) (21,20) weil (dann) deine Knochen dem (Schlacht-)Block bestimmt sein werden. (20,21) Betrüge

210. Wörtlich: deine Zeugen. 211. Die Maat umfaßt die Gerechtigkeit, die Wahrheit und die Ordnung der Welt. 212. Dieser Vers scheint im Widerspruch zu stehen zu dem, was wir von der vorhergehenden ägyptischen Theologie wissen, nach der auch die Götter der Maat unterworfen sind. Aber hier will Amenemope nur sagen, daß der Gott Gerechtigkeit und Wahrheit geben wird, nicht daß er der Ordnung der Welt überlegen ist. 213. »Respekt-Leistung«, so die wörtliche Übersetzung von sdf -tryt, ist ein besonderer Eid, den Kriminelle vor dem König leisten, um ihre Begnadigung¯zu erlangen. 214. S. Vernus, Or 79 (2010) 548. 215. S. Anmerkung 158. 216. D. h.: Begehre nicht ihre Häuser.

342

Texte aus Ägypten (21,21) Kapitel

21. nicht: »Finde für mich einen mächtigen Herrn, (22,2) weil ein Mann in deiner Stadt mir Schaden zugefügt hat. 217)« (22,3) Sage nicht: »Finde für mich einen Retter, (22,4) weil der, den ich hasse, mir Schaden zugefügt hat.« (22,5) Wahrlich, du kennst nicht die Pläne des Gottes, (22,6) so sollst du dich nicht vor morgen fürchten. 218) (22,7) Setze dich in den Armen des Gottes, (22,8) und dein Schweigen wird sie 219) umstürzen. (22,9) Das Krokodil hat kein Geschrei, 220) (22,10) aber die Angst vor ihm herrscht seit langer Zeit. 221) (22,11) Leere nicht deinen Bauch vor allen, (22,12) und beschädige nicht deine Achtung. (22,13) Verbreite nicht deine Worte unter den Leuten, (22,14) und verbrüdere dich nicht mit dem Üppigen. (22,15) Besser ist ein Mann, der seine Anklage in sich selbst hverbirgti, 222) (22,16) als jeder, der sie zu (eigenem) Schaden gesagt hat. (22,17) Man soll sich nicht eilen, um die Vollkommenheit zu erreichen; (22,18) man schleudere nicht, um sie zu schädigen. 223) (22,1) Sage

(22,19) Kapitel

22. deinen Gegner nicht, (22,21) und laß ihn nicht die Gedanken seines Herzen sagen. (22,22) Fliege nicht, um vor ihn hinzutreten, (23,1) wenn du nicht sehen kannst, was er gemacht hat. (23,2) Du sollst vorher über seine (vorigen) Antworten nachdenken, (23,3) und dich in Ruhe halten, um dein Ziel zu erreichen. (23,4) Laß ihn bei sich selbst, so daß er seinen Bauch entleere; (22,20) Beleidige

217. Der ägyptische Text könnte auch bedeuten: »Ich habe einem Mann in deiner Stadt Schaden zugefügt«. Das wäre die einfache/direktere Bedeutung nach der Grammatik und wurde von einigen Übersetzern gewählt (z. B. Laisney, L’enseignement d’Aménémopé). Aber der Kontext des ganzen Kapitels zeigt, daß die angegebene Übersetzung die richtige ist (s. Vernus, Or 79 [2010] 551). 218. Wörtlich: »die Augen senken«. 219. Deine Feinde. 220. Wörtlich: »Was betrifft das Krokodil, das kein Geschrei (oder: keine Zunge) hat«. Das letzte Wort ist nis mit dem Determinativ des rufenden Mannes geschrieben, d. h. »Ruf, Schrei«. Es ist nicht notwendig ns, »Zunge«, zu lesen, das sowieso anders (s. V. 3,16, 10,21,…) geschrieben ist, auch wenn es ein Mythos gibt, nach dem das Krokodil keine Zunge hat. Für diese letzte Lösung, s. G. Posener, Aménémopé, 22, 9-10 et l’infirmité du crocodile, in W. Helck, Festschrift für Siegfried Schott zu seinem 70. Geburtstag am 20. August 1967, Wiesbaden 1968, 106-111. 221. D. h., es ist nicht notwendig zu schreien, weil das Krokodil Respekt und Furcht einflößt, auch wenn es nicht schreit. 222. Das Verb wurde vom Schreiber weggelassen. Für die Bedeutung »Anklage«, s. Vernus, Or 79 (2010) 551. 223. D. h., wenn man die Vollkommenheit zu schnell erreichen will, wird man sie beeinträchtigen. Vgl Verse 20,1-2.

343

Vincent Pierre-Michel Laisney (23,5) bleibe

ruhig, 224) er wird (schuldig) gefunden werden. 225) ihn fest, (aber) mach ihm keinen Schaden; (23,7) achte ihn, und unterschätze ihn nicht. (23,8) Wahrlich du kennst nicht die Pläne des Gottes, (23,9) so sollst du dich nicht vor morgen fürchten. 226) (23,10) Setze dich in den Armen des Gottes, (23,11) und dein Schweigen wird sie umstürzen.

(23,6) Halte

(23,12) Kapitel

23. du Brot vor einem hohen Beamten ißt, (23,14) laß deinem Mund nicht freien Lauf vor (deinem) Oberen (od. vor ihm). (23,15) Wenn du satt bist, kauen ist falsch, (23,16) es ist eine Befriedigung (nur) für deinen Speichel. (23,17) Schaue auf die Schüssel, die vor dir ist, (23,18) und laß sie deinem Bedarf dienen. (23,19) Je höher ein Beamter in seinem Amt ist, (23,20) desto (zahl)reicher ist er an Brunnen, von denen man schöpfen kann. 227) (23,13) Wenn

(23,21) Kapitel

24. du eine Antwort eines hohen Beamten in seinem Haus hörst, (24,1) gehe nicht nach draußen, um sie jemandem anderen zu wiederholen. (24,2) Lasse deine Rede nicht draußen wiederholen, (24,3) so daß dein Herz nicht bitter wird. (24,4) Das Herz des Menschen ist der Schnabel (Turin: die Gabe) des Gottes, 228) (24,5) hüte dich, es zu vernachlässigen. (24,6) Ein Mensch, der neben einem hohen Beamten ist, (24,7) wahrlich sein Name soll nicht bekannt werden. (23,22) Wenn

(24,8) Kapitel

25. nicht über einen Blinden, verspotte keinen Zwerg, (24,10) und verschlimmere nicht das Schicksal eines Lahmen. (24,11) Verspotte nicht einen Mann, der in der Hand Gottes ist, 229) (24,12) und sei nicht grimmig gegen ihn, um ihn zu verletzen. (24,13) Der Mensch ist Lehm und Stroh, (24,9) Lache

224. Wörtlich: »Wisse zu schlafen!«. 225. Wörtlich »gefunden«; für diese prägnante Bedeutung, s. Wb V, 168,10-11 und 169,2. Vernus (Sagesses, 413; Or 79 [2010] 552-553) schlägt vor: »Jemand der passiv bleiben kann, er wird geschätzt werden«. Auch wenn diese Bedeutung im Kontext passen würde, bezieht sich das Pronomen der dritten Person in den vorigen und nächsten Versen auf den Feind; das ist auch hier der Fall. 226. Zu diesen Versen und den nächsten s. oben V. 22,5-8. 227. Man kann viele Vorteile aus seiner Freundschaft gewinnen. 228. Der Gott Thot wird als Ibis dargestellt. 229. Nach dem Kontext ist es ein Krüppel, vielleicht eine geistig zurückgebliebene oder vergleichbare Person.

344

Texte aus Ägypten (24,14) der

Gott ist sein Erbauer. Tag zerstört und baut er; (24,16) er macht tausend Untertanen nach seinem Wunsch, (24,17) er macht tausend Menschen zu Oberen, [Turin: von Menschen macht er tausend Oberen] (24,18) wenn er in seiner Stunde von Leben ist. (24,19) Wie freut sich jener, der den Westen 230) erreicht hat, (24,20) wenn er unbeschädigt in der Hand des Gottes ist. (24,15) Jeden

(24,21) Kapitel

26. dich nicht in eine Bierstube, (25,1) um dich zu einem Größeren als du zu gesellen, (25,2) ob er jung, aber hoch in seinem Amt ist, (25,3) oder alt nach der Geburt. (25,4) Schließe Freundschaft mit jemandem in deinem Zustand; (25,5) Re (bleibt) unbeschädigt (auch) in der Ferne. 231) (25,6) [London:] Wenn du einen Größeren als du draußen siehst, (25,7) folge ihm, ehre (ihn). [Turin: Wenn ein Größerer als du herausgeht, nachdem hdui ihm gedient hast, ehre hihni.] (25,8) Reiche die Hand einem Greisen, der von Bier betrunken ist, (25,9) ehre ihn in seinen Kindern. (25,10) Der Arm, der entblößt wird, 232) wird nicht geschwächt werden, (25,11) noch der Rücken von jemandem, der ihn beugt, zerbrochen. (25,12) Ein Mann wird nicht ärmer, wenn er etwas Angenehmes sagt, (25,13) noch sollen Reichtümer seine Rede bitter hwerden lasseni. (25,14) Ein Steuermann, der in die Ferne schaut, (25,15) läßt sein Boot nicht kentern [od.: sein Boot kentert nicht]. (24,22) Setze

(25,16) Kapitel

27.

(25,17) Beschimpfe

nicht einen Größeren als du, Re vor dir gesehen hat. (25,19) Laß ihn dich nicht der Sonne bei ihrem Aufgang anzeigen, (25,20) sagend: »Ein Junger hat einen Alten beleidigt«. (25,21) Der Fall ist peinlich vor Re: (26,1) ein Junger, der einen Alten beleidigt. (26,2) Laß ihn dich schlagen, wenn deine Hand in deinem Schoß bleibt, (26,3) laß ihn dich beleidigen, wobei du das Schweigen bewahrst. (26,4) Wenn du am Morgen vor ihm erscheinst, (26,5) wird er dir Brot in Fülle geben. (25,18) der

230. Das Totenreich. 231. Auch wenn Re (die Sonne im Himmel) fern ist, kann er dich strafen; er besitzt seine volle Macht. 232. Das ist eine Grußgebärde.

345

Vincent Pierre-Michel Laisney (26,6) Was (26,7) bellt

das Brot und den Hund seines Herrn betrifft, er gegen [od.: für] den, der es gegeben hat? 233)

(26,8) Kapitel

28. du mit einer Witwe, die du in einem Feld erwischt hast, zu tun hast, 234) (26,10) höre nicht auf, dich für sie einzusetzen. (26,11) Stoß einen Fremden von deinem Krug nicht ab, (26,12) (und setze den) Doppel vor deinen Brüdern. (26,13) Der Gott mag es, wenn man einen Armen respektiert, (26,14) mehr als wenn man einen Vornehmen ehrt. (26,9) Wenn

(26,15) Kapitel

29. nicht einen Mann, den Fluß zu überqueren, (26,17) wenn du eine Fähre zur Verfügung hast. (26,18) Wenn man dir ein Ruder in der Mitte der Fluten [des Stroms] bringt, (26,19) beuge deine Arme, um es zu fassen, (26,20) Es ist kein Greuel für den Gott, (27,1) wenn ein Fahrgast nicht mißachtet wird. 235) (27,2) Mache dir keine Fähre auf dem Fluß, (27,3) um davon die Maut gierig zu erfordern. (27,4) Verlange die Maut von der Hand des Reichen, (27,5) aber schone jenen, der nichts hat. (26,16) Hindere

(27,6) Kapitel

30. diese dreißig Kapitel: (27,8) sie erfreuen, sie unterrichten, (27,9) sie sind die ersten 236) aller Bücher, (27,10) sie geben den Unwissenden das Wissen. (27,11) Wenn sie vor dem Unwissenden gelesen werden, (27,12) wird er durch sie rein. (27,13) Ergreife sie, setze sie in dein Herz (27,14) und werde ein Mensch, der sie erklärt, (27,15) der sie als (den besten) Unterricht erklärt. 237) (27,7) Siehe

233. Diese Verse bedeuten wahrscheinlich: Du sollst dich nicht gegen Höhergestellte empören, die dir nützlich sein können (»Brot geben«). 234. Wörtlich: »findest«. 235. Auch die Reichen sollen beim Rudern helfen, wenn es nötig ist. Für die Grammatik, s. Vernus, Or 79 (2010) 555. 236. Wörtlich: »im Kopf«. 237. Für die prägnante Bedeutung s. Vers 27,9. Vernus (Sagesses 2010, 417 und Or 79 [2010] 557) schlägt die folgende Übersetzung vor: »und der sie wie ein Lehrer erklärt«. Diese Bedeutung würde sehr gut passen, aber sie ist philologisch sehr unwahrscheinlich. Erstens: Der »Lehrer« ist als sb w wohl bezeugt und sb .ty bedeutet »Schüler«. Die beiden Zeugnisse, die Vernus angibt (Or 79 [2010] 556), sind zweifelhaft, weil nur mit einem t geschrieben. Im hieratischen Text der Handschrift BM 10474 ist das Wort sb .t(y) mit einem sehr kleinen y geschrieben, das sehr ähnlich dem der Buchrolle ist, und die Schreiber verwechseln diese zwei Zeichen. Eine bessere Transkription wäre deshalb sb (y).t. Wenn ein echter ty für te in einem

346

Texte aus Ägypten (27,16) Der (27,17) wird

Schreiber geschickt in seinem Amt, würdig sein, ein Höfling zu werden.

(27,18) Es (28,1) in

bedeutet, daß es (das Buchschreiben) angekommen ist, 238) der Schrift von Senu, Sohn des Gottesvaters Pami.

männlichen Substantiv steht, ist es meistens mit einem bigraphen tw (Gardiner G4) komplementiert: ı’hw.ty: 19,4; 2wn.ty: 10,10; p ty: 9,7; 11,3; 16,13; mh n.ty: 12,9 oder einmal als tw ˙ m 2.ty: 20,22. Nur für die sehr üblichen Wörter¯h ty, »Herz« und h w.ty »ergeschrieben: ˙ ster« gibt es keine Komplementierung. Manchmal ist auch ein ˙einfaches t als ty geschrieben; z. B. (r)wı’ t: 19,16 f. In den letzten Spalten der Handschrift hat der Schreiber sehr hastig geschrieben und hat mehrere Fehler gemacht (24,1; 25,13.15; 26,16; 27,11.16 usw); das kann erklären, warum er die zwei ı’ vor dem t, die in sb y.t üblich sind, weggelassen hat. Im Unterschied zu den Substantiven benutzt der Schreiber immer ty ohne Komplementierung für die Erweiterung der Verben: snsn.ty (11,3 etc.), snk.ty (18,8), tn.ty (25,10), weil es ¯ für Verben weniger Ambiguität gibt. 238. Dieser Satz findet sich immer am Ende eines Papyrus.

347

Demotische Texte Günter Vittmann Erzählliteratur in demotischer Schrift und Sprache ist erst ab der Zeit um ca. 400, also nach dem Ende der Ersten Perserherrschaft, nachweisbar. Zuvor wurde das erstmals um die Mitte des 7. Jhs. in Mittelägypten bezeugte Demotische im wesentlichen nur für dokumentarische Zwecke verwendet: Die um 510 niedergeschriebene sogenannte ›Petition des Peteese‹ (P. Rylands 9, siehe unten), die man ohne Berücksichtigung der Zusammenhänge für eine fiktionale Erzählung halten könnte – wie man dies ja auch getan hat –, ist wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem Urkundenarchiv nur eine scheinbare Ausnahme. Die sehr wenigen bisher bekannten zwischen ca. 750 und 500 schriftlich fixierten Werke narrativer Literatur sind zwar in demotischer Sprache, aber in verschiedenen Formen der hieratischen Schrift (kursivhieratisch 1) oder normalhieratisch 2)) geschrieben. Für das 6. Jh. wurde neuerdings ein durch die einschneidenden Eingriffe der Perserzeit bedingter Hiatus in der schriftlichen Tradierung von Erzählungen angenommen, ohne jedoch in Abrede zu stellen, daß es eine über die Perserzeit zurückreichende mündliche Überlieferung gegeben hat. 3) So legt ein literarisches Fragment aus Tebtynis trotz seines späten Datums die Annahme nahe, daß die von Herodot (II 111) überlieferte Pheros-Legende 4) ägyptischen Ursprungs ist. Demotische Erzählliteratur läßt sich in drei große Gruppen gliedern: 1. Erzählungen über Priester, tüchtige Schreiber und große Magier. Hier sind vor allem die beiden großen Setna-Erzählungen zu nennen (s. unten), aber auch die heliopolitanischen Geschichten des Peteese5) sowie der hieratisch geschriebene Papyrus Vandier 6); 2. Heldenerzählungen, vor allem die Erzählungen des Inaros-Petubastis-Komplexes, von denen die Geschichte vom Kampf um die Pfründe des Amun in diesem Band neu übersetzt wird; 3. Sonstiges, z. B. Erzählungen über Herrscher, soweit sie nicht schon in der ›Heldenepik‹ eine Rolle spielen. Hierher gehört z. B. die unten übersetzte Geschichte von Amasis und dem Schiffer. 1. 2. 3. 4.

5.

6.

348

P. Queen’s College (Oxford) aus der Zeit des Taharka; Publikation durch H.-W. Fischer-Elfert in Vorbereitung. P. Vandier, s. Anm. 6. F. Hoffmann, Die Entstehung der demotischen Erzählliteratur. Beobachtungen zum überlieferungsgeschichtlichen Kontext, in: H. Roeder (Hg.), Das Erzählen in frühen Hochkulturen, I. Der Fall Ägypten, München 2009, 351-384 (samt Auflistung der Textzeugen). F. Hoffmann / J. F. Quack, Anthologie der demotischen Literatur, Berlin 2007, 176-177; J. F. Quack, Quelques apports récents des études démotiques à la compréhension du livre II d’Hérodote, in: L. Coulon et al. (Hg.), Hérodote et l’Égypte, Lyon 2013, 63-88, bes. 66-69 (mit revidierter Übersetzung des demotischen Texts). Hoffmann / Quack, Anthologie, 167-175. Eine Zusammenstellung von Erzählungen, die Mitglieder der heliopolitanischen Priesterschaft betreffen, gibt K. Ryholt, Narrative Literature from the Tebtunis Temple Library (CNI Publications 29), Kopenhagen 2012, 13-15. Die hier unten S. 441-444; übersetzte Geschichte von Djedher (P. BM 65932) ist Ryholts Liste sicherlich hinzuzufügen. P. Vandier, vgl. F. Kammerzell, TUAT III, 973-990; Hoffmann / Quack, Anthologie, 153-160; D. Agut-Labordère / M. Chauveau, Héros, magiciens et sages oubliés de l’Égypte ancienne, Paris 2011, 3-11.

Texte aus Ägypten

Die Zeiten, in der die Handlungen spielen, werden oft durch Königsnamen genauer bestimmt; dabei kommen Herrscher der Dritten Zwischenzeit und der Spätzeit wie diverse libysche Deltafürsten und die assyrischen Könige Sanherib und Asarhaddon 7) in den Inaros-Petubastis-Geschichten oder z. B. Psammetich II. als Adressat eines literarischen, vom Herrscher von »Arabien« verfaßten Briefes mit der Geschichte von der Schwalbe und dem Meer sowie Amasis in der Geschichte von ›Amasis und dem Schiffer‹ vor, aber auch Könige einer mehr oder weniger fernen Vergangenheit wie Ramses II., Thutmosis III., auch Sesostris 8) und sogar Djoser 9) (ca. 2667-2648; 3. Dynastie). In eine Geschichte kann eine andere, in früherer Zeit spielende eingebettet werden wie in der Zweiten Setne-Erzählung (Ramses II.: Thutmosis III.), es kann aber auch einfach ein Ereignis aus der Regierung eines früheren Königs genannt werden wie im Papyrus Vandier, der die Haupthandlung in die Zeit eines – nicht identifizierbaren10) – Königs Sisobek verlegt und dabei eine Episode aus der Zeit des Djedkare (ca. 2414-2375), eines Herrschers der 5. Dynastie, erwähnt. Hinsichtlich der geographischen und chronologischen Genauigkeit lassen sich von Fall zu Fall unterschiedliche Beobachtungen anstellen: Während z. B. manche Königsnamen aus welchen Gründen auch immer nicht authentisch wiedergegeben werden oder überhaupt einfach fiktiv sind wie der eben erwähnte Sisobek, wurden in anderen Fällen wiederum korrekte Überlieferungen bewahrt: So taucht z. B. der König Wenamun von Natho (Tell Moqdam / Leontopolis), der bisher ausschließlich von den Assurbanipal-Annalen bekannt war, auch als Figur einer kürzlich edierten fragmentarischen Erzählung auf, die auch das arabische Königreich Lihyan nennt. 11) Ein bemerkenswerter Zug der – im weitesten Sinne – demotischen narrativen Literatur ist, daß der König fast immer nur eine Nebenrolle spielt und, ganz im Gegensatz zur offiziellen Königsideologie, eine je nachdem schwache oder zwielichtige Gestalt ist. Ausarbeitung und schriftliche Fixierung der Geschichten lag in den Händen gebildeter Priester bzw. Tempelschreiber, was eine besondere Affinität zu den Themen der ersten genannten Hauptgruppe erklärt. Die Erzählungen des Inaros-Petubastis-Komplexes 12) mögen zwar ihre Entstehung letztlich der libyschen Militäraristokratie verdanken, indem sie deren Welt und Werte widerspiegeln 13), mindestens die Hand7.

8. 9. 10. 11. 12. 13.

Vgl. K. Ryholt, The Assyrian Invasion of Egypt in Egyptian Literary Tradition, in: J. G. Dercksen (Hg.), Assyria and Beyond: Studies Presented to Mogens Trolle Larsen, Leiden 2004, 483510, bes. 484-485; ders., A Demotic Narrative in Berlin and Brooklyn concerning the Assyrian Invasion of Egypt, in: V. M. Lepper (Hg.), Forschung in der Papyrussammlung. Eine Festgabe für das Neue Museum, Berlin 2012, 337-353, bes. 347. Vgl. Quack, in: Hérodote et l’Égypte, 63-66 mit Literatur. Noch nicht publiziert; vgl. J. F. Quack, Die demotische und gräko-ägyptische Literatur, 2. veränderte Auflage, Berlin 2009, 30-32. Herrschernamen wurden gelegentlich wohl mit Absicht unbestimmbar gelassen bzw. frei erfunden; eine Gleichsetzung von Sisobek mit Schabaka (vgl. zuletzt L. Popko in dem unten in der Einleitung zu Setne 2 genannten Beitrag in der Fs Scholl, 95) ist m. E. allzu spekulativ. Ryholt, Narrative Literature, 35-72. Hoffmann / Quack, Anthologie, 55-117; Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 67-143. Vgl. auch G. Vittmann, Zur Rolle des »Auslands« im demotischen Inaros-Petubastis-Zyklus, WZKM 96 (2006) 305-337. Vgl. F. Hoffmann, Der Kampf um den Panzer des Inaros (MPER NS 26), Wien 1996, 113-120.

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Günter Vittmann

schriften aus Tebtynis im Fayum stammen aber aus der dortigen Tempelbibliothek 14), was abermals auf priesterliche Überarbeitung weist. In den letzten drei Jahrzehnten ist deutlich geworden, daß die demotische narrative Literatur wesentlich reichhaltiger – und teilweise auch umfangreicher 15) – ist, als früher angenommen wurde. Wahr ist aber leider auch, daß die meisten der nach und nach edierten Quellen nur äußerst bruchstückhaft auf uns gekommen sind und trotz ihrer literatur- und kulturgeschichtlich oft hohen Bedeutung, etwa hinsichtlich des Verhältnisses der spätägyptischen Literatur zur älteren ägyptischen einerseits und der außerägyptischen – sogar der altindischen 16) – andererseits, für eine Auswahl wie die hier vorgelegte nicht in Frage kommen. 17) Literatur: Jeder Interessierte sollte unbedingt zu J. F. Quack, Die demotische und gräkoägyptische Literatur, 2. veränderte Auflage, Berlin 2009 (ausführlicher Überblick, der auch viel unpubliziertes bzw. wenig bekanntes Material berücksichtigt) sowie zu den auch philologisch kommentierten und viel Neues bringenden Übersetzungen bei F. Hoffmann / J. F. Quack, Anthologie der demotischen Literatur, Berlin 2007, greifen. Nützlich ist auch D. Agut-Labordère / M. Chauveau, Héros, magiciens et sages oubliés de l’Égypte ancienne, Paris 2011. Anthologien zur altägyptischen Literatur aller Epochen mit Berücksichtigung demotischer Texte werden in den Literaturangaben zu den für diesen Band ausgewählten Quellen genannt. Übersetzungen und Umschriften finden sich auch in der periodisch aktualisierten und revidierten ›Datenbank demotischer Texte‹ (Einstieg über http://aaew.bbaw.de/ tla/). Zusätzlich zu der im vorangehenden Absatz und in den Anmerkungen genannten Literatur sei auch auf F. Hoffmann, Die ägyptischen literarischen Texte. Ein Forschungsüberblick, in: B. Palme (Hg.), Akten des 23. Internationalen Papyrologenkongresses Wien, 22.-28. Juli 2001, Wien 2007, 279-294 (mit besonderer Berücksichtigung des demotischen Materials) verwiesen. Vgl. auch G. Vittmann, Tradition und Neuerung in der demotischen Literatur, ZÄS 125 (1998) 62-77. Ein heikles, auch in dem zuletzt genannten Beitrag angesprochenes Thema ist die kontrovers diskutierte Frage nach griechischem Einfluß auf die demotische ›Heldenepik‹ sowie die demotische Literatur überhaupt, vgl. H. J. Thissen, Homerischer Einfluss im Inaros-PetubastisZyklus?, SAK 27 (1999) 369-387; A. Almásy, A Greek Amazon in an Egyptian Story. The Character of Queen Serpot in the Cycle of Petubastis, Studia Aegyptiaca 18 (2007) 31-37; dies., The Greek subliterary texts and the Demotic literature, in: From Illahun to Djeme. Papers 14.

15. 16.

17.

350

Vgl. zusammenfassend K. Ryholt, On the Contents and Nature of the Tebtunis Temple Library. A Status Report, in: S. Lippert / M. Schentuleit (Hg.), Tebtynis und Soknopaiu Nesos. Leben im römerzeitlichen Fajum, Wiesbaden 2005, 141-170. Siehe auch die folgende Anmerkung. Das sog. Inaros-Epos war, wie aus Paginierungen erschlossen werden konnte, die umfangreichste Erzählung des alten Ägypten (Ryholt, Fs Trolle Larsen, 492). Vgl. die unten übersetzte Fabel von der Schwalbe und dem Meer, aber auch die von G. Vittmann, Enchoria 30 (2006/7) 183 beobachtete Parallele zwischen den von K. Ryholt, The Story of Petese Son of Petetum and Seventy Other Good and Bad Stories (CNI Publications 23), Kopenhagen 1999, und ders., The Petese Stories II (CNI Publications 29), Kopenhagen 2006, publizierten Geschichten und der auch als ›Papageienbuch‹ bekannten indischen S´ukasaptati, die auch in einer persischen Version (Tutiname) überliefert ist. Es bestehen auch bisher m. W. nicht bemerkte Ähnlichkeiten zwischen der Zweiten Setnegeschichte und dem indischen Epos Ramayana, doch können wir hier darauf nicht näher eingehen. Dies gilt z. B. für die oben eingangs erwähnte Pheros-Legende (Anm. 4) und die von Ryholt, Narrative Literature, publizierten Fragmente von zehn Erzählungen.

Texte aus Ägypten

Presented in Honour of Ulrich Luft, Oxford 2011, 1-6; K. Ryholt, Imitatio Alexandri in Egyptian literary tradition, in: T. Whitmarsh/S. Thomson (Hg.), The Romance between Greece and the East, Cambridge 2013, 59-78. Zu der enge Berührungspunkte mit griechischen Vorstellungen aufweisenden Unterweltsschilderung in der zweiten Setne-Erzählung vgl. die unten in der Einleitung dazu und in der Anmerkung zu II 16 genannte Literatur.

1. Die Petition des Peteese – Papyrus Rylands 9

Günter Vittmann In der frühen Perserzeit hat ein in Teudjoi (El-Hibeh) im nördlichen Mittelägypten lebender Tempelschreiber namens Peteese eine an die persischen Behörden in Memphis gerichtete Petition entworfen, in der er lang und breit beschreibt, wie sein gleichnamiger, einer thebanischen Priesterfamilie entstammender Ururgroßvater rund hundertfünfzig Jahre zuvor für seine Verdienste um die Neuorganisation des Tempels von Teudjoi daselbst die lukrative Stelle eines Propheten des Amun und seiner Neunheit am lokalen Tempel erhalten hatte und dafür von den verbitterten Priestern angefeindet wurde, eine über Generationen andauernde Feindschaft, die zu Mord, Brandstiftung und Intrigen führte und die Familie schließlich um ihre Einkünfte und ihre ehemals angesehene Stellung brachte. Die Anschaulichkeit und Lebhaftigkeit der Ausführungen, die Liebe zum Detail sowie die Schilderungen von Sachverhalten, die dem Bittsteller schwerlich näher bekannt sein konnten, haben oft übersehen lassen, daß es sich im Unterschied zu der Erzählung vom Kampf um Pfründe des Amun 18) primär um einen dokumentarischen – in ein größeres Archiv eingebetteten – Text handelt, der aber gleichwohl literarische Qualitäten besitzt und gelegentlich Dichtung und Wahrheit zu vermengen scheint. 19) Insofern ist die Aufnahme in diesen TUAT-Band fraglos gerechtfertigt. Als frühestes Werk demotischer Dichtung dürfen die drei im Text selbst als »Lieder« bezeichneten Textstücke gelten, die die letzten beiden Kolumnen des ›Konvoluts‹ einnehmen. Ob es Peteese gelang, die schon seit rund 80 Jahren für seine Familie verlorenen Pfründen wiederzugewinnen, wissen wir nicht, man darf es aber bezweifeln. Die vorliegende Handschrift ist jedenfalls wohl nur die Kopie eines Entwurfs, die Peteese in einem Krug mit seinem Privatarchiv deponierte. Demotisch beschriebener Papyrus. – Fundort: el-Hibeh. – Aufbewahrungsort: Manchester, John Rylands Library. – Editionen: F. Ll. Griffith, Catalogue of the Demotic Papyri in the John Rylands Library Manchester, drei Bände, Manchester / London 1909 (Immer noch nicht zuletzt wegen der Photos unersetzlich; das Original ist leider nicht mehr kontrollierbar); – Neuedition mit hieroglyphischer Transkription und Kommentar: G. Vittmann, Der de18. 19.

S. in diesem Band 418-437. Der prinzipiell dokumentarische Charakter des Dokuments kann von Nichtdemotisten leicht übersehen oder heruntergespielt werden (J. Baines, Feuds or Vengeance? Rhetoric and Social Forms, in: E. Teeter / J. A. Larson, Gold of Praise, Studies on Ancient Egypt in Honor of Edward F. Wente [SAOC 58], Chicago 1999, 11-20, hier 12); differenzierend Quack, 2Literatur, 189-193.

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Günter Vittmann

motische Papyrus Rylands 9 (ÄAT 38), Wiesbaden 1998. – Neueste Übersetzungen: Hoffmann / Quack, Anthologie, 22-54 und 331-333; Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 145200 und 332-343.

Stammbaum der Peteese-Familie ?

Anchscheschonk peteese ? sematauitefnacht

Iturou 앝 Tadebeh(u)neith Peteese I Udjasemataui I Peteese II

Peftjauawibastet Neithemhet 앝 Horudja 2 Söhne

Udjasemataui II Peteese III Namen in kapitälchen: Schiffsmeister Namen in Fettdruck: Der Bittsteller Peteese (III) und seine Vorfahren in väterlicher Linie. Namen in Kursivdruck: Frauen (nur die in P. Rylands 9 namentlich genannten)

Bei der folgenden Übersetzung ist zu beachten, daß kurze Erläuterungen, die sich auf einen davorstehenden Begriff beziehen, kursiv und in Klammern gesetzt sind, während Wörter, die nicht dastehen, aber in der deutschen Übersetzung im Satz sinnvoll mitgelesen bzw. ergänzt werden können, nicht kursiv und ebenfalls in Klammern gesetzt sind. Dies gilt auch für die folgenden von mir in diesem Band übersetzten Texte. Literatur- und Belegnachweise zu den Erläuterungen in den Anmerkungen werden in der Regel nur gegeben, wenn sie nicht bereits bei Vittmann, Papyrus Rylands 9, im Kommentar zu den betreffenden Stellen zu finden sind.

Teil A (der erste Bericht an einen ungenannten Empfänger)

Wie Peteese (III) gezwungen wurde, die Gründe für den Ruin Teudjois darzulegen (Juli 513): (I 1) O daß Amun gebe, daß seine 20) Lebenszeit lang sei! Im Jahr 9, dritter Monat der peret-Jahreszeit, des Pharaos Dareios 21), kam Ahmose, Sohn des Peteharenpe, (I 2) aus dem Südland 22) nach Teudjoi 23). Er sprach zu Djedbastetiufanch, Sohn des Inaros, als er 20. 21. 22.

23.

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Adressat des Wunsches und damit des Berichts ist vermutlich der in Memphis residierende persische Satrap. 27. Juni-26. Juli 513. P -t -rsj, gesprochen etwa [ptore¯s], ist im weiteren Sinn Bezeichnung für die Region oberhalb von Memphis bis Elephantine, im engeren dagegen für die Thebais, d. h. das Gebiet von Elephantine bis Hermopolis. Gegenüber hebr. Patro¯s (Jes 11,11; Jer 44, 1.15; Ez 29,14; 30,14) bietet die Septuaginta die wesentlich genauere Wiedergabe Paqourh@. T j=w-dj im 20. oberägyptischen Gau, heute El-Hibeh, in der Dritten Zwischenzeit von be¯

Texte aus Ägypten

(Djedbastetiufanch) Lesonis 24) des Amun war: »Man pflegte (I 3) mir alljährlich meine Opfereinkunft in Teudjoi zu geben, seitdem mich der Senti 25) zum Propheten des Amun von Teudjoi gemacht hat.« Djedbastetiufanch, (I 4) Sohn des Inaros, der Lesonis, sprach zu ihm: »Dein Lebensodem sei heil! Bei Amun, der hier ruht! Schau, 26) es ist der dritte Monat der peret-Jahreszeit, es gibt kein (I 5) Korn im Speicher des Amun, es gibt kein Geld in der Tempelkasse. K[orn](?) auf Zinsen borgen, um (es) für den Bedarf des Magazins zu verwenden, (I 6) ist das, was wir von heute an tun müssen. Den Leuten, die in dieser Stadt mächtig sind, paßt es nicht(?) 27), (I 7) wenn es in dieser Stadt (auch noch andere) Leute außer ihnen gibt(?).« Ahmose sagte zu ihm: »Wen werde ich denn fragen können, daß er mir sagt, (I 8) wie die(se) Stadt ruiniert worden ist?« Djedbastetiufanch, der Lesonis, sprach zu ihm: »Es gibt niemanden, der (I 9) [dir] sagen können wird, wie diese Stadt ruiniert wurde, außer Peteese (III), Sohn des Udjasemataui, diesem Tempelschreiber. (I 10) Er ist es, der dir die Wahrheit sagen wird.« Ahmose ließ nach mir rufen. Er sprach zu mir: »[Sag] mir bitte, wie (I 11) [diese St]adt ruiniert wurde!« Ich sprach zu ihm: »Kommst du nach Süden(?), um zu veranlassen, daß ich Schläge empfange? Ich selbst (I 12) habe Frieden geschlossen mit […] Mensch. Ich werde dir nicht sagen können, was mit die[ser St]adt geschehen ist.« Ahmose [sagte]: »Du bist es, der (I 13) diese Stadt mehr ruiniert als die Leute, die sie ruinieren.« [Er stellte einen] Mann zu meiner Bewachung [ab] und ließ (I 14) [mich auf sein Schi]ff we[rfen], indem er sagte: »Ich werde dich zum Senti bringen. Ich habe dich nur deswegen nicht geschlagen, weil du ein a[lter] Mann bist (I 15) und du (sonst) gestorben [wä]rest.« Ahmose gelangte nach Herakleopolis 28). Er sprach zu mir: »Wirst du mir jetzt endlich sagen, (I 16) [wie] Teudjoi ruiniert wurde?« Ich sagte zu ihm: »Wenn ich den Senti erreiche und feststelle, daß (I 17) [der Senti] Teudjoi [protegie]ren [wird,] werde ich ihm über alles Bericht erstatten, was mit Teudjoi geschehen ist.« Ahmose sagte zu mir: »Man (I 18) [wird veranlassen, daß du] auf mich [hörst, denn] du bist kein Mann (von Bedeutung). Er stellte zwei Mann zu meiner Bewachung ab, (indem er zu ihnen) sagte: »Laßt

24.

25.

26.

27. 28.

sonderer strategischer Bedeutung als befestigter Brückenkopf zwischen nördlichem und südlichem Landesteil. Leswni@ ist die gräzisierte Wiedergabe des ägyptischen Titels mr-sˇn (»Oberinspektor«), der für eine bestimmte Periode – in der Regel vielleicht für ein Jahr – die Tempeladministration leitete (vgl. hierzu die in Vorbereitung befindliche Pariser Dissertation von Marie-Pierre Chaufray, La fonction du lésonis dans les temples égyptiens de l’époque saïte à l’époque romaine). In der späten 26. Dynastie eingeführter Titel (sntj), der griechisch mit dioikhtffi@ wiedergegeben wurde und eine Art Finanzminister bezeichnet. Im P. Rylands 9 bleibt der Titelträger stets anonym. Möglicherweise handelt es sich um einen gewissen Horudja, der unter Dareios I. in dieser Funktion bezeugt ist. Die konventionelle Wiedergabe der häufigen Partikel tws mit »siehe« ist insofern unbefriedigend, als sie im Demotischen nicht die altertümlich-feierliche Nuance hat, die die Übersetzung suggerieren mag. Oft ist eine Wiedergabe mit »schau!« treffender, in anderen Fällen ist auch abgeschwächtes »nun« o. ä. passend. So zögernd in Anlehnung an Hoffmann / Quack, Anthologie, 24 und 332 (b) mit der Lesung bn w h n=w. ˙ Hauptstadt des 20. oberägyptischen Gaus.

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Günter Vittmann

ihn in der Sonne stehen, bis (I 19) [er(?) mir] al[les sagt(?)] 29), was mit Teudjoi geschehen ist.« Ich erlitt große Qual(en) in der Sonne. Ich sagte zu ihm: »Laß (mir) ein Stück (II 1) Papyrus geben, daß ich dir alles aufschreibe, was geschehen ist!« Ahmose gab mir ein Stück Papyrus. Ich schrieb alles auf, was man getan hatte, um Teudjoi zu ruinieren. (II 2) Ahmose las den Papyrus. Er stieß einen Schrei aus und sagte zu mir: »Bei Re, ich habe eingesehen, daß du Recht hattest, (II 3) (als du) sagtest: ›Wenn ich dir sage, was mit mir geschehen ist, werden mich diese Priester töten.‹« Er versiegelte den Papyrus und veranlaßte, daß ich ihn mit ihm (gemeinsam) versiegelte. (II 4) Er gab ihn einem Mann und ließ ihn zu dem Haus, in dem sich der Senti befand, bringen. Ahmose hielt sich in Herakleopolis auf, indem er (II 5) seine Angelegenheit erledigte. Er entließ mich, und ich kehrte nach Teudjoi zurück. Wie Peteese (III) von den Priestern brutal angegriffen wurde (Oktober 513): Wenige Tage später kam Pakep, Sohn des Peftjauawiamun, (II 6) nach Teudjoi. Er brachte den Priestern den Papyrus, den mich Ahmose hatte schreiben lassen. Sie ergriffen mich zusammen mit meinem Sohn und vier Brüdern (II 7) von mir. Sie steckten uns in …. 30) und sperrten uns in einem Tempelplatz 31) ein. Pakep setzte (II 8) Djedbastetiufanch, Sohn des Inaros, als Lesonis ab, ließ ihm Handschellen anlegen und ihn an den Platz, an dem wir waren, werfen. (II 9) (Dann) veranlaßte er, daß ihm Inaros, Sohn des Petehapi, (als Lesonis) folgte. Im zweiten Monat der peret-Jahreszeit, 13. Tag, am Fest des Schu, 32) war es so, daß alle Menschen, die in Teudjoi waren, (II 10) Bier tranken. 33) (Auch) die Wächter, die uns vorgesetzt waren, tranken Bier. Sie schliefen ein, und Djedbastetiufanch, Sohn des Inaros, ging fort. (II 11) (Als) die Wächter aufwachten, fanden sie Djedbastetiufanch nicht. Da gingen die Wächter, die uns vorgesetzt waren, (ebenfalls) fort. (II 12) (Als) Ina[ros], Sohn des Petehapi, der Lesonis, (dies) hörte, kam er mit seinen Brüdern und ihren Knüppeln in den Tempel. (II 13) Sie fielen über uns her und schlugen hunsi halbtot. Sie ließen erst von uns ab, als sie (sich) sagten: »Sie sind tot.« (Dann) trugen sie (II 14) uns fort zu einem alten Turm, der oben auf dem Tor des Tempels war, und warfen uns hinein (II 15) in der Absicht, ihn über uns einstürzen zu lassen. Da kam Nesirdis, Sohn des Peteese, indem er aufschrie: (II 16) »Wollt ihr am hellichten Tag Leute töten? Das, was ihr da tut, wird zum Senti dringen, es wird zum (II 17) Herrn von Ägypten 34) dringen. Sechs Priester sind es, die ihr töte(n woll)t, indem ihr sagt: ›Wir werden einen Turm über ihnen zum Ein[sturz bringen].‹ (II 18) Ich werde nicht um29. 30. 31. 32. 33.

34.

354

Andere Ergänzungen sind möglich, z. B. »bis [ich] al[les höre/feststelle]« o. ä. Es handelt sich um Folterinstrumente (grsˇt, nur hier belegt), deren genaue Bestimmung unˆ klar ist. Der Terminus s.t-h.t-ntr wurde von M. Chauveau, Les archives démotiques du temple de ¯ Ayn Manâwir, Arta˙ 2011.002, 1-19, hier 5, als Dienstlokal im Tempel bestimmt. Ein Fest dieses Namens ist für diesen Tag sonst nicht bekannt. Bei solchen Festen wurde reichlich Bier konsumiert, wie dies von Herodot (II 59-60) speziell für die Bubasteia, das Fest der Bastet, bezeugt wird; vgl. Hoffmann / Quack, Anthologie, 305311; L. Morenz, »… wobei mehr Wein getrunken wird als im ganzen Jahre«. Altägyptische Weingefäße im Licht Herodots kontextualisiert, CdÉ 81 (2006) 45-61. Dem persischen Satrapen.

Texte aus Ägypten

hinkommen, den Senti davon zu benachrichtigen. Wenn man es hört, wird man euch töten, indem [man sagt]: ›Nieder, nieder mit (II 19) Teudjoi deswegen!‹ Man wird (gleichsam) in einer Stadt sein, in der es keine Menschen gibt.« 35) Sie brachten uns aus dem Turm heraus und trugen uns (II 20) in den Tempel hinein. Es war so, daß es keinen alten Mann unter ihnen gab außer mir. Mir schwanden die Sinne, ich wußte überhaupt nicht, (III 1) wie (mir) geschah. Sie dachten »Peteese wird keine einzige Stunde am Leben bleiben« und ließen mich in (III 2) mein Haus tragen. Ich verbrachte vier Tage in völliger Bewußtlosigkeit 36) und war drei Monate unter der Aufsicht der Ärzte, (III 3) ehe die Wunde(n) an mir verheilte(n). Wie sich Peteese (III) in Memphis vergeblich bemühte, Recht zu erlangen (512): Des Nachts bestieg ich ein Schiff mit Holz 37) (III 4) und kam nach Memphis. Ich verbrachte sieben Monate, indem ich dem Senti und seinen Notabeln klagte, während Pakep 38), Sohn des (III 5) Peftjauawiamun, allen Leuten befahl: »Laßt nicht zu, daß er den Senti erreicht!« Sematauitefnacht, Sohn des Anchwennefer, erkannte uns aber, (III 6) und ich sagte ihm, was mit mir geschehen war, und er ließ mich vor dem Senti erscheinen. Der Senti ließ viermal (III 7) nach ihnen senden, aber sie kamen nicht. Erst beim fünften Mal kamen sie. Die Strafe, die über sie verhängt wurde, (bestand darin), ihnen (III 8) 50 Peitschenhiebe pro Mann zu verabreichen und sie (dann) freizulassen. Sie gingen zu Sematauitefnacht, Sohn des Anchwennefer, und sagten: »Wir werden (III 9) dich zusammen mit deinem Bruder und deinen drei Söhnen mit Opfereinkünften, 39) insgesamt fünf Opfereinkünften, ausstatten. Laß Papyrus bringen, daß wir (III 10) (noch) heute die Verpachtung deiner fünf Opfereinkünfte machen!« Sematauitefnacht ließ ein Stück Papyrus holen. Sie machten die Verpachtung seiner fünf Opfereinkünfte. (III 11) Sematauitefnacht ging zum Senti und sagte: »O daß er die Lebenszeit des Re habe! Diese Priester, schau, (III 12) der Senti hat sie bestrafen lassen. Ihre Sache ist hier verloren. Möge sie der Senti entlassen!« Er bewirkte, daß (III 13) der Senti rief: »Sie sollen fortgehen!« Es geschah, daß ich am Abend zusammen mit Sematauitefnacht vor dem Senti erschien. (III 14) Ich sprach vor dem Senti: »Der Anteil des Propheten des Amun von Teudjoi gehörte meinem Vater (III 15) zusammen mit 16 anderen Anteilen der Propheten der Götter von Teudjoi, so daß ihm 16 Opfereinkünfte in ihrem Namen 40) gegeben wurden. Mein Vater 41) (III 16) (aber) war es, der mit dem Pharao Psammetich (II.) Neferibre und dem Blumenstrauß des Amun ins Syrerland ging 42). (III 17) Die Priester gingen (indessen) 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42.

Wörtlich »Man wird nicht in einer Stadt sein können, in der es (noch einen) Menschen gibt.« Schilderung eines Komas, wörtlich »Ich verbrachte vier Tage, ohne daß ich irgend eine Sache der Erde, in der (bezogen auf die »Sache«, d. h. den »Umstand«) ich war, kannte.« D. h. ein Frachtschiff für den Holztransport. Also die erstmals in II 5 erwähnte Person. Das Wort htp, eigentlich »Opfer«, wird auch als Terminus für priesterliche Einkünfte gebraucht. ˙ D. h. im Namen der verschiedenen Prophetenstellen. In Wahrheit der Großvater Peteese (II). Wie sich die Priester von Teudjoi die Syrien-Expedition Psammetichs II. in dessen viertem Regierungsjahr (592) und die von ihnen veranlaßte Teilnahme von Peteese II für ihre Zwecke zunutze machten, wird anschaulich in XIV 16 – XV 7 beschrieben. Zur Natur dieses Feldzugs

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zu Horudja, Sohn des Harchebe, [dem (Vorsteher) von] Herakleopolis, und sprachen: ›Der Anteil des Propheten des Amun von Teudjoi ist Anteil des Pharaos. (III 18) Ein Priester des Amun 43) hat ihn jedoch (an sich) genommen, als er Vorsteher von Herakleopolis 44) war. Siehe, er ist im Besitze des Sohnes seines Sohnes bis auf den heutigen Tag. (III 19) Da er nun [mi]t dem Pharao ins Syrerland gegangen ist, laß doch deinen Sohn Ptahnefer, Sohn des Horudja, kommen, daß wir (III 20) ihm den Anteil des Propheten des Amun von Teudjoi überschreiben!‹ Er ließ seinen Sohn Ptahnefer nach Teudjoi kommen, und sie überschrieben ihm den Anteil des Propheten des Amun. (IV 1) Die Priester nahmen die anderen 16 Anteile und verteilten sie auf die (einzelnen) Phylen. Sie beliefen sich auf vier Anteile pro Phyle.« Der Senti sagte zu mir: »Diese Geschichten, die du erzählst, (IV 2) sind zahlreich. Geh bitte in ein Büro 45) und laß dir von Sematauitefnacht ein Stück Papyrus geben! Schreibe alles nieder, was (IV 3) deinen Vätern seit dem Tage, da dieser Anteil in ihrem Besitz war, widerfahren ist! Schreibe nieder, wie er deinem (IV 4) Vater zusammen mit diesen anderen Anteilen weggenommen wurde! Schreibe die Geschichten nieder, die dir bis heute widerfahren sind!« Am nächsten Morgen nahm ich ein Stück Papyrus (IV 5) in meine Hand. Während ich die Angelegenheiten niederschrieb, die mich der Senti niederzuschreiben geheißen hatte, geschah es, daß die Priester an die Tür des Büros, in dem ich mich befand, traten (IV 6) und sagten: »Peteese, bildest du dir etwa ein, es wäre deinetwegen gewesen, daß uns der Senti schlagen ließ? Bei Re, er hat uns nicht deinetwegen schlagen lassen! (IV 7) Er hat uns nur deswegen schlagen lassen, weil er mehrmals nach uns gesandt hatte, wir aber nicht gekommen waren.« Ich sagte zu ihnen: »Bei Ptah, es (IV 8) ist dazu gekommen, daß ihr die Strafe gesehen habt, die er an euch noch um meinetwillen vollziehen wird!« Ich wußte ja nicht, daß Sematauitefnacht bewirkt hatte, daß (IV 9) der Senti sie entließ. Am Abend kam Sematauitefnacht aus dem Archiv heraus. Ich reichte ihm den Papyrus, den ich geschrieben hatte, mit den Worten: »Lies das!« Er sagte (IV 10) mir folgendes als Antwort: »Die Priester, die hat der Senti entlassen; sie sind weggegangen. Du hast keinen Nutzen davon, ihm einen Papyrus zu bringen. (IV 11) Er wird kaum noch einmal nach ihnen schicken lassen.« 46) Ich weinte vor Sematauitefnacht und sagte: »Bin ich gekommen, um hier meine (IV 12) sieben Monate zu verbringen, indem ich täglich dem Senti und seinen Notabeln klage, bloß wegen dieser zwei Peitschenhiebe, die man (IV 13) diesen Priestern verabreicht hat mit den Worten: ›Ihr wart säumig; als man nach euch sandte, seid ihr nicht gekommen‹ ? Ich bin gekommen, um dem Senti zu klagen, (IV 14) damit ich nie mehr aus meiner Stadt vertrieben werde.« Ich wußte ja nicht, daß sie dem Sematauitefnacht eine Urkunde ausgestellt hatten, um ihn mit einer Opferein-

43. 44. 45. 46.

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vgl. D. Kahn, Some remarks on the foreign policy of Psammetichus in the Levant, Journal of Egyptian History 1 (2008) 139-157, bes. 148-152. Peteese (I), vgl. die explizite Parallele XV 4. Möglicherweise Verwechslung mit dem Schiffsmeister Peteese, der ex officio Oberhaupt von Herakleopolis war und seinem gleichnamigen Vetter die in Rede stehenden Prophetenstellen am Tempel von Teudjoi übertrug. 2.wj, das übliche Wort für »Haus«, hier im Sinne eines Amtslokals. Im Demotischen als rhetorische Frage formuliert, wörtlich: »Ist Veranlassen, daß man nach wiederum nach ihnen geht, das, was er tun wird?«.

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kunft auszustatten, (IV 15) und ich wußte (auch) nicht, daß er es war, der bewirkte, daß man sie entließ. Sematauitefnacht sagte zu mir: »Sei unbesorgt! 47) Bei Re, sie sollen nie mehr aufhören, (IV 16) dich zu fürchten! Komm, ich will veranlassen, daß Ahmose, der Prophet des Horus, 48) ihnen einen Brief schreibt, und ich meinerseits will ihnen einen privaten Brief schreiben, (Briefe,) die sie mehr respektieren werden (IV 17) als den Brief des Senti!« Er kam mit mir zu Ahmose, dem Propheten des Horus, und veranlaßte, daß er ihnen einen Brief schrieb. Auch er selbst schrieb ihnen einen Brief. (IV 18) (Dann) wurde ich entlassen. Wie Peteese (III) nach Teudjoi zurückkehrte, nachdem sein Haus von den Priestern niedergebrannt worden war, und wie er gezwungen wurde, sich mit ihnen zu arrangieren (512): Ich kam nach Süden und gelangte nach Herakleopolis. Ich fand Nesirdis, 49) Sohn des Peteese, und Ahmose-Herenweres 50), (IV 19) wie sie stromab unterwegs waren. Sie sagten zu mir: »Bist du Peteese? Bist du unterwegs nach Teudjoi? Mach dir keine Mühe! Dein (IV 20) Haus ist in Brand gesteckt worden.« Ich kam stromab und schrie zum Senti: »Mein Haus ist in Brand gesteckt worden!« (V 1) Er sagte zu mir: »Von wem?« Ich sagte zu ihm: »Von diesen Priestern, gegen die ich dir seit sieben Monaten bis heute geklagt habe (V 2) und die man hat fortgehen lassen, ohne sie zu bestrafen.« Der Senti ließ Ahmose, 51) Sohn des Peteharenpe, rufen und sagte (zu ihm): »Geh (V 3) mit Peteese nach Teudjoi! Bringe mir diese Priester, die sein Haus in Brand gesteckt haben!« Ahmose verbrachte einige (V 4) Tage, indem er sagte: »Ich werde mit dir nach Süden kommen.« Sie (die Priester) setzten (jedoch) durch, daß her(?)i sich wieder zurückzog(?). 52) Eines Tages kam Ahmose, der Prophet des Horus, herab. (V 5) Er rief nach Wahibremerire, einem Blemmyer(?) 53), und sagte (zu ihm): »Geh nach Teudjoi und bringe diese Priester, gegen die Peteese klagt!« (V 6) Wahibremerire kam nach Teudjoi. Sie gaben ihm fünf Silberkite. Er brachte keinen Priester von ihnen nach Norden (V 7) mit Ausnahme von Inaros, Sohn des Petehapi, dem Lesonis. 54) Man sagte zu Inaros, Sohn des Petehapi: »Was soll es, daß du das Haus des Peteese in Brand hast stecken lassen?« (V 8) Er sagte: 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53.

54.

Wörtlich »Rede nicht mit deinem Herzen!« Derselbe Ausdruck in XX 19; vgl. auch unten Setne 1, IV 17. Von dem in I 1 – II 5 als Gegner des Peteese auftretenden Ahmose, Sohn des Peteharenpe, zu unterscheiden. Bereits in II 15 erwähnt. Der merkwürdige, nur hier belegte Name (Hr-n-wrs) bedeutet »Kopfstützengesicht« und könnte Vertretern eines fiktionalen Charakters˙ von P. Rylands 9 neuen Auftrieb verleihen. Also die in I 1 – II 5 erscheinende Person, ein Prophet des Amun von Teudjoi, von dem Peteese als jemand, der die ursprünglich im Besitz seiner Vorfahren befindlichen Einkünfte aus eben diesem Amt reklamiert, keine Unterstützung erwarten darf. Lesung und Analyse der Stelle sind problematisch. Ohne Emendation wäre am ehesten »Sie veranlaßten, daß ich ihn zurückzog« zu übersetzen, was sachlich weniger wahrscheinlich ist. Die Lesung der zweiten Worthälfte ist unklar; vorgeschlagen wurden brh{r}mwt »Blemmyer« (nubische Völkerschaft) und brr (o. ä.) »blind, Blinder«. Letzteres (so zuletzt wieder AgutLabordère/ Chauveau, Héros, 158 und 335 [39]) ist aus evidenten Gründen unwahrscheinlich und ließe sich auch durch Hinweise auf die Bibel (Mt 23,24; Lk 6,39) nicht plausibler machen. Die Lesung als »Blemmyer« ist demgegenüber mit geringeren graphischen und interpretatorischen Schwierigkeiten behaftet. Der II 9. 12 genannte Tempeladministrator, der dem Petenten übel mitgespielt hatte.

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»Ich weiß es nicht.« Man veranlaßte, daß Inaros, Sohn des Petehapi, 50 Peitschenhiebe erhielt, (dann) ließ man ihn frei. Ich verbrachte viele Tage (V 9) in d(ies)en Verwaltungsvierteln, indem ich täglich klagte und jammerte. Keine Angelegenheit von mir wurde erledigt, aber man entließ (auch) nicht den Inaros, (V 10) Sohn des Petehapi, den Lesonis. Ahmose, der Prophet des Horus, sagte zu mir: »Willst du in diesen Verwaltungsvierteln sterben? Komm, daß ich Inaros, den Lesonis, dir schwören lasse: (V 11) ›Ich werde darangehen, dich in jeder Angelegenheit von dir zu protegieren.‹« Ahmose, der Prophet des Horus, veranlaßte, daß Inaros, Sohn des Petehapi, mir schwor: »Ich werde darangehen, (V 12) dich in jeder Angelegenheit von dir zu protegieren.« Der Prophet des Horus entließ mich. Ich kehrte mit Inaros, dem Lesonis, nach Teudjoi zurück, ohne daß ich protegiert worden wäre. (Vielmehr) war ich es, der (V 13) Leute zu ihnen nahm, um sie mit mir zu versöhnen.

Teil B (der in IV 2 erwähnte Bericht des Peteese an den Senti)

Wie Peteese (I) Mitarbeiter des gleichnamigen Schiffsmeisters wurde (661): O daß Amun gebe, daß seine (des Senti) Lebenszeit lang sei! Um den Senti die Geschichten hören zu lassen, (V 14) die meinem Vater widerfahren sind: Im Jahr 4 des Pharaos Psammetichs (I.) des Älteren (661) war das Südland 55) dem Peteese, Sohn des Anchscheschonk, (V 15) dem Schiffsmeister 56), von der südlichen Wachstation von Memphis bis nach Assuan unterstellt 57). Peteese, Sohn des Anchscheschonk, der Schiffsmeister, war (V 16) Sohn eines Priesters des Amun-Re-Götterkönigs. Man hatte ihn in den Haushalt des Pharaos gebracht, ehe er Priester des Amun geworden war, als er (jedoch schon) (V 17) Priester des Harsaphes und Priester des Sobek war. Er hatte einen ›Bruder‹ 58), einen Sohn des jüngeren Bruders seines Vaters, namens Peteese (I), Sohn des Iturou. 59) Er (V 18) war Assistent 60) des Peteese, des Schiffsmeisters, und er war es (auch), der von der südlichen Wachstation bis nach Syene inspizierte. (V 19) Im Jahr 4 des Pharaos Psammetich (I., 661) ging Peteese, Sohn des Anchscheschonk, vor den Pharao und sprach (zu ihm): »Mein großer Herr! (V 20) O daß er die Lebenszeit des Re habe! Ich bin alt geworden. Möge mir vor (von) dem Pharao diese Gunst erwiesen werden: Ich habe einen ›Bruder‹ namens Peteese (I), [Sohn des] 55. 56.

57. 58. 59. 60.

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Zu diesem Begriff siehe oben I 2 und die Anmerkung dazu. Konventionelle Übersetzung für wörtliches »Großer des Hafens« (2 mr), ein in dieser Form nur für Peteese im P. Rylands 9 und seinen auch von anderen Quellen bekannten Nachfolger Sematauitefnacht bekanntes hohes Amt, dessen Träger in Herakleopolis residierte. Nach A. Leahy (Devauchelle [Hg.], La XXVIe dynastie [s. Anm. 92], 216) wurde es vielleicht unter den Assyrern eingerichtet. Eine sachliche Unmöglichkeit, da 661 Oberägypten noch unter der Herrschaft des Kuschiten Tanwetamani (664-656) stand. Das Wort sn »Bruder« wird gerne auch in weiterem Sinne (Verwandter, Kollege) gebraucht. Dieser Peteese (I), ein Vetter des gleichnamigen Schiffsmeisters und Ururgroßvater des Petenten Peteese (III), wird auf einem zeitgenössischen Würfelhocker in Stockholm erwähnt, vgl. H. De Meulenaere, Trois personnages saïtes, CdÉ 31 (1956) 249-256, hier 251-253. mh-2, wörtlich »Zweiter«. ˙

Texte aus Ägypten (VI 1) Iturou. Er ist es, der das Südland verwaltet und sein Silber und sein Korn (aus ihm) herausholt. Es fügt sich, daß es um das Südland sehr gut steht, (VI 2) (denn) sein Silber und sein Korn haben sich um die Hälfte vermehrt. Möge er vor den Pharao gebracht werden! Möge ihm etwas Schönes vor dem Pharao gesagt werden! Möge zu ihm gesagt werden: ›Das (VI 3) Südland ist dir unterstellt‹, indem es auch mir unterstellt ist. Er wird es verstehen, darin tüchtig zu sein.« Man brachte Peteese, Sohn des Iturou, vor den Pharao. (VI 4) Der Pharao sprach zu ihm: »Der Schiffsmeister hat mir gesagt, was für ein wunderbarer Mann du bist.« Der Pharao sagte (ferner): »Möge ihm ein remes-Schiff 61) gegeben werden! Möge ihm ein Pferdegespann gegeben werden!« (VI 5) Der Pharao sprach zu ihm: »Du inspizierst das Südland. Ich werde veranlassen, daß man es mit dir abrechnet.« Peteese sagte: »Mein großer Herr, es ist (VI 6) (doch schon) dem Schiffsmeister Peteese unterstellt!« Der Pharao sprach zu ihm: »Es ist ihm (auch) weiterhin unterstellt zusammen mit dir, aber mit dir wird man über seine Angelegenheit(en) reden.« Es wurde ihm Gold und Byssos (VI 7) vor dem Pharao gegeben 62). Peteese, Sohn des Iturou, kam nach Süden, indem er von der südlichen Wachstation bis hin nach Assuan inspizierte. (VI 8) Peteese, Sohn des Anchscheschonk, der Schiffsmeister, ließ sich in Herakleopolis nieder, indem man ihm über alles, was sich im Südland ereignete, berichtete.

Wie Peteese (I) den Tempel von Teudjoi reorganisierte, sich dort durch zwei Statuen und eine Granitstele verewigte und Priester des Amun und seiner Neunheit wurde (um 650): (VI 9) Peteese, Sohn des Iturou, gelangte nach Teudjoi. Er ging in den Tempel und inspizierte jeden Raum, der im Tempel von (VI 10) Teudjoi war. Er stellte fest, daß der Tempel von Teudjoi von der Art eines sehr großen Hauses war 63), aber es fehlte ihm (VI 11) an Leuten. Er traf keinen Menschen im Tempel an außer einem alten Priester und einem Türhüter. Peteese, Sohn des (VI 12) Iturou, ließ den Priester holen und sprach zu ihm: »Da du ja nicht (mehr) jung bist, sag mir bitte, wie (VI 13) diese Stadt zerstört worden ist!« Der Priester sprach zu ihm: »Es ist so, daß niemand hier Priester war außer den Priestern des Amun-Re-Götterkönigs. (VI 14) Eure Großväter 64) waren hier Priester und statteten diesen Tempel mit allem aus. Ein reiches Gottesopfer 65) war (VI 15) dem Amun von Teudjoi zugeeignet, und man sagte über dieses Haus, daß es die erste Stätte des Amun-Re-Götterkönigs sei. (VI 16) Da kam diese schlimme Zeit 66). Man ließ die großen Tempel Ägyptens Steuern zahlen und belegte diese Stadt (VI 17) mit einer hohen Steuer. Sie konnten die Steuer, mit der man hsiei belegt hatte, nicht zahlen, und gingen fort.

61. 62. 63. 64. 65. 66.

Das Wort rms bezeichnet einen Schiffstyp (gräzisiert rwv), der z. B. auch in Setne 1, III 28; P. Spiegelberg IX 12 etc. vorkommt. Vgl. die Ehrung Josephs durch den Pharao (Gen 41,42; hebr. sˇe¯sˇ < äg. sˇs-nsw, bohair. sˇens »Königslinnen, Byssos«). Zu den archäologischen Gegebenheiten vgl. Cl. Traunecker, Les deux enfants du temple de Teudjoï (à propos du P. Rylands IX), in: Hommages à Jean-Claude Goyon (BEt 143), Kairo 2008, 381-396, hier 389-391. Wörtlich »eure großen Väter« im Sinne von »eure Vorväter«. htp-ntr, vom Tempelvermögen samt den zugehörigen Ländereien. ¯ der Assyrerherrschaft (671-664). ˙Die Zeit

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Obwohl man Abstand genommen hatte (VI 18) von den großen Tempeln von Ägypten, 67) kommen sie zu uns und fordern Steuer bis auf den heutigen Tag.« (VI 19) Peteese, Sohn des Iturou, fuhr stromab nach Herakleopolis. Er erschien vor Peteese, dem Schiffsmeister, und sagte ihm alle Umstände, von denen er festgestellt hatte, daß sie (VI 20) Teudjoi widerfahren waren. Er erzählte ihm die Geschichten, die ihm der alte Priester, den er in Teudjoi angetroffen hatte, berichtet hatte, und sprach zu ihm: »Dieser Priester hat mir gesagt, daß niemand (VI 21) hier Priester gewesen sei außer den Priestern des Amun-Re-Götterkönigs.« Peteese, der Schiffsmeister, sprach zu ihm: »Bei Amun-Re-Götterkönig, es ist alles (so) geschehen: (VII 1) Alles, was du sagst, pflegte ich aus dem Munde unserer Notabeln zu hören.« Er ließ die Gauschreiber und die Bevollmächtigten holen, (VII 2) und er ließ die Leute, die er würde befragen können, holen. 68) Sie alle wurden vor dem Schiffsmeister befragt: »(Was) Teudjoi (betrifft), pflegten sie dort Steuern zu zahlen, (VII 3) ehe diese schlimme Zeit kam?« Alle antworteten übereinstimmend: »Sie zahlten dort überhaupt nichts. Es ist (ja) eines von den großen Häusern (VII 4) dieses Gaues.« Der Schiffsmeister veranlaßte, daß sie deswegen eine ordentliche Tracht Prügel erhielten, (indem er) sagte: »Ihr habt mir nie gesagt, (VII 5) daß wir es (Teudjoi) zahlen lassen.« Der Schiffsmeister sagte zu Peteese, Sohn des Iturou: »Geh, laß eine Urkunde aufsetzen über den Betrag, der in Teudjoi gezahlt wurde, seitdem Abstand genommen wurde von den (VII 6) großen Tempeln des Südlandes! Man soll ihn den Priestern des Amun von Teudjoi zurückgeben!« Peteese, Sohn des Iturou, kam nach Teudjoi. (VII 7) Er ließ die Handwerker holen, gab ihnen 200 (Deben) gegossenes Silber und 20 (Deben) Gold und ließ sie es zu Schalen aus Silber und Gold für Amun verarbeiten. Er veranlaßte, daß sie (VII 8) den Schrein des Amun, der auf dem großen Thron ist, errichteten. Die Priester, die Türhüter und die (übrigen) zum Tempel gehörigen Klassen von Leuten ließ er nach Teudjoi zurückbringen. (VII 9) Es gab unter ihnen jemanden, der bis Theben 69) gelangt war, (aber) er ließ sie alle zurückbringen. Das Gottesopfer, von dem er festgestellt hatte, daß es dem Amun zugeeignet war, ließ er zurückgeben. (VII 10) Er veranlaßte, daß dem Gottesopfer des Amun 1000 Aruren Ackerland hinzugefügt wurden, ließ Opfergaben und Gewänder vor Amun und vor Osiris von Ta-udja 70) legen und stattete (VII 11) Teudjoi wie einen der großen Tempel des Südlandes aus. Er machte seine Kinder zu Priestern des Amun von Teudjoi und ließ (VII 12) ein Haus von vierzig mal vierzig Gottesellen 71) bauen, indem ein Schoinion 72) darum herum als Hof war. Er ließ (VII 13) seinen Tempelplatz 73) bauen. Er ging in das Südland, indem er inspizierte. Er gelangte nach Elephantine und ließ (VII 14) eine Stele aus Assuangranit und die Blöcke für zwei Statuen aus temgi-Stein bre67. 68. 69. 70. 71. 72. 73.

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Diese Exemption wird in den Anlagen (XXI 18-XXII 2; XXII 15-XXIII 2) thematisiert. Auch eine Übersetzung »Er veranlaßte, daß sie (nämlich die vorher erwähnten Personengruppen) die Leute (…) holten« ist möglich. Für Theben wird durchgehend die Bezeichnung nw.t, also die »Stadt« (des Amun) par excellence, gebraucht, vgl. in diesem Sinne das biblische No’ Jer 46,25; Ez 30,14-16, erweitert No’ A¯mo¯n Nah 3,8. Wahrscheinlich mit dem P. Giessen 174, x+3 in Verbindung mit Amun-Re genannten T -wd identisch. Setzt ¯man die Elle mit 52,5 m an, ergibt sich eine Fläche von 21 x 21 = 441 m2. 1 Schoinion (ht-nh) = 100 Quadratellen, ca. 2750 m2. ˘ 7. ˙ Vgl. oben zu II

Texte aus Ägypten

chen und (VII 15) sie nach Teudjoi bringen. (Dann) kehrte er zurück nach Norden. In Teudjoi angekommen, ließ er die Steinmetzen, (VII 16) die Graveure, die Schreiber des Lebenshauses 74) und die Umrißzeichner holen und veranlaßte, daß sie alle guten Dinge, die er für Teudjoi getan hatte, auf (VII 17) die Stele setzten. 75) Er ließ seine beiden Statuen aus temgi-Stein machen, indem sie auf ihren Füßen knieten, wobei eine Statue (VII 18) des Amun im Schoß der einen und eine Statue des Osiris im Schoß der anderen Statue war. 76) Er ließ die eine (VII 19) am Eingang der Kapelle des Amun und die andere am Eingang der Kapelle des Osiris aufstellen. Peteese, Sohn des (VII 20) Iturou, fuhr stromab nach Herakleopolis. Er erschien vor dem Schiffsmeister und erstattete Bericht über alles, was er in Teudjoi getan hatte. (VIII 1) Peteese, der Schiffsmeister, sagte zu ihm: »Harsaphes, der König der beiden Länder, lobe dich! Amun wird dir als Vergeltung dafür Gutes tun. Du weißt, daß der Anteil des Propheten des Amun von Teudjoi (VIII 2) und seiner Neunheit mir gehört. Da es nun so ist, daß du es zum Wohnsitz erwählt hast, werde ich dir den Anteil des Propheten des Amun von Teudjoi und seiner Neunheit überschreiben.« (VIII 3) Der Schiffsmeister ließ einen Schulschreiber holen und überschrieb ihm den Anteil des Propheten des Amun von Teudjoi und seiner Neunheit. Wie Peteese (I) seinen Schwiegersohn Horudja in Teudjoi etablierte, eine Anzahl weiterer Priesterämter an verschiedenen Tempel erhielt und nach Theben übersiedelte (um 650): Peteese, Sohn des Iturou, kam nach Süden (VIII 4) und gelangte in den Gau von Oxyrhynchos, indem er inspizierte. Er fand einen Priester des Amun-Re-Götterkönigs, den die Priester des Amun zum Hüten (VIII 5) von Rind und Geflügel, das vom Gau geliefert wurde, gesandt hatten. Sein Name war Horudja, Sohn des Peftjauawibastet. Es war nun so, daß man den Priester, der zum (Vieh)hüten entsandt wurde, ›Vorsteher des Schatzhauses des Amun‹ (VIII 6) nannte an den Tagen, die er mit damit zubrachte, zum (Vieh)hüten entsandt zu sein. 77) Peteese, Sohn des Iturou, brachte den Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, den Vorsteher des Schatzhauses des Amun, mit sich nach Teudjoi. (VIII 7) Er ließ ihn mit sich in seinem Haus, das er in Teudjoi hatte bauen lassen, speisen. 78) (Auch) seine Frau und ihre Töchter 79) ließ er heraufholen, (VIII 8) und sie tranken in ihrer Gegenwart Bier.

74.

75. 76. 77. 78. 79.

Die Schreiber des an den Tempel angeschlossenen »Lebenshauses« verfaßten bzw. kopierten religiöse, magische und andere Texte. Das bohairisch-koptische Derivat des Titels sh pr-2nh, ˘ ¯ seinersphransˇ dient in der Josephsgeschichte (Gen 41,8) als Wiedergabe von ¥xhghtffi@, was seits wiederum hebr. hartom (Pl. hartummı¯m) < äg. hrj-dp »Magier« wiedergibt; vgl. Anmer˙ siehe unten. ˙ ˙ ˙ kung 364 zu Setne 2, ˙V 3, Der Wortlaut dieser nach XVIII 16-17 einem späteren Zerstörungsversuch trotzenden Stele wird in XXI 12 – XXII 8 mitgeteilt, wo als Datum das Jahr 14 Psammetichs I. (651) angegeben wird. Es handelt sich wahrscheinlich um die Beschreibungen sogenannter naophorer Statuen, wie sie in der Spätzeit zahlreich bezeugt sind. Die Verleihung eines hochtrabenden Titels zur Durchführung einer ebenso befristeten wie prosaischen Aufgabe ist bemerkenswert. Wörtlich »sich reinigen« (w2b s). Die demotische Formulierung lautet »ihre (der Ehefrau) weibliche Kinder« (n j=s h rd.t.w ¯ ˆ shm.t.w). ˙

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Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, sah eine Tochter des Peteese namens Neithemhet. Horudja, Sohn des (VIII 9) Peftjauawibastet, sagte zu Peteese: »Mögen Euer Gnaden 80) geben, daß ich meinen Dienst finde! Euer Gnaden sind doch Priester des Amun-ReGötterkönigs. (VIII 10) Mein Vater pflegte hier in Teudjoi Priester zu sein. Ich werde veranlassen, daß Euer Gnaden die Tatsache feststellen, daß er hier Priester zu sein pflegte, und die Urkunden meines Vaters (VIII 11) vor Euer Gnaden bringen. Mögen Euer Gnaden gewähren, daß mir das Mädchen Neithemhet zur Frau gegeben wird!« Peteese sprach zu ihm: »Ihre Zeit 81) ist noch nicht gekommen. Sei Priester des (VIII 12) Amun-ReGötterkönigs, ich werde sie dir (später) geben! An allen Tagen, die du verbringen wirst, indem dir das (Vieh)hüten in Oxyrhynchos anvertraut ist, sollst du in Teudjoi wohnen. (VIII 13) Schau, es ist ein wunderbares Haus! Es ist ein Priesterhaus. Es gibt nur zwei Klassen von Leuten ihm: Priester, und wer (sonst noch) zum Tempel gehört.« (VIII 14) Horudja grüßte und sagte: »In Ordnung!« Im Jahr 15 des Pharaos Psammetichs (I., 650) stand es um das Südland sehr, sehr gut. Peteese, Sohn des Iturou, wurde ins Archiv gebracht. (VIII 15) Sein Silber und Korn 82) hatte sich verdoppelt. Peteese, Sohn des Iturou, wurde vor den Pharao gebracht und mit Lotos(öl) gesalbt. Der Pharao sprach zu ihm: »Gibt es (irgend)eine Gunst, von der (VIII 16) du möchtest, daß man sie dir erweist?« Peteese sprach vor dem Pharao: »Mein Vater war Priester des Amun-Re-Götterkönigs; er war (auch) Priester der Tempel des thebanischen Gaues, (VIII 17) er war Priester des Harsaphes, er war Priester des Sobek.« Der Pharao rief nach dem Briefschreiber und sagte (zu ihm): »Schreibe Briefe an die Tempel, von denen Peteese, Sohn des Iturou, sagen wird, (VIII 18) daß sein Vater an ihnen Priester war, mit dem Inhalt, Peteese möge Priester an ihnen sein, wenn es passend ist 83)!« Briefe wurden an die Tempel geschrieben, von denen Peteese sagte, daß sein (VIII 19) Vater an ihnen Priester gewesen war. Peteese, Sohn des Iturou, wurde vor dem Pharao entlassen und kam nach Süden. Er wurde Priester des Harsaphes, er wurde Priester des Sobek von Krokodilopolis 84), er wurde Priester des Amun-Re-Götterkönigs, (VIII 20) er wurde Priester des Osiris, Herrn von Abydos, er wurde Priester des Onuris von This, er wurde Priester des Min. Peteese, Sohn des Iturou, kam nach Norden, indem er inspizierte. (IX 1) Er gelangte nach Oxyrhynchos und fand Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, den Priester des Amun, der zum (Vieh)hüten ausgesandt war. (Dies)er kam (IX 2) mit Peteese, Sohn des Iturou, nach Teudjoi. Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, brachte die Urkunden seines Vaters vor Peteese (IX 3) und ließ ihn die Tatsache feststellen, daß sein Vater Peftjauawibastet Priester des Amun von Teudjoi gewesen war. Peteese ließ (IX 4) Horudja, Sohn des Pef80. 81. 82. 83. 84.

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Ehrende Anrede, für die die Lesungen p j=f hrj (»sein Herr«) und p j=n hrj (»unser Herr«) ˙ so daß am besten eine umschreibende ˙ vorgeschlagen wurden. Beides ist problematisch, Wiedergabe gewählt wird. D. h. die Geschlechtsreife. D. h. die entsprechenden Abgaben des Südlandes. Der Zusatz »wenn es passend ist« ist bemerkenswert, da der König hier nicht die Besetzung von Priesterstellen vorschreibt, sondern nur – freilich wohl als verbindlich erachtete – Wünsche bzw. Empfehlungen ausspricht. Schedet (Sˇd.t), Hauptort des Fayum und Kultstätte des Sobek im Gebiet des heutigen Medinet el-Fayyum,

Texte aus Ägypten

tjauawibastet, zum Priester des Amun von Teudjoi machen und gab ihm seine Tochter Neithemhet zur Frau. Peteese, Sohn des Iturou, fuhr stromab (IX 5) nach Herakleopolis. Er ließ seine Frauen 85) und seine Kinder an Bord bringen und veranlaßte, daß man sie nach Theben brachte. Er gelangte nach Teudjoi, (IX 6) wo er Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, antraf. Peteese stieg zu seinem Haus, das in Teudjoi war, hinauf, und sagte zu Horudja: »Es (IX 7) ist angebracht, uns den heutigen Tag verbringen zu lassen, indem wir vor Amun von Teudjoi Bier trinken, ehe wir nach Theben gehen.« (IX 8) Peteese verbrachte den Tag damit, mit seinen Frauen, seinen Kindern und mit Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, Bier zu trinken. Horudja, (IX 9) Sohn des Peftjauawibastet, sagte zu ihm: »Da doch Euer Gnaden nun nach Theben gehen: Was wünschen Euer Gnaden, daß ich tue?« Peteese sagte zu ihm: (IX 10) »Laß dich hier in Teudjoi nieder! Ich werde darangehen, zu veranlassen, daß die Priester des Amun mit dir abrechnen, und ihnen den Betrag geben, (IX 11) der zu deinen Lasten übrigbleiben wird. Den Überschuß des Betrags, der dir zufällt, wenn dir das (Vieh)hüten anvertraut ist, werde ich dir zukommen lassen, während du (IX 12) hier in Teudjoi wohnst, ohne Mühen erduldet zu haben. Schau, mir gehört der Anteil des Propheten des Amun von Teudjoi zusammen mit 16 weiteren Anteilen. (IX 13) Du bist es (jedoch), der den Kultdienst für Amun und seine Neunheit verrichten wird. Man wird dir (dafür) den fünften Teil des Gottesopfers des Amun geben. 86) Es ist (lediglich) der Betrag, der (IX 14) zu deinen Lasten übrigbleiben wird, den du mir geben sollst.« 87) Neithemhet, Tochter des Peteese, sagte weinend: »Nimm mich mit dir nach Theben!« (IX 15) Peteese sagte zu ihr: »Wozu willst du nach Theben kommen? Ich werde dich zurücklassen, indem dein Lebensunterhalt höher ist als der aller (anderen) Kinder. (IX 16) Nimm dir dieses Haus, das hier in Teudjoi ist! Nenne einen Prophetenanteil, von dem du willst, daß ich ihn dir überschreibe!« Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, (IX 17) ihr Mann, sprach: »Mögen Euer Gnaden ihr den Anteil des Propheten des Chons überschreiben!« Pe[te]ese überschrieb ihr (also) den Anteil des Propheten des Chons. Peteese (IX 18) segelte mit seinen Frauen 88) und seinen Kindern nach Theben. Horudja, Sohn des [Pef]tjauawibastet, ließ sich mit Neithemhet, Tochter des Peteese, in Teudjoi nieder, (IX 19) indem er den Kultdienst für Amun und seine Neunheit verrichtete und man ihm (dafür) den fünften Teil des Gottesopfers gab. Peteese, Sohn des Iturou, gelangte nach Theben. Er ließ seine Frauen (IX 20) und seine Kinder nach Theben hinaufsteigen und ließ sie im Haus seines Vaters, das in Theben war, zurück.

85. 86. 87. 88.

Es wird das allgemeine Wort für »Frau« gebraucht (shm.t); die Stelle belegt also nicht unbe˙ dingt Polygamie. Daß der »Prophet« den fünften Teil des »Gottesopfers« erhält, wird durch römische Quellen wie den sog. Gnomon des Idios Logos (§ 79) ausdrücklich bestätigt, vgl. Vittmann, Papyrus Rylands 9, 447. Peteese reklamiert also nochmals die schon in IX 10-11 erwähnte Differenz in der Abrechnung der Spesen für die Viehweide. Den betreffenden Betrag will er dann den thebanischen Amunspriestern überweisen. Vgl. Anmerkung zu IX 5.

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Günter Vittmann

Wie Peteese (I) nach dem Tode des Schiffsmeisters den Pharao dazu bewog, Sematauitefnacht in diese Position zu ernennen, und wie er sich selbst nach kurzer Zeit der Zusammenarbeit in den Ruhestand zurückzog (647-646): Im Jahr [1]8 des Pharaos (X 1) Psammetich (I., 647) ging Peteese, Sohn des Anchscheschonk, der Schiffsmeister, zu seinen Vätern. 89) Der Pharao ließ Peteese, Sohn des Iturou, holen und sprach zu ihm: »Das Südland (X 2) ist dir unterstellt. Du bist es, der es verwalten können wird.« Peteese sprach vor dem Pharao: »Bei deinem Antlitz! 90) Ich werde es (nur) verwalten können, wenn es einen Beamten gibt, (X 3) dem es noch zusammen mit mir unterstellt ist.« Der Pharao sprach zu ihm: »Nenne doch den Beamten, dem es deiner Meinung nach unterstellt werden sollte 91)!« Peteese sagte: »Mein großer Herr! Peteese, Sohn des Anchscheschonk, hat (X 4) seinen Sohn. Er ist ein Mann, der zum Haushalt des Pharao gehört. Er ist ein ganz wunderbarer Mann, sein Name ist Sematauitefnacht. (X 5) Der Pharao wird feststellen, was für ein wunderbarer Mann er ist. Möge der Pharao veranlassen, daß ihm das Amt seines Vaters anvertraut wird!« Der Pharao befragte die Beamten (X 6) darüber. Sie antworteten übereinstimmend vor dem Pharao: »Möge es getan werden! Er ist ein wunderbarer Mann!« Der Pharao machte Sematauitefnacht zum Schiffsmeister 92). (X 7) Das Südland wurde ihm weiterhin unterstellt in der Art, wie es mit seinem Vater geschehen war. Man entließ Sematauitefnacht vor dem Pharao. Er kam nach Herakleopolis und (X 8) sagte zu Peteese, Sohn des Iturou: »Geh in den Süden und inspiziere im Gau! Laß nichts verkommen! Ich werde hier in Herakleopolis bleiben, (X 9) bis der Schiffsmeister bestattet wird.« Peteese, Sohn des Iturou, kam nach Süden, indem er wieder in seiner (gewohnten) Weise inspizierte. Peteese, der Schiffsmeister, verbrachte (X 10) 70 Tage 93) im Einbalsamierungszelt. Er wurde in seinem Grab in Per-Usir-iir-ger(?) 94) beigesetzt. Peteese, Sohn des Iturou, begann, das Südland zu verwalten, (X 11) indem alljährlich seine Abrechnung mit ihm gemacht wurde, indem es (um das Südland) nicht schlecht stand und ihm alljährlich Silber und Korn hinzugefügt wurde. Im Jahr 19 des Pharaos (X 12) Psammetich (I., 646) machte man die Abrechnung mit Peteese. Seine Abrechnung war gut. Pharao sprach zu ihm: »Gibt es etwas, das du 89. 90. 91. 92.

93. 94.

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Dieser aus dem AT bekannte Euphemismus für »sterben« ist auch in Ägypten gut belegt, vgl. Vittmann, Papyrus Rylands 9, 450. Eid- bzw. Beteuerungsformel in der Anrede an den König (vgl. auch XVII 13 und 2 Setne, VI 34, s. unten) oder eine Gottheit. Wörtlich »Nenne doch den Beamten, von dem du sagst: ›Möge es ihm unterstellt werden!‹« Dieser Schiffsmeister ist aus zeitgenössischen Quellen gut belegt; vgl. A. Leahy, Somtutefnakht of Heracleopolis. The art and politics of self-commemoration in the seventh century BC, in: D. Devauchelle (Hg.), La XXVIe dynastie, continuité et rupture. Promenade saïte avec Jean Yoyotte, Lille 2011, 197-223. Da in den hieroglyphischen Quellen nie der Vater des Sematauitefnacht genannt wird und es auch im P. Rylands 9 nie standardmäßig »Sematauitefnacht, Sohn des Peteese« heißt, argumentiert Leahy, aaO 218-219, m. E. überzeugend, daß Sematauitefnacht ein Schützling, aber nicht leiblicher Sohn des Peteese war. 70 Tage sind die durch zahlreiche Quellen bezeugte Zeit, die die Begräbnisriten idealerweise in Anspruch nahm; vgl. auch Setne 1, IV 25 (s. unten). Nach Gen 50,3 dauert die Einbalsamierung Jakobs 40 Tage, die Trauer jedoch 70 Tage. Ein in dieser Form nicht bekannter Ort (»Das Haus des Osiris, der geschwiegen hat«?), ob Abusir el-Meleq?

Texte aus Ägypten

wünschst, daß man dir tun soll?« Peteese sprach (X 13) vor dem Pharao: »Möge mir diese Gunst vor dem Pharao erwiesen werden! Ich bin alt geworden. Möge ich vor dem Pharao entlassen werden! Ich werde keine Mühsal (mehr) ertragen können.« (X 14) Der Pharao sprach zu ihm: »Hast du einen Sohn, der imstande sein wird, die Verwaltung zu übernehmen?« Er sprach vor dem Pharao: »Zahlreich sind die Diener des Pharaos, die imstande sein werden, die Verwaltung zu übernehmen. (X 15) Sie werden die Verwaltung unter der Aufsicht des Schiffsmeisters übernehmen und nichts verkommen lassen.« Der Pharao sprach zu ihm: »Gibt es etwas, was du begehrst?« Peteese sagte: (X 16) »Der Pharao hat mich (bereits) reich gemacht. Es gibt keine Gunst, die der Pharao mir nicht (schon) hätte erweisen lassen.« Der Pharao sprach zu Sematauitefnacht, dem Schiffsmeister: »Nimm zur Kenntnis, was Peteese (X 17) sagt, nämlich daß er alt geworden ist und man ihn entlassen möge! Soll ich ihn (also) entlassen? Wirst du imstande sein, das Südland zu verwalten?« Sematauitefnacht sprach zu ihm: (X 18) »Möge man ihn entlassen! Mein großer Herr, er ist unser Vater. Er soll den Rest seines Lebens in Ruhe verbringen. Er ist es (aber), der weiterhin für uns zuständig sein soll.« Man entließ (X 19) Peteese, Sohn des Iturou, vor dem Pharao. Er kam nach Süden. In Teudjoi angelangt, stieg er hinauf, fiel nieder vor Amun und ließ Brand- und (X 20) Trankopfer vor Amun darbringen. (Dann) ließ er sich in sein Haus in Teudjoi tragen, wo er mit Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, speiste. Er erzählte den Sachverhalt vor (X 21) Horudja mit den Worten: »Ich habe durchgesetzt, daß ich vor dem Pharao entlassen wurde.« Horudja sprach: »Laß das [nicht] diese Priester hier hören! Sie sind Schurken.« Peteese sagte zu ihm: »Schau, (XI 1) ich werde dich zu Sematauitefnacht, dem Schiffsmeister, bringen. Was bei dir mißlich (o. ä.) sein wird, sollst du ihm umgehend sagen.« Peteese sandte nach den älteren Brüdern (XI 2) der Priester und veranlaßte, daß sie in seiner Gegenwart speisten. Er verbrachte (einige?) Tage, indem er in Teudjoi rein war(?), 95) und segelte (dann) nach Theben. Wie sich der neidvolle Haß der Priester auf die Familie des Peteese entlud (Sommer 634): Im Jahr 31 (Psammetichs I., 634), dritter Monat der peret-Jahreszeit, 96) brachte man das Korn (XI 3) herauf, das für das Gottesopfer des Amun von Teudjoi (bestimmt) war, und schüttete es im Tempel aus. Die Priester versammelten sich im Tempel und sprachen: »Sagt bitte, bei Re, (XI 4) soll er weiterhin den fünften Teil des Gottesopfers nehmen? Dieser Feigling von Südländer ist in unserer Gewalt.« Sie befahlen einigen schurkischen Burschen: »Kommt (XI 5) am Abend mit euren Stöcken! Legt euch auf dieses Korn drauf und vergrabt darin eure Stöcke bis morgen!« Nun war es so, daß (XI 6) Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, zwei ausgewachsene Jungen hatte. Am Morgen kamen die Priester in den Tempel, um das Korn an die (vier) Phylen zu verteilen. Die beiden Jungen des Horudja, Sohnes des Peftjauawibastet,

95. 96.

Folgt man Agut-Labordère / Chauveau, Héros 170 und 338 (71), müßte man »er verbrachte einen reinen Tag« (als Feiertag) übersetzen, wobei »einen« als Zahlwort, nicht als unbestimmter Artikel, zu verstehen wäre (hrw 1). Der betreffende Monat (Phamenoth) begann am 28. Juli 634.

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Günter Vittmann (XI 7) kamen

(ebenfalls) in den Tempel und sagten: »Veranlaßt, daß (uns) der fünfte Teil zugemessen wird!« Da holten die jungen Priester ihre Stöcke aus dem Korn hervor. Sie umzingelten die beiden Jungen des Horudja und (XI 8) schlugen auf sie ein. Diese liefen vor ihnen in das Allerheiligste hinauf; sie liefen ihnen nach. Am Eingang der Kapelle des Amun holten sie sie ein, schlugen (XI 9) sie tot 97) und warfen sie in eine Krypta im Inneren der steinernen Plattform. Es traf sich, daß Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, nicht in Teudjoi war, (XI 10) er war (vielmehr) im Westen der Siedlung von Ta-qehi. 98) Neithemhet, Tochter des Peteese, die Mutter der beiden Jungen, ließ ihr Haus befestigen. (Als) (XI 11) Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, hörte, daß seine beiden Söhne getötet worden waren, legte er Trauerkleidung an. Er ging zum Obersten der Ma 99) von Ta-qehi und setzte ihn davon in Kenntnis. (XI 12) Der Oberste der Ma versammelte die Kalasirier 100) von Ta-qehi und brachte sie nach Teudjoi, indem sie mit ihren Schildern und Speeren gerüstet waren. Er stellte eine Wache um (XI 13) das Haus, in dem sich Neithemhet befand, auf. Horudja eilte in seinem Trauergewand nach Theben. Nachdem Horudja zu Peteese gelangt war, stieg Peteese (XI 14) mit seinen Kindern und seinen Leuten in sein Schiff, fuhr stromab und gelangte nach Teudjoi. Er fand überhaupt niemanden in Teudjoi vor außer den Leuten des Obersten der Ma, die (XI 15) das Haus, in dem Neithemhet war, auf allen Seiten bewachten. Peteese ging in den Tempel. Er fand im Tempel niemanden vor außer zwei alten Priestern (XI 16) und einem Türhüter. Sie liefen vor Peteese ins Allerheiligste davon. Peteese stellte Leute zu ihrer Bewachung ab. Er sandte nach Herakleopolis zu Sematauitefnacht, dem (XI 17) Schiffsmeister, bezüglich aller Geschichten, die sich zugetragen hatten, während Peteese in Teudjoi war. Der Schiffsmeister ließ einen General 101) kommen und sagte (zu ihm): »Geh und nimm alle Leute fest, von den Peteese (XI 18) dir sagen wird, daß du sie festnehmen lassen sollst!« Der General kam nach Teudjoi. Peteese ließ die beiden Priester festnehmen und fuhr mit ihnen stromab zum königlichen Palast. 102) (XI 19) Peteese sagte alles, was sie getan hatten, vor dem Pharao. Der Pharao ließ die beiden Priester bestrafen, und Peteese wurde vor dem Pharao entlassen. Peteese gelangte nach Herakleopolis (XI 20) und traf mit dem Schiffsmeister zusammen. Sematauitefnacht, der Schiffsmeister, sprach zu ihm: »Ich habe gehört, was dir diese feigen Bösewichter und üblen(?) Menschen von Teudjoi, die du reich gemacht hast, angetan haben.« (XI 21) Peteese sagte zu ihm: »Hast du nicht gehört, daß [der,] der den Wolf

97. Der Sachverhalt (Ermordung der Söhne, die den Anteil des Vaters einfordern) erinnert an das Gleichnis vom Weinbergbesitzer, dessen Sohn von den Bauern erschlagen wird: Mt 21,33-39; Mk 12,1-8; Lk 20,9-15; Thomas-Evangelium, Logion 65. 98. Der Name dieses im Gebiet von El-Hibeh / Teudjoi gelegenen Ortes bedeutet einfach »der Distrikt«. 99. Vorsteher einer libyschen Polizeitruppe (»Ma« bezeichnet einen libyschen Stamm). 100. Nach Herodot (II 164) gab es in Ägypten zwei Kriegerklassen, die Kalasirier und die Hermotybier. Diese Begriffe geben ägyptische Bezeichnungen wieder (gr-sˇr; rmt-dm), die beide im ¯¯ Papyrus Rylands 9 vertreten sind (für den zweiten vgl. XIX 13). Die Kalasirier hatten auch polizeiliche Funktionen. 101. Konventionelle Wiedergabe von mr-msˇ2 »Vorsteher des Heeres«. 102. Wörtlich »Haus des Pharaos« (pr pr-2 ); vgl. be¯t par2oh Gen 45, 16. ¯

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Texte aus Ägypten

ernährt, durch ihn umkommt? Bei Re, das ist es, was mir mit den Priestern des Amun von Teudjoi widerfahren ist!« Wie Peteese auf eine Bestrafung der Priester verzichtete, Teudjoi erneut reorganisierte und dort seinen Sohn Udjasemataui (I) etablierte (ca. 634 – nach 600): (XII 1) Es traf sich, daß Horudja, Sohn des Peftjauawibastet, mit Peteese in Herakleopolis war. Peteese faßte Horudja bei der Hand und brachte ihn (XII 2) vor den Schiffsmeister mit den Worten: »Hier ist mein Bruder aus Teudjoi. Möge der Schiffsmeister dem Obersten der Ma von Ta-qehi (XII 3) und dem Kommandanten von Ta-qehi befehlen, ihn bewachen zu lassen!« Sematauitefnacht sagte zu ihm: »Ich werde allen Leuten, die ich habe, befehlen, daß (je)der Mann von Teudjoi, (XII 4) den ihr finden werdet, zu mir gebracht werden möge, damit ich ihn im Gefängnis von Herakleopolis sterben lasse.« Peteese sprach zu ihm: »Möge der Schiffsmeister das nicht tun! (XII 5) Bei Amun! Der Lebensodem des Schiffsmeisters sei heil! Ich werde nicht nach Theben gehen, ohne Teudjoi (neu) gegründet und seine (XII 6) Leute wieder hineingebracht zu haben.« Der Schiffsmeister sprach: »Ich will Harsaphes, König der beiden Länder, lobpreisen lassen, 103) denn man sagt, daß deine frühere Liebe zu Teudjoi noch nicht (XII 7) erloschen ist.« Peteese sprach zu ihm: »Hüte dich! 104) Dein Lebensodem sei heil! Sehr große Götter sind es, die darin sind. Ein Haus, (XII 8) zu dem Amun-Re-Götterkönig, der große Gott, zu kommen pflegt, ist es. Zahlreich sind die göttlichen Dinge, die ich darin kennengelernt habe.« Der Schiffsmeister entließ Peteese. (Dies)er kam nach Süden und gelangte (XII 9) nach Teudjoi. Er verbrachte in Teudjoi (einige?) 105) Tage. Es geschah (nun), daß der Oberste der Ma mit fünfzig Kriegern nach Teudjoi kam. Er trat (XII 10) vor Peteese und erwies (ihm seine) Ehrerbietung. Der Oberste der Ma sprach zu Peteese: »Was für eine betrübliche Angelegenheit ist es, daß Euer Gnaden veranlaßt haben, daß mir der Schiffsmeister schrieb, (XII 11) die Leute des Peteese, die sich in Teudjoi befinden werden, sollten bewacht werden? Sind nicht Euer Gnaden derjenige, der uns ernährt hat? Als ich hörte, daß (XII 12) diese Priester unverschämt waren, kam ich da nicht sogleich, indem ich eine Wache um dieses Haus herum aufstellen ließ, weil (XII 13) sie (sonst) diese vornehme Dame unverschämt behandelt hätten. (Selbst) wenn Euer Gnaden mir sagten, ich solle bis nach Theben kommen, könnte ich mich dem widersetzen?« Peteese sagte zu ihm: »Amun wird (XII 14) dich am Leben erhalten! Ich habe veranlaßt, daß dir der Schiffsmeister schrieb, um zu verhindern, daß dir noch mehr Sorgen bereitet würden! Verrichte für mich folgenden Auftrag: Geh, ziehe durch den Gau von (XII 15) Oxyrhynchos und den Gau von Hardai 106), indem du nach den Leuten von Teudjoi verlangst, die du finden wirst! Versammle sie an den Platz, von dem (XII 16) sie wollen, daß ich (hin)komme! Ich will ihnen an ihm schwören, ihnen nichts antun zu lassen. Sage ihnen: ›Die Schmähung, die ihr begangen habt, habe ich (XII 17) euch vergelten las-

103. 104. 105. 106.

D. h. »Harsaphes (der Hauptgott von Herakleopolis) sei gepriesen«. Im Zusammenhang vielleicht als Ausruf im Sinne von »Gott bewahre!« Vgl. XI 2 und Anmerkung dazu. Kynopolis, Haupstadt des 17. oberägyptischen Gaues, unmittelbar südlich vom 19. (oxyrhynchitischen) Gau.

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sen. Wäre es angebracht, Amun den Rest dieser Burschen töten zu lassen, um seine Stadt veröden zu lassen?‹ « Peteese faßte den Obersten der Ma bei der Hand und (XII 18) nahm ihn zum Dromos des Amun. Er schwor vor ihm: »Welche Leute auch immer du zu mir bringen wirst, die zu Teudjoi gehören, ich werde nicht zulassen, daß ihnen etwas Böses getan wird. (XII 19) Ich werde ihnen schwören, daß ihnen nichts Böses getan werden soll. Ich binde mich vor dir deshalb eidlich, weil sie (sonst) gesagt hätten: ›Der Oberste der Ma verlangt nach (XII 20) uns, damit uns etwas Böses getan wird.‹« Der Oberste der Ma warf sich auf den Boden und erwies (ihm seine) Ehrerbietung. Der Oberste der Ma ging hinaus zu den Häusern des Gaues von (XII 21) Oxyrhynchos, des Gaues von Hermopolis und des Gaues von Hardai. Er versammelte die Leute von Teudjoi nach Hardai. (Dann) kehrte der Oberste der Ma zurück (XIII 1) nach Teudjoi. Er meldete dem Peteese, Sohn des Iturou: »Ich gelangte bis Hermopolis. Ich ließ bis Hermopolis keinen Mann von Teudjoi, den ich nicht nach Hardai gebracht hätte, das ist der Ort, auf den sie sich geeinigt hatten (XIII 2) mit den Worten: ›Möge man uns an ihm schwören! Möge Udjasemataui (I), 107) Sohn des Peteese, kommen! Möge er uns schwören, beziehungsweise einer von den Burschen, die bei Euer Gnaden sind!‹« Peteese sagte: »Bei Amun, ich (XIII 3) selbst werde kommen!« Peteese segelte nach Hardai. Er schwor den Priestern, den Türhütern und allen Leuten, die zu Teudjoi gehörten: »Ich werde nicht zulassen, daß euch etwas getan wird wegen einer Sache, (XIII 4) die vorbei ist.« Peteese kehrte mit den Leuten von Teudjoi, die er gefunden hatte, nach Teudjoi zurück. Ihre Frauen und ihre Kinder kamen alle (ebenfalls). Peteese ließ die Priester (XIII 5) in den Tempel versammeln und sprach zu ihnen: »O daß sie leben mögen! Habe ich euch (je) etwas getan außer etwas, das ihr gewollt habt? Wenn ich ausgesandt war, habe ich da etwas in der Art eines Machthabers getan? (XIII 6) Ihr habt mir gesagt: ›Vier Opfereinkünfte sind es, die dem Propheten des Horus, Herrn von Herakleopolis, und dem Propheten des Anubis, Herrn von Hardai, gegeben werden.‹ Ich habe euch gesagt: ›Diese sind es, die ihr mir geben sollt.‹ (XIII 7) Ihr habt gesagt: ›Eine Opfereinkunft ist es, die als Prophetenanteil gegeben wird.‹ Ich habe euch gesagt: ›Diese ist es, die ihr geben sollt.‹ Ich habe vier Opfereinkünfte im Namen des Anteils des Amunspropheten. Ich habe weitere 16 Opfereinkünfte im Namen (XIII 8) der (übrigen) Götter, deren Prophet ich bin, insgesamt 20 Opfereinkünfte. Ihr seid 20 Priester pro Phyle, (d. h.) eine Priesterphyle, und diese macht den fünften Teil des Gottesopfers aus.« 108) Die Priester zogen sich die Kleider (XIII 9) über den Hals, warfen sich vor Peteese zu Boden uns sagten: »Wissen wir denn nicht, daß es Euer Gnaden sind, die uns haben leben lassen, indem Euer Gnaden unsere (XIII 10) Stadt gegründet und sie den großen Häusern (Tempeln) Ägyptens gleichgemacht haben? Diese Burschen, die den (rechten) Weg ver107. Der Urgroßvater des Petenten Peteese (III). 108. Aus den Angaben des Papyrus ergibt sich, daß der Prophet zwanzigmal so viel wie ein einfacher Wab-Priester erhält: jeder bekommt ein htp, bei vier Phylen zu je 20 Priestern sind ˙ des »Gottesopfers«. Zu welchen Konflikdies also 80 htp, d. h. vier Fünftel der Opferstiftung, ˙ ten dieses Mißverhältnis führen konnte, zeigt Papyrus Rylands 9 immer wieder, am deutlichsten in dem in XI 4-9 geschilderten Mordfall.

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lassen haben, 109) mögen Euer Gnaden sie bringen lassen! Möge (XIII 11) man sie in ein Feuerbecken werfen! Die guten Dinge, die Euer Gnaden für Amun getan haben, sie bleiben bis in Ewigkeit.« Peteese sagte: »Die guten Dinge, die ich vor Amun getan habe – ich weiß sehr wohl, daß ich sie nicht (XIII 12) für eure Väter getan habe. Für Amun habe ich sie getan. Diese Priester, die meine Jungen getötet haben, könnte ich sie nicht herholen lassen? Aber ich ließ (lediglich) (XIII 13) ihre Väter bestrafen. Sie (selbst aber) überlasse ich Gott. Nachdem ich nun von euch hintergangen worden bin, obwohl ich bei Kräften bin und lebe, wird (XIII 14) (leicht) eine Zeit kommen können, da der Sohn von mir, der hier sein wird, 110) schwächer ist als ihr. Ihr werdet (dazu) fähig sein, ihn abzuweisen und seine Anteile, die in dieser Stadt sind, wegzunehmen. (XIII 15) Weiß man’s? Diese Stele, die ich machen ließ, indem ich sie ins Allerheiligste bringen ließ, habe ich machen lassen, bevor ich Priester wurde und bevor (XIII 16) mir diese Prophetenanteile, die in dieser Stadt sind, überschrieben wurden. 111) Ihr werdet sagen können: ›Du warst kein Priester auf ihr.‹« Die Priester sagten zu ihm: »Was ist es, was Euer Gnaden (XIII 17) sagen, daß man tun soll?« Peteese, Sohn des Iturou, sagte zu ihnen: »Ich werde eine Stele schreiben lassen auf der steinernen Plattform auf dem Weg, auf dem Amun ins Sanktuar gehen wird. (XIII 18) Ich werde die guten Dinge, die ich für Amun getan habe, darauf setzen, und ich werde meine Priesterämter darauf setzen.« 112) Die Priester sprachen: »Alles, was (XIII 19) gut ist für die Angelegenheiten von Euer Gnaden, möge getan werden! Wir werden die Tatsache erkennen, daß wir durch Euer Gnaden leben, wenn Euer Gnaden es tun lassen.« 113) Peteese ließ die Schreiber des Lebenshauses (XIII 20) und die Umrißzeichner holen und veranlaßte, daß sie die Stele auf der steinernen Plattform beschrifteten, indem er sagte: »Falls die Priester und die Notabeln, die kommen werden, um im Tempel zu inspizieren, sie (die Stele) sehen werden.« (XIV 1) Peteese, Sohn des Iturou, ließ sich an Bord bringen, indem er sprach: »Ich werde nach Theben segeln.« (XIV 2) Neithemhet, seine Tochter, weinte vor ihm, und antwortete: »Die Jungen, die umgebracht worden sind, sind (immer noch) im Tempel. Sie sind (noch) nicht herausgebracht worden.« (XIV 3) Peteese ging in den Tempel und ließ die beiden Jungen suchen. Man fand sie in einer Krypta des Allerheiligsten, 114) und er ließ (XIV 4) sie herunterholen. Man wickelte sie in Leinwandbinden. In der Stadt fand eine große Totenklage statt, und man bestattete die Jungen.

109. Vgl. G. Vittmann, Altägyptische Wegmetaphorik, Wien 1999; ders., Nachlese zur altägyptischen Wegmetaphorik, in: J. Hallof (Hg.), Auf den Spuren des Sobek. Festschrift für Horst Beinlich (Studien zu den Ritualszenen altägyptischer Tempel 12), Dettelbach 2012, 275-294. 110. Peteese denkt also an seinen künftigen Nachfolger im Amte, den in XIII 2 genannten Udjasemataui (I). 111. Es handelt sich also um die in VII 14. 17 erwähnte Stele, deren Wortlaut in XXI 12 – XXII 7 mitgeteilt wird. 112. Der angebliche Wortlaut dieser später zerstörten Stele (vgl. XVIII 15) wird in XXII 9 – XXIII 9 mitgeteilt, wo als Datum das Jahr 34 Psammetichs I. (631) angegeben wird. 113. Man beachte, mit welch unterwürfiger Scheinheiligkeit die Priester in XIII 9-19 insgesamt acht Mal die von uns mit »Euer Gnaden« wiedergegebene ehrende Anrede gebrauchen. 114. Vgl. XI 9.

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Peteese (XIV 5) kam, um an Bord zu gehen. Neithemhet weinte vor ihm und sagte: »Nimm mich mit dir nach Theben, (XIV 6) sonst werden mich diese Priester umbringen lassen!« Peteese sprach zu ihr: »(Das) werden sie nicht können. Bei Amun, sie sollen nie mehr aufhören, euch zu fürchten!« (XIV 7) Neithemhet sagte: »Wenn es so ist, daß du uns hierlassen willst, laß Udjasemataui (I), 115) Sohn des Peteese, hier bei mir bleiben, indem er den Kult (XIV 8) für Amun verrichtet.« Peteese ließ Udjasemataui, Sohn des Peteese, in Teudjoi wohnen und sprach zu ihm: »Nimm dir den Anteil des Propheten des Amun von Teudjoi und seiner Neunheit!« (XIV 9) Peteese ließ einen Papyrus holen und überschrieb dem Udjasemataui, Sohn des Peteese, die Ämter des Propheten des Amun von Teudjoi und seiner Neunheit. (XIV 10) Udjasemataui ließ sich mit seiner Schwester Neithemhet und ihrem Ehemann Horudja in Teudjoi nieder. Udjasemataui, Sohn des Peteese, lebte in Teudjoi, (XIV 11) indem er den Kult für Amun und seine Neunheit verrichtete und man ihm den fünften Teil des Gottesopfers des Amun gab. 116) Udjasemataui, [Sohn] des Peteese, ging und erschien vor (XIV 12) Sematauitefnacht, dem Schiffsmeister. Er sprach zu ihm: »Ich bin es, den Peteese in Teudjoi wohnen ließ, um den Kult für Amun und seine Neunheit zu verrichten. Er hat mir (XIV 13) den Anteil des Propheten des Amun und seiner Neunheit überschrieben.« Der Schiffsmeister ließ dem Udjasemataui einen goldenen Ring geben und sprach zu ihm: »Ich habe dir kein (XIV 14) Byssos geben lassen, weil der Empfang des Linnens des Amun (ohnehin) bei dir ist. 117) Unterlasse nicht, mir jederzeit deine Angelegenheit(en) mitzuteilen!« Udjasemataui, Sohn des Peteese, verbrachte die (XIV 15) Tage, die er (noch) lebte, indem er den Kult für Amun und seine Neunheit verrichtete, und man gab ihm den fünften Teil des Gottesopfers. Udjasemataui ging zu seinen Vätern. 118) (XIV 16) Peteese (II), Sohn des Udjasemataui, folgte ihm (im Amte) nach. Er verrichtete den Kult für Amun und seine Neunheit, und man gab ihm weiterhin den fünften Teil des Gottesopfers des Amun. Wie die Priester von Teudjoi Peteese (II) nach Syrien schickten und ihn um seine ererbten Pfründen brachten (592-589): Im Jahr 4 des (XIV 17) Pharaos Psammetich (II.) Neferibre (592) 119) sandte man zu den großen Tempeln von Ober- und Unterägypten folgendermaßen: »Der Pharao begibt sich ins Syrerland. Mögen (XIV 18) [die] Priester mit den Blumensträußen der Götter von Ägypten kommen, um sie mit dem Pharao ins Syrerland zu nehmen!« Man sandte (auch) nach Teudjoi (XIV 19) folgendermaßen: »Möge (ein) Priester mit dem Blumenstrauß des Amun kommen, um mit dem Pharao ins Syrerland zu gehen!« Die Priester 115. Also Neithemhets Bruder. 116. Zu dieser Praxis vgl. IX 13. 19; XI 4 u. ö. 117. Als ranghöchstem Priester des Tempels steht Udjasemataui ein Anteil an den Produkten der tempeleigenen Textilienwerkstätten zu, weshalb sich der Schiffsmeister ein derartiges Geschenk zur Amtseinführung ersparen kann. Zur Belehnung eines Beamten mit Siegelring und Byssos durch den Pharao bei der Investitur vgl. die Josephsgeschichte (Gen 41,42) und oben Anmerkung zu VI 6-7. 118. D. h. er starb, vgl. X 1 und Anmerkung hierzu. – Es fällt auf, daß der Tod des Vaters in dem Dokument nicht erwähnt wird. 119. Zu dieser Expedition vgl. schon III 16 und die Anmerkung hierzu.

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versammelten sich. Übereinstimmend (XIV 20) sprachen sie zu Peteese, Sohn des Udjasemataui: »Du bist es, der geeignet ist, mit dem Pharao ins Syrerland zu gehen. Es gibt niemanden in dieser Stadt, der (XIV 21) ins Syrerland gehen können wird, außer dir. Du bist doch ein Schreiber des Lebenshauses! Es gibt nichts, was sie dich fragen könnten, worauf du keine Antwort wüßtest. (XIV 22) Du bist ja der Prophet des Amun. Die Propheten der großen Götter von Ägypten sind es, die mit dem Pharao ins Syrerland gehen.« (So) überredeten sie (XV 1) Peteese, mit dem Pharao ins Syrerland zu gehen, und er rüstete sich aus. Peteese (II), Sohn des Udjasemataui, ging ins Syrerland, wobei niemand (XV 2) bei ihm war außer seinem Diener und einem Wächter 120) namens Usirmose. (Als) die Priester erfuhren, daß Peteese mit dem Pharao ins Syrerland gegangen war, (XV 3) gingen sie zu Horudja, Sohn des Harchebe, einem Priester des Sobek, der Vorsteher von Herakleopolis war, und sprachen zu ihm: »Sind sich Euer Gnaden dessen bewußt, daß der Anteil des Propheten des Amun von Teudjoi Anteil des Pharaos ist? Er gehört (XV 4) Euer Gnaden. Peteese (I), Sohn des Iturou, ein Amunspriester, hat ihn (an sich) genommen, als er Vorsteher von Herakleopolis war. 121) Nun ist er im Besitze des Sohnes seines Sohnes (Peteese II) bis auf den heutigen Tag.« Horudja, Sohn des Harchebe, sagte zu ihnen: »Wo ist er (denn), sein Sohn 122)?« (XV 5) Die Priester sprachen zu ihm: »Wir haben veranlaßt, daß er mit dem Pharao ins Syrerland geht. Laß (deinen Sohn) Ptahnefer, Sohn des Horudja, nach Teudjoi kommen, daß wir ihm den Anteil des Propheten des Amun überschreiben!« Horudja ließ (XV 6) Ptahnefer, Sohn des Horudja, 123) seinen Sohn, nach Teudjoi kommen. Sie überschrieben ihm den Anteil eines Propheten des Amun von Teudjoi und teilten die anderen sechzehn Anteile 124) auf die vier Phylen auf, vier Anteile auf eine Phyle. Sie suchten (XV 7) Ptahnefer, Sohn des Horudja, auf und holten ihn. Sie ließen ihn für die fünf Epagomenentage 125) (rituell) salben und veranlaßten, daß er den Kult für Amun verrichtete. Peteese (II), Sohn des Udjasemataui, kam aus dem Syrerland herab (XV 8) und gelangte nach Teudjoi. Man sagte ihm alles, was die Priester getan hatten. Peteese eilte nordwärts zum königlichen Palast, aber es wurde ein Mißerfolg für ihn (o. ä.). Man sagte zu ihm: »Der Pharao (XV 9) ist krank. 126) Der Pharao kann nicht herauskommen.« Peteese klagte dem Wesir 127) und den Richtern. Man holte Ptahnefer, Sohn des Horudja, und protokollierte ihre Aussagen vor Gericht. (XV 10) Ptahnefer sagte aus: »Diesen Anteil hat 120. ı’mj-wnw.t »Stundenbeobachter, Astronom; Wächter«. In II 10. 11 trifft eindeutig die letztgenannte Bedeutung zu, an der vorliegenden Stelle vermutlich ebenfalls. 121. Vgl. Anmerkung zu III 18. 122. D. h. der Enkel. 123. Dieser Pleonasmus erklärt sich aus der ägyptischen Aktensprache, die Personen vorzugsweise nach dem Schema »A Sohn des B« benennt. 124. Also Anteile, die seinerzeit Peteese (I) und seine Nachfolger innehatten (vgl. XIII 7-8). 125. Die letzten fünf Tage des ägyptischen Jahres, die zu den regulären 12 Monaten zu je 30 Tagen hinzukamen. 126. Wörtlich »der Feind des Pharaos ist krank«, also wieder mit euphemistischer Umschreibung. Psammetich II. starb nach nur sechsjähriger Regierungszeit 589; sein Nachfolger wurde sein Sohn Apries (589-570). 127. In der Saitenzeit (26. Dynastie) hat der Wesir (t tj) noch die aus früheren Zeiten bekannte ¯ Perserzeit, in der Peteese (III) seine Bittjudikative Funktion. In der nachfolgenden Ersten

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er genommen, als sein Vater Vorsteher von Herakleopolis war. 128) Es ist ein Anteil des Pharaos!« Peteese, Sohn des Udjasemataui, verbrachte viele Tage vor Gericht (XV 11) zusammen mit Ptahnefer, Sohn des Horudja. Peteese verlor den Prozeß. Er kam nach Süden und ging fort nach Theben, indem er (sich) sagte: »Ich werde gehen, es meine Brüder, (XV 12) die in Theben sind, wissen zu lassen.« Er fand die Kinder 129) des Peteese (I), Sohnes des Iturou, die Amunspriester in Theben waren, und erzählte ihnen alle Geschichten, die ihm mit den Priestern des Amun von Teudjoi widerfahren waren. (XV 13) Sie nahmen Peteese und ließen ihn vor den (anderen) Priestern des Amun erscheinen. Die Priester des Amun sprachen zu ihm: »Was willst du, daß wir tun?« Nun war es so, daß (XV 14) den Priestern des Amun gemeldet worden war, der Pharao Psammetich (II.) Neferibre sei verhindert. 130) »Schau, man sagte (uns), der Pharao sei verhindert, wir hätten (sonst) zum königlichen Palast bezüglich aller Dinge, (XV 15) die dir diese Priester des Amun angetan haben, gesandt. Aber du solltest Klage erheben vor dem Wesir. Diejenigen, die ihre Erklärungen im Gericht schriftlich gemacht haben, und dieser Priester des Sobek 131), der deinen Anteil nimmt, werden nicht (XV 16) säumen können, eine Angelegenheit von dir in dieser Zeit zu erledigen.« Die Priester ließen dem Peteese fünf Silber(deben) geben. Seine Brüder ließen ihm fünf weitere Silber(deben) geben, insgesamt zehn Silber(deben). Sie sprachen zu ihm: »Geh (XV 17) mit diesem Mann, der deinen Anteil nimmt, vor Gericht! Wenn du diese Geldbeträge aufgebraucht hast, komm, daß wir dir mehr Geld geben!« Peteese, Sohn des Udjasemataui, kam nach Norden (XV 18) und gelangte nach Teudjoi. Die Leute, mit denen er zusammentraf, sprachen zu ihm: »Es ist nutzlos, vor Gericht zu gehen. Dein Gegner ist vermögender als du. (Selbst) wenn (XV 19) du hundert Silber(deben) hättest, würde er gegen dich gewinnen.« Sie redeten dem Peteese ein, nicht vor Gericht zu gehen. Die Priester gaben (ihm) keine Opfereinkünfte (XV 20) von den sechzehn Anteilen, die [die] Priester auf die (vier einzelnen) Phylen aufgeteilt hatten. Die Priester, die (zum Tempelinneren) Zutritt hatten, verrichteten den Kult in ihrem Namen, und vier Opfereinkünfte gaben sie dem Ptahnefer (XVI 1) als Anteil des Amunspropheten vom Jahr 1 des Pharaos Apries (589) bis zum Jahr 15 des Pharaos Amasis (556). Wie der Feldervorsteher die Einkünfte der Priester von Teudjoi gravierend beschnitt (556): Im Jahr 15 des Amasis (556) kam der Feldervorsteher 132) (XVI 2) nach Herakleopolis. Er

128.

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schrift aufsetzte, wurde der Titel anscheinend abgeschafft; erst in der 30. Dynastie sind wieder Wesire belegt. Eine in dieser Form sehr unpräzise Aussage: Wenn Ptahnefer Peteese (I) im Auge hatte, wie dies im Hinblick auf XV 4 naheliegt, hätte es heißen müssen »als er Vorsteher von Herakleopolis war«, wobei dann wieder eine Verwechslung mit dem Schiffsmeister Peteese vorliegen dürfte (vgl. so III 18 und Anmerkung hierzu). Die Ausdrücke »Brüder« und »Kinder« sind nach ägyptischem Sprachgebrauch nicht immer genealogisch eindeutig zu verstehen. Die »Kinder« des Peteese (I) mögen Söhne und Enkel gewesen sein, waren dann also für Peteese (II) Onkel und Brüder. Ein erläuternder, die Rede der Priester aufsprengender Einschub. »Verhindert« (ssˇt) ist offenˆ sichtlich ein Euphemismus für »schwer krank« bzw. »gestorben«. Der Titel war vorher (XV 3) für den Vater des Ptahnefer angegeben worden, der Sohn wird ihn also geerbt haben. Wohl ein hoher Beamter der Zentralverwaltung; es konnte allerdings mehrere Titelträger gleichzeitig geben.

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ließ die Gauschreiber 133) von Herakleopolis holen und sprach zu ihnen: »Hat Hormaacheru, Sohn des Ptahirdis, eine Versorgung 134) (XVI 3) in diesem Gau?« Der Feldervorsteher war nämlich über Hormaacheru erzürnt. Peftjauawibastet, Sohn des Anchpachered, ein Gauschreiber, der kein Priester des Amun (XVI 4) von Teudjoi war, sagte zu ihm: »Hormaacheru, Sohn des Ptahirhdiis, hat keine Versorgung in diesem Gau. Wenn es aber so ist, daß der Feldervorsteher wünscht, (XVI 5) dem Hormaacheru etwas Böses antun zu lassen, werde ich veranlassen können, daß ihm etwas getan wird, worüber er sich mehr ärgern wird als über seine Versorgung.« Der Feldervorsteher sprach zu ihm: »Sag es!« Peftjauawibastet sagte zu ihm: (XVI 6) »Hormaacheru hat niemanden auf der Welt außer diesen Priestern des Amun von Teudjoi. 135) Er hat seine Brüder zu Priestern des Amun von Teudjoi gemacht. Es gibt eine Insel im Besitze der Priester des (XVI 7) Amun von Teudjoi. 484 Aruren Ackerland sind es, was ihnen auf ihr zugeeignet ist. Sie wird (insgesamt) 1000 Aruren Ackerland umfassen. Man brachte die Statue des Pharaos Amasis nach Teudjoi. 136) (XVI 8) Er veranlaßte, daß Ptahirdis, Sohn des Meribptah, für ihn Priester der Statue wurde. Er ließ der Statue des Pharaos {Amun von Teudjoi} 120 Aruren Ackerland zueignen, ohne daß (auch nur) eine (einzige) Arure Akkerland (XVI 9) der Statue des Pharaos, die nach Herakleopolis gebracht worden war, gegeben worden wäre.« Der Feldervorsteher segelte nach Süden, gelangte zu der Insel von Teudjoi und legte an (XVI 10) ihrem äußersten Ende an. Er ließ zwei Landvermesser hinaufsteigen und um die Insel herumgehen. Sie schlossen die Sand- und Baumgebiete in die Insel mit ein und machten (so), (XVI 11) daß sie 929 Aruren Ackerland ausmachte. Er konfiszierte die Insel von Teudjoi. Die 120 Aruren Ackerland für die Statue befanden sich in einer Örtlichkeit (namens) ›Das Feld von Schekek‹; 137) er konfiszierte sie (XVI 12) ebenfalls. Der Feldervorsteher rief nach dem General Maa-en-Wahibre 138) und sagte (zu ihm): »Mögen die Priester des Amun von Teudjoi 4000 (Sack) Korn (, die Oipe gemessen zu) 40 Hin, von der Ernte (XVI 13) dieser Insel, die (illegal) in ihrem Besitz war, geben!« Der General kam nach Teudjoi. Er bemächtigte sich der Speicher und ließ alles Korn, das er in den Speichern der Häuser fand, (XVI 14) zum Tempel transportieren. Es wurde beim Tempel unter Verschluß gelegt. Die Priester eilten nach Norden zum königlichen Palast. Der (XVI 15) Türhüter des Ptah, in dessen Haus sie speisten, sprach zu ihnen: »Es gibt keinen Mann des Pharaos, der euch protegieren können wird, außer Cherchons, Sohn des Hor. Er ist ein Mann, der

133. Vgl. VII 1. 134. Der hier gebrauchte geläufige, oft mit »Versorgung, Dotation; Pfründe« u. ä. übersetzbare Ausdruck s 2nh spielt eine zentrale Rolle in der hier S. 418-437 von M. Stadler übersetzten ˘ Kampf um die Pfründe des Inaros. Vgl. auch unten Setne 1, V 19 und AnErzählung vom merkung hierzu. 135. Hoffmann / Quack, Anthologie, 43 mit sinngemäßer Übertragung »Es gibt niemanden, der bei Harmachoros so (angesehen) ist wie diese Priester von El-Hiba.« 136. Zum Statuenkult der Könige der 26. Dynastie und ihrem Personal vgl. H. De Meulenaere, Les desservants du culte des rois saïtes, in: D. Devauchelle (Hg.), La XXVIe dynastie, 127-132. 137. Der Ort ist sonst nur noch von einer Schenkungsstele aus dem Jahr 589 bekannt (BM 952). 138. Der General Maa-en-Wahibre ist höchstwahrscheinlich mit dem »Festungskommandanten« gleichen Namens und zweiten Inhaber des Totenbuchpapyrus Louvre N 3091 identisch.

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sich (XVI 16) dem Pharao im Schlafgemach nähert(?) 139). Man sagt, daß es im königlichen Palast niemanden gibt, auf dessen Worte man hört wie auf seine.« Sie veranlaßten, daß (XVI 17) der Türhüter des Ptah den Harchebe, den Eunuchen 140) des Cherchons, holte. Sie trafen mit ihm zusammen und sagten zu ihm: »Wenn Cherchons uns in unseren Angelegenheiten protegiert und (XVI 18) durchsetzt, daß uns diese Insel, die dem Amun zugeeignet ist, zurückgegeben wird, werden wir ihm (als) Gesamtbetrag im einzelnen 300 (Sack) Korn, 200 Hin Rizinusöl, 50 Hin Honig und 30 Stück Geflügel insgesamt als seine (XVI 19) Opfereinkunft alljährlich geben. 141)« Harchebe ging und sagte es dem Cherchons. Cherchons sagte: »Diese Südländer reißen das Maul weit auf. Sie sollen es (XVI 20) mir (noch) in diesem Jahr geben. Wenn sie erfahren, daß ich sie protegiert habe, werden sie mir nicht(s) geben. Sage ihnen, daß ich Priester des Horus von Pe und der Uto 142) bin und einen Bruder habe, (der) Priester des (XVI 21) Horus von Pe ist. Überschreibt ihm ein Prophetenamt an eurem Hause und schreibt ihm (eine Urkunde), um (ihm) diese Dinge alljährlich als seine (des Amtes) Einkünfte zu geben, (XVII 1) dann will ich euch in euren Angelegenheiten protegieren!« Es traf sich (nun), daß sich Nikau 143), Sohn des Ptahnefer, der Priester des Sobek, der (jetzt auch) Prophet des Amun von Teudjoi war, in Memphis befand. (XVII 2) Die Priester gingen zu ihm und sprachen zu ihm: »Nikau, das Gottesopfer des Amun von Teudjoi zieht der Feldervorsteher zum ›Einkunftsfeld‹ 144)! (XVII 3) Wirst du uns protegieren können? Wenn nicht – schau, wir sind zu einem Beamten gegangen, und der hat zu uns gesagt: ›Überschreibt mir den Anteil des Propheten des Amun, (XVII 4) dann will ich euch in allen euren Angelegenheiten protegieren!‹ Und ist dir auch bewußt, daß wir es waren, die deinem Vater Ptahnefer, Sohn des Horudja, (XVII 5) den Anteil des Amunspropheten überschrieben haben, als sein Vater Horudja, Sohn des Harchebe, Vorsteher von Herakleopolis war? Es ist kein Anteil, der ihm (ohnehin) gehört hätte. Wir (XVII 6) gaben ihn ihm, damit er uns protegiert.« Nikau, Sohn des Ptahnefer, sprach zu ihnen: »Geht, überschreibt allen, die euch protegieren werden, den Anteil (XVII 7) des Amunspropheten! Sobek sei mit euch! Bringt mir den Papyrus, den ihr anfertigen werdet, damit ich unterschreibe!« Die Priester gingen zu Harchebe, (XVII 8) Sohn des Inaros, dem Mann des Cherchons, und überschrieben dem Psamtjekmenempe, Sohn des Hor, dem Bruder des Cherchons, den Anteil des Amuns139. Die genaue Bedeutung des Ausdrucks rmt ı’w=f th(?) r pr-2 , dessen Charakter als Titel durch ¯ ¯˙ Papyrus Kairo CG 50068 erwiesen wird ein weiteres Vorkommen in dem frühdemotischen (G. Vittmann, Two Early Demotic letters (P. Cairo 50068 and 50067+50087), in: C. ZivieCoche / I. Guermeur (Hg.), « Parcourir l’éternité. » Hommages à Jean Yoyotte, II, Turnhout 2012, 1075-1095, bes. 1077-1079), ist unklar, eine besondere Nähe zur Person des Königs ist aber evident. 140. Zum hier gebrauchten Ausdruck tkr vgl. Vittmann, aaO. 141. Man vergleiche das ähnliche, demˆ persischen Satrapen Arsames von den Juden von Elephantine unterbreitete Bestechungsangebot: B. Porten, The Elephantine Papyri in English, Second Revised Edition, Atlanta 2011, 152-153 (Text B22). 142. Uto (gräzisierte Namensform; auch künstlich als »Wadjit« vokalisiert) ist die Lokalgöttin von Pe / Buto im Nordwestdelta. Im P. Spiegelberg (II, 3-5) erhebt ein Prophet des Horus von Pe erblichen Anspruch auf die Pfründe des Amun, siehe unten. 143. Also ein Sohn des in III 19-20 und XV 5-20 passim erscheinenden Ptahnefer, der von seinem Vater die umstrittene Pfründe eines Propheten des Amun von Teudjoi geerbt hatte. 144. Land, dessen Erträge dem König zustehen.

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propheten. (XVII 9) Sie nahmen die Urkunde zu Cherchons. Cherchons, Sohn des Hor, klagte vor dem Pharao: »Mein Vater war (XVII 10) Prophet des Amun von Teudjoi, einem bekannten Hause im Gau von Herakleopolis. Der Feldervorsteher ging gegen ihn vor und konfiszierte (XVII 11) sein Gottesopfer. Er ließ alles, was in der Stadt war, wegnehmen, indem er die Absicht hatte, sie (die Priester) die Ernteabgabe für die Felder, die er konfisziert hatte, geben zu lassen.« Man brachte (XVII 12) den Feldervorsteher vor den Pharao. Er sagte: »Mein großer Herr! Ich fand eine Insel mitten im Fluß, gegenüber von Teudjoi. (XVII 13) Die Gauschreiber haben mir gesagt, sie würde 1000 Aruren umfassen. Ich ließ sie vermessen, sie umfaßte 929 Aruren Ackerland. 145) Beim Antlitz des Pharaos! 146) (XVII 14) Es geziemt sich nicht, sie zu einem Gottesopfer für einen Gott oder eine Göttin zu machen, sie ist (gerade) richtig für den Pharao! Sie wird auf 20 (Sack) Korn, (XVII 15) die (Oipe gemessen) zu 40 Hin, pro 1 Arure Ackerland kommen. 147) Ich fragte die Schreiber, ob sie dem Amun von Teudjoi zugeeignet sei. Sie sagten zu mir: ›484½ Aruren Ackerland (XVII 16) davon sind dem Amun zugeeignet.‹ Ich sagte zu den Amunpriestern: ›Kommt, daß ich es euch geben lasse neben 148) eurem Gottesopfer, (XVII 17) das im Feld des Festlands von Teudjoi ist!‹ (Aber) sie haben nicht auf mich gehört. (Was) Amun von Teudjoi (betrifft), so ist es das Gottesopfer eines (XVII 18) sehr großen Hauses, das ich in seinem Besitz vorfand. Ich fand 33½ (Sack) Korn, die (Oipe gemessen zu) 40 Hin, die dem Amun von Teudjoi täglich zugeeignet waren. Ich werde (XVII 19) sie (die Priester) davon 149) bezahlen.« Es waren viele Streitereien, die Cherchons und der Feldervorsteher vor dem Pharao (miteinander) hatten. Am (XVII 20) Ende war es so, daß der Feldervorsteher nicht dazu gebracht werden konnte, von der Insel von Teudjoi Abstand zu nehmen. Cherchons brachte ihn (lediglich) dazu, einen (XVIII 1) offiziellen Brief zu schreiben, um zu veranlassen, daß die 484½ Aruren Ackerland [als] Entschädigung für die (anderen) 484½ Aruren Ackerland, von denen man festgestellt hatte, daß sie (XVIII 2) dem Gottesopfer auf der Insel von Teudjoi zugeeignet waren, neben das Gottesopfer des Amun, das im Gefilde des Festlandes (XVIII 3) von Teudjoi war, gegeben würden 150), und daß man von dem Korn Abstand nähme, das aus Teudjoi gebracht worden war in der Absicht, es als Ernteabgabe (XVIII 4) der Insel von Teudjoi, die konfisziert worden war, zu nehmen 151).« Wie Udjasemataui (II) vor den Priestern von Teudjoi nach Hermopolis floh und wie diese nahezu alles, was an die Ansprüche der Peteese-Familie erinnerte, vernichteten (nach 556): Psamtjekmenempe, Sohn des Hor, der Bruder des Cherchons, kam nach Teudjoi. Er salbte (sich) (XVIII 5) für das Achmenu(-Fest?) und verrichtete den Kult für Amun. Sie gaben ihm die Dinge, von denen sie dem Cherchons gesagt hatten: »Wir werden sie dir 145. Vgl. XVI 7. 11. 146. Vgl. X 2 und Anmerkung dazu. 147. Ein Ertrag von ca. 20 Sack Korn (ca. 1600 l) pro Arure ist extrem hoch, üblicherweise werden 5-10 Sack, gelegentlich auch 12, veranschlagt. 148. Anders, jedoch m. E. unzutreffend, Hoffmann / Quack, Anthologie, 45 und 332 (u): (…) »um euer Opfergut (…) zu kompensieren(?)«. 149. Nämlich von dem beschlagnahmten Getreide (XVI 13). 150. Die Priester erhalten also auf dem Festland Ackerland im selben Umfang wie auf der konfiszierten Insel, allerdings höchstwahrscheinlich von minderer Qualität. 151. Vgl. XVII 12-13.

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geben.« 152) Psamtjekmenempe sagte zu ihnen: (XVIII 6) »Diesen Papyrus, den ihr mir über diesen Anteil des Amunspropheten gemacht habt, habe ich zum Gericht genommen. Ein Richter sagte zu mir: ›Er ist ungültig, (XVIII 7) weil es (ja nur) die Priester sind, die dich aufforderten, diesen Anteil zu nehmen. Hatte er (denn) keinen Eigentümer? Sein Eigentümer wird gegen dich (XVIII 8) zu einer anderen Zeit auftreten können und sagen, daß er (der Anteil) ihm gehört, und [man] wird ihn dir gegenüber ins Recht setzen.‹ Nun habe ich gehört, daß diesem Priester des Sobek 153), in dessen Besitz er war, wiederum die Priester (XVIII 9) ihn überschrieben hatten, als sein Vater Vorsteher von Herakleopolis war. Hatte er (denn) zuvor keinen Eigentümer?« (XVIII 10) Djedbastetiufanch, Sohn des Iher, der Lesonis, sprach zu ihm: »Ich werde dir seinen Eigentümer bringen und veranlassen, daß er ihn dir überschreibt.« Es geschah (nun), daß Peteese (II), Sohn des (XVIII 11) Udjasemataui (I), im Jahr 13 des Pharaos Apries (577) zu seinen Vätern ging. Udjasemataui (II), sein Sohn, lebte (aber noch). Ein Mann kam zu Udjasemataui (XVIII 12) und sagte: »Sie gehen gegen dich vor, um dich zu zwingen, den Anteil des Propheten des Amun dem Psamtjekmenempe, Sohn des Hor, zu überschreiben.« Udjasemataui ging (XVIII 13) mit seiner Frau 154) und seinen Kindern nachts fort auf ein Boot und setzte sich nach Hermopolis ab 155). Am (nächsten) Morgen hörten es die (XVIII 14) Priester und der Lesonis. Sie gingen in sein Haus, nahmen alles, was ihm gehörte, mit und rissen sein Haus und seinen Tempelplatz 156) ab. Sie ließen (XVIII 15) einen Steinmetz holen und ließen ihn die Stele, die Peteese (I), Sohn des Iturou, auf der steinernen Plattform hatte aufstellen lassen, 157) ausmeißeln. (Dann) gingen sie (XVIII 16) zu der anderen Stele aus Elephantinestein, die im Allerheiligsten war, 158) indem sie sagten: »Wir werden sie ausmeißeln lassen.« Der Steinmetz sprach: »Ich werde sie nicht ausmeißeln können. (XVIII 17) Nur ein Granitarbeiter(?) wird sie ausmeißeln können. Mein Werkzeug würde (dabei) stumpf werden.« Ein Priester sagte: »Laßt es (doch)! Schaut, niemand kann (XVIII 18) sie sehen. Außerdem hatte er sie machen lassen, bevor er Priester wurde und bevor ihm der Schiffsmeister Peteese (XVIII 19) den Anteil des Propheten des Amun überschrieb. 159) Wir werden ihn auf Grund dessen abweisen können, (indem wir) sagen: ›Dein Vater war kein Prophet des Amun!‹« Sie ließen (also) von der Stele aus (XVIII 20) Elephantinestein ab und meißelten sie nicht aus. (Dann) gingen sie zu seinen beiden Statuen aus temgi-Stein, 160) (zunächst zu der) einen (Statue) am Eingang der Kapelle (XVIII 21) des Amun, in deren Schoß eine 161) Statue des Amun war. Sie warfen sie in den Fluß. (Da152. D. h. »die Dinge, die sie dem Cherchons versprochen hatten«. 153. Gemeint ist Ptahnefer, Sohn des Vorstehers von Herakleopolis Horudja, vgl. XVII 5-6. Ptahnefer hatte den umstrittenen Anteil mehr als dreißig Jahre hindurch (von 589 bis 556) inne, s. XV 20 – XVI, 1. 154. Aus einem anderen Dokument des Archivs (Papyrus Rylands 8) ist als Frau von Udjasemataui (II) und Mutter des Petenten Peteese (III) eine Schepenese (Sˇp-(n-) s.t) bekannt. 155. Das Original gebraucht dasselbe Verbum (sˇm n=f »weggehen«) wie eben zuvor. 156. Vgl. II 7 und Anmerkung dazu. 157. Zur Errichtung dieser Stele siehe XIII 17-20; zu ihrem angeblichen Wortlaut XXII 9 – XXIII 9. 158. Vgl. VII 14-17. 159. Vgl. VIII 1-3. 160. Vgl. VII 17-19. 161. Wörtlich »ihre«; analog auch in XVIII 22.

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nach) gingen sie zu seiner anderen (Statue), die sich im Haus des Osiris am Eingang des Schreines des Osiris befand (XVIII 22) und in deren Schoß eine Statue war, und warfen sie (ebenfalls) in den Fluß. Wie Peteese (III) einen Teilerfolg erzielte (ca. 550-520): Udjasemataui (II) hörte alles, was ihm die Priester von (XIX 1) Teudjoi angetan hatten. Nun war da ein Rechnungsschreiber des Vorzimmervorstehers 162) mit Namen Imhotep, Sohn des Pascherenese, den der Vorzimmervorsteher hatte kommen lassen, (XIX 2) um die Angelegenheiten von Hermopolis in Erfahrung zu bringen. Udjasemataui (II), Sohn des Peteese, sprach zu seinem Sohn Peteese (III): »Da du doch zu schreiben pflegst, geh und schreibe mit Imhotep, Sohn des Pascherenese, diesem (XIX 3) Rechnungsschreiber des Vorzimmervorstehers! Wenn er deine Tüchtigkeit kennenlernt, wird er bei dem Vorzimmervorsteher Klage erheben können um deinetwillen und veranlassen, daß wir protegiert werden.« (XIX 4) Peteese ging und schrieb mit Imhotep, Sohn des Pascherenese. Er erledigte die Angelegenheiten, die schriftlich festzustellen man ihn nach Hermopolis geschickt hatte. Ich 163) ging (XIX 5) mit Imhotep nach Memphis. Er ließ die Schreiber des Vorzimmervorstehers die Angelegenheiten von Hermopolis aufzeichnen und erstattete dem Vorzimmervorsteher darüber Bericht. Der Vorzimmervorsteher behandelte ihn freundlich. 164) (XIX 6) Imhotep klagte dem Vorzimmervorsteher: »Ich habe einen Bruder, 165) der ist Priester des Amun von Teudjoi. Djedbastetiufanch, Sohn des Iher, der Lesonis des Amun (XIX 7) von Teudjoi, ging mit seinen Brüdern in sein Haus und seinen Tempelplatz. Sie nahmen alles, was ihm gehörte, mit und rissen sein Haus und seinen Tempelplatz ab.« 166) (XIX 8) Der Vorzimmervorsteher ließ einen Brief an Herbes, Sohn des Paneferiu, den (Vorsteher) von Herakleopolis, verfertigen mit den Worten: »Der Schreiber Imhotep, (XIX 9) Sohn des Pascheriset, der mir unterstellt ist, hat mir folgendermaßen geklagt: ›Ich habe einen Bruder, der ist ein Priester des Amun von Teudjoi; Peteese (III), Sohn des Udjasemataui (II), ist sein Name. Djedbastetiufanch, Sohn des Iher, (XIX 10) der Lesonis des Amun, ging mit seinen Brüdern in sein Haus und seinen Tempelplatz. Sie nahmen alles mit, was dort war, und rissen sein Haus und seinen (XIX 11) Tempelplatz ab.‹ Sobald dich dieser Brief erreicht, geh nach Teudjoi! Veranlasse, daß man alle Leute festnimmt, von denen Peteese, Sohn des (XIX 12) Udjasemataui, dieser Priester, dir sagen wird, daß du sie festnehmen lassen sollst! Laß sie gefesselt(?) in das Haus bringen, in dem ich bin!« Er ließ eine Kopie davon (XIX 13) für Psamtjekawineith, den General, der im Gau von

162. Der »Vorsteher des Vorzimmers« (mr-rw.t) war Inhaber eines hohen und einflußreichen Amtes in der Residenz. Der in P. Rylands 9 ohne Namensangabe erwähnte Amtsinhaber könnte jener Ahmosesaneith, kurz auch Ahmose, gewesen sein, der durch Belege aus der 26. und noch der 30. Dynastie bezeugt ist (vgl. Vittmann, Papyrus Rylands 9, 656-657). 163. Ab hier spricht Peteese (III), der Schreiber und Verfasser des ganzen Dokuments, in der ersten Person. 164. Wörtlich etwa (…) »sagte zu ihm Gutes«. 165. Wiederum im erweiterten Sinne von »Kollege« o. ä. In XIX 9 wird dieser »Bruder« ausdrücklich als Peteese (III), Sohn des Udjasemataui (II) identifiziert. 166. Vgl. die analogen Berichte in XVIII 14 und in XIX 10-11.

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Herakleopolis war, anfertigen. Man gab die Briefe einem Hermotybier 167) mit. Er kam (XIX 14) mit mir nach Herakleopolis. Wir gelangten zu dem (Vorsteher) von Herakleopolis und dem General und erschienen vor ihnen im Archiv. Sie lasen die Briefe (XIX 15) des Vorzimmervorstehers. Herbes, der (Vorsteher) von Herakleopolis, sagte: »Bei Osiris, Djedbastetiufanch, der Lesonis des Amun von Teudjoi, ist nicht in diesem Gau! (XIX 16) Ich habe gehört, daß er nach Buto gegangen ist, um Hor, den Vater des Cherchons, der zu seinen Vätern gegangen ist, zu betrauern.« Er rief (XIX 17) nach seinem Diener Peteharsaphes und sagte (zu ihm): »Geh nach Teudjoi! Nimm 50 Mann mit dir! Laß alle Leute festnehmen, von denen Peteese (III), der Priester, (XIX 18) sagen wird, daß du sie festnehmen lassen sollst! Laß sie festnehmen und bringe sie gefesselt(?) zu mir!« (Auch) der General rief nach seinem Diener und sagte (zu ihm): »Geh nach Teudjoi! Nimm viele Männer (XIX 19) mit dir! Laß die Leute herbeibringen, von denen Peteese (III), Sohn des Udjasemataui, sagen wird, daß du sie festnehmen lassen sollst, und bringe sie (XIX 20) gefesselt(?) zu mir!« Wir kehrten in zwei Schiffen nach Teudjoi zurück, (aber) Djedbastetiufanch, den Lesonis, fanden wir in Teudjoi nicht. (XIX 21) Seine Brüder, die wir fanden, wurden festgenommen und nach Herakleopolis vor den (Vorsteher) von Herakleopolis und den General gebracht. Sie jammerten (XX 1) vor dem (Vorsteher) von Herakleopolis und dem General: »Beim Pharao, wir haben kein Eigentum von Peteese genommen, und wir haben kein Haus von ihm abgerissen! (XX 2) Psamtjekmenempe, Sohn des Hor, der Prophet des Amun, ist es, der sein Haus und seinen Tempelplatz hat abreißen lassen!« Der (Vorsteher) von Herakleopolis sprach: »Peteese, da (XX 3) man ja den Djedbastetiufanch, den Lesonis, nicht gefunden hat, was für einen Nutzen hast du davon, diese Priester zum Vorzimmervorsteher bringen zu lassen? Sie werden (ja doch nur) gehen und vor dem Vorzimmervorsteher sagen: (XX 4) ›Wir haben kein Eigentum von dir genommen, und wir haben nicht veranlaßt, daß ein Haus von dir abgerissen wird.‹« Ich sagte zu dem (Vorsteher) von Herakleopolis: »Hat Imhotep, der (XX 5) Schreiber des Vorzimmervorstehers, mich vor dem Vorzimmervorsteher erscheinen lassen, indem er in meiner Gegenwart dem (Vorsteher) von Herakleopolis und dem General hat schreiben lassen, Euer Gnaden sollen veranlassen, daß (XX 6) meine Angelegenheit hier im Gau zunichte gemacht 168) wird?« Der (Vorsteher) von Herakleopolis ergriff meine Hand, nahm mich beiseite und sagte zu mir: »Bei Osiris, ich liebe dich mehr als diese Priester! (XX 7) Es ist (aber) so, daß Cherchons (fast schon) darangegangen wäre, mit dem Vorzimmervorsteher wegen dieser Priester zu reden und durchzusetzen, daß man sie (gehen) ließe und deine Sache (XX 8) verloren wäre. Schau, der private Brief, den mir Imhotep deinetwegen hat bringen lassen, ist es, auf Grund dessen ich für deine Angelegenheit entflammt bin. (Dieser Brief lautet) folgendermaßen: (XX 9) ›Er ist mein Bruder. Veranlasse, daß man ihn bewacht! Veranlasse, daß der Sache, in der er zu dir kommt, Bedeutung beigemessen wird!‹ (Was) diese Priester (betrifft, so) werde ich veranlassen,

167. Vgl. Anmerkung zu XI 12. 168. Lies mit Chauveau, BiOr 61 (2004) 36 grp statt bisher prp; die allgemeine Bedeutung ergibt sich aus dem Kontext.

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daß sie dir 10 Silber(deben) … 169) geben. (XX 10) Ich werde veranlassen, daß sie dir außerdem vor Harsaphes und vor Osiris von Nenaref 170) schwören mit den Worten: ›Wir haben kein Eigentum von dir genommen, und wir haben kein (XX 11) Haus von dir abgerissen‹. Ich werde veranlassen, daß sie außerdem diesen Mann des Vorzimmervorstehers, der vor dir ist, ausrüsten.« Herbes, der (Vorsteher) von Herakleopolis, (XX 12) überredete mich, von den Priestern Abstand nehmen zu lassen. Der (Vorsteher) von Herakleopolis sprach zu den Priestern: »Schaut, ich habe Peteese überredet, von euch Abstand nehmen zu lassen. Ihr sollt ihm zwanzig Silber(deben) geben.« Sie schrieen auf: (XX 13) »Wir werden ihm keine fünf Silber(deben) geben können!« Ich sagte zu dem (Vorsteher) von Herakleopolis: »Der Lebensodem von (XX 14) Euer Gnaden sei heil! 171) Sie haben Balken und Türen dieser Häuser, die sie abgerissen haben, im Wert von zehn Silber(deben) mitgenommen. Sie haben Steinarbeit im Wert von weiteren zwanzig Silber(deben) in ihnen ruiniert.« (XX 15) Der (Vorsteher) von Herakleopolis sprach zu ihnen: »Bei Osiris, ich habe alles gehört, was ihr ihm angetan habt! Wenn man euch zum Vorzimmervorsteher bringt, werden euch (selbst) fünfzig Silber(deben) nicht herausholen. (XX 16) Laßt ihm (wenigstens) zehn Silber(deben) geben! Ich will machen, daß er euch die übrigen zehn Silber(deben) erläßt. Und schwört ihm: ›Wir haben kein Eigentum von dir genommen, (XX 17) und wir haben nicht veranlaßt, daß (etwas weg)genommen wird. Wir haben dein Haus und deinen Tempelplatz nicht abreißen lassen.‹« Am Ende war es so, daß (XX 18) die Priester für die zehn Silber(deben) bürgen mußten und mir den Eid vor Harsaphes und vor Osiris leisteten, dem Mann des Vorzimmervorstehers, der vor mir war, ein Silber(deben) gaben, (XX 19) mich von den Priestern Abstand nehmen ließen und der (Vorsteher) von Herakleopolis zu mir sagte: »Sei unbesorgt! 172) Bei Osiris, wenn Djedbastetiufanch, (XX 20) der Lesonis, nach Süden kommt, werde ich veranlassen, daß er dir die Differenz des Betrags, den dir diese Priester gegeben haben, erstattet! Ich selbst will dir meine Gunst bezeugen. Bei Re, (XXI 1) ich habe gehört von den Schäden, die sie dir zugefügt haben! Ich habe nur deshalb nicht veranlaßt, daß diese Priester zum Vorzimmervorsteher gebracht werden, damit nicht Cherchons (XXI 2) deine Sache abweisen lassen kann und deine Sache (dadurch) zu Fall kommt.« Der (Vorsteher) von Herakleopolis und der General entließen mich. Ich ging nach Hermopolis 173) (XXI 3) und brachte meinen Vater Udjasemataui (II), meine Mutter, meine Brüder und meine Leute allesamt nach Teudjoi zurück. Wir ließen Ziegel streichen (XXI 4) und unser Haus (neu) bauen. Sein Untergeschoß wurde vollendet, und wir wohnten in ihm (im Haus). Sein Tempelplatz (jedoch) (XXI 5) ist abgerissen bis auf den heutigen Tag.

169. Unklare Zeichengruppe. Statt des früheren Lesungsvorschlags ı’t 50 »50 (Sack) Gerste« ist möglicherweise (n) n dnj.t »mesurés avec les poids (exacts)« – so die neue Übersetzung von Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 189 – zu verstehen. 170. Kultstätte des Osiris in der Region von Herakleopolis. 171. Vgl. I 4. XII 5. 7. 172. Vgl. IV 15 und Anmerkung dazu. 173. Dorthin war Udjasemataui (II) mit seiner Familie geflohen, vgl. XVIII 13.

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Wenige Tage darauf ging Cherchons zu hseineni Vätern. (XXI 6) Psamtjekmenempe, Sohn des Hor, ist bis heute nicht nach Teudjoi gekommen. Er pflegte jemanden nach seinem Eigentum auszuschicken (XXI 7) bis zum Jahr 44 des Amasis (527). Im Jahr 3 des Kambyses (526) 174) kam Hor, Sohn des Psamtjekmenempe, nach (XXI 8) Teudjoi. Er traf mit den Priestern zusammen, (aber) sie ignorierten ihn völlig 175) und ließen ihm keine Rationen übergeben. Sie gingen zu (XXI 9) Pascheriah, Sohn des Inaros, dem Bruder des Harchebe-usigem(?), und überschrieben ihm im Jahr 4 des Kambyses (525) den Anteil des Propheten des Amun von Teudjoi.

Teil C: Die beiden von Peteese (I) im Jahr 14 und 34 Psammetichs I. errichteten Stelen: 176) (XXI 10) Abschrift

dieser beiden Stelen aus Elephantinestein, die Peteese (I), Sohn des Iturou, machen ließ. Im einzelnen: Die Stele vom Jahr 14 Psammetichs I. (651): dieser Stele aus Elephantinestein, die im Dromos des Amun ist. Im Detail:

(XXI 11) Abschrift

Das folgende in hieratischer Schrift und spätmittelägyptischer Sprache: 14, dritter Monat der Achet-Jahreszeit, 177) unter der Majestät des Horus ›Mit großem Herzen‹, die Beiden Herrinnen ›Herr des Armes‹, Goldhorus ›Der Tapfere‹, König von Ober- und Unterägypten Wahibre, Sohn des Re Psammetich, (XXI 13) lebend wie Re ewiglich. Seine Majestät befriedete das Land, wehrte seine Rebellen ab und versorgte alle Tempel von Ober- und (XXI 14) Unterägypten. Da sprachen sie vor dem Ersten Propheten des Harsaphes, des Königs der beiden Länder, dem Propheten des Osiris von Naref 178) an seiner Stätte, dem Vorsteher der Propheten (XXI 15) des Sobek von Krokodilopolis, 179) dem Propheten des Amun-groß-an-Ruf 180) und seiner Neunheit, dem Schiffsmeister des ganzen Landes Peteese, Sohn des Anchscheschonk: (XXI 16) »Der Tempel des Amun-groß-an-Ruf ist infolge der Abgaben, die auf ihm lasten, im Verfall begriffen.« Ein ihm zugehöriger Beamte, der (XXI 17) inmitten dieser Stadt ist, Peteese (I), Sohn des Iturou, seine Mutter ist Tadebehuneith, ließ es ihn hören. Da (XXI 18) warf sich dieser (XXI 12) Jahr

174. Zum revidierten Datum s. J. F. Quack, Zum Datum der persischen Eroberung Ägyptens unter Kambyses, Journal of Egyptian History 4 (2011) 228-246, besonders (auf Grund dieser Passage) 236-238. 175. Wörtlich »Sie redeten nicht mit ihm in der Weise eines Menschen auf Erden.« 176. Zu möglichen Manipulationen durch Peteese (III) vgl. G. Vittmann, Eine mißlungene Dokumentenfälschung. Die »Stelen« des Peteese I (P. Ryl. 9, XXI – XXIII), Egitto e Vicino Oriente 17 (1994) 301-315. 177. 3. April-2. Mai 651. 178. Zu Naref bzw. Nenaref vgl. XX 10. 179. Vgl. Anmerkung zu VIII 19. 180. Bzw. »Groß an Geschrei«, die spezielle im Tempel von Teudjoi / El-Hibeh verehrte Form des Amun.

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Beamte zu Boden und sprach: »Wenn du die Abgaben des Tempels des Amun-großan-Ruf abschaffst, dann (XXII 1) wird dir diese ganze Stadt dienen, indem es ihr an nichts fehlt.« Dieser Beamte legte es in sein (des Schiffsmeisters) Herz, sich diese Stadt loyal zu machen. 181) Da beriet sich dieser General (der Schiffsmeister) über diese Abgaben mit allen Schreibern aller ihm zugehörigen Städte (XXII 2) und allen Bevollmächtigten desgleichen. Da wurde gesagt: »Es wurde früher nicht getan.« Da zürnte er deswegen. Dann sandte dieser General den ihm zugehörigen Beamten nach Süden, (ihn,) der inmitten dieser Stadt ist, Peteese (I), (XXII 3) Sohn des Iturou, mit den Worten: »hLaßi nicht hzui, daß Abgaben gegeben werden im Tempel des Amun-groß-an-Ruf auf immer und ewig, (denn auch) früher ist es nicht getan worden! Alle Priester und alle Angestellten sind (XXII 4) auf ewig befreit von Abgaben(erhebung) durch jegliche Beamten, jegliche Boten, jegliche Bevollmächtigten, jegliche Polizisten.« Er tat es, um diesen Tempel und diejenigen, die in ihm sind, zu beschützen, damit sie für ihn (wie) Kälber auf der (XXII 5) Weide seien. Was den betrifft, der dieses Dekret 182) dauern läßt, der wird in der Gunst des wohltätigen Widders 183) sein, indem sein Name bleibt, sein Sohn ihm nachfolgt 184) und sein Haus auf seinem Fundament dauert. Was (aber) den betrifft, der sich diesem Dekret widersetzt, der ist (bestimmt) (XXII 6) für das Gemetzel und das Unheil in der großen Gerichtshalle, die in Herakleopolis ist, er ist (bestimmt) für das Messer der HenebSchlange, 185) die inmitten von Naref ist, sein Sohn soll vergehen, sein Haus soll nicht existieren, seine Glieder sollen (rituell) verbrannt werden. (XXII 7) Er ist (bestimmt) für das Feuerbecken des Auges des Re 186) inmitten des Hügels der kaka-Pflanze 187), und sein Name soll nicht sein unter den Lebenden ewiglich. Demotische Überschrift zur Kopie der zweiten Stele: der ausgemeißelten Stele auf der steinernen Plattfom. Im Detail:

(XXII 8) Abschrift

Das folgende wieder in hieratischer Schrift und spätmittelägyptischer Sprache; wir kennzeichnen Änderungen und Zusätze gegenüber der Kopie der älteren Stele in Fettdruck; Auslassungen werden in den Anmerkungen notiert: (XXII 9) Jahr

34, dritter Monat der Achet-Jahreszeit, 188) unter der Majestät des Horus ›Mit großem Herzen‹, die Beiden Herrinnen ›Herr des Armes‹, Goldhorus ›Der Tapfere‹, König von Ober- und Unterägypten Wahibre, Sohn des Re Psammetich, lebend wie Re ewiglich. 181. 182. 183. 184. 185. 186.

Wörtlich »diese Stadt auf sein Wasser zu geben«. Bzw. »diese Stele«; lexikalisch besteht kein Unterschied. Epitheton des als Widder vorgestellten Gottes Harsaphes. Wörtlich »der Sohn ist auf seinem (des Vaters) Platz«. Hnb, göttliche Schutzschlange von Herakleopolis. ˙ Gemeint ist hier die Lokalgöttin Aait-Bastet, die auch mit dem »Hügel der k k -Pflanze« verbunden wird, vgl. C. Leitz, Das Ichneumonweibchen von Herakleopolis – eine Manifestation der Bastet, SAK 38 (2009) 161-171. 187. Die von Keimer und anderen vertretene Identifizierung mit Rizinus hat sich als unhaltbar erwiesen, doch bleibt die Bestimmung unklar; vgl. Leitz, SAK 38 (2009) 167 Anm. 45. 188. 29. März – 27. April 631.

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Günter Vittmann (XXII 10) Seine Majestät befriedete das Land, wehrte seine Rebellen ab und versorgte alle Tempel von Ober- und Unterägypten. Da sprachen sie vor dem Ersten Propheten des Harsaphes, des Königs (XXII 11) der beiden Länder, dem Propheten des Osiris von Naref an seiner Stätte, dem Vorsteher der Propheten des Sobek von Krokodilopolis, 189) dem Schiffsmeister des ganzen Landes, Peteese, Sohn des Anchscheschonk: »Der Tempel des Amun-(XXII 12) groß-an-Ruf ist infolge der Abgaben, die auf ihm lasten, im Verfall begriffen.« Ein ihm zugehöriger Beamte, der inmitten dieser Stadt ist, Gottesvater des Amun-Re-Götterkönigs, Prophet des Amun-Re (XXII 13) im chenti von Theben(?) 190), hesek-Priester, imi-is-Priester 191), Tänzer des Hundskopfaffen(?) 192), liebender Sohn 193), Diener der Neith, Prophet des Amun-großan-Ruf, Herrn der großen Felswand, und seiner Neunheit, (XXII 14) Prophet des Osiris, Prophet des Sokar, Prophet der Isis, Prophet des Amun, Königs der beiden Länder (und von?) Wendeb 194) und seiner Neunheit, Inspektionsschreiber, Tempelschreiber, Vertreter dieses Gottes (Amun) Peteese (I), (XXII 15) Sohn des Iturou, seine Mutter ist Tadebehuneith, ließ es ihn hören. Da warf sich dieser Beamte zu Boden und sprach: »Wenn du die Abgaben des Tempels des (XXIII 1) Amun-groß-an-Ruf abschaffst, dann wird dir diese g[anz]e Stadt dienen, indem es ihr an nichts fehlt.« Dieser Beamte legte es in sein (des Schiffsmeisters) Herz, sich diese Stadt loyal zu machen. Da (XXIII 2) beriet sich dieser General (der Schiffsmeister) über diese Abgaben mit allen Schreibern aller ihm zugehörigen Städte und allen Bevollmächtigten desgleichen. Da wurde gesagt: »Es wurde früher nicht getan.« Da (XXIII 3) zürnte er deswegen. Dann sandte dieser General den ihm zugehörigen Beamten nach Süden, (ihn,) der inmitten dieser Stadt ist, Peteese (I), den (Sohn) des Iturou, (XXIII 4) mit den Worten: »Laß nicht zu, daß Abgaben gegeben werden im Tempel des Amun-groß-an-Ruf auf immer und ewig, (denn auch) früher ist es nicht getan worden! Alle Priester und (XXIII 5) alle Angestellten sind auf ewig befreit von Abgaben(erhebung) durch jegliche Beamten, jegliche Boten, jegliche Bevollmächtigten, jegliche Polizisten.« Er tat es, um diesen Tempel (XXIII 6) und diejenigen, die in ihm sind, zu beschützen, damit sie für ihn (wie) Kälber auf der Weide seien. Was den betrifft, der dieses Dekret dauern läßt, der wird in der Gunst des Amun-Re(XXIII 7) Götterkönigs und des wohltätigen Widders sein, indem sein Name bleibt, sein Sohn ihm nachfolgt und sein Haus auf seinem Fundament dauert. Was (aber) den betrifft, der sich diesem Dekret widersetzt, der ist (bestimmt) für das Gemetzel und (XXIII 8) das Unheil in der großen Gerichtshalle, die in Herakleopolis ist, er ist (bestimmt) für das Messer der Heneb-Schlange, die inmitten von Naref ist, sein Sohn soll vergehen, sein Haus soll nicht existieren, (XXIII 9) seine Glieder sollen (rituell) verbrannt werden. Er

189. Der in XXI 15 eingefügte Titel »Prophet des Amun-groß-an-Ruf und seiner Neunheit« fehlt hier. 190. Das Wort hntj bezeichnet offenbar eine nicht näher bestimmbare Baulichkeit; Wsr.t könnte ˘ eine Schreibung für W s.t »Theben« sein. 191. Speziell in Abydos und Achmim, aber auch anderswo belegte Priestertitel. 192. Der Titel jhb qnd – die Lesung des zweiten Bestandteils ist an unserer Stelle nicht ganz sicher – ist in Achmim gut bezeugt. 193. Herakleopolitanischer Priestertitel. 194. Unbekannter Ortsname.

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ist (bestimmt) für das Feuerbecken des Auges des Re inmitten des Hügels der kakaPflanze, und sein Name soll nicht sein unter den Lebenden ewiglich.

Teil D: Drei ›Psalmen‹

Die drei vorgeblich von Amun verfaßten bzw. inspirierten Lieder, die die beiden letzten Kolumnen (XXIV-XXV) einnehmen, sind wieder in demotischer Schrift und Sprache niedergeschrieben. Es handelt sich hierbei um die früheste (nur) demotisch überlieferte Dichtung. 195) (XXIV 1) Abschrift

der Lieder, die Amun machte, als er zu diesen ausgemeißelten Stelen gelangte, indem er sich in das Sanktuar seines erhabenen Schreines begab, (XXIV 2) während er sich hinabwandte und dem Vorsteher der Sänger zunickte:

Das erste Lied: Die Zeugnisse der Bösen sind in (sieht man an) ihren Kindern. 196) Wer (XXIV 3) von ihnen erfolgreich ist 197), sagt nicht »Gott« zu dir. Die (Leute) von Abydos werfen Steine(?) nach ihnen. Die von Achmim (sagen): »Bringt sie nicht herauf!« Hitzig sind sie und zahlreich im (XXIV 4) Verüben von Verbrechen, indem sie so sprechen: »Amun schweigt zu uns.« Er schweigt aber nicht zu ihnen. Sie sind (wie) Vögel: Sie haben ein Kräuterfeld gefunden, (aber) sie haben sich nicht (XXIV 5) gemäßigt. 198) Wegen ihres Bauches wird man sie fangen. Das zweite Lied: Ein anderes Lied: Amun, wenn sie rufen (XXIV 6) zu dir, wende dich nicht um, um den ›hHieißen‹ gnädig zu sein! 195. Vgl. dazu M. A. Stadler, Einführung in die ägyptische Religion ptolemäisch-römischer Zeit nach den demotischen religiösen Texten, Berlin 2012, 72-74. Trotzdem wird man um die übliche, durch Parallelen gestützte Annahme, daß die Lieder nach dem expliziten Eigenverständnis des ägyptischen Textes von Amun verfaßt – d. h. inspiriert – wurden, nicht rütteln können. Daß die Lieder »also nur fiktiv von Amun« sind und die »Intention, den Anspruch Peteeses zu untermauern« verfolgen (aaO 74), ist objektiv natürlich klar. 196. Vgl. »Wie die Mutter, so die Tochter« (Ez 16, 44), d. h. »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« 197. Wörtlich »wessen Hand (das Ziel) erreicht«, unter Verwendung einer im Demotischen gebräuchlichen Metapher für »Erfolg haben«, wie sie in vergleichbarer Verwendung auch das Ägyptisch-Aramäische kennt (B. Porten / A. Yardeni, Textbook of Aramaic Documents from Ancient Egypt, I. Letters, Winona Lake 1986, 16 [A2.4:4 kdy mt’h ydy »soweit ich kann«]; 20 ˙ [A2.6:5-6 kzy tmt’h ydky »soweit du kannst«]). ˙ 198. Wörtlich »Sie haben ihrem Herzen nicht Kühle gegeben.« Der im Herzen »Kühle« entspricht einem Ideal der ägyptischen Weisheitslehren, wie es auch in das biblische qar-ru¯ah Spr 17,27 ˙ eingegangen ist.

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Schlecht sind ihre Herzen, böse sind ihre Augen. Zahlreich sind die Bösen unter ihnen, süß ist (XXIV 7) ihr Mund (nur) in der Not. Grausam sind sie, sobald sie (der Not) entkommen. Wer von ihnen erfolgreich ist, sagt nicht »Gott« zu dir. Sie bauten ihre (XXIV 8) Häuser als Neubau, während deines (nur) halbfertig ist. Sie haben deines in Stücke zerschlagen, indem sich jedermann (seinen Teil) raubt. Ihre Häuser, für die sie geraubt haben, (XXIV 9) werden zerstört werden, während deines bestehen bleibt. Mögest 199) du sie abschlachten wie 200) alles Vieh, mit dem sie ausgestattet waren! Wer von ihnen übrigbleiben wird, (XXIV 10) den wirst du (nur deswegen übrig)lassen, um ihr Herz zu bedrücken. Du hast gemacht, daß sie ihren Fälligkeitstermin 201) nicht wissen. Ihre Bäuche sind (freilich) nicht geraubt 202) worden. Das, wofür sie gegen dich (gierig wie) ein Krokodil geworden sind, (XXIV 11) das sollen ihnen die Chati-Dämonen 203) mit Gewalt wegnehmen. Was sie nicht an dein Gottesopfer gegeben haben, das mögen die Chati-Dämonen verprassen(?)! Sie haben nicht für dich gehandelt (XXIV 12) am Tage des (kultischen) Handelns – Wozu solltest du an sie denken? 204) Sie haben nicht für dich gehandelt, wenn sie erfolgreich waren. Sie sind (wie) Rinderhirten ohne Gras. Sie haben nicht für dich gehandelt, (XXIV 13) als sie in ihrem Dienst(?) waren, noch ehe die Chati-Dämonen sie knechteten. Mögest du ihnen etwas (an)tun nach (der Sinnes-)Art ihres Herzens! Mögest du ihnen die Chati-Dämonen an den Hals hetzen! Mögest du ihnen die Chati-Dämonen (XXIV 14) an den Hals hetzen – zweimal –, indem sie ihnen keine Ruhe geben(?), indem sie ihnen täglich Unheil bereiten für das, was sie getan haben! Mögest du geben, daß sie die Nacht in ihren (XXIV 15) Übeln verbringen! Mögest du geben, daß sie den Tag ebenfalls darin verbringen! Mögest du geben, daß sie demütig sprechen zu denen, die geringer sind als sie! Mögest du geben, daß sie ihre Diener anflehen! Mögest du geben, daß sie die Nacht (XXIV 16) in ihren Handschellen 205) verbringen! Mögest du geben, daß sie den Tag in ihren Fesseln (o. ä.) verbringen! Mögest du geben, daß sie täglich den Tod erflehen wegen dessen, was ihnen widerfahren wird! 199. Die optativische Übersetzung der Anreden an Amun dürfte mit Hoffmann / Quack, Anthologie, 52 f. und 333 (ac) aus sachlichen Gründen der bis dahin üblichen als Präteritum vorzuziehen sein. 200. Wörtlich »als«. 201. So überzeugend nach Hoffmann / Quack, Anthologie, 52 und 333 (ad). 202. Fehler im überlieferten Text? 203. Zu den h tj-Dämonen vgl. A. von Lieven, Der Himmel über Esna, ÄgAbh 64, Wiesbaden ˘ 2000, 50-55. 204. Vgl. »Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst?« Ps 8,5. 205. Derselbe Ausdruck in II 8.

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Texte aus Ägypten (XXIV 17) Mögest du geben, daß sie die Nacht in den Händen der Wächter(-Dämonen?) verbringen! Sie werden sich erheben zu einem peinlichen Verhör(?), ohne daß man auf sie (bei der) Klage hören wird. 206) Deine Macht (dein Zorn) (XXIV 18) erweist sich an ihnen, aber (trotzdem) sagen sie nicht »Gott« zu dir. Sie sagen (erst dann) »Gott« zu dir, nachdem du sie in die Hand der Chati-Dämonen gegeben hast. Sie wenden sich (erst dann reuevoll) um, um in deinem Namen zu flehen, nachdem sie sich dem Bösen (o. ä.) zugeneigt haben. (XXV 1) Was du gesagt hast, ist eingetroffen; was du prophezeit hast, ist geschehen, und sie sagen: »Gerecht ist, was Amun getan hat.« Es ist in ihrem Herzen, zu sagen: »Wir werden handeln.« Es ist (aber) in deiner Hand, zu verhindern, daß sie handeln. (XXV 2) Sie nähren (ihr) Fleisch und machen (ihr) Äußeres schön. Amun, du Herr des Gemetzels! 207) Sie sind gerechte Menschen nach ihrer eigenen Meinung. (Doch) sie wandeln, indem das Unrecht in ihrem Schoß ist. (XXV 3) Sie haben den Schwachen vor dem Starken unterdrückt. 208) Sie haben das von dir Verabscheute getan, (das,) was du haßt. Sie haben dein Kornmaß vermindert und dein Gottesopfer bestohlen. (XXV 4) Sie sind in ihre Häuser hineingegangen, (doch) deine Kammer öffneten sie nicht. 209) Die in deinem Vorhof standen, töte sie, einen nach dem anderen, weil sie nicht (XXV 5) ›(göttliche) Macht‹ zu dir 210) sagen(?). Du zerschmetterst ihre Söhne(?) vor ihnen, weil sie nicht sagen: »Was haben wir (nur) getan?« Sie sagen (erst dann) »Gerecht ist das, was Amun getan hat«, nachdem der Berg (XXV 6) in ihre eigenen Herzen gegeben wurde. 211)

Das dritte Lied: Ein anderes Lied: Die Rache schläft nicht müßig. 206. Der Vers läßt je nachdem, wie man das unklare Verbum sjhjh versteht (»einem peinlichen ˙ ˙ unterschiedliche ÜbersetVerhör unterziehen«, »strafen« o. ä., oder »jammern, klagen«?), zungen und Interpretationen zu. 207. Oder mit Hoffmann / Quack, Anthologie, 53: »(Doch) Amun ist der Herr des Gemetzels«? 208. Die hier und im folgenden genannten Vergehen haben sinngemäße Entsprechungen im sog. ›negativen Bekenntnis‹ von Totenbuchkapitel 125, vgl. B. Ockinga, TUAT II, 511-515. 209. D. h. sie erfüllten nicht ihre kultischen Pflichten. 210. Emendation ı’.r=w zu ı’.r=k nach Hoffmann / Quack, Anthologie, 333 (aj). Analyse und Interpretation dieses und des vorangehenden Verses sind jedoch im Detail unsicher. 211. Die Bedeutung der Passage ist unklar. Es könnte eine Verhärtung des Herzens gemeint sein wie in Ex 7, 3 (vgl. D. G. Coover Cox, The Hardening of Pharaoh’s Heart in Its Literary and Cultural Contexts, Bibliotheca Sacra 163 [2006] 292-311), andererseits könnte der »Berg« (Gebel) als Stätte der Nekropole auch Metapher für Jenseits und Totengericht sein, vgl. Hoffmann / Quack, Anthologie, 53 Anm. 63.

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Amun hört nicht auf zu vergelten. Der Räuber kann seinen Raub nicht verprassen(?). (XXV 7) Die Not wird mit Sicherheit hart sein(?). 212) Amun dauert, die Waage ist in seiner Hand. 213) Sie macht die Runde unter seinen Dienern. Er nimmt kein Rind von der Hand des Starken an, um ihm (deshalb) drückung nachzusehen. 214) Sein Rind stinkt mehr als Fische. Sein Vieh wird faulig. Der Opferkuchen des Gerechten ist es, worauf er (Amun) schaut. Komm zu uns, o Amun! Rette uns vor ihren abscheulichen Umtrieben!

(XXV 8) die

Unter-

2. Zwei Erzählungen über den Prinzen Setne

Günter Vittmann Aus der griechisch-römischen Zeit sind verschiedene Erzählungen erhalten, die sich um die Gestalt des memphitischen Hohenpriesters und vierten Sohnes Ramses’ II. »Setne« Chaemwese ranken. Dieser aus zeitgenössischen Quellen gut belegte Prinz 215) tat sich durch Restaurierungen von Denkmälern hervor, und die gegen Ende der Ersten Setne-Erzählung geschilderte Suche des Prinzen nach alten Grabinschriften, um eine sepulkrale »Familienzusammenführung« in die Wege zu leiten, scheint eine Erinnerung daran bewahrt zu haben. Außer den beiden hier übersetzten, für ägyptische Verhältnisse recht umfangreichen Handschriften der abgekürzt gern als ›Setne 1‹ und ›Setne 2‹ u. ä. bezeichneten Erzählungen, die miteinander in keiner direkten Verbindung stehen, gibt es noch eine Reihe anderer, kürzerer Texte fragmentarischer Natur, die teilweise Episoden enthalten, die auch in den verlorenen Partien der beiden Haupthandschriften gestanden haben dürften, teils aber auch zu davon unabhängigen eigenen Kompositionen gehörten.

212. Wörtlich etwa »Die Not kann nicht nicht stark sein«, falls es sich bei jt hier tatsächlich um das geläufige Wort für »Not, Elend, Unterdrückung« und nicht ein Substantiv »Unterdrükker«, »Wüterich«, »Elender« handelt. 213. Oder eventuell auch »Amun – möge die Waage in seiner Hand bleiben!« 214. Vgl. Spr 15,8; Am 5,22. 215. Der Sohn Ramses’ II. ist aus zahlreichen zeitgenössischen Quellen bekannt, vgl. F. Gomaà, Chaemwese, Sohn Ramses’ II. und Hoherpriester von Memphis (ÄgAbh 27), Wiesbaden 1973; M. M. Fisher, The Sons of Ramesses II (ÄAT 53), Wiesbaden 2001, I, 89-105; II, 89143; Chr. Barbotin, L’inscription dédicatoire de Khâemouaset au Sérapéum de Saqqara, RdÉ 52 (2001) 29-55; s. auch J. D. Ray, Reflections of Osiris. Lives from Ancient Egypt, London 2001, 78-96 (»The First Egyptologist«).

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2.1 Die Erste Setne-Erzählung

Der angeblich in Theben gefundene Papyrus Kairo CG 30646 stammt dem Schriftduktus nach aus der mittleren Ptolemäerzeit (ca. 200-150). Großes Thema der seit der sehr respektablen Erstübersetzung durch Heinrich Brugsch 216) vielbeachteten Erzählung ist, daß unbefugtes, durch bloße Neugier motiviertes menschliches Bemühen, sich den Besitz göttlicher Schriften zu verschaffen und die darin niedergelegten Geheimnisse anzueignen, zum Scheitern verurteilt ist. 217) Auf den beiden verlorenen ersten Seiten der Handschrift muß unter anderem 218) erzählt worden sein, wie Setne auf der frevlerischen Suche nach einem von Thot geschriebenen Zauberbuch ins Grab des Prinzen Naneferkaptah in Memphis eindringt und das dort deponierte Buch an sich nehmen will. Ahure, die Schwestergemahlin des Naneferkaptah, will Setne von diesem Vorhaben abbringen, indem sie ihm erzählt, welches Unglück das Buch über ihre ganze Familie gebracht hat. Dabei geht sie weit in die eigene Vergangenheit zurück, denn der erhaltene Teil beginnt mit den Worten, die der König an einen Höfling richtet, der ihm offenbar mitgeteilt hat, daß die beiden Kinder des Königs einander heiraten wollen: Demotisch beschriebener Papyrus. – Fundort: Theben (?). – Aufbewahrungsort: Kairo, Ägyptisches Museum (CG 30646). – Editionen: F. Ll. Griffith, Stories of the High Priests of Memphis, Oxford 1900 (grundlegende Edition der beiden großen Setne-Erzählungen); S. Goldbrunner, Der verblendete Gelehrte, Sommerhausen 2006 (Umschrift, Übersetzung, Glossar, Photos). – Weitere neuere und neueste wissenschaftlich fundierte Übersetzungen: M. Lichtheim, Ancient Egyptian Literature 3: The Late Period, Berkeley / Los Angeles 1980, 125-138; E. Bresciani, Letteratura e Poesia dell’Antico Egitto, Torino 42007, 882-894; R. K. Ritner, in: W. K. Simpson (Hg.), The Literature of Ancient Egypt, New Haven / London 2003, 453469; Quack / Hoffmann, Anthologie, 137-152 und 343-345; Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 19-39 und 325-326. – Detailstudien: A. F. Botta, Sin and Forgiveness in the Demotic Story of Setne I, in: I. Shirun-Grumach (Hg.), Jerusalem Studies in Egyptology (ÄAT 40), Wiesbaden 1998, 233-241; R. Jasnow, »And Pharaoh laughed …«. Reflections on Humor in Setne 1 and Late Period Literature, in: Enchoria 27 (2001) 62-81; S. Vinson, Through a Woman’s Eyes, and in a Woman’s Voice: Ihweret as Focalizor in the First Tale of Setne Khaemwas, in: M. McKechnie / Ph. Guillaume (Hg.), Ptolemy II Philadelphus and His World, Leiden / Boston 2008, 303-351; R. K. Ritner, Setne’s Spell of Taking Security (Setne I, Col. IV/ 31-34), in: H. Knuf et al. (Hg.), Honi soit qui mal y pense. Studien zum pharaonischen, griechisch-römischen und spätantiken Ägypten zu Ehren von Heinz-Josef Thissen (OLA 194), Leuven etc. 2010, 425-428; S. Vinson, Ten Notes on the First Tale of Setne Khaemwas, ibid., 447-470; J. Tait, »He did its like«: some uses of repetition in Demotic narrative fiction, in: E. Bechtold et al. (Hg.), From Illahun to Djeme. Papers presented in honour of Ulrich Luft, Oxford 2011, 279-285; S. Vinson, The Names »Naneferkaptah,« »Ihweret,« and »Tabubue« in the »First Tale of Setne Khaemwas«, JNES 68 (2009) 283-304; ders., Strictly Tabu216. H. Brugsch, Le Roman de Setnau Contenu dans un Papyrus Démotique du Musée Égyptien de Boulaq, Revue Archéologique 2. Sér. 16 (1867) 161-179. 217. Vgl. etwa J. Dieleman, Priests, Tongues, and Rites. The London-Leiden Magical Manuscripts and Translation in Egyptian Ritual (100-300 CE), Leiden / Boston 2005, 228-234. 218. Der Inhalt der im fragmentarischen frühptolemäischen P. Kairo CG 30692 erzählten Episoden – auch hier kommen Setne, sein Milchbruder Inaros und Neferkasokar vor – könnte auch im verlorenen Anfang von P. Kairo CG 30646 gestanden haben.

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bue. The Legacy of an Ancient Egyptian Femme Fatale, Kmt. A Modern Journal of Ancient Egypt 22, no. 3 (2011) 46-57 (zu modernen literarischen Adaptationen); ders., Go Figure: metaphor, metonymy and the practice of translation in the »First Tale of Setne Khaemwas«, in: A. M. Dodson et al. (Hg.), A Good Scribe and an Exceedingly Wise Man. Studies in Honour of W. J. Tait, London 2014, 305-321.

Wie Ahure ihren Bruder Naneferkaptah heiratete und einen Sohn gebar: (III Seitenüberschrift) Dritte (Seite). »[— — —] (III 1) […] ›Du bist es, der mich kränkt. Da ich nur zwei Kinder habe, ist es (denn) recht(ens), eines mit dem anderen zu verheiraten? Ich werde Naneferkaptah mit der Tochter eines Generals verheiraten. (III 2) [Ich werde A]hure mit dem Sohn eines anderen Generals verheiraten, damit unsere Familie zahlreich wird!‹ (Als) die Zeit kam, setzte man das Fest vor dem Pharao fest. Man holte mich und nahm mich zum [nämlichen(?)] Fest, (III 3) [indem (o. ä.)] mein [Herz] sehr traurig betrübt und ich nicht in meinem Zustand von gestern 219) war. Der Pharao sprach zu mir: ›Ahure, bist du es, die veranlaßt hat, daß man zu mir mit diesen Dummheiten kommt, (indem du) sagst: »Verheirate mich mit (III 4) [Naneferkaptah, meinem] ältesten [Bruder]!«?‹ Ich sagte zu ihm: ›Verheirate mich mit dem Sohn eines Generals! Verheirate ihn (Naneferkaptah) seinerseits mit der Tochter eines anderen Generals, damit unsere Familie zahlreich wird!‹ 220) Ich lachte, und der Pharao lachte (ebenfalls). (III 5) [Der Palastvorsteher kam.] Der Pharao [sagte zu ihm:] ›Palastvorsteher, laß Ahure heute Nacht in das Haus des Naneferkaptah bringen! Veranlasse, daß alle schönen Dinge mit ihr (mit)genommen werden!‹ Man brachte mich [in der Nacht] als Ehefrau in das Haus des Naneferkaptah. (III 6) [Der Phara]o [ließ] mir Geschenke aus Silber und Gold bringen. Die (Leute) vom königlichen Palast 221) ließen mir allesamt (ihrerseits Geschenke) bringen. Naneferkaptah verbrachte einen schönen Tag mit mir. Er lud alle (Leute) vom königlichen Palast ein. Er schlief mit mir in der nämlichen Nacht. Er fand mich (III 7) [sehr schön(?) (o. ä.) und schlief m]it mir immer wieder. Wir liebten einander. (Als) meine Zeit der ›Reinigung‹ 222) kam, machte ich keine ›Reinigung‹ mehr. Man meldete es dem Pharao, da freute er sich sehr. Der Pharao ließ [mir sofort] zahlreiche Dinge bringen. (III 8) Er ließ mir sehr schöne Geschenke aus Silber, Gold und Byssos bringen. (Als) mein Tag des Gebärens kam, gebar ich diesen Jungen, der vor dir 223) ist und den man Merib nennt. Man ließ ihn im Lebenshaus Briefe schreiben. 224)

219. D. h. »nicht in meiner gewohnten Art«. 220. Ahure ahmt spöttisch die Worte des Pharaos nach, was diesen seinerseits belustigt. Vgl. R. Jasnow, Enchoria 27 (2001) 62-81, bes. 75-76. 221. Vgl. Setne 2, II 28 und P. Rylands 9, XI 18 (s. hier oben und Anmerkung dazu). 222. Zu hsmn als Terminus für »Menstruation« vgl. P. J. Frandsen, The Menstrual »Taboo« in An˙ Egypt, JNES 66 (2007) 81-105, bes. 82-84. cient 223. D. h. vor Setne, dem die Geschichte von Ahure erzählt wird. 224. Mit implizitem anachronistischen Bezug auf die »Briefschrift«, d. h. den Unterricht im Demotischen (Ritner; Agut-Labordère / Chauveau)? Nach anderer Deutung (Griffith; Hoffmann / Quack) ist von der Registrierung des Kindes im Lebenshaus die Rede.

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Wie Naneferkaptah von dem Zauberbuch erfuhr und sich in seinen Besitz setzte: (III 9) [Es geschah, daß Nane]ferkaptah, mein Bruder, überhaupt [keine] Beschäftigung [hatte], außer in der Nekropole von Memphis (herum)zugehen, indem er die Inschriften in den Gräbern der Pharaonen und die Stelen der Schreiber des Lebenshauses und die Inschriften, die auf (III 10) […] waren, las. [Er interessierte sich (o. ä.)] sehr für Inschrift(en). Danach fand (einmal) ein Prozessionsfest des Ptah statt. Naneferkaptah ging in den Tempel, um (Ptah seine) Verehrung zu erweisen. Es geschah, daß er nach dem Prozessionsfest (herum)ging, indem er die Inschriften auf den Schreinen der Götter las. (III 11) [Da erblickte] ihn [ein al]ter [Priester.] Er lachte. Naneferkaptah sprach zu ihm: ›Warum lachst du über mich?‹ Er sagte: ›Ich lache nicht über dich. Ich lache deshalb, weil du Inschriften liest, die keinen [Nutzen für irgend jemanden (o. ä.)] haben. (III 12) [Wenn] du (wirklich nützliche) Schrift(en) lesen willst, komm zu mir, daß ich dich zu dem Ort bringen lasse, an dem dieses Buch ist, das (niemand anderer als) Thot eigenhändig geschrieben hat, 225) als er im Gefolge der Götter herabstieg! Zwei schriftliche (Zauber-)Formeln sind es, die darin sind. Wenn du (III 13) [die erste Formel rezitierst, wirst du] den Himmel, die Erde, die Unterwelt, die Berge und die Meere bezaubern. Du wirst alles verstehen, was die Vögel des Himmels und das Gewürm (der Erde) sprechen werden. Du wirst die Fische der Tiefe sehen, obwohl (III 14) [21 Gottesellen Wasser] 226) über [ihnen] sind. Wenn du die zweite Formel rezitierst, wirst du in der Unterwelt sein, während du weiterhin in deiner Art (wie gewohnt) auf der Erde 227) bist. Du wirst Re erblicken, wie er mit seiner Neunheit am Himmel erscheint, und den Mond bei seinem Aufgang.‹ (III 15) [Naneferkaptah sagte zu ihm:] ›O daß er (Setne) lebe! Möge mir eine Gunst genannt werden, die du begehrst, daß ich sie dir erweisen lasse und du mich (dafür) zu dem Platz schickst, an dem sich dieses Buch befindet!‹ Der Priester sprach zu Naneferkaptah: ›Wenn du [zu dem Ort, an dem sich dieses Buch befindet,] geschickt werden willst, (III 16) mußt du mir hundert Silber(deben) für mein Begräbnis geben. Du mußt veranlassen, daß man mir meine beiden Söhne zu Priestern ohne Abgabe 228) macht.‹ Naneferkaptah rief nach einem Diener und ließ dem Priester die hundert Silber(deben) geben. Er veranlaßte, daß die (entsprechenden) Dokumente für die beiden Söhne gemacht wurden und ließ sie (III 17) [zu Priestern ohne Abgabe] machen. [Der Priester sprach zu] Naneferkaptah: ›Das nämliche Buch ist in der Mitte des »Meeres« von Koptos 229) in einer Truhe aus Eisen, in dem die Truhe aus Eisen in einer Truhe 225. Thot galt nicht nur als Schutzpatron der Schreiber, sondern auch – z. B. in Setne 2, V 12-13 – als Verfasser heiliger Schriften, vgl. jetzt (mit kritisch gesichteter Literatur) M. A. Stadler, Weiser und Wesir. Studien zu Vorkommen, Rolle und Wesen des Gottes Thot im ägyptischen Totenbuch, Tübingen 2009, 26-28; 76-79. 226. Ergänzt nach III 37, vgl. dort den Kommentar. 227. Das soll wohl besagen, daß der Magier gleichzeitig in der Unterwelt und auf der Erde ist. 228. Mit dem Terminus tn ist die (in Quellen der griechisch-römischen Zeit telestikn genannte) Gebühr gemeint, die bei Antritt eines Priesteramtes an den Fiskus zu zahlen war; vgl. Rosettana, demot. Teil, 9 (U. Kaplony-Heckel, TUAT I, 241); Lehre des Anchscheschonki, II 13 (H. J. Thissen, TUAT III, 252). 229. Zu dem auch sonst gelegentlich bezeugten »Meer (jm) von Koptos« vgl. J. F. Quack, Zur Frage des Meeres in ägyptischen Texten, OLZ 97 (2002) 453-463, hier 461 (nicht der Nil); St.

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Günter Vittmann (III 18) [aus

Kupfer, die Truhe aus] Kupfer in einer Truhe aus Aleppokiefernholz, die Truhe aus Aleppokiefernholz in einer Truhe aus Elfenbein und Ebenholz, die Truhe aus Elfenbein und Ebenholz in einer (III 19) [Truhe aus Silber und die Truhe] aus Silber in einer Truhe aus Gold ist, und in dieser ist das Buch, wobei rund herum um die Truhe, in der sich das Buch befindet, [eine Meile 230)] von Schlangen, Skorpionen und jeglichem Gewürm ist, indem (III 20) [eine Ewigkeitsschlange 231) rundherum um] die nämliche Truhe ist.‹ Sobald der [nämliche?] Priester (dies) [vor] Naneferkaptah erzählt hatte, geriet dieser ganz außer sich. 232) Er kam aus dem Tempel heraus und erzählte (III 21) [mir] alles, [was ihm widerfahren war(?)]. Er [sprach] zu mir: ›Ich werde nach Koptos gehen. Ich werde dieses Buch holen [und mich unverzüglich] wieder nach Norden begeben.‹ So kam es, daß ich den Priester schalt: ›Neith fluche dir, 233) Priester! Du hast ihm schon diese (III 22) [schlimmen Dinge (o. ä.)] erzählt. [Du hast mir d]en Krieg [gebracht(?)]. Du hast mir den Kampf gebracht. Der Gau von Theben, ich habe ihn […] gefunden.‹ [Ich tat] mein Möglichstes mit Naneferkaptah, um zu verhindern, daß er nach Koptos ginge, (aber) er hörte n[ich]t auf mich. Er ging vor (III 23) [den Pharao und erzählte vor] dem Pharao alles, was ihm der Priester gesagt hatte. Der Pharao sagte zu ihm: ›Was ist es, das [du begehrst]?‹ Er sagte zu ihm: ›Möge mir die königliche seheret-Barke 234) mit ihrer Ausstattung gegeben werden! Ich werde Ahure, (III 24) [meine Frau, und Merib, ihren J]ungen, mit mir nach Süden nehmen und unverzüglich dieses Buch holen.‹ Man gab ihm die königliche seheret-Barke mit ihrer Ausstattung. Wir stiegen an Bord, segelten (los) und gelangten (III 25) [nach Koptos]. Es [wurde] den Priestern der Isis von Koptos und dem Lesonis 235) der Isis [gemeldet]. Sie kamen zu uns herunter und gingen unverzüglich dem Naneferkaptah entgegen. Ihre Frauen kamen auch mir entgegen. (III 26) [Wir stiegen vom Ufer hoch (o. ä.?) und gingen] in den Tempel der Isis und des Harpokrates. Naneferkaptah ließ Rind(er), Geflügel und Wein holen und brachte Brand- und Trankopfer vor Isis von Koptos und Harpokrates dar. Man führte uns in ein sehr schönes Haus. (III 27) [… …] Naneferkaptah verbrachte vier Tage, indem er mit den Priestern der Isis von Koptos feierte, während die Frauen der Priester der Isis mit mir ebenfalls feierten. Am Morgen unseres fünften Tages ließ sich Naneferkaptah (III 28) [viel] reines [Wachs bringen.] Er machte ein Schiff, das mit seinen Ruderern und seinen Matrosen gefüllt war. Er rezitierte einen (Zauber-)Spruch über sie und machte sie lebendig. Er gab ihnen (Lebens-)odem 236) und warf sie ins ›Meer‹. (Dann) füllte er die königliche seher[et]-Barke

230. 231. 232. 233. 234.

235. 236.

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Pasquali, Le Pimmeimi@ de Coptos et »la route de la mer (Rouge)«, BIFAO 109 (2009) 385395, hier 390-391 (der Nil; ignoriert jedoch Quack). Ergänzt nach der Parallele in III 30. 1 r (< jtrw) = ca. 12,6 km. Ergänzt nach III 31; gräzisiert Uroboros (Schlange, die sich in den Schwanz beißt). Wörtlich »er fand keinen Ort auf Erden, an dem er war«, eine beliebte Ausdrucksweise demotischer narrativer Texte. Dieselbe Formel (jedoch mit Amun) Setne 2, V 29 (s. unten). Die königliche shr.t-Barke wird auch in einem aramäisch überlieferten literarischen Fragment aus Elephantine (5. Jh. v. Chr.) mit ägyptischen Hintergrund (tshr’ zy mlk’) erwähnt, s. B. Porten / A. Yardeni, Textbook of Aramaic Documents from Ancient Egypt, III: Literature, Accounts, Lists, Winona Lake 1993, 54 (C1.2:1). Vorsteher der Tempeladministration; vgl. oben P. Rylands 9, I 2 und Anmerkung hierzu. Ähnliche Schilderungen der magischen Belebung von Wachsfiguren unten in Setne 2, IV 1516. V 19-20, und in den späten Peteese-Erzählungen (Hoffmann / Quack, Anthologie, 170).

Texte aus Ägypten

mit Sand. (III 29) [Er band sie an das andere Schiff (o. ä.), (dann) stieg er] an Bord. Ich meinerseits saß über dem ›Meer‹ von Koptos und sagte (mir): ›Ich will herausfinden, was mit ihm geschehen wird!‹ Er sprach hzui den Ruderern: ›Rudert mich bis zu dem Ort, [an] dem sich dieses Buch befindet!‹ (III 30) [Sie ruderten mit ihm in der Nacht] wie am Tag. Innerhalb von drei Tagen erreichte er ihn. Er warf Sand vor sich, und es entstand ein Spalt im Fluß. Er fand eine Meile Schlangen, Skorpionen und jegliches Gewürm rundherum (III 31) [um den Ort,] an dem [sich das] Buch [befand.] Um die nämliche Truhe herum(geringelt) fand er eine Ewigkeitsschlange. Er rezitierte einen Spruch über die Meile Schlangen, Skorpione und jegliches Gewürm, das um die Truhe herum war, und ließ nicht zu, daß sie emporschnellten. (III 32) [Er ging zu dem Ort,] an dem [die] Ewigkeitsschlange war. Er kämpfte mit ihr und tötete sie, sie wurde (aber wieder) lebendig und war wieder so wie vorher. Er kämpfte wiederum mit ihr zum zweiten Mal und tötete sie; sie wurde abermals lebendig. Er (III 33) [kämpfte wiederum mit ihr zum dritten Mal] und hieb sie entzwei. Er gab Sand zwischen das eine Stück und das andere, (dann) starb [sie] (endgültig) und wurde niemals mehr so wie vorher. Naneferkaptah ging zu dem Ort, an dem die Truhe war, (III 34) [und stellte fest, daß es eine Truhe aus] Eisen war. Er öffnete sie und fand eine Truhe aus Kupfer. Er öffnete sie und fand eine Truhe aus Aleppokiefernholz. Er öffnete sie und fand eine Truhe aus Elfenbein und Ebenholz. (III 35) [Er öffnete sie und fand eine Truhe aus] Silber. Er öffnete sie und fand eine Truhe aus Gold. Er öffnete sie und fand darin das Buch. Er brachte das Buch aus der goldenen Truhe herauf und rezitierte daraus eine schriftliche Formel. (III 36) [Er bezauberte den Himmel, die Erde, die Unterwelt, die] Berge und die Meere. Er verstand alles, was die Vögel des Himmels, die Fisch[e der] Tiefe und das Vieh des Gebirges sprachen. (Dann) rezitierte er eine andere schriftliche Formel. Er erblickte (III 37) [Re, wie er am Himmel erschien zusammen mit seiner] Neunheit, und den Mond, wie er aufging, und die Sterne in ihrer (wahren?) Gestalt. Er sah die Fische der Tiefe, obwohl 21 Gottesellen 237) Wasser über ihnen waren. Er rezitierte einen Spruch über das (III 38) [Wasser (o. ä.) und machte, daß es wieder seine (frühere) Gestalt annahm. (Dann) ging er an B]ord und sagte zu den Ruderern: ›Rudert mich bis zu dem Ort, von dem ihr gekommen seid!‹ Sie ruderten ihn bei Nacht und bei Tag. Er gelangte an den Ort, [an] dem ich war. (III 39) [Er fand mich(?), 238) wie ich] über dem ›Meer‹ von Koptos saß, nachdem ich weder getrunken noch gegessen hatte,

Wachs wurde in Ägypten jedoch schon viel früher für derartige Zwecke gebraucht, wie die Geschichten des Papyrus Westcar belegen (III, 12-13); vgl. W. K. Simpson (Hg.), The Literature of Ancient Egypt, New Haven / London 2003, 15 und generell M. J. Raven, Wax in Egyptian Magic and Symbolism, OMRO 64 (1983) 7-47. 237. 21 ist offenbar eine symbolische Zahl (3 x 7); vgl. die in einem literarischen Fragment aus Tebtynis erwähnten »21 Ellen«: J. F. Quack, Ein neuer prophetischer Text aus Tebtynis (Papyrus Carlsberg 399 + Papyrus PSI Inv. D. 17 + Papyrus Tebtunis Tait 13 vs.), in: A. Blasius / B. U. Schipper (Hg.), Apokalyptik und Ägypten. Eine kritische Analyse der relevanten Texte aus dem griechisch-römischen Ägypten (OLA 107), Leuven etc. 2002, 253-274, hier 260. 238. Ergänzung unsicher; möglich ist auch ein Ausdruck für »früher«; vgl. S. Vinson, Fs Thissen, 449-451.

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und indem ich überhaupt nichts getan hatte, indem ich wie ein Mensch war, der das ›Schöne Haus‹ 239) erreicht hat. Ich sprach zu Naneferkaptah: (III 40) ›[… …] [Laß] mich dieses Buch sehen, um dessentwillen wir (all) dieses [große (o. ä.)] Ungemach erlitten haben!‹ Er gab das Buch in meine Hand. Ich rezitierte eine schriftliche Formel daraus und bezauberte (III 41) den Himmel, (IV Seitenüberschrift) Vierte (Seite). (IV 1) {ich bezauberte den Himmel,} die Erde, die Unterwelt, die Berge und die Meere. Ich verstand alles, was die Vögel des Himmels, die Fische der Tiefe und das Vieh sprachen. Ich rezitierte einen andere (IV 2) schriftliche Formel. Da sah ich Re, wie er am Himmel erscheint zusammen mit seiner Neunheit. Ich sah den Mond, wie er aufgeht, und all die Sterne des Himmels und ihre (wahre?) Gestalt. Ich sah die (IV 3) Fische der Tiefe, obwohl 21 Gottesellen Wasser über ihnen waren, obwohl ich nicht schreiben kann. Ich war (aber) dabei, von Naneferkaptah zu sprechen, 240) meinem älteren Bruder, der ein guter Schreiber und sehr gelehrter Mann war. Er ließ ein Stück (IV 4) neuen Papyrus vor sich bringen und schrieb alles, was auf dem Papyrus vor ihm stand, (ab. Dann) verbrannte er ihn 241) und löste ihn (d. h. die Asche) in Wasser auf. (Nachdem) er sich vergewisserte hatte(?), 242) daß er aufgelöst war, trank er es und wußte (nun) das, was darin war. 243) (IV 5) Noch am selben Tag kehrten wir nach Koptos zurück und feierten 244) vor Isis von Koptos und Harpokrates. (Dann) stiegen wir an Bord und fuhren stromab. Wir erreichten den Norden von Koptos (in der Entfernung) von einer Meile. Wie Thot Unheil über Naferkaptah und seine Familie brachte: (Indessen) hatte aber Thot alles erfahren, was sich mit (IV 6) Naneferkaptah wegen des Buches zugetragen hatte. Unverzüglich klagte Thot vor Re: ›Entscheide mein Recht und meine Rechtssache 245) mit Naneferkaptah, dem Sohn des Pharaos Mernebptah 246)! Er ging in mein Schatzhaus (IV 7) und plünderte es. Meine Truhe mit meiner Urkunde nahm er mit und tötete meinen Türhüter, der es bewachte.‹ Man sagte ihm (Thot): ›Er ist in deiner Gewalt 247) zusammen mit allen Leuten, die bei ihm sind.‹ 239. Das häufige Wort pr-nfr bezeichnet die Balsamierungsstätte. 240. Ich folge der von den früheren Bearbeitungen abweichenden Analyse von Vinson, Fs Thissen, 453. 241. D. h. den neuen Papyrus mit der Abschrift. 242. Anders Vinson, Fs Thissen, 453-455, bes. 454: »He dissolved it in liquid, so that he might know it once it had dissolved« oder alternativ »… so that he might know it once he had dissolved (it)«. 243. D. h. er hatte sich den Inhalt des Zauberbuches auf diese Weise einverleibt. Die Vorstellung, daß sich die Wirksamkeit magischer Texte auf eine damit in Berührung kommende, einzunehmende Flüssigkeit überträgt, ist in Ägypten auch sonst bezeugt (etwa bei den sog. Horus-Stelen) und hat eine Parallele im Fluchwasser des mosaischen Eifersuchtsordals (Num 5, 23-24); vgl. R. K. Ritner, The Mechanics of Ancient Egyptian Magical Practice (SAOC 54), Chicago 1993, 102-110. 244. Wörtlich »wir machten (verbrachten) einen schönen Tag«. 245. Zur Stelle vgl. R. Jasnow, Enchoria 27 (2001) 77-78, der beim Autor »ironic intention even here, since Thoth employs terminology characteristic of letters to deities, i. e. to Thoth himself« vermutet. Vgl. M. Schentuleit, TUAT NF 3, 347-348 (Papyrus Chicago OIM 19422). 246. Gemeint ist Merenptah (ca. 1213-1203), Sohn und Nachfolger Ramses’ II. 247. Wörtlich »vor dir« (ı’.ı’r-hr=k); vgl. auch oben P. Rylands 9, XI 4. ˙

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Ein chati-Dämon wurde vom Himmel herabgesandt 248) (IV 8) mit den Worten: ›Laß nicht zu, daß Naneferkaptah zusammen mit allen Leuten, die bei ihm sind, heil nach Memphis kommt!‹ Bald darauf kam Merib, der Junge, unter dem Sonnensegel der (IV 8-9) königlichen seheret-Barke (IV 9) heraus. Er fiel in den Fluß und wurde ein Seliger. 249) Alle Leute, die an Bord waren, schrieen laut auf. Naneferkaptah kam aus seinem Zelt heraus, rezitierte einen Spruch über ihn und machte, daß er hochsprang, obwohl (IV 10) 21 Gottesellen Wasser über ihm waren. Er rezitierte (abermals) einen Spruch über ihn und veranlaßte, daß er ihm alles erzählte, was ihm widerfahren war, sowie (über) die Klage, die Thot vor Re gemacht hatte. Wir kehrten mit ihm nach Koptos zurück, (IV 11) ließen ihn ins ›Schöne Haus‹ bringen und veranlaßten, daß man für ihn sorgte. Wir ließen ihn in der Art eines vornehmen Herrn bestatten und in seinem Sarg in der Nekropole von Koptos ruhen. Mein Bruder Naneferkaptah sagte: (IV 12) ›Laß uns stromab fahren! Laß uns nicht säumen, damit der Pharao nicht von den Angelegenheiten, die uns widerfahren sind, hört und sein Herz deswegen betrübt ist!‹ Wir stiegen an Bord und fuhren stromab. Unverzüglich fuhren wir (IV 13) eine Meile nördlich von Koptos, dem Ort, an dem Merib, der Junge, in den Fluß gefallen war. Ich kam aus der Kajüte der königlichen seheret-Barke heraus. Ich fiel in den Fluß und wurde (IV 14) eine Selige. Alle Leute, die an Bord waren, schrieen laut auf. Sie sagten es dem Naneferkaptah. (D)er kam aus der Kajüte der königlichen seheret-Barke heraus und rezitierte einen Spruch über mich. Er machte, daß ich hochsprang, obwohl 21 Gottesellen (IV 15) Wasser oberhalb von mir waren. 250) Er ließ mich hinaufbringen und rezitierte einen (weiteren) Spruch über mich. (Dann) veranlaßte er, daß ich ihm alles erzählte, was mir widerfahren war, sowie (über) die Anklage, die Thot vor Re gemacht hatte. (Dann) kehrte er mit mir nach Koptos zurück. (IV 16) Er ließ mich ins ›Schöne Haus‹ bringen und veranlaßte, daß man für mich sorgte. Er ließ mich in (entsprechend) der Bestattung eines sehr vornehmen Herrn bestatten und mich in dem(selben) Grab ruhen, in dem Merib, der Junge, ruhte. (IV 17) (Dann) stieg er an Bord und fuhr stromab. Unverzüglich fuhr er eine Meile nördlich von Koptos, dem Ort, an dem wir in den Fluß gefallen waren, und überlegte bei sich sorgenvoll: 251) ›Werde ich nach Koptos gehen und (IV 18) dort wohnen können? Andererseits, wenn ich nach Memphis gehe – sobald mich der Pharao nach seinen Kindern fragt, was soll ich ihm sagen? Werde ich ihm (denn) sagen können: »Ich habe deine Kinder in den Gau von Theben (mit)genommen. (IV 19) Ich habe sie getötet, ich aber lebe; ich bin (sogar) nach Memphis gekommen, indem ich (immer) noch lebe«?‹ 248. Die göttliche Entsendung von Dämonen auf die Erde, um dort in das Geschehen einzugreifen, wird auch in der römerzeitliche überlieferten Erzählung vom »Kampf um den Panzer des Inaros« berichtet (I 4-11); vgl. Hoffmann / Quack, Anthologie, 60. Auch längst Verstorbene können von den Göttern zu neuem Leben in einer neuen Existenzform auf die Erde entsandt werden, um eine Mission zu erfüllen: Setne 2, VII 1-2. 249. Ertrunkene galten zumindest in der Spätzeit als »selig« (hsj, wörtlich »gelobt«, als ehrende ˙ Bezeichnung Verstorbener griechisch durch ¢pobrÐcio@ wiedergegeben); vgl. F. Ll. Griffith, Herodotus II. 90. Apotheosis by drowning, ZÄS 46 (1909) 132-134. 250. Vgl. die analoge Schilderung oben IV 9-10. 251. Wörtlich »er sprach mit seinem Herzen«. Vgl. oben P. Rylands 9, IV 25 mit Anmerkung.

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Er ließ sich einen Byssosstreifen aus seinem Besitz bringen und machte daraus eine Leinenbinde(?). (Damit) verschnürte er das Buch, legte es sich um den Leib (IV 20) und befestigte es. Naneferkaptah kam aus der Kajüte der königlichen seheret-Barke heraus, fiel in den Fluß und wurde ein Seliger. Alle Leute, die an Bord waren, schrieen laut auf: ›O weh (IV 21) und ach! Wird er zurückkehren, der gute Schreiber, der Gelehrte, der nicht seinesgleichen hatte?‹ Die königliche seheret-Barke fuhr stromab, ohne daß irgendein Mensch auf der Welt wußte, wo Naneferkaptah war. Man gelangte nach Memphis (IV 22) und berichtete darüber vor dem Pharao. Der Pharao kam herunter vor die königliche seheret-Barke, indem er in Trauerkleidung war und alles Volk von Memphis Trauerkleidung anlegte, (ebenso) die Priester des Ptah, der Lesonis (IV 23) des Ptah und die Beamten und alle (Leute) vom Haushalt des Pharaos. Sie sahen Naneferkaptah, wie er wegen seiner Fähigkeit als guter Schreiber die Ruder der königlichen seheret-Barke (in der Hand) hielt. Sie brachten ihn nach oben und erblickten das Buch an seinem Leib. (IV 24) Der Pharao sprach: ›Möge dieses Buch, das an seinem Leib ist, entfernt werden!‹ Die Beamten des Pharaos und die Priester des Ptah und der Lesonis des Ptah sprachen vor dem Pharao: ›Unser großer Herr! O daß er die Lebenszeit des Re habe! 252) Naneferkaptah ist (d. h. war) ein sehr guter und gelehrter Schreiber.‹ Der Pharao veranlaßte, (IV 25) daß man ihm nach 16 Tagen Eintritt ins ›Schöne Haus‹ verschaffte, Bekleidung nach 35 (Tagen), Beisetzung nach 70 Tagen. 253) Man ließ ihn in seinem Sarg an seiner Ruhestätte ruhen. Siehe, (das sind) die schlimmen Dinge, die uns wegen dieses Buches widerfahren sind, von dem du (Setne) sagst: ›Möge es mir gegeben werden!‹ (IV 26) Du hast damit nichts zu schaffen. Seinetwegen hat man uns das Leben auf Erden genommen 254).« Wie Setne das Zauberbuch an sich nahm: Setne sprach: »Ahure, laß zu, daß mir dieses Buch gegeben wird, das ich zwischen dir und Naneferkaptah gesehen habe, sonst werde ich es (mir) mit Gewalt nehmen!« (IV 27) Naneferkaptah erhob sich von der Bahre und sagte: »Bist du Setne, vor dem diese Frau diese Unglücksfälle erzählt, ohne daß du sie vollständig begriffen hast? (Was) das nämliche Buch (betrifft), wirst du es durch Stärke eines guten Schreibers oder (IV 28) Überlegenheit im Brettspiel gegen mich (an dich) nehmen können? Laß uns beide darum spielen!« 255) Setne sagte: »Ich bin bereit.« Sie stellten das Spielbrett mit seinen Figuren 256) vor sich auf. Die beiden spielten. Naneferkaptah gewann eine Partie (IV 29) gegen Setne und rezitierte einen Spruch über ihn. Er gab ihm mit dem Spielkasten, der vor ihm lag, eins über den Kopf und ließ ihn bis zu den Knöcheln 257) im Erdboden versinken. 258) 252. Dieselbe an den Angeredeten gerichtete Huldigungsformel auch in V 33; ebenso in P. Rylands 9, III 11. V 20. 253. Vgl. P. Rylands 9, X 9-10. 254. Wörtlich »Seinetwegen haben sie unsere Lebenszeit auf der Erde genommen.« 255. Eine Episode über ein ähnliches Spiel überliefert Herodot II 122 (König Rhampsinitos in der Unterwelt gegen Demeter), doch betont J. F. Quack, in: L. Coulon et al. (Hg.), Hérodote et l’Égypte, Lyon 2013, 69-71 die entscheidenden Unterschiede. 256. Als »Hunde« (ı’wı’w.w) bezeichnet, eine bisher nur an dieser Stelle belegte Verwendung. 257. Wörtlich »bis zu seinen Füßen«. 258. Zu Spruch 254, §285-286 der Pyramidentexte als Quelle der Inspiration für diese Passage vgl.

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Ebenso machte er es bei der zweiten Partie: Er gewann sie (IV 30) gegen Setne und ließ ihn bis zum Phallus im Erdboden versinken. Ebenso machte er es bei der dritten Partie 259) und ließ ihn bis zu den Ohren im Erdboden versinken. Danach war Setne durch Naneferkaptah in großer Bedrängnis. (IV 31) Setne rief zu seinem Milchbruder Inaros: »Geh schnell auf die Erde hinauf und erzähle alles, was mir widerfahren ist, vor dem Pharao, und bringe die Amulette meines Vaters Ptah und meine (IV 32) Zauberbücher!« 260) Er eilte unverzüglich hinauf und erzählte vor dem Pharao alles, was Setne widerfahren war. Der Pharao sagte: »Bringt ihm die Amulette seines Vaters Ptah und seine Zauberbücher!« Unverzüglich eilte er (IV 33) in das Grab hinunter. Er legte die Amulette auf den Leib Setnes. Im selben Augenblick sprang (dies)er in die Höhe 261). Setne streckte seine Hand nach dem Buch aus und nahm es. Es geschah, daß Setne aus dem Grab nach oben kam, (IV 34) indem das Licht vor ihm ging und die Finsternis hinter ihm, während Ahure hinter ihm weinte, indem sie sprach: »Sei gegrüßt, o Finsternis! Lebe wohl 262), o Licht! Alles, was in dem Grab war, ist dahingegangen!« (IV 35) Naneferkaptah sagte zu Ahure: »Sei nicht traurig! Ich werde veranlassen, daß er dieses Buch (wieder) hierherbringt, indem ein gegabelter(?) Stock in seiner Hand und ein Feuerbecken (IV 36) auf seinem Kopf ist.« 263) Setne stieg aus dem Grab empor. Er verschloß hesi hinter sich, wie es vorher gewesen war. 264) Setne ging vor den Pharao und erzählte vor ihm alles, was ihm mit dem Buch widerfahren war. (IV 37) Der Pharao sprach zu Setne: »Bringe dieses Buch in das Grab des Naneferkaptah aus Weisheit zurück, sonst wird er machen, daß du es bringst, indem ein gegabelter(?) Stock in deiner Hand und ein Feuerbecken auf deinem Kopf ist!« (IV 38) Setne hörte (aber) nicht auf ihn. Es war (vielmehr so), daß Setne keinerlei Beschäftigung hatte, als das Buch aufzurollen und allen Leuten daraus vorzulesen. Die Tabubu-Episode: Eines Tages, als Setne im Dromos des Ptah auf und ab ging, erblickte er eine (IV 39) sehr schöne Frau, (IV 39) wie es keine andere gab 265). Sie war schön, indem zahlreiche Arbeiten aus Gold an ihr waren, während Dienerinnen ihr folgten und zum Haushalt gehöriges Personal 266), zwei Personen, ihr zugewiesen waren.

259. 260. 261. 262. 263. 264. 265. 266.

P. Piccione, The gaming episode in the Tale of Setne Khamwas as religious metaphor, in: D. P. Silverman (Hg.), For his Ka. Studies Offered in Memory of Klaus Baer (SAOC 55), Chicago 1994, 197-204; R. K. Ritner, Fs Thissen, 426. Die objektiv ohnehin unnötige Fortsetzung »Er gewann sie gegen Setne« fehlt hier. Wörtlich »Papyrusrollen des Pfandnehmens«; vgl. R. K. Ritner, Fs Thissen, 425-428. Wörtlich »bis zum Himmel«, in derselben Verwendung wie koptisch etpe. Wörtlich »Horus (sei) dein Schutz!« Zu diesem auch biblisch belegten Bild vgl. Spr 25,22 und Röm 12,20 und dazu S. Morenz, Feurige Kohlen auf dem Haupt, in: ders., Religion und Geschichte des alten Ägypten. Gesammelte Aufsätze, Weimar 1975, 433-440. Wörtlich »er veranlaßte, daß hes (das Grab)i fest war entsprechend seiner Art«. Wörtlich »indem eine Frau von ihrem (der Tabubu?) Aussehen(? oder: in ihrer Zeit) nicht entstanden ist«. Nach M. Depauw, Notes on Transgressing Gender Boundaries in Ancient Egypt, ZÄS 130 (2003) 49-59, hier 49, vermutlich Kastraten.

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(Seite). Setne sie erblickte, geriet er völlig aus der Fassung 267). Setne rief nach seinem jungen Diener und sagte (zu ihm): »Geh unverzüglich zu der Stelle, an der sich diese Frau befindet! Bringe in Erfahrung, wie es (V 2) um sie steht!« 268) Der junge Diener begab sich unverzüglich zu der Stelle, an der sich die Frau befand. Er rief der jungen Dienerin, die hinter ihr ging, zu und fragte sie: »Was für ein Mensch ist das?« Sie sagte zu ihm: »Das ist Tabubu, (V 3) die Tochter des Propheten der Bastet, der Herrin von Anchtaui. 269) Sie ist hierhergekommen, um Ptah, dem großen Gott, Verehrung zu erweisen.« Der Junge kehrte zu Setne zurück. Setne sprach zu dem Jungen: (V 4) »Geh, sage der Dienerin: ›Setne Chaemwese 270), der Sohn des Pharaos Usermaatre 271), ist es, der mich geschickt hat mit den Worten: »Ich will dir 10 Deben in Gold geben. Verbringe eine Stunde mit mir! Oder (V 5) hast du eine Anklage bezüglich Gewaltanwendung? Ich werde das für dich regeln lassen. 272) Ich werde veranlassen, daß man dich an einen verborgenen Ort bringt, wo dich kein Mensch auf der Welt entdecken wird.«‹« Der Junge kehrte an die Stelle, wo Tabubu war, zurück. Er rief (V 6) ihrer jungen Dienerin zu und sprach mit ihr. Sie schrie in Anbetracht des Umstands, daß es eine Beleidigung war. Tabubu sagte zu dem Diener: »Hör auf, dieses Ekel von Dienerin anzusprechen! Komm (lieber) (V 7) zu mir und sprich mit mir!« Der Junge eilte zu der Stelle, an der Tabubu war, und sagte zu ihr: »Ich werde hdiri 10 Deben in Gold geben. Verbringe eine Stunde mit Setne Chaemwese, dem Sohn des Pharaos Usermaatre! (V 8) Hast du eine Anklage bezüglich Gewaltanwendung? Er wird das (für dich) noch regeln lassen. Er wird dich an einen verborgenen Ort bringen, wo dich kein Mensch auf der Welt entdecken wird.« Tabubu sagte: »Geh, sage dem Setne: ›Ich bin (V 9) eine Priesterin, ich bin keine gemeine Person. Wenn du mit mir zu tun begehrst, was du willst, mußt du ins Bubasteion 273) in mein Haus kommen. Es gibt darin jegliche Ausstattung. Du wirst mit mir tun (können), was du willst, ohne daß irgendein Mensch auf der Welt (V 10) mich entdeckt haben wird und ohne daß ich auch in der Öffentlichkeit Hurerei getrieben haben werde 274).‹« Der Diener kehrte zu Setne zurück und erzählte ihm alles, was sie ihm gesagt hatte. Er sagte: »So ist es recht!« Da lästerten alle Leute, die (V 11) in der Umgebung Setnes waren. Setne ließ sich ein Boot bringen und stieg an Bord. Unverzüglich fuhr er zum Bubasteion. Er kam in den Westen des Fruchtlands(?) und fand ein sehr hohes Haus, (V 12) das von einer Mauer umgeben war, mit einem Garten im Norden und einer Bank vor der Tür. Setne fragte: »Wem gehört dieses Haus?« Man sagte ihm: »Das ist das Haus (V 13) der Tabubu.« Setne durchschritt die Mauer und richtete seinen Blick auf das (V 1) Sobald

267. 268. 269. 270. 271. 272. 273. 274.

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Wörtlich »Er fand keinen Ort auf Erden, an dem er war.« Wörtlich »Lerne kennen, was mit ihrer Angelegenheit geschehen ist (bzw. geschieht)!« »Leben der beiden Länder«, eine Bezeichnung für Memphis. Der Prinz wird hier mit seinem realen Namen bezeichnet; vgl. oben Einleitung zu den SetneErzählungen. Thronname Ramses’ II. J. W. Barns, Some readings and interpretations in sundry Egyptian texts, JEA 58 (1972) 159166, hier 165-166, erkennt in dieser Passage »a conscious and brutally cynical parody« einer geläufigen formelhaften Wendung. Wörtlich »Haus der Bastet«, vom Tempelbezirk der Bastet in Memphis. Zu Analyse und Interpretation dieses Satzes vgl. Vinson, Fs Thissen, 457; 459-460.

Texte aus Ägypten

›Schatzhaus‹ 275) des Gartens. Man meldete es der Tabubu. Sie kam herunter, (V 14) faßte Setne an der Hand und sagte zu ihm: »Beim Gedeihen des Hauses des Propheten der Bastet, der Herrin von Anchtaui, zu dem du gelangt bist! Es wird sehr schön sein. Begib dich mit mir nach oben!« Setne (V 15) ging auf der Treppe des Hauses mit Tabubu nach oben. Er stellte fest, daß das obere Stockwerk des Hauses gefegt und besprengt war, indem sein Boden mit echtem Lapislazuli (V 16) und echtem Türkis ausgelegt war und zahlreiche Betten darin waren, die mit Byssos bezogen waren, und indem auf dem Tisch viele goldene Becher standen. Man füllte einen goldenen Becher mit Wein und gab ihn Setne in die Hand. (V 17) Sie sagte zu ihm: »Greif bitte zu!« 276) Er sagte zu ihr: »Es gibt nichts, was ich tun könnte.« 277) Man gab Räucherwerk auf das Feuerbecken und brachte Salben, wie sie für den Pharao verwendet werden, vor ihn. (V 18) Setne verbrachte einen schönen Tag mit Tabubu, er hatte ja noch niemals ihresgleichen gesehen. Setne sagte zu Tabubu: »Laß uns vollenden, weswegen wir hierhergekommen sind!« (V 19) Sie sprach zu ihm: »Du wirst dein Haus, das, in dem du bist, erreichen. 278) Ich bin eine Priesterin, ich bin keine gemeine Person. Wenn du mit mir zu tun begehrst, was du willst, mußt du mir eine sanch-Urkunde 279) (V 20) und eine Geldbezahlung(sschrift) über alle Dinge und alles Vermögen, das dir gehört, ausstellen.« Er sagte zu ihr: »Man hole den Schulschreiber!« Sofort wurde er geholt. Er (Setne) veranlaßte, daß ihr eine sanch-Urkunde und eine Geldbezahlung(sschrift) über alle Dinge und alles Vermögen, das ihm gehörte, ausgestellt wurden. Einige Zeit später (V 21) meldete man Setne: »Deine Kinder sind unten!« Er sagte: »Laßt sie heraufbringen!« Tabubu erhob sich und zog ein Gewand aus Byssos an. (V 22) Setne sah darin jedes Glied von ihr. Seine Begierde wurde immer stärker. Setne sagte: »Tabubu, laß mich vollenden, (V 23) weswegen ich hierhergekommen bin!« Sie sprach zu ihm: »Du wirst dein Haus, das, in dem du bist, erreichen. Ich bin eine Priesterin, ich bin keine gemeine Person. Wenn du mit mir zu tun begehrst, was du willst, mußt du veranlassen, daß deine (V 24) Kinder meine Urkunde unterschreiben. Laß nicht zu, daß sie mit meinen Kindern um deinen Besitz streiten!« Er veranlaßte, daß seine Kinder geholt wurden und sie die Urkunde unterschrieben. Setne sagte zu Tabubu: »Laß mich vollenden, (V 25) weswegen ich hierhergekommen bin!« Sie sagte zu ihm: »Du wirst dein Haus, das, in dem du bist, erreichen. Ich bin eine Priesterin, ich bin keine gemeine Person. Wenn du mit mir zu tun wünschst, was du willst, mußt du (V 26) deine Kinder töten lassen. Laß nicht zu, daß sie mit meinen Kindern um deinen Besitz streiten!« Setne sagte: »Möge an

275. Mit dem üblicherweise so übersetzten Terminus pr-hd ist hier vielleicht ein Pavillon gemeint. 276. Wörtlich »Möge es geschehen, daß du deine Art des˙ ¯Essens machen wirst!« 277. Gemeint ist wohl »Ich werde nichts tun können, weil ich so erregt bin (und gleich zur Sache kommen will).« 278. Zu verschiedenen Deutungen dieses mehrfach wiederholten Satzes vgl. S. Vinson, Fs Thissen, 458-461. 279. Mit dem Begriff s2nh in Eheurkunden ist der von der Frau zu zahlende Betrag gemeint, für ˘ Gegenzug zur Unterhaltszahlung verpflichtet, einer Verpflichtung, der den der Mann sich im er sich nicht von sich aus entziehen kann, während die Frau ihrerseits den s2nh im Schei˘ dungsfall jederzeit zurückfordern kann, vgl. S. Lippert, Einführung in die altägyptische Rechtsgeschichte, Berlin 2008, 167-169.

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ihnen das Verbrechen, das dir dein Herz eingibt 280), verübt werden!« Sie ließ seine Kinder in seiner Gegenwart töten (V 27) und aus dem Fenster vor die Hunde 281) und Katzen hinunterwerfen. Sie fraßen ihr Fleisch, während er sie hörte und mit Tabubu trank. Setne sagte zu Tabubu: (V 28) »Laß uns vollenden, weswegen wir hierhergekommen sind! Alles, was du gesagt hast, habe ich für dich getan!« Sie sagte zu ihm: »Begib dich in dieses ›Schatzhaus‹ !« Setne ging in das ›Schatzhaus‹. Er legte sich auf ein Bett (V 29) aus Elfenbein und Ebenholz, indem er am Ziel seiner Wünsche stand. 282) Tabubu legte sich neben Setne. (Dies)er streckte seine Hand aus, um sie zu berühren. Da öffnete sie ihren Mund ganz weit283) (V 30) mit einem lauten Schrei. Setne erwachte völlig erhitzt, 284) indem sein Phallus in einem Nachttopf(?) 285) war und er überhaupt keine Kleider am Leib hatte. Wie Setne zur Vernunft kam, reumütig das Zauberbuch zurückbrachte und die Familie des Naneferkaptah im Grabe zusammenführte: (V 31) Eine Weile später erblickte Setne einen Vornehmen, der eine Sänfte bestiegen hatte und wie ein Pharao aussah, wobei viele Menschen vor ihm herliefen. (V 32) Setne wollte sich erheben. Er konnte sich (aber) aus Scham nicht erheben, weil er keine Kleider am Leib hatte. Der Pharao sprach: »Setne, wieso bist du in diesem Zustand, in dem du dich befindest?« Er sagte. »Es ist Naneferkaptah, der mir das alles angetan hat!« (V 33) Der Pharao sprach: »Geh nach Memphis! Deine Kinder warten auf dich. Sie stehen ihrem Rang entsprechend vor dem Pharao.« Setne sprach vor dem Pharao: »Mein großer Herr! O daß er die Lebenszeit des Re habe! Wie (V 34) sollte ich nach Memphis gehen können, wo ich doch überhaupt keine Kleider am Leib habe?« Der Pharao rief zu einem Diener, der (in der Nähe) stand, und veranlaßte, daß er dem Setne Kleider brachte. Der Pharao sprach: »Setne, geh nach Memphis! (V 35) Deine Kinder sind am Leben! Sie stehen ihrem Rang entsprechend vor dem Pharao.« Setne kam nach Memphis. Er umarmte seine Kinder, als er sie lebend fand. Der Pharao sprach: »Warst (V 36) du vorher betrunken?« Setne erzählte alles, was ihm mit Tabubu und Naneferkaptah widerfahren war. Der Pharao sagte: »Setne, ich habe bei dir seinerzeit mein Möglichstes getan, (V 37) (indem ich) sagte: ›Man wird dich töten, wenn du dieses Buch nicht an den Platz, von dem du es geholt hast, zurückbringst.‹ (Aber) du hast bis jetzt noch nicht auf mich gehört. Dieses Buch soll dem Naneferkaptah zurückgebracht werden, indem ein gegabelter(?)(V 38) Stock in deiner Hand und ein Feuerbekken auf deinem Kopf ist.« 280. Wörtlich »das in dein Herz gelangt«. 281. Im Zweibrüdermärchen tötet Anubis seine verleumderische Frau und wirft den Leichnam den Hunden zum Fraße vor (VIII 7-8; vgl. Peust, TUAT.AF Ergänzungsband, 159). 282. Dies ist vielleicht der Sinn von »indem seine Liebe Gold empfing«, einem sonst nicht belegten Ausdruck. 283. Wörtlich »bis zum Boden«. 284. Wörtlich etwa »indem er an einem heißen Ort war« bzw. »indem er in einem Zustand der Hitze war«. 285. Das vieldiskutierte Wort sˇhj dürfte ein Gefäß bezeichnen; vgl. Hoffmann / Quack, Antholo˙ 345 (aw) und jetzt ausführlich S. Vinson, Fs Thissen, 461-466 gie, 150 (»Tongefäß(?)«) und mit Verweis auf eine Parallele in der neuägyptischen Erzählung von Horus und Seth (XI 78), wo Horus in ein Gefäß onaniert.

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Setne kam vom Pharao heraus, indem ein gegabelter(?) Stock in seiner Hand und ein Feuerbecken auf (V 39) seinem Kopf war. Er ging in das Grab, in dem Naneferkaptah war, hinunter. Ahure sprach zu ihm: »Setne, es ist Ptah, der große Gott, der dich heil (hierher) gebracht hat!« Naneferkaptah lachte. (VI Seitenüberschrift) Sechste (Seite). (VI 1) {»Es ist Ptah, der große Gott, der dich heil (hierher) gebracht hat.« Naneferkaptah lachte} (VI 2) und sagte: »Ich habe es dir ja gleich gesagt!« 286) Setne grüßte den Naneferkaptah. Er fand, wie man zu sagen pflegt, daß die Sonne das ganze Grab erfüllte. 287) (VI 3) Ahure und Naneferkaptah grüßten Setne sehr (herzlich). Setne sprach: »Naneferkaptah, ist irgendetwas nicht in Ordnung?« 288) Naneferkaptah sagte: »Setne, du weißt, daß Ahure (VI 4) und ihr Sohn Merib in Koptos sind, während sie durch das Werk eines guten Schreibers (gleichzeitig) hier in diesem Grab sind. Laß es dir angelegen sein 289), daß du die Mühe auf dich nimmst, nach Koptos zu gehen und sie (beide) (VI 5) hierherzubringen!« Setne stieg aus dem Grab herauf und ging vor den Pharao. Er erzählte vor dem Pharao alles, was ihm Naneferkaptah gesagt hatte. Der Pharao sagte: »Setne, geh nach Koptos! Bringe (VI 6) Ahure und ihren Sohn Merib!« Er sprach vor dem Pharao: »Möge mir die königliche seheret-Barke mit ihrer Ausstattung gegeben werden!« Da wurde ihm die königliche seheret-Barke mit ihrer Ausstattung gegeben. Er stieg an Bord und (VI 7) [s]egelte los. Unverzüglich gelangte er nach Koptos. Man meldete es den Priestern der Isis von Koptos und dem Lesonis der Isis. Sie kamen zu ihm herunter und begleiteten ihn ans Ufer. Er stieg von dort hinauf und ging (VI 8) in den Tempel der Isis von Koptos und des Harpokrates. Er ließ Rind(er), Geflügel und Wein holen und brachte Brandund Trankopfer vor Isis von Koptos und Harpokrates dar. (Dann) ging er mit den Priestern der Isis und dem Lesonis der Isis zur Nekropole von Koptos. (VI 9) Sie verbrachten drei Tage und drei Nächte, indem sie in allen Gräbern in der Nekropole von Koptos suchten, die Stelen der Schreiber des Lebenshauses umdrehten und die Inschriften darauf lasen. (Aber) sie fanden die Ruhestätten, (VI 10) in denen Ahure und ihr Sohn Merib waren, nicht. Naneferkaptah merkte, daß sie die Ruhestätten der Ahure und ihres Sohnes Merib nicht gefunden hatten. Er erhob sich (VI 11) als uralter Priester 290) und kam dem Setne entgegen. (Als) Setne ihn erblickte, sprach Setne zu dem Alten: »Du siehst aus wie ein alter Mann. Kennst du die Ruhestätten, (VI 12) in denen Ahure und ihr Sohn Merib sind?« Der Alte sprach zu Setne: »Mein Urgroßvater sagte (einmal) zu meinem Großvater: ›Mein (VI 13) hUrigroßvater hatte zu meinem Großvater gesagt: »Die Ruhestätten von Ahure und ihrem Sohn Merib sind an der südlichen Ecke des Hauses des Heeresobersten … 291).«‹« (VI 14) Setne sprach zu dem Al286. Wörtlich »Eine Sache, die ich dir am Anfang gesagt habe, ist es.« 287. Wörtlich »Er fand (die Wahrheit dessen,) indem (d. h. daß) man zu sagen pflegt: Re/die Sonne ist es, die in dem ganzen Grab war.« Die Rückkehr des Zauberbuches in das Grab seines Besitzers bewirkte also ein Erstrahlen der durch Re auch sprachlich personifizierten Sonne, was Ritner, in: Simpson, Literature, 467 Anm. 41 mit den Schilderungen altägyptischer Unterweltsbücher wie des Amduat in Beziehung setzt. 288. Wörtlich »Gibt es eine Sache, die mißlich (o. ä.) ist?« 289. Wörtlich »Gib, daß es befohlen wird vor (d. h. von) dir!« 290. Wörtlich »als ein alter Priester, der sehr alt war«. 291. Die dürftigen Zeichenreste erlauben keine Ergänzung des Namens.

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ten: »Vielleicht hat dich der Heeresoberste geschädigt, daß du deswegen im Begriff bist, sein Haus niederreißen zu lassen.« Der Alte sagte zu Setne: »Laß mich bewachen! Laß (VI 15) das Haus des Heeresobersten zerstören! Wenn man (dann die Gräber von) Ahure und ihrem Sohn Merib unter der südlichen Ecke seines Hauses (immer noch) nicht gefunden hat, möge ich bestraft werden!« Man bewachte den Alten, (VI 16) (und tatsächlich) fand man die Ruhestätte der Ahure und ihres Sohnes Merib unter der südlichen Ecke des Hauses des Heeresobersten. Setne ließ die vornehmen (Toten) in die königliche seheret-Barke bringen, (außerdem) ließ er (VI 17) das Haus des Heeresobersten (genauso wieder)errichten, wie es früher war. Naneferkaptah gab Setne zu verstehen, daß er (selbst) es war, der nach Koptos gekommen war, um sie die Ruhestätten, in denen sich Ahure (VI 18) und ihr Sohn Merib befanden, finden zu lassen. Setne stieg an Bord der königlichen seheret-Barke und fuhr stromabwärts. Unverzüglich gelangte er zusammen mit allen Leuten, die bei ihm waren, nach Memphis. Man meldete (VI 19) es dem Pharao. (Dies)er kam herunter vor die königliche seheret-Barke. Er ließ die vornehmen (Toten) in das Grab überführen, in dem Naneferkaptah war, und ließ über ihnen (VI 20) ein für allemal(?) 292) (VI 19) (dichten) Nebel(?) 293) machen. Nachschrift: vollendete Schrift ist es. Erzählung von Setne Chaemwese und Naneferkaptah und seiner Frau Ahure und ihrem (der Ahure) Sohn Merib. Geschrieben vom Gottesvater Tjahor[pa]ta, Sohn(?) des Psenamunis(?), (VI 21) (im) Jahr 15(?) 294), Monat Tybi. (VI 20) Eine

2.2 Die Zweite Setne-Erzählung

Der 1895 von D. G. Hogarth in Assuan gekaufte Papyrus British Museum 10822 Verso (in der Literatur auch mit der Nummer 604 zitiert) stammt nach den griechischen Landregistern auf dem Recto aus Krokodilopolis (in Mittelägypten?) 295) und wurde wohl in der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts zur Aufzeichnung einer Erzählung benutzt296). Im Mittelpunkt der Geschichte steht entgegen der 292. Wörtlich »in einer Weise«. 293. Derselbe Ausdruck hsjs (mit »Segel«-Determinativ) wie in Setne 2, VI 16. Da es sich dort um ˙ ein durch Magie geschaffenes meteorologisches Phänomen handelt (Nebel oder Wolke?), durch das die Sicht genommen wird, ist Entsprechendes wohl auch an der vorliegenden Stelle gemeint; vgl. Vinson, Fs Thissen, 469-470. 294. Die Alternativlesung »35« ist weniger wahrscheinlich. Der Schreiberkolophon ist etwas nachlässig in gedrängten Zeichen geschrieben. 295. So nach Th. Kruse, Der königliche Schreiber und die Gauverwaltung. Untersuchungen zur Verwaltungsgeschichte Ägyptens in der Zeit von Augustus bis Philippus Arabs, Leipzig 2002, I, 51 (und Anm. 125 gegen die verbreitete Zuweisung an das Krokodilopolis bei Gebelen). 296. Die Landregister auf dem Recto sind auf 46/47 n. Chr. datiert. Da bei der Erstbeschriftung des Papyrus normalerweise das Recto bevorzugt wurde, wird der Text auf dem Verso erst später, als die administrativen Texte nicht mehr benötigt wurden, niedergeschrieben worden sein. Zu zwei ähnlichen Fällen vgl. K. Ryholt, Narrative Literature from the Tebtunis Temple Library (CNI Publications 35), Kopenhagen 2012, 103-104.

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üblichen Benennung nicht die Person des Setne, sondern die seines Sohnes Siosire – der Name bedeutet nicht zufällig »Sohn des Osiris« –, der von Osiris die Erlaubnis erhalten hat, als Reinkarnation eines 1500 Jahre früher lebenden heliopolitanischen297) Magiers auf die Erde wiederzukehren und hier die Ehre Ägyptens gegen die Demütigungen durch die Nubier zu verteidigen. Auch hier spielt ein von Thot geschriebenes Buch eine Rolle, aber anders als in der ersten Setne-Geschichte ist Thot hier nicht Gegenspieler eines allzu neugierigen Adepten, sondern Beistand in einer, man möchte fast sagen, »nationalen« Angelegenheit. Mehr noch als Setne 1 ist Setne 2 wegen seiner verschiedenartigsten Motive (Gang durch die Unterwelt, Höllenstrafen, Tantalusqualen, Zauberwettkampf, wundersame Reinkarnation u. a. m.) von höchstem Interesse, und wenn auch die geglättete, sprachlich anspruchsvolle Übertragung von Emma Brunner-Traut, Altägyptische Märchen (mehrere Auflagen), Augsburg 1998, 242-264, nicht auf kritischem Studium des demotischen Originaltexts beruht, ist der letzte Satz ihrer Erklärungen (aaO 345), daß es sich um eine »weittragende, wundersame Geschichte, deren Fruchtbarkeit noch kaum erkannt ist«, handle, immer noch gültig. Aus der älteren ägyptischen Literatur kommt dem wohl nur das Zweibrüdermärchen 298) nahe. Demotisch beschriebener Papyrus. – Fundort: Mittelägypten (?). – Aufbewahrungsort: London, British Museum (pBM EA 10822 Verso). – Edition: F. Ll. Griffith, Stories of the High Priests of Memphis, Oxford 1900 (grundlegende Edition der beiden großen Setne-Erzählungen). – Weitere neuere und neueste Übersetzungen: Lichtheim, Ancient Egyptian Literature 3, 138-151; Bresciani, Letteratura e Poesia, 894-908; Ritner, in: Simpson, Literature, 470489; Quack / Hoffmann, Anthologie, 118-137 und 340-343; Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 41-65 und 326-328. Nacherzählungen (z. T. mit Interpretationen): Quack, 2Literatur, 41-47; J. Dieleman, Priests, Tongues, and Rites. The London-Leiden Magical Manuscripts and Translation in Egyptian Ritual (100-300 CE), Leiden / Boston 2005, 234-238. Besondere Beachtung haben seit der Publikation durch Griffith die Unterweltsschilderungen mit der Parallele zur neutestamentlichen Parabel vom armen Lazarus und dem Reichen und der Verschmelzung griechischer und ägyptischer Vorstellungen gefunden: H. Greßmann, Vom reichen Mann und armen Lazarus. Eine literargeschichtliche Studie, in: Abhandlungen der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 7, 1918, 3-90; F. Hoffmann, Seilflechter in der Unterwelt, in: ZPE 100 (1994) 339-347. Zu den historischen Bezügen vgl. L. Popko, Das historische Vorbild des Menechpare Siamun: Die Diskreditierung kuschitischer Pharaonen in der spätzeitlichen Literatur, in: L. Popko et al. (Hg.), Von Sklaven, Pächtern und Politikern (Fs Reinhold Scholl), Berlin / Boston 2012, 84-100. Zum Wettkampf der Zauberer: N. Grimal, Le roi et la sorcière, in: Hommages à Jean Leclant, Bibliothèque d’Études 106/4, Le Caire 1994, 97-108.

Wie Setnes Kinderwunsch erfüllt wurde und Siosire zu einem außergewöhnlich begabten Jungen heranwuchs: (I 1) [… Sie sah im Tr]aum, wie man mit ihr redete: »[Bist] du Mehwesechet, [die Frau] des Setne, die (hier) ständig schläft 299), um ein Heilmittel zu erhalten? (I 2) [… …] [Wenn 297. Diese Zuweisung ist aus VI 10. 12 sowie weiteren demotischen Fragmenten in Berlin zu erschließen; vgl. Ryholt, Narrative Literature, 13-14 (3-4). 298. C. Peust, TUAT Ergänzungsband, 147-165. 299. Man hat sich die Situation als Inkubationsschlaf im Tempel vorzustellen; vgl. V 9-10 und die

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der Morgen des nächsten Tages] anbricht, geh zum [Ort, an dem sich], de[in Mann] Setne badet! 300) Du wirst einen Perseakeimling(?), [der] dort wächst, finden. (I 3) [… …] zu(?) ihnen. Reiße ihn mitsamt seinen Wurzeln aus, zermahle ihn wieder(?)[, verarbeite(?) es] zu einem Heilmittel und laß (I 4) [es Setne des Nachts einnehmen(?) 301)! Du wirst] von ihm in der nämlichen Nacht [schwanger werden].« Mehwesechet erwachte aus dem Traum, nachdem [sie] dies gesehen hatte. Sie handelte entsprechend (I 5) [allem, was ihr im Traum gesagt worden war. Sie legte sich z]u ihrem Mann [Setne] und wurde von ihm schwanger. 302) (Als) i[hr …] 303) geschah, [hatte sie] das Anzeichen(?) (I 6) [einer Schwangeren (o. ä.)]. [Man meldete es dem Setne(?). Es geschah(?), daß sein] Herz [dar]über sehr [froh war (o. ä.). Er] st[attete sie] vo[llständig mit] Amuletten aus 304) und rezitierte für sie einen Spruch. Eines Nachts legte [sich S]etne schlafen. (I 7) [Im Traum sah er,] wie man mit ihm redete: »Deine Frau Mehwesechet hat [in dieser(?) Nach]t empfangen. Der Junge, der geboren werden wird, den [wird man] Siosire [nennen]. Zahlreich (I 8) [sind die Wundertaten, die er im Lande Ägypten vollbringen wird(?).« Setn]e [erwachte] aus dem Traum, nachdem er dies gesehen hatte. [Sein Herz] war darüber sehr froh. hSiei machte ihre [zehn] Monate der Schwangerschaft 305). Sie kauerte (I 9) [auf Geburtsziegeln] 306) und gebar einen Jungen. Man setzte Setne davon in Kenntnis. [Er gab ihm den Namen] Siosire entsprechend dem, was ihm im Traum gesagt worden war. [Er wurde] an die Brust (bzw. in den Schoß) [gelegt]. (I 10) […] er wurde in der Wiege geschaukelt (o. ä.) und großgezogen. Es geschah nun, als der junge [Siosire ein Jahr alt] geworden war, da sagten sie: »Er ist zwei Jahre alt«. Als er zwei Jahre alt war, sagten sie: »Er ist vier Jahre alt.«

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Stele der Taimhotep (BM 147, B. Ockinga, TUAT II, 540-544; M. Panov, Die Stele der Taimhotep, Lingua Aegyptia 18 [2010] 169-191). – Zur Phraseologie von Träumen und Vision vgl. Ryholt, Narrative Literature, 199-208. Wörtlich »[Ort o. ä.] des Wassernehmens des Setne, deines Gemahls«. Man hat t j mw seit ¯ Griffith immer wieder als »urinieren« verstanden (so auch Agut-Labordère / Chauveau). Die Wiedergabe durch Hoffmann / Quack mit »Toilette(?)« hat demgegenüber den Vorzug, daß man dies wie deutsches »Bad« auch im erweiterten Sinne verstehen kann. Die Ergänzungen orientieren sich nach Agut-Labordère / Chauveau, doch ist auch Hoffmann / Quacks Vorschlag »Du(?) [sollst(?) sie(?)] als Heilmittel [nehmen(?)], und du sollst [Setne mit dir schlafen (o. ä.)] lassen« denkbar. Eine dritte Möglichkeit ist, daß beide das Mittel einnehmen sollten. In einem ägyptisch-arabisch überlieferten Märchen gibt ein Magier dem Sultan zwei Bonbons, eines für ihn und eines für seine Frau, um dieser zur Schwangerschaft zu verhelfen: G. Spitta Bey, Contes arabes modernes, Leide / Paris 1883, 1. Wörtlich »sie empfing von einem Wasser (= (Samen)flüssigkeit) des Schwangerwerdens von ihm«; vollständig erhalten in II 10 und VII 10. Zur Formel vgl. mit weiteren Belegen Ryholt, Narrative Literature, 190-191. Man erwartet in Analogie zu Setne 1, I 7 hpr p [j=s ssw n ı’r hsmn] »es geschah i[hre Zeit der ˘ ˙ viel zu kurz. Reinigung]« (Menstruation), die Lücke erscheint dafür jedoch Ergänzung nach V 6. Der Ausdruck mh s n X, wörtlich »Amulett(e) vollzählig machen für ˙ religiösen Texten und einmal in der Form »Man X« findet sich auch sonst in demotischen macht dir Amulette aus allerlei echten Edelsteinen vollzählig«: BM 35464, 14-15, vgl. M. Smith, Traversing Eternity. Texts for the Afterlife from Ptolemaic and Roman Egypt, Oxford 2009, 588 (übersetzt »Amulets (…) will be fashioned for you«). Zur Schwangerschaftsdauer und zur Formel vgl. mit weiteren Belegen Ryholt, Narrative Literature, 191-192. Lies psˇ=s [r tbj n ms]; vgl. dazu und zum Folgesatz (mit Parallelen) Ryholt, Narrative Literature, 192-193.

Texte aus Ägypten (I 11) [Setne verbrachte keine Stunde (o. ä.),] ohne auf den jungen Siosire zu schauen, indem die Liebe, [die er für ihn empfand], sehr groß war. Er wurde groß und stark. Man gab ihn in die Sch[ule]. 307) (I 12) [… …]. Er war dem Schreiber, den sie mit seinem Unterricht beauftragt hatten, [überle]gen. Der j[unge Siosire] fing an, mit den Schreibern des Lebenshauses 308) im [Tempel des Ptah(?)] Kultvorschriften(?) … zu rezitieren (o. ä.). (I 13) [… Alle (o. ä.) be]wunderten ihn sehr. Setne wünschte(?), daß man ihn (Siosire) zu dem Fest vor den Pharao bringen [ließe und (I 14) der Pharao ihm viele Fragen stellte (o. ä.)], und daß er ihm auf alle antwortete. … [… Se]tne war gereinigt für das Fest entsprechend [seiner Art in(?)] seinen Gemächern. (I 15) [… ..], indem der junge Si[osire zu] dem Fest [ging (o. ä.) ….

Wie Siosire seinen Vater in der Unterwelt herumführte und ihm das Schicksal der Verstorbenen erläuterte: Plötzlich 309) hörte [Se]tne Klagerufe (I 16) [… …] Er schaute [vom Fenster(?)] seiner Gemächer [hinunter] und erblickte den Sarg eines Reichen 310),] der in die Nekropole hinausgetragen wurde, indem die Klage (I 17) [sehr groß war (o. ä.)] und indem die Ehre(n), [die ihm zuteil wurde(n),] zahlreich war(en) [und … vo]r(?) ihm. [Er] schaute [nochmals(?)] hinunter und erblickte (I 18) [einen Armen, der in die Nekropole hinausgetragen wurde, indem] er [in] eine Matte eingewickelt war, indem [es still(?)] war [und] kein Mensch (o. ä.) [auf der Welt] hinter ihm herging. Setne [sprach]: »Bei (I 19) [Ptah, dem großen Gott! Besser sind doch Reiche dran, die] durch die [Klage]rufe [geehrt werden,] als (die) Armen, die in die Wüste hinausgetragen werden, (I 20) [ohne ordentlich bestattet zu werden (o. ä.).« Siosire sprach: »Möge man für dich im Westen] ebenso [tun], wie für diesen Armen im Westen 311) getan werden wird. (I 21) […] … […] 312) du […] im Westen.« (I 22) […][Set]nes Herz war dar[über] sehr [betrübt]. Von den letzten Zeilen der Kolumne sind nur spärliche Reste erhalten. Siosire und sein Vater befinden sich inzwischen als Beobachter in der Unterwelt: 313) (II 1) während

es andere gab, deren Bedarf an Wasser und Brot über ihnen [hi]ng, indem

307. Kindheit und Schulbesuch des Siosire werden in einem literarischen Brief auf einem Krug thematisiert: Ritner, in: Simpson, Literature, 490-491. Zu weiteren Parallelen vgl. Ryholt, Narrative Literature, 196-197. 308. Ebenso in VI 7. 8; vgl. P. Rylands, VII 16 und Anmerkung dazu (siehe oben). 309. Wörtlich »[Eine Stunde] war es, die geschah«, d. h. zu einem bestimmten Zeitpunkt. 310. rmt-2 , wörtlich »großer Mann«, im Sinne von »Vornehmer«, »Reicher« (koptisch rmmao). ¯ Plural geben wir hier zumeist mit »Notabeln« wieder (z. B. II 28). Den 311. »Westen« bezeichnet das Jenseits und hat in dieser Bedeutung wie koptisch amente keinen Artikel. 312. Die spärlichen Zeichenreste lassen keine sichere Ergänzung zu. Mit Blick auf II 15 ist anzunehmen, daß Siosire an dieser Stelle seinem Vater sagte, es werde diesem im Jenseits nicht so ergehen wie dem Reichen. 313. Zu diesem in der ägyptischen Literatur seltenen descensus ad inferos, wie er sich noch im P. Vandier sowie in Herodots Erzählung vom König Rhampsinitos (»Ramses, Sohn der Neith«) findet, vgl. J. M. Serrano Delgado, Rhampsinitus, Setne Khamwas and the Descent to the Netherword: Some Remarks on Herodotus II, 122, 1, JANER 11 (2011) 94-108 und dazu kritisch J. F. Quack, in: L. Coulon et al. (Hg.), Hérodote et l’Égypte, Lyon 2013, 69-74.

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sie liefen, um es herunterzuholen, während andere Gruben vor ihren Füßen 314) aushoben, um zu verhindern, daß sie es erreichen (konnten). (II 2) Sie gingen zur fünften Halle. Setne sah die ehrwürdigen Verklärten, wie sie entsprechend ihrer Rangordnung dastanden, und diejenigen, die eine Klage bezüglich Gewaltanwendung hatten 315), wie sie an der Tür standen und (laut) wehklagten, indem der Zapfen der (II 3) Pforte der fünften Halle im rechten Auge eines wehklagenden und schreiendes Mannes befestigt war. Sie gingen in das Innere der sechsten Halle. Setne erblickte die Götter und(?) die unterweltlichen [Beamten] 316), (II 4) wie sie entsprechend ihrer Rangordnung dastanden, und indem die Büttel(?) 317) des Westens dastanden und Meldung machten. (Dann) gingen sie in das Innere der siebenten Halle 318). Setne erblickte die Gestalt des Osiris, des großen Gottes, wie er (II 5) auf seinem Thron aus massivem(?, wörtl. »gutem«) Gold saß und mit der Atefkrone bekrönt war, [während] Anubis, der große Gott, zu seiner Linken und der große Gott Thot zu seiner Rechten war und die Götter und(?) die unterweltlichen Beamten links und rechts von ihnen standen und die Waage (II 6) mitten vor ihnen aufgestellt war, indem sie die schlechten (Taten) gegen die guten abwogen und Thot, der große Gott, schrieb, während Anubis seinem Kollegen (das Ergebnis) mitteilte. Und wessen schlechte (Taten) für zahlreicher befunden würden als seine guten, der würde der Verschlingerin 319) des Herrn des Westens übergeben werden. (II 7) Sein Ba und sein Leichnam würden vernichtet werden; sie läßt nicht zu, daß er jemals wieder atmet. Wessen gute (Taten) hingegen für zahlreicher befunden würden als seine schlechten, der würde unter die Götter und (?) die Beamten des Herrn des Westens gebracht werden, indem sein Ba zusammen mit den erhabenen Verklärten zum Himmel ginge. (II 8) Von wem aber befunden würde, daß seine guten (Taten) das Gleichgewicht mit seinen schlechten hielten, der würde unter die trefflichen Verklärten, die dem Sokar-Osiris folgen, gebracht werden. 314. Die übliche Übersetzung von h r-rd.t=w als »unter ihren Füßen« ist im Zusammenhang un¯ ihren ˆ Füßen« oder einfach »vor ihnen« (die zusammengebefriedigend, besser darum »vor setzte Präposition kann beides bedeuten). 315. Derselbe geläufige Ausdruck auch in Setne 1, V 5. 8 und P. Spiegelberg, XV 16. 316. Die Analyse der in II 5. 7 komplett erhaltenen Gruppe ist äußerst problematisch. Eine Stelle im P. Harkness, IV 18 (n ntr.w sr nw ı’mnt »the magistrate gods of the West«: Smith, Traverˆ auch an der vorliegenden Stelle »die unterweltsing Eternity, 293), eröffnet¯die Möglichkeit, lichen Beamten« (wörtlich »die Beamten von Westmenschen«) als Apposition zu »die Götter« aufzufassen. 317. Lies wohl sˇm[sˇ]t (zu sˇms »dienen«?). ˆ der Unterwelt stehen wahrscheinlich mit den sieben Unterweltstoren im 318. Die sieben Hallen 144. Kapitel des Totenbuchs in Zusammenhang. Enge Berührungspunkte bestehen offenbar auch mit der Anschauung von dem durch sieben Pforten gegliederten Himmel, in den nach der hermetischen »Schrift des weisen Ostanes« der Adept in einer Traumvision durch ein Geistwesen geführt wird, vgl. R. Reitzenstein, Himmelswanderung und Drachenkampf in der alchemistischen und frühchristlichen Literatur, in: Festschrift für F. C. Andreas, Leipzig 1916, 33-50, hier 34-36. 319. In bildlichen Darstellungen des hier beschriebenen Totengerichts, wie es in Totenbuchkapitel 125 thematisiert wird, erscheint die »Verschlingerin« (2m2m.t) des Westens standardmäßig als Mischwesen mit Krokodilskopf, Löwenkörper und Nilpferdhinterteil. Vgl. Chr. Seeber, Untersuchungen zur Darstellung des Totengerichts im Alten Ägypten (MÄS 35), Berlin 1976, 163-184.

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Texte aus Ägypten

Setne erblickte einen Reichen, der in ein Gewand aus Byssos gehüllt war und (II 9) dem Ort nahe war, an dem sich Osiris befand, indem der Rang, den er (der Reiche) innehatte, sehr hoch war. Setne wunderte sich sehr über das, was er im Westen sah. Siosire ging vor ihm hinaus und sprach zu ihm: »Mein Vater Setne, siehst du nicht (II 10) diesen Reichen, der in ein Gewand aus Byssos gehüllt ist und dem Ort, an dem sich Osiris befindet, nahe ist? Das ist dieser Arme, den du gesehen hast, wie sie ihn aus Memphis hinaustrugen, indem kein Mensch hinter ihm herging und er in eine Matte eingewickelt war. Er wurde in die Unterwelt gebracht. (II 11) Seine bösen (Taten) wurden gegen seine guten, die er auf Erden getan hatte, aufgewogen. Seine {bösen} hguteni (Taten) wurden für zahlreicher befunden als seine bösen im Verhältnis zu seiner Lebenszeit, die ihm Thot zugewiesen hatte, um sie ihm zu geben, (und) im Verhältnis zu seinem Glück auf Erden. Es wurde vor (von) Osiris befohlen, (II 12) die Grabausstattung dieses Reichen, den du gesehen hast, wie er aus Memphis herausgebracht wurde und ihm große Ehre zuteil wurde, diesem besagten Armen zu überlassen und ihn unter die ehrwürdigen und geisterhaften Verklärten zu bringen, die dem Sokaris-Osiris folgen, indem er (II 13) dem Ort, an dem sich Osiris befindet, nahe ist. Dieser Reiche, den du gesehen hast, wurde in die Unterwelt gebracht. [Seine] bösen (Taten) wurden gegen seine guten aufgewogen. Es wurde festgestellt, daß seine bösen (Taten) zahlreicher waren [als sei]ne guten, die er auf Erden getan hatte. (Darum) hwurdei befohlen, daß es im Westen vergolten wird. Er (II 14) [ist dieser Mann, den du] gesehen hast, indem der Zapfen der Tür des Westens auf seinem rechten Auge befestigt ist und (die Tür) auf seinem Auge auf- und zugemacht wird, während sein Mund mit lautem Geschrei geöffnet ist. 320) Bei Osiris, dem großen Gott, dem Herrn des Westens! Wenn ich zu dir auf der Erde gesagt habe: (II 15) ›[Man wird] dir [tun], wie man diesem Armen tun wird. Nicht wird man dir tun, wie man diesem Reichen tun wird!‹, so deswegen, weil ich wußte, was mit ihm geschehen würde.« Setne sprach: »Mein {Vater} Sohn Siosire! Zahlreich sind die Wunder, die ich in der Unterwelt gesehen habe! Aber laß mich erfahren, (II 16) [was] mit diesen Leuten [geschehen ist (o. ä.)], die Seil(e) flechten, während diese Eselinnen (die geflochtenen Seile) hinter ihnen fressen, 321) und während hesi andere hgibti, deren Bedarf an Wasser und Brot über ihnen hängt, indem sie laufen, um es herunterzuholen, während andere (II 17) vor ihren Füßen Gruben ausheben, um zu verhindern, daß sie an sie (an Speise und Trank) herankommen.« Siosire sprach: »Das ist (die) Wahrheit, mein Vater Setne! Diese Seilflechter, die du siehst, während diese Eselinnen (die Seile) hinter ihnen fressen, sind die(jenige) Art von Menschen auf Erden, (II 18) auf denen der Fluch des Gottes lastet 322), indem sie Tag und Nacht für ihren Lebensunterhalt arbeiten (müssen), während ihre 320. Die Parallelen zur Parabel des Evangeliums (Lk 16,19-31) wurden bereits von Greßmann, Vom reichen Mann und armen Lazarus, herausgearbeitet. 321. Die Parallele zu Pausanias X, 29, 2 wurde ebenfalls von Greßmann, aaO 67 (nach Möller) hervorgehoben; die Frage, ob hier griechischer Einfluß nach Ägypten ausgestrahlt hat oder umgekehrt, wird meist plausibel dahingehend beantwortet, daß die Verknüpfung von Oknosund Tantalosmotiven in der Setne-Erzählung die Begegnung mit Hellas voraussetzt (anders F. Hoffmann, ZPE 100 (1994) 339-346; differenzierend Quack, 2Literatur, 46-47). 322. Wörtlich »die unter dem Fluch des Gottes sind«.

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Frauen es hinter ihrem Rücken rauben 323) und sie (selbst) kein Brot zum Essen finden. Sie sind ihrerseits (o. ä.) in den Westen gekommen. Es wurde befunden, daß ihre bösen (Taten) zahlreicher als ihre guten waren. (II 19) Es wurde (darum) befunden, [daß das, was] mit ihnen auf Erden zu geschehen pflegte, mit ihnen (auch) im Westen geschehen solle 324), mit ihnen und diesen anderen Menschen, die du siehst, deren Bedarf (an Wasser und Brot) über ihnen hängt, indem sie laufen, um es herunterzuholen, während (II 20) andere unter ihren Füßen eine Grube ausheben, um zu verhindern, daß sie daran (an Brot und Wasser) herankommen. (Das ist) die Art von den Menschen auf Erden, vor denen ihr Lebensunterhalt ist, während der Gott unter ihren Füßen eine Grube aushebt, um zu verhindern, daß sie ihn finden. Sie sind (II 21) [ebenfalls(?)] in den Westen gekommen. Man ließ das, was mit ihnen auf Erden zu geschehen pflegte, auch [im Westen] mit ihnen geschehen, [um] ihren Ba [nicht] in der Unterwelt zu empfangen. Nimm es dir zu Herzen, mein Vater Setne: Wer auf Erden gut ist, zu dem wird man auch im Westen gut sein, (II 22) [und] wer böse ist, zu dem wird man böse sein 325). Dies ist (so) festgesetzt, [und es wird sich] nie [ändern (o. ä.)]. Die Dinge, die du in der Unterwelt von Memphis siehst, sie geschehen in diesen 42 Gauen 326), (II 23) in [denen die Beamten(?)] des Osiris, des großen Gottes, sind. Siehe, [es geschieht auch in A]bydos, der Stätte des Lustwandelns, den Häusern des Fürsten von [Alc]hai 327).« Als hSiiosire diese Worte {(des) Sagens} vor [seinem Vater] Setne geendigt hatte, (II 24) [sti]eg(?) er in die Nekropole von Memphis hinauf, [indem (sein Vater) Setne] ihn [anfa]ßte und ihn bei der Hand hielt 328). Setne fragte [ihn(?)]: »Mein Sohn Siosire, die Stelle, an [der] man hinuntergeht, (II 25) ist (also) verschieden von der Stelle, an der wir hinaufgegangen sind?« (Aber) Si[osire ant]wortete dem Setne überhaupt nichts. Setne wunderte sich [über die] Dinge, die er erlebte, 329) und sagte (sich), daß er (Siosire oder Setne?) ein ehrwürdiger, geisterhafter Verklärter werden könne. (II 26) »[Ich werde] mit ihm gehen, indem ich sage: ›Er ist mein Sohn.‹« Setne rezitierte [einen Zauberspruch aus dem] Buch vom Niederwerfen eines Geistes, indem er sich [über das,] was er in der Unterwelt gesehen hatte, sehr wunderte, und indem die nämlichen Dinge (II 27) einen tiefen Eindruck auf ihn machten (o. ä.) 330). Aber er konnte (es) niemandem [auf der Welt] eröffnen.

323. Auch dieses Bild findet sich bei Pausanias an der genannten Stelle. 324. Ist damit gemeint, daß den Bösen auch im Jenseits die Grundlagen ihrer diesseitigen Versorgung erhalten bleiben, auch wenn sie diese nicht mehr genießen können? Vgl. auch II 21. 325. Man vergleiche, wie in einer berühmten Passage der Brhada¯ranyaka-Upanisad das Schicksal ˙ auf ˙Reinkarnation) ˙ quasi als Gedes Verstorbenen mutatis mutandis ähnlich (im Hinblick heimnis verkündet wird: Auf die Frage, was mit dem Menschen nach dem Tode geschieht, antwortet Ya¯jñavalkya: »Darüber müssen wir beiden unter uns allein uns verständigen, nicht hier in der Versammlung (… …). Fürwahr, gut wird einer durch gutes Werk, böse durch böses.« (zitiert nach P. Deussen, Sechzig Upanishad’s des Veda, Leipzig 31921, 433). 326. Traditionelle Zahl der Gaue Ägyptens (22 in Oberägypten, 20 in Unterägypten). 327. Der Fürst von [2rq]-hh (gräzisiert als 3Alcai belegt, eine Bezeichnung der Unterwelt) ist Osi˙˙ ris. 328. Wörtlich »indem seine Hand in seiner Hand war«. Das vorangehende Verbum dürfte entgegen den bisherigen Bearbeitungen [mh]t »fassen, ergreifen« sein. ˙ˆ 329. Wörtlich »in denen er war«. 330. Wörtlich etwa (…) »indem die nämlichen Dinge [auf] ihm lasteten«.

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Wie am Königshof ein nubischer Magier mit einem versiegelten Brief erschien: [Als der j]unge Siosire zwölf Jahre alt war, geschah es, daß es keinen [Schreiber] gab, der ihn in Memphis im Rezitieren magischer Schriften übertroffen hätte. 331) (II 28) [Danach] kam ein Tag, da der König User[maatre] 332) in die Halle des königlichen Palastes von Memphis [ging, während die Beam]ten, die Fürsten, die Generäle und die Notabeln von Ägypten (II 29) [ihrer] Rangordnung entsprechend im Hof [standen. Man] kam, [um zu melden (o. ä.)]: »Eine Meldung ist es, die ein kuschitischer Schamane 333) gemacht hat, [indem] er einen [versiegelten] Brief an seinem Leib hat.« 334) Man erstattete darüber Meldung (II 30) [vor dem] Pharao. Sie brachten ihn in die Halle. Er grü[ßte(?) 335) und sagte: »Gibt es jemanden, der] diesen Brief, den ich nach Ägypten vor den Pharao gebracht habe, lesen (können) wird, ohne sein Siegel zu brechen, (einen), der die Texte, die darin sind, lesen (kann), (II 31) ohne ihn zu öffnen? Falls es [keinen guten, gelehrten Schreiber in] Ägypten [gibt,] der ihn lesen können wird, ohne ihn zu öffnen, werde ich die Erniedrigung Ägyptens in das Nubierland, mein Land, bringen.« (II 32) Sobald der Pharao die(se) Worte zu[sammen mit seinen Fürsten] hörte, [gerieten sie außer] sich 336) und sagten: »Bei Ptah! Steht es denn in der Macht des guten, gelehrten Schreibers, Schriften zu lesen, von denen er (nur) (II 33) [den] (äußeren) Rand 337) sehen kann, oder gar einen Brief lesen, ohne [ihn zu öffnen]?« Der Pharao [sprach]: »Möge mein Sohn Setn[e Chaem]wese 338) zu mir gerufen werden!« Man lief und brachte ihn sofort. Er verneigte sich (III 1) {Man brachte ihn sofort. Er verneigte sich} bis zum Boden, warf sich vor [dem Pharao] nieder und [erhob] sich. Er stand vor ihm, indem er den Pharao verehrungsvoll grüßte. Der Pharao sprach zu ihm: (III 2) »Mein [Sohn Se]tne, hast du die Worte gehört, die dieser [kuschitische] Schamane [vo]r mir gesprochen hat: ›Gibt es einen guten, gelehrten Schreiber, der diesen Brief in (meiner) [Hand] lesen können wird, ohne sein Siegel zu zerbrechen, und der (heraus)finden wird, was darin geschrieben ist, ohne ihn zu öffnen?‹« Sowie Setne die(se) Worte hörte, (III 4) geriet er außer sich 339) und sprach: »Mein großer Herr, wer wird eine Schrift lesen können, ohne sie zu öffnen? Aber laß mir zehn Tage … 340) geben, daß

331. Die Schilderung des jungen Siosire erinnert stark an den zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2, 41-52). 332. Thronname Ramses’ II. (von Diodor I, 47, 4 als Osymandias überliefert), auch in Setne 1, V 4. 7 genannt. Denselben Namen trägt der nachgeborene Sohn Setnes in Setne 2, VII 10 (Papponymie). 333. Zur Bedeutung von te vgl. Ritner, in: Simpson, Literature, 476-477, Anm. 12. 334. Wörtlich »[indem er versiegelt ist] an seinem Leib mit einem Brief« (ergänzt nach III 14). 335. Lies sˇl[m]? (im Neuen Reich aus dem Semitischen entlehnt; vgl. hebr. sˇa¯lo¯m und arab. sala¯m). sˇl[l] (vgl. ı’r=f sˇll V 7) ist problematisch, da »flehentlich rufen« u. ä. nicht recht in den Zusammenhang paßt. 336. Wörtlich »[sie kannten keinen Ort auf Erden,] an dem sie waren«; vgl. III 4. 337. Im Sinne von »Außenseite«, als Sonderbedeutung von tsˇ »Region; Grenze«. 338. Realname des Sohnes Ramses’ II.; vgl. oben Setne 1, V 4 und Anmerkung dazu. 339. Vgl. II 32 und Anmerkung dazu. 340. Unklare Zeichengruppe (Griffith, Stories, 165 »delay(?)«; Lichtheim, Literature III, 142 »time«; Ritner, in: Simpson, Literature, 477 »further«; Hoffmann / Quack, Anthologie, 125 »Frist(?)«; Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 50 »délai«).

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ich sehe, was ich werde tun können, (III 5) um zu verhindern, daß die Erniedrigung Ägyptens ins Nubierland, das Gummifresserland 341), getragen wird.« Der Pharao sprach: »Sie sind meinem Sohn Setne (gewährt).« Man gab (III 6) dem Kuschiten Quartier und bereitete für ihn Dreck(?) 342) nach Kuschitenart zu. Der Pharao erhob sich in der Halle, indem sein Herz sehr betrübt war, und ging zu Bett, ohne zu trinken (III 7) und zu essen. Setne begab sich in seine Gemächer, indem er keinen Platz auf Erden kannte, zu dem er gehen sollte. Er hüllte sich von Kopf bis Fuß in seine Kleider und ging zu Bett, ohne zu wissen, (III 8) an welchem Ort auf Erden er war. 343) Man ließ es seine Frau Mehwesechet wissen. Sie kam an den Ort, an dem sich Setne befand. Sie steckte ihre Hand in das Innere seiner Kleider und (III 9) fand keine (Körper)wärme, hindem eri regungslos (o. ä.) in seinen Kleidern dalag. Sie sprach zu ihm: »Mein Bruder Setne! Es ist keine Wärme in der Brust, (kein) … 344) im Fleisch. (Aber es sind) Leid und Bitternis im Herzen.« (III 10) Er sprach zu ihr: »Laß ab von mir, meine Schwester Mehwesechet! Das, weswegen mein Herz betrübt ist, ist nichts, was geeignet wäre, es einer Frau zu eröffnen.« Der junge Siosire (III 11) kam herein. Er stellte sich vor seinen Vater Setne und sprach zu ihm: »Mein Vater Setne, weshalb liegst du da, indem dein Herz betrübt ist? Die Dinge, die verborgen sind (III 12) in deinem Herzen, sag sie mir, daß ich sie in Ordnung bringe!« Er sagte: »Laß ab von mir, mein Sohn Siosire! Die Dinge, die in meinem Herzen sind, (für die) bist du (noch) zu jung, und du hast noch keine (III 13) Beherrschung über dich gewonnen.« Siosire sagte: »Sag es mir, daß ich dein Herz davon erleichtere (o. ä.)!« Setne sprach: »Mein Sohn Siosire, ein kuschitischer Schamane ist heraufgekommen (III 14) nach Ägypten, indem er einen versiegelten Brief an seinem Leib hat und sagt: ›Gibt es jemanden, der ihn lesen (können) wird, ohne ihn zu öffnen? Falls es in Ägypten keinen guten, gelehrten Schreiber gibt, (III 15) der ihn lesen können wird, werde ich die Erniedrigung Ägyptens ins Nubierland, mein [Land], bringen!‹ (Das ist es,) weswegen ich mit betrübtem Herzen daliege, mein Sohn Siosire!« Kaum (III 16) hatte Siosire diese Worte vernommen, lachte er anhaltend 345). Setne sagte zu ihm: »Warum lachst du?« Er sagte: »Ich lache deshalb, weil du (III 17) wegen einer derartigen Bagatelle daliegst, indem dein Herz betrübt ist. Erhebe dich, mein Vater Setne! Ich werde den Brief, der nach Ägypten gebracht wurde, lesen können, ohne ihn zu öffnen, (III 18) und ich werde herausfinden, was darin geschrieben ist, ohne sein Siegel zu zerbrechen.« Sowie Setne diese Worte hörte, erhob er sich plötzlich, indem er sagte: »Was ist der Beweis (III 19) für die (Richtigkeit der) Worte, die du sprichst, mein Sohn Siosire?« Er sprach zu ihm: »Mein Vater Setne, geh in die Kellerräume deines Hauses! Welches Buch auch immer du (III 20) aus dem Kasten bringen wirst, ich werde dir sagen,

341. Nur hier belegt, doch finden sich vergleichbare despektierliche Ausdrücke in literarischen Texten dieser Zeit auch sonst; vgl. P. Spiegelberg, XIII 14-15 (s. hier unten). 342. Das Wort nb2j wird meist als Schreibung für nbj »Sünde, Unrecht« und verächtliche Bezeichnung der nubischen Küche verstanden, vgl. S. Sauneron, L’Avis des Égyptiens sur la cuisine Soudanaise, Kush 7 (1959) 63-70 (anders Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 50: »on s’occupa de lui«). 343. Beachte die Häufung von Formeln des Außer-sich-Seins. 344. Die Bedeutung von sˇb2j ist unbekannt. 345. Wörtlich »er lachte viele Stunden lang«.

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was für ein Buch es ist! Ich werde es lesen, ohne es zu sehen, indem ich vor dir in deinen Kellerräumen stehe.« (III 21) Setne erhob sich, stellte sich hin und machte alles so, wie Siosire ihm gesagt hatte. {Setne} hSiosirei las alle Bücher, die sein Vater (III 22) ihm gegenüber in die Höhe hielt, ohne sie zu öffnen. Setne kam aus den Kellerräumen seines Hauses herauf, indem er überaus froh war. Unverzüglich begab er sich an den Ort, (III 23) an dem sich der Pharao befand. Er erzählte vor ihm alles, was ihm der junge Siosire gesagt hatte. Sein Herz war darüber sehr froh. Der Pharao reinigte sich (III 24) zur nämlichen Zeit für ein Fest(bankett) mit Setne. Er ließ Siosire in seiner Gegenwart zu dem Fest(bankett) bringen. Sie tranken und verbrachten einen schönen Tag. Am nächsten Morgen (III 25) erschien der Pharao in der Halle unter seinen Notabeln. Der Pharao ließ den kuschitischen Schamanen holen. Man brachte ihn in die Halle, indem er den versiegelten Brief an seinem Leib hatte. (III 26) Er stellte sich in die Mitte der Halle. Der junge Siosire trat vor und traf mit dem kuschitischen Schamanen zusammen. Er sprach zu ihm: (III 27) »Wehe, du kuschitischer Feind! Amun, sein Gott, zürne ihm! Bist du es, der nach Ägypten, dem schönen Garten des Osiris, dem Thron 346) des Re-Harachte, (III 28) dem schönen Horizont des Schai 347), heraufkommt, (indem du) sagst: ›Ich werde seine Erniedrigung ins Nubierland bringen‹ ? Der Fluch des Amun, deines Gottes, ist (sei) gegen dich geschleudert. Die Worte, die ich verkünden werde, (III 29) sie sind [die,] die in d(ies)em Brief geschrieben sind. Sage darüber nichts Falsches vor dem Pharao, deinem Herrn!« Sobald der (III 30) kuschitische Schamane den jungen Siosire erblickte, wie er in der Halle stand, ließ er den Kopf hängen 348) und sagte: »Alles, was du sagen wirst, darüber werde ich nichts Falsches sagen.« Der Inhalt des Briefes, den Siosire vorlas, ohne ihn zu öffnen: Wie ein früherer Pharao von einem nubischen Magier gedemütigt, dieser aber am Ende von einem ägyptischen Magier bezwungen wurde: (III 31) Der Anfang der Geschichten, die Siosire vor dem Pharao und seinen Fürsten erzählte, während das Volk von Ägypten seiner Stimme lauschte, indem er sagte: (III 32) »In dem Brief des kuschitischen Schamanen, der (hier) in der Mitte steht, ist Folgendes geschrieben: Es war einmal zur Zeit des Pharaos Menchpre Siamun 349), als er (IV 1) {Menchpre Siamun, 346. Das seit dem Neuen Reich belegte hdm ist zur semitischen Wurzel hdm zu stellen und bezeichnet ursprünglich ganz wie ugarit. hdm, hebr. hadom den (Fuß)schemel, in späterer Zeit dann aber metonymisch den Thron. 347. Der Gott des Schicksals (p ˇsj) erscheint hier gemeinsam mit Osiris und Re-Harachte als Pantokrator, dem Ägypten unterworfen ist. 348. Wörtlich »er gab seinen Kopf zum Boden«. 349. Mnh-p -r2 ist eine in der Spätzeit auch nichtliterarisch bezeugte unetymologische Schrei˘ für Mn-hpr-r2, den Thronnamen Thutmosis’ III. (1479-1425), den der Erzähler verbung ˘ hat, auch wenn der Namenszusatz »Sohn des Amun« für diesen Herrscher mutlich im Auge nicht historisch belegt ist. Dieselbe Namenskombination erscheint im weitgehend gleichlautenden Anfang eines literarischen Fragments (F. Hoffmann, Zwei neue demotische Erzählungen (P. Wien D 62), in: F. Hoffmann / H. J. Thissen, Res severa verum gaudium. Festschrift für Karl-Theodor Zauzich, Leuven etc. 2004, 249-259, hier 257-258). Nach der mich nicht überzeugenden Meinung von L. Popko, Fs Scholl, 84-100, ist jedoch eher Pianchi gemeint, zumal Thutmosis III. in der späten Überlieferung kaum Spuren hinterlassen habe. – Zur

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als er} ein wohltätiger König des ganzen Landes war, [indem] Ägypten zu seiner Zeit mit allen guten Dingen versehen 350) war, denn er machte viele (IV 2) Ausgaben und Arbeiten in den großen Tempeln Ägyptens 351). Eines Tages machte der Qore 352) des Nubierlandes einen Ausflug(?) in die … 353)-Wälder (IV 3) des Amun. Er hörte die Stimme(n) dreier kuschitischer Schamanen [im] ›Feindeshaus‹ 354), indem der eine von ihnen mit lauter Stimme redete (IV 4) und unter anderem sagte 355): ›Daß (nur) Amun an mir keinen Frevel findet und der Qore von Ägypten [mich (nicht) bestrafen] läßt! (Sonst) würde ich meine Zauber nach Ägypten hinaufschleudern (IV 5) und machen, daß das Volk von Ägypten drei Tage und drei Nächte verbringt, [ohne] das Licht zu sehen, nur die Finsternis.‹ (IV 6) Der andere von ihnen sprach weiter(?): ›Daß (nur) Amun keinen Tadel an mir findet und der Qore von Ägypten mich (nicht) bestrafen läßt! (Sonst) würde ich meine Zauber (IV 7) nach Ägypten hinaufschleudern und machen, daß der Pharao von Ägypten ins Nubierland gebracht wird, und ich würde ihn mit 500 Peitschenhieben schlagen lassen (IV 8) mitten vor dem Qore und machen, daß er binnen sechs Stunden, noch ehe hsiei vollendet sind, nach Ägypten zurückgebracht wird.‹ hDer andere von ihnen sprach: ›Daß (nur) Amun keinen Tadel an mir findet und der Qore von Ägypten mich (nicht) bestrafen läßt! (Sonst) würde ich meine Zauber nach Ägypten hinaufschleudern und machen, daß das Ackerland drei Jahre lang unfruchtbar ist.‹i 356) (IV 9) Sobald der Qore die(se) Worte durch die Stimme der drei kuschitischen Schamanen hörte, [ließ] er sie vor sich bringen und sprach zu ihnen: ›Wer von euch ist es, der gesagt hat: »Ich werde (IV 10) meine Zauber nach Ägypten hinaufschleudern und machen, daß [sie] drei Tage und drei Nächte lang kein Licht sehen«?‹ Sie sagten: ›Das war Hor, der Sohn der Sau.‹ (IV 11) Er sprach: ›Und wer ist es, der gesagt hat: »Ich werde meine Zauber nach Ägypten hinaufschleudern und den Pharao ins Nubierland bringen. Ich werde ihn schlagen lassen (IV 12) mit 500 Peitschenhieben mitten vor dem Qore und machen, daß er binnen sechs Stunden, noch ehe hsiei vollendet sind, nach Ägypten zurückgebracht wird«?‹ (IV 13) Sie sprachen: ›Das war Hor, der Sohn der Nubierin.‹ Er sprach: ›Wer (aber) ist derjenige, der gesagt hat: »Ich werde meine Zauber nach Ägypten hinaufschleudern (IV 14) und machen, daß das Ackerland drei Jahre lang unfruchtbar ist«?‹ Sie sagten: ›Das war Hor, der Sohn [der] Fürstin.‹ Der Qore sprach hzu Hor, dem Sohn der Nubierini: ›Vollbringe es, dein (IV 15) Zauberkunststück! Bei Amun, dem Stier von Meroe, meinem Gott, wenn deine Hand geschickt

350. 351. 352. 353. 354. 355. 356.

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ganzen mehrteiligen Einleitungsformel (wörtlich »es geschah ein Tag in der Zeit« etc.) vgl. Ryholt, Narrative Literature, 181-186. Wörtlich »verbunden, vereinigt« (sˇbn). Wörtlich »indem er zahlreich war im Geben (von) Ausgabe(n und) Arbeit«. Der Ausdruck »die großen Tempel Ägyptens« erscheint auch in P. Rylands 9, VI 16 (siehe oben). Meroitischer Herrschertitel (kwr), in IV 4. 6 den Kuschiten mit Bezug auf den Pharao in den Mund gelegt. Die genaue Bedeutung von hwr ist unbekannt. Nach Quack, 2Literatur, 43 und Anm. 76 wohl eine bewußte Verzerrung von pr-2nh »Lebens˘ haus« (zu diesem vgl. P. Rylands, VII 16 und Anmerkung dazu). Wörtlich etwa »sagend nach dem Sagen«. Rekonstruktion der ausgelassenen Worte des dritten Schamanen nach IV 13-14.

Texte aus Ägypten

ist (o. ä.), werde ich dir viele Wohltaten erweisen!‹ Hor, der Sohn der Nubierin, machte (IV 16) eine Sänfte aus Wachs mit vier Trägern und rezitierte über sie (die Träger) einen Zauberspruch. Er gab ihnen Odem des Verderbens (o. ä.) 357), machte sie lebendig 358) und befahl ihnen: (IV 17) ›Ihr werdet nach Ägypten hinaufgehen und den Pharao von Ägypten zu dem Ort, an dem sich der Qore befindet, hinaufbringen. Er soll geschlagen werden mit 500 Peitschenhieben (IV 18) mitten vor dem Qore. Ihr werdet ihn binnen sechs Stunden hinauf nach Ägypten zurückbringen.‹ Sie sagten: ›Jawohl! Wir werden nichts (IV 19) auslassen!‹ Die Zauber des Kuschiten flogen in der Nacht nach Ägypten hinauf {sie bemächtigten sich}. Sie bemächtigten sich des Pharaos (IV 20) Menchpre Siamun und brachten ihn fort ins Nubierland an den Ort, an dem sich der Qore befand. Sie schlugen ihn mit 500 Peitschenhieben mitten (IV 21) vor dem Qore und brachten ihn binnen sechs Stunden, noch ehe hsiei vollendet waren, zurück hinauf nach Ägypten 359).« Diese Geschichten erzählt(e) Siosire (IV 22) mitten vor dem Pharao und seinen Fürsten, während das Volk von Ägypten seiner Stimme lauschte, und er sagte: »Der Fluch des Amun, (IV 23) deines Gottes, ist (sei) gegen dich geschleudert! Die Worte, die ich sage, sind sie (nicht) die, die geschrieben sind entsprechend dem Brief, der in deiner Hand ist?« Der kuschitische Schamane sprach: (IV 24) »Lies weiter! Alle Worte, die du sagst, sind Wahrheit.« Siosire sprach vor dem Pharao: »Nachdem dies geschehen war, wurde Pharao Siamun (IV 25) hinauf nach Ägypten zurückgebracht, indem er 360) von kräftigen Hieben ganz zerschunden war. Er ging im Schlafgemach des Horuspalastes zu Bett, indem [er] (IV 26) ganz zerschunden war. Am Morgen des nächsten Tages sprach der Pharao zu den Beamten: ›Was ist während meiner Abwesenheit in Ägypten geschehen?‹ 361) (IV 27) Die(se) Worte erschienen den Beamten wirr 362), und sie sagten (sich): ›Vielleicht hat der Pharao den Verstand verloren.‹ Sie sagten: ›Du bist heil, (IV 28) du bist heil! O Pharao, unser großer Herr, Isis wird deine Sorgen vertreiben. Was ist die Bedeutung(?) der Worte, die du (IV 29) vor [uns] gesprochen hast? [O Phara]o, unser großer Herr, du liegst [im] Schlafgemach [des] Horus[palastes]! Die Götter beschützen dich.‹ Der Pharao erhob sich. (IV 30) Er zeigte [den] Beamten seinen Rücken, der [von] kräftigen [Hieben] ganz zerschunden war, und sprach: ›Bei Ptah, dem großen Gott, (V 1) hmani hat mich letzte Nacht ins Nubierland gebracht! Ich wurde mitten vor dem Qore mit 500 Peitschen[hieben] geschlagen und (V 2) binnen sechs Stunden, noch ehe hsiei vollendet waren, hinauf nach Ägypten zurückgebracht.‹ 357. Der Ausdruck t w n hbl2 steht in diesem Zusammenhang statt des sonst üblichen t w n 2nh ˘ ¯ »Lebensodem«.¯ 358. Derselbe Satz in analogem Zusammenhang (aus Wachs geformte magische Ruderer) in Setne 1, III 28. 359. Daß jemand durch Magie entführt und nach Mißhandlungen und Demütigungen einige Stunden später – ebenfalls durch Magie – zurückgebracht wird, ist ein aus ›Aladin und die Wunderlampe‹ bekanntes Motiv (E. Littmann, Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten, Frankfurt 1976, II/2, 716-719). 360. Wörtlich »sein Feind«, eine euphemistische Konstruktion (noch einmal am Ende der Zeile). 361. Wörtlich »Was ist es, das Ägypten gefunden/kennengelernt hat, als ich fern von ihm war?« 362. Wörtlich etwa »Die Worte waren wirr / mißliebig (sˇlf) im Herzen hderi Beamten.«

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Sowie sie den Pharao 363) sahen, wie er von kräftigen Hieben ganz zerschunden war, öffneten sie ihren Mund mit einem lauten Schrei. (V 3) Menchpre Siamun hatte einen Magier 364) namens Hor, [Sohn des Pa]nesche 365), der war sehr gelehrt. Er kam an den Ort, an dem er (der Pharao) sich befand. Er schrie laut auf und sprach: ›Mein (V 4) großer [Herr], das sind [die Z]auber der Kuschiten! Bei deiner […] 366)! Ich werde veranlassen, daß sie deinem Verderben 367) und Gemetzel anheimfallen.‹ [Der Pharao] sprach [zu ihm]: ›Eile zu mir! Laß nicht zu, daß man mich noch einmal nachts ins Nubierland bringt!‹ (V 5) Der Magier [Hor], Sohn des Panesche, kam [sofo]rt und nahm seine Bücher und seine Amulette (mit sich) zu [dem Ort,] an dem sich der Pharao befand. Er rezitierte für ihn einen (Zauber)spruch und stattete ihn vollständig mit Amuletten aus, um zu verhindern, (V 6) daß die Zauber der Kuschiten (wieder) Macht über ihn gewannen. (Dann) [kam] er heraus vor dem Pharao. Er nahm seine Brand- und Trankopfer, [st]ieg an Bord eines Schiffes und fuhr unverzüglich (V 7) nach Hermopolis. Er ging in den Tempel von Hermopolis hinein [und brachte seine] Brandopfer und seine Trankopfer vor Thot, dem Fünfmalgroßen, [dem Groß]en(?) 368), Herrn von [Hermo]polis, dem großen Gott, [dar]. Er flehte vor ihm: (V 8) ›Wende dich mir zu! Mein Herr Thot, laß nicht zu, daß die Kuschiten die Erniedrigung Ägyptens ins Nubierland bringen! Du bist es, [der die] Zauber[sprüche gemacht hat (o. ä.)]. Du bist es, der den Himmel hochgehoben hat, (V 9) indem er die Erde und die Unterwelt gründete und die Götter und die [Ster]ne(?) (an ihren Platz) setzte. Laß mich wissen, wie der Pharao [vor den Zauber]n [der Ku]schiten zu retten ist!‹ Hor, Sohn des Panesche, legte sich (V 10) im Tempel schlafen. In der nämlichen Nacht träumte ihm, wie die Gestalt des großen Gottes Thot mit ihm redete: ›Bist du Hor, Sohn des Panesche, der Magier des (V 11) Pharaos Menchpre Siamun? Geh morgen früh in das Bücherhaus des Tempels von Hermopolis! (Dort) wirst [du] einen Schrein finden, der verschlossen (V 12) und versiegelt ist. Öffne ihn! Du wirst in dem nämlichen Schrein eine Truhe finden, in der eine Papyrusrolle ist, die ich mit eigener Hand geschrieben habe 369). (V 13) Bringe sie herauf, mache eine Kopie davon und lege sie (die Papyrusrolle) wieder an ihren Platz zurück! »Das Zauberbuch« ist ihr Name. Es hat (schon) mich vor den Feinden beschützt, (V 14) und es ist (genau) das, was (auch) den Pharao beschützen und ihn vor den Zaubern der Kuschiten retten wird.‹

363. Wörtlich »den Feind Pharaos«, wiederum die euphemistische Konstruktion. 364. hr-tb < hrj-dp »Magier«, von Haus aus eigentlich »Oberhaupt«; davon abgeleitet hebr./aram. ˙*hartom˙ (Pl. hartummı¯m / hartummı¯n) und ass. hartibi. Auch Merire, der Protagonist des ˘ ˙ ˙ ˙ ˙diesen Titel˙(Hoffmann ˙ P.˙ Vandier, trägt / Quack, Anthologie, 153). 365. In einer im 5. Jh. v. Chr. aufgezeichneten, aramäisch überlieferten, fragmentarisch erhaltenen Magiererzählung erscheint diese Figur als Hwr br Pwnsˇ »Hor, Sohn des Pawenesch«; s. B. Porten, The Prophecy of Hor bar Punesh ˙and the Demise of Righteousness, Fs Zauzich, ˙ 427-466. Zu noch unpublizierten demotischen Fragmenten in Berlin vgl. zuletzt Ryholt, Narrative Literature, 14 (4). 366. Minimale Reste eines femininen Substantivs. 367. Die Schriftreste passen gut zu einer Lesung wte wie in V 35. 368. Die verbreitete Lesung (unter Einschluß des Vorangehenden) als »achtmalgroßer Thot« ist den Schriftspuren nach zu schließen weniger wahrscheinlich. 369. Auch hier erscheint wieder das Motiv des Buches, das Thot persönlich geschrieben hat; vgl. Setne 1, III 12.

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Hor, Sohn des Panesche, erwachte aus dem Traum, nachdem er dies gesehen hatte. (V 15) Er stellte fest, daß es Gottesworte waren, und handelte entsprechend dem, was ihm im Traume gesagt worden war. Unverzüglich begab er sich an den Ort, an dem sich der Pharao befand, und machte für ihn beschriftete Zauberamulette. Es kam der zweite Tag. (V 16) Die Zauber des Hor, des Sohnes der Nubierin, kehrten nachts hinauf nach Ägypten zurück an den Ort, an dem sich der Pharao befand. Im selben Augenblick kehrten sie (aber wiederum) an den Ort zurück, an dem sich der Qore befand, (V 17) und konnten keine Macht über den Pharao gewinnen wegen der Amulette und der Zauber, mit denen ihn der Magier Hor, Sohn des Panesche, vollständig ausgestattet hatte. Am Morgen des nächsten Tages (V 18) erzählte der Pharao vor dem Magier Hor, Sohn des Panesche, alles, was er in der Nacht gesehen hatte, (und) wie die Zauber (V 19) der Kuschiten umkehrten, (da) hsiei keine Macht über ihn gewinnen konnten. Hor, Sohn des Panesche, ließ sich viel reines Wachs bringen. 370) Er machte eine Sänfte [mit] vier Trägern und rezitierte (V 20) über sie einen Spruch. Er gab ihnen Odem des Verderbens (o. ä.), machte sie lebendig und befahl ihnen: ›Ihr werdet heute Nacht ins Nubierland gehen und den Qore hinauf (V 21) nach Ägypten zu dem Ort, an dem sich der Pharao befindet, bringen. Er soll mitten vor dem Pharao mit 500 Peitschenhieben geschlagen werden. Ihr werdet ihn (V 22) binnen sechs Stunden, noch ehe hsiei vollendet sind, (V 21) ins Nubierland zurückbringen.‹ (V 22) Sie sprachen: ›Jawohl! Wir werden nichts auslassen!‹ Die Zauber des Hor, Sohnes des Panesche, flogen unter den Wolken des Himmels dahin. (V 23) Sie begaben sich in der Nacht unverzüglich ins Nubierland. Sie bemächtigten sich des Qore und brachten ihn nach Ägypten hinauf. Sie schlugen ihn mitten vor dem Pharao mit 500 Peitschenhieben (V 24) und brachten ihn binnen sechs Stunden, noch ehe hsiei vollendet waren, ins Nubierland zurück.« Diese Geschichten erzählte Siosire mitten vor dem Pharao und seinen (V 25) Fürsten, indem das Volk von Ägypten seiner Stimme lauschte, und sagte: »Der Fluch deines Gottes Amun ist (sei) gegen dich geschleudert, du kuschitischer Feind! Die Worte, die ich sage, sind sie (nicht) die, (V 26) die in diesem Brief geschrieben sind?« Der Kuschit sprach, indem er den Kopf hängen ließ: »Lies weiter! Alle Worte, die du sagst, sind die, die in diesem Brief geschrieben sind.« 371) (V 27) Siosire sagte: »Nachdem all dies geschehen war, wurde der Qore binnen sechs Stunden, noch ehe hsiei vollendet waren, ins Nubierland zurückgebracht und an seinen Schlafplatz gelegt. Er erhob sich (V 28) am Morgen, indem er ganz von hdeni Hieben zerschunden war, die man ihm droben in Ägypten verabreicht hatte. hEr erzählte seinen Fürsten (o. ä.): ›Siei schlugen mich mitten vor dem Pharao von Ägypten mit 500 Peitschenhieben (V 29) und brachten hmichi wieder ins Nubierland zurück.‹ Er entblößte vor den Fürsten den Rücken. Da öffneten sie ihren Mund mit einem lauten Schrei. Der Qore ließ Hor, den Sohn der Nubierin, holen und sprach: ›Amun fluche dir, 372) (V 30) der Stier von Meroe, mein Gott! Du bist es (doch), der zu den Ägyptern gegangen ist. 370. Vgl. zu der bis V 24 reichenden Passage die Parallele in IV 15-21 und Setne 1, III 27-28. 371. Vgl. die weitgehend identische Passage in IV 21-24. 372. Dieselbe Verwünschungsformel auch in Setne 1, III 21.

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Gib ..[.] 373) zu mir, um zu sehen, wie du mich vor (V 31) Hor, Sohn des Panesche, retten wirst!‹ Er machte seine Zauber und vervollständigte sie für den Qore, um ihn vor den Zaubern des Hor, Sohnes des Panesche, zu schützen. Die Zauber (V 32) des Hor, Sohnes des Panesche, flogen ins Nubierland und brachten den Qore nach Ägypten hinauf. Sie schlugen ihn mitten vor dem Pharao mit 500 Peitschenhieben und brachten ihn (V 33) binnen sechs Stunden, noch ehe hsiei vollendet waren, ins Nubierland zurück. Dergleichen geschah mit dem Qore vier Tage lang. Die Zauber der Kuschiten konnten den Qore nicht vor (V 34) Hor, Sohn des Panesche, retten. Der Qore war sehr betrübt. Er ließ Hor, den Sohn der Nubierin, vor sich bringen und sprach zu ihm: ›Wehe, du kuschitischer Feind! Du hast zugelassen, daß ich (V 35) durch die Ägypter bedrängt wurde! Du konntest mich nicht vor ihnen retten. Bei Amun, dem Stier [von] Meroe, meinem Gott! Wenn du mich nicht vor den Anschlägen der Ägypter [bewah]ren (o. ä.) können wirst, (V 36) werde ich dir einen qualvollen Tod bereiten lassen.‹ Er sprach: ›Mein Herr, o Qore, entsende mich hinauf nach Ägypten, damit ich sehe, wer unter ihnen zaubert, (V 37) so daß ich dagegenzaubere und ihm den Frevel, der von ihm getan worden ist, heimzahle! 374)‹ Hor, der Sohn der Nubierin, wurde vor dem Qore entlassen und kam an den Ort, an dem sich die Nubierin, seine Mutter, befand. (VI 1) hSeine Mutter sprach zu ihm:i ›Wenn du nach Ägypten hinaufgehst, um dort zu zaubern, hüte dich vor den Ägyptern! Du wirst dich nicht mit ihnen messen können 375). Daß hdui (nur) nicht durch sie in Bedrängnis gerätst und (am Ende) (VI 2) nie mehr ins Nubierland zurückkehrst!‹ Er sagte: ›Es ist nichts an ihnen, (nämlich) an den Worten, die du sprichst. Ich werde nicht umhinkommen, nach Ägypten hinaufzugehen und meine Zauber in es hinaufzuschleudern.‹ (VI 3) Die Nubierin, seine Mutter, sprach zu ihm: ›Da es nun so ist, daß du nach Ägypten hinaufgehen wirst, setze (vereinbare) einige Zeichen zwischen mir und dir! Falls du in Bedrängnis bist, werde ich zu dir kommen und sehen, ob (VI 4) ich dich werde retten können!‹ Er sagte zu ihr: ›Wenn ich in Bedrängnis bin und wenn hdui (gerade) trin[kst [und ißt(?): Wein(?)] oder(?) Wasser wird blutfarben sein vor dir, und die Speisen, die vor dir sind, werden fleischfarben sein. (VI 5) Der Himmel wird blutfarben sein vor dir.‹ 376) Hor, der Sohn der Nubierin, vereinbarte Zeichen zwi[schen sich] und seiner Mutter. Er eilte nach Ägypten hinauf, indem er sich durch (?) Zauber näherte (?) 377), und durch-

373. Kurze unklare, beschädigte Gruppe. Ritner, in: Simpson, Literature, 484 « Set me at rest »; Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 59 « Fais-moi donc le plaisir », beide ohne Kommentar. 374. Wörtlich »Ich will ihn den Frevel finden lassen, der von ihm getan worden ist.« 375. Trotz der von jeher gefürchteten Gefahr, die von der nubischen Magie ausging (vgl. Y. Koenig, La Nubie dans les textes magiques. »L’inquiétante étrangeté«, RdÉ 38 [1987] 105-110; H. J. Thissen, Nubien in demotischen magischen Texten, in: D. Mendel / U. Claudi (Hg.), Ägypten im afro-orientalischen Kontext, Gedenkschrift P. Behrens, Köln 1991, 369-376), erweist sich die ägyptische Magie – wie die Worte der Mutter erahnen lassen und das Ende der Geschichte zeigt – als überlegen. 376. Vgl. die im Zweibrüdermärchen (VIII 4-7; XII 6-9) für eine ähnliche Situation, in der es um Leben um Tod geht, vereinbarten Zeichen, die den Retter auf den Plan rufen sollen: C. Peust, TUAT Ergänzungsband, 159; 162. 377. Die traditionelle Lesung 2m (»schlucken«) ist paläographisch problematisch; mit Hoffmann / Quack, Anthologie, 134 und 342 (bk) ist eher sˇm zu lesen, allerdings m. E. nicht in der sonst

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suchte (VI 6) (das Delta) von Balamun 378) bis Memphis (und dann) bis hin zu dem Ort, an dem sich der Pharao befand, indem er [dem] nachspürte, der Magie trieb in Ägypten. [Er] kam in die Halle vor den Pharao (VI 7) und sprach mit lauter Stimme: ›Wehe (dir), der gegen mich zaubert in der Halle an dem Ort, an dem sich der Pharao befindet, während das Volk von Ägypten ihm zuschaut! Schreiber des Lebenshauses, der (Sohn) des 379) (VI 8) Schreibers des Lebenshauses, der gegen den Qore zaubert, indem er ihn mir zum Trotz 380) nach Ägypten hinaufbringt!‹ Und er sprach die nämlichen Worte, während Hor, Sohn des Panesche, in der Halle (VI 9) vor dem Pharao stand und sagte: ›Wehe, du kuschitischer Feind! Bist du nicht Hor, der Sohn der Nubierin, den ich in den Gärten des Re gerettet habe, als dein (VI 10) kuschitischer Gefährte, der mit dir war, (d. h.) als ihr (beide) ins Wasser fielt, als ihr vom Berg im Osten von Heliopolis herabstürztet? 381) Hast du nicht die Frechheit (gegenüber) dem Pharao, deinem (VI 11) Herrn, ihn 382) an dem Ort, an dem sich der Qore befand, schlagen zu lassen, bereut? (Und hast du nicht die Frechheit bereut,) daß du nach Ägypten hinaufkommst, (indem du) sagst: »Gibt es jemanden, der gegen mich zaubert?« Bei Atum, (VI 12) Herrn von Heliopolis! Mögen die Götter von Ägypten dich auf den Rücken drehen, um dich in ihrem Land zu bestrafen! 383) Du hast mich eingeladen(?) 384), und ich bin zu dir gekommen.‹ Sobald Hor, Sohn des Panesche, diese Worte gesprochen hatte, (VI 13) antwortete ihm Hor, der Sohn der Nubierin: ›Ist es der, den ich die Schakalsprache 385) gelehrt habe, der gegen mich zaubern wird?‹ Der kuschitische Schamane vollbrachte ein Zauberkunststück: (VI 14) Er ließ in der Halle Feuer hervorkommen. Der Pharao und die Fürsten von Ägypten schrieen laut auf, indem sie sagten: ›Eile zu uns, Magier Hor, Sohn des Panesche!‹ Hor, Sohn des Panesche, machte (VI 15) eine (Zauber-)Formel. Er bewirkte, daß der Himmel einen ›oberägyptischen Regen‹ (Wolkenbruch) über dem Feuer hervorbrachte, (so daß) es sofort erlosch. Der Kuschit vollbrachte ein weiteres Zauberkunststück. (VI 16) {Der Kuschit vollbrachte ein weiteres Zauberkunststück.} Er ließ über der Halle einen großen Nebel(?) 386) ent-

378. 379. 380. 381. 382. 383. 384. 385. 386.

nicht belegten Bedeutung »Zeichen lesen«, sondern als »sich nähern«; vgl. zu diesem Verbum Chicago Demotic Dictionary Sˇ (online-Version 24. 3. 2010), 128. P -ı’.ı’r-ı’mn ist, wie von Ryholt, Narrative Literature, 150-152 dargelegt, höchstwahrscheinlich (und auch lautlich plausibel) mit dem heutigen Balamun gleichzusetzen und galt als nördlichste Stadt des Landes. So mit Hoffmann / Quack, Anthologie, 134 und 342 (bm). Wörtlich »gegen mich«. Anspielung auf eine unbekannte Episode. Die komplexe Konstruktion kann syntaktisch nicht korrekt sein. Wörtlich »seinen Feind«, wiederum die bekannte euphemistische Konstruktion. Auch eine präteritale Analyse »die Götter (…) haben dich auf den Rücken gedreht« ist möglich. Ironisch gemeint. sˇsp h tj=k dürfte als Verdrehung von sˇsp h t=j zu analysieren sein, wie ˙ ˆ ˙ ˆ dies auch die neue Übersetzung von Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 61 (»Puisses-tu m’accueillir«) voraussetzt. Vgl. in anderem Zusammenhang VII 8; Setne 1, III 6. Zur Sprache der Hunde und Schakale nach altägyptischer Vorstellung vgl. I. Bohms, Säugetiere in der ägyptischen Literatur, Berlin 2013, 110-112. Der unklare Ausdruck hsjs (mit »Segel«-Determinativ) erscheint auch in Setne 1, VI 19 und ˙ dürfte »Wolke« oder »Nebel« bedeuten; vgl. Vinson, Fs Thissen, 469-470.

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stehen, (so daß) einer den anderen nicht sehen konnte 387). Hor, Sohn des Panesche, rezitierte einen Spruch über den Himmel (VI 17) und machte, daß (dies)er aufhörte, umhüllt zu sein 388) von der schlechten Luft, in der er war. Hor, der Sohn der Nubierin, vollbrachte ein weiteres Zauberkunststück. Er erschuf ein großes Gewölbe aus Stein von (VI 18) 200 Ellen Länge und 50 Ellen Breite über dem Pharao und seinen Fürsten. Es kam, um Ägypten vom König abzusondern und das Land ohne Herrn sein zu lassen. (VI 19) Der Pharao schaute zum Himmel und erblickte das Steingewölbe über sich. Er öffnete seinen Mund mit einem lauten Schrei ebenso wie das Volk, das in der Halle war. (VI 20) Hor, Sohn des Panesche, rezitierte eine (Zauber-)Formel. Er erschuf eine Papyrusbarke und ließ sie mit dem Steingewölbe dahinfahren 389). (Erst) am Großen See, dem großen Wasser von Ägypten 390), machte sie mit ihm (dem Gewölbe) halt. (VI 21) Der kuschitische Schamane erkannte, daß er sich mit hHor, Sohn des Paneschei 391) nicht würde messen können. Er vollbrachte ein (weiteres) Zauberkunststück, damit er (der ägyptische Zauberer) ihn nicht in der Halle sähe, in der Absicht, (VI 22) ins Nubierland, seine Heimat 392), zu gehen. Hor, Sohn des Panesche, rezitierte einen Spruch gegen ihn und enthüllte die Zauber des Kuschiten. Er machte, daß der Pharao und das Volk von (VI 23) Ägypten, das in der Halle stand, ihn sahen, indem er die Gestalt eines bösen Vogels hatte, der im Begriff war, sich davonzumachen 393). Hor, Sohn des Panesche, rezitierte einen Spruch gegen ihn. Er ließ (ihn sich) umdrehen, indem (VI 24) ein Vogelfänger über ihm stand, in dessen Hand sein scharfes(?) Messer war und der im Begriffe war, ihn abzustrafen. Als dies alles geschah, zeigten sich die Zeichen, die Hor, der Sohn der Nubierin, (VI 25) zwischen sich und seiner Mutter vereinbart hatte, alle vor ihr. Unverzüglich begab sie sich in Gestalt einer Gans hinauf nach Ägypten. Sie blieb oben auf dem Palast des Pharaos stehen, indem sie (VI 26) mit ihrer Stimme zu ihrem Sohn schrie(?), wie er in der Gestalt eines bösen Vogels war, während der Vogelfänger über ihm stand. Hor, Sohn des Panesche, schaute nach oben. Er erblickte die Nubierin (VI 27) in der Gestalt, in der sie war, und wußte, daß es die Nubierin, die Kuschitin, war. Er rezitierte einen Spruch gegen sie und machte, daß sie sich umdrehte(?) 394), indem ein Vogelfänger über ihr stand, (VI 28) dessen Messer im Begriff war, {ihm} hihri den Tod zu bereiten. Sie legte die Gestalt, in der sie war, ab und nahm (wieder) ihre Gestalt als kuschitische Frau an, indem sie flehte: ›Tu uns nichts 387. Wörtlich »Ein Mann sah nicht seinen Bruder (und) seinen Gefährten von ihnen«. 388. Dies dürfte (mit Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 61) die hier zutreffende Bedeutung des Verbums dm sein. 389. fj bedeutet¯ hier nicht »tragen«, sondern ist in der gut belegten Funktion als Verbum der Bewegung gebraucht. 390. Das Fayum? 391. Der Schreiber hatte versehentlich »der Kuschit« geschrieben, dies dann getilgt, aber nicht durch das richtige »Hor, Sohn des Panesche« ersetzt. 392. dmj (»Stadt«, d. h. seine (Heimat)stadt im Nubierland?) ist hier anstelle von tsˇ (so in II 31) gebraucht. 393. Der Nubier hat sich in einen Vogel verwandelt, um rasch und unerkannt fliehen zu können (anders F. Hoffmann, Einige Bemerkungen zur Zweiten Setnegeschichte, Enchoria 19/20 [1992/93] 11-14, hier 13-14, wonach die Verwandlung durch den Hor, Sohn des Panesche, veranlaßt wurde). 394. Wörtlich etwa »daß ihr der Rücken umgedreht wurde«.

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zuleide 395), Hor, Sohn des Panesche! (VI 29) Verzeih uns diesen Fehltritt! Wenn du uns freiläßt, werden wir nie wieder nach Ägypten zurückkehren.‹ Hor, Sohn des Panesche, leistete einen Eid beim Pharao und den Göttern (VI 30) von Ägypten: ›Ich werde mich nicht wegen d(ies)es Zauberkunststücks entfernen(?), ohne daß ihr mir einen Eid geleistet habt, kein weiteres Mal mehr herauf nach Ägypten zurückzukehren.‹ Die Nubierin hob ihre Hand (zum Schwur), (VI 31) auf immer und ewig nicht nach Ägypten heraufzukommen. Hor, der Sohn der Nubierin, leistete einen Eid: ›Ich werde für 1500 Jahre nicht nach Ägypten heraufkommen.‹ Hor, Sohn des Panesche, zog (VI 32) seine Hand von seiner (Zauber-)Formel zurück. Er ließ Hor, den Sohn der Nubierin, und die Nubierin, seine Mutter, frei, und sie eilten ins Nubierland, ihre Heimat.« Wie Siosire seine Identität und die des nubischen Magiers offenbarte und diesen endgültig vernichtete: Diese Geschichten (VI 33) erzählte Siosire vor dem Pharao, indem das Volk von Ägypten seiner Stimme lauschte, während sein Vater Setne alles sah und der kuschitische Schamane den Kopf hängen ließ. (VI 34) Und er (Siosire) sagte: »Bei deinem Antlitz, mein großer Herr! Dieser da, der vor dir (steht), ist (niemand anderer als) Hor, der Sohn der Nubierin, dieser (Mensch), dessen Taten ich erzähle und der nicht bereut hat, was er früher getan hat, indem er (jetzt) (VI 35) nach Ablauf von 1500 Jahren 396) nach Ägypten heraufkommt, um die Zauber hineinzuschleudern! Bei Osiris, dem großen Gott, Herrn des Westens, bei dem ich ruhe, ich selbst bin Hor, Sohn des Panesche, der ich (VI 36) vor dem Pharao stehe! Ich habe in der Unterwelt herausgefunden, daß der kuschitische Feind seine Zauber (nach Ägypten) hineinschleudern würde, da es derzeit keinen guten und gelehrten Schreiber in Ägypten gibt, der sich mit ihm messen könnte. (VII 1) Ich bat vor Osiris in der Unterwelt, mich wieder auf die Erde hinauskommen zu lassen, um zu verhindern, daß er die Erniedrigung von Ägypten ins Nubierland brächte. Es wurde vor (von) Osiris befohlen, (VII 2) mich auf die Erde zu entsenden. Ich sprang auf und begab mich nach oben(?) 397), um Setne, den Sohn des Pharaos, in der Nekropole von Heliopolis oder der Nekropole von Memphis zu finden, indem ich in diesem (VII 3) Perseakeimling(?) wuchs in der Absicht, erneut in den Körper zurückzufahren und (wieder)geboren zu werden auf Erden, um gegen diesen kuschitischen Feind, der in der Halle steht, zu zaubern.« (VII 4) Hor, Sohn des Panesche, vollbrachte in der Gestalt des Siosire ein Zauberkunststück gegen den kuschitischen Schamanen. Er machte, daß das Feuer ihn umzingelte und ihn mitten in der Halle verzehrte, (VII 5) während der Pharao mit den Fürsten und dem Volk von Ägypten zuschaute. Siosire entschwand wie ein Schatten vor dem Pharao und seinem Vater Setne, und sie (VII 6) sahen ihn nicht (mehr). Der Pharao und seine Notabeln wunderten sich sehr über die Dinge, die sie in der Halle gesehen hatten, und

395. Wörtlich »Sei nicht gegen uns!«. 396. Zwischen Ramses II. und Thutmosis III. (vgl. Anm. zu III 32) liegen in Wirklichkeit nur ca. 200 Jahre; bis zum Zeitpunkt der Niederschrift der Geschichte sind es aber tatsächlich rund 1500 Jahre. Zufall? 397. Zu der sprachlich unklaren Stelle vgl. Hoffmann / Quack, Anthologie, 136 und 343 (bz).

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sie sagten: »Es gibt keinen guten, gelehrten Schreiber wie (VII 7) Hor, Sohn des Panesche! Nie und nimmer wird ein anderer nach ihm (so) sein (wie er)!« Setne öffnete seinen Mund mit einem lauten Schrei, als Siosire wie ein Schatten entschwand, ohne daß er ihn gesehen hatte. (VII 8) Der Pharao erhob sich in der Halle, indem er sehr erregt war 398) wegen dessen, was sie gesehen hatten. Der Pharao befahl, für Setne Vorbereitungen zu machen, um ihn zu empfangen wegen (VII 9) seines Sohnes Siosire, um ihn zu trösten. 399) Am Abend ging Setne [in] seine Gemächer, indem sein Herz sehr betrübt war. Mehwesechet legte sich neben ihn. (VII 10) In der nämlichen Nacht wurde sie von ihm schwanger 400). Kurze Zeit später gebar sie einen Jungen, den hsiei Usermaatre 401) nannten. (VII 11) Nie unterließ es Setne, vor [dem] Genius 402) des Hor, Sohnes des Panesche, jederzeit Brand- und Trankopfer zu bringen. Nachschrift: Die Vollendung dieses Buches ist es 403). Geschrieben.

3. Der Kampf um die Pfründe des Amun (Papyrus Spiegelberg)

Martin Andreas Stadler Der Text des nach seinem Erstbearbeiter benannten Papyrus Spiegelberg ist vor allem in diesem Textzeugen überliefert. Etwa 200 Jahre jüngere Fragmente aus Tebtynis zeigen die Popularität der Erzählung, steuern aber nur wenig neue Informationen zur Handlung bei. 404) Wann der Text verfaßt wurde, kann heute nicht mehr sicher gesagt werden. Angesichts der niedrigen Erhaltungsraten altägyptischer Papyri ist es gut möglich, daß ältere Handschriften verlorengegangen sind. Der im Text als Akteur auftretende König Petubastis dient allerdings auch nicht ohne weiteres als terminus post quem des Zeitpunktes, zu dem die Erzählung geschrieben worden sein könnte. In der Forschung gibt es einige Konfusion darüber, welcher historische Petubastis das Vorbild gewesen sein mag: Traunecker präferiert Petubastis I., der von 830 bis 805/800 v. Chr. in Oberägypten herrschte, 405) während Kitchen sich für Petubastis II., 398. Wörtlich »indem er in der Erregung des Herzens war«. 399. Wörtlich etwa »Der Pharao befahl es zu veranlassen, daß die Vorbereitung gemacht wird vor Setne, um ihn zu empfangen / willkommen zu heißen / einzuladen (sˇsp h .t, vgl. Setne 1, ˙ III 6) wegen des Siosire, seines Sohnes, um sein Herz zu erfrischen.« 400. Vgl. Anmerkung zu I 5. 401. Vgl. II 28 und Anmerkung hierzu. 402. Derselbe Begriff sˇj wie in III 28, hier als Art Genius und in ähnlicher Funktion wie traditionell der Ka. 403. D. h. »Die Geschichte ist aus.« Anders als bei Setne 1 fehlen hier Datum und Name des Schreibers. Ein ähnlich knapper Schluß etwa auch in der Lehre des Anchscheschonki (vgl. H. J. Thissen, TUAT II, 277). 404. W. J. Tait, P. Carlsberg 433 and 434 Two Versions of the Text of P. Spiegelberg, in: P. J. Frandsen / K. Ryholt (Hg.), A Miscellany of Demotic Texts and Studies (The Carlsberg Papyri 3), Kopenhagen 2000, 59-82. 405. C. Traunecker, Le Papyrus Spiegelberg et l’évolution des liturgies thébaines, in: S. P. Vleeming

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der sich ca. 756-730 v. Chr. oder 665 v. Chr. gegen die assyrische Herrschaft stellte, ausspricht 406). Quack hingegen optiert für Petubastis III., einen ephemeren König, der 522-520 v. Chr. den Tod des Kambyses ausgenützt und sich kurzfristig von den Persern unabhängig gemacht haben könnte. 407) Womöglich ist im literarischen Text gar kein konkreter historischer Petubastis zu erkennen, wie auch in anderen Teilen des Zyklus, zu dem der Kampf um die Pfründe des Amun gehört, dem Petubastis-Inaros-Zyklus, die Figuren der Erzählungen im Verlauf ihrer Überlieferungsgeschichte Züge verschiedener historischer Persönlichkeiten angenommen haben. 408) Der Kontext, in dem sich die Geschichte situiert, ist in jedem Fall die sogenannte Dritte Zwischenzeit bis Spätzeit (grob zwischen 1000 und 650 v. Chr.), eine Phase der ägyptischen Geschichte, in der Ägypten meist nicht mehr zentral regiert wurde, sondern sich in einzelne, mehr oder weniger unabhängige Fürstentümer aufgeteilt hatte. Das muß aber nicht zwingend der Zeitpunkt gewesen sein, zu dem die Erzählung geschrieben wurde – auch heute werden schließlich historische Romane geschrieben, die in einer fernen Epoche spielen und trotzdem nicht in dieser Zeit entstanden sind. 409) Pharao war häufig während der Dritten Zwischenzeit bestenfalls ein primus inter pares, nicht mehr ein absoluter Herrscher, der als Inkarnation des Göttlichen unangefochtener König von Ober- und Unterägypten regierte. Diese politische Großwetterlage spiegelt sich auch im Papyrus Spiegelberg wider, in dem der König auf die Unterstützung anderer angewiesen ist, um den Konflikt zu entscheiden, und in dem die Interessen einflußreicher Personen und Gruppen, die auch dem eindeutig durch ein Orakel artikulierten Willen des Gottes Amun entgegenstehen können, eine rasche Lösung verhindern, ohne daß sich der König traut, ein Machtwort zu sprechen.

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(Hg.), Hundred Gated Thebes. Acts of a Colloquium on Thebes and the Theban Area in the Graeco-Roman Period (PLB 27), Leiden, New York, Köln 1995, 183-201. K. A. Kitchen, The Third Intermediate Period in Egypt, 1100-650 B.C. Second Edition with supplement, Warminster, England 1986, 455-461. Oben erstgenannte Datierung nach J. von Beckerath, Chronologie des pharaonischen Ägypten. Die Zeitbestimmung der ägyptischen Geschichte von der Vorzeit bis 332 v. Chr. (MÄS 46), Mainz 1997. Quack, Einführung, 51, ist hier allerdings widersprüchlich, weil er einerseits Petubastis III. annimmt, andererseits diesen als Opponenten der Assyrer bezeichnet und somit irrtümlich in das 7. Jahrhundert v. Chr. setzt. Zu Petubastis III. als Zeitgenosse der ersten Perserherrschaft im 6. Jahrhundert v. Chr. mit weiterer Literatur siehe aber J. F. Quack, Zum Datum der persischen Eroberung Ägyptens unter Kambyses, JEH 4 (2011) 241. Vgl. F. Hoffmann, Der Kampf um den Panzer des Inaros. Studien zum P. Krall und seiner Stellung innerhalb des Inaros-Petubastis-Zyklus (MPER NS 26), Wien 1996, 120-124, und L. Popko, Das historische Vorbild des Menechpare Siamun. Die Diskreditierung kuschitischer Pharaonen in der spätzeitlichen Literatur, in: L. Popko / N. Quenouille / M. Rücker (Hg.), Von Sklaven, Pächtern und Politikern. Beiträge zum Alltag in Ägypten, Griechenland und Rom – doulikÞ ˛rga zu Ehren von Reinhold Scholl (APF Beiheft 33), Berlin [u. a.] 2012, 84-100. Der von M. Depauw, Rez. zu Quack, Einführung, CdÉ 82 (2007), 170, zu bedenken gegebene Vorschlag »scheitert« nach Quack, Einführung, 59 Anm. 104, unter dem Hinweis, die Angaben in den Erzählungen seien zu konkret und korrekt. Es könne kaum von ähnlicher Recherchearbeit wie bei einem Umberto Eco ausgegangen werden. Warum eigentlich nicht? Die hier aufgezeigte Schwierigkeit der Ägyptologie, einen historischen Petubastis zu identifizieren, spricht im übrigen eher für Depauws These, weil die Angaben eben doch nicht so konkret sind, um zu einer endgültigen Aussage zu kommen.

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Sogar am Rand der Gesellschaft stehende, halbkriminelle Gruppen, wie die 13 Hirten, die dem jungen Horuspriester helfen, flößen Pharao Furcht ein. Wie die Lösung ausgesehen hat, ist heute unbekannt, da das Ende des Papyrus Spiegelberg nicht erhalten geblieben ist. Pharao wird jedoch glimpflich davon kommen, wie ein Orakelspruch des Amun im Verlauf der Erzählung andeutet. Auch der Anfang des Textes ist verlorengegangen. Einige von Hoffmann veröffentlichte Fragmente, die vor die erste erhaltene Kolumne gehören, werden hier nicht übersetzt, da sie zu klein sind, um Signifikantes zum Textverständnis beizutragen. Gleiches gilt für die Bruchstücke vom Ende des Papyrus. Das vermutlich erste Fragment, von Hoffmann A benannt, enthält Reste der Beschreibung vom Aufbruch und der Fahrt der königlichen Flotte. Das Vorhandene indiziert, daß die Passage fast wortgleich formuliert wurde wie x+IX 11-18, wo Petubastis diese Ereignisse nochmals Revue passieren läßt. In Fragment B rät Djedhor davon ab, Petechons und Paimai nach Theben zum Prozessionsfest mitzunehmen. Es wird sich für den König rächen, diesen Rat befolgt zu haben (vgl. x+XI 10 ff.). C und D stammen von Kolumnen, die die Schilderung vom Anfang eines thebanischen Prozessionsfestes enthielten. Dieses Fest war der Grund für Petubastis von Tanis im Delta nach Theben zu reisen. In E und F muß dann der aus Buto, ebenfalls im Nildelta, stammende »junge Priester des Horus (von Pe)« bei dem Prozessionsfest aufgetreten sein und die Ansprüche auf die Pfründe, die mit dem Amt des Ersten Hohepriesters des Amun von Theben verbunden sind, geltend gemacht haben. Die thebanische Priesterschaft wehrt sich indes dagegen, und so entspinnt sich ein Kampf, der das Thema der Erzählung ist. Mit G beginnt die hier vorgelegte Übersetzung, die in ihrem Layout nicht die scriptio continua des Originals widerspiegelt, sondern wie eine moderne Erzählung mit Absätzen strukturiert ist. Die Zwischenüberschriften sind moderne Lesehilfen des Übersetzers. Die Übersetzung ist freier gehalten als die von Hoffmann, jedoch nicht ganz so frei wie die von Agut-Labordère und Chauveau. An Fragment G schließt sich die Kolumne x+I mit der Fortsetzung der Schiffsteilevergottung an. Diese Schiffsteilevergottung gehört zur Rede des jungen Horuspriesters, der ansonsten anonym bleibt. Sie ist der mythologische Teil einer Argumentation, mit der der junge Priester seine Ansprüche auf die Pfründe zu begründen versucht, die mit dem Amt des Ersten Hohepriesters des Amun von Theben verknüpft ist. Dabei geht es darum, die Teile der thebanischen Prozessionsbarke des Amun in die Osiris-/Horus-Mythologie einzubinden, weshalb er über seine vermutlich zuvor ebenfalls geltend gemachten realweltlichen Anrechte hinaus als Horuspriester auch götterweltlich legitimen Anspruch auf die Pfründe hat. Von dieser Beobachtung ausgehend mag die Erzählung als ein mythologische Motivik in belletristischer Form aufgreifendes literarisches Werk gelesen werden, 410) denn so wie der Horuspriester sein Recht durchsetzen muß, muß auch Horus für sein Erbe nach der Ermordung seines Vaters Osiris gegen seinen Onkel und den Mörder des Osiris Seth gerichtlich und im Kampf streiten. Eine andere Ebene, auf der der Text verstanden werden kann, ist die schon im Neuen Reich einsetzende Osirianisie410. Traunecker, in: Hundred Gated Thebes, 183-201.

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rung des Kultes im thebanischen Raum, d. h. im bedeutendsten Kultzentrum des Amun, denn mit dem Anspruch des Horuspriesters verbindet sich der Anspruch auf den Primat der Osiris-/Horus-Religion. Trotz des fragmentierten Zustandes der Kolumne G läßt sich diese Argumentationslinie gut erkennen. Papyrus des ersten Jh. v. Chr. – Fundort: vermutlich Achmim – Aufbewahrungsort: Kairo (Egyptian Library A + B + C + E), Paris, Bibliothèque Nationale 242 (P. de Ricci 1-29), Philadelphia (University of Pennsylvania Museum E 16333 B + E 16333 C + E 16334 B), Strasbourg, Bibliothèque Nationale (Wiss. Ges. dem. Nr. unbekannt), Kopenhagen (Carsten Niebuhr Institut, pCarlsberg 565) – Erstpublikation mit Abbildung: W. Spiegelberg, Der Sagenkreis des Königs Petubastis nach dem Strassburger demotischen Papyrus sowie den Wiener und Pariser Bruchstücken (DS 3), Leipzig 1910; F. Hoffmann, Neue Fragmente zu den drei großen Inaros-Petubastis-Texten, Enchoria 22 (1995), 27-39; F. Hoffmann, Der Anfang des Papyrus Spiegelberg – ein Versuch zur Wiederherstellung, in: S. P. Vleeming (Hg.), Hundred Gated Thebes. Acts of a Colloquium on Thebes and the Theban Area in the GraecoRoman Period (PLB 27), Leiden [u. a.] 1995, 43-60; D. Agut-Labordère, Des fragments démotiques oubliés à la Bibliothèque de l’Institut de France, Enchoria 29 (2004/2005), 5-10; K. Ryholt, A Fragment from the Beginning of Papyrus Spiegelberg (P. Carlsberg 565), in: A. Dodson / J. Johnston / W. Monkhouse (Hg.), A Good Scribe and an Exceedingly Wise Man. Studies in Honour of W. J. Tait, London 2014, 271-278. – Weitere Bearbeitungen: Hoffmann / Quack, Anthologie, 88-107; Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 71-94, 329 f. Literatur bei J. F. Quack, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte III: Die demotische und gräko-ägyptische Literatur (EQTÄ 3), Münster, Berlin 22009. Eine Übersetzung, die zum Zeitpunkt, als die folgende Übersetzung erstellt wurde (Sommer 2013), noch sehr stark Spiegelbergs Übersetzung verpflichtet war, stammt von Günter Vittmann im Thesaurus Linguae Aegyptiae (http://aaew.bbaw.de/tla/index.html). Da sich diese Version immer wieder verändert und periodisch aktualisiert wird, ist auf die Diskussion ihrer Lesungen in den Anmerkungen verzichtet worden. (G, 1) […

… … … … … … …] es geschah, daß Amun, der große Gott, der [… … …] … Horus, der Sohn des Osi]ris, den Isis, die [große(?)] Göttin, geboren hat [… … … … … …] (3) indem er [… …] trinkt [in B]uto, indem er wiederholt [… … … … … … … … …] (4) gebären [in] Achmim, indem er ist bei [der] Stärke von (?) [… … … … … … … …], (5) indem er herrscht [in] Buto [… …] Er setzte über [… … … …] (6) in [jedem] Jah[r, indem er] Trankopfer darbringt [und] Wasser spendet für Osiris, [seinen Vater we](7) gen [… … Nu]bier von Oberägypten Perinep Lob[preis (?) … … … … … … … … … … … …] (8) [… … … … … …] Abydos, wo Osiris allein ruht [… … … … … …] (9) [… … … … … …] auf seinem Rücken. Siehe das, was geschieht [… … … … … … … … … … … …] (10) [… … … … … …] Rangordnung der Götter ist das. (11) [… … … … … die] Götter, deren Ordnung es ist, wenn sie geben [… … … … … …] (12) [… … … … … …] die Barke der Löwen die Schlachtordnung [… … … … … …] (13) [… … … …] sein [… …], das Horus, der Sohn der Isis, der Sohn des Osiris gemacht hat, während die Löw[en] (14) verursachten die Furcht vor [ihnen], den Respekt vor ihnen und den Schrecken vor ihnen [… … (?)] (15) … … [… …] Osiris, sein Vater, wobei sie nahmen anstelle (?) der Löwen (16) … … [… …] Zerstörung(?), Unheil vor Horus, dem Sohn der Isis, (17) [dem Sohn des Osiris, wenn er unterwegs ist, um] Osiris, seinem Vater, zu [libie]ren. (2) […

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Horus’ Primat Die Planken (18) [des Amunsschiffes411)] sind die Frevler, die den Weg verlassen haben, wenn (19) Horus sie [niedertrampelt (?)] und er sie physisch angreift 412), wenn er unterwegs ist, (20) [um zu libieren seinem Vater Osiris. Die] Schiffer und die Ruderer des Amunsschiffes (21) sind d[ie … … … … … … … … … …] Prozessionskultbild 413) (?). Denn sie sind der, der (22) nahm [… … … … Horus, der Sohn der Isis, der Sohn des Osi]ris, indem er unterwegs ist, um (23) [zu libieren seinem Vater Osiris. Der … … … … … … … … … … … … … …] des Amunsschiffes ist (24) [… … … … …………………………… Den]n er […] (25) […… … … … … … … … … … … … … … … ]… … […](26) [… … … … … … … … … … … … … … … … ]… … […] (x+I 1) [… … … … … … … … …] gebären(?) bis(?) [… … … … … … … … … … …] stark [… … … … …] (2) [… … … … … … … …] Diadem(?) für Osiris, seinen Vater. Die Schöpfkelle (3) des Schiffes histi Bastet, die Sorgenausschöpferin(?). Denn sie(?) 414) ist die, die (4) die Sorgen der Götter und Göttinn(en) ausschöpft. [Der] Mast des (5) Schiffes ist Schu, Sohn des Pre, der hohe Mann der Götter. [Die] Segel(?) 415) (6) aus Königsleinen, [die] auf dem Mast sind, und die ..?.. 416), die beiden Leitern (?) (7) (und) die vier Winde sind das Diadem des Amun. Denn er 417) ist der, der den Himmel und die Luft (8) unter Horus, dem Sohn der Isis, 411. Das demotische Wort w wird in aller Regel »Barke« übersetzt. Tatsächlich gibt es aber zwei Barken, die bei diesem Fest eingesetzt werden: Die Prozessionsbarke, die jedoch nicht auf dem Fluß fahren kann, sondern Tragestangen hat und auf den Schultern von Priestern getragen wird. Um über den Nil überzusetzen und die Tempel auf der Westseite zu erreichen und wieder nach Karnak auf der Ostseite zurückzukehren, gibt es eine weitere Barke, die zur Unterscheidung hier mit »Schiff« übersetzt wird. Dieses haben später der junge Horuspriester und seine Anhänger gekapert. Die Prozessionsbarke hingegen steht der Gegenseite noch zur Verfügung und kann für die Orakelbefragungen herangezogen werden. Sie kann jedoch ihre Prozession nicht mehr fortsetzen, weil das Schiff blockiert ist. 412. Das Verb tktk wird hier gewöhnlich mit »eilen« und damit der Nebensatz »indem er auf ihren Leib eilt« übersetzt. Als Alternative sei hier vorgeschlagen, das Verb mit älterem tktk »angreifen« (Wb V 336, 13) zu verbinden. 413. Verschiedene Wörter werden im Text gleich aussehend h2 geschrieben, und es nicht immer ˘ Alle leiten sich von der Wurzel leicht, hier die richtige Übersetzung sicher zu bestimmen. mit der Bedeutung »erscheinen« ab. h2 kann das Erscheinen des Gottes in einem Prozessionsfest heißen, aber vielleicht auch die ˘Prozessionsbarke, wie Hoffmann in Anthologie, 98, mit Fragezeichen vorschlägt. An dieser Stelle mit zerstörtem Kontext, weswegen hier nichts sicher zu entscheiden ist, übersetzt er allerdings »Diadem (?)«, ähnlich Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 74. In Weiterspinnung der Hoffmannschen Idee frage ich mich, ob h2 hier ˘ das nicht vielmehr den entscheidenden Bestandteil der Prozessionsbarke meint, nämlich Prozessionskultbild, das das zentrale Requisit eines Prozessionsfestes war. J.-M. Kruchten, Profane et sacré dans le temple égyptien. Interrogations et hypothèses à propos du rôle et du fonctionnement du temple égyptien, BSÉG 21 (1997), 23-37, führt – allerdings ohne Berücksichtigung des Demotischen – h2 jedoch nicht unter den ägyptischen Begriffen für »Pro˘ zessionskultbild« auf. 414. Diese Lesung wird allerdings dem Strich nach s und vor nt nicht gerecht. Agut-Labordère / Chauveau, Héros 74, übersetzen mit Plural. 415. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 74: Bänder. 416. Agut-Labordère / Chauveau, Héros: Rahe (?). 417. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 74, beziehen das Pronomen auf das Diadem.

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dem Sohn des Osiris, macht, wenn er unterwegs ist, um [seinem] Vater Osiris zu libieren. (9) Der Riegel des Mastes ist Pre. Denn Amun ist der, der (10) auf dem Schiff mit Horus, dem Sohn der Isis, dem Sohn des Osiris, fährt, wenn er (Horus) unterwegs ist, um (11) seinem Vater Osiris zu libieren. Der/die/das ..?.. (und) das Seil(?) des Schiffes sind [die] Armbänder(?) (12) der Göttinnen. Denn die Göttinnen sind die, die ihre Armbänder(?) (13) in das Amunsschiff werfen, wenn sie an das Ufer kommt und sie es festmachen. (14) [… … … … … … …] 418) Fuß des Horus, Sohnes der Isis, Sohnes des Osiris, wenn er unterwegs ist, um (15) [seinem Vater] zu libieren. Der Haltpflock(?) des Schiffes [ist] Uto (16) [… … … … … … …]. Denn sie ist die, welche ergriff die Armbänder(?) (17) [der Göttinnen … … …] 419). Denn sie ist die Herrin der Armbänder(?) der Göttinnen. (18) [… … … … … … … …] im Lotosmeer. Uto und Nechbet (19) [… … … … … … … …] das Prozessionskultbild (?) des Amun, des großen Gottes, zwischen ihnen. Denn (20) [sie unterstützen 420) … … … … Isis von] Chemmis, als sie nach Buto trieben (21) [zu(?) Horus, Sohn des Osiris,] wenn er unterwegs ist, um seinem Vater Osiris zu libieren. (22) [Das Steuerruder (?)] des Amunsschiffes ist Thot, der große Gott. Denn (23) [er hat unterwiesen 421) … … … … … … … … … …] die Götter und die Menschen, als er seinem [… …] 422) etwas gab, (24) [wenn(?) Horus, Sohn der Isis,] Sohn des Osiris, unterwegs ist, um seinem Vater hOsirisi zu libieren, (x+II 1) [Wenn Amun, der] große [Gott] unterwegs ist nach Oberägypten, ist es (also) Horus, der Sohn der [Isis], der Sohn des Osiris [… …, während] (2) die Götter ihm dienen. Hat jemand [über die] genannte [Pfründe] Verfügungsgewalt (3) vor ihm außer mir? Ich bin der Hohepriester des Horus von Pe (in) Buto, geboren von (4) Isis in Chemmis. Mir gehört die nämliche Pfründe meines Vaters (5) {meines Vaters}. Der Erste Hohepriester des Amun und die [Priester des Amun(?)], sie haben keinen Anspruch darauf(?) .« 423) Die Forderung (6) Pharao sah die Priester an: »Hört ihr nicht [das], (7) was der junge Priester sagt?« Die Priester sprachen vor Pharao: »Unser großer Herr, L. H. G., (8) [die] nämlichen

418. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 75, ergänzen lediglich »unter«, was jedoch die sehr viel längere Lücke nicht füllt. 419. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 75, ergänzen hier nur »Göttinnen« und füllen damit die Lücke wieder nicht. 420. So der Vorschlag von Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 75, die dann unmittelbar »Isis« anschließen, was jedoch der Länge der Lücke wieder nicht gerecht wird. 421. Analog zu dem in Anm. 420 Gesagten. 422. Die Ergänzung von Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 75 f., ist (»… en accordant la parole à leurs [bouches pour louer]…«) angesichts des noch erhaltenen p y=f nicht möglich. 423. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 76, präferieren: »Mir gehört die nämliche Pfründe meines Vaters, des Ersten Hohepriesters des Amun und [seinen Vorfahren], …« Sie lassen in der Anmerkung 8 auf S. 329 die obige Version als Alternative zu. Beides scheint mir möglich.

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Sachverhalte, wir haben sie erst heute gehört. Sie sind an uns (9) nicht an einem früheren Tag schriftlich(?) gerichtet worden.« Als der junge Priester die nämlichen Worte sprach, da erschien Amun, der große Gott, (10) indem er seine Stimme hörte. 424) Der Vorlesepriester sprach: »Wenn es Pharao beliebt, (11) möge Pharao vor Amun, dem großen Gott, fragen: ›Ist es der junge Priester, der (12) über die nämliche Pfründe Verfügungsgewalt hat?‹« Pharao sprach: »Es ist richtig, was du (13) sagst!« Pharao fragte vor Amun: »Ist es der junge (Priester), der über (14) die nämliche Pfründe Verfügungsgewalt hat?« Amun kam 425) in einem schnellen Schritt nach vorn: »Er ist es.« (15) Pharao sprach: »O junger Priester! Da es so ist, daß dies in deinem Herzen bekannt war, (16) warum bist du nicht (schon) gestern gekommen und hast deine Stimme erhoben wegen der nämlichen Sachverhalte, (17) ehe ich diesbezüglich(?) hdemi Ersten Hohepriester des Amun schrieb? 426) Denn ich hätte veranlaßt, daß der Königssohn (18) [Anch]hor die nämliche Pfründe an dich abtritt.« Der junge [Priester] sprach vor Pharao: (19) »Mein großer Herr! Wenn ich vor Pharao, [meinen großen (20) Herrn(?)], gekommen wäre, um meine Stimme mit den Priestern des Amun zu erheben, dann hätte Amun, der große Gott, diese [Sachverhalte (21) des Horus(?)] herausgefunden, ehe er (Horus) seinem Vater Osiris libiert. [Um] die Prozessionsbarke 427) des Amun, des [großen] Gottes, als Pfand zu nehmen(?) (22) bin ich [hierher(?)] gekommen, [(und) wegen(?) des ..?..], (23) das er 428) gemacht hat mit dem Ziel, Horus, den Sohn der Isis, den Sohn des Osiris, nach Oberägypten zu senden, (24) [um] seinem Vater Osiris zu libieren . Ich habe [vor ihm] geklagt (x+III 1) nach einer Libation, die er seinem Vater Osiris […] gemacht hat. [… …] ist zufrieden .« (2) Djedher, Sohn des Anchhor, sprach: »Da du ihm (schon) gestern berichtet hast, (3) komm auch heute nicht! Stänkere nicht (4) (gegen) Anchhor, den Königssohn! Denn [er hat] sich gerüstet vor den Prozessionskultbildern (?) des Amun, (5) des großen Gottes, der unterwegs ist nach Oberägypten. Man möge ihn sich entfernen(?) lassen wie heute, (6) als er nach Theben gekommen ist.« Der junge Priester sprach: »Halte deinen Mund, Djedher, (7) (Sohn des) Anchhor! Wenn man dich nach den Offiziersangelegenheiten fragt, die dir unterstehen, (8) kümmere dich um sie! Wo hast du die Pfründe der Tempel gefunden? (9) So wahr Horus von Pe in Buto, mein Gott, lebt: Amun wird nicht nach (10) Theben fahren auf der Fahrt, auf der

424. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 76, sehen den Satz noch als Teil der Rede der Priester: »Wenn der junge Priester jene Worte gesagt hat, dann weil der große Gott Amun (in der Prozession) erschienen ist und er seine Worte hört.« Das harmoniert jedoch wenig mit dem Gang der Erzählung, da ja nun erst unmittelbar eine Orakelbefragung vorgenommen wird, wofür sich die Gelegenheit geradezu anbietet. 425. Die Antwort des Gottes wird durch eine Bewegung der Prozessionsbarke, die auf den Schultern der Priester getragen wird, gegeben. Ihre Bewegungen gelten während eines Prozessionsorakels als vom Gott induziert. 426. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 77 mit Anm. 11 auf S. 329, nehmen einen Fehler an und übersetzen »ehe ich entsprechend der Meinung der Amunspriester (ein Dekret) geschrieben habe«. 427. Die Beschlagnahmung der Prozessionsbarke gelingt aber nicht, vgl. x+VI 4 ff. und die Anmerkungen 435 und 439. 428. Es ist unklar, wer hier gemeint ist.

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er sich befindet, bis mir Anchhor, der Königssohn, (11) die Pfründe, die in seinem Besitz ist, gegeben hat!« Anchhor, der Königssohn, sprach zu ihm: »Bist du (12) gekommen, um die nämliche Pfründe rechtmäßig zu nehmen, oder bist du gekommen, um (13) sie gewaltsam zu nehmen?« Der junge Priester sprach: »Wenn man meine Klage hört, (14) werde ich sie rechtmäßig nehmen. Wenn man nicht meine Klage hört, werde ich sie (15) gewaltsam nehmen lassen.« Sowie er (der junge Priester) dies gesprochen hatte, tobte Anchhor, (16) der Königssohn, wie das Meer. Seine Blicke sprühten Funken. (17) Sein Herz wirbelte Staub in ihm auf 429) wie die Ost(18) wüste. Er (Anchhor) sprach: »So wahr Amun-Re, der Herr der Throne der (Beiden) Länder, mein Gott , lebt: [Die] Pfründe, (19) wegen der du Klage erhoben hast, über die sollst du keine [Verfügungsgewalt] haben! (20) Ich werde veranlassen, daß sie (die Pfründe) wieder an den Ersten Hohepriesters des Amun zurückfällt, [in dessen Besitz] sie vorher war.« (21) Anchhor, der Königssohn, wandte sein Gesicht zur [Stationskapel]le 430). Er warf (22) das Königsleinen, das er anhatte, [auf den] Boden zusammen mit (23) den Goldkostbarkeiten, mit denen er geschmückt war. [Er ließ] sich seine (24) Rüstung bringen. Er zog sich die Schutzamulette [des] Kampfes 431) an. (x+IV 1) Er (Anchhor) kam zur Prozessionsstraße des Amun [und] wendete [sein Gesicht] dem jungen Priester in Richtung der Stationskapelle (2) selbst zu. Eskalation Siehe, da war ein junger ihm (dem Horuspriester) untergegebener Diener, der verborgen war in (3) der Menge und in dessen Hand [eine] neue Rüstung mit schönem Schmuck war. (4) [Der] junge Priester näherte [sich] ihm, er nahm den Panzer aus seiner Hand, (5) gürtete sich damit und kam zur Prozessionsstraße des Amun. Er traf Anchhor, (6) den Königssohn. Er schlug zu und kämpfte mit ihm. Djedher, der Sohn (7) des Anchhor, öffnete seinen Mund zur (?) schweren Kriegerklage vor (8) dem Heer: »Steht ihr da in der Nähe von Amun, während ein Hirt kämpft (9) gegen den Sohn Pharaos und ihr eure Waffen ihm nicht zur Verfügung stellt?« (10) Da geriet das Heer von Ägypten an allen Seiten in Aufregung. Die von Tanis, (11) die von Mendes, die von Natho und die von Sebennytos, (also) das Heer (12) der vier schweren Gaue von Ägypten, sie kommen und werfen sich (13) ins Kampfesgetümmel, um Anchhor, den Königssohn, zu schützen. Die 13 Hirten (14) von Perdjuf drangen mitten in das Heer vor, (15) ihre Rüstungen angelegt, ihre Stierkopfhelme auf (16) ihrem Kopf und ihre Schilde an ihr(en) Arm(en) und (17) ihre Sichelschwerter in ihren Händen. Sie sind gekommen von links und rechts zu 429. Wörtl.: »gebar ihm Staub« 430. Ein Bau auf der Prozessionsstraße, in dem die tragbare Prozessionsbarke abgesetzt werden kann. 431. Durch die ironisierende Wortwahl werden das Priesterornat, das Anchhor eben noch trug und zu dem Amulette gehörten, und die Kriegerausstattung einander gegenübergestellt und Anchhors wahres Gesicht als Streithahn demaskiert. »Schutz des Kampfes« (Hoffmann in Anthologie, 95) ist daher eine zu wörtliche Übersetzung des Wortes s , das »Schutz« und davon abgeleitet im Plural »Amulette« heißt.

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dem jungen (18) Priester, während sie bis nach draußen hörbar rufen: »Ein Eid durch uns hier ist das, was wir machen werden (19) vor Amun, dem großen Gott, der heute hier erschienen ist: ›Es gibt keinen einzigen Menschen von euch, (20) der den Hohenpriester des Horus von Pe in [Bu]to ein Wort hören lassen wird, welches (21) er haßt, ohne daß wir den Boden sein Blut tr [inken] lassen werden (22) (und) den Sonnenglanz seine Kraft.‹« Die Furcht vor den 13 Hirten (23) erfaßte das Herz Pharaos und des Heeres. Niemand wagte es, (24) seine Stimme zu erheben, um zu sprechen. Der [junge] Priester stand gegen (x+V 1) Anchhor, den [Königs]sohn, auf wie ein Löwe (2) [we]gen eines Wüstentieres (oder) wie eine Amme (3) [für] ihren Säugling 432). Er griff in seinen (Anchhors) (4) [Panze]r, er ließ hihni zu Boden kommen, er fesselte ihn ..?.. (5) Er warf ihn auf den Weg vor sich. Die 13 Hirten machten sich (6) auf, ihm hinter her. Niemand konnte gegen sie vorgehen (7) wegen der Art ihrer Schrecklichkeit. Sie wandten sich zum Amunsschiff, sie gingen an (8) Bord. hSiei warfen ihre Waffen zu Boden, sie steckten (9) Anchhor, den Königssohn, in den Bauch des Amunsschiffes, (10) gefesselt mit einem Seil aus Gaditane 433). Sie ließen (11) die Luke über ihn kommen. Die Segelleute und die Ruderer machten sich zum (12) Ufer davon. 434) Sie (die Hirten) legten ihre Schilde neben sich, reinigten sich zum (13) Fest und brachten die Brotlaibe, die Fleischstücke und den Wein, der an (14) Bord war. Sie nahmen es zu sich, tranken und feierten einen schönen Tag (15) mit Uferblick zur Prozession des Amun, des großen Gottes, (16) dem geopfert und geweihräuchert wurde. 435) Eine verfahrene Situation Pharao öffnete seinen Mund (17) in einem großen Schrei: »So wahr Amun, der große Gott, lebt: Die Bewunderung (18) für Paimi ist verschwunden, [die] Zuneigung und das Lob für Petechons (19) hat ein Ende. Es gibt keinen Respekt (in) meinem Herzen außer (für) diese Hirten, 436) (20) die an Bord des Amun schiffes gegangen sind, gegürtet mit ihren Rüstungen, (21) und sie es ein an deres Heiligtum sein lassen.« Djedher, der Sohn des Anchhor, sagte: (22) »Mein großer Herr, Amun, der [große] Gott, 432. Nicht »dumm« wie Hoffmann in Anthologie, 96 u. ö., übersetzt. Es geht hier nicht um die Intelligenz des Kindes, sondern den Einsatz einer stillende Mutter (vermutlich so und nicht einer »Lohnamme«) für ihren Säugling. 433. Vielleicht die Gegend um das heutige Cádiz in Spanien. 434. »Die Schiffer und die Ruderer veranlaßten, daß man ans Ufer kam.« Hoffmann (in Anthologie, 96) suggeriert, daß das Amunsschiff über den Nil übersetzt oder sonst irgendwie anlegt. Das Schiff bewegt sich aber nicht – das ist ja ausdrücklich das Problem – und hat auch nicht abgelegt, denn sonst wären die Hirten mit ihrer Geisel nicht an Bord gekommen. Vielmehr flieht die Besatzung und überläßt das Schiff den Hirten. 435. Die durch die Kaperung des Amunsschiffes aufgehaltene Prozession ist nun in einer prekären Lage, denn das Prozessionskultbild kann nicht einfach im öffentlichen Raum stehen bleiben. Dafür waren festgebaute Stationskapellen vorgesehen, damit die Träger der Prozessionsbarke sich während eines normalen Verlaufs ausruhen konnten. Während dieser Zeit wurde das Prozessionskultbild kultisch versorgt. In der hiesigen Ausnahmesituation müssen die Amunspriester in eine gewisse Hektik verfallen sein, weil die Barke ja außerplanmäßig hielt und im Freien abgestellt werden mußte. Das schafft im Kontrast zu den feiernden Hirten auf dem Schiff vielleicht sogar eine beabsichtigte Komik. 436. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 80, übergehen m-s und verstehen die Stelle so: »Es gibt keinen Respekt (mehr) in meinem Herzen für diese Hirten.«

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ist erschienen. Möge Pharao (23) vor ihm fragen: ›Ist es günstig, daß ich das Heer (24) Ägyptens rüsten lasse gegen diese Hirten, [da]mit sie (die Soldaten des Heeres) Anchhor erretten (25) aus ihren Händen?‹« (x+VI 1) Pharao [befragte die Prozessions]kultbilder 437) Amuns: »Ist es günstig, daß ich (2) das Heer Ägyptens sich mit ihren Waffen umgürten lasse, damit sie (3) mit den Hirten [käm]pfen?« Amun veranlaßte die Zurückweichung 438): (4) [»Tue es nicht!«] Er (Pharao) sagte: »Mein großer Herr, o Amun, großer Gott, ist es günstig, (5) daß ich ein Gestell bringen lasse, damit du darunter Platz nimmst, (6) und daß ich ein Segel aus Königsleinen bringen lasse über dich, (7) damit du dort mit uns bist, bis die Diskussionen (8) zwischen uns und den Hirten aufhören?« 439) Amun kam nach (9) vorn in einem schnellen Schritt: »Lasse es bringen!« (10) Pharao ließ eine Sänfte bringen, man ließ Amun darin Platz nehmen (11) und ein Segel aus Königsleinen über ihm aufstellen. (12) Danach schlägt Pharao Petubastis ein Lager auf (13) der Westseite von Oberägypten auf, die Theben gegenüber ist, während Amun, (14) der große Gott, ruht unter einem Zelt aus Königsleinen, das Heer (15) Ägyptens mit seinen Rüstungen geschmückt ist, die 13 (16) Hirten an Bord des Amunsschiffes sind, während Anchhor, (17) der Königssohn, durch sie gefesselt im Bauch (18) des Amunsschiffes ist, es keinen Respekt vor Pharao (19) (noch) Furcht vor der Krone 440) in ihren (der Hirten) Herzen gibt. Pharao erhob (20) seinen Kopf, und blickte zu ihnen (den Hirten) auf dem Amunsschiff hinauf. (21) Pharao sprach: »Paqrur, Sohn des Petechons, was (22) wird uns mit diesen Hirten geschehen, die an Bord (23) des Amunsschiffes sind und die Zwist und Streit schaffen (24) vor Amun (x+VII 1) [wegen] der Pfründe [des] Amtes 441) des Ersten Hohepriesters, die im Besitz des Anch[hor], (2) des Königs[sohnes], war? Komm, sprich zu dem jungen Priester: ›Komm, schm ück [e dich], (3) lege das Königsleinen an, tritt zu den Amuletten aus [Gold] ein (4) [und] sei Erster Hoherpriester vor Amun, wenn er hnachi Theben geht.‹« (5) [Paq]rur eilte zur oberen Seite des Amunsschiffes … (6) Er [traf] die Hirten, und er sagte ihnen jedes Wort, das ihm Pharao gesagt hatte.

437. Gegen Hoffmann in Anthologie, 337 Anm. ae, hat die Ergänzung von Spiegelberg, Sagenkreis, 20, von [n h2].w durchaus genügend Platz in der Lücke. ˘ wie »Abweisung« o. ä. verengen m. E. zu sehr und vernachlässigen die Bewe438. Übersetzungen gung, die hier zum Ausdruck kommt, vgl. auch die Formulierung der Zustimmung, für die ebenfalls ein Verb der Bewegung verwendet wird. 439. Die Frage bedeutet eigentlich, ob sich die Auseinandersetzungen noch länger hinziehen werden und ob es notwendig sein wird, Strukturen zu schaffen, damit die Prozessionsbarke nicht offen herumsteht, vgl. Anm. 435. 440. Begrifflich ist das demotische Wort für »Krone«, grp , von h2 unterschieden. Die Überset˘ zung mit »Krone« versucht, durch den deutschen metaphorischen Sprachgebrauch zum Ausdruck zu bringen, daß der Respekt vor der Monarchie verlorengegangen ist. So auch Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 81. 441. Zur Bedeutung tnı’.t »Amt«: M. A. Stadler, Isis, das göttliche Kind und die Weltordnung Neue religiöse Texte aus dem Fayum nach dem Papyrus Wien D. 12006 recto (MPER NS 28), Wien 2004, 106, dort tnı’.t hry »Herrscheramt«. Vgl. aber t ı’ w.t hry in der Rosettana (dem. Z. 16). Ist tnı’.t (kopt. toe, ˙fayumisch-koptisch tai, taai) dann eine˙ unetymologische Schreibung für t ı’ w.t? Sonst wird gerne »Pfründe des Anteils des Ersten Hohepriesters« o. ä. übersetzt. Was die Übersetzer damit meinen, ist eher opak.

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hDer junge Priesteri sagte zu ihm: »hSage 442) folgendes zui Pharao: Heißt das nicht, daß du sagst (8) ›Komme zu den Ufern und lege das Königsleinen an, (9) halte deine Hand vom Kriegsgerät fern! Ich will (10) das Heer Ägyptens dich umzingeln lassen. Ich will sie dich in ein sehr großes (11) Unglück stürzen lassen. h?Wenn Pharaoi(12) mir die Pfründe wünscht, lasse das Band aus Königsleinen (13) und die Goldamulette hierher(?) zum Amunsschiff bringen, damit ich mich mit ihnen bekleide (14) und ich mein Kriegsgerät auf den Boden lege, (15) und lasse mir das Prozessionskultbild 443) des Amun an Bord bringen, damit (16) ich das Ruder(?) des Schiffes empfangen und Amun (17) nach Theben übersetzen werde, während ich auf dem Schiff mit ihm bin zusammen mit den 13 Hirten, (18) die hier mit mir sind, da wir niemanden auf der Erde an Bord gelassen haben (19) mit uns!« Paqrur kam dorthin, wo Pharao war, (20) und berichtete vor ihm alle Worte, die ihm der junge Priester gesagt hatte. (21) Pharao sprach: »So wahr Amun lebt: (Was) das (betrifft), daß der junge Priester sagt: (22) ›Ich habe Anch hor, den Königssohn, deinen Sohn, gefangengenommen, lasse (23) mir das Prozessionskultbild des Amun geben! Ich steige mit ihnen beiden (?) an Bord, (24) damit ich mit ihnen nach Norden reise und ich es nach Buto nehme, (25) meine Stadt.‹ Ach wäre es doch Silber, Gold oder (andere) Kostbarkeiten, (26) —— 444) was der junge Priester von mir für sich verlangte! (x+VIII 1) Ich würde sie [ihm] bringen lassen. Ich werde ihm (aber) nicht das Prozessionskultbild [des Amun geben, so daß er sie nach Buto,] (2) seine Stadt, [bringt] und er (es) von Theben völlig entfremde [… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … 445) Ich] (3) bin in den Süden [nach Theben], gekommen, um Month, [den Herren von Theben 446), den großen Gott,] ruhen zu lassen [… … unter sein]em 447) (4) Dach, indem er seine [……] ändern ließ [… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … Prozessionsbarke] (5) Amuns in eine andere Stadt, und [sie] ihn [völlig] ent[fremden von Theben … … … … … … … … … … … … … … … … … … … 448)«] (6) Als der General [Wertepimennut] ihm (7) genau gegenüber stand, beendete [Pharao] seine Rede. Er (der General) sagte: » Mein großer Herr, die [Amulette, sch]i[cke] mich (8) zu ihnen! Die Hirten, ich will dein Herz erfreuen [durch] das, was mit ihnen geschehen wird. 449) (9) Sie sind nicht hierher gekommen wegen des Amtes des Hohen(7) {Pharao}

442. Lies r.dy-s. Hoffmann in Anthologie, 97, 337 Anm. ag. ¯ ist eine gewisse Pattsituation eingetreten, denn sein Ziel, über das Prozessionskult443. Insofern bild zu verfügen (vgl. x+II 21), hat der junge Horuspriester nicht erreicht. Hier ist sicherlich nicht »Festzug, Hofstaat« für h2 zu übersetzen, wie das Agut-Labordère / Chauveau, Héros, ˘ 82, tun. Vgl. Anm. 413. 444. Im demotischen Original steht hier ein Spatium. 445. Die von Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 82, vorgeschlagene Ergänzung »Ich würde ihn eher verleiten] in den Süden von Theben zu kommen.« füllt die Lücke nicht aus. 446. »Hermonthis«, so Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 83. Möglich, aber nicht zwingend. 447. Ergänzung nach Hoffmann in Anthologie, 98, die aber auch noch nicht ausreicht, die Lücke zu füllen, daher hier noch p ntr 2 ergänzt. ¯ 448. Lücke bei Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 83, nicht angegeben. 449. Die beiden ersten Sätze sind gleich konstruiert mit einem vorangestellten nominalen Subjekt – Kennzeichen der markigen Soldatensprache Wertepimennuts? –, weshalb für mich Hoffmanns Übersetzung in Anthologie, 98 (»Mein großer Herr! ..[…]. Sen[de] mich gegen sie, die Hirten, daß ich dein Herz mit dem erfreue, was mit ihnen geschehen wird [..]..!«), die das

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priesters des Amun. (10) Sie wünschen Streit entstehen zu lassen zwischen sich und Pharao. Das ist es, was [sie] machen wollen.« (11) Pharao gab dem General Wertepimennut seinen Segen und entsandte ihn. (12) Er (der General) gürtete sich mit seiner Rüstung. Er geht zur oberen Seite des (13) Amunsschiffes, 450) damit er zum Deck hinaufspricht zum jungen Priester: »Willst du (mal) (14) an die schlimmen Dinge denken, die geschehen sind durch dich und deine Leute – (nämlich) an Bord (15) gehen des Amunsschiffes, wobei ihr mit euren Waffen gerüstet seid (16) und das Amunsschiff ein anderes Heiligtum sein laßt? 451) Wenn ihr (17) hierhergekommen seid wegen des Amtes des Hohenpriesters des Amun, kommt ans Ufer und (18) nehmt es! Wenn du aber hierher aus Kampfeslust gekommen bist, (19) komm ans Ufer, ich werde dich daran schon satt sein lassen!« Der junge Priester sprach zu ihm: (20) »Ich kenne dich, General Wertepimennut, du bist ein Mann des (21) Nordlandes wie wir. Dein Name fällt häufig wegen der zahlreichen 452) Worte, (22) die du sprichst. Ich werde einen der Hirten ans Ufer mit dir zusammenkommen lassen. (23) Verbringe eine vergnügliche Stunde mit ihm!« Erneute Handgreiflichkeiten junge Priester blickte auf einen der 13 Hirten, die an Bord (25) mit ihm waren. Er (der Hirte, den der junge Priester angesehen hatte) erhob sich, gürtete sich mit seiner Rüstung und ging ans Ufer. (x+IX 1) Er traf auf den General [Wertepimennut und kämpfte mit] ihm. Er handelte [entsprechend] (2) dem, was eine Amme [machen wird 453)] mit [ihrem] Säug[ling.] Er st ür[zte] 454) sich (3) auf den General Wertepimennut, er ergriff [das Innere] seiner [Rüstung.] (4) Er ließ ihn zu Boden kommen, [er] brachte [seine Knie auf sei]ne 455) Augenbrauen, seinen Arm (5) durch/in seine/n Glieder/n. [Er] fesselte [ihn], ließ [ihn unter seine] Füße kommen und nahm ihn mit an (6) Bord des Amunsschiffes. [Er steckte ihn in den Schiffs]bauch, in dem Anchhor, der Königssohn, (7) [war]. Er ließ [die Luke über ihn] kommen. [… … … … … … … … … … … … (24) Der

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vor der hier mit »Amulette« gefüllten Lücke stehende n nicht liest, weniger wahrscheinlich ist. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 83, ergänzen anders im beschädigten Bereich, den sie auch nicht kennzeichnen, ebnen ebenfalls den Sprachstil Wertepimennuts durch ihre Übersetzung ein. »Er ging zur Barke hinauf«, wie Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 83, die Stelle deuten, scheint mir nicht richtig zu sein, denn »an Bord gehen« wird im Text mit sˇm r mr .t ausgedrückt, während hier ı’w n t ry.t hry.t gebraucht wird. Wertepimennut steht also am Ufer und muß von unten nach oben zum˙ Horuspriester sprechen. Der Horuspriester blickt also zu ihm hinab. Diese Situation unterminiert den Eindruck des Auftritts, den der General hinterlassen möchte, und ist insofern von Komik geprägt. Wegen des Hausdeterminativs bei w2b, scheint mir mit Hoffmann in Anthologie, 98, dies die bessere Übersetzung als »(…), daß die Amunsbarke einen anderen Priester hat?« zu sein. In x+IX 8 ist allerdings w2b »reinigen« ebenfalls mit Hausdeterminativ versehen, weswegen die Determinierung kein definitives Kriterium ist. Hoffmann in Anthologie, 99, übersetzt mit »heldenhaft (?)«, allerdings fragt sich, warum das problematische 2sˇ t »heldenhaft« bedeuten soll, das graphisch und phonetisch wesentlich ˆ viel« ist. In jedem Fall charakterisiert der Horuspriester sein Gegennäher an 2sˇ »zahlreich, über als Maulhelden. Wegen direkten Objektanschlusses Futur siehe ansonsten Anm. 432. Lies [p]2[y]. Bei Hoffmann in Anthologie 99 ungelesen. Ergänzung Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 84, folgend.

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… … … … 456) Er belud (?)] die Barke mit (8) seiner Rüstung, reinigte sich für das Fe[st mit] seinen Gefährt[en. Sie ließen] das Beste (9) vom Opferwein kommen, 457) sie [tranken] und feierten einen schönen Ta[g] vor (10) Amun, während Pharao ihnen zusah [und das Heer] Ägyptens gaffte. (11) Pharao öffnete seinen Mund in einem großen Sch[rei]: »Nach Süden, (12) segelte ich, während das Schiff des Anch hor, des Königssohnes (13) an der Spitze der Flotte Pharaos fuhr zusammen mit dem Heer Ägyptens, (14) ein Goldschild aufgesetzt war, in der Mitte des Mastes seines Schiffes, (15) d. h. ›Ich bin der erste Schild Ägyptens‹, und das Schiff des Wertepimennut (16) am Ende der Flotte Pharaos fuhr, d. h. ›Ich bin (17) das große Steuerruder Ägyptens‹. Siehe, ein junger Hirt ist es, der (18) nach Süden kam. Er hat den ersten Schild Ägyptens und (19) das große Steuerruder Ägyptens geraubt. Er erschütterte Ägypten (20) wie ein Schiff, das sinkt und kein Steuermann (21) steuert. Er ist stärker als alle diese, ohne daß man Amun, den großen Gott, der (22) auf der Westseite Oberägyptens ist, die gegenüber Theben ist, (23) in Theben anlanden lassen (kann).« Djedher, der Sohn des Anchhor sagte: »So wahr dein Angesicht lebt, (24) mein großer Herr: Wenn das Heer Ägyptens sich nicht gegen diese (25) Hirtheni rüsten wird, und sie (die Soldaten) nicht ihrem (der Hirten) Treiben ein Ende setzen, (x+X 1) werden sie Pharao die Arbeit abnehmen .« 458) Amuns Wille [Der Große des Ostens, Pa]qrur, ant [wortete(?)] ihm: (2) »Bist du rasend? Sind etwa nicht [diejenigen zugrundegegangen,] die Vergeltung üben (wollten) (3) (an) den Hirten, die Anchhor, den Königsso[hn] gefangengenommen haben [und] den General (4) Wertepimennut? 459) Das [Heer] wird keinem einzigen [von] ihnen Widerstand leisten können. (5) Willst du das sagen? ›Lasse das Heer Ägyptens sich gegen sie rüsten, (6) damit die Hirten ein [großes Blut]bad unter ihnen anrichten!‹ Und außerdem die Tatsache: (7) Amun, der große Gott, er ist hier bei uns. [Es] darf nicht [geschehen(?)], daß wir irgendetwas tun, (8) ohne ihn zu befragen. Möge (also) Pharao vor ihm fragen. Wenn er zu uns sagt ›Kämpft!‹, dann werden wir (9) kämpfen. Wenn es etwas anderes ist, was Amun befehlen wird, dann werden wir (10) dementsprechend handeln.« Pharao sprach: »Diese Ratschläge gefallen, die gemacht sind durch (11) den Großen des Ostens, Paqrur.«

456. Lücke von Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 84, übergangen. 457. So nach Hoffmann in Anthologie, 99. 458. Eine Übersetzung wie »Die Soldaten Ägyptens bewaffneten sich nicht gegen diese Hirten, um sie von ihrer Stellung zu vertreiben, [es sei denn] den Auftrag seitens Pharaos (und zwar) nur von ihm [empfangen zu haben].«, wie sie Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 85, hier vorschlagen, läßt sich kaum mit den vorhandenen Zeichen vereinbaren und paßt auch nicht zur Logik der Erzählung. 459. Wieder scheint mir die Version von Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 85, nicht zur inneren Logik der Erzählung zu passen: »Oder haben [deine schönen Worte] (schlagartig) die Hirten umgestimmt, die den Königssohn Anchhor und den General Wertepimennut gefangen haben?« Denn Djedher hat seine Worte – also seine Ratschläge, die zu den folgenden Komplikationen (siehe x+XI 18) geführt haben? – nicht an die Hirten gerichtet. Sinnvoller ist es, hier nochmals die Ereignisse Revue passieren zu lassen, um das Vorhaben Djedhers als absurd hinzustellen.

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Pharao befahl, Amun erscheinen zu lassen. Pharao ging vor ihn hin. Die Gebete und Bitten, die er machte: (12) »Mein großer Herr, o Amun, großer Gott, ist es günstig, daß ich (13) das Heer Ägyptens sich rüsten lasse gegen diese Hirtheni, damit sie miteinander kämpfen?« (14) hAmuni veranlaßte die Zurückweichung: »Tue es nicht!« Er (Pharao) sprach: »Mein großer Herr, o Amun, großer Gott, ist es (15) günstig, daß ich die Pfründe des Amtes des Hohenpriesters des Amun dem (16) jungen Priester überlasse? Läßt er dann Anchhor, den Königssohn, (17) und Wertepimennut, frei?« Amun veranlaßte die Zurückweichung: »Er wird nicht.« 460) Pharao sprach: (18) »Mein großer Herr, o Amun, großer Gott, diese Hirten, werden sie Ägypten (19) von mir nehmen in dem Fahrwasser, in dem sie sind?« Amun veranlaßte die Zurückweichung: »Sie werden nicht.« (20) Er (sc. der Pharao) sprach: »Mein großer Herr, werden die Hirten gewaltsam (21) herrschen?« 461) Amun veranlaßte die Zurückweichung: »Sie werden nicht.« Er sprach: »Mein großer Herr, (22) [wirst du] mir Sieg verleihen über die Hirten, um sie vom Amunsschiff (23) zu vertreiben?« Amun kam (in) einem schnellen Schritt (24) nach vorn: »Ich werde.« Pharao nannte den Namen der Gouverneure, der Generäle, (x+XI 1) der Fürsten , [… … … … … … … … … … …, der] Obristen, Hauptleute, [der …] (2) (und) der Granden Ägyptens [vor] Amun, dem großen Gott. Er stimmte nicht einem einzigen [von(?)] ihnen zu. (3) Amun stimmte dem Fürsten [Petechons] und dem Hauptmann Paimi zu: (4) »Sie sind die, die [nach Süden] kommen [werden], und sie werden die Hirten vertreiben, die [im Besitz] des Schiffes sind, (5) und sie werden Anch hor, den Königssohn, [frei] kommen lassen zusammen mit dem Gen[eral Wertepimennut], (6) und sie werden [mich in] Theben [anlanden] lassen .« Pharao in der Klemme Pharao ließ Amun die Opfergaben empfangen. 462) (7) Pharao nahm [seine Hand, die (?)] des Großen des Ostens Paqrur. Er erzählte ihm (8) von den Orakelbefragungen, die er vor Amun, [dem großen Gott,] gemacht hatte. [Der] Große des Ostens Paqrur [sagte:] »Wenn [es] beliebt (9) vor Pharao, la[sse] nach den Jünglingen [schicken], daß sie nach Süden kommen. Jede (10) [Sache], die Pharao [wünscht], sie werden sie ingesamt ausführen.«

460. Die sich an eine Fehldeutung der Stelle anschließende These von Motiven aus anderen Traditionen, die hier sekundär eingeflossen seien (so Quack, Einführung, 65), ist hinfällig. Amun widerspricht nämlich nicht seiner eigenen Orakelentscheidung, die in x+II 14 den Rechtsanspruch des Horuspriesters aus Buto bestätigt, sondern deutet angesichts der zweiten Frage Pharaos an, daß der Konflikt inzwischen zu sehr eskaliert ist und eine einfache Übergabe der Pfründe nicht mehr reichen wird. 461. D. h. unrechtmäßig, gewaltsam die Herrschaft an sich reißen. Lies ı’n r n 2 m.w r ı’r nb n n ı’r qns hry? Anders Hoffmann in Anthologie, 100. ˙ 462. Hoffmann in Anthologie, 101: »Pharao ließ Amun ruhen(?).« Ähnlich Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 87. Lies aber tı’ pr-2 t 3Imn htp [.w]? ¯ ˙

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Pharao sagte: »So wahr Amun lebt: (11) Wenn ich nach ihnen schicke nach [Norden (?)] 463), werden sie nicht kommen wegen der Beleidigung, die ich ihnen angetan habe, (12) als ich nach Süden, [nach Theben(?)], gekommen bin und ich nicht nach ihnen geschickt habe zum Prozessionsfest (13) Amuns, des großen Gottes. Mein Vater, der Große des Ostens, Paqrur, dir fällt zu, nach (14) ihnen zu schicken. Wenn irgendeiner nach ihnen schickt, (dann) würden sie (ja) nicht auf mein Geheiß nach Süden kommen.« 464) Der Große (15) des Ostens Paqrur sagte: »Mein Herr, Million sind die Beleidigungen, die du ihnen antust, (16) den Jünglingen einen jedem Einzelnen. Du denkst nie an einen Krieger, (17) bis du sie herbeisehnst gegen dein Unglück.« Pharao sagte: »So wahr (18) Amun, der große Gott lebt: Nicht ich war es, der sie beleidigt hat, (sondern) die bösen Verwirrungen (19) des Djedher, des Sohnes des Anchhor, sind es. Er war es, der mich sie zurücklassen ließ, so daß ich (20) sie nicht nach Süden mitnahm, da er sagte: ›Sie halten nicht Kampf und Streit (21) inmitten des Heeres Ägyptens fern.‹ Der aber, der seine Zaubereien verwendet, (22) zu dem kommen sie (zurück). Der, der eine böse Fallgrube gräbt, der fällt (23) hinein. Der, der ein Schwert schärft, in dessen Nacken geht es. (24) Siehe, die Brüder des Djedhor, des Sohnes des Anchhor, sind die, die gefesselt sind durch die Hirten, (25) während sich kein Kämpfer für sie findet. Aber (x+XII 1) setze nicht ein Wort gegen das ander[e! Mein Vater,] Großer des Ostens, (2) Paqrur, schicke nach den Jüng[lingen mit den Worten:] Mögen sie nach (3) Süden kommen gemäß deiner Größe und deiner Mach[t, die] deswegen [offensichtlich ist] inmitten des Heeres (4) Ägyptens.« Der Große [des Ostens Pa]qrur sagte: »Laßt (5) Higa, den Sohn des Min neb [ma’at, meinen] Dokumentenschreiber, zu mir rufen!« (6) Man lief, kam und brachte ihn sofort. (7) Der Große des Ostens Paqrur sagte zu ihm: »Schreibe einen Brief, lasse (8) ihn nach Persodpu bringen, dorthin, wo der Fürst Petechons (9) ist. Siehe, sein Wortlaut: ›Der Große des Ostens Paqrur, der Sohn (10) des Petechons, der Vater der Stiere Ägyptens, der gute (11) Hirt der Kalasirier 465), grüßt den Fürsten Petechons, (12) seinen Sohn, den kraftvollen Stier derer von Persopdu, den Löwen (13) derer des Ostgaus, die Erzmauer, die mir Isis gegeben hat, den großen (14) Haltepflock aus Eisen, den mir die Herrin der Beiden Länder gegeben hat, das vollkommene (15) Steuerruder Ägyptens, auf das (das) Herz des Heeres Ägyptens (16) sich stützt. Es würde gefallen, wenn du (folgendes) tätest, mein Sohn Petechons: (17) Wenn dieses Schreiben dich erreicht und du (gerade) ißt, (dann) wirf (18) das Brot auf die Erde! Wenn 463. Hoffmann in Anthologie, 101: »damit sie kommen«. 464. Sie würden vielmehr einem anderen, der sie nicht beleidigt hat, Folge leisten und deshalb würden sie ihr Gesicht wahren. Oder: »Nach ihnen soll irgend jemand schicken; auf mein Geheiß werden sie (nämlich) nicht kommen.« 465. Ein u. U. aus dem Namen für eine aus Vorderasien stammende, im Ostdelta siedelnde Bevölkerungsgruppe hervorgegangene Bezeichnung – J. K. Winnicki, Zur Bedeutung der Termini Kalasirier und Ermotybier, in: W. Clarysse / A. Schoors / H. Willems (Hg.), Egyptian Religion – The Last Thousand Years. Studies Dedicated to the Memory of J. Quaegebeur 2, Leuven 1998, 1503-1507 – für eine Soldatengruppe, die auch Polizeifunktionen wahrnahm, G. Vittmann, Kursivhieratische und frühdemotische Miszellen, Enchoria 25 (1999) 120-123. Ob in diesem Text dem ethnologischen Aspekt des Wortes angesichts des Ostdeltakontextes noch ein größeres Gewicht beizumessen ist, als lediglich einen Ausdruck für eine bestimmte Art von Soldat?

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du (gerade) trinkst, dann wirf den Trink(19) krug auf die Straße! hEile, eilei! 466) Haste, haste! Veranlasse, daß man an Bord (20) gehe mit deinen Brüdern und deinen 86 (?) 467) Männern des Ostens und (21) deinem Bruder Paimi, dem Sohn des Inaros, und seinen 40 Männern von der Sternen(22) insel und seinen vier Priestergefährten! Komme zu mir nach Süden, nach Theben, (23) wegen einiger Hirten von Perdjuf, die hier in Theben sind (24) und täglich mit Pharao kämpfen! (25) Sie haben nicht zugelassen, daß es möglich ist, Amun nach Theben überzusetzen, (x+XIII 1) {Amun} 468) da er [auf der Westseite] Oberägyptens [verharrt] unter einem Segel (2) aus Königsleinen. [Es] k [ann … … … … … … … …] 469) das Heer Ägyptens im Licht [und] (3) Tau. [Siehe, Anchhor,] der Sohn des Königs, das Kind Pharaos [Petubastis], (4) und der General [Wertepimen]nut sind gefangen durch die Hirten. Sie [sind an] (5) Bord des Amuns[schiffes]. Komme nach Süden! Gib ein Beispiel des Kampfes! (6) Zeige dem Heer Ägyptens den von dir (7) verbreiteten Schrecken und die von dir verbreitete Furcht!‹« Petechons, Retter in der Not? Der Brief, er wurde verschlossen (8) und versiegelt mit dem Siegel des Großen des Ostens Paqrur. Er wurde einem Hagräer gegeben. 470) (9) Er brachte (ihn) nach Norden (bei) Nacht wie auch mitten am Tag. Wenige (10) Tag(e) waren es, die geschehen waren, daß er in Persopdu ankam. Er eilte zu (11) dem Ort, an dem der Fürst Petechons war. Ihm wurde der Brief gegeben. (12) Er las ihn, er vernahm jedes Wort, das in ihm stand. Er wütete (13) wie das Meer, er tobte, er ging in die Luft wie Weihrauch, (14) und sagte: »Ein Kanalfischfischer von einem Mann aus Tanis, die Fallgrube von Gestrüpp von (15) einem Mann aus Dep, Petubastis, Sohn des Anchhor, den ich nicht ›Pharao‹ genannt habe! (16) Immer, wenn er angesichts seines Unglücks nach mir verlangt, macht er mir große Worte. (17) Wenn er geht, die Feste seiner Götter zu feiern, und es keinen Kampf (18) und Streit gegen ihn gibt, dann pflegt er nicht nach mir zu schicken. 466. Lies ı’wy sp-sn, wobei gerne zu ys sp-sn emendiert wird. Alternativ, um auf eine Emendation zu verzichten, wäre eine phonetische Schreibung für ı’y anzusetzen. Dann könnte »Komm! Komm!« übersetzt werden. Problematisch ist daran erstens, daß der Imperativ im Demotischen ı’m lautet und zweitens – wenngleich nicht unumstritten – nur im Mittelägyptischen stammhaft auch ı’ı’ sein kann – vgl. aber die Diskussion J. F. Quack, Gibt es einen stammhaften Imperativ ı’yi im Mittelägyptischen, LingAeg 12 (2004) 133-136, versus S. D. Schweitzer, Nochmals zum stammhaften Imperativ von jyi / jwi, LingAeg 16 (2008) 319-321, und M. Smith, Traversing Eternity Texts for the Afterlife from Ptolemaic and Roman Egypt, Oxford 2009, 636. Mittelägyptische Elemente, so ı’y als mittelägyptischer Imperativ akzeptiert wird, könnten dann aber hier auch ein Stilmittel für besonders gewählte, weil archaisierende Sprache sein. 467. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 88, lesen 56. 468. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 89, sehen keinen Fehler, wie er für Kolumnenwechsel typisch ist, und trennen anders ab: »(Was) Amun (angeht), er [verharrt auf der Westseite] Oberägyptens.« 469. Die Zeichenreste sprechen für rh und damit für diese von Hoffmann in Anthologie 102, vor˘ geschlagene Ergänzung. Die andere Lesart von Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 89, ist damit hinfällig. 470. Ein Angehöriger eines arabischen Stammes, die häufig als Boten dienten. Dazu Stadler, Isis 131-134. Der von G. Vittmann, Zur Rolle des »Auslands« im demotischen Inaros-PetubastisZyklus, WZKM 96 (2006) 314 Anm. 29, dagegen geäußerte Vorbehalt trifft die Argumentation zu den dort konkret behandelten Texten letztlich nicht. 



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Mein Eid durch mich (19) hier ist das, was ich machen werde, beim Namen des großen Sopdu, meinem Gott: ›Wenn es nicht die Nachricht (20) an mich wäre, die der Große des Ostens Paqrur, mein Vater, gemacht hat in diesem Brief, (21) nämlich »Amun, der große Gott, ist auf der Westseite Oberägyptens bei Theben. (22) Sie haben ihn nicht anlanden lassen in Theben.«, würde ich nie und nimmer und unter gar keinen Umständen (23) für die Kinder der Tahor, Tochter des Patjenef, kämpfen.‹ Außerdem (24) will ich nicht mit der Abscheu des Amun gegen mich Bekanntschaft machen. Meine Brüder und meine 86 471) Männer des Ostens, (x+XIV 1) [und mei]ne acht [Priester]gefährten, stei[gt an Bord!« Sie richteten ihre Ausrüst]ung (zusammen) für den Süden, für Theben. 472) »(2) Hole die Spitzmaus 473) des Spodu, [Pflege]kind 474)! Eile nach (3) Heliopolis, sage folgendes zu Paimi, [den Sohn des Inar]os: ›Rüste dich (4) und deine 40 von der [Sternen]insel und deine vier Priester(5) gefährten. Mein Treffpunkt mit dir ist dein [… in] Pernebhetep.‹« Das Schiff (6) landet in Heliopolis an. Das Pflegekind eilte nach Heliopolis. (7) Er wurde bei Paimi eingeführt. 475) Er berichtete vor ihm (8) alles, was Petechons zu ihm gesagt hatte. Entsprechend allem handelte er. Zusammen mit (9) seinen 86 476) Mann des Ostens und seinen acht Priestergefährten rüstete sich Petechons. (10) Er ging an Bord. Er eilte nach Pernebhetep. Dort fand er (11) Paimi selbst, als er auf seinem Schiff mit seinen 40 Mann (12) von der Sterneninsel und seinen vier Priestergefährten war. Nach Süden, nach (13) Theben segelten sie. Ein unerwarteter Held Währenddessen 477) lagerte Pharao Petubastis (14) auf der Westseite Oberägyptens, welche Theben gegenüber ist, zusammen mit (dem) Heer (15) Ägyptens, gerüstet mit seinen Rüstungen, und er ging täglich (16) vorbei an der oberen Seite des Amunsschiffes, wobei sein Auge (17) hinaus auf den Fürsten Petechons und Paimi, den Sohn des Inaros, gerichtet war. (18) Eine Stunde war es, die geschah: Ein neues Schiff aus Zedernholz, 471. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 90, lesen 56. 472. Oder noch Teil der direkten Rede, wie Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 90, meinen: »[Richtet Eure Ausrüst]ung für … !« 473. Scherzhafte Bezeichnung Paimis (»Der Kater«), vgl. Hoffmann in Anthologie, 103 und 338 Anm. ax. 474. Ägyptisch h l n s2nh wörtlich »Knabe einer Dotation«, in älteren Übersetzungen »Pfründen˘ ein Junge, für den eine Dotation gemacht wurde, damit ein Dritter für knabe« also¯ offenbar ihn sorgt. Zum System der Dotation siehe M. A. Stadler, Rechtskodex von Hermupolis (P. Kairo JE 89.127-30+89.137-43), in: B. Janowski / G. Wilhelm (Hg.), Texte zum Rechtsund Wirtschaftsleben, TUAT.NF 1, Gütersloh 2004, 185-207, und S. L. Lippert, Einführung in die altägyptische Rechtsgeschichte (Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie 5, Berlin 2012, bes. 166-170: Zwei Parteien A und B schließen einen Vertrag, damit B (hier offenbar Petechons) für den Unterhalt einer dritten Partei C (hier offenbar der Knabe) aufkommt, wobei A (hier unbekannt) als eine Art Sicherheit an B eine Dotation zahlt, die aber an C auszuhändigen ist, sollte B nicht mehr für den Unterhalt aufkommen. Der Begriff s2nh ˘ wird im vorliegenden Text aber auch für die Pfründe verwendet. Der »Pfründenknabe« ist also ein junger Mann, der von Erträgen oder einer Art Stipendium lebt. 475. So Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 90. Wörtlich: »Er stand oberhalb von Paimi.« 476. Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 90, lesen 56. 477. Wörtlich »danach«, tatsächlich aber Formel zur Einführung einer neuen Szene.

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Texte aus Ägypten (19) welches

nach Norden segelte, erblickte Pharao. Es landete (20) am Kai (?) des Amun von Theben an. Ein Krieger, der mit seinen Rüstungsteilen geschmückt war, lief herauf zu (21) ihm. Er ließ (22) im Westen Oberägyptens anlegen. Er landet südlich vom Schiff (23) Pharaos an. Der Krieger kam zum Ufer, bekleidet (24) mit der Kriegsausrüstung vom Kopf bis (25) zum Fuß an ihm wie ein Stier, der ausgestattet ist (26) hmiti Hörnern. Er eilte hinauf zur Oberseite (27) der Barke des Amun, ohne dorthin zu gehen, wo Pharao war. (x+XV 1) [Er] 478) sprach [zu den Hirt]en: »O, möge Paschai 479) [euch] leben lassen! 480) Kennt [ihr] (2) die Abscheu, in der [ihr seid], (nämlich) zu gehen an Bord [des] Amuns[schiffes], (3) wobei ihr [gegürtet seid mit eu]ren Rüstungen und es ein anderes (4) Heiligtum sein laßt?« Der [Hohepriester] des Horus von Pe sagte zu ihm: »Wer bist du, daß du (in) dieser Art (5) sprichst, in der du bist? Bist du ein Tanit oder (6) bist du ein Mendesier?« Der Krieger sagte zu ihm: (7) »Ich bin nicht im Nordland geboren worden, über das du sprichst. (8) Ich bin Minnebma’at, der Sohn des Inaros, der Fürst von Elephantine, (9) der Vorsteher Oberägyptens.« Der Hirt 481) sagte zu ihm: »Wenn (10) du nicht ein Nordländer bist, weswegen sollte er 482) dich berufen zum (11) Amunsschiff? Komm an Bord mit uns! Feiere (12) einen schönen Tag vor Amun! Das, was [uns] geschieht, es soll dir geschehen.« (13) Minnebma’at sagte zu ihm: »So wahr der [große] Chnum, der Herr von Elephantine, mein Gott, lebt: (14) Ihr könnt nicht erfassen die Abscheu, die durch euch geschieht! (15) Ansonsten hätte ich (gerne) einen Weg gefunden, an Bord zu gehen, und einen schönen Tag mit euch zu verbringen. 483) (16) Wenn es eine Klage über eine Unrechtstat durch Pharao gibt, (17) sage es! Ich werde es ihn für euch tun lassen. Macht den Weg des Amun ringsum 484) frei, damit er (18) nach Theben übersetzt. Wenn es nicht geschieht, das, was ihr tun sollt, werde ich (19) es euch unter Zwang als eine Sache tun lassen, wie ihr sie haßt.« Es erhob sich (20) einer von den 13 Hirten, der sagte: »Ich werde zu dir kommen, du Neger 485) (21) von Kusch, Gummifresser von einem Elephantinemenschen!« Pharao ist beeindruckt Er rüstete sich mit seinen (22) Waffen, sprang zum Ufer, schlug sich und (23) kämpfte mit Minnebma’at an der oberen Seite des (24) Amunsschiffes von der Zeit der ersten (25) Stunde morgens bis zuhri Zeit der achten Stunde (26) abends, (x+XVI 1) während Pharao [ihnen zusah und] das Heer Ägyptens gaffte, (2) wie von den beiden ein Mann sei478. = der soeben beschriebene Krieger. 479. Das zum Gott personifizierte Schicksal, vgl. J. Quaegebeur, Le dieu égyptien Shaï dans la religion et l’onomastique (OLA 2), Leuven 1975. 480. Gemeint ist: »Gnade Euch Gott, jetzt wird es für euch ernst!« 481. = der Horuspriester. 482. = Pharao. 483. Grammatik des Satzes etwas problematisch und noch nicht gänzlich geklärt, vgl. J. H. Johnson, The Demotic Verbal System (SAOC 38), Chicago 2004, 170 f. 484. Ich lese m hp i qty statt my. 485. Minnebma’at stammt aus der südlichsten Stadt Ägyptens und wird von dem aus dem Delta, also dem Norden stammenden Hirten als Nubier (ı’gsˇ) bezeichnet und durchaus pejorativ provoziert, weshalb hier das politisch unkorrekte Wort verwendet wurde.

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nem Gegenüber sehr hart zusetzte. Keiner von den beiden konnte den anderen niederzwingen. (3) Pharao sagte zum Großen des Ostens Pakrur (und) Djedher, dem Sohn des Anchhor: »So wahr (4) Amun lebt: (Der) Fuß dieses Kämpf[ers] ist fest [auf dem] Kampfplatz! (5) Aber ich kenne ihn nicht unter denen, für die uns[ere] Wohl(6) tat war.« Es kam die Zeit der zehnten Abendstunde. [Wor]t des Hirten (7) an Minnebma’at: »Heute haben wir uns {seine} hunserei Gefechte geliefert. Laß uns beenden (8) den Kampf (und) den Streit zwischen uns! Laß uns eine Waffenruhe schließen (9) zwischen {ihnen} hunsi [beiden]! Der, der [mor]gen nicht hierher kommen wird, (10) seine Schmach ist es, die ihn treffen wird.« Minnebma’at stimmte den [Wort]en zu, die er (der Hirt) gesprochen hatte. Sie schließen eine Waffen(11) ruhe zwischen sich beiden. Sie zogen sich zurück vo[m] Kampf[platz]. (12) Der H[irt] ging danach fort an Bord des [Amuns]schiffes. [Aber] Minnebma’at, (13) er geht [an Bor]d seines Schiffes. Pharao [kam] ihm [entgegen] mit (14) dem Großen des Ostens Pakrur und Djedher, dem Sohn des Anchhor. Sie sagten zu ihm: (15) »Geht üblicherweise ein Mann zum Kampfplatz und kehrt wieder zurück, (16) ohne daß er dorthin geht, wo Pharao ist, um sich den Lohn geben zu lassen für (17) seinen Kampf?« 486) Der Kalasirier kehrte dorthin zurück, wo Pharao war. (18) Er nahm seinen Helm vom Kopf, verbeugte sich hbis zuir Erde (19) ihn grüßend. Er füllte seinen Mund hmiti Staub (und) Dreck. Pharao (20) erkannte ihn. Er erkannte ihn. Pharao schritt zu dem Ort, (21) an dem er war. Er ließ seine beiden Schwingen kommen nach außen, er gab seinen Mund auf (22) seinen Mund und er hüpfte für viele Stunden wie (bei der) Anbetung (23) eines Mannes für seine Verlobte. 487) Pharao sagte zu ihm: »Gepriesen seist du, gepriesen seist du, Minnebma’at, (24) Sohn des Inaros, Vorsteher Oberägyptens! Das ist, was ich vor Amun, dem großen Gott, erfleht habe, (25) mich dich sehen zu lassen, ohne daß es einen Fehl bei (26) der guten Wirkensmacht und beim Wohlergehen gibt. So wahr Amun, der große Gott, lebt: (x+XVII 1) Seit dem Erblicken, das [ich] in deine Richtung auf dem Kampfplatz gemacht habe, (2) sage ich es: Es wird k[einen Menschen] geben, der für mich einen Kampf so ausführt (3) außer einem Stier, Nachkomme eines Stieres, (oder) Löwe, Nachkomme eines Löwen, in meiner Weise.« (4) Pakrur, [Sohn] des Pete[chons,] und Djedher, Sohn des Anchhor, und (5) die Ersten Ägyptens, sie nahmen seine Hand und ehrten ihn. (6) Pharao gab ein Gesicht mit ihm 488) 486. Pharao drückt sich in auffallend komplizierten Konstruktionen aus. Ob das ein Indiz für eine besondere Hofsprache ist? 487. Pharao wird hier als durchaus lächerliche Figur geschildert. Der etwas geschwollene Ausdruck »Schwingen« für »Arme« läßt an einen Vogel, eventuell einen Falken, denken und könnte damit auf eine Erscheinungsform des Horus anspielen, den Pharao seinerseits auf Erden repräsentiert – einer Rolle, der tatsächlich Petubastis nicht gerecht wird. Vgl. außerdem Anm. 488. 488. So ganz wörtlich übersetzt. Hoffmann in Anthologie, 105: »Pharao gab ihm eine Audienz unter den Baldachinen seines Zeltes.« Oder ist hier – angesichts dessen, was zuvor vom Pharao und seinem fast liebestollen Verhalten gesagt wird – gemeint, daß es zu homosexuellen Intimitäten kommt und damit der Pharao sich weibisch verhaltend ähnlich schwächlich geschildert wird wie in der Geschichte von König Neferkare und General Sasenet aus dem (späten?) Mittleren Reich? Literatur zu jener Erzählung bei G. Burkard / H. J. Thissen, Einfüh-

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Texte aus Ägypten

unter den Stoffbahnen seines Zeltes. (7) Danach ging er, Minnebma’at, fort an Bord seines (8) Schiffes. Pharao ließ ihm Weihrauch und sehr umfangreichen (9) Tribut bringen. Alle Ersten Ägyptens ließen ihm (Gaben) bringen. (10) Minnebma’at verbrachte drei weitere Kampfestage, insgesamt (11) [vier] Kampfestage auf dem [Kampfes]platz, (12) an denen er hinauszugehen, mit den Hirten zu kämpfen, (13) und zurückzukehren pflegte, wobei er unversehrt blieb, sie (ihm) (14) nichts anhaben konnten und das Heer Ägyptens untereinander (15) sprach: »Es gibt keine Krieger(16) familie wie die Familie des (17) Osiris 489) des Königs Inaros. Siehe, Anchhor, (18) der Königssohn, und der General Wertepimennut, (19) sie konnten nicht (einmal) einen Kampftag fertigbringen gegen (20) die Hirten. Siehe, vier Tage, an denen Minnebma’at (21) jeden Tag zum Kampfplatz gekommen ist! (22) Sie konnten nichts von ihm nehmen.« Petechons in Theben Als (23) all dies geschah, kamen Petechons und (24) Paimi in Oberägypten an. Sie legten mit (25) ihren Schiffen südlich vom königlichen Staatsschiff an. (26) Sie sprangen mit ihren Rüstungen gegürtet ans Ufer. (x+XVIII 1) Es wurde darüber Meldung gemacht vor [Pharao und dem Großen des Ostens] (2) Paqrur und Djedher, [dem Sohn Anchhors, des Königssohnes. Es ging] (3) Pharao hinaus ihm entgegen und [… … … … … … … … … in die Hand] (4) des Fürsten Petechons [… … … … … … … … … … … … … … … …] (5) am Boden wegen des [… … … … … … … … … … … … … … … …] (6) die Riemen der Schlinge [… … … … … … … … … … … … … … … …] (7) außerhalb Ägyptens. Der Halt[epflock … … … … … … … … … … … … …] (8) werfen nach ihr. Der große Schutz [… … … … … … … … … … … … … … … …] (9) Paimi die Ausrüstung [… … … … … … … … … … … … … … … …] (10) …. [… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …] (11) auf (?) [… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …] (12) …… [… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …] (13) Pete[chons] vor Pharao [… … … … … … … … … … … … … … …] (14) der, der mit dem Glanz (?) ihn zerstörte [… … … … … … … … … …] (15) ruhen lassen [… … … … … … … … … … … … … … … … … … …] (16) Paim[i … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …] (17) Er ließ ihn kämpfen [… … … … … … … … … … … … … … … …] (18) ein Priester, der kämpfte be[treffs … … … … … … … … … … … …] (19) seinen Herrn. Aber [… … … … … … … … … … … … … Anchhor,] (20) der Königssohn, die Kind[er … … … … … … … … … … … … … …] (21) die obere Seite der [Amunsbarke 490) … … … … … … … … … Weshalb … … …] (22) Pferde auf der [West]seite [von Oberägypten, welche gegenüber von] (23) Theben ist? [… – in unbekannter Länge –] rung in die altägyptische Literaturgeschichte I, Altes und Mittleres Reich, Münster (EQTÄ 1), Berlin 42012. Zur Haltung gegenüber Homosexualität vgl. R. B. Parkinson, ›Homosexual‹ Desire and Middle Kingdom Literature, JEA 81 (1995) 57-76, und B. Schukraft, Homosexualität im Alten Ägypten, SAK 36 (2007) 297-331. 489. »Osiris« ist ein Status, den ein Verstorbener erwerben kann; der Ausdruck verweist also auf einen toten Vorfahren des Minnebma3at. 490. Oder »oberhalb von Pa[imi]«, vgl. x+IV 7

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Günter Vittmann

4. Amasis und der Schiffer

Günter Vittmann Unter den verschiedenartigen Texten auf dem Verso des ptolemäerzeitlichen Papyrus, dessen Recto die berühmte sogenannte »Demotische Chronik« enthält (Paris, Bibliothèque Nationale 215), findet sich eine Erzählung über den König Amasis, die den König – wie so oft in der demotischen Literatur – als Wesen mit sehr menschlichen Schwächen zeichnet: Ganz wie bei Herodot (II 172-174) erscheint Amasis als trinkfreudiger Herrscher. Nach einem üppigen Gelage erwacht der Herrscher am nächsten Morgen mit einem gewaltigen Kater. Unfähig, seine Regierungsgeschäfte wahrzunehmen, läßt er sich eine Geschichte erzählen, die allerdings für uns wegen der Lücken unklar bleibt. Jüngst wurde ein literarisches Fragment aus Tebtynis im Fayum mit einer in verschiedener Hinsicht ähnlichen Geschichte publiziert 491): Auch hier findet sich ein saitischer Herrscher – diesmal Nechepsos – im Gespräch mit seinen Höflingen, hier wie dort lamentieren diese, und in beiden Fällen geht es um große Mengen Wein. Ob die inhaltlichen Ähnlichkeiten noch weitergingen, läßt sich wegen der allzu bruchstückhaften Erhaltung des neuen Texts leider nicht sagen. Demotisch beschriebener Papyrus. – Fundort: unbekannt. – Aufbewahrungsort: Paris, Bibliothèque Nationale 215. – Edition: W. Spiegelberg, Die sogenannte demotische Chronik des Pap. 215 der Bibliothèque Nationale zu Paris, Leipzig 1914, 26-28 und Taf. VI/VIA. Neuere Übersetzungen: E. Bresciani, Letteratura e Poesia, 880-881; Ritner, in: Simpson, Literature, 450-452; Hoffmann / Quack, Anthologie, 160-162 und 347; Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 13-15. Zur Überlieferung über die Trinkfestigkeit des Amasis vgl. J. Quaegebeur, Les rois saïtes amateurs du vin, Ancient Society 21 (1990) 241-271 und hier 265-269. (1) Eines

Tages zur Zeit des Pharaos Amasis sprach der Pharao (zu) seinen Notabeln: »Ich will ägyptischen qelbi(-Wein) 492) trinken!« (2) Sie sprachen: »Unser großer Herr, es ist (sehr) schwer, ägyptischen qelbi(-Wein) zu trinken!« 493) Er sprach zu ihnen: »Widersetzt euch nicht dem, was ich sage!« Sie sprachen: »Unser großer Herr! (3) Möge der Pharao tun, wie ihm beliebt!« Der Pharao sprach: »Möge hmani zum See eilen!« Man tat, wie der Pharao befohlen hatte. Der Pharao speiste 494) (4) mit seinen Frauen, indem kein Wein der Welt vor ihnen stand außer ägyptischem qelbi(-Wein). Der Pharao vergnügte sich mit seinen Frauen. (5) Er trank ein sehr großes Quantum Wein, weil der Pharao Verlangen nach ägyptischem qelbi(-Wein) hatte. (6) Der Pharao begab sich in der nämlichen Nacht am See zur Ruhe. Er schlief unter einem Weinstock im (7) Nor-

491. K. Ryholt, Narrative Literature from the Tebtunis Temple Library (CNI Publications 35), Kopenhagen 2012, 131-141; speziell zu den Parallelen zwischen den beiden Texten 137. 492. Es ist unklar, ob qlbj hier ein Gefäß (zu griech. k€lph, k€lpi@), ein Maß oder eine Weinsorte bezeichnet, vermutlich hängen aber ohnehin alle diese Bedeutungen miteinander zusammen; vgl. J. Quaegebeur, Ancient Society 21 (1990) 267-270. 493. D. h. der Wein ist sehr stark. 494. Wörtlich »reinigte sich«, vgl. P. Rylands 9, VIII 7.

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Texte aus Ägypten

den. Am (nächsten) Morgen konnte sich der Pharao wegen seines großen Katers 495) nicht erheben. Es nahte (8) die Zeit (der Abreise, aber) er konnte sich (immer noch) nicht erheben. Die Beamten jammerten: »Ja gibt es denn so etwas? 496) Es ist so, daß der Pharao (9) einen großen Kater hat.« Überhaupt niemand konnte (hin)gehen, um zum Pharao zu sprechen. Die Beamten gingen zu dem Ort, an dem sich der Pharao befand, (10) und sagten: »Unser [großer Herr]! Was für eine Krankheit ist es, die der Pharao hat?« Der Pharao sagte: »Ich habe einen großen Kater. [Ich] bin nicht (11) [in der Lage], irgendwelche Geschäfte zu erledigen. Aber seht, ob es unter euch jemanden gibt, der mir eine Geschichte erzählen kann, (12) daß ich mich daran [erf]reuen (o. ä.) kann!« Unter den Beamten gab es einen Priester der Neith namens Psammetich,(13) [der sehr] gelehrt [war]. Er trat vor den Pharao 497) und sagte: »Mein großer Herr! Hat der Pharao vielleicht noch nicht (14) [die Geschichte (o. ä.)] gehört, die einem jungen Schiffer namens Hormaacheru, Sohn des Osor[kon], der zur Zeit des Pharaos .[..] 498) lebte, widerfahren ist? (15) Er hatte seine Gemahlin namens Schepmer, (auch) genannt Anchet, während ein anderer Name des Schiffers … […] 499) (16) Peteese war. Sie liebte ihn, und er liebte sie ebenfalls. Eines Tages ließ ihn der Pharao nach Daphnai 500) gehen. (17) Am nächsten Tag [kehrte er zurü]ck, während ein schlimmer Sturm 501) über ihm war, nachdem der Pharao befohlen hatte: ›Das ist eine eilige Fahrt. (18) Du wirst heute nach Daphnai gehen und morgen zurückkehren.‹ Er empfand sehr großes Unbehagen (19) darüber, daß er sich den Befehlen, die der Pharao ihm erteilt hatte, nicht widersetzen konnte. Er sagte, daß es seine (des Königs?) Sache(?) war, in der man ihn vor den Pharao gehen ließ, ging in sein (20) Haus und speiste mit seiner Gemahlin. Er konnte nicht trinken wie sonst 502). (Als) die Zeit kam, gingen die beiden zu Bett. Er (21) konnte sie nicht berühren, um mit ihr zu schlafen, weil er so krank war 503). Sie sprach zu ihm: ›O daß er (der Angesprochene) wohlbehalten sei! … Fluß […]‹ [— —«.] Hier bricht der Text ab.

495. 496. 497. 498.

499. 500. 501. 502. 503.

Wörtlich »wegen der Art (bzw. der Größe) des Schlags, in dem er war«. Wörtlich »Ist es eine Sache, die geschehen kann?« Wörtlich »Er kam in die Mitte vor dem Pharao.« Der stark beschädigte Name des Pharaos ist nicht sicher zu rekonstruieren. Wegen der Erwähnung von Daphnai erwartet man einen Herrscher der 26. Dynastie wie Psammetich (I.; vgl. Anm. zu Z. 16), doch unterstützen die Reste am Anfang eine solche Annahme nicht. Auch wenn historische Genauigkeit in einem derartigen Text nicht unbedingt zu erwarten ist, passen die Personennamen durchaus zur Spätzeit (und frühestens der Dritten Zwischenzeit). Es ist mit Vorbehalt vorgeschlagen worden, an der stark beschädigten Stelle »hdien sie(?) zu(?) ihm(?) sagte(?)« zu ergänzen (Hoffmann / Quack, Anthologie, 161). In Daphnai (demotisch Ta-2 m-p -nhs u. ä.; Tahpanhe¯s Jer 2, 16; Ez 30,18; heute Tell Defen˙ I. ˙gegründete Grenzfestung. ne im Ostdelta), befand sich eine von˙Psammetich Es ist nicht klar, ob gsm hier wörtlich als »Sturm, Unwetter« oder im übertragenen Sinn als »Unwillen, Zorn« zu verstehen ist. Wörtlich »Er konnte nicht seine Art des Trinkens machen.« Wörtlich etwa »wegen der Größe (bzw. der Art) der Krankheit, in der er war«.

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Günter Vittmann

5. Die Schwalbe und das Meer

Günter Vittmann Die den Inhalt eines fiktiven Briefes eines ausländischen Herrschers an den Pharao bildende Geschichte, eine Tierfabel 504), ist vermutlich im 1. Jh. v. Chr. für Schulzwekke zusammen mit anderen literarischen Briefen auf einem großen Krug aufgezeichnet worden. Die Herkunft des Gefäßes (Berlin P 12345, Kriegsverlust) sowie dreier weiterer, die ebenfalls mit literarischen Texten beschriftet waren, ist nicht gesichert, aber nach äußeren und inneren Indizien wohl im Raum Memphis anzunehmen. Schon der Erstbearbeiter Spiegelberg notierte die frappierende Ähnlichkeit mit der Fabel vom tittibha-Vogel und dem Meer im indischen Pañcatantra 505), wo die Ge˙ ˙˙ schichte allerdings weiter ausgebaut ist und andere, in sich abgeschlossene Fabeln eingeschoben sind. Diese komplexe Version, in der das Meer die geraubten Eier zurückgibt – die sicher in Sanskrit wohl im 3./4. Jh. n. Chr. geschriebene Urfassung ist nicht erhalten – wurde später ins Mittelpersische (Pahlavi) übersetzt und fand von da in das um 750 n. Chr. entstandene berühmte arabische Fabelbuch des Ibn al-Muqaffa2, Kalı¯la wa-Dimna, ein Werk von enormer Strahlkraft, Eingang 506). Die demotische Version ist jedenfalls mit Abstand die älteste Verschriftung des Fabelkerns, was an sich nichts über den (ungeklärten) Ursprung des Motivs besagt. Keramikgefäß mit demotischer Aufschrift. – Fundort: unbekannt; Memphis (?). – Aufbewahrungsort: Berlin P 12345. – Literatur: W. Spiegelberg, Demotische Texte auf Krügen, Leipzig 1912, 8-11; 16-17; 50-51; Taf. II-IV (Krug A, Text 4); – Neuere Übersetzungen: Bresciani, Letteratura e Poesia, 992-993; Ph. Collombert, Le conte de l’hirondelle et la mer, in: K. Ryholt (Hg.), Acts of the Seventh International Conference of Demotic Studies, Copenhagen, 23-27 August 1999 (CNI Publications 27), Kopenhagen 2002, 59-76 (mit revidierter Zeilenanordnung); Ritner, in: Simpson, Literature, 494-496; Hoffmann / Quack, Anthologie, 194-195 und 355-356; Agut-Labordère / Chauveau, Héros, 209-210 und 342. (16) ›Stimme

[des Dieners]‹ 507) As´oka (?) 508), des Großen des Landes Arabien, vor Pha-

504. Zum Thema vgl. M. Fansa / E. Grunewald (Hg.), Von listigen Schakalen und törichten Kamelen. Die Fabel in Orient und Okzident, Wiesbaden 2008; M. Fansa (Hg.), Tierisch moralisch. Die Welt der Fabel in Orient und Okzident, Wiesbaden 2009. 505. Pantschatantra. Das Fabelbuch des Pandit Wischnu Scharma, übersetzt von G. L. Chandiramani, Düsseldorf / Köln 1971, 55-65. 506. Ibn al-Muqaffa2, Le livre de Kalila et Dimna, traduit de l’arabe par A. Miquel, Paris 1980, 9093. 507. hrw [b k], beliebte Einleitung von Briefen und Bittschriften an Höhergestellte. 508. ˘ wskj ist von M. Betrò, As´oka in un testo letterario demotico, in: B. Vigilio (Hg.), Studi ellenistici 12, Pisa / Roma 1999, 115-125 mit As´oka (ca. 268-232), einem berühmten Herrscher der indischen Maurya-Dynastie, identifiziert worden. In Anbetracht der Bekanntheit dieses Königs, von dem auch Inschriften in Aramäisch und Griechisch erhalten sind und der Gesandtschaften in den Vorderen Orient entsandte (in seinem 13. Felsenedikt werden Ptolemaios und Antiochos erwähnt), ist diese Identifizierung trotz der Zweifel, die Quack, 2Litelbjn) und der chronologiratur, 170 wegen der Zuordnung zum »Land Arabien« (p t schen Diskrepanz äußert, sehr attraktiv. Geographische und chronologische Widersprüchlichkeiten sind gerade in späten literarischen Texten nicht ungewöhnlich.

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Texte aus Ägypten

rao Psammetich Neferpre 509), dem [Großen(?)] der Großen des Landes [Ägypten, dem So]hn des Necho: Mein großer Herr! O daß er eine Million Sedfeste feiere! Was soll es(?), daß der Pharao, mein großer Herr, sagt: »Ich werde (17) das Land Arabien auslöschen(?) 510)? Nun denn, möge der Pharao, mein großer hHerri, die Geschichte hören, die [der] Schwalbe widerfuhr, als sie am Meer (Junge) zur Welt brachte, und als sie sich daran machte, hinauszufliegen, um Futter für den Bauch ihrer (18) Jungen zu suchen, indem sie zum Meer sprach: »Paß auf meine Jungen auf, bis ich zurückkehre!« Dies wurde nun zu ihrer täglichen Gewohnheit. Danach geschah es eines Tages, daß die Schwalbe (wiederum) hinausflog, um Nahrung für den Bauch ihrer Jungen zu suchen, und (19) zum Meer sprach: »Paß auf meine Jungen auf, bis ich entsprechend meiner täglichen Gewohnheit zurückkehre!« Da geschah es, daß das Meer tosend heraufkam und die Jungen der Schwalbe fortriß. Es geschah nun, daß die Schwalbe zurückkehrte. Ihr Mund war voll, (20) ihre Augen waren groß 511), und ihr Herz war sehr froh. (Als) sie ihre Jungen dort nicht vorfand, sprach sie zum Meer: »Gib hmeinei Jungen her, die ich dir anvertraut habe! Wenn du (mir) nicht (sofort) meine Jungen gibst, die ich dir anvertraut habe, werde ich dich noch heute(?) 512) ausschöpfen 513). Ich werde dich forttragen und (21) hdich miti dem Schnabel (?) leerschöpfen. Ich werde dich zum Ufersand tragen und den Ufersand zu dir tragen.« Dies wurde nun zu ihrer täglichen Gewohnheit [… …] geschah mit(?) der Schwalbe, indem sie hinging, ihren Mund (mit) Sand (22) vom Ufer füllte und ihn ins Meer spuckte, ihren Mund mit Meerwasser füllte und dieses auf den Ufersand spuckte. Es geschah nun, daß das die tägliche Gewohnheit der Schwalbe war. Pharao, mein großer Herr, … : »Wenn (23) die Schwalbe das Meer ausgeschöpft(?) hat, werde ich meinerseits(?) das Land Arabien auslöschen(?).« Geschrieben.

6. Die Verurteilung des Djedher

Günter Vittmann 1984 erwarb das Britische Museum drei Fragmente literarischer demotischer Papyri, die der Schrift nach in die frühe Ptolemäerzeit datieren und möglicherweise zu einer 509. Psammetich II. (595-589), Sohn Nechos I. (610-595), auch in P. Rylands 9, III 16. XIV 17. XV 14 erwähnt. 510. Der Satz wird ganz unterschiedlich verstanden, z. B. Hoffmann / Quack, Anthologie, 194: »Weiß Pharao, mein großer Herr, daß ich fortgegangen bin aus dem Land Arabien?«; AgutLabordère / Chauveau, Héros, 210: »Est-ce vrai que Pharaon, mon grand maître, a osé dire: ›Je réduirai l’Arabie‹«. 511. D. h. weit geöffnet vor Hunger und Gier. 512. Oder mit Hoffmann / Quack, Anthologie, 194 und 356 (f) »in meinen fünfzig Tagen« (p j(=j) 50 (n) hrw)? 513. Nach Hoffmann / Quack, Anthologie, 194 »demütigen«, doch ist hier im Hinblick auf kopt. cˇo¯lh »(Flüssigkeit) herausholen, schöpfen« und den speziellen Kontext die herkömmliche Auffassung plausibler.

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Günter Vittmann

einzigen Handschrift gehörten. Das größte Fragment, EA 69532, beginnt in seinem erhaltenen Teil – nach einer Lücke von unbestimmbarer Länge – damit, daß der König wegen eines Mädchens, dessen Tod er offenbar verschuldet hat, betrübt ist. Zur Ablenkung erzählt ihm ein eigens herbeigerufener Priester der Göttin Mehit namens Padipep die Geschichte eines reichen Priesters des Re, der wegen nicht näher spezifizierter Vergehen von einem Dämon vernichtet werden soll. Hier bricht das Fragment ab, und die als EA 69531a und 69531b registrierten, von uns hier nicht mehr berücksichtigten Fragmente scheinen eine ganz andere Geschichte zu enthalten. Die Herkunft der Handschriften ist unbekannt, thematisch und ihrer Entstehung nach gehört die Erzählung aber, wie aus verschiedenen Indizien hervorgeht, nach Heliopolis. 514) Demotisch beschriebener Papyrus. – Fundort: unbekannt. – Aufbewahrungsort: London, British Museum (pBM EA 69532) Edition: J. W. Tait, Pa-di-pep tells Pharaoh the Story of the Condemnation of Djedher. Fragments of Demotic Narrative in the British Museum, Enchoria 31 (2008/9) 113-143; hier (für BM 69532) 114-124; 132-134 und Taf. 13. (1) [..»…].. ist es, der dich genommen hat. 515) Man tut dir gegen meinen Willen (oder »mehr als mir«?) Gewalt an. Könnte ich doch(?) .[..]. Ich werde darangehen, mir Frauen für die jungen Leute 516) zu verschaffen […].« (2) […] »Ist der Pharao krank wegen einer jungen Frau, wo du (der Pharao) doch ein junger Mann bist? Du wirst welche erwerben, die schöner sind als sie (es war).« [Der Pharao] erhob sich (3) und ging zum Haus der Diener. Der Pharao fragte nach Padipep 517), dem Propheten der Mehit. Er [kam v]or den Pharao und fand den Pharao, indem sein Herz [seh]r betrübt war (4) wegen [des] Mädchens, das er (der Pharao?) getötet hatte. Padipep sprach vor dem Pharao: »Mein großer Herr! Laß nicht geschehen, daß der Pharao ihretwegen krank wird! (5) Gutes ist es, was der Gott auf Böses folgen lassen wird. Andere (Dinge), die noch schöner sind 518), werden ihnen folgen. Mein großer Herr! Möge der Pharao die (folgende) Geschichte hören!

Die Geschichte von Djedher: war (einmal) ein Priester des Re namens Djedher-Patjaihat 519). Er war ein sehr reicher Mann mit hohen Einkünften 520). Zahlreich waren die Portionen des Gottesopfers, die an ihn [verpa]chtet 521) waren. (7) Seine Diener aber gehörten zum Gottesopfer, indem sie bei ihm als Bauern waren 522), und (so) wurde ihm viel Korn zuteil, dazu

(6) Es

518. 519. 520. 521. 522.

442

Vgl. oben S. 349 mit Anm. 5. Sprecher ist vielleicht der Pharao selbst; angeredet ist jedenfalls eine Frau. Es ist nicht ersichtlich, wer mit den »jungen Leuten« (hm-h l h r.w) gemeint ist. ¯ Der in der 26. Dynastie mehrfach belegte Personenname ¯bedeutet »Der, den Pepet (d. i. die heliopolitanische Göttin Nebethetepet) gegeben hat«. Wörtlich »die schöner sind als sie (Plural)«. Später in Z. 15 und 16 nur Dd-hr (ein in der Spätzeit außerordentlich häufiger Name) ge¯ ˙ nannt. Wörtlich »indem er zahlreich war an Einkommen« (s2nh, vgl. Anm. 134). Zu dem im P. Ry˘ 65. lands 9 häufigen Terminus »Gottesopfer« vgl. oben Anm. Lies [s]hn (Vorschlag von Wolfgang Wegner, Würzburg). ˙ »seine Diener waren es, die von/aus/in der Opferstiftung waren«. Herausgeber abWörtlich weichend »His payments were those in the temple-offerings that belonged to him as cultivator«. 

514. 515. 516. 517.

Texte aus Ägypten

noch 523) die Ernte des Gottesopfers des Re. Er kannte nicht die Größe 524) seines Besitzes, der (8) in seiner Hand zusammengekommen war 525). Seine Verpflegung war sehr gut, und so trank er Bier und machte sich eine schöne Zeit 526). Er verschaffte sich Priesterkollegen, und er verschaffte sich allerlei Sängerinnen und (9) Sänger, die von ihm Verpflegung, Kleidung und Silber empfingen. Zehn Jungen und zehn Mädchen wurden ihm zuteil, insgesamt zwanzig. [Er machte die Jung]en zu Priestern des Re 527). Viele Männer sandten wegen seiner Frauen 528), (10) und so sagte er: ›Ich werde nicht zulassen, daß sie einen Jüngling unter ihnen nehmen außerhalb meines Hauses. Wer nicht in meinem [Haus mi]t ihnen leben wird, dem werde ich sie nicht geben.‹ Da stimmten i[hm](?) einige (11) junge Priester zu, daranzugehen, mit ihm in seinem Haus zu leben, indem sie sagten: ›Bei Re, unsere Verpflegung […] ist gut!‹ 529) Die Frauen wurden Ehefrauen von Priestern, zehn Personen, von (12) [den Notab]eln von Heliopolis. So kam es, daß sie nicht fern waren von ihrem Vater, und es geschah, daß sie nachts in seiner Gegenwart mit [ihren] priesterlichen Ehemännern 530) tranken 531). Wenn es Zeit zum Schlafen(?) war 532), (13) [wohnten (o. ä.)] sie [in] ihren Zimmern, die in seinem Hof waren. Die männlichen Kinder legten sich Frauen von den […] der […] (14) der Priester des Re zu. Er ließ ihnen in seinem Hof viele Häuser bauen, und so lebten sie mit den Frauen des Djedher, ihres Vaters, ohne daß [sie sich von ihm entfernten(?)]. (15) Es geschah nun, daß jeder Mensch, der in Heliopolis war, den … 533) des Djedher trug. Es gab einen gele[hrten] Schreiber des Re. Sehr vielfältig war seine Art, (16) den … 534) zu tragen. Er sah im Traum, wie Djedher vor Re gebracht wurde. Man befragte ihn nach den Vergehen, die er begangen hatte. (17) Man entsandte einen Pfeildämon 535) 523. Wörtlich »außer«, was aber mit dieser Übersetzung den Sinn ins Gegenteil verkehren würde. 524. »Größe« paßt hier besser als die von J. F. Quack, 2w »Größe« und 2 »Zustand, Art«. Zwei verwechselbare demotische Wörter, Enchoria 23 (1996) 62-75 für 2( ) angesetzte Bedeutung »Art, Zustand«. 525. Kontextorientierte Übersetzung; mtr bedeutet eigentlich »übereinkommen; übereinstimmen; zugegen sein«. 526. Wörtlich »und er machte/verbrachte einen schönen Tag (hrw 2n)«. 527. Vgl. eine sehr ähnliche Schilderung in P. Rylands 9, VII 11. 528. D. h. die in seinem Haushalt lebenden Frauen (shm.t.w, vgl. P. Rylands 9, IX 8. 18), womit hier konkret die Töchter gemeint sind (ebenso Z.˙11 und 14). 529. Die Schwiegersöhne in spe stimmen also wegen der exzellenten Verpflegung der an sich inakzeptablen Bedingung, im Haus des Schwiegervaters zu wohnen, zu. 530. Lies hj.w n w2b. 531. Zum gemeinsamen Biertrinken in der Familie vgl. P. Rylands 9, IX 7-8. 532. Wörtlich »die Zeit des sich Niederlegens(?), (13) das [sie] machen werden«. 533. Das hier gebrauchte Wort m j (Lesung mit Herausgeber eindeutig) hat das Determinativ des »sterbenden Kriegers«; die Bedeutung dieses auch in Z. 16 vorkommenden, sonst anscheinend nirgends belegten Begriffes ist völlig unklar und auch aus dem Zusammenhang heraus nicht zu bestimmen. Vermutlich handelt es sich um etwas Negatives bzw. Verwerfliches, das einen Grund für das in der Vision geschaute böse Ende des Djedher darstellt. 534. Derselbe unklare Ausdruck wie in Z. 15. 535. Der ssˇr-Dämon erscheint häufig in der Weisheitslehre des P. Insinger (III, 15; IX 11; XII 7. 9; XXIV 11; XXVIII 5, vgl. H. J. Thissen, TUAT II, 280-319). Nach A. von Lieven, Der Himmel über Esna, ÄA 64, Wiesbaden 2000, 156 kommt ssˇr nicht von shr »niederwerfen«, sondern ˘ von sˇsr »Pfeil«; »Ausspruch«. Dem Gott Tutu als Anführer der Pfeildämonen ist ein in römischer Zeit überlieferter Hymnus gewidmet; vgl. D. Arpagaus, TUAT NF 7, 257-260 (freundli-

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Günter Vittmann

gegen ihn mit den Worten: ›Vernichte ihn! Laß es geschehen, daß man sagt: »Er hat mit seinen zwanzig Kindern nicht (d. h. nie) existiert!«‹ Er sah [— — —.«] Hier bricht die Handschrift ab.

cher Hinweis von Matthias Müller). Ein ˇssr-Dämon findet sich bereits in den Sargtexten des Mittleren Reiches, vgl. L. M. Azzam, Sˇsr and W y: Two Ancient Egyptian Demons, GM 227 (2010) 9-13.

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V. Texte aus Iran Heidemarie Koch

Mittelpersische Inschriften Die Inschriften des Ober-Magiers Karde¯r (KNRm, KKZ, KNRb, KSM) W. Hinz, Die Inschrift des Hohenpriesters Karde¯r am Turm von Naqsh-e Rostam, AMI NF 3 (1970) 251-265. Ph. Gignoux, Glossaire des Inscriptions Pehlevies et Parthes, CII supplementary Series Vol. I, London 1972; darin Zusammenstellung der älteren Literatur zu jeder der vier Inschriften: 11-12. M. Back, Die sassanidischen Staatsinschriften (Acta Iranica 18) Teheran / Liège / Leiden 1978, 384-487; dazu Rez. von D. N. MacKenzie, IF 87 (1982) 280-297. Ph. Gignoux, Les quatre inscriptions du Mage Kirdı¯r (Studia Iranica – Cahier 9, 1991). – Gute Photos: W. Hinz, Altiranische Funde und Forschungen IX. Karde¯rs Felsbildnisse, Berlin 1969, 189-228.

Aus dem elamischen Bereich haben sich keine Quellen erhalten, die unter das Thema dieses Bandes, »Weisheitstexte, Mythen oder Epen«, einzuordnen wären. Auch aus dem persischen Gebiet sind lediglich vier Inschriften erhalten geblieben, die der Magier Karde¯r verfaßt hat, und sie bringen nicht nur verschiedene Titel der Priesterschaft und Einblicke in die religiösen Vorstellungen des 3. Jhs. n. Chr., sondern dazu etwas ganz Besonderes, nämlich den Bericht einer Reise in den Himmel. Man kann sie z. B. als Vorläufer der berühmten Himmelfahrt Mohammeds betrachten. Karde¯r 1) ist nicht nur der einzige Ober-Magier (altpersisch mo¯bad, Herr der Magier) der vor-islamischen Zeit in Persien, von dem wir durch Quellen wissen, sondern er war im 3. Jh. über Jahrzehnte hinweg auch der mächtigste Mann des Sasanidenreichs, zeitweise wohl sogar mächtiger als der König selbst. Insgesamt war er unter sieben Königen im Amt:

1.

Die Aussprache und Bedeutung dieses Namens ist bisher nicht eindeutig geklärt. Die häufigste Schreibweise ist krtyr, doch findet sich auch klty, kltyr und krtyl, gr. karteir und kirdeir. Entsprechend variiert auch die lautliche Wiedergabe zwischen Karde¯r, Kirdı¯r und Kerdı¯r. Auch die Herleitung bleibt unklar. Denkbar wäre, daß es von krta- gemacht + Hypo˙ von den Göttern gekoristikon -ira abzuleiten ist, oder auch -gird- wie der Name Yazdgird, macht. Der Vorschlag von W. Eilers, BagdMitt 7, 1976, 81, es zu der Wurzel kart- schneiden zu stellen, also *kartibara- Scherenträger, stößt auf sprachwissenschaftliche Probleme, hat aber andererseits für sich, daß Karde¯r eine Schere als sein persönliches Zeichen auf seinem hohen Hut trägt (s. Abb. 1).

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Texte aus Iran

1. Ardasˇ¯ır I. (224-240) hatte sich 211/212 gegen den letzten Partherkönig Artabanos V. erhoben und ihn dann am 28. April 224 endgültig besiegt. Das war der Beginn des Sasanidenreichs, das nach seinem legendären Gründer Sasan benannt wurde, der als Herrscher über die Persis und als oberster Priester im Heiligtum der Göttin Ana¯hita in Is¸tahr tätig gewesen sein soll. Zur Zeit Ardasˇ¯ırs war Karde¯r noch ein einfacher Magier.˙ ˙ 2. Unter Sˇa¯pur I. (240-272), dem Sohn Ardasˇ¯ırs, erhielt er den Titel E¯hrbad (»Herr der Feuerpriester«), und ihm wurde das Magierland (magusta¯n) unterstellt. In Sˇa¯purs eigener Aufzählung der höchsten Beamten des Reiches, die wohl kurz nach 260 zu datieren ist, 2) steht Karde¯r nur an 50. Stelle. 3. Hormazd-Ardasˇ¯ır (272/73) war der Sohn Sˇa¯pu¯rs, den er von seiner Tochter Ana¯hı¯d hatte. In seinen Adern floß also reinstes Herrscherblut 3), und er wurde dem ältesten Sohn Sˇa¯pu¯rs in der Thronfolge vorgezogen. Unter Hormazd-Ardasˇ¯ır wurde Karde¯r zum Ober-Magier des Gottes Ahuramazda¯ (Hormazd-mogbad) ernannt; hier erscheint erstmals der Titel Ober-Magier. Der König verlieh ihm außerdem »Hut und Gürtel«, was die Aufnahme in den Adelsstand bedeutete. 4. Unter Bahra¯m I. (273-276), dem ältesten Sohn Sˇa¯purs, wurde 276 der Religionsgründer Mani hingerichtet, vermutlich auf Veranlassung Karde¯rs, der den ernstzunehmenden Konkurrenten beseitigen wollte. Von nun an zeigte sich immer deutlicher die Machtpolitik Karde¯rs. 5. Bahra¯m II. (276-293), der Sohn Bahra¯ms I., muß bei seiner Thronbesteigung noch sehr jung gewesen sein; auch wäre eigentlich der jüngste Sohn Sˇa¯pu¯rs, Narseh, in der Thronfolge an der Reihe gewesen. Daß er umgangen wurde, mag ein Werk Karde¯rs gewesen sein. Zum Dank dafür verlieh Bahra¯m II. ihm ungeheure Machtfülle. Er erhielt den Ehrentitel: »Karde¯r, der Erlöser der Seele Bahra¯ms, der Ober-Magier des Ahuramazda¯«, ihm wurde das sasanidische Erbheiligtum, der Feuertempel der Göttin Ana¯hita in Is¸tahr unterstellt, und außerdem wurde er zum ˙ ˙ »Ober-Magier und Richter des Gesamtreiches« ernannt. Nunmehr befanden sich sowohl die zoroastrische Staatskirche wie auch die oberste richterliche Gewalt im Iran in Karde¯rs Händen. 6. Der minderjährige Bahram III., Sohn Bahra¯ms II. herrschte 293 nur 4 Monate lang, ehe er von seinem Onkel Narseh, der eigentlich nach Bahra¯m I. in der Erbfolge hätte kommen müssen, vom Thron verdrängt wurde. 7. Somit kam Narseh (293-302), der inzwischen 58 Jahre alt war, endlich an die Macht. Er war Karde¯r wegen all seiner Machenschaften keineswegs wohlgesonnen, und damit begann dessen Niedergang; er wird wohl auch bald darauf gestorben sein. Über sich und seinen Werdegang berichtet der Magier Karde¯r selbst in vier Inschriften. Zwei von ihnen sind in Naqsh-e Rostam, der Begräbnisstätte der Achämenidenkönige, angebracht, und zwar zum einen rechts angefügt an das großen Felsrelief Sˇa¯pu¯rs d.Gr. (KNRm) und zweitens unter der Inschrift dieses Königs auf der sog.

2. 3.

446

S. die Inschrift SˇKZ in TUAT.NF 2, 2005, 304 § 49. S. dazu unten in den Erklärungen zu § 17.

Texte aus Iran

Abb. 1. Detail aus dem Relief Bahrams II. in Naqsh-e Rostam. Dieses Relief hat anscheinend der Oberpriester Karde¯r anfertigen lassen, da er sein Scherenzeichen nicht nur auf seiner Kappe trägt, sondern auch auf den Hintergrund in der linken oberen Ecke hat einmeißeln lassen. Beide Zeichen sind auf dieser Abbildung zum genaueren Erkennen mit einer weißen Linie umfahren.

Ka’aba-ye Zardosˇt (»Ka’aba Zarathustras«, KKZ 4)); eine weitere befindet sich am Felsen von Naqsh-e Rajab (KNRb), der dicht bei Persepolis liegt, und eine über dem Felsbild Bahra¯ms II. (276-293) in Sar Mashad (KSM), auf dem der König heldenhaft seine Familie vor Löwen verteidigt, während Karde¯r im Hintergrund steht. Die Inschriften sind teilweise stark verwittert; da sie aber über große Passagen hinweg gleich oder sehr ähnlich sind, kann man alle gemeinsam betrachten, um den Text einigermaßen vollständig zu rekonstruieren. Da die Gesamtgröße und damit die Länge der Zeilen bei allen vier Inschriften verschieden ist, werden hier keine Zeilen, sondern, Gignoux folgend, 5) Paragraphen angegeben. Die Inschrift auf der Ka’aba-ye Zardosˇt (KKZ) ist relativ gut erhalten und wird daher hier für den ersten Teil, die Laufbahn Karde¯rs, zugrunde gelegt; sie entspricht im Wesentlichen dem ersten Teil von KRm und KSM. KNRm und KSM sind bis auf wenige Details gleichlautend, aber teilweise sehr fragmentarisch; doch bringen sie die Reise ins Jenseits. KNRb ist eine Kurzfassung.

4. 5.

S. oben Anm. 2. Qatre Inscriptions 66-79.

447

Texte aus Iran

Übersetzung: § 1: Und ich Karde¯r, der Ober-Magier, halte mich (für einen, der) den Göttern (und) Ardasˇ¯ır, dem König der Könige, und Sˇa¯pu¯r, dem König der Könige, (gegenüber) gehorsam und dienstwillig (war). § 2: Und wegen der Dienste, die ich den Göttern und Ardasˇ¯ır, dem König der Könige, und Sˇa¯pu¯r, dem König der Könige, geleistet habe, hat mich Sˇa¯pu¯r, der König der Könige, für die Kulthandlungen der Götter am Hofe, in jeder Region, an jedem Ort im ganzen Magierland selbständig und mächtig gemacht. Und auf Befehl Sˇa¯pu¯rs, des Königs der Könige, und mit Hilfe der Götter und des Königs der Könige wurden von Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort viele Kulthandlungen der Götter vermehrt. Viele Bahra¯m(»Sieges«)-Feuer wurden eingerichtet, und viele Magier wurden zufrieden und wohlhabend. Und viele Verträge für Feuer(-Heiligtümer) und ihre Mitglieder wurden gesiegelt, und für Ahuramazda¯ und die Götter kam großer Nutzen 6) hinzu, und für Ahriman und die Dämonen war es ein großer Schaden. § 3: Und für diese vielen Feuer und Kulthandlungen, die oben in der Inschrift (genannt sind), 7) gab mir Sˇa¯pu¯r, der König der Könige, auf folgende Art eine Anordnung für sein Eigentum: »Dieses Fundament-Haus 8) soll Dein sein! Und so wie Du weißt, daß es für die Götter und Uns am besten getan ist, so handle!« § 4: Und Testamente, Verträge und Schriftdokumente, die damals unter Sˇa¯pu¯r, dem König der Könige, am Hofe und im ganzen Reich, von Ort zu Ort verfaßt wurden, auf denen stand so geschrieben: »Karde¯r, der E¯hrbad (›Herr der Feuerpriester‹ 9))«. § 5: Und dann, als Sˇa¯pu¯r, der König der Könige, zum Ort der Götter eingegangen (= gestorben) war, und Hormazd 10), der König der Könige, sein Sohn, an der Macht war, da gab mir Hormazd Hut und Gürtel und erhöhte meinen Rang und meine Ehre. Und er machte mich bei Hofe und von Land zu Land 11), von Ort zu Ort, im ganzen Reich be-

6. 7. 8.

9. 10.

11.

448

Im Neu-Persischen hat su¯d sogar die Bedeutung »Profit«. Damit ist die große Inschrift Sˇa¯pu¯rs gemeint, die oberhalb dieser auf der Ka’aba-ye Zardosˇt angebracht ist (SˇKZ). Bun-xa¯nag; bun bedeutet das »Fundament«, so werden aber auch die Heiligen Schriften der Zoroastrier, das Awesta, genannt. Es wäre also möglich, daß dieses Gebäude, dessen Funktion nach wie vor umstritten ist, zur Aufbewahrung einer Ur-Schrift des Awesta errichtet worden ist; s. a. H. Koch, Die Religion der Iraner, in: H. Spieckermann / R. G. Kratz (Hg.), Grundrisse zum Alten Testament Bd. 1,1, Religionen des Alten Orients, Teil 1: Hethiter und Iran (2011) 84-86. Vermutlich aus altpersisch *a¯qrava-pati-, das in elamischer Schreibung aus der Achämenidenzeit belegt ist, s. W. Hinz, Altiranisches Sprachgut der Nebenüberlieferungen (GOF III. Reihe: Iranica Bd. 3, 1975) 50. Ahuramazda¯ > mittelpersisch Hormazd; die mittelpersische Schreibung 3whrm(y)zd wird in den verschiedenen Übersetzungen auch Ohrmazd, Ohrmezd, Hormezd oder Hormizd umschrieben; neupersisch Hormuzd. Damit ist sowohl der Gott wie auch der König gemeint, der nach diesem Gott benannt worden ist (s. a. unten Anm. 13). In der vorliegenden Übersetzung wird der Gottesname in der altpersischen Form angegeben, um ihn deutlich vom König abzuheben. Sˇahr bedeutet »Reich, Herrschaftsbereich« und auch »Land, Stadt«.

Texte aus Iran

züglich aller Arten 12) von Kulthandlungen der Götter selbständiger und mächtiger. Und er gab mir den Namen »Karde¯r, der Ahuramazda-Ober-Magier (»Herr der Magier«), nach dem Namen des Gottes Ahuramazda¯. 13) Und dann auch in jener Zeit, von Land zu Land, von Ort zu Ort wurden die Kulthandlungen der Götter vermehrt und viele Bahra¯m-Feuer eingerichtet, und viele Magier wurden zufrieden und wohlhabend, und viele Verträge für Feuer und Mitglieder der Heiligtümer wurden gesiegelt. § 6: Und Testamente, Verträge und Schriftdokumente, die damals unter Hormazd, dem König der Könige, am Hofe und im ganzen Reich, von Ort zu Ort verfaßt wurden, auf denen stand so geschrieben: »Karde¯r, der Ober-Magier des Ahuramazda¯«. § 7: Und dann, als Hormazd, der König der Könige, zum Ort der Götter eingegangen (= gestorben) war, und Bahra¯m 14), der König der Könige, des Sˇa¯pu¯r, des Königs der Könige, Sohn und des Hormazd, des Königs der Könige, Bruder, an der Macht war, hielt mich Bahra¯m, der König der Könige, ebenso in Stellung und Macht. Und er machte mich bei Hofe und von Land zu Land, von Ort zu Ort, im ganzen Reich bezüglich der Kulthandlungen der Götter in gleicher Weise selbständig und mächtig. Und dann auch in jener Zeit, von Land zu Land, von Ort zu Ort wurden die Kulthandlungen der Götter vermehrt und viele Bahra¯m-Feuer eingerichtet, und viele Magier wurden zufrieden und wohlhabend, und viele Verträge für Feuer und Magier wurden gesiegelt. § 8: Und Testamente, Verträge und Schriftdokumente, die damals unter Bahra¯m, dem König der Könige, am Hofe und im ganzen Reich, von Ort zu Ort verfaßt wurden, auf denen stand so geschrieben: »Karde¯r, der Ober-Magier des Ahuramazda¯«. § 9: Und dann, als Bahra¯m (I.), der König der Könige, der Sohn des Sˇa¯pu¯r, zum Ort der Götter eingegangen (= gestorben) war, und Bahra¯m (II.), der König der Könige, der Sohn des Bahra¯m, der im Reich freigebig und gerecht und gütig und wohltätig und fromm (war), an der Macht war, hat er aus Liebe zu Ahuramazda¯ und den Göttern und um seiner eigenen Seele willen meine Stellung und Ehre im Reich erhöht und mir Stellung und Ehre der Großen (des Hochadels) gegeben. Und bei Hof und von Land zu Land, von Ort zu Ort, im ganzen Reich hat er mich bezüglich der Kulthandlungen der Götter selbständiger und mächtiger gemacht, als ich vordem war. § 10: Und er machte mich zum Ober-Magier und Richter des ganzen Reiches. Und er machte mich zum religiösen Aufseher 15) und obersten Herrn des Feuers der 12. 13.

14. 15.

Hamgo¯nak; im Neu-Persischen bedeutet hame gone »aller Arten«, was auch hier im Zusammenhang mit den Kulthandlungen einen guten Sinn ergäbe. »Nach dem Namen des Herrn (bay)«. Der Titel bay »Herr« hat sich aus altpersisch baga»Gott« entwickelt. Es ist nicht gesichert, wann der Bedeutungswechsel zum allgemeinen »Herr« vollzogen war. Im Zusammenhang mit den Kulthandlungen benutzt Karde¯r immer das Wort yazda¯n für »Götter«. Man könnte also annehmen, daß er bewußt zwischen »Göttern« und »Herren« unterschieden hat. Fraglich wird dann aber der Beginn dieses Paragraphen und auch unten im folgenden, wo Karde¯r erwähnt, daß Sˇa¯pu¯r zum Ort der baya¯n eingegangen sei, denn ein besonderer Ort der »Herren«, zu dem sie nach ihrem Tode gehen, ist sonst nicht bekannt. Auch die Tatsache, daß der Ehrentitel unter Bahra¯m I. beibehalten wird (s. § 9), spricht eher dafür, daß der Gott Ahuramazda¯ gemeint ist. Auch Wahra¯m oder andere Umschreibungen, neupersisch Bahra¯m. E¯we¯nbad < *abi-daina¯- »gemäß der Religion« + -pati- »Herr«.

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Texte aus Iran

Ana¯hı¯d-Ardasˇ¯ır und der Herrin Ana¯hı¯d in Is¸tahr. 16) Und er gab mir den Namen: »Kar˙ ˙ de¯r, der Erlöser der Seele Bahra¯ms, der Ober-Magier des Ahuramazda¯«. § 11: Und von Land zu Land, von Ort zu Ort, im ganzen Reich wurden die Kulthandlungen für Ahuramazda¯ und die Götter bedeutender, und der Mazda-verehrende Glaube und die Magier wurden im Reich hoch geehrt. Und die Götter und Wasser und Feuer und das nützliche Vieh gelangten im Reich zu großer Zufriedenheit. Aber Ahriman und die Dämonen erlitten große Schläge und Schaden, und die Lehre Ahrimans und der Dämonen floh aus dem Reich und wurde unglaubwürdig gemacht. Und Juden und Sch(r)ama¯nen (= Buddhisten) und Bra¯ma¯nen (Hindus) und Nazarener 17) und Christen und Baptisten und Manichäer wurden im Reich geschlagen und die Götzenbilder wurden zerstört. Und die Wohnungen der Dämonen wurden zerstört und zu Orten der Götter gemacht. § 12: Und von Land zu Land, von Ort zu Ort wurden die Kulthandlungen der Götter vermehrt und viele Bahra¯m-Feuer eingerichtet, und viele Magier wurden zufrieden und wohlhabend, und viele Verträge für Feuer und Magier wurden gesiegelt. § 13: Und Testamente, Verträge und Schriftdokumente, die unter Bahra¯m, dem König der Könige, dem Sohn Bahra¯ms, verfaßt wurden, auf denen stand so geschrieben: »Karde¯r, der Erlöser der Seele Bahra¯ms, der Ober-Magier des Ahuramazda¯«. § 14: Und ich, Karde¯r, habe von Anfang an bis jetzt um der Götter und Herrscher und der eigenen Seele willen, viel Mühe und Plage gesehen. Und von mir wurden viele Feuer und Magier im Reiche Iran, (nämlich) in Fars (= Persien) und Parthien, Chu¯sestan (= Susiana) und Asuresta¯n (= Mesopotamien) und Me¯sˇa¯n (= Messene) und No¯dsˇ¯ıraga¯n (= Adiabene) und A¯durba¯daga¯n (= Atropatene) und Spa¯ha¯n (= Isfaha¯n) und Ray und Kerma¯n und Sagesta¯n (= Sakien) und Gurga¯n (= Hyrkanien) und Marw (= Margiana) und Hare¯w (= Areia) und Abarsˇahr (die oberen Provinzen) und Tu¯resta¯n und Makura¯n (= Mekra¯n) und Kusˇa¯nsˇahr (das Land Kusˇa¯n) bis nach Pasˇkabu¯r (= Pesˇawar), zufrieden gemacht. 18) § 15: Und ebenso im nicht-iranischen Reich, die Feuer und Magier, die im Lande Ane¯ra¯n (Nicht-Iran) waren, wohin die Pferde und Mannen des Königs der Könige (Sˇa¯pu¯r) gelangten – die Stadt Antiocheia (= Antakya) und das Land Syrien und was oberhalb Syriens erobertes Gebiet ist, die Stadt Tarsos und das Land Kilikien und was oberhalb Kilikiens erobertes Gebiet ist, die Stadt Kaisareia und das Land Kappadokien und was oberhalb Kappadokiens erobertes Gebiet ist, bis hin zum Lande Griechenland 19) und zum Land Armenien und Georgien (Virzˇa¯n) und Albanien (im Kaukasus, A¯la¯n) und Bala¯saga¯n bis hin zum A¯la¯nen-Paß, dem Tor, das Sˇa¯pu¯r, der König der Könige, mit seinen eigenen Pferden und Männern geschlagen hat. Und er ließ plündern, brandschatzen und ver-

16.

17. 18. 19.

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Mit der »Herrin Ana¯hı¯d« könnte die Göttin selbst gemeint sein, deren Hauptheiligtum sich in Is¸tahr befand. »Ana¯hı¯d-Ardasˇ¯ır« wird eher ein Frauenname sein; vielleicht handelt es sich ˙ ˙ um eine Tochter Ardasˇ¯ırs, die aber sonst nicht bekannt ist. S. a. Gignoux, Quatre indabei scriptions, 69 Anm. 133. Wohl Mandäer, die sich selbst so nannten. Die Aufzählung der Länder fehlt in SˇKZ. = Pontos-Gebiet?

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wüsten. 20) Auch dort habe ich, auf Befehl des Königs der Könige, jene Magier und Feuer, die in jenem Land waren, geordnet, und Schaden und Plünderung habe ich nicht zugelassen; und wenn einer dort geplündert hatte, von dem nahm ich es zurück und ließ es bei seinem eigenen Land. § 16: Und ich brachte den Mazda-verehrenden Glauben und die guten Magier im Land zu Würden und Ehren. Und die Häretiker und Zerstörer, die im Magierland dem Mazdaverehrenden Glauben und den Kulthandlungen der Götter nicht gemäß der Doktrin dienten, jene schlug ich mit Strafe und quälte sie, bis ich sie besser gemacht hatte. § 17: Und für viele Feuer und Magier wurden von mir Testamente und Verträge erstellt, und mit Unterstützung der Götter und des Königs der Könige und durch mein Tun wurden im Reich Ira¯n viele Bahra¯m-Feuer eingerichtet und viele Verwandten-Ehen gestiftet. Und viele Menschen, die ungläubig waren, wurden gläubig. Und viele von ihnen gab es, die an der Lehre der Dämonen festhielten, und von mir wurde veranlaßt, daß jene die Lehre der Dämonen verließen und die Lehre der Götter ergriffen. Und viele Opferspenden 21) wurden ergriffen, und sehr wurde der Glaube auf verschiedene Weise studiert und auch jene Kulthandlungen der Götter wurden vermehrt und höher geschätzt, die in dieser Inschrift nicht erwähnt sind, da es zu viel würde. § 18: Und aus meinem eigenen Besitz, von Ort zu Ort, wurden von mir viele Bahra¯m-Feuer eingerichtet, und ich opferte in diesen vielen Feuer(-Heiligtümer)n aus meinem eigenen Besitz von Ort zu Ort an jedem Ort 1133 Opferspenden, und es waren in einem Jahr 6798 Opferspenden. 22) § 19: Und was von mir im Reich, abgesehen von dem aus meinem Besitz, noch vieles an Kulthandlungen der Götter [aller Arten] gemacht wurde, wäre, wenn es von mir in dieser Inschrift erwähnt wäre, (zu) viel geworden. 23) § 20: Aber ich habe diese Inschrift deswegen niedergeschrieben, daß, wer in späterer Zeit die Verträge, Schriftdokumente und Testamente und Inschriften sehen wird, wissen wird, daß ich der Karde¯r bin, der unter Sˇa¯pu¯r, dem König der Könige, »Karde¯r, der E¯hrbad (›Herr der Feuerpriester‹)« genannt wurde und unter Hormazd, dem König der Könige, und Bahra¯m, dem König der Könige, »Karde¯r, der Ober-Magier des Ahuramazda¯« und 20. 21.

22.

23.

Sˇa¯pu¯r selbst rühmt sich in seiner Inschrift SˇKZ (TUAT.NF 2, 2005, 294-306), daß er die eroberten Gebiete »gebrandschatzt und verwüstet und geplündert« habe. radpassa¯g; die Bedeutung des Wortes ist bisher nicht gesichert. Es könnte sich auch um Opferkränze oder Zeremonien handeln. Manches spricht für eine Verbindung mit Geldspenden, die in großer Menge wohl auch anderweitig zusammengekommen sind, s. a. unten § 18. Eine Zusammenstellung der verschiedenen Vorschläge s. bei Gignoux, Qatre Inscriptions 72 Anm. 150. Es sind also insgesamt sechs Opferfeste, so daß man an die Ga¯h-Jahreszeiten-Feste denkt, was aber nicht gesichert ist. In KSM und KNRm werden größere Zahlen genannt, die als *10,552 und in einem Jahr *63,312 rekonstruiert werden können. S. dazu Back, Staatsinschriften 511 Anm. 273. Es werden dort also vermutlich auch weitere Opfer an anderen Orten berücksichtigt. In KKZ geht es hier weiter in Zeile 16 bis Zeile 19, mit der die Inschrift endet. In KSM und KNRm fehlen diese Zeilen, stattdessen folgt ab § 20 der Bericht über Karde¯rs Reise in den Himmel.

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unter Bahra¯m, dem König der Könige, dem Sohn des Bahra¯m, »Karde¯r, der Erlöser der Seele Bahra¯ms, der Ober-Magier des Ahuramazda¯« genannt wurde. Und wer diese Inschrift sieht und vorliest, der soll um der Götter und Herrscher und seiner eigenen Seele willen freigebig und gerecht sein, so wie ich es gewesen bin, damit seinem irdischen Leib Ruhm und Gedeihen und seiner irdischen Seele höchste Gerechtigkeit zuteil werde. 24)

Die Reise ins Jenseits (KSM und KNRm) § 20: Aber ebenso, wie ich von Anfang an den Göttern und Herrschern (gegenüber) ehrerbietig und guten Willens gewesen bin, [so habe auch ich von] den Göttern und Herrschern hohe Wertschätzung und große Ehren erfahren, [und] bin [schon] zu Lebzeiten im Reich als Edler angesehen worden. § 21: Und auch dieses erflehte ich (von Seiten) der Götter: »Wenn es ist, daß ihr, o Götter, mich, Karde¯r, gemacht habt, mit hohen [Ehren unter den Lebenden, dann] zeigt mir auch, wenn es Euch möglich ist, o Götter, von Seiten der Verstorbenen, hinsichtlich der Verehrung und der Kulthandlungen, die im Reich ausgeführt werden, und um meiner Seele willen, [wie im Jenseits] die Bedingungen [für Wahrhaftigkeit] und Lügenhaftigkeit sein werden, das zeigt mir von Seiten der Verstorbenen. Da ich von Anfang an [gebetet] und Mühe und Plagen für die Götter ertragen habe, so daß ich auch besser und zuversichtlicher sein möge über die Angelegenheiten des Jenseits von Seiten der Verstorbenen als andere Menschen. Und jemand, der diese Inschrift sieht und vorlesen wird, soll zuversichtlicher über [die Verehrung und] Kulthandlungen in der eigenen [Seele ?] sein.« § 22: Und weil ich die Götter angefleht und auch ein Zeichen gesetzt habe: »Daß ihr mir, [wenn es Euch] Göttern möglich ist, das Wesen von Paradies und Hölle zeigt, und so wie im Nask 25) gezeigt ist, daß der Mensch, wenn er hinübergeht, dann, wer unter den Lebenden wahrhaftig war, dessen eigener Glaube kommt ihm in Gestalt eines Mädchens entgegen, und wer wahrhaftig war, wird von seinem eigenen Glauben zum Paradies geführt, und wer lügnerisch war, wird von seinem eigenen Glauben zur Hölle geführt. Daher möge es mir auch im Leben offenbar werden, daß zu der Zeit, wenn ich hinübergehe, mein eigener Glaube mir entgegen kommen wird, und wenn ich wahrhaftig war, mein eigener Glaube so erscheine wie derjenige, der zum Paradies geht, und wenn ich lügnerisch war, dann wird er mir erscheinen, wie der, der zur Hölle führt.« § 23: Und als ich über die Verehrungen und Kulthandlungen und den Mazda-verehrenden Glauben, der unter den Lebenden durchgeführt wird, hinsichtlich der Verstorbenen gefragt hatte, da machte ich die Kulthandlungen zu meinem Mittel. Und in der Persis und Sagesta¯n und anderen Ländern wurden viele Magier [zufrieden und wohlhabend], weil ich das von den Göttern erfleht habe, was in diesem Text geschrieben ist. 24.

25.

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Man fühlt sich erinnert an die Aussage am Ende der sog. Daiva-Inschrift von Xerxes, s. TUAT.NF Bd. 4, 2008, 390-392: »Der Mann, der jenes Gesetz befolgt, welches Ahuramazda¯ aufgestellt hat, und (der) Ahuramazda¯ verehrt zur rechten Zeit und nach dem richtigen Ritual, der wird sowohl im Leben glücklich als auch im Tode selig sein.« Eines der 21 Bücher des Awesta, der Heiligen Schriften der Zoroastrier.

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§ 24: Und [zur Zeit] Sˇa¯pu¯rs, des Königs der Könige, machte ich eine »Art Tod« 26) wegen der Kulthandlungen der Götter und meiner eigenen Seele: »Möge ich wahrhaftig sein, und wenn ich lügnerisch sei, daß ich [die Lehre?] der Götter ergreife«. Und ich hielt mich auch daran: »Wenn ich wahrhaftig bin, dann, oh Ihr Götter, zeigt mir nun die Wahrhaftigkeit bezüglich der Verstorbenen, und dann werde ich an der Glaubenslehre von Euch Göttern festhalten. Wenn ich (aber) lügnerisch bin, dann zeigt mir die Verwerflichkeit bezüglich der Verstorbenen, dann werde ich [an der Glaubenslehre] von Euch Göttern festhalten und streng zu allen Zeiten daran festhalten.« § 25: [Und] die Sterblichen 27), die ich in diesem »Art Tod« niedergesetzt habe, sprachen so: »Wir sehen einen Reiter, einen strahlenden Herrscher, er sitzt auf einem edlen Roß und hat ein Banner [in der Hand? …]. Da wird ein Mann [sichtbar] und auf einem goldenen Thron sitzend, und Karde¯r selbst, sein Ebenbild, ist sichtbar, und ein Weggefährte […] steht [vor ihm]. § 26: Und jetzt erscheint eine Frau, die von Osten kommt, und wir haben keine Frau gesehen edler als diese, und der Weg, den [diese Frau geht,] ist überaus hell. Und jetzt geht sie zu dem Mann, der so wie das Ebenbild (Karde¯rs) ist, und sie legen Kopf an Kopf […2-3 Wörter]. Die Frau und jener Mann, der wie das Ebenbild Karde¯rs ist, nahmen einander bei der Hand, und gingen auf jenem hellen Weg, den die Frau [ … kam], nach Osten, und der Weg ist sehr hell. § 27: Und auf jenem Weg, den jener Mann, das Ebenbild [Karde¯rs], und jene Frau gehen, dort erscheint ein (anderer) Herrscher, strahlend und auf einem goldenen Thron sitzend, und vor ihm steht eine Waage, so, [wie jemand, der abwiegen] will. Und jetzt verweilen jene Frau und jener Mann, der wie das Ebenbild Karde¯rs ist, vor dem Herrscher.« Und sie sagen auch: »Jener Mann, das Ebenbild Karde¯rs, und jene Frau gingen an dem Herrscher weiter, […3-4 Wörter], und sie gehen nach Osten, und auf dem sehr hellen Weg gehen sie weiter. § 28: Und jetzt wird ein anderer Herrscher sichtbar, [strahlend] und auf einem goldenen Thron sitzend, und er hält ein cydyn 28) in der Hand, und er ist strahlender als alle, die wir vorher sahen.« Und als sie […3-4 Wörter] sagten sie auch: »Bisher sahen wir keine so überaus breite Schlucht 29), die ohne Boden ist, und voll von Schlangen und Sk[orpionen …2-3 Wörter] und Eidechsen und anderem Ungeziefer ist.«

27.

28. 29.

E¯we¯n mahr, Deutung nach MacKenzie, der mahr mit *muhr < aw. m r qyu-? »Tod« verbindet. Damit ist vermutlich die Vision gemeint, von der Karde¯r im folgenden berichtet. Die Bedeutung ist umstritten: zum einen könnte man an eine Herleitung des Wortes als lysyk = *re¯hı¯g < *raqwiya-ka-, aw. 2raqbya- denken, was dann (Hilfs-)Priester wären; zum anderen dachte D. N. MacKenzie (in: The Sasanian Rock Reliefs at Naqsh-i Rustam, Kerdir’s Inscription, Iranische Denkmäler, Iranische Felsreliefs I, 1989, 68) an eine Ableitung von der aw. Wurzel rae¯q- »sterben«, also h*rae¯qya-ka- i**re¯hı¯g »Sterbliche«. Die Bedeutung ist unklar. Man denkt an etwas wie das »Glas des Jˇamcˇid« aus der persischen Mythologie, in dem man die ganze Welt sehen konnte. Wörtlich »Brunnen«. ee

26.

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§ 29: Und die Sterblichen, die in diesem »Art Tod« niedergesetzt waren, als sie die verschiedenen Arten und Gestalten 30) der Hölle sahen, da wurden sie überaus verzagt und [wollten nicht weitergehen (?). Aber ich sagte »Fürchtet] euch nicht! Es gibt für euch keinen anderen Weg. Was ihr seht, das sagt«. § 30: Und sie sagten: »Über diese Schlucht ist eine scharfe Schneide gelegt wie eine Brükke, und jene Frau und der Mann, das Ebenbild Karde¯rs, sind zu [jener Brücke] gegangen und standen [vor] der Brücke. Und jene Brücke wurde breiter und erscheint jetzt in der Breite größer als in der Länge. Und jene Frau und der Mann, [das Ebenbild Karde¯rs,] haben […2-3 Wörter].« § 31: Und sie sagten so: »Ein anderer Herrscher erschien, strahlend, und edler als die anderen, die wir vorher gesehen haben, und er kommt von der anderen Seite zur Brücke, und jetzt erreicht er die Brücke, und jetzt [überschreitet er sie]. Und er ergreift die Hand jener Frau [und des Mannes], der Karde¯rs Ebenbild ist. Und dieser Herrscher [und …1-2 Wörter] geht voran zur Brücke, und [… der Mann], Karde¯rs Ebenbild, und die Frau gehen hinterher. Und nun kommen sie auf der anderen Seite heraus und gehen immer weiter nach Osten, […3-5 Wörter] edel und tapfer. § 32: Und nun erschien ein Aiwan 31) [… 5-7 Wörter] erschien im Himmel, und jener Herrscher (geht) vor dem Mann, der Karde¯rs Ebenbild ist, und die Frau hinter dem Mann, der [Karde¯rs Ebenbild ist (ca. 10-12 Wörter)] die Hand, sie gingen in [den Palast].« § 33: Und sie sprachen so: »Wir haben nichts Edleres und Leuchtenderes als dies [gesehen …9-10 Wörter] niedergesetzt. Und der Herrscher geht weiter, und vor dem Aiwan ist ein goldener Thron niedergesetzt […3-4 Wörter]. Und jener Mann, der Karde¯rs Ebenbild ist, […8-10 Wörter]. Jetzt gehen jener Mann, der Karde¯rs Ebenbild ist, und die Frau voran hinauf zu den Höhen und weit hinauf […3-4 Wörter]. Und ein goldener Thron [… 3-4 Wörter] der Herr […4-5 Wörter] auf […3-4 Wörter] gingen hinein (und) ließen sich in dem Glanz des Bahra¯m nieder. § 34: Und nun [nimmt (?)] jener Mann, der Karde¯rs Ebenbild ist, Brot und Fleisch und Wein […8-9 Wörter] auf dem Thron […3-4 Wörter] viele […4-5 Wörter] jene kommen heran, und jener Mann, der Karde¯rs Ebenbild ist, teilte von jedem zu und gab es ihnen […1-2 Wörter]. Und jener […10-12 Wörter], und jener [Herrscher …], und er zeigt mit dem Finger auf den Mann, der Karde¯rs Ebenbild ist, und lächelt. Und jener [Mann, der Karde¯rs Ebenbild ist,] bringt [ihm (?) Verehrung dar].« § 35: »Und wenn einmal [ihr Götter] mich, [Karde¯r], unter den Lebenden mit hohen Würden [gemacht habt], dann [erbitte ich auch] zeigt mir auch von Seiten der Verstorbenen das Wesen von Himmel und Hölle und Wahrhaftigkeit und Lügenhaftigkeit. Auf diese Weise […11-16 Wörter, der ich von Anfang an] den Göttern und Herrschern (gegenüber) ehrerbietig und guten Willens gewesen bin.«

30. 31.

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Im Zusammenhang mit de¯s »Gestalt« wird hier ma¯n weniger als »Haus« zu übersetzen sein als eher mit »Erscheinung, Gestalt«, vgl. skr. ma¯na- (MacKenzie, Rock Reliefs 68). Ein Aiwan ist eine tonnengewölbte Eingangshalle und steht hier wohl für den ganzen Palast, zu dem sie gehört.

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Abb. 2. Relief und Inschrift des Oberpriesters Karde¯r in Naqsh-e Rajab. Auffällig ist seine Kette aus dicken Perlen, wie sie sonst eigentlich nur der König tragen durfte.

§ 36: Aber nachdem mir die Götter auch die Angelegenheiten von Seiten der Verstorbenen so gezeigt haben, war ich den Göttern (gegenüber) noch ehrerbietiger und besseren Willens, und in meiner eigenen Seele war ich freigebiger und gerechter, und hinsichtlich der Verehrung und Kulthandlungen, die im Reich ausgeführt werden, war ich viel zuversichtlicher. § 37: Aber wer diese Inschrift sieht und vorliest, der soll um der Götter und Herrscher und seiner eigenen Seele willen freigebig und gerecht sein, und über die Verehrungen und Kulthandlungen und den Mazda-verehrenden Glauben, der jetzt unter den Lebenden durchgeführt wird, zuversichtlicher und nicht ungehorsam über die Angelegenheiten des Jenseits sein, weil er sicher weiß, daß es ein Paradies und eine Hölle gibt und daß, wer wohltätig ist, zum Paradies gehen wird und wer ein Sünder ist, in die Hölle geworfen wird. Und wer wohltätig ist und in guten Taten einhergeht, der soll für seinen körperlichen Leib Ruhm und Gedeihen erlangen, und für seine körperliche Seele Wahrheit, wie es ich, Karde¯r, erlangt habe. § 38: Und ich habe diese Inschrift auch deswegen geschrieben, weil ich, Karde¯r, von Anfang an für Könige und Herren viele Testamente (und) Verträge für Feuer(-Heiligtümer) und Magier gesiegelt habe, und mein eigener Name an (verschiedenen) Stellen auf Testamente, Verträge und Schriftdokumente geschrieben ist, so daß, wer in späteren Zeiten auf einem Vertrag oder Schriftdokument die obige Inschrift sieht, weiß, daß ich jener Karde¯r bin, der ich von Sˇa¯pu¯r, dem König der Könige, »Karde¯r, der Ober-Magier und E¯hrbad (Herr der Feuerpriester)« genannt worden bin, und der von Hormazd, dem König der Könige, und von Bahra¯m, dem König der Könige, des Sˇa¯pu¯r Sohn, »Karde¯r, 455

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der Ober-Magier des Ahuramazda¯« genannt worden bin, und von Bahra¯m, dem König der Könige, des Bahra¯m Sohn, »Karde¯r, der Erlöser der Seele Bahra¯ms, der Ober-Magier des Ahuramazda¯« genannt worden bin. Geschrieben von Bo¯xtag, dem Schreiber 32) Karde¯rs. 33)

Erläuterungen

§ 3: Die Anweisung, daß der Turm Karde¯r gehören solle, dürfte kaum den Tatsachen entsprechen, sondern vielmehr eine Rechtfertigung Karde¯rs dafür sein, daß er es wagte, unmittelbar unter der Inschrift des Königs seine eigene anzubringen. Auch die Inschriften KNRm und KNRb sind unmittelbar an die Reliefs von Sˇa¯pu¯r bzw. Ardasˇ¯ır angefügt, dort sogar mit seinem eigenen Bild. Eine solche Hybris hätte sich Karde¯r zu Lebzeiten dieser Könige sicher nicht leisten dürfen. Und auch später scheint es viele Widersprüche gegeben zu haben, so daß er sich mit diesem angeblichen Auftrag Sˇa¯pu¯rs zu rechtfertigen versuchte. § 5: Die Bedeutung des hohen, gerundeten Hutes in der Sasanidenzeit wird auf den Felsreliefs sehr deutlich (Abb. 1 und 2). Prinzen und hohe Würdenträger tragen einen solchen, in der Regel mit ihrem persönlichen Zeichen darauf; wie schon oben erwähnt, war dieses bei Karde¯r eine Schere (Abb. 1). Die Sitte der Übergabe eines Gürtels war bereits im 4. Jt. v. Chr. ein Zeichen für eine Amtseinsetzung; auf den damaligen Bildern überreichte ein Gott dem König den Gürtel und setzte ihn damit als seinen Stellvertreter auf Erden ein. 34) Ahuramazda¯, der »Herr Weisheit«, ist der einzige vom Propheten Zarathustra verkündete Gott; auch zu Beginn der Achämenidenzeit (6./5. Jh. v. Chr.) wird nur sein Name in den Königsinschriften genannt, doch zumindest ab dem 4. Jh. v. Chr. treten Mithra, ursprünglich der Gott des Vertrages, dem dann aber immer mehr Funktionen übertragen wurden, und Ana¯hita, die makellose Göttin der reinen Wasser, an seine Seite. § 9: Eigentlich hätte jetzt Narseh, der nächstfolgende Sohn Sˇa¯pu¯rs, die Thronfolge antreten müssen. § 17: Die Sitte, im Herrscherhause im engsten Familienkreise zu heiraten, um dadurch das königliche Blut möglichst rein zu erhalten, wurde schon bei den Elamern gepflegt. 35) Karde¯r hat diese Sitte offenbar nicht nur gutgeheißen und stark befördert, sondern auch für höchst verdienstvoll im Sinne der Religion erklärt. Dieser Text belegt zum ersten Mal das mittelpersische Wort xwe¯do¯dah »Verwandtenhochzeit, Inzest«.36)

32. 33. 34. 35. 36.

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Es wird sich um einen höher gestellten Schreiber, vielleicht den Sekretär Karde¯rs, handeln. Nur in KNRb. S. H. Koch, Königreiche im alten Vorderen Orient (2006) 23 f. und Abb. 28 und 32. S. TUAT.NF 2, 2005, 287. Zu diesem Problem s. M. Macuch, Inzest im vorislamischen Iran, AMI 24, 1991, 141-154.

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§ 24: Die »Art Tod« ist offenbar eine mystische Sitzung, an der Seher teilnehmen; sie dienen als Zeugen für das, was Karder im Jenseits erlebt. Man kann vermuten, daß sie zuvor von dem Rauschtrank Hauma genossen haben, der im zoroastrischen Glauben eine große Rolle spielt. Woraus dieses ursprünglich gewonnen wurde, ist nicht geklärt. Es konnte mehrfach den Körper passieren, ehe es seine Wirkung verlor. Heutzutage gewinnt man das »Hauma« aus der Ephedra-Pflanze. § 27: Auch hier das weit verbreitete Bild des Seelenwägers. § 30: In späteren Awesta-Texten heißt es, daß die Seele des Menschen nach dem Tode die »Brücke des Auserwählers« überschreiten muß. Für den Gerechten sei sie so breit wie 9 Speere oder 27 Pfeile, so daß er bequem über sie hinweggehen könne. Doch für einen Lügenknecht sei sie so schmal wie die Schneide eines Schwertes, so daß er unweigerlich in die Hölle hinabstürze. § 34: Das Verteilen von Essen und Wein an die Seelen der Toten ist eine wichtige Aufgabe, insbesondere bei den jährlichen Totengedenkfeiern. In einer awestischen Hymne heißt es, daß die Seelen der Anhänger der Rechten Ordnung während der 10 Nächte dieses Festes herbeikämen und wissen wollten: »Wer wird uns loben, wer uns verehren, wer uns besingen, wer uns erfreuen, wer uns empfangen mit Fleisch und Kleidung verteilender Hand?« Demjenigen, der diesen Wünschen nachkam, der die Seelen weder kränkte noch beleidigte, dem wünschten sie Scharen von Vieh und Männern, ein schnelles Pferd und Wagen und zudem Standhaftigkeit und Beredsamkeit. – Möglicherweise ist in dem Mann, der mit dem Finger auf Karde¯r zeigt und lächelt, Ahuramazda¯ selbst zu sehen.

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VI. Texte aus Transjordanien und Idumäa 1. Die aramäischen Wandinschriften von Tell Deir 2Alla

Erhard Blum Im Jahre 1967 wurden bei niederländisch-jordanischen Ausgrabungen (Leitung: H. J. Franken) auf dem Tell Deir 2Alla, 1) der zumeist mit dem biblischen Sukkot gleichgesetzt wird, Bruchstücke vormals umfangreicher Inschriften gefunden, die mit schwarzer und roter Tinte auf Wandverputz geschrieben waren (im Folgenden: D[eir] A[lla] P[laster] T[exts]). Auf der Basis einer sorgfältigen Dokumentation der restaurierten Bruchstücke durch G. van der Kooij konnte schon die Erstpublikation mehrere zusammengehörige Fragmentengruppen (»Combinations«) beschreiben. Diesem Stand entsprach auch im Wesentlichen die erste Bearbeitung der DAPT in TUAT durch J. Hoftijzer. 2) Seither wurde die Rekonstruktion mit modifizierten Arrangements und substanziellen Ergänzungsvorschlägen weitergeführt. Von weitreichender Bedeutung ist zudem die revidierte Datierung der Inschriften: Gegenüber TUAT II/1 3) wird das entsprechende archäologische Stratum inzwischen ca. einhundert Jahre früher im ausgehenden 9. Jh. v. Chr. angesetzt. 4) Damit eröffnen sich auch für die Erklärung ihrer Sprache und ihrer Funktion neue Perspektiven. Hatten die Erstherausgeber die Sprache als Aramäisch bestimmt, war diese Zuordnung zunächst in die Diskussion geraten, insbesondere aufgrund mancher »Kanaanismen« in der Morphosyntax der Verben, aber auch in der Lexematik. Alternativ postulierte man verschiedentlich ein regionales Idiom, 5) ohne aber plausibilisieren zu können, inwiefern die Region von Gilead die Voraussetzungen für eine eigene Li1. 2. 3. 4.

5.

Tell Deir 2Alla / Sukkot liegt am östlichen Rand der Jordansenke ca. 1,5 km nördlich des Flusses Jabbok (Nahr ez-erqa). Für die Bedeutung des Ortes in israelitischer Tradition sind einschlägig: Gen 33,17; Jos 13,27; Ri 8,5-6; 9,14-16; 1 Kön 7,46. J. Hoftijzer, Aramäische Prophetien, in: TUAT II/1, 138-148. Ebd. 138: »zwischen 750 und 650 v. Chr.« Vgl. M. M. Ibrahim / G. van der Kooij, The Archaeology of Deir 2Alla Phase IX, in: Hoftijzer / van der Kooij (eds.), Proceedings, 16-29, hier 27 f. zum Ergebnis der C-14-Analysen: »All three [scil. analyses] point to a time beween 770 and 880 BC, with a high probability of the date being at the end of the 9th century BC.« Sei es daß man einen »südkanaanäischen Dialekt« (Hackett) identifizierte oder eine periphere Sprache, in welcher der Differenzierungsprozeß in ein ›Aramäisch‹ oder ›Hebräisch‹ noch nicht vollzogen gewesen sei (Knauf; M. Weippert), oder »eine Sprachmischung« (Hoftijzer, TUAT II, 139) oder gar ein eigenständiges sonst nicht belegtes semitisches Idiom (Huehnergard); vgl. zuletzt die Diskussion bei H. Gzella, Art. Deir 2Alla¯, Encyclopedia of Hebrew Language and Linguistics, Leiden u. a. 2013, 691-693.

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teratursprache und eigene literarische Traditionen bot. Die Forschungslage hat sich aber mit der Entdeckung einer unzweifelhaft damaszenisch-aramäischen Steleninschrift auf Tel Dan (TUAT.E 176-179) in den Jahren 1993-1995 geändert: Insbesondere die vermeintlich unaramäische Verbalsyntax der DAPT findet darin eine genaue Entsprechung. Zudem läßt sich nun auch das Vorkommen von Texten dieser Sprache in der traditionell israelitischen Region Gilead historisch aufklären: Es fällt nach der revidierten Datierung in ein Zeitfenster, in dem die ostjordanischen Gebiete vom Aramäerkönig Hasael erobert und Damaskus unterstellt waren (2 Kön 10,32-33; 13,7). Diverse Angaben im Alten Testament machen es wahrscheinlich, daß diese aramäische Vorherrschaft sukzessive unter Joasch und Jerobeam II., d. h. in der ersten Hälfte des 8. Jh.s v. Chr. zu einem Ende kam. 6) Weder der archäologische Kontext noch das Profil der Texte (Gattungen / Inhalte) legen eine kultische oder eine regale Repräsentationsfunktion nahe, 7) stattdessen wird man sie als Teil eines Schulbetriebs zu sehen haben, 8) mutmaßlich zur Ausbildung einer lokalen Verwaltung. Obschon zweifellos nicht-israelitisch, sind diese Texte von hohem Interesse auch für die Literatur- und Traditionsgeschichte des alten Israel. Sie bieten das älteste außerbiblische Anschauungsmaterial für ›literarische‹ Texte in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nachbarschaft zu Israel / Juda und belegen für das 9. Jh. v. Chr. eine hochentwickelte Schreibkultur einschließlich der Produktion weisheitlicher Texte und deren Tradition auch in der Peripherie, weit abgelegen von Königshof bzw. Haupttempel. Zugleich demonstrieren sie (wie auch die Wandinschriften von Kuntillet 2Agˇrud) ad oculos den entscheidenden Faktor für die beschränkte Befundlage literarischer westsemitischer Texte in Alphabetschrift: die Flüchtigkeit der hauptsächlichen Schriftträger (Wandverputz, Papyrus, Leder). Aufbewahrungsort: Archäologisches Museum Amman, Jordanien. – Erstpublikation: J. Hoftijzer / G. van der Kooij, Aramaic Texts from Deir 2Alla¯ (DMOA 19), Leiden 1976 (im Folgenden »ATDA«). – Weitere Bearbeitungen und Literatur 9) (chronologisch geordnet): A. Caquot / A. Lemaire, Les textes araméens de Deir 2Alla, Syria 54 (1977) 189-208; H.-P. Müller, Einige alttestamentliche Probleme zur aramäischen Inschrift von De¯r 2Alla¯, ZDPV 94 (1978) 56-67; A. Rofé, The Book of Balaam (Numbers 22:2-24:25) (Jerusalem Biblical Studies 1), Jerusalem 1979, 59-69 (hebr.); P. K. McCarter, The Balaam Texts from Deir 2Alla¯: the first combination, BASOR 239 (1980) 49-60; B. A. Levine, The Deir 2Alla Plaster Inscriptions, JAOS 101 (1981) 195-205; H.-P. Müller, Die aramäische Inschrift von De¯r 2Alla¯ und die älteren Bileamsprüche, ZAW 94 (1982) 214-244; H. Weippert / M. Weippert, Die »Bileam«-Inschrift von Tell De¯r 2Alla¯, ZDPV 98 (1982) 77-103 (= M. Weippert, Jahwe und die anderen Götter [FAT 18], Tübingen 1997, 131-161); J. A. Hackett, The Balaam Text from Deir 2Alla¯ (HSM 31), Boston 1984; J. Hoftijzer / G. van der Kooij (eds.), The Balaam Text from Deir 2Alla Re-evaluated. Proceedings of the International Symposium held at Leiden 21-24 Au6. 7. 8. 9.

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Vgl. 2 Kön 13,25; 14,25a; Am 1,3-4; 6,13. Nicht zuletzt die Amos-Belege deuten auf einen längeren Prozeß hin, der sich in die Zeit Jerobeams hineinzog. In historischer Perspektive profitierte Israel dabei von dem zunehmenden Druck der Assyrer auf die Aramäerstaaten. Zum Folgenden vgl. Blum, FS Albertz, 596-598. Vgl. dazu die nunmehr archäologisch nachgewiesene Schule des antiken Trimithis in der ägyptischen Oase Dakhle mit Wandverputz als ›Tafeln‹ (mit griechischen Schultexten). Für weitere Lit. (vor 1982) vgl. TUAT II, 138.

Texte aus Transjordanien und Idumäa

gust 1989, Leiden u. a. 1991; A. Lemaire, Les inscriptions sur plâtre de Deir 2Alla et leur signification historique et culturelle, in: ebd., 33-57; M. Weippert, The Balaam Text from Deir 2Alla¯ and the Study of the Old Testament, in: ebd., 151-184 (= Der »Bileam«-Text von Tell De¯r 2Alla¯ und das Alte Testament, in: ders., Jahwe und die anderen Götter [FAT 18], Tübingen 1997, 163-188); A. Wolters, Aspects of the Literary Structure of Combination I, in: ebd., 294-304; G. van der Kooij, Book and Script at Deir 2Alla¯, in: ebd., 239-262; E. Lipin´ski, Studies in Aramaic Inscriptions and Onomastics II (OLA 57), Löwen 1994, 103-170; B. A. Levine, Numbers 21-26 (AncB 4A), New York 2000, 241-275; C.-L. Seow, West-Semitic Sources, in: M. Nissinen (Hg.), Prophets and Prophecy in the Ancient Near East (Writings from the Ancient World 12), Atlanta 2003, 201-218; E. Blum, Die Kombination I der Wandinschrift vom Tell Deir 2Alla. Vorschläge zur Rekonstruktion mit historisch-kritischen Bemerkungen, in: I. Kottsieper / R. Schmitt / J. Wöhrle (Hg.), Berührungspunkte, FS R. Albertz (AOAT 350), Münster 2008, 573-601; ders., »Verstehst du dich nicht auf die Schreibkunst … ?«. Ein weisheitlicher Dialog über Vergänglichkeit und Verantwortung: Kombination II der Wandinschrift vom Tell Deir 2Alla, in: M. Bauks / K. Liess / P. Riede (Hg.), Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? (Psalm 8,5), FS B. Janowski, Neukirchen-Vluyn 2008, 33-53.

1.1 Kombination A 10): Eine weisheitlich adaptierte Prophetenerzählung

Umfang und Layout des rekonstruierten Textes Eine Rekonstruktion des Textes, welche die in der Editio princeps als »Combination i« zusammengestellten Fragmente umfaßt sowie alle Fragmente der Kombinationen iii (mit roter Tinte) und v, dazu einzelne Elemente aus den Kombinationen vii, viii, xii und xv, wurde an anderer Stelle vorgestellt und begründet. 11) Der hier präsentierten Übersetzung liegt eine weitergehende Zusammenstellung zugrunde, die neben tentativen Ergänzungen die nahezu vollständige Integration der Kombinationen iv und vi in das untere Drittel des Textes einschließt (s. dazu Abb. 1). Für die nähere Begründung muß auf eine derzeit vorbereitete Monographie zu den Inschriften vom Tell Deir 2Alla verwiesen werden. 12) Dies gilt auch für die in Abb. 1 veranschaulichte Zuschreibung der Fragmente 10. Die bislang übliche Bezeichnung der beiden Inschriften als »Combination / Kombination I/ II« kann insofern irreführen, als die Editio princeps mit »combination #« mutmaßlich zusammengehörige Fragmentengruppen bezeichnet, ohne diesen damit den Status individueller Texte zuzuschreiben. Deshalb wird die Bezeichnung hier in »Kombination A bzw. B« modifiziert. 11. Blum, FS Albertz, in Aufnahme und Weiterführung vorausgehender Lesungen von Caquot / Lemaire, Textes, Rofé, Book, Hackett, Text, und Weippert / Weippert, ZDPV 98 (1982); vgl. auch die Lesung von Seow, Sources, 209-211, in der offenbar eine sehr ähnliche Plazierung von Fragement v(d) vorausgesetzt ist. Die älteren Rekonstruktionen von É. Puech, Le texte »ammonite« de Deir 2Alla: Les admonitions de Balaam (première partie), in: La vie de la Parole: de l’Ancien au Nouveau Testament, FS P. Grelot, Paris 1987, 13-30 und Lipin´ski, Studies II (im Anschluß daran D. Schwiderski, Die alt- und reichsaramäischen Inschriften. Band 2: Texte und Bibliographie [FoSub 2], Berlin / New York 2004, 187-189) basieren nicht primär auf den Merkmalen, die van der Kooij mitteilt, sondern auf mutmaßlichen inhaltlichen Anschlußmöglichkeiten. 12. Hier muß der Hinweis genügen, daß sich grundlegende von van der Kooij skizzierte Zuordnungen der »combinations«, für die Gruppen iv, v und vi im Wesentlichen bewähren.

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xiii (b)-(e) zu einer Rahmung, die Kombination A nach unten begrenzte. Deren grundsätzliche Positionierung (nicht die tentative Einzelanordnung) dürfte freilich ohne Alternative sein. 13) Unabhängig davon, ob den graphischen Elemente eine ikonische Bedeutung zukam, 14) hat die ›Rahmung‹ per se Konsequenzen für das Verständnis des Ensembles der Inschriften: (1) Kombination A war damit schon durch das ›Layout‹ als eigene, für sich stehende Größe abgegrenzt. Für inhaltliche Extrapolationen von Text A auf B oder umgekehrt gibt es keine Grundlage. (2) Die untere Rahmung von A stützt die Annahme, daß Kombination B in derselben Kolumne auf A folgte: 15) Während Kombination B schlicht mit der letzten Schriftzeile enden konnte, bestand bei Text A das Bedürfnis, ihn auch im Layout gegenüber dem Folgenden abzugrenzen. (3) Gewisse Gestaltungssymmetrien zeigen eine sorgfältige Planung des Schriftbildes an: (a) Die Rubrum-Texte von A in der ersten und zweiten Zeile reichen exakt bis zur Mitte bzw. beginnen ebenda. (b) Kombination A stellt mit der Rahmung recht genau ein Quadrat dar. 16) (4) Bei dem supponierten Unterricht wird man nicht an eine ›Elementarschule‹ zu denken haben, sondern an eine professionelle Schreiberausbildung, sozusagen eine »Meisterklasse«. 17) Dafür sprechen das inhaltliche Profil der Texte und ihr stilistischer Anspruch, aber auch das aufwendige Layout.

Textsorte(n) und Diachronie Die Kombination ist erkennbar zweigeteilt in eine Erzählung um den Seher Bil2am bar Be2or in Zeile 1-7* (Verse 1-13) und die Schilderung einer verkehrten Welt in Zeile 7*ff. (V. 14 ff.). Im Anschluß an die Überschrift in Rubrum (V. 1) wird erzählt, daß zu dem Seher Bil2am des Nachts Götter [in einer Vision] im Auftrag des Gottes El kamen und ihn aufforderten (Rubrum-Text), das, was er in einer (vorausgegangenen) Schauung über das bevorstehende Handeln der Götter erfahren hatte, kundzutun. Den Tag danach beginnt Bil2am zu weinen und zu fasten – typische Trauer- bzw. Bußhandlungen –, bis »sein Volk / seine Leute« zu ihm kommen und nach dem Grund für sein Verhalten fragen. Daraufhin erzählt ihnen Bil2am seine Vision von einer Versammlung 13. 14.

15. 16. 17.

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Entscheidend sind die Fragmente xiii (b) und (d) mit ihren Schriftzeichen(resten) neben den ornamentalen Elementen. Aber auch xiii (c) (rot-schwarzes Band mit Zickzack-Muster) und xiii (e) (schwarze Linie) können sich nur zwischen Text A und B befunden haben. So erinnert das rot-schwarze Band an ägyptische Darstellungen einer geschnürten Schriftrolle; zu den schon länger beobachteten Affinitäten des Layouts zur ägyptischen Schreibertradition s. A. Lemaire, La disposition originelle des inscriptions sur plâtre de Deir 2Alla, Studi Epigrafici e Linguistici 3 (1986) 79-93, hier 89, und bes. Weippert, Proceedings, 176 f. (= ders., Text 185). Damit könnte geradezu eine ikonische Referenz auf den pragmatischen Kontext des Ensembles intendiert sein. Dazu dürften auch Papyri als Vorlagen der DAPT gehört haben; vgl. auch unten bei Anm. 21 sowie A. R. Millard, Epigraphic Notes, Aramaic and Hebrew, PEQ 110 (1978), 23-26, hier 24 f., und Lemaire, Inscriptions 43. Vgl. dazu des Weiteren die Argumente bei van der Kooij, Proceedings, 238-262, hier 241 f., und zur Anschauung die »schematic reconstruction« des Raumes ebd. Fig. 1 (die graphische Abgrenzung von A und B ist hier noch nicht im Blick). Für die Breite (ca. 31,5 cm) orientiert an den längeren Zeilen der unteren Hälfte, für die Höhe an den Außenrändern der oberen und unteren Rahmung. In diese Richtung deuten auch die (wahrscheinliche) Vorbereitung einer weiteren Kolumne links von unseren Texten sowie die erhaltene Zeichnung einer »Sphinx« über deren oberem Rahmen (Frg. xiv); vgl. wieder die Rekonstruktion bei van der Kooij, Proceedings, 241 Fig. 1.

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der als sˇdyn bezeichneten Götter im Himmel. Darin forderten die ˇsdyn die Sonnengöttin auf, Dürre, Finsternis und Schrecken über die Erde zu bringen – wenn auch nicht für immer! Dieser Beschluß der Götter war der Grund für Bil2ams Weinen und Fasten gewesen. Und auf diesen Beschluß hatten sich auch die Götterboten in ihrer Botschaft für Bil2am bezogen. Bil2am sollte die Menschen warnen! Welche Folgen hatte diese Warnung? Davon wurde nach den erhaltenen Fragmenten nichts mehr erzählt. Stattdessen folgt, angeschlossen mit einem »Denn« oder »Fürwahr!«, eine umfangreiche Schilderung der ›unmöglichen‹ Verhältnisse einer chaotischen Welt, in der insbesondere die soziale Ordnung im Bereich der Tiere und der Menschen auf den Kopf gestellt erscheint. Den Anfang machen in gleichmäßig gebauten Kola fünf Paare von Vogelarten, von denen die ersten vier eine Umkehrung der zu erwartenden ›verbalen Hackordnung‹ zeigen (V. 10ab+11ab), das fünfte sogar einen tätlichen Angriff (V. 12a). Die folgenden beiden Kola (V. 12bc) leiten mit einer weiteren Steigerung der Absonderlichkeiten über zur Welt der Landtiere, bei denen die Ordnungsgrenzen zwischen Haus- und Wildtieren ebenso aufgehoben scheinen (V. 12ab) wie die zwischen Tieren und menschlichem Verhalten (V. 14a-c). Nach dem Bild der Erziehung / Bildung (mwsr) von Hyänen durch Schakalwelpen in V. 15 als Fermate folgen drei Bikola (V. 16-18) mit drastischen Beispielen für den mundus inversus unter den Menschen, die offenbar in einen (für uns) dunklen Sinnspruch (V. 19ab) mündeten. Die weiteren, nur noch phasenweise lesbaren Zeilen beschreiben teilweise katastrophische Notlagen (V. 20-24), darauf folgen wieder zwei ›Verse‹ zur Aufhebung der Rangordnung in der Tierwelt, nun unter den Landtieren. In den letzten beiden Zeilen sind bestenfalls einzelne Wörter zu identifizieren; eine Wiederaufnahme der anfänglichen Szenerie (V. 1-13) ist jedenfalls nicht erkennbar. In der Abfolge von Narration und breiter 18) diskursiver Beschreibung ist letztere am ehesten als ›Rede‹ des Autors zu lesen, der sich mit diesen Ausführungen direkt an die Leser richtet. 19) Näherhin soll die Darstellung der chaotischen Verhältnisse das zuvor erzählte Tun der Götter begründen. Gleichwohl bleiben diverse Inkohärenzen zwischen den beiden Komponenten des Textes bestehen. 20) Nimmt man den Umstand hinzu, daß die einleitende Erzählung am Ende des umfangreicheren Diskurses ›vergessen‹ zu sein scheint, so drängt sich eine einfache diachrone Erklärungshypothese auf. Danach ist der vorliegende Text in der Fortschreibung einer vorgegebenen Erzählung über den Seher Bil2am bar Be2or mit einer diskursiv-weisheitlichen Schilderung eines mundus inversus gebildet worden. Unter anderem das exakt austarierte Layout (s. o.) und die nachträglich korrigierte Auslassung aufgrund eines Homoioarkton in Zeile 1 sprechen für eine Kopie aus einer Vorlage. 21) Jedenfalls erlaubt der Kompositcharakter des Textes eine Zuordnung zu dem aus dem biblischen Kontext wohlvertrauten Phänomen einer ›Traditionslitera18. 19. 20. 21.

Sie umfaßte mehr als 11 Zeilen, die Erzählung knapp 7 Zeilen. Für eine ausführliche Diskussion vgl. Blum, Prophetie, 92-94. Vgl. im Einzelnen Blum, FS Albertz, 595 f. Daß die Gestaltungssymmetrie in Z. 1-2 unbeschadet des Schreibfehlers erreicht wurde, setzt im Übrigen voraus, daß der Schreiber es ad hoc verstand, einen Ausgleich im Textbestand vorzunehmen.

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tur‹. Dem entspricht die anspruchsvolle Gestaltung in »gehobener Prosa« (s. u.), die sich phasenweise zu epischer bzw. weisheitlicher Dichtung steigert. Darüber hinaus kann die Texteinheit als Ganze dem Bereich weisheitlicher Literatur zugewiesen werden. Dies zeigt zum einen der Befund, daß die diskursive Schilderung der verkehrten Welt, die per se im weiteren Sinne eine weisheitliche Thematik darstellt, sich gegenüber dem narrativen Teil gleichsam verselbständigt und einen neuen Schwerpunkt des Gesamttextes ausbildet. Zum anderen erweist sich die komplexe Titulatur als signifikant: der für sich kompletten Titelformulierung »Die Schrift / das Buch (spr) von Bil2am bar Be2or, dem Gottesseher« ist »Die Lehren von (ysry) …« vorangestellt. Während aber der mutmaßlich ältere Titel die Hauptperson der Erzählung vorstellt, will eine Titulierung als »Lehren / Unterweisungen« weder zur Prophetenerzählung noch zur Schilderung der chaotischen Welt allein passen, wohl aber zur Verbindung beider, insofern deren Skopos in der Begründung der umfassenden Katastrophe mit dem alle Ordnungen verkehrenden Verhalten von Mensch und Tier liegt (immerhin wird das Unheil durch die das Unrecht aufdeckende Sonnengottheit herbeigeführt). Positiv gewendet impliziert dieser Skopos den Appell, solche Verkehrungen, die schließlich in eine chaotische Welt münden können, zu meiden und an den guten Ordnungen zu partizipieren. Wird der Gesamttext im Sinne der vorangestellten Leseanleitung ysry paränetisch rezipiert, bedarf es auch keiner Schließung des narrativen Rahmens nach Z. 8-18 mehr.

Der Bil 2amtext im Verhältnis zu alttestamentlichen Traditionen Die Beziehungen zu den Bileam-Überlieferungen im Alten Testament betreffen i. W. die Person des Bil2am, Sohn des Be2or, dessen Verbindung einerseits mit Aram 22) (Num 23,7 [Dtn 23,5] || Sprache und Kontext der DAPT), andererseits mit dem Ostjordanland (der Plot in Num 22-24 || der Standort der DAPT) und seine Charakterisierung als »Götterseher« / »Mann, der die Götter schaut« (Kombination A, Überschrift) bzw. »der die Vision Schaddajs schaut« (Num 24,4 par.16). Demgegenüber können die mitunter angeführten 23) Parallelen zwischen Num 22,9a.20 (»Gott kam zu Bileam [in der Nacht]«) und A 2a sowie zwischen Num 22,13aa.21aa (»da stand Bileam am Morgen auf«) und A 4a schlicht auf sachbedingter Kontingenz und narrativer Idiomatik beruhen. Zumindest die zuerst genannten Bezüge verlangen aber nach einer anderen Erklärung: Entweder ist davon auszugehen, daß der Seher Bil2am in beiden Bereichen, dem damaszenischen wie dem (nord)israelitischen, als Gestalt der Tradition beheimatet war, oder die israelitische Bileamperikope gehört zu einer – wie auch immer vermittelten – Spätwirkung der damaszenischen Akkulturierungsbemühungen im Ostjordanland. Mit Letzterem wäre jedenfalls dann zu rechnen, wenn die Rede vom »Hören« der »Worte Gottes (’el)« und vom »Schauen der Vision des Erhabenen (sˇadday)« in den parallelen Kola von Num 24,4 (vgl. 24,16) ein spätes 22. 23.

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Vgl. Lemaire, Proceedings 51 mit Verweis auf B. Halpern, Dialect Distribution in Canaan and the Deir Alla Inscriptions, in: D. M. Golomb (Hg.), »Working with No Data«, FS Th. O. Lambdin, Winona Lake 1987, 119-139, hier 133. Vgl. schon Müller, ZDPV 94 (1978) 57 f.; M. Weinfeld, The Balaam Oracle in the Deir 2Alla Inscription (hebr.), Shnaton 5-6 (1981/82) 141-147, hier 141 f.

Texte aus Transjordanien und Idumäa

(und transformiertes) Echo der Erzählung von Els nächtlicher Botschaft an Bil2am (A 2-3) und danach der Vision der sˇdyn-Versammlung (A 7-9) darstellen sollte. 24) Weniger spektakulär als der externe Beleg für eine biblische Gestalt, aber von nachhaltiger Bedeutung sind zwei andere Vergleichsmöglichkeiten mit alttestamentlicher Literatur. Die erste betrifft das Phänomen der Prophetie: Erstmals im außerisraelitischen Kontext begegnet hier eine in Vision und Audition offenbarte Unheilsprophezeiung, die weder auf den Herrscher bezogen ist noch auf einen Kriegszug, sondern eine umfassende, im Zorn der Götter begründete Katastrophe ankündigt, und dies nahezu einhundert Jahre vor der israelitischen Schriftprophetie. 25) Mit der einleitenden individuellen Adressierung Bil2ams durch den Gott El (A 2-3) und mit der Vision des Götterrates (vgl. 1 Kön 22,19-23; Jes 6 etc.) macht die Erzählung die Aufgabe des Sehers als Mittler zwischen Göttern und Menschen geradezu zum Thema. Kurzum: der Bil2amtext zeigt schlaglichtartig, daß Prophetie auch außerbiblisch nicht auf Herrschaft stabilisierende Heilsprophetie engzuführen ist. 26) Die andere Vergleichsmöglichkeit betrifft elementare Fragen der Sprachgestalt und Stilistik, die hier nur mit zwei Aspekten angezeigt werden können: (1) Die DAPT (A+B) erweitern das Inventar übereinzelsprachlicher idiomatischer Wendungen / Phrasen, 27) die im levantinischen Sprachraum z. T. über Jahrhunderte in Gebrauch waren. Näher betrachtet, belegen sie die Problematik verbreiteter »Sprachgebrauchs«-Datierungen in der Exegese ebenso wie die gängige Ausdeutung sprachlicher Affinitäten im Sinne einer Text-Text-Abhängigkeit. (2) Bereits A. Wolters hat nachdrücklich auf Elemente der poetisch-literarischen Gestaltung in Kombination A und ihre Bedeutung für Interpretationsfragen aufmerksam gemacht. 28) Dazu gehören die Tendenz zu kolometrischen Strukturen und Wiederholungen und die Bildung von Chiasmen und Inklusionen. Sie finden sich besonders in dem diskursiven Teil ab Z. 7Ende und in den direkten Reden der Erzählung, aber auch in der Darstellung des Erzählers. Sie finden sich aber auch in alttestamentlichen Erzählungen.29) Man kann hier mit Wolters von »narrative poetry« sprechen oder von »Kunstprosa« (Weippert). Das Schriftbild der folgenden Übersetzung sucht die Strukturierung in entsprechende stilistische Einheiten, hier »Verse« genannt, abzubilden. Die Untergliederung der Verse korrespondiert – mit wenigen Ausnahmen – der syntaktischen Satzgliederung. Nur mutmaßlich angenommene Verse bei Textlücken / unsicheren Lesungen sind in eckige Klammern gesetzt. Die Kommunikationsebenen (eingebettete Reden vs. Erzählerebene) werden durch Einrückungen unterschieden. Kapitälchen zeigen die Rubrum-Abschnitte an.

24. 25. 26. 27. 28. 29.

Müller, ZDPV 94 (1978) 60 und ZAW 94 (1982) 239 sieht auch eine Entsprechung zwischen ’sˇ hzh ’lhn in A 1 und hgbr sˇtm h2yn in Num 24,15b. ˙Vgl. schon den Hinweis bei Müller, ZDPV 94 (1978) 61. Dazu eingehender Blum, Prophetie, 88-96. S. unten die Anmerkungen 35, 59, 70 und 71. Wolters, Proceedings. Vgl. auch Weippert, proceedings, 173 (= ders., Text, 182). S. vorläufig E. Blum, The Jacob Tradition, in: C. A. Evans / J. N. Lohr / D. L. Petersen (eds.) The Book of Genesis (VT.S 152), Leiden / Boston 2012, 181-211.

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Abb. 1

Kombination A: Die Lehren der Schrift vom Götterseher Bil 2am Vers 1 2a 2b 3a 3b

30. 31.

466

(1) Die

Lehren der Schrift von [Bil]2am, dem So[hn des Be2o]r, dem Gtterse[h]er: Zu ihm 30) kamen Götter 31) in der Nacht. [Sie kamen] in [einer Visi]on (2) gemäß dem Spruch Els und sprachen zu [Bil2a]m, dem Sohn des Be2or, folgendermaßen: Sie werden das tun, was der Bruder gesehen hat.

Die Anfangsstellung des indirekten Objekts gibt die aram. Casus pendens-Konstruktion mit vorangestelltem h’ wieder. Der zugehörige Präpositionalausdruck ’lwh ist über der Zeile nachgetragen, war also zunächst infolge einer aberratio oculi zu ’lhn ausgelassen worden. Der Zusammenhang legt nahe, daß die hier genannten »Götter« nicht zu der in V. 8-9 genannten Götterversammlung gehörten, sondern als untergeordnete, dienstbare Götterwesen gedacht sind.

Texte aus Transjordanien und Idumäa

3c Keiner hatte Nachsicht. Tue [es je]tzt kund! 32) (3) Da stand Bil2am tags darauf auf. 4a [4b] [Er stand auf(?) und weh]klagte(?) ständig […] T[a]ge [lang]. [5ab] … 5c Und er konnte nicht ess[en und fastete], (3-4) und er weinte dabei bitterlich. 5d (4) Da kamen zu ihm seine Leute 33) [und sagten:] 6a 6b O Bil2am, Sohn des Be2or, 6c warum fastest du, 6d und warum weinst du? (4-5) Er sagte zu ihnen: 7a (5) Se[tzt eu]ch! Ich teile euch mit, was die Hoh[en 34) berieten]! 7b 7c Auf! Schaut das Tun der Götter: 35) 8a Die Götter kamen zusammen, (6) indem die Hohen (s ˇdyn) auftraten als Versammlung. 36) 8b 9a Und sie sagten zur S[on]ne(ngöttin): 37) 9b Du magst 38) die Schleusen des Himmels mit deinem Gewölk verstopfen 39) (6-7) Dort sei Finsternis, und nicht Glanz, 9c (7) Dunkelheit, und ni[cht] dein Strahlen! 9d 9e Du magst Schreck[en] bewirken [durch] finsteres [Gewö]lk. 9f Aber grolle nicht für immer! 40) (7-8) Fürwahr!/Denn der Mauersegler verhöhnte den Geier 10a

32. 33. 34.

35.

36. 37. 38. 39. 40.

Mit einer alternativen Ergänzung wäre zu lesen: Tue das Gehörte kund! 2m hier und in Z. 14 meint einen Verwandtschaftsverband, dessen Umfang (Sippe, Stamm, Volk?) für primäre Leser keiner näheren Bestimmung bedurft haben mag. Aramäisch: ˇsdyn, vgl. hebräisch 3e¯l ˇsadda¯y. Die Bedeutung »Hohe / Erhabene« ist tentativ aus dem Zusammenhang erschlossen. Dieser zeigt in V. 7-8 (s. u. Anm. 36), daß die ˇsdyn den Götterrat repräsentieren (Wolters, Proceedings, 297); so dürfte der Ausdruck eine Bezeichnung für die großen / hohen Götter darstellen; semantisch mag mit dem Epitheton ˇsadu (Berg) oder tdj (Brust) assoziiert worden sein; vgl. die etymologische Herleitung nach Al¯ dazu M. Weippert, Art. Sˇaddaj, THAT II (1976) 873-880, hier 877-880, ebd. bright / Cross, auch ältere Vorschläge für die Wiedergabe von sˇaddaj als »Hoher, Höchster«. Die beiden Stichen von V. 7b/c nehmen die parallelen Glieder der Götterrede von V. 3b/c chiastisch auf, insofern die Elemente »tun« (p2l) und »sehen« (r’h) – ihrerseits in chiastischer Reihenfolge – den äußeren Rahmen bilden, der die – wiederum chiastisch angeordnete – Thematik vom »kundtun / mitteilen« und »[beraten / planen] / ohne Nachsicht« umschließt. Zur Idiomatik von V. 7c vgl. Ps 46,9; 66,5. Im synonymen Parallelismus aufeinander bezogen, korrespondieren V. 8a/b dem vorausgehenden Vers 7b/c chiastisch mit dem (logischen) Subjekt sˇdyn bzw. »Götter«. Wegen des Zeichenrestes auf i (d) ist die Lesung Sˇmsˇ (»Sonnengöttin«) so gut wie alternativlos; epigraphisch ausschließen kann man jedenfalls Sˇagar; vgl. auch unten zu V. 12b. Diese Übersetzung setzt eine PK-Langform der 2. Pers. sing. f. voraus, freilich ohne Nunation. Vokalisch auslautende PK-Formen mit Nun sind in den DAPT nicht zweifelsfrei zu belegen. So die Bedeutung des mittelhebräisch belegten pqq. Für andere Deutungen der Verbform s. Weippert, Proceedings, 158 = 157 A. 19. In der Rede der Götter kehrt in V. 9b-e unverkennbar das Schema ABBA wieder – (hier) mit V. 9 f. als Kontrapunkt. Insgesamt liegt also die Stilfigur »4 + 1« vor.

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10b 11a 11b 12a 12b 12c 13a 13b 13c 14a 14b 14c 15a 16a 16b 17a 17b 18a 18b 19a 19b [20a] [20b] 41.

42.

43.

44. 45. 46.

468

(8) und die Schleiereule 41) die Schmutzgei[er]. Die Zwergohreule 42) ve[rhöhnte] die Jungen des ?, und der Mauerläufer 43) die Küken des Reihers. Die Schwalbe rupfte 44) (9) den Tauber, und der Spatz packte Z[ieg]enhaare(?). Und für sich … Stock. An dem Ort von Mutterschafen leitete der Stab Hasen; sie aßen (10) zusammen. Käfer waren Lieb[hab]er(?) von Oliven(öl?), es gelü[stete sie](?) nach einem Bat Essen. Sie tranken Wein. (10-11) Und die Hyänen hörten Belehrung durch Welpen des Schaka[les]. 45) (11) Und aus der Stadt gingen Hochgestellte als Geschlagene. Der Tauge[nichts] machte sich (ständig) lustig über Weise. Und die arme (Frau) bereitete Myrrhe zu, während die Priesterin (12) durch Frevler[han]d umkam. Schauder ließ [Streitwa]gen(fahrer?) schnell fahren; den Gürtelträger feindete man andauernd an. Ein Aushecken von Plänen (12-13) und (immerzu) ein Aushecken von P[länen] (?). 46) (13) Das Lachen war weg (?) Bitterkeit (?) [ … ]

So D. Talshir / E. Qimron, The Bird Names in the Deir 2Alla¯ Inscription (hebr.), Lesˇonenu 58 (1994/95) 339-346, hier 342 = in: D. Talshir, Living Names: Fauna, Places and Humans (hebr.) (Asuppot 6), Jerusalem 2012, 39-46, hier 42, mit der Lesung ql, die zum einen dem epigraphischen Befund in van der Kooijs Nachzeichnung deutlich angemessener ist als die Lesung qn. Zum anderen ermöglicht sie den Join von Fragment v(e), der das Resˇ des folgenden Wortes komplettiert. Im Anschluß an H. Ewald und an M. Seidel (1932) zu qôl in Zeph 2,14, sieht Talshir in ql eine (von q[w]l = »Stimme« abgeleitete) Bezeichnung einer Eulenart. Das nominal gedeutete y 2nh ist mit Talshir / Qimron, Names 343 (= Talshir, Names 43) auf einen nächtlichen Greifvogel zu deuten (entgegen der seit den Versionen verbreiteten Übersetzung mit »Strauß«). Seine anschließende Lesung (bny) nss ist hingegen epigraphisch kaum möglich; für das deutlich erkennbare nhs wiederum fehlt˙˙bislang eine Erklärung. ˙˙ epigraphisch srh vorzuziehen (van der Kooij, Gegenüber der üblichen Lesung sdh »Eule« ist ˙ ATDA, 113; Proceedings, 260). ˙Dazu vergleicht Talshir / Qimron, Names 344 (= Talshir, Names 44) die arabische Bezeichnung des Mauerläufers (Tichodroma) sarr und verweist auf das stimmigere Verhältnis der Größen und des Aggressionspotenzials ˙mit Blick auf die intendierte Aussage. Vgl. das mittelhebräisch belegte nsˇr, das im Grundstamm »ausfallen, fallen« bedeutet, im D-Stamm »ausreißen«, auch bezogen auf Haare. Das ›Monokolon‹ scheint den Abschluß des ersten, von der Tierwelt handelnden Abschnitts zu markieren. Die Übersetzung ist lediglich als ›Platzhalter‹ zu verstehen. Vermutlich liegt eine geprägte Redeweise oder ein komplexes Wortspiel zugrunde, das der Leser kennen muß. Sofern die Sätze zur Beschreibung der verkehrten Welt gehören, steht lediglich ihre negative Tendenz fest. Alternativ ist ein modales Verständnis möglich: »Man bedenke (dies) wohl! Man bedenke (dies) wohl!« (vgl. auch Weippert / Weippert, ZDPV 98 [1982] 99 [= Weippert, Jahwe 156]), dann als direkt an die Leser gerichteter paränetischer Zwischenruf.

Texte aus Transjordanien und Idumäa

[21ab] 21c [21d] 22a 22b 23a 23b [24a] 24b [25a] 25b [26a] [26b] [27 ff.]

[…] (selbst) Taube konnten (es) von weitem hören; (14) [sie wu]nde[rten sich (?)], warum [man] rannte. Ein Verband 47) legte sich eine Herde von Wildtieren 48) (?) zu, … Räu[de]plage 49) (?). Und alle sahen Bedrängnisse, (14-15) Wurf und Zuwachs 50) [waren] verfl[ucht](?). (15) Wer [ … ], der wurde von der Hitze ganz schwarz. … verschreckte die Turteltaube Gazelle und Leopard. Das Ferkel schlug in die Flucht das Fohlen der (16) Stute. … Zornige (?). Es herrschte das Lamm über … (?) … und ein Auge / Trümmer(17) …Trümmer von … (18) …

1.2 Kombination B: Ein weisheitlicher Dialog über Vergänglichkeit und Verantwortung

Der zweite Text der DAPT hatte ursprünglich nahezu den dreifachen Umfang von Kombination A 51) (und etwa den doppelten Umfang der Mescha-Stele). Leider ist davon nur noch ein Bruchteil leserlich.52) Auch in Kombination B hat der Schreiber mit Rubrum gearbeitet, möglicherweise auch hier mit dem Bemühen um eine symmetrische Gestaltung: Der Rubrumtext in Z. 17 ging vermutlich bis zur Zeilenmitte und könnte auch in der Vertikalen mittig ausgerichtet gewesen sein; am Textanfang wäre dann ein Ausfall von fünf Zeilen anzunehmen. Der linke Rand war – wie in A – durch einen roten Strich (Frg. xii [a]; viii [a]-[c]) markiert. Die physische Rekonstruktion von Kombination B wurde schon in der Editio princeps mit der Zuordnung der großen Fragmente ii (a)-(g) auf eine sichere Grundlage gestellt. Auch die Positionierung von x (a)-(d), ix (a) und xii (a) zwischen ii (b), 47. 48. 49. 50. 51.

52.

S. o. die Anm. zu 6a. Oder: »einen Hirten«. Falls die Lesung von hyt zutrifft, entspricht sie (noch) nicht späterem ˙ Standardaramäisch. qqb = Schlag, Plage? Vgl. dazu CAL (5. 10. 2013) s. v. qqbtn mit dem Vorschlag einer Erklärung dieses Wortes mit arab. qdb = to strike. Zu hzz = scabious / räudig im Aramäischen vgl. ˙ ˙ CAL (5. 10. 2013) s. v. Eine Deutung als Götternamen (»Sˇagar und 2Asˇtar«) fügt sich in die Darstellung des Mundus inversus ab V. 10 nicht ein. Von Gottheiten ist in diesem Teil generell nicht die Rede. Zur Diskussion in der Forschung s. Weippert / Weippert, ZDPV 98 (1982) 157 ff.[= 100 f.]. Rechnet man in Text A mit durchschnittlich 60-61 Zeichen (inkl. Worttrenner) pro Zeile (die Zeilen werden nach unten tendenziell länger) und 18 Zeilen, ergibt sich eine Summe von 1080-1098 Zeichen. Text B umfaßte wenigstens 38 Zeilen, falls sein Schriftbild hinsichtlich der Rubrum-Zeile symmetrisch angelegt war, sogar 41 Zeilen mit jeweils wenigstens 71/72 Zeichen, in der Summe demnach zwischen 2736 und 2952. (Hinweis: Bei den Größenangaben in Blum, FS Janowski, 33 f., ist im Blick auf Text A ein Versehen unterlaufen: statt von 3840 cm ist von 31-32 cm Breite auszugehen.) Nach einer groben Schätzung ca. ein Viertel.

469

Erhard Blum

(d) und (e) in Blum, FS Janowski, konnte von Hinweisen der Erstherausgeber ausgehen. Gegenüber dieser Publikation wird hier lediglich folgende Korrektur vorgenommen: Frg. iv (g) gehört (mit van der Kooij 53)) zu Kombination A; dafür ist an ix (a) rechts oben ein Join mit xii (b) möglich. Außerdem läßt sich xii (f) links oben – tentativ – an ix (a) anfügen. Damit verändern sich die Textzusammenhänge in den Zeilen 21-23.

Inhaltliches Profil und Gattung Erhebliche Schwierigkeiten bereitet gleichwohl die Lesung des Textes, nicht nur aufgrund seines Erhaltungszustandes, sondern auch wegen der Mehrdeutigkeit einzelner Formulierungen. Dementsprechend disparat sind die vorgeschlagenen Gesamtdeutungen. 54) Das der folgenden Übersetzung zugrunde gelegte Verständnis beruht wesentlich auf textinternen kommunikativen Signalen: mehrere Fragen in Z. 5(a), 9, 12(b), 13(d), deren erste zudem in 16(cd) wieder aufgenommen wird, sowie rekurrente Anreden in der 2.ms.sg.: Z. 9, 10(b), 11(b), 15(c), 16(c), 17. Von entscheidender Bedeutung sind dabei die Sätze in roter Tinte in Z. 17, die einem Lehrer der Schreibkunst oder (eher) einem Meisterschüler seine besonderen Kompetenzen und Aufgaben in der Lehre und im öffentlichen Leben vor Augen halten. In Verbindung mit Aussagen wie in Z. 9 oder 16(c) drängt sich von daher die Lesung des Textes als ein Dialog unter Gebildeten, am ehesten zwischen einem Meister und seinem Schüler, auf. Die Rubrum-Halbzeile bildet zugleich die Hauptachse der inhaltlichen Gliederung: in dem folgenden zweiten Teil zeigen die wenigen lesbaren Fragmente eine sich durchhaltende sozialethische Thematik auf, zumeist an negativen Verhaltensmustern. Demgegenüber ist der vorausgehende erste Teil ganz von der Sinnfrage angesichts der Vergänglichkeit des Menschen und seinem Ende in der Totenwelt bestimmt. Es ist gewiß der Lehrer, der mit dieser Frage in Z. 5(a) und 16(c/d) konfrontiert wird. Auch wenn die Gedankengänge nur ansatzweise zu erkennen sind, scheint eine seiner Argumentationen auf die nachhaltige, sorglose Ruhe der Verstorbenen, auf ihren andauernden »Schlaf« zu zielen (Z. 11-12, 14-15). Der andere, die Perspektiven umkehrende Impuls wird eben mit Z. 17 gesetzt: Er verweist den Fragenden appellativ auf seine Möglichkeiten und seine herausgehobene »politische« Verantwortung in seiner Lebenswelt. Insofern führen die anschließenden ex negativo-Konkretionen eines lebenserhaltenden Handelns das Generalthema weiter. Am Ende stand möglicherweise(!) ein Idealbild des segensreich wirkenden weisen Lehrers (Z. 35-36). Thematisch (Sinnreflexion, Erziehung / Bildung, Weltorientierung [»Ratgeber«], ethische Orientierung) und mit Blick auf die Textsorte (dialogisch-diskursiv, argumentierend, paränetisch) sind wir im Kontext des Alten Orients fraglos im Bereich der Weisheitsliteratur. Bei der naheliegenden Suche nach entsprechenden Vergleichs53. 54.

470

ATDA 147; allerdings gehörte die Gruppe iv nicht »at the top of i« (ebd.); diese Einschätzung dürfte der vermeintliche rote Abstrich auf iv (a) induziert haben (es handelt sich vermutlich um einen Spritzer). Sie reichen von der Deutung als Kinderopferritual (Hackett) bis zu einem mythischen Drama mit der Geburt eines Erbprinzen in der Unterwelt (Lipin´ski); vgl. Blum, aaO. 40.

Texte aus Transjordanien und Idumäa

texten kann man für eine Fokussierung auf das Thema der Vergänglichkeit immerhin auf die Keilschrifttafel mit den »Counsels of a Pessimist« 55) verweisen. Noch interessanter erscheint jedoch ein anderes Werk, das als »Der Dialog zwischen Sˇu¯pe¯-ame¯li und seinem ›Vater‹« oder »The Wisdom of Sˇu¯pê-ame¯lı¯« oder nach seinem Anfang als »Sˇimâ milka« (»Höre den Rat«) bekannt geworden ist. 56) Es ist fragmentarisch in zwei akkadischen Versionen aus Emar und Ugarit und einer hethitischen aus Bog˘azköy belegt (spätes 2. Jtd.), aus mesopotamischer Perspektive also in der westlichen Peripherie. Das Zwiegespräch zwischen Vater und Sohn bietet in seinem ersten (größeren) Teil gängige Weisheitssprüche und Unterweisungen. In seiner kurzen Replik fragt der Sohn jedoch, was der Vater von all seinem Reichtum im Tod behalte, und er schließt mit einem Blick auf das Schattenreich der Unterwelt. »It turns out, then, that death renders worthless all human accomplishment, great as it may be.«57) Hurowitz sieht darin eine für Mesopotamien einzigartige Infragestellung der traditionellen Weisheitslehre und findet Parallelen erst in der späten skeptischen Weisheit des Kohelet und in Ps 49. Bezieht man in den Vergleich nun auch den Dialog von DAPT B ein (zeitlich steht er zwischen Sˇimâ milka und Kohelet), so wird hier das Vergänglichkeitsthema einerseits nicht nur in einer knappen Schlußsequenz angesprochen, sondern es beherrscht in großer Intensität den ersten Hauptteil. Andererseits wird es (in den erhaltenen Teilen) nicht als Infragestellung der weisheitlichen Wirklichkeitsdeutung eingeführt, wohl aber als bedrängende Sinnfrage, an der sich die Antwortfähigkeit der Weisheit bewähren muß. Auf deren Demonstration erscheint denn auch die ganze Schrift angelegt. Als Bilanz bleibt festzuhalten, daß sich in diesem weisheitlichen Diskurs eine intellektuelle und ›politische‹ Schreiberelite präsentiert, gleichermaßen selbstbewußt wie reflektiert und mit Problemstellungen, die vor schwierigen Sinnfragen nicht haltmachen. Der pragmatische Bezug eines solchen Textes zu der oben für Sukkot supponierten »Meisterklasse« der damaszenischen Verwaltung liegt auf der Hand. Ebenso evident ist, daß eine derart reflektierte Diskursliteratur in Tell Deir 2Alla nicht den Beginn staatlicher Schreibkultur in Aram markiert. Diverse Anaphern und Ansätze zu Parallelismen (Z. 7[a]-[c]; 9[a/b]; 10[b/c]; 12[b/c]; 17; 22[yz]/23[ab]; 35[ab]/36[ab]) lassen kaum einen Zweifel daran zu, daß der Text als poetische Versdichtung gestaltet war. Deren Darstellung setzt jedoch der fragmentarische Erhaltungszustand enge Grenzen. Deshalb kann die Übersetzung in diesem Falle nicht nach »Versen« gegliedert dargeboten werden. Stattdessen werden 55. 56.

57.

W. G. Lambert, Babylonian Wisdom Literature, Oxford 1960 (reprint 1996), 107-109; vgl. Blum, FS Janowski, 49. Für eine (synoptische) Edition der Textzeugen s. M. Dietrich, Der Dialog zwischen Sˇu¯pe¯-ame¯li und seinem ›Vater‹. Die Tradition babylonischer Weisheitssprüche im Westen, UF 23 (1991), 33-68 (mit Übersetzung und knapper Kommentierung) sowie Th. R. Kämmerer, ˇsimâ milka. Induktion und Reception der mittelbabylonischen Dichtung von Ugarit, Emar und Tell el ’Amarna, AOAT 251, Münster 1998. Eine erste vergleichende Untersuchung im altorientalischen und biblischen Kontext ist V. A. Hurowitz, The Wisdom of Sˇu¯pêame¯lı¯—A Deathbed Debate between a Father and Son, in: R. J. Clifford (Hg.), Wisdom Literature in Babylonia and Israel, SBL Symposium Series 36, Leiden 2007, 37-51 (mit Lit.!), zu verdanken. Hurowitz, Wisdom 43.

471

Erhard Blum

die Zeilen der Inschrift durchgezählt und diesen die Sätze bzw. Satzfragmente mit Kleinbuchstaben zugeordnet. Sätze, deren Position in der Zeile sich nicht genauer angeben läßt, werden mit den Buchstaben »x/y/z« bezeichnet.

Kombination B: »Verstehst du dich nicht auf die Schreibkunst … ?« (0-2) [

… … …] 58) (3a) jubelt er.(?) (3b) Er ißt(?) [ … … … der(?)] (4a) jungen Frau, trunken 59) von Liebesfreuden. […] (4x-5) Warum wird] Bitternis ihm (scil. dem Menschen) zuteil? (5a) Warum ist ein Verwesender und vermodert jeder, der im Saft gestanden hat (= jeder Lebendige) 60)[, wenn … ] (5x-6) Das Verlangen möge er sättigen! (6a) Nicht gehe er hinüber 61) ins Haus der Ewigkeit, das Hau[s … ! …] 7(a) das Haus, da kein Reisender eintritt (7b) und kein Bräutigam eintritt, (7c) das Haus, [… … …] (8a) und der Wurm aus dem Grabhügel, aus den Oberschenkeln von Mannsleuten und aus den Schenk[eln von … ] (8x-9) Ver]steh[st du nicht(?)] meine [So(?)]rge? 62) (9a) Berät sich denn nicht mit dir (9b) oder holt sich nicht (bei dir) einen Ratschlag der Thronende? [… die in ihrer] (10a) Gr[able]ge(?) [liegen(?)], werden mit einem einzigen Gewand bedeckt. (10b) Wenn du sie hassest, o Mensch 63), (10c) wenn du [… … … ] (11a) ein [… -] Feuer unter deinem Kopf (??). (11b) Du wirst deine ewige Ruhe liegen.

58. 59. 60. 61. 62. 63.

472

Sollte sich die Zuordnung von Frg. viii (a) am linken Rand auf dieser Höhe bewähren, sind wenigstens 2-3 Zeilen vor der ersten auf ii (a) erkennbaren Zeile anzunehmen. Vgl. CAL s. v. rawway (adj.). Zu einem analogen metaphorischen Gebrauch von rtb vgl. Hi 8,16. ˙ Lies y2br für y2bd. van der Kooij, Proceedings, 260, insistiert zwar auf der Lesung des Dalet, doch ist dem kaum ein Sinn abzugewinnen. Im Zweifel muß von einem Schreibfehler ausgegangen werden. Die vorausgesetzten Ergänzungen sind sehr unsicher. Die Vokativlesung mit Hoftijzer, ATDA, 232; s. auch Kombination A Vers 6b.

Texte aus Transjordanien und Idumäa (11c) Um Anteil zu haben an(??) [ … …. … ] (12a) ein Mensch, der sich Feinde erworben(??). (12b) Wer stöhnt mit all seiner [Bedrängnis] im Herz? (12c) Stöhnt etwa der Verwesende in [seinem] Herz [ … ? … … ] (13a) nennt man ihn / sie. (13b) (Auch) Könige schauen (es). (13c) … gibt es nicht. (13d) Weshalb nimmt der Tod / Mwt den Embryo und den Säugling [ … ? …] (14a) Der Säugling …, »Kind des Todes«(?) nennt man ihn. (14b) Wie im Eis (?) wird fest das Herz des Verwesenden. (14c) Er ist matt, (14d) wenn er gekommen ist in [sein Grab … …] (15a) an seinem Ende. (15b) Sein Schlaf … (15c) Erkenne (es)! (15d) Gib [dein Be]gehren auf!(?) (15e) Der Wunsch des Königs ist sein Pferd, (15f) Und der Wunsch[ … … (16a) … … ] (16b) schauen weit[er als(??)] du. (16c) Deine Frage: / Ich habe dich gefragt: (16d) Warum ist ein Verw[esender und vermodert jeder Lebendige, wenn … ? …] (17a) Verstehst du dich nicht auf die Schreibkunst, 64) (17b) (darauf,) anzuleiten 65) den, der auswendig [repe]tiert 66)? (17c) [Di]r obliegen Rechtsprechung und kunstvolle Rede!, (17d) sprach[… … … ] (18a) zu beraten / dem König(?) [ … ] (18b) [ … ] Unterdrück[te] / Unterdrück[ung … … (19-21) … … (21x-22) …]Haus 67) [ … (22a) [ … ] Lüge [ …

64. 65. 66. 67.

Die aramäische Formulierung entspricht idiomatisch der in Jes 29,11(Qere). 12. Diese Bedeutung der aramäischen Wurzel dbr liegt hier näher als dbr = reden (Korrektur gegenüber Blum, FS Janowski). Vgl. u. a. ’tnnhw in Lak(6):1.3,12. by noch auf Frg. xii (a) mit roter Randlinie.

473

Erhard Blum

… (22x) …]

bring sie [nicht] in Not! sich ein Wid[der] 68) eines Lamms, (22z) so bringt [er es] zum Blöken (?) 69). (23a) Bemächtigt sich ein Mächtiger 70) des Er[blands von armen] Leuten, (23b) [so … …] (23x) Sein Arm soll verdorren! (23y) Bestechung ist in seiner H[an]d, [… (24a) … ] Frevler [ … … (24x) … ] ein(en) Bruder, (24y) und der klagt an. (24z) Werden wir nicht seine Hände verwünschen, ja verwünschen? [… (25x) … ] du/sie hast/hat/wurde verwünscht [ … ] Brot [ … (25y) … ] und daß sie Wurzeln schlagen. [… (26-28) … … (29a) … ] feindet an [ … … (30) … … (31a) … ] er wird essen (32-34) [ … … (35a) Seine Lippen] werden ein Lied flie[ßen] lassen (35b) und [seine] Zun[ge … … (36a) Seine Lippen] werden Tau fließen lassen, 71) (36b) und seine Zunge [ … … (37a) … ] (22y) Bemächtigt

68. 69. 70. 71.

474

Z. 22(x/y) (bis »Widder«) setzen den join mit Frg. xii (b) voraus. Hier ist die Anfügung von Frg. xii (f) vorausgesetzt (sehr tentativ). Im Aramäischen genau die Formulierung von 22(y), hier als Metapher. Zur Metaphorik vgl. das Bild in Dtn 32,2 (bezogen auf das lehrhafte Lied).

Texte aus Transjordanien und Idumäa

2. Zwei Weisheitstexte aus Marissa/Maresha

Ingo Kottsieper Während der Ausgrabungen in Marissa/Maresha wurden 1992/93 Bruchstücke zweier Krüge gefunden, die insgesamt mit sieben aramäischen Texten unterschiedlicher Gattungen beschriftet sind. Offenkundig liegen hier Krugscherben vor, die im Kontext der Schreiberausbildung mit Übungstexten versehen wurden. Auf Grund der Fundumstände und der Paläographie kann die Beschriftung in die hellenistische Zeit datiert werden, wobei sie wahrscheinlich an den Anfang des 2. Jh. v. Chr. gehört. Zwei (Nr. 1 und 4 nach der Zählung der editio princeps) dieser Texte gehören zum Bereich der Weisheit, was belegt, daß weisheitliche Texte Teil des Curriculums für die Ausbildung von Schreibern waren. Tinteninschriften auf Krugscherben – Fundort: Marissa/Maresha – Aufbewahrungsort: Israel Antiquities Authorities – Erstpublikation: E. Eshel / E. Puech / A. Kloner, Aramaic Scribal Exercises of the Hellenistic Period from Maresha: Bowls A and B, BASOR 345 (2007) 39-62.

A) Zwei Sprüche über die Einsicht (Nr. 4)

Text Nr. 4, der sich neben einem weiteren, sehr fragmentarischen Text mit unklarem Inhalt auf der Außenseite des Krugfragments B befindet, 72) ist vollständig erhalten und besteht aus zwei Sprucheinheiten, deren erste die Nützlichkeit der Einsicht zum Inhalt hat, während die zweite ihren bleibenden Wert und ihre Kraft betont. Beide Sprüche zeigen deutlich den Einfluß »kanaanäischer« Dialekte, 73) was dafür spricht, daß dieser kurze Weisheitstext auf eine ältere, nichtaramäische Tradition zurückgeht. hdienit 74) dem Leben, und ihre Wohnstätte ist für das Leben (bestimmt); ihr wird ihr Ertrag Bestand haben als etwas Gutes 75).

(1) __Einsicht (2) __mit

(3) __Alter (4) {ihr

72. 73.

74. 75. 76.

und Vollkommenheit eignen der Einsicht, Gut} 76) und ihre Kraft hört nicht auf.

Die Innenseite enthält zwei weitere Texte: einen Teil eines Heiratsvertrages und einen Text, dessen Gattung auf Grund seines fragmentarischen Zustandes unklar ist. Vgl. ˇsll »Beute« (im Sinne von »Ertrag« vgl. bes. Prov 31,11); 3n (moabitisch; vgl. hebr. 3yn), klh »Ende, Untergang« (hebr.). Ob die Quelle dieser »Kanaanismen« das Hebräische oder ein anderer (edomitischer?) Dialekt des palästinisch-jordanischen Raumes war, kann nicht entschieden werden. L. entweder bynh lhyyn, oder allenfalls bynh {h}y lhyyn. ˙ Oder »als ihr Gut«.˙ Der Schreiber hat tbh (»ihr Gut« oder schlicht »Gutes«) am Anfang der Zeile ausgestrichen. ˙

475

Ingo Kottsieper

B) Eine kasuistische Spruchsammlung (Nr. 1)

Der Text steht auf der Außenseite des Krugfragments A, das rechts davon noch Reste eines unklaren Textes, auf der Innenseite eine Art Abrechnung enthält. Unklar ist, ob Anfang und Ende erhalten sind oder wie viele Zeilen dort jeweils fehlen. Von den erhaltenen Zeilen liegen zudem nur die Anfänge vor, so daß die Interpretation der Sprüche nicht nur auf Grund der zum Teil kursiven und nicht immer gut erhaltenen Schrift an vielen Stellen unsicher bleiben muß. Deutlich ist aber, daß hier im wesentlichen eine Sammlung kasuistischer Sprüche vorliegt, die sowohl beschreibend (Wenn x, dann y) als auch als Mahnung (Wenn x, dann tue [nicht] y) formuliert sind. (1’) Selig

ist/seine Güter […]

(2’) Wenn

[hervorgeht(?)] das Wort aus dem M[und … ]

(3’) und

es wird [ausge]rissen

Böses. Wenn er sagt/sie sagen 77) [ … ] (4’) Wenn

Holz sich nützlich gebärdet 78), dann wird Feuer [es verzehren … ]. seine 79) Wurzeln feucht sein werd[en 80)… ] (6’) hat uns erwärmt. 81) Wenn das Haus kal[t ist 82) … ] (5’) Wenn

(7’) Wenn (8’) Wenn

77. 78.

79. 80. 81.

82. 83. 84. 85.

476

ein ausländisches Mädchen 83) provozierend auftritt, dann sollst du [ … ] du wegen ihr gefaßt wirst 84), wird erfassen [dich 85)… ]

L. y3mr[w?]; die ersten beiden Buchstaben dürften wie in yty3y (Z. 4’) als Ligatur von y und 3 zu erklären sein, die das y auf den ersten Blick wie ein n erscheinen läßt, so daß die editio princeps hier n3mr[ und in Z. 4’ ytn3y las. L. yty3y (vgl. Anm. 77); wörtlich »sich schön, passend macht«; der Sinn des Spruches dürfte gewesen sein, daß Holz, das sich als trockenes Feuerholz anbietet, dann auch verbrannt wird. Dies warnt davor, sich allzu sehr anderen anzudienen. Z. 5’ bietet dann möglicherweise die Antithese dazu, vgl. aber auch Anm. 81. Dem entsprechend beginnt am Ende der erhaltenen Zeile kaum ein neuer Kausativsatz (so die editio princeps), sondern der dort erhaltene Zeichenrest ist als rechter Abstrich eines (etwas zu tief angesetzten?) t und damit als Beginn des Prädikates zu »Feuer« zu interpretieren. Ansonsten wäre das Wort für Feuer allein als Apodosis aufzufassen: »Feuer!« im Sinne von »dann gibt es Feuer«. Entweder des in Z. 4’ genannten Holzes oder eines Gewächses, das dann im nicht mehr erhaltenen Teil der Zeile genannt wurde. Die Lesung ylh[wn] ist sehr unsicher. ˙ ˇshnn3; nicht »sind wir warm« (editio princeps), was als sˇhn3 erscheinen sollte. Möglich aber ˙ »unsere Heizung«. In der vorangehenden Zeile war˙vielleicht von einem Gehölz/Baum auch die Rede, der, weil er zunächst gut bewässert war, gut wuchs und so gutes Brennmaterial liefert. Damit wäre der weisheitliche Topos angesprochen, daß ein Ergebnis auch aus einem scheinbar völlig entgegengesetzten Anfang entstehen kann. Zur möglichen, aber nicht sicheren Lesung swn[n] (editio princeps) vgl. jüdisch-palästinisch aramäisch swnn »kalt, abgekühlt« LevR 28,2˙und jSchab 6d. ˙ Mädchen der Völkerschaften«. Wörtlich: »ein ttpsˇ = Gt von tps´. L. vielleicht t3hd[nk, Subjekt könnte ein feminines Wort für Scham oder Schande sein. Z. 7’-8’ warnt ˙davor, sich mit einem Mädchen, das (sexuell) provozierend auftritt, einzulas-

Texte aus Transjordanien und Idumäa (9’) Wenn

86.

du gefastet hast … 86) [ … ]

sen, auch wenn es nicht zur eigenen sozialen Gruppe oder Ethnie gehört. Dahinter steht wohl der Gedanke, daß ein solches Fehlverhalten mit einer Fremden in der eigenen Gruppe unbemerkt oder unbeachtet bleiben könnte, was der Spruch aber als eine falsche Hoffnung zurückweist. Editio princeps: »am Tag des Festes, dann nicht …« ist völlig unsicher.

477

VII. Griechische Texte aus Ägypten

Andrea Jördens Erzählungen von Göttern und Menschen in einer früheren, größeren Zeit, wie sie den üblichen Stoff von Mythen und Epen zu bilden pflegen, sind in den griechischen Papyri Ägyptens eher selten zu finden. Soweit es den griechischen Götterhimmel betrifft, wird man sie ohnehin eher der griechischen Literaturgeschichte zuordnen wollen; die ägyptische Götterwelt hingegen scheint der griechischen Bevölkerung weitgehend fremd geblieben und noch lange fast ausschließlich in ägyptischsprachigen, vor allem demotischen Texten behandelt worden zu sein. Wohl auch deswegen war einer der wenigen kosmogonischen Texte in griechischer Sprache fälschlicherweise der Kategorie »magisch« zugeschlagen worden, der trotz seines fragmentarischen Zustandes dennoch hier Aufnahme verdient (Nr. 1). In dem auf einem Londoner Papyrus überlieferten »Mythos vom Sonnenauge« war hingegen schon vor 100 Jahren die griechische Fassung einer ursprünglich demotischen Erzählung erkannt worden (Nr. 2). Um eine historische Figur rankt sich der »Traum des Nektanebos« (Nr. 3), wobei wir in diesem Fall die demotische Version erst allmählich zu greifen beginnen. Einen ganz eigenen Fall stellt die Erzählung vom Propheten Tinuphis mit ihren Verbindungen zur Weisheitslehre des Chascheschonqi wie des Ahiqar dar (Nr. 4). Neue Mythen bildeten sich schließlich um die neuen hellenisti˙ schen Götter wie Sarapis aus (Nr. 5). Die für das griechische Epos typische hexametrische Form ist indessen allein bei den sog. Sibyllinischen Orakeln anzutreffen, die historische Ereignisse mit Unheilsvisionen verbinden, wodurch zur Abwechslung nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft mythische Züge erhält (Nr. 6). In all diesen Texten wird Weisheit eher implizit vermittelt, zumal die erhaltene Passage der Tinuphis-Erzählung nichts dergleichen bietet. Explizite Weisheitslehren mag man stattdessen eher in Reflexionen über den rechten Umgang miteinander finden (Nr. 7). Besonderer Wertschätzung erfreute sich in Hellenismus und Kaiserzeit jedoch mehr und mehr die kleine Form, wie namentlich die zu dieser Zeit überaus beliebten Spruch- und Sprichwortsammlungen zeigen.1) Neben knappgefaßten Weisungen großer Autoritäten, wie sie aus den »Sprüchen der Sieben Weisen« geläufig sind und auch im griechisch-römischen Ägypten begegnen (Nr. 8), scheinen vor al1.

Zu einer strukturellen Analyse im Sprachvergleich jetzt bes. N. Lazaridis, Wisdom in Loose Form. The Language of Egyptian and Greek Proverbs in Collections of the Hellenistic and Roman Periods, Leiden / Boston 2007.

479

Andrea Jördens

lem die später unter dem Namen des Komödiendichters Menander geführten Sentenzensammlungen ein Tummelplatz für Lebensweisheiten aller Art geworden zu sein (Nr. 9).

1. Fragment eines kosmogonischen Textes Das heute in der Papyrussammlung der Universität Washington aufbewahrte Fragment unbekannter Herkunft, das inzwischen in das 2./1. Jh. v. Chr. datiert wird, wurde erstmals 1976 von Zola M. Packman ediert, 2) die auch die Neupublikation in P. Wash. Univ. II 74 besorgte. Die lange Zeit vorherrschende Deutung als magischer Text hatte auch zum Abdruck als Suppl. Mag. II 70 geführt, wiewohl schon früh auch ein kosmogonischer Zusammenhang erwogen worden war. Diese Interpretation wurde inzwischen von H.-J. Thissen nochmals bekräftigt, demzufolge vor allem die Erwähnung des Gottes Kneph auf einen der äußerst seltenen griechischen Zeugen für ägyptische Schöpfungsmythen schließen lasse. 3) Obwohl nur wenige Zeilenanfänge erhalten sind, sei dieser Text daher hier aufgenommen, zumal auch die frühe Zeitstellung Beachtung verdient. (1) …

auf Ägyptisch Kn[eph …,] (2) auf Griechisch aber groß[er] Schöpfer […] (3) und indem er zwei Stiere schuf, gleich [an Größe (?) …] (4) und ihrem Geschlecht nach männlich und [… 4)] (5) und indem er einen weiteren formte […] (6) dem Körper nach eine Schlange, die nicht […] hatte, (7) sondern an jeder Seite 5) [… (8) …] zwar von Menschen Köpf[e …] (9) von Nilgänsen Köpfe 6) […] (10) von goldfarbigen … 7) hatte […] (11) die von ihrem Aussehen […] (12) hatte zwar den Körper […, das] (13) Aussehen eines Falken […] (14) auf Ägyptisch […] (15) scharfsinnige Verdolmetsch[ungen (?) …

2.

3. 4.

5. 6. 7.

480

Z. M. Packman, Three Magical Texts from the Washington University Collection, BASP 13 (1976) 175-180, bes. 177 ff. Nr. 2; hiernach auch die Übersetzung von R. Kotansky, in: H. D. Betz, The Greek Magical Papyri in Translation, Including the Demotic Spells (GMP), Chicago / London 1986, 313 als PGM CXI, unter Aufnahme teilweise weitgehender Ergänzungsvorschläge; sehr viel zurückhaltender dagegen Suppl. Mag. II 70. H. J. Thissen, Kmffiy – ein verkannter Gott, ZPE 112 (1996) 153-160, bes. 159. Nach Thissen, ZPE 112 (1996) 159 zu beziehen auf die beiden als Stiere dargestellten Götter Amun und Month, die, von Kneph geschaffen, dann auch mit ihm gleichgesetzt werden konnten. Für eine Ergänzung »und ih[rer Farbe nach schwarz]« M. Totti, Komm. zu P. Wash. Univ. II 74. Oder »an jedem Ende«; für eine Ergänzung »die nicht [nur einen Kopf] hatte, sondern an jedem Ende zwei Köpfe« Totti, ebda. im Komm. zu Z. 6 bzw. 7. Nach Thissen, ZPE 112 (1996) 159 möglicherweise zu beziehen auf den auch als Nilgans dargestellten Gott Amun. Von dem zugehörigen Substantiv ist allein die Endung erhalten, die dem Komm. zu P. Wash. Univ. II 74, 9-10 nach zu »Flügeln« (so auch in Suppl. Mag. II 70) oder »Gazellen« ergänzt wurde.

Griechische Texte aus Ägypten

2. Die griechische Fassung des Mythos vom Sonnenauge Die 1893 erworbenen und als P. Lond. 274 in der Londoner British Library aufbewahrten Fragmente unbekannter Herkunft waren erstmals 1923 von Richard Reitzenstein bearbeitet worden, der darin die auch aus ägyptischen Quellen bekannte Erzählung von der erzürnten Göttin Tefnut und ihrer Rückkehr aus Nubien erkannte. 8) Während sich Reitzenstein bei seiner Publikation lediglich auf eine Transkription Wilhelm Crönerts stützen konnte, ohne je das Original zu Gesicht bekommen zu haben, vermochte Stephanie West bei ihrer 1969 vorgelegten und nunmehr maßgeblichen Neuedition sogar auch zuvor getrennte Bruchstücke wieder zusammenzufügen. 9) Die jetzt insgesamt sieben Fragmente wurden von ihr mit den Buchstaben A bis G durchgezählt, wobei Frg. A, C, E und F vom unteren, Frg. G vom oberen Rand der Rolle stammen. Lediglich das nunmehr größte Frg. D blieb über die – mit 34 cm leicht überdurchschnittliche – volle Höhe der Rolle bewahrt. Jede der Kolumnen bestand demnach aus rund 70 Zeilen, woran sich bei den sicher plazierbaren Fragmenten auch die Zeilenzählung orientiert. In den 6,5 bis 7,5 cm breiten und entsprechend aus 20 bis 24 Buchstaben gebildeten Zeilen ist die Silbentrennung beachtet, ebenso eine sorgfältige Interpunktion. Die kleine und recht schöne Buchschrift wird in das spätere 2. oder das 3. Jh. n. Chr. gesetzt, womit der Text rund ein Jahrhundert nach den bislang bekannten demotischen Parallelen datiert. 10) Der Mythos selbst dürfte schon im Neuen Reich geläufig gewesen sein, wie Anspielungen in Tempeltexten und auch bildliche Darstellungen zeigen. Danach hatte sich die Tochter des Sonnengottes Re, Tefnut, sein Auge, im Zorn nach Nubien zurückgezogen. Ursprünglich waren offenbar ihr Bruder Schu und der weise Thot mit der Aufgabe betraut worden, sie wieder zur Rückkehr nach Ägypten zu bewegen. In den uns vorliegenden späteren Texten ist es nurmehr allein der als »kleiner Schakalsaffe« auftretende Thot-Hermes oder genauer sein Sohn, der die als »nubische Katze« dargestellte Göttin zur Heimkehr zu überreden sucht. Zu den von ihm dazu eingesetzten Überzeugungsstrategien zählen nicht nur verschiedenste Formen der Beschwichtigung, sondern auch eine Reihe von Tierfabeln, mit denen es ihm Tefnuts Sehnsucht

8. 9.

10.

R. Reitzenstein, Die griechische Tefnutlegende, SB HAW 1923/2. St. West, The Greek Version of the Legend of Tefnut, JEA 55 (1969) 161-183; der Text auch bei M. Totti, Ausgewählte Texte der Isis- und Sarapis-Religion, Hildesheim 1985, 168 ff. Nr. 76; mit spanischer Übersetzung und erstmals auch Abbildungen bei M. P. López Martínez / S. Torallas Tovar, La versión griega de la leyenda demótica del ojo del sol, Lucentum 23-24 (2004-2005) 185-195; vgl. auch bes. H.-J. Thissen, »Lost in Translation?« – »Von Übersetzungen und Übersetzern.«, in: H.-W. Fischer-Elfert / T. S. Richter (Hg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposion zu Ehren von Elke Blumenthal (ASAW 81/5, 2008-09), Stuttgart / Leipzig 2011, 126-163. Hierzu auch schon A. Loprieno, TUAT III.5, Gütersloh 1995, 1038-1076 mit der Wiedergabe nach dem von F. de Cenival, Le Mythe de l’Oeil du Soleil (Dem. Stud. 9), Sommerhausen 1988 neuedierten demotischen Hauptzeugen pLeid. dem. I 384 rto; eine neue Übersetzung unter Einschluß des in TUAT III.5, 1076 f. nur im Anhang beschriebenen pLille 31, der einige zusätzliche Passagen vom verlorenen Anfang der Komposition bietet, mitsamt dem Hinweis auf weitere noch unpublizierte Stücke jetzt bei J. F. Quack, Die Heimkehr der Göttin, in: F. Hoffmann / ders. (Hg.), Anthologie der demotischen Literatur, Münster 2007, 195-229.

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nach ihrem Heimatland Ägypten zu wecken gelingt. Gemeinsam machen sie sich schließlich auf den Weg, haben in Theben noch ein Zwischenabenteuer zu bestehen und werden am Ende in Memphis, wie allein aus der demotischen Fassung zu ersehen ist, vom Sonnengott mit höchsten Ehren empfangen. Berühmtheit hat diese überaus komplexe Komposition vor allem durch eben diese Fabeln erlangt, was ihre häufige Einordnung unter den literarischen Texten bzw. näherhin Tiergeschichten erklärt. Dennoch ist eine starke religiöse Komponente nicht zu bestreiten, die wohl sogar im Hintergrund dieses Mythos stand. Möglicherweise ist hier an die siebzigtägige Abwesenheit des auch theologisch bedeutsamen Sothis-Sirius vom ägyptischen Nachthimmel zu denken, dessen Wiedererscheinen am Morgenhorizont mit dem Fest der Wiederkehr des Lebens gefeiert wird. 11) Auch wenn dies hier, wie schon Reitzenstein bemängelte, nicht den »Hauptinhalt« darstellte,12) wird man seine Bedeutung kaum unterschätzen dürfen. Der für das Genre der Fabeln typische Verweis auf allgemeingültige Wahrheiten nähert den Text überdies zugleich auch den Weisheitstexten an. Vermehrte Aufmerksamkeit wurde in letzter Zeit besonders der Parallelüberlieferung zuteil, auch ist eine Neuedition in Aussicht gestellt. 13) Die hier gebotene Wiedergabe, die daher nur vorläufig sein kann, ist zu großen Teilen der kürzlich von Heinz-Josef Thissen angefertigten Synopse verpflichtet. 14) Frg. A: 19 cm hohes und 12,3 cm breites Bruchstück mit den unteren Teilen zweier Kolumnen, wobei von der zweiten nur etwas mehr als halb so viele Zeilen wie von der ersten bewahrt sind, diese jedoch teilweise sogar fast vollständig. 15) Der Text geht mit col. III, 23 bis V, 13 des Leidener Hauptzeugen für die demotische Fassung parallel; neu ist allerdings gegen Ende die liebevolle Ausmalung, was die Heimat für ein jedes Lebewesen bedeutet. (col. I, 27) Da

war Hermes [über(28) aus froh, es] schwor ihm die [Göttin] (29) die Eide, [die er verlang]te. Er aber [sagte: (30) »Bei] deiner schönen Erschei[nung, bei (31) deinem gr]oßratenden Verstan[d, bei (32) deinen lich]ttragenden Blicke[n! … (33) …] zu erken-

11. 12. 13.

14.

15.

482

Eingehend hierzu bes. J. F. Quack, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte III. Die demotische und gräko-ägyptische Literatur, 2. Aufl. Münster 2009, 128 ff., bes. 129 f. Vgl. allgem. Reitzenstein, Tefnutlegende, bes. 24. Zu ersterem M. Signoretti, A Tale of Two Tongues? The Myth of the Sun’s Eye and Its Greek Translation, in: T. Gagos (Hg.), Proc. XXV Intern. Congr. Pap. (Ann Arbor, 29. 7. – 4. 8. 2007), Ann Arbor 2010, 725-732 sowie bes. Thissen, Lost; vgl. auch L. Prada, For a New Edition of P. Lond. Lit. 192: Current Research on the Greek Version of the Myth of the Sun’s Eye, in: P. Schubert (Hg.), Actes XXVI Intern. Congr. Pap. (Genève, 16-21 août 2010), Genève 2012, 627-634 (hiernach auch die Maßangaben); allgem. auch J. Tait, Comparing Structures in the Greek Novel and Demotic Narrative, ebda. 739-745. Vgl. nur Thissen, Lost, bes. 144-163. Ergänzt sind außer den Klammern zur Kennzeichnung der Lücken ggf. auch dort fehlende Partien, da Thissen sich allein darauf beschränkt hatte, was »man sinnvollerweise dem demotischen Text gegenüberstellen kann« (144 Anm. *); kleinere Veränderungen betreffen sonst vor allem Umstellungen, die zur besseren Wiedergabe von Satzkonstruktion und Schriftbild vorgenommen wurden. Eine Abbildung bei López Martínez / Torallas Tovar, Lucentum 23-24 (2004-2005) 187.

Griechische Texte aus Ägypten

nen gesagt [… (34) …] seine […g]abe. 16) Die Häu[ser (35) werden geb]aut, damit sie bekl[eiden 17) (36) sei]ne Anmut. Der Nil [… (37) …] allen Vögeln m[it … (38) …] … Anmut [… (39) …] den Tag lang mit [… (40) …] die der Götter [… (41) …] 18) vollendet. Das Leben [ist (42) unter den] Arabern, ernäh[rt (43) … Troglo]dyten, selbst[… 19) (44) …] von allen, unbe[weg(45) lich, immer bleibe]nd. 20)« Als sie [aber das] hörte, (46) lachte sie [wiede]rum und sag[te: »… (47) …] mich, Schakalsaff[e, 21) … (48) …] Lösung zu finden für [… (49) …] rätselhaf[t… (50) …] anbind[en (?) 22) … (51) … .« Er aber sag]te: »Beim Schicksal! 23) [… (52) …] … dem Munde [… (53) … geknet]etes Brot ist es, [… (54) … M]ilch. Wahrlich, auch dies ist nah[r… .] 24) Ich habe dir geschworen, (56) [ich habe es] dir [gesagt]. Da du noch nicht mit (ihm) zusammen(57) [gekommen bist, so] schwöre mir beim (58) [Namen] deines Bruders Are(59) [snuphis 25)!] Wenn du mit mir [nach Äg]ypten kommst, werde ich dich nicht zu(61) [rückkeh]ren lassen in die[se] Länder. 26)« (62) [Sie] aber sagte zu ihm: »Stattdessen schwö(63) [re mi]r einen Eid 27) gemäß [… (64) … de]s Zeus. 28) Wenn du aber schwören läßt, (65) [… .« Er aber sagte:] »Herrin, 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.

23. 24.

25.

26. 27. 28.

Nach Reitzenstein, Tefnutlegende, 14 »Mit(33) nichten nämlich hast du] zu erkennen gesagt [die(34) se] seine Gabe.« So West, JEA 55 (1969) 162; dagegen Reitzenstein, Tefnutlegende, 14 sowie Thissen, Lost, 145 mit Anm. 51 »verb[ergen«. Nach Reitzenstein, Tefnutlegende, 14 »der Götter [Wohl(41) taten]«, nach West, JEA 55 (1969) 164 vielleicht »der Götter [Über(41) nahmen]«, mit Hinweis auf die im Laufe des Tages drehenden Winde nach der demotischen Fassung. Nach Parsons bei West, JEA 55 (1969) 164, Komm. zu Z. 43 vielleicht »allse[hend]«. Erwogen von West, JEA 55 (1969) 164, Komm. zu Z. 44-5. Hierzu jetzt L. Prada, Translating Monkeys between Demotic and Greek, or Why a Lynx Is Not Always a Wildcat: (luk)lugx = (wnsˇ-)kwf, ZPE 189 (2014) 111-114, womit alle früheren Überlegungen – vgl. etwa auch noch Thissen, Lost, 141 – hinfällig werden. Nach Reitzenstein, Tefnutlegende, 14 möglicherweise »(46) … sag[te: »Zu ma(47) chen versuch]t mich der Schakalsaff[e, da er nicht (48) (dazu) imstande ist, eine] Lösung zu finden für [die(49) ses Wort, das] rätselhaf[te, (50) das gesagt] ist bei der Sphin[x«, mit dem Kommentar »Rein griechischer Zusatz ist die scherzhafte Anspielung auf die Sage von Oedipus und der Sphinx« (27); abgelehnt jedoch von West, JEA 55 (1969) 164 f., Komm. zu Z. 47 ff. Eigentlich Anrufung der Schicksalsgöttin »bei Tyche«, hier anstelle des ägyptischen Gottes Schai-Psais (vgl. auch Thissen, Lost, 146 tw=y 2.wi (n) P -Sˇ y »ich bin in der Hand des Schicksals«), der üblicherweise mit dem Agathos Daimon gleichgesetzt wird. Nach Reitzenstein, Tefnutlegende, 14 möglicherweise »[Die(52) ses war mir] in dem Munde [süß. (53) Gut geknet]etes Brot ist es, [ja, (54) Brot, gut gekn]etetes. Wahrlich, auch dies ist nah[rhaft]«; nach West, JEA 55 (1969) 165, Komm. zu Z. 51 ff. so jedoch unbefriedigend, weswegen sie stattdessen in Z. 53 »frisch geknet]etes« und am Ende mit Barns »auch dies ist [deine] Nah[rung]« erwägt. Einer der Beinamen des Schu, der in der älteren Fassung des Mythos zusammen mit Thot ausgesandt wird, seine Schwester heimzuholen; so ergänzt bereits von Spiegelberg bei Reitzenstein, Tefnutlegende, 14 Anm. 4, vgl. auch 27 »Von ägyptischen Namen ist in dem erhaltenen Stück einzig ein Beiname des Gottes Schu beibehalten, vielleicht, weil der Verfasser einen entsprechenden griechischen Namen nicht finden konnte und durch eine irreführende Bezeichnung des Bruders nicht falsche Vorstellungen von der Göttin erwecken wollte, die er namenlos lassen mußte«; zustimmend zitiert auch von West, JEA 55 (1969) 165, Komm. zu Z. 58-9; Thissen, Lost, 134. So schon Reitzenstein, Tefnutlegende, 14 sowie Thissen, Lost, 146 f. Anm. 52 gegen die auf einer irrigen demotischen Lesung beruhende Ergänzung von West, JEA 55 (1969) 166, Komm. zu Z. 61 f. »in die Länder des (62) [Gottes«. Anders noch Thissen, Lost, 147, der dafür »Schwöre mir einen neuen Eid« übersetzt. Das von Reitzenstein, Tefnutlegende, 15 erwogene »gemäß d[em Na(64) men de]s Zeus« paßt

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Andrea Jördens (66) […]

Bruder

(69) [zusammen

(67) [… weiß] ich, daß du (?) nicht wider(68) [… .] 29) Groß ist (es), was mit dir aus der Pla]nung 30) Gottes (70) [… ent]standen (col. II, 1) [ist …

… (50) Zu

dieser (?) aber (sagte) Hermes: »He[rrin, …] (51) du hast dich selbst geprüft. [Ich will erzählen (?) 31)] (52) alles Vorangehe[nde, damit du] (53) weißt, daß die Lebewesen al[le nichts] (54) mehr lieben als den Ort, 32) in dem sie ent[standen sind]. In seinem eigenen V[aterland] (56) ist stark und geht es ihm gut und is[t gut in] (57) Fluß ein jedes. Damit also das, was ich sage, [ganz] (58) klar wird für dich, hö[re] (59) mir zu! Jeder Vogel ist da, wo er geb[oren] (60) ward, fett und fr[euet sich (?);] (61) jedes wilde Tier ist auf der eige[nen] (62) Weide wohlbeleibt; die Blumen – [wo] (63) sie entstanden ist auf der Erde, blüht eine jede [auf;] (64) in seinem eigenen Land ein (65) jedes (Lebewesen) freuet sich; die Wasserti[ere] (66) leben nicht in jedem Wasser, wie immer es [sei,] (67) auf Dauer […] zur See gehörig 33) … (68) … […] salzhaltig [oder] (69) sumpfar[tig …] auf welchem sie auch [… (70) e]rzeugt … 34) Frg. B: Unregelmäßig ausgerissenes Bruchstück von 14,6 cm Höhe und nur 4,5 cm Breite, das im oberen Teil noch die Zeilenanfänge bewahrt. 35) Obwohl selten mehr als zehn Buchstaben pro Zeile erhalten sind, läßt die Erwähnung von Weih und Wiedehopf auf die – auch in der demotischen Version nicht im Detail ausgeführte – Fabel von der Freundschaft zwischen Weih und Geierin schließen, die dort am Beginn von col. XII steht.

29. 30.

31. 32. 33. 34. 35.

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nicht zu dem am Ende der Zeile noch erkennbaren Alpha, weswegen Parsons bei West, JEA 55 (1969) 166 »gemäß [meinem Vater] Zeus« erwägt. Nach Reitzenstein, Tefnutlegende, 15 möglicherweise »(66) [da du ja mehr als üblich deinen] Bruder (67) [liebst, glaube] ich, daß du nicht wider(68) [rechtlich handeln wirst gegen ihn]«, wobei letzteres allerdings erneut für die Lücke zu breit sein dürfte. Die von Reitzenstein, Tefnutlegende, 15 nach der demotischen Parallele vorschlagene Ergänzung ¥x o§kon]omffla@ qeo‰ ist inzwischen allgemein anerkannt, wiewohl in unterschiedlicher Ausdeutung. Reitzenstein selbst übersetzte mit Spiegelberg, allerdings unsicher (da kursiv gesetzt, vgl. 15 Anm. 1) »Wink«, fügte als Absicherung »Wörtlich: auf einer Hand Gottes« (16 Anm. 2) hinzu und meinte darin einen Vorläufer des Sprachgebrauchs der Kirchenschriftsteller erkennen zu können (5 f.); ähnlich auch West, JEA 55 (1969) 166, Komm. zu Z. 58-9 »quasi-theological use of o§konomffla in the sense of ›providence, divine dispensation‹«. Nach Thissen, Lost, 138 ist allerdings der geringere Abstraktionsgrad der demotischen Formulierung »Groß ist der, der auf (= durch das Wirken) einer Gotteshand mit dir hervorgegangen ist« zu beachten, der vielmehr »von der Zeugung des Schu durch Masturbation Re-Atums spricht«, ohne daß dies freilich die Ergänzung o§konomffla infrage stellen müsse; denn »dieses Wort bezeichnet ja geradezu den göttlichen Heilsplan«. So mit West, JEA 55 (1969) 167, Komm. zu Z. 51 ff., während Thissen, Lost, 148 entgegen Spiegelberg und auch de Cenival, Mythe, 13 »ich habe erzählt?« bietet. Auch paläographisch weniger überzeugend Reitzenstein, Tefnutlegende, 16 »daß alle [Lebewesen] gänz[lich] (54) überaus lieben den Ort«. So mit West, JEA 55 (1969) 167; vielleicht auch »ohne Hafen«. Nach Reitzenstein, Tefnutlegende, 16 möglicherweise »einem salzhaltig[en oder] (69) sumpfar[tigen (Ort) nu]r, auf welchem sie auch [gemeinsam (70) e]rzeugt [wurden; u]nd allen …«. Eine Abbildung bei López Martínez / Torallas Tovar, Lucentum 23-24 (2004-2005) 188.

Griechische Texte aus Ägypten

… (3) Hals […] (4) Seite […] (9) offenbar […] (10) und wußte nicht [… nach Ä](11) gypten […] (13) [Va]terland […] (14) deiner (?) Orte lieb[…] 36) (15) du sagst hinzuzukom[men … Gib] (16) acht, ich werde dir [eine Fabel] erzählen. [… Den] (17) anstehenden Heim[… 37)] (18) … ein Weih [… (19) un]d ein Wiedehopf [gesellte sich zu] ihnen. (20) [… I]ch weiß, [daß … (21) …] des Mythos [… (24) …] Er ab[er] war im Begriff, [… (28) …] seiner [… (29) … mit] Feuer [… (30) … ihre A]uge[n 38) … Frg. C: 11 cm hohes und 6,2 cm breites Bruchstück, dessen unteres Drittel ein Freirand einnimmt. 39) Den wenigen sicheren Stichworten zufolge, die die geringe Textmenge bereitstellt, sollte dies den – im Demotischen um einiges ausführlicheren – Partien in col. XII, 21 bis col. XIII, 1 des Leidener Hauptzeugen entsprechen. 40) Darin verwandelt sich die aufgebrachte Göttin zwischenzeitlich in ein furchterregendes Ungeheuer, das von dem erschrockenen »kleinen Schakalsaffen« nur mit größten Anstrengungen wieder besänftigt werden kann. … (55) … St]aubwolk[e … (56) … ver]mochte [nicht (?) 41) … (57) … der ei]genen 42) [ … w]eder [ … (63) … d]ie Füß[e … (66) …]… kämpf[… (67) …] Nur mit Mühe wagte [er (es) und sagte: (68) »Ich habe] dich gesehen, Göttin, ich habe dich gesehen, [Göttin, (69) dich habe] ich gekleidet gesehen [… (70) … we]intrunken, 43) … (60) …

Frg. D: Das nach der erfolgreichen Zusammenfügung 34 cm hohe und 16,1 cm breite Fragment ist das einzige, das zumindest partiell zwei vollständige Kolumnen bietet und damit einen Gesamteindruck von der ursprünglichen Rolle vermitteln kann, wenngleich der Textbestand auch hier aufgrund größerer Ausbrüche lückenhaft ist. 44) In der demotischen Version aus Leiden entspricht dies im wesentlichen col. XIV, 15 bis col. XVI, 25, 45) setzt also mit der Fabel von den beiden Geierinnen ein, die das Sehen und das Hören verkörpern und dadurch in vollkommener Kenntnis über das gesamte Leben auf der Welt sind. Das von ihnen beobachtete Prinzip des Fressen-und-Gefressenwerdens läßt sie zur Einsicht in den Kreislauf des Lebens ge-

36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43.

44. 45.

Mit West, JEA 55 (1969) 169, Komm. zu Z. 14. Nach Thissen, Lost, 149 »Zu den befreundeten«. Mit West, JEA 55 (1969) 168, Komm. zu Z. 29 f. möglicherweise »mit] Feuer flam(30) mend ihre A]uge[n«. Eine Abbildung bei López Martínez / Torallas Tovar, Lucentum 23-24 (2004-2005) 188. Vgl. Thissen, Lost, 149 Anm. 55: »Hier ist also vieles verkürzt worden.« Erwogen von West, JEA 55 (1969) 170, Komm. zu Z. 56. Vgl. West, JEA 55 (1969) 170, Komm. zu Z. 57. Nach West, JEA 55 (1969) 170, Komm. zu Z. 70 hiernach möglicherweise »Sachmi« als Anrede der Göttin, was abgesehen von der sehr unsicheren Lesung der letzten beiden Buchstaben allerdings auch das vorherrschende Prinzip der gräzisierten Götternamen durchbräche; daher vielleicht doch eher »dei[ne«. Eine Abbildung bei López Martínez / Torallas Tovar, Lucentum 23-24 (2004-2005) 190. Eine weitere demotische Fassung dieser Fabel liegt vor in dem heute in Oxford aufbewahrten P. Tebt. Tait 8; vgl. bereits die Erstpublikation von W. J. Tait, A Duplicate Version of the Demotic Kufi Text, AcOr 36 (1974) 23-37 sowie den ausführlichen Kommentar in ders., The Fable of Sight and Hearing in the Demotic Tefnut Legend in the Demotic Kufi Text, AcOr 37 (1976) 27-44.

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langen und mündet endlich in ein Tötungsverbot, da der allsehende Helios-Re-Zeus Vergeltung üben wird selbst für die Vernichtung eines Eies. Die Erinnerung an den Tod, von dem die »nubische Katze« als Tochter des Sonnengottes ausgenommen bleibt, und an ihren Vater, der damit als als Schützer und Rächer der Schwachen erscheint, leitet endlich den Umschwung ein. Die »nubische Katze« zeigt sich versöhnt, sichert dem »kleinen Schakalsaffen« Schonung zu und entschließt sich zur Rückkehr. Die hierauf folgende Fabel von den beiden Schakalen und ihrer Begegnung mit dem Löwen dient als weitere Illustration, wie es durch Klugheit auch dem Schwächeren gelingen kann, einen sehr viel Mächtigeren zu besiegen. (col. I, 1) [Der

Adler 46)] flog mit [der S]chlange aufs Meer hinunter. Wenn auch [… (3) …] mehr als ich 47) [… (4) …]… mich 48) und das in der Tiefe (5) [sieh]st, 49) wie du sagst – [was] ist der Schlan(6) [ge und d]em Adler in dem Meer (7) [gesch]ehen? Da spra[ch aber] der Seh(vogel) 50): (8) [»Wahr sp]richst du; was immer [du ge]sagt hast, (9) [alles i]st (so). 51) De[n Adler] und (10) [die Schlang]e verschla[ng i]m (11) [Meer ein F]isch; [es verschl]ang (12) [aber ihn die Meeräs]che 52) [… (14) … den F]isch [… (15) …] bei(16) [de …] Fliege (17) […] das Land (18) … 53) (22) […] offen[bar (?) … (23) …] Geb[irge (?) … (24) … kam]en herab [… (25) …] zu ih[m (?) … (26) …]mäßig, sagte [… (27) …] »Offenbar ist [es (28) …] einfach [… 54) (29) …] diese[ 55) … (31) …] und dazu[ … (32) …] ebenso [… (33) … d]es Löwen [ … (35) … .« Es sagte ab]er der Hör(vogel) 56): »Wahr sprichst (36) [du; der Greif ist des T]odes Ab(37) [bild; es wird behüt]et 57) alles Seiende; (38) […] alles [… (39) …] wird [als Vergeltung] wohlgetan 58) von einem an(40) [deren …] ist von (?) einem Ad(41) [ler …] feuerschnaubend (42) […] befiedert (43) […] im Maul (44) […] einer Schlange Schup(45) [pen. 59) Ähnlich 60) ab]er ihm ist der Tod (46) alles [Seienden (?)] 46. 47. 48. 49. 50.

51. 52. 53.

54. 55. 56. 57. 58. 59. 60.

486

Zu den verschiedenen Übersetzungsvarianten von nsˇr bzw. ⁄et@ Tait, AcOr 36 (1974) 33. Nach Reitzenstein, Tefnutlegende, 17 »Wenn auch [du wahr(3) nimmst] mehr als ich«. Nach West, JEA 55 (1969) 174, Komm. zu Z. 4 eher »mir [gegen]über« als das von Reitzenstein, Tefnutlegende, 17 vorgeschlagene »u]nd mich« . Mit Reitzenstein, Tefnutlegende, 17. Wörtlich »das Sehen«; so jedoch, offenbar mit Rücksicht auf die Kennzeichnung durch das Vogel-Determinativ und die feminine Endung im Demotischen, Thissen, Lost, 150 f. und bes. 134; vgl. auch Tait, AcOr 36 (1974) 29 f., Komm. zu Z. 2 sowie ders., AcOr 37 (1976) 41; Quack, Anthologie, 217 »die Geschichte von Seherin und Hörerin«. Mit Reitzenstein, Tefnutlegende, 17; nach West, JEA 55 (1969) 174 vielleicht auch »(9) [offenbar i]st (es)«. So nach dem Demotischen erwogen von Thissen, Lost, 151 mit Anm. 64. In diesem Bereich sind oft nur wenige Buchstaben erhalten, die keine Deutung mehr zulassen; auch ist der Abstand zwischen den Fragmenten und damit die Zeilenzählung unsicher. In Z. 18 f. mit West, JEA 55 (1969) 175 möglicherweise »We[nn du aber] gla[ubst, daß ich lüge«, wofür sie auf Z. 67 f. verweist. Nach West, JEA 55 (1969) 175, Komm. zu Z. 28 möglicherweise »nich]ts einfach au[f Erden«. Nach West, JEA 55 (1969) 175, Komm. zu Z. 29 möglicherweise »oh]ne diese[s«. Wörtlich: »das Hören«; vgl. auch Anm. 50. So nach col. XV, 1 f. des demotischen Hauptzeugen für Z. 36 f. Thissen, Lost, 151. Mit Parsons bei West, JEA 55 (1969) 175, Komm. zu Z. 39. Das von Reitzenstein, Tefnutlegende, 18 ergänzte »[er rächt aber] einer Schlange Tö(45) [tung« hat nach West, JEA 55 (1969) 175 f., Komm. zu Z. 44 f. keine Entsprechung im Demotischen, so daß es vielmehr um ein Detail des Greifenschwanzes gehen dürfte. Mit Thissen, Lost, 152; nach West, JEA 55 (1969) 176, Komm. zu Z. 45 eher »Zusammen mit«

Griechische Texte aus Ägypten

Herrscher (47) [auf der Erde], von der von dem L[ö(48) wen] 61) gepackten Maus (49) [bis hin zu]m Löwen, demgegenüber größer (50) [nichts] ist, auch nicht ein mächtige(51) [res] Vierfüßiges. Alles über(52) [blickt He]lios 62) und richtet (es), und nichts (53) bleibt ihm verborgen von dem Sei(54) enden oder dem auf der Erde Gesche(55) henden. Für Gutes und Böses (56) gibt er Vergeltung. Und nun (57) ich, Hochgeehrte, wenn ich auch vom Um(58) fang her dir so erscheine, (59) daß ich ein Schwacher bin und Bedeutungsloser, (60) blickt Zeus, wie er auf dich sieht, doch auch auf mich. In jedem Lebewesen (62) ist sein Geist, 63) und das im Inneren (63) des Eies – was es ist, weiß er. (64) Den, der das Ei aufgebro[chen] hat – wie (65) einem Mörder geht er ihm nach, der Mör(66) der aber ist auf ewig gekenn(67) zeichnet. Da[mit du aber ni]cht glaubst, daß ich (68) lüge, [sieh] die Klei(69) dung, wie sie gek[ennzeich]net ist. Gottlo(70) ses Blut 64) […] gänzlich (71) der G[estorbenen (?) …] wag(col. II, 1) te er aus den du[rch]näßt[en] (2) Steinen. Indem sie nach dem Tode nach [Knochen 65)] (3) forschen – ihre ewig[en] Um[hüllungen] 66) (4) kennzeichnen sie. Was die Lebenden e[nt](5) hüllt – wenn sie sterben, verble[ibt] (6) es (bei) ihnen. Der Götter hund Menscheni Kleidung 67) (7) ist gekennzeichnet, damit in dessen Wis[sen Göt](8) ter und Menschen sich freu[en,] (9) daß Zeus allen auf dem Fuße (10) ist, die auch nur i[m ge]ring[sten] (11) gefehlt haben, da sie erken[nen], (12) daß er des Mordes Fleck nie[mals ab](13) löst; sondern beim Lebenden […], (14) beim Toten aber ver[ble]ibt [er] (15) ewiglich, und es schicken sich a[n al](16) le 68), dasselbe auszuführen. 69) [Ich] (17) weiß, daß unsterblich 70) dein Name (ist) (18) und du auch nicht der Schrecklichkeit unterli[egst] (19) deines eigenen Endes 71) [… (20) …] er[ken]ne ich [… .«

61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71.

oder »Zugleich mit«; anders dagegen hier wie auch im folgenden Reitzenstein, Tefnutlegende, 18, was jedoch kaum das Richtige trifft. So Reitzenstein, Tefnutlegende, 18 sowie Thissen, Lost, 152; nach Barns bei West, JEA 55 (1969) 176, Komm. zu Z. 47 dagegen möglicherweise »von der E[i(48) dechse]«. Wie schon Reitzenstein, Tefnutlegende, 27 notierte, ist der oberste der Götter und Tefnuts Vater Re »überall Zeus, nur einmal, wo eine allbekannte Homerstelle den Übersetzer beeinflußt (… vgl. Il. 3, 177), Helios«. Wörtlich »sein Pneuma«, so für die »Omnipräsenz von Re, im demotischen Text durch ›Geruch‹ und ›Gehör‹ (beides pluralisch) beschrieben«: Thissen, Lost, 137. Gegenüber der von Reitzenstein, Tefnutlegende, 18 ergänzten und von Thissen, Lost, 154 Anm. 70 übernommenen Pluralform zurückhaltend West, JEA 55 (1969) 176, Komm. zu Z. 169 ff. So nach dem Demotischen West, JEA 55 (1969) 176, Komm. zu Z. 2 ff., zumal die Ergänzung von Reitzenstein, Tefnutlegende, 18 zu kurz ist. So mit West, JEA 55 (1969) 176, Komm. zu Z. 3 gegen das noch von Reitzenstein, Tefnutlegende, 18 hergestellte »Aus[zeichnungen]«. So mit West, JEA 55 (1969) 176, Komm. zu Z. 6, da es auf jeden Fall einer Ergänzung bedarf; nach Reitzenstein, Tefnutlegende, 18 »hEbenso auch deri Götter Kleidung«. Mit Reitzenstein, Tefnutlegende, 18. Nach West, JEA 55 (1969) 176, Komm. zu Z. 16 vermutlich im Sinne von »Rache zu nehmen«. Dem Demotischen zufolge »die Katze«, was sich nach Thissen, Lost, 138 angesichts der im Koptisch-Sahidischen im Fall einer Metathese gegebenen Verwechslungsmöglichkeit als Mißverständnis des Übersetzers erklären lassen könnte. Gegen die von Reitzenstein, Tefnutlegende, 18 erwogene Rekonstruktion, wonach zudem mit einer größeren Lücke bis zum folgenden Fragment zu rechnen sei, West, JEA 55 (1969) 177, Komm. zu Z. 18 f. Vielmehr überlappen sich beide Fragmente, wobei die Zeilenenden von Z. 23-29 auf dem oberen, die Zeilenanfänge auf dem unteren Fragment stehen. Damit erübrigen sich freilich auch die noch von Reitzenstein, Tefnutlegende, 18 hierfür – nach seiner Zählung Kol. VII b, 34-40 – vorschlagenen Ergänzungen.

487

Andrea Jördens (23) …]

sagte [ihm (?): »Fasse] Mut! 72) Nicht (24) werde ich dich töt[en und auch nicht es] zu tun einem ande(25) ren auftrag[en. Fern]ab 73) nämli[ch von] (26) mir ist es, [Unrechtes] aufzuschrei(27) ben, Gut[es aber] werde ich lieber, [vie](28) les, tun; einer W[ohlta]t statt eines Un[rechts] (29) Zeuge bin ich. Wie aber soll ich dazu, dir Unr[echt] (30) zu tun, gebracht [werden? …] (31) Du hast mich vom Leid be[fre]it, […] (32) meine Trauer [weggenommen (?) … (33) … hast] (34) du gefüllt.« 74) …[…] (35) nach Ägypten. [Als (das) aber] hör[te der] (36) Gott, [lief er] heiter vor (37) ihr [her]. Sie aber freut sich, so da[ß Hermes] (38) fo[lgen]des 75) sagte: »Herr[in, eben dieser] (39) Weg f[ührt] nach Ägypten; [wenn du aber] (40) den Weg nimmst, werde ich in zwanzig T[agen über die Ber](41) ge dich ihn vollenden las[sen.« 76) Sie aber lach](42) te [und sag]te: »War[um hast du mir (43) das nicht schon früher ge]sa[gt?« 77) … (44) … Was (45) den beiden Schakalen] gescha[h: Diese (46) lebten 78)] nämlich im Ge[birge …] (47) … Ein[tra]cht […] (48) war aber mit dem anderen versöhn[t, und] (49) sie ließen nicht voneinander ab, [aber zu] (50) zweit – allezeit einand[er unzertrenn](51) lich waren sie, indem sie gemeinsam [aßen und] (52) zugleich tranken. Als d[iese bei einem] (53) Wüstenbau[m lager](54) ten, sahen sie einen Lö[we]n, im Über(55) maß riesig, wie er auf sie (56) zukam. Sie standen auf und (57) flohen nicht, sondern blieben stehen. Aber der (58) Löwe sagte ihne[n: »Näherkom](59) men [saht ihr (?)] mich – siehe, ich (60) suchte, was sich au[f die] Jagd (61) (bezieht); da ich kam, […] (62) saht ihr vo[…] zu, wie ich (da) kam (63) im Lauf, 79) habt ihr beobachtet; (64) was habt ihr gedacht, daß ihr stehen bliebt und nicht geflo(65) hen seid?« Die aber sagten zitternd: (66) »Wahr sprichst du; als wir (dich) sahen, [haben wir unter](67) einander überle[gt, daß, wenn] (68) wir fliehen, wir ergrif[fen werden würden.] (69) Viel be[sser] also [ist es,] …« Frg. E: 9,3 cm hohes und 14 cm breites Bruchstück mit den Resten dreier Kolumnen, das wie Frg. C vom unteren Rand stammt, nur daß hier fast die Hälfte des Papyrus unbeschrieben ist. 80) Die geringen Spuren der ersten Kolumne sind nicht mehr identifizierbar, von der zweiten ist lediglich die letzte Zeile weitgehend erhalten, und auch die dritte weist keinen zusammenhängenden Text mehr auf. Die allein rekonstruierbare mittlere Kolumne entspricht col. XVII, 33 bis XVIII, 3 der demotischen 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79.

80.

488

Vorsichtig erwogen von West, JEA 55 (1969) 177, Komm. zu Z. 23. Erwogen von West, JEA 55 (1969) 177, Komm. zu Z. 25. Die im demotischen Hauptzeugen hierauf folgenden col. XV, 33 bis col. XVI, 8 mit weiteren Überlegungen der Tefnut haben im Griechischen keine Entsprechung. So mit West, JEA 55 (1969) 177, Komm. zu Z. 37/8. So mit West, JEA 55 (1969) 177, Komm. zu Z. 41 gegen das von Reitzenstein, Tefnutlegende, 18 unter anderer Worttrennung hergestellte »[denn wenn du] (40) den Weg nimmst zwanzig T[age in den Ber](41) gen, wirst du ihn vollenden bis da[heim.« Mit Reitzenstein, Tefnutlegende, 18 f. Die folgende Einleitung zur Schakal-Erzählung muß im Griechischen deutlich knapper gewesen sein als in der demotischen Fassung. Z. 45 f. mit Reitzenstein, Tefnutlegende, 19. Nach Reitzenstein, Tefnutlegende, 19 »da ich kam, [kümm]erte es [euch nicht,] (62) ihr saht vo[llen Mutes] zu, wie ich (da) kam (63) im Lauf«; nach West, JEA 55 (1969) 178, Komm. zu Z. 58 ff. möglicherweise »da ich [nähe]r (oder: [von fern]e) kam, (62) saht ihr vo[rher] zu, wie ich (da) kam (63) im Lauf (oder: (62) saht ihr zu, wie ich (da) kam in vo[reiligem] (63) Lauf)«. Eine Abbildung bei López Martínez / Torallas Tovar, Lucentum 23-24 (2004-2005) 191.

Griechische Texte aus Ägypten

Fassung und ist damit Teil der Fabel von dem Löwen, der im Konflikt mit dem Menschen, vor dessen überlegener Macht ihn andere starke und große Tiere warnen, ausgerechnet von der kleinen Maus gerettet wird, was erneut das schon vorher thematisierte Verhältnis zwischen dem Schwachen und dem Mächtigen aufnimmt. (col. II, 60) […]

und [… einen (61) ande]ren [Löwen, der] von [einem Wüsten]ho[lz darwar und nicht [ver]moch(63) [te, eine Befreiu]ng 82) zuwege zu (64) [er fragte ihn: 83) »W]arum ist auch dir (65) [das Übel geschehen? Wer bringen; und hat dich s]o darnieder(66) [liegen lassen?« 84)] Der andere Löwe aber (67) [sagte: »Ein Me]nsch! Auch du selbst, (68) [vor dem Men]schen hüte dich; (69) vor der Art auch du selbst schüt(70) ze dich; ein pestartiges 85) Lebewesen ist es!« nieder(62) gehal]ten 81)

(col. III, 68) … (69) Gott,

[der al]lesüberschau[ende und aller](70) größte und die Son[ne …

Frg. F: Obwohl die Maße des 9,5 cm hohen und 11,8 cm breiten Bruchstücks geringer sind als diejenigen von Frg. E, enthalten sie insgesamt deutlich mehr Text. 86) Zwar befindet sich darauf erneut ein Freirand, auch sind von einer ersten Kolumne erneut nur wenige Buchstaben vorhanden, doch blieben die erhaltenen Zeilen der zweiten Kolumne größtenteils über die gesamte Breite bewahrt. Die Erwähnung der Dattelpalme in der ersten Kolumne gehört zu den offenbar bewußt retardierenden Momenten auf dem Heimweg, da der »kleine Schakalsaffe« immer wieder auf bestimmte Bäume springt, sich an deren Früchten gütlich tut – in col. XIX, 11 bis 22 der demotischen Version eben der Dattelpalme – und nur mit Mühe von der Göttin zum Weiterziehen bewogen werden kann, womit zugleich die bisherige Konstellation auf den Kopf gestellt erscheint. Die zweite Kolumne entspricht bereits der in col. XXI, 8 bis 15 überlieferten Verwandlung der »nubischen Katze« in eine Gazelle, die von Thot-Hermes während einer Rast bei Theben vor den Jägern errettet wird, so daß diese in der demotischen Version weitaus ausführlicheren Partien hier stark gekürzt sein müssen. Eine Erweiterung ist wiederum darin zu sehen, daß sich in der griechischen Fassung auch Thot-Hermes einer Verwandlung unterzieht, und zwar von dem sonst nirgends belegten »Schakalsaffen« in einen offenbar normalen Affen. (col. I, 61) […

Dattel

Da sprach die G]öttin: »[Komm] herun(62) [ter! 87) … ] Dat(63) [tel … (65) …] aus Da]tteln (67) […] ist es. … (69) […] wollen (70) […] sagte …

(66) […

(col. II, 58) Sie

ging aber [über … zu einer Gazel](59) le Charakter; es verwan[delte sich aber hauch der Gotti,] (60) und nicht mehr als Schakalsaffe, so[ndern] (61) als Affe war er zu sehen. Als sich aber die Göttin ausruhte gegen(63) über von Diospolis, stand von 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87.

Mit West, JEA 55 (1969) 179, Komm. zu Z. 61/2. Erwogen von West, JEA 55 (1969) 179, Komm. zu Z. 63. Mit Reitzenstein, Tefnutlegende, 22. Mit Reitzenstein, Tefnutlegende, 22. So gegen die von Reitzenstein, Tefnutlegende, 22 angeführte Konjektur Crönerts »vernunftbegabtes« schon West, JEA 55 (1969) 179, Komm. zu Z. 70 sowie Thissen, Lost, 137. Eine Abbildung bei López Martínez / Torallas Tovar, Lucentum 23-24 (2004-2005) 192. Mit West, JEA 55 (1969) 181, Komm. zu Z. 61.

489

Andrea Jördens

Gottlosen eine Hor(64) de plötzlich auf, und als eine Ga(65) zelle wollten sie sie schon jagen. (66) Die aber weckte der Affe auf, und er sprang (67) in die Fähre hinein und legte (68) an 88), als aber sie hineingesprun(69) gen war, legte er ab 89) und rettete (70) (sie); in der Fähre aber … Frg. G: 5,5 cm hohes und 6,5 cm breites Bruchstück vom oberen Rand, 90) das aufgrund des Freirandes bzw. Interkolumniums größtenteils unbeschrieben und daher auch nicht mehr sicher einzuordnen ist. 91) (col. I, 1) […]

nach Ägy(2) [pten … 92) geführt […] (2) nahrhafter […] (3) dir und […](4) um[…

(col. II, 1) besser

3. Der sog. Traum des Nektanebos oder Die Prophezeiung des Petesis Zu den frühesten Funden griechischer Papyri aus Ägypten gehören die Hinterlassenschaften des Ptolemaios, Sohn des Glaukias, der sich während seiner Zeit als »Katochos« im Serapeum von Memphis große Verdienste um die bekannten »Zwillinge« erwarb. 93) Von der Hand seines jüngeren, in der Orthographie nicht immer sicheren Bruders Apollonios, der im Sommer 158 v. Chr. ebenfalls dort lebte, stammt die griechische Abschrift des sog. Traumes des Nektanebos, die seit 1830 in Leiden liegt. Der 1843 von C. Leemans herausgegebene Text wurde 1927 von Ulrich Wilcken als UPZ I 81 neu publiziert und zuletzt noch einmal von Ludwig Koenen bearbeitet, der besonderen Nachdruck auf den Prosarhythmus legte. 94) Daß der Text mitten im Satz abbricht und nur noch eine Zeichnung folgt, bestätigt den informellen Charakter 88. 89. 90. 91.

92. 93. 94.

490

Und zwar längs des Ufers, anders als im folgenden. Im Papyrus irrigerweise »legte er an«, hier quer zum Ufer. Eine Abbildung bei López Martínez / Torallas Tovar, Lucentum 23-24 (2004-2005) 193. Entgegen Reitzenstein, Tefnutlegende, 6 f., der dieses Fragment noch am Anfang der Erzählung als »Kol. I (fr. 1a)« und »Kol. II (fr. 1b)« eingeordnet hatte, ließe sich das Stichwort »nahrhafter« in col. II, 2 nach West, JEA 55 (1969) 182 gut zu den in Frg. F col. I erwähnten Dattelpalmen stellen. Demnach könnten beide Bruchstücke zu derselben Kolumne gehören – Frg. F als Fuß, Frg. G als Kopf –, doch ist dies kaum zu erhärten. Nach Reitzenstein, Tefnutlegende, 14 »(col. I, 1) […] Nach Ägy(2) [pten – wenn ich mit dir komme] – nicht (3) [werde ich mich zurückwenden«. Vgl. hierzu bereits TUAT.NF 4 Kap. IV, 373 ff. Nr. 4.9 sowie TUAT.NF 5 Kap. V, 326 f. Nr. 5.1. Vgl. nur L. Koenen, The Dream of Nektanebos, BASP 22 (1985) 171-194; weitere Abdrucke bei U. Wilcken, Der Traum des Königs Nektonabos, in: Mélanges Nicole, Genève 1905, 579596; G. Manteuffel, De opusculis Graecis Aegypti e papyris, ostracis lapidibusque collectis, Warszawa 1930, 112-116 Nr. 10; M. P. López Martínez, Fragmentos papiráceos de novela griega, Alicante 1998, 20 ff. Nr. I. Neuere kommentierte Übersetzungen bieten J.-D. Gauger, Der »Traum des Nektanebos« – die griechische Fassung –, in: A. Blasius / B. U. Schipper (Hg.), Apokalyptik und Ägypten. Eine kritische Analyse der relevanten Texte aus dem griechischrömischen Ägypten, Leuven / Paris / Sterling 2002, 189-219; F. Hoffmann, Der Traum des Nektanebos, in: ders. / Quack, Anthologie, 162-165; Ph. Matthey, Récits grecs et égyptiens à propos de Nectanébo II: une réflexion sur l’historiographie égyptienne, in: N. Belayche / J.-D. Dubois (Hg.), L’oiseau et le poisson. Cohabitations religieuses dans les mondes grecs et romain, Paris 2011, 303-328. Auch bei R. Cribiore, Writing, Teachers, and Students in GreacoRoman Egypt (ASP 36), Atlanta, GA 1996, 230 f. Nr. 245.

Griechische Texte aus Ägypten

dieser Privatkopie. Auch daher war über die Frage einer möglichen Einbettung des »Traumes« in einen größeren Kontext lange Zeit nur zu spekulieren, bis vor kurzem in Kopenhagen aufgefundene Bruchstücke die schon seit langem bestehende Vermutung erhärteten, daß er ursprünglich wohl in demotischer Sprache verfaßt und vor allem Teil einer sehr viel umfangreicheren Erzählung war. 95) Im Mittelpunkt der griechischen Partien des »Traumes« steht der letzte einheimische König Ägyptens Nektanebos II., der offenbar schon früh zu einer quasi-mythischen Figur stilisiert wurde, ja im Roman sogar zum eigentlichen Vater Alexanders d. Gr. avancierte. In einer Traumvision erscheint ihm Isis mitsamt dem Götterrat, vor dem der sebennytische Gott Onuris Klage über die unvollendeten Arbeiten an seinem Heiligtum führt. Davon aufgeschreckt, beauftragt Nektanebos unverzüglich den Hieroglyphenschreiber Petesis mit der Ausführung der noch ausstehenden Arbeiten, die jedoch durch eine Verkettung unglücklicher Umstände offenbar nicht mehr zu einem Ende kamen. Da die bemerkenswert präzise Datierung auf das 16. Regierungsjahr des Nektanebos nach herkömmlicher Auffassung mit dem Beginn der Kampagne Artaxerxes’ III. gegen das Nilland zusammenfällt, lag eine Verbindung mit diesen für die weitere Geschichte Ägyptens so fatalen Ereignissen nahe, was nunmehr durch die demotischen Partien bestätigt erscheint. 96) (col. I, 1) 97)Von

Petesis, (2) dem Hieroglyphenschreiber, (3) gegenüber Nektonabos (4) dem König. 98) (col. II, 1) 16. Jahr, 21. auf den 22. Pharmuthi, (2) nach dem Gott, bei Vollmond. 99) Als Nektonabos, (3) der König, in Memphis weilte und ein Opfer (4) einst vollziehen wollte und die Götter bat, ihm das Bevorstehende zu offenbaren, schien (ihm) (6) im

95.

96.

97.

98. 99.

Hierzu erstmals K. Ryholt, A Demotic Version of Nektanebos’ Dream (P. Carlsberg 562), ZPE 122 (1998) 197-200; vgl. auch bes. ders., Nectanebo’s Dream or The Prophecy of Petesis, in: Blasius / Schipper (Hg.), Apokalyptik und Ägypten, 221-241, demzufolge die nachweislich unvollendeten Tempelinschriften von Sebennytos möglicherweise den Hintergrund hierzu bildeten (hierzu auch die Nachzeichnung bei Hoffmann, Anthologie, 163). Zu dem gesamten Komplex zuletzt erneut K. Ryholt, Narrative Literature from the Tebtunis Temple Library (The Carlsberg Papyri 10), Copenhagen 2012, 157 ff. Nr. 10 mit einer um ein weiteres Fragment ergänzten Neuedition der demotischen Fragmente. Vgl. außer den bereits genannten Arbeiten von Ryholt auch Matthey, Récits. Nur hingewiesen sei auf den Versuch von L. Depuydt, New Date for the Second Persian Conquest, End of Pharaonian and Manethonian Egypt: 340/39 B.C.E., JEH 3.2 (2010) 192-230, diese Ereignisse drei Jahre später als bisher üblich zu datieren. Die vorangehenden sieben Zeilen dürften zu einer früheren Beschriftung des Blattes gehören und sind daher ebenso wenig zum eigentlichen Text zu rechnen wie die unterhalb des »Titels« folgende Kritzelei, die offensichtlich den Namen des Hieroglyphenschreibers wiederaufnimmt; so zuletzt erneut Koenen, BASP 22 (1985) 176 Anm. 12. Ägyptisch Nht Hr n hbt, 3. König der 30. Dynastie, fälschlich auch Nektanebes II. Die Datie˙ ˙ rungsansätze˘ schwanken, vgl. auch oben Anm. 96; eingehend demnächst auch Ph. Matthey, phil. Diss. Genf. So mit Verweis auf den religiös begründeten Mondkalender; zur Umrechnung auf den 5./6. 7. 343 v. Chr. eingehend nochmals A. Spalinger, The Date of the Dream of Nectanebo, SAK 19 (1992) 295-304. Zu dem in einem demotischen Zeugen erwähnten 18. Jahr Hoffmann, Anthologie, 348 Anm. a sowie zuletzt Matthey, Récits, bes. 314, wobei nach Ryholt, Nectanebo’s Dream, 227 f. möglicherweise »simply a case of lapsus calami« vorliege.

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Traume ein Papyrusschiff, welches genannt wird (7) auf Ägyptisch Rho(m)ps, 100) anzulegen in Memphis. (8) Auf dem war ein großer Thron, und auf dem habe gesessen (9) die ruhmreiche Wohltäterin, der Feldfrüchte (10) Finderin 101) und der Götter Herrin Isis, und die (11) Götter in Ägypten, alle, standen bei ihr, (12) zur Rechten und zur Linken von ihr; einer aber (13) sei vorgetreten in die Mitte, von dem er annahm, 102) daß er sei … 103) (14) an Größe einundzwanzig Ellen – der angere(15) det wird auf Ägyptisch Onuris, auf Griechisch aber (16) Ares –; der sei auf seinen Bauch gefallen und habe gesagt: (17) »Komm zu mir, Göttin der Götter, die du größte Macht hast und über die Dinge im Weltall gebietest (19) und rettest alle Götter, Isis, erzeige dich gnädig und schenke mir Gehör. Wie du angeordnet hast, (21) habe ich immer das Land bewahrt, ohne Tadel; (col. III, 1) und während ich bis jetzt alle (2) Sorge habe zuteil werden lassen Nekton(3) abos, dem Sohn des Königs Samaus, 104) der von dir (4) eingesetzt wurde zur Herrschaft, hat er sich nicht gekümmert um (5) mein Heiligtum und ist von meinen Anordnun(6) gen abgefallen. Außerhalb des (7) eigenen Heiligtums bin ich, und die (Arbeiten) im Allerheiligsten (8) sind halbvollendet aufgrund der Schlechtigkeit des Vorstehers.« Die aber, der Götter (10) Herrin, als sie das zuvor Dargelegte hörte, (11) habe nichts geantwortet. Da er den Traum sah, (12) erwachte er (13) und ordnete an, in Eile abzusenden (14) nach Sebennytos (dem in der Landesmitte) 105) zu dem Hohepriester und (15) dem Propheten des Onuris. Als sie aber zum Hofe herbeikamen, (17) erfragte der König, (18) welches die noch ausstehenden Werke seien in dem (19) Allerheiligsten, dem sogenannten Phersos. 106) (20) Als sie aber antworteten: »Vollendung hat alles, außer (21) der Inschrift der hineingegrabenen (22) heiligen Buchstaben in den steinernen (23) Werken«, 107) (col. IV, 1) da ordnete er an, in Eile zu schreiben an die erstrangigen (2) Heiligtümer über Ägypten hin 100. So mit Verweis auf die Remes-Barke schon Wilcken, Traum, 587; vgl. auch Hoffmann, Anthologie, 162 Anm. 281. 101. So sicher richtig statt des im Papyrus irrtümlich wiederholten »Wohltäterin«, vgl. auch Koenen, BASP 22 (1985) 177 Anm. 23. 102. Im Papyrus wohl fehlerhaft »von dem ich annahm«; zurückhaltend allerdings Gauger, Traum, 198, der 195 »so schien’s mir (oder ihm?)« bietet. 103. Zu der Frage, ob die interlinear folgenden, bislang nicht befriedigend gedeuteten Buchstaben nachträglich und von zweiter Hand eingefügt wurden, zuletzt Koenen, BASP 22 (1985) 177 f. Anm. 30. 104. Nach Ryholt, ZPE 122 (1998) 199 sei dieser vermeintlich nicht mit dem historischen Sachverhalt zu vereinbarende und daher lange angezweifelte Name doch erklärlich; vgl. auch Hoffmann, Anthologie, 164 Anm. 282, der überdies auf einen bei Platon, Phaidros 274d2 erwähnten ägyptischen König Thamus verweist, was an eine ägyptische Geschichtstradition zu einem König solchen Namens denken lassen könne. Damit dürfte sich die von W. Clarysse, »De droom van Koning Nektanebo« op een griekse papyrus (U.P.Z. 81), in: K. R. Veenhof (Hg.), Schrijvend verleden, Documenten uit het Oude Nabije Oosten vertaald en toegelicht, Leiden / Zutphen 1983, 367-371, bes. 369 Anm. a erwogene Emendation zu »Nektonabos, dem König, der zugleich selbst von dir eingesetzt wurde« erübrigen, die trotz gewisser Vorbehalte auch noch von Koenen, BASP 22 (1985) 179 Anm. 43 übernommen wurde. 105. Das heutige Samannu¯d im östlichen Delta, wo sich tatsächlich ein Tempel des Schu-Onuris befand, vgl. bereits oben Anm. 95. 106. Nach Clarysse, Droom, 369, Komm. zu Z. 6 wohl zu erklären als Pr-Sˇw »Haus des Schu«, mit dem Onuris gleichgesetzt wurde; so nach Wilcken, Traum, 589 auch zu ergänzen in col. III, 7. 107. So nach Tilgung desselben Wortes am Ende der vorangehenden Zeile offenbar sekundär nachgetragen, vgl. bes. Koenen, BASP 22 (1985) 181 Anm. 65.

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nach den Hieroglyphenschreibern. (3) Als sie aber herbeikamen gemäß den Anordnun(4) gen, erfragte der König, wer unter ihnen sei (5) der Bestgeeignete, der imstande sei, ganz rasch zu vollen(6) den die noch ausstehenden Werke in dem Allerheiligsten, dem (7) sogenannten Phersos. Als diese der Reihe nach ge(8) fragt wurden, 108) trat einer von den Leuten 109) aus Aphroditopolis im (9) Aphroditopolites 110) mit dem Namen Petesis (10) – sein Vater aber war Herieus – auf und sagte, er sei imstande, (11) alle die Werke zu vollenden in wenigen 111) Tagen. (12) Ebenso aber auch von den anderen erfragte (es) (13) der König; die aber sagten, daß er Wahres spreche und es keinen (14) [ge]be im Lande von dieser Art, so sehr man auch suche. 112) Indem er daher die zuvor dargeleg(16) ten Werke ihm auftrug, (gab er ihm) 113) großen Lohn; zugleich (17) auch bat er ihn, daß er in wenigen Tagen (18) das Werk bis hinaus verfolge, wie er auch selbst (es gesagt hatte) 114) zu vollen(19) den, aufgrund des Willens des Gottes. Der Petesis aber (20) empfing viel Geld und ging fort nach Sebennytos, (21) und es schien ihm (gut), da er von Natur aus Weintrinker war, (22) sich zu zerstreuen, bevor er das Werk angreife. (col. V, 1) Da aber geschieht es ihm, da er herumging (2) in dem nach Süden gelegenen Teil des Heiligtums, daß er wahrnahm (3) Hathyrepse, die Tochter hdes …i, 115) welche die schönste war von Aussehen (4) an jenem (Ort) …

4. Die Erzählung vom Propheten Tinuphis Romanhafte Züge trägt auch die Erzählung vom Propheten Tinuphis auf einem Kopenhagener Papyrusfragment des 2. Jh. n. Chr., die 1981 von M. H. Haslam als P. Turner 8 vorgelegt wurde. 116) Eine Besonderheit stellt hierbei schon die ungewöhnliche Form des Prosimetrums dar, da der Prosatext in Z. 9-17 von iambischen Tetra108. So sicher dem Sinne nach, wenngleich die verwendete Form nicht eindeutig zuzuordnen ist, vgl. zuletzt Koenen, BASP 22 (1985) 181 Anm. 70. 109. So jetzt mit Koenen, BASP 22 (1985) 182, zu den früheren Lösungsvorschlägen der offenkundig verderbten Stelle bes. Anm. 72. 110. D. h. aus dem heutigen Atfı¯h, etwa 80 km südlich von Kairo. ˙ des unverständlichen hli im Papyrus. 111. So mit Bezug auf Z. 17 anstelle 112. So jedenfalls dem Sinne nach; bei der außerhalb juristischer Texte allein hier verwendeten Formel »mit welchem Vorwand (15) auch immer« (dazu H.-Ch. Düwel, Die pareÐresi@-Klausel in Urkunden des ptolemäischen und römischen Ägypten, München 1969, bes. 5) liegt offenkundig ein Irrtum vor. 113. Das vorausgehende t€xa@ a't† »indem er ihm auftrug« ist möglicherweise ⁄p koino‰ gesetzt und also auch auf das folgende misqo±@ meg€lou@ zu beziehen, d. h. »setzte ihm großen Lohn fest«; allerdings scheint das Prädikat ausgefallen, das Koenen, BASP 22 (1985) 182 Anm. 81 nach Leemans ergänzt, während Wilcken, UPZ I 81 eine bloße Lücke setzt. 114. Ergänzungsvorschläge für das erneut ausgefallene Prädikat bei Wilcken, UPZ I 81 im App. 115. So mit Clarysse, Droom, 369 Anm. c als griechische Fassung des Namens Hwt-Hr-sˇps, gegen ˙ ˙ das von Wilcken, Traum, 591 gelesene mureve (statt murevo‰) »eines Salbenkochs Tochter«. 116. Eingehend hierzu bes. A. Stramaglia, Prosimetria narrativa e »romanzo perduto«: PTurner 8 (con discussione e riedizione di PSI 151 [Pack2 2624] + PMil Vogliano 260), ZPE 91 (1992) 121-149 sowie R. Kussl, Achikar, Tinuphis und Äsop, in: N. Holzberg (Hg.), Der Äsop-Roman. Motivgeschichte und Erzählstruktur, Tübingen 1992, 23-30; Wiederabdrucke auch bei S. A. Stephens / J. J. Winkler, Ancient Greek Novels. The Fragments, Princeton 1995, 400408; López Martínez, Novela griega, 254 ff. Nr. XX.

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metern abgelöst wird, 117) die überdies in betonter Ekthesis stehen. Offenbar kommt ihnen die Funktion einer ethisch-moralischen Ausdeutung des Geschehens zu, wird doch der Fortlauf der Ereignisse zunächst unterbrochen, um auf das Wirken von Moira und Ananke in der Welt hinzuweisen. Durch sie wächst selbst Geringem oder gar Unwürdigem Bedeutung zu, wie denn auch die Rettung des – wohl zu unrecht – des Ehebruchs beschuldigten und zum Tode verurteilten Protagonisten Tinuphis allein einem einzigen Ziegel und einem pflichtvergessenen Henker zu danken ist. Denn dieser bringt Tinuphis an einem unzugänglichen Ort seines riesigen Hauses unter, wo aber ein vermutlich herausnehmbarer Ziegel seine Versorgung ermöglicht und ihn so am Leben erhält. Obwohl auf dem 18,5  17 cm großen, annähernd quadratischen Papyrusfragment insgesamt kaum mehr als 20 Zeilen des Textes erhalten blieben, liegen die engen Berührungen mit einer der Schlüsselstellen sowohl der Geschichte des Ahiqar wie auch ˙ einer ägypder Vita Aesopi auf der Hand. Nach Rolf Kussl haben wir es folglich mit tischen Variante dieser Weisheitslehren zu tun, die, dem Namen des mächtigen Gegners Magoas nach zu schließen, trotz des relativ späten Zeugen bereits perserzeitlichen Ursprungs sein mag. 118) … (4) unerträgliches [Gesch]ick. 119) »Und wer«, sagte er, »von den Sterblichen (5) weiß (es)? 120) Dieser, ihr Götter, der als des Königs Retter erschienen war – (6) [wegen einer Fra]u 121) wurde er verurteilt, einer Ehebrecherin.« … (7) … die Frau Ehebrecherin war. 122) (8) Prie[ster- …

117. Genauer noch von alternierenden akatalektischen und katalektischen iambischen Dimetern, vgl. M. L. West, Disjunction of Cola in Iambic Tetrameters, ZPE 45 (1982) 14-16. 118. So bes. Kussl, Achikar; zur Einordnung auch J. F. Quack, Zur Chronologie der demotischen Weisheitsliteratur, in: K. Ryholt (Hg.), Acts of the Seventh International Conference of Demotic Studies Copenhagen (23-27 August 1999), Copenhagen 2002, 329-342, bes. 340 f. mit dem Hinweis, daß Tinuphis auch Vater und Sohn des Chascheschonqi hießen; zu dieser – dem Kern nach wohl ebenfalls perserzeitlichen – Weisheitslehre allgem. ders., Die Lehre des Chascheschonqi, in: Hoffmann / ders., Anthologie, 273-299; für eine Zuordnung zu dem Kreis der Erzählungen um Hareus, den Sohn des Pahat, und damit dem heliopolitischen Sagenkreis jetzt Ryholt, Narrative Literature, 13 ff., bes. 15. Zur Onomastik allgem. auch schon Haslam in der Ed. pr., wonach Magoas an den allmächtigen Eunuchen Bagoas in den Diensten Artaxerxes’ III. am persischen Hof erinnere und das von s†ðzein »retten« abgeleitete Sosias für den Henker ebenfalls als »redender Name« anzusehen sei. Für eine Verortung des gesamten Geschehens in Persien bes. Stramaglia, ZPE 91 (1992) 133 ff., diesbezüglich skeptisch allerdings Stephens / Winkler, Ancient Greek Novels, 400. 119. Mit L. Prauscello, Alcune osservazioni critico-testuali in margine a P. Turner 8 (Tinouphisfragment), ZPE 134 (2001) 139-144. 120. So mit M. Gronewald, Bespr. v. R. Kussl, Papyrusfragmente griechischer Romane, GGA 245 (1993) 187-200, bes. 200. 121. So mit Kussl, Achikar, 28, wobei die nach den Parallelen anzunehmende Nahbeziehung der vermeintlichen Geliebten zum König zugleich das harte Todesurteil gegen den einstigen »Retter« erkläre; zustimmend auch Gronewald, GGA 245 (1993) 200, gegen das noch von Haslam bzw. Luppe im Komm. zu P. Turner 8, 6 erwogene »sofor]t«. 122. Nach Stramaglia, ZPE 91 (1992) 126 möglicherweise »da [ein Kind? Diener?] dasselbe schwor: die Frau war Ehebrecherin«; mit anderer Worttrennung dagegen Haslam bzw. Luppe im Komm. zu P. Turner 8, 7, die hier »[…] das Gesetz, wenn die Frau Ehebrecherin war« lesen wollen.

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und des Verurteilten (10) … von den Sterblichen, nicht ein Landmann … 123) auch keiner (?)] von den Dämonen. Denn der Moira Siegesmal (?) 124) war er (es?). (12) Daher war ein Ziegel die einzige Rettung für den Propheten, (13) [den] 125) nicht einmal einer kannte; das Weise selbst war der Baumeister. (14) Dort also setzte der Henker den Propheten fest. (15) Der Henker aber, der unfromme, der im Charakter minderwertige, (16) rettete … 126) lebend den Tinuphis; (17) … 127) Diener nämlich war er und der bitteren Ananke. (18) Da nun aber ein riesiges Haus, gegen [die] (19) Gewohnheit, dieser hatte machen lassen, erf[rag]te (20) Magoas den Grund (dafür); und Sosias ant(21) wortete, daß er dieses in der Tat 128) ordentlich g[emacht] (22) hatte, weil Tinuphis [eben] ein Magier (23) sei. Der aber, in der Annahme, daß recht gesprochen ha[be der] (24) Henker, hob sich davon. Da er aber all[es] vollendet hatte, (25) (ging?) Sosias zu Isias …

(11) [und

5. Neue Mythen Die neuen Gottheiten, um die der traditionelle ägyptische Kosmos im Hellenismus erweitert wurde, ließen zugleich neue Mythen entstehen. Obwohl nur noch rudimentär faßbar, seien hier zwei solcher neu entwickelter Mythen vorgestellt, die Sarapis als Herrn über das lebensspendende Wasser und das Schicksal erweisen.

5.1 Wasser für Pharos

Auf dem Verso einer Verwaltungsakte aus dem 2. Jh. n. Chr., 129) die zu diesem Zweck auf das handliche Format von 15 cm Höhe zurechtgeschnitten wurde, wurde eine Erzählung über das wundersame Wirken des Gottes Sarapis niedergelegt, die in seinem allgemeinen Lobpreis endet. Das noch gut 25 cm breite Bruchstück bildete das Ende einer offenbar längeren Rolle, wie außer dem breiten Freirand an der rechten Seite auch der in eine Rahmung gefaßte Titel des anonymen Werkes anzeigt. Wäh123. Das von Luppe vorgeschlagene »weder Landmann no[ch Bürger]« sei nach Haslam, Komm. zu P. Turner 8, 9-11 schon aus metrischen Gründen kaum plausibel, wiewohl sinngemäß sicher zutreffend. 124. Nach Kussl, Achikar, 28 Anm. 15 vielleicht »Glücksfund«, mit Bezug »auf den ›rettenden Stein‹ oder die Bekanntschaft mit dem Henker«. 125. So jetzt mit Gronewald, GGA 245 (1993) 200 statt des früheren »[aber]«. 126. Eine befriedigende Erklärung des hier lesbaren .[.]poqh . mffn–h steht weiterhin aus. Denkbar erschiene »für die Begehrte«, zumal wenn zu Beginn der Folgezeile »des Begehrens Diener« herzustellen ist; nach Gronewald, GGA 245 (1993) 200 jedoch eher »durch den einst festsitzenden (oder: gebrannten)«, mit Bezug auf den zuvor genannten Ziegel. 127. Auch bei dem hier lesbaren porqou liegt offenkundig ein Fehler vor, am ehesten wohl für pqou »des Begehrens«; anders allerdings Gronewald, GGA 245 (1993) 200, demzufolge vielleicht porqhmio‰ herzustellen und also »er war der Scherge der Überfahrt (zum Hades)« zu verstehen sei. 128. Nach Gronewald, GGA 245 (1993) 200 vielleicht eher »dieses Werk«. 129. Jetzt P. Oxy. XII 1445; das in Z. 13 der Aufstellung über unproduktives Land genannte 18. Regierungsjahr ist nicht mehr sicher zuzuordnen.

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rend von der vorangehenden Kolumne des 1915 von B. P. Grenfell und A. S. Hunt edierten P. Oxy. XI 1382 nurmehr unidentifizierbare Zeilenreste erhalten sind, ist die zweite und letzte vollständig bewahrt. 130) Im Zentrum der Geschichte steht ein Steuermann namens Syrion, der den Phariten für 100 Drachmen Wasser überläßt, ohne daß noch Genaueres zu seinen sonstigen Verdiensten erkennbar ist. Viel spricht indessen dafür, daß es hier um die Umstände ging, unter denen die einst wasserlose Insel Pharos mit Hilfe des Gottes Sarapis den Zugang zu Süßwasser erhielt, so daß wir hier eine aitiologische Legende vor uns haben, in der Syrion lediglich als Werkzeug des Gottes agiert. 131) … (col. II, 15) sagte er: »Um deinetwillen werde ich das Wasser den Phariten überlassen.« (16) Und er verabschiedete sich von ihm und segelte davon. 132) (17) … 133) gibt das Wasser den Phariten und empfängt (18) von ihnen als Kaufpreis 100 Silberdrachmen. Und (19) es wird hinterlegt die Großtat in des Merkurtempels (20) Archiv. Ihr, die Anwesenden, rufet aus: Einzig Zeus (21) Sarapis! (22) Des Zeus Helios, des großen Sara(23) pis, Großtat, die (sich dreht) um Sy(24) rion den Steuer(25) mann.

5.2 Der Austausch der Moirai

Ungeklärt scheint nach wie vor der Charakter einer Versdichtung in freien Phalaikeern, die sich auf dem 9,5 cm breiten Fragment einer 17,5 cm hohen Papyrusrolle aus der Berliner Papyrussammlung findet und erstmals 1915 von Adam Abt publiziert wurde. 134) Abt hatte darin noch ein Beispiel der frühhellenistischen »Propagandaliteratur« erkennen zu können gemeint, mit deren Hilfe die Ptolemäer Ruhm und Kult des neugeschaffenen »Reichsgottes« Sarapis verbreiten wollten. Inzwischen sind je130. Auch bei Manteuffel, De opusculis, 92 Nr. 4; V. Longo, Aretalogie nel mondo greco, I: epigrafi e papiri, Genova 1969, 116 f. Nr. 64; Totti, Ausgewählte Texte, 32 f. Nr. 13. 131. Hierzu jetzt eingehend A. Jördens, Wasser für Pharos, ZPE 190 (2014) 69-75; vgl. auch R. Merkelbach, Isis Regina – Zeus Sarapis. Die griechisch-ägyptische Religion nach den Quellen dargestellt, Stuttgart / Leipzig 1995, 216 f. § 399. 132. Wörtlich »segelte hoch«, d. h. entweder stromaufwärts oder auf die hohe See, entgegen Merkelbach, Isis Regina, 217 jedoch nicht »fuhr in den Hafen ein«. Entsprechend dürfte auch die vorausgehende wörtliche Rede entgegen bisheriger Auffassung Sarapis selbst zuzuschreiben sein, was auch bestens zu der ausdrücklich als c€ri@ gekennzeichnete Überlassung des Wassers paßt. 133. Wie auch zu Beginn der vorigen Zeile erscheint der Papyrus nach dem Scan auf hhttps:// www2.atla.com/digitalresources/detail.asp?componentid=5&count=5&total=29&pagenum ber=1&cl1=MSOXYPAPi korrigiert, so daß das bisher gelesene »und« keineswegs so sicher ist wie zumeist dargestellt. Von dem erwarteten Wechsel des Subjekts – als Empfänger des Kaufpreises kommt allein Syrion infrage – ist freilich ebenfalls nichts zu erkennen. 134. A. Abt, Ein Bruchstück einer Sarapis-Aretalogie, ARW 18 (1915) 257-268; wiederabgedruckt auch bei U. von Wilamowitz-Moellendorff, Griechische Verskunst, Berlin 1921, 150 f.; Manteuffel, De opusculis, 93 ff. Nr. 5 (nach Kontrolle am Photo, vgl. schon ders., Studia Papyrologica, Eos 31 (1928) 181-192, bes. 186 ff.); E. Heitsch, Die griechischen Dichterfragmente der römischen Kaiserzeit Bd. I, 2. Aufl., Göttingen 1963, 165 ff. Nr. L; Totti, Ausgewählte Texte, 29 ff. Nr. 12; ab Z. 5 auch bei Longo, Aretalogie, 118 ff. Nr. 66; = Sel. Pap. III 96.

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doch nicht nur die Zweifel an einer solchen staatlichen Initiative gewachsen, auch wird das Gedicht nunmehr wie auch der Papyrus selbst erst in das 3. Jh. n. Chr. datiert. Der als »Retter« angeredete Sarapis tritt darin als Herr über das Schicksal auf, da er gegen die Vorgaben der Moiren den Todestag zweier unter demselben Stern geborener Männer auszutauschen vermag. 135) Offenbar hatten sich beide hilfesuchend an ihn gewandt, der eine, weil er arm, aber lebenshungrig zum Tode bestimmt war, der andere, weil er, obwohl schwerkrank, einem langen Leben entgegensah. 136) Da Anfang und Ende wie auch die Versanfänge fehlen, ist die Rollenverteilung nicht immer ganz klar. Doch scheint an beide die Weisung ergangen zu sein, durch Hunger und Rausch in symbolischer Weise Tod und Leben auf sich zu nehmen. Damit wird der übliche Lebenskreislauf durchbrochen, womit die Gesetze der Moira außer Kraft gesetzt erscheinen und Sarapis über den Kleidertausch jedem das dem jeweils anderen zugedachte Schicksal zukommen lassen kann. (1) [»Der

…]… 137) Retter ist Sarapis.« (2) [Wie er (das)] dem libyschen (Manne) gesagt hatte, hob er sich davon. 138) (3) […] aber haben wir des Zu[…] 139) (4) und dessen, der das Ringlein an sich genommen hat[te.] 140) (5) Des Orakels Ende aber des Arm[en (lautete):] (6) »Von morgen an nämlich leidet ein Libyer, ein Mann, an einer fremdartigen Krankheit, durch welche ich dich rette.« (8) Dieses aber war der Libyer, den der Gott nannte, (9) der eine gemeinsame Geburtskonstellation hatte. Jenem 141) (10) erschien in der Nacht der Gott und sprach: (11) »Von der Moira hast du bekommen, Thrason, das Ende, 142) (12) nicht wie es wollte die Moira, sondern entgegen der Moira; (13) [die] Moiren nämlich lasse ich die Kleider wechseln. (14) [Steh] aber morgen auf, nach der vierten 135. Dies stellte offenbar die Voraussetzung dafür dar, daß Sarapis überhaupt in diesem Sinne tätig werden konnte. Anders dagegen F. Boll, Sternenfreundschaft. Ein Horatianum, Sokrates 5 (1917) 1-10 = Kleine Schriften zur Sternkunde des Altertums, V. Stegemann (Hg.), Leipzig 1950, 115-124, bes. 3 f. bzw. 117 f., demzufolge Sarapis grundsätzlich »die Mo…ra, den Zwang der Konstellation und des Schicksals, aufzuheben vermag; naiverweise bringt er aber doch gerade zwei Menschen gleicher Konstellation … zusammen« (118). 136. So zuletzt Merkelbach, Isis Regina, 217 ff. § 402; anders etwa noch Wilamowitz, Verskunst, 150 f., der vielmehr den Libyer, der »von morgen an«, d. h. erst infolge des Kleider- und Schicksaltauschs »an einer fremden Krankheit« leide, von Sarapis betrogen sieht, weswegen er auch das religiöse Anliegen des Verfassers in Zweifel zieht. 137. Nach Wünsch sowie Wilcken bei Abt, ARW 18 (1915) 260 »Auch der Ar]men«; nach P. Roussel, Quelques documents nouveaux relatifs de Sarapis, RHLR 7 (1921) 33-43, bes. 40 Anm. 3 »Al]ler«, wenngleich etwas kurz für die Lücke; nach Manteuffel, De opusculis, 93 vielleicht »Der Gläubi]gen« (so auch Merkelbach, Isis Regina, 218 »derjenigen, die auf ihn vertrauen«); nach Totti, Ausgewählte Texte, 30 allgemeiner »Der Men]schen«. 138. Nach Totti, Ausgewählte Texte, 30 eher »stand er bei«. 139. Zu Beginn nach Manteuffel, De opusculis, 93 »[Die Kraf]t«, am Ende »des Zu[vor Gesagten]«; letzteres auch von den Schriftspuren her (eher pros- als pror-) freilich kaum zutreffend, wiewohl überzeugende Ergänzungen bisher fehlen. 140. Anders allein Totti, Ausgewählte Texte, 30, derzufolge hier wie schon in Z. 3 Sarapis selbst spricht: »(4) und dieses Ringlein nimm n[un] an dich«, wobei die fehlende Wiederaufnahme des Artikels beim Demonstrativum eine gewisse Schwierigkeit darstellt. 141. So als Satzbeginn mit Totti, Ausgewählte Texte, 30. 142. Zugleich ein Wortspiel, da die Moira nicht nur eine der Schicksalsgöttinnen, sondern auch das einzelne Lebensschicksal verkörpert; entsprechend auch die Übersetzung bei Merkelbach, Isis Regina, 218 »Hier erhältst du, Thrason, das Ende deines Lebensgeschicks«.

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(Stunde) aber (15) [betrinke dich] 143) und trinke zu, indem du lange dabeibleibst (16) [und nichts] ißt – aber nur von ungemischtem, (17) [Krüg]e von sechs Maß; nach dem Trinken aber (18) [sprich Bitt]gebete, 144) wirf dich hin und schlafe. (19) [Wenn du geruht ha]st, 145) werde ich dir aber eine Nachkur verpassen, (20) [so daß du auch] ganz und gar keine Erfahrung des Schmerzes mehr machen wirst. 146)« (21) [Der eine als]o 147) steht auf und nimmt das Trinken (auf) (22) – der andere bleibt enthaltsam, wie durch den Gott befohlen. (23) Zu der Stunde ni[mmt] jener (es auf), die ihm aufgetragen war (24) – dieser aber bleibt ohne zu essen, übergewaltig 148). (25) [Es trin]kt dieser Ungemischtes und betrinkt sich (26) – [jener] aber erwartet die (endlich) vorhandene Gesun[dheit.] (27) [Es fä]llt aber dieser dort, mit be[schwertem] Kopfe …

6. Sibyllinische Orakel Unter dem Namen »Oracula Sibyllina« werden insgesamt 14 Bücher hexametrischer Dichtungen geführt, die, zunächst im jüdisch-hellenistischen Milieu entstanden, später christlich überarbeitet oder auch gänzlich neu konzipiert wurden. 149) In Gestalt von Orakeln – letztlich durchweg vaticinia ex eventu – werden darin historische Ereignisse behandelt, die auf diese Weise in einen mythischen Zusammenhang gestellt erscheinen, wobei die Form des Epos das vermeintlich hohe Alter der Weissagungen noch unterstreicht. Die religiöse und geistesgeschichtliche Einordnung dieser Dichtungen, deren Genese sich nachweislich über Jahrhunderte hinweg erstreckte, wird seit jeher lebhaft diskutiert, worauf hier allerdings nicht näher einzugehen ist. 143. So mit Wilamowitz, Verskunst, 150; übernommen auch von Manteuffel, Eos 31 (1928) 187, der jedoch als einziger am Versende interpungiert, so daß die vorausgehende Zeitangabe das frühe Aufstehen betrifft. Das später von dems., De opusculis, 94 stattdessen vorgeschlagene »[Nimm sowohl]« ließe sich zwar gut auf die in Z. 17 ergänzten »[Krüg]e« beziehen, doch steht dem schon die Breite der Lücke entgegen. 144. So mit Merkelbach, Isis Regina, 218 Anm. 6, gegen das zumeist ergänzte »[wo immer die Gele]genheit«. 145. Anders Totti, Ausgewählte Texte, 31 sowie ihr folgend Merkelbach, Isis Regina, 218 Anm. 6 »[Wenn du vom Wein voll bi]st«. 146. Mit Totti, Ausgewählte Texte, 31 sowie ihr folgend Merkelbach, Isis Regina, 218 Anm. 6; nach Manteuffel, Eos 31 (1928) 187 sowie De opusculis, 94 dagegen »(20) [der Libyer] aber wird ganz und gar die Erfahrung des Schmerzes machen«, während Heitsch, Dichterfragmente, 167 den Satz für dunkel erklärt. 147. Zu der dialogischen Darstellungsform in Z. 21-27 bereits Page, Einl. zu Sel. Pap. III 96 sowie ihm folgend Longo, Aretalogie, 121; mit den entsprechenden Ergänzungen jetzt überzeugend Merkelbach, Isis Regina, 219 Anm. 1. 148. Bemerkenswerterweise bei Homer ein typisches Beiwort der Moira. 149. Die maßgebliche Ausgabe ist immer noch diejenige von J. Geffcken, Die Oracula Sibyllina, Leipzig 1902, die daher 1967 auch noch einmal nachgedruckt wurde. Eine zweisprachige Ausgabe mit Versübersetzung fertigte A. Kurfeß, Sibyllinische Weissagungen, München 1951, die von J.-D. Gauger, Sibyllinische Weissagungen, Düsseldorf / Zürich 1998 neubearbeitet und überdies mit ausführlicher Einleitung versehen wurde; eine Prosaübersetzung auch bei H. Merkel, Sibyllinen (JSHRZ 5.8), Gütersloh 1998, 1043-1140, der eine detaillierte Übersicht über den Inhalt der Bücher bietet, sich sonst jedoch bewußt auf die »ältesten Stücke jüdischhellenistischer Provenienz« (1044) beschränkt. Zum derzeitigen Forschungsstand vgl. jetzt bes. O. Waßmuth, Sibyllinische Orakel 1 – 2. Studien und Kommentar, Leiden / Boston 2011.

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Mittelalterliche Handschriften haben von dieser eigenwilligen Form hellenistischkaiserzeitlicher Epik mehr als 4200 Verse bewahrt, allerdings sind nicht alle Bücher gleichmäßig vertreten. Während wir vom sechsten Buch nur 28 Verse kennen und Buch 9 und 10 sogar ganz verloren sind, blieben allein vom dritten Buch über 800 Verse erhalten, das zudem allgemein als das älteste gilt und bis auf die zweite Hälfte des 1. Jh. v. Chr. zurückgehen soll. Die in den Papyri faßbare und nach neuesten Erkenntnissen gut 100 Jahre ältere Parallelüberlieferung muß daher höchstes Interesse verdienen, um so mehr, als zwei im Abstand von 300 Jahren entstandene Fragmente bemerkenswerterweise dieselben Verse bieten. Der einzige weitere Zeuge für die Sibyllinischen Orakel aus der Antike datiert hingegen deutlich später und enthält bereits den Text – hier des fünften Buches – in der auch sonst überlieferten Version.

6.1 Parallelüberlieferung zu Buch 3

Schon in den späten 1920er Jahren wurden durch ein in Oslo aufbewahrtes Papyrusfragment Hexameterverse bekannt, die aus inhaltlichen Gründen als Sibyllinische Orakel gedeutet und unter diesem Titel schließlich auch in P. Oslo II 14 wiederabgedruckt wurden. 150) Da die dem 2. Jh. n. Chr. zugeordneten, an beiden Seiten abgebrochenen Zeilen einen zuvor unbekannten Text boten, schienen sie erstmals eine von der sonstigen Überlieferung unabhängige Tradition zu belegen. 151) 300 Jahre früher als dieser bislang älteste Zeuge für die Sibyllinischen Orakel datiert nunmehr ein aus Mumienkartonage gewonnenes Bruchstück einer Papyrusrolle, das Michael Gronewald 2010 als P. Köln XII 467 publizierte und im Folgejahr um den in einer australischen Sammlung lagernden Kolumnenanfang erweitern konnte.152) Einem glücklichen Zufall zufolge enthält das von schöner Hand im 2. Jh. v. Chr. beschriebene, inzwischen rund 18 cm breite und 19 cm hohe Fragment genau dieselben Verse wie dasjenige in Oslo, so daß sich beide in wünschenswerter Weise ergänzen. Trotz des großen zeitlichen Abstandes ist der Text nahezu identisch, nur daß das Osloer Fragment noch einmal zwei Zeilen länger ist. Damit erscheint nicht nur des-

150. So erstmals W. Crönert, Oraculorum Sibyllinorum fragmentum Osloense, SO 6 (1928) 57-59 nach der Ed. pr. durch S. Eitrem, Epic Fragment from the Pap. Osl., SO 5 (1927) 38; vgl. auch J. van Haelst, Catalogue des papyrus littéraires juifs et chrétiens, Paris 1976, 583 Nr. 581. Woher die seit der Neued. in P. Oslo II 14 verfestigte, etwa auch von van Haelst wiederholte Überzeugung stammt, daß der Text Buch 5, 484 ff. entspreche, scheint nicht mehr zu klären; vgl. auch Gronewald, Einl. zu P. Köln XII 467. 151. Vgl. auch Gauger, Weissagungen, 367 Anm. 55, bei dem dieser Text allerdings nicht aufgenommen ist. 152. Vgl. nur M. Gronewald, P. Macquarie inv. 586 (1), ein neues Fragment zu P. Köln XII 467: Sibyllinische Orakel, ZPE 177 (2011) 57-61, sowie mitsamt besserer Abbildung ders., Nachlese zu P. Macq. inv. 586 (1) (ZPE 177, 2011, 58), ZPE 178 (2011) 84. Hieran orientieren sich auch die – zumeist nur sinngemäß rekonstruierbaren – Ergänzungsvorschläge sowie die im folgenden gegebene Übersetzung, wobei zur genaueren Kennzeichnung des Textbestandes Zeilenzahlen und Klammern hinzugefügt wurden.

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sen teilweise angezweifelte Einordnung 153) nunmehr glänzend bestätigt, sondern – fast wichtiger – die Eigenständigkeit dieser Rezension eindrucksvoll unterstrichen. Im Zentrum der hier geschilderten historischen Ereignisse steht die Herrschaft wechselnder Fremdvölker über Ägypten, die mit der Ankunft der Griechen bzw. Makedonen ein Ende findet. Auch ihre Herrschaft erscheint jedoch bedroht, da die auf fünf ptolemäische »Löwen« folgende Mutter dreier Kinder früh verstirbt und ein neuer Eroberer von Babylon aus aufbricht. Damit haben wir eine Skizze der ersten eineinhalb Jahrhunderte bis zum 6. Syrischen Krieg vor uns, die relativ bald danach entstanden sein muß und nach Gronewald als Variante zu Or. Sib. 3, 608-615 anzusehen ist. Wie immer sich das Verhältnis zu der handschriftlichen Überlieferung darstellen mag, wird die hohe Bedeutung dieser Version für die Frage der Entstehung dieser Textsorte kaum anzuzweifeln sein. (1) Und

der Argiver schnelle [Knie sinken darnieder.] 154) (2) Zweimal aber werden in Ägypten die Perser [nicht kraftlose Macht] (3) haben und an Entseelten [größte] Frevel [begehen] und auch an den Göttern, ihren Bil[dern, 155) die fern] (5) liegt zu benennen, welche die göttliche … […] (6) Zweimal aber auch werden die Äthiopier [vom] Nil [noch trinken (?),] der Me[der] (7) Ahnherrn; 156) denn das haben die Moiren mit ihren Fäden gesponnen. (8) Als letzte aber werden Griechen aus Emathia kommen. (9) Zuerst wird ein Löwe herrschen, und ein anderer (als Sohn) des guten Löwen, (10) und einer nach dem anderen; denn der fünfte wird namenlos [sein,] (11) ni[cht ang]esehen bei den Leuten. Und eine Frau wird nach diesen herrschen (12) für ku[rz]e Dauer; sie aber wird dreierlei Kind[er] verlassen, (13) zum Acheron und zu den Toten e[il]en und zugrundegehen, (14) und na[ch ih]r ein Kind. – Gebären wird, nachdem er [die Stadt] Babylon verlassen hat, (15) ein frevelhafter und ausgelassener Herrscher, im Getümmel der M[änner] (16) den Streit des Zeus, und er wird Schlacht und furchtbaren Kam[pf] beginnen. (17) Ägyptens Bewohner aber werden der Flucht gedenken, ohne Trä[nen,] (18) wenige; die meisten aber, da sie auf der Flucht ge[tötet worden sind,] (19) werden un[bewei]nt und unbestattet die Vö[gel fressen.] (20) […,] heilige Amathus, dem Sande [… (22) …]… einfache Schlacht […

153. Vgl. etwa die Vorbehalte von A. Körte, III. Referate: Literarische Texte mit Ausschluß der christlichen, APF 10 (1932) 19-70, bes. 25 Nr. 707. 154. Nach Gronewald, ZPE 177 (2011) 59 wohl als Übergang von einem vorausgehenden Orakel, das sich möglicherweise auf den auch in Or. Sib. 3, 414-418 sowie 11, 125-140 thematisierten trojanischen Krieg bezog. 155. Mit Gronewald, ZPE 178 (2011) 84, der 177 (2011) 59 hierzu auf die Schreckensherrschaft des Kambyses nach Hdt. 3, 16 und 37 verweist. 156. Nach Gronewald, ZPE 177 (2011) 59 liegt hierin ein Bezug auf die in Or. Sib. 4, 49-96 niedergelegte Vier-Reiche-Lehre vor, wobei die Äthiopier mit der 25. Dynastie die Position der Assyrer einnehmen und darauf bis zur Ankunft der Griechen bzw. Makedonen noch Meder und Perser folgen.

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6.2 Das Florentiner Fragment zu Buch 5

Das 1903 von E. Schiaparelli und E. Breccia in al-Asˇmu¯ne¯n, dem antiken Hermupolis, ergrabene Fragment eines Pergamentkodex aus dem 4. oder 5. Jh. n. Chr. wurde schon im Folgejahr von Girolamo Vitelli publiziert 157) und 1915 in P. Flor. III 389 aufgenommen. Auf dem 8,6 cm breiten Bruchstück, an dessen linkem Rand noch Reste der Bindung erkennbar sind, blieben Zeilenhälften aus Or. Sib. 5 erhalten, genauer die Anfänge von V. 498-505 einschließlich eines Plusverses sowie die Enden von V. 516-523. Da zwischen beiden Textpartien demnach nur zehn Verse fehlen, dürfte die ursprüngliche Seitenhöhe etwas mehr als das Doppelte der noch erhaltenen 7,5 cm betragen haben. 158) Danach besaß der Codex erneut das recht handliche, annähernd quadratische Format, das zu dieser Zeit besondere Wertschätzung genoß und für Handexemplare und Gebrauchstexte geradezu typisch war. Anders als im vorigen Fall liegt hier bereits ein Zeuge für die auch in den Handschriften überlieferte Fassung vor, woraus sich auch die verlorenen Zeilenenden bzw. -anfänge ergänzen lassen. Allerdings bietet das Fragment einen ursprünglicheren Text, wie sich vor allem an dem später zu einem einzigen Vers reduzierten V. 502a/503 zeigt. 159) Insofern mag auch andernorts zwischen Vorder- und Rückseite mehr Text ausgefallen sein als nach den Handschriften anzunehmen, was vor allem vor der recht unmittelbar einsetzenden Vision des Sternenkampfes in V. 512 denkbar erschiene. Dem oben rekonstruierten Format zufolge dürften sich allfällige Verluste freilich in engen Grenzen gehalten haben. Den hier erhaltenen Versen voraus geht eine Endzeitszenerie, in der sich Naturkatastrophen häufen und das derzeit lebende fünfte Menschengeschlecht sich in gegenseitiger Vernichtung aufreibt, bis auch Isis und Sarapis auf immer untergehen. Das Fragment setzt ein mit der Rede eines Priesters, der schließlich auftreten und zur Verehrung des wahren Gottes und dem Bau eines neuen Tempels aufrufen wird. Der hieran anschließende Einfall der »Äthiopier« nach Ägypten läutet bereits das Endgeschehen ein, bis zuletzt der nunmehr anhebende Kampf der Gestirne die ganze Welt in Brand setzen wird. 160) 157. G. Vitelli, Da papiri greci dell’Egitto, VIII: 1) Frammenti degli Oracula Sibyllina, A&R 7 (1904) 354-356; eine Abb. beider Seiten jetzt in: R. Pintaudi (Hg.), Papiri greci e latini a Firenze (Pap. Flor. XII Suppl.), Firenze 1983, Tav. LXXVI, sowie online unter hhttp://www. accademiafiorentina.it/paplett/big.asp?nome_imm=PF389%2Ejpg&sigla=PFlor%2E+III+ 389i. 158. Die von E. Crisci, in: G. Cavallo (Hg.), Scrivere libri e documenti nel mondo antico (Pap. Flor. XXX), Firenze 1998, 145 Nr. 64 errechnete ursprüngliche Blattgröße »all’incirca di cm [11/12 x 14/15]« dürfte in jedem Fall zu gering sein, abgesehen davon, daß zu dieser Zeit eher leichte Hochformate beliebt waren. Vor allem läßt sich keine Aussage über die Höhe des oberen Randes treffen, der durchaus mehr als die 2,5 cm des unteren Freirandes betragen haben mag. 159. Vgl. bereits A. Rzach, Zu A. von Gutschmid’s Sibyllinenstudien, in: Mélanges Nicole, Genève 1905, 489-501, bes. 490 f. Anm. 1; bes. A. Kurfeß, Zu den Oracula Sibyllina, Hermes 74 (1939) 221-223; ders., Zum V. Buch der Oracula Sibyllina (Ed. Geffcken, GCS 1902), RhM 99 (1956) 225-241. 160. Umstritten ist dabei, ob es sich wie zumeist um bloße Topik oder um die dichterische Ausgestaltung durchaus realer Konstellationen handelt, wie sie nach F. X. Kugler S.J., Sternkampf und

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[» … indem wir preisen den unvergänglichen Herren,] (Vs., 1 = 498) den Er[zeuger] selbst, [der von Ewigkeit immer gewesen,] (2 = 499) den Beherrscher 161) des Alls, d[en wahren, den König,] (3 = 500) den lebennährenden Herrn des Blitzstrahls, 162) Gott, 163) [den großen, der immerdar sein wird!«] (4 = 501) Und dann [wird] in Ägypten ein gro[ßer heiliger] Tempel [sein,] (5 = 502) dorthin aber 164) wird Opfer bringen das Volk, das […] 165) (6 = 502a 166)) Bis zum wievielten Geschlecht es [Gott verehrt in dem heiligen] Bezirke, (7 = 503) soviele Geschlech[ter] wird er den Menschen geben, [ihr Leben zu erhalten.] (8 = 504) Aber wenn, da sie hinter sich lassen die schamlo[sen Stämme der Triballer,] (9 = 505) die Äthiopier verbleiben in Ägypt[en …] … (Rs., 1 = 515) … (2 = 517 167)) [Des

161. 162. 163. 164. 165. 166.

167. 168.

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Mondes zweigehörnte] Trauer(gestalt) änderte sich. 168)

Phaëthon in naturgeschichtlicher Beleuchtung, Münster i. W. 1927, dem insoweit auch die hier gegebene, zur genaueren Kennzeichnung des Textbestandes um die Klammern ergänzte Übersetzung folgt, im Winter 101/00 v. Chr. über insgesamt sieben Monate hinweg am unterägyptischen Himmel zu beobachten waren; hiernach auch die Erläuterungen von Kurfeß, Weissagungen, 311 f., vgl. auch das eingehende Referat in ders., RhM 99 (1956) 235 ff., zum Autor bes. 235 Anm. 17; scharf ablehnend dagegen die Bespr. von W. Gundel, Gnomon 4 (1928) 449-451, der auf einer Deutung als »Vision, in der alle Elemente verwertet sind, welche von der hellenistischen Astrologie zur Kennzeichnung des Weltunterganges angezogen werden« (449), beharrt, freilich ohne eine Detailkritik vorzulegen und auch nicht auf die von Kugler herausgearbeiteten und ihm zufolge signifikanten Unterschiede zu vergleichbaren Darstellungen in der antiken Literatur einzugehen; ebenso auch Merkel, Sibyllinen, 1135 Anm. 512 a). Indessen bleibt durchaus die Möglichkeit, daß der schriftlichen Aufzeichnung für wert gehaltene reale Beobachtungen des Jahres 101/00 v. Chr. zu unbekanntem Zeitpunkt in dieser Form verdichtet und in einen zu ganz anderen Zwecken ausgestalteten Text eingearbeitet wurden. Wörtlich »den Prytanen«, also eigentlich den Ratsvorsitzenden. So sicher richtig gegen die Überlieferung in den Handschriften, die an dieser Stelle wie schon in V. 498 »Erzeuger« bieten. Als Nomen Sacrum geschrieben. So sicher richtig statt des in den Handschriften überlieferten »und zu ihm« bzw. »zu diesen Opfern«; vgl. auch Rzach, Sibyllinenstudien, 490 Anm. 1. Das vor der Bruchkante noch vorhandene My, das nicht zu dem in den Handschriften überlieferten »gotterwählte« paßt, mag nach Vitelli, A&R 7 (1904) 354 Anm. 2 auf eine irrtümliche Wiederholung des vorangehenden Versschlusses deuten. Der in den Handschriften überlieferte, sowohl inhaltlich wie auch formell stets beanstandete V. 503 »jenen wird Gott geben, unvergänglich ihr Leben zu erhalten« dürfte hiernach als Kombination zweier ursprünglich getrennter Verse anzusehen sein; so schon Vitelli, A&R 7 (1904) 355 und bes. Rzach, Sibyllinenstudien, 490 Anm. 1, der das hier bewahrte »ihr Leben zu erhalten« bereits dem Ende von Z. 7 zuzuordnen vorschlug; zustimmend auch Kurfeß, Hermes 74 (1939) 221, dem zugleich der Ergänzungsvorschlag zu Z. 6 zu danken ist. Die schon von Geffcken unterstellte Vertauschung von V. 517 und 516 in der handschriftlichen Überlieferung erscheint hiermit bestätigt. Waren nach Vitelli, A&R 7 (1904) 355 Anm. 2 am Ende von Z. 2 mit bloßem Auge keine Schriftspuren mehr zu erkennen gewesen, ließ sich mit Hilfe chemischer Mittel in P. Flor. III 389 »oizun hsici« lesen. Abgesehen von dem Akkusativ erscheint damit die handschriftliche Überlieferung bestätigt, womit sich zugleich die bisherigen Heilungsversuche erübrigen dürften; vgl. zudem Kugler, Sternkampf, 16 ff., bes. 18. Weswegen Kurfeß und ihm folgend auch Gauger, Weissagungen, 154 gegen die hier vorliegende lectio difficilior stattdessen das nirgends belegte »Scheibe« – so erstmals erwogen von A. Kurfeß, Zu den Oracula Sibyllina,

Griechische Texte aus Ägypten (3 = 516) [Der Morgenstern lenkte die Schlacht, indem er] den Rücken des Löwen bestieg. 169) (4 = 518) [Der Steinbock aber stieß zurück des jun]gen Stieres Nacken; (5 = 519) [der Stier aber] entzog 170) [dem Steinbo]ck den Tag der Heimkehr. 171) (6 = 520) [Und die Waage ver]drängte der Orion (in Bezug auf) den Tag der Heimkehr. 172) (7 = 521) [Die Jungfrau] tauschte sich [im Widder] das Los der Zwillinge ein. 173) (8 = 522) [Die Plejade schi]en [nicht mehr; 174)] der Drache verleugnete den Gürtel. 175) (9 = 523) [Die Fische verkrochen si]ch gegenüber dem Gürtel des Löwen. 176)

7. Reflexionen über das rechte Verhalten Allgemeine Lebensweisheiten scheinen im griechisch-römischen Ägypten vorzugsweise in der Form von Sprichwörtern und Sentenzen vermittelt worden zu sein. Gelegentlich finden sich jedoch auch ausführlichere Betrachtungen, die sich mit den Grundbedingungen des menschlichen Zusammenlebens und dem richtigen Umgang miteinander befassen, dies namentlich bei komplexeren Fragen. Hierzu zählen Reflexionen über das angemessene Verhalten, wenn bestehende Beziehungen aus bestimmten Gründen besonderen Belastungen unterlagen. Mit ihren Empfehlungen, wie mögliche Gefahren, die mit dem sozialen Aufstieg oder auch individuellen Persönlichkeitsstrukturen verbunden waren, sich schon im Vorfeld vermeiden ließen, mag man sie heutiger Ratgeberliteratur an die Seite stellen.

169. 170. 171. 172. 173. 174. 175.

176.

Mnemosyne 3. Ser. 7 (1938) 48, bes. Anm. 1, danach auch ders., Hermes 74 (1939) 221 sowie RhM 99 (1956) 236 Anm. 21 – in den Text aufnehmen, bleibt letztlich unklar. Hierzu Kugler, Sternkampf, 13 ff. So sicher richtig statt des nach Kurfeß, Hermes 74 (1939) 221 »prosaischen« und von Rzach, Sibyllinenstudien, 491 Anm. als Glosse angesehenen »raubte« in den Handschriften. Zu V. 518 f. Kugler, Sternkampf, 18 f. So unter irrtümlicher Wiederholung des vorangehenden Versschlusses gegen das in den Handschriften – sicher richtig – überlieferte »so daß sie nicht mehr blieb«, vgl. bereits Vitelli, A&R 7 (1904) 355 Anm. 4; hierzu Kugler, Sternkampf, 19 ff. Mit offenbar irrigem Nom. Sg. »Zwilling« statt des richtigen Gen. Pl.; hierzu auch Kugler, Sternkampf, 21. Hierzu Kugler, Sternkampf, 21, demzufolge dies »etwa den 8. A p r i l , d. h. den Tag nach dem heliakischen Untergang von h Tauri, in den Plejaden«, als zeitlichen Endpunkt der Kämpfe ausweist. Hierzu Kugler, Sternkampf, 21 ff., wonach die hieran ablesbare Konstellation zugleich auf Unterägypten als »wahrscheinliche(n) Ort der Abfassung des ›Sternkampfes‹ schließen lasse (23 f.); vgl. auch Kurfeß, RhM 99 (1956) 237 Anm. 28, dessen Hinweis auf das »Heimatland der Dichtung (Äthiopien)« (so 235 wie auch in ders., Weissagungen, 306 eingefügt in das Zitat aus Kugler, 9) sich vielmehr aus der von Kugler, 30 ff. behandelten Parallelstelle in V. 206-213 ergibt; so auch noch ausdrücklich in Kurfeß, Mnemosyne 3. Ser. 7 (1938) 48 Anm. 1. Hierzu Kugler, Sternkampf, 24.

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7.1 Leitfaden für soziale Aufsteiger

Unter den mehreren Dutzend Ostraka aus einem landwirtschaftlichen Betrieb, die bei den 1908/09 durchgeführten Grabungen in Philadelpheia, dem heutigen Ku¯m al-Hara¯ba al-Kabı¯r im Nordosten des Fayyu¯m, in der hintersten Ecke eines Kellers ˘ entdeckt wurden und aus dem späten 3. oder frühen 2. Jh. v. Chr. datieren, befanden sich auch fünf literarische Stücke, die sämtlich von derselben Hand zu stammen scheinen. Da eines davon ein ziemlich derbes, zweifellos fiktives Grabepigramm auf einen Kleitorios trägt, dessen Name auch in den landwirtschaftlichen Abrechnungen begegnet, sollte in ihm auch der Verfasser der anderen Texte zu erkennen sein. 177) Sie alle werden üblicherweise dem schulischen Bereich zugeordnet, wobei drei dieser Ostraka Klassikerzitate mit philosophisch-moralischen Lehren bieten. 178) Die fünfte, 20  16 cm große Tonscherbe enthält dagegen einen 23 Zeilen langen Prosatext, in dem auch für den Erfolgreichen ein angemessenes Verhalten gegenüber dem bisherigen sozialen Umfeld angemahnt wird. In dem erstmals von Ernst Kühn im Jahr 1921 als »antiker Schulaufsatz« vorgestellten Text ist wohl bereits ein frühes Beispiel für die später so verbreiteten Progymnasmata zu erkennen.179) Paragraphoi gliedern den Text in einzelne Sinnabschnitte und sind hier durch Gedankenstriche ersetzt. Die Übersetzung wurde weitgehend von Kühn übernommen, allerdings um die Zeilenangaben ergänzt. 180) (1) Zuvörderst,

daß der (Mensch) in überragender (2) Stellung, je höher er steht, um so sein soll und um so besorg(4) ter für seine Verwandten und Freunde, auch wenn es (5) ganz unansehnliche und geringe Leute sind, (6) in der Annahme, daß das schön (7) und erstrebenswert ist, wenn um seinetwillen zu Anse(8) hen gelangen Eltern und Geschwister (9) und die übrigen Verwandten alle und vertrauten Freunde. – (10) Denn verborgen bleiben kann es doch auch so nicht, welcher Leute (11) Kind er ist, noch wie er gelebt hat, noch mit was für (12) Leuten er umgeht, da viele sind, die (es) aufspüren. (13) Und gleichzeitig pflegen ja die guten und die schlechten Seiten wachsend hervorzutreten (14) mit den glücklichen Tagen, so daß sie allen offenbar werden. – (3) umgänglicher

177. Mit W. Clarysse, Literary Papyri in Documentary « Archives », in: E. Van’t Dack / P. Van Dessel / W. Van Gucht (Hg.), Egypt and the Hellenistic World (Proc. Intern. Coll. Leuven, 24-26 May 1982) (Stud. Hell. 27), Leuven 1983, 43-61, bes. 48; zu dem Fund als ganzem bereits BGU VII, Vorbemerkungen, S. 14 ff.; zu dem Grabepigramm bes. E. Livrea, La morte di Clitorio (SH 975), ZPE 68 (1987) 21-28 = ders., Studia Hellenistica (Pap. Flor. XXI), Firenze 1991, 259-265. 178. Die letzte Zusammenstellung bei Cribiore, Writing, 229 f. Nr. 233-236, allerdings ohne das in der vorigen Anm. erwähnte fiktive Grabepigramm. 179. E. Kühn, Ein antiker Schulaufsatz, Berliner Museen 42 (1921) 101-104; vgl. jetzt auch Cribiore, Writing, 227 Nr. 233; zuletzt bes. J.-A. Fernández-Delgado / F. Pordomingo, Topics and Models of School Exercises on Papyri and Ostraca from the Hellenistic Period: P. Berol. inv. 12318, in: T. Gagos (Hg.), Proc. XXV Intern. Congr. Pap. (Ann Arbor, 29. 7. – 4. 8. 2007), Ann Arbor 2010, 227-238. 180. Veränderungen finden sich abgesehen von Z. 6, wo Kühn »voll Verständnis dafür« übersetzt, lediglich im Satzbau, der in Z. 7-9, 13-14 und 18-19 der griechischen Wortstellung angeglichen wurde.

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Griechische Texte aus Ägypten (15) Wenn

er sie 181) aber gebührend in Ehren hält, dann wird er sich natürlicherweise einen tugendhaften Ruf erwerben. – Überdies erscheint mir engherzig auch stets das andere, was manche (18) tun, indem sie verheimlichen und abschütteln (19) ihre natürlichen Eltern wie Unwürdige, sobald sie im Glücke leben. – (20) Denn man sollte selbst ein Führer zum Adel sein, (21) und das ist gewissermaßen schöner, als einen schon vorhande(22) nen nur von anderen zu überkommen; – wo aber nicht, soll man doch die schuldi(23) ge Zuneigung aufgrund seiner natürlichen Abstammung nicht vorenthalten.

7.2 Zum Umgang mit unterschiedlichen Charakteren im Freundeskreis

Das im heutigen al-Bahnasa¯ gefundene und 1974 von P. J. Parsons als P. Oxy. XLII 3007 publizierte Papyrusfragment stammt von einer Rolle mit ethischen Betrachtungen, die in der hohen Kaiserzeit auf der Rückseite einer Rechnungsliste aus dem 2. Jh. n. Chr. zusammengestellt wurden. Die geübte, leicht nach rechts geneigte Hand ist noch dem sog. Strengen Stil verpflichtet, erlaubt sich aber manche orthographischen Freiheiten. Erhalten ist lediglich das Ende einer solchen Betrachtung, in der im Umgang mit empfindlicheren Naturen besondere Sorgfalt empfohlen wird. Der hierfür angeführte Vergleich mit einem Händler mit Wein und Pökelfisch verdient vor allem deswegen Beachtung, weil er den Blick von der rein materiellen Seite auf die möglichen Langzeitwirkungen lenkt. Von der folgenden Kolumne sind nur noch einzelne Anfangsbuchstaben sowie nach col. II, 8 eine gegabelte Paragraphos erkennbar, die hier wie auch nach col. I, 24 die verschiedenen Betrachtungen voneinander trennt. [… Als aber] (col. I, 1) der Nachbar (?) [ihn fra]gte, wa[rum er] (2) nur so [sich kümme]re um (3) schlechte[res Tonge]schirr und (4) weniger wertvolles, antwor(5) tete der Händler: »Weil«, sagte er, (6) »von den Weinkrü(7) gen, selbst wenn mehr (davon) zer(8) schlagen wird, der Schaden gering (9) ist; von denen aber mit Pökel(10) fisch – wenn auch nur ein einziger (davon) zerschla(11) gen wird, werden wir von dem Gestank zu(12) grunde gehen.« Daher bitte ich nun (13) auch dich, Kamerad, auf ganz ähnliche (14) Weise zu behandeln (15) deine vertrauten Freunde wie (16) der Händler das Tongeschirr (17) und mit den schwierigeren von ihnen (18) vorsichtiger als mit den ordent(19) lichen umzugehen; die (20) ordentlichen nämlich, auch wenn man sich nicht (21) um sie kümmert, bleiben angenehm; (22) (die anderen aber reagieren) allzu sehr, und von Schlamm, der aufge(23) wirbelt wird, unterscheiden sie sich (24) in nichts. (25) …

8. Allgemeine Lebensregeln Allgemeine Lebensregeln treten im griechisch-römischen Ägypten gern in der Form knappgefaßter Spruchweisheiten auf, wobei die auffällige Verwendung des sonst eher vermiedenen Imperativs den Anspruch auf Verbindlichkeit weiter unterstreicht. Be181. D. h. die oben Genannten.

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kräftigt wird dies noch durch die Zuschreibung an bestimmte Autoritäten, worunter – nicht immer sicher identifizierbare – Ägypter ebenso begegnen wie die berühmten »Sieben Weisen«.

8.1 Weisungen des Amenotes

Bereits dem 3. Jh. v. Chr. gehört ein 1897 von Ulrich Wilcken publiziertes, 182) heute im British Museum in London aufbewahrtes Kalksteinostrakon aus ad-De¯r el-Bahrı¯ ˙ an, das jetzt von Adam Łajtar als I. Deir el-Bahari A2 neuediert wurde und unter der Überschrift »Des Amenotes Weisungen« eine Reihe durch Paragraphoi voneinander getrennter Sinnsprüche bietet. 183) Trotz manch eigener Gedanken handelt es sich dabei um »eine rein griechische Gnomensammlung«, 184) die dem weisen Baumeister Amenophis’ III. und nachmaligen Gott Amenhotep zugeschrieben worden sei, um dessen Akzeptanz auch auf griechischer Seite zu stärken. 185) Schon die frühe Zeitstellung läßt die Aufnahme dieses heute immer noch 20,5 cm hohen, aber nur halb so breiten Ostrakons gerechtfertigt erscheinen, wiewohl es auf der rechten Seite schräg abgebrochen ist und die Rekonstruktion daher großenteils hypothetisch bleibt. 186) (1) Des

Amenotes Weisungen. Verstand übe mit Gerech(3) tigkeit. – In gleicher Weise verehre Götter [und] (4) Eltern. – Gehe zu Rate mit Ze[it], (5) vollende aber, was immer du betrei[bst, ra](6) sch. – Für nützlich hal[te nicht die] (7) Weisen, sondern die [… 187) – Wenn] (8) du (2) Den

182. U. Wilcken, Zur ägyptisch-hellenistischen Litteratur, in: Aegyptiaca. Festschrift für Georg Ebers zum 1. März 1897, Leipzig 1897, 142-152; mit umfänglicheren Rekonstruktionsversuchen bes. Totti, Ausgewählte Texte, 121 f. Nr. 46 sowie A. N. Oikonomides, The Commandments of Amenotes, CB 63 (1987) 49-53; vgl. auch schon ders., The Commandments of Amenotes and The Commandments of Sansnos, Sarapis 5 (1980) 43-50, bes. 45 ff. Auch bei Cribiore, Writing, 229 Nr. 239. 183. Nach den nicht weiter unterteilten Z. 4-7 zu schließen, sind die Paragraphoi allerdings keineswegs systematisch gesetzt, weswegen sie auch nur bedingt für die Rekonstruktion des Textes zu nutzen sind. 184. So jedenfalls schon Wilcken, Litteratur, das Zitat 145; vgl. jedoch ebenso etwa noch D. Wildung, Imhotep und Amenhotep. Gottwerdung im alten Ägypten, Berlin 1977, 258 f. § 161 sowie bes. die genannten Arbeiten von Oikonomides. 185. So vermutet von Wildung, Imhotep und Amenhotep, 259; ebenso Oikonomides, Sarapis 5 (1980) 44; ders., CB 63 (1987) 49 f., die freilich beide noch dem Gedanken einer – womöglich staatlich gelenkten – »Propaganda« für die Verbreitung des Kultes anhängen. Für die schon früh belegte Rezeption des Heil- und Orakelgottes Amenhotep bzw. Amenot(h)es auch unter der griechischen Bevölkerung vgl. bereits TUAT.NF 5 Kap. V, 321 ff. Nr. 2, die soeben als I. Deir el-Bahari A1 (Nr. 2.1) bzw. I. Deir el-Bahari 208 (Nr. 2.2) neuediert wurden; zu letzterem jetzt auch G. H. Renberg, The Athenodoros Dipinto Reconsidered (I. Deir el-Bahari 208), ZPE 184 (2013) 103-115. 186. Nicht abzuschätzen ist vor allem der Umfang der Verluste, die bei Oikonomides umfangreicher ausfallen als bei Totti, anders als dort allerdings zumeist durch Parallelen gestützt sind. 187. Nach Merkelbach bei Totti, Ausgewählte Texte, 122 »die [Frommen«; anders dagegen Oikonomides, Sarapis 5 (1980) 47 sowie CB 63 (1987) 52, der hier »die [nach Weisheit streben« ergänzen und also den Gegensatz zwischen den sich selbst als »Weise« bezeichnenden

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Griechische Texte aus Ägypten

einen Gerechten siehst, […] die[s- …] 188) – (9) Nimm an, daß …[…] (10) … 189) – Schöner aber […] (11) der Weihegab[en …] (12) erachte die Tuge[nd …] (13) Menschen. 190) – Nicht […,] (14) sondern das Nützlich[e … 191) – Die] (15) Tugend zu übe[n – nichts Schöneres] (16) gibt es. 192) – … 193)

8.2 Weisungen des Sansnos aus dem nubischen Talmis

Die ausgedehnte, etwa 50 km südlich des 1. Kataraktes gelegene Tempelanlage im nubischen Talmis wurde vor allem durch den Bau des Assuanstaudammes bekannt, als man sie Anfang der 1960er Jahre an ihren heutigen Standort in Neu-Qala¯bsˇa versetzte. Zu dieser Zeit waren die zahlreichen Inschriften aus der frühen bis hohen Kaiserzeit, die mit roter Farbe an den Wänden des sog. »Hofes der Menge« aufgebracht waren, längst verschwunden. 194) Darunter hatten sich auch die Weisungen eines nicht näher bekannten Sansnos befunden, die ein ehrfurchtsvolles Verhalten gegenüber den Göttern anmahnten. Wohl aus diesem Grund hatten die fünf iambischen Trimeter mitsamt der Überschrift, in der der Verfasser sich selbst nennt,195) einen besonders prominenten Platz auf der Nordseite des Pronaos erlangt: Die auf insgesamt

188. 189.

190.

191. 192. 193. 194. 195.

Soph(ist)en und den Philosophen betont sehen will; ähnlich auch in Z. 9 f., vgl. unten Anm. 189. Für einen Konditionalsatz schon Wilcken, Litteratur, 145, und danach ergänzt von Totti, Ausgewählte Texte, 122 »[(dann) folge] die[sem«; anders dagegen Oikonomides, Sarapis 5 (1980) 47 sowie CB 63 (1987) 51 »Was] (8) du als Gerechtes siehst, die[ses erkenne«. Nach Oikonomides, Sarapis 5 (1980) 47 sowie CB 63 (1987) 52 »Einen guten] (9) Kön[ig] nimm an bei [einem Mann, der nach Weisheit] (10) strebt«, wogegen freilich schon die erst nach Z. 9 gesetzte Paragraphos sprechen dürfte; dagegen nach Merkelbach bei Totti, Ausgewählte Texte, 122 »(9) Nimm an, daß sch[ön ist das Wei](10) se, schöner aber [das Fromme«, was freilich beides mit der Neulesung von Łajtar in Z. 9 kaum mehr haltbar erscheint. Nach Oikonomides, Sarapis 5 (1980) 47 sowie CB 63 (1987) 52 f. »Schöner aber b[ei weitem ist das Wort als] (11) der Weihegab[en Erz. – Gegenüber dem Reichtum] (12) erachte die Tuge[nd als stärker für die] (13) Menschen«; mit anderer Interpunktion (vgl. die vorige Anm.) dagegen Merkelbach bei Totti, Ausgewählte Texte, 122 »Als schönste] (11) der Weihegab[en, aller,] (12) erachte die Tuge[nd für die] (13) Menschen«. Nach Oikonomides, Sarapis 5 (1980) 47 sowie CB 63 (1987) 53 »Nicht [das Süßeste höre,] (14) sondern das Nützlich[e lerne«; dagegen nach Totti, Ausgewählte Texte, 122 »Nicht [das Süße suche,] (14) sondern das Nützlich[e«. So bereits Wilcken, Litteratur, 145, danach auch Totti, Ausgewählte Texte, 122; anders dagegen Oikonomides, Sarapis 5 (1980) 47 sowie CB 63 (1987) 53 »Die] (15) Tugend zu übe[n und die Schlechtigkeit zu meiden,] ist [schön]«. Von Z. 16-18 sind nur noch geringe Schriftspuren erkennbar, nach Oikonomides, Sarapis 5 (1980) 47 sowie CB 63 (1987) 53 möglicherweise »Zu [den Banketten langsam, aber] (17) in de[n Unglücksfällen der Freunde mache dich] (18) [ra]sc[h auf den Weg«. Vgl. hierzu bereits TUAT.NF 7 Kap. V, 299 ff. Nr. 9 mit einer Reihe von Anrufungen des Lokalgottes Mandulis. Anders als die fortlaufend aufgebrachte Inschrift ist die Übersetzung in Versen angeordnet. Ob auch die Überschrift als Vers gefaßt war, bleibt offen; so allerdings vermutet von Wilcken, W. Chr. 116 Anm. 1, wobei der »als zum Versmaß passend, beispielshalber« vorgeschlagene und in SB V 8513 übernommene Name »Psen[osorapis« sonst nicht belegt scheint; so allerdings auch noch Oikonomides, Sarapis 5 (1980) 49, der den Verf. zudem – kaum zu recht – in I. Deir el-Bahari 247 = I. Hatshepsout 147, 3 (röm. Zeit) wiederzufinden meint.

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Andrea Jördens

zehn Zeilen verteilte Inschrift stand direkt unterhalb des Rundstabs im oberen rechten Eck des ersten Schrankenfelds, so daß jeder, der durch den zentralen Eingang ging, rechter Hand die großen und daher gut sichtbaren, überdies noch eingerahmten Buchstaben wahrnehmen mußte. Mit dem Kommentar Niebuhrs erstmals in dem 1822 erschienenen Tafelwerk des Architekten François C. Gau zu den nubischen Monumenten publiziert, schien die Inschrift »ein zutreffendes Bild von der damals herrschenden Religiosität der Ägypter« zu bieten,196) was die vielfachen Nachdrucke der jetzt am besten in I. Metr. 165 zugänglichen Inschrift erklären mag. 197) (1) Sansnos

schreibt (dies), der Sohn des Pseno[siris (?).] die Gottheit. Opfere allen (3) Göttern. Zu jedem Hei(4) ligtum wallfahre und bezeuge Ver(5) ehrung. Halte (hoch) vor allem (6) die väterlichen (Götter) und verehre (7) Isis, Sarapis, d[ie gr]öß(8) ten der [Götter,] [Re]t(9) ter, Gut[e, Wohlge(10) si]nnte, Wohltäter. (2) Verehre

8.3 Sprüche der Sieben Weisen

Auf einem heute verschollenen Papyrusfragment der Athener Universität aus dem 1.Jh. n. Chr. blieben acht knappe, jeweils nur aus einem Imperativ mit Objekt bestehende Weisungen erhalten, in denen A. N. Oikonomides die sog. »Sprüche der Sieben Weisen« erkannte. 198) Vor allem aus der handschriftlichen Überlieferung geläufig, liegt damit neben einem wohl noch aus dem 4. Jh. v. Chr. stammenden Inschriftenfragment und zwei frühhellenistischen Steinen ein weiterer antiker Zeuge für diese einprägsamen Regeln vor, deren Vorbild auf einer Säule im delphischen Apolloheiligtum gestanden haben soll. 199) Die weit auseinanderliegenden Fundorte auf Thera, 196. So Wilcken, Einl. zu W. Chr. 116. 197. F. C. Gau, Antiquités de la Nubie ou Monumens (sic) inédits des bords du Nil, situés entre la première et deuxième cataracte, Stuttgart / Paris 1822, bes. Inscriptions commentées par M. de Niebuhr, 9 mit Pl. II, 5; eine Abzeichnung auch bei C. R. Lepsius, Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien, Berlin 1849-1913 (jetzt zugänglich unter hhttp://edoc3.bibliothek.uni-halle.de/lepsius/start.htmli), Tafelwerke, Abth. VI Bl. 97 Nr. 444; vgl. auch bes. H. Gauthier, Les temples immergés de la Nubie, 3: Le temple de Kalabchah, Bd. I, Le Caire 1911, 195; W. Chr. 116; SB V 8513; Manteuffel, De opusculis, 14; Oikonomides, Sarapis 5 (1980) 48 ff.; Totti, Ausgewählte Texte, 123 Nr. 47. 198. A. N. Oikonomides, The Lost Delphic Inscription with the Commandments of the Seven and P. Univ. Athen 2782, ZPE 37 (1980) 179-183, mit Verweis auf die Ed. pr. von M. G. Tsoukalas, 3Anffkdotoi yilologiko½ ka½ §diwtiko½ p€puroi, phil. Diss. Athen 1962, 70-80 (non vidi); zum Verhältnis zur handschriftlichen Überlieferung M. Tziatzi-Papagianni, Die Sprüche der sieben Weisen. Zwei byzantinische Sammlungen, Stuttgart / Leipzig 1994, bes. 5 ff.; auch bei Cribiore, Writing, 228 f. Nr. 238 sowie jetzt J. Althoff / D. Zeller, Die Worte der Sieben Weisen (TzF 89), Darmstadt 2006, 71 ff. Weitere Zitate vgl. zudem in P. Oxy. LXI 4099 col. I, 13 ff. (1. Jh. v. Chr./1. Jh. n. Chr.), mit M. Huys, P. Oxy. 61. 4099: a Combination of Mythographic Lists with Sentences of the Seven Wise Men, ZPE 113 (1996) 205-212; auch bei Althoff / Zeller, Worte, 73 ff. 199. Vgl. IG XII 3, 1020 (4. Jh. v. Chr., Thera); I. Kyzikos II (I. K. 26) 2 = Syll.3 III 1268 (Ende 4./ Anf. 3. Jh. v. Chr., Miletupolis); I. Estremo Oriente 384 (3. Jh. v. Chr., Aï Khanum) sowie

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Griechische Texte aus Ägypten

nahe dem Marmarameer im mysischen Miletupolis, in Aï Khanum im Norden Afghanistans und nunmehr auch auf einem ägyptischen Papyrus verweisen zugleich auf ihre Beliebtheit schon in der Antike und selbst – oder gerade – in Randgebieten der griechischen Welt. (1) [Weisungen

der Sie](2) ben. dem Gott. Dem 200) (4) Guten gehorche. (5) Zeit spare. (6) Die Götter verehre. (7) Die Eltern scheue. (8) Dem Gesetz gehorche. (9) Blicke auf das Kommende. (10) [Füge dich dem Ge]rechten … (3) Folge

8.4 Ostraka aus Narmuthis

Bei den Grabungen im alten Heiligtum von Narmuthis, dem heutigen Ku¯m Madı¯nat Ma¯d¯ı im südlichen Fayyu¯m, 201) wurden auch Hunderte Ostraka aus dem 2./3. Jh. ˙ gefunden. Eine Besonderheit dieses Ortes stellen neben Bilinguen mit demon. Chr. tischem Haupttext und oft nur wenigen eingestreuten griechischen Wörtern auch die zahlreichen Zeugnisse aus dem Schulkontext dar. Unter den 1989 von Rosario Pintaudi und Pieter J. Sijpesteijn vorgelegten Ostraka aus diesem Bereich 202) befinden sich auch zwei mit Sinnsprüchen, die sich erneut durch die für diesen Ort geradezu typische Willkür bei der Silbentrennung auszeichnen. 8.4.1 Das vollständig erhaltene, nur 4,5 cm schmale, aber deutlich mehr als doppelt so hohe Ostrakon, das inzwischen als OGN I 129 wiederabgedruckt ist, war erstmals schon 1955 von Sergio Donadoni publiziert worden. 203) Die insgesamt acht knappgefaßten Maximen sind alphabetisch von Alpha bis Iota geordnet, wobei Epsilon allerdings fehlt. Während die ersten Sprüche noch in langen Strichen auslaufen, um den jeweils nächsten in einer neuen Zeile beginnen zu lassen, ist diese Praxis ab Z. 10 aufgegeben. Platzgründe waren dafür kaum der Anlaß, da unten noch 3 cm Freirand bestehen.

200. 201. 202. 203.

eingehend L. Robert, De Delphes l’Oxus, inscriptions grecques nouvelles de la Bactriane, CRAI 112.3 (1968) 416-457; vgl. auch A. N. Oikonomides, Records of »The Commandments of the Seven Wise Men« in the 3rd c. B.C. The Revered »Greek Reading Book« of the Hellenistic World, CB 63 (1987) 67-76; allgem. jetzt auch Althoff / Zeller, Worte, zu den genannten Inschriften bes. 8 f. 53 ff. 59 ff. Zu der bis heute anhaltenden Wirkung vgl. auch den von der Künstlerin Ch. Papageorgiou gefertigten marmornen Omphalos mit den delphischen Sprüchen, der erst im Mai 2013 im Łazienki-Park in Warschau aufgestellt wurde. Zu dem möglicherweise irrig gesetzten Artikel zuletzt auch Althoff / Zeller, Worte, 72 mit Anm. 99 f. Vgl. auch bereits TUAT.NF 7 Kap. V, 279 ff. Nr. 3 zu den auf den beiden Eingangspfeilern eingemeißelten Hymnen des Isidoros. R. Pintaudi / P. J. Sijpesteijn, Ostraka di contenuto scolastico provenienti da Narmuthis, ZPE 76 (1989) 85-92. S. Donadoni, Il greco di un sacerdote di Narmuthis, Acme 8 (1955) 73-83, bes. 82 f.; Pintaudi / Sijpesteijn, ZPE 76 (1989) 89 f. Nr. 5, mit G. Messeri / R. Pintaudi, Corrigenda ad OGN I, Aegyptus 81 (2001) 253-282, bes. 270; auch bei Cribiore, Writing, 241 Nr. 285; Althoff / Zeller, Worte, 75.

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Andrea Jördens (1) Tugend

ü(2) be. – (3) Dein Leben beherrsche. (4) Über die Frau ge(5) biete. – (6) Darlehen mei(7) de. – (8) Strebe reich (9) zu sein. – (10) Halte (hoch) die Freund(11) schaft. Die Gött(12) er verehre. (13) Die Draufgänger (14) hasse. 8.4.2 Auch bei dem 9 cm hohen und 7,2 cm breiten unregelmäßigen Fünfeck, das jetzt als OGN I 131 besser zugänglich ist, ist unten ein größerer Freirand von 4 cm gelassen. 204) Die gute obere Hälfte ist hingegen mit zwei iambischen Trimetern beschrieben, in denen Tyche persönlich den jungen Mann zum Lernen auffordert, da auf ihre Macht allein nicht zu bauen sei. Obwohl die Schrift einen recht geläufigen Eindruck macht, sind die sechs Zeilen von Fehlern durchsetzt; außer dem freien Umgang mit Wort- und Silbentrennung fällt vor allem die Verwendung des Nominativs statt Vokativ bzw. Akkusativ auf.

(1) Lerne, (2) und

sorgfältig, o (3) weiser Jüngling, und Tyche. Denn ich bin nicht (6) stark.

(4) niemals

tadele (mich),

(5) die

9. Die sog. Menandersentenzen Da von den einst berühmten Werken des attischen Komödiendichters Menander nur das wenigste Eingang in die mittelalterliche Überlieferung fand, war sein Name lange Zeit allein mit den ihm zugeschriebenen, meist einzeiligen und üblicherweise in iambischen Trimetern verfaßten Lebensweisheiten verbunden. Vorläufer dieser späterhin so beliebten Spruchsammlungen scheinen neuerdings sogar schon in ptolemäischer Zeit faßbar zu sein, wenngleich nur zwei der sieben Zeilenenden, die auf einem heute in Trier aufbewahrten Papyrus des frühen 2. Jh. v. Chr. erhalten blieben, tatsächlich bereits bekannten Maximen entsprechen. 205) Sehr viel häufiger sind Belege dafür in kaiserzeitlichen Papyri anzutreffen, wo sie auch schon die später typische alphabetische Anordnung aufweisen. Als eigenständige Literaturform lange Zeit kaum beachtet, wurde ihnen in letzter Zeit auch aus interkulturellem Blickwinkel verstärkte Aufmerksamkeit zuteil. 206) Die bis zu Beginn der 1960er Jahre bekannten Menandersentenzen finden sich am bequemsten in der von Siegfried Jäkel besorgten Teubnerausgabe zusammengestellt, zu der die römisch numerierten Papyruszeugnisse den Auftakt bilden. 207) Eine syste204. Die Ed. pr. bei Pintaudi / Sijpesteijn, ZPE 76 (1989) 91 f. Nr. 7, die hierzu auf Mon. 611 Pern./ Jk. »Keinen gibt es, der die Tyche nicht tadelt« verweisen; auch bei Cribiore, Writing, 220 f. Nr. 203. 205. Vgl. jetzt B. Kramer, Menandersentenzen auf einem Trierer Papyrus, APF 57 (2011) 261-266 mit Mon. 467 Pern./Jk. in Z. 1 bzw. Mon. 652 Pern./Jk. in Z. 2. Unklar ist die Einordnung des aus dem 3. Jh. v. Chr. stammenden, sehr fragmentarischen P. Michael. 5 = Pap. XX Jk., in dem einige iambische Verse mit gnomischem Charakter, aber auch teils der Ilias, teils einem unbekannten Perserepos entnommene Hexameter einander abwechseln. 206. Vgl. nur die beiden Bände von M. S. Funghi, Aspetti di letteratura gnomica nel mondo antico I, Firenze 2003; II, Firenze 2004. 207. S. Jäkel, Menandri Sententiae. Comparatio Menandri et Philistionis, Leipzig 1964 (= Jk.), mit der hiernach üblichen Zählung der einzelnen Mon(ostichoi) 1-877.

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Griechische Texte aus Ägypten

matische Neubearbeitung des gesamten Materials legte jetzt Carlo Pernigotti vor, worauf für die Parallelen verwiesen sei. 208) Die hier ausgewählten fünf Stücke folgen unterschiedlichen Anordnungsprinzipien, wie sie sich auch nur partiell miteinander oder auch mit den frühneuzeitlichen Sentenzensammlungen überschneiden. Dies macht zugleich die Breite dieser Entwicklung deutlich, die zwar großenteils, aber keineswegs ausschließlich im Schulkontext zu verorten ist. 209) Für die zunehmende Wertschätzung ist etwa auch auf die 15 Ostraka dieses Typs aus dem ausgehenden 5. Jh. n. Chr. zu verweisen, die vor gut 100 Jahren aus Oberägypten in die Sammlung von Sir W. M. Flinders Petrie gelangten. 210)

9.1 Alphabetische Zusammenstellung von Alpha bis Ny

Nur 9,5 cm hoch ist das 1974 von P. J. Parsons als P. Oxy. XLII 3004 vorgelegte, rechts abgebrochene Papyrusfragment, das angesichts der unbeholfenen Hand wie auch einer Reihe Schreibfehler dem schulischen Bereich entstammen dürfte und aus dem beginnenden 1. Jh. n. Chr. datiert. 211) Der Text präsentiert sich als Empfehlung an einen Kleitophon, in dem wohl die Figur einer nicht mehr erhaltenen Menanderkomödie zu erkennen ist. 212) Die persönlich gestaltete Anrede, die thematische Zusammenstellung mit teilweise sogar versübergreifenden Sinnzusammenhängen – hier besonders zum Verhalten gegenüber den Eltern 213) – und die noch relativ freie Auswahl der Sinnsprüche scheinen dabei charakteristisch für die Frühzeit dieser Textsorte; so waren von den 14 alphabetisch geordneten Sentenzen, deren Folge von Alpha bis Ny sich in einer weiteren Kolumne fortgesetzt haben mag, bisher allein drei aus anderen Sammlungen bekannt. (1) Für

Tugend erachte, Kleitophon, [allein (?)] 214) Beständigkeit und Liebe gegen[über den Eltern (?),] 215) (3) da du erkannt hast, wie der Vater dir wies dieses Li[cht.] 216) (2) die

208. C. Pernigotti, Menandri Sententiae (Studi e testi per il Corpus dei papiri filosofici greci e latini 25), Firenze 2008 (= Pern.), wobei die seit der Ausgabe Jäkels neu hinzugekommenen Sentenzen mit einem Sternchen gekennzeichnet sind. 209. Hierzu bes. Cribiore, Writing, 45; so auch unten im Fall von Nr. 9.1 bis 9.3. 210. Vgl. jetzt O. Petr. Mus. I 36-50 mit M. S. Funghi / M. C. Martinelli, Ostraca letterari inediti della collezione Petrie, ZPE 145 (2003) 141-203; dazu auch Pernigotti, Sententiae 43 f. Bekannt war davon zuvor nur der nunmehr als O. Petr. Mus. 39 neuedierte O. Petr. 405, wiederabgedruckt als Pap. IX Jk. 211. Daher auch bei Cribiore, Writing, 234 Nr. 255; hierzu auch M. S. Funghi / M. C. Martinelli, In margine a P. Oxy. 3004 e 3005, SCO 46 (1997) 427-437, bes. 431 ff.; Pernigotti, Sententiae, 45 f. 212. Vgl. auch R. Kassel / C. Austin (Hg.), Poetae Comici Graeci (PCG) VI.2: Menander, Testimonia et Fragmenta apud scriptores servata, Berlin / New York 1998, fr. 821 K.-A. 213. Vgl. auch das Kapitel »zu den Eltern« nach Planudes bei Pernigotti, Sententiae, 116 f. 214. = Mon. *1032 Pern. 215. = Mon. *1043 Pern.; vgl. Mon. *893 Pern. »Beständigere Liebe halte gegenüber den Eltern«. 216. = Mon. *1049 Pern., im Sinne von »gab dir das Leben«.

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Andrea Jördens (4) Recht

ist es, geradewegs die Mutter zu lieben; 217) war sch]wanger, sie hat sich gequält, sie hat aufgezogen, …[…] 218) (6) [Da du leb]st ihretwegen, gib ihnen zurück den Da[nk.] 219) (7) [Süß (ist es),] mit diesen im Glück wie auch im Unglück zu le[ben.] 220) (8) [Bedie]ne die Mächtigen, denen … […] 221) (9) [Die Bill]igkeit ehre, übervorteile niem[anden.] 222) (10) Wenn du einen schlechten Gewinn verfolgst, wirst am [Ende] du dir wehtun. 223) (11) Ein Löwe im Haus (?) ist ein … Verbün[deter (?)]. 224) (12) Gedenke auch im Reichtum, den Armen Gutes zu tun. 225) (13) Als Junger … das (Walten) des Schicksals. 226) (5) [sie

(Rs., 14) Der

Gott gibt dem Gotte die Rechte … 227)

9.2 Alphabetische Zusammenstellung von Alpha bis My

Von der am Ort des einstmaligen Theben in Luxor erworbenen, immer noch 18 cm hohen und 27 cm breiten Tonscherbe ist die linke obere Ecke abgebrochen. Obwohl nur die letzte, mit einem My beginnende Zeile vollständig erhalten ist, hatte schon J. G. Milne 1922 eine alphabetisch geordnete Aufstellung von Sentenzen darin erkannt, die er mit Hilfe von G. Murray zu rekonstruieren suchte. 228) Ebenso wie der vorige Papyrus mag das im 2. Jh. n. Chr. recht sorgfältig beschriebene Ostrakon nach den ersten 12 Buchstaben durch eine zweite Kolumne mit der anderen Hälfte des Alphabets ergänzt worden sein und erneut dem Schulkontext entstammen, wo es

217. = Mon. *903 Pern. 218. = Mon. *1058 Pern.; so unter Annahme eines Schreibfehlers (statt zuletzt »sie hat weggewandt«) nach dem verwandten Menanderzitat PCG VI.2 fr. 456 K.-A. »ich habe aufgenommen, ich habe geboren, ich ziehe auf, ich liebe«, wobei freilich »sie hat gel[iebt]« nicht zu den noch erkennbaren Buchstabenresten zu passen scheint; vgl. auch Funghi / Martinelli, SCO 46 (1997) 433. 219. = Mon. *919 Pern. 220. = Mon. *921 Pern.; zum Gedanken vgl. auch unten Nr. 9.4, Z. 7 und 9, zur Formulierung Mon. 303 Pern./Jk. »Süß (ist es), gerechte Männer im Glück leben zu sehen«. 221. Vgl. Mon. 337 Pern./Jk. »Bediene den Mächtigen, dir allzeit nutz zu sein.« 222. = Mon. 362 Pern./Jk.; die im Papyrus gesetzten Infinitive sind wohl als Fehler zu betrachten. 223. = Mon. *934 Pern.; »am [Ende]« mit Funghi / Martinelli, SCO 46 (1997) 434 f., gegen das noch in der Ed. pr. erwogene »me[hr]«. 224. = Mon. *1081 Pern., offenbar verderbt; vgl. auch Funghi / Martinelli, SCO 46 (1997) 435 f. 225. = Mon. 478 Pern./Jk., allerdings am Ende »nutz zu sein«. 226. = Mon. *1092 Pern., offenbar verderbt. Die weitgehenden Konjekturen von M. Marcovich, The Thirteenth Verse. P. Oxy. 3004 Gnomology, ZPE 18 (1975) 168 f. vermögen nicht zu überzeugen. Vgl. auch Funghi / Martinelli, SCO 46 (1997) 436 f. 227. = Mon. *1072 Pern.; vgl. Funghi / Martinelli, SCO 46 (1997) 437. 228. J. G. Milne, A Gnomic Ostrakon, JEA 8 (1922) 156 f.; hierzu auch A. Körte, III. Referate: Literarische Texte mit Ausschluß der christlichen, APF 8 (1927) 251-272, bes. 259 ff. Nr. 686; wiederabgedruckt als Pap. VIII Jk.

512

Griechische Texte aus Ägypten

vielleicht als Vorlage diente. 229) Trotz mancher gedanklicher Anklänge an bekannte Sentenzen scheinen Wortlaut und Auswahl noch kaum verfestigt zu sein. (1) [Für

(den Inbegriff) jeder Tugend wird ein ernster] Charakter gehalten. 230) beständiger Besitz ist die Bildu]ng allein. 231) (3) [Den Greis ehre, (da er) des Gottes] Abbild ist. 232) (4) [Über einen Mächtigen mache du dich nie]mals zum Richter. 233) (5) [Es geziemt sich, zu bedienen die E]ltern wie die Götter. 234) (6) [Du wirst unbeschwert leben,] wenn du die Güter verachtest. 235) (7) [Die Sitten der Freunde er]kenne, bevor du ihr Freund wirst. 236) (8) [Das Gemüt beh]errsche, auch wenn du bösen Zorn hast. 237) (9) [Gleich sei] (gegenüber) allen, auch wenn du herausragst im Leben. 238) (10) [Schön ist d]as Altern, wenn du eine Stütze des Alters hast. 239) (11) [Re]de etwas Ernstes, wenn aber nicht, halte Schweigen. 240) (12) Nicht für glaubwürdig halte die anklagende Rede. 241) (2) [Ein

229. So bes. Cribiore, Writing, 238 Nr. 272, derzufolge darin überdies »not an original composition« vorliege; anders dagegen Pernigotti, Sententiae, 46. 230. So gegen Murray schon Körte, APF 8 (1927) 260 nach Mon. 69 Pern./Jk. (dort allerdings »das ernste Wort«). 231. = Mon. *1046 Pern.; so schon Körte, APF 8 (1927) 260, vgl. auch das Kapitel »zur Bildung« nach Planudes bei Pernigotti, Sententiae, 136 f. Anders dagegen noch Murray »[Alles Leben richtet gerade die Wahrhei]t allein«. 232. = Mon. *895 Pern.; so schon Körte, APF 8 (1927) 260 mit Verweis auf P. Bour. 1, 175 f. = Pap. II Jk., 3; in stark verderbter Form, zudem mit »Christi Abbild«, wohl auch in P. Schøyen I 11, 7 (4./5. Jh. n. Chr.; noch als T. Moen inv. 78 auch bei Cribiore, Writing, 226 Nr. 229). Vgl. auch allgem. das Kapitel »zum Alter« nach Planudes bei Pernigotti, Sententiae, 116. 233. = Mon. *1055 Pern., mit Körte, APF 8 (1927) 261, der zum Gedanken auf das jetzt wohl auch in Nr. 9.1, 8 vorliegende Mon. 337 Pern./Jk. verweist; nach Murray zu Beginn dagegen »Übelwollend«. 234. = Mon. *1061 Pern., mit Körte, APF 8 (1927) 261. 235. = Mon. *1066 Pern.; zu der in den Sentenzen beliebten Verbindung »unbeschwert leben« gegen das noch von Murray ergänzte »im Reichtum leben« bes. Körte, APF 8 (1927) 260, wozu noch Mon. 749 Pern./Jk. »Unbeschwert zu leben ist das süßeste Leben« zu stellen wäre. 236. = Mon. *1068 Pern.; vgl. auch das Kapitel »zu den Freunden« nach Planudes bei Pernigotti, Sententiae, 146 ff. 237. = Mon. *1073 Pern.; vgl. auch das Kapitel »zum Zorn« nach Planudes bei Pernigotti, Sententiae, 134 f. 238. = Mon. 358 Pern./Jk., zum Gedanken auch oben Nr. 7.1; so jetzt auch ergänzt in O. Petr. Mus. I 38 recto = Pap. X Jk., 5 f. 239. = Mon. *940 Pern.; zu den Sprüchen »zum Alter« allgem. schon oben Anm. 232. 240. So gegen das noch von Murray ergänzte »[Sprich], wenn es (etwas) Ernstes (ist)« bes. Körte, APF 8 (1927) 260, vgl. auch Mon. *292a Pern.; so am Versbeginn jetzt auch ergänzt in O. Petr. Mus. I 38 verso, 5 f. Vgl. auch das Kapitel »zum Schweigen« nach Planudes bei Pernigotti, Sententiae, 141 f. 241. = Mon. *947 Pern.

513

Andrea Jördens

9.3 Alphabetische Zusammenstellung von Omega bis Alpha

Der lange Zeit früheste Zeuge für die nachmals unter dem Namen Menanders laufenden Spruchweisheiten datiert aus dem späteren 1. Jh. n. Chr. und gelangte 1891 aus dem im Norden des Moerissees gelegenen Soknopaiu Nesos, dem heutigen Dı¯ma, nach Wien. Das 25,5 cm hohe und 28 cm breite Fragment stammt vom Rollenbeginn, wie nicht nur das vorgeklebte sog. Protokollon, sondern auch die Überschrift »Kassenjournal« auf der offenbar weiterhin unpublizierten Vorderseite anzeigen. Auf der Rückseite wurden etwa ein halbes Jahrhundert später von Omega bis Alpha, also in umgekehrter Reihenfolge geordnete Sentenzen niedergelegt, die H. Oellacher 1939 als MPER III 24 edierte. 242) Die unbeholfene Schrift und Orthographie deuten erneut auf einen Schulkontext, 243) während die wiederholte Anrede eines Phanias an die älteren Weisheitslehren erinnern mag. Allerdings handelt es sich hierbei erneut um die Figur einer nicht mehr erhaltenen Menanderkomödie, in diesem Fall des Kitharistes. Hatte bereits das Zitat in Z. 8 in diese Richtung gewiesen, erscheint dies nunmehr dadurch erhärtet, daß der erste Vers auch als Schreibübung auf vier Ostraka des 2. Jh. n. Chr. begegnet, die bei den Surveys in der Ostwüste am Mons Claudianus gefunden wurden. 244) Eine weitere Gemeinsamkeit mit Nr. 9.1 besteht zudem in der thematischen Zusammenstellung mit teilweise versübergreifenden Sinnzusammenhängen, die diesmal um die rechte Urteilskraft kreist. (1) O

Phanias, gib nicht fruchtlos acht auf Verleumdungen, 245) ein verlogenes Gerücht verdirbt das Leben. 246) (3) Dank einer Verleumdung wurde Hippolytos, der Sohn des Theseus (4) getötet von dem Vater durch mangelnde Urteilskraft seiner Sinne. 247) (5) Wirf hinaus das Minderwertige aus deinem Ge[müt.] 248) (6) Welcher Mann hat nicht das Vermögen …[… 249)?] (7) Schweigen zu vermögen, wenn man geschmäht wurde, ist schön. 250) (8) Wenn du leichtfertig bist, Phanias, wirst du arm sein. 251)

(2) denn

242. Wiederabgedruckt als Pap. IV Jk., mit S. Jäkel, Menandersentenzen. Neue Lesungen der Papyri aus der Österreichischen Nationalbibliothek, Eos 73 (1985) 247-251; vgl. auch A. Körte, II. Referate: Literarische Texte mit Ausschluß der christlichen, APF 14 (1941) 103-150, bes. 125 ff. Nr. 971; Pernigotti, Sententiae, 46. 49. 243. Daher auch bei Cribiore, Writing, 235 f. Nr. 262. 244. Vgl. nur, wenngleich mehr oder weniger fragmentarisch, O. Claud. I 184-187 (auch bei Cribiore, Writing, 219 Nr. 194-197). 245. = Mon. *1026 Pern., mit F. H. Sandbach, Menandri reliquiae selectae, Oxford 1990, Cith. fr. 10 Sandb. 246. = Mon. *1027 Pern.; vgl. Mon. 845 Pern./Jk. »Verlogene Verleumdung verdirbt das Leben« (so auch in P. Bour. 1, 234 f. = Pap. II Jk., 23), was hier auf zwei Verse aufgeteilt erscheint. 247. = Mon. *1028/29 Pern., offenbar zusammengehörig. 248. = Mon. *994 Pern. 249. = Mon. *1117 Pern.; nach Oellacher, Komm. zur Ed. pr. am Ende vielleicht »zu verletzen« o. ä. 250. = Mon. *984 Pern. 251. Vgl. Mon. 698 Pern./Jk., mit der üblicheren Variante »Wenn du als Reicher leichtfertig bist, wirst du arm sein« nach Men., Cith. fr. 11 Sandb.; so auch in P. Bour. 1, 216 f. = Pap. II Jk., 17.

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Griechische Texte aus Ägypten (9) Da

du den väterlichen Besitz übernimmst, […] 252) durch … viel gegen[…] 253) (11) Da du ein Fremder bist, folge den Gewohnhei[ten] der …[…] 254) (12) Vor der Nemesis hüte dich, nichts mache über das Maß. 255) (13) Gedenke deiner, da du sterblich bist, o Phanias, 256) (14) Des Hungers Auflösung … arbeit[ …] 257) (15) und … 258) (16) Hinreichend hat des Ar[me]n … […] 259) (17) Das Getümmel der Massen meide und den We[inrausch.] 260) (18) Der Bauch gibt (?) vielfach Raum […] 261) (19) Ein Lebewesen, das achtsam … […] 262) (20) Lob wirst du ernten, wenn du beherrscht, was man [beherrschen muß.] 263) (21) Verfolge Ruhm [und Tuge]nd, meide den Ta[del.] 264) (22) Zu heiraten schiebe auf, der du Strapazen mei[den willst.] 265) (23) Den, der sich selbst rät […] (24) zu machen. 266) (25) Wenn du das tust, Phanias, … […] 267) (10) Weniges

252. = Mon. *1113 Pern.; nach Jäkel, Eos 73 (1985) 249 am Ende vielleicht eine Form von »tragen«. 253. = Mon. *1096 Pern.; nach Jäkel, Eos 73 (1985) 249 sinngemäß vielleicht »Ein bestimmter Gesichtsausdruck kann viele Folgen nach sich ziehen«. 254. Wohl als Variante zu Mon. 547 Pern./Jk. »Da du ein Fremder bist, folge den einheimischen Gesetzen«. Das in Pap. IV Jk., 11 ergänzte »den Gewohnhei[ten der Fremden]« folgt aus dem für Oellacher nach der Ed. pr. noch lesbaren »den Gewohnheiten unter Fr[emden]«, während Jäkel, Eos 73 (1985) 248 f. am Zeilenende noch »Wohl[« erkennen und daher vielleicht »Wohlge[sinnten« ergänzen will. 255. = Mon. 520 Pern./Jk., mit Jäkel, Eos 73 (1985) 248, wodurch sich die früheren Erwägungen bei Körte, APF 14 (1941) 126 mit Anm. 3 erübrigen. 256. = Mon. *1086 Pern., mit Jäkel, Eos 73 (1985) 249. 257. = Mon. *1082 Pern. 258. = Mon. *1079 Pern., stark verderbt; nach Körte, APF 14 (1941) 127 immerhin erwägenswert das von K. F. W. Schmidt vorgeschlagene »Früchte [frißt] kein Esel statt [der Distel]n«, was freilich nach dem von B. Kramer, Akanthus oder Akazie? Bemerkungen zu Bäumen, ZPE 97 (1993) 131-144 geführten Nachweis, daß das griechische ˝kanqa stets die Akazie meint, einer anderen Ergänzung bedürfte. 259. = Mon. *1075 Pern. 260. = Mon. 332 Pern./Jk. 261. So mit Jäkel, Eos 73 (1985) 248; vgl. Mon. 311 Pern./Jk. »Der Bauch gibt sowohl vielem Raum als auch wenigem« sowie Mon. *311a Pern. »Der Bauch gibt vielem Raum, aber wenig Nutzen«. 262. Vgl. Mon. 274 Pern./Jk. »Lebe achtsam, so daß du aus der Nähe Weitblick hast«. 263. So mit Oellacher in der Ed. pr., während für Jäkel, Eos 73 (1985) 248 vom Nebensatz nichts mehr erkennbar war; vgl. auch Mon. 210 Pern./Jk., mit dem üblicheren »wie man (es) beherrschen muß«. 264. = Mon. 192 Pern./Jk. 265. = Mon. *1048 Pern., hier mit der Neulesung und Ergänzung von Jäkel, Eos 73 (1985) 248 f.; vgl. auch das Kapitel »zur Heirat« nach Planudes bei Pernigotti, Sententiae, 115. 266. = Mon. *1045 Pern. 267. = Mon. *1031 Pern., mit Jäkel, Eos 73 (1985) 249, trotz der ebda. referierten Bedenken H. Harrauers, wonach vielmehr »offenkundig« zu lesen sei; anders noch Oellacher in der Ed. pr. »Wenn du das tust, wirst du erscheinen (als einer, der) Ve[rstand hat]«.

515

Andrea Jördens

9.4 Zehn Sentenzen mit Beginn auf Omega

Das Papyrusfragment unbekannter Herkunft, das 1926 in Madı¯nat al-Fayyu¯m für die Gießener Privatsammlung Janda erworben wurde und heute in der dortigen Universitätsbibliothek liegt, bildete offenbar das Ende einer Buchrolle mit einzeiligen Lebensweisheiten im Taschenformat. Der obere Rand des 12 cm hohen und 7,5 cm breiten, an der rechten Seite abgebrochenen Fragments, das dem 2./3. Jh. n. Chr. zugeordnet wird, ist original. Auf zehn Verszeilen, die sämtlich mit Omega und also dem letzten Buchstaben des griechischen Alphabets beginnen, folgt als Abschluß der Buchtitel. Wie üblich durch größere, auf Mitte gesetzte Buchstaben und zusätzliche Über- und Unterstreichungen optisch herausgehoben, bietet er das früheste Beispiel der Zuschreibung derartiger Spruchsammlungen an Menander. Der nur zwei Jahre nach seiner Auffindung erstmals von Karl Kalbfleisch publizierte Text erlebte seither vielfache Nachdrucke, zuletzt von Peter Kuhlmann als P. Giss. Lit. 3.4. 268) (1) Wie

groß ist das Kleine, [zum rechten Zeitpunkt gegeben.] 269) wenig weiß der Mensch von dem, was [er im Begriff ist zu tun.] 270) (3) Wie süß ist die Freund[schaft], die nicht durch Worte be[lastet wird.] 271) (4) Wie schlimm ist We[in, wenn er sich des Menschen bemächtigt.] 272) (5) Wie leicht zu fangen für Gewinn [ist ein jeder.] 273) (6) Wie viel [Übles bringt] den Sterblichen die Freizeit. 274) (7) Wie süß ist [die Gemeinschaft] von Eltern und Kindern. 275) (8) Wie glückselig ist Verstand in [einem tüchtigen Charakter.] 276) (9) Wie süß ist [die Gemeinschaft] von Eltern und Kindern. 277) (10) O Kind, meide nicht [die] Schönheiten [des Lebens (?).] 278) (2) Wie

268. K. Kalbfleisch, Men€ndrou Gnmai, Hermes 63 (1928) 100-103; wiederabgedruckt als P. Iand. V 77; Pap. III Jk.; P. A. Kuhlmann, Die Gießener literarischen Papyri und die Caracalla-Erlasse, Gießen 1994, 72-76 (sofern nicht anders vermerkt, hiernach auch die unten gegebene Übersetzung); Z. 3-5 sowie 9-10 zudem in Sel. Pap. III 56. Vgl. auch Pernigotti, Sententiae, 42. 269. = Mon. 872 Pern./Jk. 270. = Mon. 864 Pern./Jk.; im Anschluß an eine Konjektur von W. Meyer dagegen Kuhlmann, Papyri, 74 »was [ihm widerfahren wird]«. 271. = Mon. *1126 Pern.; nach Kalbfleisch, Hermes 63 (1928) 100 f. dagegen »nicht ins [Getümmel gerät]«. 272. = Mon. *1127 Pern. mit Pap. III Jk., 4; andere Ergänzungsvorschläge bei Kuhlmann, Papyri, 75, der 74 »Wein [im Übermaß genossen?]« übersetzt. 273. = Mon. *1124 Pern.; nach Page, Sel. Pap. III 56, 3 dagegen »[ist die (menschliche) Natur]«. 274. = Mon. 875 Pern./Jk., vgl. auch Mon. 658 Pern./Jk. 275. = Mon. *1017 Pern.; die Zuordnung von O. Petr. Mus. 50, 1 f. ist unsicher. 276. = Mon. *1020 Pern.; vgl. R. Kassel / C. Austin (Hg.), Poetae Comici Graeci (PCG) V: Damoxenus – Magnes, Berlin / New York 1986, Diph. fr. 113 K.-A.; so jetzt möglicherweise auch in dem fragmentarischen O. Petr. Mus. 50, 3. 277. = Mon. *1017 Pern., in der Annahme einer bloßen Dopplung von Z. 7; dagegen hatte Kalbfleisch, Hermes 63 (1928) 101 noch die Variante »Üb[ereinstimmung]« erwogen; vgl. auch Kuhlmann, Papyri, 74, der in Z. 7 »[das Beisammensein]«, in Z. 9 »[Eintracht?]« übersetzt. 278. = Mon. *1012 Pern. Anders dagegen noch Pap. III Jk., 10 »O Kind, den Diony[so]s meide [und be]son[ders die Kypris!« sowie auch noch Kuhlmann, Papyri, 74 »Kind, meide den Dionysos (d. h. Wein) [und die Liebe?]«, bes. 75 mit eingehender Diskussion älterer Ergänzungs-

516

Griechische Texte aus Ägypten (11) Menanders (12) Sentenzen. (13) Hat

(gut) gefallen. 279)

9.5 Sechsundzwanzig Sentenzen mit Beginn auf Alpha

Auf der nur 15 cm hohen Rolle wurden im 3. Jh. n. Chr. ebenfalls mit demselben Buchstaben beginnende Sentenzen zusammengestellt, die als Vorläufer der hochmittelalterlichen Sammlungen anzusehen sind. Da sämtliche 26 Verse auf den beiden Kolumnen mit Alpha beginnen, sollte das 28 cm breite, im mittelägyptischen al-Bahnasa¯ gefundene Fragment vom Anfang der Rolle stammen. 280) Anders als in den vorigen Beispielen ist die weit überwiegende Menge der hier niedergelegten Sinnsprüche in dieser oder ähnlicher Form bereits aus der sonstigen Überlieferung bekannt; hatte P. J. Parsons bei der 1974 erfolgten Edition als P. Oxy. XLII 3006 nur vier Sentenzen als »unidentifizierbar« bezeichnet, ließ sich diese Zahl inzwischen sogar noch weiter reduzieren. (col. I, 1) [Was

sich nicht ge]hört, [(das) hö]re nicht und sieh auch nicht. 281) Mangel an Ra]t erleiden vielfach Schaden die Sterblichen. 282) (3) [Aller] Gewinn, so ungerecht, gebiert Schaden. 283) (4) [Da du ein Mensch bi]st, gedenke des gemeinsamen Schicksals. 284) (5) [Die Ruh]e aller Übel ist der Schlaf. 285) (6) [Selbst] werden [dich] die Aufgaben des Lebens [lehren (?).] 286) (7) Eines Mann[es (Art ist es), d]ie Fährnisse mit Ed[elm]ut zu tragen. 287) (8) Unsterbliche Feindschaft hege nicht, da du sterblich bist. 288) (2) [Durch

279.

280.

281. 282. 283. 284. 285. 286. 287. 288.

vorschläge, die freilich durch den von D. Hagedorn, Zwei Bemerkungen zu gnomischen Versen, ZPE 32 (1978) 34 f. unternommenen Abgleich am Photo und die Parallele in P. Ryl. I 41 = Pap. XVI Jk., 5 hinfällig sein dürften, ebenso wie die von Page, Sel. Pap. III 56, 5 übernommene Ergänzung Kalbfleischs »den Diony[so]s meide, [auch wenn du sehr] le[idest]«. Daß in diesem wohl von anderer Hand stammenden Nachtrag ein Kommentar des Lehrers zu sehen sei, scheint nunmehr durch den von denselben beiden Händen verfertigten BKT IX 69 bestätigt; vgl. bes. die eingehende Einleitung der Ed. pr. von W. Brashear, Gnomology, YClS 28 (1985) 9-12, der sich dabei der Auffassung von Kalbfleisch, Hermes 63 (1928) 102 anschließt, daß es sich bei dem »Schüler« bereits selbst um einen Berufsschreiber handele. Hieraus dürfte sich auch erklären, warum dieser Text bei Cribiore, Writing nicht aufgenommen erscheint. Anders scheint dies im Fall des von M. S. Funghi, PMilVogliano inv. 1241 v.: gnmai monsticoi, in: M. Capasso / G. Messeri Savorelli / R. Pintaudi (Hg.), Miscellanea Papyrologica (Pap. Flor. 19), Firenze 1990, I 181-188 publizierten schmalen Papyrusstreifens zu sein, auf dem im 3. Jh. n. Chr. 22 offenbar ebenfalls mit Alpha beginnende Sentenzen niedergelegt wurden, vgl. bes. 182. = Mon. 48 Pern./Jk.; auch in P. Oxy. XXXIII 2661, 4. = Mon. 17 Pern./Jk. = Mon. 8 Pern./Jk., dort allerdings »bringt« statt »gebiert«. = Mon. 10 Pern./Jk.; vgl. auch denselben Beginn in Z. 22. = Mon. 76 Pern./Jk. Vgl. Mon. 4 Pern./Jk. = Mon. 15 Pern./Jk. = Mon. 5 Pern./Jk.

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Andrea Jördens (9) Daß

Freie (wenigstens) einmal hören, ist schön. 289) Herrschenden gehorche, ob gerecht, ob ungerecht. 290) (11) Was wir an einem anderen tadeln, das sollen wir nicht nachahmen. 291) (12) Gerechter Männer Frucht geht nicht zugr[unde.] 292) (13) Bester [Bes]itz für einen Mann (ist) eine einfühlsa[me Frau.] 293) (col. II, 14) Nicht [recht (ist) es, die Freunde absichtlich] zu betrüben. 294) (15) Wer als Mensch … [… .] (16) Das größte Gu[t ist stets] der Ver[stand.] 295) (17) Es führt die Gottheit die Bös[en zum Gericht.] 296) (18) Daß du selbst ein Mensch bist, [(daran) gedenke stets.] 297) (19) Eine Sache, die sich nicht rechnet, ist die Sch[lechtigkeit.] 298) (20) Stets, w[as be]tr[übt, verb]anne aus dem Le[ben.] 299) (21) [Ger]echter Männe[r si]nd Retter die Gö[tter.] 300) (22) Da du ein Mensch bi[st, erke]nne den Zo[rn zu beherrschen.] 301) (23) Eines Mann[es … .] 302) (24) Alles zum rechten Zeitpunkt Geerntete steht in Gunst. 303) (25) Ohne Kup[fergeld gibt Pho]ibos keine Ora[kel.] 304) (26) Ein glück[loser] Mens[ch wird ge]rette[t du]rch di[e Hoffnung.] 305) (10) Dem

289. = Mon. 6 Pern./Jk. 290. = Mon. *890 Pern. 291. Vgl. Mon. 7 Pern./Jk., dort allerdings »Was wir (selbst schon) tadeln«; so jetzt vielleicht auch in P. Mil. Vogl. inv. 1241 verso, 4. 292. = Mon. 28 Pern./Jk., dort allerdings »Eines gerechten Mannes«; so auch in P. Mon. Epiph. II 615 = Pap. XIII Jk., 3 (6./7. Jh. n. Chr.; auch bei Cribiore, Writing, 252 Nr. 319). 293. = Mon. *887 Pern. 294. = Mon. 11 Pern./Jk. 295. = Mon. 14 Pern./Jk. 296. = Mon. 16 Pern./Jk. (= 79-80 Jk.). 297. = Mon. 18 Pern./Jk. 298. = Mon. 36 Pern./Jk.; so jetzt vielleicht auch in P. Mil. Vogl. inv. 1241 verso, 20. 299. = Mon. 3 Pern./Jk., trotz gewisser Unsicherheiten; so jetzt vielleicht auch in P. Mil. Vogl. inv. 1241 verso, 22. 300. = Mon. *880 Pern.; so jetzt vielleicht auch in P. Mil. Vogl. inv. 1241 verso, 10. 301. = Mon. 22 Pern./Jk. 302. Nach den noch vorhandenen Buchstabenresten möglicherweise Mon. 25 Pern./Jk. »Eines [schlechten] Mann[es Gesell]schaft [meide] stets«. 303. = Mon. 9 Pern./Jk. 304. = Mon. *882 Pern., mit Th. F. Brunner, Computer-Früchte, ZPE 66 (1986) 293-296, bes. 295 f. nach P. Oxy. XXXIII 2661, 9; so jetzt vielleicht auch in P. Mil. Vogl. inv. 1241 verso, 16. 305. = Mon. 30 Pern./Jk.

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Zeittafeln Die Daten der ägyptischen Geschichte folgen grundsätzlich J. von Beckerath, Chronologie des pharaonischen Ägypten, MÄS 46 (1997), bieten aber für den Zeitraum vor der 12. Dynastie Mittelwerte. Die Daten der mesopotamischen Geschichte vor 2600 v.Chr. orientieren sich an C14 -Daten. Die Daten vor 1500 v.Chr. bieten doppelte Datierungen nach den beiden als »Mittlere« und »Kurze Chronologie« bekannten Systemen; die »Mittlere Chronologie« wird seit mehreren Jahrzehnten in den meisten Handbüchern und in wissenschaftlicher Literatur verwendet, die »Kurze Chronologie« hat in der letzten Zeit wieder an Beachtung gewonnen. Neuerdings ist auch eine »Ultrakurzchronologie« (H. Gasche u. a., Dating the Fall of Babylon, 1998) vorgeschlagen worden. Die Tragfähigkeit der astronomischen Grundlagen dieser Chronologiesysteme ist umstritten. Die Daten vor der III. Dynastie von Ur sind mit zusätzlichen Unsicherheiten behaftet; die hier gebotenen konventionellen Daten (wiederum alternativ nach der Mittleren und Kurzen Chronologie, teilweise gerundet) sind um ca. 55 Jahre zu kürzen, wenn man mit W. W. Hallo, RLA III, 713 f. die Gutäerzeit auf ca. 45 Jahre kürzt. Die Daten vor Sargon von Akkade sind zusätzlich zu kürzen, wenn man eine stärkere Überschneidung der Regierung dieses Herrschers mit Lugalzagesi und damit der jüngeren Frühdynastischen Zeit annimmt. Die altassyrischen Daten gehen auf K. R. Veenhof, The Old Assyrian List of Year Eponyms, 2003, zurück. Die mittelbabylonischen Daten folgen J. Boese, UF 14 (1982) 15-26, die mittelassyrischen J. Boese und G. Wilhelm, WZKM 71 (1979) 19-38. Die Zeittafeln umfassen folgende Kulturen: 1. Ägypten 2. Mesopotamien 3. Babylonien 4. Assyrien 5. Obermesopotamien und Syrien 6. Palästina (Juda und Israel) 7. Anatolien 8. Iran 9. Griechenland und Rom 10. Südarabien 519

Zeittafeln

1. Ägypten vor 3000 v. Chr. seit ca. 3400 um 3020 ca. 3000-2680 um 3000 ca. 2682-2145 ca. 2682-2614

ca. 2614-2479 ca. 2479-2322 um 2360 ca. 2322-2191 ca. 2191-2145

2119-1793 2119-1976 1976-1794 1976-1947 1956-1910 1914-1879 1882-1872 1872-1853 1853-1806

ca. 1648-1538

1550-1070 1550-1292

1550-1525 1525-1504

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Prädynastische Zeit Anfänge der Schrift (Abydos), Ausbreitung der Naqa¯da-Kultur von Oberägypten nach Norden König Narmer Dauerhafte Vereinigung von Ober- und Unterägypten 1.-2. Dynastie König Menes Altes Reich 3. Dynastie Memphis wird Residenz König Djoser, Beginn des Pyramidenbaus 4. Dynastie Könige Snofru, Cheops, Chephren, Mykerinos 5. Dynastie Könige Userkaf, Sahure, Unas Wezir Ptahhotep Urkunden auf Papyrus, Pyramidentexte 6. Dynastie Unruhen und Thronwirren 1. Zwischenzeit 9.-10. Dynastie (Residenz Herakleopolis) Könige Achtoi, Merikare Mittleres Reich 11. Dynastie (Residenz Theben) Aufkommen von Sargtexten 12. Dynastie Feldzüge nach Palästina und Nubien Amenemhet I. Sesostris I. Amenemhet II. Sesostris II. Sesostris III. Amememhet III. Blütezeit der Literatur 13.; 14. Dynastie 2. Zwischenzeit Thronwirren, vorübergehende Stabilisierungen, Zusammenbruch der Zentralherrschaft 15. Dynastie (Hyksos, Residenz Auaris) 16. Dynastie (Vasallen der Hyksos); 17. Dynastie in Oberägypten (beide parallel zur 15. Dynastie) Neues Reich 18. Dynastie (Residenz Theben) Feldzüge bis zum Euphrat, Eroberung von Palästina und Teilen Syriens, Kontakte mit den vorderasiatischen Königreichen Amosis Amenophis I.

Zeittafeln 1504-1492 1492-1479 1479-1458 1479-1425 1428-1397 1397-1388 1388-1351 1351-1334

1337-1333 1333-1323 1323-1319 1319-1292 1292-1186 1279-1213 1274 1259 1213-1203 1186-1070 1183-1152 1152-1070

1070-664 1070-946 1070-1044 1044-994 979-960 946-735 946-925 ca. 927 875-837 seit 746 746-715 715-700 690-664 ca. 740-719 719-714 671 667 664-332 v. Chr. 664-610

Thuthmosis I. Thuthmosis II. Hatschepsut Thuthmosis III. Amenophis II. Thuthmosis IV. Amenophis III. Amenophis IV. (= Echnaton) Verlegung der Residenz nach Amarna. Neue Religionspolitik: naturphilosophischer Monotheismus des Echnaton Semenchkare Tutanchamun Eje Haremhab Verlegung der Residenz nach Memphis 19. Dynastie Ramses II. Schlacht bei Qadeš gegen die Hethiter Bau der Residenz Per-Ramesse (Ramsesstadt) Friedens- und Freundschaftsvertrag mit Hattusili III. ˘ Merenptah 20. Dynastie Ramses III. Kampf gegen die »Seevölker« Ramses IV. - Ramses XI. Innerer und äußerer Machtverfall, Palästina und Nubien gehen verloren 3. Zwischenzeit 21. Dynastie (Residenz Tanis) Smendes Psusennes Siamun 22. Dynastie (»Libyerzeit«) Scheschonq I. Palästina-Feldzug Osorkon II. Eroberung Ägyptens durch die Kuschiten 25. Dynastie Pije Schabaka Taharqa Im Delta hält sich die 24. Dynastie mit der Residenz Sais: Tefnachte Bokchoris Eroberung von Unterägypten durch Asarhaddon (s. Assyrien) Feldzug Assurbanipals gegen Ägypten, assyrische Oberherrschaft bis 650 Spätzeit (von hier ab alle Daten absolut) 26. Dynastie Psammetich I.

521

Zeittafeln 610-595 595-589 589-570 570-525 525 404-342 332-30 v. Chr. 332 332/31 304-283/82 285/84-246 275/74-271 260-253 246-221 246-241 221-204 219-217 205-186 204-180 202-195 180-145 170-168 168 164/63 sowie 145-116 116 116-80 80 80-51 51-30 44-30 31 v. Chr. 30 v. Chr.

522

Necho Psammetich II. Apries Amasis Eroberung durch Kambyses (s. Iran) Einheimische Herrscher (28.-30. Dynastie) Hellenistische Zeit Eroberung Ägyptens durch Alexander d. Gr. Gründung Alexandrias Ptolemaios I. Soter I. (seit 323 Satrap von Ägypten) Ptolemaios II. Philadelphos 1. Syrischer Krieg 2. Syrischer Krieg Ptolemaios III. Euergetes II. 3. Syrischer Krieg Ptolemaios IV. Philopator 4. Syrischer Krieg Herwennefer und Anchwennefer als einheimische Gegenkönige in Oberägypten Ptolemaios V. Epiphanes 5. Syrischer Krieg Ptolemaios VI. Philometor 6. Syrischer Krieg »Tag von Eleusis«, Rom greift in die Geschicke Ägyptens ein Ptolemaios VIII. Euergetes II. Tod Ptolemaios VIII. Euergetes II. Wechselnde Machtverhältnisse zwischen Kleopatra II., Kleopatra III., Ptolemaios IX. Soter II. und Ptolemaios X. Alexander I. Ptolemaios XI. Alexander II. Ptolemaios XII. Neos Dionysos (Auletes) Kleopatra VII. Ptolemaios XV. Kaisar Schlacht bei Actium Ägypten wird röm. Provinz

Zeittafeln

2. Mesopotamien ca. 3600-2900 ca. 3200-2900 ca. 2900-2350/2286 um 2600 um 2550/2490 um 2500/2440 ca. 2500-2350 / 2440-2286

um 2350/2286 ca. 2350-2193 / 2286-2129 um 2125/2060 um 2125/2060 um 2115/2049 2112-2004 / 2048-1940 2112-2095 / 2048-2031 2094-2047 / 2030-1983 2046-2038 / 1982-1974 2037-2029 / 1973-1965 2028-2004 / 1964-1940

ˇ amdat Nasr-Zeit (Mittlere und Späte) Uruk-Zeit und G ˙ Archaische Tontafeln aus Uruk Frühdynastische Zeit Mebaragesi von Kiš, Gilgameš von Uruk Texte aus Šuruppak (Fara) und Abu¯ Sala¯bı¯h ˘ ˙ Könige der I. Dynastie von Ur: Meskalamdug, Akalamdug, Mesanepada, A’anepada Herrscher von Lagaš: Ur-Nanše, Akurgal, Eanatum, Enanatum I., Enmetena, Enanatum II., Enentarzi, Lugalanda, Uruinimgina Lugalzagesi von Umma und Uruk Könige von Akkade (Agade): Sargon, Rı¯muš, Maništu¯su, Nara¯m-Suen, Šar-kali-šarrı¯ Gutäer-Zeit Gudea von Lagaš Utu-hegˆal von Uruk ˘ Könige der III. Dynastie von Ur: Ur-Namma Šulgi Amar-Suena Šu-Sîn Ibbi-Sîn

3. Babylonien 2004-1763 / 1950-1699 2017-1793 / 1953-1729

2025-1763 / 1961-1699 1834-1823 / 1770-1759 1822-1763 / 1758-1699 1763-1595 / 1699-1531 1894-1595 / 1830-1531 1792-1750 / 1728-1686 1749-1712 / 1685-1648 1711-1684 / 1647-1620 1683-1647 / 1619-1683 1646-1626 / 1682-1562 1625-1595 / 1561-1531 1595/1531-1100 1595/1531-1150 1594/1530-? um 1470

Isin-Larsa-Zeit Könige von Isin: Išbi-Erra, Šu-ilı¯-šu, Iddin-Daga¯n, Išme-Daga¯n, Lipit-Ištar, Ur-Ninurta, Bu¯r-Sîn, Lipit-Enlil, Erra-imittı¯, Enlil-ba¯ni, Damiq-ilı¯-šu Könige von Larsa: Warad-Sîn Rı¯m-Sîn Altbabylonische Zeit I. Dynastie von Babylon Hammurapi ˘ Samsu-iluna Abi-ešuh ˘ Ammi-ditana Ammi-saduqa ˙ Samsu-ditana Mittelbabylonische Zeit Kassitendynastie Agum II. kakrime Karaindaš Kurigalzu I.

523

Zeittafeln 1369-1355 1354-1328 1327-1303 1276-1259 1258-1250 1227-1220 1181-1167 1166-1154 1150 ca. 1157-1026 1125-1104 1099-1082 1081-1069 1068-1047 978-626 760(?)-748 747-734 721-710, 703 667-648 647-627 625-539 625-605 605 604-562 597+587 561-560 559-556 556 555-539 539

524

Kadašman-Enlil I. Burnaburiaš II. Kurigalzu II. Kadašman-turgu Kadašman-Enlil II. Kaštiliaš IV. Melišipak Marduk-apla-iddina I. Eroberung und Plünderung großer Teile Babyloniens durch Šutruk-Nahhunte I. von Elam II. Dynastie von Isin Nebukadnezar I. Marduk-na¯din-ahhe¯ ˘˘ Marduk-šapik-ze¯ri Adad-apla-iddina Verschiedene Dynastien Nabû-šuma-iškun Nabû-na¯sir ˙ Marduk-apla-iddina II. (= Merodach-baladan) Šamaš-šum-ukı¯n Kandala¯nu Neubabylonisches Reich Nabû-apla-usur (= Nabopolassar) ˙ Schlacht bei Kargamiš gegen Ägypten Nabû-kudurra-usur (= Nebukadnezar II.) ˙ Eroberung von Jerusalem Ame¯l-Marduk (= Ewil-Merodach) Neriglissar Labašı¯-Marduk Nabonid Eroberung durch Kyros II., danach Teil des Achämeniden-, Alexander-, Seleukiden-, Partherreiches

Zeittafeln

4. Assyrien ca. 2020-1812 / 1956-1748 1974-1935 / 1910-1871 1934-1921 / 1870-1857 1920-1881 / 1856-1817 1880-1873 / 1816-1809 1872-1812 / 1808-1748 ca. 1950-1750 / 1890-1690 1808-ca. 1650 1808-1776 / 1744-1712 1775-1742 / 1711-1678 seit ca. 1650 ca. 1335-1050 1353-1318 1295-1264 1263-1234 1233-1197 1223 1114-1076 1073-1056 ca. 900-612 911-891 890-884 883-859 879 858-823 853 823-810 809-780 781-772 771-754 753-746 745-727 743 726-722 722 721-705 706 704-681 694 689 680-669 671 668-627 653 629-626? 626?

Puzur-Aššur-Dynastie Puzur-Aššur I., Šalim-ahum, Ilušu¯ma ˘ Irı¯šu I. Iku¯nu Šarrum-ke¯n (Sargon) I. Puzur-Aššur II. Nara¯m-Sîn, Erı¯šu¯m II. Altassyrische Handelskolonien in Anatolien Dynastie des Šamšı¯-Adad (Samsi-Addu) Šamšı¯-Adad I. Išme-Dagan I. Adasi-Dynastie Mittelassyrisches Reich Aššur-uballit I. ˙ Adad-ne¯ra¯rı¯ I. Šulma¯nu-aša¯red (Salmanassar) I. Tukultı¯-Ninurta I. Eroberung von Babylon Tukultı¯-apil-Ešarra (Tiglatpileser) I. Aššur-be¯l-kala Neuassyrisches Reich Adad-ne¯ra¯rı¯ II. Tukultı¯-Ninurta II. Aššur-na¯sir-apli (Assurnasirpal) II. ˙ ˙ Kalhu / Kalah wird Königsresidenz ˘ ˘ Šulma¯nu-aša¯red (Salmanassar) III. Schlacht von Qarqar gegen eine syrische Koalition Šamšı¯-Adad V. Adad-nı¯ra¯rı¯ III. Šulma¯nu-aša¯red (Salmanassar) IV. Aššur-dan III. Aššur-nı¯ra¯rı¯ V. Tukultı¯-apil-Ešarra (Tiglatpileser) III. Schlacht von Halpi und Kistan gegen Urartu und eine syrische Koalition ˘ Šulma¯nu-aša¯red (Salmanassar) V. Einnahme von Samaria Šarru-kı¯n (Sargon) II. Du¯r-Sarrukin wird Königsresidenz Sîn-ahhe¯-erı¯ba (Sanherib) ˘˘ Ninive wird Königsresidenz Zerstörung von Babylon Aššur-aha-iddina (Asarhaddon) ˘ Eroberung von Ägypten Aššur-ba¯ni-apli (Assurbanipal) Schlacht am Ulai-Fluß gegen Elam Aššur-etel-ila¯ni Sîn-šumu-lı¯šer

525

Zeittafeln 628-612 611-609 614 612

Sîn-šar-iškun Aššur-uballit II. ˙ Zerstörung von Assur Zerstörung von Ninive

5. Obermesopotamien und Syrien ca. 3600-3200 3. Jt.

ca. 2000-1600

1773-1759 / 1709-1695

ca. 1600-1200 ca. 1550-1335 ca. 1490 Nach 1345 bis zur Mitte des 13. Jh. gest. 1313/1309 um 1200 ca. 1350-1315/1311 1313/1309-ca. 1250

ca. 1200 um 1360 um 1230 Seit dem 13. Jh. um 1200

526

Kolonien und Handelsstützpunkte der Mittleren und Späten Uruk-Kultur am Euphrat (Habu¯ba Kabı¯ra) ˙ Machtzentren der Frühen Bronzezeit: Mari (Könige: Ištup-Išar, Iblul-Il, NIzi, Enna-Dagan) ˙ Ebla (Könige: Igriš-Halab, Irkab-Damu, Išar-Damu) ˘ Nagar (Tall Bra¯k) Tall Baydar (Nabada?) Urkeš (Tall Mozan) (Könige: Tupkiš, Tiš-adal, Šadar-mad, Adal-šen) Mittlere Bronzezeit Könige von Mari: Jaggid-Lim, Jahdun-Lim, Sumu-Jamam ˘ Jasma2-Addu (assyr. Herrschaft) Zimrı¯-Lîm von Mari Zerstörung von Mari durch Hammurapi von Babylon ˘ Könige von Jamhad (Aleppo): ˘ Sumu-Epuh, Jarim-Lim, Hammurapi ˘ ˘ Könige von Qatna: ˙ Išhi-Addu, Amut-pî-el ˘ Späte Bronzezeit Könige des Mittani-Reichs: Parattarna I., Sauštatar, Artatama I. Friedensvertrag mit Ägypten Šuttarna II., Artašumara, Tušratta Eroberung Nordsyriens durch die Hethiter Schrittweise Eroberung Obermesopotamiens durch die Assyrer Könige von Kargamiš: Šarri-Kušuh ˘ Šahurunuwa, Ini-Teššup, Talmi-Teššup ˘ Kuzi-Teššup Könige von Ugarit: Niqmaddu II. Niqmepa Ammistamru II., Ibiranu, Niqmaddu III., Hammurapi ˘ Zerstörung von Ugarit Könige von Amurru: Abdi-Aširta Aziru, Pentešina Šauškamuwa Ausbreitung der Aramäer »Seevölkerwanderung«

Zeittafeln 1200-720

um 880 ca. 870-848 um 790 um 760 um 720

9. Jh. 8. Jh. 10./9. Jh. 9. Jh. 8. Jh. um 858

gest. 733 um 720 720-610 612-610 605-539 539-333 333

305-281 281-261 261-146 246-225 225-223 223-187 188 83 64/63

Späthethitische und aramäische Staaten Herrscher von Kargamiš: Suhis II. ˘ Katuwas Sangara Astiruwas (Regent: Jariri) Kamanis Herrscher von Azatiwatija (Karatepe): Azatiwatas (Regent der Könige von Adana) Herrscher von Bı¯t Bahiani ˘ mit Residenz Guzana (Tall Halaf): Kapara Adda-it3i Mannu-kı¯(-ma¯t)-Aššur (assyr. Statthalter) Herrscher von Bı¯t Adini mit Residenz Til Barsip = Masuwari (Tall Ahmar): ˙ Hamiyatas Ahuni ˘ Šamšı¯-ilu (assyr. Statthalter) Herrscher von Sam3al (Zincirli): Hajanu ˘ Kulamuwa Panamuwa I. Panamuwa II. Bar-ra¯kib Syrien überwiegend Teil des Assyrerreiches (s. Assyrien) Harran letzte assyrische Königsresidenz Syrien Teil des Neubabylonischen Reiches (s. Babylonien) Syrien Teil des Achämenidenreiches (s. Iran) Schlacht bei Issos Eroberung durch Alexander d.Gr. Syrien Teil des Seleukidenreiches Seleukos I. Antiochos I. Antiochos II. Seleukos II. Seleukos III. Antiochos III. Auseinandersetzungen mit Rom Friede von Apameia mit Rom Aufgabe der Ansprüche auf Kleinasien Eroberung des Seleukidenreiches durch Tigranes von Armenien Umwandlung der Reste des Seleukidenreiches in die römische Provinz Syrien

527

Zeittafeln

6. Palästina (Juda und Israel) 1004/3-965/4 David (?) 965/4-926/5 Salomo (?) Juda

Israel

926-910 910-908 908-868

Rehabeam Abia Asa

868-847

Josaphat

852/47-845 (?)

Jehoram

845 (?) 845-840 (?) 840-801 (?)

Ahasia Athalja Joas

801-773

Amasja

773-736 (?) 756-741 (759-744)

Asarja / Ussia Jotham

741-725 (744-729)

Ahas

725-697 (728-700) 701 696-642 641-640 639-609 622 609 608-598 598/7 598/7-587/6 598/6 587/6 538 520 515 445/4-433/2

528

Hiskia Sanherib vor Jerusalem Manasse Amon Josia Reform Josias Joahas Jojakim Jojachin Zedekia 1. Eroberung Jerusalems 2. Eroberung Jerusalems Kyrosedikt Baubeginn des 2.Tempels Weihe des 2.Tempels Nehemia

927-907 907-906 906-883 883-882 882 882/78-871 871-852 853 852-851 (?) 852-841 (?) 841-814/13 (?)

Jerobeam I. Nadab Baësa Ela Simri Omri Ahab Schlacht bei Qarqar Ahasja Joram Jehu

818-802 (?) 802-787 787-747 (?)

Joahas Joas Jerobeam II.

747 747-738

Sacharja Menachem

737-736 735-732 734-732

Pekachja Pekach Syrisch-ephraimitischer Krieg Hosea Eroberung von Samaria und Ende des Nordstaates Israel

731-723 722

Zeittafeln um 425 (oder um 398/7) 301-200/198 200/198-135 169-167 166-164

Esra Ptolemäer Seleukiden Antiochos IV. in Jerusalem Makkabäeraufstand

160-142 142-135/4 135/4-104 104-103 103-76 76-67 67-63 63-40 40-37 40/37-4 v. Chr.

Hasmonäer: Jonathan Simon Johannes Hyrkanos I. Aristobulos I. Alexander Janaios Salome Alexandra Aristobulos II. Hyrkanos II. Antigonos Herodes

4 v. Chr.-6 n. Chr. 6 n. Chr. 4. v. Chr.-39. n. Chr. 4. v. Chr.-34 n. Chr. 26-36 n. Chr. 41-44 nach 50-100 66-70/74 132-135

Archelaos Prokuratorischer Verwaltungsbezirk Judaea Herodes Antipas Philippus Pontius Pilatus Agrippa I. Agrippa II. 1. Jüdischer Aufstand 2. Jüdischer Aufstand

529

Zeittafeln

7. Anatolien 17. / Anfang 16. Jh.

ca. 1650/1585 - 1545/1480 1595/1531

ca. 1545/1480-1350

ca. 1340-1190 ca. 1343-1322/1318 1322/1318 - 1321/1317 1321/1317-ca. 1385 1385-1372 1274 1272-1267 1267-1237 1259 1237-1210 1210-1209 1209-? nach 1200

um 832 um 800 ca. 755-ca. 735 ca. 735-714 um 673/72

um 655/54 um 643

530

Könige von Kussar(?): Huzzija, Papahdilmah, Labarna ˘ ˘ ˘ Könige des Hethiterreiches: Altes Reich Hattusˇili I., Mursˇili I. ˘ Eroberung von Babylon Hantili I., Zidanta I., Ammuna, ˘ Huzzija I., Telipinu ˘ Mittleres Reich Tahurwaili (Einordnung unklar), ˘ Alluwamna, Hantili II., Zidanta II., ˘ Huzzija II., Muwattalli I., Kantuzzili (?) ˘ Tudhalija I. (= »II.«), Arnuwanda I. ˘ Kaškäer-Einfälle Tudhalija II. (= »III.«), Tudhalija III. (?) ˘ ˘ Neues Reich (»Grossreichszeit«) ˇSuppiluliuma I. Arnuwanda II. Mursˇili II. Muwattalli II. Schlacht von Qadeš Mursˇili III. (= Urhi-tesˇsˇub) ˘ Hattusˇili »III.« ˘ Friedens- und Freundschaftsvertrag mit Ägypten Tudhalija IV. ˘ Arnuwanda III. Sˇuppiluliuma II. Aufgabe(?), Verfall und Zerstörung von Hattusˇa Könige von Urartu: Sardure I. Išpuini Minua Argišti I. Sardure II. Rusa I. Argišti II. Rusa II. Erimena Sardure III. Rusa III. Sardure IV.

Zeittafeln

8. Iran

625-585 585-549 559-530 547 539 530-522 530 522-486 492, 490 486-465 480 465-424 424 423-404 404-359 401 359-338 338-336 336-330 333, 332 305-ca. 250 um 250

ca. 247/238-217 ca. 171-138 ca. 123-88 ca. 70-57 69 und 66 v. Chr. ca. 57-38 53 v. Chr. ca. 38-2 v. Chr. 20 v. Chr. 114-117 n. Chr. Nach 117 224 224-241 241-272 260

Meder-Reich Kyaxares Astyages (Ištumegu) Achämeniden-Reich Kyros II. Sieg über Kroisos von Lydien Einnahme von Babylon Kambyses II. Eroberung Ägyptens Darius I. Griechenlandfeldzüge Xerxes I. Schlacht bei Salamis Artaxerxes I. Xerxes II. Darius II. Artaxerxes II. Memnon Aufstand Kyros d. Jüngeren Artaxerxes III. Ochus Arses Darius III. Schlachten bei Issos und Gaugamela Eroberung durch Alexander d.Gr. Iran Teil des Seleukidenreiches Begründung des graeco-baktrischen Königreichs und Loslösung Parthiens aus dem Seleukidenreich Arsakiden-Reich Arsakes I. Mithradates I. Eroberung von Westiran und Mesopotamien Mithradates II. Parther als Großmacht, Eingreifen in Armenien Phraates III. Verträge mit Rom, Festlegung der Euphratgrenze Orodes II. Sieg bei Karrhai, Tod des Crassus Phraates IV. Friedensvertrag mit Rom Trajans Partherfeldzug, Eroberung von Ktesiphon Wiederherstellung der Euphrat-Grenze Ende des Parther-Reiches Sasaniden-Reich Ardašir I. Šapur I. Eroberung Armenien, Feldzüge gegen Syrien und Kleinasien Gefangennahme Kaiser Valerians

531

Zeittafeln 277 287 297/98

Der Religionsstifter Mani stirbt im Gefängnis Friedensschluß mit Diokletian Verzicht der Sasaniden auf Armenien und Mesopotamien

9. Griechenland und Rom 336-323 321-281 321 301 281 280-275 264-241 218-201 202 222/21-179 215-205 200-197 197 196 192-188 188 179-168 171-168 168 149-146 146 89-63 74 58 60-44 48/47 seit 43 v. Chr. 27 v. Chr.-14 n. Chr. 14-37 n. Chr. 37-41 41-54 54-68 68/69 69-79 79-81 81-96

532

Alexander III., der Große Diadochenkriege Neuordnung von Triparadeisos Schlacht von Ipsos Schlacht von Kurupedion Pyrrhos V. von Epirus in Italien 1. Punischer Krieg 2. Punischer Krieg Schlacht bei Zama Philipp V. von Makedonien 1. Röm.-Maked. Krieg 2. Röm.-Maked. Krieg Schlacht bei Kynoskephalai Freiheitserklärung des T. Quinctius Flamininus für Griechenland Römisch-Syrischer Krieg Friede von Apameia Perseus von Makedonien 3. Röm.-Maked. Krieg Schlacht von Pydna 3. Punischer Krieg Zerstörung Karthagos und Korinths Mithradatische Kriege Cyrene römische Provinz Zypern von Rom eingezogen C. Iulius Caesar in der röm. Innenpolitik Alexandrinischer Krieg C. Iulius Caesar Octavianus in der röm. Innenpolitik Iulisch-Claudische Kaiser: Augustus Tiberius Gaius (Caligula) Claudius Nero Vierkaiserjahr Flavische Kaiser: Vespasian Titus Domitian

Zeittafeln

96-98 98-117 115-117 117-138 138-161 161-180 180-192 193-211 196-217 212 218-222 222-235 235-238 238-244 244-249 249-251 250 253-260 257-260 261-271 270-275 276-282 284-305 († 316?)

Adoptivkaiser: Nerva Trajan Jüd. Aufstand in Ägypten Hadrian Antoninus Pius Marc Aurel Commodus Severische Kaiser: Septimius Severus Caracalla Constitutio Antoniniana Elagabal Severus Alexander Soldatenkaiser: Maximinus Thrax Gordian III. Philippus Arabs Decius Christenverfolgung Valerian Christenverfolgung Palmyren. Reich Aurelian Probus Diocletian

533

Zeittafeln

10. Südarabien 2.Jt. Mitte 8. Jh. 732 715 685 7. Jh. 6. Jh. 5. Jh. 4. Jh. 3. Jh. 110 26/25 v. Chr.

Um 25 n. Chr. Mitte 1. Jh. Um 75 1.-3. Jh. 2.Hälfte 2. Jh. Erstes Drittel 3. Jh. Mitte 3. Jh. Um 280 Ende 3. Jh. Mitte 4. Jh. 2. Hälfte 4. Jh. 383 1. Drittel 5. Jh. 522-523

525 535-575 548 575 632

534

Einwanderung semitisch-sprachiger Stämme aus dem Norden Karawane aus Saba und Tayma¯ am mittleren Euphrat von dortigem assyrischen Statthalter aufgebracht Sabäer als Tributbringer von Tiglatpilesar III. genannt Der sabäische Herrscher Itamra (Yita23amar) als Tributbringer von Sargon II. ¯ genannt Dem assyrischen König Sanherib werden von dem Sabäer Karibilu (Karib3il Watar) Geschenke überbracht Vorherrschaft Sabas in Südwestarabien Errichtung des Südbaus des großen Damms von Ma¯rib Qataban und die Minäer lösen sich aus sabäischer Vorherrschaft Die Minäer kontrollieren den Überlandhandel ans Mittelmeer und nach Mesopotamien Qataban mit seiner Hauptstadt Timna2 auf dem Höhepunkt seiner Macht, kontrolliert u. a. den Ba¯b al-Mandab Beginn der himyarischen Ära Feldzug des römischen Präfekten von Ägypten Aelius Gallus nach Südarabien. Scheitern der Expedition. Qatabanische Hauptstadt Timna2 wird von Hadramawt zerstört Das Seefahrerhandbuch Periplus Maris Erythraei belegt die Bedeutung des Seehandels am Roten Meer und Indischen Ozean Zafa¯r, Hauptstadt der Himyar, bei Plinius d. Ä. erwähnt ˙ Saba, Himyar und weitere Dynastien aus dem jemenitischen Hochland streiten um die Vorherrschaft Qataban wird Hadramawt einverleibt. Erste Intervention der Abessinier von der jemenitischen Küsteneben aus Der Sabäerkonig Ša¯2irum 3Awtar erobert die Oasenstadt Qaryat al-Fa3w in Zentralarabien und zerstört die hadramitische Hauptstadt Šabwa Die Sabäerkönige führen Krieg mit den Äthiopiern in der westlichen Küstenebene und Nagra¯n sowie mit den Himyar im südlichen Hochland Unter dem Himyarenkönig Yasirum Yuhan2im Ende der sabäischen Dynastie in Ma¯rib Der Himyarenkönig Šammar Yuhar2iš erobert Hadramawt und eint Südarabien Erste Zeugnisse für christliche und jüdische Missionstätigkeit in Südarabien Erster inschriftlich bezeugter Bruch des Dammes von Ma¯rib Der Himyarenkönig Malkı¯karib Yuha3min mit Söhnen bekennt sich zum Monotheismus Unter 3Abu¯karib 3As2ad erreicht das Himyarenreich größte territoriale Ausdehnung Yu¯suf 3As3ar Yat3ar (du¯ Nuwa¯s) geht gegen die Christen und ihre äthiopischen ¯ ¯ Verbündeten in Zafa¯r und an der Westküste vor, ˙ Tod der himyarischen Christen in Nagra¯n Jemen wird von den Abessiniern besetzt Jemen unter 3Abraha und seinen Söhnen christlich Erneuter Bruch des Dammes von Ma¯rib Südarabien wird persische Provinz Der Jemen wird islamisch

Ägypten

37 34

1 Gebel Barkal (Napata) 2 Kawa 3 Kerma 4 Sai 5 Amara 6 Semna 7 Uronarti 8 Buhen 9 Abu Simbel 10 Toschka 11 Primis (Qasr Ibrim) 12 Aniba 13 Kuban 14 Philä 15 Elephantine 16 ASSUAN (Syene) 17 Berenike 18 Kom Ombo 19 Gebel el-Silsila 20 Edfu 21 Elkab 22 Esna 23 LUXOR Theben 24 Theben-West 25 Karnak 26 Senyris (Schenhur) 27 Koptos 28 Dendera 29 Abydos 30 Myos Hormos 31 Ptolemaïs 32 SOHAG 33 ACHMIM 34 Mons Claudianus 35 ASSIUT 36 Kusae 37 Mons Porphyrites 38 Tell el-Amarna 39 Hermopolis 40 Antinooupolis 41 MINIA 42 Oxyrhynchos 43 Ankyronopolis (el-Hibe) 44 BENI SUEF 45 Abusir el-Melek 46 Hawara 47 Theadelpheia 48 Arsinoe (Medinet el-Fayoum) 49 Karanis (Aushim) 50 Sakkara 51 Memphis 52 Gisa 53 KAIRO 54 SUEZ 55 Bubastis 56 Tell el Dab’a 57 Auaris / Qantir 58 Daphnai 59 Pelusion 60 PORT SAID 61 Marina el-Alamein 62 Naukratis 63 Sais 64 Buto 65 ALEXANDRIA

Arabische Halbinsel ad-Du¯r Adoulis Aksum Alexandria Apologos Avalites Berenike Cryptus / Maskat Deda¯n / al-2Ula¯ ˇ andal Du¯mat al-G Eudaimon Arabia / Aden Gaza Gerrha Koptos Leuke Kome Malao Ma¯rib Mekka Meroe

21 8 7 34 30 2 18 20 26 29 4 33 22 23 25 1 9 16 13

Mouza Myos Hormos Nagra¯n Okelis Pasinou Charax Petra Ptolemais Qana3 / Bi3r 2Alı¯ Qaryat al-Fa3w Sama¯rum / Ho¯r Ro¯rı¯ ˘ Šabwa Tayma¯3 Ta¯gˇ ¯ ¯n Yabrı Yatrib / Medina ¯

6 24 11 3 31 32 14 5 15 12 10 28 27 17 19

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Malao Avalites Okelis Eudaimon Arabia / Aden Qana3 / Bi3r 2Alı¯ Mouza Aksum Adoulis Ma¯rib Šabwa Nagra¯n Sama¯rum / Ho¯r Ro¯rı¯ ˘ Meroe Ptolemais Qaryat al-Fa3w Mekka Yabrı¯n Berenike Yatrib / Medina ¯ Cryptus / Maskat

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

ad-Du¯r Gerrha Koptos Myos Hormos Leuke Kome Deda¯n / al-2Ula¯ Ta¯gˇ ¯ Tayma ¯3 ˇ andal Du¯mat al-G Apologos Pasinou Charax Petra Gaza Alexandria